Handwörterbuch der Kriminologie: Band 5 Nachtrags- und Registerband [Reprint 2011 ed.] 9783110895841, 9783110161717


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German Pages 781 [784] Year 1998

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Table of contents :
Geleitwort
Vorwort
Prostitution
Strafen und Maßregeln
Strafrechtsreform
Tierquälerei
Tötungsdelikte, fahrlässige
Umweltkriminalität
Kriminalistik
Strafaussetzung zur Bewährung, Bewährungshilfe und Führungsaufsicht
Strafvollzug: Untersuchungshaft
Strafvollzug: Erwachsenenbildung
Alterskriminalität
Computerkriminalität
Diversion
Abolitionismus
Massenmedien
Kindesmißhandlung
Ladendiebstahl
Sachbeschädigung
See- und Schiffahrtskriminalität
Krawalle
Wiedergutmachung
Viktimologie
Staatsstreich
Verkehrsdelikte
Dunkelfeldforschung
Kinder- und Jugenddelinquenz
Sexueller Mißbrauch an Kindern
Vergewaltigung
Organisiertes Verbrechen
Ausländerkriminalität
Politische Kriminalität
Frauenkriminalität
Kriminalitätstheorien
Schule
Vergleichende Kriminologie
Vergleichende Kriminologie: Deutsche Demokratische Republik (1949 bis 1990)
Vergleichende Kriminologie: Polen
Pioniere der Kriminologie
Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände 1 bis 5
Sachregister des Gesamtwerkes
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Handwörterbuch der Kriminologie: Band 5 Nachtrags- und Registerband [Reprint 2011 ed.]
 9783110895841, 9783110161717

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HANDWORTERBUCH DER KRIMINOLOGIE Begründet von

ALEXANDER E L S T E R und HEINRICH L I N G E M A N N in völlig neu bearbeiteter zweiter Auflage herausgegeben von

Rudolf Sieverts f und Hans Joachim Schneider

Fünfter Band Nachtrags- und Registerband

W G DE

Berlin 1998 WALTER DE G R U Y T E R · BERLIN · NEW Y O R K

Dr. jur. Rudolf Sieverts war o. Professor an der Universität Hamburg. Er ist 1980 verstorben. Dipl.-Psych. Dr. jur. Dr.h.c. Hans Joachim Schneider ist em. o. Professor an der Universität Münster. Er ist Herausgeber dieses Bandes.

Erscheinungsdaten der Lieferungen Prostitution - Strafvollzug: Erwachsenenbildung (1. Lieferung): Juni 1983 Alterskriminalität - Verkehrsdelikte (2. Lieferung): Januar 1991 Dunkelfeldforschung - Vergleichende Kriminologie: Polen (sowie Pioniere der Kriminologie, Gesamtinhaltsverzeichnis, Sachregister) (3. Lieferung): Januar 1998

Die Deutsche Bibliothek



CIP-Einheitsaufnahme

Handwörterbuch der Kriminologie / begr. von Alexander Elster u. Heinrich Lingemann. - In völlig neu bearb. 2. Aufl. hrsg. von Rudolf Sieverts u. Hans Joachim Schneider. - Berlin ; New York : de Gruyter Literaturangaben 1. Aufl. u.d.T.: Handwörterbuch der Kriminologie und der anderen strafrechtlichen Hilfswissenschaften Bd. 5. Nachtr.- und Register-Bd. 1998 ISBN 3-11-016171-0

© Copyright 1998 by Walter de Gruyter GmbH & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin

RUDOLF SIEVERTS 1903-1980 IN MEMORIAM

GELEITWORT Mit diesem, dem fünften Band des „Handwörterbuchs der Kriminologie", beschließt Professor Schneider eine gigantische Arbeit, die, begonnen von Rudolf Sieverts (1. Band 1966), mehr als zwei Jahrzehnte seiner Energie und Mühe erforderten. Es ist charakteristisch für Professor Schneider, daß er eine Enzyklopädie in Angriff nahm, hat er doch in allen seinen Arbeiten stets allumfassend gewirkt. Dies ist besonders durch seine große „Kriminologie" bewiesen, die in der ganzen Welt ihres gleichen sucht dank ihrer Tiefe und Breite und der globalen Auswertung der wissenschaftlichen Literatur. Es ist ferner bewiesen durch die Vielfalt der kriminologischen Themen, die er in 40jähriger Schaffensfreude bewältigt hat. Nicht zuletzt hat er seine eigene Forschung und Lehre auf die ganze Welt ausgedehnt, und das ist für den Enzyklopädisten besonders wertvoll. Die Direktion, die Redaktion, einer Enzyklopädie ist seit altersher mit bedeutenden Gefahren verbunden gewesen. Der Philosoph Denis Diderot, der im Jahre 1747 die Direktion der „Encyclopedic" übernahm, wurde alsbald zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Seine Bände, von Vertretern beider Konfessionen gleichermaßen angegriffen und vom König attackiert, konnten nur durch Freundeshilfe gerettet werden. Aber Diderots Arbeit war ein Erfolg für den Ruhm Frankreichs und das Wissensstreben der gesamten Menschheit. Unter Diderots Mitarbeitern finden wir Rousseau, Helvetius, Voltaire, Turgot und viele andere führende Köpfe der Aufklärung, die wir Kriminologen heute unter unsere Begründer zählen. Professor Schneider hatte nicht mit Inhaftierung oder Zensur zu rechnen. Aber er hatte allen anderen möglichen Angriffen gegen Enzyklopädisten zu parieren: Ich nenne nur die Auswahl der Themen, deren Klassifizierung, die Selektion der Autoren, deren mögliche kulturelle oder ideologische Voreingenommenheit, die Abgabetermine für die Artikel, die Erscheinungstermine der Lieferungen. Ja, es waren die gleichen Probleme, nicht zuletzt die der Übersetzungen, die Diderot und seine Freunde über zwei Jahrhunderte zuvor bereits zu lösen hatten. Das Endresultat liegt vor uns: ein Werk, das — in deutscher Sprache — die Welt der Kriminologie heutigen Datums umfaßt. Die Autoren stammen aus aller Welt. Doch möchte ich hinzufügen, daß die deutschsprachigen Kriminologen, geachtet in aller Welt, hier zum ersten Male die Anerkennung finden, die ihnen gebührt. - So, wie sich die Vertreter der Aufklärung damals um Diderot und die „Encyclopedic" scharten, so haben sich Freunde und Kollegen aus allen Erdteilen um Hans Joachim Schneider und sein Handwörterbuch versammelt. Mögen nun alle, die von diesem Handwörterbuch profitieren, daran denken, welche enorme Zeit, Energie, Bereitschaft und Wissen es erforderte, diese Arbeit zum erfolgreichen Ende zu bringen, zum Nutzen unserer Wissenschaft. New York, N.Y, im Oktober 1997 Gerhard O. W. Mueller, J.D., LL.M., Dr. jur. h.c., Distinguished Professor of Criminal Justice, Rutgers University, USA

VORWORT ZUM NACHTRAGS- UND REGISTERBAND Mit der letzten Lieferung des 5. Bandes liegt die 2. Auflage des „Handwörterbuchs der Kriminologie" nun vollständig vor. Alle ursprünglich geplanten Artikel sind bearbeitet. Hinzugekommen sind Ergänzungsartikel, die das Gesamtwerk auf dem neuesten Stand der theoretisch- und empirisch-kriminologischen Forschung halten. In 154 Artikeln wird über den kriminologischen Wissensstand informiert. Sowohl in seinem Inhalt wie in seiner Autorenauswahl trägt das „Handwörterbuch" internationalen und interdisziplinären Charakter. Mit seiner zusammengefaßten, überblickhaften Information will es dem Praktiker ebenso wie dem Wissenschaftler Orientierungshilfen leisten. Besonderes Gewicht ist hierbei auch auf die sorgfältige Zusammenstellung der Literaturverzeichnisse gelegt worden. Obgleich nämlich die eigenständige kriminologische Literatur ständig wächst, erscheinen immer noch viele kriminologisch bedeutsame Forschungsergebnisse verstreut in psychologischen, soziologischen, psychiatrischen und juristischen Veröffentlichungen und in Publikationen vieler anderer Disziplinen. Die Kriminalität und die Kriminologie haben sich in den letzten Jahrzehnten in der Welt stark verändert. Die Herausgeber waren deshalb stets darum bemüht, dem Wandel in den Erscheinungsformen und Strukturen der Kriminalität sowie im kriminologischen und kriminalpolitischen Denken Rechnung zu tragen. Wichtige Artikel sind durch Ergänzungsartikel erneuert worden (z. B. Frauenkriminalität, Kinder- und Jugenddelinquenz, Organisiertes Verbrechen, Massenmedien). Neue Teilgebiete der Kriminologie sind entstanden (z. B. Viktimologie, Städteplanung und Baugestaltung (Kriminalökologie), Sozialpsychiatrie, historische Kriminologie und Vergleichende Kriminologie). Neuartige Erscheinungsformen der Kriminalität haben sich herausgebildet (z. B. Ausländer-, Umwelt-, Computer-, See- und Schiffahrtskriminalität). Moderne Theorien (z. B. Abolitionismus), kriminalpolitische Vorstellungen (z. B. Diversion, Wiedergutmachung) und empirische Methoden (z. B. Dunkelfeldforschung) haben sich entwickelt. Trotz ihres Bemühens um Aktualität war es ein Hauptanliegen der Herausgeber, kurzlebige Modeerscheinungen aus den Artikeln herauszuhalten und das Solide, Bleibende zu betonen. In der 1. Auflage dieses „Handwörterbuchs" erschien eine Vielzahl von kürzeren Einzelartikeln. Wie im Vorwort zum 1. Band der 2. Auflage dieses „Handwörterbuchs" ausgeführt, hat man dieses Konzept in der 2. Auflage geändert. Aus einem „Handwörterbuch" ist ein „Handbuch" geworden. Die kürzeren Einzelartikel sind durch umfangreiche, längere Überblicksartikel ersetzt worden, die ganze Sachgebiete zusammenfassen und die auf diese Weise einen besseren Durchblick durch innere Zusammenhänge ermöglichen. Wie bereits im Vorwort zum 3. Band dieses „Handwörterbuchs" betont worden ist, stellt ein Handbuch mit monographieartigen, ausführlichen Artikeln, das noch dazu versucht, die ABC-Folge einzuhalten, ein Unternehmen dar, das einem Geleitzug gleicht, dessen Tempo sich nach der langsamsten Einheit zu richten hat und bei dem auch Ausfälle aus zahlreichen Gründen vorkommen. Herausgeber und Verlag haben ihr Bestes getan, um sich auf diese Gegebenheiten einzustellen. Gleichwohl ist die Durchbrechung der ABC-Folge durch den Ergänzungs- und den Nachtrags- und Registerband, das verspätete Erscheinen der Lieferungen und die häufige Autorenschaft bei zahlreichen Artikeln durch den Herausgeber auf diese Gegebenheiten zurückzuführen. Denn bei einem Ausfall ist ein kürzerer Artikel schneller und problemloser geschrieben als ein umfangreicherer, längerer, und beim Versäumen aller Abgabetermine blieb dem Herausgeber keine andere Wahl, als den Artikel selbst zu übernehmen. Trotz dieser Schwierigkeiten ist es gelungen, national wie international renommierte Autoren für die Abfassung der Artikel zu gewinnen. Für ihre konstruktive und geduldige Mitarbeit dankt der Herausgeber allen Autoren sehr herzlich. Der fünfte und letzte Band ist dem ersten Herausgeber — Rudolf Sieverts — gewidmet, der im Jahre 1980 verstorben ist. Er soll durch diese Widmung für seine Initiative und sein Engagement bei der Herausgabe dieses „Handwörter-

VIII

Vorwort zum Nachtrags- und Registerband

buchs" geehrt werden. Im Vorwort zum 1. Band dieser Auflage, das Rudolf Sieverts verfaßt hat, ist an zahlreichen Stellen von den „Pionieren" der Kriminologie die Rede. Im Anhang zu diesem letzten Band veranschaulichen Kurzbiographien von 81 Pionieren durch einige wenige wichtige Lebensdaten und wissenschaftliche Leistungen die Zitate in den sachorientierten Artikeln personell. Die Auswahl der Persönlichkeiten beansprucht hierbei keine Wertung und keine Vollständigkeit. Auch die Bezeichnung als „Pionier" stellt nicht unbedingt ein Werturteil dar. Für eine kritische Abwägung der Leistungen jeder einzelnen Persönlichkeit war der zur Verfügung stehende Raum zu kurz. Durch das Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände 1 bis 5 und das Sachregister des Gesamtwerkes soll die Benutzbarkeit dieses „Handwörterbuchs" verbessert werden. Gleichzeitig sollen die Schwierigkeiten für den Benutzer überwunden werden, die aufgrund der Durchbrechung der ABC-Folge durch den Ergänzungs- und den Nachtrags- und Registerband entstanden sind. Die Artikel des Ergänzungs- und des Nachtrags- und Registerbandes werden in das Gesamtwerk integriert. Der Benutzer vermag im Gesamtinhaltsverzeichnis nicht nur zu erkennen, in welchem Band der von ihm gesuchte Artikel erschienen ist. Er sieht auch gleichzeitig, ob ein Ergänzungsartikel zusätzliche Informationen enthält und ob das Problem, das ihn interessiert, noch in anderem Zusammenhang abgehandelt worden ist. Einzelthemen werden durch Verweisungen in größere Zusammenhänge (Überblicksartikel) gestellt. Durch die Angabe des Zeitpunktes des Abschlusses der Arbeiten in Klammern wird dem Benutzer deutlich, mit welchem zeitlichen Stand der Information er zu rechnen hat. Im Sachregister ermöglichen die Unterstichwörter zu den einzelnen Artikeln einen besseren inhaltlichen Durchblick durch die Artikel. Einzelthemen kleineren oder mittleren Umfangs werden in größere Zusammenhänge (Überblicksartikel) verwiesen. Nach seiner Emeritierung hatte der Herausgeber keine Assistenten und keine Sekretärin zur Mithilfe bei der Fertigstellung dieses Bandes mehr zur Verfügung. Er war allein auf die Unterstützung seiner Frau Hildegard Schneider angewiesen, ohne die er auch diesen Band nicht hätte herausgeben können. Ihr sei erneut sein herzlichster Dank ausgesprochen. Münster, im Oktober 1997 Prof. Dr. Dr.h.c. Dipl.-Psych. Hans Joachim Schneider, Herausgeber

INHALTSVERZEICHNIS Seite Geleitwort. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Gerhard O. W. Mueller Vorwort. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schneider Prostitution. Von Prof. Dr. Dr. h.c. (PL) Hans Joachim Schneider

V VII 1

Strafen und Maßregeln. Von Prof. Dr. Ulrich Eisenberg

15

Strafrechtsreform. Von Prof. Dr. Ulrich Weber

40

Tierquälerei. Von Rechtsanwalt Dr. Klaus Wiegand

76

Tötungsdelikte, fahrlässige. Von Prof. Dr. Wolf Middendorff

89

Umweltkriminalität. Von Ltd. Kriminaldirektor a.D. Günther Bauer

104

Kriminalistik. Von Ltd. Kriminaldirektor a.D. Günther Bauer

118

Strafaussetzung zur Bewährung, Bewährungshilfe und Führungsaufsicht. Von Prof. Dr. Michael Walter

151

Strafvollzug: Untersuchungshaft. Von Prof. Dr. Heinz Müller-Dietz

200

Strafvollzug: Erwachsenenbildung. Von Prof. Dr. Heinz Müller-Dietz

222

Alterskriminalität. Von Prof. Dr. Ezzat A. Fattah

239

Computerkriminalität. Von Dr. Christiane Uthemann

265

Diversion. Von Prof. Dr. Dieter Dölling

275

Abolitionismus. Von Prof. Dr. Sebastian Scheerer

287

Massenmedien. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schneider

301

Kindesmißhandlung. Von Dipl.-Psych. Dr. Ursula Schneider

324

Ladendiebstahl. Von Prof. Dr. Friedrich Geerds

347

Sachbeschädigung. Von Prof. Dr. Friedrich Geerds

362

See- und Schiffahrtskriminalität. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Gerhard O. W. Mueller und Prof. Dr. Freda Adler

376

χ

Inhaltsverzeichnis

Krawalle. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schneider

382

Wiedergutmachung. Von Prof. Dr. Detlev Frehsee

391

Viktimologie. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schneider

405

Staatsstreich. Von Prof. Dr. Wolf Middendorff

425

Verkehrsdelikte. Von Prof. Dr. Wolf Middendorff

437

Dunkelfeldforschung. Von Prof. Dr. Hans-Dieter Schwind

453

Kinder- und Jugenddelinquenz. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schneider

467

Sexueller Mißbrauch an Kindern. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schneider

502

Vergewaltigung. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schneider

524

Organisiertes Verbrechen. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schneider

562

Ausländerkriminalität. Von Dr. Michael Gebauer

578

Politische Kriminalität. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schneider

589

Frauenkriminalität. Von Dipl.-Psych. Dr. Ursula Schneider

625

Kriminalitätstheorien. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schneider

645

Schule. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schneider

668

Vergleichende Kriminologie. Von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schneider

676

Vergleichende Kriminologie: Deutsche Demokratische Republik (1949 bis 1990). Von Prof. Dr. Günther Kräupl

693

Vergleichende Kriminologie: Polen. Von Prof. Dr. Andrzej Marek

704

Pioniere der Kriminologie

719

Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände 1 bis 5

731

Sachregister des Gesamtwerkes

741

1

Prostitution

PROSTITUTION /. Begriff der Prostitution Die Prostituierte gibt steh zum Zwecke der Bestreitung ihres Lebensunterhalts in der Regel ohne Gefühlsbeteiligung gegen Entgelt - Geld oder son stigen materiellen Gewinn - wahllos vielen Partnern, meist Männern, die sie fur gewöhnlich nicht kennt, zum Geschlechtsverkehr oder anderen Seru alhandlungen hin. Nach ihrer eigenen Meinung und nach der Auflassung ihrer Beziigspeisonen (Zuhälter, Bordellwirte) geht sie einem Berufe nach, der in oner Dienstleistung besteht, nämlich darin, kurze, unpersönliche Sexualkontakte anzubieten. In der Sicht der öffentlichen Meinung laßt sie sich zum Sexualobjekt erniedrigen. Sie beutet ihre eigene Sexualität und die ihrer Kunden aus, indem sie gefühlsmäßig gleichgültig - ihre Sexualbeziehungen rein kommerzialisiert - Die Gesellschaft beurteilt ihre Tätigkeit als sozialabweichendes Verhalten, weil ihr Geschlechtsverkehr nicht in stabilen zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb von Ehe und Familie stattfindet und weil er grundsätzlich nicht auf Fortpflanzung, Vermehrung und Kinderaufzucht und deshalb auch nicht auf die Frhaltiing der Gesellschaft abzielt. Die Prostituierte macht ihren Körper für ihre Kunden πιηιreinensexuellen Lustobjekt, um daraus finanziellen Gewinn zu schlagen. Zwar weiden vor- und außeieheliche Sexualbeziehungen in den modernen Industriegesellschaften geduldet, wenn die Paare, die sich lieben und heiraten wollen, sich dabei diskret und taktvoll verhalten. In derfinanziellenAusbeutung der Sexuallust anderer sieht die Gesellschaft indessen ein egoistisches, sozial feindliches Verhalten, das sie sozial abwertet. Die Prostituierten weiden deshalb als Randgruppe gebrandmarkt und aus der Gesellschaft weitgehend ausgeschlossen, obgleich sie für die sexuell Unbefriedigten. Perversen, Fronden in der Gesellschaft eine wichtige Ventilfunktion erfüllen. Die phantasierte Prostitution, ζ. B. ihre populärwissenschaftliche Darstellung, übersteigt bei wel· lern ihre wirkliche Bedeutung. Nur zu oft reagieren die Massenmedien und die öffentliche Meinung auf Prostitution in gefühlsmäßiger, moralisierender, dramatisierender Weise. Selbst bei Kriminologen und Praktikern der Strafrechtspflege kann man mit unter eine mangelnde Distanz zu ihrem Objekt der Forschung beobachten. Sie verschlimmern damit nur das persönliche und soziale Problem. Nicht selten verfolgt die Bevölkerung Berichte der Massenmedien über Prostitution und Zuhälterei mit „wollüstigem Schaudern", Das ist keine Haltung, die eine vernünftige Kontrolle der Prostitution erleichtert. 2. Geschichte der Prostitution In der Geschichte gab es neben der geweibsjnäßi gen Prostitution diereligiöseund gastliche Prostitu-

tion. Die jungen Babjfonierinnen mußten den Tempel der Istar aufsuchen, um dort darauf zu warten, daß ein beliebiger Fremder sie zum Geschlechtsverkehr im Istarhain aufforderte- Sie erhielten dafür eine Münze nach dem Gutdünken des Fremden, die als geheiligtes Geld galt und der Göttin gehörte. Nach Vollzug des Verkehrs, der die Bedeutung eines religiösen Rituals hatte, konnte das junge Mädchen nach Hause zurückkehren, weil es seine einmalige Pflicht der Fruchtbarkeitsgöttin gegenüber erfüllt hatte. Eine gehobene Form der Prostitution war das Hetärentum in Griechenland. Die Hetären waren musikalisch ausgebildet und auf geistigem Gebiet soweit erzogen, daß sie auch den Gebildeten unter ihren Besuchern verstandesmäßig zu folgen und mit ihnen eine Unterhaltung zu füh ren vermochten. Ihre Standbilder wurden neben denen der großen Männer aufgestellt, und sie waren I leidinnen von Dramen und Gedichten. Die japanischen Geishas haben eine ähnliche Stellung wie die Hetären. Sie sind in Tanzen, Singen und anderen Unterhaltungsarten ausgebildet und bedienen ihre Gäste im Teehaus. Sie sind keine gewöhnlichen Prostituierten, sondern säe wählen ihre Sexualpartncr aus. Reste der gastlichen Prostitution, die es noch heute bei den Eskimos gibt, haben sich in Mitteleuropa bis ins Mittelalter erhalten: Der Gast durfte die Nacht mit der Frau, der Tochter oder der Magd des Gastgebers .auf guten Glauben", d. h. in der Erwartung verbringen, daß keine Schwängerung eintrat. Die Heere der Kreuzfahrer wurden bereits von einem Dimentroß begleitet. Die Landsknechtstruppen des Dreißigjährigen Krieges kannten sogar die Dienststellung eines „Hurenweibels", eines Feldwebels, der unter dem Dimentroß für Ordnung sorgte. Das Konzil von Konstanz (1414 bis 1418) lockte etwa eintausend Prostituierte an. Hauptsammelpunkt der Prostitution war im Mittelalter bis in che Renaissance hinein das Badehaus, das einen allgemeinen Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens bildete. In Japan ist heute noch die BadehausProstitution. aber auch die Prostitution in Stundenhotels und durch sogenannte Masseusen in Hotels weit verbreitet. Seit den zwanziger Jahren nimmt die kasernierte BordeUprostitution (George J. Kneeland 1917; Howard Β Wootstoo 1921) ab. An ihre Stelle tritt immer mehr eine heimliche Prostitution in Massagcsalons und „Taxi Tanzhallen'" (Paul G.Cressey 1932), in denen man gegen eine geringe Gebühr „Taxi Girls" zum Tanzen auffordern konnte. Diese jungen Damen waren gelegentlich zur Prostitution bereit.

3. Erscheinungsformen der Prostitution Man unterscheidet die Prostitution entweder nach dem Ort. an dem die Dirnen _auf den Sirich"

2

Prostitution

gehen (sich anbieten) oder die Prostitution ausüben: Haus-, Bar-, Hotel-, Bordell-, Straßen-, Theater-, Lokal-, Eisenbahn- oder Kraftfahrzeugprostitution oder nach dem Beruf, den sie gerne zur Verschleierung ihrer wahren Tätigkeit angeben oder noch wirklich ausüben: Bar- und Tischdamen-, Kellnerinnen-, Serviererinnen- oder Tänzerinnenprostitution. Von der Prostitution, die durch das organisierte Verbrechen betrieben wird (Call-GirlRinge), trennt man die halborganisierte Prostitution, die durch Photomodell-Agenturen, SpezialKosmetiksalons oder Privat-Sexklubs vermittelt wird. Die unorganisierten Prostituierten, die ihre eigenen Manager sind, machen durch Zeitungsanzeigen (Hostessen, Photomodelle) auf sich aufmerksam oder treffen ihre Kunden in Tanzcafes, Nachtklubs und Diskotheken. Neben der Berufsprostitution steht die nichtberufsmäßige Teilzeitprostitution: Teenager, die im Elternhaus leben und regelmäßig die Schule besuchen, prostituieren sich - ohne Wissen ihrer Eltern - an Nachmittagen oder an einzelnen Wochenenden (Dorothy Heid Bracey 1979, 58). Hausfrauen aus der Mittelschicht treffen sich - ohne Wissen ihrer Ehemänner - mit ihren Partnern in Hotelzimmern, um ihrer Langeweile zu entfliehen und sich ein wenig Taschengeld nebenbei zu verdienen. Neben einer unhygienischen Prostitution entwikkeln sich in verstärktem Maße neuerlich hygienischere Formen der Prostitution. Die unhygienische Prostitution ist gekennzeichnet durch ihre Gefahr der Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten, durch ihre Verbindung mit Kriminalität und durch ihre starke soziale Abwertung. Als Beispiel für diese Art kann die Prostitution in Polen dienen, weil man sie dort durch die Behörden drastisch zu unterdrükken versucht und dadurch in die Illegalität treibt. Nach dem 2. Weltkrieg ist die Prostitution in Polen ständig angestiegen. Die Zahl der Prostituierten wurde vor etwa zehn Jahren auf mehr als 10000 geschätzt (Leszek Lernell 1973, 304-311). Sie ist besonders in Warschau und in den polnischen Hafenstädten weit verbreitet. Man unterscheidet verschiedene Arten der Prostitution in Polen: Die Straßenprostituierten verkehren mit ihren Partnern in Trümmern, in Parks, an Stränden und abgelegenen Stellen (z. B. in Kellern, in Hauseingängen, im Treppenhaus, auf dem Boden). Die Restaurantprostituierten begeben sich mit ihren Partnern am häufigsten in die Wohnungen ihrer Kuppler und Zuhälter, in die Wohnungen ihrer Partner, in ihre eigenen Wohnungen oder in gemietete Taxis. Das Restaurant ist lediglich ein Anbahnungsort. Die Gesellschaftsprostituierten verfügen über eine eigene, gut eingerichtete Wohnung. Sie unterhalten Beziehungen mit einer kleinen Zahl von Personen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen und die sie ihren Bekannten weiterempfehlen. Die Zeit des Zusammentreffens wird am häufigsten telefonisch vereinbart. Die Hotelprostituierten steigen in Großstadt-

hotels ab. Mit ihren Kunden knüpfen sie telefonisch Bekanntschaften an, und sie laden ihren Partner in ihr Zimmer ein oder schlagen vor, in sein Hotelzimmer zu kommen. Nicht selten nehmen sie die gutbezahlten Dienste der Hotelportiers in Anspruch, die ihnen die Partner auch von außerhalb des Hotels zuführen (Leszek Lernell 1973, 304-311). 82 Prostituierte im Alter von weniger als 25 Jahren hat Magdalena Jasinska (1964) in Warschau interviewt. Sie hat ein Jahr und zwei Jahre nach den Erstinterviews Nachuntersuchungen vorgenommen. 51 % der von ihr untersuchten Prostituierten kamen aus der Arbeiterschicht, 18 % vom Land und 5 % aus der Intelligenzschicht. Bei drei Vierteln der Elternhäuser mangelte es an elterlicher Leitung und Kontrolle, 51 % hatten keinen Elementarschulabschluß, 86% ihre Ausbildung unterbrochen. Drei Viertel aller Prostituierten liefen von Zuhause weg. Sie fühlten sich im Elternhaus wegen des ständigen Streits und wegen des zerrütteten Ehelebens der Eltern nicht wohl. Die Prostituierten, die gelegentlich auch beim Geschlechtsverkehr mit ihren Kunden sexuelle Befriedigung empfanden, begingen zu 84% Straftaten: Beischlafdiebstähle, Erpressungen und Raubüberfälle zusammen mit ihren Zuhältern und Kupplern. Die Freunde und Ehemänner der Prostituierten organisierten die Rechtsbrüche. Die Kunden wurden in einen Hinterhalt gelockt und überfallen. Da sie jeden Skandal vermeiden wollten, zeigten sie die Prostituierten und ihre Zuhälter nicht an. Auch vandalistische Handlungen wurden den Kunden gegenüber begangen. Der Diebstahl wurde für die meisten Prostituierten zum wesentlichen Element ihrer „beruflichen" Karriere (Magdalena Jasmska 1964, 363-376). Neben dieser Art der Prostitution, die man auch noch in westeuropäischen und nordamerikanischen Industrieländern findet und die in den Entwicklungsländern weit verbreitet ist, entwickelt sich in Nordamerika und Westeuropa eine hygienischere Prostitution, die man als Wirtschafts- oder Teilzeitprostitution oder als hochprofessionalisierte Prostitution von „Sexualtechnikerinnen" bezeichnen kann. Diese Prostitutionsform ist wenig mit Geschlechtskrankheiten und kaum mit Kriminalität (allenfalls mit Wirtschaftskriminalität) belastet. Da sie sich besser sozial einordnet, nicht gemeinlästig ist und da sie sich wirksamer zu tarnen und zu verschleiern versteht, ist sie auch kaum sozial geächtet. Die beteiligten Frauen und Mädchen fühlen sich weniger ausgebeutet und nicht als Sexualobjekte degradiert. Industrieunternehmen, Herstellerfirmen von Waren, versuchen ihre Hauptabnehmer, Handelsfirmen, dadurch zu für sie günstigen langfristigen Verkaufsverträgen zu veranlassen, daß sie die Manager der Handelsfirmen durch „Prostituierte" unterhalten lassen, die sich nicht als solche zu erkennen geben und die von den Industrieunternehmen bezahlt werden. Sekretärinnen, Fotomodelle, Lehrerinnen, Tänzerinnen, Schauspielerin-

3

Prostitution nen, Hausfrauen übernehmen diese einträgliche Nebenbeschäftigung. Es handelt sich meist um attraktive, gepflegte, charmante junge Damen, die man zum Essen und Tanzen ausführen kann, die sich zu benehmen wissen und die für eine Nacht mit ihrem Partner das Hotelzimmer teilen. Man lädt diese jungen Damen auch zu einem Herrenausflug übers Wochenende auf eine Yacht ein. Diese „Teilzeitprostituierten" werden hoch bezahlt und üben ihre Tätigkeit in einer angenehmen, entspannten und gepflegten Atmosphäre aus. Wirtschaftsmanager äußern die Meinung, daß es keine engere persönliche Beziehung zwischen Männern gibt, als mit denselben Frauen geschlafen zu haben. Da die Manager meist verheiratet sind und den Skandal der Offenlegung ihrer „Abenteuer" fürchten, besitzen sie ein Druckmittel für gegenseitiges Wohlverhalten im wirtschaftlichen Bereich. Handelt es sich bei der skizzierten Prostitutionsform um „käufliche Sexualität" für gehobene Bevölkerungsschichten, so sind die sexuellen Dienste in vielen modernen Massagesalons in Nordamerika und Westeuropa für den kleinen Mann gedacht. Es herrscht eine öffentliche Verwirrung, ob in Massagesalons sexuelle Dienste geleistet werden oder nicht. Nach außen hin lassen die Massagesalons behaupten, daß sie keine sexuellen Sonderleistungen erbringen. Das trifft auch oft zu. Wenn ein Kunde den Massagesalon betritt, den die Masseuse aus irgendeinem Grunde nicht leiden kann, leugnet sie ihm gegenüber jede Möglichkeit sexueller Sonderleistungen ab. Auf diese Weise erhält sie sich ihre Selbstachtung: „Ich bin keine gewöhnliche Prostituierte. Ich bediene nur Kunden, die ich gern leiden mag" (Paul K. Rasmussen, Lauren L. Kuhn 1978, 813). Sexuelle Sonderleistungen werden von einzelnen Masseusen mit einzelnen Kunden im Massageraum vereinbart, in dem sie mit Kunden allein sind. Das gibt zahlreichen Masseusen Gelegenheit, ihre Sexualität unter Anwendung hochentwickelter Sexualtechniken, diskret und unter hygienischer Kontrolle zu „vermarkten". Die Masseusen, Damen aus der Mittelschicht im Alter zwischen 18 und 30 Jahren, mit angenehmem Äußeren und liberalen Sexualauffassungen, besitzen im Massagesalon bequeme Arbeitsbedingungen bei guter Bezahlung. Daß nicht alle Massagesalons sexuelle Sonderleistungen erbringen und daß solche Sonderleistungen ins Ermessen der einzelnen Masseuse gestellt werden, ermöglicht es vielen Masseusen, sich nicht als sozialabweichend zu definieren und sich auch nicht als sozialabweichend abstempeln zu lassen. Die volle Tätigkeit vieler Massagesalons und vieler Masseusen bleibt im Zwielicht, im Halbdunkel. Nebeneinnahmen werden in vielen Massagesalons für folgende sexuelle Sonderleistungen von einzelnen Masseusen erzielt: manuelle sexuelle Erregung, oral-genitale Sexualkontakte und Geschlechtsverkehr. Zahlreiche Masseusen begrenzen ihre sexuellen Sonderleistungen im Umfang, in der

Art und im Personenkreis, den sie bedienen. Sie bemühen sich darum, sich bei der Erbringung sexueller Sonderleistungen gefühlsmäßig nicht zu beteiligen. Ihren Freunden und Ehemännern gegenüber können sie auf diese Weise einige Tätigkeiten einräumen, ohne ihnen alles sagen zu müssen. Denn die Masseuse ist in einem aufreizenden Milieu mannigfaltigen Versuchungen und Druckphänomenen der Konkurrenz ausgesetzt, denen sie mitunter nur schwer zu widerstehen vermag. In einem solchen Milieu, in dem eine Aufsplitterung und Verteilung der Sexualität und eine Zuteilung und Nichtzuteilung je nach persönlicher Sympathie möglich ist, lernt man schnell, Sexualtechniken mit professioneller Meisterschaft anzuwenden und sich an die Besonderheiten und Einstellungen der Kunden zu gewöhnen. Hochbezahlte Spezialprostituierte sind auch in Bordells tätig. Als „Stiefelfrauen" „behandeln" sie zusammen mit einigen „Dienerinnen" in kleinen Folterkammern ihre Kunden mit sado-masochistischen Praktiken. Es handelt sich meist um Stammkunden, die pro „Behandlung" 1500,- DM zahlen müssen (Jürgen Kahmann, Hubert Lanzerath 1981, 80/81).

4. Die Prostitution als soziales System Alle Prostituierten tun zwar im wesentlichen dasselbe. In der modernen hochzivilisierten Gesellschaft teilt sich die Prostitution jedoch in eine Fülle von Erscheinungsformen auf, um durch einen Ausfilterungsprozeß den verschiedensten Bedürfnissen und Interessen Rechnung tragen zu können. Durch ein System der Aussonderung, der Verteilung im Raum und des gegenseitigen Abstandhaltens wird die Variationsbreite der Begegnungsmöglichkeiten mit verschiedenen Typen von Prostituierten begrenzt und die Anonymität der Begegnung vermindert. In der Hierarchie der Prostitutionsformen wird die Straßen- und Autoprostitution ganz unten eingestuft. Die Prostitution in Massagesalons oder die Anzeigenprostitution (z. B. durch Photomodellagenturen) nimmt eine mittlere Position ein. Die Elite der weiblichen heterosexuellen Prostitution bilden die „Call-Girls". Zwar kann auch ein „CallGirl" in ihrer devianten Karriere einmal auf der Straße angefangen und sich dann „hochgearbeitet" haben. Gleichwohl vermeiden die verschiedenen Typen von Prostituierten einen zu engen Kontakt. Die Vertreterinnen der höheren Formen schauen jeweils verächtlich auf die niedrigeren Formen herab. Straßen- und Autoprostituierte sind deshalb so minder geachtet, weil sie nahezu jeden Kunden akzeptieren und weil sie große Zahlen von Kunden zu niedrigem Preis schnell und unpersönlich abfertigen. Die allerniedrigste Form der Prostitution ist die Bordellprostitution gealterter Prostituierter, die sich in einem Bordellhinterhof mit alten, häßlichen,

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Prostitution

behinderten und betrunkenen Männern abgeben müssen. Das „Call-Giri" akzeptiert demgegenüber nur eine kleine Zahl ausgewählter Kunden, die hohe Preise zahlen können. Sie wird nicht nur wie die Straßenprostituierte im voraus in Geld bezahlt, was das Geschäftsmäßige der Begegnung verdeutlichen und gleichzeitig verhindern soll, daß der Kunde ohne Bezahlung verschwindet. Das „Call-Girl" erhält wertvolle Kleider, Juwelen oder die Miete Cor ihr Lnxusappartement als Gegenleistungen. In der öffentlichen Meinung wird die Straßen und Autoprostitution als ein wahlloses, chaotisches und völlig ungeordnetes Phänomen beurteilt. Daß eine solche Sichtweise nicht der Wirklichkeit entspricht, hat Bernard Cohen (1980) herausgearbeitet, der in New York City durch unmittelbare Fcklbeobachtung und informelle Interviews zwei Jahre lang die Straßen- und Autoprostitution untersucht hat. Collen hat für seine Beobachtungen ein Kraftfahrzeug benutzt, und er hat alle seine Erfahrungen sofort auf einen Kassettenrecorder diktiert. Er stellte fest, daß die Straßen- und Autoprostitution eine wohlgeordnete Subkultur bildet. Jede Prostituierte hat ihren festen „Standplatz" am Gehweg, von dem aus sie die langsam vorbeifahrenden Autofahrer auf sich aufmerksam zu machen versucht. Diesen festen Standplatz, mit dem sie sich so sehr identifiziert, daß sie an ihm „Ouasi Kigentümer Rechte*" geltend macht, besitzt sie aus folgenden Gründen: Sie kennt das Gebiet um ihren Standplatz herum so gut, daß sie sich notfalls leicht und schnell verstecken oder auch bei Gefahr flüchten kann. Ihre Stammkunden wissen, wo sie zn finden ist. Ihr Zuhälter kann sie gut überwachen. Due Mitbewerberinnen halten so weit Abstand, daß sie mit ihnen konkurrieren kann. Innerhalb des Prostitutionsbeziiks sind die Straßen und Autoprostituierten nach ihrem Alter, ihrer Attraktivität und nach den sexuellen Diensten, die sie anbieten, in einer bestimmten Ordnung verteilt. Schon etwas ältere und weniger attraktive Prostituierte würden sich unter jungen, hübschen Mädchen nicht halten können. Deshalb sucht sich jede ihren Platz oder bekommt ihn von ihren Mitbewerberin nen oder den Zuhältern angewiesen. Insofern reguliert und kontrolliert sich die deviante Subkultur selbst. Autoprostituierte benutzen auch immer wieder denselben „Stellplatz", zu dem sie ihre Kunden leiten, um dort die vereinbarten sexuellen Handlungen mit ihnen auszuführen. Auf diese Weise kann ihr Zuhälter sie vor Angriffen ihrer Kunden am besten schützen und sie gleichzeitig wirksam kontroDieien. Der Zuhälter genießt im kriminellen Milieu kein großes Ansehen, weil er keine besonderen Fähigkeiten - wie z. B. der Berufseinbrecher - besitzt. Er ist bewußt modisch gekleidet, schmückt sich mit Juwelen, besitzt ein großes, modernes Auto und läßt auf jede Weise erkennen, daß es ihm nicht an Geld mangelt. Sein Prestige steht in Wechselwirkung zum Ansehen, das seine Prostituierten in der devianten Subkultur genießen. Die Prostitu-

ierte braucht ihren Zuhälter, weil er ihren _Beruf" versteht und sie emotional stützt, weil er sie schützt, ihr die Regeln der devianten Subkultur beibringt und sie überredet, diese Regeln einzuhalten. Er kennt sich im kriminellen Milieu gut aus und wird von Kriminellen als Auskunftspeison und mitunter auch als Geldquelle benutzt. Die Prostituierten können ihren devianten Lebensstil nur einige Monate bis etwa sechs oder sieben Jahre lang durchhalten. Die meisten Prostituierten geben nach zwei bis drei Jahren auf. Die wenigen, die ihr Geld zusammenzuhalten vermochten, kaufen sich eine eigene Boutique oder einen Friseursalon. Die meisten heiraten. Auf viele wartet kein vielversprechendes Leben, da sie keine abgeschlossene Berufsausbildung haben und sich mit schlechtbezahlten Berufen (z. B. Toilettenfrau) begnügen müssen. Die Straßen- und Autoprostituierten. die durch die Art ihrer Kleidung und durch körperliche Ausdrucksbewegungen (z. B. Art ihres Ganges) auf sich aufmerksam machen, sprechen eine eigene Sprache, in der sie sich sehr offen und drastisch über sexuelle Vorgänge äußern. Sie „arbeiten" in bestimmten Großstadtbezirken zusammen, um sich gegenseitig zu schützen und zu kontrollieren. Prostituierte, die im devianten Milieu längere Zeit überleben können, besitzen folgende Merkmale: Sie sind nicht gewalttätig. Sie stehlen nicht. Sie kommen mit ihren Mitbewerberinnen aus. Sie befolgen die Regeln der devianten Subkultur. Sie verhalten sich rücksichtsvoll und ehrerbietig gegenüber der Polizei. Sie besitzen ein angenehmes, ruhiges, eher kühles Naturell. Sie sind nicht rauschgiftsüchtig, und sie vermögen ihre Kunden zu kontrollieren. Gewalttätige, unehrliche, arrogante, aufgeblasene und rauschgiftsüchtige Prostituierte neigen dazu, mit anderen Prostituierten, mit Kunden oder mit der Polizei zusammenzustoßen. Prostituierte, die ihre Kunden betrügen, bestehlen oder berauben, and auf die Dauer nicht in der Lage, genug zu verdienen, um als Prostituierte davon leben zu können. Sie werden körperlich verletzt oder mitunter auch getötet, weil sie sich in einem gefährlichen Milieu leichtsinnig verhalten. Straßen- und Autoprostitution entwickelt sich in Großstadtbezirken. die sich für dieses illegale „Geschäft" eignen und die genug Möglichkeiten zur Flucht bieten. Diese Großstadtgcbiete. die meist von armen Minderheiten bewohnt werden, die der Prostitution tolerant gegenüberstehen, sind gekennzeichnet durch Parks, Alleen, schäbige Hotels, billige Absteigen, leere Bauplätze, verlassene Gebäude, Nachtbars, schlechtbeleuchtete Parkplätze und Schnellimbißstuben. die noch spät abends geöffnet haben. 5. Die Prostituierte ah Opfer Die Hälfte aller von Magdalena Jasiiiska (1964) befragten polnischen Prostituierten war bei ihrem

Prostitution eisten Geschlechtsverkehr vergewaltigt worden. Nach einer japanischen Untersuchung (Jasuka Fujita, Jnzabmo Hashimoto, Noriko Sato 1974) waren es sogar 67 % der jugendlichen Piustilinerten, Viele der von Dorothy Heid Bracev (1979) untersuchten New Yorker jugendlichen Prostituierten, die im Alter bis zu 18 Jahren standen, waren als Kinder von ihren Eltern körperlich mißhandelt oder sexuell mißbraucht worden. Die psychische Eehherarbei tung einer Vergewaltigung oder einer dauernden körperlichen Mißhandlung tan« dazu fuhren, daß ein junges Mädchen o n e prostitutive Karriere beginnt. Prostituierte sind opfergeneigte Personen, weil sie sich in viktimogene Situationen begeben, aus denen heraus häufig ein Prozeß des kriminellen Opferwerdens in Gang kommt. Der normale Bürger meidet in der Nacht dunkle, abseitige Großstadtgebiete und den Kontakt mit Fremden in diesen Bezirken zu dieser Zeit. Prostituierte sind nicht nur bösartigen Angriffen von Mitbewerberinnen und Straßenpassanten ausgesetzt, sondern sie nehmen auch in abgelegenen Großstadtgebieten Fremde während des Abends und der Nacht mit nach Hause, um Geschlechtsverkehr gegen Bezahlung mit ihnen zu haben. Zwischen 1962 und 1972 sind in München zwanzig Prostituierte eines gewaltsamen Todes gestorben (Richard Symanski 1981,52). Prostituierte werden häufig von ihren Kunden angegriffen. Sie stehen nachts oftmals allein auf den Straßen in Großstadtbezirken, die hoch mit Kriminalität belastet sind. Sie tragen manchmal hohe Geldsummen mit sich herum. Das wissen jugendliche Räuber und Rauschgiftsüchtige, die ihnen die Handtaschen zu entreißen versuchen.

6. Ursachen der Prostitution Gibt es viele Speiarten der Prostitution in den modernen Industriegesellschaften, so ist die Prostitution - nach ihrer jeweiligen Erscheinungsform auch auf unterschiedliche Gründe zurückzuführen. So mag es durchaus vorkommen, daß die höheren Formen der Prostitution (z. B. Tätigkeit als „CallGirl") aus mehr oder weniger rationaler Motivation gewählt werden (Harry Benjamin, R. E. L. Masters 1964, 91). Im übrigen gibt es im wesentlichen fünf Erklärungsversuche zur Verursachung der Prostitution: die Anlagetheorie und ihre Weiterentwicklung, die soaookonomischc Theorie, der psychoanalytische und der lerntheoretische Erklärungsversuch, schließlich die «jzialpsychologische Theorie der „Prostituiertenkarriere". die Elemente des psychoanalytischen und des lerntheoretischen Erklärungsversuchs verarbeitet. Lombroso und Ferren) haben (1894) die anlagetheoretische Interpretation begründet: Es gibt eine „geborene Dirne", bei der typische Degenerationsmerkmale anatomischer und psychischer Art nachgewiesen weiden können. Erich Wulffen spricht

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(1931) davon, daß _jm Weibe physisch und psychisch die Dirnennatur schlummert Er fahrt dann fort: „Die Prostitution ist unausrottbar, weil sie mit der psychophvsischen Anlage des Weibes zusammenhängt." Kurt Schneider hat (1926) diesen Ansatz weitergeführt. Er untersuchte in den Jahren 1913 und 1914 in Köln 70 eingeschriebene Prostituierte, die unter (icsundhcitskontroile standen, und veröffentlichte deren Lebensläufe. Er teilte sie nach den Kriterien „ruhig-phlegmatisch - und „unruhig sanguinisch" ein. Zu den Ruhigen zählte er über zwei Drittel, zu den Unruhigen etwa ein Drittel seiner Fälle. Er nahm eine „Abwägung zwischen Schicksals- und Anlagefaktoren" vor. Es war für ihn indessen nur denkbar, daß eine Frau zur gewerbsmäßigen Dirne wird, „wenn die ganze Persönlichkeit dieser Lösung in übermächtiger Weise ent gegenkommt"- In den Jahren 1924 und 1923 nahm er eine Nachuntersuchung an 62 noch erreichbaren Probandinnen vor, von denen noch 19 unter Gesundhcitskontrollc standen. Von den 43 Kontroll entlassenen waren 32 verheiratet und lebten mit ihren Ehemännern zusammen. Alle eingeschriebenen Prostituierten beklagten sich Utter über ihre polizeiliche Abstempelung. Unter den 62 wieder ermittelten Prostituierten fand Kurt Schneider 14 Frauen, die ihm charakterologjsch nicht auffielen. 21 Schwachsinnige, 15 Flauen mit „psychopathischen" Zügen und 12 Schwachsinnige mit „psychopathischen' 4 Merkmalen. Er kommt zu dem Schluß: „Es handelt sich bei den meisten Mädchen wohl nicht um ausgesprochen psychopathische Person üchkeiten, sondern um Menschen mit abnormen Charakteizügen." Ebenfalls 70 Prostituierte haben Siegfried Borelli und Willy Starck (1957) in München mit den Methoden der Exploration, der Verhaltensbeobachtung und mit psychodiagnostischen Testverfahren untersucht. Sie stellten Infantilität, eine psychische Unreife, eine -sittlich defekte Anlage" und Lebensuntüchtigkeit bei ihren Probandinnen fest, die unfähig waren, dauerhafte soziale Bindungen einzugehen. Anlagemäßig vorgegebene Minderwertigkeiten und negative Kindhcitscinflüsse wirkten in die gleiche Richtung, indem sie die Bildung des psychischen Gleichgewichtes und damit die Ausreifung der Persönlichkeit verhinderten. Nach Borelli und Starck ist die Prostitution kein Problem einer übersteigerten Sexualität der Prostituierten. Sie stellten vielmehr Beeinträchtigungen des Selbstgefühls, Empfindungen der Angst und gestölte Familienverhältnisse fest. Die von ihnen ermittelten psychischen Mängel halten sie für „anla gemäßig mhbedmgt". Sie konnten aufgrund ihrer Untersuchungen bestätigen, „daß ein nicht unerheblicher Teil der Prostituierten an angeborenen psychischen Mängeln l e i d e t . . . " (1957, 250). Die Vertreter der sozioökonomischcn Veiuisachungsthcoric gehen davon aus, daß die Mehrzahl der Prostituierten aus den unteren sozialen Schichten kommt. Die Lebensbedingungen dieser Bevöl-

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kerungsschichten sind zu schlecht. Die jungen Mädchen aus diesen Schichten verdienen als Arbeiterinnen, Hausgehilfinnen, Kellnerinnen, als Chor-, Ballett- oder Kabarettgirls so wenig, daß sie davon nicht leben können und sich der Prostitution zuwenden müssen (August Bebel 1892; Abraham Flexner 1914). Da ihnen legale Berufe mit gutem Verdienst versperrt sind, verbleiben ihnen nur die Möglichkeiten einer „unproduktiven Altjungfernschaft" oder eines geminderten sozialen Status als Prostituierte (Kingsley Davis 1966). Den psychoanalytischen Brklärungsansatz vertreten z.B. Edward Glover (1960, 1969) und Harold Greenwald, der „Call-Girls" in New York City psychotherapeutisch behandelt hat: Die Prostituierten müssen in ihrer Kindheit Ablehnung ertragen, so daß sich die Mädchen unerwünscht und ungeliebt vorkommen und jeder Liebe unwürdig fühlen. Aufgrund fehlender emotionaler Zuwendung ist eine Identifikation mit den Eltern unmöglich, so daß die Mädchen jeden psychischen Halt verlieren. Welche gestörten Eltern-Kind-Beziehungen im einzelnen zur Prostitution führen, ist unter den Psychoanalytikern umstritten. Die einen halten einen „Elektra-Komplex" für entscheidend, der unbewußt darauf abzielen soll, von der Mutter als gehaßter Rivalin befreit zu werden und den Vater zu besitzen. Die Prostitution stellt sich dann im Regelfall der Enttäuschung als ein gegen den Vater gerichteter feindseliger Akt dar. Die anderen sehen die erste und wichtigste Ursache für die Prostitution darin, daß die Mutter ihre Tochter von den Kinderjahren an emotional bewußt oder unbewußt ablehnte. Wenn die Mädchen die Beziehung zur Mutter als unzulänglich erlebt hatten, wandten sie sich dem Vater oder einem Vaterersatz in der Hoffnung zu, von ihm das zu erhalten, was ihnen die Mutter verweigert hatte. Indem sie sich zur Prostituierten erniedrigt, will die erwachsene Frau ihre Mutter dafür bestrafen, daß sie ihr als Kind Liebe und Wärme vorenthalten hat. Das Geld wird der Prostituierten zum Symbol für diese nicht empfangene Wärme und Liebe. Doch erweist sich das Geld als unbefriedigender Ersatz. Es ekelt sie an. Deshalb gibt die Prostituierte es ihrem Zuhälter, um ihn als Mann noch stärker zu erniedrigen, als sie selbst sich herabsetzt, oder sie wirft ihr Geld einfach „zum Fenster hinaus". In Los Angeles hat James H. Bryan (1969 a) 33 „Call-Girls" im Alter zwischen 18 und 32 Jahren untersucht. Er stellte fest, daß die Call-Girl-Anwärterinnen eine Lehre durchmachen. Die „Call-Girls" erhalten von ihren Kunden Telefonanrufe und treffen mit ihnen in ihrer eigenen Wohnung oder in der Wohnung des Kunden zusammen. Alle Call-GirlAnwärterinnen hatten vor dem Beginn ihrer Karriere Kontakte mit anderen Call-Girls oder Zuhältern. Alle Anfängerinnen werden von erfahrenen Call-Girls - mitunter unter Aufsicht eines Zuhälters - angelernt. Die Lehrzeit dauert zwischen zwei und

acht Monaten und wird in der Wohnung der „Lehrmeisterin" durchgeführt, die 40 % bis 50 % des von ihrem Lehrling „erarbeiteten" Lohnes erhält. Die Anfängerinnen werden in zwei wesentliche Dimensionen des Call-Girl-Daseins eingeführt: in die Wertstrukturen der Call-Girls und ihrer Zuhälter und in ihre Verhaltensstrukturen gegenüber Kunden, anderen Call-Girls und gegenüber Zuhältern. Die Anfängerin muß sich eine Klientel mit Hilfe ihrer „Lehrmeisterin" aufbauen. Sie muß lernen, wie sie sich in „Problemsituationen" zu verhalten hat, wann und wie sie ihr „Honorar" am besten erhält, wie sie sich mit dem Kunden unterhält und wie sie möglichst viele Kunden anlockt, um sie dann so schnell und so bequem wie irgend möglich wieder loszuwerden, wenn sie ihr Geld erhalten hat. Die Anwärterinnen müssen in zwei Grundnormvorstellungen der Call-Girls eingeführt werden: Man muß mit möglichst geringem Aufwand ein Höchstmaß an Gewinn erzielen, selbst wenn man Rechtsnormen oder moralische Wertmaßstäbe verletzt. Prostitution ist ein genauso „ehrliches", zumindest kein „unehrlicheres" Verhalten als das tagtägliche Benehmen der „Spießbürger" und ihrer Frauen. Um die „Ausbeuter auszubeuten", ist jedes Mittel recht. Die Anfängerin lernt die Solidarität der Innengruppe der Prostituierten und ihrer Zuhälter. Sie wird der Außengruppe der „Spießbürger" immer mehr verfremdet. Sexualtechniken, physische und sexuelle Hygiene sind demgegenüber untergeordnete „Lehrgegenstände". In sexuelle Perversionen wird sie so gut wie überhaupt nicht eingeführt. Es wird ihr allerdings geraten, jeden Orgasmus beim Geschlechtsverkehr mit Kunden zu vermeiden. Die Anlagetheorie überzeugt nicht, weil man die Anlagebedingtheit devianten Verhaltens nicht nachweisen kann. Jede Anlage ist notwendigerweise durch Sozialisationseinflüsse wesentlich modifiziert. Der erweiterte Anlage-Umwelt-Ansatz befriedigt ebenfalls nicht, weil der Begriff der „Umwelt" außerordentlich unbestimmt und undifferenziert ist. Die sozioökonomische Verursachungstheorie vermag nicht zu erklären, warum Mädchen aus allen Bevölkerungsschichten Prostituierte werden und warum sich nicht alle Mädchen aus den unteren Schichten der Prostitution anschließen. Jürgen Kahmann und Hubert Lanzerath haben (1981) bei ihrer Untersuchung Hamburger Prostituierter herausgefunden, daß sie aus allen sozialen Schichten stammten. Im übrigen haben sich die ökonomischen Lebensbedingungen der unteren Schichten und die Löhne der Arbeiterinnen so sehr verbessert, daß der sozioökonomische Erklärungsansatz heute veraltet ist. Der psychoanalytische Erklärungsversuch ist empirisch schwer nachweisbar. Immerhin ist richtig, daß die meisten Prostituierten ernsthafte Schwierigkeiten im Sozialisationsprozeß der Familie hatten. Der lerntheoretische Ansatz wird den heutigen Erscheinungsformen der Prosti-

Prostitution tution weitgehend gerecht. Er erklärt indessen nur den zweiten Teil des Sozialprozesses der Prostitutionsverursachung. Bevor die Anfängerin den Lernprozeß durchlaufen kann, muß sie erst einmal für die Prostitution anfällig sein. Diese Anfälligkeit entsteht aufgrund gesamtgesellschaftlicher Einflüsse (einseitige materielle Orientierung bei relativ niedrigem Lohn gefährdeter Berufsgruppen, z. B. Kellnerinnen, Fotomodelle, Friseusen: Gefühl einer niedrigen Lebensqualität) und eines defekten Sozialisationsprozesses, den sie durchlaufen hat (Ablehnung, Vernachlässigung durch die Eltern, die Schule), leicht, zumal die Toleranz der Gesellschaft der Prostitution gegenüber immer größer wird. Die sozialpsychologische Theorie der „Prostituiertenkarriere", die Elemente des psychoanalytischen und des lerntheoretischen Erklärungsansatzes enthält, stellt einen „Interpretationskompromiß" dar, der sich auf neuere empirische Daten stützen kann (Diana Gray 1978; Norman B. Jackman, Richard O'Toole, Gilbert Geis 1967, Nanette J.Davis 1971; Barbara Sherman Heyl 1979, James H. Bryan 1969 b) und dessen Stärke darin besteht, daß er die Dynamik und die Prozeßhaftigkeit der Verursachung deutlich macht. Es handelt sich um einen Prozeß, in dem alte Lebensstile, persönliche Identitäten, Rollen, Einstellungen verlernt und neue gelernt werden. Dieser Prozeß kennt Wendepunkte, die erlebt und durchschritten werden müssen. In diesem Prozeß spielen Fremd- und Eigeninterpretationen und -definitionen eine wesentliche Rolle. Das Mädchen lernt, den Austausch „Sexualität gegen Geld" als Beruf anzusehen und wie eine Prostituierte zu denken und zu handeln. Nach der Theorie der „Prostituiertenkarriere" kann man fünf Phasen der Prostitutionsverursachung unterscheiden: - In der ersten Phase ist eine soziale Verfremdung und Isolation des Mädchens in seinem sozialen Nahraum beobachtet worden. Durch schlechte Beziehungen zu Vater und Mutter vermochte sich seine Beziehungsfähigkeit nicht auszubilden. Eine längere beständige Partnerbeziehung zu einem Freund konnte nicht aufgebaut werden. Das Mädchen fühlte sich einsam und verlassen in einer für es fremden, feindlichen oder gleichgültigen Welt. Seine Bedürfnisse nach Sicherheit, Zärtlichkeit, Schutz, Verständnis und Vertrauen wurden von seinen Eltern und Lehrern nicht befriedigt (Paul Le Moal 1965). Besonders dem Vater gegenüber entwickelte es eine äußerst feindselige Haltung. Weil es nicht genügend emotionale Zuwendung von Seiten seiner Mutter erhielt, konnte es sich mit ihr nicht identifizieren und keine Zielvorstellung als Ehefrau und Mutter für seine eigene Zukunft aufbauen. Sein Familienversagen setzte sich in Schule und Berufsausbildung fort, die es als langweilig und unbefriedigend erlebte. Es lief aus der Schule weg und wechselte häufig die Lehrstellen. Hinzu kamen

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frühere Versuche der Eltern, ihre eigenen unbewußten persönlichen Schwierigkeiten auf ihre Tochter zu übertragen: „Meine Mutter hat mir schon immer prophezeit, daß ich 'mal auf dem Strich lande." „Mein Vater hat gesagt: Aus dir kann nur eine Hure werden." Solche und ähnliche negative Benennungen der beeinflußbaren Mädchen durch Eltern, Lehrer und Nachbarn wirkten stark auf die Selbstdefinition der Mädchen (Nanette J. Davis 1971). Familienentfremdung und -isolation machten für Prostitution empfänglich und anfällig. - In der zweiten Phase sucht das Mädchen nach persönlichen Erfolgserlebnissen. Es befindet sich in instabilen Lebensbedingungen und in einer schlechten finanziellen Situation. Es ist mit sich und seiner Lage unzufrieden. Es möchte mehr Geld für sich zur Verfügung haben. Es möchte mit mehr Menschen zusammentreffen. Denn es empfindet sein Leben als langweilig. Es spielt mit dem Gedanken, Prostituierte zu werden. Es möchte gern mehr über Prostitution erfahren. Geringe intellektuelle Fähigkeiten und niedrige Arbeitswilligkeit stehen im Gegensatz zu seinem hohen Anspruchsniveau. Mit möglichst wenig Aufwand an Ausbildung und Arbeitsleistung möchte es möglichst große Erfolge erzielen. Es kommt mit irgendjemand in Kontakt, der mit Prostitution zu tun hat. Es entdeckt die Möglichkeit, „leichtes Geld" zu machen. Es kommt zu der Erkenntnis, keinen anderen Beruf ergreifen zu können, in dem es mit seinen geringen Fähigkeiten und seiner niedrigen Leistungsbereitschaft auch nur annähernd so viel Geld verdienen könnte. Es erkennt, daß es eine zufriedenstellende Sexualpartnerin ist. Ihm kommt zum Bewußtsein, daß es ein für die Prostitution ausreichend angenehmes körperliches Aussehen besitzt. - In der dritten Phase definiert das Mädchen oder die junge Frau sich selbst als Prostituierte. Sie entfernt sich in ihrem Denken und Handeln immer mehr von der normalen Welt der „Spießbürger". Nach ihrer ersten Nacht als Prostituierte erhält sie Zuspruch und Ermutigung durch Zuhälter, andere Prostituierte und Bordellwirte. Vor allem das viele verdiente Geld wirkt ermutigend. Sie wird von anderen als Prostituierte etikettiert und akzeptiert das. Sie organisiert ihr ganzes Leben um ihre prostitutive Tätigkeit herum. Sie beginnt, einen prostitutiven Lebensstil zu führen. - In der vierten Phase lernt sie, ihre Sexualität zu handhaben und zu vermarkten, ihre Sexualität zweckhaft und zielvoll einzusetzen. Es kostet sie zunächst Überwindung, aber sie gewöhnt sich schnell daran. In dieser Phase eignet sie sich die Verhaltensweisen und Einstellungen der Prostituierten ihren Mitbewerberinnen, ihren Kunden und ihren Zuhältern gegenüber an. - In der fünften Phase leuchtet ihr ein, ihre Tätigkeit als Prostituierte vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen. Sie nimmt eine „Berufsideologie" an, die mannigfaltigen Zwecken dient. Ihre

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Kunden sind für sie Ausbeuter, weil sie sie auf diese Weise besser ausnutzen kann. Die Prostitution verhindert in ihrer Sicht Vergewaltigungen und Lust morde, weil sie so weniger moralische Konflikte hat. Sie überredet sich selbst: „Ich bedauere es nicht. Prostituierte zu sein, weil ich Menschen damit helfe. Viele Männer, die zu mir kommen, suchen Zuneigung und Freundschaft. Sie wollen mit mir sprechen, weil sie menschliche Probleme haben.*4 Alle Frauen sind für sie Prostituierte, weil sie sich mit dieser Behauptung gegen Brandmarkung und Herabsetzung verteidigen will. Ihre Kolleginnen sind nach ihrer Ideologie ehrlicher und hilfrci eher als andere Frauen, weil sie mit ihnen zusammenleben muß. In Wirklichkeit sind die Beziehungen zwischen Prostituierten konfHkthaft. von Streit, Mißtrauen, Abneigung und mangelnder Solidarität erfüllt. Weil sie diesen Fünfphasenprozeß nicht vollständig durchlaufen haben, leben viele Prostituierte in zwei Welten: im W e r t s t e m der Prostitution und im traditionellen konventionellen Wertsystem. Sie sind stolz auf ihre Kinder. Sie .opfern1" sich für diejenigen, die -hilflos" und von ihnen abhängig sind. Ihre Prostituiertentätigkeit wird vor ihrer Familie und ihren Nachbarn sorgfältig geheim gehalten. Sie entpersonalisieren ihre PiostituiertenroDe. Diese Rolle spielt in ihrer Gedankenweh eine Person, zu der sie nur vage Beziehungen haben. Die sozialpsychologische Theorie der ^Prostituiertenkarriere" wird auch durch eine Studie unterstützt, die sich mit Stripteasetänzerinnen befaßt, die eine enge Beziehung zur Prostitution haben. Mit den Methoden der Beobachtung und des Interviews haben James K. Skipper und Charles H. McCaghy (1970) 75 Stripteasetänzerinnen in 10 Großstädten der USA untersucht. Die Frauen befanden sich im Alter zwischen 19 und 45 Jahren; 60% von ihnen waren 20 bis 30 Jahre ah. Stripteasetänzerinnen sind Mädchen und Frauen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, daß sie sich in sexuell aufreizender Weise vor einem dafür bezahlenden Publikum entkleiden. Skipper und McCaghy stellten bei ihren Probandinnen zeitige physische Reife, frühe sexuelle Erfahrung, sexuelle Anziehungskraft. Abwesenheit des V aters aus dem Elternhaus während der Kindheit und Jugend der Mädchen, Mangel an Zuneigung und elterlichem Verständnis, zeitige Unabhängigkeit und frühes Verlassen des Elternhauses durch die Mädchen fest. Wenn der Vater anwesend war, hatte er einen zerrüttenden Einfluß auf die Familie. Wenigstens 60 "c der Stripperinnen kamen ans unvollständigen und zerstörten Familien, in denen sie wenig Beachtung und Zuneigung gefunden hatten. Von 35 durchschnittlich ein- bis eineinhalb Stunden interviewten jungen Frauen hatte nur eine genügend Talent und Ausbildung, um in einem anderen legalen Beruf mehr Geld zu verdienen. Die Karriere der meisten Stripperinnen verlief folgendermaßen: eine Tendenz zu exhibit*)-

mstischem Verhalten, eine Gelegenheitsstruktur, die Striptease als berufliche Alternative nahelegte, und das plötzliche Gewahrwerden leicht zu erlangender Belohnungen für das Strippen. ADe Probandinnen lebten in Großstädten mit Klubs und Theatern, in denen Striptease üblich war. Sie waren alle ziemlich attraktiv, ein Umstand, der ihnen ihre Einstellung durch Vermittlungsbüros und Arbeitgeber sicherte. In nahezu allen Fällen erfuhren sie ihre Qualifikationen für das Strippen durch Freunde, Arbeitgeber, Vermittler oder Bekannte.

7. Die BordeUwirtm ab Unternehmerin Em Bordell, ein Haus, in dem die Prostituierten ihrer Tätigkeit nachgehen, ist ein illegales Unternehmen, in dran ständig unsichere und unbeständige menschliche Begegnungen stattfinden. Es handelt sich um eine unkontrollierbare. unkooperative Umgebung, in der ein Bordellwirt oder eine Bor dellwirtin unerwartete, unvorhersagbare Problem Situationen meistern muß. Die Lebensgeschichte einer Bordellwirtin, die in ihrer Jugend als Prostituierte tätig gewesen war, hat Barbara Sherman Hey! (1979) erarbeitet, indem sie mit ihrer Probandin drei Jahre lang Interviews führte. Sie interviewte ferner die Eltern, Freunde und den Arzt ihrer Ptobandin sowie Prostituierte aus dem Bordell, das ihre Probandin leitete. Sie zog schließlich Briefe, private Dokumente und Gerichtsakten heran. Da es sich beim Bordell der Probandin um ein Hans handelte, das sich die Unterweisung junger Prostituierter zur Aufgabe gemacht hatte, kennte Sherman Heyl beobachten, wie die Bordellwirtin die jungen Anfängerinnen unterrichtete. Sie erlernten die grundlegenden Techniken und Regeln des „Berufs". Im Rallenspiel wurden sie mit Selbstverteidigung und damit vertraut gemacht, wie man Kunden behandelt Sie wurden in die Wertvorstellungen der devianten Subkultur eingeführt und systematisch der konv entionellen, konformen Gesellschaft verfremdet. Die Bordellwirtm hatte als Leiterin eines illegalen Unternehmens zunächst alle die Schwierigkeiten, die ein legaler Unternehmer auch hat: Finanzierung, Werbung, Nachwuchs. Darüber hinaus mußte sie mit mannigfaltigen Problemsituationen fertig werden, da es sich um ein illegales Unternehmen handelte: Die Prostituierten versuchten, sich ihrer Kontrolle zu entziehen und ihre Autorität herauszufordern. Sie litten unter seelischen Depressionen und unter psychosomatischen Beschwerden. Die Zuhälter versuchten, ihre Anweisungen zu mißachten. Die Polizei versuchte, ihr strafbare Handlungen nachzuw eisen. Die Kunden beschwer ten sich und waren unzufrieden. In allen diesen ProMcmsitiiationen mußte die Bordellwirtin versuchen, ihre Interpretation und Definition der Situation durchzusetzen. Das erforderte ein hohes Maß an psychischer, devianter Energie.

Prostitution 8. Die Prostituierte, ihre Kunden und ihre Zuhälter

Geschlechtskrankheiten wurden in der Vergangenheit häufig durch Prostitution verbreitet. Da sie überhaupt sehener geworden sind und da die hygienischeren Formen der Prostitution - zumindest in den modernen Industriestaaten Westeuropas und Nordamerikas - zunehmen, ist die Prostitution kein so großer Gefahrenherd für die Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten mehr (Richard Symanski 1981, 49). Das gilt allerdings nur bedingt für die heimliche unkontrollierte und die „Babv Proslitution", wie die Prostitution der 14- bis 18jährigen Mädchen genannt wird. Die meisten erfahrenen Prostituierten überprüfen ihre Kunden vor dem Geschlechtsverkehr auf Geschlechtskrankheiten. Sie nehmen dauernd Penizillin oder andere Antibiotika ein. Sie lassen sich regelmäßig ärztlich untersuchen. Alkohol und Drogenmißbrauch kommen zwar unter den Prostituierten vor. Sie sind aber bei weitem nicht so häufig, wie gemeinhin angenommen wird (etwa bei 4% bis 9% der Prostituierten). Sie trinken oft Alkohol und nehmen häufig Drogen aus Ekel und Abscheu vor ihrem Gewerbe. Sie versuchen auf diese Weise, sich den wahllosen Geschlechtsverkehr psychisch zu erleichtern. Andere geben der Prostitution nach, um ihren Alkohol- oder Drogenmißbrauch finanzieren zu können. Die Mehrheit der Prostituierten leidet weder an Nymphomanie, an einem krankhaft gesteigerten Geschlechtstrieb, noch an Frigidität, Gefühlskälte. Die meisten Prostituierten sind auch keine Lesbierinnen, sondern empfinden sexuell außerhalb ihres Gewerbes relativ normal. Die Prostituierte wird selten zur Prostitution gezwungen. Sie ergreift ihren „Beruf" meist aus Eigeninitiative, nachdem sie sich informiert hat. Als Hauptgrund für ihre „Berufswahl"" geben die Prostituierten finanzielle Schwierigkeiten an. Als zweiter Grund wird erstaunlicherweise der Umstand genannt, mit vielen verschiedenen Männern zusammentreffen zu können (Gilbert Geis 1975, 332). Prostituierte haben gegenüber Männern keine allgemeine Abneigung, wie häufig behauptet wird. Einige mögen sie, einige mögen sie nicht, viele sind ihnen egal. Sie fühlen audi in dieser Hinsicht verhältnismäßig normal. Die meisten Prostituierten äußern weder Bedauern noch Reue über ihre „Arbeit". Wird die Prostitution in die Illegalität gedrängt, so steht die Prostituierte vor dem Dilemma, einerseits Kunden werben, andererseits ihre „wahre" Identität verschweigen zu müssen. Dieses Dilemma läßt sie häufig Opfer von Nötigung und Erpressung werden. Denn viele Taxifahrer und Hotelportiers z. B. beuten ihre Kenntnis der „wahren" Identität der Prostituierten aus. Sie werden ihre nichtzahlenden Kunden oder verlangen sogar Geld von ihr. Die Prostituierten sind wegen ihres psychisch belastenden, abstoßenden Gewerbes und wegen ihrer konflikt-

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haften Persönlichkeitsstruktur relativ häufig selbst mordgefährdet. Mitunter entsteht ein politischer Skandal, wenn sich herausstellt, daß Regjcrungsmitglieder oder Wirtschaftsführer Call-Girls aufgesucht haben (z. B. die Affäre der Prostituierten Christine Keeler mit dem britischen Verteidigungsminister John Profumo). Da striche einflußreichen Persönlichkeiten mit Call-Girls oder Party-Girls verkehren, werden Prostituierte mitunter zur politischen oder Wirtschaftsspionage benutzt (z.B. der Fall der Mata Hari, die während des 1. Weltkriegs als Doppel agentin von den Franzosen erschossen wurde). Der Kunde ist für die Prostituierte ein notwendiges Übel. Der Mehrzahl der Prostituierten ist es gleichgültig, ob ein Kunde schön oder häßlich, ob er jung oder ah ist. Wesentlich ist den meisten Prostituierten nur, ob der Kunde bequem, nicht pervers und nicht schwierig, sondern schnell und leicht sexuell zu befriedigen und ob er großzügig ist. Facharbeiter und Seeleute werden wegen der genannten Eigenschaften als Kunden geschätzt. 69 % der männlichen Bevölkerung haben zu irgendeiner Zeit in ihrem Leben einen oder zwei Kontakte mit Prostituierten. Häufigere Erlebnisse mit Prostituierten haben nur 13% Iris 20%. Lediglich 3,5 bis 4 % der Gesamttriebbefriedigung der männlichen Bevölkerung entfällt auf die Prostitution (Alfred C.Kinsey, WardeD B.Pomeroy, Clyde Ε. Martin 1955, 549/550). Viele Kunden wollen sich mit der Prostituierten unterhalten. Die einen verlangen nach mitmenschlicher Nähe, die die Prostituierte in der Regel nicht zu geben vermag. Die anderen suchen Prostituierte der Kuriosität wegen auf. Ein von vielen Kunden bevorzugtes Gesprächsthema ist die Frage: „Wie gerät ein so nettes Mädchen auf die schiefe Bahn?" Viele Prostituierte, die diese ihnen oft gestellte Frage langweilig und lächerlich finden, haben sich eine möglichst rührselige Geschichte ausgedacht, die entweder völlig oder zu einem großen Teil unwahr und erfunden ist, die aber von ihren Kunden gern geglaubt wird. Die Frage, warum die Kunden die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nehmen, ist Irisher in der kriminologischen Forschung nur höchst unzulänglich bearbeitet worden. Diese Frage ist indessen ebenso wichtig wie das weit öfter erörterte Problem, warum ein Mädchen zur Prostituierten wird. Denn ohne ihre Kunden, die ihre Dienste nachfra gen, könnte die Prostituierte nicht leben. Motive wie Neugier, Unruhe, Abenteuerlust, Interesse an Perversionen, Stärkung schwindender Männlichkeit, Wunsch nach Abwechshing, Vergleich mit der Ehefrau und Feindseligkeit ihr gegenüber erscheinen allzu oberflächlich. In Einzelfällen mag der Alkohol oder eine günstige Gelegenheit während einer Reise oder einer Tagung eine Rolle spielen. In seltenen Fällen können folgende Gründe maßgeblich sein: Der Mann will sich sein Vorurteil bestätigen lassen, daß Frauen gefühlskalt sind. Er

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will das Leben der Prostituierten ändern, er will sie „bekehren". Er möchte sich mit seinen sexuellen Erlebnissen großtun. Er ist impotent bei Frauen, die er liebt. Er besitzt sexuelle Fähigkeiten nur bei Frauen, die er als minderwertig ansehen kann. Er entwickelt ein Mitgefühl mit den Prostituierten und identifiziert sich mit ihren Zuhältern. Die Unsitte früherer Zeiten, sich als junger Mann der Mittelschicht durch eine Prostituierte in die Sexualität einführen zu lassen, gehört wohl der Vergangenheit an. Wesentlich häufiger als alle bereits genannten Gründe dürfte das Bestreben sein, die Prostituierte als Ersatz für eine Partnerin zu nehmen, zu der man aus mannigfaltigen Gründen (z. B. körperliche Unansehnlichkeit, fortgeschrittenes Lebensalter) keinen Zugang findet. Eine sexuelle Episode mit einer Prostituierten ist zudem die einfachste und bequemste Form der sexuellen Befriedigung für einen Mann, der keine Gefühle, keine sozialen Beziehungen und nicht viel Geld „investieren" will. Wenn zwei Freunde nacheinander mit derselben Prostituierten verkehren, mag das auch für versteckte Homosexualität sprechen. Alle diese Gründe leuchten die Komplexität der Beziehungen zwischen der Prostituierten und ihren Kunden indessen nicht annähernd aus (Charles Winick, Paul M. Kinsie 1971, 193-209). Unbewußtes Verlangen nach gefühlsmäßiger Wärme und Geborgenheit, die der Mann weder bei seiner Mutter noch bei seiner Ehefrau gefunden hat, und ein unbewußtes Minderwertigkeitsgefühl sind bei der Entscheidung einer großen Zahl von Männern wirksam, eine Prostituierte aufzusuchen. Was der Mann in seiner Beziehung zu seiner Mutter und zu seiner Ehefrau unbewußt vermißt, sucht er vergeblich bei der Prostituierten. Sexualität ist hierbei für das wirklich gesuchte Gefühl des Verstehens und der Mitmenschlichkeit zwischen Mann und Frau nur ein Symbol. Was bei der Fehlbegegnung mit der Prostituierten vergeblich gesucht und nicht gefunden wird, sind gefühlsmäßige Wärme und mitmenschliches Verstehen. Deshalb versuchen viele Call-Girls die Rolle von Sozialarbeiterinnen zu spielen. Sie befriedigen nicht nur die sexuellen Bedürfnisse ihrer Kunden, sondern auch deren Wünsche nach Beruhigung, Vertraulichkeit, Entspannung, Abenteuer und Selbstbestätigung (Richard Symanski 1981, 81/82). Viele Prostituierte, viele Kuppler, viele Praktiker der „Sittenpolizei" behaupten: Der Zuhälter schlägt seine Prostituierten. Er nimmt ihnen ihr ganzes Geld weg. Er verspielt ihr Geld. Er führt junge Mädchen der Prostitution zu. Er macht sie mit List und Gewalt gefügig und hält sie mit Gewalt und Drogen in der Prostitution. Ob diese Behauptungen zutreffen, ist bisher kriminologisch nicht erwiesen. Das enge Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Prostituierter und ihrem Zuhälter beruht auf mehreren Faktoren: Einerseits bedarf die Prostituierte eines wirksamen Schutzes und einer durchgreifenden Hilfe sowohl vor anderen und neu-

en Konkurrentinnen als auch gegenüber zahlungsunwilligen oder gewalttätigen und perversen Kunden. Andererseits spielt das rein persönlichmenschliche Motiv eine entscheidende Rolle. „Die Frau, die sich durch ihr Gewerbe jeden Kontaktes zur Gesellschaft begeben hat und sich vereinsamt fühlt, will einen Menschen haben, der ihr ganz allein g e h ö r t . . . Sie läßt ihm Anzüge machen und will, daß er sich das Beste kauft, damit sie sich mit ihm zeigen kann und damit er besser aussieht als die Freunde all der anderen Mädchen. Der Zuhälter wird also systematisch von seiner Dirne zu dem Drohnendasein erzogen und gerät mindestens in dem gleichen Maße in ein Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Dirne wie es umgekehrt der Fall ist" (Borelli-Starck 1957, S. 38/39). Zuhälter halten sich die Prostituierten in der Bundesrepublik immer weniger. Es gibt heute nicht nur den gewaltsamen, kriminellen Zuhältertyp, sondern auch den weichen, arbeitsscheuen Parasiten, der der Gesellschaft nicht gefährlich, sondern allenfalls lästig ist. Der Zuhälter ist für die Prostituierte ebenso ein Statussymbol wie der Ehemann für seine Ehefrau. Die Prostituierte braucht ihren Zuhälter, um ihre Einsamkeit, ihre soziale Isolation und ihre Anonymität zu überwinden. Die Beziehung zwischen dem Zuhälter und seiner Prostituierten beurteilt man noch am zutreffendsten, wenn man ihre Ähnlichkeit mit der Ehemann-Ehefrau-Beziehung herausarbeitet. Die umgekehrten ökonomischen Rollen bilden freilich im Zuhälter-Prostituierten-Verhältnis die Besonderheit (Travis Hirschi 1969 , 202). Dieses Verhältnis ist konflikthaft und instabil. Ein ständiger Wechsel von Zuhälter zu Zuhälter ist deshalb für viele Prostituierte typisch. Sie halten sich zwar einen Zuhälter, streben aber gleichwohl eine ganz andere Beziehung an: „Sie träumen fast ausnahmslos von einem .älteren, verständnisvollen, zärtlichen und liebevollen' Mann, der sie umhegt und .umsorgt', bei dem sie sich ,geborgen fühlen' können. Sie möchten von diesem Mann nicht als .Hure' behandelt, sondern als Frau akzeptiert werden" (Dorothea Röhr 1972, 136).

9. Prostituierte

und ihre

Kinder

Zahlreiche Prostituierte haben Kinder. Die Hamburger Prostituierten, die Jürgen Kahmann und Hubert Lanzerath (1981) untersucht haben, hatten zur Hälfte (50,6 %) keine Kinder. Etwa ein Drittel (28 %) hatte ein Kind. 13 % hatten zwei, und weniger als 10 % hatten drei und mehr Kinder. Obgleich die Prostituierten als „tier- und kinderlieb" gelten, wirkt sich die Prostitution - wie Lieselotte Pongratz (1964) herausarbeitete - in folgender Weise nachteilig auf die Prostituiertenkinder aus: - Zahlreiche Kinder wurden von ihren Verwandten abgelehnt und in die Familie nicht aufgenommen, weil sie Prostituiertenkinder waren. Die An-

Prostitution nähme der Kinder durch Adoptiv- und Pflegeeltern erwies sich als schwierig, weil man Erbschäden befürchtete. Pongratz fand keinerlei Anhaltspunkte für solche Schäden. - Auf eine Heimeinweisung reagierten die Kinder wegen mangelnder individueller Zuwendung mit ganz erheblichen Verzögerungen und Störungen in ihrer Entwicklung (Hospitalismusschäden). Im Alter von acht Jahren waren bei diesen Kindern häufig schwere neurotische Verhaltensstörungen und schulisches Versagen zu bemerken. - Falls die Kinder bei ihren Müttern blieben, entwickelten sie sich in ihren ersten Lebensjahren zwar ganz zufriedenstellend (günstiger als die Heimkinder). Wegen des häufigen Partnerwechsels ihrer Mutter, wegen dauernder Streitigkeiten der Ehegatten, wegen asozialer Lebensformen, ungünstigen Erziehungs- und Wohnverhältnissen zeigten die Kinder aber in ihrer Jugend erhebliche Anpassungs- und Erziehungsschwierigkeiten. Die Prostituiertenkinder, die in normalen Pflegefamilien großgeworden waren, entwickelten sich demgegenüber befriedigend. Hatten die meisten Prostituierten als Kinder selbst unter einer unruhigen, unsteten und ungeborgenen Kindheit zu leiden, so gelang es ihnen als Mütter nicht, ihren Kindern bessere Entwicklungschancen zu bieten. Die moralische Abwertung der Prostituierten durch die Gesellschaft wirkte sich darüber hinaus nachteilig auf die Entwicklung der Prostituiertenkinder aus.

10. Zuhälterei, Kuppelei und Menschenhandel Mit dem Strafrecht kann man die Prostitution nicht ausrotten. Gleichwohl versucht man es immer wieder. Man unterscheidet hierbei drei Reaktionsarten: - Der Prohibitionismus kriminalisiert die Prostitution; er stellt sie unter strafrechtliches Verbot. - Nach dem Abolitionismus ist zwar die Prostitution unerwünscht und sollte beseitigt werden. Da man das indessen nicht erreichen kann, kriminalisiert man das gesamte Umfeld der Prostitution, um sie mittelbar zu treffen und ihre Ausbreitung zu verhindern. Das Fördern und Ausnutzen der Prostitution wird unter Strafe gestellt. Bordelle und Straßenprostitution sind verboten. - Der Regulationismus beschränkt die Prostitution auf Bordelle und auf Bezirke, in denen die Prostituierten ihrem Gewerbe nachgehen können. Wenn man erkannt hat, daß man das Prostitutionsmilieu nicht durch das Strafrecht beseitigen kann, sollte man wenigstens versuchen, es so kriminalitätsfrei wie möglich zu machen. Kunden werden z. B. Opfer der Prostituierten (Raub, Diebstahl, Betrug). Prostituierte werden z. B. Opfer der Kunden, ihrer Zuhälter oder anderer Personen (Taxifahrer, Hotelportiers); sie werden beraubt, erpreßt,

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geschlagen, vergewaltigt und sogar ermordet. Die Gesellschaft erschwert sich die Strafverfolgung in der devianten Subkultur selbst, indem sie die Prostitution stark moralisch abwertet (informelle Sanktionen!) und ihre Förderung und Ausnutzung mit Strafen belegt. Durch solche Maßnahmen, durch die man das Prostitutionsmilieu verunsichern will, erreicht man im Gegenteil, daß es allen praktischen Strafverfolgungsmaßnahmen Widerstände entgegensetzt. U m Skandale und informelle Sanktionen zu vermeiden, zeigt man kriminelles Verhalten nicht an. Wegen der Strafandrohung für Förderung und Ausnutzung prostitutiven Verhaltens werden Menschen genötigt und erpreßt. Zuhälterei wird regelmäßig erst dann von der Prostituierten angezeigt, wenn es zwischen ihr und ihrem Zuhälter zum Krach gekommen ist. Es wäre deshalb besser, das Prostitutionsmilieu nicht durch „Verdachtstrafen" (Ernst-Walter Hanack 1968) zu stabilisieren, sondern die wirkliche Kriminalität in der Prostitutionssubkultur zu bekämpfen, um auf diese Weise unnötiges kriminelles Opferwerden zu vermeiden. Es gibt keinen einheitlichen kriminologischen Tätertyp des Zuhälters (Reimer Dieckmann 1975; Friedrich-Christian Schroeder 1978). Alle Zuhälter haben Beziehungen zu Prostituierten, die sie als Erwerbsquelle benutzen. Es gibt weibliche Zuhälter und Zuhälter im Nebenberuf. Einige Zuhälter verkuppeln ihre Geliebte aus sexuell-erotischen Motiven. Kaiser Wilhelm II., der keinerlei kriminologische Einsicht in die Probleme der Prostitution und Zuhälterei besaß, nahm 1891 den vielbeachteten Strafprozeß gegen den gewalttätigen Zuhälter Heinze zum Anlaß, scharfe strafrechtliche Maßnahmen gegen diese „verworfene Menschenklasse" zu fordern. Der Zuhälter ist ein Schmarotzer und Parasit. Es mag den Tüchtigen und Fleißigen empören, daß Nichtstuer, Faulenzer und Gammler Lebensweisen führen, die durch Arbeitsscheu, Müßiggang und Eitelkeit gekennzeichnet sind. Irrationale Abscheu vor „lasterhaftem Treiben" und Verachtung des Zuhälters als eines „sozialwiderlichen Menschen" (Louis, Loddel) rechtfertigen indessen noch keine Strafandrohungen. Die Kriminalität des Zuhälters soll konkret bestraft werden. Bloße Verdächtigungen (Zuhälterei als „Brutstätte, Unterschlupf und Nährboden" des Verbrechens, Zuhälter als organisierter oder Berufs-Verbrecher, Brutalität und Gewalt im Zuhältermilieu) haben sich indessen als wenig hilfreich erwiesen. Sie komplizieren das Kontrollproblem in unnötiger Weise. Der Zuhälter wird nach deutschem Strafrecht (§ 181 a StGB) bestraft, weil er angeblich eine Gefährdung für die Prostituierte und insbesondere für ihre Freiheit darstellt und weil er den sozialen Schaden, den die Prostitution anrichtet, nicht noch durch gewerbsmäßige Geschäftemacherei vertiefen soll. Man straft den Zuhälter, weil er die Prostituierte parasitär ausnutzt (ausbeuterische Zuhälterei), sie in ihre prostitutive Rolle hineintreibt und in

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Prostitution

dieser Rolle bäh und überwacht (dirigierende Zuhälterei), weil der Zuhälter der Prostituierten Kunden zuführt (kupplerische Zuhälterei) und weil die Zuhälterei ganz allgemein ein Nährboden für Kriminalität, Gewalt- und Drogenkriminalität, sein soll. Gegenüber der Prostitution wird das Strafrecht mittelbar eingesetzt. Die Ausübung der Prostitution zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten kann straf gesetzlich verboten sein ($184 a StGB). Ferner wird die jugendgefährdende Prostitution (§184b StGB) mit Strafe belegt. Sexuelle Handlungen Minderjähriger dürfen nicht gefördert werden (§ 180 StGB). Die Prostituierten sollen in einem Bordellbetrieb nicht in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten und nicht ausgebeutet werden (§ 180 a StGB). Schließlich soll niemand mit Gewalt, List oder Drohung dazu gebracht weiden, der Prostitution nachzugehen. Es soll niemand wider seinen Willen mit List, Drohung oder Gewah entführt werden, um ihn unter Ausnutzung seiner Hilflosigkeit zu sexuellen Handlungen zu bringen (S181 StGB). Diese Vorschrift über Menschenhandel ist aufgrund übertriebener, dramatisierender Zeitungsberichte in die Strafgesetzbücher gekommen. Zu Beginn dieses Jahrhunderte berichtete man über Zehntausende junger Mädchen, die angeblich verschwanden seien, die man verschleppt habe und die zur Prostitution abgerichtet und gezwungen würden. Diese Zeitungsberichte, die von einem „weißen Sklavenhandel44 sprachen. erwiesen sich nach eingebenden Überprüfungen und U ntersuchungen zum größten Teil als unwahr und phantastisch übertrieben. Die meisten Mädchen waren aus ihrem Elternhaus weggelaufen und freiwillig zur Prostitution gekommen. Nur in einigen gam wenigen Fällen kennte festgestellt werden, daß man mit Gewalt, Drohung oder List nachgeholfen hatte, um das Mädchen der Prostitution zuzuführen (Walter C. Reckless 1933). Die überwiegende Mehrheit junger Damen in Westeuropa und Nordamerika dürfte so selbstbewußt und lebenstüchtig sein, daß Menschenhändler bei ihnen keine Chance haben. Fälle von Menschenhandel sind freilich insofern denkbar, als es sich z. B. um Mädchen aus Asien und dem Fernen Osten handeln kann, die in die Bundesrepublik Deutschland zum Zwecke der Prostitution „verkauft" werden.

11. Problematik der Kontrolle der Prostitution Prostitution ist ein soziales Problem, weil die Gesellschaft durch übertriebene moralische Abwertung und informelle Sanktionier uug sie zu einem solchen Problem macht. Moralische Unternehmer wollen die moralische Auffassung der Mehrheit oder sogar einer Minderheit der Bevölkerung mit dem Strafrecht durchsetzen. Die unmittelbare oder mittelbare Kriminalisierung der Prostituierten und

ihrer Kunden hat sich indessen nicht als wirksam erwiesen. Strafgesetze können und sollen Verhalten nicht verhindern, das zwei übereinstimmende. verantwortliche Erwachsene miteinander ausführen und das weder einzelne noch die Gesellschaft insgesamt schädigt. Angebot und Nachfrage rufen sich gegenseitig hervor: Frauen und Mädchen stellen ihre sexuellen Dienste zur Verfügung. Männer wollen ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigen. Es gibt keinen strafrechtlichen Weg, das zu verhindern. Moralische Unternehmer schaffen vielmehr Sozial Probleme, indem sie die Moral zum Maßstab für Strafgesetze machen. Je mehr die Prostitution durch Polizei und Gerichte in die Illegalität gedrängt wild, desto mehr braucht sie Vermittler und Werber, die sie zusätzlich kommerzialisieren und die die Prostituierten viktimisieren. Prostituierte sind durch strafrechtliche Maßnahmen weder zu resozialisieren noch abzuschrecken. Durch die Kriminalisierung der Prostitution setzt man sie und ihre Kunden vielmehr der Erpressung und der Nötigung aus. Die Verursachung von Raub und Bei schlafdiebstahl wird begünstigt, wenn die Prostitution in die Illegalität gedrängt wird und wenn sie deshalb nicht mehr kontrolliert werden kann. Die illegalen sexuellen Bedürfnisse der männlichen Bevölkerung werden dann vom organisierten Verbrechen ausgenutzt, das auf nationaler und internationaler Ebene mit Prostituierten Handel treibt. So werden Prostituierte aus asiatischen Ländern in die Bundesrepublik Deutschland gebracht, wo sie ausgenutzt werden, da sie hilflos sind und die deutsche Sprache nicht beherrschen. Durch die Kriminalisierung nehmen die Geschlechtskrankheiten zu, da sich die Prostituierten - aus Angst vor straf rechtlicher Verfolgung - ihrer regelmäßigen ärztlichen Kontrolle entziehen. Die strafrechtliche Verfolgung der Prostitution verursacht hohe Kosten und hat einen zweifelhaften Wert. Die Kriminalpolizei, die moralische Delikte verfolgt, muß notwen digerweise schwere Rechtsbrüche (z. B. Einbrüche, Wirtschaftskriminalität) vernachlässigen. Denn die Kräfte der formellen Sozialkontrolle stehen der Gesellschaft nur in beschränktem Maße zur Verfügung, so daß es notwendig ist, Prioritäten in der Strafverfolgung zu setzen. Der Nutzen der Knmina lisierung der Zuhälter und Kuppler, die die Prostitution zusätzlich gewerbsmäßig ausnutzen, ist gleichfalls ungewiß. Die heutige Prostituierte ist mehr Arbeitgeberin als Arbeitnehmern]. Sie beschäftigt eher Zuhälter und-Kuppler, als für sie zu arbeiten. Die soziale Wertung der Prostitution als Sozial abweichung hat sich verändert. Diese Veränderung hat viele Gründe: Die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Mann und Frau werden nicht mehr so sehr durch ökonomische Notwendigkeiten bestimmt. Um die Gesellschaft zu erhalten, brauchen bei dem Fortschritt der Medizin nicht mehr so viele Kinder geboren zu werden. Die Kindersterb-

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Prostitution fichkeit hat abgenommen. Der Überbevölkerung wird sogar mit Geburtenkontrolle entgegengewirkt. Sexualität ist zur bloßen Körperfunktion geworden, die sich von Gefiihlsheyiehungen weitgehend gelöst hat. Moderne Nüchternheit und Sachlichkeit haben diese Loslösung beschleunigt und zu einer weiten Verbreitung von Promiskuität geführt. Erzwungene sexuelle Enthaltsamkeit wird von niemandem mehr erwartet. Sie wird niemandem zugemutet. Prostitntion wird deshalb fur viele zum Eisatz. Der Körper ist zum bloßen Lustobjekt geworden. Das Sinken der Arbeitsmoral (hohe Ansprüche bei niedrigen Leistungen) läßt viele Frauen und Madchen zu Prostituierten werden. Freilich hat die Prostitution eine nicht zu unterschätzende Entlastungsfunktion für die Gesellschaft. Eine kleine Zahl von Frauen be friedigt die sexuellen Bedürfnisse einer großen Zahl von Männern. Die Prostitution erfüllt zur Stabilisierung von Ehe und Familie eine Aufgabe, die bisher keine andere soziale Institution übernommen hat. Die sexuelle Liberalisierung hat weder die Prostitution noch deren starke moralische Abwertung zum Verschwinden gebracht. Es sind im Gegenteil neue Formen der Prostitution entstanden. Die Mannigfaltigkeit der Erscheinungsformen der Prostitution erschwert ihre Kontrolle. Teilzeitprastitution und Prostitution in Massagesalons weiden deshalb nicht mehr als Prostitution angesehen, weil sie unter hygienischen Bedingungen ausgeführt werden, weil sie sich wirksamer sozial einordnen, besser tarnen und verdecken, weil sich Frauen und Mädchen selbst nicht als Prostituierte fühlen und weil sie von ihren Kunden und Arbeitgebern nicht als solche angesehen werden. Es fragt sich freilich, ob es gerechtfertigt ist, allein niedrigere, unhygienischere Alten der Prostitution (z. B. Straßen- und Boidellprostitution) als solche zu definieren, weil sie sozial sichtbarer und leichter beweisbar sind. Mit den staatlichen Maßnahmen der Kontrolle (z.B. Registrierung, Kasemierung in Eros-Centern, Anordnung von Spenbeziiken) sind audi degradierende, herabsetzende Wirkungen verbunden, die das Bikl der Prostituierten beeinflussen, das sie selbst von sich hat und das andere von ihr haben. Dasselbe gilt für die phantastische Dramatisierung der Prostitution. Die Prostituierten der Straßenund Bordellprostitution müssen allerdings registriert und überwacht werden, um Geschlechtskrankheiten vorzubeugen und die öffentliche Belästigung auf den Straßen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Gehobene, hygienischere Formen der Prostitution lassen sich nicht überwachen, brauchen auch wohl aus hygienischen Gründen (Vermutung von Geschlechtskrankheiten) und wegen möglicher öffentlicher Belästigung nicht kontrolliert zu werden, da sie sich selbst kontrollieren und vor der Öffentlichkeit verdeckt halten. Diskrete Prostitution sollte deshalb von staatlichen Kontrollen unbehelligt bleiben, wenn sie sich hygienisch selbst überwacht. Prostituierte, die nicht sozial lästig sind, die

keine Kriminalität mit ihrem Gewerbe verbinden oder begünstigen und die für ihre hygienische Selbstkontrolle sorgen, sollten keine soziale Abwertung erfahren (Gilbert Geis 1975, 342).

12. Strichjungen Homosexuelle Prostitution ist nicht von der wirtschaftlichen Lage abhängig. Sie steht in Notzeiten nicht in besonderer Blüte. Es gibt sie auch in Zeiten des Wohlstandes. Strichjungen sind jugendliche Delinquenten, deren Entwicklung in hohem Maße gestört ist. Besonders ihre Leistungen in der Schule und im Beruf sind schlecht. Ihre Erziehung ist regelmäßig gehemmt. Nur wenige entwickeln skh indessen zu Beiuls- und Gewohnheitsverbrechern. Es überwiegen vielmehr die Täter, die hin und wieder leichtere Vermögensdelikte begehen (Klaus Ulrich Klemens 1967). Die mit Abstand häufigste Tat, die von Strichjungen vor, während und nach der Ausübung ihres Gewerbes begangen wurde, war 1948 bis 1960 in Berlin (West) Diebstahl. Der homosexuellen Subkultur geben Baibesitzer in Lokalen für Homosexuelle, Besitzer von Boutiquen für Männer und Fotografen für erotische Fotografien und Filme Beständigkeit. Anbahnungsorte für homosexuelle Prostitution sind die Sammelplätze für Homosexuelle in bestimmten Straßen oder Parks, sind Mannertoiletten in Hotels oder Badeanstalten· Die Strichjungen und ihre Kunden erkennen sich an ihrer Kleidung und an ihren Körperbewegungen. Attraktive junge Männer, die keine Berufsausbildung haben und die ihren Lebensunteihalt nicht auf legalem Weg verdienen wollen, halten sich in Restaurants für Homosexuelle auf, um dort angesprochen zu weiden. Relativ gut bezahlte „Call-Boys" treffen sich mit ihren Kunden nach telefonischer Vereinbarung - in ihren Appartements. Strichjungen sind meist selbst keine Homosexuellen; sie sind in der Regel bisexuell. Eine große Zahl junger Männer wild in bestimmten sozialen Situationen (Geldmangel, ohne Freunde, auf Reisen) von Homosexuellen angesprochen, die ihnen Geld für einen kurzen unpersönlichen sexuellen Kontakt (meist Fellatio) anbieten. In Westeuropa und Nordamerika ist ferner die homosexuelle Prostitution 12- bis 17jähriger Bandendelinquenten weit verbreitet, die kein homosexuelles Selbstbild entwickeln, obgleich sie ihre Kunden als Homosexuelle ansehen. Der Hauptunterschied zur Prostituierten, die dafür bezahlt wird, daß ihr Kunde einen Olgasmus erlebt, besteht beim Strichjungen darin, daß ei für seinen eigenen Orgasmus bezahlt wird. Deshalb ist der Strichjunge in der Zahl seiner Sexualkontakte begrenzt, da auch junge und gesunde Männer nur zwei bis drei Orgasmen während eines Tages haben. Während die Prostituierte durch die Geldzahlung erniedrigt wild, degradiert die

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Prostitution

Geldzahlung in der homosexuellen Welt den Kunden, der niedriges Ansehen und keinerlei Prestige besitzt. Er legt Wert auf kurze möglichst unpersönliche Sexualkontakte, um sein bürgerliches Image (Charakterbild) nicht zu gefährden und sich keiner Erpressung auszusetzen. Wegen der Flüchtigkeit und Anonymität der Partnerbeziehungen (mangelnde Bindungsfähigkeit!) ist die homosexuelle Prostitution jugend- und abwechslungsorientiert. Die physische Attraktivität junger Männer steht in hohem Kurs. Man verlangt nach immer neuen Begegnungen. Nicht wenige junge Männer erlernen auf diese Weise den homosexuellen Lebensstil. In Homosexuellenkreisen sagt man: „Die Strichjungen dieses Jahrgangs bezahlen die Strichjungen des nächsten Jahres". Homosexuelle, die bisexuell sind und eine Ehefrau und Familie haben, nehmen die Dienste von Strichjungen in Anspruch, weil sie wegen der großen sozialen Risiken (moralische Abwertung der Homosexualität!) keinerlei festeren homosexuellen Bindungen eingehen können (John H. Gagnon, William Simon 1978). Der homosexuelle Kunde ist opfergeneigt. Oft folgt dem homosexuellen Kontakt ein Gewaltakt: Raub, Körperverletzung, Erpressung. Denn die Kunden zeigen die Täter nicht an, um einen Skandal zu vermeiden. Es gibt Gewaltdelinquenten, die die Rolle von Strichjungen spielen, um ihre Kunden zu berauben, zumal wenn sie wohlhabend sind. Homosexuelle Prostitution von Bandendelinquenten ist eine zeitlich wie örtlich vorübergehende Tätigkeit. Die Delinquenten wollen lediglich „leichtes, schnelles" Geld machen, ohne viel zu riskieren. Sie definieren sich selbst nicht als Prostituierte oder Homosexuelle und lassen auch nicht zu, daß andere sie so definieren. Regeln und Verhaltensweisen homosexueller Prostitution haben sie erlernt. Der sexuelle Kontakt bleibt auf Fellatio beschränkt. Der Kunde riskiert Gewaltanwendung (homosexuelle Panik!), wenn er die Männlichkeit des Strichjungen angreift oder die affektive Neutralität des Sexualaktes in Zweifel zieht (Albert J. Reiss 1975): Er muß ausreichend zahlen. Das heterosexuelle Selbstbild des Strichjungen darf nicht in Gefahr kommen. Er darf ihn nicht belästigen, wenn er Mädchen bei sich hat. Denn das heterosexuelle Selbstbild ist bei Bandendelinquenten meist stark ausgeprägt, weil sie aus der sozioökonomischen Unterschicht kommen. Der Kunde darf den Jungen nicht veranlassen, bei dem Sexualakt eine weibliche Rolle zu spielen. Er riskiert sonst Gewaltanwendung. Die vorübergehenden Kontakte zwischen Strichjungen und ihren Kunden sind also höchst instabil und leicht verletzbar. Der Kunde darf schließlich nichts verlangen, was über Fellatio hinausgeht. Die Jungen definieren sich selbst nicht aufgrund ihres homosexuellen Verhaltens, sondern aufgrund ihrer Annahme einer homosexuellen Rolle. Sie verhalten sich zwar homosexuell; sie lehnen es aber ab, eine homosexuelle Rolle anzunehmen.

Monographien

und

Sammelwerke

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Z e i t s c h r i f t e n - und

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SCHNEIDER

STRAFEN UND MASSREGELN Α. Zweispurigkeit von Rechtsfolgen 1. Schuld als Voraussetzung

von

Strafen

Das deutsche Strafrecht beruht auf dem Prinzip der Schuld als Voraussetzung der Strafbarkeit; dieses Prinzip leitet sich aus dem Postulat der Willensfreiheit (vgl. Engisch 1965) des Menschen ab. Hiernach handelt der Straftäter grundsätzlich schuldhaft, sofern seine Schuldfähigkeit nicht aufgrund besonderer psychischer Gegebenheiten als ausgeschlossen gilt (§20 StGB, §12 Abs. 2 OWiG). Nach der Rechtsprechung wird „mit dem Unwerturteil der Schuld dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können" (BGHSt. 2, 194 ff. [200]). Gegen die mangelnde Präzision in der Gleichsetzung von Schuld und Verwerfbarkeit ist von Teilen der Strafrechtslehre eingewandt worden, letztere könne nur Folge von Schuld, nicht aber diese selbst sein. Das Schuldprinzip, dem - als im Rechtsstaatsprinzip begründet - der Rang eines Verfassungsgrundsatzes (BVerfGE 20, 323 [331]) beigemessen wird, besagt

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bezüglich der Problematik eines Monismus oder aber einer realen Vielfalt des Gewissens (Art. 4 Abs. 1 GG), es gebe nur ein Gewissen, das durch Anspannung gefunden werden könne. (Abweichungen scheinen allenfalls bei religiös begründeter Gewissensentscheidung anerkannt zu werden und zum Ausschluß der Schuld führen zu können [BVerfGE 23, 133; bes. BVerfGE 32, 108f.]; dies wird am ehesten Unterlassungstaten betreffen.) Eine Ablösung des Schuldprinzips gilt auch im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts als nicht vertretbar (vgl. Tiedemann 1976, S.254); so ist eine Strafverfolgung gegenüber einer Organisation grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. aber § 30 OWiG sowie Schünemann 1979, S. 180ff.). Im Hinblick auf das (seitherige) Unvermögen des empirischen Nachweises der Willensfreiheit wird von Vertretern der Strafrechtslehre gelegentlich vorgeschlagen (§2 AE-StGB 1966; Roxin 1974), das Schuldprinzip nicht zum Nachteil, sondern nur zum Vorteil, das heißt zur Limitierung der Rechtsfolgen, zu verwenden, wobei seine Rechtfertigung eher auf präventive Zwecke beschränkt bleibt (vgl. auch §59 Abs. 2 AE-StGB 1966). Von anderen wird das Schuldprinzip - gewissermaßen unterhalb des Niveaus seiner konzeptionellen Grundlage mit erklärtem Hinweis auf seine pragmatische Eignung verteidigt, wobei Schuld etwa als Zurückbleiben hinter Art und Ausmaß von Legalverhalten zu verstehen sei, wie es von einem (gedachten) durchschnittlichen Staatsbürger erwartet werde. 1. Die Konzeption des Schuldvorwurfs hat individualisierenden Charakter und bezieht sich (vorgeblich) auf den innerpsychischen Bereich. Die gemeinten Abläufe sind sozial nicht sichtbar; einer empirischen Untersuchung sind sie nach ganz überwiegender Auffassung nicht zugänglich. a) Zugleich übergeht das (individualisierende) Schuldprinzip diejenigen theoretischen Auffassungen und empirischen Anhaltspunkte, die auf eine Bindung individuellen Handelns an (heterogene) Gruppen- oder Organisationsnormen hindeuten. Dies gilt etwa dann, wenn eine Tat aus der Rolle innerhalb einer Tätergemeinschaft oder eines Verbandes heraus begangen wird und das Verhalten des Täters mehr von gruppen- oder verbandsinternen und weniger von individuell relevanten Normen getragen ist; dabei können im Rahmen hierarchischer Interdependenzen Probleme einer (gegebenenfalls auch gewissensbezogenen) Delegierung der (straf-)rechtlichen Verantwortung auf die „Führungsebene" auftreten. Allerdings sollen nach dem Konzept der Neutralisierung (Sykes/Matza 1974 [1957], S. 361) die meisten der jugendlichen Delinquenten ein Unrechtsbewußtsein haben; da jedoch eine generelle Normenflexibilität bestehe, komme es zu Straftaten, deren von Unrechtsgehalt gekennzeichnete Begehung durch unterschiedliche Techniken neutralisiert (oder auch rationalisiert) werde. Für den Bereich der Wirtschaftskriminalität war

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Strafen und Maßregeln

bereits die Möglichkeit angeführt worden (Cressey 1952, S. 49 ff.), der Straftäter nehme eine Einschätzung seines Verhaltens vor, die es ihm erlaube, seine Tat als etwas anderes denn als eine Straftat zu definieren. b) Die technische Handhabung des Schuldprinzips besteht darin, daß im Wege eines normativen Aktes der Zurechnung eine bestimmte kognitive und voluntive Fähigkeit auf der Seinsebene vorausgesetzt wird, deren Fehlhandhabung vorgeworfen wird. Der Sdnildbegriff erscheint als ein Zugriffsinstrument, das die seins- und erfahningswissenschaftliche. aber auch die normative Zusammensetzung seiner Elemente im unklaren belassen muß, da es weder seins- und erfahrungswissenschaftliche noch strafrechtlich relevante SchuMsachverhalte gibt, die diese Eigenschaft per se, gewissermaßen im natürlichen Sinne hätten. Zahlreiche Beispiele aus der Strafrechtsdogmatik lassen deutlich werden, in welchem Ausmaß es bei dem Schuldbegriff um die Durchsetzung dessen geht, was man als kriminalpolitisch effizient empfindet, und wie sehr sich das Postulat der individuellen Freiheit zu nonngemäßem Handeln zu verflüchtigen scheint. „Intrasystematisch, allein vom Schuldprinzip her, sind die Beschränkungen, denen der Sdnddausschluß etwa bei der Schuktunfahigkeit oder beim Verbotsirrtum unterliegt, nicht mehr zu erklären" (Stratenwerth 1977, S.43), sondern nur durch kriminalpolitische Motive. So erscheint zum Beispiel die Konstruktion der Lebensführungsschuld, die in verschiedenstem Zusammenhang bedeutsam wird (z. B. beim Affekt, beim Verbotsirrtum, auch bei Problemen der Fahrlässigkeit), präventiv motiviert; dabei vermögen die Versuche der Inbezngsetziing zum Schuldprinzip kaum die Intention zu verdecken, schon auf die Vermeidung von Situationen hinzuwirken, in denen der Täter einem strafrechtlich relevanten Verhalten erliegen könnte. c) Zudem scheint das Schuldprinzip -wegen der individualisierenden, sozial isolierenden Wirkung in besonderem Maße zur Erreichung geselfechaftsstabilisicrcnder Funktionen von (Verbrechen beziehungsweise von reaktiver) strafrechtlicher Erfassung von Verhalten geeignet. Solche Funktionen beziehen sich auf die Bekräftigung sozialer Normensysteme (einschließlich der Legalordnung) und auf die Fnlfastiing von der Ungewißheit über die Geltung sozialer Normen, auf die Ableitung von Aggressionen durch (psychoanalytisch und mental hygienisch verstandene) Projektions- und Identifi zierungsabläufc sowie auf Dtszipliniening in (auch) außcrstrafrechtlichcn Verhaltensbeneichen wie auch auf die Legitimation sozialer Ungleichheit. Was zum Beispiel die Funktion der Bekräftigung der Legalordnung angeht, so mögen sich - bezogen auf die kognitive Geltungsstruktur strafrechtlicher Nonnen - mittels des Schuldprinzips durch (ge dankliche) Herausnahme der Straftat aus dem Krei»

erwartungsprägender Gegebenheiten die einschlägigen Erwartungen aufrechterhalten lassen (s. zum folgenden Jakobs 1976). Solches mag zum einen dergestalt geschehen, daß das Verbrechen gewissermaßen als Naturunglück in einen Beieich verwiesen wird, in dem Enttäuschung normativer Erwartung nicht möglich ist; dies könnte etwa dann der Fall son, wenn der Täter als mehr oder weniger biologisch defekt oder krank bezeichnet wird, man ihn entschuldigt und sodann verwahrt oder zu heilen angibt. Es mag zum anderen erreicht werden, indem die Tat dem Täter, dokumentiert durch Strafe, als schuldhaft zugerechnet und dadurch als eine nicht akzeptable Verhaltensweise bestätigt wird. In beiden Fällen würde der Täter - als Bedingung der Straftat - isoliert, wobei der Schuldbegriff als ein Instrumentarium .normativer und sozialpsychologi scher, jedenfalls aber nicht primär individualpsychologischer Art" (Jakobs 1976, S. 32) erscheinen würde. 2. Die Schuld ist die Grundlage der Strafzumessung (§46 Abs. 1 S. 1 StGB); im Unterschied zur konzeptionellen Bedeutung der Schuld ist hiermit der Umfang dessen fixiert, was dem Täter in bezug auf sein Verhalten in Zusammenhang mit der Tat subjektiv zugerechnet werden kann. Ließe sich die Schuld insoweit ausschließlich im Sinne einer Limitienuigsfunktion begreifen, stellte der Schuldausgleich keinen Strafzweck mehr dar; demgegenüber wird überwiegend auch eine konstitutive Funktionsbestimmung angenommen, wonach es bei einer Strafeweckbedeutung von Begriffen wie „Vergeltung" oder „Sühne" verbleibe. Daneben ist eine hinsichtlich der Wirkungen der Strafe zu erstellende Prognose zu berücksichtigen ($46 Abs. 1 S.2 StGB). Gelegentlich wird die Vorstellung geäußert, im Rahmen des Schuldprinzips solle eine Form strafrechtlicher Reaktion eintreten, „die aus der Mitverantwortung der Gesellschaft Konsequenzen zieht und also auch gegenüber dem Straftäter menschliche Solidarität übt" (Stratenwerth 1977, S. 41, s. auch S.49 a.E.; s. auch Rosin 1974, S. 181 ff.). Demgegenüber liegen bis in die Gegenwart hinein Anhaltspunkte dafür vor, daß sich das Schuldprinzip in vorzüglicher Weise zur Ausübung von Repression eignet. Dies gilt zum Beispiel für die _in jeder Hinsicht als realitätsfern und doktrin ä r ' (Stratenwerth 1972, S. 15) erscheinende, erst im Jahr 1969 eingeführte strafschärfende Rückfall Vorschrift des §48 StGB. Bei dieser wird die Strafschärfung mit einem erhöhten Schuldvorwurf begründet, der daraus folge, daß der Täter die neue Tat trotz Warnung durch die früheren Verurteilungen begangen habe; was die zusätzliche Voraussetzimg angeht, daß wegen einer der VorvenirteOungen mindestens drei Monate Freiheitsstrafe vollstreckt worden ist. so gilt als solche zwar nicht die Ersatrfreiheitsstrafe (BGHSt. 27,90ff.: BayObLG NJW 1974,1256), wohl aber - in kaum vertretbarer Weise - die Jugendstrafe (BGHSt. 7, 300ff.).

Strafen und Maßregeln a) Nach Auffassung des BVerfG (JZ 1979, 225) sei § 48 StGB insoweit verfassungsgemäß, als diese Norm „generell eine erhöhte Mindeststrafe bei Rückfall androht". Hiergegen bestehen insofern Bedenken, als §48 StGB bei Straftaten mit einer Mindeststrafe von mehr als sechs Monaten nicht zur Anwendung kommt, also gerade keine „generelle" Rückfallvorschrift ist. Während bei solchen Straftaten der Rückfall nur als eine unter mehreren Strafzumessungstatsachen berücksichtigt wird, dominiert bei geringfügigeren - aber noch nicht durch § 48 Abs. 2 StGB ausgeschlossenen - Straftaten die Rückfälligkeit; dies ist um so bedeutsamer, als die Ausgestaltung des §48 Abs. 2 StGB einen in der Praxis erheblichen Bereich von Straftaten trotz äußerst geringfügigen Schadens nicht von der Anwendung der strafschärfenden Rückfallvorschrift befreit. b) Die Vorschrift des § 48 StGB läßt in besonderem Maße die Diskrepanz zwischen individualisierendem Reduktionsprinzip und komplexer Wirklichkeit (einschließlich des Interaktionismus zwischen Justiz und Vorverurteiltem) erkennen. Psychologisch erscheint plausibel, daß die (postulierte) Wahlmöglichkeit zugunsten des Legalverhaltens mit zunehmender Häufigkeit oder gar Gewohnheitsmäßigkeit der Tatbegehung reduziert wird. Insofern wäre es eher verständlich, wenn der Schuldvorwurf entsprechend eingeschränkt würde; die entgegengesetzte Bewertung aber deutet darauf hin, daß der Schuldbegriff von Interessen ausgefüllt wird, die außerhalb der Ermittlung individualpsychologisch relevanter Elemente liegen. Auch läßt sich ein erhöhter Schuldvorwurf psychologisch kaum damit begründen, der Betroffene setze sich über ein durch Vorverurteilung und Strafvollzug, also durch eigene Erfahrung gewonnenes Bewußtsein von der Strafbarkeit seines Verhaltens hinweg, weil gerade durch Vorverurteilung und Strafvollzug etwa gemachte negative Erfahrungen zu einer Einschränkung der Wahlmöglichkeit geführt haben mögen. Dementsprechend bestehen Bedenken auch gegenüber der Auffassung, daß derjenige, der sich über die „mit früheren Verurteilungen gesetzten Hemmungsimpulse" (BVerfG JZ 1979, 224) hinwegsetze, unter Umständen mit vermehrter krimineller Energie und deshalb mit vermehrter Schuld handele; zum einen ist schon fraglich, ob Hemmungsimpulse gesetzt wurden, und zum anderen würde ein Befund vermehrter krimineller Energie nichts über vermehrte Schuld, sondern eher etwas über die Plausibilität reduzierter Wahlmöglichkeit aussagen. Was endlich die in § 48 StGB zum Ausdruck gelangende Annahme angeht, dem Strafvollzug komme in der Regel eine die Legalbewährung fördernde Funktion zu (vgl. auch hierzu BVerfG JZ 1979, 226), so fehlt es für eine solche Annahme einstweilen an empirischen Belegen. Soweit mitunter darauf hingewiesen wird, daß sich unter den Vorverurteilten überwiegend Menschen

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befinden, die von Schwäche und Anpassungsschwierigkeiten gekennzeichnet sind, und die mehr der Hilfe (vgl. OLG Köln MDR 1980, 510 und schon MDR 1977, 860f.: Anwendung auf „Bahnhofsstreuner... aus sozialer Hilflosigkeit") als der Strafe bedürften und die für die Warnfunktion einer Verurteilung kaum empfänglich seien, so wird auch hierbei weniger auf Fragen eingeschränkter Wahlmöglichkeit eingegangen; vielmehr stehen sozialstaatliche Erwägungen oder Fragen der kriminalpolitischen Zweckmäßigkeit im Hinblick auf eine geringere Gefährlichkeit im Vordergrund. Da die Anwendung des § 48 StGB davon abhängig sein soll, „daß den Täter im konkreten Fall im Blick auf die Warnfunktion ein verstärkter Schuldvorwurf trifft" (BVerfG JZ 1979, 224), wird die Fähigkeit des Tatrichters postuliert, bei der Frage danach, welche positiven und negativen Wirkungen von der Verurteilung und vom Strafvollzug ausgegangen sein könnten, auch „psychische Faktoren, charakterliche Eigenschaften des Angeklagten und dessen Lebensumstände" einzubeziehen. Indes bleibt „vollkommen unerfindlich" (Stratenwerth 1972, 17), woraus sich eine solche Fähigkeit des Tatrichters ergeben könnte. c) Was die Häufigkeit der Anwendung des §48 StGB in den Jahren 1977 und 1978 angeht, so betrug deren Anteil an allen Verurteilungen (bei absolut 9719 und 10 203 einschlägig strafschärfend Verurteilten) 1,60% und 1,66%; die entsprechenden Anteile bei Diebstahl lauteten (bei absoluten Zahlen von 6027 und 6226) 5,74% und 5,78% (StrafSt. [Ausf. Ergebn.] 1977, S. 178, 164, 166; 1978, S. 178, 164).

2. Gefahr als Voraussetzung von Maßregeln Voraussetzung der Anordnung von Maßregeln (der Besserung und Sicherung) ist eine rechtswidrige Tat sowie eine vom Täter ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit. Ein schuldhaftes Handeln des Täters ist nur für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sowie, was die zukünftige Rechtslage angeht, für die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt (§65 Abs. 1 und 2, nicht jedoch Abs. 3 StGB) vorausgesetzt. Hiernach ist, von den genannten Ausnahmen sowie von der Führungsaufsicht (§§68ff. StGB) abgesehen, auch eine selbständige Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung möglich (§71 StGB; s. dazu auch § 413 StPO). 1. Bei der Bemessung von Maßregeln kommt dem - im Rechtsstaatsprinzip begründeten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine ähnliche Begrenzungsfunktion zu (§62 StGB), wie sie bei der Strafzumessung (im Erwachsenenstrafrecht) durch das Schuldprinzip gewährleistet ist. Schon die Voraussetzung der Gefahr erheblicher Straftaten (s. aber § 68 StGB) ebenso wie die Möglichkeit der

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Strafen und Maßregeln

Aussetzung der Vollstreckung von Maßregeln zur Bewährung ist Ausdruck des Prinzips der Verhältnismäßigkeit; das gleiche gilt für den Grundsatz, daß unter mehreren zulässigen und geeigneten Maßregeln (§ 72 Abs. 1 StGB) diejenige anzuordnen ist, die den Täter am wenigsten beschwert. Dabei muß eine Verhältnismäßigkeit zur begangenen Tat und zusätzlich zu den zu erwartenden Taten und außerdem zum Grad der Gefahr bestehen. Auch bei Nachentscheidungen (etwa der Entlassung aus stationärer Maßregeldurchführung) gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Wie jedoch der Rahmen der „Verhältnismäßigkeit" im einzelnen auszufüllen ist, ist kaum hinreichend geklärt oder auch nur erörtert worden (s. aber Haag 1970, S. 37 ff., 112 ff.). 2. Was künftig „zu erwartende Taten" sowie die vom Täter „ausgehende Gefahr" anbetrifft, so bedarf es einer Prognose. Während bei der Verhängung und Bemessung von Strafen die Ahndung der Tatschuld im Vordergrund steht und prognostische Überlegungen lediglich hinzutreten, kommt es bei der Anordnung und Bemessung von Maßregeln wesentlich auf die prognostische Ausrichtung an. Als inhaltlicher Maßstab werden Begriffe wie Präventionsbedürftigkeit und -zugänglichkeit des Täters verwandt; ist damit zu rechnen, daß die Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, in einer Entziehungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrungsanstalt angeordnet werden, so ist ein Sachverständiger zu vernehmen (§246 a StPO; s. auch § 8 0 a StPO). Allerdings läßt sich bei dem (gegenwärtigen) kriminologischen Wissensstand in der Prognoseforschung, abgesehen von Extremgruppen, die Frage nach dem zukünftigen Legalverhalten kaum mit zureichender Treffsicherheit und in überprüfbarer Weise voraussagen, zumal dieses wesentlich auch von formeller und informeller Reaktion abhängt. ( - Dieses Bedenken betrifft um so mehr den bezüglich der Strafe gelegentlich unterbreiteten Vorschlag, anstelle des Schuldprinzips dasjenige der Verhältnismäßigkeit zu setzen, wobei Kriterien zur Bestimmung der Rechtsfolgen solche der Prävention beziehungsweise des Rechtsgüterschutzes zu sein hätten, und wobei die schutzwürdigen Interessen der Allgemeinheit mit den präventiv etwa erforderlichen Eingriffen in die Rechtsgüter des Täters zu einem Ausgleich zu bringen wären [vgl. Ellscheid/Hassemer 1975 (1970), S. 275 ff.]). 3. Soweit Maßregeln der Besserung und Sicherung auch im Jugendstrafrecht Anwendung finden (§7 J G G ) , ist deren Vereinbarkeit mit dem Erziehungsgedanken kaum systematisch überprüft worden (zur Entstehungsgeschichte vgl. Ausführungsgesetz RGBl. 1933 I S. 1000 [1005]). Auch ist nicht ohne weiteres verständlich, warum es für das Jugendstrafrecht - trotz bestehender Rechtsfolgenvielfalt und -flexibilität - zusätzlicher bessernder Maßregeln bedürfen soll, während eine Dominanz

von Sicherungsbelangen dem Erziehungsziel entgegenstünde. Im einzelnen fällt hinsichtlich der nach geltendem Jugendstrafrecht anwendbaren Maßregeln betreffend den Sicherungsaspekt z. B. auf, daß die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zeitlich nicht befristet ist (§ 67 d StGB) und die Registrierung der Anordnung dieser Maßregel nicht getilgt wird (§43 Abs. 3 Nr. 2 BZRG); im übrigen ist der Alltag innerhalb der forensischen Abteilungen psychiatrischer Anstalten weithin von Sicherungsbelangen bestimmt. - Aber auch die Führungsaufsicht begegnet insoweit erzieherischen Bedenken, als sie die Zeit behördlicher Kontrolle verlängert. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist wesensmäßig ohnehin primär eine Sicherungsmaßregel, die - abgesehen von den Zweifeln an einer spezialpräventiven Wirksamkeit - dem erzieherisch zu beachtenden Streben Jugendlicher und Heranwachsender (auch) nach dem Kraftfahrzeug als Statussymbol Erwachsener kaum Rechnung trägt.

3. Verhältnis zwischen Strafen und Maßregeln 1. Die Strafe (auf der Grundlage des Schuldprinzips) muß bei der Erfüllung präventiver Aufgaben mitunter von vornherein scheitern, während die Maßregel insoweit geeignet erscheint. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn eine gefährliche, das heißt auch in Zukunft zur Verletzung von Straftatbeständen neigende Person schuldunfähig (§ 20 StGB; vgl. auch §3 JGG) handelt, so daß deren Bestrafung unzulässig ist. Es gilt zum anderen dann, wenn der Täter zwar schuldhaft handelt, eine am Schuldmaß orientierte Strafart und/oder -dauer aber, auch unter Berücksichtigung spezial- und generalpräventiver Gesichtspunkte, für die Erzielung einer Präventionswirkung ungeeignet ist. Aus diesem Grunde kennt das strafrechtliche Rechtsfolgensystem sowohl Strafen als auch Maßregeln; man bezeichnet dies als Zweispurigkeit oder auch als dualistisches System. Mit Ausnahme der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis werden die Maßregeln im Vergleich zu den Strafen nur äußerst selten angewandt. 2. a) Soweit Strafe und Maßregel zugleich verhängt werden, begegnet dies logisch-begrifflichen Bedenken im Hinblick auf antithetische Aspekte des Verhältnisses von Willensfreiheit und Schuld einerseits sowie Determiniertheit und Maßregelbedürftigkeit andererseits, wie sie sich in (zumindest partiell) unterschiedlichen Zielsetzungen und Vollzugsbedingungen der jeweiligen Rechtsfolgen niederschlagen und etwa in der Gegenüberstellung von §48 StGB einerseits und §65 StGB andererseits anschaulich werden. Zudem ist die Maßregelverhängung jedenfalls dann, wenn sie einen richterlichen Schuldspruch zur Grundlage hat, (ebenso wie die Strafe) an die Begehung einer strafbaren Hand-

Strafen und Maßregeln lung geknüpft, so daß sie als ein mit dem Unwerturteil verbundenes Übel und damit gewissermaßen auch als Strafe empfunden wird. Diese Einwände würden behoben, wenn Strafen und Maßregeln durchgängig nur alternativ angewandt würden, sofern das System der Zweispurigkeit (trotz der auch im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestehenden Bedenken) beibehalten werden soll. b) Wird neben der Verhängung von Freiheitsstrafe die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet, so handelt es sich tatsächlich um eine Doppelbestrafung (§ 67 Abs. 1 StGB; anders Art. 42 Nr. 1 StGB-Schweiz). Im Falle der Anordnung einer der übrigen mit Freiheitsentziehung verbundenen Maßregeln neben der Verhängung einer Freiheitsstrafe wird erstere grundsätzlich vor der Freiheitsstrafe vollzogen (§67 Abs. 1 StGB; s. jedoch auch §67 Abs. 2, 3 StGB), wobei die Zeit des Vollzuges der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird (§ 67 Abs. 4 StGB, vikariierendes System; s. hierzu Marquardt 1972; Müller 1981). - Eine Nivellierung des Verhältnisses von Freiheitsstrafe und mit Freiheitsentziehung verbundener Maßregel findet sich insoweit, als ein zu Freiheitsstrafe verurteilter Gefangener in den (Maßregel-)Vollzug einer sozialtherapeutischen Anstalt verlegt werden kann, und zwar auch ohne Zustimmung des Vollstreckungsgerichts und allein aufgrund des Einverständnisses des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt (§9 Abs. 1 S. 1 StVollzG). Eine Nivellierung mit eher umgekehrter Richtung stellen Abteilungen zur Behandlung von Drogenabhängigen im Strafvollzug dar, zumal die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur vergleichsweise restriktiv angeordnet (beziehungsweise vollstreckt) wird.

B. Strafen 1.

Geldstrafe

l . a ) Die Verhängung der Geldstrafe geschieht (seit 1.1.1975) nach Tagessätzen (§40 StGB). Dabei ist die Festlegung der Anzahl der Tagessätze von der Bestimmung von deren Höhe zu unterscheiden. Bei ersterem handelt es sich um die Bewertung des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat. Letzteres hingegen stellt einen Vorgang der Anpassung an die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 40 Abs. 2 StGB) und insbesondere an die wirtschaftliche Leistungsfähgkeit des Verurteilten dar und dient der Berücksichtigung ungleichmäßiger Einkommensverhältnisse. - Die Regelung, die bis 31.12.1974 bestanden hatte (§27 StGB a. F.), berücksichtigte die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten bei der einheitlichen Festle-

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gung der Geldstrafe. Sie führte zu ungleichen Geldstrafen bei gleichem Schuldgehalt der Straftat, so daß aus der festgelegten Geldstrafe der Unrechtsgehalt nicht entnommen werden konnte. Vielmehr konnte es sich entweder um eine schwere Tat einer finanziell schwachen Person oder um eine leichte Tat einer wohlhabenden Person handeln. Demgegenüber stellt der Tagessatz eher eine objektiv gleiche Bemessungsgrundlage dar. Die ausnahmsweise („Gewinnsuchtstaten", §41 StGB) bestehende Möglichkeit kumulativer Verhängung von Geldstrafe neben Freiheitsstrafe erscheint zum einen deshalb als mit dem Konzept des Tagessatzsystems schwer vereinbar, weil der Verurteilte während des Freiheitsentzuges in der Regel kaum Einkünfte hat und ein Konsumverzicht oder eine Lebensstandardbeschränkung über die Situation im Strafvollzug hinaus kaum erreicht werden kann (s. daher auch §459d StPO); zum anderen ist bei Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung die Auflage einer Geldleistung möglich ( § 5 6 b Abs. 2 Nr. 2 StGB). Außerdem besteht sowohl die Rechtsfolge der Einziehung (§§74 ff. StGB) als auch die Möglichkeit der Gewinnabschöpfung durch das eigenständige Rechtsinstitut des Verfalls (§§73 ff. StGB). b) Die Geldstrafe ist, soweit keine abweichende Regelung getroffen wird, nach Rechtskraft in einem Betrag voll zu zahlen. Allerdings sind unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen Zahlungserleichterungen zu gewähren (§42 StGB). 2. Was die Bestimmung der Höhe des einzelnen Tagessatzes angeht, so liegt eine Bemessungsregel etwa im Sinne einer Beschreibung des Einwirkungszieles der Geldstrafe nicht vor. Daher hängt es von dem Verständnis dieses Einwirkungszieles ab, ob bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe eher eine individuelle Anpassung an die Verhältnisse des jeweiligen Verurteilten oder aber eine eher schematische Bemessung angezeigt erscheint, wobei bei letzterem Verfahren etwa eine Geldstrafentabelle die jeweils gestaffelten Tagessätze (unter Berücksichtigung insbesondere von Nettoeinkommen und Zahl unterhaltsberechtigter Personen) vorsehen würde. Zur Verdeutlichung des Problems sei nur auf die Frage hingewiesen, wie der unterschiedlichen Art der Verplanung der Einkünfte - zum Beispiel einerseits der Abzahlung für eine wertbeständige Anschaffung, andererseits des Sparens für eine Urlaubsreise - Rechnung zu tragen ist. - Die Erfassung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse kann das Gericht, soweit Beweismittel ihm nicht zur Verfügung stehen, durch Schätzung vornehmen (§40 Abs. 3 StGB). Dieses Vorgehen entspricht etwa dem (summarischen) Strafbefehlsverfahren (§§407ff. StPO); es schränkt die allgemeine gerichtliche Aufklärungspflicht (§244 StPO) ein, ohne sie jedoch inhaltlich aufzuheben. a) Im einzelnen ist in der Regel von dem Nettoeinkommen auszugehen, das der Täter durch-

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Strafen und Maßregeln

schnittlich an einem Tag hat oder haben könnte (§40 Abs. 2 S. 2 StGB). Jedoch soll die Bestimmung der Tagessatzhöhe „unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" (§40 Abs. 2 S. 1 StGB) geschehen. Es ließen sich darunter sowohl eine „zumutbare Einbuße", eine Beschränkung auf notwendigen Unterhalt oder der Verbleib der „lohnpfändungsfreien Beträge als Existenzminimum" (§ 49 Abs. 2 S. 2 AE-StGB) verstehen. Unstreitig ist die Auffassung, daß nicht nur außergewöhnliche Belastungen, sondern auch sämtliche Unterhaltspflichten bei der Festsetzung der Höhe der Tagessätze angerechnet werden müssen; dabei ist bezüglich des Unterhalts für die einkommenslose Ehefrau ein Abzug der Hälfte des Nettoeinkommens als zu weitgehend abgelehnt worden (BGHSt. 27, 228 [231]), wobei in der Begründung unter anderem ausgeführt wurde, die für den Zugewinnausgleich festgelegte Halbierung (§ 1378 BGB) gelte nicht für die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Strafurteils. Betreffend Abweichungen vom Nettoeinkommen nach oben wird hinsichtlich einer Berücksichtigung des Vermögens äußerst zurückhaltend verfahren; gegenüber der zunächst teilweise vertretenen Auffassung, es seien neben dem Barvermögen sämtliche zumutbar verwertbaren Gegenstände zu berücksichtigen, sind neben Aspekten der Verhältnismäßigkeit die praktisch erheblichen Ermittlungsschwierigkeiten sowie der Umstand angeführt worden, daß der Geldstrafe kein konfiskatorischer Charakter beigemessen werden dürfe. b) Im Hinblick auf soziale Auswirkungen von Anzahl und Höhe der Tagessätze ergibt sich mit zunehmendem Anstieg der Anzahl der Tagessätze eine Tendenz zu einer nicht mehr nur entsprechend linearen, sondern zu einer progressiven Zunahme der Belastung für den Verurteilten; um insoweit einen Ausgleich zu schaffen, ist in solchen Fällen die Grenze soll bei etwa 90 Tagessätzen liegen - bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe ein gewisser Betrag über dem Lebensunterhalt zu belassen (LG Waldshut MDR 1977, 420f.; BGHSt. 26, 325ff. [331 f.]). c) Was die tatsächliche Festlegung der Höhe der Tagessätze angeht, so ergibt die statistische Analyse (StrafSt. 1976 bis 1978, jeweils Tab. 7.1.) eine Tendenz, im unteren Bereich des vorgesehenen Rahmens zu bleiben (s. näher Albrecht 1980). Dies entspricht einem geläufigen Befund auf den Gebieten der Strafzumessung. 3. Das Leistungsobjekt der Geldstrafe ist ein unpersönliches und austauschbares. Demgemäß bestehen verschiedene Möglichkeiten einer Abwälzung der Leistungserbringung. Insbesondere läßt sich nicht erzwingen, daß der Verurteilte und nur dieser - und nicht auch oder allein ein Dritter - die Zahlungen leistet; insofern bleibt fraglich, inwieweit die Geldstrafe, deren Vollstreckung in den

Nachlaß des Verurteilten ausscheidet (§459c Abs. 3 StPO), tatsächlich eine höchstpersönliche Natur hat und geeignet ist, die Person des Verurteilten selbst zu treffen. a) Zwar gilt die Bezahlung der Geldstrafe durch einen Dritten als Strafvereitelung (§258 StGB). Dies soll jedoch nicht der Fall sein bei einer Hilfe, die dem Verurteilten materiell die Geldstrafe vor der Zahlung abnimmt (BGHZ 41, 223 [230]); es soll ferner nicht gelten bei einem Darlehen oder einer nachträglichen Entschädigung (BGHZ 23, 222 [224]), es sei denn, daß dem Verurteilten der spätere Ersatz vor der Zahlung der Geldstrafe zugesagt worden ist. b) aa) Eine häufige Form der Abwälzung der Leistungserbringung besteht in deren „Streuwirkung" auf Angehörige und Familienmitglieder, und zwar insbesondere dann, wenn der Verurteilte für deren Unterhalt aufkommt. Soweit das Familienleben als Konsumgemeinschaft ausgestaltet ist, ist es kaum möglich, daß nur das formell bestrafte Mitglied die Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Lebensstandards zu spüren bekommt. Dagegen mögen die genannten Personen in ihren Konsummöglichkeiten ebenfalls eingeschränkt werden - möglicherweise sogar überwiegend, während der Verurteilte seinen üblichen Konsum eher behält. Andererseits mag es jedoch, je nach den gegebenen Verhältnissen, (zusätzlich) zu einer informellen Sanktionierung des Verurteilten durch die genannten Personen kommen. bb) Eine Form der Abwälzung mit besonderer Bedeutung für den Bereich der Wirtschaftskriminalität besteht in der Möglichkeit, daß Gewerbetreibende oder Geschäftsleute die zu zahlenden Beträge in mehr oder weniger großem Umfang auf Preise und Betriebskosten umlegen. c) Schließlich bedingt das Leistungsobjekt Geld die Möglichkeit, die zu zahlenden Beträge aus solchen Einkünften zu entrichten, die aus Straftaten stammen. So mag die Geldstrafe kriminogener Anreiz dafür sein, (weitere) Straftaten zu begehen, um die Mittel zur Bezahlung der Geldstrafe zu beschaffen. 4. Anstelle der Geldstrafe wird eine Ersatzfreiheitsstrafe in denjenigen Fällen angeordnet und vollstreckt, in denen die Geldstrafe nicht eingebracht werden kann oder die Leistung unterbleibt. Was die Ermächtigung der Landesregierungen angeht, die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen durch freie Arbeit zu ermöglichen (Art. 293 EGStGB), so sind landesrechtliche Vorschriften bisher nur vereinzelt erlassen worden (s. Baumann 1979, 290 ff.). In der kriminalpolitischen Diskussion ist die hier genannte Möglichkeit als ungerecht abgelehnt worden, weil der Betroffene den Geldbetrag bis auf den Mindestsatz sparen würde, während ein anderer Verurteilter, der seiner bisherigen Arbeit nachgehe, die gesamte Geldstrafe zu bezahlen habe.

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Strafen und Maßregeln 2. (Nebenstrafe)

Fahrverbot

1. Das Fahrverbot (§44 StGB) als Spezialsanktion für Kraftfahrer ist eine Nebenstrafe ( - die einzige innerhalb des StGB (s. aber noch § 41 a BJagdG] - ) ; es kann also nur zugleich mit einer anderen Strafe verhängt werden (anders § 55 AEStGB mit Begründung S. 109f.)· Als Nebenstrafe wird das Fahrverbot nach den allgemeinen Strafzumessungsregeln behandelt, wenngleich gewisse Einschränkungen des Strafzumessungsermessens des Gerichts bestehen (§44 Abs. 1 S.2 StGB). - Für bestimmte Verkehrsordnungswidrigkeiten kann das Fahrverbot als Nebenfolge verhängt werden (§25 StVG). Die wesentliche Funktion des Fahrverbots ist die Sanktionierung solcher Fahrzeugführer, die vergleichsweise schwere Verkehrsdelikte (vgl. §§315 ff. StGB) schuldhaft begangen haben, ohne daß ihre generelle Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr in Frage stünde; daneben kann es auch wegen solcher Taten verhängt werden, bei denen ohne daß es sich um Straßenverkehrsdelikte handeln würde - das Kraftfahrzeug zur Begehung eines anderen Delikts verwandt wurde, das heißt das Fahrverbot kann auch dann angeordnet werden, wenn es zumindest primär nicht um den Schutz der Verkehrssicherheit geht. - Im Unterschied zur Anordnung der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis (§§69 ff. StGB) ist eine negative Prognose nicht erforderlich. Demgemäß beeinträchtigt das Fahrverbot die Fahrerlaubnis dem Grunde nach nicht, das heißt nach Ablauf der Verbotsfrist braucht letztere nicht erneut erworben zu werden. 2. Der Vergleich zwischen einem sogenannten Sonntagsfahrer und einem auf das Kraftfahrzeug angewiesenen Berufsfahrer läßt Bedenken gegenüber dem Fahrverbot entstehen, die den Grundsatz der Opfergleichheit berühren. Handelt es sich nämlich um einen Täter, der etwa aus beruflichen Gründen auf das Kraftfahrzeug angewiesen ist, so kann das Fahrverbot erhebliche berufliche und damit auch soziale Nachteile für den Täter haben (s. zur Berufsverteilung der Betroffenen KBA 1978, Ε 7f.). 3. Der für das Fahrverbot zulässige Zeitraum beträgt höchstens drei Monate (§44 Abs. 1 S. 3 StGB). - Zeiträume einer behördlich veranlaßten Anstaltsverwahrung werden in die Verbotsfrist nicht eingerechnet (§44 Abs. 4 S. 2 StGB), da dies die einzige Möglichkeit darstellt, das Fahrverbot auch in solchen Fällen effektiv werden zu lassen. Jedoch erwachsen dem Fahrverbot dadurch insoweit Elemente einer zeitlichen Kumulation von Rechtsfolgen; es bedeutet eine zusätzliche Belastung des zur Freiheitsstrafe ohne Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung Verurteilten, im Vergleich etwa zu solchen Personen, die zu Geldstrafe oder zu Freiheitsstrafe unter Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung verurteilt wor-

den sind, wobei diese zusätzliche Benachteiligung von der Hauptstrafe her nicht gedeckt ist. Bei Verstößen gegen das Fahrverbot (§ 21 StVG) kann ein Fahrverbot auch erneut verhängt werden. 4. a) Hinsichtlich der Anwendungspraxis läßt sich (entsprechend §§ 25 Abs. 1 S. 2, 24 a StVG) tendenziell eine Trennung in „Alkoholstraftäter" und „Nichtalkoholstraftäter" erkennen. So lag zum Beispiel in den Jahren 1977 und 1979 bei den gemäß § 25 StVG gerichtlich verhängten Fahrverboten in 82,7 % und 84,7 % Trunkenheit am Steuer zugrunde (KBA 1978 und 1980, jeweils Ε 29); bei den gemäß §44 StGB verhängten Fahrverboten war dies nur in 36,4 % und 36,5 % der Fall (KBA 1978, Ε 27; 1980, Ε 28). b) die Anwendungshäufigkeit des Fahrverbots steht gegenüber der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis deutlich zurück. Dies beruht möglicherweise darauf, daß der Höchstzeitraum als zu kurz beurteilt wird. - In den Jahren 1973 bis 1978 betrug der Anteil des Fahrverbots an allen Verurteilungen wegen Straßenverkehrsdelikten 4,1, 4,9, 5,5, 6,5, 7,0 und 7,3 (StrafSt. 1973-1978 Tab. 1 und 3). 3.

Jugendstrafe

1. a) aa) Jugendstrafe wird zum einen verhängt, wenn wegen „schädlicher Neigungen, die in der Tat hervorgetreten sind", Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung als nicht ausreichend angesehen werden (§17 Abs. 2, 1. Altern. JGG); hiernach ist die Verhängung von Jugendstrafe wegen vorhandener „schädlicher Neigungen" nicht zulässig bei solchen Straftaten, die auf diese Neigungen nicht hinweisen. Soweit der Gesetzeswortlaut im übrigen von der Annahme ausgeht, eine Erziehung durch Jugendstrafe sei generell möglich, so fehlt es an empirischen Belegen. Gegenüber dem Begriff „schädliche Neigungen" (vgl. zur Herkunft VO vom 10.9.1941 [RGBl. I S. 567] sowie §§ 4, 6 RJGG; s. zum Begriff „kriminelle Neigungen" § 12 österr. JGG vom 18.7.1928) bestehen erhebliche Bedenken hinsichtlich (Un-)Bestimmtheit und empirischer Erfaßbarkeit. Nach überwiegender Ansicht soll es sich um Mängel handeln, die ohne Intervention die Gefahr der Begehung weiterer solcher Straftaten in sich bergen, die nicht nur „gemeinlästig" sind oder den Charakter von Bagatelldelikten haben; auf die Entstehungszusammenhänge solcher Mängel komme es hingegen nicht an (vgl. BGHSt. 11, 169 [171]). Hierzu ergibt sich zunächst, daß sogenannte Gelegenheits-, Konflikt· oder Notdelikte (allein) nicht auf „schädliche Neigungen" hinweisen; gleichwohl wird für die Subsumtion bezüglich „schädlichen Neigungen" auf Merkmale der Tat wie zum Beispiel auf deren Schwere nicht verzichtet. - Was die Abgrenzung des Begriffs „schädliche Neigungen" von demjenigen der „Verwahrlosung" (als Voraussetzung für

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Strafen und Maßregeln

die Anordnung der Fürsorgeentziehung) anbetrifft, so soll ersterer enger sein als letzterer. Danach soll „Verwahrlosung" (s. näher Munkwitz 1975) regelmäßig vorliegen, wenn „schädliche Neigungen" gegeben sind, aber nicht umgekehrt. Dies würde dem funktionalen Verständnis des Begriffs „schädliche Neigungen" entsprechen, wonach dieser inhaltlich einer negativen Rückfallprognose für erhebliche Straftaten gleichsteht. Nach allgemeiner Beobachtung kommt es in der Praxis bei der Bejahung von „schädlichen Neigungen" im wesentlichen auf das Vorliegen von Rückfälligkeit und einer gewissen Deliktsschwere, hingegen erst in zweiter Linie auf bestimmte Merkmalsausprägungen im Sozial- oder Persönlichkeitsbereich an. Eine im Tatsächlichen überzeugende und überprüfbare Abgrenzung zwischen „Verwahrlosung" und „schädlichen Neigungen" ist allenfalls in Ausnahmefällen möglich. bb) Jugendstrafe wird zum anderen verhängt, wenn wegen „Schwere der Schuld" Strafe als erforderlich angesehen wird (§17 Abs. 2, 2. Altern. JGG). Diese Voraussetzung soll sich, unter Einbeziehung der Tatmotivation, in erster Linie nach der jeweiligen Form der (Einzeltat-)Schuld und dem Grad der Schuldfähigkeit bestimmen. Die jugendstrafrechtlichen Erläuterungen zum Begriff „Schwere der Schuld" sind unterschiedlich und erscheinen gelegentlich als nicht konsistent. Einigkeit besteht jedenfalls darin, daß ein vom allgemeinen Strafrecht erheblich abweichender Maßstab anzulegen sei und insofern das Schwergewicht mehr auf subjektiven und persönlichkeitsbegründeten Faktoren im Verhältnis des Täters zur Tat als auf deren (Erfolgs-)Schwere liegen solle. Dabei sei generell der „Grad der Schuldfähigkeit" zu beachten; so sollen im einzelnen zum Beispiel solche Gegebenheiten, die eine Minderung der Schuldfähigkeit (§21 StGB) begründen oder eine nur an der unteren Grenze der strafrechtlichen Verantwortlichkeit (§ 3 JGG) liegende geistige oder sittliche Reife annehmen lassen, zur Verneinung der Voraussetzung „Schwere der Schuld" führen können. b) Die beiden möglichen Voraussetzungen der Verhängung von Jugendstrafe weisen in ihrer Gegenüberstellung auf die Zweckdivergenz zwischen Erziehung und Schuldausgleich hin. Diese Zweckdivergenz wird dann besonders deutlich, wenn die Schuld - im Unterschied zu der weit überwiegenden Zahl der Fälle - nicht als ein Symptom „schädlicher Neigungen" gewertet wird. Dabei nämlich kommt es darauf an, ob eine Verhängung von Jugendstrafe allein wegen „Schwere der Schuld" erforderlich scheint und/oder mit dem Erziehungsauftrag des Jugendstrafrechts vereinbar ist. Die Beantwortung dieser Frage mag zugleich eine Stellungnahme dazu bedeuten, ob im Jugendstrafrecht eine „echte" Kriminalstrafe zulässig ist, die gegebenenfalls allein die Funktion hat, dem Täter als Ausgleich schuldhaften Unrechts ein Übel zuzufügen.

Der BGH läßt die Verhängung von Jugendstrafe wegen „Schwere der Schuld" nur dann zu, wenn dies auch aus erzieherischen Gründen erforderlich ist (BGHSt. 15, 224; deutlicher BGHSt 16, 261 [263]; ebenso BGH StVert 1981, 130 sowie 240 und 241; s. aber auch BGH NJW 1972, 693); der Erziehungsgedanke dürfe gegenüber dem „Sühnegedanken" nicht soweit außer acht gelassen werden, daß die Jugendstrafe zu einer reinen Schuldstrafe werde, sondern es seien stets der Erziehungsgedanke und das Wohl der Betroffenen zu beachten. Diese Auffassung, die von Vertretern der Lehre überwiegend abgelehnt wird, steht zwar dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 JGG entgegen, indem sie der Voraussetzung der „Schwere der Schuld" eine selbständige Bedeutung gegenüber der Voraussetzung der „schädlichen Neigungen" versagt; hingegen entspricht sie dem in mehreren Bestimmungen des J G G zum Ausdruck kommenden Vorrang des Erziehungsgedankens und den allgemeinen jugendrechtlichen Zielen von Schutz, Förderung und Integration (zum Inhalt dieser Ziele s. Eisenberg 1980). c) Seit dem Jahre 1966 ist ein Anstieg der Häufigkeit der Verhängung der Jugendstrafe insgesamt zu verzeichnen. In den Jahren 1972 bis 1976 betrug der Anteil der Jugendstrafe innerhalb der wegen eines Verbrechens oder Vergehens nach Jugendstrafrecht Verurteilten 15,4%, 16,0%, 16,1%, 16,5 %, 16,7 %, und sank sodann von 1977 bis 1979 auf 15,6%, 15,0% und 14,2% (StrafSt R 1 jeweils Tab. 3.8). Hingegen ist der Anteil der Jugendstrafe von unbestimmter Dauer an Jugendstrafen insgesamt rückläufig; er betrug im Jahre 1955 noch 22,0 %, im Jahre 1966 schon weniger als 11 % und belief sich in den Jahren 1972 bis 1978 auf 5,2%, 3 , 9 % , 3,4%, 3 , 1 % , 2,8%, 2,6% und 2,2% (StrafSt. Tab. 4, seit 1975 Tab. 3.8). Diese rückläufige Tendenz mag auf der Kenntnis der Jugendgerichte von den Schwierigkeiten beruhen, während des Vollzugsablaufs eine aus erzieherischer Sicht angezeigte Haftdauer festzulegen. 2. Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate (§ 18 Abs. 1 S. 1 JGG). Bezogen auf das Verhältnis von Vollzugsdauer und Wirksamkeit der Jugendstrafe wird aufgrund mehrerer Untersuchungen überwiegend angenommen, eine Jugendstrafe von weniger als sechs Monaten Dauer habe eine geringere Wirksamkeit als eine solche von sechs Monaten Dauer und mehr; darüber hinaus sei eine nachhaltige erzieherische Einwirkung erst bei einer Vollzugsdauer von einem Jahr an zu erreichen (vgl. schon Schaffstein 1968, S. 66ff.). Jedoch kann bei vorsichtiger Interpretation nicht davon ausgegangen werden, eine vergleichsweise kürzere oder längere Vollzugsdauer stehe mit einer vergleichsweise höheren oder geringeren Rückfälligkeit in „erzieherisch" bedingendem Zusammenhang. Hingegen läßt sich durch eine Einschränkung der Jugendstrafe von kürzerer Dauer erreichen, daß

Strafen und Maßregeln der Vollzugsablauf weniger von ständiger Fluktuation der Gefangenen strapaziert wird. a) Das Höchstmaß der Jugendstrafe von bestimmter Dauer ist im Grundsatz auf fünf Jahre festgelegt (§18 Abs. 1 S. 1 JGG), weil vermutet wird, eine längere Strafdauer sei auf keinen Fall mehr erzieherisch sinnvoll. Was das für bestimmte schwere Verbrechen Jugendlicher und generell für Heranwachsende geltende Höchstmaß von zehn Jahren angeht, (§§ 18 Abs. 1 S. 2,105 Abs. 3 JGG), so steht dieses in Widerspruch zum Erziehungsgedanken. Von den in den Jahren 1976 und 1978 verhängten 17 441 und 18 266 Jugendstrafen von bestimmter Dauer entfielen auf die Höhe von sechs Monaten 3351 und 3567 ( = 19,2% und 19,5%), von sechs Monaten bis einschließlich neun Monaten 3811 und 4126 (= 21,9 % und 22,6 %), von neun Monaten bis einschließlich einem Jahr 5436 und 5621 (= 31,2 % und 30,8 %) sowie von einem Jahr bis einschließlich zwei Jahren 3560 und 3583 (= 20,4 % und 19,6 %) (StrafSt 1976, 92f.; 1978, 94f.). b) Eine Verurteilung zu Jugendstrafe von unbestimmter Dauer setzt voraus, daß als Höchstmaß eine Strafe von nicht mehr als vier Jahren geboten ist, daß sich aber zur Zeit des Urteilsspruchs noch nicht voraussehen läßt, welche Zeit zur Erziehung erforderlich ist (§ 19 Abs. 1 JGG). Dabei kann das Gericht ein sechs Monate Dauer (§ 18 Abs. 1 S. 1 JGG) überschreitendes Mindestmaß und/oder ein vier Jahre unterschreitendes Höchstmaß festlegen (§ 19 Abs. 2 S. 2, 3 JGG; vgl. auch RL Nr. 4 zu § 19 JGG). In der kriminologischen Sanktions- und Behandlungsforschung ist weithin anerkannt, daß pädagogische und therapeutische Bemühungen unter Freiheitsentzug kaum sinnvoll sein können, wenn und solange die Probanden sich in Ungewißheit hinsichtlich des Entlassungszeitraums befinden. Darüber hinaus ist die Vorstellung, der Erzieher und/ oder der Anstalts- sowie der Vollstreckungsleiter seien aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung in der Lage, einen tatsächlichen Integrationsprozeß der Gefangenen von einer Scheinanpassung zu unterscheiden, nur eingeschränkt vertretbar. Das Erkenntnisproblem wird zusätzlich dadurch verschärft, daß ein Integrationsprozeß betreffend formelle Anstaltsnormen in keiner Weise mit einem solchen betreffend allgemeine gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen identisch zu sein braucht. Insofern muß es sich in Fällen des Irrtums nicht einmal um eine mangelnde Qualifikation der genannten Bediensteten oder Richterperson handeln. 3. a) aa) Für den Vollzug der Jugendstrafe (s. näher Böhm 1979, S. 522 ff.; Haesler 1979, S. 535 ff.), dessen Ausgestaltung im einzelnen seither ohne Gesetz im förmlichen Sinne geschieht (s. aber BJM 1980), bestehen in der Regel besondere Jugendstrafanstalten (§ 92 Abs. 1 JGG; s. aber §§ 92

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Abs. 2 S. 1 JGG und 114 JGG). In der Praxis wird vielfach schon deren räumliche Beschaffenheit als ungeeignet bezeichnet; nur gelegentlich finden sich kleinere Anstalten unter baulicher Verwirklichung der Voraussetzungen des Wohngruppen-Systems. Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, den Vollzug „in geeigneten Fällen weitgehend in freien Formen" (§91 Abs. 3 JGG) durchzuführen, ist nur eingeschränkt verwirklicht. bb) Was die personelle Ausgestaltung angeht, so haben Fragen der Auswahl wie auch der Aus- und Weiterbildung der Bediensteten wegen der besonderen Aufgaben des Jugendstrafvollzugs eine gegenüber dem allgemeinen Strafvollzug eher noch größere Bedeutung (vgl. §91 Abs. 4 JGG). Nach dem Gesetzeswortlaut (§ 91 Abs. 2 S. 2 und 3 JGG) sind die beruflichen Leistungen des Verurteilten zu fördern und Lehrwerkstätten einzurichten. In der Praxis des Jugendstrafvollzuges hat der Bereich der schulischen Ausbildung zwar einen höheren Stellenwert als im Erwachsenenstrafvollzug und das Angebot an Lehrbetrieben ist in der Mehrzahl der Jugendstrafanstalten relativ umfassender als im Erwachsenenstrafvollzug. Jedoch werden diese Einrichtungen als kaum zureichend beurteilt. b) Das allgemeine Erziehungsziel der Jugendstrafe, nämlich ein „rechtschaffener Lebenswandel" (vgl. §§19 Abs. 1 a . E . , 21 Abs. 1 S. 1 a . E . , 88 Abs. 1, 89 Abs. 1, 91 Abs. 1 JGG) sowie ein „rechtschaffener Mensch" (vgl. §97 Abs. 1 JGG), ermangelt nicht nur hinreichender Bestimmtheit, sondern wird hinsichtlich einer Relevanz für zukünftige Legalbewährung angezweifelt. Die genannten Begriffe bieten einen vergleichsweise breiten Spielraum zur Durchsetzung solcher erwünschter Ziele, die mit (objektiven) Erziehungsinteressen der Betroffenen nicht in Einklang stehen müssen. c) aa) Die Durchführung des Vollzugs der Jugendstrafe ist insofern erschwert, als die Funktion der Jugendstrafe sowohl Übelzufügung als auch Erziehung sein soll, wobei sich die genannten Zwecke nur dann vereinbaren ließen, falls diese Rechtsfolge als Teil einer Erziehungsstrategie innerhalb einer pädagogischen Konzeption ausgestaltet wäre. Hingegen verdeckt das Wort Erziehungsstrafe den Umstand (vgl. Peters 1966, 56) daß es (jedenfalls auch) um die Anwendung von Kriminalstrafe geht, also einer Sanktion, die in ihrer Zielrichtung auf den Sozialvorwurf und die Minderung der Sozialstellung gerichtet ist; damit aber begründet sie eine Einstellung gegenüber dem Delinquenten, die einem erziehungspsychologisch gebotenen Verhältnis von vornherein widerspricht (s. dazu Eckert 1982, 135ff.). - So wird der (geschlossene) Jugendstrafvollzug vielfach als dem Erwachsenenstrafvollzug ähnlich beurteilt. Angebote zu systematischen pädagogischen oder therapeutischen Bemühungen bestehen nur vereinzelt; soweit dies etwa zur Behandlung von Drogenabhängigen der Fall ist, so kumulieren die allgemeinen Divergenzen im

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methodischen Vorgehen mit behandlungsabträglichen strukturellen Bedingungen der Jugendstrafanstalten. bb) Vergleichsweise häufig finden sich Elemente eines Stufenstrafvollzuges, der vielfach als Progressiwollzug bezeichnet wird. Diese Vollzugsausgestaltung wird unter anderem damit zu begründen versucht, es sollten Erziehungsmängel durch ein zeitlich gedrängtes (erneutes oder nachträgliches) Durchlaufen verschiedener Entwicklungsphasen ausgeglichen werden. 4. Ähnlich wie bei der Freiheitsstrafe wird auch bei der Jugendstrafe die Schwere des Eingriffs sowie möglicher negativer Auswirkungen des Vollzuges oder des vollständigen Vollzuges durch Formen der Aussetzung zur Bewährung reduziert; dabei wird - im Unterschied zur Freiheitsstrafe - zwischen Aussetzung der Verhängung und Aussetzung der Vollstreckung unterschieden. a) aa) Die gesetzlichen Voraussetzungen der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung bestehen darin, daß das Gericht Zweifel daran hat, ob schädliche Neigungen in einem Ausmaß vorliegen, daß Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel nicht ausreichen (§27 JGG). Wird während der Bewährungszeit der Zweifel, der Anlaß zur Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe war, zum Nachteil des Betroffenen ausgeräumt, so erkennt das Gericht aufgrund einer neuen, allein den Strafausspruch betreffenden Hauptverhandlung auf diejenige Jugendstrafe, „die es im Zeitpunkt des Schuldspruchs bei sicherer Beurteilung der schädlichen Neigungen des Jugendlichen ausgesprochen hätte" (§30 Abs. 1 S. 1 a. E. JGG). Hiernach gilt es als unzulässig, die schlechte Führung des Jugendlichen und/oder eine etwaige erneute Straffälligkeit während der Bewährungszeit, welche letztere einer getrennten Aburteilung unterliegt, zum selbständigen Strafgrund zu machen; hingegen soll es zulässig und auch geboten sein, solche zwischenzeitlich eingetretenen Umstände zur Beurteilung der Persönlichkeit des Betroffenen einzubeziehen. Die Dauer der Bewährungszeit von höchstens zwei Jahren (§28 Abs. 1 JGG) bei der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe ist wegen der Belastung hinsichtlich der zukünftigen jugendgerichtlichen Entscheidung aus rechtsstaatlichen Gründen kürzer als bei der Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe. Im Falle der nachträglichen Verhängung einer Jugendstrafe darf deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt werden (§30 Abs. 1 S. 2 JGG); dieses Verbot mag als inkonsistent erscheinen. Was die Anwendungshäufigkeit angeht, so wird verschiedentlich angenommen, sie müsse schon deshalb vergleichsweise gering bleiben, weil der Jugendrichter verfahrensrechtlich verpflichtet ist, umfangreiche Erhebungen über personale und soziale Merkmale durchzuführen, so daß Zweifel betreffend den Umfang von „schädlichen Neigungen"

dadurch in der Regel ausgeschlossen werden könnten. Demgegenüber ist nicht zu verkennen, daß die Feststellung, ob „schädliche Neigungen" überhaupt vorliegen und welchen Umfang sie haben, aus empirischer Sicht nur selten mit hinreichender, Zweifel ausschließender Sicherheit wird beantwortet werden können, und zwar unabhängig von der Ausführlichkeit der genannten Erhebung. Somit ließe sich vermuten, bereits die Verhängung der Jugendstrafe werde vergleichsweise häufig ausgesetzt, zumal davon auszugehen sein wird, daß die Zurückstellung der gerichtlichen Bejahung des in Frage stehenden Umfanges „schädlicher Neigungen" zusätzlich belastende Auswirkungen auf den Betroffenen zu vermeiden vermag; dem steht die Ungewißheit hinsichtlich der Höhe einer etwa zu verhängenden Jugendstrafe gegenüber. Der tatsächlich zurückhaltende Gebrauch der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe mag auf Schwierigkeiten darin beruhen, Betroffenen - zumal solchen aus sozio-ökonomisch unteren und untersten Herkunfts- oder Bezugsgruppen - verständlich zu machen, warum es nach einem gewissen Zeitraum zur Verhängung der Jugendstrafe kommen kann; im übrigen mögen Probleme der Anrechnung, falls nämlich eine neue Straftat begangen wird, und nicht zuletzt solche hinsichtlich der Zulässigkeit eines Sicherungshaftbefehls (§ 453 c StPO) relevant sein. - Unmittelbare statistische Angaben über die Häufigkeit der Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe liegen nicht vor; solche finden sich jedoch im Zusammenhang mit den Zugängen bei der Bewährungshilfe. Hierfür beliefen sich die Zahlen für Probanden in den Jahren 1972 bis 1976 auf 1272, 1391, 1285, 1421 und 1459, für Unterstellungen in den Jahren 1977 bis 1979 auf 2996, 3328 und 3607 (BewHiSt 1972-1979, jeweils Tab. 2). bb) Die Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung ist als Regel bei der Verurteilung zu einer bestimmten Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr möglich, sofern eine günstige Prognose sowohl hinsichtlich eines Warnungseffekts schon durch die Verurteilung als auch hinsichtlich einer zukünftigen Legalbewährung „auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges" vorliegt (§ 21 Abs. 1 S. 1 JGG). Hierbei geht der Gesetzeswortlaut von der Vorstellung aus, die Vollstrekkung einer Jugendstrafe sei generell geeignet, eine zukünftige Sozial- und Legalbewährung - von der Haftzeit abgesehen - positiv zu beeinflussen; für eine solche Annahme fehlt es an empirischen Belegen. - Als eingeschränkte Möglichkeit kann die Vollstreckung einer bestimmten Jugendstrafe auch von bis zu zwei Jahren Dauer ausgesetzt werden (§ 21 Abs. 2 JGG). Dieser erweiterte Anwendungsbereich soll im Jugendstrafrecht in eher größerem Maße als im Erwachsenenstrafrecht (§56 Abs. 2 StGB) Ausnahmecharakter (vgl. BGHSt. 24, 360 [362]) haben und in der Regel wohl eher bei Verhängung von Jugendstrafen wegen „Schwere der

Strafen und Maßregeln Schuld" relevant sein; wenn nämlich die Verhängung von Jugendstrafe mit einer Dauer von mehr als einem Jahr wegen „schädlicher Neigungen" geschieht, so dürfte es häufig an einer günstigen Prognose fehlen. Die besondere Regelung, daß die Anordnung der Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung nicht nur im Urteil, sondern - im Unterschied zum Erwachsenenstrafverfahren (§§260 Abs. 4 S. 4, 268 a Abs. 1 StPO) - auch nachträglich durch Beschluß (§57 Abs. 1 S. 1 JGG) getroffen werden kann, mag in solchen Fällen sinnvoll sein, in denen für die Entscheidung zusätzliche Informationen oder Erkenntnisse benötigt werden, die nach der Hauptverhandlung noch nicht vorliegen. Hingegen werden erziehungspsychologische Bedenken dagegen bestehen, die Aussetzung nur deshalb noch nicht im Urteil anzuordnen, um dem Jugendlichen zunächst eine zusätzliche Warnung zu vermitteln oder ihn im unklaren darüber zu belassen, ob Vollstreckung oder Aussetzung der Vollstreckung eintreten wird. - Was die Dauer der Bewährungszeit angeht (§22 Abs. 1 JGG), so beruht die im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht (§56 a StGB) kürzere Höchstfrist auf der Überlegung, daß eine über den Zeitraum von drei Jahren hinausgehende Dauer erzieherisch nicht mehr wirksam, sondern eher abträglich sein würde (vgl. jedoch auch §22 Abs. 2 S. 2 JGG). Der Anteil der Verurteilungen zu bestimmter Jugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, hat sich seit dem Jahre 1953 nahezu verdoppelt. Diese Tendenz entspricht zwar vordergründig (nur) der Entwicklung bei der Freiheitsstrafe, ist aber insofern unterschiedlich, als der Anteil der Jugendstrafe an allen jugendstrafrechtlichen Verurteilungen vom Jahre 1970 an angestiegen ist, während bezüglich der Freiheitsstrafe eine entgegengesetzte Entwicklung zu verzeichnen ist. Der Anstieg der Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung an allen jugendstrafrechtlichen Verurteilungen hat sich nahezu verdreifacht. - Im einzelnen ist in den Jahren 1976 und 1978 bei der Jugendstrafe von sechs Monaten in 81,9% (abs. 2744 von 3351) und 84,3 % (abs. 3008 von 3567), bei der Jugendstrafe von mehr als sechs bis zu neun Monaten in 78,9 % (abs. 3009 von 3811) und 81,3 % (abs. 3353 von 4126), bei der Jugendstrafe von mehr als neun Monaten bis zu einem Jahr in 73,6% (abs. 4002 von 5436) und 75,4% (abs. 4241 von 5621) und bei der Jugendstrafe von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren in 20,5 % (abs. 725 von 3560) und 23,0% (abs. 825 von 3583) der Fälle die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden (StrafSt. R 3 1976, 92f.; 1978, 94f.). cc) Die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Jugendstrafe von bestimmter Dauer (§ 88 JGG) setzt voraus, daß eine günstige Prognose vorliegt und daß mindestens sechs Monate - bei Jugendstrafe von mehr als einem Jahr mindestens

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ein Drittel der Strafe - vollstreckt worden ist; vor Vollstreckung von sechs Monaten Dauer ist die Aussetzung nur aus „besonders wichtigen Gründen" möglich (§88 Abs. 1, 2 JGG). - Die Aussetzung des Restes einer Jugendstrafe von unbestimmter Dauer setzt voraus, daß das Mindestmaß vollstreckt ist und eine günstige Prognose vorliegt (§19 Abs. 3 i.v. m. §89 Abs. 1, 2 JGG); in besonderen Ausnahmefällen kann auf die Aussetzung des Strafrestes verzichtet und sofort die endgültige Entlassung angeordnet werden (§89 Abs. 4 JGG). Dabei wird jeweils die unbestimmte in eine bestimmte Jugendstrafe umgewandelt. Die bedingten Entlassungen gemäß §§88, 89 JGG beliefen sich - bezogen auf die Gesamtzahlen der Abgänge aus dem Jugend- und Freiheitsstrafenvollzug - in den Jahren 1976-1978 auf 3979 von 68 181, 3549 von 63 219 und 4087 von 64 968; die Gesamtzahlen der bedingten Entlassungen aus Jugend- und Freiheitsstrafenvollzug (einschließlich Sicherungsverwahrung) im Wege der Gnade betrugen in den genannten Jahren 1707, 1619 und 1932, die Verhältniszahlen 9,5, 9,4 und 10,4 (Angaben des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden, Schreiben vom 7.1.1980). b) aa) Bei sämtlichen Formen der Aussetzung wird der Betroffene der Aufsicht und Betreuung eines Bewährungshelfers unterstellt (§§29 S. 1, 88 Abs. 5 S. 1, 89 Abs. 3 JGG). Auch die sonstigen rechtlichen Möglichkeiten zur Ausgestaltung der verschiedenen Formen der Aussetzung sind, mit Ausnahme der Dauer der Bewährungszeit bei der Aussetzung der Verhängung von Jugendstrafe (§ 28 JGG), einheitlich (§§29 S. 2, 23, 88 Abs. 5 S. 2, 89 Abs. 3 JGG). Das Gericht „soll" (§23 Abs. 1 S. 1 JGG) in der Regel Weisungen erteilen; inhaltlich handelt es sich bei den Weisungen um solche im Sinne der Erziehungsmaßregeln (§§ 9 Nr. 1, 10 JGG). Bei den Auflagen, die das Gericht erteilen „kann" (§23 Abs. 1 S. 2 JGG), handelt es sich um solche im Sinne der Zuchtmittel (§§13 Abs. 2 Nr. 2, 15 JGG). - Das Gericht sieht in der Regel von Weisungen oder Auflagen vorläufig ab, wenn „der Jugendliche Zusagen für seine künftige Lebensführung" macht oder „er sich zu angemessenen Leistungen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht d i e n e n , . . . erbietet" (§23 Abs. 2 JGG), und wenn die Erfüllung der Zusagen oder des Anerbietens zu erwarten ist; während diese Regelung aus erzieherischer Sicht damit begründet wird, daß eine freiwillige Anstrengung größeren Erfolg erwarten läßt als eine gerichtlich auferlegte, so ist nicht zu übersehen, daß sie einen Vorteil für diejenigen Verurteilten bedeutet, die in der Lage sind, entsprechende Erklärungen abzugeben und einzuhalten. bb) Bei Verstößen gegen Bewährungsanweisungen und/oder -auflagen wird die Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung nur dann widerrufen, wenn es sich um besonders schwere Verstöße

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handelt (§§23 Abs. 1 S. 4, 26 Abs. 1, 88 Abs. 5, 89 Abs. 3 JGG) und die Möglichkeiten der Verlängerung der Bewährungszeit oder der Erteilung weiterer Weisungen oder Auflagen (§ 26 Abs. 2 JGG) nicht ausreichen. - Was den (nur bedingten) Widerrufsgrund der Begehung einer Straftat in der Bewährungszeit (§ 26 Abs. 1 Nr. 1 JGG) angeht, so gelten die nachfolgenden Ausführungen bezüglich der Freiheitsstrafe entsprechend (s. zudem OLG Hamm NJW 1973, 911; OLG Celle MDR 1971, 778; OLG Koblenz BlAlk. 1981, U l f . ) .

4.

Freiheitsstrafe

1. a) Seit 1969 besteht eine einheitliche Freiheitsstrafe (anstelle der vorherigen unterschiedlichen Freiheitsstrafen: Zuchthaus, Gefängnis, Einschließung, Haft). Wenngleich mit Verhängung dieser Strafe keine unterschiedlichen Kategorien von Strafvollzugsanstalten festgelegt sind, ist faktisch weiterhin eine Kategorisierung zu verzeichnen, und zwar auf der Grundlage des Vollstreckungsplanes. In dessen Rahmen bestimmen die Landesjustizverwaltungen die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vollzugsanstalten „im übrigen" nach „allgemeinen Merkmalen" (§ 152 Abs. 3 StVollzG). Ein wesentliches Kriterium ist dabei, neben räumlichen Faktoren, die Vollzugsdauer, die sich wiederum wesentlich nach Vorstrafen und nach der letzten Straftat bestimmt. Dem entsprechen Klassifikationen von Verurteilten, die teilweise in erster Linie Intentionen einer nach dem Sicherungsbedürfnis und den Prinzipien eines reibungslosen und kostensparenden Vollzugsablaufs vorgenommenen Staffelung der Gefangenen folgen. - Auch soweit Klassifikationen gemäß kriminalpädagogischer oder -therapeutischer Zielrichtung angestrebt werden, so können sich Bedenken im Hinblick auf statische Eigenschaften ergeben, die jeder Klassifikation innewohnen und die bereits mit der Klassifizierung eine (zusätzliche) negative oder aber positive Zuschreibung bewirken. b) Das Verhältnis der Anteile von Freiheitsstrafe und Geldstrafe hat sich (in Deutschland) ausweislich kriminalstatistischer Anhaltspunkte innerhalb eines knappen Jahrhunderts umgekehrt. Während im Jahre 1882 noch 76,8 % der Hauptstrafen auf Freiheitsstrafe und 22,2 % auf Geldstrafe entfielen (RKrSt. 1928, 65, 69), betrugen die Anteile der vollstreckten Freiheitsstrafen - einschließlich der Fälle des Widerrufs der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung und derjenigen der Ersatzfreiheitsstrafe - Mitte der 70er Jahre dieses Jahrhunderts etwa 12 % und diejenigen der Geldstrafe - abzüglich der Fälle der Ersatzfreiheitsstrafe - etwa 80%. Deliktsstrukturell bestehen erhebliche Unterschiede sowohl hinsichtlich der Verteilung von Frei-

heitsstrafe und Geldstrafe als auch - innerhalb der Verurteilungen zu Freiheitsstrafe - hinsichtlich der Anteile der Aussetzungen der Strafvollstreckung zur Bewährung. Dabei läßt sich bei einer Grobeinteilung erkennen, daß das Ausmaß des Eingriffs zum Beispiel bei Straßenverkehrsdelikten besonders gelinde, bei Diebstahlsdelikten hingegen besonders schwer ist. 2. a) Die Freiheitsstrafe ist stets dann, wenn das Gesetz nicht lebenslange Freiheitsstrafe androht, eine zeitige mit dem Mindestmaß von einem Monat und dem Höchstmaß von 15 Jahren (§ 38 Abs. 1, 2 StGB). Während das Mindestmaß im Falle der Ersatzfreiheitsstrafe (§ 43 S. 3 StGB) unterschritten werden darf, gilt das Höchstmaß auch für die aus zeitigen Freiheitsstrafen gebildete Gesamtstrafe (§54 Abs. 2 S. 2 StGB). Hingegen enthalten die einzelnen Straftatbestände häufig ein höheres Mindestmaß und ein geringeres Höchstmaß. Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten Dauer darf (seit den Reformgesetzen aus dem Jahre 1969) nur dann verhängt werden, wenn dies aus den im Gesetz näher bezeichneten Gründen als „unerläßlich" erscheint (§47 Abs. 1 StGB; Grundsatz der ultima ratio). Diese Einschränkung kurzzeitiger Freiheitsstrafen wurde damit begründet, eine kurze Freiheitsstrafe schade in spezialpräventiver Hinsicht in der Regel mehr als sie nütze; während der Verurteilte wie bei der längerfristigen Freiheitsstrafe aus seiner sozialen Umwelt herausgenommen und durch Stigmatisierung und Kontakt mit anderen Gefangenen gefährdet werde, fehle es an der notwendigen Zeitdauer im Strafvollzug für eine „resozialisierende" Einwirkung. An hinreichenden empirischen Belegen für diese oder jene Auswirkung kurzzeitiger Freiheitsstrafe fehlt es, und zwar selbst bezüglich Erstbestrafter. Auch wird für Wirtschafts- wie auch für Verkehrsstraftäter angenommen, die kurzzeitige Freiheitsstrafe könne zur „Aufrüttelung" oder als Schock eine durchaus sinnvolle Funktion erfüllen, zumal bei im allgemeinen sozial angepaßten Verurteilten. - Unstreitig bereiten kurzzeitige Freiheitsstrafen der Vollzugsverwaltung im Verhältnis zu längerfristigen Freiheitsstrafen, statistisch betrachtet, ungleich mehr Aufwand. b) Während verschiedene Straftatbestände eine lebenslange Freiheitsstrafe androhen, wird sie in der Praxis ganz überwiegend wegen Mordes (§211 StGB) verhängt. Diesbezüglich widerspricht es dem Charakter der lebenslangen Freiheitsstrafe als einer absoluten Strafe, daß die Bewertung eines zum Tod eines Menschen führenden Delikts als Mord oder aber als eine andere Straftat von Ungewißheit gekennzeichnet ist. Diese Ungewißheit beruht schon auf strafrechtsdogmatisch unbestrittenen Implikationen der Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag; auch wird angenommen, daß außerhalb der Tatbegehung liegende Kriterien und Tendenzen unterschiedlicher Zuschreibung im Ablauf des gesamten sozialen Reaktionsprozesses von Bedeutung sei-

Strafen und Maßregeln en. - Verläßliche Angaben über das Ausmaß der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch den Vollzug lebenslanger Freiheitsstrafe liegen nicht vor (vgl. Jescheck/Triffterer 1978). Nach (nunmehr) geltendem Recht (§57 a StGB [eingeführt durch 20. Strafrechtsänderungsgesetz vom 8.12.1981, in Kraft seit 1.5.1982]) ist eine Entlassung von zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten durch Richterspruch möglich (vgl. auch die vorausgegangene Entscheidung BVerfG NJW 1977,1525 [1529 f.]). Der Gnadenweg bleibt weiterhin bestehen (die Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit abschlägiger Gnadenentscheidungen ist von einzelnen Gerichten bejaht worden [HessStGH NJW 1974, 791; BayVGH NJW 1966, 443; s. aber auch BVerfGE 25, 351 ff. sowie BVerfGE 30, 111]). - Empirische Anhaltspunkte über die zukünftige Legalbewährung von aus lebenslanger Freiheitsstrafe Entlassenen sind insoweit kaum verallgemeinerungsfähig, als die Probandenstruktur aufgrund strafrechtlicher Gegebenheiten nicht unerheblichem Wandel unterliegt; auch können sich entsprechende Untersuchungen notwendigerweise nur auf denjenigen Teil der jeweiligen Verurteiltenoder Gefangenengruppen beziehen, der gemäß den Kriterien der Prognosestellung oder denjenigen der (jeweiligen) Gnadenpraxis ausgewählt worden ist, wobei in die Gnadenpraxis gerade auch Kriterien der Prognosestellung eingehen (HessStGH NJW 1974, 793 r. Sp.). 3. a) aa) Bezüglich des Vollzuges der Freiheitsstrafe (s. näher Granau 1975, S.268ff.; Einsele 1975, S.608ff.; Schneider 1979, S. 495ff.) sind die Landesjustizverwaltungen verpflichtet, Justizvollzugsanstalten in bestimmten Formen räumlicher Größe und Beschaffenheit bereitzustellen (§§ 139ff., bes. §§143f. StVollzG; s. aber die de facto-Wirkung des §201 StVollzG). Diesbezüglich sind Belastungen für Vollzugsziele und -geschehen daraus entstanden, daß die Anzahl der Justizvollzugsanstalten zumindest seit Beginn der 60er Jahre im Bundesgebiet insgesamt sowie in den Flächenstaaten zunehmend verringert worden ist. Diese Entwicklung hat in den genannten Bezugskategorien zu einer durchschnittlich höheren Belegungszahl der Anstalten geführt (vgl. hierzu § 14 Abs. 3 StVollzG). In den Stadtstaaten ist eine gegenläufige Entwicklung zu verzeichnen. - Die Strafe soll im offenen Vollzug vollstreckt werden, soweit dem keine in der Person des Verurteilten liegenden Umstände entgegenstehen (§ 10 StVollzG). Bei der Zuteilung werden statische Komponenten im Vordergrund stehen, soweit auf die Variablen Deliktsart, Alter und Vollzugsdauer abgestellt wird. Das zentrale Interesse der Praxis besteht darin, solche Täter auszuwählen, die als ungefährlich gelten; diesbezüglich ist die Bedeutung der Vorstrafenbelastung allein in Frage gestellt worden (Rüther/Neufeind 1978, S. 372). - Für das Jahr 1978 wird berichtet, daß in Nordrhein-Westfalen ein Drittel aller

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erwachsenen Strafgefangenen in Einrichtungen des offenen Vollzuges untergebracht seien; dieses Bundesland verfüge damit über 59,3 % der im Bundesgebiet innerhalb offener Einrichtungen bestehenden Haftplätze (ZStrafvollz 29 [1980], 41). Hinsichtlich der räumlichen Unterbringung der Gefangenen besteht eine Trennung zwischen Strafanstalten für männliche und solche für weibliche Personen. Dabei sind Strafanstalten für Frauen wegen ihrer geringeren Kapazität sowohl hinsichtlich der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen als auch betreffend die Eignung des Personals vergleichsweise besonders ungünstig ausgestattet (Einsele 1975, S. 641 f., 647). bb) Den Landesjustizverwaltungen obliegt ferner die Pflicht, die Justizvollzugsanstalten mit dem erforderlichen Fachpersonal auszustatten (§ 155 Abs. 2 StVollzG). Das Personal innerhalb der Strafanstalt läßt sich nach seiner Funktion in den Verwaltungsdienst, den allgemeinen Vollzugsdienst, den Werkdienst und den Sozialdienst trennen. Generell zeichnen sich Strafvollzugsanstalten durch einen erheblichen personellen Mangel aus. Dies gilt neben dem allgemeinen Vollzugsdienst insbesondere für den Bereich des Sozialdienstes; zwar ist das zahlenmäßige Verhältnis von Mitgliedern des Sozialdienstes zur Zahl der Gefangenen seit Mitte der 60er Jahre geringfügig verbessert worden, jedoch dürften die relativen Anteile derjenigen Gefangenen, die wegen (häufiger) strafrechtlicher Vorbelastungen der Tätigkeit des Sozialdienstes in besonderem Maße bedürfen, im Zusammenhang mit der Zurückdrängung der kurzzeitigen Freiheitsstrafe angestiegen sein. - Zwischen den Bedienstetengrappen zeigen sich nahezu regelmäßig erhebliche Kommunikationsbarrieren, die bisweilen zur Entfremdung einzelner Gruppen untereinander führen. cc) Gemäß § 37 Abs. 3 StVollzG (zum Inkrafttreten s. § 198 Abs. 2 Nr. 1 StVollzG) soll geeigneten Gefangenen Gelegenheit zur Berufsausbildung, beruflichen Fortbildung und Umschulung gegeben werden. Dieses Ziel ist bisher nur eingeschränkt verwirklicht. Auch kommt es vor, daß Gefangene mit einer gewissen beruflichen Qualifikation mangels einschlägiger Beschäftigungsmöglichkeiten im Vollzug nur als ungelernte Hilfskräfte tätig werden oder jedenfalls nicht eine andere berufliche Ausbildung durchlaufen können. - Bezüglich der Gefangenen mit vergleichsweise kürzerer Strafdauer wird in der Praxis schon der Beginn einer Berufsausbildung gelegentlich mit der Begründung abgelehnt, die wenigen vorhandenen Ausbildungsplätze dürften nicht zum Nachteil von Gefangenen mit vergleichsweise längerer Strafdauer besetzt gehalten werden, da die Ausbildung ohnehin nicht abgeschlossen werden könne. Was die rechtliche Ausgestaltung der Fragen des Arbeitsentgelts und der sozialen Sicherung anbelangt, so sind die verbalisierten Grandsätze für die Durchführung des Vollzuges (§ 3 StVollzG) bisher

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nur sehr eingeschränkt verwirklicht (s. näher §§200, 43 Abs. 1 Satz 2, 44, 199 Abs.2 Nr. 1, 46 StVollzG bzw. §§ 198 Abs. 3, 191 - 193, aber auch §§ 194 Nr. 5, 45 sowie §§ 56-66 und 76-78 StVollzG; vgl. aber auch Entwurf eines 1. Gesetzes zur Fortentwicklung des Strafvollzuges, BT-Drucks. 9/566; s. hingegen BR-Drucks. 442/82). b) aa) Der Vollzugsablauf ist durch eine Vielzahl von Kontroll- und Sanktionierungsinstrumenten gekennzeichnet. - Disziplinarmaßnahmen können aufgrund eines schuldhaften Verstoßes gegen dem Gefangenen auferlegte Pflichten verhängt werden (§ 102 Abs. 1 StVollzG). Zu diesen Pflichten gehört nicht zuletzt die Arbeit (§ 41 StVollzG); dabei ergeben sich Bedenken insofern, als ein gewisser Anteil von Gefangenen der Arbeit möglicherweise eher (oder nur) aus Angst vor Sanktionen nachkommt und daher zu einer negativen Bewertung von Arbeit gelangen mag (hinsichtlich der Disziplinarmaßnahme des Arbeitsentzuges s. aber §103 Abs. 1 Nr. 7 StVollzG). Bei den Sanktionen handelt es sich vor allem um die zeitlich befristete Beschränkung allgemeiner Rechte des Gefangenen (§ 103 Abs. 1 Nr. 2-8 StVollzG) sowie um Arrest bis zu vier Wochen (§ 103 Abs. 1 Nr. 9 StVollzG), wobei letzterer zahlreiche Rechte des Gefangenen aussetzt (§ 104 Abs. 5 StVollzG). - Die Rechte der Gefangenen dürfen insoweit auch über die im einzelnen bestimmten gesetzlichen Eingriffsgrundlagen des StVollzG hinausgehend beschränkt werden, als dies „zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerläßlich" (§4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG) ist. Als für Sicherheit und Ordnung erhöht gefährdend beurteilte Gefangene dürfen in eine sichere Anstalt verlegt werden (§85 StVollzG). Bei einem erhöhten Maß an Gefährlichkeit stehen besondere Sicherungsmaßnahmen zur Verfügung, die - dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechend - im Gesetz abschließend genannt sind (§88 StVollzG). bb) Was den Rechtschutz der Gefangenen anbetrifft, so sind für die gerichtliche Überprüfung von Justizverwaltungsakten auf dem Gebiet des Erwachsenenstrafvollzuges Strafvollstreckungskammern zuständig (§ 78 a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GVG, § 109 StVollzG; s. hierzu auch §§462a, 463 StPO). Das Verfahren ist nach Art der möglichen Anträge und Entscheidungen dem allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Verfahren ähnlich. c) aa) Was die Ziele des Strafvollzuges anbetrifft, so soll darauf hingewirkt werden, daß der Gefangene fähig wird, „künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen" (§ 2 S. 1 StVollzG); diese Aufgabe ist als „Vollzugsziel" bezeichnet. Bei der Beurteilung dieses „Vollzugsziels" wie auch einer (etwaigen) Bildungs- und Sozialisationsfunktion der Strafvollzugsanstalten kommt dem Umstand erhebliche Bedeutung zu, daß etwa die Hälfte der gesamten Haftzeit in Unter-

suchungshaft verbracht wird. Während dieses Zeitraumes ist für entsprechende Bemühungen ohnehin kein Raum, wodurch die Landesjustizverwaltungen insoweit in erheblichem Ausmaß entlastet werden. - D a s genannte Vollzugsziel (ebenso wie die allgemeinen Gestaltungsgrundsätze des Vollzuges [§3 StVollzG]) gilt für zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte in gleicher Weise, ohne daß es dabei auf die Frage einer unmittelbar bevorstehenden Entlassung ankommt (LG Hamburg ZStrafvollz 27 [1978], 122 f.). Zugleich fragt es sich, nach welchen Wert- und Interesseninhalten welcher gesellschaftlicher Gruppen der Begriff „in sozialer Verantwortung" ausgefüllt werden könnte (ähnlich Stratenwerth 1979, S.907). Nach empirischen Anhaltspunkten haben Gefangene soziale Normen und Wertvorstellungen bezüglich tragender Rechtsgüter wie Eigentum, Freiheit, persönliche Unversehrtheit in der Regel internalisiert. Was die Nichteinhaltung von (statistisch vorherrschenden) sozialen Normen des Verhaltens im Leistungs-, Sozial- und Freizeitbereich angeht, so bleibt, unbeschadet einer Plausibilität, die Annahme einer spezifischen Relevanz für die Legalbewährung fraglich; bei Straftätern aus den Bereichen der Wirtschaftskriminalität oder des Organisierten Verbrechens wie auch von Staatsführungen als Tätergemeinschaften zum Beispiel scheint sich nämlich zu zeigen, daß Straffälligkeit nicht prinzipiell mit Mängeln der Sozialisation (in den genannten Bereichen) zusammenhängt. Im übrigen ist unstreitig, daß innerhalb der Gesellschaft unterschiedliche altersmäßige und sonstige soziale Gruppen mit unterschiedlichen Wert- und Interessensystemen sowie Verhaltensmustern bestehen; dabei könnte der Anspruch einer Sozialisierung an Normen anderer altersmäßiger oder sozio-ökonomischer Gruppen wohl nur als überhöht bezeichnet werden. Soweit bei einem Teil der Gefangenen Sozialisationsdefizite angenommen werden, kommt es nicht auf eine Wiederherstellung, sondern auf eine Nachholung von Sozialisation an; die Bestimmung von Sozialisationsdefiziten setzt allerdings ihrerseits eine Bewertung voraus. Für die ganz überwiegende Mehrheit der Gefangenen läßt sich lediglich feststellen, daß die von ihnen gewählten Methoden zur Erreichung allgemein erstrebter Ziele illegal waren, und daß die Anwendung dieser Methoden strafrechtlich verfolgt wurde. Dabei ist davon auszugehen, daß Verhalten als Methode zur Erreichung von Zielen oder zur Verwirklichung von Interessen wesentlich auch von Einstellungen abhängig ist. Einstellungen ihrerseits ändern sich (nur), wenn sich das Bewertungssystem verschiebt oder entwikkelt. Letzteres aber ist bevorzugt oder gar ausschließlich dann möglich, falls andere (positive) soziale Erfahrungen gemacht werden. Aus diesem Grunde ist eine wirksame Intervention kaum zu erwarten, solange der Gefangene aus der Gesell-

Strafen und Maßregeln schaft genommen wird und Möglichkeiten, soziale Belohnung zu erhalten, auf die Anstaltssituation beschränkt bleiben, zumal die innerhalb des Vollzugsgeschehens geläufige Reglementierung und Beschneidung von Handlungschancen eine soziale Bestrafung bedeuten. Zudem enthält schon das Strafurteil - erhöht in den Fällen der Anwendung des §48 StGB - den Vorwurf des Versagens und eine ausdrückliche Abwertung, so daß der von Zwangssymbolen gekennzeichnete Vollzugsablauf um so eher als repressiv und aggressiv empfunden werden mag; schon deshalb läßt sich annehmen, daß die Einstellung des Gefangenen gegenüber Bemühungen i. S. des § 2 Satz 1 StVollzG - die ihre Ausgangspunkte in der Achtung des Gefangenen nehmen müßten - von vornherein eher ablehnend sein wird. - Was im einzelnen die Behandlung von Drogenabhängigen angeht, so kumulieren die allgemeinen Divergenzen im methodischen Vorgehen mit behandlungsabträglichen strukturellen Bedingungen der Strafvollzugsanstalten. bb) Der Strafvollzug „dient", im Sinne eines gleichfalls spezialpräventiven Strafzwecks, auch dem „Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten" (§2 S. 2 StVollzG) während des Vollzugszeitraums. Die Verschiedenartigkeit dieser Intention gegenüber der eingangs genannten (§2 S. 1 StVollzG) spiegelt den prinzipiellen Widerspruch zwischen Eingliederungs- und Sicherungskonzept wieder. Dabei besteht in der Praxis, unbeschadet der Anerkennung der Pluralität von Vollzugszielen (anders §2 Abs. 1 AE-StVollzG), ein weiter Spielraum für die tatsächliche Ausgestaltung des Vollzugsgeschehens zugunsten der Ziele von Sicherheit und Ordnung; dem würde es entsprechen, wenn auf Seiten der Vollzugsverwaltung die Funktionsfähigkeit einer Strafanstalt überwiegend nach der Zahl der Entweichungen und weniger nach etwaigen Erfolgen der (Wieder-)Eingliederung beurteilt würde und wird. - So dominieren innerhalb der WStVollzG Einschränkungsbestimmungen (etwa zum offenen Vollzug, zu Vollzugslockerungen und zum Urlaub), von denen einzelne als gesetzwidrig beurteilt wurden (OLG Frankfurt NJW 1979, 2575 f.; OLG Celle JR 1978,258 [259]; OLG Frankfurt NJW 1978, 334f.; vgl. auch OLG Koblenz ZStrafvollz. 27 [1978], 123 [124]; OLG Hamburg ZStrafvollz. 27 [1978], 185; OLG Hamm ZStrafvollz. 28 [1979], 252 [LS]); zum Teil kehren sie das vom Gesetzgeber aufgestellte Regel-AusnahmeVerhältnis in sein Gegenteil um, indem sie einen Regelfall für die Ungeeignetheit als Grund für eine Versagung vorsehen. Tatsächlich ist der Strafvollzug in geschlossenen Anstalten auch in der Gegenwart dem Bestreben nach Sicherheit und Ordnung unterstellt; dies betrifft, wenngleich modifiziert, auch den halboffenen Vollzug (vgl. etwa Reinert 1972, S.64ff.; Jones/ Cornes 1977). Allerdings gilt dies weniger für die Aufgabe der Bediensteten der Sozialgruppe oder

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auch derjenigen des Werkdienstes; wenngleich es insofern zu Rollenkonflikten mit anderen Bedienstetengruppen kommt, würde es jedoch eine Überbewertung darstellen, wollte man für den Bereich tatsächlichen Vollzugsgeschehens generell von einem Zielkonflikt zwischen Belangen von Sicherheit und Ordnung einerseits und denjenigen von Behandlung andererseits ausgehen. cc) Als ein drittes Vollzugsziel mag sich ein Vergeltungsbestreben auswirken (vgl. etwa OLG Bamberg ZStrafvollz. 28 [1979], 122f.), und zwar als Ausdruck einer „Disfunktionalität des Strafrechtssystems" (Hassemer 1971, S.54). dd) Unabhängig von den vorgenannten Vollzugszielen besteht innerhalb der Gefängnisgesellschaft, das heißt bei Personal wie Gefangenen, ein tatsächlicher Zielkonflikt im Verhältnis von Sicherheit und Ordnung einerseits und reibungslosem Vollzugsablauf andererseits. Trotz der zwischen Bediensteten- und Gefangenengruppen bestehenden beiderseitigen Zurückhaltung oder auch (gruppengetragenen) Abneigung zwingt der Anstaltsalltag zu einem Arrangement. Ohne eine gewisse Flexibilität der Bediensteten läßt sich die Anstaltsleitung kaum aufrechterhalten. d) Für die Ausgestaltung des Vollzuges gemäß dem gesetzlich vorgesehenen „Vollzugsziel" sollen die Grundsätze der Angleichung des Lebens im Vollzug „soweit als möglich" an allgemeine Lebensverhältnisse (§3 Abs. 1 StVollzG), des Schutzes vor schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges (§3 Abs. 2 StVollzG) sowie der Ausrichtung auf Entlassung und Eingliederung (§ 3 Abs. 3 StVollzG) maßgebend sein. Diesem Bestreben folgend wird, nach der Vorstellung des Gesetzgebers, für jeden Gefangenen auf der Grundlage einer Behandlungsuntersuchung (§ 6 StVollzG) ein Vollzugsplan aufgestellt (§7 StVollzG). Bezüglich einer Behandlung sowie zur Erreichung der als „Vollzugsziel" bezeichneten Aufgabe geht der Gesetzgeber von der Notwendigkeit einer Mitwirkung des Gefangenen aus (§§4 Abs. 1, 6 Abs. 3 StVollzG). Andererseits besteht bezüglich der Gestattung der Selbstbeschäftigung (§39 Abs. 2 StVollzG) eine restriktive Tendenz; so kann die Gestattung von der Entrichtung eines Haftkostenbeitrages abhängig gemacht werden (§ 50 Abs. 2 StVollzG; s. im übrigen auch WStVollzG Nr. 3). aa) Unter der Voraussetzung gegenwärtiger personeller und ökonomischer Gegebenheiten wird ein Vollzugsplan nicht um Individualisierung, sondern nur um Klassifizierung (zur Klassifizierung im Rahmen des Vollstreckungsplans s.o. 1. a)) bemüht sein können. Um dabei den Bedenken gegenüber den statischen Komponenten jeder Klassifizierung Rechnung zu tragen, wird bevorzugt auf eine Orientierungs- oder Beobachtungsphase unmittelbar nach der Einweisung hingewiesen. Unabhängig davon aber kommt es gerade darauf an, ob als Kriterium für die Bildung von Gruppen Behänd-

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lungsbedürfnisse oder aber Belange des Vollzugsablaufs verwandt werden. bb) Wenngleich das StVollzG einen Stufenvollzug nicht kennt, hat es den Vollzugsablauf in verschiedene Abschnitte gegliedert. Im übrigen besteht zum Beispiel hinsichtlich der Vollzugslockerungen (§11 StVollzG), des Urlaubs aus der Haft (§ 13 StVollzG) sowie des Freizeitangebots ein Ermessen der Vollzugsbehörde (s. aber KG NJW 1979, 2574), so daß Mechanismen des Stufenstrafvollzugs anhaltend wirksam bleiben könnten; dies gilt weniger hinsichtlich der Wahrnehmung des Grundrechts der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, §§68-70 StVollzG; vgl. auch W S t V o l l z G Nr. 2 zu § 68 StVollzG). Entgegen einzelnen Reformvorschlägen (vgl. z . B . §98 AEStVollzG) gewährt § 67 Satz 2 StVollzG kein Recht auf ein bestimmtes Freizeitangebot in Form gemeinschaftlicher Veranstaltungen, sondern nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Ausgestaltung des Anstaltsangebotes (s. auch § 17 Abs. 2 Satz 2 StVollzG). Auch mag die Anwendung der formellen Sanktionsmöglichkeiten als Komplementärform des Stufenstrafvollzugs wirken; dies hat insbesondere auch Bedeutung in Zusammenhang mit den Voraussetzungen einer vorzeitigen Entlassung. cc) Während das geordnete Zusammenleben in der Strafanstalt nicht auf Zwangsmaßnahmen, sondern auf der Verantwortung der Gefangenen selbst beruhen soll (§81 Abs. 1 StVollzG), beschränkt sich das Gesetz hinsichtlich der Selbst- und Mitverantwortung der Gefangenen auf eine sehr allgemeine und eher restriktive Regelung (§ 160 StVollzG; vgl. z . B . auch A G Mannheim NStZ 1982, 136). Soweit in der Reformdiskussion die Übernahme der Mitverantwortung von Gefangenen durch Beteiligung an offiziellen Entscheidungen gefordert wird, begegnet dies unter anderem dem Problem, inwieweit die für die Entscheidung zuständigen Bediensteten bei einer von Gefangenen zu treffenden Entscheidung vertreten werden können. Es handelt sich hierbei sowohl um Fragen der dienstlichen Pflichten gegenüber der vorgesetzten Behörde als auch um solche der (Amts-)Haftung. Ferner ist bei Versuchen zur Mitverantwortung zu überprüfen, ob es sich bei den gewählten Vertretern der Gefangenengemeinschaft um informelle Führer oder zumindest um Personen des Vertrauens der Gefangenen handelt, oder aber ob die Gewählten nicht tatsächlich auf der Seite der Bediensteten stehen und ohne inhaltliche Legitimation durch die Gefangenengruppen handeln. Verschiedentlich wird angestrebt, Gefangene nicht nur untereinander, sondern auch mit Bediensteten zu Gruppengesprächen zusammenzuführen. Dies soll zugleich ein Verständnis der Mitglieder der Gefängnisgesellschaft für die unterschiedlichen Rollen fördern sowie der Vermeidung oder Bewältigung bevorstehender oder gegenwärtiger

Konflikte dienen. - Der AE-StVollzG hatte die Einrichtung von Wohn- beziehungsweise Behandlungsgruppen mit je einem Gruppenbeamten vorgesehen (§§9, 17, 19 StVollzG). dd) Dem Gefangenen ist ein Recht auf Kontakt mit der Außenwelt garantiert; für die Vollzugsanstalt besteht eine Pflicht zur Förderung dieses Kontaktes (§23 StVollzG), der allerdings vielfältig eingeschränkt werden kann (§§24ff. StVollzG). An Möglichkeiten zu unmittelbaren Außenkontakten (und zur stufenweisen Rückführung des Gefangenen in die Außengesellschaft) im einzelnen ist zunächst der Freigang (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG) als regelmäßige Beschäftigung außerhalb der Anstalt ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten zu nennen, wobei der Gefangene für die Freizeit sowie die Nachtruhe in die Strafanstalt zurückkehrt. Andere unmittelbare Kontakte zur Außengesellschaft ergeben sich bei der (beaufsichtigten) Ausführung (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG), dem (unbeaufsichtigten) Ausgang (§11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG) sowie vor allem im Regelurlaub (§ 13 StVollzG) und schließlich bei Urlaub, Ausgang und Ausführung aus wichtigem Anlaß (§ 35 StVollzG). - Wenngleich im Anschluß an spektakuläre oder spektakulär dargestellte Tatbegehungen während eines Urlaubs in der öffentlichen Meinung und bei einzelnen Strafverfolgungsbehörden die Vorstellung einer besonderen Gefährdung der Sicherheitsinteressen (§2 S. 2 StVollzG) durch Urlaub von Gefangenen vorherrscht, liegen verallgemeinerungsfähige Angaben über die Quote solcher Gefangener, die im Urlaub erneut straffällig werden, nicht vor. Was die Frage danach angeht, zu welchem Anteil Gefangene nicht (rechtzeitig) aus dem Urlaub zurückkehren, so wurde für das Jahr 1978 in Nordrhein-Westfalen eine Quote von 4,7 % , in Bayern eine solche von 2,7 % berechnet (ZStrafvollz. 29 [1980], 41, 51). Im Rahmen der Vorbereitung auf die Entlassung bestehen die Möglichkeiten des Sonderurlaubs (§ 15 Abs. 3, 4 StVollzG; s. auch § 126 StVollzG) sowie der Verlegung in eine offene Anstalt oder Abteilung (§15 Abs. 2 StVollzG) oder aber in (etwa vorhandene) spezielle Einrichtungen des Übergangsvollzuges (§ 147 StVollzG; Sollvorschrift); für letztere wird eine solche Ausgestaltung angestrebt, die sich nach Belegungszahl wie insbesondere auch hinsichtlich sozialer Binnennormen nicht mehr (sichtbar) von „unauffälligen" Häusern und Bewohnergruppen in der Außengesellschaft unterscheidet (vgl. hierzu §§7 Abs. 1 Nr. 4, 66, 67, 69 Abs. 3 AEStVollzG). 4. Die Schwere des Eingriffs sowie möglicher negativer Auswirkungen des Vollzuges oder des vollständigen Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe wird in statistisch erheblichem Ausmaß durch Formen der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung reduziert. a) aa) Nach geltendem Erwachsenenstrafrecht wird, bei Vorliegen der übrigen gesetzlichen Vor-

Strafen und Maßregeln aussetzungen, die Vollstreckung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten Dauer, sofern sie überhaupt verhängt werden (§47 StGB), stets ausgesetzt (§56 Abs. 1 StGB). Bei Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr Dauer kann die Aussetzung, bei Vorliegen der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen, nur dann nicht erfolgen, wenn die „Verteidigung der Rechtsordnung" die Vollstreckung gebietet (§56 Abs. 1, 3 StGB). Bei Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr und bis zu zwei Jahren Dauer darf die Vollstreckung nur als Ausnahme zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 56 Abs. 1, 2 StGB). Was die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen anbetrifft, so geht der Gesetzeswortlaut von der Annahme aus, die Einwirkung des Strafvollzuges sei generell der zukünftigen Legalbewährung dienlich; hierfür fehlt es an empirischen Belegen. - Nach allgemeiner Auffassung hat das Gericht bei der Prognosestellung ein vertretbares Risiko zu verantworten; auch ist eine günstige Prognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil gemäß § 47 StGB die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter unerläßlich erscheint (BGHSt. 24, 164, 166). Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung können deshalb nicht befriedigen, weil sie vom Strafmaß abhängig bleiben, das seinerseits ganz überwiegend von der Tatschuld (§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB) bestimmt wird. So vermögen von der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung solche Verurteilte teilweise nicht erfaßt zu werden, für die eine Freiheitsstrafe in besonderem Maße schädlich ist und für die daher die Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung geeignet wäre. - Die Aussetzungshäufigkeit ist, entsprechend der gesetzlichen Regelungen, erheblich unterschiedlich danach, welche Dauer die verhängte Freiheitsstrafe hat. Darüber hinaus ergeben sich unverhältnismäßige Unterschiede unter anderem nach der Deliktsstruktur. bb) Nach Vollstreckung von zwei Dritteln der verhängten Strafe, mindestens jedoch von zwei Monaten wird, bei Vorliegen der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen, die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt (§57 Abs. 1 StGB). Schon nach Vollstreckung der Hälfte der verhängten Strafe, mindestens jedoch von einem Jahr, darf die Vollstreckung des Strafrestes nur als Ausnahme zur Bewährung ausgesetzt werden (§57 Abs. 2 StGB). - Systematische Schwierigkeiten bereitet die Lösung der in der Rechtsprechung umstrittenen Frage, ob als Freiheitsstrafe gemäß § 57 StGB auch die Ersatzfreiheitsstrafe anzusehen ist. Nach allgemeiner Auffassung hat das Gericht bei der Prognosestellung, ebenso wie bei derjenigen zu § 56 StGB, ein vertretbares Risiko zu verantworten; hierfür ist wegen der eingeschränkten Erhebungsmöglichkeiten eine im Vergleich zu § 56 StGB häufigere Heranziehung von Sachverständigen erforderlich (a.A. wohl KG NJW 1972, 2228f.; KG

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NJW 1973, 1420f.). - In den Jahren 1976-1978 betrugen die Zahlen für Abgänge der gemäß § 57 Abs. 1 StGB sowie gemäß § 57 Abs. 2 StGB vorgenommenen Entlassungen (im Bundesgebiet einschließlich Berlin [West]) - bezogen auf die Gesamtzahlen der Abgänge aus dem Jugend- und Freiheitsstrafenvollzug - 1 2 109,11812 und 12469 sowie 75, 164 und 112 von 68181, 63219 und 64968; die Gesamtzahlen der bedingten Entlassungen aus dem Jugend- und Freiheitsstrafenvollzug (einschließlich Sicherungsverwahrung) im Wege der Gnade betrugen in den genannten Jahren 1707, 1619 und 1932 (Angaben des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden, Schreiben vom 7.1.1980). b) aa) Für die Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe beziehungsweise des Rests derselben gelten weitgehend einheitliche Regelungen (§§56a-56g, 57 Abs. 3 StGB), wobei im Falle der Aussetzung des Strafrestes die Bewährungszeit dessen Dauer nicht unterschreiten darf (§ 57 Abs. 3 S. 1 a. E. StGB). Die im Rahmen der Ausgestaltung der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung möglichen und nach ihrer Art abschließend geregelten Auflagen (§§56b [57 Abs. 3 S. 1] StGB; Kannvorschrift) haben pönalen Charakter; sie stehen unter dem Verbot unzumutbarer Anforderungen an den Verurteilten. (§41 Abs. 1 AE-StGB sah die Erteilung von Auflagen mit pönalem Charakter als obligatorisch für jede Aussetzung der Strafvollstrekkung zur Bewährung vor; dem entspricht, daß der A E die Anwendung der Aussetzung im übrigen erweitert gefaßt hatte.) - Erbietet sich der Verurteilte zu „angemessenen Leistungen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen", und ist die Erfüllung dieser Leistungen zu erwarten, so sieht das Gericht „in der Regel von Auflagen vorläufig ab" (§56b Abs. 3 StGB); während hiermit eine freiwillige Leistung seitens des Verurteilten gefördert werden soll, läßt sich nicht übersehen, daß über Vermögen verfügende Verurteilte sich eher von der Anordnung und Bestimmung von Auflagen durch das Gericht werden befreien können. - Die Auflage, den Schaden wiedergutzumachen (§56b Abs. 2 Nr. 1 StGB), bedeutet wegen der Sanktion des Widerrufs der Strafaussetzung bei gröblichem oder beharrlichem Verstoß (§56f Abs. 1 Nr. 3 StGB) eine Durchsetzungsform zivilrechtlicher Schadensersatzpflichten. In der Praxis am häufigsten ist die Geldauflage (§56b Abs. 2 Nr. 2 StGB); sie unterscheidet sich von der Geldauflage im Jugendstrafrecht (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 JGG) dadurch, daß Empfänger auch der Staat sein kann. Die im Rahmen der Ausgestaltung der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung vorgesehenen Weisungen (§§56c [57 Abs. 3 S. 1 StGB]; bedingte Mußvorschrift) sollen als Instrumente pädagogischer Beeinflussung wirken, wobei der im Gesetz aufgeführte Katalog an Weisungen nicht abschließend ist; die Weisungen stehen unter dem

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Strafen und Maßregeln

Verbot unzumutbarer Anforderungen an die Lebensführung des Verurteilten (§56c Abs. 1 S.2 StGB). Auch bei den Weisungen kann eine freiwillige Zusage des Verurteilten dazu führen, daß von der Erteilung vorläufig abgesehen wird (§56c Abs. 4 StGB). - Die einschneidendste Weisung ist die Unterstellung unter Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers (§ 56d StGB), die anderen Weisungen gegenüber subsidiär ist (§ 56 d Abs. 1 S. 1 StGB); sie ist jedoch in der Regel zu erteilen bei Personen, die noch nicht 27 Jahre alt sind und zu einer Freiheitsstrafe von mehr als neun Monaten verurteilt werden (§ 56 d Abs. 2 StGB) ebenso wie bei denjenigen Verurteilten, die mindestens ein Jahr ihrer Strafe „verbüßt" haben (§ 57 Abs. 3 S. 2 StGB). bb) Der Widerruf der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung ist ultima ratio (vgl. §§ 56 f Abs. 2, 57 Abs. 3 S. 1 StGB). - Was den (nur bedingten) Widerrufsgrund der Begehung einer Straftat in der Bewährungszeit (§56f Abs. 1 Nr. 1 StGB) angeht, so ist fraglich, wonach sich bestimmt, ob eine Straftatbegehung als Widerrufsgrund feststeht; dabei zeigt sich ausschnitthaft die Problematik der Kompetenz zur Feststellung von Straftaten auf den verschiedensten Stufen der reaktiven strafrechtlichen Erfassung von Verhalten. Allgemein wird angenommen, daß eine (rechtskräftige) Verurteilung nicht erforderlich ist, wohl aber daß das Gericht aufgrund zweifelsfreier Tatsachen die Überzeugung erlangt hat und erlangen durfte, daß der Betreffende die Tat begangen hat; allerdings könne ein vorheriger Widerruf gegebenenfalls nicht tunlich sein (OLG Karlsruhe G A 1974,156f.; O L G Hamm NJW 1974, 1520; O L G Stuttgart NJW 1977, 1249). Wird kein Widerruf vorgenommen, so erläßt das Gericht die Strafe (§56g Abs. 1 S. 1 StGB; die Eintragung in das B Z R G bestimmt sich nach §§ 14 Abs. 1 Nr. 4, 32 Abs. 1 Nr. 1 b BZRG). 5.

Ersatzfreiheitsstrafe

1. Ersatzfreiheitsstrafe wird an Stelle der Geldstrafe in denjenigen Fällen angeordnet und vollstreckt, in denen die Geldstrafe nicht eingebracht werden kann (§ 43 S. 1 StGB, § 459 e Abs. 1,2,459 c Abs. 1, 2 StPO); soweit Ausnahmeregelungen bestehen (§§ 459 d, 459 f StPO), sind sie an vergleichsweise enge Voraussetzungen geknüpft. Die gesetzliche Regelung stellt nicht darauf ab, ob die Uneinbringlichkeit der Geldstrafe verschuldet oder unverschuldet ist; dies wird damit begründet, das Gericht solle umfangreicher - und nicht selten erfolgloser - Ermittlungen zu dieser Verschuldensfrage enthoben sein. Hiernach ergibt sich, daß allein die Mittellosigkeit des Verurteilten Anlaß zur Einweisung in die Strafanstalt sein kann, das heißt, daß eine andere und ihrer Natur nach einschneidendere - Qualität von Strafe vollzogen wird, als diejenige, auf die

erkannt worden war; dabei läßt sich nach empirischen Anhaltspunkten begründet annehmen, daß es zur Ersatzfreiheitsstrafe häufig wegen Nichtarbeit kommt. Dies würde den Vorstellungen entsprechen, wonach die Geldstrafe von vornherein weniger für (wiederholt) wegen vergleichsweise geringfügiger (Vermögens-)Delikte verurteilter Personen angezeigt erscheine, da bei diesen die Uneinbringlichkeit ebenso wahrscheinlich sei wie die mangelnde Möglichkeit der Abwälzung auf etwa vorhandene Angehörige. (Hieraus mag sich zugleich ein Bedenken gegenüber Erwägungen zur Einführung der Möglichkeit ergeben, die Vollstreckung der Geldstrafe zur Bewährung auszusetzen, da bei dem zuletzt umschriebenen Täterkreis auch die Voraussetzungen einer Aussetzung zur Bewährung weniger vorliegen werden und somit die am meisten betroffenen Verurteiltengruppen nicht entlastet würden). 2. Im Falle der Umwandlung der Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe wird je Tagessatz ein Tag Freiheitsstrafe berechnet (§43 S . 2 StGB), wobei das Mindestmaß der Freiheitsstrafe - entgegen der allgemeinen Regelung (§ 38 Abs. 2 StGB) - einen Tag beträgt. Hierin besteht ein Widerspruch zu der ultima-ratio-Klausel kurzzeitiger Freiheitsstrafen (§47 StGB). - Gegenüber diesem Umwandlungsmaßstab bestehen unter anderem deshalb Bedenken (vgl. Tröndle 1974, S. 575ff.), weil die Ersatzfreiheitsstrafe als „echte" Freiheitsstrafe gilt (BGHSt. 20, 13 [16]) und daher dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schuld entsprechen müsse (§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB); aus diesem Grunde müsse ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe für mehrere Tagessätze zureichen. 3. Was die Problematik einer etwaigen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung angeht (vgl. Weber 1978), so erscheint es als inadäquat, eine Prognoseentscheidung im Sinne des §57 StGB treffen zu wollen, wenn ein Straftäter lediglich zu Geldstrafe verurteilt worden ist. Auch bestehen für Anordnung und Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe besondere gesetzliche Regelungen (§§42f. StGB, §§459aff. StPO); zudem ist Ratenzahlung auch während des Vollzuges der Ersatzfreiheitsstrafe mit der Wirkung entsprechender Verkürzung letzterer möglich (§459e Abs. 4 StPO), so daß keine Gesetzeslücke vorliegt, die durch §57 StGB ausgefüllt werden müßte. Insbesondere tritt die Ersatzfreiheitsstrafe nur insoweit an die Stelle der entsprechend erledigten Geldstrafe, als sie vollstreckt wird; die Geldstrafe wandelt sich also nicht mit der Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe in eine Freiheitsstrafe im Sinne der §§ 38 f. StGB um, sondern behält ihre Eigenständigkeit. Demgemäß würde bei einer Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Ersatzfreiheitsstrafe die Restgeldstrafe fortbestehen, zumal das geltende Recht eine Aussetzung der Vollstreckung einer Geldstrafe zur Bewährung nicht kennt. Aber auch ein Erlaß der Restgeldstrafe im Anschluß an die

Strafen und Maßregeln Anwendung des § 57 StGB ist nicht möglich, weil die Ersatzfreiheitsstrafe vom Bestand der Geldstrafe abhängig ist und nicht umgekehrt (s. §459e Abs. 4 StPO). Unbeeinflußt von diesen Gegebenheiten erscheint es jedoch unbillig, einen Täter, der nur zu einer weniger einschneidenden Strafart, nämlich zu Geldstrafe verurteilt worden war, schlechter zu stellen, als einen zu Freiheitsstrafe verurteilten Täter. Dies gilt um so mehr, als der Nachweis unverschuldeter Zahlungsunfähigkeit aus tatsächlichen Gründen häufig nicht zu erbringen ist, die Bestimmungen des §42 StGB und des §459 a StPO bei einem tatsächlich mittellosen Verurteilten kaum hinreichend Abhilfe zu schaffen geeignet sind und endlich die Härteklausel (§459f StPO) vergleichsweise eng gefaßt ist. 4. Was die Häufigkeit der Ersatzfreiheitsstrafe angeht, so ist zwischen Anordnung und Vollstrekkung zu unterscheiden. Nach vorläufigen empirischen Anhaltspunkten soll es zur Vollstreckung beziehungsweise zur vollständigen Vollstreckung nur bei einem kleineren Teil der Betroffenen kommen, während der eher überwiegende Teil die Geldstrafe nach Ladung zum Strafantritt bezahle. a) Für den Anteil der vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen an allen auf Geldstrafen lautenden Urteilen wurde ein Anstieg verzeichnet (s. Tröndle 1974, S. 548 Fn.23). Bezogen auf die Zahlen der Zugänge in den Jahren 1972 und 1976-1978 zum Beispiel betrug dieser Anteil bei den auf Geldstrafe allein lautenden Urteilen 4,1 % , 5 , 6 % , 4 , 2 % und 5 , 5 % (StrafSt 1972, 13; 1976-1978 jeweils T a b . 3 . 7 . ; StVollzSt. 1972, 21; 1976, 25; 1977, 17; 1978, 19). b) Ähnliches gilt hinsichtlich des Anteils der Ersatzfreiheitsstrafe an allen Freiheitsstrafen; am I.1.1974 und am 31.12.1974 betrug dieser Anteil 3,52% und 4 , 1 4 % (StVollzSt. 1974, 23), während er an den entsprechenden Stichtagen des Jahres 1977 auf 4,55% und 4 , 9 6 % (StVollzSt. 1977, 17), denjenigen des Jahres 1978 hingegen (nur) auf 4 , 2 7 % und 4,59% (StVollzSt. 1978, 19) lautete. c) Der Anteil der Zu- und Abgänge bei Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen an allen Zuund Abgängen liegt erheblich über dem Anteil der Ersatzfreiheitsstrafen an allen Freiheitsstrafen. In den Jahren 1974 sowie 1977 und 1978 zum Beispiel lauteten die Anteile der Zugänge wegen Ersatzfreiheitsstrafe auf 15,9% sowie 13,34% und 11,64%; betreffend die Abgänge beliefen sich die entsprechenden Anteile auf 15,88% sowie 13,33% und I I , 6 0 % (StVollzSt 1974, Tab.4; 1977 und 1978 jeweils Tab. 2). C. Maßregeln 1.

Führungsaufsicht

1. Die Maßregel der Führungsaufsicht findet bei unterschiedlichen Voraussetzungen für nicht min-

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der unterschiedliche Tätergruppen Anwendung. Zu unterscheiden ist die Kannvorschrift der Anordnung nach Strafverbüßung (vgl. §68 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) von der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht im Zusammenhang mit einer freiheitsentziehenden Rechtsfolge (§68 Abs. 2 StGB). Während die erstgenannte Gruppe von Fallgestaltungen eine Prognosestellung voraussetzt, kommt es bei der zweitgenannten Gruppe auf eine solche nur insofern an, als die Maßregel der Führungsaufsicht durch gerichtliche Anordnung entfallen kann (§ 68f Abs. 2 StGB); daneben ergeben sich erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Art des im Zusammenhang mit der Führungsaufsicht stehenden Freiheitsentzuges, so daß auch insofern unterschiedliche Techniken, Methoden sowie sächliche und personelle Voraussetzungen zur Durchführung dieser Maßregel geschaffen werden müßten. - Die Maßregel der Führungsaufsicht stellt den Versuch dar, beaufsichtigende Kontrolle und helfende Betreuung zu vereinigen. Ein wesentliches Bedenken gegenüber dieser Maßregel besteht darin, daß weder abstrakt noch hinsichtlich der Verwirklichung eine Integration der beiden genannten Zwecke gelingen zu können scheint. Hinzu tritt die Problematik der Zweigleisigkeit (oder Überbetreuung) in der Zusammenarbeit von Führungsaufsichtsstelle (s. hierzu Art. 295 EGStGB) und Bewährungshilfe (vgl. § 6 8 a Abs. 2 StGB; s. hierzu Brüsten 1978, S. 208ff.). Insofern sind Ausgestaltung und erwartete Einwirkungsmöglichkeiten dieser Maßregel vergleichsweise vage geblieben. 2. a) Was die zur Durchführung der Führungsaufsicht möglichen Weisungen angeht (§68b StGB), so ist der gesetzliche Katalog, im Unterschied zu demjenigen der im Rahmen der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung möglichen Weisungen (§56c Abs. 2 StGB), vielgestaltiger gefaßt; jedoch ist auch er nicht abschließend (s. § 6 8 b Abs. 2 S. 1 StGB; zur Zumutbarkeit s. §68b Abs. 3 StGB). Die Schwierigkeit liegt darin, daß die Weisungen genau bestimmt werden müssen (§ 68 b Abs. 1 S . 2 StGB), zumal sie teilweise strafbewehrt sind (§§68b Abs. 1, 145a StGB). b) Gegen eine Kriminalstrafe wegen Weisungsverstoßes (§ 145 a StGB) bestehen gemäß dem Verhältnismäßigkeitsprinzip allerdings Bedenken. Dies gilt in erster Linie für Fälle, in denen eine Strafe oder Maßregel bereits gänzlich vollstreckt ist; soweit noch eine Reststrafe oder -maßregel zu vollstrecken ist, wird angenommen, § 145 a StGB habe ohnehin keine praktische Bedeutung. - Für die Fälle bereits gänzlich vollstreckter Rechtsfolgen war diese Strafbewehrung mit der Begründung eingeführt worden, andernfalls wären Weisungsverstöße gewissermaßen risikofrei. Demgegenüber wird eine unter Strafandrohung erteilte Weisung kaum als Lebenshilfe empfunden werden können (s. aber auch §11 Abs. 3 JGG); auch mag das Prinzip der

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Strafen und Maßregeln

Subsidiarität strafrechtlicher Eingriffe tangiert sein (vgl, Lenekner 1971, S, 123), In den Jahren 1976 bis 1978 wurden a b s e i « 9, U und 18 Personen gemäß S 141a S t G B verurteilt (StrafSt: 1976=1978, jeweils S, 10), 3, B i e Zahl der Anordnungen von Führungsaufsieht betrug in den Jahren 1971-1978 in ansteigender Tendenz 9 8 , 3 4 9 , 3 7 0 und 497 Fälle, wovon in 4, 1 8 , 1 1 und 19 Fällen Heranwachsende und in 1 , 1 , 4 und 9 Fällen Jugendliehe betreffen waren (StatJb: 1 9 7 9 , 1 3 2 ; StrafSt: 1978, 31 f,), A m Stiehtag des 31,11, der Jahre 1977 und 1978 befanden sieh int lundesgebiet einschließlich Berlin (West) 4080 und 5083 Personen unter Führung*, aufsieht, darunter 179 und I I S weiblichen Geschlechts; hiervon waren 3666 und 4S69 nach allgemeinem Strafrecht und 414 und 114 = darunter allein 118 und 170 Jugendliehe = naeh Jugendstrafreeht unterstellt (BewHiSt, 1977 und 1978, I ) , 2, Entziehung 4er Fahrerlaubnis 1, Die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis ( I I 69 ff, S t G B ; vorläufige Entziehung gemäß U l l a S t P 0 ) dient der Gewährleistung der Verkehrssicherheit, Im Unterschied zur Nebenstrafe des Fahrverbots (S 44 S t G B ) stellt sie auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ab und setzt lediglich eine rechtswidrige Tat voraus (vgl, auch δ 71 S t G B ) : B i e Maßregel der Intziehung der Fahrerlaubnis, die unter dem Strafschutz des § 11 S t V G steht, ist auch hinsichtlich des Eingriffs deshalb weitreichender als das Fahrverbot, weil ein größerer zeitlicher Spielraum besteht und insbesondere weil die (bisherige) Fahrerlaubnis entzogen bleibt und gegebenenfalls nur eine neue Fahrerlaubnis erteilt werden kann, (= Weiterreichend als die strafrechtlichen Eingriffsmöglichkeiten ist die Regelung der Intziehung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörden [ 1 4 S t V G , S S 3 , I S b S t V Z © ] ; sie ist insbesondere für solche Fälle der Ungeeignetheit vorgesehen, die [noch] nicht zu einer Verkehrsstraftat geführt haben), B i e Prüfung der Frage, ob sich „aus der Tat" eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen „ergibt" (S69 Abs, 1 S t Q B ) , bereitet in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten, und zwar auch bei Berücksichtigung aller relevant erscheinenden personalen und sozialen Umstände, B a s Strafgericht verfügt nur über einen Ausschnitt an relevanten Informationen, so daß es zu einer abschließenden Beurteilung der Fahrtauglichkeit oftmals nicht in der Lage ist, Insofern haben die Regelbeispiele einer Ungeeignetheit (S69 Abs, 2 S t Q B ) , die eine Einschränkung des Ermessens des Gerichts hinsichtlich der Annahme der Ungeeignetheit darstellen, eine Hilfs- und zugleich Begrenzungsfunktion für die Rechtsprechung, l i n e solche Begrenzung ist um so mehr angezeigt, als für diese Maßregel - im Unter-

schied zu allen anderen Maßregeln = eine (ausdrückliche) Prognose über die drohende Gefahr nicht erforderlich ist; anders verhält es sieh nur im Falle der lebenslangen Sperrfrist ( S 6 9 a Abs, 1 § , 2 S t Q B ) , Zudem bedarf es einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit ( $ 6 2 S t Q B ) der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht (S69 Abs, 1 S , 2 S t Q B ) , weil angenommen wird, daß das Vorliegen einschlägiger Ungeeignetheit stets eine vom Täter ausgehende Gefahr für die Verkehrssicherheit darstelle und insofern eine UnVerhältnismäßigkeit ausschließe, 1, a) In der Anwendungspraxis ist (entsprechend § 6 9 Abs, 2 Nr, 1, 2 und 4 S t G B ) die Tendenz zu einer generalisierten Trennung in „Alkoholtäter" und „Nichtalkoholtäter" eher noch ausgeprägter als bei der Verhängung des Fahrverbots, So lag den gerichtlichen Entziehungen der Fahrerlaubnis (der Klassen eins bis fünf) wegen Straßenverkehrsstraftaten zum Beispiel im Jahre 1977 in 94,9 % Trunkenheit am Steuer zugrunde ( K B A 1978, I I I ) , Gegenüber dem Ausmaß der Dominanz dieses Kriteriums läßt sieh einwenden, daß es kaum als gegenüber bestimmten personalen oder sozialen Merkmalen relevanter angesehen werden kann, zumal ein nicht unerheblicher Anteil der Straßenverkehrsstraftaten = darunter auch solcher mit Todesfolgen = ohne einen nachweisbaren Alkoholeinfluß der Kraftfahrzeugführer geschieht, In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß es - nach Zahlen bis Ende 1973 ( K B A 1974, V 2) - zum Beispiel bei 22,3 % der Vielfaehtäter ( = sieben und mehr Eintragungen im V Z R ) noch nie zu einer reehtswirksamen Entziehung der Fahrerlaubnis gekommen war, b) B i e Zahl der strafrechtlichen Entziehungen der Fahrerlaubnis wegen Straftaten im Straßenverkehr lauteten in den Jahren 1974=1978 auf 151327, 1S446S, 163609, 175 §§0 und 182492 (StrafSt 1974=1978, Tab, 2),

3: Berufsverbot 1, B i e Maßregel des Berufsverbots (S7Q S t G B ; vorläufige Anordnung gemäß 8132 a StPQ) ist darauf gerichtet, die Allgemeinheit vor solchen Personen zu schützen und zu sichern, die ihren Beruf oder ihr Gewerbe mißbräuchlich oder unter grober Verletzung der damit verbundenen Pflichten zur Begehung von rechtswidrigen Taten benutzt haben und bei denen die Qefahr weiterer erheblicher Taten der bezeichneten Art besteht; wegen der Bedeutung des Grundrechts der freien Berufsausübung (Art, 12 Abs, 1 S, I G G ) kommt dem Merkmal der Erheblichkeit besondere Bedeutung zu, (Zum Verhältnis des strafgerichtlich angeordneten Berufsverbots zu dem Berufsverbot durch die Verwaltungsbehörde [SS 35, 58 f, GewO, S 3 8 BSeuchenG, SS IS ff: GaststättenG] gibt es nur teilweise Regelungen [z, B , S 35 Abs, 3 GewO], so daß Justiz

Strafen und Maßregeln und Verwaltung im übrigen untereinander nicht gebunden sind; vgl. aber BVerwGE 15,282 [288]). Was die Alternative der Verletzung der mit Beruf oder Gewerbe „verbundenen Pflichten" angeht, so wurde eine restriktive Auslegung im Sinne von „in Ausübung seines Berufs" vorgesehen (BGHSt. 22, J44 [J46]). Zur Annahme der Gefahr „erheblicher rechtswidriger Taten" wurde ausgeführt, aueh für die Anlaßtaten müsse eine erhebliche Bedeutung vorausgesetzt werden; im übrigen soll das Berufsverbot nur dann erforderlich sein, wenn nieht nur die Möglichkeit, sondern die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten besteht (BGH GA 1955, 149 [151]), Gemäß dem Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs darf das Berufsverbot nicht verhängt werden, wenn schonendere Eingriffe wie zum Beispiel Untersagung nur eines Teils der Berufstätigkeit oder Verpachtung des Gewerbebetriebes ausreichen. 2. Ein Verstoß gegen die Anordnung des Berufsverbots ist strafbewehrt (jj 145g StGB)· In den Jahren 1976 bis 1978 wurden absolut 5 , 6 und 5 Verurteilungen nach § 145 c StGB vorgenommen (StrafSt. 1976-1978, jeweils S. 10). 3. Die Aussetzung der Maßregel zur Bewährung ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich (§70a StGB), jedoch frühestens, wenn das Verbot ein Jahr gedauert hat (§70a Abs. 2 g, 1 StGB); da „die Zeit, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist'', nicht eingerechnet wird (§70 a Abs. 2 §,3 StGB), bestehen Vorbehalte im Hinblick auf eine mögliche zeitliche Kumulierung· P e r Widerruf der Aussetzung und die Erledigung des Berufsverbots sind gesondert geregelt (§70b StGB). 4. Strafrechtliche Berufsverbote wurden in den Jahren 1973 bis 1978 in 92, 97, 70, 82, 63 und 59 Fällen angeordnet (StaUb. 1979, 332; StrafSt. 1978, 32):

4. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Voraussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als einer freiheitsentziehenden Maßregel ist, daß eine Person wegen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) nicht oder nur wegen verminderter Schuldfähigkeit (§21 StGB) bestraft werden kann, sie jedoch wegen von ihr zu erwartender erheblicher rechtswidriger Taten für die Allgemeinheit gefährlich ist (§63 Abs. 1 StGB)· ( - Soweit aueh die Voraussetzungen zur Unterbringung naeh allgemeinen landesrechtlichen Regelungen vorliegen [vgl, aber Art· 104 GG], besteht eine Konkurrenz zu dieser Maßregel)· gweek der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist die Sicherung des Schutzes der Allgemeinheit durch Isolierung; zugleich soll eine „Re-Sazialisjerung" (§§63 Abs. 2, 65 Abs, 3

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StGB; Inkrafttreten jeweils 1.1.1985[?]) des Täters angestrebt werden- Dem Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs, das sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ableitet (§ 62 StGB), kommt bei dieser Maßregel deshalb besondere Bedeutung zu, weil bei einem Großteil der Betroffenen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als wenig geeignet gilt und weil die Praxis der Entlassungsentscheidungen in erheblichem Maße zu Bedenken Anlaß gibt (s. schon § 67 d StGB argumentum e contrario). Als weniger eingreifende Maßnahme bieten sich unter anderem gegebenenfalls Familienbetreuung, Bemühungen im Rahmen einer Vormundschaft sowie freiwillige psychotherapeutische Behandlung an· 2, Der Vollzug der Maßregel, der in Anstalten der Gesundheitsverwaltung Stattfindet, richtet sich im wesentlichen nach anderen landes- (s. z.B. Hess. GVB1. 1981, 414) oder bundesrechtlichen Bestimmungen als denjenigen des Strafvollzugsrechts (§§136, 138 StVollzG). Die Vollzugsausgestaltung ist, zusätzlich zu den im allgemeinen ohnehin bestehenden Beeinträchtigungen psychisch Kranker in geschlossenen Institutionen, auch insoweit nur in begrenztem Maße therapeutisch ausgestaltet, als das Sicherungsinteresse haftähnliche Bedingungen veranlaßt. Zudem scheinen innerhalb des nach § 63 StGB in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesenen Personenkreises Angehörige aus sozio-ökonomisch unteren Schichten im Vergleich auch zu anderen Patienten psychiatrischer Krankenhäuser erheblieh überrepräsentiert zu sein (vgl. Albrecht 1978, S. 107 ff.). Namentlich bezüglich des nach §21 StGB eingewiesenen Täterkreises, soweit es sich zum Beispiel um Psychopathien, Neurosen oder Triebstörungen handle, bestehe ein Mangel geeigneter Behandlungsmethoden innerhalb der psychiatrischen Anstalt (s. Ehrhardt 1974, Sr 156; Ritzel 1975, S. 184). 3. Bei den Möglichkeiten zur Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung ist zu unterscheiden zwischen der Aussetzung bei der Unterbringungsanordnung durch das erkennende Gericht (§67b Abs. 1 Sτ 1 StGB) und der Aussetzung im Falle einer vorweg vollzogenen Freiheitsstrafe durch die Strafvollstreckungskammer (§ 67 c StGB) sowie der Möglichkeit der Aussetzung nach bisherigem Vollzug dieser Maßregel (§ 67e StGB); in beiden zuletzt genannten fällen bestehen besondere Schwierigkeiten zur Erstellung der Prognose. Was die gemäß § 67 e Abs. 2,2. Alternative StGB jährlich zu treffende Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zu der Frage, qb der Zweck des Maßregelvollzuges erfüllt und eine Entlassung vertretbar ist, angeht, so beruht sie in der Regel auf den Befunden und Beurteilungen des behandelnden Arztes. Hieraus ergibt sich zum einen eine zusätzliche und existentielle Abhängigkeit des Betroffenen von dem behandelnden Arzt; zum anderen erwächst letzterem hieraus ejne erhöhte Ver-

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antwortung, die eine eher restriktive Tendenz der Prognoseerstellung bedingen mag. Zumindest bezüglich des erstgenannten Aspekts könnte die Beauftragung eines solchen Gutachters, der gewissermaßen außenstehender Dritter ist, möglicherweise eine gewisse Abhilfe schaffen. (Im übrigen lauten die genannten Entscheidungen deshalb vergleichsweise selten auf Entlassung, weil eine Aufnahmebereitschaft durch Angehörige beziehungsweise Möglichkeiten der Unterbringung in Übergangs- oder Pflegeheimen nur eingeschränkt gegeben zu sein scheinen). - Nach einer Untersuchung über (teilweise ähnliche) Gegebenheiten in der Schweiz verbleiben solche Täter, bei denen wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit auf Unterbringung in eine Heil- oder Pflegeanstalt erkannt worden war, in 53 % der Fälle mehr als doppelt so lang im Maßnahmenvollzug als es einer als schuldangemessen bezeichneten Strafe entsprochen hätte; hinzu kommt, daß der Maßnahmenvollzug zu erheblichem Anteil in Strafanstalten stattfand (vgl. Aebersold 1972, S. 116, 122 ff.). 4. Die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde in den Jahren 1971-1978 im Rahmen von Aburteilungen gegen 375, 390, 392, 399, 336, 410, 389 und 377 Personen angeordnet (StrafSt. 1971-1978, jeweils Tab. 2); ihre Häufigkeit liegt demgemäß insoweit gegenwärtig um ein Mehrfaches über derjenigen der Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. In den Jahren 1976 bis 1978 ( - jeweils am 1.1. - ) befanden sich 3627, 3511 und 3373 - davon 189,186 und 175 weibliche - Personen aufgrund strafrichterlicher Entscheidung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wobei es sich bezüglich 411, 461 und 4 2 6 davon 46, 49 und 43 weibliche - Personen um eine einstweilige Unterbringung (§ 126 a StPO) handelte (StVollzSt. 1976, 44; 1977, 32; 1978, 34). 5. Unterbringung in einer Entziehungsanstalt 1. Voraussetzung der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als einer freiheitsentziehenden Maßregel ist gemäß §64 Abs. 1 StGB zunächst, daß eine Person den „Hang" hat, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, und daß sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf den genannten „Hang" zurückgeht, verurteilt worden ist oder nur deshalb nicht verurteilt worden ist, weil sie schuldunfähig war oder ihre Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen war; des weiteren muß die Gefahr bestehen, daß die Person infolge ihres „Hanges" weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. ( - Neben dieser Maßregel sind Unterbringungsmaßnahmen nach Polizeirecht im weiteren Sinne und zum Schutz der Allgemeinheit wie auch des Betroffenen möglich, ohne daß eine Straftat vorliegen muß [vgl. aber Art. 104 GG] - ) .

Zweck der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt soll primär die Besserung durch Behandlung des Betroffenen sein (vgl. §64 Abs. 2 StGB); demgegenüber soll der Zweck der Sicherung des Schutzes der Allgemeinheit zurücktreten. So kommt es weder darauf an, daß der Betroffene für die Allgemeinheit gefährlich ist (§64 Abs. 1 a. E. StGB im Unterschied zu §63 A b s . l a. E. StGB), noch ist die Anordnung zulässig, sofern eine „Entziehungskur von vornherein aussichtslos erscheint" (§64 Abs. 2 StGB), wobei die Aussichtslosigkeit nur nach der Persönlichkeit des Täters, nicht aber etwa nach dem Fehlen geeigneter Anstalten im zuständigen Vollstreckungsbereich zu beurteilen ist (BGHSt. 28, 327; s. aber - betreffend Jugendstrafrecht und die besonderen Voraussetzungen in §93 a JGG-LG Bonn NJW 1977, 345); auch darf die Dauer der Unterbringung zwei Jahre nicht übersteigen (§67d Abs. 1 Satz 1 StGB). - Allerdings ist umstritten, ob sowohl bezüglich der Wahrscheinlichkeit als auch der Erheblichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten (§64 A b s . l a . E . StGB) im Hinblick auf den vorrangigen Besserungszweck geringere Anforderungen zu stellen sind als bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Was die Voraussetzungen des genannten „Hanges" angeht, so lassen sie sich wegen der mangelnden empirischen Erfaßbarkeit dieses Begriffs (vgl. hierzu auch §§65 Abs.2 Nr.3, 66 A b s . l Nr.3 StGB) nicht eindeutig bestimmen. - Die Einbeziehung solcher Straftaten, die auf den Hang „zurückgehen", richtet sich auf den Bereich der sogenannten Beschaffungskriminalität. 2. Der Vollzug der Maßregel, der in Anstalten der Gesundheitsverwaltung geschieht, richtet sich im wesentlichen nach Landesrecht (§ 138 StVollzG). Was die Gegebenheiten der Behandlung angeht, so fehlt es weithin an geeigneten räumlichen und personellen Voraussetzungen; dies gilt eingeschränkt auch weiterhin für Jugendliche, und zwar entgegen spezieller gesetzlicher Vorschrift (§93 a JGG). Dem körperlichen Entzug schließt sich häufig lediglich eine (meist eintönige) Form der Beschäftigung an, während psycho- oder sozialtherapeutische Bemühungen vereinzelt und/oder ohne hinreichende Qualität bleiben; demgegenüber ist nach ganz überwiegender Erfahrung davon auszugehen, daß körperlicher Entzug ohne entsprechende Motivation und begleitende Bemühungen in der Regel erfolglos bleibt. So steht die eher punktuelle Intervention im Vordergrund, währenddessen sich eine zunehmende Beeinträchtigung der Untergebrachten im psychischen und sozialen Bereich einschließlich zentraler Voraussetzungen zur (Wieder-) Eingliederung in die Außengesellschaft vollzieht; hiervon sind in besonderem Maße die (in der Entwicklung befindlichen) Jugendlichen betroffen. Auch in Anstalten mit verleichsweise aufwendiger personeller Ausstattung hängt das therapeuti-

Strafen und Maßregeln sehe Verständnis und Vorgehen mehr von der jeweiligen Institution oder dem jeweiligen Therapeuten und weniger von zuverlässigen Erkenntnissen über die Wirksamkeit verschiedener Behandlungskonzepte und -verfahren bei unterschiedlichen Probandengruppen ab. Dies beruht neben anderen Gründen auf dem Mangel praxisbegleitender Behandlungsforschung wie auch auf der Ausgangsproblematik, daß nämlich unter Zwang behandelt werden soll; die Auffassung, auf Bereitschaft oder Freiwilligkeit könne verzichtet werden, weil eine drogenabhängige Person kein mündiger Bürger sei, entbehrt schon empirischer Grundlage. Auch mag anhaltende Therapieunwilligkeit nicht weniger auf Therapieunfähigkeit der Untergebrachten (oder auch der Therapeuten) als auf dem Grundwiderspruch zwischen erzwungener Unterbringung und Therapie beruhen; ohnehin bestehen gegenüber Wirkungsweisen und Funktionen strafrechtlicher Strategien im Bereich des Drogenwesens Bedenken nicht nur bei den Betroffenen. Üblicherweise wird eine stufenweise Intervention unter Einschaltung mehrerer Institutionen als am ehesten erfolgreich angenommen, wobei die stationäre Unterbringung nur die erste Phase darstellt und der Nachsorge zentrale Bedeutung zukommt. - (Soweit unter Verzicht auf stationäre Unterbringung gelegentlich Programme [zur Entzugserleichterung oder aber] zur Substitution [z. B. bei Heroin durch Methadon] empfohlen werden, bei denen im Ergebnis eine Droge durch eine andere ersetzt wird, so ist auch insoweit zu besorgen, daß sie eher zur Verdeckung zugrundeliegender interaktionistischer Zusammenhänge als zu substantieller Hilfe geeignet sind. Allerdings könnte die bezweckte Vermeidung von Entzugssymptomen Möglichkeiten für die Aufnahme aktiver Lebensgestaltung bieten, zumal die zusätzlichen Beeinträchtigungen stationärer Unterbringung entfallen würden). 3. Wegen der rechtlichen Möglichkeiten der Aussetzung der Vollstreckung gilt das für die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Ausgeführte entsprechend. Jedoch ergeben sich wesentliche Unterschiede insofern, als die Höchstfrist zur Überprüfung, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen ist, sechs Monate beträgt (§ 67 e Abs. 2, 1. Altern. StGB); insbesondere hat die Entlassung nach Ablauf von zwei Jahren Unterbringung stattzufinden (§67d Abs. 1, 3 S. 1 StGB). Wird die Unterbringung vor der Strafe vollzogen und stellt sich während des Vollzuges heraus, daß die Bemühungen um Entziehung keine Aussicht auf Erfolg haben, so ist in der Rechtsprechung umstritten, ob die Strafvollstreckungskammer, falls Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel (§ 67 a Abs. 1 StGB) ausscheidet, in ihrer Entscheidung zur Verlegung des Betroffenen in den Strafvollzug zugleich zulässigerweise den Maßregelvollzug für endgültig erledigt erklären kann (bejahend

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O L G Düsseldorf NJW 1980, 1345 f. in entsprechender Anwendung des §64 Abs. 2 StGB, mit Nachweisen). 4. Was die Häufigkeit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anbetrifft, so wurde sie in den Jahren 1971 bis 1978 im Rahmen von Aburteilungen in 194, 191, 162, 183, 286, 404, 429 und 483 Fällen angeordnet (StrafSt. 1971-1978, jeweils Tab. 2.). Diese Zahlen spiegeln die restriktive Praxis der Gerichte wider, die unter anderem mit Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§62 StGB) begründet wird; teilweise finden sich auch Hinweise auf das Unvermögen, das Ausmaß der Abhängigkeit der Betroffenen zu erkennen. Im übrigen aber zeichnet sich teilweise eine gemeinsame Strategie der Gerichte wie der Therapeuten entsprechender Anstalten ab, potentielle „Entweicher" und/oder „Störer" eher von dieser Maßregel auszunehmen und (allein) zu Freiheitsstrafe zu verurteilen. Dies ist nicht zuletzt im Hinblick auf die tatsächliche Dauer des Freiheitsentzuges bedenklich (s. nämlich § 67 d Abs. 1 StGB), zumal in Fällen der Teilnahme der Betroffenen an etwaigen therapeutischen Programmen innerhalb des Strafvollzuges die Frage einer vorzeitigen Entlassung (§57 StGB) nicht unerheblich von den jeweiligen Therapeuten (mit-)beantwortet wird. A m 31.3. der Jahre 1977 und 1978 befanden sich aufgrund einer Anordnung gemäß §64 StGB 348 und 407 männliche und 35 und 57 weibliche Personen in einer Entziehungsanstalt, davon 124 und 104 männliche und 10 und 23 weibliche Personen ohne Trunksucht (StVollzSt. 1977 und 1978, jeweils Tab. 9).

6. Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt 1. Das Inkrafttreten der Bestimmungen über die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt (§ 65 StGB) ist (durch Gesetz vom 22.12.1977 [BGBl. 1,3104]) bis zum 1.1.1985 hinausgeschoben worden. - Diese Maßregel ist für vier unterschiedliche Tätergruppen vorgesehen (§65 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 StGB; kritisch Einsele 1971, S. 151; H . J. Schneider 1979, S. 505 f.). Für drei dieser Tätergruppen ist eine negative Prognose des Inhalts erforderlich, daß die Gefahr besteht, der Täter werde weiterhin erhebliche rechtswidrige Taten begehen; für eine Tätergruppe muß die Gefahr bestehen, daß der Täter sich zum „Hangtäter entwickeln wird" (§65 Abs. 2 Nr. 3 StGB). Für die Praxis wird die Prüfung der Frage, ob die gesetzlichen Kriterien zur Einweisung vorliegen oder nicht, erhebliche Schwierigkeiten bereiten, zumal es sich vielfach um empirisch kaum (hinreichend) erfaßbare Begriffe handelt. Zunehmend mit Ende der Siebziger Jahre läßt sich besonders seitens der Landesjustizverwaltun-

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gen ein Interesse daran erkennen, § 65 StGB nicht in Kraft treten Zu lassen ünd Sozialtherapie nur im Rahmen des - gegebenenfalls zu modifizierenden § 9 StVöllzG zu verwirklichen. 2. Der Vollzug dieser Maßregel bestimmt sich flach dem StVollzG (insbesondere §§ 123-128). Beginnend Ende der Sechziger Jahre wird eine sozial therapeutische Tätigkeit in einigen Strafvollzugseinrichtunggn mit vergleichsweise kleiner BelegUngszahl durchgeführt, die zur Vorbereitung der Errichtung sozialtherapeutischer Anstalten und sodann gemäß §9 StVollzG bereitgestellt wurden; dabei liegt ein tiaeh Struktur und Behandlungsmethoden einheitliches oder gar einheitlich angewandtes Konzept nicht vor. Schon deshalb kann nicht verwundern, daß die Quote der Rückverlegungen in den Normalvellzug nach bisherigen Berechnung gen zwischen 30% ünd 60% beträgt. Die weitaus überwiegende Zahl der verwendeten Verfahreil ist, Unbeschadet verschiedener Modifizierungen, der allgemeinen Psychotherapie entlehnt; deren Eignung ist wegen Wesentlicher Unterschiede der Patientenkreise der allgemeinen Psychotherapie und der im § 65 StGfi umschriebenen Personengruppen von vornherein (zumindest) teilweise iti Frage gestellt. Wenig geklärt ist die Frage, wodurch sich im einzelnen die Sozialtherapie von anderen Formen der (Psycho-)Therapie unterscheidet> Gelegentlich wird die Ansicht geäußert, um Sozialtherapie handele es sich nur dann, wenn der therapeutische Prozeß von derl Betroffenen getfageti werde; sö würde ein zentraler Unterschied zwischen herkömmlichem Strafvollzug und Sözialtherapie in der Art des Verständnisses von Behandlung liegen, Wobei ein Über-/Unterordflungsverhältnis Zugunsten eines Angebots von Hilfe zurücktrete. Dabei bescheiden sich zahlreiche vollzugserfahfene Therapeuten mit dem Ziel, diejenigen Beeinträchtigungen für Einstellungen und Sozialverhalten, die frühere Anstaltsaufenthalte hinterlassen haben (sollen), aufzuheben oder jedenfalls zu mildern. - Die Behandlungsverfahren hängen in ihrer Verwirklichung weitgehend von der Person des Behandelnden ab; demgemäß wird in der Behättdlungsorganisation wie auch in der wissenschaftlichen Sanktionsund Behandlungsforschung zunehmend die Überprüfung der Geeignetheit des Therapeuten oder Erziehers angestrebt. Dies gilt auch deshalb als unerläßlich, weil für den Probanden Freiheitsentzug prinzipiell unabhängig davon ist, ob der Aufenthalt in einer Strafanstalt herkömmlicher Art oder in einer sozialtherapeutischen Einrichtung oder Anstalt stattfindet. Auch die bestgemeinte Behandlung bleibt Ausübung von Macht, solange sie in ihren äußeren Voraussetzungen auf der Inhaftierung aufbaut. Zudem liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß erhöht individualisierende Formen des Strafvollzuges eine Tendenz zur Förderung von Ungerechtigkeit und Heuchelei haben können, und

daß gutgemeinte Intentionen zu Sublimem Terror des Therapeuten zu führen Vermögen. Eine Sozialtherapie, die sich entsprechenden Erfahrungen verschließt, könnte zu einer Institutionaiisierung jänusköpflger Gewaltaüsübung werden. 3. Was die Effizienz Statiönärer Sozialtherapie mit strafrechtlich Verurteilten im allgemeinen ahbetrifft; so läßt sich - bei unterschiedlicher Tehdertz in den Ergebnissen bisheriger Analysen - von einer Unwirksamkeit schon deshalb nicht ausgehen, weil Bowohl die Systematik sozlältherapeutischer Bemühungen im allgemeinen als auch die Gegebenheiten der analysierten Projekte im einzelnen jeweils von erheblichen Mängeln gekennzeichnet wareh (s. näher Eisenberg 1974; vgl; auch Fachausschuß 1981).

7. Unterbringung in der Sicherungsverwahrung 1. Die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§66 StGB) ist darauf gerichtet, die Allgemeinheit vor solchen als besonders gefährlich beurteilten StraftäteM (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) zu sichern, bei denen die übrigen strafrechtlichen Sanktionsaften entweder sich als unzureichend erwiesen haben (§ 66 Abs, 1 StGB = Täter mit mehreren Vorstrafen) oder als unzureichend erscheinen (S 66 Abs. 2 StGB = Täter mit mehreren Vortaten); dabei handelt es sich bezüglich der zweitgenannten Voraussetzung (nur) um eine Kann Vorschrift, die den Zugriff gegenüber einem Serientäter erlauben soll, dem es bisher gelang, Bestrafungen zu entgehen. ä) Die Prognosestellung betreffend einen „Hang zu erheblichen Straftaten", dessentwegen der Täter „für die Allgemeinheit gefährlich ist", hat auf den Zeitpunkt der Urteilsfinduttg und ohne Einbeziehung etwaiger Wirkungen des Strafvollzuges abzustellen; die Möglichkeit einer späteren Korrektur ist verfahrensrechtlich gegeben (§ 67 c StGB). Was den Begriff des Hanges angeht, so ermangelt er einer empirisch zuverlässigen Erfaßbarkeit. Eine Erheblichkeit soll auch dann vorliegen, wenn der Schweregehalt der einzelnen Taten zwar gering, deren Häufigkeit jedoch groß ist (vgl. BGH NJW 1971, 1323); im übrigen ist wenig geklärt, welche Delikte und Tatgestaltungen „erhebliche Straftaten" im Sinne des §66 Abs. 1 Nn 3 StGB sind. - Auch für die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gilt das Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs, so daß zu prüfen ist, ob schonendere Maßnahmen wie etwa Überwachung durch die Polizei, Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder Familienbetreuung ausreichend und durchführbar sind. b) Kriminologische Befunde zur Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung liegen vorzugsweise für die Verhältnisse des vormals geltenden Rechts (§§42e, äOa StGB a.F.) Vor (Vgl. Krebs 1975; 168 ff.), so daß deren Relevanz für die

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Strafen und Maßregeln gegenwärtigen Voraussetzungen zumindest begrenzt ist; hinzu kämmt, daß die Forschungen sieh nahezu ausschließlich auf Aktenauswertungen stützen, was gerade in diesem Bereich an vergleichsweise enge methodische Grenzen def Aussagetflegllchkeil stößt, S i e früheren Untersuchungen haben ganz überwiegend ergeben, daß in SichefungsverWahrung zu einem unverhältnismäßig grüßen Anteil eher „gemeiniästige" Täter und vergleichsweise selten solche Personen eingewiesen wurden, die zu Gewaltdeiikten neigten (s. Helimer 1961, S.24f.)s die Verteilung nach Deliktsgruppen zeigte einen Anteil def Vermögens- und Elgentumstater von etwa zwei Drittel bis dfei Viertel: i: S i e Sicherungsverwahrung wird nach der Freiheitsstrafe vollstreckt, das heißt ein Vikariieren ist ausgeschlossen (vgl: $67 Abs. 1 Stög): 6er A l hatte vorgeschlagen, vsr Durchführung einer Sieherungsverwahrung eine soziaitherapeutische Behandlung von vier Jahren stattfinden zu lassen [§ 70 Abs. 1, 3 Al-StGB]). Bie Durchführung des Voll· zuges dieser Maßregel geschieht, von einzelnen Sondervorsehriften abgesehen (SS 129 ff:. StVollzG), nach den für den Vollzug der Freiheitsstrafe geltenden Bestimmungen; diese Regelung wird damit begründet, daß in anderer Weise Ordnung innerhalb der Anstalt nicht zu verwirklichen sei (vgl. BVerfGE 2, 118 [120]). Da jedoch allein zum Zweck der Sicherung des Schutzes der Allgemeinheit an der kumulativen Verhängung und Vollstreckung festgehalten wird, bestehen Bedenken gegenüber der" weitreichenden Gleichstellung mit Strafgefangenen (vgl auch 170 Abs. 4 AE-StGB): Aueh mag bei den Betroffenen der Eindruck erweckt werden, an ihnen wüfden nacheinander zwei Strafen vollzogen, zumal die Anstalten meistens personell wie auch räumlich eng mit den Strafanstalten verknüpft sind: = Bas Ziel einer „Re-Sozialisierung" tritt gegenüber dem Sieherungszweek zurück, scheidet jedoch nicht aus (167d Abs. 2 StGB, S l l l 9 f : , 134 StVollzG); so ist ein materiellfechtll· eher Anspruch eines Verwahrten, im Hinblick auf bestimmte tatsächliche Umstände eine vollständige Abschrift des aber ihn erstatteten (se*ualpsyehologischen) Sachverständigengutachtens zu erhalten, auf den ,,Re-§o§ialisierungs"-Gedanken gestützt worden (OLG Koblenz MBR 1975, 338): 4: Während die Häufigkeit der Sicherungsverwahrung im Jahre 1934 bei 3713, im Jahfe 1939 bei 1827 und im Jahre 1940 bei 1916 lag, wurde die Zahl 200 in den Jahren 1945 bis I960 nur zweimal überschritten, und zwar im Jahre 1958 mit 208 und im Jahre 1959 mit 230 (vgl: zum ganzen Hellmer 1961, 16 f:): im Anschluß an das 1, StrMG (aus dem Jahre 1969) hatte sieh bereits im Jahre 197Ö die Zahl der Verhängungen von Sicherungsverwahrung auf HO verringert; in den Jahren 1971-1978 betrugen die Zählen def Verhängungen 116,114,84,69,52,60, 51 und 35 (StrafSt: 1971=1978 Tab: 2). Die Schwankungen in def Häufigkeit der Anordnung von Si-

cherungsverwahrung mögen das Ausmaß der Unbestimmtheit der Voraussetzungen dieser Maßregel in der früheren und in der gegenwärtigen Fassung teilweise belegen: = Am 31.3: der Jahre 1970 bis 1978 befänden sich insgesamt 718, 502, 382, 376, 376,337,301,271 und 268 Personen in Sicherungsverwahrung (StVollzSt 1970=1978, Tab: 5):

MattagfaphieH Ρ. Α über sold: öle VefWahtilHg UHd VefSöfgUflg veftflittdeft tafeehHungsfähigef in def S c h w e i s B a s e l , S t u t t g a r t W t l . M : - l : A l b f e e h l : S t f a f a u w e s s u f i g u n d V o l l s t f e e k u t t g bei ö e k i s t f a ftsfl utilef ö e t u e k s i e h t i g u t i g d e s t a g e s s a t i s y s t e i t i s : Berlin 1MB. ü : fiise Hb e r g · M i n d e r j ä h r i g e in def ö e s e l l s e h a f t . ü b e r Z u s a m m e n h ä n g e t w i s e h e « instltutiafläiisieften äeelHffäeRtiguHgeH u n d öeiintjtteHi: U: ä. 1980: K : ß n g t s e h i ö i e L e t t f e v a n tief W i l l e n s f r e i h e i t in tief s t f ä f f e e h t s p h t l a s a p h i s e h e n ö a k t f w def ö e g e H w a f t : l . A u f i ; B e r l t a j . H e l l m e f : ö e f ö e w a h t i h e l t s v e f h f e e h e f u n d die SiehefUflgsvef: w a h f u n g 1934-1945: Berlin 1961. & H a a g : Maliettale S l i a ß u f f l e s s u t i g : g i n etifscheidutigstheefetisehes M a d e l l d e r s t t a f H e h t e t l i e h e t i fcntseheidung: K e i n U: a: 197t): G : J a k a b s · Sehuld u n d P f ä v e m i ö f l : fteeht u n d Staat: H e f t 4 5 ä / 4 M : T ü b i n g e n 1976, H . J a n e s , P ^ a r n e s : Ojsefl p r i s a n s : L o n d o n 1911. Μ. M a t ρ a f d t · ö o g f t i a t i s t h e u n d kfitttinalegisehe A s p e k t e d e s V i k a r i i e r e n s v o m S t r a f e ytid M a f l t e g e i . Beflltt 1 9 7 1 β : M a l l e t : A n o r d n u n g uttd Ä u s s e r u n g f f e i h e i t s e n t i i e h e n d e t MaBfegelH d e r B e s s e r u n g u n d S i e h e t u n g j B e r l i n , Muttehett 1981: R J t e i B e f t : S t f a f v e l l s u g itt e i n e m h a l b a f f e n e n %\ύ def S t r a f a n s t a l t : S a t t i n g e H 1911. B . S e h U H e t t t ä H t i : tiHtertleHWeHskfltttlHälltät Stfäffeeitt. (teilt U . ä : 19?9. ö . S t f a t e n w e t t h · ö i e Z u k y n f t d e s sttatfectitliehett S e h u l d p f i n i i p s : R ä f t a i h e 1911. O : s t t a t e n w e r t h · t a t s c h u l d uttd ä t r a f t u m e s s u n g : fteeht uttd S t a a t : Meft 406/401. T ü b i n g e n 1 9 7 1

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Strafrechtsreform

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Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Fachserie A. Bevölkerung und Kultur. Reihe 9 Rechtspflege. III. Strafvollzug; seit 1975: Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 4 Strafvollzug (StVollzSt.). Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Fachserie A. Bevölkerung und Kultur. Reihe 9 Rechtspflege. IV. Bewährungshilfe (BewHiSt.). Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 1. Ausgewählte Zahlen für die Rechtspflege (RPflSt.). Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland (StatJb.). Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz (VVStVollzG). ULRICH

EISENBERG

STRAFRECHTSREFORM I. EINLEITUNG Die Zeit für einen zusammenfassenden Überblick über die deutsche Strafrechtsreform ist nicht ungünstig, denn die Reformtätigkeit des Gesetzgebers hat nunmehr einen gewissen Abschluß gefunden. Dies gilt jedenfalls für das materielle Strafrecht, das allein Gegenstand dieses Artikels ist. (In die Betrachtung einbezogen werden wegen ihres engen Zusammenhanges mit dem materiellen Recht lediglich die prozessualen Bemühungen um die Bewältigung der Bagatellkriminalität. Ausgeklammert bleiben dagegen, obwohl im StGB geregelt - §§77 ff. und 78 ff. StGB Strafantrag und Verjährung, da es sich hierbei nach h. M. um prozessuale oder doch Institute mit stark prozeßrechtlichem Einschlag handelt). Die neue dogmatische und kriminalpolitische Grundkonzeption steht seit dem Ersten und dem Zweiten Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. und 2. StrRG) von 1969 fest und bietet sich in dem seit 1.1.1975 in Kraft befindlichen Allgemeinen Teil des StGB in einem neuen äußeren Gewand dar. Auch im Besonderen Teil sind in jüngerer Zeit gravierende Änderungen erfolgt, auch in seit Jahrzehnten auf das heftigste umstrittenen Bereichen, etwa bei den Staatsschutzdelikten durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz von 1968, bei Sexualdelikten durch das 4. StrRG von 1973, beim Schwangerschaftsabbruch nach dem Scheitern des 5. StrRG von 1974 endgültig durch das 15. StrafrechtsänderungsG vom 18.5.1976. Darüber hinaus wurden wichtige Deliktsgruppen im Besonderen Teil keineswegs nur redaktionell, sondern in sachlicher Hinsicht durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch von 1974 (EGStGB) teilweise recht einschneidend überarbeitet. Mit Recht stellt Jescheck fest, „der mit der Reform erreichte Stand des deutschen Strafrechts bedeutet in seiner Geschichte einen tieferen Einschnitt als seinerzeit die Gesetzgebung der Jahre 1870 und 1871, die im wesentlichen der Vergangenheit zugewendet war". Nimmt man das am 1.1.1977 (mit

Strafrechtsreform gewissen Ausnahmen) in Kraft getretene Strafvollzugsgesetz vom 16.3.1976 hinzu, das den Strafvollzug endlich auf eine einheitliche Rechtsgrundlage gestellt hat, so darf mit Recht behauptet werden, daß das deutsche Strafrecht einen Stand erreicht hat, der den internationalen Vergleich keineswegs zu scheuen braucht. Dies, obwohl gerade das Strafvollzugsgesetz bei weitem nicht die Erwartungen erfüllt hat, die in eine moderne, sozialstaatlichen Ansprüchen gerecht werdende Reform gesetzt werden konnten (—> Strafvollzug). Lediglich im Strafverfahrensrecht steht die Verwirklichung wichtiger Reformvorhaben noch aus (—> Reform des Strafverfahrensrechts). Nicht übersehen werden darf allerdings, daß jede Reform des materiellen Rechts sich auch auf das Strafverfahren auswirkt, also zugleich ein Stück Strafprozeßreform ist. So wird zunehmend darauf aufmerksam gemacht (Sarstedt, Reinhard von Hippel), daß die verstärkte Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit, wie sie vor allem bei der Festsetzung der Rechtsfolgen nunmehr geboten ist, den Verfahrensgegenstand beträchtlich erweitert und den Strafrichter vor Aufgaben gestellt hat, für deren Bewältigung er prozessual nicht ohne weiteres gerüstet ist. Der materiellrechtliche Gesetzgeber hat diese Auswirkungen sicher nicht in ihrer vollen Schärfe gesehen, so daß man überspitzt von einer unbewußten strafprozeßgestaltenden Kraft des materiellen Rechts sprechen kann. Die Darstellung erstreckt sich im wesentlichen auf die Entwicklung nach dem Zusammenbruch von 1945. Frühere Reformen und Reformbestrebungen, die - abgesehen von einigen zeitbedingten, noch früheren Änderungen des RStGB von 1871 in der Gründerzeit - bereits mit dem Vorentwurf 1909 einsetzten, können schon aus Raumgründen nur insoweit berücksichtigt werden, als sie nennenswerte Bezüge zu den jüngeren Reformen aufweisen. Die bis zum 2. Weltkrieg erarbeiteten Entwürfe sind jedoch vollständig in die Chronologie der Bemühungen um eine Gesamtreform des deutschen Strafrechts (II.) aufgenommen. Von den neueren Reformen können auch nur die wichtigeren und nicht die über 50 Novellen zum StGB seit Ende des zweiten Weltkrieges behandelt werden, ganz zu schweigen von den zahlreichen Änderungen im Nebenstrafrecht. (Ein vollständiger Überblick über die Änderungen des StGB seit 1871 ist z. B. dem Kommentar von Dreher-Tröndle, 41. Aufl. 1983, vorangestellt). Die Reform des Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland ist keine nationale Einzelerscheinung. Sie ist Teil einer internationalen Bewegung, die Ende der fünfziger Jahre eingesetzt hat und die in neuen Strafgesetzbüchern in Schweden (1962), in der Tschechoslowakei und Bulgarien (1967), in der D D R (1968), in Österreich (1975) sowie in einschneidenden Teilrevisionen z.B. im schweizerischen und französischen Strafrecht und schließlich in einer ganzen Reihe von amtlichen und privaten

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Reformentwürfen ihren Niederschlag gefunden hat. Unter diesen Umständen erscheint es besonders verlockend, das Thema Strafrechtsreform rechtsvergleichend anzugehen. Auch dem stehen jedoch die beengten Raumverhältnisse entgegen, so daß wegen des rechtsvergleichenden Aspekts der Strafrechtsreform insbesondere auf den 1978 erschienenen Band „Strafrechtsreform und Rechtsvergleichung" (Berliner Gastvorträge, hrsg. von Hans Lüttger, Verlag de Gruyter) verwiesen werden darf. - Zur D D R ist zu bemerken, daß sich die Strafrechtsordnungen in beiden Teilen Deutschlands im Zuge der jüngeren Reformen derart auseinanderentwickelt haben, daß sie sich nicht mehr auf eine gemeinsame deutschrechtliche Wurzel zurückführen lassen. Als nüchterne Konsequenz dieses Prozesses bleibt nur, das Strafrecht der DDR in gleicher Weise zu behandeln wie andere ausländische Strafrechte, ein Schritt, der z. B. in der dritten Auflage (1978) des der Rechtsvergleichung stark verpflichteten Lehrbuches von Jescheck getan wurde und den 1980 der Bundesgerichtshof (BGHSt. 30, 1) im wesentlichen nachvollzogen hat. Vgl. zur Strafrechtsentwicklung in der D D R im übrigen insbesondere Roggemann. Strafgesetzbuch und Strafprozeßordnung der D D R mit Nebengesetzen. 2. Aufl. 1978. Die folgende Darstellung vermittelt zunächst einen tabellarisch gehaltenen chronologischen Überblick über die Bemühungen um eine Gesamtreform des deutschen Strafrechts (II) und bringt dann in einem Hauptteil (III) eine Wiedergabe des Inhalts der wichtigsten Reformen. Die Darstellung folgt hier im wesentlichen dem Aufbau des Strafgesetzbuches bzw. im Besonderen Teil der Gliederung der Delikte, die sich in der deutschen Strafrechtswissenschaft durchgesetzt hat und der auch der Entwurf 1962 gefolgt ist. Dem Benutzer soll damit eine rasche Information über Änderungen der ihn jeweils interessierenden Einzelmaterie(n) ermöglicht werden.

II. CHRONOLOGIE DER BEMÜHUNGEN UM EINE GESAMTREFORM DES STRAFRECHTS A. Die Reformbestrebungen bis zum 2. Weltkrieg 1882 Marburger Programm von Franz von Liszt (ZStW 3, 1). Bedeutsamster Anstoß zur Strafrechtserneuerung (Spezialprävention, Täterstrafrecht). Streit der klassischen (Binding, Beling, Birkmeyer) und der modernen (soziologischen) Strafrechtsschule (v. Liszt, Kohlrausch, später Radbruch, Eb. Schmidt). 1902 Bildung eines freien wissenschaftlichen Komitees von acht Professoren auf Veranlassung des Staatssekretärs des Reichsjustizamtes Nieberding. Erarbeitung der 1909 abgeschlossenen 16bän-

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Strafrechtgreform

digen „Vergleichenden Darstellung des deutschet! und augländigchen Strafrechts". 1909 „Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch", erarbeitet von einer 1906 einggggtztgn, äug Stfaffgghtgpfaktikern bestehenden Kommission unter Versitg des Direktors im Preußischen Justizministerium Lucas, 1911 „Geggngntwurf" vöh Straffeehtslghfern dgf klassischen und modefnen Schule (Kahl; V: Ligzt, V: Lilien thai, Goldschmidt). - Spürbarer Einfluß der modernen Schule (Strafschärfung für Rückfalltäter und Gewohnheitsverbrecher, Einrichtung dgf Sicherunggverwahfung): 1913 „Kommisgiongentwurf", erarbeitet von einer aus Wissenschaftlern und Praktikern zusammgnggggtztgn gfößgfen Kommission, zunächst untgf dem Vorsitz von Lucas, spater von Kahl: 1114=18 Unterbrechung dgf Reformbemühungen dufch den 1; Weltkrieg. 1911 „Entwurf 1919", zusammengestellt von eingffi kleinen Kreis von Pfäktikern auf dgf G r ü n d l gg des Kommissionsentwurfs von 1913: Ausbau dgf Maßregeln dgf Sicherung und Besserung sowie der bedingten Strafaussetzung. Östgffgichiseher Qgggngntwuff zu dem Allgemeinen Teil dg« Ersten Buches des Deutschen Strafgesetzentwurfes 1919: = Def i ist Ausdfuck dgf nach dem 1: Weltkrieg einsetzenden engeren Zusammenarbeit mit Österreich zum Zwecke dgf gegenseitigen Reehtsangleichung. 1920 Publikation dgf Entwürfe 1913 und 1919 zusammen mit einer Denkschrift. i f l l Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches; vorgelegt von dem damaligen Reichsjustizminister Gustav Radbruch: - Der I 1922 geht ebenfalls auf ging Zusammenarbeit mit dgm österreichischen Bundesministerium für Justiz zurück, igt abgf doch im wesentlichen das Werk Gustav Radbfuchs: I r ist stark geprägt von den Forderungen der modernen Strafrechtsschule: Die Geldstrafe steht im Mittelpunkt des Strafensys terns; Verstärkung dgf Resozialisierungsmöglichkeiten durch Ersetzung der Zuchthausstrafe mit ihren entehrenden Folgen durch dag „strenge Gefängnis" sowie dufgh Abschaffung der Ihrgnstrafen; AbSchaffung der Todesstrafe; Bemühungen um Verschmelzung von Strafen und Maßregeln der Bessefung und Sicherung; Möglichkeit der Vollziehung freiheitsentziehgnder Maßregeln vor der Strafe und danach Verzieht auf Strafvollstreckung sowie Möglichkeit) die Sicherungsverwahrung von vornherein an die Stelle der Strafe treten zu lassem Ber Entwurf Radbruchs wurde efst 19s2 publiziert. 1925 Amtlicher Entwurf eingg Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches. = Dgf Ε weist einschneidende Abschwaehungen def Radbrueh'schen Konzeption auf: 1927 Dag gilt in noch verstarktgm Maße füf den Entwurf gingg Allgemeinen Deutschen Strafgesetz-

buches 1927, dgf das Ergebnis giner gingehenden Beratung des Ε 1925 im Reichsrat ist: 1930 Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches nach den Beschlüssen der ersten Lesung des Deutschen Rejehstagsausschusses und den Deutschen und österreichischen Strafe rechtskonferenzen (Ausgabe von Kohlfausch = Ε 1930 = I Kahl): = Der 1 igt dag Ergebnig eingehender Beratungen deg I 1927 im 21 Ausschuß (Reichsstrafgesetzbuch) des Deutschen Reichstages (Vorsitz: Kahl) und verschiedener deutscher und österreichischer parlamentarischer Strafrechtskon-ferenzen: Wegen der Auflösung dgs Reichstages 1930 konnte die zweite Lesung dgs Ε night mehr abgeschlossen werden. Damit waren die Bemühungen um eine rechtsstaatliche Gesamtrefofm dgs deutschen Strafrechts gescheitert: 1936 Entwurf 1936 (Gürtnef): - Der I ist das Ergebnis der Beratungen einer 1933 eingesetzten amtlichen Strafrechtskommission. Er iöste sich weitgehend von der rechtsstaatlichen, liberalen und humanitären Grundhaltung der Entwürfe der Weimarer Zeit. Der Ε wurde nicht veröffentlicht: Ef war den nationalsozialigtigchen Machthaber« immer noch nicht totalitär genug und wurde deghalb nicht Gesetz, B. Die Refonnbestfebungen nach dem Siusamntenhruch von 1948 1953 Entschluß des damaligen Bundesjustizministers Dehler, die große Strafrechtgreform wieder in Angriff zu nehmen. Veranlassung von Gutachten deutscher Strafrechtslehrer zu Grundfragen dgg künftigen Straffgchts (Materialien zur Strafrechtsfgfofffl: i d : 1:1934) und von umfangreichen rechtsvergleichenden Vorarbeiten durch das Institut für äugländigchgg und internationales Strafrecht der Univefgitat Freibufg i : Br : (Materialien zur Straffgehtsfgforffl: Bd:2: I: Allgemeiner Teil 1954: IL Besonderer Teil 1953): 1954 Berufung der Großen Strafrechtskommission (Stfafrechtslehrer und -praktikgr, Vertreter der Landesjugtizverwaltungen und der Anwaltschaft, Abgeordnete des Deutschen Bundestages) durch den Nachfolger Dehlers, Bundesjustizminister Neumayer: Aufgabe: Beratung deg Entwurfs gines neuen Strafgesetzbuches mit Unterstützung durch die Strafreehtsabteilung des Bundesjustizministeriums: Die Große Strafrechtskommission hielt bis 1939 22 Arbeitstagungen und zahlreiche (Unterkommissions=)Sitzungen ab. Die Niederschriften über die Sitzungen wurden in 14 Bänden 1956=1960 veröffentllcht. 1956 Fertigstellung eines Entwurfes des Allgemeinen Teils gings StGB (vom Bundesjustizminigteriuffl 1938 veröffentlicht):

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Sttaffechtsreform 1938 Fertigstellung des Allgemeinen und des Besonderen Teils; 1959 veröffentlicht vöw Bundesjustizministeriurn aufgrund der 1. Lesung in def Großen Strafrechtskommission (Μ 19591) und def I Lesung ( I 1939 11): 1960 Fertigstellung eines ersten ÖesaMtentWUffes mit Begründung im Bundesjustizministeriuni: Vorläge dutch Bundesjustizminister Schaffet an die Bundesregierung. Von def Bundesregierung beschlossen. Der Ε passierte noch den Bundesrat* def Bundestag konnte ihn aber in der zu Ende gehenden 3: Legislaturperiode nicht mehr behandeln: 1962 wurde der Ε i960, unwesentlich geändert, als Entwurf 1962 erneut dem Bundesrat zugeleitet und mit der Stellungnahme des Bundesrates und einigen sachlichen Änderungen durch die Bundesregierung (Bundestagsvorlage 1962, Drucks. IV/ 650) in den Bundestag eingebracht. 1963 wurde der Μ 1962 in erster Lesung vom Bundestag behandelt: Ansehließend wurde er im RechtsaussehüQ (Unterausschuß Strafrecht, spater Sonderausschuß Strafrecht) beraten, konnte aber in der 4: Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden: in der Wissenschaft stieß der Ε 1962 zunehmend auf herbe Kritik: ihm wurden vor allem eine verfehlte krittiinalpolitische Konzeption. Weltanschauliche Beflissenheit, zahlreiche Marten, Pedanterie und Perfektionistnus vorgeworfen. Ersten Niederschlag in Gestalt eines Gegenentwurfs fand diese Kritik in dem „Entwurf eines Strafgesetzbuches, Allgemeiner t e i l " des Tübinger Strafrechtlers Jürgen Baumann (Hecht und Staat Heft 274/275, 1963): 1965 Um Zeit zu gewinnen, wurde der Ε 1962 als Initiativentwurf 1965 unverändert In den 5: Deutschen Bundestag eingebracht. 1966 ff: 1966 wurde def Sonderausschuß des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform gebildet. Wegen def Zunahme def Bedenken gegen den Gang der amtlichen Reform schlossen sieh 14 deutsche und schweizerische Strafrechtsiehrer zusammen, die 1966 den „Aitemativ-Entwuff eines Strafgesetzbuches, Allgemeiner Teil" vorlegten (2. Aufl: 1969). D e r v o n d e r Fraktion d e f F D P 1967 in d e n B u n -

destag eingebrachte A E wurde vom Sonderausschuß für die Strafrechtsreform mitberaten und hat die kriminälpolitische Konzeption der amtlichen Reform Wesentlich beeinflußt: Dasselbe gilt für die Alterhativ-Mntwürfe zum Besonderen Teil· ,,Se*uaidelikte, Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand, Straftaten gegen den religiösen Frieden und die Totenruhe" (1968), „Politisches Strafrecht" (1968), „Straftaten gegen die Person, LHalbbd:" (1970), „Straftaten gegen die Person, I H a i b b d . " (1971), „Straftaten gegen die Wirtschaft" (1977):

1969 gelang mit def Verabschiedung des 1: und des 2: Strafrechtsreformgesetzes ein wichtiger Teil der Öesamtreform. 197S Das am 1,1,1975 in Kraft getretene 2: StrRÖ bfachte einen neuen Allgemeinen Teil, Wegen der zum Teil einschneidenden Änderungen des Besonderen Teils durch das Einfuhrungsgesetz zum StGB von 1974 wurde das Strafgesetzbuch am 2:1,1975 neu bekanntgemacht (BGBl: ί S. 1): 111. BGH INHALT B E B WICHTIGSTEN REFORMEN A . Reformen im Allgemeinen Teil des ätfafreehts i. ömndmü^ittuHgM

dw dmutichen Smfretktsrnfom

Die psychologischen, psychiatrischen und kriminologischen Forschungen der letzten hundert Jahre haben efgeben, daß die menschliche Willensfreiheit erfahrungswissenschaftlich nicht nachweisbar ist: Die Strafrechtswissenschaft konnte also jedenfalls nicht mehr mit der von der idealistischen Philosophie vermittelten Sicherheit davon ausgehen, daß sich der Mensch frei zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann (Indeterminismus). Vielmehr mußte die zunehmende Unsicherheit des Menschenbildes zwangsläufig zu einer Abkehr vom reinen Schuld-Sühne-Denken, also von dem Vergeltungsstrafrecht im Sinne Kants und Hegeis führen, i i n langwieriger, bis heute noch nicht abgeschlossener Erkenntnisprozeß führte zu der Einsicht, daß die Strafe nicht mehr als unabdingbare und zweckfreie Reaktion auf schuldhaft ( = in ffeier Entscheidung) begangenes Unrecht begriffen werden kann: ist der Straftäter kein selbstherrlich entscheidender und handelnder Antiheld, sondern in def Regel ein schwacher Mensch, der den Zwangen und Versuchungen seiner Umwelt besonders leicht erliegt, so drängt sich def Gedanke auf, ihn nicht vergeltend zu bestrafen, sondern ihm zu helfen, dieser Schwäche entgegenzuwirken: Demgemäß formuliert $2 Satz 1 des Strafvollzugsgesetzes vom 16.11976 (BGBl, i , S: 581) als Vollzugsziel, „im Vollzug der Freiheitsstrafe soli der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Stfaftaten zu führen": Die Resozialisierung des Täters als strafrechtliches Ziel ist zuf beherrschenden Losung der neueren Reformdiskussion - nicht nur in der Strafrechtswissenschaft - geworden, zumal man im Anschluß an die moderne Strafreehtssehule Franz von Liszts und gestützt auf neue und verfeinerte statistische Erhebungen darauf verweisen konnte, daß das klassische Vergeitungsstrafrecht gerade im Strafvollzug versagt hätte, wie die hohen Rückfalltjuoten (-=> Rückfall und Prognose) beweisen: Verfassungs-

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Strafrechtsreform

rechtlich läßt sich die Forderung nach Resozialisierung aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 G G ) herleiten (Würtenberger), wobei man sich darüber im klaren sein muß, daß das Sozialstaatsprinzip noch zu wenig präzisiert ist, um daraus fertige Modelle ableiten zu können; dies gilt für das Strafrecht ebenso wie für andere Rechtsgebiete. Mit dem Kostenargument - die resozialisierungsfreundliche Ausgestaltung des Strafrechts und des Strafvollzuges ist für die Rechtsgemeinschaft auf die Dauer billiger als der wiederholte Strafvollzug an Rückfalltätern - konnten in den letzten Jahren Politiker und maßgebende Bevölkerungskreise für den Resozialisierungsgedanken gewonnen werden. Bei alledem darf aber nicht übersehen werden, daß - worauf neuerdings zu Recht verstärkt hingewiesen wird - der Aussagegehalt des Resozialisierungsbegriffes (noch) relativ beschränkt ist. Einig ist man sich nur in der Ablehnung des reinen Vergeltungsstrafrechts. Noch nicht gelungen ist eine allseits anerkannte positive Ausgestaltung und Konkretisierung der Resozialisierungsidee. Evident wird dieses Manko in dem am 1 . 1 . 1 9 7 7 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz, wo über allgemeine Aussagen zur Gestaltung des Vollzuges hinaus keine konkreten Behandlungsmethoden festgeschrieben sind, einfach deshalb, weil empirisch ausreichend erprobte Konzepte dieser Art noch fehlen und erst erprobt werden müssen (—» Strafvollzug). Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß schon der Begriff der Resozialisierung insofern nicht korrekt ist, als viele Täter noch nie sozial angepaßt waren, also bei ihnen eine (erstmalige) Sozialisierung angestrebt werden muß. Nicht unbegründet erscheint auch die Warnung vor einer Resozialisierungseuphorie, die zwar das Beste des Verurteilten will, aber an Behandlung zu viel tut und damit für den Probanden zu einem ebenso schlimmen und das Vollzugsziel gefährdenden Übel wird wie die alte Vergeltungsstrafe. Der Mitte der sechziger Jahre auch den Gesetzgeber erfassende Durchbruch der keineswegs neuen Einsicht, daß das Strafrecht in vielen Fällen nicht geeignet ist, den straffällig Gewordenen zu bessern und ihm in Zukunft ein straffreies Leben zu ermöglichen, hat nicht nur zu einer spezialpräventiven Umgestaltung des Sanktionensystems geführt, sondern darüber hinaus - neben anderen Einflüssen, etwa verfassungsrechtlicher Art - das Bestreben wach werden lassen, es schon von vornherein nicht zur Anwendung des Strafrechts kommen zu lassen, also den Kreis strafbarer Verhaltensweisen enger zu ziehen. Das hat einmal zur Streichung und Beschneidung einer ganzen Reihe von Tatbeständen geführt. Als heute bereits klassischer Bereich einer von dieser Tendenz der Gesetzgebung getragenen Durchforstung werden die Sittlichkeitsdelikte genannt. Zum anderen wurden auf Kosten des Legalitätsprinzips die Möglichkeiten aktiviert, von der

Durchführung eines Strafverfahrens trotz rechtswidriger und schuldhafter Tatbestandserfüllung abzusehen (vgl. § § 1 5 3 f. StPO). - Allerdings ist zur Vervollständigung des Bildes zu vermerken, daß keineswegs eine ausschließliche Tendenz zur Strafrechtseinschränkung besteht, vielmehr in den letzten Jahren - vorwiegend aus aktuellen Anlässen durchaus auch neue Straftatbestände ins S t G B gelangt sind, und zwar zur wirksameren Bekämpfung des Menschenraubes ( § § 2 3 9 a und 2 3 9 b S t G B , Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme), der Luftpiraterie (§ 316 c S t G B ) , der Wirtschaftskriminalität (§§ 264 und 265 b S t G B , Subventions- und Kreditbetrug; weitere Strafvorschriften, namentlich Tatbestände im Vorfeld des Betruges, sind vorgesehen) sowie des Terrorismus (§ 129a S t G B , Bildung terroristischer Vereinigungen). Die Willensfreiheit des Menschen kann zwar nicht positiv nachgewiesen werden, sie kann aber von den Erfahrungswissenschaften bislang ebensowenig ausgeschlossen werden. „Der Mensch erscheint als ein eigentümliches Zwischenwesen zwischen Freiheit und Gebundenheit" (Dreher). Strafgesetzgebung, Strafrechtswissenschaft und Rechtsprechung können also nach wie vor, wenn auch nicht mehr bar jeden Zweifels, den Schuldgedanken postulieren, der im übrigen auch in der Bevölkerung durchaus lebendig ist, und sind nicht auf einen Determinismus festgelegt. Dies liegt auch um so näher, als unser ganzes sonstiges Rechtssystem auf die Entscheidungsfreiheit des Menschen angelegt ist: In Art. 2 Abs. 1 G G hat die Verfassung eine Grundentscheidung für die Freiheit der Person getroffen, das Zivilrecht wird nach wie vor beherrscht vom Grundsatz der Privatautonomie, und wie selbstverständlich ist allen Bürgern das Recht zuerkannt, in Wahlen über weittragende und häufig komplizierte politische Fragen zu entscheiden. „Die Freiheit pflegt man nur mit Bezug auf das Strafrecht, in dem ihre Last zu tragen ist, zu leugnen" (Bockelmann). - Neuerdings kommt auch in der Strafrechtswissenschaft die Einsicht wieder mehr zur Geltung, daß es den einheitlichen, aus Schwäche und unter dem Zwang der Umstände handelnden Täter nicht gibt. V o r allem der zielstrebig und rücksichtslos das Risiko genau kalkulierende Wirtschaftskriminelle hat wesentlich zur Korrektur des Bildes beigetragen. Diese differenzierte Betrachtungsweise sollte nicht auf den Sektor der Wirtschaftsdelinquenz beschränkt bleiben, sondern auch andere Bereiche erfassen, etwa die Wohlstands- und Begehrenskriminalität sowie die Straßenverkehrsdelinquenz. Noch der Entwurf 1959 enthielt an hervorragender Stelle in § 2 ein Bekenntis zum Schuldstrafrecht: „Wer ohne Schuld handelt, wird nicht bestraft. Die Strafe darf das Maß der Schuld nicht überschreiten" (vgl. auch § 2 Abs. 2 A E ) . Diese Bestimmung wurde zwar in die späteren Entwürfe und auch in den seit 1 . 1 . 1 9 7 5 in Kraft befindlichen neuen Allgemei-

Strafrechtsreform nen Teil des S t G B nicht übernommen. Dies bedeutet jedoch keine Abkehr vom Schuldgrundsatz. Vielmehr wurde auf die Vorschrift deshalb verzichtet, weil der Schuldgrundsatz so selbstverständlich sei und sich aus zahlreichen anderen Vorschriften, z. B . über die Schuldfähigkeit (jetzt §§ 19ff. S t G B ) ergebe, daß er keiner besonderen Hervorhebung bedürfe. Im geltenden neuen Recht findet sich das Schuldprinzip als Grundlage der Strafbemessung in § 46 Abs. 1 S. 1 S t G B , wobei man sich heute weitgehend einig darüber ist, daß die Tatschuld, nicht etwa eine Lebensführungsschuld, gemeint ist. Die Skeptiker gegenüber dem Schuldprinzip konnten diese Entscheidung des Gesetzgebers hinnehmen, weil die Schuld, auch wenn man ihre metaphysische Verwurzelung zunehmend leugnet, ganz pragmatisch dazu dient, die Strafe nach oben zu begrenzen, während ein reines Resozialisierungsstrafrecht die Dauer der Behandlung des Täters vom Resozialisierungserfolg abhängig machen müßte. Niemand denkt aber ernsthaft daran, einen Täter, der wiederholt kleine oder auch mittelschwere Diebstähle oder Betrügereien begangen hat, möglicherweise bis an sein Lebensende zu behandeln. Immer wieder wurde auch darauf hingewiesen, daß bei einem Verzicht auf den Schuld-SühneGedanken die NS-Gewaltverbrecher heute nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden könnten, da sie sich längst in die Gesellschaft (wieder-)eingegliedert hätten, so daß keinerlei Resozialisierungsbedürfnis bestehe, ein ausschließliches Besserungsstrafrecht also strafrechtliche Sanktionen nicht verhängen könnte. Ein Sanktionsverzicht in diesen Fällen sei jedoch für das Gerechtigkeitsempfinden unerträglich. Schließlich sollte die heilsame strafprozeßbeschränkende Wirkung eines an der Tatschuld orientierten Strafrechts nicht zu gering veranschlagt werden. Die Verantwortlichkeit für eine ganz konkrete Tat läßt sich trotz aller Vorbehalte gegenüber der prozessualen Feststellbarkeit der subjektiven Tatseite immer noch ungleich leichter ermitteln als die Anti- oder Asozialität einer Person und deren Behandlungsbedürftigkeit, deren Feststellung (durch wen?) zu einer totalen Entschleierung der Persönlichkeit führen müßte, die auch verfassungsrechtlich (Art. 1 Abs. 1 G G ) schwerlich hingenommen werden könnte. Mit dem Festhalten am Schuldprinzip in den jüngsten Reformen waren zugleich die Würfel für die grundsätzliche Beibehaltung der überkommenen Strukturen des Strafrechts, also der tatbestandlichen Vertypung des strafwürdigen Unrechts und der Zweiteilung der Sanktionen in Strafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung gefallen. Sowohl das Strafen- als auch das Maßregelsystem wurde zwar resozialisierungsfördernder ausgestaltet - Verzicht auf die entehrende Zuchthausstrafe, Zurückdrängung der kriminalpolitisch unerwünschten kurzfristigen Freiheitsstrafe zugunsten der Geld-

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strafe, Erweiterung der Strafaussetzung zur Bewährung, Möglichkeit der Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt, grundsätzlich Vollzug der Maßregeln vor einer daneben verhängten Freiheitsstrafe und Anrechnung des Maßregelvollzuges auf die Freiheitsstrafe - , aber es wurde doch eine deutliche Absage an die grundsätzliche Ablösung des Strafrechts durch ein System therapeutischer und pädagogischer Maßnahmen i. S. der extremen, namentlich von Gramatica repräsentierten Richtung der difense sociale erteilt. Noch unter dem Eindruck der schrecklichen Erfahrungen mit einem die rechtsstaatlichen Grenzen verlassenden Strafrecht in der Zeit des Nationalsozialismus, war es Ziel der Regierungsentwürfe der sechziger Jahre, unbedingt an einer präzisen gesetzlichen Umschreibung der Voraussetzungen strafrechtlicher Rechtsfolgen festzuhalten, was mit einem an die Antisozialität und Gefährlichkeit einer Person anknüpfenden Behandlungsrecht, das mit Maßnahmen gar nicht warten möchte, bis ein Delikt begangen wird, unvereinbar wäre. Mit einem derartigen Präventionsrecht hätte man auch die Tradition der modernen deutschen Strafrechtsschule Franz von Liszts verlassen; von Liszt hatte bekanntlich stets eine genaue tatbestandliche Umschreibung desjenigen Verhaltens gefordert, das strafrechtliche Rechtsfolgen auslösen sollte. Schließlich fehlte es an zuverlässigen breiteren empirischen Erfahrungen mit einem reinen Behandlungsrecht. Ohne Zweifel hat jedoch der gemäßigte, etwa von Marc Ancel vertretene Zweig der defense sociale über den Alternativentwurf stark auf die Ausgestaltung der strafrechtlichen Rechtsfolgen eingewirkt, wie sie seit dem l . S t r R G von 1969 geltendes Recht sind (jetzt 3. Abschnitt, §§ 38 ff. des Allgemeinen Teils der seit 1 . 1 . 1 9 7 5 in Kraft befindlichen Neufassung des StGB). Aber nicht nur das doch noch tiefer als häufig zugegeben in unserem Rechtsdenken verwurzelte Schuldprinzip hat den Reformgesetzgeber von der Schaffung eines noch stärker ausgeprägten Resozialisierungsstrafrechts zurückgehalten. Obwohl die Generalprävention im neuen Recht nirgends ausdrücklich erwähnt wird, hat doch die Idee der abschreckenden Wirkung der Strafe auf die Allgemeinheit mit dazu beigetragen, dem Strafrecht seinen Charakter der Zufügung eines spürbaren Übels zu erhalten. So wurde das Mindestmaß der Freiheitsstrafe auf einen Monat festgesetzt (§ 38 Abs. 2 S t G B ) , während der Alternativ-Entwurf hierfür 6 Monate vorgeschlagen hatte ( § 3 6 Abs. 1 A E ) . Als weitere, nur generalpräventiv zu erklärende Abweichungen der Reformgesetzgebung von den Alternatiworschlägen seien genannt: Höchstmaß der Geldstrafe nach § 4 0 Abs. 1 S. 1 S t G B 360 Tagessätze, § 4 9 Abs. 1 S. 2 A E : 24 Monatssätze, also das Doppelte; Möglichkeit der Ersetzung der allein angedrohten Freiheitsstrafe durch Geldstrafe bis zu sechs Monaten (§ 47 Abs. 2 S t G B ) , § 50 Abs. 1 A E :

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Strafrechtsreform

bi§ zwei Jahren; entgegen § 57 A i keine Verwarnung mit Strafvorbehaft bei Freiheitsstrafe, sondern nur = und auch dort nur bei Vorliegen blonderer Umstände - hei der Geldstrafe (§19 StGH); Zurückhaltung im Einsatz der „dritten Spur" des Strafreehts, der Strafaussetzung zur Bewährung, schon was die Höhe der aussetzungsfähigen Strafe anlangt ($40 Abs, 1 A l ; Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, S§6 Abs, 1 StQI; Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr im Normalfall); Absehen von Strafe bei „Bestrafung" des Täters durch die Tatfolgen, wenn nicht eine höhere als einjährige Freiheitsstrafe verwirkt 1st (§60 S t S I ) , §58 Abs, 1 AE; Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, außerdem Einbeziehung außergewöhnlich sehwerer Konfliktslagen in dieses Rechtsinstitut, Trotz aller Streitigkeiten Uber die Auslegung dieses Begriffes im einzelnen ist man sieh einig darüber, daß die „Verteidigung der Rechtsordnung" in 47 und 16 Abs, 3 StÖB stark generalpräventive Elemente aufweist (zum Verständnis dieser Formel in der Rechtsprechung vgl, BGHSt, 24,4q und 64, wo entscheidend auf den Gesichtspunkt der Erhaltung der Rechtstreue in der Bevölkerung abgestellt wird), Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Reformgesetzgebung nicht zur Verdrängung auch nur tings"der hergebrachten Strafzwecke "aus dem StGB geführt hat, Vielmehr ist unser Strafrecht weiterhin der Schuldvergeltung verpflichtet, und es verfolgt daneben spezial- wie auch generalpräventive Zwekkt: Nach wie vor besteht also die Schwierigkeit, die verschiedenen Strafzwecke miteinander in Einklang zu bringen, was die Vereinigungstherorie mit voneinander teilweise so stark abweichenden Schattierungen versucht, daß es eher angebracht erscheint, von verschiedenen Vereinigungstheorien zu sprechen, I s ist verlockend, das Dilemma dadurch aufzulösen oder doch zu entschärfen, daß man den vermiedenen Stadien, in denen das Strafrecht dem einzelnen entgegentritt, verschiedene Strafzwecke zuordnet, nämlich die Generalprävention der durch den Gesetzgeber erfolgenden Strafandrohung, die ichuldvergeltung der in die Hand des Richters gelegten Verhängung der Strafe und die Resozialisierung der von der Vollzugsbehörde vollzogenen Strafe, Die reine Buchführung einer derartigen Breiteilung ist jedoch nicht möglich, da das Strafrecht trotz dieser Aufgliederung in verschiedene Etappen eine Einheit bleibt, Man wird also besser nur von einer Schwerpunktbildung in dem geschilderten Sinne reden, Denn selbstverständlich verbietet die Menschenwürde und der im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem Gesetzgeber die Androhung nicht schuldangemessener Strafen nur um einer besonders intensiven generalpräventiven Wirkung willen, Und ebenso selbstverständlich darf der" Richter bei der Strafverhängung nicht nur nach dem Sehuldvergel-

tungsprinzip verfahren, sondern muß die Wirkung der Strafe auf den Verurteilten, also spezialpräventive Gesichtspunkte, berücksichtigen· Schließlich hat sich ein noch so resozialisierungsfreundiieher Strafvollzugsstab bewußt zu bleiben, daß gerade auch der Vollzug der Strafe dem Schuldausgleich und „dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten" (12 S, I StVollzG) dient. Trotz vielfältiger Bemühungen ist es auch auf anderen Wegen nicht gelungen, eine allseits akzeptierte Harmonie der Strafzwecke zu schaffen- Es blieb vielmehr eine Unsicherheit bereits in den ganz elementaren Fragen unseres Strafrechts, die allein schon verhindern wird, sieh für längere Zeit mit dem jetzt erreichten Stand dieses Reehtsgebiets abzufinden, Zu hoffen bleibt, daß Korrekturen der jetzigen kriminalpolitisehen Konzeption nicht sprunghaft, etwa nur anläßlich aktueller Hrscheinungen, wie z,B, des Terrorismus, sondern wohlüberlegt und mit Blick darauf erfolgen, daß jeder Eingriff Auswirkungen auf die Balance des gesamten Systems zur Folge hat· Was die Rechtspraxis anlangt, so dürfte bei dem entscheidenden Akt der Strafzumessung auch in Zukunft die vom Bundesgerichtshof (BGHSt, 7,28, 32; 20,264,267; 24,132,134) und überwiegend im Schrifttum (vgl, die Nachweise bei Sehonke-Schröder; StGB, 21. Aufl. 1982 Rdn,lQ vor §§38 ff.) vertretene Spielraumtheorie das Feld beherrschen, die von der Prämisse ausgeht, der Richter habe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens einen zusätzlichen, durch die Schwere des konkreten Falles abgesteckten (engeren) Rahmen (= Spielraum), innerhalb dessen die Strafe nach unten schon und nach oben noch schuldangemessen sei, innerhalb dieses Spielraums könne er anderen Strafzwecken (Abschreckung und Sicherung der Allgemeinheit, Resozialisierung des Täters) Raum geben. Die Spielraumtheorie kann sich zwar (auch) auf §46 Abs, 1 §, 1 StGB stützen, wonach die Schuld des Täters Grundlage für die Zumessung der Strafe ist· Aber sie ist nicht die einzige Konsequenz aus dieser Bestimmung, Vielmehr ließe es sich mit dem vom Gesetzgeber bewußt unverbindlich gehaltenen Begriff „Grundlage" durchaus vereinbaren, die sehuldangemessene Strafe - etwa aus generalpräventiven Überlegungen - zu überschreiten oder aus spezialpräventiven Erwägungen - zu unterschreiten, wenn man sich dabei nur nicht allzusehr grundsätzlich) vom Schuldprinzip entfernt. Die Vorstellung der Schuldüberschreitung ist - trotz der (bislang) gefestigten gegenteiligen Rechtsprechung (vgl, insbesondere BVerfGI 45,187,260) - derart beunruhigend, daß man sich insoweit ein klares Verbot des Gesetzgebers (·§, der §§2 Abs, 2, 59 Abs· l S, 1 A l gewünscht hätte, Zu begrüßen ist dagegen, daß der Reformgesetzgeber die Spielraumtheorie nicht nach unten festgeschrieben hat, bleibt doch auf diese Weise Raum für eine eventuell für notwendig erachtete Änderung der gegenwärti-

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Strafrechtsreform gen Rechtsprechung in Richtung auf eine Verhängung aueh das Schuldmaß unterschreitender Strafen aufgrund eines überwiegenden Resozialisierungsinteresses: 2, Qeltmgsbmkh

des

Strefgmtm

a) B e r z e i t l i e h e G e l t u n g s b e r e i c h : Ber Reformgesetzgeber hat das in Art, 103 Abs, 2 o q = neben dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem Analogie verbot- enthaltene Rüekwirkungsverbot für so wiehtig erachtet, daß es nunmehr, als Anweisung an den strafreehtsanwendenden Richter, an hervorragender Stelle des StGB in $ 1 wörtlieh wiederholt wird. Was die ?eitli§he Geltung des Strafgesetees im übrigen anlangt, so ist es in 8 1 StGB im wesentlichen bei der sehen früher geltenden Regelung geblieben: In 8 1 A b s J StGB wird allerdings nunmehr ausdrücklich hervorgehoben, daß Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung wegen ihres teilweise pönalen Charakters den gleiehen Grundsätzen unterliegen wie die Strafe und ihre Nebenfolgen, Verfassungsrechtlich bedenklieh ist die Beibehaltung der Ausnahme der Maßregeln der Besserung und Sicherung vom Rüekwirkungsverbot (81 Abs, 6 StGB), Für die Maßregeln ist also der Zeitpunkt der Entscheidung maßgebend, falls nichts anderes bestimmt ist, l i n e solche gegenteilige Bestimmung, die das 2, StrRG zunächst für die Unterbringung in einer sozialtherapeutisehen Anstalt, für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und für die Führungsaufsieht vorgesehen hatte, wurde durch das I G S t G B wieder gestriehen, so daß nunmehr lediglich die Übergangsvorschriften in Art, 301, 303 und 305 I G S t G B gelten, die für die soüialtherapeutisehe Anstalt, die Führungsaufsieht und das Berufsverbot n,F, Rückwirkungsverbote anordnen, Bemgegenüber hatte der A i in 8 1 Abs, 1 generell für die Verhängung von Maßregeln gesetzliehe Bestimmtheit zur Zeit der Tat verlangt, mit der Begründung, „daß die Maßregeln überaus schwere Eingriffe in die Reehtsgüter des Betroffenen bedeuten und wie eine Strafe repressiv wirken können", b) Zum räumlichen und persönlichen G e l t u n g s b e r e i c h des deutsehen Strafrechts ist hervorzuheben, daß das l , StrRG in 8 3 StGB zu dem Territorialitätsprinzip zurückgekehrt ist, dem bereits das Reiehsstrafgesetzbueh von 1871 gefolgt war, das aber 1940 zugunsten des aktiven Personalprinzips aufgegeben worden war: Zutreffend ist dazu in der Begründung des 1 1 9 6 1 ausgeführt, „bei dem gegenwärtigen Verhältnis der Kulturstaaten zueinander (werde) ein Anspruch des Staates, dem Staatsangehörigen überall hin in der Welt mit dem heimischen Strafreeht zu folgen, fragwürdig", Nicht Aufgabe des Strafreehts ist nach traditioneller Auffassung die Bestimmung des Inlands- und Aus-

landsbegriffs: B a s deutsehe Strafrechtsanwendungsrecht enthält deshalb nach wie vor keine Regelung dieses Problems, das naturgemäß vor allem hinsichtlich der in der B B R begangenen Straftaten eine erhebliehe Rolle spielt: Im Schrifttum setzte sich, zumal nach den Verträgen mit Polen und der B B R , entgegen der früheren Rechtsprechung des B G H und des BVerfG immer stärker die Auffassung durch, daß Inland nicht mehr das Beutsehe Reich in den Grenzen vom 31:11:1937, sondern nur noch das Territorium der Bundesrepublik Beutsehland sein kann, mit der Folge, daß in der B B R begangene Straftaten wie Auslandstaten zu behandeln sind; so im Grundsatz jetzt aueh BGHSt, 30, i f f : Unbefriedigend bleibt allemal, daß die Entscheidung politisch derart intrikater Fragen beim Strafriehter hängengeblieben ist: 3:

Begriffsbestimmungen

Im Anschluß an den 1 1 9 6 1 definiert 811 StGB i: d: F: des 1: StrRG eine Reihe von Personen- und Saehbegriffen, deren sieh der Gesetzgeber im StGB häufig bedient. Teilweise handelt es sieh dabei um Begriffsbestimmungen, die bereits im alten Recht dort enthalten waren, wo sie die praktisch bedeutsamste Rolle spielten, etwa der Angehörigenbegriff beim Nötigungsnotstand des 811 StGB a , F : oder der Unternehmensbegriff zunächst bei den Hoehverratsdelikten, später - seit dem 8: StrRÄndG von 1968 = in 846 a StGB a,F: im Anschluß an den Rüektritt vom Versueh: Teilweise handelt es sich um die Umschreibung von Begriffen, die zwar schon bislang vom Gesetz verwendet, aber nicht definiert waren, etwa der Begriff des Richters, oder die erst durch das 1, StrRG ins StGB aufgenommen wurden, wie der Begriff des für den öffentlichen Bienst besonders Verpflichteten, Während noch der I 1961 in 811 Abs, 1 Nr: 1 eine Befinition der Straftat enthalten hatte, die allerdings als irreführend und überflüssig kritisiert wurde, verzichtete das %, StrRG ganz auf eine Befinition: B a s I G S t G B brachte dann die nunmehr in 811 Abs: 1 Nr, 5 StGB enthaltene Befinition des im Gesetz häufig verwendeten Begriffs „rechtswidrige Tat", um klarzustellen, daß immer nur eine solche rechtswidrige Tat gemeint ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. I s handelt sich also um nichts weiter als eine Abgrenzung des strafreehtswidrigen von dem nach anderen Normen - des öffentlichen oder Zivilrechts = rechtswidrigen Verhalten: Insbesondere wollte der Gesetzgeber keine Intscheidung darüber treffen, ob der Vorsatz der Handlung und damit dem Tatbestand (so die finale Handlungslehre) oder der Schuld (so die sog, kausale Handlungslehre) zuzurechnen ist, wie sieh der Reformgesetzgeber auch sonst weitgehend der Entscheidung von dogmatischen Grundlagenfragen enthalten hat, welche die

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Strafrechtsreform

Strafrechtswissenschaft teilweise stark bewegt haben. 4. Einteilung

der Straftaten. Bewältigung tellkriminalität

der Baga-

a ) E i n t e i l u n g d e r S t r a f t a t e n . Im Gegensatz zur Bestimmung der Personen- und Sachbegriffe in §11 StGB, die mehr rechtstechnischer Natur ist, steht die im 2. StrRG vorgenommene, nunmehr in § 12 StGB enthaltene Zweiteilung der Straftaten in Verbrechen und Vergehen (Dichotomie), welche die ursprüngliche, aus dem französischen Recht stammende Dreiteilung in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen (Trichotomie) abgelöst hat, in Verbindung mit einem zentralen und alten Anliegen der Strafrechtsreform, nämlich der Abschichtung des Bagatellunrechts vom echten kriminellen Verhalten (Tendenz der Entkriminalisierung). Es ist also in diesem Zusammenhang geboten, zum einen auf die Entwicklung des Ordnungswidrigkeitenrechts einzugehen und zum anderen über das materielle Strafrecht hinaus einen Blick auf die strafprozessualen Bemühungen zur Bewältigung des Bagatellunrechts zu werfen. b) B e w ä l t i g u n g der B a g a t e l l k r i m i n a l i t ä t . aa) Entwicklung des Ordnungswidrigkeitenrechts. Die Bemühungen, aus dem Strafrecht nicht kriminelle (= nicht strafwürdige) Verhaltensweisen herauszulösen und gesondert als Zuwiderhandlungen zu erfassen, die keinen ethisch verwurzelten Vorwurf gegen den Täter begründen, sondern nur als sittlich neutrales Polizei- oder Verwaltungsunrecht zu werten sind, reichen bekanntlich bis ins Mittelalter zurück. Der Gesetzgeber des RStGB von 1871 hat die Problematik zwar erkannt, aber vor den Schwierigkeiten ihrer gesetzestechnischen Bewältigung kapituliert und in den 29. Abschnitt des Besonderen Teils des StGB Übertretungen aufgenommen, wobei von vornherein umstritten war, ob es sich bei den §§ 360 ff. StGB a. F. um qualitativ von den Verbrechens- und Vergehenstatbeständen abgrenzbares Polizeiunrecht oder nur um quantitativ minderes Unrecht handelt. Jedenfalls enthielten die Übertretungen kriminelles Unrecht. Ihre Aufnahme ins StGB führte zu der erwähnten Dreiteilung der Delikte. Übertretung war eine Handlung, die mit Haft- oder Geldstrafe bis zu einhundertfünf-' zig Mark bedroht war. Die ständige Ausdehnung des Verwaltungsrechts im Zuge der Entwicklung des Staates vom liberalen Nachtwächterstaat zum Daseinsvorsorge gewährenden Sozialstaat sowie speziell das Erfordernis staatlicher Wirtschaftslenkung in Krisenzeiten (Kriegs- und Nachkriegszeiten) ließen den nebenstrafrechtlichen Normenbestand in einem kaum noch überschaubaren Ausmaß anwachsen. Es erschien zunehmend unerträglich, alle diese im Nebenstrafrecht erfaßten Zuwiderhandlungen, die sich häufig darin erschöpften, Sand

ins Getriebe der Verwaltung zu streuen, zwar zumeist nur als Übertretungen, aber damit doch als kriminelles Unrecht zu erfassen, nicht zuletzt auch wegen der damit verbundenen Überlastung der Strafgerichte. Der Gesetzgeber ging deshalb im Wirtschaftsstrafrecht dazu über, den Verwaltungsbehörden die Ahndung geringfügiger Verstöße mit Ordnungsstrafen zu gestatten, ohne daß es ihm trotz frühzeitig einsetzender theoretischer Bemühungen (James Goldschmidt bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in den zwanziger und dreißiger Jahren dann insbesondere Erik Wolf) - gelungen wäre, ein allgemeingültiges, befriedigendes Abschichtungskriterium zu entwickeln. Dies gelang erst im Wirtschaftsstrafgesetz (WiStG) 1949, dank der Vorarbeit von Eberhard Schmidt: Die Straftaten sind ethisch vorwerfbare Rechtsgutsbeeinträchtigungen, die Ordnungswidrigkeiten ethisch wertneutraler Verwaltungsungehorsam (qualitative Abgrenzung). Der damit gewonnene Maßstab für die Differenzierung von kriminellem und bloßem Verwaltungsrecht ermöglichte 1952 die Schaffung eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten als materiellund verfahrensrechtliches Rahmengesetz für alle Ordnungswidrigkeiten. Hauptsanktion der Ordnungswidrigkeit wurde die Geldbuße, die von der Verwaltungsbehörde verhängt wird, gegen deren Entscheidung die ordentlichen Gerichte angerufen werden können. Der Bundes- und die Landesgesetzgeber gestalteten in der Folgezeit nicht nur bereits im Nebenstrafrecht vorhandene Übertretungs-, teilweise auch Vergehenstatbestände zu Bußgeldtatbeständen um, sondern schufen darüber hinaus eine Unzahl von neuen Ordnungswidrigkeiten in nahezu allen Rechtsbereichen; man vergleiche die schwindelerregende, nahezu eintausend Nummern umfassende „Übersicht über die Bußgeldvorschriften im Bundes- und Landesrecht" auf S. 1145 ff. der 5. Aufl. (1977) des Kommentars zum OWiG von Göhler. Der Siegeszug des Ordnungswidrigkeitenrechts war zugleich der Todesstoß für die Übertretungen. Dies um so mehr, als der Gesetzgeber die Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zunehmend nicht mehr nach qualitativen, sondern nach quantitativen Kriterien, also nicht nach der Art, sondern nach dem Grad des verwirklichten Unrechts vornahm, so daß das Feld der Ordnungswidrigkeiten keineswegs nur mehr das Verwaltungs- und Polizeiunrecht, sondern das Bagatellunrecht schlechthin wurde. Jedermann sichtbar wurde diese Entwicklung mit der Umgestaltung der Straßenverkehrsübertretungen zu Ordnungswidrigkeiten durch das Einführungsgesetz zum OrdnungswidrigkeitenG von 1968 - der nach der Massenhaftigkeit der Zuwiderhandlungen bedeutendste Entkriminalisierungsakt der deutschen Strafrechtsreform. Ohne Rücksicht auf die Rechtsnatur der im StGB enthaltenen Übertretungen Polizeiunrecht oder nicht - war also ihre Umgestaltung zu Ordnungswidrigkeiten zwingend vorge-

Strafrechtsreform zeichnet. Bereits der Ε 1956 (veröffentlicht 1958) sah folgerichtig keine Übertretungen mehr vor. Endgültig beseitigt wurden sie jedoch erst durch das EGStGB von 1974, das in der Entkriminalisierung sogar noch einen Schritt weitergegangen ist und auch alle außerhalb des StGB angesiedelten leichten (mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von einem niedrigeren Höchstmaß als sechs Monate bedrohten) Vergehen zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft hat (Art. 13 EGStGB). Die im StGB enthaltenen Übertretungen wurden entweder ersatzlos gestrichen - z.B. Bettelei und Landstreicherei in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt - so der grobe Unfug, der in drei Bußgeldtatbestände aufgespalten wurde: §117 OWiG (unzulässiger Lärm), §118 OWiG (Belästigung der Allgemeinheit), §119 OWiG (grob anstößige und belästigende Handlungen); die falsche Namensangabe (§111 OWiG); das Halten gefährlicher Tiere (§ 121 OWiG) - oder zu Vergehen aufgewertet - so der frühere Mundraub, der nunmehr dem § 242 StGB unterfällt und lediglich durch das Antragserfordernis nach § 248 a StGB gegenüber dem normalen Diebstahl privilegiert ist. - Man kann also nicht von einer reinen Entkriminalisierungstendenz sprechen, und es wird sich auch bei der Betrachtung des Besonderen Teils des StGB zeigen, daß keineswegs nur Straftatbestände gestrichen oder eingeengt, sondern auch neu ins StGB gelangt sind. Das OWiG 1952 wurde - veranlaßt vor allem durch verfahrensrechtliche Überlegungen - 1968 durch ein neues Gesetz über Ordnungswidrigkeiten abgelöst, das wichtige dogmatische Grundentscheidungen, die dann auch Eingang ins StGB gefunden haben, vorweggenommen hat. Es enthält neben einem Ersten Teil, der dem Allgemeinen Teil des StGB entspricht, und einem Zweiten, verfahrensrechtlichen Teil, in einem Dritten Teil eine Reihe von Bußgeldtatbeständen, die im wesentlichen den früher im StGB enthaltenen Übertretungstatbeständen entsprechen. Anders als der Besondere Teil des StGB, wo der Kernbereich des Strafrechts erfaßt ist, sind jedoch in diesem Dritten Teil des OWiG nicht die wichtigsten Bußgeldtatbestände zusammengefaßt, sondern er enthält - unsystematisch - die Ordnungswidrigkeiten, die nicht in besonderen Gesetzen des Bundes- oder Landesrechts untergebracht werden konnten (vgl. zum ganzen: Göhler. Ordnungswidrigkeitengesetz. 6. Aufl. 1980, insbes. Einleitung, Vorbemerkungen vor § 1 sowie Vorbemerkungen vor § 111). Unbefriedigend bleibt die Zerstreuung der Bußgeldtatbestände in einer Unzahl von Gesetzen und Verordnungen, ein Mißstand, dem sich allerdings wegen der Verzahnung mit der jeweils zugrunde liegenden Rechtsmaterie nicht nennenswert abhelfen läßt. Bei der Zusammenfassung aller oder doch der wesentlichen Ordnungswidrigkeiten in einem Gesetz müßte nämlich jeweils eine mit einem kaum vertretbaren Aufwand verbundene eigenständige

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tatbestandliche Umschreibung des Unrechts erfolgen, während sich jetzt der Gesetzgeber mit Blankettnormen, zumeist am Schluß der einzelnen Gesetze, begnügen kann, ein Verfahren, das allerdings die Gefahr mangelnder Bestimmtheit mit sich bringt, weil die blankettausfüllenden Normen naturgemäß häufig nicht am Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) orientiert sind. Zu hoffen bleibt, daß es der Gesetzgeber nicht bei der Durchforstung des (Neben-)Strafrechts auf entbehrliche Strafvorschriften bewenden läßt, sondern demnächst auch das Ordnungswidrigkeitenrecht einer ähnlichen kritischen Prozedur unterzieht. Die Verwaltung muß wieder mehr daran gewöhnt werden, widerborstigen Bürgern mit ihrem ureigensten Instrumentarium-Ersatzvornahme, Zwangsgeld, unmittelbarer Zwang - zu begegnen. Bei einer solchen Musterung des Ordnungswidrigkeitenrechts dürfte sich dann aber andererseits auch bestätigen, daß manche rechtswidrigen Verhaltensweisen als Ordnungswidrigkeiten nur unzulänglich erfaßt sind und dringend ins Kriminalstrafrecht übernommen werden müßten. Als Beispiel seien gewisse immer wieder angeprangerte gravierende Kartellrechtsverstöße genannt (vgl. §38 GWB einerseits und die §§170-173 A E BT, Straftaten gegen die Wirtschaft, andererseits). bb) Andere materiellrechtliche Lös u n g s v e r s u c h e . Der Verzicht auf die Übertretungen hat keineswegs alle Probleme der Bagatellkriminalität beseitigt. Ungelöst blieb vor allem die Frage, was in den Fällen zu geschehen hat, die sich im untersten Bereich der Vergehenskriminalität bewegen und in denen der Einsatz des Strafrechts gemessen am ultima-ratio-Prinzip problematisch erscheint. Praktisch handelt es sich um die kleinen Eigentums- und Vermögensdelikte sowie um Bagatellfälle der Körperverletzung, also Massenerscheinungen, was die Lösung der Problematik auch unter dem Gesichtspunkt einer Entlastung der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte dringlich macht. Der Gesetzgeber konnte sich bislang nicht zu materiellrechtlichen Lösungen entschließen, die in der Tat auf beträchtliche Schwierigkeiten stoßen. Wie soll etwa der Diebstahls- oder Körperverletzungstatbestand gefaßt werden, damit nicht strafwürdige Wegnahmehandlungen bzw. Eingriffe in die körperliche Integrität im Bereich des Straflosen bleiben? Nicht weniger schwierig ist die andere denkbare Lösung, nämlich eine brauchbare Formel für die Abschichtung tatbestandsmäßigen Verhaltens von geringem Gewicht als Ordnungswidrigkeit zu finden, ganz abgesehen davon, daß immer noch Hemmungen bestehen, Verhaltensweisen im klassischen Bereich der Kriminalität zu Ordnungswidrigkeiten herabzustufen; hier wirkt die Auffassung nach, Ordnungswidrigkeitsunrecht sei Polizei- und Verwaltungsunrecht und damit ungeeignet, handfeste Angriffe auf konkrete Individualrechtsgüter an-

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gemessen zu sanktionieren. Die Schwierigkeiten von materiellrechtlichen Globallösungen, etwa im Bereich der kleinen Eigentums- und Vermögenskriminalität, haben Versuche sektoraler Lösungen für ganz bestimmte rechtstatsächliche Erscheinungen auf den Plan gerufen. Zu nennen ist zunächst der im Alternativ-Kreis erarbeitete „Entwurf eines Gesetzes gegen Ladendiebstahl (AE-GLD)" von 1974. Er geht davon aus, daß sich der Ladendiebstahl wesentlich von anderen Diebstahlsfällen unterscheidet, weil der Kunde geradezu zur Wegnahme aufgefordert werde, so daß der Unrechtsgehalt weniger im Zugriff auf das in der weggenommenen Sache verkörperte fremde Eigentum als im Ausbleiben der Gegenleistung liege. Die Tat stelle sich m. a. W. als ein keinem herkömmlichen Deliktstypus eindeutig zuzuordnender Angriff auf fremdes Vermögen dar, der eine Sonderregelung folgenden Inhalts rechtfertige: Straflosigkeit von Erst-, eventuell auch noch von Zweittätern, wenn durch die Tat kein höherer Schaden als maximal 500,- DM angerichtet wurde. Ersetzung der strafrechtlichen Sanktion durch eine pauschalierte Schadensersatzleistung, mit der neben dem Ausgleich des konkreten Schadens die allgemeinen Aufwendungen des Ladeninhabers zur Abwehr von Ladendiebstählen sowie seine Kosten für evtl. ausgesetzte Fangprämien abgegolten werden. Eintragung der zivilrechtlichen Sanktionen in ein Sanktionsregister, das der Ermittlung von Wiederholungstätern und der spezialpräventiven Einwirkung auf den Täter dient. Obwohl mit einer derartigen Lösung aus dem geltenden Recht resultierende Mißstände (Unklarheiten im Umfang des zivilrechtlichen Schadensersatzes, Gefahr der Ungleichbehandlung bei der strafprozessualen Lösung; dazu auch nachstehend cc) beseitigt würden, hat die überwiegende Mehrheit in der Abteilung „Sanktionen für Kleinkriminalität" des 51. Deutschen Juristentages in Stuttgart 1976 das AE-Modell abgelehnt: Eine sektorale strafrechtliche Regelung des Ladendiebstahls versperre entweder ganz den Weg zu einer umfassenden gesetzgeberischen Bewältigung der Bagatellkriminalität oder präjudiziere doch eine umfassende Lösung in einer Weise, die dann möglicherweise nicht für den ganzen Komplex passe; die Entkriminalisierung eines so archetypischen Delikts wie des Diebstahls sei wegen der damit verbundenen Gefahr einer Korrumpierung der Rechtstreue der Allgemeinheit nicht vertretbar; eine prozessuale Lösung belasse den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten den nötigen Spielraum für eine sachgerechte Behandlung des Einzelfalles. - Die Entscheidung des 51. DJT dürfte kein Zufallsergebnis sein, sondern sie ist m. E. symptomatisch für die gegenwärtige Einstellung maßgebender Kreise, etwa des Deutschen Richterbundes, so daß eine materiellrechtliche Entschärfung der Ladendiebstahlsproblematik durch den Gesetzgeber in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist.

Ähnlich verhält es sich mit der Betriebskriminalität, zu der ein - ebenfalls vom AE-Kreis erarbeiteter - „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Betriebsjustiz" aus dem Jahr 1975 (AE-BJG) vorliegt, der die Ahndung typischerweise von Betriebsangehörigen während der Arbeitszeit oder im Zusammenhang mit einer dienstlichen Verrichtung gegeneinander oder gegenüber dem Betrieb begangener Taten (also nicht nur Eigentums- und Vermögensdelikte, sondern auch Personendelikte wie Körperverletzung und Beleidigung) durch eine Schiedsstelle vorsieht, soweit die Delikte nicht im Hinblick auf ihre Folgen, die Art ihrer Begehung oder wegen beharrlicher Wiederholung als schwerwiegend anzusehen sind. Das Verfahren zielt auf die Wiederherstellung des Betriebsfriedens und die Verhinderung künftiger Verfehlungen. „Dabei ist in erster Linie auf einvernehmliche Beilegung des Vorfalles unter den Beteiligten (Schlichtung) hinzuwirken. Soweit erforderlich, ist eine Sanktion auszusprechen" (§2 AE-BJG). Als Sanktionen kommen in Betracht die Verwarnung, die Verpflichtung zur Wiedergutmachung des Schadens, Geldbuße bis zur Höhe eines monatlichen Einkommens im Betrieb, Versetzung und Kündigung, jedoch nur im Rahmen der Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung (vgl. im einzelnen § 3 AE-BJG). Gegen Entscheidungen der Schiedsstelle sollen die staatlichen Gerichte angerufen werden können. Die gegen dieses Modell, insbesondere gegen die Ausschaltung der staatlichen Strafgerichtsbarkeit, vorgebrachten Bedenken verlieren entscheidend an Gewicht, wenn man sich vor Augen hält, daß Betriebsjustiz seit Jahren in großem Umfang und in verschiedenen Formen geübt wird, eine gesetzliche Regelung mithin kaum noch faktische Entkriminalisierung bedeuten, sondern lediglich eine tatsächliche Erscheinung rechtlich kanalisieren und damit Mißbräuchen zum Nachteil der Betroffenen steuern würde. c c ) P r o z e s s u a l e L ö s u n g . Nachdem die materiellrechtlichen Versuche zur Bewältigung der Bagatellkriminalität vorläufig gescheitert sind, wird man sich auf absehbare Zeit hinaus mit der im EGStGB von 1974 getroffenen prozessualen Lösung abfinden müssen. Diese zerfällt in zwei Maßnahmen: Die Ausgestaltung des Diebstahls und der Unterschlagung geringwertiger Sachen zu Antragsdelikten in § 248 a StGB - falls nicht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht - , mit entsprechenden Regelungen für Begünstigung, Hehlerei, Betrug und Untreue (sonderbarerweise nicht für die Wilderei) einerseits, die gravierende Durchbrechung des Legalitätsprinzips in den §§153, 153 a StPO andererseits. §248 a StGB, der im Hinblick auf die bereits erwähnte Heraufstufung des Mundraubs (§ 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB a. F.) zum Vergehen und den Verzicht auf die früher in § 248 a StGB a. F. privile-

Strafrechtsreform gierte Notentwendung (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu höchstens drei Monaten) eine bedenkliche Strafverschärfung brachte, ist allen Einwänden ausgesetzt, die seit langem grundsätzlich gegen die Antragsdelikte und speziell gegen das Antragserfordernis bei Bagatelldelikten vorgebracht werden, bei denen sich ja das Antragserfordernis nicht mit der besonderen Täter-Opfer-Beziehung begründen läßt, so daß hier die Gefahr mißbräuchlicher und willkürlicher Handhabung des Antragsrechts besonders beunruhigen muß. Hat sich der Gesetzgeber mit dem neuen § 248 a StGB immerhin noch in hergebrachten Bahnen bewegt - der Mundraub und die Notentwendung des alten Rechts waren ebenfalls Antragsdelikte - , so läßt sich das von den in der Strafprozeßordnung (§§ 153, 153 a StPO) zur besseren Bewältigung der Bagatellkriminalität getroffenen Regelungen nicht mehr behaupten. Die wichtigsten Neuerungen sind folgende: Beim Absehen von der Verfolgung wegen geringer Schuld des Täters und fehlendem öffentlichen Interesse ist bei Vermögensdelikten die Zustimmung des Gerichts zur Verfahrenseinstellung entbehrlich geworden (§ 153 Abs. 1 S. 2 StPO). Für die Hauptmasse der Kleinkriminalität wird also im Interesse der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung auf die Kontrolle der Staatsanwaltschaft durch das Gericht verzichtet. Mit dem neuen § 153 a StPO löste sich der Gesetzgeber von dem bisherigen Erfordernis, daß die Frage des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung danach zu beurteilen ist, wie sich die Tat des Beschuldigten als solche darbietet: Durch die Erfüllung von Auflagen und Weisungen der Staatsanwaltschaft - Erbringung einer bestimmten Leistung zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens, Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse, Erbringung sonstiger gemeinnütziger Leistungen, Erfüllung von Unterhaltspflichten in einer bestimmten Höhe (vgl. den abschließenden Katalog in § 153 a Abs. 1 S. 1 StPO) - kann der Beschuldigte das zunächst vorhandene öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigen und ein Verfahrenshindernis herbeiführen. Gegen die Neuregelung wurden über den grundsätzlichen Streit um den tiefgreifenden Einbruch in das Legalitätsprinzip hinaus schon während des Gesetzgebungsverfahrens eine ganze Reihe von Einwendungen erhoben, etwa: Verlust an Rechtssicherheit, Gefährdung des Sozialstaatsprinzips, Einbuße an Werten, die mit der mündlichen und öffentlichen Verhandlung vor einem erkennenden Gericht verbunden sind (Hanack), unwürdiges Freikaufverfahren, das den Gleichheitssatz verletzt und auf die Dauer schwere Nachteile für das allgemeine Rechtsbewußtsein erwarten läßt (Schmidhäuser), Verstoß gegen § 136 a StPO und gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK (Dencker), Vereinigung der Anklage- und Urteilsfunktion in der Hand der

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Staatsanwaltschaft (Rudolphi); vgl. die Zusammenstellung auch der nach Inkrafttreten der Vorschriften erschienenen kritischen und zustimmenden Literatur bei Meyer-Goßner in: Löwe-Rosenberg. Die StPO und das GVG. 23. Aufl. 1977. §153 a Rdn. 108, 109. Es liegt auf der Hand, daß diese dem Ermessen der Staatsanwaltschaft breiten Raum gewährende prozessuale Lösung schwerlich den Grad an Rechtssicherheit gewährleisten kann, den ein ausgewogenes materiellrechtliches Modell erreichen würde. Ob in der Praxis auf Dauer einigermaßen befriedigende Ergebnisse erzielt werden können, hängt wesentlich von einer sinnvollen Bindung des staatsanwaltschaftlichen Ermessens durch die Landesjustizverwaltungen ab, die im Interesse der Gleichbehandlung möglichst durch bundeseinheitliche Allgemeinverfügungen erfolgen sollte.

5. Grundlagen der Strafbarkeit (der klassische Bereich der Dogmatik) a ) A l l g e m e i n e s . Die gesetzgeberische Konzeption der allgemeinen Verbrechenslehre stand seit dem Entwurf 1962 im wesentlichen fest, und auch der Ε 1962 hat keine umstürzenden Neuerungen gebracht, sondern sich fast durchweg darauf beschränkt, die strafrechtsdogmatischen Erkenntnisse der modernen Strafrechtslehre und höchstrichterlichen Rechtsprechung kodifikatorisch festzuschreiben. Der damit erzielte Gewinn an Rechtssicherheit sollte nicht zu gering veranschlagt werden, auch wenn man der Auffassung sein kann, der Gesetzgeber habe die wissenschaftliche Diskussion mitunter, etwa im Irrtums- und Teilnahmebereich, zu früh abgeschnitten. Auf der anderen Seite wird bemängelt, daß in den neuen Allgemeinen Teil nicht die im Ε 1962 (§§ 16-18) oder im AE (§§ 17 und 18; gegenüber dem Ε 1962 einfacher formuliert und Strafbarkeitsverzicht bei geringfügig fahrlässigem Verhalten in § 16 Abs. 2 fordernd) enthaltenen Legaldefinitionen von Vorsatz und Fahrlässigkeit übernommen wurden, „da das Gesetz bei so wesentlichen Fragen nicht ohne Not schweigen sollte" (so die AE-Begründung zu § 17). Hervorzuheben ist, daß auch dem Allgemeinen Teil, wie er sich seit dem 1. Januar 1975 darbietet, keine grundsätzliche Entscheidung für ein bestimmtes Verbrechenssystem, etwa die von Welzel begründete finale Handlungslehre, zu entnehmen ist; alle Einzelregelungen, die gerne für diese Lehre in Anspruch genommen werden, sind durchaus mit der sog. kausalen Handlungslehre in Einklang zu bringen, der es ζ. B. keineswegs verschlossen ist, dem Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Tat keinen Einfluß auf den Vorsatz des Täters beizumessen, sondern ihn al^ selbständigen Schuldausschließungs- oder -mildeningsgrund zu behandeln, wie das nunmehr in

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Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des BGH in § 17 StGB geschieht. b ) E i n z e l n e w i c h t i g e R e g e l u n g e n . Soweit im folgenden nichts anderes vermerkt ist, sind die behandelten Regelungen durch das 2. StrRG ins StGB gelangt. a a ) B e g e h e n d u r c h U n t e r l a s s e n . Um den immer wieder geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken - Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG - Rechnung zu tragen, wurde als § 13 eine Vorschrift zur Regelung der sog. unechten Unterlassungsdelikte Begehen durch Unterlassen, das gewohnheitsrechtlich seit langem anerkannt ist - ins StGB aufgenommen. Die Vorschrift vermag nicht voll zu befriedigen. Insbesondere ist im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG zu bemängeln, daß der Reformgesetzgeber schon im Ε 1960 den Versuch aufgegeben hat, zu bestimmen, in welchen Fällen jemand „rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt". Der Ε 1956 hatte in § 13 noch die gewohnheitsrechtlich anerkannten Erfolgsabwendungspflichten - aus Gesetz, aus gefahrschaffendem vorangegangenem Verhalten (Ingerenz) sowie aus Übernahme der Gewähr für das bedrohte Rechtsgut - normiert, desgleichen der AE in § 12. Wo die gesetzliche Bestimmtheit der Strafe gefordert wird, ist es gerade verfehlt, die Entwicklung Lehre und Rechtsprechung zu überlassen, zumal da letztere in der Annahme von Erfolgsabwendungspflichten nie zimperlich gewesen ist. Immerhin sollte das nunmehr geforderte rechtliche Einstehenmüssen für das auf dem Spiele stehende Rechtsgut dazu führen, daß auf die Annahme nur moralisch begründeter Garantenpflichten verzichtet wird. b b ) O r g a n - u n d V e r t r e t e r h a f t u n g . Bereits das EGOWiG von 1968 hat mit der Einfügung des § 50 a a. F. ins StGB - zum Ordnungswidrigkeitenrecht selbst vgl. die entsprechende Regelung in §9 OWiG - eine einheitliche Regelung der strafrechtlichen Organ- und Vertreterhaftung gebracht, die vor allem im Neben-(Wirtschafts-) Strafrecht eine Rolle spielt und dort in teilweise voneinander abweichenden Einzelvorschriften normiert war. § 50 a a. F. StGB wurde ohne sachliche Änderungen als § 14 ins neue StGB übernommen. Der Anwendungsbereich der Bestimmung dürfte mit der zunehmenden Pönalisierung sozialschädlicher Verhaltensweisen in der Wirtschaft wachsen, denn im Wirtschaftsstrafrecht ergibt sich oft die Situation, die § 14 StGB im Interesse der Schließung von Strafbarkeitslücken erfassen will: Der Vertretene weist besondere personbezogene Pflichtenmerkmale auf, ζ. B. Vermögensbetreuungspflichten gegenüber Einzelpersonen oder erhöhte Pflichten gegenüber der Allgemeinheit aufgrund des Empfangs öffentlicher Mittel, nicht dagegen der

für ihn Handelnde, so daß beide straflos bleiben müßten, der Vertretene, weil er nicht gehandelt hat, der Beauftragte, weil ihn nicht die besonderen Pflichten treffen. Der Regierungsentwurf 1982 eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG), BR-Drucks. 219/82 sieht eine Neufassung von § 14 StGB vor, die eine effektivere Bekämpfung der Betriebskriminalität gewährleisten soll. cc) Strafrechtliche Verantwortlichkeit von j u r i s t i s c h e n Personen und P e r s o n e n v e r e i n i g u n g e n . Keine Regelung im StGB hat dagegen die nach wie vor heftig umstrittene strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen Personen und Personenvereinigungen erfahren. Die h. M. geht dahin, wenn nicht bereits die Handlungsfähigkeit, so sei doch jedenfalls die Schuldfähigkeit juristischer Personen abzulehnen, da ein ethisch begründeter Schuldvorwurf nur gegen natürliche Personen erhoben werden könne. Abweichende Vorschriften im Nebenstrafrecht (§ 5 WirtschaftsstrafG 1954, §393 Reichsabgabenordnung) wurden deshalb aufgehoben. Eine andere Frage ist die, ob bei strafbarem oder ordnungswidrigem Verhalten des Organs oder Vertreters einer juristischen Person oder Personenvereinigung, durch welches Pflichten der j. P. verletzt worden sind oder durch das die j. P. bereichert worden ist oder werden sollte, zusätzlich eine Sanktion auch gegen diese verhängt werden kann. Sie wird in § 30 OWiG dahin beantwortet, daß gegen die juristische Person oder Personenvereinigung als Nebenfolge der Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße festgesetzt werden kann. Nach § 30 Abs. 4 OWiG ist auch die selbständige Festsetzung der Geldbuße möglich, wenn eine natürliche Person aus tatsächlichen Gründen nicht verfolgt oder verurteilt werden kann oder wenn das Gericht von Strafe absieht oder das Verfahren gegen die natürliche Person eingestellt wird. Seit dem EGOWiG 1968 ist auch die Einziehung eines Gegenstandes oder des Wertersatzes gegen juristische Personen, nichtrechtsfähige Vereine und Personenhandelsgesellschaften möglich; vgl. §75 StGB. d d ) R e c h t f e r t i g u n g s g r ü n d e . Zudemklassischen im StGB geregelten Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 32 StGB) ist in § 34 StGB der rechtfertigende Notstand getreten, der seit der bahnbrechenden Entscheidung RGSt. 61, 242 aus dem Jahre 1927 (Güterabwägung von Leben und Gesundheit der Schwangeren einerseits und Leben der Leibesfrucht andererseits) in der Rechtsprechung als übergesetzlicher Notstand anerkannt war. Während der Ε 1956 in § 39 Abs. 2 einer reinen Güterabwägungstheorie zuneigte, hat sich seit dem Ε 1960 (vgl. dort sowie in Ε 1962 § 39) eine Interessentheorie durchgesetzt, die zwar ebenfalls dem Wert der

Strafrechtsreform bedrohten Rechtsgüter wesentliches Gewicht beimißt, aber darüber hinaus die sonstigen Interessen der jeweiligen Rechtsgutsinhaber in die Betrachtung einbezieht, etwa die Entscheidungsfreiheit eines außerhalb des Geschehens stehenden Dritten hinsichtlich eines Eingriffs in höchstpersönliche Rechtsgüter (Blutspende, Organtransplantation). Zu warnen ist vor einer vorschnellen Heranziehung des § 34 StGB bei Interessenkollisionen, die bereits anderweitig eine Regelung gefunden haben, etwa in den Notstandsbestimmungen der §§228 und 904 B G B ; der Ε 1956 hat sogar insoweit eine ausdrückliche salvatorische Klausel erwogen. Schon gar nichts zu suchen hat die strafrechtliche Notstandsregelung bei der Frage der Rechtfertigung staatlicher Eingriffe in Rechtsgüter Privater, ζ. B. in den Hausfrieden und die Intimsphäre (Fall Traube), wenn die Eingriffsbefugnisse in der Verfassung und den zu ihrer Konkretisierung erlassenen Gesetzen abschließend geregelt sind. - Eine gesetzliche Regelung der Pflichtenkollision ist nicht erfolgt; einen Vorschlag enthält § 10 des Gegenentwurfs Baumann von 1963, wonach bei der Pflichtenkollision, die ja den Täter zum Handeln zwingt, Rechtfertigung nicht nur bei Überwiegen, sondern schon bei Gleichwertigkeit der erfüllten Pflicht eintreten soll. e e ) S c h u l d v o r a u s s e t z u n g e n . Im Bereich der Schuldvoraussetzungen hat der Reformgesetzgeber im 2. StrRG die Vorschrift über die Schuldunfähigkeit von Kindern, die seit dem Jugendgerichtsgesetz von 1923 aus dem StGB ausgegliedert war, wegen ihrer grundlegenden Bedeutung als § 19 wieder ins StGB übernommen (so bereits alle Entwürfe seit dem Ε 1956; vgl. dort §22). Eine sachliche Änderung ist damit nicht verbunden; auch im übrigen ist es bei den Altersstufen des J G G geblieben, so bei der Gruppe der (18-21jährigen) Heranwachsenden, obwohl im Zivilrecht die Volljährigkeitsgrenze mit Wirkung vom 1.1.1975 vom einundzwanzigsten auf das achtzehnte Lebensjahr herabgesetzt wurde (vgl. §2 B G B ) . Keine sachliche Änderung gegenüber dem alten §51 StGB hat trotz sprachlicher Abweichungen auch die Neuregelung der Schuldunfähigkeit und der verminderten Schuldfähigkeit in den §§20 und 21 StGB gebracht. Durch die Verwendung des Begriffes Schuld wird klar herausgestellt, daß die Rechtswidrigkeit des Täterverhaltens unberührt bleibt und nur die Schuld tangiert wird. Der Gesetzgeber bedient sich nach wie vor der gemischt biologisch-psychologischen Methode, d. h. es werden bestimmte biologische (besser: psychische) Zustände umschrieben, die aber für sich genommen noch keine Schuldunfähigkeit begründen, sondern nur dann, wenn sie die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Täters zur Zeit der Tat beseitigt haben. Dabei wird nunmehr auf die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht der Tat abgehoben, wodurch zum Ausdruck gebracht wird, daß es nicht etwa auf die

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Einsicht in das Unsittliche des Täterverhaltens ankommt. Damit wird auch die Parallele der mangelnden Unrechtseinsicht wegen seelischer Störungen zum Verbotsirrtum deutlich herausgestellt. Die Umschreibung der einzelnen „biologischen" Störfaktoren ist einsichtiger als im früheren Recht und ermöglicht eine bessere Verständigung zwischen Juristen und Medizinern. Sie erfaßt auch die bei Taubstummen vorliegenden Defekte, so daß eine dem alten §55 StGB entsprechende Sondervorschrift überflüssig wurde. Entgegen dem Vorschlag in § 22 A E hat sich der Gesetzgeber nicht zu einer obligatorischen Strafmilderung bei verminderter Schuldfähigkeit entschließen können, sondern ist bei der Kann-Milderung des alten § 51 Abs. 2 StGB stehengeblieben, was vom Schuldprinzip her um so weniger verständlich ist, als in § 21 StGB eine erhebliche Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit verlangt wird. f f ) V o r s a t z u n d F a h r l ä s s i g k e i t werden, wie bereits oben 5. a ausgeführt, auch im neuen Allgemeinen Teil nicht definiert, sondern in § 15 StGB lediglich als Begriffe verwendet; immerhin läßt sich aus der Irrtumsregelung des § 16 StGB schließen, daß der Vorsatz die Kenntnis sämtlicher Tatbestandsmerkmale erfordert, dagegen ist vom voluntativen Element des Vorsatzes nicht die Rede. § 15 StGB begrenzt die Strafbarkeit auf vorsätzliches Handeln, sofern nicht das Gesetz fahrlässiges Verhalten ausdrücklich mit Strafe bedroht. Diese Regelung hat einmal dazu geführt, daß im Besonderen Teil auf die ausdrückliche Hervorhebung vorsätzlichen Handelns in zahlreichen Vorschriften verzichtet werden konnte. Zum anderen sind alle Unklarheiten darüber beseitigt worden, ob nicht doch in einigen Bestimmungen, welche keine Schuldform angegeben haben, auch die Fahrlässigkeit erfaßt wird (so die frühere Rechtsprechung zu manchen Übertretungen sowie zur Baugefährdung, §330 StGB a. F.). Der neugefaßte §323 StGB enthält nunmehr folgerichtig in Abs. 3 und 4 ausdrückliche Fahrlässigkeitsregelungen. In diesem Zusammenhang ist auf §11 Abs. 2 StGB hinzuweisen, wo den Vorsatzdelikten solche Taten zugeordnet werden, die einen Tatbestand verwirklichen, der hinsichtlich der Handlung Vorsatz voraussetzt, hinsichtlich einer dadurch verursachten besonderen Folge jedoch Fahrlässigkeit ausreichen läßt. Damit wurde der Streit darüber beendet, wie gemischt vorsätzlich-fahrlässige Tatbestände einzuordnen sind, was insbesondere für die Möglichkeit der Teilnahme, die vorsätzliches Handeln des Haupttäters voraussetzt (dazu näher unten 5 . j j ) , an derartigen Delikten sowie für die Versuchsbestrafung, die ebenfalls nur bei Vorsatztaten denkbar ist, von Bedeutung ist. Durch §11 Abs. 2 StGB erfaßte Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen finden sich vor allem im Staatsschutzstrafrecht (ζ. B. §97 Abs. 1 StGB), bei den Explosions-

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delikten (§311 Abs. 4 StGB) sowie bei den Verkehrsstraftaten (z.B. §§315 Abs.4, 315c Abs.3 Nr. 1 StGB). Das RG und noch der BGH im Jahre 1951 (BGHSt. 1, 332) ließen bekanntlich für die erfolgsqualifizierten Delikte schlichte Verursachung der schweren Tatfolge genügen, wobei die Haftung des Täters dadurch eine besondere Schärfe erhielt, daß auch die Kausalität des Täterverhaltens für den Eintritt der Qualifikation nach der strengen Bedingungstheorie und nicht, wie im Schrifttum zur Abmilderung unbilliger Ergebnisse vorgeschlagen, nach der Adäquanztheorie beurteilt wurde. Im Anschluß an die Entwürfe der Weimarer Zeit wurde durch das 3. StrafrechtsÄndG von 1953 §56 StGB a. F. eingefügt, der der Unvereinbarkeit der reinen Erfolgsqualifikation mit dem Schuldprinzip Rechnung trug und hinsichtlich der schweren Folge wenigstens Fahrlässigkeit forderte. Eine entsprechende Vorschrift ist nunmehr in § 18 StGB enthalten, durch dessen Fassung auch eindeutig klargestellt ist, daß Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt möglich ist, sofern nur der Anstifter oder Gehilfe hinsichtlich der schweren Tatfolge mindestens fahrlässig handelt. gg) T a t u m s t a n d s - und V e r b o t s i r r t u m . Ein Hauptkampfplatz dogmatischen Streits war schon vor Inkrafttreten des RStGB von 1871 die Irrtumsproblematik. Das RG unterschied im Anschluß an die bereits unter Geltung des preußischen StGB von 1851 die Judikatur beherrschende Auffassung zwischen dem Irrtum über Tatsachen (error facti), der nach §59 Abs. 1 StGB a.F. den Vorsatz ausschloß, und dem Rechtsirrtum, der als unbeachtlich angesehen wurde (error iuris nocet). Dem vorsatzausschließenden Tatsachenirrtum wurde der Irrtum über außerstrafrechtliche Normen gleichgestellt. Der auf einer Verkennung des Strafgesetzes beruhende Verbotsirrtum konnte also den Täter in keiner Weise entlasten, sondern führte zur Verurteilung wegen vorsätzlicher Tat. Diese Rechtsprechung stieß schon früh auf Widerspruch im Schrifttum und wurde schließlich nahezu einhellig abgelehnt. Ein gesetzgeberischer Ansatz zur Berücksichtigung des Verbotsirrtums findet sich übrigens bereits in der Bundesratsverordnung vom 18.1.1917 (RGBl. S. 58) über die Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften über wirtschaftliche Maßnahmen. Gegen Ende des 1. Weltkrieges hatten die Bewirtschaftungsvorschriften einen derartigen Umfang angenommen, daß nicht mehr davon ausgegangen werden konnte, den Rechtsunterworfenen seien alle diese Normen bekannt. Gleichwohl hat das RG bis zu seinem Ende im Jahre 1945 an seiner Judikatur festgehalten, und erst der BGH hat sie 1952 in einer berühmten Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt. 2, 194) als mit dem Grundsatz unvereinbar aufgegeben, daß Strafe Schuld voraussetzt. Er

hat dabei die Vorsatztheorie, welche die Verbotskenntnis als Element des Vorsatzes postulierte, also dem Verbotsirrtum vorsatzausschließende Wirkung i. S. des § 59 Abs. 1 StGB a. F. beimaß, verworfen und ist der Schuldtheorie gefolgt, nach der die Verbotskenntnis ein vom Vorsatz gelöstes eigenständiges Schuldelement darstellt, so daß der Verbotsirrtum den Vorsatz unberührt läßt. Er soll vielmehr nur bei Unvermeidbarkeit, also wenn der Täter trotz Gewissensanspannung und Vergewisserung über den Normenbestand das Unrechtsbewußtsein nicht hätte haben können, zum Schuldausschluß führen; bei Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums ist Strafmilderung möglich. Dieser Konzeption der Behandlung von Irrtumsfragen ist die amtliche Reformgesetzgebung von Anfang an gefolgt (vgl. insbesondere §§ 19, 21 Ε 1962), und auch der Alternativ-Entwurf hat sich der Schuldtheorie angeschlossen (vgl. §20 AE). Eine entsprechende Regelung findet sich nunmehr in §§ 16 und 17 StGB. § 16 StGB, der dem alten § 59 StGB entspricht, stellt ausdrücklich klar, daß der Tatumstandsirrtum zum Vorsatzausschluß führt; in § 16 Abs. 2 StGB wird daraus die zwingende Konsequenz gezogen, daß bei irrtümlicher Annahme der Merkmale eines milderen Gesetzes nur nach diesem bestraft werden kann. § 17 StGB enthält die Regelung des Verbotsirrtums i. S. der Schuldtheorie. Innerhalb der Schuldtheorie ist umstritten, wie der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes zu behandeln ist. Die strenge Schuldtheorie nimmt Verbotsirrtum an, die eingeschränkte Schuldtheorie, der die Rechtsprechung gefolgt ist, behandelt diesen Irrtum wie einen Tatumstandsirrtum mit der Folge des Vorsatzausschlusses. Der letzteren Auffassung waren die Entwürfe, und zwar der Ε 1962 in § 20, der AE in § 19 Abs. 1 gefolgt. Im 2. StrRG ist eine Regelung unterblieben. Gleichwohl ist damit zu rechnen, daß der BGH an seiner Rechtsprechung festhalten, also weiterhin nach der eingeschränkten Schuldtheorie judizieren wird, der durch die NichtÜbernahme der Entwurfsregelung in den neuen Allgemeinen Teil nicht der Boden entzogen worden ist. h h ) E n t s c h u l d i g u n g s g r ü n d e . In §33 StGB hat der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit § 14 Abs. 3 A E im wesentlichen die alte Regelung des sog. intensiven Notwehrexzesses in §53 Abs. 2 StGB a. F. übernommen. Demgegenüber hatte der Ε 1962 in seinem § 38 Abs. 2 für die Straffreiheit zusätzlich verlangt, daß dem Täter die Überschreitung der Notwehrgrenzen nicht vorzuwerfen ist, was zu einer im Ergebnis nicht zu rechtfertigenden Haftungsverschärfung geführt hätte (vgl. dazu näher die Begründung zu § 14 AE sowie den 2. Schriftlichen Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Drucks. V/4095 zu §33 StGB). Andererseits wurde auch auf die in § 38 Abs. 1 Ε 1962 vorgesehene Strafmilderungsmöglichkeit für

Strafrechtsreform solche Notwehrüberschreitungen verzichtet, die nicht auf Verwirrung, Furcht oder Schrecken des Täters zurückzuführen sind; die innerhalb der normalen Strafrahmen möglichen Milderungen wurden für diese Fälle als ausreichend angesehen. Obwohl in § 33 StGB nach wie vor neutral formuliert wird, der die Grenzen der Notwehr überschreitende Täter werde nicht bestraft, steht die h. M. auf dem Standpunkt, daß es sich um einen Schuldausschließungsgrund handelt. Bei der Neuregelung des entschuldigenden Notstandes wurden die beiden Notstände des alten Rechts, der Nötigungsnotstand des § 52 StGB a. F. und der allgemeine Notstand des § 54 StGB a. F., in einer Vorschrift, §35 StGB, zusammengefaßt. Die frühere Differenzierung konnte aufgegeben werden, weil nunmehr auch die Zubilligung des allgemeinen Notstandes nicht mehr zwingend dadurch ausgeschlossen wird, daß der Täter die Notlage verschuldet hat. Allerdings dürfte es sich dabei um seltene Extremfälle handeln, wird doch in der Zumutbarkeitsklausel des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB als ein Fall des Bestehenmüssens der Notsituation deren Verursachung durch den Täter hervorgehoben. Gegenüber dem alten Recht wurden die notstandsfähigen Rechtsgüter über Leib und Leben hinaus auf die Freiheit ausgedehnt. Eine Erstreckung auf alle Rechtsgüter, die der Ε 1927 und der Ε 1930 jeweils in §25 vorgesehen hatten, wurde wegen der damit verbundenen Gefahr der Ausuferung des Notstandes und des Verlustes des Ernstes der Strafdrohungen - übrigens auch im A E (§23) - abgelehnt. Ebenfalls nur vorsichtig ausgedehnt wurde der Personenkreis, zugunsten dessen Notstandshandlungen entschuldigend wirken, nämlich auf - neben den Angehörigen - andere dem Täter nahestehende Personen. Auch hier waren die Entwürfe der Weimarer Zeit (aaO) weitergegangen und hatten ein gefahrabwehrendes Handeln zugunsten jedes Dritten genügen lassen. Umgekehrt befürchtete der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform in Übereinstimmung mit kritischen Stimmen aus der Wissenschaft eine zu starke Einschränkung der entschuldigenden Notstandswirkung durch die Rechtsprechung, wenn es bei der weiten Unzumutbarkeitsklausel in §40 Abs. 1 Ε 1962, §23 A E geblieben wäre (2. Schriftlicher Bericht, Drucks. V/4095 zu § 35). Die Zumutbarkeitsregelung wurde deshalb als Ausnahmevorschrift in §35 Abs. 1 S . 2 StGB von der Grundnorm abgesetzt, und es wurden quasi als Richtlinie für die Judikatur - zwei anerkannte Fälle namentlich angeführt, in denen dem Täter die Hinnahme der Gefahr in der Regel zumutbar ist, nämlich die (schuldhafte, so die h. M.) Selbstverursachung sowie die Verpflichtung zur Hinnahme der Gefahr kraft eines besonderen Rechtsverhältnisses. Der Alternativ-Entwurf zog die Konsequenz aus der Erkenntnis, daß die psychische Notsituation des Täters dieselbe ist, gleichviel, ob die von ihm ange-

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nommene Gefahrenlage tatsächlich gegeben ist oder nicht, und verlangte deshalb in §23 für die Entschuldigung lediglich, daß der Täter handelt, um (subjektiv) die Gefahr abzuwenden. Eine Irrtumsregelung erübrigte sich bei dieser subjektiven Gesetzesfassung. Demgegenüber forderten die amtlichen Entwürfe objektives Vorliegen der Notsituation, so daß sie bei bloß subjektiver Annahme durch den Täter zu einer Irrtumsregelung gezwungen waren. Dem ist das 2. StrRG gefolgt. Die Irrtumsvorschrift des §35 Abs. 2 StGB geht davon aus, daß die irrige Annahme zur Entschuldigung führender Umstände den Vorsatz nicht berührt, und läßt - wie bei der Regelung des Verbotsirrtums in § 17 StGB - Entschuldigung nur eintreten, wenn der Irrtum unvermeidbar war. Bei Vermeidbarkeit des Irrtums ist zwingend Strafmilderung vorgeschrieben (so bereits §40 Ε 1962). ii) V e r s u c h und R ü c k t r i t t vom Vers u c h haben im neuen Recht eine nur in Nuancen von den alten §§43-46 StGB abweichende Regelung erfahren. Mit der Versuchsdefinition in §22 StGB, die nicht an die umständliche Formulierung in § 26 Abs. 1 Ε 1962, sondern an die einfachere Umschreibung in §24 A E anknüpft, wurde die subjektive Versuchstheorie gesetzlich verankert, der das R G von Anfang an und später auch der B G H gefolgt war („nach seiner Vorstellung von der Tat"). Die Abweichung im Wortlaut - „Vorstellung" des Täters in § 22 StGB gegenüber „Tatplan" in § 24 A E - hielt der Sonderausschuß zur sprachlich zutreffenden Erfassung auch von Affekttaten, bei denen nicht geplant wird, für geboten. Um deutlich zu machen, daß sich die Abgrenzung von strafloser Vorbereitungshandlung und strafbarem Versuch nicht abstrakt, sondern nur im Hinblick auf den jeweils in Frage stehenden Tatbestand vornehmen läßt, wurde der farblosere Begriff „Straftat" (im A E ) bei der Umschreibung der Verwirklichungshandlung durch den Begriff „Tatbestand" ersetzt. Nach wie vor stets strafbar ist der Versuch eines Verbrechens, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§23 Abs. 1 StGB). Des weiteren ist es bei der bloßen Kann-Milderung der Versuchsstrafe geblieben (§ 23 Abs. 2 StGB), während der A E zu der bis 1943 zwingend vorgeschriebenen Strafmilderung zurückkehren wollte, weil „der Erfolgsunwert das Unrecht der Tat mitbegründet, sein Ausbleiben daher dieses Unrecht mindert" (Begründung zu § 25 Abs. 2 A E ) . Schon seit langem wird der subjektiven Versuchstheorie vorgehalten, sie führe in Fällen des sog. absolut untauglichen Versuchs zu unbilligen Ergebnissen, wobei es allerdings auch der objektiven Versuchstheorie letztlich nicht gelungen ist, eine befriedigende Abgrenzung des (nach dieser Lehre straflosen) absolut untauglichen vom nur re-

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lativ untauglichen Versuch zu finden. § 23 Abs. 3 StGB trägt diesen Einwendungen mit einer Unverstandsklausel Rechnung, die allerdings - anders als § 25 Abs. 3 Nr. 2 A E und bereits § 23 Abs. 4 Ε 1925 - keine generelle Straflosigkeit vorsieht, sondern lediglich das Absehen von Strafe oder eine in das Ermessen des Richters gestellte Strafmilderung. Entgegen § 25 Abs. 3 Nr. 1 AE ist im neuen Allgemeinen Teil auch keine Regelung des von einem untauglichen Täter begangenen Versuchs erfolgt. Weitgehende Einigkeit herrscht im übrigen darüber, daß § 23 Abs. 3 StGB nicht die Fälle des abergläubischen Versuchs (Totbeten, Behexen) erfaßt, der bereits bisher mit unterschiedlichen Begründungen als strafrechtlich völlig irrelevant angesehen wurde, so daß es nicht gerechtfertigt wäre, nun auch in diesen Fällen die Straflosigkeit vom Ermessen des Strafrichters abhängig zu machen. Mit der Rücktrittsregelung in § 24 StGB bewegt sich der Reformgesetzgeber grundsätzlich in den Bahnen des alten §46 StGB: Nach wie vor wird zwischen dem Rücktritt vom unbeendeten und vom beendeten Versuch differenziert und für die Wirksamkeit des Rücktritts Freiwilligkeit gefordert. Unterblieben ist die Fixierung der Freiwilligkeit beim beendeten Versuch auf die Nichtentdeckung des Täters (§46 Nr. 2 StGB a.F.), so daß der Täter nunmehr trotz objektiver Tatentdeckung noch wirksam zurücktreten kann, wenn er annimmt, die Tat sei noch nicht entdeckt. In § 24 Abs. 1 S. 2 StGB wird dem Täter ausdrücklich der Rücktritt vom untauglichen und fehlgeschlagenen Versuch ermöglicht. Eine entsprechende Regelung hatte bereits das 3. StrafrechtsÄndG von 1953 in §49 a StGB a. F. für die versuchte Teilnahme eingeführt. Bewußt und gegen den Widerspruch des AE wurden in § 24 Abs. 2 StGB die Anforderungen an den Rücktritt des Beteiligten verschärft. Während es nach der h. M. früher genügte, daß der Tatbeteiligte seinen eigenen Tatbeitrag rückgängig machte, wird nunmehr von ihm die Verhinderung der Tatvollendung verlangt, oder, falls die Tat ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird, wenigstens freiwilliges und ernsthaftes Bemühen um die Verhinderung der Vollendung gefordert. Zu den hergebrachten Unternehmenstatbeständen, die Versuch und Vollendung als einheitlich vollendetes Delikt erfassen (vgl. die Legaldefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB), für die also die nur den Rücktritt vom Versuch regelnde Vorschrift des § 24 StGB ebensowenig gilt wie der alte §46 StGB, so daß besondere Rücktrittsvorschriften erforderlich sind (vgl. etwa §§83 a, 316a Abs. 2 StGB), sind im Zuge der jüngeren Reformen eine Reihe von Tatbeständen getreten, welche in anderer Weise die Vollendungsstrafbarkeit so weit vorverlegen, daß es unbillig erscheint, dem Täter die Möglichkeit des Rücktritts in Gestalt der tätigen Reue abzuschneiden. Besondere Regelungen des Rücktritts vom

vollendeten Delikt sind demgemäß z.B. enthalten in §§149 Abs. 2 und 3 StGB (Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen), 275 Abs. 2 StGB (Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen), 239a Abs. 3 und 239b Abs. 2 StGB (Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme), 264 Abs. 4 StGB (Subventionsbetrug) und 265 b Abs. 2 StGB (Kreditbetrug). Da beim erpresserischen Menschenraub und bei der Geiselnahme alle anderen Erwägungen der Sorge um das Wohl des seiner Freiheit Beraubten unterzuordnen sind, wird hier sogar auf das Erfordernis der Freiwilligkeit des Täters für die Wirksamkeit des Rücktritts verzichtet. j j ) T ä t e r s c h a f t u n d T e i l n a h m e . Für den Bereich der Beteiligung mehrerer an einer Straftat hat der Gesetzgeber von der Zusammenfassung aller Beteiligungsformen in einem einheitlichen Täterbegriff abgesehen (vgl. im einzelnen die Begründung des Ε 1962 vor § 29); anders das Ordnungswidrigkeitenrecht in § 14 OWiG, wo allerdings die Berechtigung dieser Lösung und ihre Reichweite nach wie vor heftig umstritten sind. Vielmehr wird in den §§ 25-27 StGB an der hergebrachten Einteilung der Tatbeteiligung in Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe festgehalten. In § 25 StGB wird neben der unmittelbaren Alleintäterschaft und der Mittäterschaft jetzt auch die mittelbare Täterschaft genannt („wer die S t r a f t a t . . . durch einen anderen begeht"). Für Anstiftung und Beihilfe (§§ 26 und 27 StGB) wird im Anschluß an die Rechtsprechung des BGH seit BGHSt. 9, 370 eine vorsätzliche Haupttat vorausgesetzt - dies entgegen der nachdrücklichen Warnung im A E (Begründung zu §§ 28, 29), die auf der Einsicht fußt, daß es - vor allem bei den durch besondere Täterqualitäten umschriebenen Sonderdelikten - strafwürdige Fälle gibt, die über die mittelbare Täterschaft nicht erfaßt werden können. Ein Gutteil dieser Fälle hätte über die in § 32 Ε 1962 vorgesehene Irrtumsvorschrift befriedigend gelöst werden können (Bestrafung als Anstifter oder Gehilfe, wenn der Teilnehmer irrig vom Vorhandensein des Vorsatzes beim Haupttäter ausgegangen ist). Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform hat jedoch auf die Übernahme der Vorschrift in den neuen Allgemeinen Teil verzichtet, „da der Gesetzgeber mit einer solchen Regelung zu sehr ins Detail gehen würde und dieser Fall zudem in der Praxis nur eine sehr untergeordnete Rolle [?] spielt" (2. Schriftlicher Bericht, Drucks. V/4095, S. 13 1. Sp.). Daraus ist m. E. zu schließen, daß der im Ε 1962 vorgeschlagenen Regelung vom Gesetzgeber keine sachliche Absage erteilt worden ist, die Rechtsprechung also nicht gehindert ist, Irrtumsfälle entsprechend der kriminalpolitisch wünschenswerten Ε 1962-Regelung zu lösen. Andere Akzessorietätsfragen als die nunmehr in § 26 und § 27 StGB angeordnete Abhängigkeit der Teilnehmerstrafbarkeit vom Vorsatz des Haupttä-

Strafrechtsreform ters waren bereits in früheren Novellen entschieden worden: Schon die Strafrechtsangleichungs-VO von 1943 hatte den nunmehr in § 29 StGB enthaltenen Grundsatz der Schuldunabhängigkeit (limitierte Akzessorietät) ins StGB eingeführt (§50 A b s . l StGB a . F . ) . Mit der jetzt in §28 A b s . l StGB, vorher in § 50 Abs. 2 StGB a. F. enthaltenen Regelung der strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmale (Legaldefinition in § 14 Abs. 1 StGB) hat bereits das EinführungsG zum OWiG von 1968 einem von der Literatur immer wieder vorgebrachten Anliegen Rechnung getragen, allerdings mit der vom Gesetzgeber unvorhergesehenen Folge vorzeitiger Verjährung von NS-Gewaltverbrechen wegen der zwingend angeordneten Strafmilderung (vgl. BGHSt. 22,375; diese Panne wurde durch §78 Abs. 4 i. d. F. des 2. StrRG ausgebügelt). Was die Pönalisierung von Vorbereitungshandlungen im Bereich der Teilnahme anlangt, so ist es entgegen den restriktiven Vorschlägen des A E (vgl. § 32) und im Anschluß an den Ε 1962 in § 30 StGB im wesentlichen bei der weitreichenden Regelung geblieben, wie sie der 1876 ins StGB eingefügte sog. Duchesne-Paragraph 49 a nach mehrfachen früheren Änderungen schließlich i. d. Fassung des 3. StrafrechtsÄndG von 1953 enthalten hat. Die Neuregelung geht sogar insofern noch weiter als die frühere Fassung, als in Abs. 2 nun ausdrücklich auch die Verabredung der Anstiftung zu einem Verbrechen erfaßt wird. Verzichtet wird - entgegen § 35 Abs. 3 Ε 1962 und § 32 Abs. 2 A E - nach wie vor auf eine gesetzliche Regelung der Streitfrage, für wen die in Aussicht genommene Tat ein Verbrechen sein muß, für den, der die Tat begehen soll (so der Ε 1962), für den, der zu ihr anstiftet, oder für beide (so der AE). - Der Rücktritt von der strafbaren Verbrechensvorbereitung ist der besseren Übersichtlichkeit halber nunmehr in einer besonderen Vorschrift (§ 31 StGB) geregelt, die verschiedene Lücken und Unklarheiten des alten § 49 a Abs. 3 StGB vermeidet.

6. Die Rechtsfolgen der Tat a ) A l l g e m e i n e s . Während der neue Allgemeine Teil im Kernbereich der Strafrechtsdogmatik (vorstehend 5.) - von der Übernahme einiger einfacherer Regelungen aus dem Alternativ-Entwurf abgesehen - dem Entwurf 1962 gefolgt ist, der seinerseits wieder weitgehend auf die einschlägige Judikatur zu den dogmatischen Grundfragen zurückgegriffen hat, hat sich im Bereich der Rechtsfolgen überwiegend die modernere, in die Zukunft weisende Konzeption des A E durchsetzen können, wenn auch von manchen AE-Mitverfassern nicht zu Unrecht die teilweise Verwässerung ihrer Vorschläge im Verlauf der parlamentarischen Beratungen beklagt wurde.

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Wie bereits oben unter III. A. 1. dargelegt, hat der Reformgesetzgeber an der 1933 durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung geschaffenen Zweiteilung der strafrechtlichen Sanktionen in Strafen (dazu unten b) und Maßregeln der Besserung und Sicherung (dazu unten d) festgehalten (sog. Zweispurigkeit). Diese beiden inzwischen schon klassischen Säulen des Rechtsfolgensystems wurden, wie im einzelnen zu zeigen sein wird, resozialisierungsfreundlicher ausgestaltet. Ebenfalls auf den Resozialisierungsgedanken zurückzuführen ist die starke Erweiterung der Strafaussetzung zur Bewährung (dazu unten c) und des mit ihr gekoppelten Instrumentariums zur ambulanten Behandlung des Straftäters (vgl. die Auflagen und Weisungen der §§ 56 b und c StGB). Der gesetzgeberische Ausbau der Strafaussetzung und die große praktische Bedeutung, die dieses Institut neben den beiden hergebrachten Straftatfolgen mittlerweile spielt, haben dazu geführt, der Bewährungsaussetzung das Gewicht einer zunehmend selbständigen Rechtsfolge beizumessen, so daß neuerdings zutreffend von einer dritten Spur unseres Strafrechts die Rede ist. Dies ist um so mehr gerechtfertigt, als nicht mehr nur Strafen, sondern auch einige freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt werden können (vgl. § 6 7 b StGB). b ) D i e S t r a f e n , a a ) H a u p t s t r a f e n . Die Todesstrafe wurde durch Art. 102 G G abgeschafft, der damit obsolet gewordene §13 StGB a. F., der die Vollstreckung regelte, durch das 3. StrÄndG von 1953 gestrichen. Der periodisch immer wieder laut werdende Ruf nach der Todesstrafe, jüngst bei der Diskussion um die Terrorismusbekämpfung, hat wegen der verfassungsrechtlichen Abolition, die nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates rückgängig gemacht werden könnte (vgl. Art. 79 Abs. 2 G G ) , nach menschlichem Ermessen keine Chance auf Verwirklichung. Auf das grundsätzliche Für und Wider der Todesstrafe, das ganze Bibliotheken füllt, braucht also hier nicht eingegangen zu werden. Aktueller Anlaß besteht allerdings zu dem Hinweis, daß die Wiedereinführung der Todesstrafe kein geeignetes Instrument zur Bekämpfung des Terrorismus wäre, weil sich gerade dieser zu allem entschlossene Täterkreis durch ihre Existenz nicht abschrecken ließe, und auch der speziellen Freipressungskriminalität könnte man damit schwerlich beikommen, da von der Verhaftung bis zur rechtskräftigen Aburteilung gefaßter Täter Jahre vergehen, also nach wie vor genügend Zeit für Befreiungsaktionen vorhanden wäre. Vor dem gesetzgeberischen Durchbruch der Reformbewegung kannte das StGB vier freiheitsentziehende Hauptstrafen: die Zuchthausstrafe, die

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Gefängnisstrafe, die Einschließung (welche im 3. StrÄndG von 1953 an die Stelle der ursprünglichen Festungshaft getreten war) und die Haft. Im Ε 1962 war zwar wegen der beabsichtigten Streichung der Übertretungen für die Haft kein Raum mehr, und auch auf die Einschließung wollte der Entwurf wegen ihrer geringen praktischen Bedeutung, und weil die Große Strafrechtskommission eine Sonderbehandlung von Überzeugungs- und Gewissenstätern nicht für angebracht hielt, verzichten. Gleichwohl konnte man sich trotz gewichtiger Stimmen auch in der Großen Strafrechtskommission nicht für die einheitliche Freiheitsstrafe entschließen, sondern hat die Zuchthaus- und Gefängnisstrafe beibehalten und mit der Strafhaft sogar eine dritte freiheitsentziehende Strafe schaffen wollen. Der Entwurf ging nämlich von der Auffassung aus, daß eine allein in der Strafhöhe abgestufte Einheitsstrafe nicht ausreiche, die verschiedenen Unrechtsarten hinlänglich differenziert zu sanktionieren. Die Gefängnisstrafe sollte die Reaktion auf die schwere und mittlere Kriminalität sein. Mit der - allerdings stark zurückgedrängten - Zuchthausstrafe wollte man die Hochkriminalität erfassen, wobei der Resozialisierungsgedanke bewußt der Schuldvergeltung und der Generalprävention untergeordnet wurde; insbesondere glaubte man auch, daß nach Abschaffung der Todesstrafe ein Verzicht auf die Zuchthausstrafe vom Volk als unangebrachte Milderung des Strafrechts mißverstanden würde. Die Strafhaft schließlich sollte die Abstufung des Unrechts nach unten in Fällen ermöglichen, in denen „die Gefängnisstrafe einen zu starken sittlichen Makel bedeuten und unerwünschte Nebenwirkungen für die Lebens- und Berufsstellung des Verurteilten haben, andererseits die Geldstrafe einen zu geringen Eindruck hinterlassen würde" (Begründung Ε 1962, S. 165). Gedacht war dabei vor allem an Fahrlässigkeitstaten, insbesondere im Straßenverkehr, wo im übrigen vor Inkrafttreten des 1. StrRG von 1969 mit seiner Zurückdrängung der kurzfristigen Freiheitsstrafe die Rechtsprechung in bestimmten Härtewellen immer wieder versucht hat, mit teilweise extrem kurzen Freiheitsstrafen (Wochen oder gar nur Tage) Alkoholtätern einen wirksamen Denkzettel zu verpassen und zugleich generalpräventive Wirkung zu entfalten. Unter dem Eindruck des Alternativ-Entwurfes, der in Übereinstimmung mit der Tendenz der internationalen Entwicklung und zahlreichen Stellungnahmen aus Wissenschaft und Praxis die Einheitsstrafe forderte (§36 AE und Begründung S.75f.), hat sich der Gesetzgeber entgegen dem Ε 1962 mit dem 1. StrRG von 1969 für die einheitliche Freiheitsstrafe entschieden. Folgende Gründe waren für diese Entscheidung maßgebend: „Es besteht in der Praxis kein wirklicher Unterschied zwischen Zuchthaus und Gefängnis. Eine Differenzierung nach Strafarten im Vollzug ist nicht oder nur in belanglosen Punkten möglich und im übrigen auch

sachlich nicht geboten, da beide Strafarten dasselbe Vollzugsziel haben. Die Zuchthausstrafe behindert eine wirkliche Resozialisierung und kann sich vor allem bei der Rückkehr in das bürgerliche Leben schädlich auswirken. Sie versieht den Gefangenen mit dem Makel des Zuchthäuslers, was dazu führen kann, daß der Entlassene den Keim künftiger Kriminalität in sich trägt. Die Einheitsstrafe ermöglicht eine Trennung nach Tätergruppen in geeigneten Anstalten und verzichtet auf die unnötigen Kosten für besondere Zuchthäuser. Sie setzt sich in den neueren Strafgesetzbüchern und Reformentwürfen immer mehr durch" (Erster Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Drucks. V/4094, S. 8,1. Sp.). Das geltende Recht kennt die einheitliche Freiheitsstrafe als zeitige (ein Monat bis fünfzehn Jahre) und als lebenslange Freiheitsstrafe (§38 StGB). - Anläßlich der Beratung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge vom 25.9.1978 (BGBl. I S. 1571) im Bundesrat wurde die Forderung laut, das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe bei besonders schweren (terroristischen) Gewalttaten auf zwanzig Jahre anzuheben. Ein derartiger Schritt ließe sich schwerlich mit den durch das Bundesverfassungsgericht veranlaßten Überlegungen zur Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe (dazu unten) in Einklang bringen; der Vorschlag wurde nicht aufgegriffen. Abgesehen von dem allgemeinen Unbehagen gegenüber der Freiheitsstrafe, die von vielen Strafrechtlern und Kriminologen widerwillig nur noch deshalb hingenommen wird, weil für sie bislang keine befriedigenden Ersatzsanktionen gefunden wurden und wohl in absehbarer Zeit auch nicht gefunden werden dürften, war und ist die Freiheitsstrafe gezielten Angriffen von zwei Seiten ausgesetzt: Die Bedenken richten sich einmal gegen die kurzfristige Freiheitsstrafe, zum anderen gegen die lebenslange Freiheitsstrafe. Die Einwendungen gegen die kurzfristige Freiheitsstrafe stützen sich vor allem auf die hohe Rückfallquote gerade bei dieser Strafart. Dieser Mißstand ist spätestens seit der ersten vom Statistischen Reichsamt im Jahre 1882 herausgegebenen Rechtspflegestatistik bekannt und wurde von Franz von Liszt ins allgemeine Blickfeld gerückt. Die Erkenntnis, daß die kurzfristige Freiheitsstrafe keine bessernde Wirkung auf die meisten Verurteilten ausübt, schon weil die dem Vollzugsstab zur Verfügung stehende Zeit viel zu kurz ist, um auf den sozial nicht verwurzelten Straftäter (resozialisierend einzuwirken, ihn ζ. B. für einen Beruf auszubilden, und daß andererseits die Gefahr krimineller Infektion erfahrungsgemäß beim Vollzug kurzfristiger Freiheitsstrafen besonders groß ist, hat in der Geldstrafengesetzgebung der Jahre 1921-1924 einen ersten gesetzgeberischen Niederschlag gefunden. Auch wegen Vergehen und Übertretungen, für die nur Gefängnis oder Haft angedroht war

Strafrechtsreform (praktisch wichtigster Fall: Diebstahl), konnte nun Geldstrafe verhängt werden, falls eine Gefängnisstrafe von weniger als drei Monaten verwirkt war (§ 27b StGB a. F.). Weiter wurde zur Vermeidung kurzfristiger Ersatzfreiheitsstrafen in §28b StGB a. F. die Möglichkeit vorgesehen, daß der Verurteilte eine uneinbringliche Geldstrafe durch freie Arbeit tilgen kann, wovon jedoch nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht wurde. Im übrigen sollte mit der in § 27 c Abs. 1 StGB a. F. vorgeschriebenen Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters bei der Bemessung der Geldstrafe darauf hingewirkt werden, daß von vornherein möglichst nur solche Geldstrafen verhängt werden, die der Verurteilte auch aufbringen kann, so daß für eine Ersatzfreiheitsstrafe kein Raum bleibt. Abgesehen von der den Vollzug kurzfristiger Freiheitsstrafen zurückdrängenden Strafaussetzung zur Bewährung, die 1953 ins Erwachsenenstrafrecht eingeführt wurde (vgl. unten c), ist die Bewältigung der Problematik der kurzfristigen Freiheitsstrafe bis zu den Strafrechtsreformgesetzen von 1969 nicht über den Stand der 20er Jahre hinausgediehen. Und auch das 1. StrRG hat in § 18 Abs. 2 StGB a. F. für die zeitige Freiheitsstrafe noch das Mindestmaß von einem Tag beibehalten und lediglich die nunmehr in §47 StGB enthaltene ultima-ratio-Klausel für die Verhängung von Freiheitsstrafen unter 6 Monaten gebracht. Erst mit dem Inkrafttreten des 2. StrRG Anfang 1975 wurde das Mindestmaß der zeitigen Freiheitsstrafe auf einen Monat heraufgesetzt (§ 38 Abs. 2 StGB), für die engagierten Gegner der kurzfristigen Freiheitsstrafe bei weitem nicht hoch genug; so sah der Alternativ-Entwurf in § 36 Abs. 1 ein Mindestmaß von sechs Monaten vor. Am anderen Ende der Skala ist die lebenslange Freiheitsstrafe verstärkten Angriffen ausgesetzt. Die zunächst im Schrifttum (vgl. etwa die Nachweise bei Baumann-Weber. Strafrecht AT. 8. Aufl. 1977, S.632 Fn.4) und später auch in der Rechtsprechung (vgl. Vorlagebeschluß des LG Verden gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in NJW 1976, 980) erhobenen Bedenken konnten das BVerfG jedoch letztlich nicht von der Verfassungswidrigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe überzeugen (vgl. BVerfGE 45, 187ff.). Die Auswertung der Literatur und der vom BVerfG selbst erhobenen Beweise, insbesondere der Stellungnahmen der angehörten Sachverständigen aus Vollzugswissenschaft und -praxis, hat zu einem non liquet in der Frage geführt, ob die lebenslange Freiheitsstrafe nach einer bestimmten Haftdauer - spätestens nach 25 Jahren - zu einem weitgehenden Persönlichkeitsverfall des Inhaftierten, zu einem Abstumpfen und schließlich gänzlichen Erlöschen seiner guten Affekte führe, so daß nur noch von einem Vegetieren gesprochen werden könne. Der Senat räumte zwar (aaO S.238) ein, daß es bedenklich erscheine, auch dann, wenn schwere Grundrechtseingriffe in Frage stünden, Unklarheiten in der Bewertung von Tatsachen zu

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Lasten des Grundrechtsträgers gehen zu lassen. Er verneinte gleichwohl einen Verstoß gegen die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Unantastbarkeit der Menschenwürde (aaO S. 229ff.) und stützte sich dabei zum einen auf den nach dem StVollzG von 1976 auch für den Lebenslangen vorgesehenen Behandlungsvollzug, zum anderen auf die von den Bundesländern geübte Gnadenpraxis (die Masse der Begnadigungen vollzieht sich zwischen dem 15. und 25. Haftjähr), welche die Gefahr schwerwiegender Persönlichkeitsveränderung wesentlich begrenze. Das Rechtsstaatsprinzip gebiete allerdings eine Verrechtlichung der Entlassungspraxis, d. h. den Gesetzgeber treffe die verfassungsrechtliche Pflicht, die bislang nur für die zeitige Freiheitsstrafe (§57 StGB) vorgesehene Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung auch für die lebenslange Freiheitsstrafe vorzusehen, wofür ihm eine angemessene Frist zur Sammlung von Erfahrungen und ein nur durch die Verfassung gezogener (weiter) Rahmen der Gestaltungsfreiheit zustehe (aaO S. 243 ff.). - Der Gesetzgeber ist diesem Auftrag mit dem 20.StrAndG vom 8.12.1981 (BGBl. I S. 1329) nachgekommen: §57 a StGB gebietet die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach Verbüßung von 15 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen (dazu unten c). Das BVerfG verneinte auch die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit der absoluten Androhung der lebenslangen Freiheitsstrafe für Mord (§211 StGB), forderte allerdings die Strafgerichte zur restriktiven Interpretation dieses Tatbestandes, insbesondere der Mordmerkmale „heimtückisch" und „um eine andere Straftat zu verdecken" auf. Erste Auswirkungen in dieser Richtung zeigten die Entscheidungen BGHSt. 27, 322 und 346. Unlängst hat der Große Strafsenat des BGH (BGHSt. 30,105) in einer auf heftigen Widerspruch gestoßenen Entscheidung demgegenüber eine Lösung der Problematik nicht in einer restriktiven Auslegung der Mordmerkmale im entschiedenen Fall der Heimtücke, sondern auf der Rechtsfolgenseite gesucht und bei Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände" die Strafmilderungsvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB für anwendbar erklärt, wonach statt lebenslanger eine zeitige Freiheitsstrafe im Mindestmaß von drei Jahren verhängt werden kann. Die Entwicklung der Reformgesetzgebung dürfte nach dem Spruch des BVerfG neben der Einführung der bedingten Entlassung auch für Lebenslange dahin gehen, daß die Abgrenzung von Mord und Totschlag nach teilweise anderen Kriterien als nach geltendem Recht erfolgt, möglicherweise in dem Sinne, daß der Mord als tatbestandlich nicht mehr abschließend vertypter besonders schwerer Fall des Totschlags ausgestaltet wird, so daß der Strafrichter von der Automatik der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe befreit wäre (so etwa der Beschluß der Abteilung Strafrecht des 53.DJT 1980, der

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vorschlägt, die Erschwerungsgründe als „besonders schwere Fälle" in Regelbeispielstechnik auszugestalten). Allerdings muß man sich auch vor Augen halten, daß derartige Lösungen eine Einbuße an Rechtssicherheit mit sich bringen, die gerade im Bereich der schwersten Kriminalität nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte. Was den Vollzug der Freiheitsstrafe anlangt, so ist zu bedauern, daß insoweit nicht wenigstens einige grundlegende Vorschriften ins StGB aufgenommen wurden. Es muß auf den Rechtsunterworfenen enttäuschend wirken, wenn er der zentralen Kodifikation des Strafrechts nicht einmal andeutungsweise entnehmen kann, welches Ziel mit der Freiheitsstrafe verfolgt wird und nach welchen Grundsätzen sie vollzogen wird; vgl. demgegenüber §§37-39 AE. An die Stelle der im unteren Bereich zurückgedrängten Freiheitsstrafe ist die Geldstrafe getreten. Sie beherrscht vor allem das Sechsmonatsfeld, in dem nach der Strafzumessungsvorschrift des §47 StGB (dazu auch unten dd) Freiheitsstrafe grundsätzlich nicht mehr verhängt werden darf, reicht aber noch beträchtlich darüber hinaus, denn nach §40 Abs. 1 S.2 StGB beträgt das Höchstmaß der Geldstrafe 360 Tagessätze ( = 1 Jahr), bei der Gesamtstrafenbildung im Falle von Tatmehrheit sogar 720 Tagessätze ( = 2 Jahre), § 54 Abs. 2 S. 2 StGB. Das 2. StrRG hat der Ausgestaltung der Geldstrafe das skandinavische Tagesbußensystem zugrunde gelegt, das bereits der Ε 1962 in §51 vorgesehen hatte (vgl. §40 StGB). Abgelehnt wurde die in §35 G E Baumann geforderte und im wesentlichen in den §49 AE übernommene Laufzeitgeldstrafe, die es ermöglicht hätte, dem Verurteilten eine während der Laufzeit ständig wiederkehrende fühlbare Beschränkung seines Lebensstandards aufzuerlegen und damit die Geldstrafe in ihrer Dauerwirkung der Freiheitsstrafe anzupassen. Immerhin hat das Tagessatzsystem, das eine klare Differenzierung von Unrechtsverwirklichung und Schuld des Täters einerseits und seinen wirtschaftlichen Verhältnissen andererseits ermöglicht, dazu geführt, daß die Geldstrafenverhängung rationaler und damit effektiver geworden ist. Mittlerweile sind rund 85 % der verhängten Strafen Geldstrafen. Verfassungsrechtlich und kriminalpolitisch problematisch bleibt die Ersatzfreiheitsstrafe, die nach §43 StGB an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt. Gegen den Umrechnungsmaßstab „ein Tagessatz Geldstrafe = ein Tag Freiheitsstrafe" (§ 43 S. 2) werden neben grundsätzlichen Zweifeln an der Kommensurabilität beider Strafen Bedenken aus dem Schuldgrundsatz, dem Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip insbesondere dann hergeleitet, wenn die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen wegen Geldstrafen mit sehr niedrigen Tagessätzen in Frage steht; jedenfalls in derartigen Fällen werde aus dem Ersatzübel ein nicht mehr vertretbares Zusatzübel. Es scheint, der österreichi-

sche Reformgesetzgeber war im Hinblick auf diese verfassungsrechtlichen Bedenken besser beraten, als er den Maßstab für die Umrechnung von Geldstrafe in Ersatzfreiheitsstrafe nicht auf 1 : 1 festgesetzt hat, sondern auf 2:1, also zwei Tagessätze Geldstrafe einem Tag Freiheitsstrafe gleichgestellt hat (§ 19 Abs. 3 S. 1 ÖStGB). Kriminalpolitisch unbefriedigend ist die Ersatzfreiheitsstrafe deshalb, weil mit ihr ein Hauptziel der jüngsten Reformen im Sanktionsbereich, nämlich die Zurückdrängung der zumeist schädlichen kurzfristigen Freiheitsstrafe, teilweise unterlaufen wird. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Verurteilungen zu Geldstrafe bewegt sich ja wegen der prinzipiellen Sechsmonatsgrenze für die Freiheitsstrafe (§47 StGB) in dem Bereich bis zu 180 Tagessätzen, d.h. die vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen überschreiten in aller Regel ein halbes Jahr nicht und belaufen sich häufig nur auf Wochen oder gar Tage. Die für die primär verhängte Freiheitsstrafe in § 38 Abs. 2 StGB bestimmte Einmonatsgrenze gilt nämlich nicht für die Ersatzfreiheitsstrafe; vielmehr ist ihr Mindestmaß nach §43 S.3 StGB ein Tag. Angesichts dessen ist es zu bedauern, daß in den Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (vgl. BT-Drucks. V/4095, S.22) nicht wenigstens einem möglichen Surrogat der Geldstrafe mehr Aufmerksamkeit gewidmet worden ist, nämlich der Tilgung der Geldstrafe durch freie Arbeit. Es ist zwar zuzugeben, daß dieses Institut, das im alten §28b StGB a. F. enthalten war, praktisch nie eine nennenswerte Rolle gespielt hat. Man muß sich dann allerdings fragen, warum das so gewesen ist. Die Vermutung liegt nahe und läßt sich auch aus den Stellungnahmen der Landesjustizverwaltungen gegenüber dem Sonderausschuß für die Strafrechtsreform herauslesen (aaO S.22 f.), daß die Tilgung der Geldstrafe durch freie Arbeit deshalb ein Mauerblümchendasein gefristet hat, weil sie mehr Aufwand bereitet hätte als die schlichte Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe, für die man ja durch die Existenz von Vollzugsanstalten allemal gewappnet war. Der Gesetzgeber hat kapituliert und die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafe durch freie Arbeit nicht einmal mehr im StGB geregelt, sondern sie an eine ziemlich versteckte Stelle im Einführungsgesetz zum StGB (Art. 293 EGStGB) abgedrängt. Von der dort enthaltenen Ermächtigung, durch Rechtsverordnungen einschlägige Regelungen zu treffen, haben bisher lediglich Hamburg und Berlin (West) Gebrauch gemacht. b b ) N e b e n s t r a f e . Als einzige Nebenstrafe ist im Zuge der Reformbemühungen das Fahrverbot (§44 StGB) übriggeblieben, das durch das 2. StraßenverkehrssicherungsG von 1964 als §37 in das StGB a. F. eingestellt worden war. Die Rechtsnatur als Strafe wird allerdings dadurch relativiert, daß das Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht seit dem EGOWiG von 1968 dieselbe Rechtsfolge vorsieht

Strafrechtsreform (§25 StVG), die dort, da kein kriminelles Unrecht verwirklicht wurde, naturgemäß keinen Strafcharakter haben kann. - Will man die kurzfristige Freiheitsstrafe noch weiter zurückdrängen als im geltenden Recht geschehen, so liegt der Gedanke nahe, den Anwendungsbereich des Fahrverbots auszudehnen und es zur Hauptstrafe auszugestalten, wie es der A E in §55 (bis zu einem Jahr) vorsieht. c c ) N e b e n f o l g e n . Wie auf manch anderen Gebieten des Allgemeinen Teils (vgl. etwa die Organund Vertreterhaftung, oben unter 5 b, bb) hat auch bei der Neugestaltung der strafrechtlichen Nebenfolgen das Ordnungswidrigkeitenrecht Schrittmacherdienste geleistet: Das OWiG 1968 brachte in seinen §§22-29 eine Einziehungsregelung, die den gegen die alten §§40-42 StGB vorgebrachten, auf Art. 14 Abs. 1 und 3 G G gestützten verfassungsrechtlichen Einwendungen Rechnung trug und zugleich diese Nebenfolge effektiver gestaltete. Eine entsprechende Ausgestaltung der strafrechtlichen Vorschriften über Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung erfolgte durch das EGOWiG 1968. Sie wurde durch das 2. StrRG nur unwesentlich modifiziert und findet sich nunmehr in den §§ 73-76 a StGB, die in ihrem Perfektionismus nicht mehr zu überbieten sind. Bedenken ausgesetzt ist wegen seiner Resozialisierungsfeindlichkeit der von den alten Ehrenstrafen übriggebliebene Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts. Dies gilt vor allem für den nach § 45 Abs. 1 StGB von Gesetzes wegen eintretenden Verlust bei Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen eines Verbrechens, weil hier keinerlei Raum für eine zukunftsorientierte Täterprognose bleibt. Der Alternativ-Entwurf wollte die der Wiedereingliederung des Verurteilten hinderlichen Nebenfolgen erinnert sei auch an die in §45 Ε 1962 mit der Zuchthausstrafe verknüpften Wirkungen für die Berufsausübung - völlig ihres repressiven Charakters entkleiden und sie dementsprechend in die Beamtengesetze, Berufsordnungen, Disziplinarordnungen u. dgl. verweisen, soweit auf sie aus präventiven Gründen nicht überhaupt verzichtet werden kann (vgl. A E , Begr. S. 77). d d ) S t r a f b e m e s s u n g . Wie bereits ansatzweise die Entwürfe der Weimarer Zeit bemühten sich die Nachkriegsentwürfe verstärkt darum, „durch Aufstellung gesetzlicher Bemessungsregeln der richterlichen Strafzumessung eine tragfähige Grundlage zu geben" (E 1962, Begr. S. 179 r. Sp. unten). Diese Bestrebungen, denen - wenn auch zurückhaltender - in seinen §§ 59 ff. der A E gefolgt war, haben in den §§46 ff. StGB des geltenden Rechts ihren Niederschlag gefunden. Die in §46 StGB enthaltenen „ Grundsätze der Strafbemessung" sind, wie bereits oben unter III.

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Α. 1 a. E . dargelegt, insoweit bewußt unpräzise gehalten, als in Abs. 1 S. 1 sehr allgemein von der Schuld als Grundlage für die Strafzumessung die Rede ist, mit der Folge, daß zwar nunmehr die von der Rechtsprechung praktizierte Spielraumtheorie gesetzgeberisch anerkannt ist, daß aber - entgegen § 59 Abs. 1 S. 1 A E - der Gesetzeswortlaut eine Überschreitung der schuldangemessenen Strafe aus präventiven Erwägungen nicht verbietet. Von dem in §46 Abs. 2 StGB enthaltenen, naturgemäß nicht abschließenden Katalog von (ambivalenten) Bemessungsgesichtspunkten konnte von vornherein kein wesentlicher Wandel der Strafzumessungspraxis erwartet werden, denn die genannten Umstände waren schon zuvor als zumessungsrelevant anerkannt. Immerhin ist die Bestimmung als Appell an die Gerichte zu begrüßen, diesen Umständen im jeweils zu entscheidenden Fall auch Eingang in die Zumessungserwägungen zu gewähren und damit die Straffestsetzung (etwas) rationaler zu gestalten. Wie viel hier im übrigen noch im argen liegt, zeigt auch die Tatsache, daß es der Gesetzgeber in §46 Abs. 3 StGB für erforderlich hielt, das Verbot der Doppelbewertung von Tatbestandsmerkmalen zu verankern. Entgegen §36 Abs. 1 S. 1 A E , der die Verhängung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten schlechthin ausschließen wollte (vgl. bereits oben aa), konnte sich der amtliche Gesetzgeber bei der Zurückdrängung der kurzfristigen Freiheitsstrafe, dem zentralen Anliegen der Strafrechtsreform, lediglich zu der „weichen" Lösung einer Strafzumessungsvorschrift, sog. ultima-ratio-Klausel, entschließen (§47 StGB). Auf das generalpräventive Element, das in dem Begriff „Verteidigung der Rechtsordnung" enthalten ist und das Angriffen von Vertretern einer pointiert spezialpräventiven Richtung ausgesetzt ist, wurde bereits oben unter III. Α. 1 hingewiesen. Das 1. StrRG von 1969 hat die 1933 ins StGB eingeführte Strafschärfungsvorschrift des § 20 a für gefährliche Gewohnheitsverbrecher beseitigt. Die Vorschrift wurde als unvereinbar mit einem an der Tatschuld orientierten Schuldstrafrecht angesehen (vgl. etwa Begr. zu §61 Ε 1962, S. 182 r. Sp.). Der Alternativ-Entwurf (Begr. S. 117) hatte aus mehreren Gründen dringend davor gewarnt, in Gestalt des § 61 Ε 1962 einen „verkleinerten Gewohnheitsverbrecher" (Bockelmann) zu konservieren. Das 1. StrRG von 1969 hat mit §17, jetzt §48 StGB, gleichwohl eine allgemeine Rückfallvorschrift geschaffen (und zugleich die in der Tat unverständlich eklektischen alten Rückfallbestimmungen bei einzelnen Eigentums- und Vermögensdelikten, §§ 244, 250,262, 264 StGB a. F., beseitigt). Trotz der materiellen Rückfallvoraussetzung, daß sich der Täter „die früheren Verurteilungen nicht hat zur Warnung dienen lassen", ist es erwartungsgemäß nicht gelungen, die in § 48 StGB angeordnete Strafschärfung mit dem Grundsatz der Tatschuldvergeltung in

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Einklang zu bringen. Auch mit spezialpräventiven Argumenten läßt sich die Vorschrift schwerlich überzeugend begründen, vielmehr ist der Einwand letztlich nicht auszuräumen, wie man eigentlich darauf bauen könne, eine verschärfte Freiheitsstrafe könne die resozialisierende Wirkung auf den Täter ausüben, welche die früher verhängten und verbüßten Strafen gerade nicht hatten. Obwohl es mit der Rechtsfigur der "besonders schweren Fälle" entgegen der Annahme des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (Drucks. V/4095, S. 23 r. Sp.) schließlich doch noch zu einer begrifflichen Vereinheitlichung der tatbestandlich nicht erfaßten Straferschwerungen des Besonderen Teils gekommen ist, wurde auf die Übernahme einer dem § 62 Ε 1962 entsprechenden allgemeinen Vorschrift verzichtet. Im Hinblick auf den geringen Aussagegehalt jener Bestimmung - wesentliche Erhöhung des Unrechts und der Schuld - ist dies nicht zu bedauern. - Zunehmender Beliebtheit beim Gesetzgeber erfreut sich die Technik der Regelbeispiele, die den Wertmaßstab für die Abgrenzung des Normalfalles von dem besonders schweren Fall dadurch verdeutlichen soll, daß bei allen in Frage kommenden Tatbeständen des Besonderen Teils näher umschriebene Beispiele aufgeführt werden, die in der Regel die Anwendung des verschärften Strafrahmens rechtfertigen sollen (vgl. Ε 1962, Begr. S. 184 r. Sp.). Sicher können mit dem durch das 1. StrRG von 1969 auf diese Technik umgestellten § 243 StGB, dem Paradefall für die Verwendung von Regelbeispielen, elastischere Ergebnisse erzielt werden als mit dem früheren qualifizierten Tatbestand, der zu mancherlei Ungereimtheiten und Skurrilitäten geführt hatte, und gegenüber den nicht exemplifizierten besonders schweren Fällen bringt die Erläuterung durch Regelbeispiele auch einen Gewinn an Rechtssicherheit. Gleichwohl sollte vor allem der Einwand der „Verantwortungsscheu des Gesetzgebers" (Maurach) nicht leichtgenommen werden, ganz abgesehen von einigen noch nicht völlig geklärten Einzelfragen, wie z.B. der Versuchsproblematik, die diese Gesetzgebungstechnik mit sich gebracht hat. - Neuere einschlägige Vorschriften finden sich ζ. B. in §218 Abs. 2 StGB i . d . F . des 15.StrÄndG von 1976 sowie in den §§264 Abs. 2, 283 a, 283 d Abs. 3 und 302 a Abs. 2 StGB, alle i . d . F . des 1. G zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität von 1976. Auch für die nunmehr einheitlich als „minder schwere Fälle" charakterisierten Strafmilderungsvorschriften im Besonderen Teil - vgl. etwa §§ 154 Abs. 2, 213 , 220a Abs. 2, 223b bis 226 (jeweils Abs. 2), 249 Abs. 2, 250 Abs. 2 StGB - , die die Funktion der bisherigen „mildernden Umstände" und des „besonders leichten Falles" mit übernommen haben, wurde entgegen § 63 Ε 1962 zu Recht auf eine - zwangsläufig relativ farblose - Begriffsbestimmung im Allgemeinen Teil verzichtet.

In Übereinstimmung mit § 64 Ε 1962 sowie früheren amtlichen Entwürfen und dem Alternativ-Entwurf (§ 61 AE) enthält § 49 StGB eine allgemeine Vorschrift über besondere gesetzliche Milderungsgründe. Sie übernahm in ihrem Abs. 1 die Funktion des alten §44 StGB, der die Strafmilderungsmöglichkeit für den Versuch enthielt und auf den in anderen Fällen gesetzlich vorgesehener Milderung verwiesen wurde. Die weitreichende Milderungsvorschrift des § 49 Abs. 2 StGB, auf die im Besonderen Teil vor allem in Fällen des Rücktritts vom vollendeten Delikt verwiesen wird, war als § 15 bereits durch das 1. StrRG von 1969 ins StGB übernommen worden. c) S t r a f a u s s e t z u n g z u r Bewährung, V e r w a r n u n g mit S t r a f v o r b e h a l t und A b s e h e n v o n S t r a f e . Bereits das RStGB von 1871 sah in seinen §§ 24-26 die bedingte Entlassung von zu längerfristigen Zuchthaus- und Gefängnisstrafen Verurteilten nach Verbüßung von drei Vierteln, mindestens aber einem Jahr der Strafe vor, allerdings nicht als richterliche, sondern als Maßnahme der Justizverwaltung. Das StrÄndG von 1953 hat das Institut in die Hand des Richters gelegt und Entlassung schon nach Zweidrittelverbüßung, mindestens jedoch Verbüßung von drei Monaten der Strafe zugelassen (§ 26 StGB a. F.). Bei diesen zeitlichen Grenzen ist es im 1. und 2. StrRG für den Normalfall geblieben, jedoch ist die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nun nicht mehr dem Ermessen des Richters anheimgegeben, sondern bei Vorliegen der formellen und - ausschließlich spezialpräventiv ausgerichteten - materiellen Voraussetzungen zwingend vorgeschrieben (§ 57 Abs. 1 StGB). Bei Vorliegen besonderer Umstände in der Tat und in der Persönlichkeit des Verurteilten kann (hier also fakultativ) Reststrafaussetzung schon nach Verbüßung der Hälfte, mindestens aber eines Jahres einer zeitigen Freiheitsstrafe erfolgen. - Wie bereits oben unter b, aa erwähnt, schreibt der durch das 20. StrÄndG vom 8.12.1981 (BGBl. I S. 1329) ins StGB eingefügte § 57 a unter denselben spezialpräventiv orientierten Voraussetzungen wie §57 Abs. 1 Nr. 2 StGB bedingte Entlassung des zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten nach Verbüßung von 15 Jahren vor. Allerdings schließt § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB die Reststrafaussetzung bei besonders schwerer Tatschuld aus. Eine andere Hauptforderung der modernen Strafrechtsschule, nämlich die von vornherein erfolgende Strafaussetzung zur Bewährung, hat erst mit dem 3. StrÄndG 1953 Eingang ins Erwachsenenstrafrecht gefunden. Während im Jugendstrafrecht der gesetzliche Durchbruch bereits im JGG von 1923 (§§10 ff.) erfolgt war, wurden im Erwachsenenstrafrecht seit 1895 bis 1953 landes-, seit der Gnadenordnung von 1935 reichsrechtliche Gnadenregelungen i. S. einer Strafaussetzung auf Wohlverhalten praktiziert. Der Gesetzgeber von 1953 ist

Strafrechtsreform nicht der im anglo-amerikanischen Recht ausgebildeten bedingten Verurteilung gefolgt, sondern hat an das belgisch-französische System der bedingten Strafaussetzung (sursis) angeknüpft. Bei dieser grundsätzlichen Entscheidung ist es in der jüngsten Reformgesetzgebung geblieben. Insbesondere konnte sich der Gesetzgeber aus Furcht vor einer Einbuße an generalpräventiver Wirkung des Strafrechts nicht zur Übernahme der Verwarnung mit Strafvorbehalt auf breiter Basis entschließen, wie sie der A E in §57 im Anschluß an gewichtige Stimmen im Reformschrifttum wegen ihrer besonderen Resozialisierungsfreundlichkeit (kein Strafmakel) für Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr, entsprechende Geldstrafe und Fahrverbot „als erste Stufe strafrechtlicher Reaktion im Bereich der sog. Massenkriminalität gegenüber Ersttätern" (AE, Begr. zu § 57) vorgesehen hatte. Das Institut findet sich in den §§59 ff. StGB lediglich als an strenge Voraussetzungen geknüpfte Ausnahmeerscheinung für Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen. Es konnte in der Praxis bislang keine nennenswerte Bedeutung erlangen und ist deshalb auch nicht geeignet, die Rolle der bei der Geldstrafe fehlenden Strafaussetzung zur Bewährung (dazu nachstehend) zu übernehmen. Die Zaghaftigkeit des Gesetzgebers zeigt sich auch darin, daß eine entsprechende Regelung für die Geldbuße des Ordnungswidrigkeitenrechts unterblieben ist. Im übrigen hat das 1. StrRG die Strafaussetzung zur Bewährung als ein wichtiges Mittel einer jeden modernen Kriminalpolitik stark ausgebaut (vgl. §§56ff. StGB): So wurde die Grenze für die Aussetzung von Freiheitsstrafen von neun Monaten auf ein Jahr, bei Vorliegen besonderer Umstände in der Tat und in der Persönlichkeit des Verurteilten sogar auf zwei Jahre erhöht, im letzteren Falle allerdings ins Ermessen des Gerichts gestellt, während §40 Abs. 1 A E in Übereinstimmung mit den Vorschlägen der Strafvollzugskommission obligatorische Aussetzung von Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren vorgesehen hatte. Zugunsten der Spezialprävention wurden generalpräventive Gesichtspunkte zurückgedrängt: Bei Freiheitsstrafen unter sechs Monaten steht nach § 56 Abs. 3 StGB die „Verteidigung der Rechtsordnung", die an die Stelle des - noch schillernderen - Begriffes des öffentlichen Interesses an der Strafvollstreckung in §23 Abs. 3 Nr. 1 StGB a. F. getreten ist, der Aussetzung nicht entgegen; zwischen der ausnahmsweisen Verhängung sehr kurzfristiger Freiheitsstrafen (§ 47 StGB) und ihrer Vollstreckung wird also nochmals differenziert. Die Maßnahmen, die das Gericht im Rahmen der Strafaussetzung treffen kann, wurden beträchtlich erweitert und in der Genugtuung für das begangene Unrecht dienende Auflagen (§ 56 b StGB) und der Resozialisierung des Täters dienende Weisungen (§§56c und d StGB) gegliedert. Mit kaum überzeugenden Gründen hat es der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform abge-

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lehnt, die Strafaussetzung zur Bewährung in Anlehnung an ausländische Vorbilder auf die Geldstrafe auszudehnen (vgl. BT-Drucks. V/4094, S. 10). Dies gilt vor allem für das Argument, „auch eine beschränkte Zulassung der Aussetzung von Geldstrafen würde zu einer kaum tragbaren Mehrbelastung der Gerichte gerade im unteren Bereich der Kriminalität führen" (aaO). Zwar sieht in der Tat auch der A E keine Aussetzung der Geldstrafe vor, aber der Hinweis darauf im 1. Schriftl. Bericht des Sonderausschusses (aaO) ist deshalb wenig stichhaltig, weil der A E eine voll ausgebaute Verwarnung mit Strafvorbehalt vorschlug (vgl. oben), also bei der Geldstrafe auf die Strafaussetzung zur Bewährung leicht verzichten konnte. Der A E sah in seinem § 58 mit dem Schuldspruch unter Strafverzicht die Möglichkeit vor, nicht nur dann von einem Strafausspruch (bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe) abzusehen, „wenn der Täter durch die Folgen der Tat hinreichend bestraft erscheint", sondern auch dann, „wenn die Tat einer außergewöhnlich schweren Konfliktslage entsprungen ist"; bei vollendeten vorsätzlichen Straftaten gegen das Leben sollte die Vergünstigung allerdings ausgeschlossen sein. Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform konnte sich zu einer derart umfassenden Lösung nicht entschließen, sondern hat sich im 1. StrRG (§ 16 StGB a. F. = § 60 StGB i. d. F. des 2. StrRG) auf die Erfassung des erstgenannten Komplexes - den Täter hat bereits eine poena naturalis getroffen - beschränkt und auch insoweit das Absehen von Strafe auf Fälle begrenzt, in denen eine Freiheitsstrafe von höchstens einem Jahr verwirkt ist. Andererseits wurden entgegen §58 Abs. 2 A E vollendete vorsätzliche Delikte gegen das Leben nicht generell ausgeschlossen, „weil sich auch hier in besonderen Ausnahmefällen, z. B. bei der Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB . . . ein Bedürfnis für ein Absehen von Strafe ergeben kann". Zusammenfassend ist festzustellen, daß im nunmehr geltenden Recht - jedenfalls aus betont spezialpräventiver Sicht - die Möglichkeiten noch nicht voll ausgeschöpft sind, die Strafaussetzung zur Bewährung und vergleichbare Institute zu einem umfassenden Instrumentarium im Sinne einer echten dritten Spur unseres Strafrechts auszubauen. Häufig hat den Gesetzgeber die Furcht vor Einbußen an der Ernsthaftigkeit des Strafrechts von weitergehenden Lösungen - etwa im Sinne der AE-Vorschläge - abgehalten. d) D i e M a ß r e g e l n d e r B e s s e r u n g und S i c h e r u n g . Durch das Reichsgesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 (RGBl. I S. 995), das auf den Entwurf eines StGB von 1930 zurückgeht, also zwar nicht nationalsozialistischen Ursprungs war, aber im Interesse „der wirksamen Sicherung der Volksgemeinschaft" teil-

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weise weit über die in der Weimarer Zeit vorgeschlagenen Regelungen hinausging, wurden als zweite Spur die Maßregeln der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, in einer Trinkerheilanstalt oder Entziehungsanstalt, in einem Arbeitshaus und in der Sicherungsverwahrung, sowie die Maßregeln der Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher und der Untersagung der Berufsausübung ins StGB eingefügt (§§42 a ff. StGB a. F.). Bereits durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30.1.1946 wurde die Maßregel der Entmannung aufgehoben. - Das Gesetz über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden vom 15.8.1969 (BGBl. I S. 1143) knüpft die entsprechenden Eingriffe an die Einwilligung des Betroffenen und sonstige strenge Voraussetzungen. - §42d StGB a. F. (Arbeitshaus) wurde ebenfalls nach 1945 - allerdings nur in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone - aufgehoben, jedoch durch das 3. StrÄndG 1953 bundeseinheitlich wieder eingeführt. Durch das Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs von 1952 wurde als §42m StGB a. F. die Entziehung der Fahrerlaubnis neu ins StGB eingefügt. Trotz immer wieder laut gewordener Bedenken vor allem Vorwurf der Doppelbestrafung, Kritik der Antinomie von Sicherungs- und Besserungszweck, Übergriff des Strafrechts in die Kompetenz des präventiven Sicherheits- und des Sozialrechts hat es nie einem ernsthaften Zweifel unterlegen, daß die Maßregeln auch bei einer Gesamtreform des strafrechtlichen Sanktionensystems beibehalten werden. Die praktische Bewährung der Zweispurigkeit war hier ebenso entscheidend wie das Festhalten des Reformgesetzgebers am Schuldstrafrecht (vgl. zum letzteren bereits oben A1). Das geltende Recht (vgl. den Katalog in § 61 StGB) kennt folgende Maßregeln: (1) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, (2) in einer Entziehungsanstalt, (3) in einer sozialtherapeutischen Anstalt und (4) in der Sicherungsverwahrung, (5) die Führungsaufsicht, (6) die Entziehung der Fahrerlaubnis und (7) das Berufsverbot. Der Ε 1962 hatte nicht die sozialtherapeutische Anstalt, jedoch die Bewahrungsanstalt, die vorbeugende Verwahrung, die Sicherungsaufsicht und das Verbot der Tierhaltung vorgesehen und wollte die Unterbringung in einem Arbeitshaus, in noch erweiterter Form, beibehalten. Nach anfänglichem Schwanken hat der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform schließlich einstimmig auf das Arbeitshaus verzichtet und § 42d StGB a.F. im l . S t r R G gestrichen. Die seit langem gegen diese Maßregel erhobene Kritik, die sich auch der A E zu eigen gemacht hatte (vgl. Begr. zu § 66, S. 129), hat schließlich auch beim amtlichen Gesetzgeber zu der Einsicht geführt, „daß gegenüber arbeitsscheuen Kleindelinquenten, insbesondere den Dirnen, Bettlern und Landstreichern die schwerwiegende Maßregel des Arbeitshauses nicht am Platz i s t . . . Es muß versucht werden, dem bis-

her vom Arbeitshaus erfaßten Personenkreis mit den Mitteln der Sozialfürsorge beizukommen...". - Desgleichen wurde auf die Übernahme des Verbots der Tierhaltung ersatzlos verzichtet, weil es entgegen dem Vorschlag des § 233 Ε 1962 - bislang nicht zur Übernahme eines Tatbestandes der Tierquälerei ins StGB gekommen ist, die Maßregel also im StGB isoliert stehen würde. - Die Rolle der in §§91 ff. Ε 1962 vorgesehenen Sicherungsaufsicht hat weitgehend die Führungsaufsicht der §§68 ff. StGB i. d. F. des 2. StrRG übernommen, die (1) für Rückfalltäter (§68 Abs. 1 Nr. 1 StGB), (2) vor allem für sog. Vollverbüßer (§ 68 f StGB) und entlassene Sicherungsverwahrte (§67d Abs. 2 und 4 StGB) sowie (3) in den Fällen eintritt, in denen Vorschriften des Besonderen Teils dies vorsehen (vgl. etwa §§129 a Abs. 7, 181b, 218 Abs. 2 S.2, 228, 239c, 245, 256, 262 StGB). Sie ist in ihren Rechtsfolgen stark der Bewährungshilfe angenähert. Das Institut war, wie auch die Sicherungsaufsicht des Ε 1962, von vornherein heftiger Kritik ausgesetzt: Lückenbüßer für fehlende andere spezialpräventive Einwirkungsmöglichkeiten; Überschneidung mit der Bewährungsaussetzung; Skepsis gegenüber einer effektiven Wahrnehmung der Überwachungsfunktion durch die Aufsichtsstellen (Personalmangel). Die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt (§ 65 StGB) wurde vom 2. StrRG allerdings wesentlich beschnitten - aus dem Alternativ-Entwurf (§69) übernommen, der seinerseits wieder an ausländische Vorbilder anknüpfte (vgl. dazu A E Begr. zu §69 sowie BT-Drucks. V/4095, S. 27). Die gravierendste Abweichung gegenüber dem A E besteht darin, daß in §65 StGB auf die Einweisung der chronisch Rückfälligen verzichtet wird, bei denen die Verfasser des AE in Übereinstimmung mit kriminologischen Erkenntnissen von einer „Psychopathievermutung" ausgingen. Wie unbefriedigend in diesen Fällen die Reaktion des § 48 StGB (Rückfallschärfung) ist, wurde oben unter 6. b. dd ausgeführt. Die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt ist nunmehr für vier Tätergruppen vorgesehen: (1) Täter mit schweren Persönlichkeitsstörungen sowie gravierenden Vorverurteilungen, Vorverbüßungen und Anlaßtaten, bei denen die Gefahr weiterer erheblicher rechtswidriger Taten besteht (§65 Abs. 1 Nr. 1 StGB). (2) Sexualtäter mit ungünstiger Gefahrprognose (§65 Abs. 1 Nr. 2 StGB). (3) Jüngere Täter (bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres), die sich noch in der Entwicklung befinden und Gefahr laufen, sich zu Hangtätern zu entwickeln (§65 Abs. 2 StGB). Insoweit übernimmt also die sozialtherapeutische Anstalt die Funktion der in § 86 Ε 1962 vorgesehenen vorbeugenden Verwahrung. (4) Täter, bei denen an sich die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorliegen, für die aber nach ihrem Zustand die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen der

Strafrechtsreform sozialtherapeutischen Anstalt zu einer Resozialisierung besser geeignet sind als die Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 65 Abs. 3 StGB). Die sozialtherapeutische Anstalt ist insoweit an die Stelle der im Ε 1962 vorgesehenen Bewahrungsanstalt getreten. Das Inkrafttreten des § 65 StGB wurde zunächst durch Gesetz vom 30.7.1973 auf den 1.1.1978, sodann durch Gesetz vom 22.12.1977 auf den 1.1.1985 hinausgeschoben, weil die Bundesländer bislang nicht in der Lage waren, sozialtherapeutische Anstalten in der erforderlichen Zahl und dem nötigen Umfang einzurichten. Nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge muß sogar bezweifelt werden, ob es überhaupt zur Verwirklichung dieses Kernstücks der Reform im Bereich der Maßregeln der Besserung und Sicherung kommen wird. Es wird nämlich zunehmend die sog. Vollzugslösung gefordert, d.h. die Herausnahme der sozialtherapeutischen Anstalt aus dem Maßregelsystem und ihre Eingliederung in den Strafvollzug als besondere Vollzugsmaßnahme (entspr. §9 StrVollzG). Bei einer dahingehenden Entscheidung des Gesetzgebers wäre zu befürchten, daß die reformerischen Anliegen der AE-Verfasser noch weiter zurückgedrängt werden und die Sozialtherapie auf die begrenzten Möglichkeiten des allgemeinen Strafvollzugs zurückgestutzt wird. Alle Maßregeln der Besserung und Sicherung, auf deren Ausgestaltung im einzelnen hier nicht eingegangen werden kann, sind in §62 StGB ausdrücklich dem aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterstellt. Bei der Entziehung der Fahrerlaubnis ging der Gesetzgeber davon aus, daß diesem Prinzip bereits durch die Umschreibung der Voraussetzungen für diese Maßregel Genüge getan ist (vgl. § 69 Abs. 1 S . 2 StGB). Das Übermaßverbot wird weiter konkretisiert in §72 Abs. 1 S . 2 StGB, wonach unter mehreren in Betracht kommenden zweckentsprechenden Maßregeln denjenigen der Vorzug zu geben ist, die den Täter am wenigsten beschweren. Die Hauptschwierigkeit eines jeden zweispurigen Rechtsfolgensystems liegt in der befriedigenden Regelung des Verhältnisses von Strafen und Maßregeln. Das alte Recht folgte dem Kumulationsprinzip, d. h. der Doppelvollziehung von Strafe und Maßregel, wobei die Strafe grundsätzlich vor der Maßregel zu vollstrecken war. Gerade gegen diesen Dualismus richtete sich der immer wieder erhobene Vorwurf der Doppelbestrafung. Um ihn auszuräumen, ist der Reformgesetzgeber nach dem Vorbild des Schweizerischen Rechts zum Prinzip des Vikariierens übergegangen, also zu der Ersetzung des Vollzugs der Strafe durch den vorangegangenen Vollzug der Maßregel und umgekehrt. Um der Resozialisierungsfunktion der Maßregeln, die schon in der Titelüberschrift vor §61 StGB durch die Voranstellung der Besserung vor die Sicherung betont wird, Rechnung zu tragen, sind die freiheits-

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entziehenden Maßregeln mit Ausnahme der Sicherungsverwahrung, der damit jeglicher Besserungscharakter abgesprochen wird, grundsätzlich vor einer daneben verhängten Freiheitsstrafe zu vollziehen (§67 Abs. 1 StGB). Der Vikariierungsgedanke findet sich dann in §67 Abs. 4 StGB, wonach der Vollzug der Maßregel auf die Strafe anzurechnen ist. Wird umgekehrt ausnahmsweise die Strafe vor der Maßregel vollzogen (§67 Abs. 2 StGB), so hat das Gericht nach Strafverbüßung zu prüfen, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Falls nein, wird die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt. Berücksichtigt man weiter, daß nach § 67 b StGB die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt oder einer sozialtherapeutischen Anstalt bei Vorliegen besonderer Umstände auch von vornherein zur Bewährung ausgesetzt werden kann, und daß ferner ein Austausch von Maßregeln im Vollzug möglich ist (§ 67 a StGB), so kann in der Tat von einem flexiblen System der einheitlichen Gesamtwirkung auf den Verurteilten gesprochen werden. Im Ergebnis wurden mit anderen Worten die beiden Spuren des deutschen Rechtsfolgensystems auf der Ebene der Vollstreckung weitgehend in eine Einspurigkeit übergeleitet. Abschließend ist zu vermerken, daß als Reaktion auf die schweren terroristischen Straftaten der jüngsten Zeit auch eine Strafrechtsverschärfung im Bereich der Maßregeln der Besserung und Sicherung diskutiert wird, nämlich im Gegensatz zum geltenden §66 StGB die Sicherungsverwahrung schon nach einmaliger Begehung bestimmter schwerer Delikte und bei Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bzw. Bildung einer solchen Vereinigung (§ 129 a S t G B ) zuzulassen. e ) S t r a f r e g i s t e r r e c h t und R e c h t der O p f e r e n t s c h ä d i g u n g . Die Übersicht über die Reform der strafrechtlichen Sanktionen wäre unvollständig ohne einen Blick auf die wichtigsten Neuerungen im Registerrecht und die gesetzgeberischen Bemühungen um die Entschädigung der Opfer von Straftaten. Denn einerseits kann die Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft schwer behindert werden, wenn alle ihn betreffenden Entscheidungen, auch solche wegen geringfügiger Verstöße, ins Strafregister eingetragen werden und darüber noch nach Jahren oder gar Jahrzehnten umfassend Auskunft erteilt wird. Andererseits kann kein wirklicher Rechtsfrieden eintreten, wenn den Opfern von Straftaten keine Hilfe zuteil wird; abgesehen von der Enttäuschung und Verbitterung der von der Gesellschaft im Stich gelassenen Verbrechensopfer wird die Bevölkerung den vielfältigen Bemühungen um Humanisierung des Strafvollzuges und Resozialisierung der Verurteilten um so kritischer gegenüberstehen, je weniger für die Opfer eben dieser Verurteilten geschieht.

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a a ) R e g i s t e r r e c h t . In die durch die Strafregisterverordnung von 1882 geschaffenen einheitlichen Strafregister, die von den für den Geburtsort der Verurteilten zuständigen Staatsanwaltschaften bzw. vom Reichsjustizamt (Auslandsstrafregister) geführt wurden, wurden sämtliche Verurteilungen eingetragen und darüber praktisch auf Lebenszeit des Verurteilten an alle Behörden uneingeschränkte Auskunft erteilt. Die nachteiligen Folgen vor allem für das berufliche Fortkommen der Verurteilten wurden durch alsbald einsetzende gnadenweise Löschungen in Härtefällen, die noch vor dem ersten Weltkrieg legalisiert wurden, sowie durch reichseinheitliche Löschungserlasse in den Ländern nicht wesentlich gemildert. Nennenswerte Besserung brachte erst das Straftilgungsgesetz vom 9.4.1920 (RGBl. S.507) mit der Einführung der beschränkten Auskunft und der Tilgung - Vergünstigungen, von denen allerdings Verurteilungen zum Tode und zu Zuchthaus ausgeschlossen blieben. Mit dem Einsetzen der Bemühungen um eine Gesamtreform des Strafrechts Anfang/Mitte der fünfziger Jahre wurde auch die Regelung des Registerwesens als unbefriedigend, weil immer noch zu rehabilitationsfeindlich, empfunden, und zwar vor allem wegen des zu umfangreichen Kreises auskunftsberechtigter Behörden, wegen des beschränkten Umfanges des Schweigerechts des Verurteilten, der seine Bestrafung auf Befragen einer Behörde selbst dann offenbaren mußte, wenn diese Behörde die Verurteilung vom Strafregister nicht mehr mitgeteilt bekam, sowie wegen der zu langen Fristen für beschränkte Auskunft und Tilgung. Ungereimt war auch das nie beseitigte Nebeneinander von Strafregister und den aufgrund landesrechtlicher Vorschriften weitergeführten Vorstrafenlisten der Polizeibehörden, die die Grundlage für die Erteilung von Leumundsbzw. Führungszeugnissen bildeten. Das schließlich nach längeren Vorarbeiten, u. a. im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform, am 18.3.1971 vom Bundestag verabschiedete Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - BZRG, BGBl. I S.243) brachte eine umfassende Normierung des Strafregisterrechts, in die auch Vorschriften über Führungszeugnisse, die registerrechtliche Regelung des JGG sowie die Bestimmungen über die gerichtliche Erziehungskartei einbezogen wurden. Organisatorisch bedeutsam war vor allem die Errichtung eines vom Generalbundesanwalt in Berlin geführten zentralen Registers (§§ 1 und 2 BZRG), das an die Stelle der bisher von den Staatsanwaltschaften geführten Register trat, weiter die Einführung eines einheitlichen Führungszeugnisses (§§28-38 BZRG). Von den materiellrechtlichen Änderungen gegenüber dem alten Recht i. S. einer wirksamen Rehabilitierung des Verurteilten sind folgende hervorzuheben: Nach § 30 Abs. 2 B Z R G werden bestimmte erstmalige sowie geringfügige Bestrafungen von vornherein nicht in das Führungszeugnis aufgenommen; die

Fristen, nach deren Ablauf Verurteilungen nicht mehr in das Führungszeugnis aufgenommen werden, wurden verkürzt (vgl. §§31, 32 BZRG); das Auskunftsrecht von Behörden wurde wesentlich eingeschränkt (vgl. §29 BZRG); vor allem im Bereich der kleineren Kriminalität wurden die Tilgungsfristen verkürzt (§44 BZRG); in §51 BZRG wurde die Befugnis des Verurteilten, sich als unbestraft zu bezeichnen, erweitert. Auf teilweise scharfe Kritik ist §49 Abs. 1 BZRG gestoßen, der von der Rechtsprechung dahingehend ausgelegt wird, daß eine frühere Verurteilung des Angeklagten, die im Zentralregister getilgt oder zu tilgen ist, in einem neuen Strafverfahren nicht strafverschärfend verwertet werden darf. Es sei unverständlich, daß nach § 46 Abs. 2 StGB u. a. das gesamte Vorleben des Täters bei der Strafzumessung in Betracht zu ziehen sei, dagegen die Berücksichtigung gerade solcher Vorgänge verboten sein solle, die von der Natur der Sache her besonders geeignet wären, die Strafe für den neuen Rechtsbruch mitzubestimmen. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in BVerfGE 36, 174 die Vereinbarkeit des § 49 Abs. 1 BZRG mit dem Grundgesetz bejaht: die Herausnahme bestimmter Vorverurteilungen und Vortaten des Beschuldigten aus der Gesamtheit der Tatsachen, die der Richter im Verfahren feststellen darf und bei seiner Entscheidung verwerten kann, führe - aufs Ganze gesehen - nicht zu einer nennenswerten Beeinträchtigung der Strafrechtspflege. bb) Recht der Opferentschädigung. Ein junger Teilbereich der Kriminologie, die —> Viktimologie, die, gestützt vor allem auf die interaktionistisch-sozialpsychologische Betrachtungsweise des Verbrechens, den Wechselwirkungsprozeß zwischen Täter und Opfer bei der Entstehung und Verhütung der Kriminalität erforscht, hat die Aufmerksamkeit auch auf die häufig desolate Situation der Opfer von Straftaten gelenkt, die wegen der intensiven Diskussion um die Resozialisierung der Straftäter zeitweilig weitgehend aus dem Blickfeld geraten war. Einen ersten Schritt zur Verbesserung der Lage der Kriminalitätsopfer hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) vom 11.5.1976 (BGBl. I S. 1181) getan. Wie schon der Name des Gesetzes sagt, werden nur die Folgen vorsätzlicher tätlicher Angriffe gegen Personen sowie der rechtmäßigen Abwehr solcher Angriffe erfaßt. Die Entschädigung ist beschränkt auf den Ausgleich der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen von gesundheitlichen Schädigungen. Sie erfolgt in Gestalt einer Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (§ 1 Abs. 1 OEG). In § 1 Abs. 2 OEG werden dem tätlichen Angriff die vorsätzliche Giftbeibringung sowie gewisse - auch fahrlässig begangene gemeingefährliche Delikte gleichgestellt, in § 1 Abs. 3 OEG Schädigungen durch bestimmte Unfäl-

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Strafrechtsreform le in die Regelung einbezogen. Nach § 2 Abs. 1 O E G sind Leistungen insbesondere dann zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat, nach § 2 Abs. 2 O E G können sie versagt werden, wenn es der Geschädigte unterlassen hat, das ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen. Keine Zuwendung erhalten insbesondere die Opfer von Eigentums- und Vermögensdelikten, obwohl auch diese Straftaten Folgen haben können, die an die Existenz der Betroffenen rühren. Die dafür vorgebrachten Gründe - z. B. leichte Versicherungsmöglichkeiten für Vermögenswerte, Gefahr mißbräuchlicher Anträge, physischer Schaden sei schwerer als Eigentumsschaden - sind letztlich wenig überzeugend. Man sollte offen zugeben, daß staatliche Ersatzleistungen für die Opfer von Straftaten gegen das Vermögen die Leistungsfähigkeit des Fiskus übersteigen würden.

B. Reformen im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches und im Nebenstrafrecht 1. Einleitung Der Entwurf 1962 eines StGB sah eine umfassende Neugestaltung auch des Besonderen Teils des StGB vor. Dieser Gesetzgebungsoptimismus hat sich nicht erfüllt. Es hat sich gezeigt, daß der heutige Gesetzgeber mit einer Reform des gesamten Strafrechts in einem Wurf und aus einem Guß überfordert ist. Dies wurde gerade auch im Besonderen Teil offenbar, wo die Würfel darüber fallen, welche Verhaltensweisen unter Strafe gestellt werden sollen, denn hier prallen in der vielberufenen pluralistischen Gesellschaft die unterschiedlichsten weltanschaulichen Strömungen aufeinander. Man kann es als Tragik des Ε 1962 bezeichnen, daß er dies verkannt oder sich bewußt darüber hinweggesetzt hat und den Bereich des Strafbaren nach einer Konzeption ausgestalten wollte, die nach rückwärts gerichtet war und wegen ihrer Einseitigkeit zwangsläufig Widerspruch herausfordern mußte. Es war nicht einmal die noch relativ liberale Konzeption des Reichsstrafgesetzbuches von 1871, sondern eine Konzeption, die vornehmlich darauf bedacht war, sorgsam alle Lücken auszufüllen, die trotz entsprechender Bemühungen in zahlreichen Novellen und in der Judikatur in dem 1871 geknüpften Strafbarkeitsnetz noch geblieben waren. So ist es heute allgemeine Auffassung, daß der im Ε 1962 vorgeschlagene Besondere Teil, vor allem in den ideologieanfälligen Materien (z.B. Sexualdelikte, Schwangerschaftsabbruch), bereits bei seiner Vorlage veraltet war und es erst recht bei seinem Inkrafttreten gewesen wäre. Sein Verdienst bleibt es, das Strafrecht einer zu Ende gehenden Epoche nochmals umfassend und auf dogmatisch hohem Niveau gespiegelt und damit eine konzentrierte

Grundlage für eine echte Reformdiskussion gegeben zu haben, aus der dann zahlreiche gesetzgeberische Neuerungen auch im Besonderen Teil hervorgegangen sind. Auf die wichtigsten ist im folgenden kurz einzugehen, wobei in die Darstellung auch bedeutsame Novellen einbezogen werden, die vor oder unabhängig von den großen amtlichen Entwürfen erfolgt sind.

2. Straftaten gegen die Person a ) Ü b e r s i c h t . Schwerpunkte der bisherigen Reformtätigkeit auf diesem Gebiet bilden die Delikte gegen das werdende Leben (nachstehend b) sowie die Verletzungen des persönlichen Lebensund Geheimbereichs (unten c). Außerdem ist auf die Einführung bestimmter Tatbestände im Bereich der Straftaten gegen die persönliche Freiheit einzugehen (d). Die Diskussion einer Reform der Tötungsdelikte hat durch die Lebenslangen-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 45,187ff.) neuen Auftrieb erhalten (dazu bereits oben Α 6 b , aa), insbesondere was die Abgrenzung der schwersten Tötungsfälle von den weniger schweren anlangt. Ein Hauptproblem besteht darin, ob die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag aufrechterhalten werden soll; so der Ε 1962 in seinen §§ 134 und 135, wobei das vor der Neugestaltung des § 211 im Jahre 1941 maßgebende Kriterium der Überlegung wieder ins Spiel gebracht wird; dagegen der Alternativ-Entwurf, der keine tatbestandsmäßige Trennung von Mord und Totschlag vorsieht, sondern lediglich qualifizierte Fälle der Tötung (§ 100 A E ) kennt, für welche die lebenslange Freiheitsstrafe nicht zwingend angedroht ist, vor allem weil „die erschwerenden M e r k m a l e . . . nur jeweils einen Umstand der Tat erfassen können, der durch andere, mildernde aufgewogen werden kann" (AE Begr. zu § 100). Die denkbaren Modelle sind damit keineswegs erschöpfend wiedergegeben, ganz zu schweigen von anderen Problemen, welche eine Neugestaltung der Tötungsdelikte aufwirft. Da der Ε 1962 ganz sicher nicht das letzte Wort von Seiten der amtlichen Reformer ist, konkrete andere amtliche Vorschläge aber noch nicht vorliegen, erscheint es verfrüht, den ganzen Komplex in diesem Artikel näher darzustellen. - Einen umfassenden Überblick über den gegenwärtigen Diskussionsstand vermitteln das Gutachten (Eser) und die Referate (Fuhrmann und Lackner) sowie die Verhandlungen des 53. D J T 1980. Die intensive Diskussion des Umweltschutzes in den letzten Jahren hat die Verpflichtung des Strafgesetzgebers ins Bewußtsein gerufen, das menschliche Leben und die menschliche Gesundheit vor den Gefahren der Gewässer- und Luftverunreinigung und des Lärms sowie der Herstellung und des Vertriebs schädlicher Produkte (ungeprüfte Arzneimit-

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tel und Chemikalien, gesundheitsschädliche Lebensmittel u. dgl.) zu schützen. Der AlternativEntwurf eines StGB (Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 2. Halbband, 1971) hat diese individualrechtliche Komponente des Umweltschutzes ganz in den Vordergrund gestellt und in §§ 151-162 A E neben den hergebrachten „gemeingefährlichen Delikten" (Brandstiftung, Herbeiführung einer Explosion oder Überschwemmung u. dgl.) entsprechende Tatbestände der Personengefährdung vorgeschlagen. Der amtliche Gesetzgeber ist dieser rein persondeliktischen Konzeption des Umweltstrafrechts nicht gefolgt, sondern hat mit dem 18. StrÄndG vom 28.3.1980 (BGBl. I S. 373) im 28. Abschnitt des Besonderen Teils des StGB „Straftaten gegen die Umwelt", §§ 324-330d StGB, Vorschriften geschaffen, die neben dem Menschen die ökologischen Güter und die Umwelt als Ganzes schützen. - Zu diesem umfassenden Umweltstrafrecht näher unten B. 7. b ) S t r a f t a t e n g e g e n d a s w e r d e n d e Leb e n . Das im 19. Jahrhundert einsetzende und in §218 RStGB normierte strikte Abtreibungsverbot wurde erstmals im Jahre 1927 durch die Rechtsprechung gelockert: Das Reichsgericht (RGSt. 61,242) sah eine zur Abwendung einer gegenwärtigen ernsten Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Mutter erfolgende Abtreibung als gerechtfertigt an (Anerkennung des übergesetzlichen Notstandes, jetzt in § 34 StGB allgemein - dazu oben A 5 b, dd und in § 218 a Abs. 1 Nr. 2 StGB als medizinische Indikaton speziell für den Schwangerschaftsabbruch geregelt). Bereits 1908 war vergeblich versucht worden, die medizinische Indikation im Gesetz zu verankern. Die Entwürfe 1927 und 1930 sahen jeweils in § 254 entsprechende Regelungen mit der Folge des Ausschlusses der Tatbestandsmäßigkeit - vor und wollten diese auf die Tötung eines in der Geburt begriffenen Kindes ausdehnen (so auch § 157 Abs. 2 Ε 1962 und § 104 AE). Die Voraussetzungen der medizinischen Indikation wurden dann erstmals in § 14 Abs. 1 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (ErbgesundheitsG) vom 14.7.1933 (RGBl. I S. 529) gesetzlich geregelt. Durch eine Novelle zu diesem Gesetz vom 26.6.1935 (RGBl. I S. 1035) wurde auch die eugenische Indikation anerkannt. § 14 Abs. 1 ErbgesundheitsG galt nach dem Zusammenbruch von 1945 in einzelnen Ländern weiter. Der Ε 1962 anerkannte lediglich die medizinische Indikation (§ 157 Abs. 1) und gab „im Hinblick auf den hohen Rang des geschützten Rechtsguts... einer Straflosigkeit der Abtreibung aus anderen G r ü n d e n . . . keinen Raum"; Begr. zu §140, S.278 r.Sp. (zur sozialen und eugenischen Indikation) und Vorbem. vor §157, S.292f. (zur ethischen Indikation). Damit setzte sich der amtliche Reformgesetzgeber über die Realitäten des Schwangerschaftsabbruchs hinweg, die zuletzt durch eine weitgehende Wir-

kungslosigkeit des strengen strafrechtlichen Abtreibungsverbotes (1972 standen 172 Verurteilungen nach §218 StGB schätzungsweise 100 000 bis 160 000 Abtreibungen gegenüber) und die vielfältigen Gefahren illegaler Eingriffe, vor allem für die Gesundheit der Schwangeren, gekennzeichnet waren. Die Mehrheit der Verfasser des AlternativEntwurfs (Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 1. Halbband, 1970) wollte diesen Mißständen mit der Fristenlösung begegnen. § 105 Abs. 1 Nr. 1 AE wollte die innerhalb von vier Wochen nach der Empfängnis vorgenommene Schwangerschaftsunterbrechung schlechthin, § 105 Abs. 1 Nr. 2 die im zweiten oder dritten Monat nach der Empfängnis erfolgende Unterbrechung dann straflos lassen, wenn die Schwangere den Eingriff von einem Arzt vornehmen ließ, nachdem sie eine Beratungsstelle aufgesucht hatte. Die Beratungsstellen sollten die Möglichkeit besitzen, finanzielle, soziale und familiäre Hilfe zu leisten. Nachdem der Regierungsentwurf eines 5. StrRG, der eine großzügige Indikationenlösung vorgesehen hatte, in der 6. Legislaturperiode vom Deutschen Bundestag nicht mehr hatte verabschiedet werden können, brachten in der 7. Wahlperiode die Koalitionsfraktionen der SPD und FDP einen auf dem Fristenmodell des AE fußenden Entwurf ein, der als 5. StrRG vom 18.6.1974 (BGBl. I S. 1297) verabschiedet wurde. Dieses Gesetz wurde auf Antrag von 193 Mitgliedern des Deutschen Bundestags sowie der Landesregierungen von Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, des Saarlandes und von Schleswig-Holstein vom Bundesverfassungsgericht unter richterlicher Schaffung einer Übergangslösung durch eine wiederholt verlängerte einstweilige Anordnung am Inkrafttreten gehindert und schließlich in seinem Kernbereich, dem die Fristenlösung enthaltenden §218a StGB, für verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 39, I f f . vom 25.2.1975): Art.2 Abs. 2 S. 1 GG schütze auch das werdende Leben, das überdies am Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) teilhabe. Den Staat treffe die Pflicht, jedes menschliche Leben zu schützen, wobei dem Gesetzgeber ein Ermessensspielraum zustehe, der ihn nicht auf strafrechtlichen Schutz festlege, sondern auch andere, etwa präventive Lösungen zulasse, z.B. wirksame Hilfe für Frau und Kind, insbesondere für das uneheliche Kind und die uneheliche Mutter, ferner Beratung der Mutter. Mit dem 5. StrRG habe jedoch der Gesetzgeber dieses Ermessen überschritten, indem er die Vernichtung des werdenden Lebens ohne das Erfordernis von Indikationen für eine bestimmte Frist völlig straffrei gelassen habe. Die im Gesetz vorgeschriebene Beratung durch eine Beratungsstelle und einen Arzt seien ungeeignet, bei der Schwangeren wirksame Motivationen gegen eine Abtreibung aufzubauen, vor allem weil die Beratungsstelle selbst keine wirksame Hilfe leisten könne und der beratende Arzt dann selbst die Schwangerschaft abbre-

Strafrechtsreform chen könne, so daß von ihm keine sachgerechte Aufklärung mit dem Ziel erwartet werden könne, auf eine Fortsetzung der Schwangerschaft hinzuwirken. Obwohl diese Entscheidung den Gesetzgeber nicht gezwungen hätte, völlig vom Fristenmodell abzurücken - er hätte die Kompetenzen der Beratungsstellen im Sinne einer Gewährung finanzieller, sozialer und familiärer Hilfen ausbauen können, wie dies der Alternativ-Entwurf vorgesehen hatte - , schuf er mit dem 15. StrÄndG vom 18.5.1976 (BGBl. I S . 1213) eine Indikationenlösung mit einer übergreifenden medizinisch-sozialen Indikation, in welche die embryopathische (auch als eugenische, genetische oder kindliche Indikation bezeichnet), die kriminologische (auch als ethische, humanitäre oder Vergewaltigungsindikation bezeichnet) sowie die Notlagenindikation (auch als soziale Indikation bezeichnet) eingebunden sind (vgl. §218a StGB). Die Neuregelung begünstigt die Schwangere stark; sie bleibt auch bei Fehlen einer Indikation straflos, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als 22 Wochen verstrichen sind (§218 Abs. 3 S . 2 StGB). Aus diesem Grunde wird gegen das 15. StrÄndG der Vorwurf einer verkappten Fristenlösung erhoben und werden erneut verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht. Auch ansonsten ist die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruches durch das 15. StrÄndG der Kritik ausgesetzt, nicht zuletzt wegen ihrer weitgehenden Unverständlichkeit für juristische Laien, die gerade hier, wo weite Bevölkerungskreise betroffen sind, hätte vermieden werden müssen. Mißlich ist schließlich die uneinheitliche Handhabung der Notlagenindikation des §218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB durch die Berater und die den Eingriff vornehmenden Kliniken, die sich teilweise - in Übereinstimmung mit ihren öffentlichrechtlichen Trägern und ohne auf die selbstverständlich zu respektierende Gewissensentscheidung des handelnden Arztes abzustellen - weigern, Unterbrechungen wegen einer sozialen Notlage der Schwangeren durchzuführen. c) V e r l e t z u n g des p e r s ö n l i c h e n Lebensu n d G e h e i m b e r e i c h s . Vor allem drei Umstände haben in den letzten beiden Jahrzehnten zu einer ständig wachsenden Bedrohung der Privatsphäre geführt: erstens die Entwicklung von immer raffinierteren elektronischen Geräten zum unbemerkten Abhören und Festhalten des gesprochenen menschlichen Wortes, zweitens die Zunahme von Berufen, die sich mit der Bewältigung von Problemen der Intimsphäre befassen, und drittens das Interesse der öffentlichen Verwaltung an immer mehr Information über die Bürger, gekoppelt mit der Schaffung technischer Möglichkeiten zur unbeschränkten Speicherung und Wiedergabe solcher Daten. Auf den erstgenannten Gefahrenkreis hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zum

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strafrechtlichen Schutz gegen den Mißbrauch von Tonaufnahme- und Abhörgeräten vom 22.12.1967 (BGBl. I S. 1360) reagiert, durch das der damalige § 298 (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) ins StGB eingefügt wurde (jetzt §201 StGB). Die Vorschrift geht auf § 183 Ε 1962 zurück; der Alternativ-Entwurf (Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 2. Halbband, 1971) wollte über das unbefugte Abhören hinaus auch das unbefugte Abbilden unter Strafe stellen (§146 Abs. 2 AE). Um der mißbräuchlichen Verwendung von Abhörgeräten besser vorbeugen zu können, hat Bayern im Bundesrat 1978 den Entwurf eines Gesetzes zur Verhinderung des Mißbrauchs von Abhörsendeanlagen eingebracht (BT-Drucks. 337/78), der u.a. eine Pönalisierung des Erwerbs von Abhörsendeanlagen ohne Erlaubnis vorsieht. Zur Verabschiedung eines solchen Gesetzes ist es bislang nicht gekommen. Der Schutz von privaten Geheimhaltungsinteressen wurde in §203 StGB (Fassung durch das E G S t G B 1974 und das 15. StrÄndG) beträchtlich erweitert. Die Vorschrift regelt in Abs. 1 die Materie des alten § 300 StGB (Verletzung des Berufsgeheimnisses), wobei die schweigepflichtigen Berufsgruppen entsprechend der oben geschilderten Tendenz stark vermehrt wurden. §203 Abs. 2 StGB erfaßt in Anlehnung an § 186 Ε 1962 den Bruch von Privatgeheimnissen durch Amtsträger und besonders Verpflichtete; die Vorschrift löste insoweit eine ganze Reihe einschlägiger Tatbestände im Nebenstrafrecht ab. In seinem Abs. 2 S. 2 übernimmt § 203 StGB spezifische Aufgaben des vielberufenen Datenschutzes; er tritt damit in Konkurrenz zu dem noch umfassenderen § 41 des Bundesdatenschutzgesetzes vom 27.1.1977 (BGBl. I S. 201). Nicht zuletzt wegen des Zeitdruckes, unter dem der Gesetzgeber mit dem E G S t G B 1974 stand, wurde davon abgesehen, eine Vorschrift über die öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten (öffentliche Bloßstellung) in das StGB einzufügen, was einer alten Reformforderung entsprochen hätte und wie sie der Ε 1962 in § 182 und der A E in § 145 vorgeschlagen hatten, wobei der AlternativEntwurf den Indiskretionsschutz auch bei nicht ehrenrührigen Mitteilungen gewähren möchte. d) S t r a f t a t e n g e g e n die persönliche F r e i h e i t . Die Freiheitsdelikte bieten zwei anschauliche Beispiele für Ad-hoc-Reaktionen des Gesetzgebers auf neue Erscheinungsformen der Kriminalität: Auf dem Höhepunkt des kalten Krieges (KoreaKrise) wurden auf Veranlassung der dortigen Machthaber politisch mißliebige Personen aus der Bundesrepublik und Westberlin in die D D R verschleppt. Sie waren dort rechtsstaatswidriger politischer Verfolgung ausgesetzt und erlitten teilweise ein bis heute unaufgeklärtes Schicksal (Fall Linse). Daraufhin wurde das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit vom 15.7.1951 (BGBl. I S. 448)

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erlassen, das mit §234 a StGB einen entsprechenden Verschleppungstatbestand ins StGB einfügte und in §241 a StGB die politische Verdächtigung von Personen unter Strafe stellte, die sich bereits in einem Gebiet befinden, wo ihnen bei Denunziation Gewalt- oder Willkürmaßnahmen aus politischen Gründen drohen. Das zweite Beispiel ist das 12. StrÄndG vom 16.12.1971 (BGBl. I S. 1979), mit dem der Gesetzgeber eine wirksamere Bekämpfung der politisch und habsüchtig motivierten Entführungskriminalität verfolgte, die weltweit in erschreckendem Ausmaße zugenommen hatte. § 239 a StGB wurde vom erpresserischen Kindesraub, dem sog. Kidnapping, auf den erpresserischen Menschenraub schlechthin ausgedehnt (Fall Albrecht). Mit §239b StGB wurde eine Bestimmung eingefügt, die solche Täter erfaßt, welche nicht erpresserisch handeln, sondern mit der Tat andere Verhaltensweisen abnötigen wollen, etwa die Freilassung inhaftierter Gesinnungsgenossen (Anschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm, Entführung von Hans Martin Schleyer). e) Straftaten gegen die sexuelle S e l b s t b e s t i m m u n g . Sein illiberaler Perfektionismus bei der Konzeption der Straftaten gegen die Sittlichkeit, der sich schon daran zeigt, daß an die Stelle der 17 Paragraphen des alten Rechts 32 Paragraphen treten sollten, hat dem Ε 1962 die schärfste Kritik eingetragen. Sie formierte sich auf der Strafrechtslehrertagung 1965, erfaßte auf dem 47. Deutschen Juristentag 1968 eine breitere juristische Öffentlichkeit und schlug sich im Alternativ-Entwurf „Sexualdelikte" von 1968 in einem rigorosen Gesetzesvorschlag nieder (1970 integriert in den A E „Straftaten gegen die Person" 1. Halbbd.). Der A E beschränkte sich auf die Pönalisierung gravierenden sozialschädlichen Verhaltens, also von Handlungen, die sich nicht nur gegen das Sittlichkeitsempfinden (wessen?), sondern gegen greifbare Rechtsgüter richten: „Angriffe auf die Jugend, soweit diese Jugend dadurch in ihrer Entwicklung beeinträchtigt werden kann, und Angriffe auf Erwachsene, soweit dabei Gewalt oder gravierende Formen von Nötigung angewendet werden oder ein Mißbrauch Wehrloser vorliegt" (AE Sexualdelikte, Begr. S.9). Die staatliche Reform erfolgte in zwei Etappen: Zunächst wurde durch das 1. StrRG von 1969 die Strafbarkeit des Ehebruchs, der einfachen Homosexualität, der Unzucht mit Tieren (Sodomie) sowie der Erschleichung des außerehelichen Beischlafs abgeschafft, nachdem in den gesellschaftlich relevanten Gruppen breiter Konsens dahingehend bestand, daß Strafe nicht die richtige Reaktion auf diese Verhaltensweisen ist. Der zweite Schritt war das 4. StrRG von 1973, welches das Sexualstrafrecht auf einer mittleren Linie zwischen dem alten Recht und den Vorschlägen des Alternativ-Entwurfes erneuerte. Entgegen der neugefaßten

Überschrift des 13. Abschnitts des Besonderen Teils enthält das reformierte Sexualstrafrecht nicht nur Freiheitsdelikte in der Sphäre des Geschlechtlichen, sondern nach wie vor auch Tatbestände, hinter denen Verbote einer bestimmten Sittenordnung stehen, etwa das Anwerben zur Prostitution (§ 180 a Abs. 3 StGB), die kupplerische Zuhälterei (§181 a Abs. 2 StGB) und die Ausfuhr pornographischer Schriften ins Ausland (§184 Abs. 1 Nr. 9 StGB; insoweit allerdings Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Pönalisierung durch die Internationale Übereinkunft zur Bekämpfung der Verbreitung und des Vertriebs unzüchtiger Veröffentlichungen von 1923). Speziell in der Beurteilung der Pornographie, deren akribische Regelung durch das neue Recht im übrigen stark kritisiert wird, ist ein Wandel der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Großzügigkeit hin eingetreten, den nach der Entscheidung des Großen Senats des B G H für Strafsachen von 1954 (BGHSt. 6, 46) zur Unzüchtigkeit des Geschlechtsverkehrs zwischen Verlobten zunächst niemand für möglich gehalten hat. Bahnbrechend war das Fanny-Hill-Urteil von 1969 (BGHSt. 23, 40). Man muß diese Entwicklung der Judikatur in die Betrachtung einbeziehen, wenn man ein abgerundetes Bild von dem tiefgreifenden Umbruch des Sexualstrafrechts seit Vorlage des Ε 1962 gewinnen will.

3. Straftaten gegen das Vermögen a ) A l l g e m e i n e s . Obwohl die Grundkonzeption des Eigentums- und Vermögensschutzes im RStGB von 1871 immer wieder in Frage gestellt worden ist - Problem der Zivilrechtsabhängigkeit, das mit dem Aufkommen der Sicherungsrechte des modernen Wirtschaftsverkehrs erwachsen ist; Problematik der Doppelspurigkeit des Vermögensschutzes durch Tatbestände zum Schutze spezialisierter Vermögenswerte, insbesondere des Eigentums, und durch Vorschriften zum Schutze des Vermögens als solchen; Frage des Verhältnisses von Verschiebungs- und Entziehungsdelikten - , hat der Kernbereich der Vermögensdelikte auch im Zuge der Nachkriegsreformen keine grundlegenden dogmatischen Änderungen erfahren. Sieht man von der Umgestaltung der erschwerten Diebstahlsfälle in den §§243 und 244 StGB durch das 1. StrRG von 1969 (zu der vom Gesetzgeber in § 243 StGB verwendeten Regelbeispielstechnik vgl. bereits oben A 6 b, dd) und der Raubqualifikationen (§§250, 251 StGB) durch das EGStGB von 1974 ab, so sind die nennenswerten Reformmaßnahmen mehr im Randbereich der klassischen Vermögensdelikte erfolgt: einmal bei der Bagatellkriminalität (dazu bereits oben Α 4 b , insbes. 4 b , cc), zum anderen bei der Wirtschaftskriminalität (dazu nachstehend b).

Strafrechtsreform b ) W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t . Vgl. zunächstdie Artikel —> Wirtschaftskriminalität und —» Wirtschaftsstrafrecht. Die folgenden Ausführungen können sich auf einen kurzen Überblick über die jüngsten Bemühungen um eine wirksamere Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität durch Verbesserung bestehender oder Schaffung neuer Straftatbestände beschränken. Zu nennen ist vor allem das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (1. WiKG) vom 29.7.1976 (BGBl. I S. 2034), durch das der Subventions- und Kreditbetrug (§§264, 265 b) neu ins StGB eingefügt, die Konkursdelikte (§§ 283 ff. StGB) wieder ins StGB übernommen und der Wucher neu und nunmehr in einem Tatbestand (§302a StGB) geregelt wurden. Die §§264 und 265 b StGB wollen als abstrakte Gefährdungsdelikte bereits unrichtige und unvollständige Angaben bei der Beantragung einer Subvention oder eines Kredits erfassen, verzichten also auf die Merkmale Irrtumserregung, Vermögensverfügung und Vermögensschaden des Betrugstatbestandes (§263 StGB). Vor allem im Subventionsbereich war den Beschuldigten schon die Erfüllung dieser objektiven Tatumstände häufig nicht nachweisbar, ganz zu schweigen von der subjektiven Tatseite. Der Gesetzgeber hielt deshalb die Schaffung der genannten Vorfeldtatbestände für vordringlich. § 264 StGB wird ergänzt durch das Gesetz gegen mißbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen (SubventionsG) vom 29.7.1976 (BGBl. I 2037), das in seinem §2 den Subventionsgeber verpflichtet, dem Subventionsnehmer die subventionserheblichen Tatsachen zu bezeichnen, so daß zum Vorsatzausschluß führende Fehlvorstellungen über die Subventionserheblichkeit künftig weitestgehend ausgeschlossen sind. §4 SubventionsG will sicherstellen, daß auch die im Subventionsbereich besonders häufigen Umgehungshandlungen strafrechtlich erfaßt werden. Da die Reformbestrebungen in anderen wichtigen Bereichen des Besonderen Teils des StGB von der Absicht der Strafrechtseinschränkung auf handfeste Rechtsgutsverletzungen getragen sind - vgl. vor allem das Sexualstrafrecht (s. oben B, 2e) und das Staatsschutzstrafrecht (s. unten 8) - , wird gegen die neu geschaffenen Gefährdungstatbestände von kritischen Stimmen geltend gemacht, der Gesetzgeber sei hier zu weit gegangen, zumal in § 264 Abs. 3 StGB auch leichtfertiges Verhalten unter Strafe gestellt werde. Der Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) vom 4.6.1982 (BR-Drucks. 219/82) sieht - neben Ergänzungen des Nebenstrafrechts in Gestalt des Kapitalanlagebetruges (§ 264 a StGB) einen weiteren Tatbestand im Vorfeld des Betruges vor. Mit dem Computerbetrug (§ 263 a StGB) sollen Fälle der Vermögensschädigung erfaßt werden, in denen der Täter das Ergebnis eines vermögenserheblichen Datenverarbeitungsvorgangs durch betrügerische Mittel beeinflußt, ohne daß die Merk-

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male des §263 StGB (Täuschung eines anderen Menschen) vorliegen. - Dagegen ist die Aufnahme eines immer wieder geforderten dritten betrugsähnlichen Tatbestandes, des Ausschreibungs- oder Submissionsbetruges, der bereits in §270 Ε 1962 vorgesehen war, wieder einmal am Widerstand der betroffenen Wirtschaftskreise gescheitert. - Ferner Sieht der Entwurf eines 2. WiKG in §266 a eine Strafbestimmung gegen das „Veruntreuen von Arbeitsentgelt" vor, die vor allem die bisher in verschiedenen Sozialgesetzen verstreut geregelten sozialversicherungsrechtlichen Untreuefälle zusammengefaßt pönalisieren soll. Schließlich sollen durch die geplanten §§269 und 270 StGB („Fälschung gespeicherter Daten" und „Täuschung im Rechtsverkehr bei Datenverarbeitung") Lücken im Urkundenstrafrecht geschlossen werden, die sich aus dem Einsatz von Computern ergeben haben. Ein umfassendes Konzept zur Neugestaltung des Wirtschaftsstrafrechts, soweit die Tatbestände ins StGB eingestellt werden sollten, bietet der Alternativ-Entwurf Besonderer Teil, Straftaten gegen die Wirtschaft (1977).

4. Straftaten gegen den Gemeinschaftsfrieden. Widerstand gegen die Staatsgewalt Die Reformen im Bereich dieser Delikte sind ebenso wie die oben B. 2d geschilderten Erweiterungen der Tatbestände zum Schutze der persönlichen Freiheit - Reaktionen des Gesetzgebers auf bestimmte Vorgänge, welche die Öffentlichkeit stark beunruhigt haben: Im Anschluß an antisemitische Ausschreitungen in den Jahren 1959/60 wurde durch das 6. StrÄndG vom 30.6.1960 (BGBl. I S. 478) § 130 StGB, der früher die Anreizung zum Klassenkampf erfaßte, zu einer Vorschrift umgestaltet, die schlechthin „Teile der Bevölkerung" gegen Hetze und Beschimpfung schützt. Gefordert wird dabei ein Angriff gegen die Menschenwürde anderer, so daß neben dem öffentlichen Frieden hier der oberste Wert unserer Gemeinschaft (Art. 1 Abs. 1 GG) ausdrücklich dem Schutz des Strafrechts unterstellt ist. Im Gegensatz zum 6. StrÄndG verfolgte das 3. StrRG, die sog. Demonstrationsnovelle, vom 20.5.1970 (BGBl. I S.505) eine strafrechtseinschränkende Tendenz. Vorausgegangen war die Studentenrevolte der Jahre 1968/69 mit ihren Demonstrationen, Hausbesetzungen, Verkehrsblockaden, Verhinderung der Auslieferung von SpringerZeitungen u. dgl. In den sich in großer Zahl anschließenden Strafprozessen offenbarte sich, daß der noch aus den Zeiten des Obrigkeitsstaates stammende strafrechtliche Schutz des Gemeinschaftsfriedens nicht mehr durchweg mit der in Art. 8 GG verfassungsrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit und dem daraus fließenden Demonstrationsrecht in Einklang zu bringen war. Vor allem

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durch folgende Änderungen sollte das Strafrecht verfassungskonformer ausgestaltet werden: Gestrichen wurde §110 StGB a . F . , die öffentliche Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze, Verordnungen und „gegen die von der Obrigkeit . . . getroffenen Anordnungen", sowie § 116 StGB a. F., der sog. Auflauf, der zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft wurde (vgl. 1113 OWiG). Einem alten Anliegen entsprechend sollte dem Schuldgrundsatz beim Landfriedensbruch dadurch Rechnung getragen werden, daß die Strafbarkeit der bloßen Zugehörigkeit zu einer gewalttätigen Menschenmenge beseitigt und § 125 StGB vom Täterkreis her auf solche Personen beschränkt wurde, die sich an Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen als Täter oder Teilnehmer beteiligen oder auf die Menschenmenge einwirken, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern. - In jüngster Zeit sind vor allem im Hinblick auf gewalttätige Aktionen von Atomkraft- und Startbahngegnern sowie Hausbesetzern verstärkt Bedenken laut geworden, ob der Gesetzgeber des 3. StrRG in der Zurücknahme der Strafbarkeitsgrenze beim Landfriedensbruch nicht zu weit gegangen ist (vgl. auch BT-Drucks. 7/4549, S. 4f.). - Gründlich durchforstet wurden schließlich die §§113ff. StGB a . F . , Widerstand gegen die Staatsgewalt: Der Problematik der Rechtmäßigkeit der Amtsausübung beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte versuchte der Gesetzgeber durch eine dogmatisch komplizierte Sonderregelung in § 113 Abs. 3 und 4 StGB gerecht zu werden. § 114 StGB a . F . , die Beamtennötigung, wurde gestrichen, ebenso §115 StGB a . F . , der sog. Aufruhr, und §§ 117-119 StGB a. F. (Forstwiderstand). - Das 3. StrRG wurde begleitet von einer im StraffreiheitsG 1970 (BGBl. I S. 509) gewährten Amnestie, die sich auf Straftaten nach Vorschriften erstreckte, die durch das 3. StrRG aufgehoben oder ersetzt worden waren, ferner auf Straftaten, die in der Zeit vom 1. Januar 1965 bis zum 31. Dezember 1969 durch Demonstrationen oder im Zusammenhang hiermit begangen worden waren. Schließlich ist auf die gesetzgeberischen Aktivitäten zur wirksameren Bekämpfung des Terrorismus hinzuweisen: Durch das 14. StrÄndG vom 22.4.1976 (BGBl. I S. 1056) wurden die §§88 a (verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten) und 130 a (Anleitung zu Straftaten) neu ins StGB aufgenommen. Mit beiden Vorschriften wollte der Gesetzgeber der verbalen Schaffung eines für die Begehung von Gewalt- und Terrorakten günstigen geistigen Klimas vorbeugen. Dasselbe Gesetz brachte eine Neufassung des § 126 StGB dergestalt, daß an die Stelle der Anordnung gemeingefährlicher Verbrechen ein erweiterter kasuistischer Katalog von Taten und an die Stelle der Friedensstörung die bloße Eignung dazu getreten ist; durch den neuen Abs. 2 wird die fälschliche Warnung vor Straftaten (z.B. durch falschen Bombenalarm) erfaßt. Eine entsprechende Bestimmung wurde dem

§ 241 StGB, ebenfalls als Abs. 2, angefügt. - Durch das Terroristengesetz vom 18.8.1976 (BGBl. I S. 2181) wurde schließlich mit §129 a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) ein qualifizierter Tatbestand im Verhältnis zu § 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigungen) geschaffen. Wie hektisch und unüberlegt die gesetzgeberischen Aktivitäten auf diesem Feld teilweise waren, zeigt sich daran, daß die §§88 a und 130 a StGB bereits fünf Jahre nach ihrem Inkrafttreten durch das 19. StrÄndG vom 7.8.1981 (BGBl. I S . 808) wieder gestrichen wurden.

5. Straftaten gegen die Sicherheit des Rechts- und Geldverkehrs a ) U r k u n d e n s t r a f t a t e n . Ebensowenig wie die Vermögensdelikte (dazu oben 3 a) wurden bislang die Urkundenstraftaten umfassend reformiert. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, durch das 1. StrRG von 1969 einem als dringend erachteten kriminalpolitischen Bedürfnis durch Einfügung des § 268 StGB (Fälschung technischer Aufzeichnungen) Rechnung zu tragen. Die Vorschrift hat jedoch eine weit geringere praktische Bedeutung erlangt als ursprünglich angenommen. Dies dürfte vor allem daran liegen, daß sie gerade die Handlungsweisen nicht erfaßt, für die in den letzten Jahren ein Strafbedürfnis hervorgetreten ist, nämlich den sog. Computermißbrauch, bei dem der Täter nicht, wie in §268 Abs. 3 gefordert, „durch störende Einwirkung auf den Aufzeichnungsvorgang das Ergebnis der Aufzeichnung beeinflußt", sondern falsche Daten eingibt (Eingabefälschung) oder auf das Programm, nach dem die Daten verarbeitet werden, einwirkt (Programmfälschung), also gleichsam eine schriftliche Lüge mittels Einsatzes der Technik herbeiführt. Diese Strafbarkeitslücke ist um so gravierender, als der Computermißbrauch als Vermögensdelikt (§§263, 266 StGB) nicht oder doch nur mittels gezwungener Interpretation der einschlägigen Tatbestände erfaßt werden kann. Der A E „Straftaten gegen die Wirtschaft" schlägt in seinem § 202 einen Tatbestand „Mißbrauch von Datenverarbeitungsanlagen" vor, der als Ergänzung des Betrugstatbestandes (§263 StGB) konzipiert ist: Anstelle der Gutläubigkeit eines Menschen wird ein selbständig arbeitendes technisches Gerät bewußt dazu mißbraucht, fremdes Vermögen zu eigenem oder fremdem Vorteil zu schädigen. Im Regierungsentwurf eines 2. WiKG vom 4.6.1982 (BRDrucks. 219/82) möchte insoweit nun auch der amtliche Gesetzgeber Abhilfe schaffen (s. dazu oben 3b). b) G e l d - und Wertzeichenfälschung. Im Gegensatz zu den Urkundendelikten wurden die Münzdelikte (§§146 ff. StGB) völlig neu gefaßt, und zwar durch das EGStGB von 1974. Wir haben

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Strafrechtsreform es also hier mit einer Deliktsgruppe zu tun, bei der eine echte „Strafrechtsreform im Einführungsgesetz" erfolgt ist, ein Verfahren, gegen das seinerzeit verschiedentlich Bedenken angemeldet worden sind. Entscheidend ist jedoch letztlich nicht das Gewand, in dem eine Reform nach außen auftritt, sondern die Frage, ob die Neuregelung sachlich geglückt ist. Das ist jedenfalls insoweit zu bejahen, als nunmehr im 8. Abschnitt des BT neben der Geld- auch die Wertzeichenfälschung übersichtlich und in einer das Nebenstrafrecht entlastenden Weise geregelt ist. Zweifelhaft ist dagegen, ob die mit der Parallelisierung der Wertzeichenfälschung mit der Geldfälschung verbundene Strafbarkeitsausweitung auch sachlich gerechtfertigt ist. Die weite Vorverlegung der Strafbarkeit in den Gefährdungsbereich bis zur Herstellung von Druckvorrichtungen ist nämlich sicher zum Schutze des Geldverkehrs legitim, zum Schutze des Verkehrs mit Brief-, Stempel- und Steuermarken jedoch eher überzogen. Nicht zuletzt unter diesem Gesichtspunkt ist die Möglichkeit des Rücktritts vom vollendeten Delikt der Fälschungsvorbereitung in § 149 Abs. 2 und 3 StGB zu begrüßen, wenn auch diese Regelung ein weiteres Beispiel dafür ist, daß es immer noch an einer umfassenden gesetzgeberischen Konzeption der sog. tätigen Reue fehlt und entsprechende Vorschriften jeweils nur ad hoc geschaffen werden. Anderfalls hätte der Gesetzgeber zumindest erwägen müssen, auch für das Nachmachen und Verfälschen von Geld- und Wertzeichen Rücktrittsmöglichkeiten vorzusehen, denn auch dabei handelt es sich um vorbereitende Maßnahmen für den eigentlich gravierenden Eingriff, das Inverkehrbringen.

6. Gemeingefährliche

Straftaten

Auch in diesem Bereich wurde die erste wichtige Änderung durch aktuelle Vorgänge veranlaßt: Anfang der sechziger Jahre unternahmen junge Menschen, die den Eindruck hatten, es sei nicht ausreichend, dagegen mit Worten vorzugehen, Sprengstoffanschläge gegen die Berliner Mauer. Die mit diesen Fällen befaßten Gerichte sahen sich zur Anwendung des Gesetzes gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen vom 9.7.1884 (RGBl. S.61) gezwungen, das unverhältnismäßig hohe Mindeststrafdrohungen enthielt, etwa in seinem §6 für die Verabredung eines Sprengstoffverbrechens Zuchthaus von mindestens fünf Jahren androhte. Dagegen aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitete verfassungsrechtliche Bedenken führten zum Erlaß des 7. StrÄndG vom 1.6.1964 (BGBl. I S. 337), das die weite Strafbarkeitsvorverlagerung in den Vorbereitungs- und Verabredungstatbeständen des Sprengstoffgesetzes beseitigte, die Strafdrohungen milderte und die Regelung der zentralen Delikte als §§ 311-311 c ins StGB einstellte. Die Neuregelung

fügte sich vor allem insoweit nicht nahtlos in das System des StGB ein, als Wertungswidersprüche zu den Brandstiftungsdelikten auftraten. Diese wurden in Kauf genommen, nachdem man sich weder hatte entschließen können, die reformbedürftige Brandstiftungsregelung zusammen mit den Sprengstoffdelikten zu erneuern, noch - was verständlich ist - die Sprengstoffdelikte den veralteten Brandstiftungsvorschriften anzupassen. Durch das EGStGB von 1974 wurde dann das bisher in §40 Atomgesetz erfaßte Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie als §310b ins StGB übernommen. Der Mißbrauch ionisierender Strahlen, bisher §41 AtomG, findet sich nunmehr in §311 a StGB. Vorbereitungshandlungen zu Explosions· und Strahlungsverbrechen sind einheitlich in § 311 b StGB erfaßt. - Das 18. StrÄndG vom 28.3.1980 (Umweltstrafrecht), BGBl. I S. 373, hat schließlich die restlichen Tatbestände des AtomG, die den Strafrechtsschutz in den Gefährdungsbereich vorverlegen, als § 311 d (Freisetzen ionisierender Strahlen) und § 311 e (Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage) ins StGB eingestellt. Da die Strahlungsdelikte zu den schwersten Formen der gemeingefährlichen Straftaten gehören, ist ihre Übernahme in das StGB als das Kerngesetz des Strafrechts vorbehaltlos zu begrüßen.

7. Straftaten gegen die Umwelt Das 18. StrÄndG - G zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - vom 28.3.1980 (BGBl. I S. 373) hat die in der Praxis wichtigsten Strafvorschriften zum Schutze der Umwelt in das StGB eingestellt: 28. Abschnitt des Besonderen Teils, Straftaten gegen die Umwelt, §§324-330d StGB. Die andere denkbare Möglichkeit, die bislang in verschiedenen Gesetzen (WasserhaushaltsG, BundesimmissionsschutzG, BundesabfallbeseitigungsG, BundesnaturschutzG, AtomG) verstreuten Umweltschutztatbestände zusammenzufassen, die Schaffung eines Umweltgesetzbuches, läßt sich nach Auffassung des Gesetzgebers in absehbarer Zeit nicht verwirklichen. Wie bereits oben unter Β 2a bemerkt, verfolgt das neue Umweltstrafrecht nicht nur den Schutz des menschlichen Lebens und der Gesundheit des Menschen, sondern wertet ökologische Güter wie Gewässer, Luft, Boden, Nutztiere und Nutzpflanzen als selbständige Rechtsgüter; vgl. §§ 324 (Gewässerschutz), 325 (Luft- und Lärmschutz), 329 (schutzbedürftige Gebiete) sowie den Umweltbegriff in § 326 Abs. 5 StGB. Um Gefahren für die Umweltgüter schon im Vorfeld begegnen zu können und Beweisschwierigkeiten hinsichtlich der Kausalität von Handlungen einzelner für eingetretene Schäden zu verringern, wurden vorwiegend abstrakte Gefährdungstatbestände geschaffen; vgl. etwa §§ 326 (Umweltgefährdende Abfallbeseitigung), 327 (Uner-

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Strafrechtsreform

laubtes Betreiben von Anlagen), 328 (Unerlaubter Umgang mit Kernbrennstoffen), 329 StGB (Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete). Teilweise wird allerdings die Strafbarkeit abstrakter Gefährdung wieder zurückgenommen, wenn eine konkrete Gefährdung offensichtlich ausgeschlossen ist (§ 326 Abs. 5 StGB). Konkrete Gefährdungen sind in §330 StGB (Schwere Umweltgefährdung) und §330 a StGB (Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften) als Qualifikationen erfaßt. Durchweg ist auch die fahrlässige Begehungsweise unter Strafe gestellt. Die abstrakte Gefährdung wird vorwiegend an die Verletzung außerstrafrechtlicher Regelungen geknüpft, entweder an Rechtsverordnungen (s. vor allem § 329 StGB) oder an Einzelakte der Verwaltung (s. insbesondere § 325 StGB mit der Legaldefinition der verwaltungsrechtlichen Pflichten in Abs. 4). Bei dieser bislang dem StGB fremden Verwaltungsrechtsabhängigkeit von Strafvorschriften liegen die Hauptprobleme des neuen Umweltstrafrechts. Die Strafbarkeit von Verhaltensweisen wird nämlich wegen des ausgeprägten Blankettcharakters der Straftatbestände weitgehend von der Verwaltung bestimmt, teilweise sogar von nichtstaatlichen Instanzen, die z. B. Richtlinien für die fehlerfreie Errichtung und den fehlerfreien Betrieb von kerntechnischen Anlagen (vgl. § 311 e StGB) erlassen können, die zusammen mit staatlichen Akten eine schwer durchschaubare normative Gemengelage bilden, so daß sich die Frage stellt, ob dem Bestimmheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG noch genügt ist. Darüber hinaus birgt die verwaltungsrechtliche Akzessorietät des Umweltstrafrechts einmal das Problem, welche strafrechtlichen Folgen z. B. die Zuwiderhandlung gegen eine Auflage hat, die später im Verwaltungsstreitverfahren aufgehoben wird; das jetzt geltende Recht begnügt sich problematisch - mit Verstößen gegen vollziehbare Akte, ohne Rücksicht auf deren endgültigen Bestand (vgl. namentlich §§325 Abs. 4, 327 StGB). Zum anderen stellt sich die Frage, ob die Erteilung sachlich verfehlter Genehmigungen oder das Unterlassen gebotener Auflagen durch die Verwaltung den Täter (z.B. i.S. der §§327 oder 325 StGB) rechtfertigen kann. Wie steht es in derartigen Fällen fehlerhaften Verwaltungshandelns mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der zuständigen Amtsträger? Angesichts dieser und ähnlicher Fragen stellt Lackner (StGB, 14. Aufl. 1981, Bern. 1 vor § 324) zutreffend fest, es bedürfe noch gründlicher Analyse, „ob dieser ganze Zustand verfassungsrechtlich akzeptabel i s t . . . Gesetzespolitisch ist er jedenfalls schwer erträglich und bedarf schon deshalb dringend der Bereinigung". 8.

Verkehrsstraftaten

Durch das Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19.12.1952 (BGBl. I S. 832) wurde in

den 27. Abschnitt des StGB als gemeingefährliches Vergehen die Straßenverkehrsgefährung (§315 a StGB a. F.) aufgenommen und in § 316 Abs. 2 StGB a. F. der praktisch besonders bedeutsame entsprechende Fahrlässigkeitstatbestand eingestellt. Die merkwürdige Definition des Begriffs der Gemeingefahr in § 315 Abs. 3 StGB a. F. - Gemeingefahr = Gefahr für Leib und Leben, sei es auch nur eines einzelnen Menschen - hat der Rechtsprechung beträchtliche Schwierigkeiten bereitet, mit denen sie nie ganz fertig geworden ist: Die Gefährdung eines bestimmten einzelnen Menschen war letztlich nicht befriedigend mit der vom Gesetz zugleich geforderten Herbeiführung einer Gemeingefahr in Einklang zu bringen. Bereits der Ε 1962 verzichtete deshalb ganz allgemein und speziell auch bei den Verkehrsdelikten auf den Begriff der Gemeingefahr (vgl. Ε 1962 Vorbem. vor § 320, S. 496 f. sowie die in § 345 normierte Straßenverkehrsgefährdung). Dem ist der Gesetzgeber im Zweiten Straßenverkehrssicherungsgesetz vom 26.11.1964 (BGBl. I S.921) gefolgt, das über die Befreiung der Straßenverkehrsdelikte aus ihrer Verklammerung mit der Gemeingefahr hinaus noch weitere wichtige Neuerungen gebracht hat: Einführung des Fahrverbots als Nebenstrafe (vgl. dazu bereits oben Α 6 b, bb) sowie Herauslösung des abstrakten Gefährdungsdelikts der Trunkenheit im Verkehr aus §2 StVZO und Ausgestaltung zum Vergehen in §316 StGB. Fälle der Alkoholeinwirkung, die nicht den Grad der Fahruntüchtigkeit erreichen, werden von §24 a StVG als Ordnungswidrigkeit erfaßt (sog. 0,8 Promille-Grenze, eingefügt durch Gesetz vom 20.7.1973, BGBl. I S. 870). Auf die Umgestaltung der Straßenverkehrsübertretungen zu Ordnungswidrigkeiten (Entkriminalisierung des Straßenverkehrsrechts) durch das EGOWiG von 1968 wurde bereits bei der Darstellung der Bewältigung der Bagatellkriminalität hingewiesen (oben Α 4b, aa). - In Erfüllung des Haager Abkommens vom 16.12.1970 zur Bekämpfung der Luftpiraterie wurde durch das 11. StrÄndG vom 16.12.1971 (BGBl. I S. 1977) §316c StGB (Angriff auf den Luftverkehr) eingefügt.

9. Straftaten gegen den Staat und seine Einrichtungen sowie gegen die Völkergemeinschaft a) Das politische Strafrecht der nationalsozialistischen Zeit war durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30.1.1946 ersatzlos beseitigt worden. Durch das 1. StrÄndG vom 30.8.1951 (BGBl. I S.739) wurde ein neues Staatschutzstrafrecht geschaffen, das sich schlagwortartig als Strafrecht des Kalten Krieges bezeichnen läßt. Es stand, vor allem im Bereich der Staatsgefährdung, unter dem Motto „So viel strafrechtlicher Schutz wie irgend möglich" und enthielt demgemäß zu viele Tatbestände, die sich überdies stark überschnitten. Rechtsstaatliche

Strafrechtsreform Bedenken mußte vor allem die Verwendung unpräziser Begriffe, die häufige Kennzeichnung des strafbaren Unrechts durch subjektive Merkmale wie „staatsgefährdende Absicht" sowie die unbefriedigende Abgrenzung zwischen den Belangen des strafrechtlichen Staatsschutzes einerseits und dem Freiheitsraum des politisch engagierten Bürgers andererseits hervorrufen. Manche Vorschriften erhielten allerdings erst durch eine extensive Auslegung in der Rechtsprechung ihre häufig beklagte uferlose Weite, etwa §90 a StGB a.F., der ein umfassendes Organisationsdelikt zur Erfassung verfassungsfeindlicher Bestrebungen enthielt, oder der Gefährdungstatbestand des §100e StGB a.F., der von der Judikatur immer stärker von einem Vorbereitungstatsbestand des Landesverrats zu einem abstrakten Beziehungstatbestand umgewandelt wurde, schließlich §92 StGB a. F., der staatsfeindliche Nachrichtendienst, der von der Rechtsprechung in einer Weise ausgedehnt wurde, daß sogar politisch unverfängliche gesamtdeutsche Kontakte strafrechtlich relevant werden konnten. Der Ε 1962 konnte in der Mitte der sechziger Jahre verstärkt einsetzenden Reformdiskussion keine Rolle mehr spielen, da er auch im Staatschutzstrafrecht nach rückwärts gerichtet, d. h. weitgehend in dem wenig verfassungskonformen Perfektionismus des l.StrÄndG von 1951 verhaftet war. Typisch ist die Begründung zu §387 Ε 1962, der Nachfolgevorschrift des bedenklichen § 100 e StGB a. F., mit der auch die „kriminalpolitisch bewährte ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zu §100e StGB" konserviert werden sollte (vgl. Ε 1962, Begr. S. 577 1. Sp.). Vielmehr stützte sich der Reformgesetzgeber auf drei Entwürfe, einen 1965 von der SPD-Bundestagsfraktion eingebrachten E, den 1966 eingebrachten Regierungsentwurf eines 8. StrÄndG sowie den während der Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform 1968 vorgelegten Alternativ-Entwurf eines StGB, Besonderer Teil, Politisches Strafrecht, der in der Absage an das Staatsschutzstrafrecht von 1951 am weitesten ging. Das Bemühen des Sonderausschusses um ein Gesetz, das möglichst breite Anerkennung im Plenum des Deutschen Bundestages erhoffen ließ, führte zwangsläufig zu Kompromissen und dazu, daß keinem der Beteiligten alle Wünsche erfüllt wurden. In der Tat wird auch immer wieder angezweifelt, ob die Hauptziele der Reform wirklich in allen Punkten erreicht worden sind, die Krauth, Kurfess und Wulf in JZ 1968, 578 wie folgt umschrieben haben: „Verbesserung des Rechtszustandes im Hinblick auf eine aktivere gesamtdeutsche Politik durch Ausräumung strafrechtlicher Hindernisse, die Kontakten der Bürger in beiden Teilen Deutschlands untereinander und mit politischen Organisationen im Wege stehen können. Einschränkung des Staatsschutz-Strafrechts auf das zum Schutze unseres demokratischen Rechtsstaates unbedingt Erforderliche. - Präzise Umschreibung

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und weitere Objektivierung der Tatbestände, damit klar vorausgesehen werden kann, ob ein bestimmtes Handeln strafbar ist. - Lösung der Problematik des sog. publizistischen Landesverrats. - Erfüllung des in Art. 26 G G gestellten Verfassungsauftrags durch Strafvorschriften über den Friedens verrat." So wird etwa geltend gemacht, § 87 StGB (Agententätigkeit zu Sabotagezwecken) umschreibe vielfach nur unzureichend die unter Strafe gestellten Vorbereitungshandlungen zur Sabotage; § 92 StGB ziehe den Kreis der geschützten Verfassungsgrundsätze zu weit; die begrüßenswerte Ausgliederung des sog. illegalen Staatsgeheimnisses aus dem Schutzbereich der Landesverratsvorschriften (§93 Abs. 2 StGB) werde durch die Pönalisierung des Verrats illegaler Geheimnisse in §97 a StGB in unvertretbarer Weise relativiert; §99 StGB sei kaum präziser gefaßt als der alte § 100e StGB. b) Vorbehaltlos zu begrüßen ist dagegen die strafrechtliche Erfassung des Friedensverrats in den §§80 und 80a StGB; der Gesetzgeber ist damit allerdings reichlich spät - dem Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs. 1 S. 2 GG nachgekommen. c) Bereits durch das Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Konvention vom 9. 12. 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. 8. 1954 (BGBl. II S. 729) war §220 a ins StGB eingefügt worden. d) Das 4. StrÄndG vom 11. 6. 1957 (BGBl. I S.597) trug der Wiederbewaffnung Rechnung und brachte einen neuen Abschnitt des StGB - jetzt ist es der 5. - : Straftaten gegen die Landesverteidigung (§§109ff. StGB). e) Zwar ist es bislang nicht zu der im Ε1962 (vgl. dessen §§460 ff.) angestrebten völligen Umgestaltung der Amtsdelikte zu „Straftaten gegen den öffentlichen Dienst" in dem Sinne gekommen, daß hier nur noch solche Strafvorschriften zusammengefaßt werden, die primär dem Schutz der pflichtgemäßen Amtsführung, nicht also - wie insbesondere die unechten Amtsdelikte - dem Schutz anderer Rechtsgüter wie Freiheit, körperliche Integrität usw. dienen. Immerhin wurde aber mit der ersatzlosen Streichung der §§341 (Freiheitsberaubung im Amt), 342 (Hausfriedensbruch im Amt), 350 und 351 StGB a. F. (einfache und schwere Amtsunterschlagung) durch das EGStGB von 1974 ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan. Eine Reihe anderer - alter und neuer - unechter Amtsdelikte wurden entsprechend der Konzeption des Ε1962 (vgl. Begr. S.648 l.Sp.) im Zusammenhang mit den Grundtatbeständen geregelt, und zwar entweder als Erschwerungstatbestände (vgl. §§120 Abs. 2,133 Abs. 3, 203 Abs. 2, 258 a StGB) oder als Regelbeispiel (§ 264 Abs. 2 Nr. 2 StGB). Darüber hinaus brachte das EGStGB noch einige weitere Änderungen im 29. Abschnitt des BT „Straftaten im Amte". Die wichtigste ist die Neugestaltung der Bestechungsdelikte (§§331-335 a StGB) in Anlehnung an die §§ 460-466 Ε1962. Der

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Tierquälerei

Täterkreis wurde in zweifacher Richtung erweitert: Einbeziehung der für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, so daß die §§ 2-4 der Verordnung gegen Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen i. d . F . vom 22. 5. 1943 (RGBl. I S. 351) gestrichen werden konnten; Wiedereinbeziehung der Schiedsrichter, die durch ein Redaktionsversehen im 1. StrRG von 1969 herausgefallen waren. Ein Novum ist die Möglichkeit der strafbefreienden nachträglichen Genehmigung der Vorteilsannahme (vgl. §§ 331 Abs. 3 und 333 Abs. 3 StGB). § 334 StGB (Bestechung) enthält gegenüber dem entsprechenden 1333 StGB a. F. insofern eine Strafbarkeitserweiterung, als nunmehr auch Vorteilsgewährungen für zurückliegende Handlungen erfaßt werden. In § 332 Abs. 3 StGB ist u. a. die unter Geltung des alten Rechts umstrittene Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen sich ein Ermessensbeamter der Bestechlichkeit schuldig macht. Die Literatur zu Fragen der Strafrechtsreform ist fast unübersehbar. Neben den Stellungnahmen zur Gesamtreform ist jeweils eine große Zahl von Beiträgen zu den wichtigen Einzelnovellen erschienen. Eine auch nur annähern vollständige Wiedergabe ist aus Raumgründen nicht möglich. Deshalb werden nachstehend die Kommentare und Lehrbücher angegeben, die das Reformschrifttum und die Gesetzesmaterialien verstärkt berücksichtigen und weiterführende Hinweise geben.

Kommentare D r e h e r - T r ö n d l e : Strafgesetzbuch und Nebengesetze. 41. Aufl. 1983. K. L a c k n e r : Strafgesetzbuch mit Erläuterungen. 14. Aufl. 1981. L e i p z i g e r K o m m e n t a r . Strafgesetzbuch. 9. Aufl. Bearb. von P. B a l d u s u.a. 1970-1977. 10. Aufl. seit 1978 im Erscheinen. S c h ö n k c - S c h r ö d e r : Strafgesetzbuch. Kommentar. 21.Aufl. Bearb. von L e n c k n e r , C r a m e r , E s e r und S t r e e . 1982. Lehrbücher A r z t - W e b e r : Strafrecht. Besonderer Teil. Lehrheft 1: Delikte gegen die Person. 2. Aufl. 1981. Lehrheft 3: Vermögensdelikte (Kernbereich). 1978. Lehrheft 4: Wirtschaftsstraftaten, Vermögensdelikte (Randbereich), Fälschungsdelikte. 1980. Lehrheft 5: Delikte gegen den Staat, gegen Amtsträger und durch Amtsträger. 1982. J. B a u m a n n : Strafrecht. Allgemeiner Teil. 8. Aufl. unter Mitwirkung von U. W e b e r . 1977. H. B l e i : Strafrecht. I. Allgemeiner Teil. 17. Aufl. 1977. Strafrecht. II. Besonderer Teil. 11. Aufl. 1978. H.-H. J e s c h e c k : Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil. 3. Aufl. 1978. M a u r a c h - Z i p f : Strafrecht. Allgemeiner Teil. Teilband 1. 5. Aufl. 1977. M a u r a c h - G ö s s e l - Z i p f : Strafrecht. Allgemeiner Teil. Teilband 2. 5. Aufl. 1978. M a u r a c h - S c h r o e d e r : Strafrecht. Besonderer Teil. Teilband 1. 6. Aufl. 1977. Teilband 2. 6. Aufl. 1981. E. S c h m i d h ä u s e r : Strafrecht. Allgemeiner Teil. 2. Aufl. 1975. ULRICH

WEBER

TIERQUÄLEREI 1.

Einleitung

Tierquälerei ist eine Straftat, die weithin nicht als solche begriffen wird. Vielmehr geht man oftmals davon aus, es handele sich hierbei um ein nicht strafwürdiges „Kavaliersdelikt". Diese Beurteilung der Tierquälerei geht freilich an ihrem Kern vorbei. Die vernachlässigte Aufmerksamkeit gegenüber dem Delikt der Tierquälerei ist um so erstaunlicher, als schon aus historischer Sicht Tiere sehr früh, zumindest in Gesetzen und Verordnungen, reflektiert wurden. Bereits der Codex Hammurabi, das älteste uns bekannte Gesetzeswerk, enthält bereits ein Verbot für Tierhalter, ihre Tiere übermäßig arbeiten zu lassen. Das Reich Hammurabis war im Norden von Semiten und im Süden von Sumerern bewohnt. Aus der territorialen Nähe zu dem Gebiet, in dem sich die Heilsgeschichte Israels vollzog, wird man wechselseitig kulturelle Beeinflussungen herleiten können. So liegt es nahe, eine Verbindungslinie zwischen der einzigen Tierschutzvorschrift des Codex Hammurabi und den jeweiligen biblischen Stellen zu ziehen, die tierschützenden oder zumindest tierfreundlichen Charakter haben. So wird im zweiten Buch Mose nicht für Menschen, sondern auch für Tiere am siebenten Wochentag Ruhe geboten, im fünften Buch Mose ist es untersagt, mit wesensfremden Tieren zu ackern. Dieser weltanschauliche Hintergrund hatte nicht nur den Tierschutz zum Ziel, sondern es ging wesentlich darum, die Tiere zu schonen, um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Schließlich war die Erhaltung des Tierbestandes eine existenzielle Frage, denn die Deckung des täglichen Nahrungsbedarfs und der Kleiderversorgung hingen eng damit zusammen. Dem steht jedoch eine andere biblische Auffassung gegenüber, wonach der Mensch sich die Erde Untertan machen und die Tiere beherrschen soll. Im vorchristlichen Römischen Recht gab es kein Gesetz, das die Tierquälerei verbot. Bevor die Tiere in den sogenannten „Ädilischen Edikten" den Sachen gleichgestellt wurden und damit denselben Rechtsstatus wie Frauen, Sklaven und Kinder bekamen, blieben sie gänzlich unerwähnt. Das Tier war lediglich Funktionsträger, es war jederzeit für den Menschen nach seinem Gutdünken verfügbar. Dieses ausschließlich materielle Verständnis vom Tier zeigt sich besonders deutlich bei Cicero, für den die Welt ein einziger Nutzungszusammenhang war. Im nachchristlichen Römischen Recht machte sich aber zumindest eine tierfreundliche Tendenz bemerkbar. Ulpian bezeichnete in seinen „Institutiones" die Tiere als Subjekte des Naturrechts. Dieser Gedanke wurde auch im Corpus Juris Civile des oströmischen Kaisers Justinian schriftlich niedergelegt. Dort heißt es: „Das Naturrecht ist jenes Recht, welches die Natur allen Lebewesen gegeben hat und welches nicht nur

Tierquälerei dem Menschen eigen ist." Im Zuge der Völkerwanderung zogen germanische Volksstämme aus dem Osten Europas nach Westen. Dabei wurde das durch Zerrüttung im Innern geschwächte Römische Reich nach und nach von den Germanen besiedelt, was schließlich zur Bildung germanischer Staaten auf römischem Territorium und bis zur Zusammenfassung auf heimischem Boden im Frankenreich führte. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, bedienten sich die Germanen neben dem verhältnismäßig gering ausgeprägten Ackerbau vor allem der Jagd und der Viehzucht. Der Mensch war infolgedessen auf das Tier angewiesen, er war geradezu von ihm abhängig. Die natürliche Folge davon war, daß beispielsweise Wilddiebstahl schwer bestraft wurde. Die Bestrafung dieses Deliktes war jedoch keine Sanktion, die dem Tierschutz dienen sollte. Aufgabe dieser Strafandrohung bei Wilddiebstahl war es, der Anerkennung des Privateigentums, wonach jedem Grundstückseigentümer auf seinem Gute die Jagd als Teil seiner grundherrlichen Rechte zukam, Rechnung zu tragen. Unter König Eurich schrieben die Westgoten als erste Völkerschaft ihr Gewohnheitsrecht nieder. Nach dieser Kodifikation in Vulgärlatein wurde Pferdediebstahl beispielsweise mit dem Tode bestraft. Auch diese Sanktion hatte weniger tierschützerischen Charakter, sondern diente lediglich der Aufrechterhaltung der Wehrfähigkeit, da Pferde für die damalige Kriegsführung unerläßlich waren. Die im 13. Jahrhundert entstehenden Rechtsbücher und die Stadtrechte machten deutlich, daß sich das Strafrecht fortentwickelte und ließ deutlich Rechtssetzungstendenzen erkennen. Besonders der Sachsenspiegel war in den Gerichten der damaligen Zeit weit verbreitet. Dort wurde z. B. festgesetzt, daß ebenso wie für den erschlagenen Mann ein Wehrgeld für die getöteten Tiere an den Eigentümer zu entrichten war. Im Grunde gab es das ganze Mittelalter hindurch keine echten Tierschutzvorschriften im heutigen Sinne. Tiere wurden ausschließlich aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus geschützt, so daß Tiere nur in denjenigen Fällen einen gewissen Schutz erfuhren, in denen zufällig das materielle Interesse des Menschen mit der Förderung und Sicherung des Tierlebens übereinstimmte. Bei den Stadtrechten ist lediglich ein Fall bekannt, in dem der Rat zu Köln im Jahre 1417 „das Fangen der Nachtigallen und Jagen der Kaninchen in Hag und Hecken" bei Gefängnis in einem der Stadttürme und Geldstrafe von 40 kölnischen Mark untersagte. Im Zuge der nun sich immer weiter ausbreitenden Christianisierung Europas war sowohl der organisatorische Aufbau der Kirche als auch die philosophische Deutung und rechtliche Fundamentierung der Glaubenssätze fortgeschritten. Der planmäßige und erfolgreiche Kampf des Papsttums um die höchste geistliche und weltliche Gewalt brachte eine Entwicklung mit sich, die dazu führte, daß kirchliches und weltliches Recht gleichberechtigt

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nebeneinander standen: Das ius utrumque war geboren. Sowohl die damalige weltliche als auch die kirchliche Rechtsauffassung ging von der Strafmündigkeit der Tiere aus, so daß man sie ohne weiteres wegen bestimmter Verbrechen, deren man sie beschuldigte, vor den Strafrichter brachte und eine ordentliche Gerichtsverhandlung durchführte. Dem Tier wurde, gleich einem Menschen, ein Offizialvertreter beigeordnet, selbst das Aktenmaterial unterschied sich dem Umfang nach nicht von einem Prozeß, der gegen einen Menschen geführt wurde. Unter bestimmten Voraussetzungen konnte sogar die nächsthöhere Instanz angerufen werden. War der Rechtsweg ausgeschöpft und kam es zur rechtskräftigen Verurteilung des Tieres, so gingen die Verurteilten, allen möglichen Gattungen angehörend, ihrer „feierlichen Hinrichtung" entgegen. Die ebenfalls mit Tierprozessen befaßte Kirche erließ Malediktionen gegen das straffällig gewordene Tier. So wurde beispielsweise Ungeziefer exkommuniziert, das dadurch von bewachsenen Grundstücken vertrieben werden sollte. Diese Gesamtsituation gibt Anlaß zu der Vermutung, daß das Mittelalter den Tieren eine gewisse Rechtssubjektivität zusprach, die in der heutigen Zeit bisweilen von extremen Tierschützern, wenn auch in modifizierter Form, wieder verlangt wird. Amira hingegen hat überzeugend nachgewiesen, daß diesen Prozessen nicht der Gedanke der Strafmündigkeit des Tieres innewohnte. Es ging dabei nurmehr darum, die bösen Geister und Dämonen zum Gegenstand des Strafverfahrens zu machen mit der Besonderheit, daß diese in den Tieren gewütet haben sollen. Weder die Bambergische Halsgerichtsordnung von 1507, noch die Constitutio Criminalis Carolina vom Jahre 1532 enthielten Bestimmungen, die dem Tierschutz dienten. Dieser Zustand dauerte weitere 150 Jahre fort, bis schließlich im 17. und 18. Jahrhundert mehr und mehr Fälle bekannt wurden, in denen der Gesetzgeber und die Richter eindeutig zu Gunsten des Tieres eingegriffen haben. Dies erfolgte nun nicht mehr, um die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu sichern, sondern hier handelte es sich um Eingriffe um der Tiere selbst willen. So ist ein Fall aus Sagan in Preußen aus dem Jahre 1684 überliefert, in dem ein Mann, der sein Pferd durch Schläge und Stiche roh mißhandelt hatte, mit 2tägiger Ausstellung am Schandpfahl und 25 Talern Geldbuße bestraft wurde. In einem anderen Beispiel verurteilte die juristische Fakultät der Universität Leipzig im Jahre 1765 einen Angeklagten, der an einer Kuh Tierquälerei begangen hatte. Hommel war der erste juristische Autor, der 1739 die Idee des Tierschutzes im Wege rechtlicher Grundsätze festschreiben wollte. Er ging davon aus, daß aus Rechtlosigkeit des Tieres nicht der Schluß gezogen werden könne, daß der Mensch gegenüber dem Tier keine Pflichten habe. Durch den Satz: „Wer an Pein und Marder des Viehs Vergnügen findet, von dem kannst du sicher glauben, daß er mit eben der

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Tierquälerei

Wollust auch Menschen zerfleischen würde, wenn ihn Gesetz, Gewohnheit und Strafe nicht hinderten", leitete Hommel eine Entwicklung ein, die den Tierschutzgedanken zum festen Bestandteil des abendländischen Kulturkreises machte. Im weiteren Verlauf dieser geschichtlichen Epoche fiel der Tierschutz in den Aufgabenbereich der Verwaltungsbehörden. D a zu diesem Zeitpunkt der Rechtsstaatsgedanke noch nicht erwacht war, herrschte bei den Verwaltungsbehörden die Annahme vor, sie seien an gesetzliche Bestimmungen nicht gebunden. Dies führte dazu, daß gegen Tierquälerei oftmals ohne weiteres polizeilich vorgegangen wurde. Mit Fortschreiten der Kulturentwicklung wächst das Bedürfnis, die Bestrafung der Tierquälerei gesetzlich abzusichern. Der Rechtsstaatsgedanke kam auf und beeinflußte die geistigen und politischen Kräfte mit der Folge, daß die Kodifikation des Tierschutzes in den einzelnen Staaten Deutschlands nahezu gleichzeitig hervortraten. Als erstes deutsches Land hatte das Königreich Sachsen im Kriminalgesetzbuch vom 30. März 1838 die Tierquälerei im Artikel 310 unter Strafe gestellt. Das Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen erließ im Jahre 1840 eine Verordnung, die das Quälen von Tieren ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse oder öffentliche Ärgerniserregung mit einer Strafandrohung bis zu 6 Wochen Gefängnis belegte. Auch im Württembergischen Polizeistrafgesetzbuch von 1839 wurde die Tierquälerei strafrechtlich sanktioniert. Mit geringer zeitlicher Verschiebung wurde in Hessen-Darmstadt, Preußen, Bayern, Waldeck, Braunschweig, und den freien Städten, wie Bremen, Lübeck und Hamburg, die Tierquälerei mit einer Strafandrohung versehen. Mit der Begründung des Norddeutschen Bundes war die Zuständigkeit zur Schaffung eines einheitlichen Bundesstrafrechts gegeben. Aufgrund der NovemberVerträge zu Versailles mit den Süddeutschen Staaten wurde am 1. Januar 1871 der Norddeutsche Bund zum Deutschen Reich erweitert. In der Folge wurde am 15. Mai 1871 das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich mit den erforderlichen redaktionellen Veränderungen verkündet. Im Rahmen dieses Gesetzeswerkes wurde die Tierquälerei als Übertretung behandelt. Der Übertretungstatbestand des § 360 Nr. 13 RStGB sah eine Geldstrafe bis höchstens 150,- D M oder Haft vor für die Fälle, in denen öffentlich oder in Ärgernis erregender Weise Tiere gequält wurden. 1933 wurde die Vorschrift des § 145 b StGB geschaffen, wonach kriminelles Unrecht beging, wer ein Tier roh mißhandelte oder absichtlich quälte. Aber bereits am 1. Februar 1934 wurde der § 145 b durch das Reichstierschutzgesetz vom 24. November 1933 abgelöst. Das Reichstierschutzgesetz war für die damalige Zeit sehr ausgereift und ausgesprochen tierfreundlich. Der zweite Abschnitt des Reichstierschutzgesetzes enthielt einen Katalog von einzelnen Tierquälereien, die sehr weit verbreitet waren und daher drohten, nicht

mehr als sittenwidrig angesehen zu werden. Der Gesetzgeber sah bei der Behandlung von Tieren das häufig im Vordergrund stehende, ausschließlich menschliche Nutzungsbedürfnis nicht mehr als gerechtfertigt an und verbot sämtliche Handlungen, die geeignet waren, Tiere zu quälen.

2.

Dogmatik

Am 1. Oktober 1972 trat das Tierschutzgesetz in Kraft und steht heute im Mittelpunkt des Tierschutzes in der Bundesrepublik Deutschland. Daneben gelten jedoch eine Reihe anderer tierschutzrechtlicher Bestimmungen, die zum Teil auf der Grundlage internationaler Verträge zustandegekommen sind und die Funktion haben, das Tierschutzgesetz begleitend zu ergänzen. Auch das Zivil-, Zivilprozeß- und das Verwaltungsrecht enthalten gesetzliche Regelungen in Bezug auf Tiere. Die entscheidende Vorschrift des Tierschutzgesetzes ist der § 17 TschG. Die Strafbestimmung des § 17 TschG beinhaltet zwei Tatbestände. Zum einen steht unter Strafandrohung die Tötung eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund, zum anderen wird bestraft, wer einem Wirbeltier Schmerz oder Leid zufügt, wobei dies aus Rohheit geschehen kann oder länger anhaltende oder sich wiederholende Schmerzen verursacht. Die Tathandlung bei I 17 TschG muß sich auf ein Wirbeltier beziehen. Dieses Erfordernis des Wirbeltieres stellt schon insoweit eine Einschränkung dar, als nicht jedes Tier taugliches Objekt im Sinne des § 17 TschG sein kann. Die amtliche Begründung zum § 17 TschG geht zwar grundsätzlich von der Schutzbedürftigkeit und Würdigkeit aller Tiere aus, gewährt aber nur Wirbeltieren als Strafobjekt im Rahmen des § 17 TschG durch Strafandrohung abgesicherten Schutz. Die Beschränkung des Tatobjekts auf Wirbeltiere ist sachlich durchaus gerechtfertigt, da nur diese im Gegensatz zu niederen Tiergattungen - über ein Zentralnervensystem verfügen und infolge des damit verbundenen Schmerzleitungssystems ein ausgeprägtes Schmerzempfindungsvermögen haben. D a § 17 TschG eine Strafbestimmung ist, die zwei Tatbestände beinhaltet, gibt es auch zwei Tathandlungen, die in Nr. 1 und Nr. 2 des § 17 TschG unterschieden werden. Die Tathandlung des § 17 Nr. 1 TschG ist das Töten, wobei hier ausschließlich das „ob" und nicht auf das „wie" abgestellt werden muß. Dies bedeutet, daß auch die schmerzlose Tötung, insbesondere die Tötung eines betäubten Tieres, geeignete Tathandlung im Sinne des § 17 Nr. 1 TschG sein kann. Diese Tathandlung ist im Tierschutzgesetz neu, bislang war das Töten eines Tieres nur dann verboten, wenn ein anderer Eigentümer des Tieres war. Weiterhin bestimmt der Gesetzeswortlaut des § 17 TschG, daß Töten nur dann verboten ist, wenn die Tathandlung „ohne vernünftigen Grund" erfolgt. Diese Ausdrucksweise des

Tierquälerei Gesetzes gab es bisher nicht und ist vermutlich dem angelsächsischen Rechtskreis entlehnt. Ob nun das Merkmal „ohne vernünftigen Grund" normatives Tatbestandsmerkmal oder allgemeines Verbrechensmerkmal ist, wird unterschiedlich beantwortet. Diejenigen, die ein allgemeines Verbrechensmerkmal annehmen, sind der Meinung, daß zumindest in Grenzfällen vom Prinzip der Güter- und Pflichtenabwägung ausgegangen werden müsse, wobei auch und gerade das generelle und spezielle soziale Gewicht des mit der Handlung verfolgten Zwecks mit in die Abwägung einzubeziehen sei. Letztlich sei eine der allgemeinen Kulturentwicklung entsprechende Wertung vorzunehmen. Daraus läßt sich entnehmen, daß es sich bei dem Problem, ob ein Tier mit oder ohne vernünftigen Grund getötet wurde, in Wirklichkeit darum handelt, ob die Tiertötung die im sozialen Gemeinschaftsleben geltenden Regeln und Wertvorstellungen nicht schädigend beeinflußt, also sozial annehmbar ist. Infolgedessen greift die Ansicht immer mehr Platz, daß das Merkmal „ohne vernünftigen Grund" eine Sozialadäquanzklausel ist, die den Tatbestand normativ einschränkt. Bei § 17 Nr. 2 TschG, dem zweiten Tatbestand der Tierquälerei, muß zwischen den Begehungsweisen der rohen Schmerz- oder Leidenszufügung (Nr. 2 a) und der quälerischen Schmerz- oder Leidenszufügung (Nr. 2 b) unterschieden werden, wobei Schmerz- oder Leidenszufügung gleichbedeutend mit Mißhandlung ist. Eine Mißhandlung ist dann roh, wenn sie aus einer gefühllosen, Leiden des Tieres mißachtenden Gesinnung erfolgt. Schon das Reichsgericht hat eine gefühllose Gesinnung bejaht, wenn der Täter bei der Mißhandlung das notwendig als Hemmung wirkende Gefühl für den Schmerz des Tieres verloren hat, das sich vergleichsweise in gleicher Lage bei jedem menschlich und verständig Denkenden eingestellt haben würde. Diese subjektiven Gesichtspunkte wirken sich auf den Zweck der Mißhandlung aus, d . h . wer aus dem Charakterzug der Gefühl- und Mitleidlosigkeit heraus gehandelt hat, verfolgt in Wirklichkeit einen vernünftigen, berechtigten Zweck. Die Tat selbst ist letztlich der objektivierte Ausdruck der rohen Gesinnung. Auch im Hinblick auf das Merkmal „Rohheit" hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß nur die Betrachtung des Einzelfalles klären kann, ob eine rohe Mißhandlung vorliegt oder nicht. Dies bedeutet, daß bei dem Zusatzmerkmal „roh" eine Einzelfallüberprüfung zu erfolgen hat. Es kann gegebenenfalls unter Einbeziehung der Regeln der sozialen Adäquanz die Mißhandlung als roh eingestuft werden. Handelt es sich bei dem Merkmal „roh" um ein Gesinnungsmerkmal, das ausschließlich täterbezogen ist, so ist das Merkmal „länger anhaltende oder sich wiederholende Schmerzen zufügen" mehr auf die Tat bezogen und charakterisiert die Mißhandlung hinsichtlich ihrer zeitlichen Dauer. Dies bedeutet, die Handlung des Täters muß dem Tier fortdauernde

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oder sich wiederholende Schmerzen oder Leiden verursachen, wobei bezüglich der Länge der Zeitspanne für die Beeinträchtigung des Wohlbefindens geringere Anforderungen zu stellen sind. Das Abstellen auf den Zeitfaktor ermöglicht, daß man bei entsprechender Intensität, die bei der rohen Mißhandlung erfolgt ist, Abstriche machen kann. Dadurch, daß die Sozialadäquanzklausel in den Tatbeständen des § 17 TschG der Tatbestandsmäßigkeit zugehört, wirken die Rechtfertigungsgründe im allgemeinen bereits tatbestandsausschließend, so daß in diesen Fällen die Frage, ob Unrecht vorliegt oder nicht, bereits durch die das Unrecht im Tatbestand vertypenden Sozialadäquanzklauseln beantwortet wird. Darüber hinaus sind durchaus Fälle denkbar, so zum Beispiel bei einem Anwendungsfall des § 34 StGB, in denen die Tatbestandsmäßigkeit nicht ohne weiteres entfällt, sondern die Rechtswidrigkeit nicht gegeben ist. Dies gilt zum Beispiel dann, wenn ein Vater den sein kleines Kind angreifenden Hund erschlägt und nur auf diese Weise das Leben seines Kindes schützen kann. Der Mißhandlungstatbestand des § 17 Nr. 2 TschG ist insoweit problemlos. Die rohe Mißhandlung eines Tieres ist immer rechtswidrig, weil die rohe Mißhandlung nie durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt sein kann. Im Hinblick auf die quälerische Mißhandlung gelten die gleichen Grundsätze wie für die grundlose Wirbeltiertötung. Im subjektiven Bereich ist für die Tötung eines Wirbeltieres gemäß § 17 Nr. 1 TschG als Schuldform Vorsatz erforderlich. Der Vorsatz muß darauf gerichtet sein, daß das Tier vom Leben zum Tode befördert wird. Bedingter Vorsatz reicht hier aus. Das gleiche Schuldformerfordernis des Vorsatzes trifft auch für die rohe Mißhandlung gemäß § 17 Nr. 2 a TschG zu, die nur als Vorsatztat denkbar ist. Hingegen ist die quälerische Mißhandlung gemäß § 17 Nr. 2 b TschG auch fahrlässig begehbar, da die Zufügung länger andauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden aus Fahrlässigkeit durchaus denkbar ist. Die Intentionen, Tiere schutzwürdig anzuerkennen und ihnen gesetzlichen Schutz zu bieten, sind keineswegs einheitlich. Es wurden und werden in Vergangenheit und Gegenwart Tiere aus sehr unterschiedlichen Gründen heraus geschützt. Das wohl älteste Motiv für den Tierschutz ist der anthropozentrische Tierschutz. Im Mittelpunkt dieses Schutzgedankens steht der Mensch mit seinen vielfältigen Interessen. Besonders wirtschaftliche Erwägungen spielen hier eine Rolle, so daß auch teilweise in diesem Zusammenhang von einem an rein wirtschaftlichen Kriterien orientierten „ökonomischen" Tierschutz gesprochen wird. Das Tier unterliegt ökonomischen Prinzipien und ist demnach nur in der Funktion als wirtschaftliches Produkt und Produktionsmittel schützenswert. Aus dieser Sicht stellt sich das Bedürfnis des Menschen das Tier zu schützen, mittelbar als ein ökonomischer Faktor dar. Von anthro-

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Tierquälerei

pozentrischen Tierschutzmotiven mitumfaßt sind ästhetische Gesichtspunkte, die ausschließlich auf die menschliche Empfindsamkeit reflektieren und inhaltlich darauf hinzielen, den Menschen nicht Zeuge einer grundlosen Tiertötung oder Tiermißhandlung werden zu lassen. Besonders ältere Gesetzesfassungen machen die Strafbarkeit der Tierquälerei von der Wahrnehmung durch Dritte abhängig, was durch das Erfordernis „in Ärgernis erregender Weise" zum Ausdruck kommt. Der ästhetische Tierschutz ist eine Fortentwicklung des anthropozentrischen Tierschutzes, sieht aber das Tier um seiner selbst willen als schützenswert an. Dabei treten die beim anthropozentrischen Tierschutz vorzuziehenden reinen Nützlichkeitserwägungen zu Gunsten der Auffassung zurück, daß Tiere quasi gemeinschaftlich neben oder sogar mit den Menschen leben. Die Achtung und Wertschätzung, die der Mensch dem Tier entgegenzubringen hat, ist ein durch die geistige Überlegenheit des Menschen begründetes moralisches Postulat. Dieser Schutzgedanke kam schon in der amtlichen Begründung zum Reichstierschutzgesetz zum Ausdruck, in dem es heißt: „Es findet der Gedanke Raum, daß das Tier des Tieres wegen geschützt werden muß".

3. Entwicklung und praktische

Bedeutung

Um die statistische Entwicklung eines Delikts darzustellen, stehen vor allem zwei Quellen zur Verfügung: die amtliche Kriminalstatistik (Strafverfolgungsstatistik) und die polizeiliche Kriminalstatistik (bekanntgewordene Straftaten). Die polizeiliche Kriminalstatistik jedoch läßt sich im Hinblick auf den Straftatbestand der Tierquälerei nicht verwenden, da sie Verbrechen und Vergehen gegen strafrechtliche Neben- und Landesgesetze nur teilweise erfaßt und die Tierschutzstraftaten gemäß § 17 TschG nicht statistisch registriert. Darüber hinaus wird die statistische Nachprüfbarkeit der Vergehen gegen das Tierschutzgesetz dadurch gemindert, daß die amtliche Kriminalstatistik die Tierquälerei erst seit dem Jahr 1966 erfaßt. Bei der Überprüfung der in der Statistik festgehaltenen Verurteilungen, ergibt sich insgesamt eine rückläufige Tendenz. Wenn für das Jahr 1967 mit 354 Verurteilungen ein Höhepunkt festgestellt werden kann, so geht die Zahl der wegen Vergehen gegen das Tierschutzgesetz Verurteilten bereits 2 Jahre später im Jahre 1969, mit 286 wieder auf den Ausgangsstand von 1966 zurück. Seit diesem Zeitpunkt ist die statistisch ausgewiesene Zahl der Verurteilungen kontinuierlich gesunken und hat mit 204 Verurteilungen im Jahre 1975 den bisherigen Tiefststand erreicht. Noch deutlicher als die absoluten Zahlen können die Kriminalitätsziffern die von statten gegangene Entwicklung im Bereich der Tierquälerei festhalten und aufzeigen. Im Jahre 1966.

als erstmals die Vergehen gegen das Tierschutzgesetz statistisch erfaßt wurden, belief sich die Kriminalitätsziffer auf 0,6, wuchs bis auf einen Höchststand im Jahre 1967 auf 0,75 an, um nach den stagnierenden Jahren 1969 und 1970 mit 0,6 im Jahre 1975 auf den bisher niedrigsten Wert von 0,41 zu fallen. Dieses statistische Zahlenmaterial gibt jedoch nur bedingt die wahre Kriminalität im Bereich der Tierquälerei wieder. Wie jede Statistik ist auch diese mit gewissen Unsicherheitsfaktoren behaftet. Wendet man sich im Rahmen dieser Betrachtungen dem Verhältnis zwischen verurteilten und abgeurteilten Tätern zu, so zeigt sich, daß eine deutliche Divergenz besteht. Hinter dieser Divergenz verbirgt sich echte Tierquälerei - Kriminalität, die insbesondere wegen Freisprüchen oder Einstellungen zu keiner Bestrafung führte. So beträgt der Unterschied bei den Tatbeständen der Tierquälerei in der Zeit von 1966 bis 1976 durchschnittlich 25,1%. Vergleicht man diesen Prozentsatz mit der prozentualen Differenz der Gesamtkriminalität, die sich in dem angegebenen Zeitraum auf etwa 12 % eingependelt hat, so wird deutlich, daß die Differenz zwischen den Abgeurteilten und Verurteilten bei Tierschutzstraftaten fast doppelt so hoch ist. Diese im Verhältnis zur Gesamtkriminalität wesentlich ungünstigere Verurteilungsquote gibt Hinweise darauf, daß die Bewertung der Tierschutzstraftaten als kriminelles Verhalten sehr uneinheitlich ist. Auch und gerade die Gerichte stehen den Vergehen gegen das Tierschutzgesetz sehr skeptisch gegenüber und messen ihnen oftmals nicht den Charakter einer „echten" kriminellen Straftat bei. Was das Verhältnis zwischen ermittelten und abgeurteilten Tätern betrifft, liegen leider keine präzisen massenstatistischen Werte vor. Das gleiche gilt für das Verhältnis zwischen aufgeklärten und bekannt gewordenen Taten. Die Gesamtaufklärungsquote aller Delikte von durchschnittlich 43 % ist nicht repräsentativ für die Vergehen gegen das Tierschutzgesetz, da die Polizei bei Kenntniserlangung von Tierquälereien die Ermittlung mit vergleichsweise geringem Personal- und Materialaufwand durchführt. Der wohl gewichtigste Unsicherheitsfaktor ist die statistisch nicht erfaßte oder von den Strafverfolgungsbehörden überhaupt nicht bemerkte Kriminalität. Das Problem der Dunkelziffer besteht darin, daß exakte Angaben und sichere Werte nicht vorliegen, sondern man nach wie vor auf Schätzungen angewiesen ist, die sich nur auf Erfahrungen oder begrenzt nachprüfbare Eindrücke stützen. Hält man sich die Besonderheiten der Vergehen gegen das Tierschutzgesetz vor Augen, so wird deutlich, daß die allgemeine Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber der Tierquälerei dadurch gekennzeichnet ist, daß ihr bislang weite Teile der Bevölkerung mit geringem Interesse, wenn nicht gar gleichgültig gegenüber standen. Erst in jüngster Zeit wird die Aufmerksamkeit der Bevölkerung durch Presse,

Tierquälerei Rundfunk und Fernsehen auf diese Straftat gelenkt. Schon allein dadurch dürfte das Dunkelfeld recht breit sein. Bedenkt man weiter, daß durch den Boom des Tierhandels und durch die wachsende Zahl der Tierversuche, Tierquälereien mehr und mehr in sozial unauffälligem Rahmen begangen werden können, so läßt sich daraus ein weiterer Anhaltspunkt für eine hohe Dunkelziffer gewinnen. Entscheidend jedoch dürfte sein, daß die Betroffenen, nämlich die Tiere, sich nicht wie Menschen an Strafverfolgungsorgane wenden können und die Taten somit zu einem Großteil unentdeckt bleiben. Unter Berücksichtigung der genannten besonderen Aspekte wird klar, daß die Dunkelziffer bei Tierquälereien weit über dem Durchschnitt liegt und eine Schätzung von 5 0 0 0 : 1 eher zu niedrig als zu hoch angesetzt ist. Unter Einbeziehung der dargelegten Umstände ist die erhebliche Diskrepanz zwischen tatsächlicher und statistisch ausgewiesener Kriminalität leicht einsehbar. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man sich nochmals vor Augen hält, daß die Zahl der wegen Tierquälerei Verurteilten laut Kriminalstatistik nicht nur stagniert, sondern sogar kontinuierlich abnimmt, die tatsächlichen Vergehen gegen das Tierschutzgesetz dagegen rapide ansteigen. Besonders die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik Deutschland, die Automatisierungsbestrebungen auch in der Landwirtschaft und in der medizinisch-pharmazeutischen Industrie (bei Tierversuchen) erfordert, scheint zunehmend für den in Frage stehenden Deliktstypus an Bedeutung zu gewinnen. Der Zwang, konkurrenzfähig zu bleiben, treibt die Landwirtschaft und die Industrie zu profitsteigernden Maßnahmen, so daß viele Tiere nur noch wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden und damit mehr und mehr gefährdet sind, Opfer von Tierquälereien zu werden. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die überdurchschnittlich große Dunkelziffer die wahre Kriminalität völlig verdeckt, wobei sich die statistisch erfaßten Vergehen gegen das Tierschutzgesetz vor dem Hintergrund der tatsächlichen Delinquenz wie die Spitze eines Eisberges ausnehmen.

4.

Kriminalphänomenologie

Bei dem Versuch, das allgemeine Erscheinungsbild der Tierquälerei darzustellen, kommt es besonders darauf an, Tatort, Tatzeit, Tatmittel und den Schaden zu reflektieren. In zunehmendem Maße werden Tierquälereien heute in Mittel- und Großstädten begangen. Das hängt damit zusammen, daß im Verlauf zunehmender Industrialisierung und dem damit einhergehenden technischen und medizinischen Fortschritt sich der große Überhang an Tieren auf dem Lande zumindest partiell auf die Großstädte verlagert hat. Die in den städtischen Ballungszentren angesiedelten Pharmaindustrien, medizinischen Versuchsla-

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bors und technischen Institute halten in der Bundesrepublik eine überaus große Anzahl von Versuchstieren, deren Zahlen für die Bundesrepublik Deutschland schätzungsweise mit 15-20 Millionen angegeben wird. Allein in den Pharmakonzernen der Großstädte, die in der flächenmäßig kleinen Schweiz besonders stark vertreten sind, besteht ein Jahresbedarf an Versuchstieren von 3 Millionen Nagetieren, 2500 Katzen, 3000 Hunden und 1000 Affen. Diese Zahlen sind nicht geeignet, eine wirkliche Aussage über Tierquälerei in diesem Bereich zu machen. Sie können nur verdeutlichen, daß aufgrund der Quantität die Möglichkeit vermehrter Tierquälerei in den Mittel- und Großstädten gegeben ist. Hinzu kommt, daß die private Haustierhaltung in den Mittel- und Großstädten kontinuierlich ansteigt und bereits im Jahre 1974 einen Stand von 37,3 Millionen erreicht hatte. Diese Zahlen lassen vermuten, daß mit zunehmender Tendenz heutzutage Tierschutzstraftaten in Städten begangen werden. Dabei darf jedoch das Aufkommen der Tierschutzstraftaten in ländlichen Gebieten nicht unterschätzt werden. Dies gilt gerade im Hinblick auf die neuzeitliche Intensivhaltung von landwirtschaftlichen Nutztieren. Immerhin belief sich im Jahre 1974 die geschätzte Gesamtzahl landwirtschaftlicher Nutztiere auf 127,6 Millionen. Was die Tatzeit anbetrifft, so ergeben sich hier keine Besonderheiten gegenüber anderen Straftaten. Als Tatmittel kommen insbesondere Schuß- und Stichwaffen, für kleinere Tiere, wie Hasen, Kaninchen, Hühner etc. Schlagwerkzeuge aus Holz oder Metall in Betracht. Der Einsatz von elektrischem Strom zur gleichzeitigen Tötung mehrerer Tiere ist beispielsweise in Großschlachtanlagen für Geflügel vorzufinden. Selbst der Gebrauch chemisch-physikalischer Mittel (Einleitung von C 0 2 in verschlossene Behälter, in denen sich die Tiere befinden) ist, vor allem in England, üblich. Die besondere tierschutzrechtliche Problematik bei all diesen Tötungsmethoden ergibt sich meistens dann, wenn sie von Laien ohne Kenntnis und Anwendung der bestehenden tierschutzgerechten Möglichkeiten durchgeführt werden. Insgesamt läßt sich sagen, daß die unterschiedlichsten Tatwerkzeuge bei der Tierquälerei zur Anwendung kommen, wobei die aufgezeigten nur einen gewissen Eindruck vermitteln sollen. Ein interessanter Aspekt ist, daß durch Tierschutzstraftaten gemäß § 17 TschG auch erhebliche wirtschaftliche Vermögenspositionen tangiert sein können. Immerhin stellen der Viehbestand in der Landwirtschaft, das Tieraufkommen im gewerblichen Handel und die große Anzahl von Versuchstieren, einen finanziellen Gegenwert in Milliardenhöhe dar, der als echter Kostenfaktor in die betriebswirtschaftliche Rechnung eingeht. Das Tier wird mehr und mehr wirtschaftliches Produkt oder Produktionsmittel und stellt für den Eigentümer gerade hinsichtlich der Nutztier- und Versuchstierhaltung einen echten Vermögenswert dar. Der

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Tierquälerei

mögliche Wertverlust, der durch Tierschutzstraftaten eintreten kann, zeigt sich deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß eine legereife Junghenne zwischen 10,- DM und 15,- DM kostet. Große Geflügelzuchtbetriebe halten bis zu 30000 Junghennen zum Verkauf bereit, die demnach einen Wert von 300000, - bis 450000,- DM verkörpern. Der Produktionswert der Geflügelhaltung erreichte im Wirtschaftsjahr 1973/74 in der Bundesrepublik Deutschland die Höhe von 3,71 Milliarden DM. Vergleichsweise sehr viel höher liegen die Vermögenswerte bei Rindern oder Schweinen. Auch für die einzelnen Industriezweige nehmen die Versuchstiere an Bedeutung für die Kostenrechnung stetig zu. Die Zahl der Tiere, die für wissenschaftliche Versuche benutzt werden, steigt laufend. Nach Schätzungen werden in der Bundesrepublik Deutschland 15-20 Millionen Versuchstiere pro Jahr benötigt, in den USA sogar 60-70 Millionen. Den möglichen materiellen Schäden als Folge von Tierquälereien stehen die Schäden gegenüber, die dem Tier selbst zugefügt werden. Allgemein spricht man von einem Schaden bei einem Tier dann, wenn Beeinträchtigungen der Unversehrtheit der Tiere - meist durch Schmerzen oder Leiden hervorgerufen - vorliegen. Die Schädigung kann körperlicher oder psychischer Art sein, wobei eine andauernde Wirkung nicht erforderlich ist, sondern eine vorübergehende Beeinträchtigung ausreicht. Es läßt sich daher feststellen, daß das Wesen des Schadens in diesem Zusammenhang darin liegt, daß der Zustand, in dem sich das Tier befindet, zum Schlechteren verändert wird. So treten oft nach außen hin leicht sichtbare Schäden, wie große Fleischwunden, Verstümmelungen der Gliedmaßen und Verletzungen der Augen und Ohren auf. Wenn Tiere auf engem Raum in großer Zahl gehalten werden, wie bei allen Formen der Intensivhaltung, können wegen der erhöhten Ansteckungsgefahr Zystenbildung, eitrige Infektionen oder Seuchen, die mit Haarausfall, Hautkrankheiten oder sonstigen Fellverletzungen einhergehen, auftreten. Die Intensivhaltung führt bisweilen als Folge von Bewegungsmangel zu Herz- und Kreislaufstörungen. Immer wieder werden von Tierärzten Schädigungen an Leber, Milz, Nieren oder Lunge diagnostiziert, die unmittelbar durch Tierquälereien verursacht wurden; auch werden immer wieder Magen-DarmBeschwerden beobachtet. Innerhalb des Bereichs der Muskeln und des Nervensystems werden Krämpfe, Lähmungserscheinungen oder Nervenerkrankungen als schadhafte Folge von Tierquälereien bemerkt. Ein weiteres, wesentlich schwieriger zu diagnostizierendes Feld möglicher Schädigungen bieten die von der Verhaltensforschung und Tierpsychologie erkannten psychischen Beeinträchtigungen, wie Hysterien, Neurosen, Psychopatien, Psychosen oder Triebhemmungen, die vor allem Folge von Angst- und Schreckerlebnissen oder ganz allgemein von Konfliktsituationen sind. Bei den

besonderen Erscheinungsformen kann in diesem Rahmen nur eine gewisse Auswahl getroffen werden. Es sind diejenigen hervorzuheben, die für die heutige Zeit besonders charakteristisch sind. Dabei ist zuerst an die Tierquälerei aus wirtschaftlichen Gründen zu denken. Tiermißhandlungen aus wirtschaftlichen Gründen rücken im Blick auf die Bedeutsamkeit für dieses Delikt immer mehr in den Vordergrund. Die Nachfrage nach tierischen Produkten steigt ständig, wobei die Nachfrage im gleichen Maße nach Eiern, Käse, Milch und Butter wächst, wie das Bedürfnis der Bevölkerung nach Fleisch, worauf die steigende Anzahl des Tierbestandes in der Nutztierhaltung zurückzuführen ist. So belief sich der Schweinebestand nach der letzten Schlachtviehzählung im Dezember 1977 auf 21,45 Millionen. Dies war ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 866000, also 4,2%. Auch der Rinderbestand stieg, wenn auch im Verhältnis zum Schweinebestand geringer, um 280000 oder 1,8% auf 14,76 Millionen. Wie bereits gezeigt, nimmt das Aufkommen an Versuchstieren merklich zu und die private Haustierhaltung wächst an, so daß für das Jahr 1974 8 Millionen Hunde, Katzen, Meerschweinchen und Goldhamster gezählt wurden. Schon diese wenigen Zahlen zeigen, daß die Tiere inzwischen wirtschaftlich sehr interessant sind, weil sie infolge der großen allgemeinen Nachfrage in den betreffenden Wirtschaftssparten leicht kalkulierbar sind und mit hoher Gewinnspanne abgesetzt werden können. Das Tier als Ware und Produktionsmittel nimmt daher an vielen Sparten des Wirtschaftslebens, besonders auf dem Ernährungssektor, teil. Der sich in den letzten Jahren immer mehr ausdehnende Tierhandel erstreckt sich nicht nur auf die Bundesrepublik Deutschland, sondern wird, häufig durch internationale Verträge, auch mit anderen europäischen oder überseeischen Staaten betrieben, d. h. der Tierhandel wird inzwischen auf internationaler Ebene abgewickelt. Der Ex- und Import von Tieren hat insgesamt gesehen zur Vergrößerung des Viehbestandes geführt. Dieser Bestandszuwachs sowie der Übergang zur arbeitsteiligen Wirtschaftsweise und die dadurch bedingte Ausweitung des Tiertransportwesens haben große Probleme bezüglich eines tierschutzgerechten Transportwesens der Tiere mit sich gebracht. Tierquälereien im Zusammenhang mit Tiertransporten treten auffallend häufig auf. Dies liegt daran, daß die Tiere bei einem Transport, bei dem regelmäßig eine Vielzahl von Tieren befördert wird, erheblichen Belastungen ausgesetzt sind. Das Einfangen und die Herausnahme aus der gewohnten Umgebung, das Zusammentreffen mit fremden Menschen und Artgenossen sowie die transportbedingten Zwangsmaßnahmen verursachen oft Erregungsund Angstzustände, die die Tiere nicht immer zu kompensieren vermögen, und die dann Schmerzen, Leiden oder Schäden auslösen können. Ob und wie

Tierquälerei sich diese Belastungen letzten Endes auswirken, ist tierspezifisch und individuell verschieden und hängt von dem jeweiligen Adaptionsvermögen des Tieres ab. Dabei wirkt sich das wirtschaftliche Bestreben, diese Transporte möglichst rentabel durchzuführen jedoch dahingehend aus, daß eine größtmögliche Anzahl von Tieren auf einem möglichst kleinen Raum untergebracht wird. Bei Massentransporten dieser Art leiden die Tiere wegen der meist unzureichenden Lüftung und übergroßen Ladedichte regelmäßig an deutlich überhöhter Körpertemperatur (40°C und höher), Herz- und Atemfrequenz. In Extremfällen kann das zum qualvollen Tod einzelner Tiere führen. Die Mißstände werden noch dadurch aufrecht erhalten und gefördert, daß es an geeigneten Fachkräften für den Tiertransport fehlt, die die notwendigen anfallenden Arbeiten fachkundig ausführen. Als eine der wichtigsten Aufgaben dieser Fachkräfte ist die regelmäßige nach den artspezifischen Bedürfnissen ausgerichtete Fütterung der Tiere zu nennen, denn immer wieder kommen Todesfälle vor, die durch Verhungern auf den langen Transporten eingetreten sind. Schließlich lassen sich grausame Tierquälereien durch ungeeignete oder schadhafte Transportmittel feststellen. Im Rahmen der Tiertransporte kommt dem Nachnahmeversand von Tieren im Inland besondere Bedeutung zu. Immerhin werden im Jahresdurchschnitt in der Bundesrepublik Deutschland rund 61000 Paket- und 11000 Briefsendungen mit Tieren verschickt, davon etwa die Hälfte per Nachnahme. 30000 Welpen erreichen jährlich mit Bahnexpreß ihren neuen Besitzer. Die auf diese Weise versandten Tiere werden besonders dann starken Qualen ausgesetzt, wenn - wie es oft bei dieser Versendungsart passiert - die Annahme der Sendung durch den Empfänger verweigert, oder sogar die Rücknahme durch den Absender abgelehnt wird. Dadurch verlängert sich der ursprünglich veranschlagte Transportweg um 100 % für den Rücktransport, wobei die effektive Zeit (durch Wartezeiten bedingt), die die Tiere auf dem Transportweg verbringen, zum Teil sehr viel höher liegt. Daraus folgt Sauerstoff-, Pflege- und Nahrungsmangel, der das Leben der Tiere schwerwiegend gefährdet und allzu häufig zum qualvollen Tod vieler Tiere führt. Aus den dargelegten Gründen zeigt sich, daß der Tiertransport im Rahmen eines ständig wachsenden Tierhandels sehr anfällig für Mißhandlungen oder Qualen an Tieren ist, da es dabei nur um die Erreichung eines wirtschaftlichen Zieles geht und das Tier als Ware, ohne Rücksicht auf sein Leben, behandelt wird. Dieser Sachlage versuchte der Gesetzgeber in § 3 Nr. 9 TschG Rechnung zu tragen, in dem er den Nachnahmeversand von Tieren verbot. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat jedoch auf Betreiben der Landwirte und Geflügelzüchter das in § 3 Nr. 9 TschG enthaltene Nachnahmeversandverbot als verfassungswidrig aufgehoben und erklärt, das Verbot der Nachnahmeversendung

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lebender Tiere sei in seiner gegenwärtigen undifferenzierten Fassung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Inzwischen hat sich der Deutsche Tierschutzbund mit der Deutschen Bundespost in Verbindung gesetzt und vereinbart, daß innerhalb der allgemeinen Annahmezeiten Sendungen mit lebenden Tieren jeweils nur von Montag bis Mittwoch zur Postbeförderung angenommen werden dürfen. Immer wieder findet Tierquälerei auch bei der Tierhaltung statt. In diesem Zusammenhang ist gerade die Batteriehaltung von Legehennen in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gerückt. Die Batteriehaltung von Geflügel ermöglicht, eine Vielzahl von Tieren in eng stehender Reihenfolge in Käfigbatterien auf relativ kleinem Raum zu halten. Zur Haltung großer gleichartiger Nutztierbestände auf begrenztem Raum in neuzeitlichen Haltungssystemen ist man gekommen, weil der große ganzjährige Bedarf an frischen Geflügelprodukten nicht mehr mit der traditionellen Auslauf- bzw. Freilaufhaltung, die auch jahreszeitlich bedingten Schwankungen unterworfen war, befriedigt werden konnte. Die Wandlung der Nutzgeflügelhaltung vom vertrauten Bild der Hühnerschar auf dem Bauernhof zur intensiven Stallhaltung steht also unmittelbar mit der Nachfrage in Zusammenhang. Die gesamte Geflügelwirtschaft ist in den letzten 20 Jahren zu einer bedeutenden volkswirtschaftlichen Größenordnung gelangt. Wie schon erwähnt, erreichte der Produktionswert der Geflügelhaltung im Wirtschaftsjahr 1973/74 in der Bundesrepublik Deutschland eine Höhe von 3,71 Milliarden DM, wovon 2,86 Milliarden DM auf Eier und 760 Millionen DM auf Geflügelfleisch entfielen. Am Gesamtwert der landwirtschaftlichen Produktion hat die Geflügelhaltung einen Anteil von 7,8%. Der Gesamtverbrauch an Masthähnchen betrug 1972 362000 t, die nur zu 4 5 % im Lande produziert werden konnten. Auch der Pro-Kopf-Verbrauch an Eiern steigt ständig und ist bei 292 Stück jährlich angelangt, so daß im Wirtschaftsjahr 1974/75 insgesamt 18 Milliarden Eier konsumiert wurden. Die bundesdeutsche Landwirtschaft konnte in diesem Jahr fast 2,5 Milliarden DM Verkaufserlös allein aus dem Eierhandel erzielen. Diese Zahlen machen eindrucksvoll klar, daß die Batteriehaltung von Geflügel vor allem eine Reaktion auf die gesteigerte Nachfrage war. Wendet man sich nun den Schäden zu, die zum Teil durch die Batteriehaltung an den Tieren entstehen, so zeigt sich, daß die Tiere einer breiten Palette von möglichen Qualen ausgesetzt sind. Es gibt Käfige, die so eng sind, daß die jungen Legehennen nicht aufrecht auf den schrägen Drahtrosten stehen können. Insbesondere widerspricht diese Art von Tierhaltung der verhaltensgerechten Unterbringung, da sich die Tiere nicht arttypisch verhalten können. So fehlt ihnen die Möglichkeit der Gefiederpflege, des Staubbadens, des Scharrens und der Ausstreckung. Diese Unterdrückung der natürlichen Verhaltensweisen in Verbindung

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Tierquälerei

mit der künstlichen Beleuchtung können im günstigsten Fall zu Knochen- und Gelenkerkrankungen führen. Die Gefahr ansteckender Krankheiten steigt, und tritt eine solche auf, so stirbt eine große Anzahl der Tiere. Die wohl schlimmste Auswirkung der Batteriehaltung dürfte der immer wieder zu beobachtende Kannibalismus sein, bei dem sich die Tiere gegenseitig die Augen aushacken, andere Körperverletzungen beibringen oder gar töten. Oftmals wird die Legeleistung der Hennen durch Aufzuchtart, Futtermittelzusätze und medikamentöse Behandlung so gesteigert, daß die Tiere infolge hohen Kalkmangels ihr Federkleid teilweise oder völlig verlieren. Wohin dieser Trend führt, wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß mittlerweile Züchtungen versucht werden, bei denen die Tiere kein Gefieder mehr haben, um möglichst viele Tiere nebeneinander in dem Käfig unterzubringen. Ein möglichst ausgewogenes Bild von dieser Erscheinungsform erfordert den Hinweis, daß diese Form der Massentierhaltung auch positive Aspekte hat. Gerade im Hinblick auf die Preisbildung wirkt sich die Käfighaltung kostengünstig aus. Gegenüber allen anderen Produktionskosten für Eier ist die Kostenlast bei Bateriehennenhaltung am geringsten. Auch wird immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß die Tiere bei dieser Haltung einen ganzjährigen Schutz vor Witterungseinflüssen genießen. Darüber hinaus verbessert sich die Möglichkeit der Einstellung der optimalen Raumtemperatur und die regelmäßige Futter- und Wasserversorgung ist gewährleistet. Außerdem kann die lebensmittelhygienische Überwachung der Geflügelprodukte aufrecht erhalten und weiter entwickelt werden. Die Erscheinungsform der Batteriehaltung wird auch von der Justiz nicht einheitlich beurteilt. So hat die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Stuttgart die Einstellung des wegen Tierquälerei im Zusammenhang mit der Batteriehaltung von Junghennen betriebenen Verfahrens beschlossen, mit der Begründung, daß zwar objektiv der Tatbestand der Tierquälerei erfüllt sei, aber subjektiv den Haltern von „Batteriehühnern" kein Vorwurf zu machen sei. Sinngemäß wird weiter ausgeführt, daß die Käfighaltung weit verbreitet sei und von staatlichen Behörden und Interessenverbänden befürwortet werde, so daß von dem einzelnen Halter nicht die Erkenntnis verlangt werden könne, er verstoße objektiv gegen das Tierschutzgesetz. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hingegen hat in einer Entscheidung gesagt, die Batteriehaltung von Legehennen sei „eine Form der Nutztierhaltung, die Grund zu ernsten Bedenken und somit um die weitere Entwicklung gibt." Nicht selten sind auch im sportlichen Bereich Tierquälereien anzutreffen. Nach wie vor ist im Bereich des Sports das Tier sehr beliebt. Dabei sind die Sportarten, bei denen der Mensch zusammen

mit dem Tier eine sportliche Leistung vollbringt zum Beispiel Pferderennen - von den Sportarten zu unterscheiden, bei denen ausschließlich das Tier im Mittelpunkt des sportlichen Geschehens steht und der Mensch nur als Zuschauer fungiert. Dazu gehören die in Südeuropa sehr beliebten Hahnenkämpfe oder die vorwiegend in England durchgeführten Hunderennen. Am Stierkampf, der wohl eine besondere Stellung einnimmt, sind zwar Menschen beteiligt, jedoch mit der Besonderheit, daß der Mensch als Sieger immer schon zu Beginn des Kampfes feststeht und dem Stier keine Chance bleibt. Der in der breiten Öffentlichkeit am meisten bekannte Tierkampf ist der hauptsächlich in Spanien veranstaltete Stierkampf. Diese Kampfart verläuft in spanischen Arenen nach einem strengen Zeremoniell, das aus dem Ende des 18. Jahrhunderts stammt. Der Stier hat keine Chance, mit dem Leben davon zu kommen, sondern muß dem Ritus entsprechend sterben. Dabei wird der Tod des Stieres qualvoll vorbereitet. Vor dem Todesstoß mit dem Degen wird das Tier mit spitzen Lanzen, die ihm ein Reiter (Picadores) vom Pferd aus in den Nacken stößt, gepeinigt. Durch den Schmerz bäumt sich das Tier auf und bohrt sich dadurch die Lanzenspitze des Reiters unwillkürlich tiefer in den Rücken. Im weiteren Verlauf des Kampfes werden dem Tier bunte, pfeilartige Stechwerkzeuge in den Rücken gespießt, die im Rückenfleisch des Tieres verbleiben und klaffende Wunden hinterlassen und dem Tier qualvolle Schmerzen bereiten. Wenn das Tier fast zu Tode gehetzt ist, bekommt es durch den Matador den Todesstoß, wobei die Prozedur im Fall des Mißlingens mehrfach wiederholt wird. Dadurch werden dem Tier Lungenstiche beigebracht, die zum strahlartigen Blutausfluß aus dem Maul des Tieres führen. Aber auch die Pferde der LanzenreiteT erleiden oft trotz ihres gepolsterten Schutzumhanges tiefe Fleischwunden, die teilweise zum Tode führen. Eine im Jahre 1974 veröffentlichte Statistik zeigt, daß in diesem Jahr in ca. 300 Arenen insgesamt 678 Stierkämpfe mit 4 068 Bullen und 452 Stierkämpfe mit 2172 Jungtieren stattfanden. Bei diesen Kämpfen wurden auch 218 Pferde durch Verletzungen durch den Stier getötet. Insgesamt läßt sich sagen, daß es sich bei Stierkämpfen im Grunde nicht um echte Kämpfe handelt, sondern mehr um Jagden, da der Stier keine Überlebenschance hat. Eine andere Tierkampfart sind die Hahnenkämpfe wie sie in Portugal, Südfrankreich, Spanien und Mexiko stattfinden. Tierquälereien kommen bei diesen Kämpfen immer vor, da der Kampf so angelegt ist, daß beide Tiere mit ihren Schnäbeln und Krallen aufeinander losgehen. Dabei hacken zwei Kampfhähne so lange auf sich ein, bis einer den Tod erleidet oder völlig erschöpft auf dem Boden liegen bleibt. Durch das Hacken bringen sich die Hähne tiefe Fleischwunden bei, teilweise hacken sie sich sogar gegenseitig die Augen aus. Demgegen-

Tierquälerei über stellen die vor allem im anglo-amerikanischen Kulturkreis veranstalteten Hunderennen eine relativ harmlose Wettkampfart dar. Die Rennhunde laufen einem vor ihrer Nase entlanggezogenen Hasen nach und erreichen dabei die beachtliche Geschwindigkeit von 70 km/h. Nur selten erliegen die sehr gut konditionierten Tiere einem Herz- oder Kreislaufversagen infolge körperlicher Überanstrengung. Auch im Pferdesport lassen sich durchaus Tierquälereien beobachten. Der überwiegende Teil der gegenwärtig in der Bundesrepublik gehaltenen 340000 Pferde dient sportlichen Zwecken. Dem Pferd begegnet man heute im Turnier- und Fahrsport ebenso wie im Galopp- und Trabrennsport, bei Vielseitigkeitsprüfungen oder Hindernisrennen, aber auch beim Polospiel oder Freizeitritt. Pferde sind für Tierquälereien im besonderen Maße anfällig, da sie bei Schmerz- und Leidensempfindungen keine oder ganz selten Laute von sich geben. Da sie demnach nicht auf ihre Schmerzen aufmerksam machen, werden Schmerzen oder Leiden zumeist spät bemerkt. Zum anderen kommen bei einem Täter kein Mitleid oder sonstige psychische Hemmungen auf, die sich möglicherweise bei Schmerzlauten einstellen würden. Die wohl am häufigsten anzutreffende Schädigung bei unsachgemäßer Pferdehaltung dürfte durch Bewegungsmangel eintreten. In seinem natürlichen Lebensraum, der Steppe, ist das Pferd an Ungebundenheit und an Bewegung im großen Raum gewöhnt. Um so mehr leidet es, wenn es tagelang in einer Stallbox stehen muß, ohne daß es ausgeritten oder sonstwie bewegt wird. Besonders häufig lassen sich infolge des Bewegungsmangels Gelenkschädigungen feststellen. Bisweilen werden die Tiere in den Ställen sehr eng angebunden und fügen sich durch Kopf- und Körperbewegungen Hautwunden zu. Die psychische Folge dieser Bewegungsarmut zeigt sich in Abstumpfung, Verspanntheit, Übererregbarkeit und in einem aufgestauten Bewegungstrieb, der in pathologischer Weise durch Durchgehen, Gegen-HindernisseSpringen und blindwütiges Rasen zum Tragen kommt. Mangelnde Pflege führt zur Entzündung der Gelenke und zu schmerzhaften Hufschäden. Während der sportlichen Reitveranstaltung ist eine eventuelle Tierquälerei kaum in der Öffentlichkeit zu bemerken, sondern vorher oder nachher auf dem Abreite- oder Vorbereitungsplatz. In diesem Zusammenhang ist zunächst auf die wachsende Anzahl der Dopingfälle im Reitsport hinzuweisen, bei denen die Leistung der Pferde durch Einsatz von mechanischen oder medikamentösen Mitteln erhöht wird. Besonders deutlich ist die Tierquälerei beim Einsatz mechanischer Mittel. So werden den Pferden zum Teil mittels elektrischer Apparate, die unter dem Sattel installiert werden, Stromstöße verabreicht, die sie zum schnelleren Laufen veranlassen. Auch kommt es hinzu, daß Nadeln, Nägel oder Stifte unter dem Sattel verteilt werden, die dann das

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Pferd beim Lauf peinigen; selbst vor der Benutzung von mit Metalleinlagen versehenen Reitpeitschen schrecken die Täter nicht zurück. Allgemein wird der übermäßige Gebrauch von Reitpeitschen und Sporen auf dem Reitplatz mißbilligt. Daher hat in der Leistungsprüfungsordnung (LPO) für Turnierpferde und Rennordnung (RO) der Terminus „Unreiterliches Benehmen" einen festen Platz. Erwähnenswert ist noch, daß die ünkenntnis von Anfängern immer wieder zur unsachgemäßen Zäumung der Pferde führt, wodurch die Atmung nachhaltig behindert werden kann. Schließlich führen die Hindernisrennen, die die Leistungskraft der Pferde übersteigen, zu gefährlichen Stürzen, bei denen die Tiere schwere Verletzungen, besonders Knochenbrüche davontragen, wobei sogar der sofortige Tod durch Genickbruch bei einem solchen Sturz verursacht werden kann. Bevor das Augenmerk auf Tierquälereien im Rahmen wissenschaftlicher Forschung zu wenden ist, ist darauf hinzuweisen, daß die §§ 7-10 TschG sich ausschließlich mit Tierversuchen beschäftigen und bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Tierexperimente erlaubt sind. Schon daraus läßt sich entnehmen, daß zumindest der Gesetzgeber nicht alle Versuche an Tieren als Tierquälerei einstuft. Vielmehr ist eine Tierschutzstraftat im Sinne von § 17 TschG vor allem in Fällen des Exzesses zu denken, oder wenn das Vergehen bei Gelegenheit des an sich erlaubten Tierversuches begangen wird. Dies bedeutet, daß nachdrücklich darauf hingewiesen werden muß, daß Tierquälereien im Rahmen wissenschaftlicher Forschung wohl auf Ausnahmen beschränkt sind. Heutzutage werden Tierexperimente auf vielen Gebieten der medizinischen und naturwissenschaftlichen Forschung gemacht. Sie werden immer dann als notwendig erachtet, wenn die Wechselwirkung einiger Organsysteme untereinander und die verschiedenartigen Einflüsse auf diese Wechselwirkungen geprüft werden müssen. Dazu gehören unter anderem Untersuchungen zur Erforschung der Störung der Organsysteme untereinander, zur Bestimmung von Wirkungsrichtung, Resorption, Verteilung, biochemischer Umwandlung, Metabolismus und Ausscheidung von Pharmaka usw. Zu diesen Tierexperimenten werden die unterschiedlichsten Tierarten verwendet. Vor allem Hunde, Katzen, Affen, Kaninchen, Schweine, Schafe, Kälber, Pferde, Hühner, Ratten, Mäuse und Vögel werden bei den Versuchen herangezogen. Im Rahmen der Tierversuche ist klarzustellen, daß man lediglich auf vage Schätzungen angewiesen ist. So werden 15 bis 20 Millionen Versuchstiere schätzungsweise in der Bundesrepublik Deutschland gehalten. Weitere Schätzungen gehen dahin, daß täglich allein in der Bundesrepublik mittlerweile 60 000 Tiere einem Versuch unterworfen werden. Diese Entwicklung beschränkt sich nicht auf die Bundesrepublik Deutschland, sondern in jedem technologisch entwickelten Land, gleich ob im We-

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Tierquälerei

sten oder Osten, wird mit Tierversuchen gearbeitet. So finden jährlich in England 6 Millionen und Amerika 9 Millionen Versuche statt, wobei in England 88 % der Versuche ohne Betäubung durchgeführt werden. Der Finanzaufwand, der für Tierversuche betrieben wird, ist ganz erheblich. Das Versuchstierhaus der medizinischen Hochschule Hannover hat während einer Bauzeit von 5 Jahren 25 Millionen DM gekostet, das Primatenzentrum in Göttingen hat 50 Millionen DM an Kosten verursacht. Besonders deutlich wird der Kostenaufwand, wenn man sich daran erinnert, daß der Pharmakonzern der Firma Merk 1975 über 50 Millionen DM für die Forschung ausgegeben hat, wobei 90 % dieser Summe auf Tierversuche entfielen. In den USA wurden im gleichen Jahr 25 Milliarden Dollar von der Regierung zur Subventionierung von Laboratorien bewilligt, davon wurden 90 % unmittelbar oder mittelbar für Tierversuche ausgegeben. Betrachtet man diese Zahlen und berücksichtigt dabei, daß in vielen Fällen Regierungen oder Industrien Zahlenmaterial über Tierversuche nicht veröffentlichen, so läßt sich ein eindrucksvolles Bild vom Kapitalaufwand gewinnen, mit dessen Hilfe die Tierversuche finanziert werden. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, daß inzwischen Versuchsmethoden entwickelt werden, die den Tieren weitgehende Schmerzlosigkeit ermöglichen. Eine ausgesprochen interessante Erscheinungsform der Tierquälerei ist die Tierquälerei durch Kinder und Jugendliche. Wenn auch diese Gruppen im Verhältnis zu anderen Erscheinungsformen zahlenmäßig nicht sehr ins Gewicht fallen, so sind Tiermißhandlungen durch Kinder und Jugendliche immer wieder anzutreffen. Dies mag auch damit zusammenhängen, daß Kinder und Jugendliche Tieren gegenüber nicht das Maß an Verantwortung spüren, wie es erforderlich ist, um ein Tier regelmäßig pflegerisch zu versorgen. Die Fälle echter Tierquälerei dürften sich dabei überwiegend außer Haus, also nicht am eigenen Haustier, das in der Familie lebt, vollziehen, da Eltern zum Großteil korrigierend eingreifen. Treffen Kinder oder Jugendliche auf fremde Tiere, ist vielfach die Angst vor dem unbekannten Tier und eine damit verbundene Überreaktion Ursache der Tatbegehung. Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang die Tatbegehung durch Kinder oder Jugendliche, die ihrem Bewegungsdrang und Übermut nachgeben und, noch ohne Gefühl und Verständnis für ein Tier, dieses quälen oder mißhandeln. So warfen Kinder eine verletzte Katze in einen Bach. Als sich das Tier mühsam daraus gerettet hatte, wurde es mit Steinen und Flaschen geschlagen und mit Fußtritten bearbeitet, bis es tot liegen blieb. In einem anderen Fall schössen Kinder mit Pfeil und Bogen auf Ziervögel und anderes Geflügel. Die zum Teil getöteten Tiere warfen sie ins Gewässer. Bei der Gruppe, die aus rational unverständlichen Gründen Tiere quält, befinden sich vor allem Täter, die aufgrund ihrer

psychischen Struktur von der Norm abweichen und daher allgemein anders reagieren, als unter normalen Voraussetzungen zu erwarten ist. Hemmungen, die der normal Denkende und Empfindende hat, sind diesen Tätern unbekannt oder sie sind zumindest wenig ausgeprägt und können zu Triebanomalien führen. Eine solche Triebanomalie kann das Bild der Sodomie aufweisen. Sexuelle Handlungen mit Tieren sind bisweilen echte Triebanomalien und kommen als sexuelle Perversion relativ selten vor. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, daß es sich bei dem in Frage kommenden Täterkreis verhältnismäßig selten um wirklich psychisch Kranke handelt. Dies bedeutet, daß es dem Täter überwiegend um normale geschlechtliche Befriedigung geht, der Ausweg jedoch bei einem Tier gesucht wird, weil ein Verkehr mit Frauen nicht oder nicht ohne weiteres möglich ist. Das Tier dient in diesen Fällen gewissermaßen als „Notlösung" für eine an sich normale Triebveranlagung. Vielfach sind auch Schwachsinnige an sodomistischen Akten beteiligt. Insgesamt hat sich somit gezeigt, daß die Erscheinungsformen der Tierquälerei nahezu unerschöpflich sind und eine breite Palette beinhalten. 5. Mögliche Ursachen der Tierquälerei Wendet man sich im Rahmen der Betrachtung über die Ursachen der Tierquälerei dem Geschlecht zu, so zeigt sich, daß Frauen mit einem Anteil von durchschnittlich 10 bis 15 % an der Gesamtkriminalität beteiligt sind. Seitdem die Tierquälerei im Jahre 1966 in der Kriminalstatistik massenstatistisch erfaßt wird, haben Frauen bezüglich der Tierquälerei einschließlich 1976 einen durchschnittlichen Anteil von 8,3 %. Damit bleiben die Frauen, die Tierquälerei begehen, mit ca. 2-7 % gegenüber denen im Verhältnis zur Gesamtkriminalität zurück und sind demnach unterdurchschnittlich belastet. Den bisher niedrigsten Stand hatten die Frauen im Jahre 1976 erreicht, in dem sie an der Tierquälerei nur einen Anteil von 5,3 % hatten. Bei der Tierquälerei bewahrheitet sich die Erfahrung der Kriminologie, daß die Kriminalität der Frau stets sehr viel geringer ist, als die des Mannes. Der Grund für den geringen Anteil der Frauen an der Tierquälerei dürfte teilweise darin liegen, daß zumindest in der Landwirtschaft die Viehversorgung - jedenfalls bei den besonders gefährlichen Tierarten - von Männern übernommen wird, während sich Frauen mehr um die Kinder und den ländlichen Haushalt kümmern und somit weniger mit den Tieren in Kontakt kommen. Eine weitere mögliche Erklärung für den geringen Anteil der Frauen an der Tierquälerei könnte die Tatsache sein, daß es sich hierbei um ein Delikt handelt, das zumindest bei großen Tieren wie Rindern, Kälbern, Schweinen, Pferden und großen Hunden mit erheblichem Kraftaufwand verbunden ist, den Frauen nicht in dem Maße leisten können wie Männer. Auch im Rahmen wissen-

Tierquälerei schaftlicher Forschung dürften die Frauen weniger an tierquälerischen Exzessen beteiligt sein, da wissenschaftliche Berufe überwiegend von Männern ausgeübt werden. Erst in den letzten 15 bis 20 Jahren ist ein deutliches Anwachsen weiblicher Akademiker zu verzeichnen, was sich naturgemäß auch auf den Forschungsbereich auswirkt. Im Hinblick auf das Alter liegt der Schwerpunkt der Kriminalität bei Tätern im Alter von 18 bis 30 Jahren. Diese Rahmenwerte sind bei dem Delikt der Tierquälerei deutlich verschoben. Der Schwerpunkt ist bei dieser Deliktsgruppe mit 40 bis 50 % bei Menschen im Alter von 30 bis 50 Jahren. Auffallend ist der relativ große Anteil der über 50 Jahre alten Täter, der immer mehr als 20% beträgt. Ist die Tierquälerei demnach ein typisches Erwachsenendelikt, so dürfte die Ursache vor allem in dem erforderlichen Kraftaufwand, der mit dieser Deliktsbegehung verbunden ist, zu suchen sein. Darüber hinaus fallen in die Altersgruppe zwischen 30 und 50 Täter in Forschung und Wissenschaft, da ihre Ausbildung durch Schulzeit, Studium und eigene Forschung bedingt, erst im Alter von 25 bis 35 Jahren beendet ist. Bemerkenswert ist, daß zwar die Zahl der jugendlichen Täter einer Tierquälerei im Verhältnis zu der Belastung der Jugendlichen bezüglich der gesamten Kriminalität vergleichsweise gering ist, dennoch belief sich ihr Anteil immerhin im Durchschnitt auf 3 % . Dieser geringe Anteil erklärt sich wohl daraus, daß jugendlichen Tätern zumeist die Kraft fehlt, große Tiere zu quälen oder sie haben Angst vor ihnen. Ein weiterer Gesichtspunkt dürfte sein, daß, wenn man schon bei der Anzeigenerstattung in den Fällen der Tierquälerei allgemein sehr zurückhaltend ist, dies in verstärktem Maße zutrifft, wenn bekannt wird, daß Jugendliche die Tat begangen haben. Präzise Aussagen über Intelligenz und Erziehung von Tierquälern lassen sich nicht machen, da hierfür weder statistische Zahlen noch geeignete Kriterien vorliegen. Nicht zuletzt bietet das soziale Verhalten eines Täters wichtige Aufschlüsse über die Ursachen, die zu seinem kriminellen Verhalten führt. Während bei der Gesamtkriminalität die Quote der vorbestraften Täter seit 1950 bei ca. 35 % liegt, liegt der Anteil der vorbestraften Tierquäler mit durchschnittlich 31 % nur geringfügig darunter und entspricht demzufolge etwa dem Bild der Vorbestraften bei der Gesamtkriminalität. Die Belastung mit mehrfach vorbestraften Tätern ist bei denen mit 4 und mehr Vorverurteilungen mit 25,2% recht hoch. Diejenigen Täter dagegen, die nur einmal vorbestraft sind, haben einen Anteil von nur 39 %. Die mit 2 und 3 bis 4 Vorverurteilungen dazwischenliegende Gruppe ist mit 10,3 bzw. 21,7% belastet. Als Ergebnis läßt sich insoweit feststellen, daß 46,9% der Täter, also fast die Hälfte aller verurteilten Tierquäler, 3mal und mehr vorbestraft

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sind. Die Zahl der Täter, die bereits einschlägig vorbestraft sind, läßt sich aufgrund des verfügbaren Materials nicht exakt ermitteln. Jedoch dürfte die hohe Belastung derer, die mehr als 3mal vorbestraft sind, vermuten lassen, daß es sich bei der Delinquenz der Tierquälerei verhält wie bei der klassischen Kriminalität, so daß die Rückfallwahrscheinlichkeit mit der Zahl der Vorstrafen steigt. Dies gilt um so mehr, als gerade in der Landwirtschaft, im Sport und in der Forschung viele Tiere oftmals auch über einen langen Zeitraum hinweg wieder und wieder mißhandelt werden. Die Lebensweise der Täter ist infolge meist geregelter familiärer, wirtschaftlicher und beruflicher Verhältnisse unauffällig und sozial angepaßt. Somit sind auch ihre sozialen Kontakte von Mensch zu Mensch oder zu Behörden oder Institutionen nicht auffällig. Die Motive reichen von wirtschaftlichen Motiven zu ich-bezogenen Motiven bis hin zu fremd-bezogenen Motiven und Leichtsinn, Unerfahrenheit und Übermut. Die tatauslösenden Faktoren sind von den kriminogenen Faktoren zu unterscheiden. Bei den tatauslösenden Faktoren handelt es sich nicht um echte Ursachen der Kriminalität, sondern sie können in ihrer Gesamtheit das konkrete kriminelle Verhalten nur begünstigen. Sie fördern demnach in einer bestimmten Situation kriminelles Verhalten zu Tage, das also latent bereits bei dem Täter vorhanden war. Für die Tierquälerei kommen als tatauslösende Faktoren die besondere Wehrlosigkeit und Abhängigkeit des Tieres, sowie der Alkohol - besonders im Rahmen der Sodomie - in Betracht. Ein Umstand, der die Tatbegehung im besonderen Maße begünstigt, ist die Wehrlosigkeit und Abhängigkeit des Tieres. Das Tier ist nur mit Instinkt, nicht aber mit Vernunft ausgestattet. Es ist nicht in der Lage allein aufgrund der Erkenntnis von Sachzusammenhängen oder Handlungsabläufen zu handeln. Tiere können also keinen eigenen Willen in dem Sinne bilden, daß sie aus der Erkenntnis von Gesetzmäßigkeiten Folgen für ihr Handeln und Fühlen ableiten. Sie sind deshalb weitgehend hilflos und bleiben im Verhältnis zum Menschen von diesem abhängig; sie sind ihm ausgeliefert. Für potentielle Täter bieten die Tiere ein geeignetes, leicht zu erreichendes Opfer, das sich dem Zugriff der Menschen langfristig nicht wirksam entziehen kann. Die Täter können ihr Opfer leicht kalkulieren und brauchen kaum von dem Opfer, dem Tier, ernsthafte Risiken zu befürchten. Wie schon oben angedeutet, wirkt sich Alkohol als tatauslösender Faktor, besonders bei der Sodomie, aus. Es handelt sich dabei oft um Täter, die in Lokalen oder im privaten Kreise Alkohol zu sich genommen und somit ihre natürlichen Hemmungen weitgehend abgebaut haben. Weiterhin ist es ein für die Tatbegehung begünstigendes Moment, daß der Täter die die Tat fördernde Hoffnung hat, unerkannt zu bleiben oder wenigstens nicht bestraft zu werden. Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln bei Tierschutzstrafta-

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Tierquälerei

ten bei weitem nicht mit dem Personal- und Sachaufwand, wie vergleichsweise bei der Gewalt- oder Vermögenskriminalität und die Aufklärungsquote dürfte entsprechend gering sein. Hält man sich nun die Ergebnisse der Kriminalätiologie vor Augen, so läßt sich die Bedeutung des einzelnen Faktors für die Tierquälerei nur schwer abschätzen und kann somit nur eine gewisse Orientierungshilfe bieten. Im konkreten Einzelfall wirken mehrere Ursachen zusammen, so daß ein einseitiges Abstellen auf diesen oder jenen Faktor das Gesamtbild verfälschen würde. Gleichwohl kann zusammenfassend festgestellt werden, daß die Tierquälerei ein Delikt ist, das zu 40 bis 5 0 % von Tätern im mittleren Alter (30 bis 50 Jahren) begangen wird. Auffallend dabei ist, daß die Belastung der Frauen mit 8,3 % unter dem durchschnittlichen Wert für die Gesamtkriminalität (10 bis 15 %) liegt. Durch das ständige rapide Ansteigen der Tierversuche verschiebt sich das Gesamtbild des Täterkreises ganz erheblich. Während ursprünglich die Täter in überwiegender Zahl aus dem Landwirtschaftsbereich kamen, nehmen die Täter im Bereich der Industrie und in der naturwissenschaftlichen Forschung merklich zu. Im Verhältnis dazu fallen Tierquälereien in privaten Haushalten zwar im Bezug auf die Art und Schwere der Leidenszufügung, aber im Hinblick auf die Anzahl nicht sehr ins Gewicht. Die Tierquälerei hat sich so stark im Bereich der Forschung, Industrie und im Tierhandel entwickelt, daß nahezu von „kommerzieller Tierquälerei" gesprochen werden muß. Darüber hinaus läßt sich in der Tendenz ganz allgemein feststellen, daß die Tierquälerei kein Delikt ist, das innerhalb einer bestimmten begrenzten sozialen Gruppe dominiert, sondern in allen Personen- und Lebensbereichen anzutreffen ist. Eine Tätertypologie läßt sich nicht herausarbeiten, da der Tätertyp der Tierquälerei sehr unterschiedlich ist und einheitliche Kriterien nicht erarbeitet werden können. 6.

Schlußwort

Der Straftat der Tierquälerei gehört sowohl dem Ungerechtsgehalt nach, als auch im Hinblick auf den Sachzusammenhang, systematisch nicht in ein gesondertes Tierschutzgesetz. Dies trägt nur zur weiteren Unüberschaubarkeit der ohnehin schon durch mannigfaltige Gesetzes- und Verordnungstexte sehr unübersichtlichen tierschutzrechtlichen Bestimmungen bei. Offensichtlich beruht dieser unbefriedigende Zustand weithin darauf, daß die Kriminologie der Tierquälerei vernachlässigt wurde und die kriminalpolitische Situation unklar blieb. All dies führte dazu, daß Tierschutz stets als Einzelproblem angesehen wurde, ohne ihn, den Erfordernissen veränderter Zeiten entsprechend, in einen größeren Rahmen zu stellen und ihn als wichtiges Anliegen des Umweltschutzes zu betreiben. Ausgehend von dem größeren Gesamtzusammenhang des

Umweltschutzes ist der systematische Standort des Tatbestandes der Tierquälerei neu zu bestimmen und einem noch zu schaffenden Umweltschutzgesetzbuch zuzuordnen, wobei zu hoffen ist, daß die schon seit langem laufenden Bemühungen um ein einheitliches Umweltschutzgesetzbuch endlich auf fruchtbaren Boden fallen. Ein solches Umweltschutzgesetzbuch würde notwendig - ähnlich wie das Strafgesetzbuch - nach Sachgebieten in mehrere Teile untergliedert, so daß die Tierschutzstraftat als Gegenstand des Naturschutzes der Rubrik „Straftaten gegen den Naturschutz" zugeschlagen werden müßte. Gerade aber, wenn man den Umweltschutz als leitendes Motiv für den Tierschutz auffaßt, wird man mit Gesetzen allein Tiere nicht langfristig vor tierquälerischen Übergriffen schützen können. Dies erfordert andauernde Information durch Tierschutzvereine, Behörden und Massenmedien, damit die Menschen ein Gefühl dafür bekommen, daß Mensch und Tier keine Gegensätze sind, die sich im günstigsten Fall gleichgültig gegenüberstehen 'oder unabhängig voneinander sind, sondern beide Bestandteile eines Naturhaushaltes sind. Die Erhaltung des Naturhaushaltes ist nicht nur eine Lebensnotwendigkeit, sondern stellt auch eine sozial und moralisch wichtige Aufgabe dar. Monographien K. v o n A m i r a : Thierstrafen und Thierprozesse. Sonderdruck. Innsbruck 1891. H. A. B e r k e n h o f f : Tierstrafe, Tierbannung und rituelle Tiertötung im Mittelalter. Diss. Bonn, Zürich 1937. E. B l o c h : Naturrecht und menschliche Würde. In: Werksausgabe Edition Suhrkamp. 1. Auflage. Frankfurt/M. 1977. J. B r e g e n z e r : Tierethik. Bamberg 1894. K. D r a w e r , K.J. E n n u l a t : Tierschutzpraxis • Stuttgart/New York 1977. P. D r ö g e : Eine Kasuistik der seit Inkrafttreten des neuen Deutschen Tierschutzgesetzes vom 24.7.1972 bis Juni 1977 an Gerichten der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin aktenkundig gewordenen Verstöße gegen dieses Gesetz. Hannover 1977. E. G e b e l e v o n W a l d s t e i n : Der Tierschutz im Recht. Historische Entwicklung und sittliche Grundlage. Marburg 1952. H. G r o ß , F. G e e r d s : Handbuch der Kriminalistik. 10.völlig neubearbeitete Auflage von Friedrich Geerds. Band I. Berlin 1977. K. W i e g a n d : Die Tierquälerei. Ein Beitrag zur historischen, strafrechtlichen und kriminologischen Problematik der Verstöße gegen § 17 Tierschutzgesetz. Lübeck 1979. Kommentare K . J . E n n u l a t , G. Z o e b e : Kommentar zum Tierschutzgesetz. Stuttgart. Berün. Köln. Mainz 1972. A. L o r z : Tierschutzgesetz, Kommentar. München 1979. Materialien und Quellen Gutachten über freilebende Tiere, Kälber, Nutzgeflügel, Säugetiere, Tiertransport, Versuchstiere. In Auftrag gegeben von dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Bonn. Kriminalstatistik. Fachserie A. Bevölkerung und Kultur. Reihe 9: Rechtspflege. Seit 1975: Fachserie 10. Rechtspflege. Reihe 1. Ausgewählte Zahlungen für die Rechtspflege und Reihe 3. Strafverfolgung. KLAUS

WIEGAND

Fahrlässige Tötungsdelikte

TÖTUNGSDELIKTE, FAHRLÄSSIGE I. EINLEITUNG Die fahrlässigen Tötungsdelikte haben im modernen Leben eine immer größere Bedeutung erlangt, und mit dem Fortschreiten der technischen Entwicklung sind die Folgen von Fahrlässigkeiten immer schwerer geworden. Trotz der auf vielen Gebieten ebenfalls gestiegenen Anforderungen an Vorsicht und Sicherheit läßt sich menschliches Versagen nie ganz ausschließen. Die Spannweite fahrlässigen Verhaltens ist außerordentlich groß; sie reicht z. B. von der Fahrweise des Autofahrers, der mit hoher Geschwindigkeit im Nebel auf der Autobahn fährt und fast damit rechnen kann, daß er einen schweren Unfall verursachen bzw. in einen solchen hineinfahren wird, bis zum Distanztäter, wie z.B. einem Behördenleiter oder militärischen Befehlshaber, der nicht genügend darauf achtet, daß in seinem Bereich Sicherheitsbestimmungen strikt eingehalten werden, durch deren Nichtbeachtung es dann zu einem tödlichen Unfall kommt. Im folgenden sollen zunächst die Formen der fahrlässigen Tötungen behandelt werden, und zwar im Straßenverkehr, im Schiffsverkehr, im Eisenbahnverkehr, im Flugverkehr, bei Sport und Spiel, im Militärbetrieb, bei der Tätigkeit des Arztes, und auf sonstigen Lebensgebieten. Anschließend will ich zusammenfassen, was kriminologische Untersuchungen zur Persönlichkeit des Täters fahrlässiger Tötungen ergeben haben, und werde bei der Darstellung der rechtlichen Behandlung dieser Delikte auf den Begriff der Fahrlässigkeit, auf Strafzumessungsfragen und auf mögliche Reformen eingehen.

II. FORMEN DER FAHRLÄSSIGEN TÖTUNG A. StraBenverkehr Die meisten fahrlässigen Tötungsdelikte werden heute im modernen Straßenverkehr begangen. Viele Statistiken weisen nur die tödlichen Unfälle aus, doch kann man davon ausgehen, daß es kaum einen Unfall gibt, der ohne Verschulden eines Beteiligten zustandegekommen ist. In der Bundesrepublik Deutschland starben 1953 11449 Personen durch Straßenverkehrsunfälle. Bis 1970 stieg diese Zahl auf 19193; zwischen 1974 und 1978 waren es jeweils zwischen 14000 und 15000 Tote, 1978 betrug diese Zahl 14662. (Statistisches Bundesamt 1979, S. 15). In den USA betrug die

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Zahl der Verkehrstoten 1953 37955, sie stieg bis 1972 auf 56278 und betrug 1977 49500 (National Safety Council 1978, S.58). Im Staat Kalifornien waren die entsprechenden Zahlen für 1969 5 080, für 1974 4 019 und für 1978 5296 (Department of California Highway Patrol 1979, S.2). Diese Zahlen sind nur Anhaltspunkte; eine nähere Auswertung, insbesondere ein ins einzelne gehender Vergleich zwischen der Bundesrepublik und den USA kann an dieser Stelle nicht erfolgen (früher hierzu Wolf Middendorff 1959, S. 146ff., und Wolf Middendorff 1967, S.27ff.). Die fahrlässigen Tötungen im Straßenverkehr haben ganz verschiedene Ursachen. In den meisten Fällen handelt es sich um ein kurzfristiges, einfaches Versagen des Kraftfahrers, wie z. B. eine kurze Unaufmerksamkeit (siehe Wolf Middendorff 1980 [1], S. llOff.), um ein leichtes Verschätzen des Abstandes oder eine leicht überhöhte Geschwindigkeit, die den Unfall verursachen. Seltener ist der Fall, daß der Autofahrer Schalter oder die Bremse und das Gaspedal verwechselt. So wollte in Pforzheim der Fahrer eines Paketwagens der Bundespost, der auf dem Kraftwagenhof stand, im Innern des Wagens das Licht ausschalten; durch ein Versehen betätigte er jedoch den Anlasser des Fahrzeugs, und da der Rückwärtsgang eingelegt war, machte der Wagen einen Satz nach rückwärts. Der völlig verwirrte Mann trat dann auch noch auf das Gaspedal statt auf die Bremse, und dadurch wurden zwei seiner Kollegen so heftig gegen die Mauer der Garage gequetscht, daß der Tod auf der Stelle eintrat. Busfahrer haben besondere Pflichten; in Hamburg übersah 1978 ein Busfahrer eine aus dem Bus aussteigende alte, gebrechliche Frau, schloß die Tür und fuhr an, bevor die Frau ganz ausgestiegen war. Ihr Arm wurde in der zuklappenden Tür gefangen, sie wurde ein oder zwei Meter mitgerissen und vom rechten Hinterreifen des Busses erfaßt. An den Folgen dieses Unfalls starb sie drei Monate später im Krankenhaus. Der Fahrer hatte im Getümmel der ein- und aussteigenden Fahrgäste die Frau übersehen, weil er auf zwei Schüler geachtet hatte, die verspätet dem Bus zustrebten. Da die Frau nur knapp 1.50 m groß war, befand sie sich auf den Stufen nach draußen im toten Winkel des Beobachtungsspiegels des Fahrers, als er die Tür schloß. Andere Unfälle können sich aus einem länger andauernden Versagen des Kraftfahrers, einer Art Zustandsversagen, ergeben, so z. B. aus einem beständigen risikoreichen Fahren (Wolfgang Schneider 1978) oder aus übertriebenem Alkoholgenuß (Wolf Middendorff 1980 [2]). Das Versagen des Täters kann auch ein „nur" mittelbares sein, wie es z. B. der Fehler eines Pkw-Halters war, daß er in angetrunkenem Zustand seinen Wagen seiner ebenfalls angetrunkenen Freundin überließ, die den Unfall verursachte und dabei starb. Ihr Beifahrer, der Halter, wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

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Das Verschulden kann auch bei einem Transportunternehmer liegen, der die Arbeitszeitbestimmungen für seine Fahrer nicht einhält. So war 1956 der Fahrer eines Münchner Transportunternehmens 32 Stunden unterwegs, ohne geschlafen zu haben, als er mit einem schweren Transportzug zwischen Heidelberg und Karlsruhe in eine auf der Autobahn haltende Autokolonne raste. Drei Personen starben, vier weitere wurden schwer verletzt. Der Fahrer, der Firmeninhaber und dessen Ehefrau, die die Fahrt angeordnet hatte, wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Das Verschulden kann noch weiter zurückliegen, z. B. bei der Produktion von Kraftfahrzeugen. Bei der Durchfahrt durch ein Schwarzwalddorf stürzte von einem Langholzfuhrwerk ein Teil der Ladung auf den Gehweg. Ein dreijähriges Kind wurde getötet, seine Mutter schwer verletzt. Die Untersuchung des Fahrzeuges ergab, daß ein schwerer Fabrikationsfehler an der vorderen rechten Runge vorlag. Die Staatsanwaltschaft glaubte, dem Fahrzeughalter und dem Fahrer den Vorwurf der Fahrlässigkeit machen zu können, weil sie das Fahrzeug überladen und keine Rungenspannkette angebracht hatten („Rungenfall"). 1980 wurde in den USA vor dem Gericht von Winamac, Indiana die Autofirma Ford wegen fahrlässiger Tötung angeklagt; ihr wurde zur Last gelegt, sie habe gewußt, daß der Benzintank bei den Fahrzeugen des Typs ,Pinto' bei einem Auffahrunfall eine Gefahrenquelle darstelle und habe dennoch das Fahrzeug gebaut, verkauft und die Konstruktion nicht geändert. Bei einem Auffahrunfall waren in einem ,Pinto' drei Personen nach der Explosion des Benzintanks verbrannt.

B. Schiffsunglücke Fast täglich gehen Schiffe durch Kollisionen, Feuer, Schiffbruch oder aus nie aufzuklärender Ursache verloren. So konnte 1980 das Seeamt Bremerhaven nicht klären, warum und unter welchen Umständen das 37000 BRT große Frachtschiff .München' im Dezember 1978 im Atlantik im Orkan mit 28 Menschen unterging. In den meisten Fällen liegt jedoch auch bei Schiffsunglücken menschliches Versagen, insbesondere leichte oder schwere Fehler in der Schiffsführung vor, und die Folgen sind schwerer als bei den meisten Unfällen im Straßenverkehr. Schiffsunglücke haben eine sehr lange Geschichte; wenige Beispiele müssen an dieser Stelle genügen. Die französische Fregatte ,Medusa' lief am 2. 7. 1815 infolge navigatorischer Fehler der Schiffsführung vor der westafrikanischen Küste auf Grund, 139 Menschen kamen ums Leben. Der Kapitän wurde später zu drei Jahren Haft verurteilt (Erwin K. Münz 1969; Alexander McKee 1976). Um die Mitte des 19. Jahrhunderts fuhren Tausende von Schiffen auf dem Mississippi. Die Verkehrs-

verhältnisse waren chaotisch; es gab keine Navigationsvorschriften, keine Signale, keine Bojen und keine Markierung der Fahrrinne. Kollisionen waren häufig; die schwersten Unfälle entstanden durch Kesselexplosionen und Brände (Max Mittler 1968, S. 223). „Das große Übel" des Mississippi waren die Schiffsrennen. Jeder Kapitän wollte das schnellste Schiff haben. Passagiere und Bevölkerung nahmen leidenschaftlich Anteil an den sorgfältig organisierten oder zufällig zustandegekommenen Rennen. 1816 explodierte der überbeanspruchte Kessel des Schiffes .Washington' - 7 Tote, 1817 der der Konstitution' - 11 Tote (Herbert Ashbury 1966, S. 76-77). Bei einem Rennen auf dem Hudson geriet das Schiff,Henry Clay' in Brand und strandete, über 100 Menschen starben (Arram Davidson 1962, S. 77ff.). In der Nacht vom 14. zum 15. April 1912 ging im Nordatlantik die .Titanic', das größte, modernste und angeblich sicherste Schiff der Welt, nach einem Zusammenstoß mit einem Eisberg unter. Über 1500 Menschen ertranken. Der Kapitän hatte eine Reihe von Eiswarnungen mißachtet (Robert Prechtl 1953; Walter Lord 1977; Wilhelm Bittorf 1980). Am 6. 12. 1917 kam es im Hafen von Halifax (Neu-Schottland) infolge eines Mißverständnisses beim Manövrieren zu einem Zusammenstoß zwischen dem französischen Munitionsdampfer ,Mont Blanc' und dem belgischen Getreidefrachter ,Imo'. Die ,Mont Blanc' explodierte, die Zahl der Toten wurde auf 2000, die der Verletzten auf 20000 geschätzt. In Schiffskreisen spricht man nicht gerne über die zahlreichen Kollisionen auf See und wiegelt gerne ab. In der englischen Marine kennt man das Wort: „Eine Kollision auf See kann einem den ganzen Tag verderben" (Peter Padfield 1967, S.5). Eine der schwersten Kollisionen der letzten Jahrzehnte war die des italienischen Passagierdampfers ,Andrea Doria' mit dem schwedischen Motorschiff ,Stockholm' am 25. 7. 1956 im Nordatlantik. 44 Menschen starben. Drei Ursachen trugen zur Kollision und zum Verlust der ,Andrea Doria' bei: das Schiff fuhr im Nebel zu schnell - wie es die meisten Schiffe tun - , die Radarausbildung der Offiziere war ungenügend, und das Schiff hatte nicht genügend Ballast, weil der verbrauchte Brennstoff in den Tanks nicht durch Seewasser ersetzt worden war, was - aus Kostengründen - kaum ein Kapitän tut. Die Verhandlung vor dem New Yorker Seeamt endete mit einem Vergleich zwischen den beteiligten Reedereien; der italienische Untersuchungsbericht über die Kollision wurde nie veröffentlicht (Alvin Moscow 1959). Am 19. 7. 1979 stießen vor der Karibikinsel Tobago zwei unter liberianischer Flagge fahrende, vollbeladene Großtanker zusammen. 29 Personen wurden vermißt, der vorläufige Schaden wurde auf rund 270 Millionen DM geschätzt. Mehr als 300 Millionen Liter Öl liefen aus. Seltener ist eine Kollision von Schiffen mit Brükken; in dichtem Nebel stieß im Januar 1980 der

Fahrlässige Tötungsdelikte unter liberianischer Flagge fahrende 16500 BRTFrachter ,Star Clipper' gegen eine Brücke zwischen der schwedischen Insel Tjörn und dem Festland und brachte 280 Meter der Brücke zum Einsturz. Bevor die Zufahrten gesperrt werden konnten, fuhren ein Lastwagen und sechs Personenwagen in die Tiefe. Wahrscheinlich hatte der spanische Rudergänger ein englisches Kommando des schwedischen Lotsen nicht richtig verstanden. Auch beim Anlegen von Schiffen können tödliche Unfälle geschehen; der Schiffsführer des Bodenseedampfers .Kempten' war am 15. 7. 1976 mit 1,3%o nicht in der Lage, das im Hafen von Meersburg nur an einer Seite am Anlegeplatz vertäute Schiff zu halten, so daß es aufgrund falscher Betätigung der Schiffsschrauben abgetrieben wurde. Die Landetreppe stürzte dadurch ins Wasser und riß eine Anzahl von Personen mit. Eine Person wurde getötet. Der Schiffsführer und der Schiffskassierer wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt, letzterer, weil er den Ausstieg der Passagiere nicht überwacht hatte (Urteil des LG Konstanz vom 29. 5. 1978). C. Eisenbahnunglücke Dem Menschen von heute präsentiert sich die Eisenbahn als ein Wunderwerk der Technik, das den Reisenden mit zahlreichen Sicherungen umgibt. In rund 150 Jahren hat die Eisenbahn eine großartige Entwicklung durchgemacht; bei der Eröffnung der ersten Linie zwischen Stockton und Darlington 1825 in England ritt ein Mann mit einer roten Fahne dem Zug voraus, um zu verhindern, daß der Zug zu schnell fuhr, und das Pferd trabte nicht einmal, sondern lief im Schritt. Die Probleme der Eisenbahn sind - grundsätzlich - bis heute dieselben geblieben; menschliches Versagen und menschlicher Irrtum führen immer wieder zu Unfällen, und es liegt in der Natur dieses schnellen Massenbeförderungsmittels, daß triviales Versagen schwerste Konsequenzen hat. Auf der anderen Seite ist die Eisenbahn das weitaus sicherste Verkehrsmittel; Anfang der siebziger Jahre wurden in der Bundesrepublik bei einer statistischen Transportleistung von 1 Milliarde Kilometer auf den Straßen 20, im Luftverkehr 6 und beim Betrieb der Eisenbahn 2 Verkehrsteilnehmer getötet (Der Spiegel, 31, 1971). Von den zahlreichen verschiedenen Ursachen, die zu Unfällen führen können, möchte ich mich auf sechs typische Arten konzentrieren und jeweils englische und deutsche Beispiele anführen, um die internationale Gemeinsamkeit der Probleme zu zeigen. Es sind dies: Geschwindigkeitsfehler, Überfahren von Signalen, Falsche Signalstellung, Rangierfehler, Schrankenunfälle, Fehler an Bahnanlagen.

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Unfälle durch überhöhte Geschwindigkeit (L. T. Rolt 1960, S. 134 ff.) waren im England der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch den Wettbewerb der verschiedenen Eisenbahngesellschaften mitbedingt. Besonders für das Personal der Sonderzüge zu und von Überseeschiffen war es eine „Ehrenpflicht" und „Sport", den knappen Fahrplan einzuhalten (O. S. Nock 1970, S. 82; Hans Joachim Ritzau 1972, S. 101-102). Auch in Deutschland kam es bis heute zuweilen zu Unfällen infolge zu hoher Geschwindigkeit. So entgleiste am 3. 9. 1882 bei Hugstetten ein Sonderzug auf dem Wege von Freiburg nach Colmar. 64 Menschen waren tot, 235 teilweise schwer verletzt (Wolf Middendorff 1974). Ein ähnliches Unglück ereignete sich am 17. 7.1911 im Bahnhof von Müllheim/Baden. (Wolf Middendorff 1982). Am 9. 2. 1971 entgleiste ein T E E bei Aitrang wegen überhöhter Geschwindigkeit. Die Folgen waren u. a. 28 Tote (Hans Joachim Ritzau 1972, S. 47). Am 21. 7. 1971 entgleiste ein Schnellzug bei Rheinweiler in Südbaden. Der Lokführer hatte statt der vorgeschriebenen 75 km/st die Kurve mit 140 km/st genommen. 23 Menschen starben, 120 waren verletzt (August Zureich und Adolf Nezmeskal 1973/74). Das Überfahren von Signalen fällt unter menschliches Versagen, wenngleich schlechte Sicht und schlecht sichtbare Signale ihren Anteil an einer Reihe von schweren Eisenbahnunfällen mit vielen Toten in England und Deutschland hatten (O.S. Nock 1970, S. 144ff., 205ff.). Bis 1913 - in Bayern bis 1919 - bedeutete in Deutschland ein weißes Licht am Hauptsignal „Freie Fahrt". Nach einem schweren Unfall bei Nannhofen in Bayern am 19. 4. 1917 mit 30 Toten und 80 Verletzten wurde die Vermutung geäußert, daß der Lokführer bei dichtem Schneetreiben vielleicht durch andere weiße Lichtquellen getäuscht worden war. In der Hauptverhandlung berichtete ein Sachverständiger, daß in einem Jahr zirka 1300 falsche Signalstellungen registriert werden konnten (Hans Joachim Ritzau 1972, S. 105ff.). Bis heute ereigneten sich ähnliche Eisenbahnunglücke, z.B. 1961 im Hauptbahnhof Eßlingen mit 35 Toten (Hans Joachim Ritzau 1972, S. 120ff.). Unfälle durch falsche Signalgebung haben sich weder durch komplizierte Verfahren noch durch moderne Technik gänzlich verhindern lassen. 1874 durfte in England eine Signalfreigabe nur durch schriftliche Weisung des Fahrdienstleiters erfolgen. Ein Unfall mit 25 Toten ereignete sich deshalb, weil aus Bequemlichkeit, die sich allmählich eingebürgert hatte, eine Signalfreigabe nur mündlich angeordnet worden war (O. S. Nock 1970, S. 35 ff.)· Eine moderne Tastatur kann dazu verleiten, von zwei nebeneinander liegenden Knöpfen in der Eile den falschen zu drücken, so daß das falsche Signal hochgeht und wie bei Meckelfeld 1969 ein Eilzug auf einen T E E auffährt. Vier Menschen starben, 43 wurden verletzt (Wolf Middendorff 1973, S.10).

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Unfälle durch Rangierfehler und nicht geschlossene Schranken ereignen sich immer wieder (L.T.C. Rolt 1960; O.S. Nock 1970; Gerhard Mauz 1975, S. 211 ff.). Sehr selten kommt es zu Unfällen infolge Trunkenheit des Lokführers; so entgleiste am 17. 7. 1911 ein Eilzug bei der Einfahrt in den Bahnhof Müllheim infolge Trunkenheit und zu hoher Geschwindigkeit, und 14 Personen wurden getötet (Karl Marbe 19261, S.37ff.). Technische Mängel vorübergehender und augenblicklicher Art oder weit zurückliegende Konstruktionsfehler können zu schweren Unglücken führen, wie dem Einsturz der Brücke über den Firth of Tay in Schottland am 28. 12. 1879, als gerade ein Personenzug in einem schweren Orkan über die Brücke fuhr. Anhand der ausgegebenen Fahrkarten schätzte man die Zahl der Toten auf 75. (L.T.C. Rolt 1960, S.79ff.; O.S. Nock 1970, S.87ff.; Gerhard Püschel 1975; Max Eyth 1969).

D. Flugzeugunfälle Bei Flugzeugunfällen sterben in der Welt jährlich zwischen 1000 und 1400 Menschen; zwischen dem 1. 1. 1958 und dem 15 . 8. 1975 verunglückten 22 Düsenverkehrsflugzeuge. Die meisten Unglücksorte lagen im Umkreis von 3000 Metern von der Piste entfernt. Die Internationale Zivilluftfahrtsbehörde ICAO hat für die Jahre 1962 bis 1971 errechnet, daß sich 24 % der Unfälle während der Startphase und 54 % während der Landephase ereignet haben. Die Zahl der Landeunfälle ist im Steigen. Auf der Liste der Verursacher von Flugzeugunfällen stehen die Besatzungen mit 62 % an der Spitze. Im einzelnen ist ein Vergleich zwischen den Kontinenten sehr aufschlußreich; der Weltdurchschnitt von Abstürzen bei zivilen Fluggesellschaften lag zwischen 1950 und 1974 bei 21. Die USA waren zweieinhalbmal besser als der Weltdurchschnitt, Westeuropa hielt den Durchschnitt, alle anderen Kontinente waren weit schlechter, an der untersten Grenze lagen die Länder Osteuropas außer der UdSSR und der DDR. Sie waren zehnmal schlechter als der Weltdurchschnitt (Walter Senn 1977). Die britische Pilotenvereinigung veröffentlichte 1973 eine Untersuchung, nach der zwischen 1966 und 1970 bei Flugzeugkatastrophen 257 Menschen getötet wurden, weil die Piloten übermüdet waren und sich im Halbschlaf befanden (Die Welt, 9. 4. 1973). Trotz weitgehender Automatisierung im Cockpit sind die Möglichkeiten menschlichen Versagens nicht ausgeschlossen. Im November 1979 stieß eine neuseeländische Passagiermaschine in der Antarktis gegen einen Berg, und 257 Personen kamen ums Leben. Eine erste Untersuchung ergab, daß der Pilot gegen alle bestehenden Flugregeln verstoßen hatte. Außerdem war sich die Besatzung

wahrscheinlich nicht über die Gefahren des sogenannten „White out" im Klaren, d. h. sie wußten nicht, daß in Polargebieten weißer Boden mit dem Schneehimmel derart verschmelzen kann, daß Berge nicht mehr sichtbar sind. Zur Zeit des Unglücks betrug die Sichtweite für den Piloten 60 Kilometer. Es wurde zudem festgestellt, daß der Pilot vier Warnungen eines Warngerätes im Cockpit ignoriert hatte. Ein im April 1981 veröffentlichter Untersuchungsbericht schob dagegen die Schuld der Flugeinsatzabteilung der Fluggesellschaft zu und entlastete die Besatzung. In unserer Zeit sind Piloten immer stärker von der fehlerfreien Tätigkeit der Fluglotsen abhängig. Am 27. März 1977 stießen im Nebel auf dem Flughafen von Teneriffa eine Boeing 747 der KLM und ein Jumbo der PanAm zusammen. 583 Menschen starben. Die KLM-Maschine war zum Startplatz gerollt und hatte der Flugleitung „ready for take off" gemeldet. Die Antwort kam in Form von Fluganweisungen, was die KLM-Piloten nach internationalem Brauch als Starterlaubnis werteten, was sie aber hier nicht sein sollte. Dieses Mißverständnis wurde noch dadurch bestärkt, daß der Co-Pilot der KLM-Maschine die Fluganweisung wiederholte und daraufhin vom Tower ein „OK" als Antwort erhielt. Zwei Sekunden später kam von dem Fluglotsen der Befehl für die KLM-Maschine „stand by for take off", was also ein Startverbot bedeutete. Diesen Befehl hörten die niederländischen Piloten nicht mehr, sondern vernahmen nur einen Störton, weil die amerikanische Maschine auch gerade mit dem Tower sprach und dieselbe Frequenz benutzte. Allgemein bezeichnet man Fehler der Fluglotsen zu 15% als Unfallursachen, wie z.B. auch bei dem Zusammenstoß einer englischen Passagiermaschine auf dem Flug von London nach Istanbul mit einer jugoslawischen Chartermaschine im Luftraum von Zagreb. Beide Maschinen stießen frontal zusammen, alle 176 Passagiere kamen ums Leben. Der Fluglotse hatte die Fluganweisungen an die jugoslawische Maschine entgegen der internationalen Übung auf serbokroatisch gegeben, so daß der britische Pilot die Kollisionsgefahr nicht erkennen konnte. Es kommt allerdings recht häufig vor, daß die internationale Vorschrift, zwischen Boden und Luft nur Englisch zu sprechen, nicht beachtet wird, wenn Lotsen und Piloten die gleiche Sprache sprechen. Nachlässiges Verhalten des Bodenpersonals und der Besatzung führten zu dem Unglück von Hasloh, bei dem am 6. 9. 1971 22 Menschen starben. Eine Chartermaschine der „Paninternational" war mit 115 Urlaubern und 6 Besatzungsmitgliedern von Hamburg nach Malaga gestartet. Als das Flugzeug etwa 250 Meter Höhe erreicht hatte, setzten beide Triebwerke schlagartig aus. Der Flugkapitän brachte die Maschine auf der Autobahn bei Hasloh zu Boden, wo sie an einer Brücke zerschellte. Die Ermittlungen ergaben, daß am Tag zuvor auf dem

Fahrlässige Tötungsdelikte Flughafen Düsseldorf ausgelaufenes Kerosin in zwei Plastikbehältern aufgefangen worden war. Diese Behälter waren eigentlich für entmineralisiertes Wasser bestimmt, das bei sogenannten Naßstarts verwendet wird. Am nächsten Tag wurden diese nicht gekennzeichneten Behälter für solche mit Wasser gehalten und in die Unglücksmaschine verladen. In Hamburg entschloß sich der Flugkapitän wegen Übergewichts zu einem Naßstart, und man füllte u. a. auch die beiden Kanister Kerosin in die Triebwerke ein (Gerhard Mauz 1975, S. 176ff.; Wolf Middendorff 1981).

E. Sport- und Spielunfälle Sport- und Spielunfälle ereignen sich vor allem bei Schulausflügen, beim Wandern und im Sommer oder Winter in den Bergen. Am 17. 4. 1936 kamen bei Schneesturm und Nebel fünf englische Schüler am Schauinsland bei Freiburg ums Leben, weil sie diese Wanderung schlecht geführt und schlecht ausgerüstet unternommen hatten (Wolf Middendorff 1978). Jedes Jahr verunglücken rund 600 Menschen in den Alpen tödlich; 46 % der Unglücke haben ihre Ursache im Mangel an alpiner Erfahrung, Selbstüberschätzung, Leichtsinn, unzureichender Ausrüstung und anderen subjektiven Gefahren, nur 8,6% hingen mit objektiven Gefahren zusammen (FAZ, 24. 7. 1980). Schulausflüge sind heute infolge der Rechtsprechung der Gerichte zu einer fast permanenten Gefahr für die Lehrkräfte geworden. Am 17. 3. 1972 besuchten zwei Lehrerinnen aus Kiel mit ihren Klassen, zusammen 65 Kindern zwischen 8 und 9 Jahren, den Heimattiergarten in Neumünster. Nach dem Ende der Besichtigung vergnügte sich ein Teil der Kinder auf dem zum Zoo gehörigen Kinderspielplatz, und ein neunjähriger Schüler wurde von dem herabfallenden Balken der Wippe am Kopf getroffen und getötet. Als Beispiel für einen Skiunfall sei der Fall Bogner erwähnt. Willy Bogner hatte 13 der Weltklasse angehörige Skifahrer angeworben, um mit ihnen einen Film im Engadin zu drehen. Am 2. 4. 1964 war eine Abfahrt vorgesehen, das ganze Tal war jedoch durch verschiedene Verbots- und Warntafeln wegen Lawinengefahr gesperrt. Eine besondere Warnung erfolgte am 2. 4. 1964 durch Lautsprecher am Ausgangspunkt der von Bogner und seiner Gruppe benutzten Liftanlage, außerdem wurde Bogner noch am selben Morgen durch einen Pistenwart auf die Sperrung des für die Abfahrt gewählten Gebietes aufmerksam gemacht. Dessen ungeachtet ließ Bogner seine Gruppe abfahren; ein Schneebrett löste sich, und die niederstürzenden Schneemassen überschütteten verschiedene Teilnehmer der Gruppe, wobei zwei Personen den Tod fanden (Gerhard Mauz 1968, S. 149ff.).

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Auf Kinderspielplätzen ereignen sich immer wieder tödliche Unfälle; am 30. 7. 1970 kam eine Mutter mit einem dreijährigen Kind auf einen Kinderspielplatz in Freiburg. Während die Mutter in ein Gespräch vertieft war, kletterte das Kind auf einen neben dem Spielplatz aufsteigenden Bahndamm, wurde von einer Lok erfaßt und getötet.

F. Unfälle im Militärbetrieb Die Tätigkeit des Soldaten ist naturgemäß in besonderem Maße gefahrengeneigt; im Frieden besteht immer ein Zwiespalt zwischen dem Erfordernis einer möglichst realistischen Ausbildung und dem einer möglichst hohen Sicherheit für den einzelnen Soldaten. Unfälle sind indessen nie ausgeschlossen; einer früher härteren Ausbildung entsprach eine um so größere persönliche Verantwortung des Vorgesetzten, wie es Friedrich Franz von Unruh 1952 in seinem Treskow dargestellt hat. Einige Beispiele für tödliche Unfälle seien angeführt: am 31. 3. 1925 ertranken 80 Reichswehrsoldaten, als bei einem Weser-Übergang bei Veltheim eine Fähre kenterte (Dr. Mündt 1932, S. 103-107). Am 2. 6. 1957 ertranken 15 Rekruten der Bundeswehr beim Durchwaten der Iiier bei Kempten/Allgäu. (Paul Noack/Bernd Naumann 1961, S. 181 ff.). Am 9.4.1964 wurden auf dem Truppenübungsplatz Bergen-Hohne 10 Zuschauer getötet, als bei einem Übungsschießen ein Geschoß auf einem Lastwagen detonierte, auf dem Zuschauer standen. Am 15. 8. 1939 fand auf dem Truppenübungsplatz Neuhammer ein Artillerieschießen in Zusammenarbeit mit der Luftwaffe statt. Eine ganze Staffel von Sturzkampfbombern raste - vielleicht aufgrund einer falschen Angabe über die Wolkenhöhe - bei ihrem Sturzflug in einen Wald (Erich von Manstein 1966, S. 18). Ein französischer Luftwaffenpilot flog am 29.8.1961 mit seinem Düsenjäger gegen das Hauptkabel der Drahtseilbahn über dem Weißen Tal am Mont Blanc. Drei Kabinen klinkten aus und stürzten 150 Meter in die Tiefe, 6 Menschen wurden getötet. Am 12. 8. 1971 unterließ es der Verbandsführer eines Verbandes der Schweizer Luftwaffe, die Wetterverhältnissse vor dem Einfliegen in ein Tal zu erkunden. Zwei Flugzeuge gerieten in plötzlich auftretenden Nebel und prallten gegen eine Felswand. Ein Pilot kam ums Leben. Bei der Kriegsmarine hat es genau so wie bei der zivilen Schiffahrt immer schon Kollisionen gegeben; 1878 wollten drei deutsche Panzerschiffe ins Mittelmeer fahren. Vor der englischen Küste kam es infolge eines Mißverständnisses auf dem Panzerschiff ,König Wilhelm' zu einem falschen Manöver, so daß die ,König Wilhelm' den ,Großen Kurfürsten' rammte. Das Panzerschiff .Großer Kurfürst' sank sehr schnell; von der 487 Mann starken Besatzung ertranken 269. Das ein Jahr später tagende Marinekriegsgericht konnte die Schuld an dem ver-

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hängnisvollen Zusammenstoß nicht eindeutig klären; der Chef des Geschwaders, Konteradmiral Batsch, wurde zu 6 Monaten Festung verurteilt, weil die vorgeschriebene Distanz zwischen den Schiffen nicht eingehalten worden war. Der Kaiser begnadigte ihn bald darauf und ernannte ihn zum Direktor der Admiralität (Hans Roden 1978). Während eines Manövers der britischen Mittelmeerflotte vor der syrischen Küste kam es durch einen gefährlichen Befehl des Befehlshabers des britischen Geschwaders 1893 zu einer schweren Kollision. Infolge des in blindem Gehorsam ausgeführten Schwenkungsmanövers rammte das Panzerschiff ,Camperdown' das Flaggschiff .Victoria'. Die .Victoria' sank in wenigen Minuten mit dem Admiral und 358 Mann der Besatzung (Geoffrey Bennett 1980, S. 274). Am 3. 6. 1969 wurde von einem jungen Wachoffizier eines amerikanischen Zerstörers ein Funkspruch falsch ausgelegt, und es kam zu einem Zusammenstoß des Zerstörers mit dem australischen Flugzeugträger .Melbourne', der den Zerstörer in zwei Teile zerschnitt. 74 amerikanische Matrosen kamen ums Leben. Der schuldige Wachoffizier erhielt vom Militärgericht einen Verweis und einen befristeten Beförderungsstop. Ein anderer tödlicher Unfall ist kaum noch mit Fahrlässigkeit zu entschuldigen; im Juli 1972 fuhr der französische Zerstörer ,Guepratte' mit zu hoher Geschwindigkeit zu nahe an der Küste der Cöte d'Azur entlang. Das Schiff befand sich auf der jährlichen „Kaffeefahrt" mit den Familienangehörigen der Besatzung. Der Kommandant wurde von einer Signalstation gewarnt, er fahre zu schnell und zu nahe der Küste. Er ließ antworten: „Ein Schiff der Kriegsmarine kümmert sich um so etwas nicht . . . im Krieg fahren wir doppelt so schnell." Wenige Minuten später schob auf einer 17 km langen Küstenstrecke die Heckwelle des Schiffes Boote, Badegäste und Strandkörbe bis zu 20 Meter landeinwärts. Eine Studentin wurde gegen einen Felsen geschleudert und getötet. 20 Badegäste erlitten zum Teil erhebliche Verletzungen. Der Kapitän wurde seines Dienstes enthoben; zu seiner Entschuldigung gab er an, die Angehörigen der Besatzung hätten die Badestrände deutlicher sehen sollen (Die Welt, 8. 7. 1972). Für fehlgeleitete Waffenwirkung in Kriegszeiten gibt es unzählige Beispiele aus alter und neuer Zeit. Beim Vormarsch der internationalen Streitmacht auf Peking während des Boxer-Aufstandes 1900 detonierte eine Granate inmitten einer amerikanischen Infanterie-Kompanie und tötete vier Soldaten. Das Geschoß stammte von einem russischen Geschütz, das in der Nähe einer englischen Artillerieeinheit in Stellung gegangen war. Die Ermittlungen ergaben, daß die Russen die Engländer nach der Zielentfernung gefragt hatten; die Engländer teilten sie ihnen in Yards mit, die Russen aber schössen nach dem metrischen System (Richard O'Connor 1980, S. 193). Am 10. 5. 1940 bombar-

dierten deutsche Kampfflugzeuge die Stadt Freiburg, die sie für die französische Stadt Dijon hielten. 57 Menschen wurden getötet (Wolf Middendorff 1977). Am 1. 4. 1944 wurde die Schweizer Stadt Schaffhausen von einer Gruppe amerikanischer Bomber angegriffen, und 40 Personen wurden getötet. Als Erklärung wurde angegeben, die Flugzeuge seien durch den Wind abgetrieben worden, die Windgeschwindigkeit sei höher gewesen, als man erwartet hatte. Am 22. 2. 1940 liefen sechs deutsche Zerstörer aus, um an der Dogger-Bank feindliche Fischdampfer aufzubringen. Die Fahrt endete damit, daß in der Nacht deutsche Kampfflugzeuge irrtümlich zwei deutsche Zerstörer durch Bombenabwürfe versenkten. 578 Soldaten wurden hierbei getötet. Zwischen Marine und Luftwaffe hatte keine Verständigung über die Einsätze stattgefunden. Vier Stunden nach dieser Katastrophe flog ein zurückkommender deutscher Bomber über die Insel Borkum und wurde von deutscher Flak abgeschossen (Cajus Bekker 1974, S.66ff.). Auch im U-Boot-Krieg sind entsprechende Irrtümer vorgekommen; im September 1940 versenkte vor der Küste von Norwegen ein englisches U-Boot ein eigenes U-Boot, von dem nur der Kommandant und ein Seemann überlebten. Ähnliches war auch schon im Ersten Weltkrieg geschehen (Lowell Thomas 1931, S. 184-186). Im Yom-Kippur-Krieg im Oktober 1973 schoß die Flugabwehr Ägyptens 45 eigene Maschinen ab. Am 6. 8. 1973 kamen durch einen irrtümlichen Bombenangriff amerikanischer Flugzeuge auf eine kambodschanische Stadt eine Anzahl Menschen ums Leben. Der Navigator und der Kommandant der Maschine erhielten einen „ernsten" Verweis, zwei andere Offiziere eine Verwarnung (Die Welt, 28. 8. 1973).

G. Ärztliche Kunstfehler Es ist anzunehmen, daß sich bei der ärztlichen Tätigkeit infolge von Kunstfehlern und Nachlässigkeiten eine Reihe von fahrlässigen Tötungen ereignet, die niemals bekannt werden. Gerade auf diesem Gebiet dürfte die Dunkelziffer außerordentlich hoch sein (Wolf Middendorff 1959, S. 185). Derartige fahrlässige Tötungen sind in verschiedenen Formen vorgekommen. 1930 wurde in Lübeck ein neues Tuberkulosemittel zur Impfung benutzt, das nicht genügend erprobt war; 68 Kinder starben. Der verantwortliche Professor der Medizin wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Sein Verteidiger und der Gerichtsvorsitzende in diesem Verfahren nahmen sich später das Leben (Kurt Riess 1965, S.270ff.; Erich Frey 1959, S.463ff.). Auf dem Gebiet der Narkose haben sich eine Reihe von Unfällen ereignet; die Fehler können schon bei der Installation der Einrichtungen geschehen. Im Bezirkshospital von Zweisimmen, Schweiz kamen 1971 zwei Patienten ums Leben. Die Unter-

Fahrlässige Tötungsdelikte suchung ergab, daß die Installationsarbeiten für die Narkoseeinrichtung fehlerhaft waren, die Schlauchleitungen für Lachgas und Sauerstoff waren falsch angeschlossen. Der Sachbearbeiter der Firma für Klinikausstattung und ein Monteur wurden bestraft. Heute rechnet man international mit einem Todesfall auf 1000 bis 3000 Anästhesien. Bei Spitzenkliniken, die über gut funktionierende Anästhesie·Abteilungen verfügen, beträgt die Mortalität nur 1:10000 bis 1:30000, in den kleineren Kliniken ist daher die Mortalität entsprechend höher (FAZ, 21. 2.1979; Gerhard Mauz 1968, S. 142ff.). In Köln wurden 1979 ein Oberarzt und ein Chefarzt wegen fahrlässiger Tötung verurteilt; sie hatten einen Gastarzt, der schon wegen Alkohol- und Medikamentenmißbrauchs aufgefallen war, bei einer Operation nicht genügend beaufsichtigt, so daß ein Patient durch Fehler des Arztes gestorben war. Es wird immer ein Streitpunkt bleiben, ob Mißerfolge eines Arztes auf einen Kunstfehler oder vielleicht auf die fahrlässige Anwendung einer noch nicht voll erprobten Methode zurückzuführen sind. Es sei an die Strafverfahren gegen den Krebsarzt Dr. Issels erinnert (Gerhard Mauz 1968, S. 137ff.; Paul Noack/Bernd Naumann 1961, S. 201 ff.). Kunstfehler eines Arztes sind auch dadurch möglich, daß er, obwohl zu alt, nicht aufhören will zu operieren (Jürgen Thorwald 1963). H. Unfälle auf verschiedenen Gebieten Kein großer Bau, keine Brücke oder sonst ein großes technisches Werk werden vollendet oder betrieben, ohne daß es hierbei zu schweren Unfällen kommt. Einer der außergewöhnlichsten Fälle dieser Art ereignete sich 1935 in Wittenberg. Ein Sprengstoffwerk flog in die Luft, und es gab über 50 Tote und 75 Schwerverletzte. Nach langen Ermittlungen ergab sich folgender Tatbestand: ein Arbeiter hatte bei kaum erträglicher Hitze in einem Bottich von Trinitrotoluol, einem sehr empfindlichen Sprengstoff, gerührt; da es ihm heiß wurde, zog er seinen Handschuh ab und legte ihn auf den Rand des Behälters. Durch irgendeine Bewegung fiel der Handschuh in die Säure, und diese entzündete sich, weil der Arbeiter entgegen der Betriebsanweisung seine schadhaften Handschuhe mit nach Hause genommen und sie sich von seiner Frau hatte stopfen lassen. Die wenigen Wollfäden in diesem Handschuh verursachten dann die Explosion. Der Täter verlor einen Arm und ein Bein; er wurde nicht angeklagt (Oskar Paul Dost 1958). Auch Atomkraftwerke können nicht betrieben werden, ohne daß es zu Unfällen kommt. Am 19. 11. 1975 erlitten im bayerischen Kernkraftwerk Gundremmingen beim Auswechseln einer Dichtung im Kühlsystem zwei Arbeiter durch heißen radioaktiven Dampf tödliche Verbrühungen. Mangelnde Aufsicht und mangelnde Vorsorge können

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zu vielerlei Unfällen führen wie dem am Neujahrsabend 1974 im Kölner Opernhaus. Der Bariton Wolfgang Anheisser sprang wie schon 42mal vorher aus einer Höhe von 3,50 Metern auf die Bühne und wurde nicht wie sonst durch ein Seil gehalten. Der Bühnenarbeiter hatte das Seil, das den Sprung sichern sollte, nicht, wie vorgesehen, an einem Karabinerhaken befestigt. Der Sänger starb an seinen schweren Verletzungen. Der technische Direktor, der Bühnenobermeister und ein tunesischer Bühnenarbeiter wurden verurteilt. Viele Unglücke werden durch den Ausbruch von Panik unverhältnismäßig verschlimmert wie z. B. beim Brand des Ringtheaters in Wien am 8. 12. 1881, bei dem 386 Menschen - nach anderen Quellen 450 - starben. (Walter Ullers 1980). Sieben Jahre später kam es in München zu einem einmaligen Unglück. Am 31. 7. 1888 bewegte sich ein Festzug durch die Straßen Münchens. Die Gruppe der Kaufmannschaft führte acht Elefanten mit. Als diese Gruppe der Gruppe der Eisenindustrie begegnete, scheuten die Elefanten, weil der von der Eisenindustrie mitgeführte Pappdrachen Feuer aus seinem Rachen schnaubte. Die Elefanten liefen durch die Straßen, taten aber keinem Menschen etwas zuleide. In der sofort entstehenden großen Panik kamen indessen drei Menschen um. Zuvor hatte es wegen des Mitführens der Elefanten und des Drachens mancherlei Warnungen gegeben, aber weder die Kaufmannschaft noch die Eisenindustrie wollten auf ihre Attraktion verzichten (Wiener Tagblatt, 2. 8. 1888).

m . DIE PERSÖNLICHKEIT DES TÄTERS Es gibt kaum kriminologische Untersuchungen, die etwas über die Täter der verschiedenen Formen der fahrlässigen Tötung aussagen. Die Unterschiede zwischen den Tätern sind zu groß, und es gibt innerhalb der einzelnen Formen zu wenig Fälle und zu wenig Täter, als daß Vergleiche, insbesondere mit Hilfe empirischer Studien, möglich wären, obwohl zu vermuten ist, daß es im Bereich des menschlichen Verhaltens genau so viele Regelmäßigkeiten gibt wie im Bereich der Naturwissenschaften (Lynda P. Malik 1970, S. 3). Auf dem Gebiet des Straßenverkehrs ist die Situation besser; zwar gibt es über den Täter der fahrlässigen Tötung nur sehr wenig kriminologisches Material, wie z. B. das, daß die Vorstrafenquote dieser Täter zwischen 27 und 33 % liegt (Günther Kaiser 1970, S.213) und damit höher ist als bei der fahrlässigen Körperverletzung; es gibt aber mehr Material über Verkehrstäter allgemein, und diese Ergebnisse lassen sich cum grano salis auch auf die Täter der fahrlässigen Tötungen anwenden, weil in sehr vielen Fällen Tat und Schuld dieselben sind und die Folgen - Verletzung oder Tötung - vom Zufall abhängen.

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Aus den Tätern der fahrlässigen Körperverletzung und der fahrlässigen Tötung lassen sich vier Gruppen bilden: a) Der Täter, der einmal versagt, indem er sich einer leichten Fahrlässigkeit schuldig macht, der einmal ,Pech' hat, ein leichtes Risiko eingeht und sonst absolut unauffällig ist. b) Der Täter, der einmal eine schwere, grobe Fahrlässigkeit begeht und mit seiner Fahrweise ein größeres Risiko eingeht. c) Der Täter, der häufig risikoreich fährt, so daß ein objektiver Betrachter zu der Schlußfolgerung kommen muß, daß nun endlich ein Unfall geschehen müßte. d) Der Täter, der die fahrlässige Tötung unter Alkoholeinfluß begeht. Die Täter der Gruppen c) und d) sind häufig wegen Verkehrsdelikten vorbestraft und werden oft auch auf andere Weise straffällig. Überschneidungen zwischen den einzelnen Gruppen sind selbstverständlich möglich. Zu a): Es ist unbestritten, daß jeder Mensch heute in irgendeiner Weise Verkehrsteilnehmer und daß jeder Verkehrsteilnehmer ein „potentieller Krimineller" ist (Armand Mergen 1978, S. 298) und sich vor allem während seiner Teilnahme am motorisierten Verkehr fast ständig in einer „potentiellen Deliktsituation" befindet (Hans Göppinger 1976, S.439). Der Mensch ist zudem ein „riskiertes Wesen mit einer konstitutionellen Chance zu verunglücken" (Hans Hass ο. J., S. 109). Als Hauptursache für Unfälle ist die allgemeine Fehlerhaftigkeit des Menschen anzusprechen. Zahlreiche psychologische Untersuchungen von Verkehrsteilnehmern haben ergeben, daß häufiger, als allgemein bekannt ist, Wahrnehmungsfehler und -mängel auftreten, insbesondere im Schilderwald der Verkehrszeichen, in dem auch so wichtige Zeichen wie Ampelanlagen nicht selten einfach übersehen werden. Der Freiburger A D A C veranstaltete 1957 eine Testfahrt, bei der den Teilnehmern aufgegeben war, auf einer 16,5 km langen Strecke im Stadtgebiet sämtliche Verkehrsschilder und -zeichen zu zählen. Insgesamt waren es 287 Schilder, von 10 teilnehmenden Fahrern wurden im Durchschnitt 267 Schilder gezählt, das Minimum lag bei 239. Auf dem Verkehrsgerichtstag 1980 in Goslar sprach Steinbuch von der „informationellen Unzulänglichkeit des Menschen". Diese Unzulänglichkeiten haben mehrere Gründe: - „die Unzulänglichkeit der Informationsaufnahme: Der Mensch kann in begrenzter Zeit nur wenig Information aufnehmen. Deshalb ist der Zeitbedarf zur Wahrnehmung und zum Verständnis komplizierter Zusammenhänge oft größer, als er verfügbar ist, meist muß man sich vorzeitig entscheiden oder handeln.

- die unzulängliche Kapazität des Gedächtnisses: Die gesamte Informationsmenge, die der Mensch speichern kann, ist wesentlich geringer als die Informationsmenge, die zur Beschreibung seiner Welt gebraucht wird und eigentlich' sein Denken und Verhalten bestimmen müßte. - Die unzulängliche Kapazität des Gegenwartsspeichers des Menschen, seine allzu kleine Werkstatt des Denkens . . . die informationelle Unzulänglichkeit des Menschen zeigt sich vor allem im Verkehr. Beispielsweise ist der Mensch im Straßenverkehr vielfach überfordert - sei es nun als Autofahrer, sei es als Fußgänger" (Karl Steinbuch 1980, S. 28-29). Verhaltensforscher haben gezeigt, daß der Mensch ein Ordnungswesen ist; das bedeutet, daß er sich an jede Art von Tätigkeit in allen Berufen mehr oder weniger schnell gewöhnt und diese Tätigkeit dann routinemäßig ausübt (Wolf Middendorff 1973, S. 20-21). Es kann auch nicht bestritten werden, daß Routine den Menschen automatisch mehr oder weniger nachlässig macht. Ein routinemäßiges Nachlassen der Aufmerksamkeit tritt ζ. B. dann ein, wenn ein Kraftfahrer täglich dieselbe Strecke fährt; es ist möglich, daß er auf dieser Strecke eine Änderung der Vorfahrt oder eine neu angebrachte Ampelanlage einfach nicht wahrnimmt. „Es gibt generell gute und generell schlechte Umsteller" (Karl Marbe 19262, S.47). Die schlechte Umstellbarkeit vieler Menschen zeigt sich insbesondere bei der Veränderung der Witterung, wie z.B. beim plötzlichen Wintereinbruch mit Schnee und Glatteis oder beim plötzlichen Aufkommen von Nebel. Nach Wilhelm Arnold (1975, S. 131) ist die Unausgeglichenheit der Persönlichkeitsstruktur kennzeichnend für Unfallaffinität. Zu b): Viele Verkehrsteilnehmer gehen aus den verschiedensten Gründen ein größeres Risiko ein und fahren, wie es im Gesetz heißt, grob verkehrswidrig und rücksichtslos. Die in jedem Menschen gespeicherte Aggression spielt dabei eine große Rolle (Wolfgang Schneider 1978; Wolf Middendorff 1972 [1], S.12ff.). Zu c): Der Übergang vom einmaligen Risikoverhalten zum beständigen risikoreichen Fahren ist fließend (Max Hess-Haeberli 1967). Vor allem jüngere Verkehrsteilnehmer neigen dazu, Risiken einzugehen, unter ihnen insbesondere auch Soldaten der Bundeswehr. Die Zusammenhänge zwischen Verkehrsdelinquenz und allgemeiner Kriminalität sind schon oft nachgewiesen und dargestellt worden (Wolf Middendorff 1972 [1], S. 19ff.; Monika Keske 1978). Zu d): Risikotäter fahren oft auch unter Alkoholeinfluß, die damit eingegangene Gefahr kann einen Teil des Risikoverhaltens darstellen. Alkoholtäter sind auch oft vorbestraft (Wolf Middendorff 1972 [1], S. 46ff.; Wolf Middendorff 1980 [2]; Marilee Garretson/Raymond C. Peck 1981).

Fahrlässige Tötungsdelikte Diese für Verkehrstäter entwickelte Typologie gilt mutatis mutandis auch für die Täter fahrlässiger Tötungen auf anderen Gebieten; Überschneidungen sind möglich.

IV. DIE RECHTLICHE BEHANDLUNG DER FAHRLÄSSIGEN TÖTUNG A. Der Begriff der Fahrlässigkeit 1.

Allgemeines

Was in unserer Zeit von den Gerichten als fahrlässiges Delikt abgeurteilt wird, hat es als Tatbestände in der Geschichte des Strafrechts immer schon gegeben und hat immer zu Schwierigkeiten geführt. Auch die Menschen früherer Zeiten haben die Unterschiede zwischen einem Vorsatz- und einem Fahrlässigkeitsdelikt erkannt und auch, ohne eine ausgebildete Strafrechtsdogmatik zur Verfügung zu haben, Lösungen verschiedener Art versucht: - auf dem Wege der Ausgestaltung des Begriffs der Fahrlässigkeit, - auf dem Wege über die Strafzumessung, - durch das Ausweichen in Freisprüche, - durch Gnadenerweise.

2. Geschichtliche

Beispiele

Das germanische „Strafrecht" beruhte auf dem Gedanken der Erfolgshaftung: „Die Tat tötet den Mann". Das hieß allerdings nicht, daß man nicht den Unterschied zwischen einer absichtlichen Tat und einer Tat aus Versehen kannte; man sprach in diesen Fällen von „Ungefährwerk". Ob eine solche Tat vorlag, beurteilte man nach typischen, wiederkehrenden äußeren Merkmalen, d. h. wenn nach allgemeiner Erfahrung eine derartige Tat nicht mit Absicht begangen wurde, wie beispielsweise beim Baumfällen oder wenn jemand in eine Tierfalle geriet. Man kannte allerdings nicht den Unterschied zwischen Fahrlässigkeit und schuldlosem Zufall. Auch das nachträgliche Verhalten eines Menschen wurde als Indiz gewertet; es war möglich, daß der Täter sich durch einen Reinigungseid vom Vorwurf des Vorsatzes befreite, in diesen Fällen war lediglich ein Wergeld zu zahlen (Eberhard Schmidt 1965, S. 31-33). In manchen Rechten wurde der Täter eines „Ungefährwerkes" wie derjenige behandelt, der in Notwehr gehandelt hatte (Rudolf His 1967, S.97). Die Alemannen kannten schon Grade der Fahrlässigkeit, wie wir heute sagen würden; so wurde in einem Basler Gesetz von 1438 erklärt, daß Schiffsleute eine besondere Verantwortung dafür träfe, daß ihren Passagieren kein Leid zustoße (Eduard Osenbriiggen 1860, S.41). In

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späterer Zeit entwickelte man für schwerste Fahrlässigkeit den Begriff der Frevelhaftigkeit, der sogenannten luxuria. (Eduard Osenbriiggen 1860, S. 142-143). Erst im hohen Mittelalter wurde die Gefährdungshaftung, d. h. eine Art Fahrlässigkeit, in den strafrechtlichen Bereich mit hineingenommen (Ekkehard Kaufmann 1958, S.83). In verschiedenen Rechtsordnungen blieb es jedoch noch länger bei der Zahlung von Wergeld für nicht absichtliche Tötungen (Karl Kroeschell 1973, S. 122). Bei dieser „Kriminalisierung" der absichtslosen Tötung wurde immer mehr die Diskrepanz zwischen Schuld und Erfolg offenbar, und man fand verschiedene Nebenwege und Auswege, um zu einer menschlichen Lösung zu kommen. In Lübeck fiel ein Dachdecker durch das Dach des Rathauses in den Sitzungssaal und schlug im Fallen einen Ratmann tot. Das Urteil lautete dahingehend, daß der anklagende Verwandte des Toten sich vom Dach herab auf den Angeklagten herabfallen lassen solle. Wenn er ihn durch den Fall erschlage, bleibe er wegen dieser Tat straflos (Rudolf His 1964, S. 101). Ein ähnliches Urteil wird bezeichnenderweise aus vielen Rechtsordnungen berichtet, in denen man offensichtlich dieselben Schwierigkeiten hatte, eine gute Lösung zu finden (Walter Ullers 1970, S. 19). Dieser Ausweg kam einem Freispruch gleich; bis heute hat man immer wieder denselben Ausweg aus dem Dilemma zwischen geringer Schuld und schwerem Erfolg gefunden. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß der Prozentsatz von Freisprüchen in Verfahren wegen fahrlässiger Tötungen höher ist als bei anderen Delikten. „Die große Zahl von Freisprechungen ist für das Delikt typisch" (Karl Siegifried Bader 1949, S.44). In England lautete die Strafbestimmung für fahrlässige Tötung bis 1956 „manslaughter". Da diese „barbarische Bezeichnung" offensichtlich die Laienrichter dazu veranlaßte, eine unverhältnismäßig große Anzahl von Angeklagten freizusprechen, wurde diese Strafbestimmung im Ausdruck gemildert. Die Anzahl der Verurteilungen stieg indessen nur geringfügig an. Während 1959 in der Bundesrepublik Deutschland auf 13 536 Getötete im Straßenverkehr 3101 Verurteilungen wegen fahrlässiger Tötung kamen, waren es in England bei 6 026 Getöteten nur 228 Verurteilungen. Auch in Norwegen sind die Laienrichter außerordentlich zurückhaltend, „einen sonst guten Mann als einen Kriminellen zu brandmarken, lediglich weil er einen Augenblick gedankenlos und unvorsichtig gewesen ist." Da zudem die Strafzumessungspraxis in Norwegen sehr hart ist, wurden von 75 wegen fahrlässiger Tötung Angeklagten nur 2 tatsächlich wegen dieses Delikts verurteilt (Johannes Andenaes 1968, S. 230-233). In vielen Rechtsordnungen konnte im Mittelalter das Gericht „nach Gnade" richten, wenn es offensichtlich notwendig war, das strenge Recht zu mildern (Rudolf His 1964, S. 384ff.).

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Fahrlässige Tötungsdelikte 3. Der moderne Begriff der Fahrlässigkeit

Die Notwendigkeit, auch nichtvorsätzliches Handeln bestrafen zu müssen, hat in unserer Zeit zu recht unterschiedlichen Lösungen und verschiedenartigen Definitionen der Fahrlässigkeit geführt, so daß es für den Verursacher einer Tötung von entscheidender Bedeutung sein kann, in welchem Land er diesen Unfall verursacht hat und vor welches Gericht er kommt. Nach der in der Bundesrepublik von den Gerichten praktizierten Formel bedeutet Fahrlässigkeit, daß der Täter gegen die allgemeine, nach objektivem Maßstab zu beurteilende Sorgfaltspflicht verstoßen hat, und daß er zu ihrer Einhaltung subjektiv in der Lage war (Hans-Heinrich Jescheck 1978, S. 454ff.). Schon die Aufnahme einer gefährlichen Tätigkeit kann den Vorwurf der Fahrlässigkeit begründen, wenn der Täter hätte erkennen können, daß er den Anforderungen nicht gewachsen ist. Bei der Prüfung dieser Frage wird ein strenger, den Bedürfnissen der Allgemeinheit Rechnung tragender Maßstab an die zumutbare Selbstprüfung angelegt. Auch die an die Vorhersehbarkeit gestellten Voraussetzungen sind sehr streng; nach einer Entscheidung des OLG Hamm ist für einen Kraftfahrer, der einen schweren Fahrfehler begeht, auch vorhersehbar, daß er dadurch einen Menschen verletzt, der dann im Krankenhaus infolge der Transfusion des Blutes eines an Hepatitis erkrankt gewesenen Blutspenders an Transfusionshepatitis stirbt (Verkehrsrechtliche Mitteilungen, Mai 1974). Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Gesetzgeber und Richter, die derartige Entscheidungen fällen und derartige Anforderungen stellen, von einem Menschenbild ausgehen, das es nicht gibt. Der unfehlbare „homunculus normalis" ist eine Illusion; oben wurde gezeigt, daß der Mensch im Gegenteil sehr fehlbar ist (Wolf Middendorff 1973, S . 3 f f . , 9ff.). Der Schweizer Begriff der Fahrlässigkeit stimmt mit dem unsrigen im wesentlichen überein; vor einer Ausdehnung wird von Walder gewarnt (Hans Walder 1975). Die nordischen Länder haben einen verschiedenen Begriff der Fahrlässigkeit entwikkelt; in Schweden gleicht der Begriff der Fahrlässigkeit dem unsrigen, norwegische Gerichte verlangen für eine Verurteilung einen wesentlich höheren Grad an Fahrlässigkeit. Ähnliches wie in Norwegen gilt auch für England und die USA. In der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 1969 fuhr der damalige Senator Edward Kennedy in einem Pkw über die schmale Dyke-Brücke auf Chappaquiddick-Island. Er geriet über den geländerlosen Rand der Brücke, der Wagen versank im Wasser, und in ihm ertrank die Begleiterin Kennedys, Mary Joe Kopechne. Eine richterliche Untersuchung ergab, daß Edward Kennedy fahrlässig gefahren sei und dadurch zum Tod seiner Begleiterin beigetragen habe (Henry A. Zeiger 1970; Jack Olsen 1970; John Barron 1980). Bei diesem Stand der Dinge

wäre Kennedy in der Bundesrepublik mit Sicherheit wegen fahrlässiger Tötung bestraft worden, in den USA wurde er wegen dieses Tatbestands nicht einmal angeklagt. Diese Entscheidung erging nicht etwa wegen der Persönlichkeit Edward Kennedys, sie entspricht vielmehr der allgemeinen Praxis in den USA. Amerikanische Staatsanwälte klagen im allgemeinen nicht wegen Fällen einfacher Fahrlässigkeit an, sie können von den Laienrichtern nur eine Verurteilung erwarten, wenn es sich um Fälle von schwerer Fahrlässigkeit, also z. B. grober Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit, handelt. Diese Praxis entspricht auch der strafrechtlichen Theorie; in dem Strafgesetzbuch des Staates New York aus dem Jahre 1967 wird Fahrlässigkeit dahingehend definiert, daß derjenige fahrlässig handelt, der ein nicht zu rechtfertigendes Risiko eingeht, das in der krassen Abweichung von der Sorgfalt eines vernünftigen Menschen besteht (§ 15.05 Abs. IV). Für die USA bedeutete es daher geradezu eine revolutionäre Entwicklung, daß 1979 die Firma Ford in den oben geschilderten Strafprozeß wegen fahrlässiger Tötung verwickelt wurde. D a in der Bundesrepublik - wie es den Anschein hat - eine gewisse Neigung besteht, z. B. in Prozessen wegen fahrlässiger Tötung infolge von ärztlichen Kunstfehlern nur bei schwerer Fahrlässigkeit zu verurteilen, kann man von einer gewissen Annäherung der Praxis in den USA und in der Bundesrepublik sprechen. Nach zehnwöchiger Verhandlung und 25stündiger Beratung der Jury wurde die Firma Ford freigesprochen.

B. Die Durchführung von Strafverfahren Ob es nach einem tödlichen Unfall, der offensichtlich auf fahrlässiges Verhalten zurückzuführen ist, tatsächlich zu einem Strafverfahren kommt, ist von Land zu Land, von Zeit zu Zeit und von Fall zu Fall sehr verschieden. Die Täter fahrlässiger Tötungen im Straßenverkehr haben die größte Chance, vor Gericht zu kommen und verurteilt zu werden; sie sind durch keine Gruppenzugehörigkeit geschützt, polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungen bieten in diesen Fällen in der Regel wenig Schwierigkeiten, und meist handelt es sich nur um einen Täter, der unmittelbar auf das Opfer eingewirkt hat. Die Beweisschwierigkeiten werden größer, wenn eine Kette von vielleicht Verantwortlichen vorhanden ist, wenn es sich um Aufsichtspflichtige oder Vorgesetzte, z . B . sogenannte Schreibtischtäter, handelt, denen vielleicht irgendeine Unterlassung wie die einer Belehrungspflicht anzulasten ist. Je weiter die Distanz zum unmittelbaren Geschehen wird, desto unwahrscheinlicher ist es, daß es zu einer Verurteilung kommt. Nicht ohne Grund nennt man in diesem Zusammenhang oft das Sprichwort „Den Letzten beißen die Hunde".

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Fahrlässige Tötungsdelikte Wenn der fahrlässige Täter bei dem Unfall selbst getötet wird, kommt es ohnehin nicht zu einem Strafverfahren.

1. Straßenverkehr Im „Rungenfall" wurden in der ersten Instanz Fahrzeughalter und Fahrer verurteilt, dieses Urteil wurde in der zweiten Instanz bestätigt. Das Oberlandesgericht hob das Urteil auf, und in der vierten Verhandlung wurden beide Angeklagte freigesprochen. Die Tat war am 22. 12. 1967 geschehen, das letzte Urteil wurde am 3. 8.1972 gesprochen. Insgesamt wurden 18 Sachverständige gehört, das Verfahren kostete den Staat zwischen 40 000 und 50 000 DM. In noch mehr Instanzen wurde im folgenden Fall verhandelt: Am 14. 5. 1950 fuhr ein Motorradfahrer auf einen Pkw auf, der - vom Motorradfahrer aus gesehen - von links nach rechts die Straße überquerte, um in einen Nebenweg einzubiegen. Der Beifahrer des Motorradfahrers wurde getötet. In der ersten Instanz wurde der Motorradfahrer zu vier Monaten Gefängnis verurteilt, seine Berufung wurde verworfen. Das Oberlandesgericht hob das Urteil auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück. Dort wurde das erste Urteil bestätigt. Nach erneuter Revision wurde der Fall an ein anderes Landgericht zurückverwiesen, und in der sechsten Instanz erhielt der Motorradfahrer anstelle einer an sich verwirkten Gefängnisstrafe von zwei Monaten eine Geldstrafe von 300 DM.

2. Schiffsunglücke Nach Schiffsunglücken kommt es höchst selten zu Verhandlungen vor einem Strafgericht. Verhandlungen vor Seeämtern beschränken sich darauf, den objektiven Sachverhalt zu ermitteln.

Verletzungen der Bremsordnung vorgekommen waren. Von den Verteidigern wurde versucht, die Definition der Fahrlässigkeit auf grobe Fehler zu begrenzen, denn es könne im Lande kaum noch einen Eisenbahnbeamten geben, der nicht schon eine der den Angeklagten vorgeworfenen Nachlässigkeiten begangen habe. Schließlich wurden alle fünf Angeklagten freigesprochen (Hugstetter Katastrophe 1883). In England wurde in den ersten Jahrzehnten des Eisenbahnbetriebes nach Unglücken selten ein Schuldiger angeklagt, es gab aber immer eine sehr sorgfältige Untersuchung der Ursachen der Unglücke, und die Berichte der Untersucher waren häufig mit Verbesserungsvorschlägen für den Eisenbahnbetrieb verbunden (O. S. Nock 1970, S. 247 ff.). In der Bundesrepublik wird heute nach Eisenbahnunfällen entsprechend unserem Fahrlässigkeitsbegriff angeklagt und verurteilt (Hans Joachim Ritzau 1972). Wenn sich kein Unfall ereignet, wohl aber ein fahrlässiges Verhalten aufgedeckt wird wie z.B. das Nichtschließen von Schranken während der Durchfahrt eines Zuges, verhängt die Bundesbahn selbst minimale Geldstrafen, die in krassem Mißverhältnis zu der Gefährlichkeit des beanstandeten Verhaltens stehen (Wolf Middendorff 1973, S. 24).

4. Flugzeugunglücke Bei Flugzeugunglücken kommt es oft zum Totalverlust der Maschine und zum Tod aller Insassen. Nach dem Unglück von Hasloh wurden vier Personen angeklagt und zwar der Co-Pilot, zwei Flugzeugelektriker und ein Flugzeugmechaniker. In erster Instanz wurden ein Elektriker und der Mechaniker verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil auf und verwies den Fall zurück; dann wurde das Verfahren wegen Geringfügigkeit gegen Zahlung von je 1500 DM Buße eingestellt.

3. Eisenbahnunglücke 5. Sport- und Spielunglücke Nach dem Eisenbahnunglück zwischen Freiburg und Colmar wurden fünf Personen angeklagt, der Vorstand des Bahnamtes Freiburg, der Freiburger Fahrdienstleiter sowie der Lokführer, ein Wagenwärter und der Zugmeister des Zuges. In der Hauptverhandlung ging es im wesentlichen um die Ermittlung der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit und um die Theorie und Praxis der Gestellung von Bremsern. Nach der badischen Bremsordnung mußte eine bestimmte Anzahl von Bremsern vorhanden sein, die zum Zeitpunkt des Unglücks jedoch nicht im Zuge waren. Aus Zeugenaussagen ergab sich, daß eine Kontrolle von 601:ahrberichten bezüglich der Gestellung von Bremsern für Züge ergeben hatte, daß in fast der Hälfte der Fälle

Nach dem Bergunglück am Schauinsland bei Freiburg wurde der verantwortliche englische Lehrer nicht angeklagt, weil die Führung des Dritten Reiches damals auf ein gutes Verhältnis zu England größten Wert legte. Im Fall des Spielplatz-Unglücks von Freiburg wurde der Gartenbaudirektor der Stadt angeklagt, weil er es unterlassen habe, einen Zaun um den Spielplatz ziehen zu lassen, der verhindert hätte, daß das Kind auf den Bahndamm kletterte. In erster Instanz wurde der Angeklagte freigesprochen, in der zweiten Instanz ebenso, in der Revision wurde das Urteil aufgehoben, und in der vierten Verhandlung wurde der Angeklagte zu einer Geld-

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strafe von 250 DM verurteilt. Der Angeklagte bezahlte weder die hohen Kosten des Verfahrens noch die Geldstrafe aus eigener Tasche. Der Skifahrer Bogner wurde in erster Instanz freigesprochen und in der zweiten verurteilt. Seine Revision wurde verworfen. Nach dem Tod von Boxern - zwischen 1900 und 1968 starben etwa 514 Boxer an ihren Kampfverletzungen - kommt es fast nie zu einer Anklage oder gar zu einer Verurteilung, obwohl man in manchen Fällen sicher kaum noch von Fahrlässigkeit, sondern eher schon von bedingtem Vorsatz sprechen kann. Dasselbe gilt für den Rennsport, der an die Gladiatorenkämpfe des Altertums erinnert. Beim 24-Stunden-Autorennen von Le Mans raste 1955 ein Wagen in die Zuschauermenge und explodierte, 85 Zuschauer wurden getötet. Auf der Piste von Monza starben zwischen 1945 und 1973 11 Menschen, auf dem Nürburgring waren es von 1927 bis 1976 mehr als 300, in Indianapolis bis 1973 59. Verluste von Menschenleben werden seit jeher bei Spielen, Sport- und anderen Wettkämpfen in einem dem neutralen Betrachter fast unbegreiflichen Maße hingenommen; diese weitgehende Toleranz, die zu der Strenge gegenüber dem Einzeltäter im Straßenverkehr in keinem rational verständlichen Verhältnis steht, ist nur durch den uralten Spieltrieb des Menschen und sein ewiges Streben zu erklären, an Grenzen zu stoßen und Gefahren zu suchen. Frauen neigen weniger als Männer dazu, mit Gefahren zu spielen (Hans Hass o.J., S. 103-104; Johan Huizinga 1960).

stanz wurde der Pilot freigesprochen, die zweite Instanz verurteilte ihn zu einer Geldstrafe; der Ombudsmann legte Revision ein, und das Oberste Gericht bestätigte das Urteil, änderte jedoch die Begründung. Unter den Piloten entstand daraufhin eine Bewegung, die üblichen DA-Berichte nicht mehr zu erstatten. Nach langem Hin und Her wurde der Generalstaatsanwalt ermächtigt, in Fällen von leichter Fahrlässigkeit von einer Strafverfolgung abzusehen (Jacob Sundberg 1970). Ein Schweizer Militärgericht verurteilte am 6. 9. 1972 den Oberleutnant, der seinen Verband in den Nebel und gegen die Bergwand geführt hatte, zu zehn Tagen Freiheitsstrafe mit Bewährung. Der Pilot vom Mont Blanc wurde vom Militärgericht in Dijon freigesprochen, weil auf der Flugkarte der Armee die Bodenhindernisse im Mont Blanc-Gebiet nicht eingezeichnet waren. Der Luftwaffenhauptmann hatte behauptet, er habe nie gehört, daß es in diesem Gebiet eine Seilbahn gebe. Nach dem Iller-Unglück der Bundeswehr wurden drei Personen angeklagt; der stellvertretende Zugführer, der den Befehl gegeben hatte, durch die Iiier zu waten, wurde verurteilt, der Zugführer und der Kompaniechef wurden freigesprochen. Im ersten Verfahren wegen des Schießunglücks von Bergen-Hohne wurden zwei Angeklagte zu Einschließungsstrafen (früher Festungshaft) verurteilt, fünf Angeklagte wurden freigesprochen. Nach durchgeführter Revision wurden die Strafen nach erneuter Verhandlung von 7 auf 4 und von 6 auf 2 Monate zur Bewährung herabgesetzt.

6. Unfälle im Militärbetrieb

7. Ärztliche Kunstfehler

Eine Durchsicht zahlreicher tödlicher Unfälle im Militärbetrieb läßt die Vermutung aufkommen, daß in diesen Fällen am ehesten eine Art Korpsgeist eine Bestrafung von fahrlässigem Verhalten verhindert, wobei es natürlich eine Rolle spielt, daß der Betrieb an sich mit vielen Gefahren belastet ist. Eine interessante Entwicklung zeigte sich in dieser Beziehung in Schweden. 1962 führte die schwedische Luftwaffe das sogenannte DA-System ein, was bedeutet, daß die Piloten angewiesen wurden, alle Mängel der Maschine, die bei einem Flug aufgetreten waren, aber auch alle eigenen Flugfehler, zu berichten. Diese Berichte kamen in manchen Fällen einer Selbstanzeige wegen fahrlässigen Handelns gleich. Bei einem Manöver ereignete sich ein Zusammenstoß zwischen zwei Flugzeugen in der Luft, die beteiligten Piloten konnten mit dem Fallschirm abspringen. Die Staatsanwaltschaft weigerte sich zunächst, Anklage wegen lebensgefährlicher Fahrlässigkeit und wegen Verletzung von Regeln des Flugbetriebes zu erheben. Der schwedische Ombudsmann erzwang die Anklage. Ein Gutachten der Luftwaffe kam zu dem Ergebnis, daß ein Pilot im Einsitzkampfflugzeug überfordert ist. In erster In-

Wenn wegen ärztlicher Kunstfehler Anklage erhoben wird, müssen in der Regel Gutachten angefordert werden, und in diesen Fällen zeigt sich dann der sogenannte „Krähenkomment", das heißt, es ist außerordentlich schwer, einen Sachverständigen zu finden, der einem Kollegen einen Fehler bescheinigt (Rudolf Rühl 1978; Julius Hackethal 1977, S. 97ff.).

C. Die Strafzumessung Am 5. 6. 1907 überholte auf der Landstraße zwischen Flensburg und Husum einer jener neuen „Motorwagen" ein Lastfuhrwerk. Die Pferde dieses Fuhrwerks scheuten, und ein auf dem Wagen mitfahrender Arbeiter fiel herunter und war tot. Dem Kraftwagenführer wurde zur Last gelegt, er habe zu schnell überholt und sich dadurch einer fahrlässigen Tötung schuldig gemacht. Er wurde zu einem Monat Gefängnis verurteilt und anschließend zu 14 Tagen Haft begnadigt. In anderen Fällen von fahrlässiger Tötung in dem für jene Zeit so neuartigen

Fahrlässige Tötungsdelikte Straßenverkehr wurde auf eine Bestrafung überhaupt verzichtet (ADAC-Motorwelt 7, 1972). Die Strafzumessung ist die wichtigste und zugleich schwierigste Aufgabe des Strafrichters (Wolf Middendorff 1972 [1], S.67ff.). Franz von Liszt schrieb in seinen „Strafrechtlichen Aufsätzen und Vorträgen": „Man nenne mir einen Richter, der es bestreitet, daß Zufall und Willkür für die Höhe der erkannten Strafen maßgebend sind, der es leugnet, daß die Strafzumessung ein Griff ins Dunkle ist". Selbst wenn man diese Kritik als zu hart ablehnen würde, wird man doch Franz Exner zustimmen müssen, wenn er schreibt: „Ich habe mir die Strafzumessungsgründe aus einigen hundert Urteilen ausziehen lassen und habe daraus allerdings eine Fülle von Anregungen gewonnen, dabei aber immer wieder staunen müssen über die schematische Wiederkehr von stets gleichbleibenden .erschwerenden' und ,mildernden' Umständen, die bei den einzelnen Deliktsarten mehr oder weniger formelhaft aneinander gereiht werden. Dabei ist mir trotz oft ausführlicher Begründung auch nicht in einem einzigen Falle wirklich begreiflich geworden, weshalb der etwa vorliegende schwere Diebstahl mit 6 und nicht mit 16 Monaten Gefängnis bestraft worden i s t . . . Wichtige, vielleicht die wichtigsten Strafzumessungsgründe, bleiben nämlich nicht nur ungeschrieben, sondern auch unausgesprochen, und . . . auch unbewußt" (Zitiert bei Elmar Müller 1960, S.291). Denselben Kommentar könnte man auch schreiben, wenn man einige hundert Urteile von Fällen fahrlässiger Tötung durchgesehen hat. Während sich bei Massendelikten wie der Trunkenheit am Steuer nach § 316 StGB eine gewisse Einheitlichkeit der Strafzumessung entwickelt hat, gilt dies nicht für Delikte der fahrlässigen Tötung. Die einzelnen Gerichte haben zu wenige Fälle zu entscheiden, und diese sind wiederum zu unterschiedlich, als daß es zu Vergleichen und zu einer Vereinheitlichung der Strafzumessung kommen könnte. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, wenn es nicht gar unmöglich ist, in einem Urteil, d. h. in einer Strafe, sei es nun eine Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, eine Synthese zwischen leichter Fahrlässigkeit und dem schweren Erfolg, d. h. dem Tod eines oder mehrerer Menschen zu finden. Die altgermanische Erfolgshaftung ist bis heute nicht überwunden. „Es ist ein wesentliches Merkmal für das Niveau einer Strafrechtsordnung, inwieweit sie sich von der Primitivform des Erfolgsstrafrechts . . . zum Schuldstrafrecht hin entwickelt hat" (Erwin Blume 1965, S. 1261; Wolf Middendorff 1964, S.343ff.; Wolf Middendorff 1961, S. 55 ff.; Bernhard Püschel 1977, S.5). Zusammengefaßt gibt es bis heute, 75 Jahre nach Franz von Liszt und fast 50 Jahre nach Exners Studien über die Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte, keine rationale Begründung dafür, daß ein Urteil so oder so ausfällt. So erhielt bei-

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spielsweise der Täter einer fahrlässigen Tötung durch falsches Überholen 1971 eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten ohne Bewährung. In der Berufungsinstanz wurde dieses Urteil vom Landgericht Schweinfurt auf zwölf Monate mit Bewährung herabgesetzt (ADAC - Motorwelt 6, 1971). Nach dem Eisenbahnunglück von Meckelfeld wurde der angeklagte Fahrdienstleiter zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten mit Bewährung verurteilt. Im Urteil heißt es: „Der Angeklagte war kraft seiner Tätigkeit ständig zu der gespanntesten Aufmerksamkeit verpflichtet. Er wußte, daß die kleinste Nachlässigkeit von ihm die schwersten Folgen haben müßte. Weil er in weit höherer Verantwortung als viele andere Menschen stand, wog sein Fehler besonders schwer, wie die Wirkung, der Tod und die Verletzung von insgesamt 50 Personen, beweist". Auch in vielen anderen Urteilen auf allen Gebieten wird ein Versagen bei höherer Verantwortung als straferschwerender Umstand gewertet. Diese Beurteilung entspricht nicht den oben angeführten kriminologischen Erkenntnissen über menschliches Versagen und menschliche Irrtümer, die niemals auszuschalten sind. Jeder Mensch wird sich auch an die höhere Verantwortung mit der Zeit ebenso gewöhnen wie an geringwertigere Pflichten und wird auch seine hohe Verantwortung allmählich als Routine empfinden und dieselben Fehler machen. Es war ein Schritt in die richtige Richtung, als durch Verordnung vom 2. 4. 1940 (RGBl. I, S. 606) die strafrechtliche Sonderstellung des „Berufsfahrers" beseitigt wurde, weil - wie es in der amtlichen Begründung heißt - mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs jeder die gleiche Verantwortung auf sich nehme. Bei der Strafzumessung ist auch das Verhalten der Opfer zu berücksichtigen; eine Typologie der Opfer zeigt, daß es völlig unschuldige Opfer genau so gibt wie an der Tat mitwirkende und provozierende Opfer, und ebenso auch Opfer, die fast oder genau so schuldig werden wie der Täter (Wolf Middendorff 1975 [1]). Wenn der Täter selbst schwer verletzt ist, ist es nicht ausgeschlossen, daß nach § 60 StGB auch in Fällen fahrlässiger Tötung von Strafe abgesehen wird. In den Ländern des Ostblocks herrscht ein überaus starres Erfolgsstrafrecht, und bei fahrlässigen Tötungen werden oft langjährige Freiheitsstrafen ausgesprochen. 1978 verurteilte ein Moskauer Gericht einen Lkw-Fahrer, der im betrunkenen Zustand acht Fußgänger umgefahren hatte, zum Tode. Das Urteil wurde vollstreckt. Dasselbe gilt auch für die USA, wenn Alkoholeinfluß bei der fahrlässigen Tötung eine Rolle gespielt hat. 1975 wurde in Heidelberg von einem Militärgericht ein amerikanischer Oberfeldwebel zu 12 Jahren Haft verurteilt, weil er in betrunkenem Zustand zwei radfahrende Kinder angefahren und getötet hatte. In Montgo-

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mery/Alabama wurde 1977 ein Kraftfahrer, der unter Alkoholeinfluß einen Unfall mit Todesfolge verursacht hatte, wegen Mordes zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt. Die bisherigen Ausführungen zur Strafzumessung galten im wesentlichen für das Verkehrsstrafrecht; für die anderen Gebiete, in denen tödliche Unfälle vorkommen, gibt es keinerlei kriminologische Untersuchungen und auch kaum Vergleichsmöglichkeiten zur Strafzumessung. Es besteht jedoch die begründete Vermutung, daß die Strafen für Verkehrstäter höher sind als diejenigen, die wegen fahrlässiger Tötungen auf anderen Gebieten verhängt werden, und auch höher als in Fällen vorsätzlicher Körperverletzung bis nahe an den Tod (Wolf Middendorff 1964, S. 345).

D. Die Meinungen der Öffentlichkeit Seit alters her gibt es ein Sprichwort, Volkes Stimme sei gleichzeitig Gottes Stimme, und die Urteile, die von deutschen Gerichten gefällt werden, ergehen „im Namen des Volkes". Hinter diesen Worten steht die alte Vorstellung von einem einheitlichen Rechtsgefühl, das durch das Gericht repräsentiert wird. Diese Vorstellung ist jedoch falsch; genausowenig, wie es eine einheitliche Strafzumessung gibt, gibt es auch ein einheitliches Rechtsgefühl des Volkes. Ich selbst habe mehrfach dieses Rechtsgefühl getestet, z. B. in dem folgenden Fall: ein Pkw-Fahrer übersieht beim Kreuzen von Straßenbahnschienen die herannahende Straßenbahn, weil ihn kurz zuvor ein anderer Pkw-Fahrer überholt hat. Diesem gelingt es noch, die Schienen zu kreuzen, der folgende Pkw-Fahrer stößt mit der Straßenbahn zusammen, wobei der Beifahrer, ein Anhalter, den er kurz zuvor mitgenommen hatte, getötet wird. Der Pkw-Fahrer wird sehr schwer verletzt. Seine Fahrlässigkeit wird als leicht bezeichnet. Diesen Fall habe ich einem Lehrgang von angehenden Kriminalkommissaren, also einer relativ homogenen Gruppe von Menschen, zur Beurteilung gegeben und die Beamten gebeten, ihre Urteilsvorschläge mit Begründung schriftlich niederzulegen. Von 18 Beamten wollten 7 nach § 60 StGB von Strafe absehen, 7 wollten Geldstrafen zwischen 10 bis 15 und 60 Tagessätzen verhängen, 4 Beamte schlugen Freiheitsstrafen zwischen vier Wochen und einem Jahr vor, 3 Beamte wollten zusätzlich die Fahrerlaubnis entziehen, 2 auf die Dauer eines Jahres, einer für zwei Jahre. Diese Diskrepanzen des Rechtsgefühls sind erschreckend (Siehe Wolf Middendorff 1969). Das tatsächliche Urteil lautete auf 30 Tagessätze Geldstrafe. Ich hätte nach § 60 StGB von Strafe abgesehen. Die sogenannte veröffentlichte Meinung, d. h. die Meinungsäußerung in Presse, Hörfunk und

Fernsehen, unterscheidet sich wiederum von der öffentlichen Meinung in beträchtlichem Maße (Wolf Middendorf 1975 [2], S. 176ff.).

E. Reformen Schwere Unglücke regen zuweilen zu Reformen an; so wurde nach dem Untergang der .Titanic' der internationale Funkverkehr derart geregelt, daß jeder Schiffsfunker heute jederzeit erreichbar ist. Nach dem Untergang der ,Andrea Doria' wurde die Radarausbildung der Schiffsoffiziere verbessert. Eine Reform des strengen Fahrlässigkeitsbegriffes wurde schon oft verlangt, aus kriminologischer Sicht schlug schon Lombroso vor, alle „unabsichtlichen" Handlungen von der Strafbarkeit zu befreien und sie dem Zivilrichter zu überlassen (Gerhard Simson 1972, S. 254). Heute mehren sich die Stimmen, die eine Einschränkung des Begriffs der Fahrlässigkeit fordern (Wolf Middendorff 1973, S. 26-27). Die strafrechtliche Praxis ist nicht gehindert, die Maßstäbe für die Anwendung des Begriffes der Fahrlässigkeit zu ändern und sie den Erfordernissen unserer Zeit anzupassen.

F. Kriminologische Forschung Kriminologische Untersuchungen der Probleme der fahrlässigen Tötung sind dringend erforderlich, sie sollten sich insbesondere auf die Angleichung der Strafzumessung konzentrieren und zunächst eine Bestandsaufnahme der verschiedenen Arten der fahrlässigen Tötung und ihrer rechtlichen Behandlung vornehmen. Außerdem ist die Erforschung der Persönlichkeit der Täter der fahrlässigen Tötung dringend erforderlich (Wolf Middendorff 1972 [2], S.113-114).

Materialien Department of California Highway Patrol (Hrsg.): 1978 Annual Report of Fatal & Injury Motor Vehicle Traffic Accidents. Sacramento/California 1979. National Safety Council (Hrsg.): Accident Facts. Chicago/Ill. 1978. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Straßenverkehrsunfälle. Wiesbaden 1979.

Monographien und

Sammelwerke

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Umweltkriminalität

UMWELTKRIMINALITÄT Α. Umweltverschmutzung und Umweltkriminalität Der Industrialisierungsprozeß unseres Jahrhunderts hat - zunehmend seit dem Beginn der 50er Jahre - den Naturhaushalt empfindlich gestört und damit die Lebensgrundlagen des Menschen gefährdet. Luftverunreinigungen und Lärm, Wasserverschmutzung und industrielle wie gewerbliche Abfälle, die Bebauung des Bodens mit Industrieanlagen und Mietskasernen, dann Hochhäusern führten zum Haß der Menschen gegen ihre Umwelt, die sie als häßlich, verschmutzt und verödet ansehen mußten, schließlich zum Haß gegeneinander, da einer den anderen in der drangvollen Enge und lärmerfüllten, abgasvergifteten Nachbarschaft als Störer, Neider, Bedrücker empfand. Haus und Wohnung boten keinen Platz zur sinnvollen Betätigung, Freiräume in den großen Städten existieren nicht, Spielplätze und Bewegungsräume für Kinder und Jugendliche waren nicht eingeplant oder völlig falsch geplant, sodaß nicht nur die Fließbandarbeit als Fron galt, sondern auch die eigene Nachbarschaft und Wohnung fremd und feindlich blieben. Mit Recht wird daher darauf hingewiesen, daß Krankheit, Nervosität, Spannungszustände, hier ihren Ursprung hatten und haben, daß in der Umweltverschmutzung auch eine der Ursachen von Kriminalität - insbesondere Zerstörung, Raub, Gewaltanwendung liege (—» Städteplanung und Baugestaltung). Auch der Wunsch, sich von dieser Umgebung zu befreien, führte zur Umweltverschmutzung und -belastung: Sprechen wir doch heute von der Zerstörung der Natur durch Wochenendhäuser, Freigeländeeinrichtungen, sprechen vom Freizeitlärm und Freizeitunrat, den es zu beseitigen gilt. Die Umweltverschmutzung wird heute richtigerweise Umweltkriminalität genannt, sofern sie über ein gewisses Maß hinausgeht; zahlreiche Vorschriften versuchen, sie zu verringern und zu bändigen, wer sie übertritt, wird mit Recht an die Seite des Diebes und Betrügers gestellt. Die kriminelle - weil verschmutzte - Umwelt aber (von der Hausgestaltung und Baustruktur bis zur Schmutz- und Lärmbelastung) beeinflußt auch Erleben und Verhalten und kann Kriminalität begünstigen und hervorbringen (—> Städteplanung: Verstädterung, Umweltverschmutzung. Kriminalität). Auch und besonders aus diesen Gründen bedarf es der Bekämpfung der Umweltkriminalität. B. Die Prinzipien des Umweltschutzes Die wirtschaftliche Entwicklung seit den 50er Jahren hat alle modernen Industriegesellschaften mit dem Problem der fortschreitenden Verschlechterung der Umweltbedingungen konfrontiert. Zwei Entwicklungen bedrohen die natürlichen Lebensgruridlagen des Menschen: Die Verschlechterung

der Qualität sowie der zunehmende Verbrauch, der diese Grundlagen langfristig in ihrem Bestand gefährden kann. Ein Teil dieser Entwicklung ist auf die Lebensund Produktionsformen der Industriewelt zurückzuführen, somit zunächst unvermeidbar, ein anderer Teil jedoch ist vermeidbar, weil er die Folge menschlicher Gleichgültigkeit, gemeinschaftswidrigen Gewinnstrebens oder menschlichen Unverstandes ist. Hier Grenzen zu setzen, die Umweltbelastung auf ein erträgliches Maß herabzusetzen und damit Anlaß für die Entwicklung neuer Produktionsverfahren zu geben, ist damit Aufgabe der öffentlichen Hand geworden. Umweltpolitik wurde zur eigenständigen politischen Aufgabe erklärt, die Voraussetzung dazu durch Änderung des Grundgesetzartikels 74 durch das 30. ÄndG. v. 12. 4. 1972 (BGBl. I 593) geschaffen: Danach gehören die Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Auf dem Gebiet des Naturschutzes, der Landschaftspflege und des Wasserhaushalts kann der Bund jedoch nur Rahmenvorschriften erlassen. Ein „Sofortprogramm Umweltschutz" v. 17. 9.1970 und ein „Umweltprogramm 1971" v. 29. 9. 1971 räumten dem Schutz der Naturgrundlagen den gleichen Rang wie etwa der äußeren oder inneren Sicherheit ein. Die deutsche Umweltpolitik wird seither von drei Prinzipien beherrscht: dem Vorsorgeprinzip, dem Verursacherprinzip und dem Kooperationsprinzip. Das Vorsorgeprinzip besagt, daß die Umweltpolitik sich nicht auf bloße Abwehr der Gefahren beschränken darf, sondern Vorsorge für den Schutz der Naturgrundlagen und für deren schonende Behandlung treffen muß. Vorausschauende und planende Maßnahmen aller staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte müssen dafür sorgen, daß bei allen staatlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen auch die möglichen Umweltauswirkungen berücksichtigt werden. Durch das Verursacherprinzip werden die Kosten zur Vermeidung, Beseitigung oder zum Ausgleich von Umweltbelastungen dem Verursacher auferlegt. Instrumente zur Durchsetzung des Prinzips sind Verfahrens- und Produktnormen, Gebote, Verbote, Einzelanordnungen und Abgabenregelungen. Der Verursacher wird dadurch am ehesten angehalten, von ihm ausgehende Umweltbelastungen mit eigenen Mitteln zu verringern; eine schonende Nutzung der Naturgüter läßt sich hierdurch am besten erreichen. Mit dem Kooperationsprinzip wird die frühzeitige Beteiligung der gesellschaftlichen Kräfte an der umweltpolitischen Willensbildung angesprochen, so daß die Mitverantwortung und Mitwirkung aller Beteiligten erreicht wird. Der Grundsatz der Regierungsverantwortung wird jedoch nicht in Frage gestellt.

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Umweltkriminalität C. Umweltbelastungen 1.

Luftverunreinigung

Abweichungen von der natürlichen Zusammensetzung der Luft (Stickstoff: 78, 1 Vol. %, Sauerstoff: 21 Vol. %, Kohlendioxid: 0,03 Vol. %, Edelgase: 0,93 Vol. %) werden entsprechend dem BImSchG als Luftverunreinigung bezeichnet. Hauptquellen der Luftverunreinigung sind Feuerungsanlagen industrieller und privater Natur, gewerblich-technische Prozesse sowie der Straßenverkehr. Luftverunreinigung kann zur Gesundheitsgefährdung und Klimaveränderung führen. Sie erfolgt in der Hauptsache durch Staub (Emissionen aus Feuerungsanlagen, Abfallverbrennung, Verkehr, chemische Industrie, Eisen- u. Stahlerzeugung, NEMetallerzeugung, Eisen- und Stahlgießereien, Industrie der Steine und Erden), Schwefeldioxid (bei Verbrennung von Kohle, Erdöl, Erdgas und industriellen Prozessen entstehend), Stickstoffoxide (Verbrennung in Kfz.-Motoren und Kraftwerken, Düngemittelherstellung), Kohlenwasserstoffverbindungen (fossile Brennstoffe, Steinkohlenteer, Kfz.und Heizungsabgase, Ruß, Mineralöle) Fluorkohlenwasserstoffe (Kältemittel, Treibgase), Schwermetalle (Blei, Cadmium, Chrom, Quecksilber, Thallium, die über Abgase von Kraftwerken, Kfz., industrieller Produktion frei werden), Asbest (Bremsbeläge, Fußbodenbeläge, Isoliermaterial, Asbestzementindustrie), Kohlenmonoxid (unvollst. Verbrennung organischer Verbindungen und fossiler Brennstoffe, Eisen- und Stahlindustrie, Hausheizung). Das sind lediglich die meist genannten Stoffe. In Wirklichkeit enthält die Luft sehr viel mehr Schadstoffe. Der Luftreinhalteplan des Raumes Köln zählt 1000 verschiedene Stoffe, die Emissionskataster von Dortmund und Duisburg weisen 280 verschiedene Stoffe auf.

2.

1,1 Mio. LKW, 550 000 Krafträder, mehr als 2 Mio. Mopeds, Mokicks, Mofas), dabei sind 45 Mio. Bewohner tagsüber Außengeräuschpegeln von 55 dB und mehr sowie 10 Mio. Bewohner tagsüber Pegeln von über 65 dB, in besonders belasteten Gebieten Pegeln von über 80 dB durch den Verkehr ausgesetzt. 50% aller Bürger fühlen sich durch den Verkehrslärm belästigt - wobei noch 18 % für den Lärm durch den Schienenverkehr und 13 % für den Lärm durch den Flugverkehr hinzukommen (= 81 %). Lärm durch Industrie und Gewerbe am Arbeitsplatz führte zu einem sehr erheblichen Anstieg der lärmbedingten Berufskrankheiten: Etwa 2,7 Mio. Arbeitnehmer arbeiten bei Lärmpegeln über 85 dB, so insbesondere in der Eisen-, Metall-, Textilindustrie sowie im Tiefbau. Durch die in der Vergangenheit gewachsenen Gemengelagen und Nachbarschaften zwischen Wohnbebauung und Betrieben werden durch den Industrielärm auch die Wohnungsinhaber belästigt. Baulärm: Durch die Entwicklung der Bauwirtschaft werden weite Teile der Bevölkerung vom Baulärm betroffen, der sich in teilweise hohen Geräuschpegeln zeigt. Im Gegensatz zu anderen Lärmquellen können Baustellen nicht durch andere Bauwerke umschlossen werden, Schallschirmaufstellungen sind oft sehr schwierig. Neue Konstruktionen führten zu leiseren Baumaschinen. Freizeitlärm: Dieser Lärm wird als besonders belästigend empfunden, weil er die gesuchte Erholung verhindert. Die Beurteilung des Freizeitlärms hängt von der subjektiven Einstellung der Betroffenen ab und ist deshalb schwierig. Freizeitlärm kann durch das Betreiben von Freizeitgeräten (Gartengeräte, Hobbygeräte, Motorboote, Modellflugzeuge) wie auch durch das Verhalten anderer Menschen entstehen (Gaststättenlärm, Wohnlärm, Ausflugsverkehr, Spiel und Sport).

Lärmbelastung

Geräusche werden je nach Lautstärke und Höhe vom Menschen als störend empfunden (Lärm). Je nach Alter und Gesundheitszustand kann es zu Gesundheitsschäden kommen (Hörschäden, Kopfschmerzen, Nervosität). Die Stärke der Geräusche wird in Dezibel (dB) gemessen. Die Schlaftiefe wird schon ab 25 dB verändert, bei 60 dB bis zu 25% verkürzt. Ab 75 dB ist eine gegenseitige Verständigung gestört, ab 85 dB treten Hörschäden auf. Starke Belästigungen durch Verkehrslärm können zu langfristigen Herz-Kreislauf bzw. Magen-Darmtrakt-Erkrankungen führen. Psychische Reaktionen (Ärger, Gereiztheit) setzen bereits unterhalb von 60dB ein, bei höheren Werten kommt es zu vegetativen Reaktionen. Hauptquellen des Lärms sind: Lärm durch den Verkehr (1979 in der BRD: Mehr als 20 Mio. PKW,

3.

Wasserverunreinigung

Man unterscheidet Niederschlagswasser (versetzt mit Gasen der Atmosphäre sowie Schadstoffen), Oberflächenwasser (abhängig vom durchflossenen Gestein, den Zuflüssen - Nebenflüsse und Niederschläge - sowie vom Grundwasser und Abwasser), Meerwasser und Grundwasser (abhängig von Gesteinen, Bodennutzung, Düngung und Tiefe). Abwässer (die ins Oberflächenwasser eingeleitet werden) entstehen durch den häuslichen, gewerblichen und industriellen Gebrauch. 1975 fielen im kommunalen Bereich aus diesem Bereich pro Tag 18,9 Mio. m3 Abwasser an. Die eingeleiteten sauerstoffzehrenden und giftigen Stoffe übersteigen die Selbstreinigungskraft des Wassers. Es bedarf daher einmal der Beschränkung der Einleitung, zum an-

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Umweltkriminalität

deren der mechanischen, chemischen oder biologischen Klärung des Abwassers. Außerdem kann eine Belastung der Gewässer mit Abwärme (etwa aus Kraftwerken) zur Abnahme des Sauerstoffgehaltes führen, so daß es bei stark abwasserbelasteten Gewässern zur Qualitätsverschlechterung kommen kann. Eine Überversorgung der Gewässer mit Nährstoffen (wie sie durch Abwässer geschieht) führt zur Vermehrung der Flora, die nicht mehr abbaubar ist (Faulschlammbildung). Zu den wassergefährdenden Stoffen werden gerechnet: Mineral- und Teeröle sowie deren Produkte, Säuren, Laugen, Alkalimetalle, Siliciumlegierungen mit über 30% Silicium, metallorganische Verbindungen, Halogene, Säurehalogenide, Metallcarbonyle, Beizsalze, flüssige und wasserlösliche Kohlenwasserstoffe, Alkohole, Aldehyde, Ketone, Ester, halogen-, stickstoff- und schwefelhaltige organische Verbindungen, Gifte, die geeignet sind, nachhaltig die physikalische, chemische oder biologische Beschaffenheit des Wassers nachteilig zu verändern. 4. Abfallbeseitigung In der BRD ist derzeit jährlich mit 225 Mio. t Abfall sowie 260 Mio. t jährlich landwirtschaftlichen Abfalls zu rechnen. Man unterscheidet zwischen Hausmüll, Sperrmüll, hausmüllähnliche Kommunal- u. Gewerbeabfällen, Klärschlamm, Marktabfällen, Straßenkehricht, Gartenabfällen (= Siedlungsabfall), Abfällen aus Handwerk, Handel und Industrie (= Gewerbeabfall), Krankenhausabfällen, Säuren, Laugen, Lösungen, radioaktiven Abfällen, Altöl, Altreifen (= Sonderabfälle). Zur Beseitigung der Abfälle ist zunächst ihre Einsammlung, der Transport zu einer Beseitigungsanlage und schließlich die Lagerung, Beseitigung oder Verwertung (Recycling) erforderlich. Da bei jedem Haushalt und Betrieb Abfälle entstehen, ist deren Einsammlung, Transport und Lagerung bzw. Beseitigung nicht nur ein technisches, sondern auch ein organisatorisches Problem größten Ausmaßes. Das Abkippen in die Landschaft, die Einleitung in Meere und sonstige Gewässer und das Vergraben von Sonderabfällen (Giftmüll) können in industriellen Gesellschaften nicht hingenommen werden. Es bedurfte hier umfassender Regelungen und neuer Verfahren und Überlegungen, gerade auch im Hinblick auf die Sonderabfälle radioaktiver Art.

Medizin und Energieerzeugung (Abgabe von radioaktiver Strahlung durch Kohlekraftwerke) auch die Belastung mit ionisierenden Strahlen künstlicher Herkunft hinzugekommen. Die Debatten um die Kernenergie haben ebenfalls die Aufmerksamkeit auf diese Belastungen gelenkt (in der Nähe der Kernenergiewerke beträgt die Strahlenbelastung nur lmrem pro Jahr). Auf jeden Fall hat eine Vielzahl von Menschen durch Berufsausübung Umgang mit ionisierenden Strahlen, so daß ein funktionierender Strahlenschutz notwendig ist, die Strahlenbelastung nicht nur für diese Menschen möglichst gering zu halten ist, für Unfälle und Defekte an technischen Einrichtungen Vorsorge zu treffen und die Entsorgung - Transport und Verbleib der Sonderabfälle und Reaktorbrennstoffe - zu regeln ist. 6. Naturschutz und Landschaftspflege Die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen erfordert auch die Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der natürlichen Eigenart der Landschaft, den Schutz von Tier- und Pflanzenarten sowie deren Lebensgemeinschaften sowie die naturgemäße Nutzung und Entwicklung der Landschaft. Naturschutz und Landschaftspflege gehören daher mit zum Umweltschutz. So kommt es zur Notwendigkeit der Erhaltung der Ökosysteme: Damit sind die (ungestörten) Wirkungsbeziehungen von Pflanzen und Tieren unter dem Einfluß physikalisch-chemischer Standortfaktoren (Klima, Wasser, Boden) in einem bestimmten Raum gemeint. Durch das Ökosystem wird auch die Vegetation und die Tierwelt bestimmt. Der Einfluß der Vegetation auf Klima, Wasserhaushalt, Abtragungsschutz gegen Wind und Wasser sowie die menschliche Ernährung ist allgemein bekannt. Störungen der ökologischen Stabilität können u. U. verhängnisvoll sein. Dieses Gleichgewicht kann gestört werden durch die menschliche Besiedlung, den Abbau oberirdischer Bodenschätze, die Verkehrswege und Energieleitungen, land- und forstwirtschaftliche Nutzung (Monokulturen) sowie die Freizeit- und Erholungsansprüche des Menschen (Wochenendhäuser, Sportstätten, Erholungsverkehr, wasserrechtlicher Gemeingebrauch der Seen und Flüsse). Die darin liegenden Beeinträchtigungen und Gefahren zu erkennen und ihnen auch im Interesse der Bevölkerung planend und gestaltend zu begegnen, ist Aufgabe der Landschaftspflege und des Naturschutzes.

5. Strahlenbelastung D. Umweltrecht Zur Belastung mit natürlichen ionisierenden Strahlen (durchschnittlich 110 Millirem pro Jahr, bis zu 800 Millirem im Schwarzwald) ist durch die technische Entwicklung (Meßgeräte, Antistatika, Elektronenmikroskope, Fernsehgeräte) und die

1.

Immissionsschutz

Das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) v. 15. 3. 1974 (BGBl. I, S.721) faßt die bisherigen

Umweltkriminalität Vorschriften zur Verhütung schädlicher Umwelteinwirkungen zusammen. Dabei legt es folgende Definitionen fest: Schädliche Umwelteinwirkungen sind Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Immissionen sind auf Menschen, Tiere oder Pflanzen bzw. andere Sachen einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen. Emissionen sind die von einer Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme und ähnliche Erscheinungen. Luftverunreinigungen sind Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gas, Aerosole, Dämpfe oder Geruchsstoffe. Erfaßt werden vom BImSchG die gesamte Industrie, Gewerbe, Handwerk, Land- und Forstwirtschaft sowie der hoheitliche wie der private Bereich insbesondere im Hinblick auf die Luftverunreinigung und den Lärm. Der Straßenverkehr unterliegt einer Spezialregelung (§ 38). Flugplätze sind vom BImSchG ausgenommen. Der Bereich der Kernenergie und ionisierenden Strahlen unterliegt Sonderbestimmungen (Atomgesetz u. a.) Die Ziele des Gesetzes werden erreicht durch Vorschriften über Anlagen, bestimmte Produkte und bestimmte Gebiete. A n l a g e - I m m i s s i o n s s c h u t z . § 4 BImSchG schreibt die Genehmigungspflicht für Anlagen vor, die schädliche Umweltwirkungen hervorrufen. Das Verfahren ist öffentlich; nur im vereinfachten Verfahren für kleinere Anlagen erfolgt keine öffentliche Bekanntgabe. Auch nicht genehmigungsbedürftige Anlagen (so der gesamte private Bereich) unterliegen nach § 22 BImSchG bestimmten Pflichten: Verhinderung vermeidbarer Umwelteinwirkungen, Beschränkung unvermeidbarer Einwirkungen auf ein Mindestmaß, ordnungsmäßige Beseitigung der Abfälle. Zur Ermittlung der Emissionen und Immissionen für genehmigungsbedürftige wie nichtgenehmigungsbedürftige Anlagen ist ein eingehendes Meßund Überwachungssystem vorgesehen. Vorschriften über die Beschaffenheit von Anlagen und über die Bauartzulassung können erlassen werden. P r o d u k t - I m m i s s i o n s c h u t z . Das Inverkehrbringen von Stoffen, Treibstoffen, Brennstoffen, Maschinen, Geräten, Fahrzeugen kann davon abhängig gemacht werden, daß umweltfreundliche Kriterien eingehalten werden (§ 32ff). Rechtsverordnungen nach § 38 regeln Fahrzeugbeschaffenheit und Zulassung. Der Betrieb von Kraftfahrzeugen kann bei austauscharmen Wetterlagen beschränkt oder verboten werden. Beim Bau von Verkehrswegen ist sicherzustellen, daß vermeidba-

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re Geräusche unterbleiben, Entschädigungsansprüche sind möglich. Gebiets-Immissionsschutz. Art und Umfang bestimmter Luftverunreinigungen sind in Belastungsgebieten regelmäßig festzustellen, ihre Entstehung und Ausbreitung ist zu untersuchen (§ 44) Emmissionskataster müssen aufgestellt werden, Luftreinhaitepläne sind zu verfassen. Durchführungsverordnungen (derzeit 8) regeln Einzelheiten: So die Bestellung von Immissionsschutzbeauftragten in Betrieben, den Betrieb von Feuerungsanlagen, Kriterien für genehmigungsbedürftige Anlagen bis hin zum Rasenmäher. Die „Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft)" legt die Emissions- und Immissionswerte fest, die nicht überschritten werden dürfen und regelt die Verfahren der Ermittlung dieser Belastungen. Sie gilt für alle genehmigungsbedürftigen Anlagen. Für das Gebiet des Lärms regelt die „Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm)" die Immissionsrichtwerte, die - je nach dem Charakter des Gebietes als gewerbliches oder Wohngebiet nicht überschritten werden dürfen. Eine Reihe von Verwaltungsvorschriften legt - entsprechend dem Gesetz zum Schutz gegen Baulärm - die Lärmrichtwerte und Berechnungsarten bei Baumaschinen fest. Für den Fluglärm finden sich die entsprechenden Bestimmungen im Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm v. 30. 3. 1971 (BGBl. I, S. 282) und den dazu ergangenen Schallschutzverordnungen und Bestimmungen über die Erfassung und Berechnung des Fluglärms, die Festsetzung von Lärmschutzbereichen der jeweiligen Flughäfen regeln sowie die VO über die Einschränkung des Flugbetriebes mit Leichtflugzeugen und Motorseglern. Die Bestimmungen über den Straßenlärm ergeben sich aus dem StVG, der StVO und StVZO. Die Messung und Überwachung der Luftverunreinigungen erfolgt durch ein lufthygienisches Überwachungssystem. So werden zunächst in Belastungsgebieten (Gebieten, in denen Luftverunreinigungen in besonderem Maße schädliche Auswirkungen haben können) Luftreinhaltepläne aufgestellt (z.B. Rheinschiene Süd, Ruhrgebiet West), deren Daten (auch Untersuchungen an Säuglingen, Pflanzen, Korrosionsraten bei Stahl, Bodenbelastung) Schlußfolgerungen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung zulassen. Landesweite Meßnetze, gebildet durch Meßstationen mit Kleinprozeßrechnern zur Selbststeuerung und lokaler Datenreduktion melden alle 8 Stunden ihre Daten an eine Zentrale, bei Überschreitung von Grenzwerten erfolgt eine selbständige Sofort-Meldung. Luftmeßwagen und Sondermessungen fahren örtliche Meßstellen an. Durch Flugzeugmessungen kann die Schadstoffbelastung in verschiedenen Höhen ermittelt werden. Es gibt u. a. in Bayern ein Bioindikatornetz zur Erfassung langfristiger immissionsbe-

108

Umweltkriminalität

dingter Schadstoffanreicherung in Pflanzen (Kiefern und Fichten). Bei gewerblichen Anlagen erfolgt eine Emissionsüberwachung, Hausbrandemissionen werden bekanntlich durch die Schornsteinfeger überwacht. Für die Überwachung des Fluglärms stehen Meßstationen sowie Meßwagen zur Verfügung. Durch örtliche Anordnungen lassen sich durch Änderung der An- und Abflugverfahren Lärmminderungen erreichen. Zeitliche Begrenzungen können den nächtlichen Fluglärm verringern. Die Bundesregierung kann die Emissionsrichtwerte für Flugzeuge festsetzen (z. B. für Leichtflugzeuge). Betrieblicher Lärm kann durch Meßwagen, die im Streifendienst eingesetzt werden, überwacht werden. Durch die Bauleitplanung lassen sich Lärmschutzbereiche festsetzen, die den Fluglärm, Gewerbelärm und Straßenverkehrslärm aus Wohngebieten ausschalten bzw. verringern. Die Ausrüstung der Polizei mit einfach zu handhabenden Kontrollgeräten ermöglicht eine Lärmüberwachung des Straßenverkehrs. Lärmkarten als Hilfsmittel der Lärmbekämpfung können den Lärm erfassen und zur Entwicklung von Schallschutzmaßnahmen herangezogen werden.

2.

Wasserschutz

Nach dem Wasserhaushaltsgesetz i. d. F. v. 16. 10. 1976 (BGBl. I, S. 3017 und S. 3341) - W H G sind Gewässer so zu bewirtschaften, daß sie dem Wohl der Allgemeinheit und dem im Einklang damit stehenden Nutzen einzelner dienen, wobei jede vermeidbare Beeinträchtigung zu unterbleiben hat; jedermann ist verpflichtet, bei Maßnahmen, die Einwirkungen auf das Gewässer zur Folge haben können, die erforderliche Sorgfalt anzuwenden, um eine Verunreinigung des Wassers zu verhüten. Die Benutzung des Wassers ist daher von einer Erlaubnis oder Bewilligung abhängig. Eine Erlaubnis ist die widerrufliche Befugnis, ein Gewässer zu einem bestimmten Zweck in einer nach Maß und Art bestimmten Weise zu nutzen. Eine Bewilligung ist das unwiderrufliche Recht, ein Gewässer in einer nach Art und Maß bestimmten Weise zu benutzen. Allerdings werden Bewilligungen nicht mehr erteilt, wenn die Benutzung geeignet ist, schädliche Veränderungen zu zeitigen: Dann gibt es nur noch eine Erlaubnis. Unter „Benutzung" ist in beiden Fällen das Einleiten, Einbringen, Entnehmen und Ableiten zu verstehen. Die Abwassereinleitung ist an Mindestanforderungen gebunden, Menge und Schädlichkeit sind dabei so gering zo halten, wie das nach dem Stande der Technik möglich ist.

Durch die Abwasserbeseitigung (Sammeln, Fortleiten, Versickern usw.) darf das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt werden. Abwasseranlagen sind nach den Regeln der Abwassertechnik zu erstellen. Die Länder haben Pläne für die Abwasserbeseitigung zu erstellen. Im Interesse der Wasserversorgung können Wasserschutzgebiete festgesetzt werden, in denen Handlungen mit nachteiligen Wasserfolgen verboten sind. Anlagen zum Lagern, Abfüllen und Umschlagen wassergefährdender Stoffe unterliegen bestimmten Auflagen, ständige Überwachung ist vorgeschrieben, Errichter und Instandsetzer unterliegen der regelmäßigen Überprüfung. Inhaber von Erlaubnissen und Bewilligungen sowie Nutzer von Gewässern über den Gemeingebrauch hinaus müssen die amtliche Überwachung aller Anlagen und Vorgänge dulden. Wer mehr als täglich 750 cbm Abwasser einleitet, muß Gewässerschutzbeauftragte bestellen, die die Einhaltung aller Vorschriften überwachen. Landesvorschriften über die Einleitung von Stoffen in oberirdische Gewässer sind möglich. Ein Waschmittelgesetz legt im Hinblick auf die Umweltverträglichkeit Grenzen der Bestandteile von Waschmitteln fest, eine VO dazu regelt die Abbaubarkeit bestimmter grenzflächenaktiver Stoffe. Die Beförderung wassergefährdender Stoffe in Rohrleitungen ist ebenfalls durch eine VO geregelt. Das Abwasserabgabengesetz setzt - je nach Verschmutzungsgrad - unterschiedlich hohe Geldabgaben bei der Einleitung von Abwässern fest. Die Abgaben dienen der Erhaltung und Verbesserung der Gewässergüte, insbesondere durch Errichtung von Abwasserbehandlungsanlagen usw. Die Gewässerüberwachung erfolgt durch die Länder, die im Rahmen eines Gewässeraufsichtsdienstes Überwachungspläne erstellt haben. Auf Grund dieser Pläne werden die Sammelkläranlagen überwacht, ein Gewässergütemeßnetz geschaffen, die Meßdaten der Gütepegel werden an eine Zentrale fernübertragen. Sauerstoffschwund, Öl- und Giftverschmutzungen können derart umgehend mitgeteilt werden und bestehende Alarm- und Einsatzpläne auslösen. Auch Überwachungskarteien gibt es, die von den Wasserwirtschaftsämtern geführt werden. Meßschiffe können auf schiffbaren Flüssen Proben entnehmen und diese analysieren. Für die Verschmutzungskontrolle wird auch die Wasserschutzpolizei eingesetzt. Für die Flüsse Rhein, Main, Neckar, Weser, Elbe, Donau und Isar wurden Wärmelastpläne errechnet, die die vorhandenen und geplanten Wärmeeinleitungen aufzeigen. Die Koordinierung erfolgt durch die Länderarbeitsgemeinschaft Wasser. Seereinhalteprogramme (z. B. in Bayern) wirken der Eutrophierung entgegen und verringern durch Vorschriften über die Nährstoffzufuhr und Ringkanalisation die Verschmutzung.

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Umweltkriminalität 3.

Abfallbeseitigung

Das Abfallbeseitigungsgesetz i. d. F. v. 5. 1. 1977 (BGBl. I, S. 41, ber. S.288) legt eine generelle Beseitigungspflicht fest. Durch die Beseitigung soll jedoch eine Gefährdung des Menschen sowie der Nutztiere, des Gewässers, Bodens, der Nutzpflanzen sowie der Natur und Landschaft vermieden werden. Auch darf dadurch die öffentliche Ordnung und die Sicherheit nicht gefährdet oder gestört werden. Abfälle aus gewerblichen oder sonstigen wirtschaftlichen Unternehmen, die in besonderem Maße gesundheits-, luft- oder wassergefährdend, explosibel oder brennbar sind oder Erreger übertragbarer Krankheiten enthalten, unterliegen zusätzlichen Bestimmungen. Die Vorschriften des A b f G gelten indessen nicht für Abfälle, deren Beseitigung in Spezialgesetzen geregelt ist: Das trifft zu für Tierkörper, Kernbrennstoffe, Abfälle aus Betrieben, die der Bergaufsicht unterstehen, gasförmige Stoffe sowie Abwässer, die in Gewässer eingeleitet werden. Die Beseitigungspflicht liegt bei den nach den Landesgesetzen zuständigen Körperschaften des öffentlichen Rechts. Diese können sich jedoch dritter Personen bedienen. Abfallbesitzer haben alle Abfälle diesen zuständigen Stellen zu überlassen - es sei denn, daß ein Ausschluß der Ablieferung erfolgt ist (z.B. bei Sondermüll). Inhaber von Abfallbeseitigungsanlagen können verpflichtet werden, die Mitbenutzung durch andere gegen Entgelt zu gestatten. Eigentümer geeigneter Grundstücke (frühere Kiesgruben, Steinbrüche usw.) können verpflichtet werden, ihre Räume der Abfallbeseitigung zur Verfügung zu stellen. Sondermüll ist vom Besitzer selbst zu beseitigen, er kann sich dazu der Hilfe dritter Personen bedienen. Abfallordnung: Abfälle dürfen nur in dafür zugelassenen Anlagen oder Einrichtungen behandelt oder gelagert werden. Das Einsammeln und Befördern ist nur dafür zugelassenen Personen gestattet, die nachweisen müssen, daß der Inhaber einer Beseitigungsanlage ihre Abfälle auch abnimmt. Die Genehmigung zum Einsammeln und Befördern darf nur zuverlässigen Personen übertragen werden. Eine AbfallbeförderungsVO regelt die Einzelheiten. Autowracks und Altreifen fallen unter die Bestimmungen des Gesetzes. Die Bundesländer haben Abfallbeseitigungspläne aufzustellen. Sie sind mit den anderen Ländern abzustimmen. Abfallbeseitigungsanlagen bedürfen der Planfeststellung und unterliegen der behördlichen Überwachung. In bestimmten Fällen kann die Führung eines Abfallnachweisbuches verlangt werden. Wer gesundheits-, luft- oder wassergefährdende Abfälle beseitigt, muß in jedem Falle ein Abfallnachweisbuch führen. Eine AbfallnachweisVO regelt die Einzelheiten. Betreiber ortsfester Abfallbeseitigungsanlagen müssen einen Betriebsbeauftrag-

ten für den Abfall einsetzen; gleiches gilt für die Beseitiger gesundheitsgefährdender Abfälle. Die Betriebsbeauftragten haben den Weg der Abfälle zu überwachen und für die Einhaltung aller Vorschriften zu sorgen; sie müssen demzufolge genügend sachkundig sein.

4.

Strahlenschutz

Von der Atom- und Strahlenschutzgesetzgebung wird die friedliche Nutzung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlen erfaßt, nicht dagegen die Nutzung für militärische Zwecke. Die Vorschriften umfassen - die Verwahrung von Kernbrennstoffen, - die Ein- und Ausfuhr sowie den Verkehr mit radioaktiven Stoffen, - die Beförderung von radioaktiven Stoffen, - den Umgang (Bearbeitung, Verarbeitung, Verwendung) mit radioaktiven Stoffen, - die Erzeugung ionisierender Strahlen, - die Aufsuchung, Gewinnung und Aufbereitung radioaktiver Mineralien. Neben den Kernbrennstoffen (Plutonium 239 u. 241, Uran 233, Uran, das mit Isotopen 235 und 233 angereichert ist, Stoffen, die einen oder mehrere der genannten Stoffe enthalten sowie Uran/uranhaltige Stoffe der natürlichen Isotopenmischung, die so rein sind, daß sie in einem Reaktor eine sich selbst tragende Kettenreaktion aufrechterhalten) gehören zu den radioaktiven Stoffen auch solche, die ionisierende Strahlen spontan aussenden: Alpha·, Beta- und Gammastrahlen sowie Neutronenstrahlen. Grundlagen der Gesetzgebung sind das Atomgesetz i . d . F . v. 31. 10. 1976 (BGBl. I, S.3053) und die StrahlenschutzVO v. 13. 10. 1976 (BGBl. I, S. 2905, ber. 1977 S.184 u. 269), die RöntgenVO und die Regelungen über die Verwendung ionisierender Strahlen im Lebensmittel- und Arzneimittelrecht sowie die Bestimmungen über den Transport gefährlicher Güter, die Einleitung in Gewässer und Baubestimmungen - alle, soweit sie sich mit radioaktiven Stoffen bzw. Errichtung von Kernenergieanlagen befassen. Nach dem Atomgesetz sind Kernbrennstoffe staatlich zu verwahren, jede Verwahrung außerhalb davon bedarf der Genehmigung, ebenso die Einund die Ausfuhr sowie der Transport. Alle damit befaßten Personen bedürfen der Fachkunde und müssen zuverlässig sein sowie Schutzvorrichtungen gegen Störungen nachweisen. Bei Genehmigungen zur Errichtung von Anlagen, die Kernbrennstoffe be- oder verarbeiten bzw. spalten, gelten die gleichen Voraussetzungen für alle, die in der Anlage tätig sind. Neben geeigneten Schutzmaßnahmen gegen Störungen durch Dritte muß eine Schadensvorsorge gewährleistet sein. D e m Betreiber der Anlage obliegt der Sabotageschutz (daneben auch der Poli-

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Umweltkriminalität

zei gemäß Polizeidienstvorschrift 100); für den Sabotageschutz sind Richtlinien erlassen worden, die zu beachten sind (Bundesanzeiger Nr. 206 v. 3. 11. 1977, Gem. Min. Bl. 1977, S.48, Gem. Min. Bl. 1977, S.683). Die StrahlenschutzVO regelt den Umgang mit radioaktiven Stoffen (einschl. Beförderung, Einund Ausfuhr, Beseitigung der Abfälle, Errichtung u. Betrieb der Anlagen). Sie legt die höchstzulässigen Immissions- und Emissionsgrenzwerte zum Schutz der Bevölkerung wie auch der beruflich damit befaßten Personen (Strahlenpässe für Berufsangehörige) sowie die Umgebungsüberwachung fest. Zuverlässigkeit und Fachkunde des Personals werden hier ebenso wie Schutz gegen Störmaßnahmen gefordert. Darüber hinaus sind Strahlenschutzbeauftragte zu bestellen. Genehmigungspflichtig sind Ein- u. Ausfuhr, Beförderung und Errichtung sowie Betrieb dieser Anlagen. Die Bauart der Anlagen ist zulassungspflichtig. Schließlich regeln die Schutzvorschriften: Pflichten und Aufgaben der Strahlenschutzverantwortlichen und -beauftragten, Aufstellung von Strahlenschutzplänen, Führung von Betriebsbüchern, Funktionsprüfungen der Geräte, Planung von Brandschutzmaßnahmen, Bereithaltung von Hilfsmitteln und Personal bei Unfällen und Störungen. Die regelmäßige Untersuchung des Personals ist vorgeschrieben. Über Patienten sind Aufzeichnungen zu machen, die ihnen auf Verlangen abschriftlich auszuhändigen sind. Die RöntgenVO regelt den Betrieb von Röntgeneinrichtungen und Störstrahlern, die Durchleuchtungsgrundsätze, die Höchstdosen der Strahlung für Personal sowie die Überwachung der Beschäftigten. Hier gelten vergleichbare Bestimmungen wie in der StrahlenschutzVO.

5. Naturschutzrecht und Landschaftspflege Das Bundesnaturschutzgesetz v. 20. 12. 1976 (BGBl. I, S. 3573-BNatSchG) ist ein Rahmengesetz, es soll eine einheitliche Naturschutzgesetzgebung in den Ländern ermöglichen. Lediglich die im § 4 genannten Bestimmungen des BNatSchG gelten unmittelbar. Im Gegensatz zu den gängigen Begriffen und früheren Bestimmungen gilt der Begriff des Naturschutzes nun auch im besiedelten Bereich: „Natur und Landschaft sind im besiedelten und unbesiedelten Bereich zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln." Grundsätze legen die einzelnen Aufgaben fest, wobei es im wesentlichen um die Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts geht und bei der Nutzung die Naturgüter pfleglich zu behandeln, die Vegetation und Tierwelt zu schonen und Schäden möglichst zu vermeiden sind. Landschaftsrahmenplanung und Landschaftsplanung soll für die Landesplanung und Bauleitpla-

nung die ökologischen Grundlagen liefern. Umfassend ist der Flächenschutz geregelt (Einrichtung von Naturschutzgebieten, Nationalparks, Landschaftsschutzgebiete, Naturparks, Naturdenkmäler, geschützte Landschaftsbestandteile). Die entsprechenden Einzelvorschriften und Verfahren sind Ländersache. Die Erklärung zum Nationalpark ist Angelegenheit des Bundes. Die §§ 13-19 regeln die Einzelheiten der jeweiligen Schutzgebiete. In den §§ 20-26 sind die Vorschriften für den Schutz wildwachsender Pflanzen und wildlebender Tiere („Artenschutz") niedergelegt. Im 6. Abschnitt sind die Grundsätze für die Erholung in Natur und Landschaft enthalten: §§ 27 und 28 geben jedem Bürger das Betretungsrecht der freien Flur auf Straßen und Wegen und verpflichten die Behörden, Grundstücke für die Erholung der Bevölkerung bereitzustellen. Rechtsfähige Vereine haben nunmehr ein Einsichts- und Anhörungsrecht bei bestimmten Maßnahmen (§ 29). Verstöße gegen die Bestimmungen sind Ordnungswidrigkeiten, § 329 StGB stellt bestimmte Veränderungen und Schädigungen in Schutzgebieten unter Vergehensstrafe. Die Länder haben Landesnaturschutzgesetze erlassen, einige besitzen in Form einer Naturschutzwacht Hilfskräfte mit hoheitlichen Befugnissen. Zur Landschaftspflege gehört neben der Erhaltung des Landschaftsbildes im Rahmen der landund forstwirtschaftlichen Nutzung (Agrarleitpläne) auch die Erhaltung der Tier- und Pflanzenarten (Landesverordnungen über den Artenschutz). Auch die Flurbereinigungsgesetze gehören zu den landschaftspflegerischen Maßnahmen, selbst in Städten und Gemeinden ergeben sich im Rahmen einer Grünordnung landschaftspflegerische Aufgaben zur Schaffung von Grünzügen und kleinräumigen Grün-, Wald- und Wasserflächen. Durch Landesgesetze (etwa das Bayerische NatSchG) haben die Gemeinden die Verpflichtung, eine Landschafts- und Grünordnungsplanung durchzuführen. Durch entsprechende Verordnungen sind landesrechtlich weiterhin Vorschriften über Campingplätze, Wassersport auf Seen und Flüssen, Benutzung von Reitwegen usw. erlassen worden. Die für die jeweiligen Schutzgebiete geltenden Gebote und Verbote sind in Rechtsverordnungen niedergelegt.

E. Erscheinungsformen der Umweltkriminalität 1. Überblick über Formen und Häufigkeit Kennzeichnend für kriminelle Handlungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes ist es , daß durch die Art oder durch das Ausmaß (Menge) eines Stoffes bzw. durch die Störung oder Vernichtung ökologischer Zusammenhänge schädliche Belastungen des Menschen, der Tier- und Pflanzenwelt oder des ökologischen Systems eintreten.

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Umweltkriminalität Die Tathandlung (Unterlassung) kann in einer Emission bestehen, die die Luft, das Wasser oder den Boden beeinträchtigt oder als Strahlung wirkt. Man kann hier von einer direkt erfolgenden Einwirkung sprechen. Ebenso können aber Fehler oder Mängel beim Bau oder Betrieb von Anlagen, technische Mängel an Transportmitteln oder Unfälle, denen sie ausgesetzt sind, falsch gesteuerte Produktionsprozesse oder solche, die nicht mehr beherrscht werden können, mangelhafte Prüfungsprozesse von Chemikalien usw. indirekt zu Umweltbelastungen schädlicher Art führen. Es lassen sich daher nachstehend aufgeführte Formen unterscheiden: - Luftverunreinigung, - Lärmbelästigung, - Gewässerverunreinigung, - Verunreinigung bzw. Verseuchung durch Abfälle, - Strahlenbelastung, - Belastung des ökologischen Systems (Handlungen gegen geschützte Gebiete), - Gefährdungen durch Transport gefährlicher Güter, - Fehler bei der Herstellung oder dem Betrieb von Anlagen, - Freisetzung von gefährlichen Stoffen (Chemikalien). Der Gesetzgeber hat durch das 18. Strafrechtsän-. derungsgesetz (Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität) v. 28 . 3. 1980 (BGBl. I, S.373) diese Erscheinungsformen zusammengefaßt und als Straftatbestände (Vergehen) in den 28. Abschnitt des StGB übernommen. Darüber hinaus sind im Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter, in der V O über die Errichtung und den Betrieb von Anlagen zur Lagerung, Abfüllung und Beförderung brennbarer Flüssigkeiten sowie im Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz - Verabschiedung steht bevor) Vergehensstrafen vorgesehen, wenn bestimmte Handlungen besonders gefährlichen Charakters verbotswidrig vorgenommen werden. Sonstige verbotene Handlungen in den Umweltschutzgesetzen sind als Ordnungswidrigkeiten eingestuft. Das Verbot solcher Handlungen soll den Eintritt der nach dem 28 .Abschnitt des StGB zu ahndenden Folgen verhindern. Bußgeldkataloge sollen die rasche Verfolgung fördern. Über die Zahl der Umweltdelikte (Vergehen) gibt die Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes Auskunft, die seit 1974 die Umweltdelikte unterteilt. Die letzte Aufklärungsquote (1979) lag bei 72,4 % (Umweltdelikte insgesamt), bei Vergehen gegen das BImSchG bei 8 9 , 5 % , bei Abfalldelikten bei 88,6 % und bei Vergehen gegen das Wasserhaushaltsgesetz bei 70,3%. Von den 1979 ermittelten 3544 Umwelttätern waren 27 Tatverdächtige Kinder, 53 Tatverdächtige Jugendliche, 95 Tatverdäch-

Jahr

Gesamt- BImSch.- Abfall zahl Delikte bes.G. Delikte

1974 1975 1976 1977 1978 1979

2800 3445 3395 3784 3699 4382

_ 57 77 120 138 162

164 177 135 145 170 236

WasserhaushaltsG Delikte 2483 3072 3073 3386 3312 3865

tige Heranwachsende und 3369 Tatverdächtige waren Erwachsene. Unter diesen befanden sich 468 Personen im Alter zwischen 21 und 30 Jahren, 1969 im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, 651 zwischen 50 und 60 Jahren. Unter den genannten Tatverdächtigen (3544) waren 2043 in der Tatortgemeinde wohnhaft - Umweltdelikte sind also Delikte örtlicher Täter, 340 stammten aus dem Landkreis, 508 aus dem jeweiligen Land, nur 344 aus anderen Bundesländern. Im Nachfolgenden wird nach den genannten Erscheinungsformen gegliedert (und nicht nach der Reihenfolge des StGB), sie führen die Tatbestände des 28. Abschnitts StGB an.

2. Luftverunreinigung

und Lärm (§ 325 StGB)

Geschützt werden soll die natürliche Zusammensetzung der Luft. Bestraft wird, wer diese Zusammensetzung durch Veränderungen verursacht, wenn diese Veränderungen geeignet sind, außerhalb des zu einer Anlage (Betriebsstätte oder Maschine) gehörenden Bereiches die Gesundheit eines anderen, Tiere, Pflanzen oder andere Sachen von bedeutendem Wert zu schädigen. Der Gesetzestext hebt insbesondere die Freisetzung von Staub, Gasen, Dämpfen oder Geruchsstoffen hervor. Die Tathandlung ist strafbar, wenn sie unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten erfolgt. Damit sind, wie Abs. 4 definiert, grob pflichtwidrige ( = besonders schwere Verletzung einer Pflicht bzw. die Verletzung einer besonders gewichtigen Pflicht) Verstöße gegen vollziehbare Anordnungen oder Auflagen, die dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen dienen, gemeint bzw. das Betreiben von Anlagen ohne die entsprechende Genehmigung oder entgegen einer vollziehbaren Untersagung. In Betracht kommen in erster Linie das BImSchG und die umweltschützenden Verordnungen. Voraussetzung der Strafbarkeit ist jedoch wie eingangs erwähnt die Gesundheitsschädigung bzw. Sachschädigung von bedeutendem Wert. Anders als im § 3 Abs. 1 BImSchG, der den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen sehr viel weiter faßt und darunter jede Gefahr versteht, die erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen zur

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Umweltkriminalität

Folge hat, faßt § 325 StGB diese - strafbewehrten Gefahren sehr viel enger. Jedoch ist der tatsächliche Eintritt eines Schadens, auch nicht das Vorliegen einer realen-konkreten Gefährdung notwendig, es reicht aus, wenn die Luftverunreinigung im Hinblick auf die genannten Güter (Gesundheit, Sachen) als generell gefährlich anzusehen ist. Von der Gefahr muß die Nachbarschaft bzw. die Allgemeinheit betroffen sein, nicht die Betriebsstätte oder Anlage selbst: Damit werden Umweltschutz und Arbeitsschutz voneinander abgegrenzt. Für den Verkehr (Kraftfahrzeuge, Schienen-, Luft- und Wasserfahrzeuge) trifft § 325 StGB kraft ausdrücklicher Nennung nicht zu. § 325 Abs. 2 führt sodann die Lärmverursachung unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften als strafbaren Tatbestand an: Wenn der Lärm geeignet ist, außerhalb des zur Anlage gehörenden Bereichs die Gesundheit eines anderen zu schädigen, ist der Tatbestand verwirklicht. Auch hier sind Versuch und fahrlässiges Handeln strafbewehrt, der Verkehrslärm bleibt außer Betracht. Abs. 4 (pflichtwidriges Handeln) gilt gleichfalls. Ortsveränderliche Anlagen, die gesundheitsschädigenden Lärm verursachen, fallen indes unter das Gesetz: Zu denken ist hier an Baumaschinen, mobile Pumpen und Hebewerke bei ihrem Arbeitseinsatz. Nur der gesundheitsschädigende Lärm soll unterlassen werden, die übermäßige Empfindlichkeit einzelner Personen bleibt unberücksichtigt. Eine Definition des Lärms an sich ergibt sich aus bisherigen Bestimmungen (§ 117 OwiG, 1 2 4 StVG, § 49 StVO, § 30 StVO, § 3 BImSchG); wann er als gesundheitsschädigend zu bezeichnen ist, ergibt sich aus dem Gesetz selbst nicht. Bei der Beratung des Gesetzes wurde die Ansicht vertreten, es genüge, wenn ersichtlich sei, daß der Täter gegen verwaltungsrechtliche Pflichten verstoßen habe: Diese beruhten ja auf Gesetzen oder Rechtsverordnungen.

3. Umweltgefährdende Abfallbeseitigung (§ 326 StGB) Nach dieser Bestimmung ist die unbefugte Behandlung oder Lagerung, Ablagerung, Ablassung oder Beseitigung bestimmter Abfälle strafbar, wenn sie außerhalb einer zugelassenen Anlage erfolgt oder wenn sie von einem zugelassenen Verfahren wesentlich abweicht. Ebenfalls strafbar ist die Nichtablieferung radioaktiver Abfälle, wenn die Ablieferung vorgeschrieben war. Das Gesetz führt drei Gruppen von Abfällen auf, die unter diese Regelung fallen, dabei bereitet die Definition gewisse Schwierigkeiten, zumal auf den Begriff der Gesundheitsbeschädigung verzichtet wird und die Bestimmung ein reines abstraktes Gefährdungsdelikt darstellt.

Zunächst sind solche Abfälle genannt, die Gifte oder Erreger gemeingefährlicher und übertragbarer Krankheiten bei Menschen oder Tieren enthalten oder hervorbringen können, wobei Krankheitserreger im Sinne des Bundesseuchengesetzes gemeint sind. Als Gift gilt jeder Stoff, der geeignet ist, unter bestimmten Bedingungen durch chemische oder chemisch-physikalische Einwirkung nach seiner Beschaffenheit und Menge Gesundheit und Leben von Menschen zu zerstören (mindestens wesentliche körperliche Fähigkeiten und Funktionen in erheblichem Umfange aufzuheben) - hierzu vgl. § 1, Abs. 1, Nr. 5 der ArbeitsstoffVO, §§ 229, 319 StGB. Die zweite Gruppe von Abfällen sind explosionsgefährliche, selbstentzündliche oder nicht nur geringfügig radioaktive Abfälle. Die Definition der Explosionsgefährlichkeit soll sich nach den § § 1 , 3 Sprengstoffgesetz richten, jedoch sind diese nicht eindeutig genug. Zudem ergeben sich Schwierigkeiten beim Schuldnachweis. Selbstentzündliche Stoffe sind solche, die deshalb besonders brennbar und daher feuergefährlich sind, weil sie unter den von der Natur gegebenen Bedingungen sich selbständig erhitzen und schließlich entzünden können (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a ArbeitsstoffVO). Die Definition radioaktiver Abfälle ist aus § 2 Abs. 1 Atomgesetz und § 3 Abs. 1 StlSchVO zu entnehmen, dazu gehören auch kernbrennstoffhaltige Abfälle sowie solche, die radioaktive Stoffe oder ionisierende Strahlen aussenden. Schließlich fallen unter § 326 StGB auch Stoffe, die nach Art, Beschaffenheit oder Menge geeignet sind, nachhaltig ein Gewässer, die Luft oder den Boden zu verunreinigen oder sonst zu verändern. Bei der Auslegung ist zurückzugreifen auf § 19 g Abs. 5 W H G sowie §§ 324, 330 c Nr. 1 StGB sowie auf § 2 Abs. 2 A b f G . Die dortigen Bestimmungen wurden zur Fassung des § 326 herangezogen. Doch sollen hier auch Abfälle gemeint sein, die „Gewässer" ( = nicht nur das Wasser, sondern schon das Ufer oder Gewässerbett) verunreinigen oder die Luft bzw. den Boden. Der Abfall, der beseitigt wird, muß wenigstens generell geeignet sein, in dem Bereich, in den er gelangt, einen der drei Schutzgüter (und damit zusammenhängende Schutzobjekte wie Tiere, Pflanzen) oder den Menschen zu gefährden. Abfälle, die z. B. nur im Wasser gefährlich sind, sind, wenn sie in der Landschaft gelagert werden und es ausgeschlossen ist, daß sie Grundoder Binnengewässer oder etwa den Menschen gefährden, ungefährlich im Sinne der Vorschrift. Eine Strafbarkeit würde dann entfallen. Sie entfällt auch dann, wenn eine schädliche Einwirkung auf die Umwelt, insbesondere auf Menschen, Gewässer, Luft, Boden, Nutztiere oder Nutzpflanzen wegen der geringen Menge offensichtlich ausgeschlossen ist (Abs. 5). Nicht gemeint ist auch Hausmüll: Dies ergibt sich aus den Beratungen über das neue Gesetz. Die Bestimmung des § 326 spricht von „zuge-

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Umweltkriminalität lassenen Anlagen" und meint damit nicht nur Abfallbeseitigungsanlagen, sondern auch sonstige Anlagen - etwa von Tierkörperbeseitigungsanstalten, oder Anlagen nach § 9a des Atomgesetzes. Alle diese Anlagen müssen zugelassen sein - Planfeststellung bzw. Genehmigung müssen vorliegen. Versuchshandlungen des Abs. 1 sind strafbar, fahrlässiges Handeln ist ebenfalls unter Strafe gestellt.

4. Gewässerverunreinigung

(§ 324 StGB)

Sie liegt vor bei einer Verunreinigung des Gewässers oder bei der nachteiligen Veränderung der Gewässereigenschaften - allerdings nur dann, wenn das eine oder andere unbefugt geschieht. Versuch sowie fahrlässiges Handeln sind strafbar. Eine Veränderung der Wassereigenschaften liegt dann vor, wenn die physikalische, chemische oder biologische Beschaffenheit verändert ist: Dazu gehören auch Erwärmungen, Geschmacksänderungen, Verminderung des Sauerstoffgehalts, radioaktive Kontaminierungen. Soweit die Veränderung äußerlich erkennbar ist, spricht man von Verunreinigung. Auch bereits verschmutztes Wasser kann noch weiter verunreinigt werden. Zu den Erscheinungsformen gehören das Einleiten von Raffinerierückständen durch Tankmotorschiffe in einen Fluß (auch wenn das nicht durch den Schiffsführer selbst geschieht, aber von ihm vorausgesehen werden konnte), die unbefugte Einleitung von Abwässern durch Firmen (Täter kann auch ein Bürgermeister/Gemeindedirektor sein, der von dieser Einleitung in die Gemeinde-Abwässer weiß und sie nicht verhindert), Einleiten von Silageabwässern in öffentliche Gewässer durch einen Landwirt, von Appreturflüssigkeit durch Reinigungsbetriebe, Abpumpen von Jauche in einen Graben, um den umgestürzten Jauchewagen leichter aufrichten zu können, Einleitung von Fäkalien, öl- oder farbenhaltigen Stoffen, schaumbildenden Stoffen, ja, auch von Leitungswasser, wenn dadurch den Fischen die Nahrungsgrundlage entzogen wird, Wasserentnahme bei Niedrigwasser, wenn dadurch eine Verringerung der Selbstreinigungskraft eintritt. Das Überlaufenlassen des Öltanks, das Umpumpen von Öl oder Auslaufenlassen von Benzin aus Tankfahrzeugen ist gleichfalls strafbar, wenn dadurch Gewässer verunreinigt werden. Gleiches gilt für Verkehrsunfälle (Kollisionen mit Tankwagen, Zusammenstöße mit Schiffen, die gefährliche Fracht befördern). Ob die Verunreinigung mittelbar oder unmittelbar erfolgt, ist gleichgültig. Bei der Verunreinigung (Veränderung) kommt es auf den konkreten Fall an: Dabei spielen Größe und Tiefe eines Gewässers, Wasserführung, Geschwindigkeit fließender Gewässer, Menge und Gefährlichkeit des eingeleiteten Stoffes eine Rolle. Es erfüllt den Tatbestand jedoch bereits die Verunrei-

nigung eines Teils des Gewässers, minimale Beeinträchtigungen reichen allerdings nicht aus. Befugt ist die Verunreinigung dann, wenn sie auf Grund einer Erlaubnis, Bewilligung, alter Rechte und Befugnisse sowie des Gemeingebrauchs erfolgt. Auch wenn ein Rechtfertigungsgrund gemäß § 34 StGB vorliegt oder eine Gefahrenabwehr die Einleitung nötig machte, Ausnahmeregelungen existieren (Gesetz zum Schutz des Meeres) bzw. sozial-adäquates Verhalten (unvermeidbarer Abfluß unreiner Stoffe von verkehrsreichen Straßen) ursächlich war, ist die Einleitung nicht unbefugt. Trotz bestehender Erlaubnisse wird der rechtswidrige Tatbestand indes erfüllt, wenn - die Einleitung in größerer Menge erfolgt oder ein höherer Verschmutzungsgrad eintritt, - Bedingungen der Bewilligung nicht erfüllt werden, - Auflagen nicht erfüllt werden (z. B. Bau einer Kläranlage), - Betriebsänderungen eintraten, so daß die Benutzung des Wassers nun eine völlig andere ist. Gerade in diesen Fällen - also bei bestehenden Bewilligungen und Erlaubnissen - kann es häufig zu verbotenen Einleitungen kommen - sei es vorsätzlicher oder fahrlässiger Natur. Dabei ist auch an betriebliche Störungen oder Unfälle zu denken, die eine eingehende Untersuchung durch die Behörden erfordern, um den Sachverhalt genau abzuklären. Der Schutz des § 324 erstreckt sich auf oberirdische Gewässer und das Grundwasser im Geltungsbereich des StGB sowie auf das Meer (§ 330 d, Ziff. 1). Damit sind sämtliche Meeresgewässer gemeint: die Hohe See wie die Küstengewässer. Dadurch wird entsprechend dem Londoner Abkommen v. 1972 der Schutz fremder Küstengewässer gewährleistet. Die Frage, ob es sich um rechtmäßige Bewilligungen oder Erlaubnisse handelt, ist nach dem Wasserhaushaltsgesetz bzw. den Landeswassergesetzen zu entscheiden.

5. Gefährdung schutzbedürftiger (§ 329 StGB)

Gebiete

Durch diese Bestimmung soll der Schutz von Gebieten, die in besonderem Maße durch schädliche Umwelteinwirkungen beeinträchtigt werden können, gewährleistet werden. Die Absätze 1 und 2 sind als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgestaltet, Absatz 3 stellt auf Beeinträchtigungen ab. Abs. 1 stellt den Betrieb von Anlagen unter Strafe, die gemäß der Ermächtigung des § 49 BImSchG von den Ländern zum Schutz bestimmter Gebiete untersagt sind. Kurorte, Ortsteile mit Krankenhäusern, aber auch Verbote infolge Smoggefahr kommen hierfür in Betracht. Verstöße gegen die landesrechtlichen Smog-Verordnungen (Beschränkung des Kraftfahrzeugverkehrs, des

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Umweltkriminalität

Verkehrs von Eisenbahnen und Luftfahrzeugen) fallen indessen nicht unter diese Strafbestimmung. Gemäß Abs. 2 wird bestraft, wer innerhalb eines Wasser- oder Heilquellenschutzgebietes entgegen einer zu deren Schutz erlassenen Rechtsverordnung betriebliche Anlagen zum Lagern oder Umschlagen wassergefährdender Stoffe betreibt, Rohrleitungsanlagen zum Befördern wassergefährdender Stoffe in Betrieb hat oder im Rahmen eines Gewerbebetriebs (nicht privat) Kies, Sand, Ton oder andere feste Stoffe abbaut. Das ebenso gefährliche Befördern wassergefährdender Stoffe in Tankwagen durch Wasserschutz oder Quellenschutzgebiete hat der Gesetzgeber nicht verboten. Das Verkehrsrecht enthält eine solche Norm nicht. Abs. 3 dient dem Schutz der Naturschutzgebiete und Naturparks. Soweit hier Vorschriften bestehen, die den Abbau von Bodenschätzen, anderer Bodenbestandteile, Abgrabungen oder Aufschüttungen verbieten, sind Verstöße dagegen Straftaten. Gleiches gilt für das verbotswidrige Schaffen, Verändern oder Beseitigen von Gewässern, Entwässern von Mooren, Sümpfen, Brüchen oder sonstigen Feuchtgebieten und das Waldroden, sofern durch diese Handlungen wesentliche Bestandteile eines solchen Schutzgebietes beeinträchtigt werden. Eine Beeinträchtigung liegt nach der amtlichen Begründung dann vor, wenn nicht nur vorübergehende Störungen von einer gewissen Intensität gegeben sind, die das Eintreten konkreter Gefahren für diese Teile wahrscheinlich machen. Weniger gefährliche Handlungen können weiterhin nach landesrechtlichen Vorschriften behandelt werden: Bekanntlich haben die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein diese Handlungen bisher als Ordnungswidrigkeiten gewertet. In der Zukunft gilt das nur noch für die weniger gefährlichen Handlungen dieser Art.

schärft sich die Mindeststrafe auf 6 Monate, die Höchststrafe auf 10 Jahre, bei fahrlässiger Verursachung ergeben sich Strafmilderungen. Die Qualifikation betrifft die §§ 324 Abs. 1, 326 Abs. 1 u. 2, 327 Abs. 1 u. 2, 328 Abs. 1 u. 2, 329 Abs. 1-3 StGB, weiterhin den Betrieb von Anlagen gegen Vorschriften, Anordnungen oder Auflagen, den Betrieb von Rohrleitungen zum Befördern wassergefährdender Stoffe entgegen Genehmigungen, Bauartzulassungen, Anordnungen, Auflagen oder die Beförderung, Versendung, Verpackung, Überlassung, Kennzeichnung von Kernbrennstoffen (und sonstigen gefährlichen Gütern) ohne Genehmigung, Erlaubnis, bzw. gegen Anordnungen, Auflagen, Rechtsverordnungen. 7. Schwere Gefährdung durch Freisetzung von Giften (§ 330 a StGB) Diese Vorschrift setzt den § 330 StGB fort: Wer Gifte in der Luft, in einem Gewässer, im Boden oder sonst verbreitet oder freisetzt und dadurch einen Menschen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung bringt, wird mit Strafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren bestraft. Fahrlässige Verursachung kann zu Strafen bis zu 5 Jahren oder zur Geldstrafe führen. Gedacht ist bei dieser Bestimmung an Giftgase oder andere feste oder flüssige Stoffe, wie etwa das Gelbkreuz, das - wie sich ja gezeigt hat - zu einer Massengefahr führen kann. § 330 a StGB ergänzt daher § 326 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Der Tatbestand der Giftfreisetzung ist erfüllt, wenn das Gift so in die Luft oder ein Gewässer eingeleitet wurde, daß es sich unkontrolliert ausbreiten kann. Die Auslegung von Rattengift auf den Boden erfüllt den Tatbestand nicht. Gift ist im Sinne der §§ 229, 319 StGB zu verstehen.

6. Schwere Umweltgefährdung (§ 330 StGB)

8. Freisetzung ionisierender Strahlen (§ 311 d StGB)

Erhöhte Strafen sind für die Fälle vorgesehen, in denen umweltgefährdende Handlungen erhebliche Gefahren hervorrufen, indem dadurch Leib und Leben eines Menschen, fremde Sachen von bedeutendem Wert, die öffentliche Wasserversorgung oder eine staatlich anerkannte Heilquelle gefährdet werden. Eine Strafschärfung tritt auch dann ein, wenn durch die Handlungen die bisherige Nutzung eines Gewässers oder eines Bodens auf längere Zeit nicht mehr möglich ist, oder ökologisch bedeutsame Bestandteile eines Naturhaushalts so beeinträchtigt werden, daß die Beseitigung nur mit unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten oder erst nach längerer Zeit erfolgen kann. Bei Leibes- oder Lebensgefährdung einer größeren Zahl von Menschen oder bei leichtfertiger Verursachung des Todes oder schwerer Körperverletzungen eines Menschen ver-

§ 311 a StGB bestraft den Mißbrauch ionisierender Strahlen, die Menschen gesundheitlich schädigen oder fremde Sachen unbrauchbar machen. § 311 b StGB pönalisiert die Verschaffung von Kernbrennstoffen oder sonstigen radioaktiven Stoffen, um damit Straftaten zu begehen. Der nunmehrige § 311 d StGB ersetzt den § 47 Atomgesetz und stellt als abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt ab auf die Freisetzung ionisierender Strahlen oder Bewirkung von Kernspaltungsvorgängen, wenn dadurch Schädigung von Leib oder Leben von Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert eintreten kann. Die Tathandlung setzt voraus, daß verwaltungsrechtliche Pflichten verletzt werden: Vorschriften also, die dem Schutz vor ionisierenden Strahlen dienen sollen.

115

Umweltkriminalität 9. Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage (§ 311 e StGB) Hierdurch wird § 48 Atomgesetz ersetzt. Bestraft wird, wer wissentlich kern technische Anlagen oder Gegenstände, die zur Errichtung einer Anlage dienen, fehlerhaft herstellt oder liefert, und dadurch wissentlich eine Gefahr für Leib oder Leben oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert herbeiführt, soweit diese Folgen mit Strahlungsvorgängen zusammenhängen. Nicht wissentliche Herbeiführung führt zur Strafmilderung, die leichtfertige Herbeiführung des Todes eines Menschen oder andere schwere Folgen führen zu einer erhöhten Strafbarkeit (von einem Jahr bis zu zehn Jahren).

10. Unerlaubtes Betreiben von Anlagen (§ 327 StGB) Durch diese Vorschrift sind die bisher bestehenden Bestimmungen aus dem Bereiche des Atomschutzes, des Immissionsschutzes und der Abfallbeseitigung zusammengefaßt worden. Danach wird bestraft, wer kerntechnische Anlagen betreibt, eine kerntechnische Anlage betriebsbereit innehat, eine solche abbaut oder wesentlich ändert (bzw. eine stillgelegte Anlage innehat oder abbaut), sowie jeder, der genehmigungsbedürftige Anlagen im Sinne des BImSchG oder Abfallbeseitigungsanlagen im Sinne des AbfG betreibt, ohne die entsprechenden Genehmigungen hierfür zu besitzen. Auch wer entgegen einer vollziehbaren Untersagung eine der hier genannten Handlungen vornimmt, wird belangt. Fahrlässiges Handeln ist ebenso wie vorsätzliches Handeln strafbar. Neu an dieser Bestimmung ist, daß nunmehr die Errichtung einer kerntechnischen Anlage nicht mehr strafbar ist, dagegen ein Verstoß gegen eine Untersagung mit Strafe bedroht wird. Auch der Abbau kerntechnischer Anlagen ist strafbar, sofern hierfür keine Genehmigung vorliegt.

11. Unerlaubter

Umgang mit (§ 328 StGB)

Kernbrennstoffen

Wer in irgendeiner Weise mit Kernbrennstoffen umgeht, bedarf der Genehmigung, er muß diesen Umgang einstellen, wenn es untersagt wird: Das ist der wesentliche Grundsatz dieser Bestimmung, die bisherige Vorschriften gleicher Art zusammenfaßt. Abs. 1 Ziff. 1 legt fest, daß - außerhalb kerntechnischer Anlagen, die ja behördlich genehmigt sein müssen - jede Bearbeitung, Verarbeitung, oder Verwendung von Kernbrennstoffen genehmigt sein muß, von dem genehmigten Verfahren darf nicht abgewichen werden. Auch dürfen genehmigte Betriebsstätten nicht geändert werden.

Ziff. 2 legt fest, daß jede Aufbewahrung dieser Stoffe außerhalb von kern technischen Anlagen, jede Beförderung, Verbringung, Ein- und Ausfuhr genehmigungspflichtig ist. Abs. 2 verlangt die unverzügliche Ablieferung dieser Stoffe, sofern nach dem Atomgesetz dazu eine Verpflichtung besteht. Eine Herausgabe an Unberechtigte ist nicht statthaft. Auch fahrlässiges Handeln ist strafbar.

12. Gefährdung durch Transport gefährlicher Güter Luft-, Boden- und Gewässerverunreinigungen können auch durch Unfälle beim Transport gefährlicher Güter bzw. durch technische Mängel der Transportfahrzeuge entstehen. Das Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter v. 6. 8. 1975 (BGBl. I, S. 2121) ermächtigte daher die Bundesregierung, Verordnungen über die Zulassung solcher Güter, ihre Verpackung, den Bau und die Ausrüstung der Transportmittel und -fahrzeuge sowie das Verhalten während solcher Transporte zu regeln. Das Gesetz bezieht sich auf solche Güter, die auf Grund ihrer Natur, Eigenschaften und ihres Zustandes Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, für wichtige Gemeingüter, Leben und Gesundheit von Menschen sowie für Tiere und andere Sachen bilden können. Die dazu ergangenen Verordnungen regeln Bau, Beschaffenheit und Ausrüstung der Transportfahrzeuge. Besondere Bedeutung kommt der äußerlich sichtbaren Kennzeichnung der (Tank-) Straßentransportfahrzeuge zu, aus der die Art der jeweiligen Gefahr sowie der transportierte Stoff hervorgehen. Darüber hinaus sind Unfallmerkblätter mitzuführen, die Auskunft über die zu ergreifenden Maßnahmen bei Unfällen geben müssen, schließlich besteht beim Freiwerden der gefährlichen Stoffe eine Meldepflicht an die nächste Polizeidienststelle. Eine technische Untersuchung in verkürzten Abständen bei Tankfahrzeugen soll technischen Mängeln rechtzeitig begegnen. Dennoch weisen bei überraschenden Kontrollen derartige Fahrzeuge immer wieder erhebliche technische Mängel auf, die zu Umweltgefährdungen führen können. Verstöße gegen die Verordnungen auf diesem Gebiet sind Ordnungswidrigkeiten, im übrigen kommen die Straftaten des 28. Abschnitts StGB (Straftaten gegen die Umwelt) in Betracht.

F. Kriminalistik der Umweltdelikte Für die Überwachung der Umweltschutzvorschriften sind zunächst die einzelnen Fachbehörden zuständig: Das sind die Gewerbeaufsichtsämter (Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung, Strahlen-

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Umweltkriminalität

schütz), die Wasserwirtschaftsämter (Wasserreinließe sich eine Einhaltung der bestehenden Vorhaltung), die Ordnungsbehörden der Gemeinden schriften nicht garantieren. Das lebendige (Abfallbeseitigung), Gesundheitsämter (UmweltUmweltbewußtsein der Bevölkerung ist ebenfalls chemikalien), die Kreisbehörden (Naturschutz, notwendige Voraussetzung dafür, denn ohne die Landschaftspflege, Städte- und Wohnungsbau, Mitteilung über etwaige Umweltgefahren wäre die Bauplanung), Straßenverkehrsbehörden (u. a. VerEinschaltung der Polizei und der Fachbehörden kehrslärm, Verkehr, Transport gefährl. Güter) sodie möglichst umgehend erfolgen sollte - nicht mögwie die ihnen übergeordneten Behörden auf der lich. Ebene der Regierungsbezirke und Bundesländer. Umweltdelikte lassen sich nämlich nur durch eine Daneben bestehen in den einzelnen Bundesländern sofortige Beweissicherung aufklären. Sie erfordert spezielle Landesbehörden bzw. Institute, Zentralzunächst einmal die Entnahme von Proben (Wasstellen und Untersuchungsämter zur Regelung zenserproben, Bodenproben, Proben des Abfalles, traler Aufgaben, Erstellung von Gutachten, wissenLärmmessungen, Messungen der Luftverunreinischaftlichen Untersuchungen. gungen). Eile ist in solchen Fällen geboten, da oft genug in der nächsten Stunde die festzustellenden Eine lückenlose Einhaltung der UmweltschutzSchadstoffe abgeflossen, verweht sind oder aus sonvorschriften setzt allerdings auch eine lückenlose stigen Gründen nicht mehr gemessen werden könÜberwachung voraus. Diese kann beispielsweise nen. Daher sind mobile Meßstationen (Meßwagen) durch ein Meßnetz für Luftverunreinigungen mit dringend notwendig, die jederzeit zum Einsatz geautomatischer Weitergabe der Meßdaten und langen können. Für die Probennahmen selbst sind Alarmgebung bei Überschreitung bestimmter WerSpezialgeräte erforderlich. Soweit eine entsprete erfolgen. Derartige Meßnetze bestehen zum Teil. chende Ausbildung vorliegt, können die PolizeibeSoweit sie nicht existieren, ist die Kontrolle durch amten selbst derartige Proben entnehmen bzw. simobile Meßstationen (Meßwagen) erforderlich, die chern (zu Lärmmessungen ist jede Verkehrsüberauch außerhalb der üblichen Arbeitszeiten und auf wachungsstelle der Polizei in der Lage, soweit es Grund ihnen überbrachter Meldungen an Ort und sich um Verkehrslärm handelt). Stelle Messungen vornehmen können. Bei der Gewässerüberwachung sind derartige Netze kaum Zur Beweissicherung gehört auch die Fotografie möglich. Hier lassen sich praktisch nur an der Stelle des Tatortes, die Absperrung und Sicherung gegen der gewerblichen Einleitung von Abwässern MeßVeränderungen (etwa gegen die Wegschaffung von stationen einrichten. Allerdings ist eine lückenlose Abfällen, Chemikalien usw.), die Sicherstellung Überwachung aller Gewässer undenkbar. Ähnlich sonstiger Beweise (verendete Fische, sonstige Tieliegen die Dinge bei der Lärmbekämpfung und bei re, Kleidungsstücke usw.) und die Feststellung etder Überwachung der Abfallbeseitigung. waiger Zeugen (Beobachtungen über sichtbare ErIn all diesen Fällen hegt die Einhaltung der Umscheinungen, Mitteilungen über verdächtige Persoweltbestimmungen praktisch in der Hand der Benen, Fahrzeuge, Beschäftigte von Betrieben usw.). völkerung selbst bzw. bedarf der Hilfe und UnterGehen Umweltverunreinigungen auf betriebliche stützung durch die Polizeibehörden: Nur diese sind Schäden, Unfälle, Mängel zurück, ist die Feststelin der Lage, jederzeit auf die Einhaltung der Umlung der am Tatort anwesenden Personen weltschutzvorschriften zu achten und Meldungen (Betriebspersonal, Aufsichtspersonal) sowie der über verdächtige Vorkommnisse weiterzugeben, betroffenen Werksanlagen erforderlich. um die Fachbehörden zu verständigen bzw. zu alarDie Erhebung weiterer Beweise erstreckt sich mieren. So haben denn auch einige Länder Spezialauch auf die Einsichtnahme in schriftliche Unterladienststellen für die Überwachung der Umweltbegen, aus denen die Termine und Zeiten früherer stimmungen geschaffen und AusbildungsveranstalKontrollen und der Überwachung der Betriebssitungen für die damit betrauten Beamten durchgecherheit hervorgehen, auch lassen sich hieraus Erführt (z. B. Baden-Württemberg, Niedersachsen, kenntnisse über bereits früher aufgetretene Mängel Hessen, Baden-Württemberg verfügen über ein und deren Beseitigung gewinnen. mobiles Umweltschutzkommando). Die DienststelSoweit das Umweltdelikt auf gewerbliche oder len der Wasserschutzpolizei aller Bundesländer betriebliche Ursachen zurückgeht, müssen die Verachten auf ihren Kontrollfahrten auch auf Wasserantwortungsbereiche der beteiligten Personen geverunreinigungen und nehmen Wasserproben. Sonauestens abgeklärt werden. Die Zeugenbefragung weit es sich um die kriminalpolizeiliche Ermittlung ist in solchen Fällen oft besonders delikat wegen der von Umweltdelikten handelt, bestehen in allen betrieblichen Abhängigkeiten. UmweltschutzauflaBundesländern - ebenso wie bei den Staatsanwaltgen kosten darüber hinaus Geld und verteuern die schaften - Spezialdienststellen. Die Bekämpfung Produktion. Wie bisherige Fälle gezeigt haben, ist des Straßenverkehrslärms schließlich liegt nahezu auch stillschweigende Duldung oder unterlassene ausschließlich in den Händen der Polizei, ebenso Kontrolltätigkeit von Überwachungsbehörden wie die Überwachung des Transports gefährlicher möglich und schadensursächlich. Güter. Ohne eine solche gezielte und umfassende Aussagen jeder Art sollten durch SachverständiBeobachtung gefährlicher Umwelterscheinungen ' gengutachten überprüft und geklärt werden. Dabei

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Umweltkriminalität ist daran zu denken, die nötigen Sachverständigen frühzeitig heranzuziehen, damit nicht etwa erforderliche Ermittlungshandlungen, die später kaum mehr nachholbar sind, unterbleiben. Auf dem Gebiete des Strahlenschutzes sind Messungen der Radioaktivität in der Umgebung von Kernkraftwerken vorgeschrieben und erfolgen regelmäßig. Verstöße gegen die Vorschriften ergeben sich fast nur bei Unfällen, Wartungsfehlern oder technischen Mängeln bei sonstigen Geräten und Anlagen, die ionisierende Strahlen emittieren: Ob eine Emission erfolgt, läßt sich in diesen Fällen durch entsprechende Meßgeräte, die Katastrophendiensten und der Polizei zur Verfügung stehen, feststellen. Zudem verfügen diese Stellen über Dekontaminationseinrichtungen . Strahlenmedizinische Hilfen sind außerdem überall leicht erreichbar. Für die Feststellung der Mängel ist die Sicherstellung der Geräte, Einrichtungen, Transportvorrichtungen bis zur Untersuchung durch den Fachmann (Technische Überwachungsvereine, Gewerbeaufsichtsämter) notwendig. Die Umweltschutzgesetze und -Verordnungen schreiben in der Regel die Führung von Büchern oder sonstigen Nachweisen über Kontrollen, Überprüfungen, Meßwerte usw. vor. Derartige Nachweise spielen bei der Ermittlung von Straftatbeständen und der Prüfung der Frage des Vorsatzes bzw. der Fahrlässigkeit eine wichtige Rolle. Sie müssen daher in die Beweisführung einbezogen werden. Erfahrungsgemäß ist jedoch mitunter damit zu rechnen, daß beim Auftreten von Schadensfällen nachträgliche Eintragungen, Fälschungen oder Verfälschungen erfolgen, um den wahren Sachverhalt und die Feststellung des tatsächlichen Verschuldens zu verschleiern. In dieser Hinsicht können also kriminaltechnische Untersuchungen notwendig werden. Umweltschutz kostet Geld. Vorsätzliches Handeln kommt daher dann vor, wenn wirtschaftliche oder finanzielle Vorteile maßgebend für Vergehen gegen die Umweltbestimmungen sind. Das kann sowohl bei Produktions- wie Verarbeitungs- und Transportfirmen das Motiv sein. Aber auch Firmen, die sich mit der Abfallbeseitigung und Verwertung, mit dem Abtransport gefährlicher Stoffe und deren Vernichtung befassen - also eigentlich im Dienste des Umweltschutzes stehen - können, wie sich gezeigt hat, z. T. in erheblichem Maße gegen die Umweltgesetze verstoßen, indem sie ordnungsgemäße Verwertung usw. lediglich anbieten oder vorspiegeln, tatsächlich aber (aus Kostengründen bzw. um günstigere Angebote machen zu können) kriminelle Lagerungen oder Beseitigungen vornehmen, durch die mitunter Todesfälle oder erhebliche Gesundheitsbeschädigungen verursacht werden. Fahrlässiges Handeln geht zumeist zurück auf Bequemlichkeiten, Unachtsamkeit und mangelnde Kontrolle. Fahrlässigkeit spielt bei Verstößen gegen die Umweltschutzbestimmungen die zahlenmä-

ßig größte Rolle. Immer wieder kommt es aber auch vor, daß Unkenntnis der Gefahrenherde zu gefährlichen Folgen führt. Auch wird oft verkannt, daß angesichts der unvermeidbaren Belastung mit Gift- und Schadstoffen aller Art früher als unbedenklich angesehene Prozesse heutzutage lebensgefährlich sein können. So wurde im Raum von Hagen/Westf. jahrelang der Klärschlamm der örtlichen Ruhrverbandskläranlage von den Landwirten als beliebtes Düngemittel auf die Felder gebracht. Zufällig bemerkte das ein fachlich versierter Beamter des Stadtentwässerungsamtes und schlug Alarm: Aus seiner früheren Tätigkeit in einem anderen Bundesland wußte er, daß Klärschlamm in der Regel mit Cadmium verseucht ist. So war es auch hier: Die Düngung wurde sofort eingestellt. Das Getreide dieser Felder wurde vernichtet, da es für die menschliche Ernährung nicht geeignet war. Zwar war das Getreide für das Vieh bestimmt, aber ob es in den letzten 10 Jahren nicht auch der menschlichen Ernährung - trotz der 100 mg im Acker und der 200 mg im Schlamm (Grenzwert 3 mg pro kg Trockenmasse im Boden) - gedient hat, läßt sich nicht mehr klären. Seit 1975 wurde in Westfalen - aber auch in anderen Gegenden sowie im europäischen Ausland - bei der Zementherstellung Eisenoxid verwendet, das, aus Schwefelkies stammend, Thallium enthält. Das Thallium wurde nun im Abgasabscheider nicht zurückgehalten, sondern - in konzentrierter Form — emittiert und geriet in den Nahrungskreislauf. Es kam zu Tierverendungen und Pflanzenschäden, die erst im Jahre 1979 dazu führten, daß die Besitzer Laboratoriumsuntersuchungen verlangten. Dabei stellte man Thalliumvergiftung fest; die Ermittlungen ergaben, daß das Thallium aus den Abgasen der Zementindustrie stammte. Daß es vorhanden war und in die Umwelt gelangte, war offenbar gar nicht bekannt. Die Schäden wurden auf die Witterung zurückgeführt. Es ergab sich, daß die bestehenden Informations- und Auskunftspflichten der Betreiber nicht ausreichten und die Bestimmungen enger gefaßt werden mußten.

Lehrbücher, Monographien,

Sammelwerke

A h l h a u s , B o l d t , K l e i n : Taschenlexikon Umweltschutz. 2. Aufl. Düsseldorf 1979. A. B e r n a t z k i , O. B ö h m , Bundesnaturschutzrecht. Loseblattsammlung. Stand: 1979. Wiesbaden 1979. Aurand, Hasselbarth, Lahmann, Müller, Niemitz: Organische Verunreinigungen der Umwelt. Berlin 1978. V. C h a r b o n n i e r , E . S t a c h e l s : Betrieb und Umwelt. Berlin 1977. F. J. D r e y h a u p t : Handbuch für Immissionsschutzbeauftragte. Köln 1978. G. F e l d h a u s : Bundesimmissionsschutzrecht. Berlin, Wiesbaden 1970. G i e s e k e , W i e d e m a n n , C z y c h o w s k i : Wasserhaushaltsgesetz. München 1979.

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Kriminalistik

H ö s e l , v. L e r s n e r : Recht der Abfallbeseitigung. Berlin 1979. M. K l o e p f e r : Deutsches Umweltschutzrecht. Loseblattsammlung. Stand: 1980. Percha/Starnberger See 1980. W. L e i t h e : Die Analyse der organischen Verunreinigungen in Trink-, Brauch- und Abwässern. 2. Aufl. Stuttgart 1975. W. L e i t h e : Die Analyse der Luft und ihrer Verunreinigungen. 2. Aufl. Stuttgart 1974. W. L e i t h e : Umweltschutz aus der Sicht der Chemie. Stuttgart 1975. G. M i c h e l s e n u. a.: Der Fischer-Öko-Almanach. Frankfurt 1980. J. N e u m a n n : Lännmeßpraxis. 2. Aufl. Grafenau 1975. G. O l s c h o w y : Natur- und Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland. Hamburg 1978. H. R e u t e r : Überwachungsbedürftige Anlagen. Wiesbaden 1980. H. J. S a c k : Umweltschutz-Strafrecht. Loseblattsammlung. Stand: 1979. Stuttgart 1979. D. S m i d t : Reaktor-Sicherheitstechnik. Berlin 1979. K. S c h ä f e r : Recht der umweltgefährlichen Stoffe. Wiesbaden 1980. J . T h o m a s , R . W i e d e m a n n : Immissionsschutz-Wegweiser. Loseblattsammlung. Stand: 1980. Berlin 1980. U l e : Bundes-Immissionsschutzgesetz. Loseblattsammlung. Stand: 1979. Neuwied 1979. K. P. W i n t e r s : Atom- und Strahlenschutzrecht. München 1978.

Zeitschriftenaufsätze (Auswahl) G. B a u e r : Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen. Leitsätze für die Öffentlichkeit. Sicherheitsreport 3 (1978), Heft 3. S.37. G. B a u e r : Schutz und Hilfe gegen die künstliche Strahlenexposition. Sicherheitsreport 4 (1979) Heft 2. S. 18. B r e u e r : Die Entwicklung des Wasser- und Abfallrechts 1974-1976. NJW 30 (1977), S. 1174. B r e u e r : Die Entwicklung des Umweltschutzrechts seit 1977. NJW 32 (1979), S. 1862. B r e u e r : Die Entwicklung des Atomrechts 1974-1976. NJW 30 (1977), S. 1121. W. K o e l z e r : Technische Sicherheit von Kernkraftwerken und polizeiliche Maßnahmen bei Unfällen. Sicherheitsreport 3 (1978), Heft 1, S. 21. H. J. S a c k : Das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität. NJW 33 (1980), S. 1424. D. S e i l n e r : Zum Vorsorgegrundsatz im BImSchG. NJW 33 (1980), S. 1255. K. W e r n i c k e : Das neue Wasserstrafrecht, NJW 30 (1977), S. 1662.

Materialien B u n d e s k r i m i n a l a m t : Polizeiliche Kriminalstatistik 1975-1979. Wiesbaden 1976, 1977, 1978, 1979, 1980. B u n d e s m i n i s t e r d e s I n n e r e n : Umweltbrief Nr.20: Bericht über die Auswirkungen von Luftverunreinigungen auf das globale Klima. Bonn 1980. B u n d e s m i n i s t e r d e s I n n e r e n : Umweltbrief Nr.21: Umweltforschungsbericht. Bonn 1980. B u n d e s m i n i s t e r d e s I n n e r e n : Aktionsprogramm Lärmbekämpfung. Bonn 1980. B u n d e s m i n i s t e r f ü r F o r s c h u n g u n d T e c h n o l o g i e : Zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. 2. Aufl. Bonn 1978. B u n d e s m i n i s t e r f ü r F o r s c h u n g u . T e c h n o l o g i e : Kernenergie. 3. Aufl. Bonn 1978. D e u t s c h e r B u n d e s t a g : Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines 16. Strafrechtsänderungsgesetzes. Bundestagsdrucksache 8/2382 v. 13. 12. 1978. Bonn 1978. U m w e l t b u n d e s a m t : Was Sie schon immer über Umweltchemikalien wissen wollten. 2. Aufl. Bonn 1980. GÜNTHER

BAUER

KRIMINALISTIK I. DAS ARBEITSFELD DER KRIMINALISTIK Die Kriminalistik als Lehre von der repressiven und präventiven Verbrechensbekämpfung gliedert sich in die Arbeitsgebiete Kriminaltaktik, Kriminaltechnik, Vernehmungstaktik und -technik, Datenerhebung und Auswertung (Statistik, EDV, Meldewesen), Fahndung und Observation, Präventionsaufgaben (einschl. Öffentlichkeitsarbeit), Kriminaldienstkunde und Organisation der Verbrechensbekämpfung. Sie ist dabei angewiesen auf die Grundlagen und Erkenntnisse der Strafrechts- und Strafprozeßrechtswissenschaft, der Kriminologie (Ätiologie und Phänomenologie), "des Strafvollzugsrechts, sowie - vor allem im Bereich der Auswertung kriminaltechnischer Erhebungen - auf die Biologie, Medizin (Rechtsmedizin und forensische Psychiatrie), Physik, Chemie, Psychologie und Soziologie (—» Kriminologie, —> Kriminaltaktik, —» Kriminaltechnik, —> Kriminalsoziologie). Besondere Bedeutung haben für die Verbrechensbekämpfung die Ergebnisse kriminalgeographischer Untersuchungen gewonnen, die in der Nachkriegszeit zunächst von Herold veröffentlicht wurden. Die dann einsetzenden umfangreichen Untersuchungen von Schwind (—» Kriminalgeographie) haben auch für die Praxis der Verbrechensbekämpfung wesentliche Hilfen ergeben. In gleicher Weise ist die Lehre vom Opfer (Viktimologie) für die Kriminalistik wegweisend geworden (—» Viktimologie), die auf von Hentigs Arbeit „The Criminal and His Victim" zurückgeht und die - als wissenschaftliche Disziplin - wesentlich von Hans Joachim Schneider weitergeführt wurde (für den Bereich der Kriminalistik siehe Bauer 1973). Auch die Prävention - seit jeher als wichtige Aufgabe der Kriminalistik betrachtet - hat in den letzten Jahren einen bedeutsamen Anteil der praktischen Verbrechensbekämpfung gewonnen und ist über die bloße Einrichtung von Beratungsstellen hinaus zu einer umfassenden Aufklärung, Unterrichtung und Beratung der Bevölkerung ausgestaltet worden.

II. ORGANISATIONS- UND PERSONALFRAGEN A. Das Sicherheitsprogramm Die zunehmende Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere auch der politisch motivierte Terror, gaben Anlaß, Aufgaben, Verwendung, Organisation und Ausbildung der Polizei neu zu durchdenken. Die „Ständige Konferenz der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder" hat das Ergebnis dieser Überlegungen erstmals im Juni 1972 als „Programm für die Innere

Kriminalistik Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland" vorgelegt und veröffentlicht. Im Februar 1974 ist dieses Programm dann in seiner endgültigen und ergänzten Form verabschiedet worden. Es bildete die Grundlage für die Reform der deutschen Polizei und des Verfassungsschutzes. Die Grundzüge dieser Reform, soweit sie die Verbrechensbekämpfung betreffen, bilden die nachstehenden Thesen, die durch die Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und der Länder weitgehend verwirklicht wurden. B. Aufgaben der Kriminalpolizei Der Sicherheitsauftrag der Polizei umfaßt den gesamten Bereich der Verbrechensbekämpfung also die Verbrechensverhütung und die Strafverfolgung. Schutz- und Kriminalpolizei sind gemeinsam Träger dieser Aufgabe. Dem entspricht die Forderung nach weitgehender organisatorischer Integration von Schutz- und Kriminalpolizei. Wer im einzelnen die Ermittlungen führt, ist eine Zweckmäßigkeitsfrage. Die Schutzpolizei bearbeitet in der Mehrzahl der Länder die kleine und mittlere Kriminalität selbständig. Außerdem obliegt ihr in allen Ländern die Bearbeitung der Ordnungswidrigkeiten, die im Zuge der Strafrechtsreform große Teile der bisherigen Bagatellkriminalität umfassen, sowie die Bearbeitung von Verkehrsstraftaten. Die Kriminalpolizei ermittelt in den Strafsachen, in denen ihre besonderen Kenntnisse und Möglichkeiten von überwiegender Bedeutung sind. Dies sind mindestens folgende Deliktsgruppen: Nicht natürliche Todesfälle (außer Verkehrstote), Staatsschutzdelikte, Rauschgift-, Falschgeld-, Sittlichkeitsdelikte, Brandstiftung, Explosionen, Sprengstoffdelikte, Raub und Erpressung, Wirtschaftsstraftaten, illegaler Waffenhandel, schwere Fälle des Diebstahls, Glücksspiel. In größeren Städten kann der Kriminalpolizei jedoch die Bearbeitung aller Verbrechen und Vergehen zugewiesen werden. In allen ländlichen und städtischen Gebieten obliegt der Schutzpolizei in den der Kriminalpolizei zugewiesenen Aufgabenbereichen der erste Angriff und die Mitwirkung bei Fahndungen. Die Landeskriminalämter haben Weisungs- und Koordinierungsbefugnisse und die fachliche Aufsicht über die strafverfolgende Tätigkeit der Polizeidienststellen, sofern die Aufsicht nicht von den obersten Landesbehörden selbst wahrgenommen wird (Landeskriminaldirektoren in den Innenministerien). Der Schwerpunkt der Arbeit der Landeskriminalämter liegt nicht in der Ermittlungstätigkeit. Sie haben indes u. a. auch die Aufgabe, überörtliche Ermittlungsverfahren bestimmten Polizeibehörden zuzuweisen und die Ermittlungen der Polizeidienststellen miteinander zu koordinieren. In Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt und der Polizei-Führungsakademie haben sie die Fort-

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bildung und Spezialausbildung der in der Verbrechensbekämpfung tätigen Beamten zu betreiben. Originär zuständig sind die Landeskriminalämter für Ermittlungen im überörtlichen Rauschgifthandel, in der Falschgeldherstellung, beim illegalen Waffenhandel und bei Staatsschutzdelikten. Subsidiär zuständig sind sie dann, wenn ihnen durch die Innenministerien, Gerichte, Staatsanwaltschaften oder Polizeidienststellen Ermittlungsaufgaben (zumeist überörtlicher Art) zugewiesen oder übertragen werden sollen. Die Innenminister behalten sich jedoch in diesen Fällen die endgültige Zustimmung bei Zuweisungen anderer Behörden vor. Die Landeskriminalämter können auch überörtliche Verfahren an sich ziehen, auch hier besteht der Zustimmungsvorbehalt der Innenminister. Im übrigen sind die Landeskriminalämter: - Zentrale Nachrichtensammei- und Auswertestellen, - Zentralstellen für Kriminalstatistik, - Zentralstellen für Kriminaltechnik und Erkennungsdienst, - Leitstellen für die überörtlichen Fahndungen, - Zentralstellen für den Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung, - Zentralstellen für Beratung und Vorbeugung. Das Bundeskriminalamt (BKA) ist die Informations- und Kommunikationszentrale der deutschen Polizei für die Verbrechensbekämpfung. Das Schwergewicht seiner Tätigkeit liegt in der Unterstützung der Länder durch Spezialisten und Spezialeinrichtungen. Seine Aufgaben als Zentralstelle sind - Nachrichtensammlung und Auswertung, - Zentralstelle für den Erkennungsdienst, - Zentralstelle für den elektronischen Datenverbund zwischen Bund und Ländern zu polizeilichen Zwecken, - Koordinierungsstelle für Kriminaltechnik, Kriminalstatistik, - Unterstützung der Länder in der Vorbeugungsarbeit, - Nationales Zentralbüro der Interpol, - Fortbildung auf den Gebieten der Kriminaltechnik, des Erkennungsdienstes, des Staatsschutzes und der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität. Zuständig für Ermittlungen ist das BKA in folgenden Fällen: - International organisierter Handel mit Waffen, Munition, Sprengstoffen, Betäubungsmitteln, - international organisierte Herstellung oder Verbreitung von Falschgeld, die eine Sachaufklärung im Ausland erfordern. (In Fällen minderer Bedeutung kann die Staatsanwaltschaft im Benehmen mit dem BKA die Sache einer anderen sonst zuständigen Polizeidienststelle übertragen), - Straftaten gegen das Leben oder die Freiheit des Bundespräsidenten, Mitgliedern der Bun-

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Kriminalistik

desregierung, des Bundestages, Bundesverfassungsgerichts, Gäste der Verfassungsorgane des Bundes aus anderen Staaten, Leiter und Mitglieder der diplomatischen Vertretungen in besonderen Fällen, - Verfahren sonstiger Art, wenn die zuständige Landesbehörde darum ersucht, oder der Bundesinnenminister es aus schwerwiegenden Gründen anordnet oder der Generalbundesanwalt darum ersucht oder einen Auftrag erteilt. Dem BKA obliegt ferner der Schutz der Mitglieder der Verfassungsorgane des Bundes sowie der innere Schutz der Dienst- und Wohnsitze sowie der Aufenthaltsräume des Bundespräsidenten, der Mitglieder der Bundesregierung sowie in besonderen Fällen auch ihrer ausländischen Gäste. Darüber hinaus sind dem BKA durch Beschluß der Innenministerkonferenz vom 5. 8. 1977 zentrale Regelungsund Steuerungsbefugnisse auf dem Gebiete der Information und Operation übertragen worden. Der (persönliche) Schutz der Mitglieder der Verfassungsorgane wird durch die Sicherungsgruppe des BKA wahrgenommen, die in Bonn-Bad Godesberg ihren Sitz hat. Deren Tätigkeit erstreckt sich auch auf die Durchführung von Schutz- und Sicherungsaufgaben bei Staatsbesuchen (in Zusammenarbeit mit den Länderpolizeien) sowie auf die Durchführung von Sicherungsmaßnahmen an deutschen Vertretungen in Krisengebieten des Auslandes. Die Abteilung Staatsschutz des BKA befaßt sich mit der kriminalpolizeilichen Spionageabwehr (Landesverrat, landesverräterische bzw. geheimdienstliche Agententätigkeit) sowie mit Ermittlungen wegen Friedensverrats, Hochverrats und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates sowie mit politisch motivierten Delikten von Ausländern. Die Abteilung Terrorismus (Kurzbezeichnung Ί Έ ) des BKA hat den Auftrag, terroristische Gewalttaten zu verhindern bzw. aufzuklären und Terroristen zu ergreifen. Die Abteilung Terrorismus wurde 1975 geschaffen und gliedert sich in Ermittlungsreferate. Es besteht ein umfassendes Fahndungssystem, das den Strukturen der Terrorismusszene angepaßt ist. Dabei nehmen Maßnahmen zum frühzeitigen Erkennen von Planungen, Aufdecken der Logistik und Taktik und ein umfassender Informationsaustausch einen vorrangigen Platz ein. Die Zusammenarbeit mit den Ländern im Einsatzfalle ist durch einen Beschluß der Innenministerkonferenz aus dem Jahre 1978 im einzelnen geregelt.

C. Organisation Die bisherige unterschiedliche Organisation der Polizei - bedingt durch die seinerzeitigen Auffassungen der Besatzungsmächte und Traditionen der deutschen Länder - standen einer wirkungsvollen Zusammenarbeit zum Teil entgegen. Das Sicherheitsprogramm forderte daher eine in den Grund-

zügen einheitliche Organisation, deren Verwirklichung größtenteils bereits erfolgt ist. So sind Schutzpolizei und Kriminalpolizei schon auf der unteren Ebene organisatorisch unter eine Führung gestellt worden (untere Integrationsebene). Größere Zuständigkeitsbereiche und dadurch personalstärkere Dienststellen sind gebildet worden. Dabei wurden grundsätzlich die Grenzen der Gebietskörperschaften berücksichtigt; nur aus besonderen Gründen ist davon abgewichen worden. Von der Möglichkeit, die Zuständigkeitsgrenzen nach kriminalgeographischen Gesichtspunkten abzugrenzen (—» Kriminalgeographie D 1 b) hat man leider nur zum Teil Gebrauch gemacht. Kommunale Polizeistationen wurden weitgehend aufgelöst. Als einheitliche Organisationsgrößen sind vorgesehen: Untere Integrationsebene: Polizeipräsidium/Polizeidirektion. Merkmale: Gemeinsamer Leiter für Schutzpolizei und Kriminalpolizei, zentrale Führungsdienststelle, Größe des Dienstbereichs in Städten ca. 300000 Einwohner (die obere Grenze ist durch die Einwohnerzahl der Städte bedingt, in Nordrhein-Westfalen bilden Städte wie Köln, Dortmund, Essen jeweils ein Präsidium. In Bayern wird die Stadt München polizeilich durch ein Präsidium betreut, mithin läßt sich der Bereich bis zu 1 Mio. Einwohner durch eine Polizeibehörde abdecken). Die Dienststellen unterhalb eines Präsidiums sind die Schutzpolizeiinspektion bzw. Kriminalinspektion und die Polizeiwachen bzw. Kriminalkommissariate. Im ländlichen Bereich soll ein Präsidium ca. 30km Aktionsradius umfassen. Obere Integrationsebene: Landespolizeipräsidium/Regierungspräsidium (auch Landespolizeibehörde genannt). Merkmale: Zusammenfassung mehrerer Polizeipräsidien/Polizeidirektionen. Gewisse Funktionen der Kriminalpolizei können hier zentralisiert werden (Wirtschaftskriminalität, Einsatzkommissionen). Die hier wiedergegebenen Richtlinien hinsichtlich der unteren und oberen Integrationsebene sind nur Anhaltswerte, die Bezeichnungen sind in den Bundesländern unterschiedlich. Ein „Polizeipräsidium" in Bayern umfaßt in der Regel einen Regierungsbezirk, faßt also Direktionen und Inspektionen zusammen, eine Kriminalpolizeidirektion in Schleswig-Holstein umfaßt ebenfalls mehrere „Kriminalpolizeistellen"; die genannte Kreispolizeibehörde ist obere Integrationsebene. Maßgeblich ist, daß nahezu überall der Grundsatz der gemeinsamen Leitung der unteren Integrationsebene durchgeführt wird und als obere Integrationsebene eine aufsichtsführende und leitende Dienststelle fungieren kann.

D. Personal, Laufbahn, Ausbildung Die seit 1945 übliche Einheitslaufbahn der Polizei ist inzwischen unterschiedlich weiterentwickelt worden. So ist heute der unmittelbare Einstieg in

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Kriminalistik den gehobenen und höheren Dienst der Kriminalpolizei möglich geworden (der übrigens nach 1918 auch schon möglich war). Voraussetzungen hierzu sind Abitur bzw. Fachhochschulreife, für den höheren Dienst ein abgeschlossenes Universitätsstudium. Aufstiegsbeamte aus dem mittleren Dienst absolvieren polizeiinterne Lehrgänge, die zum Laufbahnwechsel berechtigen. Fachhochschulen für Polizeibeamte, Lehrgänge an der Polizeiführungsakademie Münster-Hiltrup bereiten auf die Abschlußprüfungen für den gehobenen bzw. höheren Dienst vor. Die eigenverantwortliche, abschließende Ermittlungstätigkeit von Kriminalfällen besonderer Bedeutung stellt heute Anforderungen, die dem gehobenen Dienst zuzuordnen sind. So werden für die Tätigkeit im Bundeskriminalamt nur noch Beamte des gehobenen und höheren Dienstes verwendet, teilweise werden in den Bundesländern ebenfalls nur noch Anwärter für den gehobenen Kriminaldienst eingestellt. Die Tendenz geht dahin, kriminalpolizeiliche Tätigkeiten nur noch Beamten des gehobenen und höheren Dienstes zuzuweisen. Die Fortbildung der Beamten erfolgt auf Lehrgängen, Tagungen und Seminaren der Länder bzw. der Polizeiführungsakademie. Für die Bekämpfung von Fällen besonderer Gewaltkriminalität stellen die Länder Spezialeinheiten auf. Die Ausrüstung und Ausbildung erfolgt entsprechend den zu stellenden Anforderungen und nach einheitlichen Grundsätzen, so daß gemeinsame und parallele Einsätze möglich sind. Für den Bereich des Bundes unterhält der Bundesgrenzschutz eine Spezialeinheit zur Bekämpfung von Fällen besonderer Gewaltkriminalität. Ungeachtet der Polizeihoheit der Länder ist ein einheitliches Führungs- und Einsatzverhalten durch den Erlaß einheitlicher Dienstvorschriften gewährleistet. Vorschriften, Richtlinien, Erlasse usw. werden gemeinsam vorbereitet und dann in den einzelnen Bundesländern durch die Fachminister herausgegeben bzw. durch die Parlamente verabschiedet. Die Vorbereitung erfolgt, soweit es die Kriminalpolizei betrifft, durch die A G Kripo (Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt), die wiederum mit den Sicherheitsreferenten der Länder und der Ständigen Innenministerkonferenz zusammenarbeitet.

E. Jugendschutzmaßnahmen, weibliche Kriminalpolizei Die weibliche Kriminalpolizei - nach der Beendigung des 1. Weltkrieges geschaffen und nach der Beendigung des 2. Weltkrieges in allen Bundesländern wieder restituiert - sollte sich mit den Straftaten von Kindern und weiblichen Jugendlichen befassen, mit Gefährdetenaufgaben und generell mit Jugendschutzaufgaben.

Die Entwicklung der Jugendkriminalität und Jugendgefährdung brachte es jedoch mit sich, daß die gesamte Polizei sich mit diesem Problem befassen mußte und eine Spezialausbildung hierfür auch für männliche Beamte notwendig wurde. Zudem nahm die Kriminalität weiblicher Jugendlicher auf allen Deliktsgebieten erheblich zu, so daß eine Tataufklärung und Täterermittlung auch hier nur durch die Bearbeitung in Spezialkommissariaten - wie ja auch sonst bei der Kriminalpolizei - erfolgreich erschien. Der Verfassungsgrundsatz der gleichen Zugangsberechtigung der Frau zu allen Berufen gebot im übrigen auch bei der Polizei eine Änderung der bisherigen Organisation. So ist daher in den meisten Bundesländern die Organisationsform der weiblichen Kriminalpolizei aufgelöst worden, es werden Frauen genau wie Männer für alle Dienstzweige der Kriminalpolizei eingestellt und mit ausgezeichneten Ergebnissen auf allen Gebieten verwendet. Es kann auf die Mitwirkung weiblicher Beamter für alle Tätigkeiten auch schon deshalb nicht mehr verzichtet werden, weil die Beteiligung weiblicher Krimineller sich ebenfalls auf alle Delikte erstreckt und die von ihnen angewandte Verbrechenstechnik und -taktik sich kaum von der der männlichen Täter unterscheidet. Für die Bearbeitung der eigentlichen Jugendkriminalität wurden - soweit nicht bereits vorhanden - Spezialdienststellen geschaffen, die aus männlichen und weiblichen Sachbearbeitern bestanden, die eine Spezialausbildung absolviert hatten. Jugendschutz und Jugendkriminalität gehören im übrigen zum Stoff aller Ausbildungslehrgänge der Kriminalpolizei. Der Einsatz spezieller Jugendschutzbeamter auf der Straße und in bzw. an jugendgefährdenden Orten ist häufig auf die Kritik der mit Jugendhilfe betrauten Sozialarbeiter gestoßen, die - irrigerweis e - in diesen Beamten ,Schnüffler' sahen. Dort, wo ideologiefrei jedoch sachliche Jugendarbeit geleistet wird, ist die enge Zusammenarbeit der Kriminalpolizei mit den Jugendämtern und Sozialdienststellen inzwischen gute Gewohnheit geworden. Sie findet in der Form regelmäßiger Zusammenkünfte, des Erfahrungsaustausches und der Zusammenarbeit im Einzelfall statt und erstreckt sich auch auf Kontakte zwischen Bewährungshelfern und Kriminalbeamten, um rechtzeitig Gefährdungen begegnen zu können. In Niedersachsen (Hannover) arbeiten Kriminalbeamte mit Sozialarbeitern auch räumlich eng zusammen in einem Gebäude.

F. Internationale Zusammenarbeit Seit der Neugründung der IKPO im Jahre 1956 (anläßlich der 25. Tagung der früheren IKPK —> Kriminalpolizei) besteht diese Organisation aus der Generalversammlung, dem Exekutivkomitee (13 Personen, die jährlich zweimal zusammentreten),

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dem Generalsekretariat mit einem Generalsekretär und den Nationalen Zentralbüros (—» Internationale Verbrechensbekämpfung). Für die BRD ist das BKA in Wiesbaden Nationales Zentralbüro. Der IKPO gehören derzeit 130 Staaten an. Das Instrumentarium der IKPO gliedert sich in - Nachrichtenverbindungen: 52 Staaten sind an das internationale Funknetz angeschlossen, 66 Staaten sind an das internationale Telexnetz angeschlossen, das Telebildnetz ist im Ausbau begriffen. Ein eigener Kode ermöglicht die rationelle Abkürzung der jeweiligen Ersuchen, so daß etwa Festnahmeersuchen schnell und ohne Sprachschwierigkeiten übermittelt werden können. - Sammlungen und Auswertungsunterlagen: Die Unterlagen des Generalsekretariats umfassen alle Erkenntnisse über internationale Rechtsbrecher und ihre Arbeitsweise; sie ermöglichen außerdem die Identifizierung bisher unbekannter Täter durch Vergleich der Arbeitsweisen (modus operandi) und die Herstellung personen- oder sachbezogener Zusammenhänge. Es werden derzeit 260000 Akten über Personen bzw. Fälle geführt, eine Zehnfinger- und Einzelfingerabdrucksammlung, Lichtbildersammlung, sowie Spezialistenkarteien (Rauschgifthändler, Falschgeldhersteller, Wechselfallendiebe, Trickdiebe, Taschendiebe, Scheckbetrüger usw.). Für Rauschgift- und Falschgelddelikte bestehen internationale Meldebestimmungen, die einen weltweiten Überblick ermöglichen. - Ausschreibungen: International gesuchte Personen können zur Festnahme ausgeschrieben werden. Daneben gibt es die Ausschreibung zur Einholung von Auskünften, die Präventivausschreibung gefährlicher Rückfalltäter (Information über Auftreten) sowie die Ausschreibung zur Identifizierung unbekannter Toter sowie von Gegenständen. Darüber hinaus findet ein ständiger Erfahrungsund Erkenntnisaustausch statt. Dieser (schriftliche) Austausch wird ergänzt durch Regionalkonferenzen, Kontinentalkonferenzen, auf denen die regionalen Probleme erörtert werden, sowie Arbeitstagungen zur Erörterung von bestimmten Fachfragen, die besonders aktuell sind. Die Ergebnisse der Konferenzen und Tagungen werden den Teilnehmern und NZB's zugestellt. Eine Forschungsabteilung des Generalsekretariats wertet 250 Zeitschriften aus, beobachtet den internationalen Büchermarkt und veröffentlicht die gesammelten Erkenntnisse in der Bibliographie der von IKPO herausgegebenen Internationalen Kriminalpolizeilichen Revue. Speziell mit Fälschungen befaßt sich die viersprachige Zeitschrift „Erkennungszeichen echter und gefälschter Banknoten". III. KRIMINALTAKTIK Der Begriff Kriminaltaktik wurde im Jahre 1904 in die Verbrechensbekämpfung eingeführt: Der da-

malige Landgerichtsdirektor Weingart nannte sein damals erschienenes Buch so, das sich mit der Aufklärung von Verbrechen befaßte. Schneickert griff in den dreißiger Jahren diesen Begriff wieder auf, veröffentlichte ebenfalls ein Buch mit diesem Titel und gebrauchte ihn im weiteren Sinne als Lehre auch vom Vorgehen zur Vorbeugung von Verbrechen. Heute wird er meist im engeren Sinne verstanden, so daß etwa Kriminalgeographie, Kriminalstatistik, Viktimologie - obgleich sie auch wesentliche Elemente der Verbrechensprävention enthalten - nicht als Teilgebiete der Kriminaltaktik verstanden werden. Erkenntnisse dieser Disziplinen sind jedoch auch Voraussetzung kriminal taktischen Vorgehens. So setzt die Kriminaltaktik im engeren Sinne voraus, daß kriminalgeographische Unterlagen erhoben, gesammelt und ausgewertet werden.

A. Ermittlung der Kriminalstruktur Das kriminelle Geschehen ist zunächst nach Delikten, örtlicher und zeitlicher Verteilung innerhalb des Raumes, der durch die Zuständigkeit der Ermittlungsdienststelle gegeben ist, aufzuzeichnen und zu analysieren. Dazu gehören Angaben über den Tatort (Straße, Objekt) und das einzelne Objekt sowie die vermutliche Tageszeit. Aus der Aufzeichnung muß nicht nur die Straßenbezeichnung, sondern auch das jeweilige Planquadrat (bzw. der jeweilige Block) hervorgehen, auch die Tatörtlichkeit muß näher beschrieben werden (Ort im Freien, Geschäft, Wohnhaus, Hotel, Veranstaltungsraum usw.). Unter „Tatzeit" sind das Datum, aber auch der Wochentag (Nacht zum Mittwoch) anzuführen. Als Delikt interessiert nicht nur „Diebstahl" sondern auch „Diebstahl an Kfz., Taschendiebstahl, Einbruch in Werkstatt", schließlich ist auch die Tatbeute (Bargeld, Tabakwaren, Radiogerät) von Bedeutung. Eine solche Kriminalitätsübersicht kann wie folgt aussehen: 70980 N.z.Samstag 12B2 Bremerstr. 65 Einbr Baubude Werkzeug Diese Angaben werden einmal listenmäßig per EDV ausgedruckt, zum anderen auf einem Stadtplan dargestellt. Die Datenverarbeitung erlaubt es, die Geschehnisse am Morgen des der Tatnacht folgenden Arbeitstages der taktischen Leitung der sachbearbeitenden Dienststelle mitzuteilen, so daß die Einsätze der kommenden Nacht rechtzeitig vorbereitet werden können, aber auch der Sachbearbeiter der einzelnen Delikte sofort umfassend über die Straftaten in seinem Bereich unterrichtet wird. Anhand der Berichte der zurückliegenden Zeit und anhand anderer Hilfsmittel (Tatortverteilung, Wohnsitzverteilung der in Betracht kommenden Täter, Täterstruktur des Bereiches, in dem sich Schwerpunkte von Straftaten gleicher Art zeigen),

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Kriminalistik Anhaltemeldungen (Meldungen über Antreffen von Personen unter verdächtigen Umständen in kriminalitätsgefährdeten Bereichen) und der Streifenberichte der Schutzpolizei lassen sich Anhaltspunkte über den Einsatz von Ermittlungen gewinnen. Ein Vergleich der Kriminalstruktur über eine Woche bzw. einen Monat hinweg läßt Schwerpunkte, deren Beginn und Ende sowie deren Ausbreitung oder Wanderung erkennen. Streifen und Observationen zur Prävention wie Repression werden nach diesen Unterlagen eingeteilt. Die Datenverarbeitung ermöglicht auch das Herausziehen bestimmter Daten (etwa aller Diebstähle von Autoradios in einem bestimmten Bereich, aller Überfälle auf Frauen - Handtaschenraub oder sexueller Natur - ) , um aus dem Vergleich der Daten Rückschlüsse auf die Täterermittlung zu ziehen. Ähnlich kann auch bei Dienststellen, die ohne EDV rein manuell ihre Daten gewinnen müssen, verfahren werden. Eine grobe Übersicht gibt auch die Kriminalstatistik. Das hier skizzierte Verfahren wird bei allen raumbezogenen Taten angewandt. Es eignet sich nicht für Delikte, die weder bei der Vorbereitung noch bei der Tatausführung oder nach Beendigung des Tatablaufes öffentliche Räume tangieren (etwa kaufmännischer Betrug, Wirtschaftsdelikte, Straftaten innerhalb der Familie usw.).

B. Grundlagen der Kriminaltaktik Nach Weingart sollten „Activitö und Vitesse" das Handeln bei der Verbrechensaufklärung bestimmen (nach einem Armeebefehl Napoleons). Diese Grundregel ist auch in den nachfolgenden taktischen Regeln enthalten, die für alle Ermittlungshandlungen gelten: - Planmäßiges Vorgehen, aber elastisch bleiben. - Schnelligkeit des Vorgehens: Spuren können vernichtet, Zeugen beeinflußt werden. Zwischen planlosem schnellem und planvollem langsamem Handeln muß die rechte Mitte gefunden werden. - Tatbefundssynthese: Aus der Zusammenschau aller Merkmale des Tatbefundes ergeben sich Hinweise auf den Täter und die ihn bewegenden Kräfte und Motive. - Spurensicherung und Auswertung, Erhebung des Personalbeweises. - Individuelle Planung: Patentrezepte für alle Fälle gibt es nicht. - Rechtmäßigkeit des Vorgehens (Verfassungsmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit, Verhältnismäßigkeit). - Spezialisierung: Ermittlungen durch spezialisierte Beamte, so weit wie möglich und vertretbar zentrale Bearbeitung durch die Spezialdienststelle. - Einheitlichkeit des Handelns: Art, Maß und Ziel der Ermittlungen bestimmt der verantwortliche Leiter bzw. dessen Dienststelle. Die strenge Weisungsgebundenheit darf Anregungen, Vor-

schläge und Initiative der Ermittlungsbeamten nicht verhindern. Kriminologische Beurteilung des Delikts: Der Deliktstyp enthüllt Wesen des Täters und seine Motive. Die richtige Einordnung kann daher die Ermittlungen wesentlich erleichtern. Zu unterscheiden sind Aggressionsdelikte/Triebdelikte/Nutzdelikte/Schwächedelikte . C. Tatablauf und Tatsituationen Der verbrecherischen Tat gehen mehr oder minder umfassende Vorbereitungen voran, ihr folgen Abschluß - und Folgehandlungen. Der relativ lange Zeitraum zwischen Tatentschluß und Beuteverwertung bietet reichliche Ansatzpunkte der Überprüfung und Ermittlung. Es sind dies: Die Vortatsituation - Kriminogene Fakten - Tatentschluß - Tatplanung - Baldowern - Beschaffung von Tatmitteln - Annäherung an den Tatort - Annäherung an das Opfer - Beseitigung von Tathindernissen - Sicherung der Tatausführung Die Tatsituation - Tatkomponenten: Tatort, Tatzeit, Tatobjekte, Tathandlungen, Tatmittel, Tatmotiv, Verdächtige - Das Verbrechen Die Nachtatsituation - Verlassen des Tatortes - Fluchtart - Fluchtmittel - Rückkehr zum Tatort - Sicherung der Beute - Transportmittel - Absatz der Beute - Verwertung der Beute - Verhalten nach der Tat. Diese zeitliche Reihenfolge ist nachzuvollziehen, um die Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Täters gedanklich zu erfassen und sie durch Nachforschungen, Observationen und Einsatz von V-Personen aufzuhellen. Diese Nachforschungen werden erleichtert und lückenlos betrieben, wenn das „Weingartsche Gerippe" zugrunde gelegt wird. Das Schema geht von der Untersuchung der Phase 2 Tatsituation - aus, um sodann die Vortatsituation und die Nachtatsituation abzuklären. Es gliedert sich in folgende Abschnitte: A. Umstände beim Hergang der Tat: Anwesenheit am Tatort, Besitz der Mittel und Werkzeuge zur Tat, Besitz gewisser Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten;

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Β. Umstände, die als Ursachen der Tat anzusehen sind: Motive zur Tat, Wille zur Tat; Wirkungen der Tat: physische Wirkungen der Tat, psychische Wirkungen der Tat. Die Fragestellung des Ermittlungsbeamten lautet also: Wer war zur Tatzeit am Tatort anwesend? Wer besaß die Mittel und Werkzeuge, die zur Tat benutzt wurden? Wer hat die Eigenschaften, Kenntnisse und Fertigkeiten, die der Täter besessen hat? Wer hatte ein Motiv zur Tat? Wer hatte den Willen zur Tat? Bei wem liegen die physischen Wirkungen der Tat vor? Bei wem liegen die psychischen Wirkungen der Tat vor? Die Suche nach der Antwort zu diesen Fragen wird zu mehreren Personen führen. Tatverdächtig werden sie erst dann sein, wenn mehrere der genannten Voraussetzungen zutreffen. Fehlt der eine oder andere Umstand, der vorliegen müßte, so kann Tatbeteiligung weiterer Personen angenommen werden. Liegen nun mehrere Tatumstände vor, so beweist das zunächst nur, daß der Betreffende Täter sein kann. Ein zwingender Beweis dafür liegt erst dann vor, wenn Umstände vorliegen, die nur und ausschließlich beim Täter vorhanden sein können (etwa Beweis durch Spuren). Die Beantwortung der Fragen des Abschnittes Α schließt ein die Zeugenbefragung über Täterhinweise, Überprüfung der Gegenstände, die dem Täter gehören oder von ihm zurückgelassen wurden, Hinweisspuren (Fingerabdrücke), Hinweise und Beobachtungen auf dem Wege zum oder vom Tatort, Ausschluß etwaigen Tatverdachts durch Alibi, Feststellungen über die benutzten Tatmittel und Tatwerkzeuge (Verbleib, Besitz, Hersteller, Verkäufer), Klärung, ob bei Tatverdächtigen vorgefundene Werkzeuge pp. zur Tat benutzt wurden. Vergleich gesicherter Tatspuren mit vorgefundenen Werkzeugen, Klärung der Frage, welche Eigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten der Täter besessen haben muß und welche dieser Voraussetzungen bei verdächtigen Personen vorliegen, notwendige Kenntnisse über die Möglichkeiten der Tatausführung. Im Abschnitt Β wird die Suche nach den Motiven und dem Willen zur Tat genannt. Die Motivsuche ist meist einfach, doch bergen auch zunächst klare Tatvorgänge Schwierigkeiten in sich oder bedürfen genauester Untersuchung. Wer stiehlt, will sich möglichst mühelos fremdes Eigentum aneignen, will also Gewinn. Doch schon die Frage nach dem Diebesgut (und nach dem, was nicht gestohlen wurde) erbringt Hinweise auf die Absichten und Motive des Täters: Will er die Beute verkaufen oder dient sie seiner persönlichen Bereicherung, faszi-

niert sie ihn? Diebstähle mit größeren Zerstörungen oder Verwüstungen werden meist nicht des Gewinnes halber arrangiert, sondern um sich auszutoben, andere zu schädigen, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken (Kinder, Jugendliche, Rocker). Brandstiftungen werden aus sehr unterschiedlichen Motiven begangen, die sich nach mühevoller Arbeit aber vielfach aus dem Tathergang und der Objektwahl ergeben. Ähnlich liegen die Dinge bei den Tötungsdelikten. So ist die Motivsuche Voraussetzung der Suche nach dem Täter, der nicht wahllos, sondern zielbewußt ermittelt werden soll. Wer hatte ein Motiv (oder wer kann eines gehabt haben) und sprach darüber, wer war süchtig, triebgestört, Psychopath, in einer Lage, die motivierend sein konnte? Bei wem lagen weitere Voraussetzungen vor? Sehr oft führt die Beantwortung der Frage weiter, wer die Umstände kannte, die gerade diese Tat unter diesen Umständen ermöglichte (Verhältnisse pp.). Auch der umgekehrte Gedankengang kann weiterführen: Hatte ein Tatverdächtiger überhaupt ein Motiv? Der Wille zur Tat kann sich aus Äußerungen entsprechender Art ergeben, aber auch aus Handlungen, die auf einen Tatentschluß hindeuten (Alibivorkehrungen, Beschaffung von Tatmitteln, Beurlaubung eventueller Zeugen, Hinlocken des Opfers zum Tatort (etwa Aussprache mit dem späteren Mordopfer, angebliche Geschäftsverhandlungen) . Abschnitt C befaßt sich mit den Wirkungen der Tat. Sie läßt den Täter nicht „aus ihrem Griff". Auswirkungen der Tat auf den eigenen Körper, die Kleidung oder die Gegenstände des Täters (Spuren, Beschädigungen) kann dieser zwar beseitigen, Verletzungen, die er davontrug, heilen wieder. Die „Früchte des Verbrechens" aber - die Beute bleiben ihm, sie dienen der späteren Überführung genau so wie die Spuren und Beschädigungen der Werkzeuge. Größere Geldbeträge verändern seinen Besitzstand, bei großen Summen auch seinen Lebensstandard, seine Verhältnisse, oder dienen der Bezahlung alter Schulden oder Forderungen. All das ist mit physischen Wirkungen der Tat gemeint. Aber die Tat hat den Täter auch psychisch „im Griff". Der Mörder, der zum Tatort zurückkehrt, ist keine Erfindung der Romane, und zu Recht wird daher die Beerdigung des Opfers observiert. Der Täter spricht darüber - natürlich ohne sich als Täter zu dekuvrieren, er sammelt Berichte über den Fall, ja, der Einbrecher - auch der berufsmäßige - behält zur Erinnerung seiner Taten einzelne Stücke zurück, freut sich an ihnen, seine „Erfolge" werden dadurch wieder lebendig - bis sie schließlich bei der Hausdurchsuchung identifiziert werden und seiner Überführung dienen. Versuche der Tatverdeckung, Beweisbeseitigung, Zeugenbeeinflussung, Nachforschungen über die Folgen der eigenen Tat, Führung von Tagebüchern, Namensänderungen, Schriftver-

Kriminalistik Stellungen, Fluchtvorhaben - bis hin zum Reden über die eigene Tat vor Freunden, Verwandten, all das sind die psychischen Tatauswirkungen: Auch das Geständnis befreit letztlich den Täter von der psychischen Belastung (so weit das überhaupt möglich ist), gibt ihm die Möglichkeit, den Weg in die menschliche Gemeinschaft zurückzufinden. So wird der Tatablauf in allen seinen Stadien nach dem hier dargelegten Muster untersucht. Dem Ermittlungsbeamten stehen dafür die Mittel der Befragung, Zeugensuche und -Vernehmung, Spurensuche, -Sicherung und -auswertung, Durchsuchung und Beschlagnahme, Observation und Fahndung bis hin zur Festnahme zur Verfügung. Diese Mittel wird er - jeweils unterschiedlich je nach der Deliktsart einsetzen, um die gestellten Fragen beantworten zu können.

IV. KRIMINALTAKTISCHES VORGEHEN BEI EINZELNEN VERBRECHEN A. Vorsätzliche Tötungsdelikte Mord und Totschlag sind Delikte, die seit Jahrzehnten (seit 1954) Aufklärungsquoten von mehr als 90% aufweisen (1979: Morde 91,5%, Totschlagsfälle 98,1 %). Das liegt zum einen am Delikt selbst - die weitaus überwiegende Zahl der Fälle gehört zu den Beziehungsverbrechen (zwischen Opfer und Täter bestehen Beziehungen und Verbindungen, allerdings sehr unterschiedlicher Art) - , zum anderen an der Taktik des Vorgehens - Sachbearbeiter sind stets auf den Mord spezialisierte Beamte, die in einer Sonderkommission (Mordkommission) tätig werden, die Ermittlungen werden mit besonderer Intensität und vorrangig durchgeführt, für diese stehen in ausreichender Zahl Sachbearbeiter zur Verfügung, notfalls werden weitere Beamte von anderen Sachgebieten abgezogen. In besonders schwierigen Situationen und aufsehenerregenden Fällen sind mehr als hundert Kriminalbeamte zu gleicher Zeit tätig geworden. Zu der heute überall eingesetzten Mordkommission, die ständig - also auch nachts - einsatzbereit ist, tritt heute sofort der zuständige Mordsachbearbeiter der Staatsanwaltschaft (ebenfalls jeweils für mehrere Jahre aussschließlich in diesem Dezernat tätig), neben den kriminal-technisch ausgebildeten Beamten der Spurensuche und -Sicherung wird der Gerichtsmediziner umgehend herangezogen, ist oft auch am Tatort anwesend; Obduktionen sind bei Mord- und Totschlagsfällen die Regel; die Spuren sowie die Bekleidung des Opfers werden regelmäßig durch die gerichtsmedizinischen Institute bzw. die Landeskriminalämter (Bundeskriminalamt) von Wissenschaftlern untersucht und ausgewertet. Sobald ein vorsätzliches Tötungsdelikt bekannt wird, ist also dafür gesorgt, daß alle modernen Hilfsmittel eingesetzt werden.

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Problematisch ist die Anzeige bzw. Mitteilung über einen Mordfall. Ereignet sich die Tat in der Öffentlichkeit, oder wird sie im Wohnbereich durch die Umstände bekannt (Schreie, Geräusche usw.), sind es die Nachbarn oder Passanten, die den Fall bemerken und die Polizei verständigen. Erfolgt die Tat unbemerkt, so kann das Fernbleiben von der Arbeitsstelle Grund für eine Vermißtenmeldung und damit für polizeiliches Nachforschen werden. Handelt es sich bei dem Opfer um einen Alleinstehenden (Rentner, Witwe) oder liegt der Tatort im Wald, so bleibt der Fall u. U. monatelang unbekannt. Ähnlich liegen die Dinge, falls ein Opfer ohne Kampf oder sonst bemerkbare Verletzungen stirbt. Der hinzugezogene Arzt (in aller Regel ein Praktiker, der ja gerichtsmedizinische Vorlesungen zuletzt in der Studienzeit wahrgenommen hat) wird kaum den Toten eingehend und sorgfältig untersuchen können, ihn entkleiden, um den Körper auf Verletzungen zu untersuchen: Rücksicht auf die Angehörigen, Pietät, beengte Verhältnisse der Wohnung, fehlende Beleuchtung usw. können zu Fehlbeurteilungen führen. So kommt es immer wieder dazu, daß Morde durch Erwürgen, Erdrosseln, sogar Schuß- und Stichverletzungen nicht bemerkt werden und natürlicher Tod bescheinigt wird. Immer wieder werden solche Fälle in der Literatur bemängelt. Beim Einsatz der Ermittlungen wird man zunächst die Mordsituation feststellen. Von Hentig unterschied 5 Gruppen, die auch heute noch maßgebend sind für den Verlauf der weiteren Maßnahmen: Gewinnmord, Konfliktmord, Deckungsmord, Sexualmord, motivlose (motivarme) Morde. Welcher Gruppe die jeweilige Tat zuzuordnen ist, ergibt sich aus der Tatortuntersuchung, der Feststellung der persönlichen Verhältnisse sowie den ersten Zeugenbefragungen. Die richtige Erkenntnis entscheidet über den Erfolg: Bei einem Sexualmord sind hinsichtlich der Tätersuche andere Maßnahmen einzuleiten als bei einem Raub- oder Konfliktmord. Bei letzterem richtet sich die Fahndung gegen den Bekannten-(Verwandten-)kreis des Opfers, der ja meist feststeht, das Schwergewicht liegt bei der Beweisführung. Liegt ein Sexual- oder Gewinn(Raub-)mord vor, ist der Täter zumeist völlig unbekannt. Hier liegt der Ermittlungsschwerpunkt bei der Fahndung, der Suche nach dem Täter. Erst dann ergeben sich die Beweisprobleme. Im ersten Falle erstrecken sich die Maßnahmen auf den engeren Ortsbereich, im zweiten Falle können unter Umständen bundesweite Fahndungsmaßnahmen und breite Öffentlichkeitsfahndungen durch die Medien nötig werden. So richten sich Art und Ausmaß der taktischen Maßnahmen nach den Umständen des Einzelfalles. Soweit es sich nicht gerade um Konfliktmorde (Gattenmord, Geliebtenmord, Familienmord, Mord an Kindern usw.) handelt, können die kriminalpolizeilichen Dateien und Samm-

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lungen sehr hilfreich sein: Sexualmörder sind regelmäßig, Raubmörder oft früher in Erscheinung getreten, Sexualmörder insbesonderheit früher wegen sexuell abweichendem Verhalten straffällig geworden. Die schwierigsten Aufgaben stellen Mordfälle an Prostituierten wegen des zahlreichen und völlig unbekannten Besucherkreises sowie Morde, bei denen die Leichen vergraben oder versteckt werden (wie etwa im Falle Jürgen Bartsch). Die Leiche gibt nicht nur den Mordfall „bekannt", sie stellt auch den Täter bloß und sagt mehr über ihn aus, als der Mörder annehmen kann. Bei der Mordermittlung ist somit die „Aussage" des toten Opfers die wichtigste Erkenntnisquelle, seine Lebensumstände und Gewohnheiten führen auf die Spur des Mörders, der Tatort und seine Umgebung können Spuren und Zeugen liefern, wenn mit der nötigen Ausdauer gefahndet wird („Klinkenputzen" - systematisches Befragen aller Anwohner über die Tatzeitgeschehnisse). Presse, Fernsehen und notfalls Fernsehfilme können Hinweise ergeben, Alibiprüfungen sind unausweichlich, Motive sind zu ermitteln - und zu denken ist auch daran, daß im Menschen auch heute noch archaische Triebe in bestimmten Situationen zum Durchbruch kommen können, die er gebändigt glaubte („Im Spiegel des Mordes sieht die Menschheit ihr eigenes Antlitz" - v. Hentig).

B. Raub Die Häufigkeitszahl der Raubüberfälle stieg von 7,0 des Jahres 1953 auf 35,8 im Jahre 1979. Der Raub weist mithin unter allen Delikten die stärkste Steigerungsrate auf. Das hängt zweifellos mit der faszinierenden Möglichkeit, in kurzer Zeit ohne Überwindung beträchtlicher Schwierigkeiten erhebliche Geldbeträge zu erbeuten, zusammen. Da Geld anonym ist, sich jederzeit mühelos verwerten läßt, ergeben sich auch nach Beendigung der Tat keinerlei Schwierigkeiten oder Fährnisse. Besonderer Mut ist für die Tatausführung nicht erforderlich, obgleich lohnende Beträge meist nur bei einer Tatausführung am Tage erreicht werden können: Es genügt das Vorhalten einer Schußwaffe, sei es auch nur einer Attrappe. Die massenhafte Ausbreitung des Bankraubes in den beiden letzten Jahrzehnten ist u. a. auch auf die Einrichtung sogenannter EinMann-Zahlstellen der Sparkassen und Banken in kleinen Orten und die völlig ungesicherten Räumlichkeiten (inzwischen behoben) zurückzuführen. Man unterscheidet folgende Formen (—» Gewaltkriminalität B): Raubüberfälle auf Banken und sonstige Zahlstellen, Raubüberfälle auf Geschäfte und Zahlstellen, Raubüberfälle auf Geld- und Werttransporte, Raubüberfälle auf Kraftfahrer (insbesondere Taxifahrer),

Zechanschlußraub, Handtaschenraub, sonstige Überfälle auf Straßen, Wegen usw. Das Vorgehen der Täter ist je nach dem gewählten Objekt sehr unterschiedlich. Banküberfälle erfolgen während der Öffnungszeiten - am Tage - , innerhalb der Verkehrszentren und können - von Ausnahmefällen bei kleineren Instituten abgesehen - nur von 2-3 Tätern vorgenommen werden. Die Anfahrt erfolgt mit einem gestohlenen Kfz, das nach der Flucht möglichst bald gewechselt wird, um Gefährdungen durch das erkannte Kennzeichen zu vermeiden. Auch Überfälle auf größere Geldtransporte per Kfz machen die Mitwirkung mehrerer Täter erforderlich, während Beraubungen von einzelnen Geldboten (Abgabe der Geldbomben am Nachtschalter) auch von Einzelpersonen im Schutze der Dunkelheit durchgeführt werden können. Die anderen Erscheinungsformen erlauben die Durchführung durch Einzeltäter. Nächtliche Überfälle - so der Zechanschlußraub und Handtaschenraub - bringen geringere Beuteerlöse, sind teilweise auch vom Zufall abhängig. Während der „Großraub" in der weitaus überwiegenden Zahl der Taten von kriminell erfahrenen Tätern begangen wird, sind Handtaschenräubereien und Straßenräubereien das Privileg junger und jüngster Täter (dazu gehören vielfach auch Kinder zwischen 12 und 14 Jahren, die Altersgenossen berauben). Die Taktik der Bekämpfung des Raubes richtet sich nach der Erscheinungsform. Zur Verringerung der Banküberfälle wurden schußsichere Kassiererplätze vorgeschrieben, worauf die Täter auf die Geiselnahme in Bankräumen auswichen: Nunmehr werden die Kunden bedroht, bis der Kassierer das Geld herausgibt. Mitunter werden auch die Kassierer und Filialleiter nachts unter Vorwänden zur Öffnung der Haus- bzw. Wohnungstüren veranlaßt, während die Familienangehörigen als Geiseln festgehalten werden, müssen Kassierer und Filialleiter den Tresor ihrer Bank öffnen und den Tätern das vorhandene Bargeld übergeben, worauf sie gewöhnlich in ihrer Bank eingeschlossen werden. Nunmehr sind alle Banken und entsprechenden Kassen mit optischen Raumüberwachungsanlagen ausgerüstet, so daß Fotos der Täter zur Verfügung stehen. Zur Vermeidung von Geiselnahmen versucht man die Täter nach Verlassen der Bank abzufangen. Das System der Ringalarmfahndung sperrt unmittelbar nach der Tat alle Straßen in bestimmten Entfernungen vom Tatort ab, um das Tatfahrzeug zu ermitteln. Das Bankpersonal - geschult und belehrt durch Filme und Vorträge - wird zur Ermittlung der Täterbeschreibung herangezogen. Personenbeschreibung, Maskierung, Worte und Redensarten, Auftreten, Bewaffnung sowie etwa gesicherte Spuren (Schußspuren, Fingerabdrücke) ergeben zusammen mit dem modus operandi-System gute Aufklärungsmöglichkeiten. Dazu treten noch Mitteilungen von V.-Personen und Observationen

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Kriminalistik sowie Täterfehler nach der Tat (physische und psychische Wirkungen), so daß die Aufklärungsquote gut ist (1979: 7 2 , 8 % ) . Etwa 8 0 % der Bankräuber sind kriminell erfahren, so daß umfassende Karteiüberprüfungen und zentrale Ermittlungsführung bei Serientaten möglich sind. Ähnliches gilt für die Überfälle auf Geld- und Werttransporte: Transporte gewerblicher Geldtransportfirmen erfolgen in gepanzerten Spezialfahrzeugen, so daß Angriffe nicht möglich sind. Kritischer Punkt aller Geldtransporte sind die Be- und Entladezeiten, in denen nahezu alle Überfälle erfolgen. Hier wird durch die Täter rücksichtslos von der Schußwaffe Gebrauch gemacht, zumal die Tatbeute bis zu mehreren Millionen Mark betragen kann. Vermehrung des Wachpersonals bzw. Be- und Entladung in Schleusen sind die einzig möglichen Abhilfen. Transporte durch Bank- und Supermarktangestellte oder Boten sind ungleich häufiger, die Taten werden durch Unaufmerksamkeit bzw. Leichtsinn des Personals begünstigt, sowie durch Dämmerung oder Dunkelheit risikoärmer für den Täter. Regelungen, wonach Transporte ab einer bestimmten Summe nur durch Spezialfirmen durchgeführt werden können (in einigen Staaten vorgeschrieben) erscheinen zweckmäßig, zumal angesichts des höheren Risikos bei Banküberfällen der Bankraub zurückgeht und eine Zunahme des Transportraubes in Aussicht steht. Neben Überfällen auf Geldtransporte per Kfz sind auch Zugberaubungen möglich, doch derzeit nur in Italien üblich. Überfälle auf sonstige Werttransporte sind in einigen Fällen vorgekommen (Zigarettentransporte mittels Lkw und Transport von Diamanten bzw. Schmuck durch Händler). In einigen wenigen Fällen wurden durch Angehörige von Transportfirmen auch Überfälle vorgetäuscht und das Geld entnommen, wobei mitunter auch die Ermordung des Beifahrers vorkam. Raubüberfälle auf Geschäfte bezwecken den Raub des Inhalts der Ladenkasse, der naturgemäß sehr begrenzt ist. Bevorzugt werden die Zeiten kurz vor Geschäftsschluß sowie Tatorte, bei denen nur ein Angestellter anwesend ist. Die Taten ufern leicht aus, da die Betroffenen - im Gegensatz zu Bankund Kassenangestellten - oft dem Täter nicht willfahren, sondern die zwecklose Gegenwehr bevorzugen. Unter den Tätern finden sich auch Anfänger, Flüchtige, Randsiedler neben erfahrenen Kriminellen. Unter der Rubrik Geschäftsraub rangieren auch die Überfälle auf Juweliere und Geschäfte ähnlicher Gattung, bei denen erhebliche Werte erbeutet werden. Sie gehören indes noch zu den selteneren Taten und werden von Spezialisten ausgeführt, die dann gleich mehrere Taten überregional durchführen. In einigen Fällen wurde die Tätigkeit organisierter Banden (z. T. italienischer Herkunft) festgestellt. Der Handtaschen-, Zechanschluß- und Straßenraub sonstiger Art - zahlenmäßig weitaus überwiegend (von den 21950 Überfällen des Jahres 1979

bezogen sich nur 2527 auf Bank-, Geschäfts-, Transport- und Kraftfahrraub) - kann, soweit die Täter nicht durch das Opfer oder Zeugen erkannt werden, nur durch Observationen oder Vertrauenspersonen aufgeklärt werden, wobei diese Aufklärungsmethoden allerdings infolge der serienmäßigen Ausbreitung der Taten erfolgreich und lohnend sind. D a Raubüberfälle die Bevölkerung stets sehr beunruhigen und sich bei Nichtaufklärung seuchenhaft ausbreiten, sollten auch diese (kleineren) Raubtaten intensiv bekämpft werden. Sie bilden auch regelmäßig den Einstieg in die „große" Raubkriminalität, bzw. sonstige Gewaltkriminalität. Sonderformen - wie etwa Überfälle auf Wohnungen, Gehöfte - kommen gehäuft nur in ausgesprochenen Notzeiten oder innerstaatlichen Krisen vor und sind in Deutschland von 1945-1948/49 vorgekommen, seither aber nahezu völlig verschwunden. Überfälle auf Taxifahrer - zu Zeiten sich intensiv ausbreitend - bilden keine Gefahr mehr: Öftere Ablieferung der Geldbeträge sowie die energische Gegenwehr und gegenseitige Unterstützung der Taxifahrer (angesichts extensiver Gewaltanwendung überall bekannt geworden) haben offensichtlich abgeschreckt. C. Geiselnahmen Geiseln sollen mit ihrem Leben dafür garantieren, daß die Forderungen der Geiselnehmer erfüllt werden. Aus der Kriegführung seit Jahrtausenden bekannt, werden sie auch in der Verbrecherwelt häufig benutzt. Durch das 12. Strafrechtsänderungsgesetz vom 16. 12. 1971 wurden als Spezialgesetze die §§239a und 239b StGB eingefügt, da sich die Notwendigkeit dazu ergab. Wir kennen die offene Geiselnahme, bei der der Täter sich unter den Augen der Öffentlichkeit einer Geisel versichert, um seine Forderungen - Geld, Fluchtmöglichkeiten, Gefängniserleichterungen durchzusetzen. Der Täter verschanzt sich mit seiner Geisel in einem Gebäude bis seine Forderungen erfüllt sind oder entfernt sich mit ihr mittels eines Fahrzeuges (oft aufgrund von Drohungen bereitgestellt), um seine Flucht durch die Geisel abzudekken oder sie sicherer zu verwahren. Die verdeckte Geiselnahme (Entführung) erfolgt heimlich, abseits der Öffentlichkeit, des Nachts überfallartig oder bei Tage an wenig begangenen Orten (so bei Kindern), die Angehörigen erfahren erst durch Mitteilung des Täters von der Entführung, der damit seine Geldforderungen verknüpft. Entlassung wird bei Zahlung der geforderten Summe zugesagt (—» Gewaltkriminalität Β 2 und C). 1. Offene

Geiselnahmen

Sie finden am häufigsten bei Banküberfällen statt, wenn der Täter - bedingt durch die inzwi-

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sehen überall üblichen Sicherungsmaßnahmen den Kassierer nicht mehr direkt bedrohen kann oder wenn während des Überfalles die Polizei im Bankgebäude erscheint. Der Täter bedroht dann die Bankkunden oder Angestellten, so daß seinen Forderungen nachgegeben wird. In der Regel verlangt er größere Bargeldbeträge als in der Bank vorhanden sind, Gestellung eines Fluchtautos und ungestörte Flucht mit einer oder mehreren Geiseln. Aus den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte (—» Gewaltkriminalität Β 2) ergab sich ein taktisches Konzept, das darin gipfelt, den Täter zunächst durch Verhandlungen und Teilerfüllung seiner Forderungen zu erschöpfen oder ihn bei Verschaffung entsprechender Gelegenheiten zu überwältigen. Auf jeden Fall soll die Flucht verhindert werden: Sie führt, wie sich gezeigt hat, in aller Regel zur Aufgabe der nachfolgenden Observation und überläßt die spätere Festnahme dem Zufall. Die Bekämpfung der Geiselnahme gab Anlaß zur Aufstellung besonderer Einheiten, die auch für die Bekämpfung der übrigen Gewaltkriminalität geeignet sind. Als mobile Einsatzkommandos der Kriminalpolizei (MEK), Spezialeinsatzkommandos der Schutzpolizei (SEK) oder Präzisionsschützenkommandos (PSK) übernehmen sie die Tatortabsperning, Fahndung und Observation sowie, falls unerläßlich, den bewaffneten Schutz bzw. die Aufgabe, den Täter kampfunfähig zu machen. Die Verhandlungen mit den Tätern führt eine Arbeitsgruppe „Kontaktaufnahme und Verhandlungen", die Tatortarbeit wird von einer „Ermittlungsgruppe" geleitet. Eine Dokumentationsgruppe übernimmt die Sammlung und Dokumentation der Beweismittel, die Schutzpolizei setzt eine Verkehrslenkungs- und Verkehrsregelungsgruppe ein. Eine Vielzahl optischer und fernmeldetechnischer Hilfsmittel stehen zur Verfügung, zur Verfolgung können Hubschrauber eingesetzt werden. Die polizeilichen Maßnahmen können u. U. mehrere Tage in Anspruch nehmen. Taktischer Grundsatz ist es, den Täter am Orte der Geiselnahme zu überwältigen, da eine Ortsverlagerung in der Regel neue Probleme schafft. Fälle solcher Art können nur durch speziell dafür ausgebildete Sachbearbeiter gelöst werden, die über ausreichende Erfahrung verfügen. Die Einsatzleitung muß - unbeschadet der politischen Verantwortung - in den Händen der Polizei bleiben und kann nicht auf kriminologisch oder kriminalistisch unbedarfte Fachberater verlagert werden. Ähnliche Probleme ergeben sich bei Geiselnahmen in Gefängnissen, Fluchtgeiseln und anderen Motiven. In der Regel ist am Tatort auch ein Vertreter der Staatsanwaltschaft. Nach den bestehenden Übereinkommen (Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/senatoren des Bundes und der Länder über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch Polizeibeamte auf Anordnung des Staatsanwaltes),

Ziff. III ist in Fällen, in denen Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung gleichzeitig wahrgenommen werden müssen, nach dem Grundsatz der Güter- und Pflichtenabwägung nach der konkreten Lage zu entscheiden, ob die Strafverfolgung oder die Gefahrenabwehr das höherwertige Rechtsgut ist. Daraus ergibt sich auch die Lösung des Problems, ob bei Geiselnahmen polizeiliche Belange der Gefahrenabwehr oder staatsanwaltliche Aufgaben der Strafverfolgung (für deren Wahrnehmung der Staatsanwalt der Polizei Weisungen erteilen kann) zunächst vorgehen.

2. Verdeckte Geiselnahmen

(Entführungen)

Der erste Nachkriegsentführungsfall ereignete sich 1958 in Stuttgart, entführt wurde ein 7jähriger Knabe, gefordert wurden als Lösegeld 15000 DM. Das Opfer wurde sieben Tage später tot aufgefunden. Durch Ausstrahlung der Täterstimme konnte dieser ermittelt werden. Während zunächst Kinder wohlhabender Eltern entführt wurden, kam es infolge von Verwechslungen oder Zufällen auch zu Entführungen von Kindern unbemittelter Eltern. In diesen Fällen wurde das Lösegeld von öffentlichen Stellen (Kommunalverwaltung, Landesregierung) zur Verfügung gestellt, da eine andere Wahl gar nicht bestand. 1971 wurden die ersten Erwachsenen entführt (2 Fälle), es wurden 300000 und 100000 DM gezahlt, für die Entlassung des Essener Kaufmanns A. wurden 7 Mio verlangt und auch bezahlt, bei dem Studenten O. waren es bereits 21 Mio DM (—» Gewaltkriminalität C 2 und 3). Die Möglichkeiten einer Ermittlung ergeben sich durch die notwendige Kontaktaufnahme des Täters mit den Angehörigen des Opfers, die heute zumeist telefonisch erfolgt. Eine Stimmaufzeichnung erfolgt regelmäßig, hat aber nur dann Erfolg, wenn sie technisch einwandfrei vorgenommen wird. Das ist bei entsprechender Fachkenntnis durchaus möglich. Die Aufzeichnung kann später zum Stimmvergleich bei Tatverdacht herangezogen werden. Eine weitere Kontaktierung erfolgt bei der Geldübergabe. Diese wird observiert mit dem Ziel der Täterergreifung. Wird die Übergabe über einen Mittelsmann (wie in Essen und anderen Fällen) vorgenommen, muß dieser weiter observiert werden bis zur endgültigen Abgabe des Geldes an den Täter. Daß das Lösegeld registriert wird, ist inzwischen allgemein bekannt. Auch diese Registrierung kann zur Feststellung des möglichen Aufenthaltes des Täters, wenn nicht gar zu seiner direkten Festnahme führen. Wird - nach Zahlung des Lösegeldes - das Opfer freigelassen, so tragen dessen Beobachtungen über Geräusche, Lichtreflexe, Stimmen, Verbergungsorte usw. zur weiteren Tataufklärung bei. Bisher konnten - bis auf den Hamburger Fall - alle Entfühnmgsfälle aufgeklärt werden. Doch ist es in

Kriminalistik einem Fall nur zufällig zur Entdeckung des Opfers gekommen (die Täter gaben sein Versteck trotz Zusage nicht preis), im Falle O. kam es zu schweren und erheblichen Verletzungen des Opfers. In jedem Falle ist das Risiko, ob nach Zahlung des Lösegeldes das Opfer auch tatsächlich freigelassen wird, nicht abzuschätzen: Bei Entführungen von Kindern kommt es immer wieder vor, daß die Opfer getötet werden, weil sie - was der Täter regelmäßig nicht einkalkuliert - sehr viel schwieriger zu behandeln oder ruhig zu halten sind als Erwachsene, die im Interesse aller sich den Forderungen der Täter zunächst fügen und Risiken vermeiden. Die Gliederung der Einsatzdienststellen ist ähnlich wie bei Geiselnahmen: Ermittlungsgruppe/ Gruppe Technik und Erkennungsdienst/Fahndungs- und Observationsgruppen/Gruppe Nachrichtensammlung und Auswertung/Dokumentations- und Aktenführungsgruppe/Auskunfts- und Pressestelle/Sachverständige-Berater-Reserven. Wesentlich für den Erfolg (oder Mißerfolg) ist die Zusammenarbeit mit der Presse. Jede an die Öffentlichkeit gelangende Mitteilung über den Fall muß im Hinblick auf ihre Wirkung auf den Täter überdacht werden. Bisher haben in nahezu allen Entführungsfällen die Presseorgane sich an die Empfehlungen der Polizei gehalten. Auch hier gilt - wie bei den Geiselnahmen - daß nur speziell ausgebildete Sachbearbeiter eingesetzt werden können, die über die nötige Erfahrung mit gefährlichen Rechtsbrechern verfügen. Das gilt in besonderem Maße für die Observationskräfte: Unbemerkte Observation ist eine der schwierigsten taktischen Maßnahmen, die in Fällen der hier genannten Art nur von den ständigen Observationsgruppen durchgeführt werden sollte. Nach Freilassung des Opfers kann, sofern der Täter nicht auf Grund anderer Umstände ermittelt wird, eine sehr breite Öffentlichkeitsarbeit erfolgen. Taten dieser Art erregen sehr viel Anteilnahme und es ist mit mehreren hundert Hinweisen zu rechnen, die aufzuarbeiten sind. Dazu gehören u. a. auch Angaben über die Stückelung des Lösegeldes, Ausstrahlung der Täterstimme über Rundfunk und speziell dafür geschaltete Telefonnummern sowie sonstige Hinweise über Gegenstände, Fahrzeuge und Besonderheiten, die eine Täterermittlung zulassen. D. Erpresserische Bedrohung Bei der Erpressung unterscheidet die Kriminologie zwischen der ausbeuterischen Erpressung und der erpresserischen Bedrohung. Erstere nahm bis zur Beendigung des 2. Weltkrieges 75 % der Erpressungstaten in Anspruch. Heute dürfte sie nur noch Bruchteile des Delikts ausmachen, wenngleich die Dunkelziffer erheblich sein dürfte. Doch fällt allein schon wegen des Wandels der moralischen Auffassungen ein großer Teil der Grundlagen sol-

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cher Erpressungen weg (etwa wegen angeblicher sexueller Handlungen). Dagegen steht die erpresserische Bedrohung im Vordergrund, spektakuläre Fälle - etwa die Drohung, Nahrungsmittel einer bestimmten Firma vergiftet in den Handel zu bringen - füllen die Presse, kleinere Fälle gehören zum täglichen Brot jeder größeren Kriminaldienststelle. Sofern die Opfer über keinerlei nennenswerte Vermögenswerte verfügen, handelt es sich bei den Erpressungsversuchen - die in diesen Fällen meist schriftlich oder telefonisch gestellt werden - um Kinder, Jugendliche oder geistig nicht ganz zurechnungsfähige Personen. Aufmachung und Ausdrucksweise der Erpresserbriefe, Übergabeorte und verlangte Geldsummen weisen meist schon auf diesen Täterkreis hin. Ermittelt werden muß jedoch auch in diesen Fällen, denn die angedrohten Handlungen - etwa Brandlegungen - können ja ohne weiteres verwirklicht werden. Der Großteil der Taten richtet sich gegen wohlhabende Geschäftsleute, Fabrikanten, Großindustrielle oder bekannte Firmen. Die vorgesehenen Opfer sind meist durch das wirtschaftliche oder gesellschaftliche Leben des betreffenden Tatortes bekannt geworden, so daß sie als zahlungsfähige Opfer angesehen werden. Die Geldforderungen bewegen sich zwischen zehntausend DM und mehreren Millionen. Der Täter meldet sich brieflich, fernmündlich oder nimmt beide Kommunikationswege in Anspruch, die Verhandlungen über die Höhe der Summe und die zweckmäßige Übergabe nehmen mehrere Tage, oft auch Wochen in Anspruch. In dieser Zeit sind die Nerven des Opfers erheblich beansprucht, so daß es zweckmäßig ist, einen polizeilichen Sachbearbeiter ständig in der nächsten Nähe des Opfers zu stationieren. Bedroht werden entweder Angehörige oder Kinder des Opfers, deren Entführung in Betracht kommt, wenn nicht gezahlt wird, oder es werden Sprengstoffanschläge gegen die Fabrikationsräume oder Geschäftsniederlassungen angedroht: In beiden Varianten ist eine Durchführung der angedrohten Tat ja durchaus realistisch. Mitunter haben die Erpresser auch früher in den Betrieben des späteren Opfers gearbeitet, so daß sie mit den Verhältnissen dort gut vertraut sind. Auch Gesellschaften und öffentliche Einrichtungen können als Opfer gewählt werden - so Fluggesellschaften, oder - wie im Falle Roy Clark - die Deutsche Bundesbahn: Die Erpressungen nahmen (nach einem ersten Erpresserbrief im Jahre 1959) im Oktober 1966 ihren Anfang und endeten mit der Täterfestnahme im Dezember 1967. Clark schrieb 12 Erpresserbriefe und unternahm zur Bekräftigung seiner Forderungen drei Sprengstoffattentate gegen Gebäude der DB und gefährdete den Bahnbetrieb auf der Strecke durch zwei weitere Anschläge (—> Gewaltkriminalität D). Schließlich kassieren inzwischen organisierte kriminelle Gruppen nach Mafia-Manier laufend Geldbeträge bei Spielunternehmen, Restaurationen und

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anderen Betrieben meist ausländischer Besitzer unter der Drohung, Zerstörungen anzurichten oder gewalttätig gegen die Besitzer zu werden. Derartige Fälle sind in nahezu allen Bundesländern vorgekommen, am bekanntesten wurden die Erpressungen der sogenannten Wuppertaler Mafia (im Jahre 1980 abgeurteilt). In den Fall waren auch zwei Anwälte verwickelt. Die sachgemäße Aufklärung setzt die frühestmögliche Einschaltung der Kriminalpolizei voraus und beginnt mit der Überwachung des Telefons und Aufzeichnung der Gespräche. Eingehende Schriftstücke werden sichergestellt, die Untersuchung auf Fingerabdrücke, der benutzten Maschinenschriften (individuelle Merkmale der Typen), der Handschrift (Graphologe, Psychologe), des benutzten Papieres, Leims können Anhaltspunkte liefern. Doch oft genug verhalten sich die Täter auch hier recht geschickt. Im Falle der Ermittlung ist man indessen fast immer auf die sichergestellten Briefe pp. bzw. den Stimmvergleich angewiesen. Die Tataufklärung erfolgt jedoch in den meisten Fällen erst bei der Geldübergabe. Das ist auch dem Täter bekannt, deshalb versucht er sie so zu gestalten, daß er unentdeckt bleibt. Einsame, abgelegene Orte, bei denen in der Dunkelheit das Geld abgelegt werden soll (Autobahnrastplätze, Autobahnbrükken usw.) werden genau so gewählt wie Orte mit starkem Personenverkehr, um im Gewühl der Menge unterzutauchen. Auch der Abwurf des Lösegeldes aus einem Fahrzeug (Auto, Bundesbahn - hier auch an einem vorher nicht bekanntgegebenen Ort, der während der Fahrt signalisiert wird) ist schon verlangt worden. Es kann sich dann so etwas wie eine Schnitzeljagd entwickeln, die einen großen Personaleinsatz verlangt. Dabei müssen u. U. Berufskleidungsstücke (Postbeamte, Bahnbeamte) entliehen werden, Frauen zur Verfügung stehen, verdeckt zu tragende Funksprechgeräte verwendet werden, um die gegenseitige Verständigung zu ermöglichen. Bei Abwurf aus Fahrzeugen muß die Fahrtstrecke auf für den Täter günstige Stellen geprüft werden, die dann durch entsprechend viele Fahndungsgruppen abgesichert werden müssen. Derartige Fälle sind - so 1970 - vorgekommen. In diesem Falle wurde eine Fahrtstrecke, die sich über vier Bundesländer und zwei Nachbarstaaten der BRD erstreckte, observiert. Die Einschaltung der Polizei und ihre taktischen Maßnahmen müssen verborgen bleiben. Tritt der Täter von sich aus an die Öffentlichkeit, muß er über die Maßnahmen u . U . getäuscht werden (Falschmeldungen der Presse sind mitunter notwendig). Die Geldübergabe kann aus unterschiedlichen Gründen scheitern: Der Täter fühlt sich beobachtet, ihn verläßt der Mut, er hat ohnehin nur eine Scheinübergabe geplant, um zu testen, wie sich die Polizei verhält, oder bei der Übergabe ist die polizeiliche Observation tatsächlich bekannt geworden. In diesen Fällen haben die Täter wieder neue Kontakte angeknüpft und - un-

termalt durch einige Vorwürfe - neue Modalitäten vereinbart. Auch in diesem taktischen Spiel geht es darum, die Nerven zu behalten und den Täter u . U . dahin zu manövrieren, wo er mit Erfolg gefaßt werden kann. Immer wieder kommt es auch vor, daß der Täter schließlich aufgibt, ohne seine Drohung zu verwirklichen. Bei der Dauer-Erpressung durch organisierte Banden sind die Täter im allgemeinen bekannt. Die Schwierigkeiten liegen hier darin, vom Opfer überhaupt eine wahrheitsgemäße Aussage zu erhalten und Zeugen zu ermitteln. Der Einsatz von Vertrauenspersonen ist unumgänglich, damit Sachbeweise beschafft werden können. Telefonüberwachungen der tatverdächtigen Personen sowie des Anschlusses des Opfers sind erforderlich. Mit der sachbearbeitenden Staatsanwaltschaft muß die Frage geklärt werden, ob Tatteilnehmer bei Offenbarung des wirklichen Tatgeschehens mit milderen Strafen rechnen können (so etwa Hilfskräfte, die lediglich zur Unterstreichung der Bedrohung oder zu einzelnen Sachbeschädigungen eingesetzt wurden). Auch der Einsatz von Observationskräften (verdeckte Fotografie, Bewegungen der Erpresser) verspricht Erfolg. Mitunter nutzen die Täter die Furcht vor solchen Banden aus, treten offen an ein vermögendes Opfer heran und spiegeln ihm vor, im Auftrage großer Unbekannter zu handeln. Angst und Leichtgläubigkeit - vor allem älterer Personen oder von Frauen - werden skrupellos ausgenutzt. Geht der Vermögensverlust zu weit, finden sich oft beherzte Rechtsanwälte, Vermögens- oder Steuerberater, die ihre Mandanten schließlich dazu bringen, sich doch der Kriminalpolizei anzuvertrauen. Von sich aus hätten das die Opfer nie getan. In diesen Fällen - die kriminaltaktisch keine großen Schwierigkeiten ergeben - konnten in recht kurzer Zeit jahrelange Erpressungen beendet werden, unter denen die Opfer psychisch erheblich litten. Fälle dieser Art, die oft an schlechte Kriminalromane erinnern, gibt es tatsächlich. Es scheint, als ob hierfür die entsprechende „Literatur" und leider auch die einschlägigen Stoffe der Massenmedien nicht ganz unbeteiligt sind.

E. Brandstiftung Die vorsätzliche Brandstiftung teilt die Kriminalitätszunahme mit den (anderen) Gewalt- und Zerstörungsdelikten: Sie zeigt eine über die Gesamtkriminalität hinausgehende Steigerung. Von 1413 Straftaten (Häufigkeitszahl 2,8) des Jahres 1953 stieg sie auf 7175 Fälle (Häufigkeitszahl 11,7) des Jahres 1979. Im gleichen Zeitraum fiel die Aufklärungsquote von 57,7 % auf 40,9 %. Die Fahrlässigkeitsbrände beliefen sich 1979 auf 10012 Strafanzeigen, 1954 wurden 11806 fahrlässige Brandstiftungen gemeldet. Hier zeigt sich also eine einigermaßen gleichbleibende Tendenz.

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Kriminalistik Die Brandermittlung setzt eine spezielle Ausbildung voraus, die technisch und taktisch orientiert ist. Dennoch wird in jedem Falle die Heranziehung von Sachverständigen notwendig, die zu den je nach Brandobjekt unterschiedlichen Fragestellungen ihre Gutachten abzugeben haben. In der Praxis wird bei jedem gemeldeten Brand der Brandsachbearbeiter der Kriminalpolizei entsandt, der die weitere Bearbeitung übernimmt und die benötigten Sachverständigen heranzieht, bei größeren Bränden auch den Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft informiert. Von wesentlicher Bedeutung ist es, daß der Sachbearbeiter umgehend nach Brandmeldung (auch nachts) am Brandort erscheint, um die ersten Feststellungen treffen zu können. Dazu gehört die Ermittlung der anwesenden Personen (Zeugen), die Beobachtung des Brandverlaufs, der Flammenund Rauchbildung, erste Befragungen am Brandort, Beschlagnahme der Brandstelle, Sicherstellung wichtiger Beweismittel, sobald wie möglich (elektrische Anlagen, Zeitzünder, Flüssigkeiten usw.). Eine eingehende Untersuchung des Brandschutts, Ermittlung und Überprüfung des Brandherdes (bzw. der Brandherde), Sicherung der Spuren, Fotografie erfolgen sodann. Neben den den Brand beobachtenden Zeugen erfolgt eine Befragung der in der Nachbarschaft wohnenden Personen über etwaige Auffälligkeiten und im Zuge der ausführlichen Befragung des Brandgeschädigten auch eine Ermittlung über dessen wirtschaftliche Verhältnisse. Bei diesen Ermittlungen ist zunächst zu klären, ob eine Brandstiftung vorsätzlicher oder fahrlässiger Art vorliegt oder der Brand aus sonstigen nicht vermeidbaren Ursachen entstand. Dazu sind das Ergebnis der Brandortuntersuchung und die ersten Hinweise der Sachverständigen heranzuziehen, dazu dienen auch die Zeugen- und Geschädigtenvernehmungen. Bei der Untersuchung dieser Umstände sind auch die möglichen Motive einer Brandstiftung zu erörtern bzw. abzuklären. Sie ergeben sich aus der Art der Brandstiftung, dem Schaden, den persönlichen Verhältnissen des Geschädigten, seiner wirtschaftlichen Lage, schließlich aus Ereignissen und Vorkommnissen der letzten Monate (Ärger, Zwistigkeiten, familiäre Differenzen usw.). Aus der Zusammenstellung der technischen Umstände und des sozialen Status können sich die ersten Hinweise auf den tatsächlichen Verlauf ergeben. Brandgefahren können liegen in den Eigenschaften von Stoffen in fester, flüssiger und gasförmiger Form, können bei technischen Vorgängen entstehen (Elektrizität, Gas, elektrostatischer Aufladung) und können durch den Betrieb bedingt sein (Landwirtschaft, Handwerk, Industrie). Können diese Ursachen ausgeschieden werden oder liegen Anhaltspunkte anderer Art vor, handelt es sich um Brandstiftung. Diese kann erfolgen aus den nachstehend genannten Gründen: Politische Gründe (Terrorbrandstiftung), Schädigungsabsicht, (Haß,

Rache), Geltungsdrang (der Feuerwehrmann als Brandstifter), Brandlust (die vielberufene „Pyromanie"), Gewinnsucht, psychisch bedingte Ausnahmesituationen (Verzweiflung, Angst, Heimweh, Geisteskrankheit), sonstige Ausnahmesituationen (Pubertät, Menstruation) sowie Brandstiftung um Straftaten zu begehen oder zu verdecken. Diese pragmatische Einteilung hilft, nach Beobachtungen oder Gründen zu suchen, die auf die eine oder andere Art der Brandstiftung hindeuten und solche Motive auszuschließen, die nicht wahrscheinlich sind oder gar ausgeschlossen werden können (—» Gewaltkriminalität G). Serienbrandstiftungen deuteten in früheren Jahrzehnten auf Versicherungsbetrug hin, aus der Historie sind die Brandstiftungen der Jahre zwischen 1920 und 1930 bekannt, die in den landwirtschaftlichen Gebieten des Deutschen Reiches zur Arbeitsbeschaffung (Baugewerbe) oder um neue Scheunen oder Wirtschaftsgebäude zu erhalten, begangen wurden. In der Gegenwart deuten derartige Serien eher auf abartige Täter, Kinder, Schädigungsbrände oder Terrorakte (Rote Armee Fraktion und deren Folgeorganisationen) hin. Häufungen von Bränden zwingen zum Einsatz von Observationskommandos, oder, genauer ausgedrückt, zur umfassenden Beobachtung ganzer Ortsteile in den tatkritischen Zeiten, um verdächtige Personen sofort nach Ausbruch eines Brandes anhalten und überprüfen zu können. Derartige Serienbrandstiftungen erfolgen in der Regel in ein und derselben Stadt, oft auch im gleichen Ortsteil. Ob überregionale Brandstiftungen miteinander im Zusammenhang stehen - also von derselben Tätergruppe begangen wurden - läßt sich nur am modus operandi, insonderheit am verwendeten Brandmittel feststellen. Ein kriminaltechnischer Vergleich der sichergestellten Materialien kann ergeben, ob Tatzusammenhang besteht (Pulver, Sprengstoff, Flüssigkeiten usw.). F. Triebverbrechen Darunter werden Straftaten verstanden, bei denen sexuelle Antriebe oder Motive maßgebend für die Tatbegehung waren. Es sind dies daher nicht nur Vergewaltigung, sexueller Mißbrauch von Kindern, exhibitionistische Handlungen oder die sonstigen Delikte des 13. Abschnitts des StGB, sondern auch Fetischismus (Diebstahl), sadistische Handlungen (Körperverletzung), Kleiderzerschneiden (Sachbeschädigung), Nekrophilie sowie Mordtaten und Brandstiftungen aus sexuellen Gründen. Delikte hingegen, die nur die Ausnützung fremder Unzucht bezwecken oder materiellen Nutzen aus dem Sexualverkehr ziehen, sind keine Triebverbrechen - auch wenn aus Zweckmäßigkeitsgründen heraus die Zuhälterei und die mit der Prostitution verbundene Kriminalität von den Dienststellen, die sich mit Triebverbrechen befassen, mit bearbeitet werden.

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Zahlenmäßig haben die Triebverbrechen abgenommen. Die sexuelle Freizügigkeit hat nicht nur zum Rückgang der Einnahmen der Prostituierten, sondern offenbar auch der Vergewaltigung und anderer Sexualtaten geführt. Andererseits erregen üble Sexualmorde und Vergewaltigungen, die mit erheblichen Verletzungen verbunden sind, immer wieder Abscheu und Empörung der Öffentlichkeit vor allem dann, wenn sich immer wieder ergibt, daß es Täter sind, die wegen gleichartiger Straftaten abgeurteilt waren und nach Strafverbüßung erneut straffällig wurden - in vielen Fällen in brutalerer Form. Die taktischen Probleme liegen bei Triebtaten einmal im Personalbeweis, sodann im Sachbeweis. Der Hergang des sexuellen Geschehens läßt sich eigentlich in seiner ganzen Breite nur durch die Geschädigtenaussage und die Angaben des Tatverdächtigen klären. Während die Beschuldigtenaussage aus ganz erklärlichen Gründen falsch oder gefärbt sein kann und man ihr mit einer gewissen Reserve (wie auch bei anderen Fällen) begegnet, muß man bei Triebtaten auch beim Geschädigten sorgsam prüfen, ob seine Anzeige zur Gänze oder in Teilen der Wahrheit entspricht: Man kann bei der Anzeige eines Diebstahls in der Regel unterstellen, daß die Angaben des Geschädigten zutreffen. Nicht ganz so klar liegen die Dinge bei den Triebverbrechen. Hier können Scham vor dem eigenen Verhalten, Angst vor Strafe (durch die Eltern), Unannehmlichkeiten (Ehegatte), übersteigerte Phantasie oder Rache (Lehrer, Erzieher) dazu führen, daß die Anzeige völlig falsch oder unwahr ist oder daß wesentliche Umstände verschwiegen werden. Da man natürlich dem Anzeigenden nicht von vornherein mit Mißtrauen begegnen kann, ist die Befragung des Anzeigeerstatters eine Aufgabe, die nur dem auf diesem Gebiete erfahrenen Sachbearbeiter anvertraut werden kann (oder der Sachbearbeiterin, wenn es sich um Fragen sexueller Beziehungen handelt). Auch die fast immer notwendige Gegenüberstellung, um die Einzelheiten der Tat abzuklären, ist für den/die Geschädigte(n) unangenehm, aber das beste Mittel, um die Wahrheit erfahren zu können: Sie beeindruckt den Tatverdächtigen fast regelmäßig so, daß er den wirklichen Verlauf schildert. Schließlich ist noch auf das Problem der Glaubwürdigkeit von Kinderaussagen hinzuweisen. Um erste Hinweise zu geben, ist es vorgeschrieben, daß bei der Befragung von Kindern auch Vermerke über das Verhalten des Kindes bei der Befragung gemacht werden und der Eindruck der vernehmenden Sachbearbeiterin niedergelegt wird. Das Sachbeweisproblem liegt in der oft erst Tage nach der Tat erfolgenden Anzeige und der zwischenzeitlichen Spurenvernichtung. Typisch für die Tat ist ja der körperliche Kontakt zwischen Opfer und Täter: Spuren des Täters können am Körper/an der Kleidung des Opfers sein, Spuren des Opfers

am Körper oder der Bekleidung des Täters. Die Spuren selbst unterliegen der Gefahr der raschen Vernichtung: Haare, Blut-, Speichel-, Spermaspuren, Faser-, Schmutz-, Staubspuren, Schußspuren. Auch am Tatort können sich diese Spuren befinden. Liegt er im Freien, sind Suche und Sicherung schwierig und von der verstrichenen Zeit abhängig. Zweckmäßig wird die gesamte Bekleidung des Opfers sichergestellt und kriminaltechnisch untersucht, sobald der Fall bekannt wird. Soweit das möglich ist, sind die Opfer bzw. deren Angehörige sofort darauf hinzuweisen, daß die Kleidung ungereinigt - in dem Zustande, in dem sie sich befindet vorzulegen ist. Auch die ärztliche Untersuchung des Opfers sowie Farbaufnahmen sind umgehend vorzunehmen. Wichtig ist auch die Lage der einzelnen Spuren an der Kleidung bzw. am Körper. Anhand dieser Feststellungen lassen sich später meist Widersprüche klären. Tatortskizzen, Lichtbildmappen sind nicht nur bei Mordfällen, auch bei anderen Triebverbrechen oft zweckmäßig. Eine eingehende Besichtigung des Tatortes kann manches klären, da etwa bei Vergewaltigungen oder Handlungen an Kindern die Einzelheiten des Tatortes (Türen, Fenster, Zäune, Gitter) eine Rolle spielen. Außerdem weiß man erst nach einer Besichtigung, ob z. B. das fragliche Zimmer, in dem die Vergewaltigung geschehen sein soll, verschließbar war oder ob gar kein Schloß vorhanden war. Ist der Sachverhalt geklärt und gesichert, und der Täter namentlich bekannt, ergeben sich die üblichen Modalitäten der Beweisführung. Auch wenn Tat und Tatverlauf erschreckend sind, sollte bei der Vernehmung versucht werden, die Verirrungen und Antriebe des Täters sorgsam und mit Einfühlung herauszuarbeiten. Vorwürfe wegen der Tat sind im Interesse der restlosen Aufklärung keinesfalls am Platze. Je „aufgeschlossener" der Täter seine Tatmotive und Vorstellungen klarlegt, um so eher und besser läßt sich später ein Urteil fällen, das sowohl dem Täter wie der Umwelt gerecht wird. Die Suche nach dem unbekannten Täter erfolgt über die Personenbeschreibung, Fantombilder, Pressenotizen und den Vergleich der Arbeitsweise (modus operandi). Dabei ist jedoch zu beachten, daß der Triebtäter durchaus nicht an eine immer gleiche Arbeitsweise gebunden ist. Auch die Opferwahl kann sehr unterschiedlich sein, was das Alter betrifft. Die Perseveranz bezieht sich jedoch regelmäßig auf den Ort und die Art der Kontaktaufnahmen (Wälder, Wohnungen, bzw. Verfolgung, Ansprechen, Tricks usw.). Die Suche beginnt in der nächsten Umgebung des Opfers: Allermeist wohnt der Täter in der Nachbarschaft. Da Triebtäter nahezu immer - einen netten Eindruck machen und fast niemals schrecklich aussehen, sucht man oft in der Ferne, anstatt im Nachbarhaus zu fahnden bzw. in der Umgebung (Region: wirtschaftlich oder verkehrsmäßig verflochtene Gebiete). Auch ist zu berücksichtigen, daß Wohnort des Täters und Tatort

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Kriminalistik zu zwei benachbarten Polizeibehörden gehören können: Dann ist der Täter an der Tatortbehörde nicht bekannt. Triebtäter sind häufig wegen an sich strafbarer sexueller Handlungen als pubertierende Kinder oder Jugendliche in Erscheinung getreten. Unterlagen darüber sind entweder bei der Polizei oder den Jugendbehörden greifbar und können zur Klärung von Verdachtsmomenten beitragen. Treten Triebtäter wiederholt im gleichen Bezirk (Stadtviertel, Park, Vorort, Straße) auf, erfolgt ihre Ermittlung durch Observationen: In der Regel wird ein entsprechendes „Opfer" von der Kriminalpolizei gestellt (Kriminalbeamtin, verkleideter Kriminalbeamter), das als „Lockperson" den fraglichen Ort passiert. Begleitende verdeckt operierende Kriminalbeamte fangen dann den Täter ab, sobald er sich als solcher durch strafbaren Versuch zu erkennen gegeben hat. Angesichts gefährlicher Vergewaltigungstaten oder bei Überfällen auf Liebespaare ist diese personalaufwendige und zeitraubende Methode notwendig.

G. Diebstähle Diebstähle ohne erschwerende Umstände machen 31 % der Gesamtkriminalität aus, Diebstähle unter erschwerenden Umständen belaufen sich auf 3 3 % der Gesamtkriminalität: Von den 3533000 Delikten des Jahres 1979 waren 2295694 Taten solche des Diebstahls. Die Verhältnisse der rückliegenden Zeit entsprechen diesen Zahlen. In der Diebstahlsgruppe ragen die sogenannten Massendelikte heraus, die teils durch die Entwicklung des Verkehrs (Fahrzeugdiebstähle), teils durch moderne Vertriebsformen (Ladendiebstähle) eine explosionsartige Ausbreitung erfahren haben. Faßt man diese Diebstähle zusammen (also ohne und mit erschwerenden Umständen) ergibt sich für 1979 folgende Größenordnung: Kraftwagendiebstahl 61107 Diebstahl aus Kraftfahrzeugen 301823 Diebstahl an Kraftfahrzeugen 289 932 Moped- und Kraddiebstahl 150 773 Fahrraddiebstahl 323204 Diebstahl aus Warenhäusern, Verkaufsräumen, SB-Läden 336119 davon Ladendiebstahl 267 574 Dieser Gruppe der Massendelikte stehen diejenigen Diebstahlsarten gegenüber, die ein gewisses Geschick und eine gewisse Erfahrung erfordern, so etwa die Einbruchdiebstähle in Wohnungen (92865), Bankeinbrüche (328), Büro-, Werkstattund Lagerräume (21116) sowie Einbrüche in Warenhäuser, Verkaufsräume, SB-Läden (in der oben genannten Zahl enthalten, machen die Einbruchdiebstähle lediglich 37797 aus). Angesichts der krassen zahlenmäßigen Unterschiede, der unterschiedlichen kriminellen Schwere und Gefährlichkeit und des sehr differenzierten Täterkreises ist das

kriminaltaktische Vorgehen ebenfalls den jeweiligen Gegebenheiten angepaßt.

1.

Fahrzeugdiebstähle

Diese Gruppe umfaßt Fahrräder, Mopeds, Krafträder und Autos, einschließlich der unbefugten Ingebrauchnahme sowie die Diebstähle in und aus sowie an Automobilen. Die Aufklärungsziffern sind minimal, liegen beim Fahrraddiebstahl bei 8 % und gehen über 35 % bei den anderen Delikten kaum hinaus. Bei der Vielzahl der Anzeigen, dem unüberschaubaren Täterkreis (überwiegend Gelegenheitstäter) und der technisch bedingten immer vergleichbaren Arbeitsweise kommt nur ein schematisches Verfahren in Betracht, das allerdings hinsichtlich der Autodiebstähle mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung auch die notwendige Schnelligkeit garantiert. Diebstähle von Kraftfahrzeugen werden daher sofort nach Bekanntwerden elektronisch in den Fahndungshilfsmitteln gespeichert. Die Abfrage gespeicherter Daten kann durch jeden Polizeistreifenwagen erfolgen, so daß Fahrzeuge, bei denen aus irgendwelchen meist verkehrspolizeilichen Gründen eine Kontrolle erfolgt, auch der Kontrolle auf eventuellen Diebstahl unterliegen. Darüber hinaus können sämtliche ein Streifenfahrzeug passierenden Kraftfahrzeuge elektronisch abgefragt werden, wenn Fahndungsmaßnahmen oder Kontrollen dieser Art notwendig werden. Der Großteil aller zunächst entwendeten Kraftfahrzeuge wird jedoch einige Tage nach der Tat wieder aufgefunden (zum Teil beschädigt), ohne daß indessen in diesen Fällen der Täter ermittelt wird. Der Kfz-Gebrauchsdiebstahl ist die Domäne jugendlicher Täter, die lediglich ein Fahrzeug einmal fahren und benutzen wollen. Nur die sogenannten NobelMarken werden durch berufsmäßige Täter, die bandenmäßig in Arbeitsteilung zusammenarbeiten, ins Ausland verkauft. Vorher erfolgen umfassende Veränderungen (Frisuren) um eine Identifizierung zu verhindern. Auch die Kfz-Papiere werden neu beschafft. Bei Diebstählen dieser Art erfolgt eine umfassende und sorgfältige Bearbeitung durch Spezialisten, da die eigentlichen Diebe und z. T. auch die Werkstätten im Bundesgebiet ansässig sind. Das taktische Vorgehen erstreckt sich zunächst auf die Observation verdächtiger Täter (nachdem die kriminalpolizeilichen Karteien und Sammlungen nachgeprüft wurden), wobei Wert darauf gelegt wird, den repressiven Zugriff möglichst anläßlich einer neuen Tat durchzuführen. Auch der Einsatz von Vertrauenspersonen ist zweckmäßig. Bei Werkstattdurchsuchungen sind umfassende kriminaltechnische Untersuchungen zum Nachweis der Frisuren angebracht. Stehen Verbringungswege und Tatbeteiligte im Ausland fest, wird Interpol eingeschaltet, so daß der Täter bzw. seine Helfer auch auf den Verkehrswegen ausländischer Staaten gefaßt wer-

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Kriminalistik

den können. Bevorzugte Absatzgebiete liegen im nahen und mittleren Orient, die früher genannten Absatzgebiete haben kaum mehr die frühere Rolle, doch können natürlich die Schweiz oder Österreich als Stationen des Durchgangs und der Umfrisierung dienen. Der Diebstahl von Fahrrädern und Mopeds ist besonders bei Kindern oder jüngeren Jugendlichen beliebt, entweder geht es hierbei um das Fahren und Benutzen, oder aber auch um die Verwendung von Ersatz- oder Zusatzteilen. Nicht selten ist auch der professionelle Diebstahl, um durch Teile-Austausch und Zusammenbau - „neue" Fahrzeuge zu produzieren und sie an Altersgenossen zu verkaufen. Der rapide Anstieg dieser Diebstähle geht auf die Zweiradwelle zurück, doch wird auch darüber Klage geführt, daß seit der Einbeziehung der Fahrräder in die Hausratsdiebstahlversicherung ältere Fahrräder als gestohlen gemeldet werden, um seitens der Versicherung mit einem neuen Rad belohnt zu werden. Allerdings wird dies lediglich daraus geschlossen, daß entwendete Fahrräder, die wieder aufgefunden werden, von den früheren Eigentümern oft nicht identifiziert werden, obgleich die technischen Daten übereinstimmen. Die Polizei bemüht sich, durch Einführung von Fahrradpässen und Sicherungsmaßnahmen (Schlösser) dies grassierende Delikt zu verringern. Eine Änderung der Versicherungsbedingungen, die ganz sicher einen Rückgang der Diebstähle zur Folge hätte, ist allerdings wohl nicht zu erreichen. Der Diebstahl aus Kraftfahrzeugen hat die Entwendung von Autoradios, Bargeldbeträgen oder Gepäckstücken zum Ziel. Mitunter dient diese Straftat auch als „Mutprobe" für Jugendliche - vor allem dann, wenn lediglich Taschenlampen, Straßenkarten oder ähnliche Gegenstände minderen Wertes gestohlen werden. Angesichts der massenweise am Straßenrande parkenden Kraftfahrzeuge bietet sich zu Taten dieser Art jederzeit Gelegenheit, zumal entgegen allen Mahnungen der Polizei immer wieder auch wertvollere Objekte im Wagen zurückgelassen werden - etwa Musterkollektionen von Edelsteinen oder Bekleidungsstücke. Die Tat selbst - meist durch Öffnen des Ausstellfensters begangen, dauert nur einige Minuten und wird auch auf Parkplätzen kaum bemerkt. Bei Häufung der Diebstähle in bestimmten Straßenzügen lassen sich nächtliche Streifen durchführen, die mitunter zur Festnahme auf frischer Tat führen. In solchen Fällen sind in der Regel zahlreichere zurückliegende Taten gleicher Art nachzuweisen. Schwierigkeiten bereitet bei Durchsuchungen die Identifizierung aufgefundener Gegenstände als Beute, da heute zumeist bei technischen Gegenständen individuelle Nummernbezeichnungen fehlen und ein Nachweis nur bei Vorliegen individueller Merkmale möglich ist. Kraftfahrzeuge, die in Urlaubs- oder Erholungsgebieten abgestellt sind, werden aufgebrochen, um Scheckformulare einschließlich der Scheckkarten

und Ausweise zu erlangen. Diese Straftatart wird gewöhnlich durch Banden ausgeübt, die sich darauf spezialisiert haben. Die entwendeten Schecks werden umgehend verwertet und schlagartig an Bankinstituten in Zahlung gegeben, ehe noch der Diebstahl gemeldet wurde. Die bekannteste Tätergruppe ist die Euro-Scheckgang, die dort tätig wird, wo deutsche Urlauber ihre Ferien verbringen. Gegen kriminelle Aktivitäten dieser Art müssen Observationsgruppen eingesetzt werden, um auf frischer Tat zugreifen zu können. Außer im europäischen Ausland tritt die Gruppe auch in deutschen Naherholungsgebieten auf. Objekte des Diebstahls an Kraftfahrzeugen sind Radioantennen, Radkappen, Reifen, Firmenembleme (Mercedessterne) sowie sonstige erreichbare Teile, die als Zusatzeinrichtungen bzw. Ersatzteile (etwa für Zweiradfahrzeuge) dienen können (Scheinwerfer, Tachometer). Auch hier liegt die Aufklärungsquote sehr niedrig (bei 5 % ) . Soweit die Diebstähle sich im Anschluß an Kirmes- oder Volksfestveranstaltungen ereignen bzw. häufen, wird Trunkenheit oder Kraftmeierei den Anlaß geben; die „Beute" wird einige Zeit später weggeworfen: Insofern ähneln die Taten reinen Sachbeschädigungen an Kraftfahrzeugen, die bei solchen Gelegenheiten, aber auch im Anschluß an Sportveranstaltungen vorkommen. Derartige Sachbeschädigungen an Kraftfahrzeugen ereigneten sich im Jahre 1979 21597mal. Die Aufklärung lag bei 17,5%.

2. Kaufhausdiebstähle

(Ladendiebstähle)

Bei diesem Massendelikt liegt die Aufklärungsquote bei 9 6 % : Es kommen praktisch nur diejenigen Fälle zur Anzeige, bei denen der Täter auf frischer Tat ertappt wird (von den geringfügigen Ausnahmen der Flucht bei Entdeckung abgesehen). Die Zahl der Delikte hängt daher von der Intensität der Verfolgung ab, die ausschließlich durch betriebseigene Kräfte (Warenhausdetektive bzw. in geringerem Umfange Verkaufspersonal) geschieht. Die Aufgabe der Polizei (oft erfolgt die Bearbeitung durch die Schutzpolizei) besteht in der Entgegennahme der Anzeige, Versendung eines Anhörungsbogens und Abgabe an die Staatsanwaltschaft. Eine Durchsuchung der Räume und eingehende Befragung der Beschuldigten werden nur dann vorgenommen, wenn der Verdacht auf gewohnheits- oder gewerbsmäßiges Handeln besteht (auswärtige Täter, bereits in Erscheinung getreten usw.). Die Möglichkeit, daß daher Wiederholungstäter unentdeckt bleiben, muß angesichts der Unmöglichkeit individueller Bearbeitung in Kauf genommen werden. Zu den unaufgeklärten Diebstählen gehören auch Trickdiebstähle durch reisende Berufstäter, die wertvolle Objekte (Pelzmäntel, Juwelen) unter Ablenkung des Personals und dem Vorwand, zu-

135

Kriminalistik nächst das nötige Bargeld zu beschaffen, gruppenweise auftreten (als Familie oder Clan). In unbemerkten Augenblicken wird das ausersehene Stück in einen Koffer oder eine Tasche praktiziert, unter dem Vorwand des Aufsuchens einer Bank entfernt sich einer der Täter mit dem Diebesgut, um dann zurückzukehren, mitzuteilen, daß die Bank bereits geschlossen habe und den endgültigen Kauf für den kommenden Tag zu versprechen. Das Diebesgut wird in der Regel sofort nach der Tat - auch per Flugzeug ins Ausland - abtransportiert, ehe die Tat durch den Geschädigten bemerkt wird. Überführung der Täter ist nur auf frischer Tat oder durch Sicherstellung der Beute beim Hehler möglich; die in Betracht kommenden Spezialisten sind durch den kriminalpolizeilichen Meldedienst nach einiger Zeit bekanntgeworden, eine Beweisführung jedoch nur unter den genannten Umständen möglich.

3.

Einbruchdiebstähle

Der (klassische) Einbruchdiebstahl ist zwar ebenfalls erheblich angestiegen, zeigt jedoch - ohne Massendelikte - nicht den gleichen explosiven Charakter. Man kann daher davon ausgehen, daß die kriminalpolizeiliche Aufklärungs- und damit Bekämpfungstätigkeit wirksame Schranken setzt. Man kann - zusammenfassend und abweichend von der Klassifizierung im Stichwort —> Kriminaltaktik folgende Gruppen unterscheiden: Geschäfts-, Schaufenster- und Schaukästeneinbrüche, Einbrüche in Banken, Sparkassen, Zahlstellen, Tresorräume, Einbrüche in Einfamilienhäusern, Villen, Wohnungseinbrüche, Einbrüche in Büros, Werkstätten-, Fabrik- und Lagerräume, Gaststätten-, Hotel- und Kantineneinbrüche, Einbrüche in Kioske Einbrüche in Baubuden, Schuppen, Boden-, Kellerräume, Baustellen, Einbruchdiebstähle in Gartenlauben, Jagdhütten, Wochenendhäuser, Einbrüche in Schulen, Kindergärten, Heime, Krankenhäuser usw. Je lohnenswerter das Objekt ist, um so umfassender sind auch die Sicherheitseinrichtungen, die überwunden werden müssen: So sind es denn die Wiederholungstäter (Berufs- und Gewohnheitstäter), die sich an Villen, Geschäftsräumen, Banken versuchen, ausgesprochene Spezialisten, die in aller Regel nach gewisser Zeit bekannt und erkannt werden und ihre Straftaten (Serien von 20 bis über 100 Einbrüchen) dann in der Haft abbüßen. Mühsamer ist das Geschäft der Gaststätteneinbrecher und Büro- und Fabrikeinbrecher, die mit geringeren Beutewerten rechnen müssen. Neben Anfängern in der Zunft finden sich auch hier Wiederholungstäter, die

mit bescheideneren Mitteln und Fähigkeiten ihren Lebensunterhalt verdienen wollen. Einen Höhepunkt verzeichnete teilweise der Einbruch in Wohnräume: Bedingt durch die Berufstätigkeit der Frauen - besonders auch bei ausländischen Arbeitskräften - stehen die Wohnungen heute während der Arbeitszeit leer, sie sind traditionsgemäß auch schlecht gesichert. Das nutzen die Wohnungseinbrecher aus, die hier die Konjunktur ausnützen und es auf die im Küchenschrank oder Schlafzimmer aufbewahrten Geldbeträge abgesehen haben. Sie kämmen regelrecht ganze Straßenzüge ab und verlegen ihr Arbeitsfeld, sobald durch die Anzeigenerstattung ihr serienmäßiges Auftreten bekannt wird. Bei den anderen genannten Einbruchsarten handelt es sich um Kinder oder Jugendliche als Täter, um Stadtstreicher, durchreisende Rechtsbrecher oder Anfänger auf dem Gebiete der Kriminalität. Mitunter reisen jedoch auch Spezialisten durch, die es etwa auf die in modernen Schulen vorhandenen technischen Geräte aller Art abgesehen haben und Ort für Ort „abkämmen". Der Einbruchskriminalität wird einmal durch verstärkte Bestreifung der jeweils gefährdeten Ortsteile (und damit Verunsicherung der Täter) begegnet. Die Aufklärung der Taten setzt mit der Auswertung der Meldungen und der speziellen Arbeitsweise ein: Observation verdächtiger Personen und Mitteilungen von V-Personen (gerade bei der Bekämpfung des Einbruchdiebstahls ein zugkräftiges Mittel) tragen zu ersten Erkenntnissen bei. Sobald Schwerpunkte erkannt werden, lassen sich gezielte Fahndungen an gefährdeten Objekten durchführen (so etwa der Empfang der Einbrecher in Geschäften oder Gastwirtschaften auf frischer Tat). Eine bedeutsame Rolle spielt auch heute noch das modus-operandi-System (allerdings in anderer Form als bisher). Die Beweisführung erfolgt anhand gesicherter Spuren (wobei Fingerabdrücke nach wie vor sehr bedeutsam sind) und durch Sicherstellung der Beute bei Durchsuchungen in der Wohnung des Täters oder Hehlers. Die überall übliche Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten ermöglicht auch schnellen Zugriff bei Verbringung der Beute ins europäische Ausland. Die Mitarbeit der Öffentlichkeit wird durch Presseveröffentlichung angeregt und trägt regelmäßig zu den Erfolgen bei. Belohnungen der Versicherungen und Zahlungen durch die Polizei bei Erfolg lohnen sich.

H. Rauschgiftkriminalität Während im Jahre 1960 lediglich 4761 Fälle des Rauschgiftmißbrauchs bekannt wurden, stieg die Zahl der Anzeigen im Jahre 1970 auf 16104. Seither ist ein steter, explosionsartiger Anstieg zu verzeichnen, so daß im Jahre 1979 die erfaßten Fälle 51445 betrugen. Davon erstrecken sich 17450 Fälle auf

136

Kriminalistik

den illegalen Handel und Schmuggel. Die Zahl der Anzeigen geht - da „Geschädigte" ja zugleich Betroffene sind - auf die polizeiliche Ermittlungstätigkeit zurück. Doch setzen die polizeilichen Ermittlungen ja voraus, daß ein entsprechendes Volumen vorhanden ist. So läßt diese Zahl dennoch einiger-

maßen das Anwachsen dieses Deliktes erkennen, zumal auch mehr und mehr - vorwiegend jüngere Menschen an den Rauschgiftfolgen sterben: 616 waren es 1979. Auch die beschlagnahmten Rauschgiftmengen lassen den Anstrom der Zufuhr erkennen:

Jahr

Heroin

Morphinbase

Rohopium

Kokain

Cannabis

1970 1976 1979

0 494 kg 167150 kg 207331kg

0596 kg 10564 kg 1104 kg

34771kg 15085 kg 17249 kg

0040 kg 2403 kg 19028 kg

4331967 kg 5325938 kg 6407226 kg

Der jahrelange Trend - Zunahme des Heroin- und Kokainkonsums bei gleichbleibendem Haschischverbrauch und Rückgang des Rohopiums wird deutlich. Auch der (hier nicht aufgeführte) Rückgang des LSD ist zu verzeichnen. Derzeit (1980) rechnet man mit ca. 55000-60000 Heroinabhängigen. Die kriminaltaktische Bearbeitung muß berücksichtigen, daß Händler wie Konsumenten das Bestreben haben, Handel wie Verzehr unentdeckt und ungestört von der Polizei durchführen zu können. Bei den überwiegend jugendlichen Konsumenten ist auch mit Hinweisen durch Eltern und Erziehungsberechtigte nicht zu rechnen; oft werden auch Beratungsstellen und therapeutische Einrichtungen zu spät in Anspruch genommen. In vielen Fällen ist der Konsument auch in den Handel verstrickt, ohne den er den Konsum nicht finanzieren kann. Schließlich kommt es auch zu sonstiger Kriminalität (Diebstahl, Raub, Fälschungen), um sich die Drogen zu beschaffen (Beschaffungskriminalität) oder ihren Erwerb zu finanzieren (indirekte Beschaffungskriminalität). D a die Drogen bzw. ihre Rohstoffe eingeführt werden müssen, ist die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität nur international möglich und erstreckt sich auf die Verhinderung bzw. Beschränkung des Anbaues, der illegalen Gewinnung am Ursprungsort, auf die Kontrolle des Transports und der illegalen Einfuhr sowie auf den Handel wie den Verbrauch in der Bundesrepublik Deutschland selbst.

von 1971-1979 insgesamt 3 Mio D M zur Verfügung und wird ab 1980 jährlich 2 Mio D M dafür aufwenden. Die Polizeiarbeit erstreckt sich auf die Gestellung eines Verbindungsbeamten zur Rauschgiftdienststelle der IKPO, der Zusammenarbeit mit dem USAmt für Rauschgiftbekämpfung (DEA-Drug Enforcement Administration), die Bereitstellung von technischem Gerät für Behörden der Rauschgifttransitländer (insbesondere auf der Balkanroute) und die Entsendung von Kriminalbeamten zur Unterstützung der Herkunfts- und Transitländer bei fallbezogenen Ermittlungen. Hervorzuheben ist besonders diese personelle Zusammenarbeit mit Pakistan und Thailand. Auf jährlichen Zusammenkünften werden die Probleme und Taktiken besprochen: Es sind dies die Europäische Konferenz der Leiter der nationalen Rauschgiftdienststellen der IKPO sowie die Generalversammlung der IKPO. Auch der Arbeitskreis der Leiter der Zollverwaltungen der EG-Mitgliedsstaaten und der Türkei, der Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens (Brüsseler Zollrat), der Einheitsausschuß im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit bei der Rauschgiftbekämpfung (Pompidou-Initiative) sowie die Suchtstoffkommission des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen befassen sich in jährlichen Zusammenkünften mit den Rauschgiftproblemen.

2. Unterbindung illegaler Einfuhr 1. Internationale

Bekämpfung

Die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern vollzieht sich im Rahmen der Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen (Einschränkung des illegalen Mohnanbaus). 1977 wurde ein Programm internationaler Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung des Drogenmißbrauchs beschlossen (32. Vollversammlung), 1979 eine entsprechende Resolution verabschiedet. Für Programme zur landwirtschaftlichen Umstrukturierung in illegalen Mohnanbaugebieten stellte die Bundesregierung

Die Arbeitsgemeinschaft Kripo (AG Kripo-, A G der Leiter der LKÄ und des BKA) schuf sich in der „Ständigen Arbeitsgruppe Rauschgift -STAR" eine Kommission, in der neben den Sachverständigen der Kriminalpolizei auch die entsprechenden Beamten der Zollverwaltung und der Grenzpolizei und ausländische Dienststellen vertreten sind. Dieser STAR sind angegliedert bzw. durch personelle Verflechtungen verbunden weitere Arbeitsgruppen, die aus Vertretern deutscher Kriminaldienststellen und Vertretern der jeweils anliegenden Nachbarstaaten bestehen:

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Kriminalistik Es bestehen derzeit: Deutsch-niederländische Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität, Deutsch-Französische Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels, Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des Rauschgifthandels Nord, Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des Rauschmittelhandels Südost, Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des Rauschgifthandels Südwest. Die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit geschieht mittels einer Zentralen Arbeitsgruppe, die sich in die Unterausschüsse für Prävention und Medizin, Rechtsfragen, Repressive Maßnahmen und Streitkräfte gliedert. Diese Arbeitsgruppen vereinbaren Kontrollmaßnahmen, Schwerpunkte, Fahndungszeiten, Einsatz der Kräfte und sorgen auch durch gemeinsame Repressiv-Maßnahmen für lückenlose und durch die taktische Lage bedingte Behinderung und Verringerung illegaler Einfuhren. A n den Grenzen kommt naturgemäß der Kontrolle von Personen und Gütern besondere Bedeutung zu. Bei der Freizügigkeit und dem Aufkommen an den deutschen Grenzen können sich Kontrollmaßnahmen nur auf einen begrenzten Personenkreis erstrecken. Der Information über die Taktiken und Techniken des internationalen Rauschgifthandels kommt daher besondere Bedeutung zu. Je nach der Marktlage und dem Anbau wechseln die Herkunftsländer, der Kreis der Transporteure, die Art des Transportes. Auch die Taktik der Polizei- und Zollbehörden wird vom illegalen Handel beobachtet. Wird ein Flughafen besonders streng kontrolliert, dann weichen die Transporteure aus und wechseln zur Tarnung die einzelnen Herkunftflughäfen. Der Sondermeldedienst „Rauschgiftdelikte" der Kriminalpolizei bzw. des Zolls sorgt daher dafür, daß bei Aufgriffen der modus operandi festgelegt und zentral gesammelt wird. So lassen sich die beim Transport tätigen Personengruppen, Abflughäfen, Zielhäfen, bevorzugten Verstecke usw. schnell erkennen, um die Fahndung wiederum darauf abzustellen. Die Beobachtende Fahndung (Befa) für Rauschgiftdelikte läßt darüber hinaus die Erkennung des Reiseweges und der Verbringungsund Kooperationspunkte verdächtiger Personen zu. Beim Zoll werden schwerpunktmäßige Kontrollen durch 65 mobile Trupps durchgeführt, die Kraftfahrzeuge überholen, in Häfen werden Schiffsdurchsuchungstrupps, auf den Flughäfen Überwachungsgruppen des Zolls eingesetzt. Besonders empfindliche Grenzabschnitte unterliegen verstärkter Überwachung. 240 Zollhunde wurden für das Aufspüren von Haschisch, davon 110 zusätzlich für das Aufspüren von Heroin eingesetzt. Sondergerät - eine Lkw-Überholungshalle an der Autobahn Salzburg-München, Kombifahrzeuge, Testgeräte zur Identifikation von Rauschgift - sorgt für intensive Fahndungsarbeit. 200 Rauschgiftfahndungsbe-

amte des Zolls stehen für diesen speziellen Dienst zur Verfügung. Für Grenzkontrollen steht auch der Bundesgrenzschutz zur Verfügung, der durch motorisierte Fahndungsgruppen Schwerpunkteinsätze durchführt. Den Dienststellen stehen Testgeräte und besonders ausgebildete Kontrollbeamte zur Verfügung. Ein zum BKA abgestellter Verbindungsbeamter ist an der Auswertung neuer Informationen für den Bundesgrenzschutzeinzeldienst beteiligt.

3. Ermittlungen am Konsumort Die örtlichen Kriminaldienststellen sind die Träger des Ermittlungsdienstes für den örtlichen Handel und Konsum. Hier können eingesetzt werden: - Razzien an den Schwerpunkten des Handels und Verzehrs, - Durchsuchungen verdächtiger Treffs, Diskotheken, Gastwirtschaften, Wohnungen, - Beobachtung verdächtiger Fahrzeuge und Personen, - Einsatz von V-Leuten gegen Bezahlung, - fingierte Aufkäufe zur Sicherstellung von Rauschgiften, - Telefonüberwachung durch Gerichtsbeschluß. Der illegale (Klein-) Handel durch Rauschgiftkonsumenten sorgt für die Verbreitung des Rauschgiftes in allen Orten. Durch die Ermittlung dieser Dealer läßt sich die Ausbreitung daher erheblich beschränken und damit zumindest die leichte Gelegenheit und damit Verführbarkeit zum Rauschgiftmißbrauch verhindern. Ermittlungen dieser Art werden durch die Beobachtungsmaßnahmen der örtlichen Polizei ermöglicht. Die Beobachtung des überörtlichen Handels und der Ankauf größerer Mengen (und damit die Ermittlungen der Zwischenhändler) setzt gute V-Leute und entsprechenden Einsatz von Geld voraus. Derartige Maßnahmen können nur durch entsprechend ausgebildete und erfahrene Beamte durchgeführt werden, da die Händler der Polizeitaktik eine sich daran orientierende Verbrechenstaktik entgegensetzen. Die Einzelheiten können hier nicht erörtert werden. Der Einsatz von Kriminalbeamten, die für längere Zeit als Interessenten in der Rauschgiftszene leben, ist problematisch (eigener Rauschgiftkonsum mitunter nötig, Problem des Strafverfolgungszwangs) und daher kaum zu empfehlen (Gefahr bei Verdacht der Spitzeltätigkeit). Auf Dauer verspricht der Einsatz bezahlter VPersonen sowie die Observation verdächtiger Personen bessere Erfolge (einschließlich der Telefonüberwachung). Die geplante Verstärkung des Grenzeinsatzes durch Zoll, Zollfahndung, Zusammenarbeit mit der Polizei sowie die zentrale Sammlung, Auswertung und Weitergabe der Daten an die ermittelnden Dienststellen werden zweifellos die Einfuhr weiter verringern können. Eine Ermittlung

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Kriminalistik

der im Ausland sitzenden Großhändler und Initiatoren ist praktisch kaum möglich; kaufmännisch betriebenes organisiertes Verbrechen läßt sich nicht ausrotten. Lediglich der Transport und der Zwischenhandel - der die Bundesrepublik Deutschland berührt bzw. in ihr seinen Sitz hat - können erheblich eingeschränkt werden. Ein Erfolg wird allerdings nur durch umfassende präventive Maßnahmen, insbesondere auf dem Gebiete der Jugendpolitik und Jugenderziehung zu erreichen sein.

4. Organisation des Schmuggels Zu unterscheiden ist der „Ameisenhandel" vom gewerbsmäßigen Vertrieb durch organisierte Banden. Im Ameisenhandel werden durch Gastarbeiter

(Türken), Touristen, oder im kleinen Grenzverkehr (Niederlande-Deutschland) laufend kleinere Mengen Heroin oder Kokain bzw. Haschisch eingeschleust. Heroin-Dealer im Kleinhandel kaufen meist für ihren engeren Freundes- und bekanntenkreis ein und leben von diesem Handel. In den anderen Fällen muß erst für den Absatz gesorgt werden. Das kann dazu führen, daß die Gelegenheitsschmuggler bekannt werden und damit ermittelt werden können. Sobald ein bestimmter Abnehmerkreis vorhanden ist, ist das Risiko des Entdecktwerdens geringer. Nationale Gruppen (Italiener, Türken, Angehörige nah- oder mittelöstlicher Staten) haben gewöhnlich Abnehmer ihrer Nationalität, die für den Kleinverkauf sorgen. Der gewerbsmäßige Schmuggel ist in ein Händler- und Verteilernetz gegliedert, dessen Struktur nachfolgende Aufstellung zeigt.

Bandenführer

Aufkäufer I Kuriere I Labor I Großverteiler I Zwischenhändler I viele Kleinverteiler I Endverbraucher

Aufkäufer I Kuriere I Labor I Großverteiler I Zwischenhändler I viele Kleinverteiler I Endverbraucher

Der eigentliche Geldgeber und Bandenführer bleibt im Hintergrund und tritt nicht in Erscheinung, er organisiert lediglich den Aufkauf und Vertrieb. Die aufgekaufte Menge wird Kurieren (Transporteuren) übergeben, die sie in das eigentliche Zielland einschleusen (auf dem Land-, Luftoder Wasserweg). Hier gelangt sie an Großverteiler, die sie über den Zwischenhandel an den Kleinverteiler abgeben. Beim Vertrieb von Heroin ist entweder vor dem Transport in das Zielland oder aber im Zielland selbst die labormäßige Umwandlung von Morphinbase in Heroin dazwischengeschaltet. In früheren Jahren, als Marseille Hauptumschlagplatz im europäischen Heroinhandel war, befanden sich die Labors im Umkreis von Marseille. Heute sind sie überwiegend bereits in den Anbaugebieten installiert, also im „Goldenen Dreieck" (Laos/Burma/ Thailand) bzw. im nahöstlichen Bereich. Die Gewinnspanne ist beträchtlich. Der Zwischenhändler kann durch Beimischung anderer Substanzen die „Ware" erheblich strecken und dadurch zusätzliche Gewinne einstreichen. Da der

Aufkäufer I Kuriere I Labor I Großverteiler I Zwischenhändler I viele Kleinverteiler I Endverbraucher

prozentuale Heroingehalt vom Verbraucher nicht ermittelt wird, kann es bei hochprozentigem Heroin, das z. B. als Heroin 4 (67-79 % Heroin) in den Handel kommt, durch die ungewohnt hohe Konzentration zu Todesfällen kommen. Eine alles umfassende Handelsorganisation gibt es nicht. Es gibt vielmehr zahlreiche Organisationen unterschiedlicher Personalstärke, die auf diesem gewinnträchtigen Markt unabhängig voneinander operieren. Auch die Beteiligung der einzelnen Nationen ist unterschiedlich, wenn auch Angehörige nah-, mittel- und fernöstlicher Nationen immer beteiligt sein werden. Bekannt wurden in Marseille die korsische Gruppe, in den Niederlanden die chinesischen Händler, später malaiische Kuriere; derzeit liegt der Zwischenhandel und Transport in türkischen Händen. Kokainhändler müssen auf jeden Fall Beziehungen zu Mittel- und südamerikanischen Staaten haben und stammen von dort. Die hohe Beteiligung nordamerikanischer Staatsangehöriger in der deutschen Kriminalstatistik erklärt sich aus der Anwesenheit US-amerikanischer Stationierungskräfte .

139

Kriminalistik 5. Transportwege,

Verstecke

Mohn - Lieferant des Opiums sowie der daraus hergestellten Gifte Morphin und Heroin - wird im wesentlichen im nahen, mittleren und fernen Osten angebaut. Von Anatolien ausgehend, sind Pakistan, das nördliche Indien, der Iran, das Goldene Dreieck (Laos/Burma/Thailand) Hauptlieferanten. Hanf (Haschisch) wird aus Indien, Afghanistan, Nepal, Kaschmir eingeführt (begehrt sind diese Provenienzen wegen ihrer hohen Qualität), jedoch sind auch der Iran, Libanon, Indonesien und die Türkei Lieferanten; afrikanisches Haschisch kommt ebenfalls häufig auf den Markt. Südrussischer Hanf dient dem örtlichen Konsum, Mexiko versorgt den Markt der USA. Kokain wird aus Mittel- und Südamerika eingeschleust und gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die früheren Hauptumschlageplätze Marseille und Amsterdam sind durch polizeiliche Aktivitäten zunächst vorübergehend ausgeschaltet worden. Derzeit kommt Rauschgift über die Balkanroute auf den deutschen Markt, deutsche Großstädte - etwa Frankfurt - dienen als europäische Hauptumschlagplätze. Jedoch können sich diese Handelsgewohnheiten stets ändern. Natürlich sind die benötigten Mengen jederzeit in jeder europäischen Großstadt zu bekommen. Beim Lufttransport werden die Abreise- und Zielorte durch mehrfaches Umsteigen oder durch vorzeitiges Aussteigen und Weiterfahrt mit anderen Transportmitteln verschleiert, um die Fahndung zu erschweren. Das Rauschgift wird hier in Koffern mit doppeltem Boden eingeschleust oder am Körper getragen. Besonders angefertigte Westen oder Leibgürtel ermöglichen die Unterbringung größerer Mengen Haschischplatten; Heroin kann im Gepäck oder in Beuteln am Körper eingeführt werden. Der Pkw-Transport erfolgt in Hohlräumen des Autos, im Benzintank (der zur Aufnahme des Rauschgiftes entsprechende Abteilungen enthält), in der Dachbespannung oder unter dem Bodenblech. Lkw's und Autobusse (auch für Touristen oder Urlauber) transportieren Rauschgift in besonders hergerichteten Aufbauten oder Behältnissen (etwa in Tanklastwagen) mit zum Teil komplizierten Vorrichtungen (Verstecke, die sich nur durch elektrische Mechanismen öffnen lassen). Rauschgiftspürhunde und besondere Kfz-Untersuchungshallen können hier die Kontrolle erheblich erleichtern. Der lebhafte Kraftfahrzeugverkehr auf der Balkan-Route bietet sich geradezu als gute Einschleusungsmöglichkeit an. Schiffstransporte sind für die Haschisch-Verbringung beliebt, da hier große Mengen eingeschleust werden können. In der Nähe des Zielortes kann das Schmuggelgut mittels Bojen im Wasser gelagert werden, bis der heimliche Abtransport durch kleine Boote erfolgen kann. Daß gelegentlich mehrere Zentner Haschisch durch Kontrollfahrzeuge aufgefunden werden, wird mit unter die Geschäftsun-

kosten verbucht. Kontrollen der Zoll- und Wasserschutzpolizeibehörden können hier, unterstützt durch Spürhunde, zum Ziele führen. Verstecke am Körper und in der Kleidung eignen sich für Heroin und Haschisch. Es gibt kaum ein Kleidungsstück, das nicht geeignet ist. Darüber hinaus sind die Körperöffnungen beliebt sowie Haarteile und mitgeführte Gegenstände (Schirme, Motorradhelme, Geschenke, Pakete usw.). Das Verschlucken von Rauschgift, das vorher in Präservative gefüllt wurde, ist riskant, weil diese Beutel im Magen platzen können und zum Tode führen, kommt aber dennoch immer wieder vor. Der Rauschgiftschmuggel durch Verbergen am Körper und in den Körperhöhlen ist erheblich im Ansteigen begriffen. Angesichts des heutigen Reiseverkehrs haben die Täter Chancen, ihre Ware durch die Kontrollen zu bringen. Schließlich kann Rauschgift auch als Beipack jeder Frachtsendung aus dem Ausland beigegeben werden. Frachtgüter jeder Art - auf dem Bahnoder Luftwege zu uns gelangend - sind schon mit Heroin- und Haschischzugaben versehen worden. Dazu gehört auch der Import exotischer Lebensmittel: Konservendosen eignen sich gut dazu, sofern man die angegebene Mengenbezeichnung auf der Verpackung einhält. Ein besonderes Problem bildet der sich großer Beliebtheit erfreuende Containerverkehr. Auch der Schmuggel mit der Post zeigt steigende Tendenz. Postpakete, aber auch Briefsendungen aus dem Ausland werden für den Heroinschmuggel genutzt, neuerdings auch für Kokain. Sogenanntes Diplomatengepäck ist wiederholt als ausgesprochenes Schmuggelgepäck für Rauschgifte erkannt und ermittelt worden. Man weiß zudem, daß seit einigen Jahren der Kleinhandel mit Rauschgiften und entsprechend auch der Rauschgiftkonsum mehr und mehr aus der Öffentlichkeit in den privaten Sektor (Rauschgiftpartys in privaten Wohnungen) abwandert. All diese Erkenntnisse zeigen die Schwierigkeiten einer Bekämpfung des illegalen Handels auf.

V. D E R M E L D E - U N D AUSWERTUNGSDIENST Der Melde- und Auswertungsdienst der Kriminalpolizei geht davon aus, daß der Rechtsbrecher bei der Wiederholung seiner Taten überwiegend gleiche oder zumindest ähnliche Straftaten verübt. Dabei verwerten sie ihre beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten, ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten sowie die bei der Verbrechensbegehung erworbenen Erfahrungen. Die Aufzeichnung der Arbeitsweise (modus operandi) des Täters ermöglicht daher bei späteren Taten den Vergleich mit der Arbeitsweise früherer Verbrechen - bei denen der Täter ermittelt wurde - so daß er anhand der neuen Tat erkannt werden kann. Überträgt

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man die Sammlung und Auswertung der Arbeitsweisen zentralen Auswertestellen, so kann nicht nur der örtlich gebundene Rechtsbrecher, sondern auch der überörtliche-überregionale („reisende") Täter ermittelt werden. Diese Überlegungen, die auf langjährige Beobachtungen und Erfahrungen zurückgingen, führten zu einem Melde- und Auswertesystem, bei dem (zuletzt) eine „Grundeinteilung der Straftaten" in acht Klassen mit entsprechenden Unterteilungen geschaffen wurden, in denen die Straftaten nach den Formen ihrer Begehungen klassifiziert wurden. Die umfangreichste Klasse - Raub und Diebstahl - unterschied dabei Taten nach dem Objekt (Örtlichkeit), nach dem Beutegut, nach der speziellen Arbeits- und Verhaltensweise des Täters und nach dem persönlichen Geschick bzw. dem Bruch eines Vertrauensverhältnisses, ermöglichte also eine Eingliederung in jeweils mehrere Untergruppen. Man brauchte dann lediglich die Arbeits- und Vorgehensweise eines bekannten Täters mit der Arbeitsweise einer von einem unbekannten Täter begangenen Tat zu vergleichen, um erste Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen zu erhalten (um es vereinfacht auszudrücken). Dieses System - 1927 eingeführt und mit mehreren Änderungen bis zur Gegenwart angewandt führte zu ausgezeichneten Erfolgen. Voraussetzungen waren allerdings - Straftaten, die eine individuelle Arbeitsweise zuließen, - Täter, die perseverant „arbeiteten", - Kriminalitätsraten, die eine manuelle Bearbeitung der Sammlungen zuließen, auf die das System abgestimmt war. Der rapide Anstieg der Kriminalität vor allem ab den späten sechziger Jahren sprengte jedoch die Grenzen, die den manuellen Karteien gesetzt waren. Die massenhafte Begehung von Delikten wie Diebstählen aus Kraftfahrzeugen ließ keinerlei Unterschiede der Tatbegehung mehr erkennen: Die Art des Aufbrechens (Ausstellscheibe), der Beute (wahlweise Radios, Bekleidung, Geld oder wertlose Dinge) und der Tatbedingungen (Örtlichkeit Straßenrand, Tatzeit nachts) waren immer die gleichen. Hier gab es keine Ansätze für die Feststellung eines speziellen modus operandi; ähnliches galt für eine Reihe anderer schwerer und einfacher Diebstähle, Raubüberfälle und Betrügereien. Zudem erwies sich seit einigen Jahren, daß der Rechtsbrecher durchaus nicht immer beim gleichen Vorgehen blieb: Bevorzugte er beispielsweise Pelze als Beutegut, so war es ihm letztlich gleichgültig, ob er die Schaufensterscheibe des Geschäftes zerstörte, um einzudringen, die Tür aufbrach, über das Dach Eingang suchte oder die Rückwand demolierte, um sich Zugang zu verschaffen. Er handelte so, wie es das jeweilige Objekt vorschrieb. Auch wechselten häufig die begehrten Objekte: Mal waren es Pelze, mal Edelsteine. Gestohlen wurde das, was Geld brachte oder der jeweilige Hehler verlangte. Den

alten „Spezialisten" gab es offenbar nicht mehr. Auch ging die Zahl der noch vorhandenen Spezialisten, die einen guten Trick ausgedacht und erprobt hatten, ständig zurück. Der seinerzeitige Fassadenkletterer war wohl ausgestorben, und hochkarätige „echte" Taschendiebe waren nur an Brennpunkten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zu finden, den wirklichen Groß- und Weltstädten. In der Provinz hausten Taschendiebe, die lediglich Einkaufstaschen der Frauen bei Schlußverkäufen und auf Wochenmärkten bestahlen - ein Vergehen, das schon von Kindern nach einiger Übung beherrscht wurde. Zudem führten Presse und Fernsehen täglich neue Verbrechen und Tricks vor, so daß der Rechtsbrecher neue Tatformen kennenlernte und nachahmte, seine bisherige Arbeitsweise aufgab und eine Nivellierung allerorts eintrat. Kaufhaustüren mit Zylinderschlössern aufzubrechen, wurde bald Allgemeinwissen, die Zahl dieser Täter vervielfachte sich. Eine einmal gewählte Arbeitsweise wurde also aufgegeben, wenn andere und lohnendere Vorgehens- und Arbeitsweisen bekannt wurden, entweder durch die Massenmedien oder durch Tatgenossen, Bekannte oder eigene Erfahrungen und neue technische Hilfsmittel. Damit waren dem Meldesystem die Grundlagen entzogen; es hatte nur noch beschränkte Gültigkeit. Die Einführung der EDV verlangte nun eine Aufteilung in zahllose Begriffe, die einheitlich gewählt werden mußten. Das ergab erhebliche Eingruppierungsschwierigkeiten. Wie war etwa der Begriff Sportschuhe (Beutegut) einzugruppieren? Turnschuhe, Hausschuhe, Lederschuhe, Fußballschuhe, Laufschuhe - all das bot sich an; bei der Anzeigenaufnahme konnten je nach Auffassung des Sachbearbeiters unterschiedliche Eingruppierungen vorgenommen werden. Zudem erforderte der Anzeigentext eine regelrechte Analyse, um das Tatgeschehen in die richtigen Computergruppen einzuordnen, die in einem umfangreichen Register aufgeführt waren. Das erforderte eine erhebliche Arbeitszeit. War allerdings die Anzeige gespeichert, dann ließ sich bei einer jeweils neuen Tat abfragen, wobei man den gesamten Anzeigeninhalt eingeben konnte (Beute, Örtlichkeit, Eindringungsart, Tatzeit, verwendetes Werkzeug), um nun in Minutenschnelle diejenigen Täter zu erhalten, die übereinstimmend gehandelt hatten. Waren sie jedoch in nur einem Detail abgewichen, mußte der Computer versagen; denn menschlicher Verstand, der kombinieren konnte (Ausfall nur eines Details konnte dennoch auf den gleichen Täter deuten) stand nicht mehr zur Verfügung. Zudem mußten ohnehin die Massendelikte ohne individuelle Arbeitsweisen ausscheiden. Nach dem derzeitigen Stand können mit Sicherheit Raubüberfälle, Sexualstraftaten und gewisse Betrugsarten nach einem - allerdings zu verbessernden - EDV-System gespeichert und dann verglichen werden. Öb und inwieweit das bei der großen

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Kriminalistik Zahl der Diebstahlsdelikte möglich sein wird, bleibt abzuwarten. Es ist anzunehmen, daß die „klassischen" Einbruchdiebstähle (Banken, Geschäfte, Einfamilienhäuser sowie Spezialfälle wie Wochenendhäuser usw.) ebenfalls nach einem abgewandelten Melde- und Auswertesystem aufgeklärt werden können, daneben natürlich auch die Fälle des (gefährlichen überörtlichen) Rauschgifthandels und der Geldfälschung. Zu berücksichtigen ist auch, daß die Zuverlässigkeit und der Erfolg dieses Systems von der Mitarbeit und Erfolgsüberzeugung der sachbearbeitenden Kriminalbeamten abhängt. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß diese von Berufsziel und Ausbildung her eigentlich Ermittlungsbeamte sind, nicht aber Bürobeamte. Die Frage, ob für diesen Melde- und Auswertedienst (der erheblich mehr Zeit in Anspruch nimmt als bisher) speziell dafür ausgebildete Angestellte im Bürodienst eingesetzt werden sollen, ist noch nicht entschieden worden. Ein Mischsystem wäre hier zweifellos die optimalste Lösung. Die Prinzipien dieses MeldeAuswertedienstes sind gut, es bedarf jedoch einer zeit- und kriminalitätsgerechten Reform dieses an sich wertvollen Instruments der Verbrechensaufklärung. (s.a. Z i f f . V I I H : Straftaten/Straftäterdatei).

ger zu sichern, sondern der Helm liefert auch Anhaltspunkte für den Ort seiner Aufbewahrung, vor oder nach der Tat (Fett-, Schmutz-, Erdanhaftungen). Werkzeugspuren, Farbe, Schlüsse auf individuelle Bearbeitung, Fabrikationshinweise, Nummern usw. legen den Weg des Objektes von der Herstellung bis zum Verkauf und damit zur Personenbeschreibung der Käufer offen. In geeigneten Fällen muß daher der Kriminalwissenschaftler in die eigentliche Tatortarbeit eingeschaltet werden, wobei man neben der wissenschaftlichen Ausbildung auch theoretische und praktische Erfahrungen in der Kriminalistik erwartet. In sonstigen Fällen wird die zu untersuchende Spur zweckmäßigerweise von den sichernden Beamten persönlich der Untersuchungsstelle des zuständigen LKA überbracht, um in einem persönlichen Gespräch mit dem Sachverständigen die Umstände des Falles zu erörtern. Diese Unterrichtung - die ein bloßer Bericht nicht ersetzen kann - ermöglicht dann auch eine Begutachtung, die auf alle Fallprobleme eingehen kann. Im folgenden können nur einige besonders wesentliche Untersuchungsverfahren erwähnt werden.

B. Rasterelektronenmikroskop VI. KRIMINALTECHNIK A. Erhebung des Sachbeweises Die stürmische Entwicklung der Naturwissenschaften, neue Methoden der Sicherung und Auswertung der Spuren, technische Weiterentwicklungen der Untersuchungsapparaturen und der Einsatz der Datenverarbeitung gestatten inzwischen Beweisschlüsse, die früher unvorstellbar waren. Diese Bedeutung des Sachbeweises verlangt eine umfassendere und bessere Ausbildung der mit der Spurensuche und -Sicherung betrauten Kriminalbeamten sowie den Einsatz von Wissenschaftlern nicht nur in den Labors, sondern auch am Tatort. So wird heute - zumindest bei den größeren Dienststellen (Direktionen und Präsidien) in jedem Falle ein Angehöriger des Erkennungsdienstes (oder, wie heute vielfach genannt, ein Angehöriger der Dienststelle Kriminaltechnik) zur Tatortarbeit entsandt, dem die gesamte Spurensuche und -Sicherung (nicht nur die nach Fingerabdrücken) obliegt. Diese Trennung zwischen dem den Fall bearbeitenden Sachbearbeiter (der naturgemäß ebenfalls den Tatort kennenlernen muß und den Tatortbereich fertigt) und dem Kriminaltechniker hat sich bewährt, da nunmehr speziell ausgebildete Beamte für die Spurensuche zur Verfügung stehen. Es kommt, um ein Beispiel Gemmers anzuführen, bei der Sicherstellung eines Motorradschutzhelmes (Mordsache Buback) nicht nur darauf an, Fingerund Schweißspuren, Haare, Haut- und Schuppenpartikel als unmittelbare Hinweisgeber auf den Trä-

Das bisher in der Kriminaltechnik verwendete Transmissionselektronenmikroskop erlaubte 800000fache Vergrößerungen. Der Einsatz war jedoch auf durchstrahlbare Objekte beschränkt (Maximaldicke Mooomm) und mit einem sehr hohen Präparationsaufwand verbunden. Das Rasterelektronenmikroskop ist indessen ein Auflichtmikroskop, das die Untersuchung von Oberflächen in einem Vergrößerungsbereich von 20fach bis 50000fach ermöglicht (in einer anderen Ausführung von 10-100 OOOfach). Die Tiefenschärfe ist bis zu 500mal größer als beim Lichtmikroskop. Die größere Tiefenschärfe läßt es zu, auch stark zerklüftete Oberflächen auszuwerten und zu fotografieren, z . B . Werkzeugspuren und Verfeuerungsspuren an Projektilen, Struktur von Lackoberflächen, Auswertung von biologischen Objekten wie Pollen, kleinste Holz- und Lederteilchen, Haare, Fasern, Hitzeeinwirkungen auf Textilgewebe (Aufquellung von Fasern, Schmelzkopfbildungen bei Chemiefasern). Bei Chemiefasern kann der Querschnitt und die Spinndüsenstruktur ermittelt werden. Mit Hilfe eines energiedispersiven Analysensystems ist auch die Aufnahme der Röntgenspektren und damit eine chemische Analyse des jeweiligen Objektes in 2-5 Minuten möglich. Kleinste Anhaftungen sind somit auswertbar.

C. Massenspektrometrie Neben der Chromatographie, der Infrarot-Spektrometrie und der UV-Spektrometrie wird zur Ana-

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lyse von Stoffen auch die Massenspektrometrie eingesetzt. Die jeweilige Materialprobe wird durch Erhitzen in einen gasförmigen Zustand überführt, in einen Gaschromatographen eingeführt und dann mit Elektronen beschossen. Dadurch werden sie ionisiert (sie verlieren Elektronen und erhalten dadurch eine positive Ladung). Diese positiven Ionen werden durch Hochspannung beschleunigt und fokussiert (gebündelt), nach ihrem Masse/Ladungsverhältnis aufgetrennt und in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge in einem Auffänger erfaßt, verstärkt und abgebildet. Der Massenspektrometer ermöglicht es also, die Molekulargewichte der Elemente, die im Material enthalten sind, zu bestimmen und die Isotope voneinander zu trennen. Dadurch kann die Gesamtstruktur einer organischen Substanz erkannt werden. Das BKA-Gerät ist an einen Computer angeschlossen, der das gesamte Verfahren rationalisiert, indem er das Spektrum der untersuchten Probe mit einer vorhandenen Massen-Spektren-Bibliothek vergleichen kann. Auf diese Weise lassen sich auch Brennstoffe, Kunststoffe und Lacke definieren, die - im Gegensatz zu Chemikalien - dazu eines Vergleichsspektrums bedürfen. Besondere Bedeutung hat dieses Verfahren bei der Definition von Betäubungsmitteln in anderen Substanzen, Erkennung von Brandlegungsmitteln, Sprengstoffen und Beimischung von Sprengstoffen zu anderen Chemikalien, bei der Untersuchung von Kunststoffen, petrochemischen Produkten und Arzneimitteln. Das BKA sieht in dieser Methode wegen ihrer universellen Anwendbarkeit, des geringen Substanzbedarfs und des schnellen Analysenverfahrens einen entscheidenden Beitrag zum Sachbeweis.

D. Schußwaffenerkennungsdienst/ Handschriftenerkennungsdienst Der Schußwaffenerkennungsdienst (—> Kriminaltechnik, 6. Schußspuren) umfaßt in der zentralen Tatmunitionssammlung (1977) 7500 Hülsen und 5000 Geschosse aus 4500 Fällen und nimmt jährlich um 9000 Projektile und Hülsen zu. Der Handschriftenerkennungsdienst umfaßt (1977) 85 000 Schriftprobenkarten und 55 000 Tatschreiber, die Sammlung wächst jährlich um 60000 Schriftproben. Jeder Vergleich in einer dieser beiden Dienste nimmt VA Stunden in Anspruch. Damit ist die Grenze manueller Beherrschbarkeit erreicht. Der Einsatz von Vergleichsverfahren mit Hilfe der Datenverarbeitung ist daher unumgänglich. Im Rahmen dieser neuen Verfahren werden Geschoßspuren wie auch Handschriften von einer Fernsehkamera abgetastet und die Abtastpunkte entsprechend ihres Helligkeitswertes in einer Digitalzahl kodiert. Auf diese Weise verwandelt sich jedes Bild in eine Zahlenmatrix von 250000 Computerworten,

die im Rechner gespeichert werden. Dadurch wird die für die Vergleichsarbeit benötigte Zeit auf 1 Minute pro Vergleichsuntersuchung herabgedrückt. Es können daher ohne jede Personalvermehrung und bei höherer Qualität der Bearbeitung wie Verminderung der Fehlerrate mehr Einzelfälle bearbeitet werden.

E. Schaffung von Vergleichsbibliotheken Die Erstellung umfangreicher Vergleichsbibliotheken hat 1977 begonnen. Zur Feststellung der chemischen, physikalischen bzw. biologischen Merkmale eines Untersuchungsgegenstandes werden die jeweiligen Meßwerte an Vergleichsbibliotheken vorbeigeführt. Stimmen die gemessenen Werte eines Materials oder Stoffes mit den signifikanten Werten eines bereits in der Bibliothek vorhandenen Stoffes überein, so ergeben sich Ähnlichkeiten, die eine Identifizierung ermöglichen. Zunächst wurden derartige Dateien von Massenspektren, Infrarotspektren und Röntgenbeugungsdiagrammen erstellt.

F. Personenidentifizierung Ein wissenschaftliches System zur Erkennung von Personen besteht in der Kriminalpolizei lediglich im Bereich der Daktyloskopie. Weitere Hilfsmittel - die Fotografie und die Personenbeschreibung - dienen zwar in der Praxis der Wiedererkennung und der Fahndung. Doch gibt es hierbei trotz der befriedigenden Leistungen in der Praxis des Alltags doch nicht auszuschaltende Fehlerquellen. Ein wissenschaftlich einwandfreies Verfahren zur Identifizierung durch Bild und Beschreibung existiert nicht. Auf Anregung von Herold wird daher an einem „Personenerkennungssystem" gearbeitet, das die wesentlichen Merkmale der Individualität erfaßt: Haltung, Gang, Gestik, Mimik, Sprache, Blut, Haare, Röntgenbilder, körpergebundene Besonderheiten, Verhaltenseigenschaften, so daß der Wiederholungstäter, der sich Nachforschungen und Fahndungen entzieht und unter Nutzung aller denkbaren Tarnungs- und Verschleierungsmöglichkeiten (wie etwa die Angehörigen terroristischer Vereinigungen) in „eine andere Haut" schlüpft, erkannt bzw. ermittelt werden kann. Dieses System wird sich auch auf Sprache und Schrift erstrecken. Bereits heute gibt es Meßverfahren, um aus Wortlängen, Satzlängen, Worthäufigkeiten oder grammatikalischen Besonderheiten Meßwerte zu erhalten, die eine Identifizierung ermöglichen. Schriftstücke wird man dann nicht mehr allein auf anhaftende Spuren, Beschaffenheit des Papiers und Feststellung der Schrifturheberschaft untersuchen, sondern auch die sprachlichen Komponenten des Schreibens bei der Ermittlung der Urheberschaft mit berück-

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Kriminalistik sichtigen. Hand in Hand damit wird am automatischen Schriftvergleich, der die Schriftcharakteristiken maschinenlesbar, klassifizierbar und reproduzierbar machen soll, gearbeitet. Ob das hier angedeutete textanalytische Verfahren den Wert eines forensischen Beweismittels erhalten wird, muß dahingestellt bleiben. Für die ermittelnde Kriminalpolizei kommt es aber darauf an, Ermittlungs- und Fahndungsansätze durch diese und andere Verfahren zu erhalten, um dann durch weitere Sachaufklärung solche Beweise zu erhalten, die forensischen Wert besitzen.

G. Daktyloskopie Nach wie vor spielt die Daktyloskopie bei der Täterermittlung eine bedeutsame Rolle. Das bisherige Verfahren wies jedoch Schwächen auf, die im Zuge der heutigen Tätermobilität nur eine geringe Effektivität ergab. Bekanntlich werden zum Zwekke der Personenfeststellung die Abdrücke aller Finger tatverdächtiger Personen genommen (Zehnfingerabdruckblätter). Diese Blätter werden zentral im Bundeskriminalamt gesammelt, nach einem bestimmten Verfahren wird eine Gesamtformel gebildet, die die spätere Identifizierung der betreffenden Person ermöglicht. Darüber hinaus werden von allen Tatverdächtigen, die eine Straftat begangen haben, bei der Fingerabdrücke entstanden sein können (also vornehmlich Diebe, Einbrecher, Räuber und Erpresser) Einzelfingerabdrücke genommen. Während im Zehnfingerabdruckverfahren alle Fingerabdrücke auf einem Blatt erscheinen, werden bei der Abnahme der Einzelfinger für jeden Finger gesonderte Karten verwendet. Diese Einzelfingerabdrücke verbleiben bei der örtlichen Kriminaldienststelle. Nur dann, wenn die Tatverdächtigen über den Bereich der örtlichen Dienststelle hinaus bzw. über ein Bundesland hinaus tätig wurden, erhalten die LKÄ bzw. das BKA zusätzliche Fingerabdruckblätter. Tritt nun im eigenen Bereich ein Einbrecher auf und hinterläßt er am Tatort Fingerabdrücke, findet ein Vergleich mit der örtlichen Sammlung statt. Ein überörtlicher Vergleich ist nur dann möglich, wenn diese Tatortfingerabdrücke in einen Rundversand gehen bzw. bei den übergeordneten Stellen Fingerabdrücke vorliegen. Ein Vergleich von Tatortfingerabdrücken mit den Zehnfingerabdruckblättern des BKA ist dagegen nicht möglich. Nunmehr findet eine Verformelung der Einzelfinger- und der Zehnfingerabdrücke nicht mehr manuell statt, sondern mit Hilfe der Datenverarbeitung. Auf Grund der fünf Grundmustergruppen (mit Unterteilungen 15 Grundmuster), weiteren Differenzierungen (Richtungsverlauf der Grundmuster, Eigenarten) sind 98 Einzelunterscheidungen möglich, die ergänzt werden durch die Deltalokalisie-

rung und die Merkmalslokalisierung. Innerhalb eines 9 mm Kreises im Musterkern werden die anatomischen Merkmale lokalisiert und mit „Beginn" und „Ende" erfaßt. Die Lokalisierung erfolgt nach Richtung und Entfernung von einem zentralen Drehpunkt. Die so gebildete Formel ermöglicht die Einsortierung in eine zentrale Sammlung. Sie wird bei Vergleichsuntersuchungen herausfiltriert und kann dann verglichen werden. Durch den Einsatz der EDV können nun die 2,8 Mio Zehnfingerabdruckblätter des BKA verformelt werden nach den Gesichtspunkten der Einzelfingerabdrücke, so daß der Vergleich einer eingesandten Tatortfingerspur mit dem Bestand des BKA möglich ist. Die Daktyloskopen erwarten dann, daß jede zweite Tatortfingerspur, soweit sie brauchbar ist, einem Täter zugeordnet werden kann. Heute beträgt die Erfolgsquote lediglich 4 % . Zudem wird die Vergleichsarbeit lediglich in ihrer letzten Phase vom Daktyloskopen vorgenommen, die Vorauswahl trifft der Rechner. Die früher bestehenden Lücken sind damit ausgefüllt, da jeder Tatverdächtige, von dem Fingerabdrücke genommen werden, zum Vergleich zur Verfügung steht.

VII. DAS INPOL-SYSTEM Die Konferenz der Innenminister verabschiedete am 27. 1. 1972 ein „Konzept für das polizeiliche Informations- und Auskunftssystem", dessen endgültige Fassung am 5. 12. 1975 erfolgte. Das Konzept sieht ein gemeinsames, arbeitsteiliges elektronisches Informations- und Auskunftssystem für die gesamte Polizei (INPOL) in der Bundesrepublik Deutschland vor, wobei das BKA als Zentralstelle fungieren soll. In dem zu schaffenden Verbundsystem sollen Informationen bereitgestellt werden für - das Bundeskriminalamt, - die Landeskriminalämter, - die Polizeidienststellen der Länder, - die Grenzschutzdirektion sowie die Grenzdienststellen des Bundes, - das Zollkriminalinstitut. Der Anschluß anderer Behörden ist zulässig, sofern der Bundesinnenminister und die Ständige Konferenz der Innenminister der Länder zustimmen. Das INPOL-System hat nachstehend angeführte Aufgaben: A. Kriminalaktennachweis (ΚΑΝ) Der ΚΑΝ ist das Verzeichnis solcher Beschuldigter oder Tatverdächtiger, die schwere oder überregional bedeutsame Straftaten begangen haben: Nach den Richtlinien für die Führung kriminalpolizeilicher personenbezogener Sammlungen werden

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über diese Personen Kriminalakten angelegt. Das Verzeichnis dieser Personen (Akten) ist im ΚΑΝ gespeichert, Auskünfte darüber werden an die Polizeidienststellen in Bund und Ländern gegeben. Allerdings beschränkt sich die Aufnahme in den ΚΑΝ auf Personen, die „schwere" bzw. „überregional bedeutsame" Taten begangen haben. „Schwere" Straftaten sind alle Verbrechen sowie die in § 100 a STPO aufgeführten Vergehen. „Überregional bedeutsame" Taten müssen eins der folgenden Kriterien aufweisen: - gewohnheits-, gewerbs- oder bandenmäßige Begehung, - Triebtäterschaft, - planmäßige überörtliche Begehung, - Verfolgung extremistischer Ziele, - Mitführung von Schußwaffen, - internationale Begehung, - erneute Straffälligkeit außerhalb des Wohnoder Aufenthaltsbereichs. Kriminalakten solcher Personen, die nicht unter diese Kriterien fallen, können nicht in den ΚΑΝ des INPOL-Systems aufgenommen werden. Eine Registrierung ist dann nur in den Aktennachweisen desjenigen Landes möglich, in dem die Straftat begangen wurde. Direktauskünfte erfolgen dann nur an die Polizeidienststellen dieses Landes. Der ΚΑΝ des INPOL-Systems wird - nach der Realisierung des Vorhabens - im Verbund betrieben. Vorhandene Bestände der Länder werden übernommen. ΚΑΝ enthält die rechtmäßigen Personalien, die Aktennummer sowie die aktenführende Dienststelle sowie Kurzhinweise auf aktuelle Fahndungsnotierungen oder erkennungsdienstliche Behandlung. Aufgegeben wurde der seit 1975 betriebene „Zentrale Personenindex", der alle beim Bund und den Ländern in Erscheinung getretenen tatverdächtigen Personen enthielt. Dieser Datenbestand wird vorübergehend nur noch für Zwecke des BKA weitergeführt. Die nunmehr geltende Form des ΚΑΝ geht auf die Datenschutzgesetzgebung zurück.

B. Fahndung Die Datei enthält Unterlagen über die zur Festnahme, Aufenthaltsermittlung, Identitätsfeststellung oder Überwachung ausgeschriebenen Personen (auch internationale Ausschreibungen) entsprechend der PDV 384.1. Neben den Personaldaten sind die Ausschreibungsbehörde, die sachbearbeitende Polizeidienststelle, Aktenzeichen, Anlaß und Zweck der Ausschreibung sowie besondere Bearbeitungshinweise aufgeführt. Die Sachfahndungsdatei kann numerierte und unnumerierte Gegenstände erfassen. Sie hat besondere Bedeutung bei der Erfassung von Kraftfahrzeuge Waffen/Munition/Zubehör, Sprengkörpern und Sprengstoffen, Dokumenten, Siegeln, Stempeln.

Aufgenommen werden entsprechend der PDV 384.1 ζ. B. Sachen, die der Beweissicherung dienen sollen, der Einziehung unterliegen oder deren Auffindung polizeiliche Ermittlungen unterstützen könnte sowie Kraftfahrzeuge, deren Insassen festgestellt werden sollen (Beispielsweise in der Terroristenfahndung).

C. Haftdatei In dieser Datei werden Personen erfaßt, die sich auf Grund richterlicher Urteile oder Anordnungen in Verwahrung befinden. Anhand der Datei kann festgestellt werden, ob und wo sich die gesuchte Person im Freiheitsentzug befindet. Auskünfte darüber können für die Alibiüberprüfung, die Ausscheidung etwa in Betracht kommender Tatverdächtiger, für Erkenntnisse über Mithäftlinge von Bedeutung sein, auch ermöglichen sie Mitteilungen über bevorstehende Haftentlassungen.

D. Daktyloskopiedatei/Erkennungsdienstdatei Die Daktyloskopiedatei ermöglicht die Identifizierung bereits erkennungsdienstlich behandelter Personen (s. Abschnitt Kriminaltechnik-Daktyloskopie) sowie die Ermittlung tatverdächtiger Personen aufgrund der Fingerabdrücke, wenn daktyloskopische Tatortspuren gesichert wurden. Diese Datei wird gekoppelt mit einer „Erkennungsdienstdatei", die den Nachweis über solche Personen führt, die nach § 81 b StPO durch Abnahme von Fingerabdrücken, Anfertigung von Lichtbildern und Aufnahme einer Personenbeschreibung erkennungsdienstlich behandelt wurden. Diese Dateien werden im Verbund mit den Ländern betrieben.

E. PIOS-Verfahren (Zentrales AktenerschlieBungssystem) Größere und umfangreiche Ermittlungskomplexe machen eine umfangreiche Karteiführung notwendig, um die jeweils genannten Personen, Taten, Hinweise auf Zeugen, Beweismittel und Spuren jederzeit präsent zu haben und sie für die Weiterführung der Ermittlungen nutzen zu können. Diese Aufgabe kann das PIOS-Verfahren übernehmen. Es handelt sich hierbei um eine zentrale Fundstellen-Dokumentation. Sie wird gegliedert in die Abschnitte Ρ = Personalien, I = Institutionen, Vereinigungen und Organisationen, Ο = Objekte und Anschriften, S = Sachen und daher nach den Anfangsbuchstaben PIOS genannt. Nachdem Beschlüsse der AG Kripo, des AK II und der IMK ein solches System für den Bereich des BKA bei der Terrorismusbekämpfung sich nicht realisieren lie-

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Kriminalistik ßen, beschloß die IMK am 20. 6. 1975 die Errichtung und den Betrieb des PlOS-Systems für den Bereich des Terrorismus durch die LKÄ und das BKA zum Zweck der zentralen Informationssammlung und -auswertung. Jeder der vier genannten Datenbereiche enthält formatierte Daten, Raum für freien Text, ein Fundstellenverzeichnis und Verknüpfungshinweise. Daher werden mehrdimensionale Abfragen, Informationen über Verbindungen und Zusammenhänge, Auswertungen, Wiederauffindungen, Anreicherungen von fragmentarischen Informationen sowie die Verknüpfung von Fundstellen in Akten zur Erkennung von Zusammenhängen möglich. F. Literatur-Dokumentationssystem (COD) Das computergestützte Literatur-Dokumentationssystem soll die kriminalwissenschaftliche Literatur (Kriminalistik, Kriminologie, Kriminaltechnik) erschließen, um der polizeilichen Praxis, Lehre und Forschung einen Überblick über die vorhandenen Veröffentlichungen zu geben. In dieser Dokumentation sind auch naturwissenschaftliche Veröffentlichungen enthalten, soweit sie kriminaltechnische oder verwandte Probleme behandeln, ebenso die polizeibezogene Rechtsprechung, Erlasse, Weisungen, Beschlüsse sowie Presse Veröffentlichungen. Auch die Dokumentation kriminaltechnischer Gutachten ist geplant. Die Erfassung und Speicherung erfolgt in dreierlei Form: Bibliographische Angaben, freie Deskriptoren (Sachbegriffe, die dem Text entnommen werden und seinen Inhalt kennzeichnen), Kurzreferat (Zusammenfassung des Inhalts in kurzen Sätzen). Die erfaßten Dokumente werden außerdem auf Mikrofilme aufgenommen. Während mit dem Datensichtgerät Bibliographie, Deskriptoren oder Kurzreferat übermittelt werden können, wird der gesamte Text auf Anforderung als Mikrofilmabzug übermittelt. Die Aufnahme dieses Systems in INPOL wurde durch die IMK am 14. 6. 1974 beschlossen.

Dabei können die Länder auch die Daten, die sie selbst in INPOL-Bund eingespeichert haben, auch in den eigenen Dateien führen. Eine Parallel-Speicherung im Verbund (gleichzeitige Speicherung auch bei allen Ländern) findet jedoch nicht statt. Die Speicherung von Daten im INPOL-System setzt voraus, daß bestimmte, für die jeweilige Datei festgelegte Voraussetzungen erfüllt sind. Es bleibt Bund und Ländern unbenommen, die Daten, die danach für INPOL nicht in Betracht kommen, in eigenen Dateien zu speichern. INPOL-Bund Zu INPOL-Bund gehören: - der Kriminalaktennachweis (ΚΑΝ), - die Personenfahndung, - die Haftdatei, - die Sachfahndung, - die erkennungsdienstlichen Daten, - zentrale Aktenerschließungssysteme, Spurendokumentationssysteme und Falldateien für Straftaten von bundesweiter Bedeutung im Sinne der Richtlinien für die Errichtung und Führung von Dateien über personenbezogene Daten beim BKA, - zentrale Tatmittelnachweise für bestimmte Kriminalitätsbereiche nach Abstimmung zwischen Bund und Ländern. INPOL-Land INPOL-Land umfaßt: - modus-operandi-Daten zu Personen und Fällen, - Folgedaten zu Personen, die in INPOL-Bund erfaßt sind, - Folgedaten zu Fällen mit unbekanntem Täter. Im übrigen speichern die Länder ihre Daten nach eigenem Ermessen. Das BKA speichert Daten aus den eigenen Ermittlungsvorgängen wie ein Bundesland. Durch diese Neuregelung werden u. a. die Konsequenzen aus der Datenschutzgesetzgebung gezogen.

H. Straftaten-/Straftäterdatei (Zentrale. Falldateien)

G. Die Fortentwicklung des INPOL-Systems Auf der Innenministerkonferenz wurde am 12. 6. 1981 ein Konzept für die Fortentwicklung des INPOL-Systems beschlossen. Danach wird dieses System künftig wie folgt organisiert und entwickelt: Organisation: INPOL besteht aus: - Datenbeständen, die - auch nach Einspeicherung durch die Länder - beim Bundeskriminalamt als Zentralstelle für den elektronischen Datenverbund zwischen Bund und Ländern geführt werden (INPOL-Bund), - ergänzenden Datenbeständen, die von dem Land geführt werden, in dem sie angefallen sind (INPOL-Land).

Im März 1973 wurde von der AG Kripo eine Arbeitsgruppe damit beauftragt, Vorschläge für ein kriminalpolizeiliches Auskunfts- und Informationssystem zu machen, um den kriminalpolizeilichen Meldedienst zu reformieren. Daraufhin wurde im Juni 1974 das Modell SSD (Straftaten-/Straftäterdatei) vorgestellt, dessen Erprobung und Aufnahme in INPOL im September 1974 von der IMK beschlossen wurde. Ziel der Datei war es, Informationen über die Tatverdächtigen zu erhalten sowie Einzelheiten aus begangenen Straftaten zu dokumentieren: Durch den Vergleich beider Merkmale - des opus moderandi - sollte eine Auswertung zur Ermittlung des jeweiligen Täters führen. Damit sollte der kriminalpolizeiliche Melde- und Auswer-

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tungsdienst auf die elektronische Datenverarbeitung umgestellt werden - angesichts der jährlichen registrierten Straftaten in Höhe von knapp 4 Millionen eine Notwendigkeit. Benötigt werden für diese Auswertung: - Falldaten (Tatbeschreibung), - Personendaten (Personenbeschreibung), - Sachdaten (Waffen, Werkzeuge usw.), - Objektdaten (Tatorte, Tätertreffpunkte, gefährdete Objekte), - Organisationsdaten (Banden, krim. Organisationen). Die Daten wurden t in Merkmalskatalogen geführt, so daß überall genormte, gleich zu interpretierende Begriffe verwendet wurden. Die bisherigen Erprobungen haben jedoch gezeigt, daß ein solches System noch nicht ausgereift ist. Es wird daher gegenwärtig (1982) eine neue Konzeption entwickelt, bei der nur noch dann eine Meldepflicht des Delikts/Täters besteht, wenn spezifische Tatoder Tätermerkmale eine sinnvolle Auswertung erwarten lassen. Die sogenannten Massendelikte bei denen die Tatausführung ja durch das Objekt quasi vorgeprägt ist und keinerlei individuelle Besonderheiten zuläßt - scheiden daher für einen Tat/ Tätervergleich aus. Die bisherigen Sondermeldedienste - für Rauschgiftdelikte, Falschgelddelikte, Wirtschaftskriminalität und Waffen - haben sich jedoch bislang bewährt und werden weitergeführt. Die hier aufgezeigten Probleme ergeben sich lediglich beim „allgemeinen Meldedienst", d. h. bei den anderen Straftaten.

J. Zentrale Spurendokumentationssysteme Spurendokumentationssysteme - SPUDOK existieren beim BKA wie auch den Polizeibehörden der Länder. SPUDOK wird dann eingesetzt, wenn bei einem Kapitalverbrechen oder einem sonstigen bedeutsameren Verbrechen (etwa Entführung) eine größere Zahl von Hinweisen oder Spuren zu registrieren ist. Die Dokumentation ermöglicht es den Sachbearbeitern, einen ständigen Überblick über die vorhandenen Hinweise sowie den Stand ihrer Bearbeitung zu gewinnen. Darüber hinaus können die im SPUDOK registrierten Hinweise mit den Unterlagen im PIOSSystem verglichen werden. Erweisen sie sich als relevant, werden sie sodann in das PlOS-System übernommen. Nach Abschluß des jeweiligen Ermittlungsfalles werden die SPUDOK-Unterlagen gelöscht.

K. Zentrale Tatmittelnachweise Dieses Vorhaben ist projektiert: Als Modell dient die beim BKA vorhandene Beweismitteldokumentation für den Bereich des Terrorismus.

VIII. VORBEUGENDE VERBRECHENSBEKÄMPFUNG Die präventive Verbrechensbekämpfung hat die Kriminalpolizei seit jeher befaßt - stellte sie doch immer wieder anhand der Repressiv-Maßnahmen gleichzeitig auch die Fehler und Nachlässigkeiten fest, die Straftaten etwa auf dem Sektor der Eigentumskriminalität erst ermöglichten. So finden sich denn Merkhefte und Broschüren über die Einbruchsverhütung schon in den frühen Dreißiger Jahren, herausgegeben von den Feuerversicherungen (z.B. Schleswig-Holsteinische Landesbrandkasse), Kriminalpolizeiliche Beratungsstellen für den Einbruchs- und Diebstahlsschutz (die erste 1923 in Berlin errichtet). Es gab Polizei-Aufklärungswochen und „Maßnahmen zum Schutze des Publikums durch Zusammenarbeit mit Presse, Rundfunk, Film sowie mit Privatunternehmen (Banken, Versicherungen)" (von Kleinschmidt, dem seinerzeitigen Leiter der Abt. Kriminalistik am Polizei-Institut Berlin-Charlottenburg als Teil der Kriminaltaktik aufgeführt). Rupprecht gliedert neuestens die Prävention wie folgt: 1. Beseitigung der Verbrechensursachen (im außerpolizeilichen Bereich liegend), 2. Polizeiliche Präsenz (von der uniformierten Polizei getragen vornehmlich durch Streifen), 3. Prävention durch Straftatermittlung und Verfolgung, 4. Prävention durch Beratung: a) Massenberatung, b) Gruppenbratung, c) Einzelberatung, Die präventiven Tätigkeiten unter 3 und 4 sind die vornehmlichen Aufgaben der Kriminalpolizei, wobei der Prävention durch Tatermittlung und Verfolgung eine bedeutsame Rolle zukommt. Sie wird auch als Sekundärprävention bezeichnet. Primärprävention wird dagegen die Verhütung vor der Tat genannt. Mit ihr soll sich dieser Abschnitt befassen und damit auf die Beratung eingehen.

A. Kriminalpolizeiliche Beratungsstellen Im Bereich der BRD existieren derzeit 110 Kriminalpolizeiliche Beratungsstellen: Sie sind einmal bei allen Landeskriminalämtern eingerichtet, darüber hinaus bei allen größeren Dienststellen (Polizeipräsidium bzw. Polizeidirektionen). Sie verfügen alle über ausreichendes Demonstrationsmaterial in Form von elektronischen und optischen Überwachungsanlagen und mechanischen Sicherungen. Diese Einrichtungen sind nahezu ausschließlich Leihgaben der Industrie. Sie ermöglichen es, den Ratsuchenden die Wirkungsweise und Anwendungsbereiche der einzelnen Systeme zu erklären und vorzuführen. Für die Beratung stehen in jeder

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Kriminalistik Beratungsstelle je nach Umfang ein bis drei Kriminalbeamte zur Verfügung, die ausschließlich für diese Tätigkeiten abgestellt sind. Die Beratungen erfolgen in der Dienststelle, aber auch in Form der Objektberatung am Ort des zu sichernden Objekts. Die „Beratungsbeamten" sind inzwischen durch Speziallehrgänge der Behörden für ihren Dienst besonders ausgebildet. Um Erfahrungen auszutauschen und einheitliche Projekte und Schwerpunkte bilden zu können, wurde eine Ständige Kommission „Kriminalpolizeiliche Beratung" innerhalb der AG Kripo gebildet, die seit 1959 jährlich mehrere Tagungen durchführt. Eine enge Zusammenarbeit mit den Fachverbänden der Wirtschaft (BHE, ZVEI sowie dem VdS) ist sichergestellt. Im Einvernehmen mit den Verbänden ist dafür gesorgt, daß nur solche Geräte der Sicherheitstechnik (so der Name für verbrechensverhütende Fabrikate) empfohlen werden, die gewissen Qualitätsansprüchen genügen und Fehlalarme nach Möglichkeit ausschalten. Beraten werden sowohl der Normalmieter wie der Hausbesitzer, der Architekt und Bauingenieur wie der Gewerbetreibende. Große Bedeutung kommt auch der Information von Schülern und Jugendlichen zu, um sie für den Gedanken einer vernünftigen Prävention zu gewinnen. Die Beratungsstellen haben sicher über ihre ursprüngliche Aufgabe hinaus häufig auch die Information über weitere kriminalpolizeiliche Aufgabengebiete übernommen: Etwa über den Drogenmißbrauch, den Betrug und die Jugendkriminalität. B. Das kriininalpolizeiliche Vorbeugungsprogramm Im Jahre 1965 beschloß die AG Kripo, das von dem Münchener Kriminaldirektor Weinberger kreierte Vorbeugungsprogramm des Bayerischen Landeskriminalamtes zu übernehmen. Ein ständiges Redaktionskomitee wurde gegründet, dem Beamte des BKA und der LKÄ angehörten. Dieses Vorbeugungsprogramm gibt - monatlich wechselnd mit Unterstützung von Werbetextern und Graphikern - ein Vorbeugungsprogramm heraus, das sich mit jeweils einem Thema befaßt. Es wird der Presse zum kostenlosen Abdruck angeboten und erreicht dadurch eine Auflage von 15-18 Mio. Das Programm wird ergänzt durch Fallschilderungen der einzelnen LKÄ bzw. der örtlichen Polizeibehörden. Auch der Rundfunk weist auf dieses Monatsprogramm hin und spricht damit ca. 20 Mio. Hörer an. Im Fernsehen wird im 1. Programm jeweils am 1. Freitag im Monat um 21 Uhr 30 ein Spot „Die Kriminalpolizei rät" gesendet, damit wird eine Einschaltquote von 20-30 Mio. garantiert. Im ZDF wird der Kripo-Monats-Tip im Rahmen des Magazins „Die Drehscheibe" gesendet, womit ca. 12 Mio. erreicht werden. Die Monatsthemen werden auch durch Plakate dargestellt, die in einer Auflage

von 100000 Stück im Vierfarbendruck erscheinen und auch als Wandkalender versandt werden. Auch die Wochenschau „Blick in die Welt" bringt einen zweiminütigen Beitrag zum jeweiligen Monatsthema mit 152 Kopien. Zu den Themen des Vorbeugungsprogramms gehören nicht nur Fragen der Diebstahlsbekämpfung und des Rauschgiftmißbrauchs, sondern auch Themen der polizeilichen Jugendarbeit, Vorbeugungsmaßnahmen gegen anarchistische Gewalttäter, allgemeine polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit u. ä. Generell erfolgt eine Abstimmung des Programms auf die Kriminalitätsphänomenologie, der tendenziellen Entwicklung, der Schadensintensität und der Präventionsrelevanz bestimmter Delikte, der Beeinflußbarkeit potentieller Opfer und der Ergebnisse der Verhaltensforschung, Psychologie und Soziologie über Ursachen und Wirkungen vorbeugungsabgeneigter Verhaltensweisen und der Ansatzpunkte für präventionsgünstige Beeinflussung.

C. Gruppenberatung Mehr und mehr wird von der Gruppenberatung Gebrauch gemacht. Diese wendet sich, um nur die wichtigsten Multiplikatoren zu nennen, an - Architektenkammern, Einzelhandelsverbände, Berufsvertretungen, - Bankenvereinigungen und Angestellte einzelner Banken, - Versicherungsgesellschaften, - Hausbesitzervereine, Mietervereinigungen, - Schulklassen, - Altenklubs, - Gastarbeitergruppen, - Elternkreise und -verbände, - Jugendgruppen. Die dabei behandelten Themen richten sich an den Interessen der jeweiligen Gruppe aus und berücksichtigen die jeweils bestehenden Gefährdungen. So werden mit Architekten Gespräche über die zweckmäßige Gestaltung von Neubauten unter sicherheitstechnischen Gesichtspunkten geführt, Bankangestellte werden über das richtige Verhalten vor, während und nach Raubüberfällen unterrichtet, Schüler und Jugendliche über die Verhinderung von Fahrraddiebstählen belehrt und ganz allgemein aufmerksam gemacht über Einbruchssicherungsmaßnahmen im häuslichen Bereich. Weiterhin werden Probleme der Jugendkriminalität und des Rauschgiftmißbrauchs vor Eltern und Jugendlichen besprochen. In solchen Fällen kommt es häufig zu gemeinsamen Veranstaltungen mit Fachleuten anderer Bereiche (Psychologen, Ärzten, Jugendrichtern). Derartige Gruppenberatungen kommen entweder durch die Initiative der örtlichen Kriminalpolizei oder durch entsprechende Wünsche der jeweili-

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Kriminalistik

gen Gruppen zustande. Angebote der Kriminalpolizei zu solchen Veranstaltungen werden in der Regel gern angenommen. Für die meisten solcher Veranstaltungen steht bebildertes Anschauungsmaterial zur Verfügung, das von den Fachministerien zur Verfügung gestellt wird.

D. Zusammenarbeit mit Jugendlichen Präventive Tätigkeit zum Schutze der Jugend ist der Polizei durch das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit, das Gesetz zur Bekämpfung jugendgefährdender Schriften und das Arbeitsschutzgesetz vorgeschrieben. Zur Durchführung dieser Aufgaben bestehen bei den Ländern und örtlichen Polizeibehörden z.T. sog. Jugendschutztrupps (wie etwa in Hamburg), die im Rahmen der Vorbeugung Streifen an jugendgefährdenden Orten, Lokalüberholungen, Beobachtung des Autostrichs auf weibliche Jugendliche und Überwachung des Jugendarbeitsschutzgesetzes wie des Jugendschutzgesetzes durchführen. Sofern spezielle Trupps nicht existieren, wird diese Aufgabe von besonders ausgebildeten Beamten im Rahmen der Fahndungs- und Streifentätigkeit durchgeführt. Die Dienststellen der allgemeinen Verwaltung (Ordnungsämter, Jugendämter usw.) sind an diesen Maßnahmen beteiligt. Zu den Aufgaben der Schutzpolizei gehören auch die Verkehrserziehung und Verkehrsaufklärung Jugendlicher. Aus diesen Aufgaben heraus wuchs entsprechend dänischen und schwedischen Vorbildern - hie und da eine ständige Zusammenarbeit, die sich beispielsweise in Mannheim als PolizeiJugendklub etablierte. Während die Stadt Mannheim Räume und Sachmittel zur Verfügung stellt, wird der Club personell organisiert und arrangiert von Freiwilligen der Schutzpolizei. Andere Dienststellen haben spezielle Arbeitsgruppen geschaffen, die ausschließlich zur Beratung und Betreuung von Jugendlichen - auch ausländischer Beteiligung eingesetzt werden. In anderen Städten wurden Kontaktbeamte eingesetzt, in München eine Jugendpolizei. Derartige Maßnahmen - von den Ministerien als notwendig angesehen und von den Praktikern der Schutz- wie der Kriminalpolizei begrüßt - stoßen allerdings auf Kritik aus den Reihen der Sozialarbeiter, die bei den Jugendbehörden und Verbänden beschäftigt sind. Hier wäre noch ein erhebliches Stück Reformarbeit und Aufklärung der Reformer selbst zu leisten.

E. Zusammenarbeit mit Behörden Eine ständige Zusammenarbeit besteht seit langem mit den Jugendämtern der kommunalen Verwaltung. Diese Kontakte verstärkten sich zwangsläufig durch die Zunahme der Rauschgiftdelikte. Es

finden ständige Zusammenkünfte mit den entsprechenden Sachbearbeitern statt, um gemeinsame Maßnahmen zu erarbeiten, Gefährdungsbereiche zu erkennen und für Abhilfe zu sorgen. Seitens der Kriminalpolizei werden gern Sachbearbeiter für die Sitzungen der Jugendwohlfahrtsausschüsse der Kommunalvertretungen gestellt, in vielen Fällen sind sie auch dorthin entsandt worden, um bei Beratungen mit ihrer Facherfahrung zur Verfügung zu stehen. Bedingt durch die Rauchgiftkriminalität, besteht eine entsprechende Zusammenarbeit auch vielfach mit den Gesundheitsbehörden. Eine Zusammenarbeit mit den Ordnungsämtern ist zwangsläufig durch die gemeinsame Aufgabenstellung von Polizei und Ordnungsämtern gegeben. In allen genannten Fällen geht es um die Präventionstätigkeit, um die Erkennung und Abstellung polizeilicher Gefahren, um Gelegenheiten für Straftaten zu verhindern bzw. zu verringern. Notwendig ist auch eine kriminalpolizeiliche Beratung hinsichtlich der Stadtbauplanung und Besiedlung. So sind z. B. Kinderspielplätze und Bolzplätze für Jugendliche wesentliche Möglichkeiten, Zerstörungsakte einzuschränken und Aktivitäten, die ins Kriminelle gehen können, vorher in legale Bahnen zu lenken (Abenteuerspielplätze unter fachlicher Leitung). Die Zusammenhänge zwischen Städtebau und Kriminalität sind längst wissenschaftlich untersucht, die sich daraus ergebenden „Sicherheitsgrundsätze" in einem Symposium des BKA (s. Literaturverzeichnis) erarbeitet worden (—» Städteplanung und Baugestaltung). Eine Beteiligung der Kriminalpolizei an allen Planungsarbeiten kann dafür sorgen, daß das kriminelle Geschehen in Sanierungs- und Neubaugebieten beeinflußt wird. Eine ständige Zusammenarbeit aller Behörden auf der Ebene der Kommunen, der Regierungsbezirke und der Länderministerien (geplant und z. T. durchgeführt hinsichtlich der Rauschgiftbekämpfung) mit dem Ziel, die Kriminalität zu verringern, ist notwendig, zweckmäßig und realisierbar. Vertreter der Kriminalpolizei haben schon vor Jahren verlangt, ähnlich wie in Großbritannien und Schweden, Komitees zur Verbrechensverhütung bzw. einen Rat für Verbrechensverhütung zu etablieren.

F. Sicherheitstechnik: Möglichkeiten der technischen Prävention Der Schutz gegen Verbrechen kann - wenigstens soweit es sich um Sachwerte handelt - auch durch technische Vorkehrungen mannigfacher Art erfolgen, die entweder bereits beim Bau und der Errichtung einer Anlage oder eines Gebäudes berücksichtigt werden oder nachträglich angelegt werden. Dabei unterscheidet man zwischen Einrichtungen baulicher oder mechanischer Art, die ein Eindringen verhindern oder erheblich erschweren und Einrich-

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Kriminalistik tungen, die beim Eindringen einen Alarm auslösen und damit die Benachrichtigung des Eigentümers oder der Polizei bzw. von Bewachungsunternehmen ermöglichen, um den Täter dingfest zu machen oder zu vertreiben. Bei diesen technischen Einrichtungen hat man die Technik des Verbrechers berücksichtigt und die kriminalpolizeilichen Erfahrungen aus der Verbrechensbekämpfung einbezogen. Sicher gibt es keinen vollständigen Schutz gegen Straftaten. Der technische Schutz geht aber soweit, daß man unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Verbrecher ja nicht über beliebig viel Zeit verfügt und unauffällig vorgehen muß, von einem ausreichenden Schutz sprechen kann. 1. Mechanische/bauliche

Sicherungen

Türen und Fenster sind die beliebtesten Angriffspunkte der Diebe und Einbrecher. Während Haus- und Wohnungstüren im allgemeinen relativ stabil sind, gilt das gleiche leider nicht für Türen, die zu Kellern, Böden, Lagerräumen, Höfen, Werkstätten, Schuppen führen. Baumaterial und Bauausführung ermöglichen es vielmehr Unbefugten, leicht einzudringen. Schwachpunkte sind vor allem Spalten zwischen Tür und Türfutter, schwache Füllungen, ungeschützte Glasfüllungen, schlecht befestigte Schließbleche und Schließkästen, schwache Angeln und Riegel, schwache und lange Schließketten, gewöhnliche Schlösser - mit Dietrichen zu öffnen - Vorhängeschlösser, die keinen Widerstand bieten, schwache Türkrampen. Die Abstellung dieser Mängel führt regelmäßig zu einer ausreichenden Sicherung. Hinsichtlich der Schlösser findet man jedoch nur allzuhäufig das gewöhnliche Buntbartschloß, das keinen Schutz gegen unbefugtes Öffnen bietet. Es sollte durch das Zylinderschloß ersetzt werden (Yaleschloß), das mit mindestens 5-6 Stiftzuhaltungen einen guten Schutz bietet. Gegen gewaltsame Abdreh- und Abbrechversuche ist der neuere Kurzzylinder gefeit. Vorhangschlösser (mit Bügeln aus gehärtetem Stahl) bieten Schutz auch für Kellertüren; Türbeschläge, die durch eine Panzerüberfalle gesichert sind, können nicht abgeschraubt werden. Fenster können durch Rolladen, Gitter oder - vor allem bei gewerblichen Objekten - durch einbruchhemmende oder schußfeste Verglasung gesichert werden. Für die Aufbewahrung von Bargeldbeständen oder anderen Wertobjekten wurden Stahlschränke unterschiedlichen Sicherheitsgrades entwickelt, die diebes-, brand- oder sprengsicher sind. 2.

Alarmanlagen

Gefahren- und Einbruchmeldeanlagen müssen den Anforderungen des V D E , Klasse 0800 C bzw. 0833 entsprechen. Ein Anschluß der Anlage an das

Alarmsystem der Polizei erfolgt nur bei besonderer Gefährdung oder bei erheblichen Werten bzw. besonders wirtschaftlicher Bedeutung. In anderen Fällen erfolgt der Anschluß an die Alarmzentrale eines Sicherheitsunternehmens. Man unterscheidet bei diesen Anlagen den Alarmauslöser (sie melden das Eindringen Unbefugter) und den Alarmgeber (er meldet den ausgelösten Alarm weiter). Die Alarmauslösung kann erfolgen durch Magnetschalter (beim Öffnen einer Tür oder eines Fensters erfolgt eine Unterbrechung der Meldelinie, die den Alarm auslöst), Mikroschalter (bei Beschädigung eines Gegenstandes erfolgt Alarm), Optoschalter (wird das Objekt entfernt, gibt es Alarm), Erschütterungsmelder (beschränkt verwendbar, weil Erschütterungen auch durch den Verkehr möglich sind), Körperschallsensoren (Schallschwingungen bei Angriffen auf feste Körper werden in Alarm umgesetzt), Glasbruchsensoren (bei Glasbruch einsetzbar), Ultraschallbewegungsmelder, Infrarotlichtschranken, passive Infrarotgeräte, Mikrowellenmelder und kapazitiven Feldschutz. Diese fünf letztgenannten Melder geben Bewegungen innerhalb eines Raumes als Alarm weiter. Der ausgelöste Alarm kann nun akustisch, optisch oder als stiller Alarm weitergegeben werden. Die Bedeutung des akustischen Alarms hat jedoch abgenommen, da einerseits eine leichte Sabotagemöglichkeit besteht, der Angreifer allenfalls verscheucht, aber nicht ergriffen wird und schließlich bei Fehlalarmen nachbarschaftliche Beschwerden - mitunter auch Untersagung der Anlage - vorkommen können; zudem darf akustischer Alarm nicht länger als 2 Minuten andauern. Optischer Alarm wird zumeist neben akustischem Alarm eingesetzt, er kann unbeschränkt andauern. Heutzutage findet sich bei optischem Alarm oft die Alarmierung durch Halogenscheinwerfer. Sie dienen als Verscheuchungsmittel. Der stille Alarm läuft bei einer Alarmzentrale auf, die von Sicherheitsunternehmen betrieben wird, oder er löst ein automatisches Telefonwähl- und Ansagegerät aus, das einen beliebig zu bestimmenden Teilnehmer anwählt. 3.

Zugangskontrollsysteme

Die Gefahr von Ausspähung und Spionage, die Notwendigkeit des Datenschutzes und der Schutz vor Sabotage machen für die gewerbliche Wirtschaft und für Behörden den Einsatz von Zutrittskontrolleinrichtungen notwendig. Hier setzt die automatisierte Kontrolle ein, bei der eine fälschungssichere Ausweiskarte einem Ausweisleser eingegeben wird; dieser kontrolliert die Zugangsberechtigung und öffnet den Zugang. Die Ausweiskarte kann Kodierungen durch Infrarotpunkte, Magnetstreifen, oder Merkmale der Hand aufweisen; es gibt auch kleine Sender, die einen Code ausstrahlen, wodurch die Zutrittsberechtigung erfolgt.

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Kriminalistik

Neben einfachen Codelesern (off line-System) gibt es die Möglichkeit des Einsatzes von Prozeßrechnern (on line-System); hierbei kann ein mehrfacher Durchgang gesperrt werden, der Zutritt zu bestimmten Tageszeiten festgelegt werden, die Speicherung der Zugänge und der Eintritts- und Ausgangszeit ist möglich. Damit ist eine Kontrollmöglichkeit auch für erhebliche Gefährdungsbereiche möglich; es läßt sich später feststellen, ob abweichende Verhaltensweisen der Zugangsberechtigten vorlagen, die einer Erklärung bedürfen.

4.

Freigeländeüberwachung

Anlagen, die für die Versorgung der Bevölkerung von Bedeutung sind oder die auf Grund ihrer Produktion oder wegen der von ihnen verarbeitenden Stoffe (Kernkraftwerke) bei gewalttätigen Angriffen Gefahrenherde für die Umgebung sein können, werden durch die Überwachung des Freigeländes gesichert. Das gilt auch für Anlagen und Gebäude, die der inneren oder äußeren Sicherheit dienen (Polizei, Bundeswehr) oder die der Lagerung von Versorgungsgütern oder Einsatzmitteln dienen. Die Notwendigkeit einer solchen Überwachung ergab sich einmal durch Terrorakte und Sabotagehandlungen, zum anderen durch die Anforderungen an die Betriebssicherheit bestimmter Anlagen. Die Überwachung erfolgt durch überwachte Zaunanlagen, die mit Erschütterungsmeldern, Körperschallmeldern oder elektrostatischen Sensorkabeln versehen sind. Bewegungen und Erschütterungen des Zaungeflechts führen zu einer Meldung an die Zentrale. Werden Geophone eingesetzt, kommt es zur Registrierung der Trittschallbewegungen. Beim Einsatz eines Elektrodenzaunes wird ein Wechselfeld im Längswellenbereich erzeugt, bei Annäherung eines Störers wird bereits aus einem Abstand von 30 cm Alarm gegeben. Beim Doppelschleifensystem sind in das Zaungeflecht Widerstandsdrähte eingebettet, die an eine AuswerteElektronik geschaltet sind. Durchschneiden, Kurzschließen, Beanspruchung durch Zug oder Druck führen zur Alarmierung. Schließlich können - auch zusätzlich - Infrarotwechsellichtschranken oder Mikrowellenrichtstrecken installiert werden, die beim Durchschreiten der Zone Alarm geben. Will man Ausmaß und Anlaß des Alarmes feststellen, werden optische Überwachungsanlagen zusätzlich eingesetzt, so daß aus der Zentrale heraus Ort und Anlaß des Alarms ermittelt werden kann. Während der Dunkelheit erfolgt eine gleichzeitige Schaltung von Halogenscheinwerfern, um einen Überblick über das Gefahrenfeld zu erhalten.

zeichnung von Raubüberfällen in Kassen sowie zur Überwachung von Kaufhausdiebstählen, von Kassenvorgängen und Kassiererplätzen eingesetzt. Zur Verfügung stehen Überwachungssysteme durch Fernsehaufzeichnung, Filmaufzeichnung und fotografische Aufzeichnung. Soll dem unbefugten Eindringen in Räume durch sofortigen Einsatz von Hilfskräften (Polizei oder Werkschutz) begegnet werden, wählt man die Fernsehaufzeichnung, bei der die zu beobachtenden Vorgänge von einer Alarmzentrale aus beobachtet werden. Soll lediglich die Registrierung des Eindringlings beobachtet werden, kommt die fotografische Aufzeichnung (Fotofalle) in Betracht, die sich auch in Banken und Zahlstellen findet. Eine kombinierte Foto-Fernsehüberwachung - gekoppelt mit einer Videoaufzeichnung - ist ebenfalls mögüch. M o n o g r a p h i e n und S a m m e l w e r k a u f s ä t z e G. B a u e r : Moderne Verbrechensbekämpfung. Bd. 1-3. Lübeck 1970-1977. G. B a u e r : Rauschgift-Handbuch über Rauschgiftsucht, Rauschgifthandel, Bekämpfung und Hilfen. Lübeck 1972. G. B a u e r : Auf den Spuren des Verbrechens. Grenzen und Möglichkeiten der Kriminalistik. Lübeck 1973. G . B a u e r , K . H a a s e : Werkschutz und Betriebssicherheit, Lübeck 1982. G. B a u e r : Prävention durch Repression aus der Sicht eines Kriminalisten. In: Polizei und Prävention. Arbeitstagung des BKA 1975. Wiesbaden 1976. G. B a u e r : Serien- und Wiederholungsmörder - Probleme der Ermittlung und Verhütung. In: Kriminologische Gegenwartsfragen. Heft 14. Stuttgart 1980. G. B a u e r : Das Opfer im Ermittlungsverfahren. In: Kriminologische Gegenwartsfragen. Heft 12. Stuttgart 1976. G. B a u e r : Bedeutung der Viktimologie für die polizeiliche Praxis. Seminar an der Polizeiführungsakademie Hiltrup 1973. G. B e r t l i n g : Polizeiliche Einsatzplanung mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitungsanlagen. In: Grundlagen der Kriminalistik, Bd. 4. Hamburg 1968. F. G e e r d s : Kriminalistik. Lübeck 1980. G r o ß - G e e r d s : Handbuch der Kriminalistik. Bd.I, II. Berlin 1977, 1978. H. v. H e n t i g : Das Verbrechen. Bd. 1-3. Berlin 1961. H. H e r o l d : Kriminalgeographie. In: Grundlagen der Kriminalistik. Bd. 4. Hamburg 1968. H. H e r o l d : Neue Wege in der Kriminaltechnik eröffnen. In: Kriminologische Gegenwartsfragen. Heft 14. Stuttgart 1980. K. S c h a e f e r : Internationale Verbrechensbekämpfung. Schriftenreihe des BKA. Bd. 44. Wiesbaden 1977. H.-D. S c h w i n d u.a.: Dunkelfeldforschung in Göttingen 1973/ 1974. Forschungsreihe des BKA. Bd. 2. Wiesbaden 1975. H.-D. S c h w i n d u.a.: Empirische Kriminalgeographie. Forschungsreihe des BKA. Bd. 8. Wiesbaden 1978. W. S c h m i t z : Tatortbesichtigung und Tathergang: Forschungsreihe des BKA. Bd. 6. Wiesbaden 1977. H . J . S c h n e i d e r : Viktimologie. Die Wissenschaft vom Verbrechensopfer. Tübingen 1975. G. W i e s e l , H. G e r s t e r : Das Informationssystem der Polizei INPOL. Schriftenreihe des BKA. Bd. 46. Wiesbaden 1978. W. S t e f f e n : Analyse polizeilicher Ermittlungstätigkeit aus der Sicht des späteren Strafverfahrens. Forschungsreihe des BKA. Bd. 4. Wiesbaden 1976. Zeitschriftenaufsätze

5.

Raumüberwachungsanlagen

Sie werden zum Zwecke des Personenschutzes, des Objektschutzes, der Beobachtung und Auf-

G. B a u e r : Von der wechselnden Arbeitsweise des Verbrechers. Die Polizei 1969, S. 105. G. B a u e r : Organisation und Einsatz der Kriminalpolizei - Probleme, Fehler, Anregungen. Der Kriminalist 1975, S.586.

Strafaussetzung zur Bewährung G. B a u e r : Ausbildung und Fortbildung im Saarbriicker Gutachten über das Berufsbild der Polizei. Der Kriminalist 1976, S. 260. G. B a u e r : Der Angriff der Verbrecherorganisationen auf die Sicherheit und die Abwehr der Kriminalpolizei. In: Dokumentation Verbrechensbekämpfung zur Fachtagung Kripo International 1976. Düsseldorf 1976. K. H. G e m m e r : Kriminalistischer Wert des Sachbeweises. Kriminalistik 32 (1978), S. 529. H. H e r o l d : Erwartungen von Polizei und Justiz in der Kriminaltechnik. Kriminalistik 33 (1979), S. 17. A. M ä t z l e r : Fehlerquellen beiTodesermittlungen. In: Kriminologische Gegenwartsfragen. Bd. 14, Stuttgart 1980. W. P i e t r z i k : Der international organisierte Rauschgifthandel. Kriminalistik 34 (1980), S. 315. R. R u p p r e c h t : Kriminalstruktur. Kriminalistik 28 (1974), S.481.

Arbeitsmaterialien Bundeskriminalamt: Polizeiliche Kriminalstatistik 1970-1979. Wiesbaden 1971-1980. Bundeskriminalamt: Städtebau und Kriminalität. Internationales Symposion 1978. Wiesbaden 1979. Bundeskriminalamt: Kriminalpolizeiliche Beratung. Schriftenreihe des BKA. Bd. 47. Wiesbaden 1978. Bundeskriminalamt: Möglichkeiten und Grenzen der Fahndung. Arbeitstagung 1979. Wiesbaden 1980. Bundeskriminalamt: Straftatenklassifizierung und Gewichtung. Internationales Symposium 1977. Wiesbaden 1977. Bundesministerium des Innern/Bundeskriminalamt: Betrifft: Bundeskriminalamt. Bonn 1977. Ständige Konferenz der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder: Programm für die Innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland. IM Rheinland-Pfalz. Mainz 1974. GÜNTHER

BAUER

STRAFAUSSETZUNG ZUR BEWÄHRUNG, BEWÄHRUNGSHILFE UND FÜHRUNGSAUFSICHT I. STELLUNG U N D BEDEUTUNG DER STRAFAUSSETZUNG ZUR BEWÄHRUNG, D E R BEWÄHRUNGSHILFE U N D DER FÜHRUNGSAUFSICHT IM KRIMINALRECHTLICHEN SYSTEM A . Das kriminalrechtliche System als Präventionssystem 1. Prävention als Aufgabe des Kriminalrechts a) P r ä v e n t i o n d u r c h S c h u l d a u s g l e i c h . Nach begangener Tat kann es nur noch darum gehen, künftige Taten zu verhindern, also Prävention zu betreiben. Wenn das Erwachsenenstrafrecht als Tatschuldstrafrecht den Schuldausgleich in den Mittelpunkt stellt, so liegt dem die Auffassung zugrunde, dieser Schuldausgleich sei das geeignetste Mittel zur Prävention. Maßgebend sind dabei folgende empirische Vorstellungen: Die Verhängung eines tatschuldproportionalen Übels bewirke im Bestraften einen Lernschritt; aus dem Übel lerne

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er, künftig keine Taten mehr zu begehen, um eben das Übel zu meiden. Zugleich strahle dieser Bestrafungsvorgang auf die Allgemeinheit aus, sie werde - wie der Bestrafte - abgeschreckt und in ihrem Bestreben, keine Straftaten zu begehen, bestärkt. Die Erwartung, daß sich die Bürger normkonform verhalten, werde bekräftigt, und der soziale Frieden, der durch die Tat gestört worden sei, werde durch die Bestrafung wiederhergestellt. Bei derartigen Erwägungen geht man vom Bild des mündigen Bürgers aus, der sein Verhalten zu steuern vermag und vor der Rechtsgemeinschaft verantworten muß. Mit dem Begriff der Tatschuld knüpft das Strafrecht an Gedanken und Überzeugungen an, die weithin als nahezu selbstverständlich akzeptiert werden. Daß man für sein Verhalten verantwortlich ist und für begangenes Unrecht einzustehen habe, sind Annahmen, ohne die ein geregeltes Zusammenleben nicht auskommt. Die Problematik des Tatschuldstrafrechts liegt in dessen irrationalen Komponenten. Auch Schuld im rechtlichen Sinne läßt sich nicht „feststellen", sondern wird „angenommen" und „zugeschrieben". Sie kann mit keinem rationalen Maßstab in Übelskategorien umgerechnet werden. Nur bestimmte Dispositionen und Umstände können dazu führen, daß die Annahme von Schuld unhaltbar wird. Der Ausgleich der Schuld durch Übelskategorien bleibt lediglich einer relativen rationalen Erfassung zugänglich, indem das Ausmaß des Übels an der Schwere der Schuld ausgerichtet und die Übelsfolgen entsprechend abgestuft werden. Hieraus folgt zugleich die Möglichkeit, die Tatschuld als Strafzumessungsschuld mit einem vergleichenden Maßstab zu messen. Die Annahme strafbegründender Schuld indessen kann nur mit der Notwendigkeit staatlichen Strafens rational begriffen und gerechtfertigt werden. Tatschuld als Voraussetzung für Strafe steht also in einem zweckorientierten Kontext. Das zwingt allerdings noch nicht dazu, den Begriff der Tatschuld von den Momenten des persönlichen moralischen Unwerturteils zu lösen. Gleichwohl treten in der Strafrechtsdogmatik Tendenzen hervor, den Schuldbegriff stärker an der Notwendigkeit der Strafe auszurichten. Auf solche Weise wird das Schuldstrafrecht stärker zu einem (verdeckten) Maßnahmerecht hingeführt. Tatschuld und Tatschuldausgleich sind im Grundsatz einer empirischen Überprüfung entzogen. Empirische Untersuchungen vermögen höchstens die Randzonen zu beleuchten, ob die Annahme von Tatschuld vertretbar war, für vergleichbare Taten ähnliche Strafen verhängt wurden usw. Da jedoch das Schuldstrafrecht keine selbstzweckhafte Vergeltung beabsichtigt, sondern instrumental für den Rechtsgüterschutz sein soll, erhebt sich die Frage, ob die leitenden Vorstellungen über die präventive Wirkung des Schuldstrafrechts empirisch bestätigt werden. Fundamentale Zweifel frei-

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Strafaussetzung zur Bewährung

lieh sind angesichts der denkbaren Alternativen (Abschaffung des Strafrechts, reines Maßnahmerecht) wenig hilfreich, der Blick ist vielmehr auf das Detail zu richten, und hier sind die Grenzen des Schuldstrafrechts evident: Die Lektion, nicht wieder in kriminelle Verhaltensweisen zu verfallen, wird nur unter bestimmten Bedingungen gelernt. Der Täter muß entsprechend motivierbar sein, er muß „richtig" lernen, dem Übel der Bestrafung mithin nicht anders zu entgehen, er muß über alternative Verhaltensmuster verfügen, andere Kräfte, die ihn zu kriminalisierten Verhaltensweisen hinführen, dürfen nicht stärker sein usw. Ebenso sind die Wirkungen einer Bestrafung auf andere von vielerlei Bedingungen abhängig. Solche Wirkungen entfalten sich hauptsächlich über die Massenmedien, werden folglich in erheblichem Ausmaß von außerjustiziellen Stellen und in veränderten Formen weitergeleitet und stoßen schließlich wiederum auf ganz unterschiedliche soziale und psychische Dispositionen. b ) P r ä v e n t i o n d u r c h M a ß n a h m e n . Ein reines Schuldstrafrecht vermag den Erfordernissen einer wirkungsvollen Prävention nicht zu genügen. Das folgt nicht zuletzt schon aus dem System des Schuldstrafrechts selbst, das bei fehlender oder nur geringer Tatschuld keine Eingriffsgrundlage bietet. Unser kriminalrechtliches System ist darum zweispurig ausgestaltet, neben den Strafen (Geldstrafe, Freiheitsstrafe, Fahrverbot) steht ein Katalog von Maßnahmen (Maßregeln der Besserung und Sicherung), zu denen unter anderen auch die Führungsaufsicht zählt. Das Gewicht, das der Maßnahmekomponente zukommt, ist im Erwachsenenstrafrecht und im Jugendstrafrecht unterschiedlich stark. Während das Erwachsenenstrafrecht im Kern als Tatschuldstrafrecht anzusehen ist, dominiert im Jugendstrafrecht das Maßnahmerecht (vgl. § 5 JGG), weshalb man zutreffender auch vom Jugendkriminalrecht spricht. Das Jugendkriminalrecht kennt als einzige Strafe lediglich die Jugendstrafe (als Freiheitsstrafe), die aber eine ultima ratio darstellt. Kriminalrechtliche Maßnahmen knüpfen wie die Strafe an eine rechtswidrige Tat (s. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) an, sind indessen von ihrer Struktur her unabhängig von der Tatschuld. Sie beabsichtigen nicht Ahndung, sondern typischerweise Resozialisierung. Während einzelne Maßnahmen teilweise fehlende oder geminderte Tatschuld zur (negativen) Voraussetzung (§§ 63, 64, 65 StGB) haben, sind andere (des Jugendkriminalrechts) nur bei schuldhaften Taten vorgesehen (z.B. Weisungen). Seine Grenzen findet das Maßnahmerecht in dem rechtstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den das Strafgesetzbuch deshalb dem Maßnahmerecht voranstellt (§ 62 StGB). Ausschlaggebend für die Auswahl und Verhängung von Maßnahmen ist eine individuelle Gefahrprognose. In

erster Linie kommt es auf die Gefahr an, die durch künftige Taten für andere besteht, daneben muß aber auch die eigene Gefährdung des Täters durch soziale Restriktionen berücksichtigt werden. Letzteres gilt besonders für junge Täter, die noch in einer stärkeren psycho-sozialen Entwicklung begriffen sind. Ihre Rechtfertigung finden Maßnahmen in der Wirksamkeit, mit der sie künftiges sozial schädliches Verhalten verhindern. Diese Wirksamkeit hängt entscheidend davon ab, welche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und in welchem Ausmaß diese zur Rückfallprophylaxe geeignet erscheinen. Die Erprobung und Entwicklung erfolgversprechender Behandlungskonzepte stellt deshalb die zentrale kriminalpolitische Aufgabe im Bereich des Maßnahmerechts dar. Strafen und Maßnahmen sind zwar vom Ansatz her klar voneinander unterschieden, jedoch gibt es im Hinblick auf die konkrete gesetzliche Ausgestaltung und die Auswirkungen beachtliche Überschneidungen. Das verdeutlicht ein Blick in den Bereich des Freiheitsentzuges: Längerfristige Freiheitsstrafen bewirken eine Sicherung des Täters und machen nicht selten sichernde Maßnahmen überflüssig. Zugleich gebietet das Sozialstaatsprinzip, über eine bloße Verwahrung hinauszugelangen und soziales Training oder Sozialtherapie zu ermöglichen (vgl. § 3 Abs. 3 StVollzG). Maßnahmen, die durchweg die Handlungsfreiheit einschränken, werden, gerade wenn sie die Bewegungsfreiheit tangieren, als Übel empfunden, und zwar nicht nur vom Betroffenen, sondern auch von der Allgemeinheit. Eine abschreckende Wirkung kommt deswegen nicht nur den Strafen zu. Wir finden den Abschrekkungseffekt auch in der gesetzlichen Regelung wieder, wenn etwa bei ausgesetzter Maßregel mit deren Vollstreckung „gedroht" wird (vgl. § 67 b StGB). Umgekehrt verlangt jede Form des sozialen Lernens, den Probanden als verantwortlich handelnde Persönlichkeit anzusprechen, so daß von einer besonderen Objektstellung des Probanden im Maßnahmerecht nicht gesprochen werden kann. Strafen und Maßnahmen sind beide Instrumente der institutionellen sozialen Kontrolle, die sich nur darin unterscheiden, wie Prävention erreicht werden soll. Ihr durchaus zweischneidiger Charakter ist durch die jüngere Kriminologie zu Recht hervorgehoben worden: Der Kontakt mit Institutionen des Kriminalrechts wirkt nicht ohne weiteres präventiv, sondern kann zugleich auch zur „kriminellen Infektion", zur Stigmatisierung, sozialen Degradierung und letztendlich durch Chancenbeschneidung und Identitätswandel zu „kriminellen Karrieren" führen. Aus dem Grunde gehört zu einem präventiven kriminalrechtlichen System ein Subsystem der Differenzierung und Feinsteuerung bis hin zur Nonintervention, mit dessen Hilfe das Übel der Strafe und ebenso jegliche Form von Behandlung genauer dosiert und strafende, sichernde und resozialisierende Momente aufeinander abgestimmt werden

Strafaussetzung zur Bewährung können. So gesehen erscheinen Strategien, die die Verhängung, die Vollstreckung oder den Vollzug von Strafen oder Maßnahmen zu vermeiden und das Übel ihres Erleidens durch besondere Drohungen mit dem Übel zu ersetzen suchen, als präventive „Maßnahmen". Das gilt erst recht, soweit ein Minus an Ahndung oder Internierung von einem Angebot an ambulanten Hilfen und von Kontrollen aufgefangen wird.

2. Präventive

Strategien

des

Kriminalrechts

Bestrafung und Prävention sind insofern gegenläufig, als eine Übelszufügung (vor allem durch Freiheitsentzug) notwendig entwurzelnde, aussondernde und diskriminierende Auswirkungen zeitigt, während Individualprävention eine gesellschaftliche Eingliederung mit beinhaltet. Das Kriminalrecht versucht deshalb unter möglichster Aufrechterhaltung der Drohungen mit dem Übel, die unerwünschten Folgen der Übelszufügungen zu vermeiden oder abzuschwächen. Die Instrumente, mit denen die Rücknahme der Konsequenzen aus den Strafdrohungen bewerkstelligt wird, setzen an verschiedenen Stationen des Kriminalisierungsprozesses an und sind teils verfahrensrechtlicher, teils materiellrechtlicher Natur. Die Verfolgung und Weiterverfolgung bestimmter Delikte ist an das Erfordernis eines Strafantrags des/der Antragsberechtigten gekoppelt, in zahlreichen Fällen kann das Ermittlungsverfahren von den Strafverfolgungsbehörden eingestellt werden, insbesondere, wenn sich eine anderweitige Lösung des sozialen Konflikts abzeichnet (etwa durch Maßnahmen des Jugendhilferechts, vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 JGG, oder dadurch, daß der durch die Tat angerichtete Schaden wiedergutgemacht wird, vgl. § 153 a Abs. 1 Nr. 1 und 4 StPO). Auch ohne Einstellung des Verfahrens werden stigmatisierende Wirkungen durch massenweise Erledigung in Bußgeldverfahren (Bußgeldbescheid s. §§ 47, 65, 66 OWiG) oder im Strafbefehlsverfahren (s. §§ 407ff. StPO), also ohne mündliche Hauptverhandlung, vermieden oder erheblich reduziert. Kommt es zur Hauptverhandlung, ist - abgesehen von der Verfahrenseinstellung - unter allerdings recht einschränkenden Voraussetzungen die Möglichkeit eröffnet, es beim Schuldspruch zu belassen. Entweder wird auf Strafe endgültig verzichtet (so im Falle des § 60 StGB), oder es wird die Verhängung einer noch zu bemessenden oder schon festgesetzten Strafe zur Bewährung ausgesetzt (vgl. § 27 JGG: Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe, § 59 StGB: Verwarnung mit Strafvorbehaltbei der Geldstrafe). Eine nach Schuldgesichtspunkten verwirkte kurzfristige Freiheitsstrafe darf nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur „Verteidigung der Rechtsordnung", verhängt werden (s. §47 StGB). Die Lücke füllt die in ihrer Bedeutung stark

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gestiegene Geldstrafe. Verhängt das Gericht Freiheitsstrafe, so bedeutet das nicht einmal im Regelfall vollstreckbare Freiheitsstrafe. Vielmehr muß die Vollstreckung von Freiheitsstrafen, wie im folgenden noch des näheren darzulegen sein wird (s. I Β 3), in beträchtlichem Umfang zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bezieht sich wegen der Verpflichtung bzw. Möglichkeit zur Reststrafenaussetzung nur ausnahmsweise auf die gesamte Strafdauer. Um diese Einschränkungen des Vollzugs der Freiheitsstrafe voll zu erfassen, sind außerdem die vollzugsrechtlichen Bestimmungen heranzuziehen, die erhebliche Einschränkungen des Freiheitsentzuges vorsehen (offener Vollzug, Vollzugslockerungen: Urlaub, Sonderurlaub zur Entlassungsvorbereitung usw.). Der Verzicht auf die Konsequenzen der Straffälligkeit, der natürlich neben den präventiven Gesichtspunkten nicht zuletzt auch aus ökonomischen Erwägungen heraus erfolgt, läßt sich teilweise nur vor dem Hintergrund kriminalrechtlicher Surrogate durchführen, die das entstehende Vakuum gleichsam auffüllen können. Das geschieht einmal durch eine deutliche Verwarnung gegenüber dem Täter. Es soll verhindert werden, daß die Nachsicht als Schwäche mißverstanden wird. Verwarnung im hier verstandenen Sinne ist kein terminus technicus, sondern ein übergeordneter Begriff. Er bezieht sich auf zwei Botschaften, die dem Verwarnten in recht unterschiedlicher Weise übermittelt werden: 1. Sein Verhalten wird mißbilligt. 2. Bei Wiederholungen und anderem unerwünschten Verhalten ist es mit der Nachsicht oder Großzügigkeit vorbei. Beide Mitteilungen erfolgen mit geringerem oder stärkerem Nachdruck, die Skala reicht von rein verbalen Äußerungen bis hin zu einem empfindlichen Eingriff ins Vermögen (einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen, vgl. § 153a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Das Gesetz sieht auch unterschiedliche Grade der Formalisierung vor, es gibt die formlose mündliche Verwarnung durch die Strafverfolgungsbehörden ebenso wie die an bestimmte Formulierungen geknüpfte schriftliche Verwarnung im Urteil (s. § 59 Abs. 1 StGB). Dem Einsatz derartiger Verwarnungen liegen folgende Erwartungen zugrunde: Einmal geht man davon aus, der Täter könne „hören", brauche deshalb nicht (zumindest nicht gänzlich) zu „fühlen", zum anderen wird die in der Verwarnung enthaltene Mißbilligung selbst schon als eine gewisse Ahndung angesehen, die (zumindest vorerst) weitere Konsequenzen entbehrlich macht. Das bedeutsamste Instrument, mit dessen Hilfe die Zurückdrängung des unliebsamen Freiheitsentzuges überhaupt erst möglich wurde und möglich ist, ist die Gesamtheit der ambulanten sozialen Dienste (Gerichtshilfe, Betreuungseinrichtungen der Freien Träger usw.). Diese Dienste haben indessen nie die Bedeutung erlangt, die die Bewährungshilfe derzeit besitzt. Der Siegeszug der Be-

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währungshilfe und ihre gegenwärtige Überbeanspruchung folgen aus der allgemeinen Erkenntnis, daß kriminalrechtliche Strategien, die den Täter in seinen sozialen Bezügen belassen, vor der stationären Unterbringung der Vorrang gebührt. Diese Grundentscheidung für die ambulante Behandlung, die auf das Ausbleiben durchgreifender Erfolge stationärer Behandlungsprogramme ebenso wie auf die immense Kostenlast behandlungsintensiver stationärer Einrichtungen zurückzuführen ist, gilt für alle Bereiche der sozialen Kontrolle und der sozialen Hilfe gleichermaßen. Das System der stationären Maßregeln des Erwachsenenstrafrechts ist deswegen durch die Strafrechtsreform im Sinne einer Öffnung zur ambulanten Behandlung modifiziert worden: Auch die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt kann wie die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden (vgl. § 67b StGB). Die Bewährungshilfe wird insoweit durch das neu geschaffene Institut der Führungsaufsicht bewerkstelligt, bei der eine Aufsichtsstelle zusammen mit einem Bewährungshelfer die Überwachung und Betreuung übernimmt (s. § 68 a StGB). Die Entwicklung zur ambulanten Behandlung läßt sich bis hin zum polizeilichen Unterbringungsrecht der Länder zurückverfolgen; entsprechend den LeitVorstellungen einer gemeindenahen Psychiatrie ist man bestrebt, den stationären Krankenhausaufenthalt und hospitalisierende Einflüsse durch ein Netz differenzierter psychiatrischer Dienste zu vermeiden (vgl. PsychKG von NRW und Hamburg). Die kriminalpolitischen Auswirkungen dieser Entwicklung erschöpfen sich nicht in der Verdrängung des Freiheitsentzugs, sie werden vor allem in einer Hinwendung zu Maßnahmestrategien sichtbar, die den Mechanismus der schlichten Bestrafung zusehends überlagern. Der Bewährungshelfer hat in erster Linie die Aufgabe, die sozialen Partizipationsmöglichkeiten seines Probanden auszubauen und zu vermehren, ihm bessere als die kriminalisierten Verhaltensmuster zu vermitteln. Die mehr oder minder abgeschwächte prognostische Erwartung der „Bewährung", die einer Verhängungsoder Vollstreckungsaussetzung vorausgeht, beinhaltet zugleich mit die positiven Folgen, die die Bewährungshilfe nach sich ziehen soll (vgl. § 56 Abs. 1 S. 2 StGB, § 21 Abs. 1 S. 1 JGG). Bewährungshilfe bedeutet mithin nicht lediglich die Kontrolle eines prognostisch noch hoffnungsvoll beurteilten Täters, sondern vor allem auch, diese Prognose durch unterstützende Hilfestellungen günstig zu beeinflussen. Die Einschaltung der Bewährungshilfe wirkt sich nicht lediglich auf die ambulante Phase der Strafaussetzung aus, sondern darüber hinaus auch auf den gesamten Prozeß der Sanktionierung. Erfolgt ein Widerruf und im Anschluß daran der Vollzug der Freiheitsentziehung, erscheint letzterer nicht

lediglich als ein Übergang zur Bestrafung. Der Vollzug bedeutet vielmehr auch eine Fortsetzung der Behandlung im stationären Wege, er ist ein Glied in einer Kette aufeinander bezogener ambulanter und stationärer Maßnahmen. Das wird besonders am Institut der Reststrafenaussetzung deutlich, wenn der Vollzug der Freiheitsstrafe nicht zu Ende geführt und wiederum eine ambulante Bewährungsphase angeschlossen wird. Ferner muß in diesem Zusammenhang der Grundsatz des Vikariierens (§ 67 StGB: Vollzug der Maßregel vor der Strafe mit Anrechnung auf die Strafe) erwähnt werden. Bei einer Aussetzung des Maßregelvollzuges und des Vollzuges einer daneben verhängten Freiheitsstrafe wird im Falle des Widerrufs die besondere spezialpräventiv-behandlungsorientierte Maßregel vorweg und „auf Kosten" der Freiheitsstrafe vollzogen. Freilich können Maßnahme- und Strafkomponenten wegen deren unterschiedlicher Bezugssysteme nicht zur gänzlichen Deckung gebracht werden. Der Strafrahmen, den ein Tatschuldstrafrecht liefert, ist für die präventive Maßnahmekomponente nicht immer passend. Friktionen gibt es vor allem bei der Annahme großer Tatschuld. Ist die Tatschuld gering oder gar nicht vorhanden, besteht für den Gesetzgeber die Möglichkeit, eine Lücke im präventiven Gesamtsystem durch Maßnahmen zu schließen, die entweder neben eine Strafe treten oder eine Bestrafung obsolet machen. Erforderlich ist insoweit immer und nur, daß der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt, wonach die Maßnahme nicht zum Anlaß der Tat(en) und der künftigen Gefahren, die vom Täter ausgehen, außer Verhältnis stehen darf (vgl. § 62 StGB). Geht man indessen von großer Tatschuld aus, muß das in einem kriminalrechtlichen System, das sich - auch - als Tatschuldstrafrecht versteht, zu einer entsprechenden Ahndung führen. Eine Überlagerung langer Freiheitsstrafen durch das Institut der Vollstreckungsaussetzung kommt kaum in Betracht, weil sonst der Gesichtspunkt der vergeltenden Übelszufügung aufgehoben würde und es zudem unvertretbar erscheint, die Vollstreckung vieljähriger Freiheitsstrafen von vergleichsweise geringfügigen Widerrufstatbeständen abhängig zu machen. Das geltende kriminalrechtliche System verwendet die präventiven Strategien des Schuldstrafrechts und des Maßnahmerechts meist nicht „rein" und alternativ, sondern sieht in weiten Bereichen Mischformen vor. Die Gesichtspunkte der Schuldvergeltung und der präventiven Behandlung werden auf verschiedenen Ebenen und in einer bestimmten Reihenfolge der Prioritäten beim Vorgang der Rechtsfolgenbestimmung berücksichtigt. Bei der Bemessung der Freiheitsstrafe des Erwachsenenstrafrechts wird zunächst der konkrete Schuldrahmen für die begangene Tat abgesteckt. Innerhalb dieses Rahmens verbleibt nach herr-

Strafaussetzung zur Bewährung sehender Auffassung ein Spielraum für die Verfolgung besonderer präventiver Zwecke. Unter diesen Zwecken ist der der präventiven Behandlung nur einer, der freilich dem Sicherungszweck vorgeht. Die elementare Entscheidung, ob eine Strafaussetzung erfolgen soll, ist an den gesetzlichen Rahmen für die aussetzbare Freiheitsstrafe und den konkreten Schuldrahmen gebunden, darüber hinaus auch noch an die besonderen präventiven Überlegungen, die zur Bemessung der Zeitspanne innerhalb des konkreten Schuldrahmens angestellt wurden. Dadurch reichen die Antinomien über den notwendigen Gegensatz von Strafe und Maßnahme hinaus. Besondere präventive Erwägungen zur zeitlichen Befristung der zu verhängenden Freiheitsstrafe hängen bei Ausklammerung der Aussetzungsfrage gleichsam „in der Luft". Kommt es zum Vollzug einer ausgesetzten Strafe, wird die Vollzugsdauer vom Behandlungsgesichtspunkt aus betrachtet kaum ideal bemessen, weil sie sich an der vergangenen Tatschuld (unter Anrechnung eventuell erlittener Untersuchungshaft) ausrichtet und die präventiven Erwägungen, die seinerzeit das Strafmaß mitbestimmt hatten, durch nachträgliche Ereignisse (beispielsweise zeitlich veränderte Ausbildungsangebote im Vollzug) hinfällig geworden sein können. Von diesen Mängeln bleibt auch das Jugendkriminalrecht nicht ganz verschont. Zwar ist die Jugendstrafe so zu bemessen, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist (s. § 18 Abs. 2 JGG), aber auch bei der aussetzbaren Jugendstrafe erfolgt die Befristung schon bei der Verhängung.

B. Strafaussetzung zur Bewährung, Bewährungshilfe und Führungsaufsicht als Instrumente der Spezialprävention 1. Die Entwicklung der Strafaussetzung zur Bewährung von der gnadenweisen Haftverschonung zu einer eigenständigen ambulanten Behandlungsmaßnahme Das Rechtsinstitut der Strafaussetzung zur Bewährung, so wie es in seinen gegenwärtigen Ausgestaltungen im Erwachsenenstrafrecht und im Jugendkriminalrecht in Erscheinung tritt, hat sich im Laufe einer langjährigen geschichtlichen Entwicklung herausgebildet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die kriminalpolitische Zielvorstellung, bei den als besonders verhängnisvoll angesehenen kurzfristigen Freiheitsstrafen vom Vollzug nach Möglichkeit abzusehen. Eine solche Möglichkeit wurde für gegeben erachtet, wenn zu hoffen war, daß der Straftäter schon aufgrund der gerichtlichen Tatfeststellung und unter der Drohung, bei weiteren Taten eine Freiheitsstrafe verbüßen zu müssen, vom Rückfall abgehalten werden konnte. Zur Verwirklichung dieser

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Strategie bildeten sich im angelsächsischen und im kontinentaleuropäischen Rechtskreis zwei unterschiedliche Verfahrensweisen heraus, die für die künftige Entwicklung - auch in Deutschland - wegweisend wurden: die Verhängungsaussetzung (Probation-System) und die Vollstreckungsaussetzung (Sursis). Bei der Verhängungsaussetzung wird nach dem Schuldspruch (conviction) der gerichtliche Strafausspruch (sentence) für eine bestimmte Zeitspanne zur Bewährung ausgesetzt. Im Falle der Bewährung unterbleibt die Verurteilung, andernfalls wird das Verfahren wieder aufgenommen und mit dem Strafausspruch und seiner Vollstreckung abgeschlossen. Bei der Vollstreckungsaussetzung setzt der Richter die Freiheitsstrafe schon vor Beginn der Bewährungszeit fest, aber es unterbleibt zunächst die Vollstreckung dieser Strafe. Bewährt sich der Verurteilte, wird die Strafe erlassen, bewährt er sich nicht, wird die Strafaussetzung widerrufen und die im Urteil festgesetzte Strafe vollstreckt. Etwa seit der Jahrhundertwende praktizierte man in Deutschland in größerem Umfang das Modell der Vollstreckungsaussetzung. Dabei wurde die Aussetzung der gerichtlich verhängten Freiheitsstrafe als Gnadenakt verstanden, der das Urteil abmildert. Justizverwaltungsvorschriften der Bundesstaaten (später: Länder) enthielten gewisse materielle Voraussetzungen für diese Begnadigung und zugleich auch einige Verfahrensvorschriften (Antragsrecht, Beschwerde u. ä.). Sie delegierten die Befugnis zu diesem besonderen Gnadenakt an unterschiedliche Behörden, teils an den Landesjustizminister, teils an die leitenden Beamten der Staatsanwaltschaften, vereinzelt für Bagatellstrafsachen auch an die Amtsgerichte. Während der NSZeit wurde die Justiz aus der Zuständigkeit der Länder in die des Reiches überführt. Der Reichsjustizminister erließ 1935 eine Gnadenordnung, die einen besonderen Abschnitt „Bedingte Strafaussetzung" enthielt. Darin wurden die Gnadenbehörden, meist die Staatsanwaltschaften, ermächtigt, die Vollstreckung von Freiheitsstrafen von nicht mehr als 6 Monaten Dauer ganz oder teilweise für eine Bewährungsfrist auszusetzen. Die Aussetzung konnte mit Geldbußen und Bewährungsauflagen verbunden werden. Während der Bewährungszeit unterstanden die bedingt Begnadigten der Überwachung durch die Justizbehörden. Diese Reichsgnadenordnung galt auch nach dem Zusammenbruch 1945 in den einzelnen Bundesländern, denen nach dem Grundgesetz die Gnadenhoheit zusteht, fort, bis das jeweilige Bundesland sie durch eine eigene Gnadenordnung ersetzte. Am bekanntesten ist die Gnadenordnung des Landes Nordrhein-Westfalen von 1951 geworden. Gesetzlich normiert war die Strafaussetzung „auf Probe" lediglich für das Jugendrecht (durch das JGG von 1923). Diese Regelung, die immerhin schon den Richter mit der Strafaussetzung betraute,

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enthielt allerdings noch schwerwiegende Lücken. So wurde insbesondere nicht festgelegt, unter welchen genaueren Voraussetzungen die Strafe ausgesetzt werden sollte. Da ferner keine Betreuung der jungen Täter sichergestellt war, blieben sie sich in ihrer schwierigen Situation meist selbst überlassen. Derartige Mißstände machten es den Nationalsozialisten leicht, im RJGG von 1943 die Strafaussetzung als „unpädagogische Politik des als ob" wieder abzuschaffen. Ein entscheidender Schritt von der bloßen Haftverschonung und Überwachung zu einer eigenständigen kriminalrechtlichen Reaktionsform mit spezialpräventiver Ausrichtung erfolgte im Jahre 1953, als die Vollstreckungsaussetzung für das Erwachsenenstraf- und das Jugendkriminalrecht erstmals gesetzlich näher geregelt und einheitlich den Kriminalgerichten übertragen wurde. Es entsprach den Grundsätzen der neuen Verfassung, den Gerichten als Repräsentanten der rechtsprechenden Gewalt die Bestimmung der Rechtsfolgen vollständig zu übertragen. Die Aussetzungsentscheidungen konnten nicht mehr als singuläre Gnadenakte begriffen werden, nachdem sie in einer Vielzahl von Fällen aus kriminalpolitischen Erwägungen heraus getroffen wurden. Unter dem Gesichtspunkt der Gewaltentrennung erschien es unerträglich, daß von der jeweiligen parteipolitischen Linie abhängige Verwaltungsbehörden richterliche Urteile de facto zum Teil grundlegend abänderten. Rechtsstaatliche Grundsätze verlangten außerdem, eine so bedeutsame Materie wie die Strafaussetzung gesetzlich und nicht nur durch Verwaltungsvorschriften zu normieren. Die Gnadenbehörden sind seither darauf beschränkt, wie auch sonst in Einzelfällen richterliche Urteile abzumildern, wenn die gesetzlichen Bedingungen aus individuellen und situativen Gründen zu besonderen, wenig angemessenen Härten führen. Diese korrektive Funktion der Gnadenbehörden hat mit der schrittweisen Ausdehnung der Aussetzungsmöglichkeiten und -geböte im Laufe der weiteren Entwicklung an Bedeutung verloren. Im Rahmen der gesetzgeberischen Bemühungen wurde zugleich deutlich, daß das Institut der Strafaussetzung durch ambulante Hilfen komplettiert und erweitert werden mußte. Nach dem Vorbild der angelsächsischen Länder führte man den Bewährungshelfer ein, der entsprechend den Aufgaben des probation officers und des parole officers sowohl bei anfänglicher Strafaussetzung als auch bei einer Reststrafenaussetzung dem Probanden helfen sollte, mit den persönlichen Belastungen, gerade auch aus der Straftat und Verurteilung, besser fertig zu werden. Es hatte sich herausgestellt, daß eine förmliche Überwachung angesichts der massiven und vielseitigen Schwierigkeiten der Probanden zur Rückfall Verhütung nicht ausreichte. Diese gesetzliche Einführung der Sozialarbeit aktualisierte das im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsprinzip.

Der Gesetzgeber des Jahres 1953 betrachtete die Neuregelung der Strafaussetzung und der Bewährungshilfe als einen vorläufigen Versuch. Der Anwendungsbereich der Strafaussetzung wurde recht vorsichtig abgesteckt. Die Vollstreckungsaussetzung war in das Ermessen des Richters gestellt und konnte im Erwachsenenstrafrecht nur bei einer Gefängnis· oder Einschließungsstrafe von nicht mehr als neun Monaten oder bei einer Haftstrafe vorgenommen werden; sie schied aus, falls dem Verurteilten in den letzten fünf Jahren vor Begehung der Tat(en) schon einmal die Strafaussetzung gewährt oder er innerhalb dieser erheblichen Zeitspanne zu Freiheitsstrafe(n) von insgesamt mehr als 6 Monaten verurteilt worden war. Im Jugendrecht wurde die Aussetzung einer bestimmten Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr zugelassen. Besonders hervorzuheben ist, daß im Jugendkriminalrecht die Bestellung eines in der Regel hauptamtlichen Bewährungshelfers verpflichtend vorgeschrieben wurde, und zwar für alle Aussetzungsentscheidungen. Im Jugendkriminalrecht schuf man neben der Vollstreckungsaussetzung zugleich die Möglichkeit auch der Verhängungsaussetzung. Allerdings wurde hier der Anwendungsbereich auf bestimmte diagnostisch unklare Fälle noch wesentlich stärker eingeschränkt. Dennoch hatte man mit diesem Modell den Gedanken einer eigenständigen intensiven ambulanten Behandlung erstmalig gesetzlich fixiert: Der Proband wird nach der Feststellung der schuldhaften Tat noch nicht mit einer Freiheitsstrafe belegt, sondern obligatorisch einem Bewährungshelfer unterstellt; und nur, wenn die ambulante Behandlung scheitert, wird eine Jugendstrafe festgesetzt und auch vollstreckt. In jüngster Zeit ist der Gedanke der Vollstrekkungsaussetzung und der Bewährungshilfe durch das Betäubungsmittelgesetz (1981) und durch Reformbestrebungen im Jugendrecht belebt worden (Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Jugendstrafvollzuges und zur Eingliederung junger Straffälliger - 1980). § 35 BtMG sieht ein neues Rechtsinstitut der Zurückstellung der Strafvollstreckung vor, das die Möglichkeit der Vollstreckungsaussetzung für Rauschmittelsüchtige erheblich ausdehnt. Bei Tätern mit Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren kann die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zurückgestellt werden, wenn sich der Verurteilte einer entwöhnenden Behandlung unterzieht und deren Beginn sichergestellt ist. Die Zurückstellung wird widerrufen, falls die Behandlung nicht begonnen oder abgebrochen wird. Trotz Widerrufs kann unter den vorgenannten Voraussetzungen eine erneute Zurückstellung der Vollstreckung erfolgen. Gelingt die Behandlung, wird die Zeit eines Aufenthalts in einer freiheitsbeschränkenden Rehabilitationseinrichtung auf die Strafe angerechnet, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

Strafaussetzung zur Bewährung Das Gericht setzt dann den Strafrest zur Bewährung aus. Erfolgte die Behandlung in freieren Formen, setzt das Gericht ebenfalls die Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder eines Strafrestes zur Bewährung aus, sobald verantwortet werden kann zu erproben, ob der Verurteilte keine Straftaten mehr begehen wird (vgl. § 36 BtMG). Bei Verurteilung zu Jugendstrafe gelten die §§ 35 und 36 BtMG sinngemäß (s. § 38 BtMG). Bei den skizzierten Regelungen erscheint es besonders bemerkenswert, daß die Zurückstellung der Strafvollstreckung generell auf Freiheitsstrafen bis zu einer Dauer von zwei Jahren Anwendung finden kann und daß ferner zunächst von dem Erfordernis der positiven Kriminalprognose abgesehen wird. Freilich ist die Anwendung des Instituts der Zurückstellung der Strafvollstreckung in das Ermessen der Vollstreckungsbehörden gestellt. Sie bedarf der Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges. Durch die Behandlung des Drogensüchtigen sollen die Voraussetzungen für die Strafaussetzung erst geschaffen werden, für die dann jedoch die relativ bescheidene Klausel von der Verantwortbarkeit einer Erprobung maßgeblich ist. Abgesehen von den Weiterungen der Vollstrekkungsaussetzung eröffnet das Gesetz Freiräume für alternative Konfliktlösungen, in die Behandlungsstrategien nichtstaatlicher Institutionen einbezogen werden. Das Gesetz ist auch ein Ausdruck dessen, daß Reaktionen auf Straffälligkeit vermehrt aus dem Monopol des Staates auf andere gemeinnützige Träger verlagert werden. Eine größere Reaktionsbeweglichkeit strebt ebenso § 89 b JGG in der Fassung des Arbeitsentwurfs an. Zur Vermeidung des Strafvollzuges an sehr jungen Tätern sieht diese Bestimmung folgendes vor: Bei Jugendlichen, die vor Vollendung des 16. Lebensjahres zu vollstreckbarer Jugendstrafe verurteilt worden sind, setzt der Vollstreckungsleiter (Jugendrichter) die Vollstreckung aus und ordnet als Surrogat die Unterbringung in einem Erziehungsheim an, wenn zu erwarten ist, daß dort die Erziehung des Jugendlichen besser gefördert werden kann. Die Unterbringungszeit wird auf die Jugendstrafe angerechnet. Entzieht sich der Jugendliche beharrlich der Betreuung in dem Erziehungsheim, wird die Unterbringung aufgehoben und die Aussetzung widerrufen. Der Vollstrekkungsleiter kann aber von einem Widerruf der Strafaussetzung absehen und eine Unterbringung in einer anderen - besser geeigneten - Einrichtung anordnen. Die Unterbringung wird vor Ablauf der Strafzeit aufgehoben, sowie die Voraussetzungen für eine Restaussetzung der Jugendstrafe gegeben sind. Kommt eine Aufhebung noch bei Vollendung des 18. Lebensjahres nicht in Betracht, erfolgt eine Überführung in den Jugendstrafvollzug. Dieser Gesetzesentwurf, der noch nicht geltendes Recht ist, sieht das Erziehungsheim als vorzugswürdige Alternative gegenüber der Vollzugsanstalt an und erwei-

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tert damit zugleich den Grundgedanken der §§ 71 Abs. 2 und 72 Abs. 3 JGG. Der Arbeitsentwurf übernimmt außerdem eine wesentliche Anregung der Jugendstrafvollzugskommission (1979/80) zur durchgehenden Betreuung vonseiten der Bewährungshilfe. Die Bestellung des Bewährungshelfers erlischt danach nicht mit dem Widerruf der Strafaussetzung; die Bewährungshilfe bleibt auch während der Vollzugsdauer neben der Vollzugsanstalt zur Erziehung verpflichtet. Gemäß § 91 b JGG i. d. Fassung des Arbeitsentwurfs veranlaßt der Bewährungshelfer die begleitenden Maßnahmen und notwendigen Hilfen zur Vorbereitung der Entlassung am Wohnsitz des Verurteilten. Auch im Falle einer anfänglich vollstreckbaren Jugendstrafe wird ein Bewährungshelfer spätestens drei Monate vor dem frühestmöglichen Zeitpunkt einer Restaussetzung, s. § 89 a Abs. 1 J G G in der Entwurfsfassung, bestellt. Abs. 3 dieser Vorschrift sieht darüber hinaus eine freiwillige Bewährungshilfe - ohne Kontrollfunktionen - bei Vollverbüßern vor, die nicht schon der Führungsaufsicht unterstehen. Mit dieser gleichfalls noch nicht geltenden Regelung dokumentiert der Gesetzgeber ein gewandeltes Verständnis von Bewährungshilfe. Bewährungshilfe bleibt nicht auf „Ausfallzeiten" beschränkt und an ein bestimmtes Institut der Vollstreckungsaussetzung gebunden, sondern ist als eine zentrale ambulante Betreuungsinstitution zu werten, die als eine Art Kontakt- und Koordinierungsstelle verschiedenartige Maßnahmen, Interventionen und Angebote vermittelt und verbindet. Versucht man, die künftige Entwicklung abzuschätzen, kann das nur gelingen, soweit Strafaussetzung, Bewährungshilfe und Führungsaufsicht im Zusammenhang der Entwicklung des gesamten Sanktionssystems gesehen werden. Als Institute der Spezialprävention hängt ihr weiteres Schicksal entscheidend davon ab, inwieweit sich das kriminalrechtliche Reaktionensystem in Richtung der Spezialprävention fortbildet. Entsprechendes wird zwar häufig propagiert, es dürfte indessen zu einseitig und verzerrend sein, wollte man die Entwicklung des Strafrechts allein als eine Entwicklung zu mehr Spezialprävention begreifen. Die Behandlungseuphorie der 60er Jahre - Treatment, Training, Therapie - ist bekanntlich verflogen. Dieser Umschwung dürfte keinesfalls nur auf einer Vernachlässigung methodisch befriedigender Effizienznachweise beruhen. Auch unser heutiges Verständnis von Kriminalität ist zu differenziert, als daß im engeren Sinne behandelnde spezialpräventive Interventionen noch als allseits empfehlenswerte Kontrollstrategien erscheinen könnten. Stärker als in der Vergangenheit wirkt sich empirische kriminologische Forschung auf die Rechtssetzung aus. Das gilt vor allem für den Bereich der Sanktionsforschung, aber auch für andere Bereiche kriminologischer Forschung. Der Ansatz des Labeling approach hat unter anderem gegenüber jegli-

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chen Formen von Stigmatisierung sensibilisiert. Die Dunkelfeldforschung, die an die Frage der Ubiquität von Kriminalität anknüpft, vermochte nachzuweisen, daß bestimmte Delikte nur in geringem Umfang bekannt und verfolgt werden. Gestützt werden dadurch teilweise Forderungen der Nonintervention, auch um eine größere Gleichheit im Unrecht zu erreichen. Praktisch bedeutsamer ist der noch im Wachsen befindliche Ansatz der Diversion, der auf eine Ablenkung vom förmlichen justiziellen Verfahren unter Zuhilfenahme alternativer und privatisierter Konfliktlösungsangebote abzielt. Die teilweise Nähe dieses Grundgedankens zur Strafaussetzung und zur Bewährungshilfe ist evident. Auf der anderen Seite bedingen derartige Veränderungen auch Veränderungen der Bewährungshilfe. Eine RückVerlagerung des Umgangs mit Straffälligen von speziellen und totalen Institutionen in die Gemeinde, Formen gemeindenaher ambulanter Betreuung und Kontrolle (community based programs), die auf allgemeine Arbeits-, Freizeit· und Wohnangebote und den allgemeinen mitmenschlichen Kontakt zurückgreifen, lassen zugleich den Behandlungsexperten und Spezialisten für Straffällige fragwürdig und eher entbehrlich erscheinen. Neben der Zunahme vermittelnder und koordinierender Aufgaben steigt das Interesse am Nichtfachmann und ehrenamtlichen Helfer, der natürlich auch aus finanziellen Erwägungen eine verlockende Alternative darstellt. Beeinflußt wird die weitere Entwicklung des Instituts der Strafaussetzung ferner von einem anhaltenden linearen Trend zu weniger belastenden justizförmigen Eingriffen. Am unteren Ende der Stufenleiter geht es um vermehrte - auch qualifizierte Verfahrenseinstellungen und schon um die Vermeidung von Strafanzeigen. Am oberen Ende verschieben sich die Gewichte von der vollstreckbaren Freiheitsstrafe zur ausgesetzten Freiheitsstrafe, von der ausgesetzten Freiheitsstrafe zur Geldstrafe usf. Begünstigt wird diese Milderungstendenz von der verbreiteten These einer gewissen Austauschbarkeit der Sanktionen (ohne Effektivitätsverlust) und von der Annahme, daß individual- und generalpräventive Wirkungen in erster Linie von der Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung, weit weniger jedoch von deren genauerem Ausmaß bestimmt werden. Gesetzgeber und Rechtsprechung sind gegenwärtig aus welchen Beweggründen auch immer - in gewissem Umfang bereit, die Möglichkeiten zur Senkung des Belastungsgrades der Sanktionen auszuloten. Dabei werden Alternativen zum herkömmlichen Sanktionskatalog, die von Freien Verbänden der Justiz, hauptsächlich der Jugendkriminalrechtspflege, angeboten werden (beispielsweise über das „offene" Institut der kriminalrechtlichen Weisung), in erheblichem Maße aufgegriffen. Es wird sich noch erweisen müssen, inwieweit mithin die Praxis der Sanktionsanwendung auch „von außen" mitgesteuert zu werden vermag. Eine Verschiebung der ge-

samten Sanktionsstruktur in Richtung auf mildere Sanktionen hat für das Institut der Strafaussetzung und die Bewährungshilfe die Konsequenz, daß stärker belastete Probanden erfaßt und betroffen werden und damit die Anforderungen an die Bewährungshilfe eher steigen. Da das Institut der Strafaussetzung für die nähere Ausgestaltung der Bewährungszeit einen flexiblen Rahmen bietet, sind indessen Wege gangbar, um diesen künftigen Anforderungen gerecht werden zu können. Den Bewährungshelfern müssen allerdings ergänzende Dienste und Einrichtungen eröffnet werden (etwa zur Schuldenregulierung, zur beruflichen Förderung des Probanden, zum sozialen Training usw.), da sie sonst allein schon von ihrer Ausbildung her überfordert wären. Bislang hat sich die zunehmende Übernahme belasteter Probanden insgesamt positiv ausgewirkt. Jedenfalls ist ein Verlust an Sicherheit und ein Weniger an Rechtsgüterschutz nicht beklagt worden. Einzelne Evaluationsstudien belegen zudem, daß sich Probanden, die gar nicht oder weniger inhaftiert waren, gegenüber vergleichbaren anderen, ebenfalls unter Bewährungsaufsicht gestellten, besser bewähren. Derartige ermutigende Anzeichen werfen zugleich ein neues Licht auf das statistische Prognoseinstrumentarium, das dieser Entwicklung wegen zu schlechter Prognosen eher hinderlich sein könnte. Freilich werden statistische Prognoseverfahren bis zum heutigen Tage in der forensischen Praxis so gut wie nicht verwendet. Die Justiz zeigt hier vorwiegend große Zurückhaltung und auch Unsicherheit. Die höchstrichterlichen Entscheidungen äußern sich zu prognostischen Erwägungen des Tatrichters meist nur recht abstraktformelhaft. Entscheidend für den Bewährungsverlauf ist vor allem die soziale Situation des Probanden in den ersten Monaten der Bewährungszeit (Arbeit, geordnete finanzielle Verhältnisse, feste Partnerbeziehung usw.). Die künftige Entwicklung der Sanktionspraxis wird zusehends stärker vom internationalen Meinungs- und Erfahrungsaustausch beeinflußt werden. Im Ausland sind Versuche zu einer Verbesserung der Bewährungsverfahren vor allem in folgenden Hinsichten unternommen worden: ambulante Behandlung nach einer einleitenden Kurzinhaftierung (shock probation); Intensivierung der Bewährungshilfe (Differenzierung, geringere Fallzahl der Probanden, intensivierter Kontakt mit dem Bewährungshelfer); verstärkter Einsatz ehrenamtlicher Bewährungshelfer (frühere Straffällige - Ex-Offenders - Personen aus der sozialen Umgebung des Probanden, Studenten) und vorzeitige Einschaltung des Bewährungshelfers gleich nach der Ergreifung des Täters (Bewachung und Betreuung zur Abwendung von Untersuchungshaft - Pretrial Intervention). Ein endgültiges Urteil über diese neuerlichen Ansätze wäre verfrüht. Immerhin läßt sich schon jetzt sagen, daß die Fortschritte, die dadurch er-

Strafaussetzung zur Bewährung reichbar erscheinen, insgesamt recht begrenzt sein dürften. Ein stationärer Einstieg über eine Kurzinhaftierung erscheint deswegen besonders problematisch, weil dadurch ein Arbeitsplatz des Probanden erheblich gefährdet wird. Positive Effekte wurden bisher kaum nachgewiesen. Die Senkung der Fallzahl führt nicht automatisch zu einer intensiveren Sozialarbeit mit dem Probanden, darüber hinaus wird bei vermehrten Kontakten und Kontrollen zugleich mehr Auffälliges entdeckt, das zu weiteren, letztlich nicht hilfreichen Interventionen Anlaß gibt. In gewissem Umfang scheinen ehrenamtliche, nicht professionelle Bewährungshelfer gleichwertige Arbeit zu leisten. Man kann jedoch nicht davon ausgehen, daß sie die professionellen Helfer schlichtweg ersetzen. Beim Einsatz von Studenten ergeben sich besondere Schwierigkeiten aus dem häufig kurzfristigen Engagement und auch aus der Distanz zur Lebenswelt vieler Probanden. Die Eindämmung der Untersuchungshaft und schnelle Einschaltung der Gerichtshilfe und der Bewährungshilfe sind zentrale Reformanliegen. Die praktische Problematik bei der Umsetzung eines solchen Konzepts besteht indessen darin, daß die Richter und Staatsanwälte von der Gleichwertigkeit einer ambulanten Kontrolle und deren Durchführbarkeit überzeugt werden müssen. Offenbar fehlt es weitgehend an alternativen Einrichtungen, die die Untersuchungshaft substituieren könnten.

2. Kriminalpolitische Zielsetzung und rechtliche Konstruktion der Strafaussetzung zur Bewährung Der vorläufige Verzicht auf die Realisierung des staatlichen Strafanspruchs (in Gestalt der Freiheitsstrafe) stellt einen Ausdruck des fragmentarischen Charakters des Strafrechts dar, dessen Eingriffsbereich und -intensität auf das zur Bewerkstelligung des Rechtsgüterschutzes Unerläßliche beschränkt bleiben muß. Soweit künftige Taten kaum zu erwarten sind, wird der Täter primär begünstigt und teilweise vor nachteiligen, ihrerseits kriminelle Gefährdungen hervorrufenden Folgen verschont. Ansonsten schöpft man die Chance aus, eine soziale Integration in Freiheit zu erreichen. Ihre Begrenzung findet die Strafaussetzung am spezial- und generalpräventiven Aspekt der Aufrechterhaltung normkonformen Verhaltens, an Sicherungserfordernissen und (seltener) an einer besonderen Notwendigkeit stationärer Behandlung. In der Einrichtung und Gewährung der Bewährungshilfe verwirklicht sich vorrangig das Sozialstaatsprinzip, das eine Förderung und Hilfe zur Selbsthilfe für den sozial gefährdeten Bürger verlangt. Gleichzeitig bedeutet Bewährungshilfe eine im Vergleich zum stationären Vollzug weniger einschneidende und humanere Form der sozialen Kontrolle.

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Die Bemühungen, diese kriminalpolitischen Inhalte in eine entsprechende rechtliche Konstruktion einzubringen und damit zu einem gleichförmigen rechtlichen Verständnis der Strafaussetzung zu gelangen, haben in der rechtswissenschaftlichen Diskussion zu kontroversen Lösungen geführt. Inzwischen besteht allerdings weitgehende Einigkeit darüber, daß die Strafaussetzung weder als eine besondere Art der Strafe noch als eine Maßregel eingeordnet werden kann. Ferner läßt sich ihre Rechtsnatur nicht als bloße Modifikation der Freiheitsstrafen-Vollstreckung begreifen. Während Vollstreckungsentscheidungen nicht in die Kompetenz des erkennenden Richters fallen, sondern das weitere Verfahren mit dem Urteil betreffen, gehört es zu den bahnbrechenden Errungenschaften der Rechtsentwicklung, die Aussetzungsentscheidung dem Richter im Urteil vorzubehalten (§§ 260 Abs. 4 S. 4 StPO, 57 Abs. 1 JGG), also als wesentlichen Bestandteil der richterlichen Rechtsfolgenbestimmung zu betrachten. Die Einheit der Entscheidung über die Strafaussetzung, die Bewährungsfrist, die Weisungen und Auflagen und über die Bestellung eines Bewährungshelfers wird im Erwachsenenstrafrecht durch 1 268 a Abs. 1 StPO besonders verdeutlicht, wonach der Bewährungsbeschluß, der die Ausgestaltung des Bewährungsverfahrens regelt, gleichzeitig mit dem auf Strafaussetzung lautenden Urteil zu verkünden ist. Das Jugendrecht sieht zwar die Möglichkeit eines nachträglichen Bewährungsbeschlusses vor, beläßt die Entscheidungen aber in der Hand des erkennenden Richters. Es handelt sich insoweit nicht um eine Abkehr vom Grundgedanken der Einheitlichkeit der Entscheidung, der im Jugendrecht sogar verstärkt gilt (vgl. a. § 31 Abs. 2 JGG), vielmehr um eine flexible Regelung, die noch zwischenzeitliche Erkundungen und Klärungen erlaubt. Die Einheit der verschiedenen Regelungen zeigt sich dem jungen Menschen schließlich bei der Erläuterung und Aushändigung des Bewährungsplans (s. § 60 JGG). In der rechtswissenschaftlichen Literatur ist die „Vollstreckungslösung" zunächst deswegen angegriffen worden, weil sie die Strafaussetzung in ihrer Bedeutung tendenziell abwerte. Erblickt man im Absehen von der Vollstreckung das maßgebliche Charakteristikum, liegen die Vorstellungen von einer ausnahmsweisen Regelung sowie von Milde und Gnade in der Tat nicht sehr fern. Die Ansicht von der Modifikation der Vollstrekkung vermag auch unter spezifisch rechtlichen Gesichtspunkten nicht zu befriedigen. Abgesehen von einer gewissen Unklarheit in den begrifflichen Konturen (was heißt hier Modifikation?) bleibt vor allem zu kritisieren, daß bei einer Aussetzungsentscheidung das wesentliche Moment nicht in einem Minus, dem vorläufigen Vollstreckungsverzieht, sondern in den Momenten zu suchen ist, die an die Stelle der anfänglichen Vollstreckbarkeit treten: Dieses „Plus" zu erfassen, ist die eigentliche Aufga-

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Strafaussetzung zur Bewährung

be. Gelegentlich ist auf die Vollstreckungsmodifikation abgestellt worden, um die rechtliche Unabhängigkeit von Strafbemessung und Aussetzung der so bemessenen Strafe zu betonen. Zutreffend ist, daß die rechtliche Konstruktion zwei dementsprechende selbständige Schritte vorsieht. Solche Stufenfolge verlangt jedoch nicht, die Strafaussetzung als Vollstreckungsproblem zu betrachten. Wir kennen vergleichbare Stufenregelungen auch andernorts, wenn etwa beim Tagessatzsystem der Geldstrafe die Anzahl der Tagessätze unabhängig von der Hohe des einzelnen Tagessatzes festgelegt wird. Für eine rechtliche Sonderbehandlung der Aussetzungsfrage (z. B. selbständige Anfechtbarkeit der Vollstreckungsaussetzung) erscheint die „Vollstrekkungslösung" mithin nicht erforderlich, sie bleibt ebenfalls im Rahmen einer Lösung möglich, die das Institut der Strafaussetzung als eine - mehrdimensionale - materielle Rechtsfolgenregelung ansieht. Die Lehre von der Vollstreckungsmodifikation beruht allerdings insofern auf einem zutreffenden Gedanken, als dadurch mitgesagt wird (werden soll), daß die Strafaussetzung keine besondere Art der Strafe darstellt und vor allem nicht zu einer „Aussetzungsstrafe" hinführt. In der Beschränkung auf den Warn- und Droheffekt der über dem Verurteilten schwebenden Freiheitsstrafe („Damoklesschwert") und selbst darin, daß der Vergeltungsaspekt durch die Auflage einer Geldbuße in einer abgemilderten und sublimierten Form (Zahlung für einen gemeinnützigen Zweck) mitberücksichtigt zu werden vermag, liegen insgesamt gesehen einer Bestrafung gegenläufige Momente. Sie kommen im Prozeß der richterlichen Rechtsfolgenbestimmung gleichsam als Gegengewicht nach der Festsetzung der Strafe zum Tragen. Wäre das Institut der Strafaussetzung eine Aussetzungsstrafe, würde der Verurteilte im Falle eines Widerrufs praktisch doppelt bestraft, der Aussetzungsstrafe würde die Vollstreckungsstrafe folgen. Der Richter kann zwar Leistungen, die der Verurteilte zur Erfüllung von Auflagen erbracht hat, auf die Freiheitsstrafe anrechnen (s. §§ 56f Abs. 3 S. 2 StGB, 26 Abs. 3 S.2 JGG), eine Anrechnung steht jedoch im richterlichen Ermessen und ist nicht obligatorisch. Eine Doppelbestrafung verstieße gegen elementare strafprozessuale Grundsätze und gegen die Verfassung (s. Art. 103 Abs. 3 GG). Obgleich die Strafaussetzung als eine nicht strafende materielle Rechtsfolge einzustufen ist, stellt sie dennoch keine Maßregel der Besserung und Sicherung dar; sie kennzeichnet vielmehr eine „dritte Spur". Gegenüber der Strafaussetzung sind die in § 61 StGB abschließend aufgezählten Maßregeln auf einzelne präventiv bestimmte Zielvorstellungen zentriert (Behandlung einer psychischen Erkrankung, sichere Verwahrung, Beseitigung einer Drogenabhängigkeit, Hinderung an bestimmten Tätigkeiten usw.) und ihrer Struktur nach eindimensional.

Freilich bedeutet die rechtliche Qualifizierung der Strafaussetzung als Rechtsfolge eigener Art zunächst nicht mehr als eine formelle Abgrenzung gegenüber anderen Rechtsinstituten, eine Art „Leerformel", die der inhaltlichen Auffüllung bedarf. Immerhin ist insoweit der entscheidende Gesichtspunkt bereits benannt: Das rechtliche Charakteristikum der Strafaussetzung liegt in einem Verbund verschiedener besonders aufeinander abgestimmter Interventionsformen. Unter Beibehaltung einer in der Verurteilung sich ausdrückenden Mißbilligung der Tat decken diese Interventionsformen das gesamte Spektrum spezialpräventiver Funktionen ab. Durch die drohende Vollstreckung wird der Verurteilte vor weiteren Straftaten gewarnt (Warnfunktion), auch der Auflage einer Geldbuße oder gemeinnütziger Leistungen kommt eine „Denkzettelwirkung" zu. Die Weisungen und vor allem die Bewährungshilfe bieten gewisse Hilfestellungen für die künftige Lebensführung (Sozialisationsfunktion), zugleich dienen sie einer verstärkten Beaufsichtigung des Probanden (Kontroll- und Sicherungsfunktion). Die Bedeutung der einzelnen Komponenten im Einzelfall orientiert sich am verfassungsrechtlichen Übermaß verbot. Soweit eine Verwarnung als ausreichend anzusehen ist, hat es hiermit im wesentlichen sein Bewenden. Sind bestimmte Sozialisationsausfälle oder Fehlentwicklungen erkennbar geworden, greift die Sozialisationsaufgabe ein; und erst wenn eine zusätzliche Überwachung erforderlich wird, um vom Verurteilten ausgehende Gefährdungen einzudämmen, erwächst der Bewährungshilfe ein besonderer Sicherungsauftrag. 3. Der wesentliche

Inhalt der rechtlichen

Regelung

Im folgenden werden die Regelungen des allgemeinen oder Erwachsenenstrafrechts und des Jugendstrafrechts (Jugendkriminalrechts) im Zusammenhang dargestellt. Das Jugendkriminalrecht ist auf Personen anwendbar, die zur Zeit der Tat 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind (Jugendliche, s. § 1 Abs. 2 JGG): die Jüngeren, die noch nicht 14 Jahre alt sind, sind schuldunfähig (s. § 19 StGB). Die Täter, die zur Tatzeit 21 Jahre und älter sind, unterstehen ausschließlich dem Erwachsenenstrafrecht. Für die dazwischenliegende Altersgruppe der Heranwachsenden (18-21 Jahre) kommt sowohl das Jugendkriminalrecht als auch das allgemeine Strafrecht in Betracht. Jugendrecht ist anzuwenden, wenn der Heranwachsende zur Zeit der Tat „nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand" oder wenn es sich bei einer Tat um eine „Jugendverfehlung" handelt (s. § 105 Abs. 1 JGG). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, müssen Heranwachsende nach allgemeinem Strafrecht behandelt werden. a) A n f ä n g l i c h e A u s s e t z u n g der Vollstreckung einer zeitlich befristeten

Strafaussetzung zur Bewährung F r e i h e i t s s t r a f e . Eine anfängliche Aussetzung der Vollstreckung kommt nur bei Freiheitsstrafen (einschließlich des Strafarrestes nach dem WStG, s. § 14 a WStG, nicht bei der Geldstrafe) in Betracht. Sie ist möglich, wenn das Gericht eine Freiheitsstrafe von maximal zwei Jahren verhängt. Das Gericht kann immer nur die gesamte Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen (§§ 56 Abs. 4 StGB, 21 Abs. 3 JGG). Dadurch soll die Vollstreckung kurzer Freiheitsstrafen unterbunden werden. Da jedoch dem Verurteilten aus zuvor erlittener Untersuchungshaft keine weiteren Nachteile entstehen dürfen, ist ausdrücklich festgelegt, daß auch bei der Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe (Regelfall, vgl. §§ 51 StGB, 52a JGG) die Vollstreckung des verbleibenden Strafrestes in gleicher Weise aussetzbar ist. Die Vollstreckungsaussetzung ist stets an eine günstige Täterprognose geknüpft (§§ 56 Abs. 1 StGB, 21 Abs. 1 JGG). Es muß zu erwarten sein, daß der Täter bei einer mittelfristigen Sicht keine weiteren Straftaten begehen wird. Im Jugendrecht sind die Voraussetzungen umfassender formuliert, dort wird nicht lediglich auf die straffreie Lebensführung, sondern auf einen „rechtschaffenen Lebenswandel" abgehoben. Man darf hierin aber gleichwohl keine Anweisung für einen vergleichsweise engherzigen Gebrauch von der Strafaussetzung erblicken. In die Prognose sind nämlich sowohl im Erwachsenenstrafrecht als auch im Jugendrecht die Auswirkungen der Verurteilung und die Einwirkungen während der Bewährungszeit (also insbesondere die Aktivitäten des Bewährungshelfers) einzubeziehen. Während das Erwachsenenstrafrecht die allgemeine Handlungsfreiheit des Probanden im Rahmen eines noch legalen Verhaltens zu respektieren hat, ist der Bewährungshelfer, der gegenüber jungen Menschen tätig wird, gehalten, den Erziehungsprozeß zu unterstützen. Daß die Rahmenbedingungen für die Aussetzung der Jugendstrafe nicht enger, sondern eher weiter gesteckt sind, folgt zudem aus den Voraussetzungen für die Verhängung einer Jugendstrafe. Sie müssen vorliegen, damit überhaupt eine Vollstreckungsaussetzung erfolgen kann. Abgesehen von den Ausnahmefällen, in denen eine (nach gleichen Regeln aussetzbare) Jugendstrafe wegen der besonderen „Schwere der Schuld" zu verhängen ist, erfordert die Verhängung einer Jugendstrafe die Feststellung gewichtiger „schädlicher Neigungen" (s. § 17 Abs. 2 JGG). Unter „schädlichen Neigungen" indessen ist eine Tendenz zu sozialschädlichen Verhaltensweisen zu verstehen, die es im Bewährungsverfahren eben zu korrigieren gilt. Aus der genannten Regelung des Jugendrechts folgt der ebenso im Erwachsenenrecht verbindliche Grundsatz, daß ein vertretbares Risiko des Rückfalls oder andersartiger Straftaten in Kauf zu nehmen ist. Entsprechend dieser aussetzungsfreundlichen Linie sieht das Gesetz auch nicht in jeder

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späteren Tat notwendig eine Widerlegung der früheren günstigen Prognose (vgl. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 26 Abs. 1 Nr. 1 JGG). Ob eine Freiheitsstrafe des Erwachsenenstrafrechts oder des Jugendrechts zur Bewährung aussetzbar ist, hängt allein von der im Einzelfall vorgenommenen Strafbemessung, nicht hingegen von der Deliktskategorie (Verbrechen, Vergehen, s. § 12 StGB) ab. Auch sieht das Gesetz keine Sonderregelungen für bestimmte Deliktsarten (etwa Sexualdelikte vgl. a. § 183 Abs. 3 StGB) oder Tätergruppen (etwa Alkoholgefährdete) vor. Bei Freiheitsstrafen unter sechs Monaten, die nur nach dem Erwachsenenrecht und selbst dort nur in sehr engen Grenzen verhängt werden dürfen (s. § 47 StGB), ist die Vollstreckungsaussetzung ausnahmslos und zwingend vorgeschrieben. Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr, die nach dem Jugendrecht verhängt werden (Jugendstrafe), müssen ebenfalls bei günstiger Prognose zur Bewährung ausgesetzt werden. Im Erwachsenenrecht gibt es für Freiheitsstrafen dieser Länge einen Ausnahmetatbestand: Die Vollstreckung wird nicht ausgesetzt, wenn sie die „Verteidigung der Rechtsordnung" gebietet (§ 56 Abs. 3 StGB). Diese recht unbestimmte Generalklausel wird von der Rechtsprechung erfreulicherweise restriktiv interpretiert. Man will mit Hilfe dieser Klausel verhindern, daß die Strafaussetzung von der Allgemeinheit bei ungewöhnlichen und vielleicht deshalb besonders beachteten Einzelfällen als Unsicherheit oder Schwäche der staatlichen Kontrollinstanzen mißverstanden wird. Die Brisanz der Problematik, die eine derartige Bezugnahme auf das mutmaßliche Empfinden der Bevölkerung schafft, liegt auf der Hand. Eine einschränkende Regelung enthält ebenfalls § 14 Abs. 1 WStG für Soldaten der Bundeswehr und militärische Vorgesetzte, bei denen die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten nicht ausgesetzt werden darf, wenn das die „Wahrung der Disziplin gebietet". Freiheitsstrafen zwischen einem und zwei Jahren werden im Regelfall vollstreckt. Sie können allerdings zur Bewährung ausgesetzt werden, falls „besondere Umstände in der Tat und in der Persönlichkeit des Verurteilten" vorliegen (s. §§ 56 Abs. 2 StGB, 21 Abs. 2 JGG). Freilich lassen sich die „besonderen Umstände" oft nicht auf die Tat oder den Täter alternativ begrenzen, so daß es leicht zu einer Frage der Verbalisierung und des Ausdrucks wird, ob das eine oder andere oder gar beide Komponenten angenommen werden. Nach einer anfänglich recht strengen und restriktiven Praxis hat die Rechtsprechung inzwischen die Gegensätzlichkeit der gesetzlichen Merkmalsgruppen zu entschärfen versucht („Gesamtschau") und zugleich die Aussetzung für den Tatrichter in der Weise erleichtert, daß die tatrichterliche Würdigung in der Rechtsmittelinstanz stärker respektiert wird. Diese aussetzungsfreundliche Rechtsprechung scheint eine baldige

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Strafaussetzung zur Bewährung

gesetzliche Neuregelung, wonach Freiheitsstrafen generell bis zu zwei Jahren aussetzbar werden, ansatzweise vorwegzunehmen. Die Aussetzung der Vollstreckung erfolgt für eine bestimmte Bewährungszeit. Das Verhalten des Probanden während der Bewährungszeit entscheidet darüber, ob die Freiheitsstrafe vollstreckt oder erlassen wird. Fehlverhaltensweisen vor und nach Ablauf der Bewährungszeit bleiben unberücksichtigt. Da die Bewährungszeit erst mit der Rechtskraft der Entscheidung über die Strafaussetzung beginnt, s. § 56 a Abs. 2 S. 1 StGB, gibt es zwischen der Aussetzungsentscheidung und dem Beginn der Bewährungszeit entsprechende „Freiräume". Im Falle einer Nichtbewährung während der Bewährungszeit wird die Aussetzung widerrufen. Ist die Aussetzung bis zum Ablauf der Bewährungszeit nicht widerrufen worden, so wird die Strafe nach dem Ablauf der Bewährungszeit erlassen, ohne daß insoweit eine positive Feststellung einer Bewährung zu erfolgen hat. Nach dem Erwachsenenstrafrecht kann das Gericht auch noch nach einem bereits ausgesprochenen Straferlaß diesen Erlaß innerhalb eines Jahres nach Ablauf der Bewährungszeit widerrufen, wenn der Proband wegen einer in die Bewährungszeit fallenden vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist (s. § 56g Abs. 2 StGB). Die Bewährungszeit bestimmt das erkennende Gericht. Im Erwachsenenstrafrecht ist der zeitliche Rahmen bedenklich weit gesteckt. Die Bewährungszeit beträgt mindestens zwei und höchstens fünf Jahre (§ 56 a StGB). Innerhalb dieser Zeitspanne kann sie nachträglich verkürzt und verlängert werden. Um einen Widerruf abzuwenden, darf sie - auch nach ihrem Ablauf - verlängert werden. Eine Verlängerung ist noch über die Fünf-Jahres-Grenze hinaus möglich, jedoch in diesem Fall um nicht mehr als die Hälfte der ursprünglichen Bewährungszeit (§ 56 Abs. 2 StGB). Das Jugendrecht, das zu lange Überwachungs- und Betreuungszeiten mit guten Gründen vermeiden will, engt den richterlichen Spielraum stärker ein. Danach beträgt die Bewährungszeit mindestens zwei und höchstens drei Jahre (s. § 22 JGG). Die Bewährungszeit kann nachträglich noch auf ein Jahr verkürzt, allerdings auch bis auf vier Jahre verlängert werden. Die Aussetzungsentscheidung kann mit Auflagen, Weisungen und der Bestellung eines Bewährungshelfers ergänzt und abgerundet werden. Der wesentliche Unterschied zwischen Auflagen und Weisungen besteht darin, daß die Auflagen einen Tatbezug enthalten und einen gewissen Ausgleich für das begangene Unrecht ermöglichen sollen, während die Weisungen dazu bestimmt sind, die künftige Lebensführung des Probanden günstig zu beeinflussen. Der Katalog der Auflagen ist geschlossen, es dürfen nur diejenigen Auflagen erteilt werden, die das Gesetz ausdrücklich nennt. Das sind im Erwachsenenrecht und im Jugendrecht die

Auflage der Schadenswiedergutmachung sowie die Verpflichtung zur Zahlung einer Geldbuße (die nicht dem für die Geldstrafe des Erwachsenenrechts maßgeblichen Tagessatzsystem unterliegt), vgl. §§ 56b Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB; 23 Abs. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1 und 3 JGG. Neben diesen beiden Möglichkeiten kennt das Erwachsenenstrafrecht noch zusätzlich die Auflage, gemeinnützige Leistungen zu erbringen, § 56b Abs. 2 Nr. 3 StGB. Ein ähnlicher Effekt läßt sich im Jugendrecht durch die ausdrücklich genannte Weisung erreichen, dem Probanden aufzugeben, Arbeitsleistungen zu erbringen, § | 23 Abs. 1, 10 Abs. 1 Nr. 4 JGG. Hieran wird die teilweise enge Verwandtschaft von Auflagen und Weisungen - trotz deren unterschiedlicher Zielrichtung - deutlich. Das Jugendrecht kennt noch die Auflage gegenüber dem Täter, sich persönlich bei dem Verletzten zu entschuldigen, § 15 Abs. 1 Nr. 2 JGG, der jedoch wenig praktische Bedeutung zukommt. Sowohl im Erwachsenenstrafrecht als auch im Jugendrecht kann der Verurteilte durch Anerbieten zu „angemessenen Leistungen" und durch Zusagen für seine künftige Lebensführung den Auflagen bzw. Weisungen zuvorkommen. Wenn die Erfüllung derartiger Versprechen zu erwarten ist, muß der erkennende Richter grundsätzlich von entsprechenden Auflagen oder Weisungen absehen, §§ 56b Abs. 3,. 56c Abs. 4 StGB, 23 Abs. 2 JGG. Der Katalog der Weisungen ist insofern offen, als das Gesetz nur besonders bedeutungsvolle und häufiger in Betracht kommende Weisungen beispielhaft aufführt, dem Richter aber freie Hand für andere und weitere Weisungen läßt. Die Weisungen erstrecken sich namentlich auf den Aufenthalt, die Arbeit oder Ausbildung, die wirtschaftlichen Verhältnisse, Zahlungsverpflichtungen, die Freir Zeitgestaltung, den Kontakt mit anderen Personen und den Besitz von bestimmten Gegenständen, vgl. des näheren §§ 56c StGB und 23 Abs. 1, 10 JGG. Wegen der Gefahr einer zu weitgehenden Gängelung und zu starker und intensiver Einschränkungen ist ausdrücklich festgelegt, daß an die Lebensführung des Probanden keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden dürfen. Ohnehin gelten insoweit natürlich die verfassungsmäßigen Schranken, weswegen etwa die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) oder das Petitionsrecht (Art. 17 GG) nicht eingeschränkt werden dürfen. Gegenüber den Auflagen, deren Erteilung im freien Ermessen des Gerichts steht, ist die Erteilung von Weisungen dem Richter vom Gesetz verbindlicher vorgeschrieben. Im Erwachsenenrecht wird der Richter verpflichtet, die Weisungen auszusprechen, die erforderlich erscheinen, um die Gefahr künftiger Straftaten zu senken (vgl. § 56c Abs. 1 S. 1 StGB). Das Jugendrecht enthält eine Soll-Bestimmung des Inhalts, daß der Jugendrichter die Lebensführung des Jugendlichen für die Dauer der

Strafaussetzung zur Bewährung Bewährungszeit durch Weisungen „erzieherisch beeinflussen" soll (s. § 23 Abs. 1 S. 1 JGG). Weisungen sind nicht lediglich in der Form von Verboten, Versagungen und Beschränkungen möglich, es können und sollen auch Weisungen mit Angebotscharakter erteilt werden. Derartige Weisungen sind in den gesetzlichen Katalogen des Erwachsenenstrafrechts und des Jugendkriminalrechts ebenfalls enthalten. So nennt § 56 c Abs. 3 Nr. 1 StGB ausdrücklich die Weisung, sich einer Heilbehandlung oder einer Entziehungskur zu unterziehen. § 10 Abs. 2 J G G hebt für das Jugendrecht die Möglichkeit einer heilerzieherischen Behandlung durch einen Sachverständigen hervor. Die richterliche Anordnung dieser Behandlungsprogramme wird freilich teils aus rechtlichen, teils aus Behandlungsgründen an die Zustimmung des Probanden (und/oder gegebenenfalls Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters) geknüpft. Das schärfste Druckmittel, mit dem auf die Erfüllung von Auflagen und die Befolgung von Weisungen hingewirkt werden kann, ist der drohende Widerruf. Allerdings bemüht sich das Gesetz, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wegen solcher „technischen Verstöße" möglichst zu vermeiden. Ein Widerruf aus diesem Grunde setzt voraus, daß das Verhalten des Probanden als gröblicher oder beharrlicher Verstoß zu qualifizieren ist. Da der Proband jedoch kaum genau vorhersehen kann, ab wann das Gericht die Schwelle eines so schweren Fehlverhaltens für überschritten erachtet, dürfte sich die Furcht vor einem Widerruf schon im Vorfeld auswirken, vor allem bei weniger erfahrenen Probanden. Im Falle derartiger Schwierigkeiten kommt für das Gericht in erster Linie kein Widerruf, sondern eine Modifizierung der Bewährungsbedingungen in Frage. Mitunter hat sogar schon ein bloßer Anhörungstermin vor dem Richter ausreichende Wirkungen. Neben der schon erwähnten Möglichkeit, die Bewährungszeit im Rahmen der Höchstgrenzen zu verlängern, können Weisungen und Auflagen auch nachträglich getroffen, geändert oder aufgehoben werden, s. §§ 56 f Abs. 2, 56 e StGB, 26 Abs. 2, 23 Abs. 1 S. 3 JGG. Diese Flexibilität besteht auch sonst, wenn sich Änderungen in der Lebenssituation des Probanden ergeben, deren Berücksichtigung erforderlich erscheint. Neben diesen im Erwachsenenrecht und im Jugendrecht gleichermaßen eröffneten Reaktionsmöglichkeiten sieht das Jugendrecht zusätzlich noch die Verhängung eines Beugearrestes bis zur Dauer von vier Wochen vor, s. §§ 23 Abs. 1 S. 4, 11 Abs. 3, 15 Abs. 3 S. 2 JGG. Ein Beugearrest setzt eine schuldhafte Zuwiderhandlung sowie eine entsprechende vorherige Belehrung voraus, durch die bei Verstößen gegen Weisungen oder Auflagen die Anordnung eines Jugendarrestes ausdrücklich angedroht worden war. Die mit dem Beugearrest verbundene Nötigung des Probanden, den ihm aufgegebenen Pflichten nachzukommen, besteht auch

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nach der Verhängung des Arrestes insofern fort, als der Richter von der Vollstreckung oder auch der weiteren Vollstreckung absehen kann, sowie der junge Proband sich anschickt, die Weisungen oder Auflagen doch noch einzuhalten, § 11 Abs. 3 S.3 JGG. Kriminalpolitisch am bedeutsamsten ist die Möglichkeit und (teilweise) Verpflichtung des erkennenden Gerichts, den Verurteilten der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers zu unterstellen. Diese Unterstellung ist rechtlich ebenfalls als eine Weisung (besonderer Art) anzusehen. Der Bewährungshelfer überwacht zunächst im Einvernehmen mit dem Gericht die Erfüllung der Auflagen und Weisungen sowie gegebenenfalls der Anerbieten und Zusagen des Probanden, s. §§ 56d Abs. 3 S. 2 StGB, 24 Abs. 2 S. 2 JGG. Soweit mit der Strafaussetzung noch kein Bewährungshelfer bestellt worden ist, können Schwierigkeiten während der Bewährungszeit und vor allem ein Widerruf der Strafaussetzung durch die nachträgliche Einschaltung eines Bewährungshelfers aufgefangen werden, s. § 56f Abs. 2 StGB. Das Jugendrecht sieht die richterliche Bestellung eines Bewährungshelfers in jedem Falle zwingend vor, s. § 24 Abs. 1 JGG. Der Bewährungshelfer ist hiernach eine hauptamtlich beschäftigte Fachkraft. Aus besonderen, vom Gesetz als erzieherisch qualifizierten Gründen kann der Jugendrichter auch einen ehrenamtlichen Bewährungshelfer bestellen. Diese Möglichkeit kommt vor allem bei Bezugspersonen in Betracht, die der Proband bereits kennt und zu denen er schon einen persönlichen Zugang hat. Auch das Erwachsenenstrafrecht sieht für bestimmte Konstellationen die obligatorische Bestellung eines wahlweise haupt- oder ehrenamtlichen Bewährungshelfers (§ 56d Abs. 5 StGB, vgl. a. § 14 Abs. 3 WStG) vor. Das Gericht muß dem Probanden für die Dauer der Bewährungszeit einen Bewährungshelfer zuordnen, wenn das angezeigt ist, um den Probanden von Straftaten abzuhalten (§ 56 d Abs. 1 StGB). Wegen der Unbestimmtheit der gesetzlichen Voraussetzung verbleibt dem Gericht freilich ein erheblicher Interpretationsspielraum. Bei jüngeren volljährigen Verurteilten, die noch nicht 27 Jahre alt sind, ist gewöhnlich („in der Regel") ein Bewährungshelfer zu bestellen, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als 9 Monaten zur Bewährung ausgesetzt wird (s. § 56d Abs. 2 StGB). Die Unterstellung des Probanden unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers bedeutet einerseits die wichtigste und wohl auch wirksamste Intervention, andererseits aber zugleich eine besonders einschneidende Maßnahme. In Anwendung des Erwachsenenstrafrechts hat deshalb der Richter gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu prüfen, ob nicht die Erteilung anderer Weisungen genügt, um eine straffreie Lebensführung des Probanden zu erreichen. Soweit eine Notwendigkeit, auf den Probanden besonders einzuwirken oder ihm bestimmte

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Strafaussetzung zur Bewährung

Hilfestellungen zu vermitteln, nachträglich entfällt, kann die Bestellung eines Bewährungshelfers gemäß den Vorschriften des Erwachsenenrechts vor Ablauf der Bewährungszeit wieder aufgehoben werden (s. §§56e StGB, 453 StPO). Die zahlreichen und teilweise sehr unterschiedlichen Aufgaben des Bewährungshelfers werden im einzelnen noch gesondert dargestellt (s. II Β und C). Insgesamt gesehen ist der Bewährungshelfer sowohl der „verlängerte Arm des Richters" (vgl. aber § 14 Abs. 3 WStG und § 112 a Nr. 4 JGG) als auch ein vom Richter abgehobener eigenständiger Betreuer, der aus einer spezialpräventiven Zielsetzung heraus dem Probanden mit Methoden der Sozialarbeit und/oder Sozialpädagogik vorübergehende Angebote und Hilfen zur eigenverantwortlichen Selbststeuerung und straffreien Lebensführung zu gewähren hat. Das Zusammenspiel von Vollstreckungsaussetzung (wie auch späterem Straferlaß) auf der einen und von der Übernahme der aus Bewährungsauflagen und -Weisungen resultierenden Pflichten auf der anderen Seite kann in einem übertragenen Sinne als gegenseitiger „Vertrag" zwischen Gericht und Proband verstanden werden. Dessen Einhaltung durch den Probanden verlangt die Kenntnisnahme und das Bewußtsein dieser Pflichten - und der mit ihnen korrespondierenden Erwartungen des Gerichts und (gegebenenfalls) des bestellten Bewährungshelfers. Darüber hinaus soll der Proband ferner wissen, welche Folgen sich für ihn aus „Vertragsverletzungen" ergeben können; er muß vor allen Dingen motiviert sein, den an ihn gestellten Anforderungen nachzukommen. Diese Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewährungszeit zu verdeutlichen und zu unterstreichen, ist die Absicht des Bewährungsplans, den das Jugendrecht in § 60 J G G ausdrücklich vorsieht. Der Bewährungsplan, der von einem Behandlungs- oder Arbeitsplan des Bewährungshelfers zu unterscheiden ist, enthält eine entsprechende Zusammenstellung der einzelnen Anordnungen. Seine Aushändigung soll mit einer ergänzenden richterlichen Erläuterung verbunden werden. Gemäß § 60 Abs. 3 J G G soll der Jugendliche im Wege einer Selbstverpflichtung den Bewährungsplan unterschreiben; um eine einheitliche erzieherische Linie herzustellen, sind außerdem die Unterzeichnung durch den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertreter vorgesehen. Ein Erlaß der Freiheitsstrafe nach Ablauf der Bewährungszeit bedeutet, daß keine Strafvollstrekkung mehr erfolgt, er beseitigt jedoch noch nicht den Eintrag der Vorstrafe im Zentralregister. Der Erlaß wird vielmehr als zusätzliche Information in das Register eingetragen (s. §§ 14 Abs. 1 Nr. 4, 15 Abs. 1 Nr. 4 B Z R G ) . Allerdings ist der Gesetzgeber bestrebt, nachteilige Folgen für den Probanden, vor allem im Hinblick auf sein berufliches Fortkommen, zu vermeiden. Dritten gegenüber, also auch dem Arbeitgeber, gibt das polizeiliche Führungs-

Zeugnis Auskunft über Vorstrafen. Ausgesetzte Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr werden nach drei Jahren seit der Verurteilung nicht mehr in das Führungszeugnis aufgenommen (s. §32 Abs. 1 Nr. 1 b B Z R G ) , ausgesetzte Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren nach einer Frist von fünf Jahren (s. § 32 Abs. 1 Nr. 2 B Z R G ) . Das Jugendstrafrecht ist insoweit noch konsequenter; auch ausgesetzte Jugendstrafen bis zu zwei Jahren werden, falls kein Widerruf ausgesprochen worden ist, nicht im Führungszeugnis vermerkt, so daß sich der Jugendliche oder nach Jugendstrafrecht verurteilte Heranwachsende als unbestraft bezeichnen darf (vgl. §§30 Abs. 1 Nr. 3, 51 Abs. 1 B Z R G ) . Mit dem Widerruf der Strafaussetzung bringt das Gericht zum Ausdruck, der Verurteilte könne jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr in Freiheit belassen werden. Die Prognose, die seinerzeit der Strafaussetzung zugrunde gelegen hatte, nämlich daß sich der Proband unter dem Eindruck seiner Verurteilung und mit Hilfe der ihm erteilten Weisungen straffrei führen und die ihm auferlegten Pflichten erfüllen werde, muß sich im Falle des Widerrufs als zu optimistisch herausgestellt haben. Demnach wird eine Gesamtwertung gefordert, die an den ursprünglichen Erwartungen orientiert ist. Dabei stellt der Widerruf die „ultima ratio" dar, die erst eingreift, wenn eine mildere Reaktion auf die Bewährungsverstöße, eine Verschärfung der Bewährungsbedingungen und/oder eine Verstärkung der Bewährungsaufsicht, zur Aufrechterhaltung der ursprünglichen Prognose zwecklos erscheinen (vgl. §§ 56f Abs. 2 StGB, 26 Abs. 2 J G G ) . Das Gesetz möchte jede schematische und somit häufig auch vorschnelle Kapitulation verhindern. So genügt nicht allein erneute Straffälligkeit. Straftaten, die mit der Ausgangstat keinerlei „kriminologischen Zusammenhang" aufweisen, die etwa aus einmaligen situativen Umständen erwachsen sind, kommen für einen Widerruf kaum in Betracht. Ein Widerruf ist erst angezeigt, wenn der Vollzug im Vergleich zu weiteren ambulanten Maßnahmen bessere Resozialisierungschancen eröffnet. Auch die mangelnde Zusammenarbeit mit dem Bewährungshelfer sowie die Nichtbefolgung anderer Weisungen stellen für sich besehen noch keinen Widerrufsgrund dar, wenn aus derartigen Widersetzlichkeiten nicht gleichzeitig die erhöhte Gefahr von neuen, mit dem früheren Delikt strukturell verwandten, Straftaten erwächst. Zumindest muß eine entsprechende „Besorgnis" veranlaßt sein. Indem das Gesetz auf dieses Zusatzerfordernis ausdrücklich hinweist, erschwert es den Widerruf bei lediglich schwer zugänglichen Probanden, die der Kontrolle ausweichen und auch nicht selten an Hilfsangeboten desinteressiert sind, bei denen aber trotzdem keine weiteren Straftaten bekannt werden. Das Junktim zwischen Bewährungsverstoß und Kriminalprognose kann freilich für die Auflagen nicht gelten. Letztere sind nicht auf die künftige

Strafaussetzung zur Bewährung Lebensführung bezogen, sondern auf die Tat und den Tatausgleich. Vom Ausgangspunkt der ursprünglichen Kriminalprognose her wäre es konsequent, die Erfüllung der Auflagen mit besonderen Zwangsmitteln sicherzustellen, aber von einem Widerruf - bei günstiger Kriminalprognose - abzusehen. Ein solches Zwangsmittel stellt im Jugendstrafrecht der schon erwähnte Beugearrest dar. Verständlicherweise will das Gesetz jedoch auf den Druck, der von einem drohenden Widerruf ausgeht, hier nicht verzichten. Begründet wird das mit der schon erwähnten „Vertragsverletzung", da auch die Erfüllung von Auflagen zu den Bewährungspflichten zählt. Der Widerruf und die Inhaftierung des Verurteilten können rasch vonstatten gehen. Der Widerruf erfolgt, wie alle nachträglichen Entscheidungen im Aussetzungsverfahren, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Dem Probanden ist (natürlich) zuvor rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. §§ 453 Abs. 1 StPO, 58 Abs. 1 JGG). Das Fehlverhalten des Probanden muß zweifelsfrei feststehen; bei erneuter Straffälligkeit wird eine rechtskräftige Aburteilung der Nachtat(en) vom Gesetz allerdings nicht verlangt. Unter den Voraussetzungen der Flucht oder der Fluchtgefahr kann das Gericht gemäß § 453 c StPO bis zur Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses Sicherungshaft anordnen. Man sieht in dieser Form der vorläufigen Sicherung nicht selten ein Institut, um in gravierenden Fällen „auf dem Fuße folgend" und schnell reagieren zu können. Die Haftzeit muß auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe angerechnet werden. Ansonsten bleiben Leistungen und Opfer, die dem Probanden vor der Strafhaft abverlangt wurden, grundsätzlich unberücksichtigt. Leistungen, die der Verurteilte zur Erfüllung von Auflagen oder entsprechenden Anerbieten erbracht hat, können allerdings nach dem Ermessen des Gerichts angerechnet werden (s. §§56f Abs. 3 S. 2 StGB, 26 Abs. 3 S. 2 JGG). b ) A u s s e t z u n g d e r V e r h ä n g u n g d e r Jug e n d s t r a f e . Gemäß § 27 JGG kann der Jugendrichter Unrecht und Schuld eines straftatbestandlich erfaßten Verhaltens feststellen und die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung aussetzen, falls er trotz Ausschöpfung der verfahrensmäßigen Erkenntnis- und Beweismittel nicht mit der nötigen Sicherheit zu beurteilen vermag, ob die Voraussetzungen für die Verhängung einer Jugendstrafe schon vorliegen. Derartige Zweifel dürfen außerdem lediglich bei einer Jugendstrafe wegen erheblicher „schädlicher Neigungen" bestehen; bleibt unklar, ob eine Jugendstrafe wegen „Schwere der Schuld" angezeigt ist, gilt uneingeschränkt der Grundsatz „in dubio pro reo". Eine Verhängungsaussetzung erscheint als Ausnahmeentscheidung, weil für den Regelfall davon ausgegangen wird, daß sich die persönlichen und sozialen Verhältnisse durch den Bericht der Jugendgerichtshilfe und erforderlichen-

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falls durch Sachverständigengutachten hinlänglich aufhellen lassen. Schätzt man allerdings diese Ermittlungsmöglichkeiten realistisch ein, müßten gerade bei einem recht unbestimmten Rechtsbegriff wie dem der „schädlichen Neigungen" nicht selten die erwähnten Zweifel fortbestehen. Mit der Rechtskraft des Schuldspruchs beginnt die Bewährungszeit, die hier erfreulich kurz bemessen ist. Die Bewährungszeit beträgt mindestens ein Jahr und höchstens zwei Jahre (§28 Abs. 1 JGG). Für die Bewährungszeit gelten die Vorschriften für die Vollstreckungsaussetzung entsprechend (§29 JGG). Obgleich also die Entscheidung über die Jugendstrafe ausgespart wird, erfolgt doch ein unter Umständen sehr intensiver Eingriff. Auch eine Tatahndung durch die Auferlegung einer Geldbuße ist mit der Aussetzungsentscheidung vereinbar. Im Vergleich zur jugendrechtlichen Vollstrekkungsaussetzung, die - abgesehen von der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld - die Feststellung „schädlicher Neigungen" voraussetzt, betrifft die Verhängungsaussetzung eine weniger belastete Klientel. Es wird zudem die erzieherisch kaum positiv zu veranschlagende Charakterisierung des jungen Menschen als Neigungstäter vermieden. Auch erscheint der Schuldspruch nicht im polizeilichen Führungszeugnis (s. § 30 Abs. 1 Nr. 2 BZRG). Freilich ist der nicht leicht zu erfassende Inhalt einer solchen Entscheidung dem Jugendlichen oder Heranwachsenden mit geeigneten Worten verständlich zu machen. Das „Damoklesschwert" der Jugendstrafe, die bei „schlechter Führung" im Laufe der Bewährungszeit zu verhängen ist, hat für den Probanden noch ungenauere Konturen als bei der Vollstreckungsaussetzung einer bestimmten Jugendstrafe. Zwar ist selbst dort die tatsächliche Vollzugsdauer wegen der Möglichkeit einer Restaussetzung und einer einheitlichen Rechtsfolgenfestsetzung für die Ausgangstat und die spätere(n) Tat(en) relativ unbestimmt, doch steht dem Probanden wenigstens eine „Rechnungsgröße", eben die schon verhängte bestimmte Jugendstrafe, vor Augen. Die gesetzliche Regelung der an sich zweckmäßigen späteren Bemessung und der Vollstreckung der Jugendstrafe weist deutliche Schwächen auf. Zunächst wird dem Jugendrichter für die Bemessung der Jugendstrafe eine aus der gesetzlichen Konstruktion heraus verständliche, aber gleichwohl schwer zu vollziehende hypothetische Überlegung abverlangt: Der Richter muß die Jugendstrafe finden, die er im Zeitpunkt des Schuldspruchs verhängt hätte, wenn ihm eine sichere Beurteilungsgrundlage verfügbar gewesen wäre. Damit ist späteren Zweckmäßigkeitserwägungen der rechtliche Boden weitgehend entzogen. Obwohl im Falle der „schlechten Führung" nicht mehr festgestellt wird, als daß doch „schädliche Neigungen" vorliegen, wird von § 30 Abs. 1 S. 2 J G G eine Vollstreckungsaussetzung der nunmehr zu verhängenden Jugendstrafe ausdrücklich ausgeschlossen. Bedenkt man,

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daß der Zweitentscheidung ein Bewährungsverfahren mit allen bereits dargestellten Begleitmaßnahmen vorausgegangen war, leuchtet diese Regelung ein. Andererseits wird aber nicht erklärlich, warum hier die „schädlichen Neigungen" zur Vollstreckung führen müssen, während sie sonst geradezu zur Voraussetzung der Vollstreckungsaussetzung erklärt werden. Von der Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe zu unterscheiden ist die nur im allgemeinen Strafrecht vorgesehene Verwarnung mit Strafvorbehalt (§§59ff. StGB). Dieses Institut sieht zwar ebenfalls eine Beschränkung auf den Schuldspruch ohne gleichzeitige Verurteilung vor. In Betracht kommen jedoch lediglich Geldstrafen, und betroffen wird eine gänzlich andere Klientel. Zudem wird hier die Strafe - anders als bei der Verhängungsaussetzung - bereits im Zeitpunkt des Schuldspruchs bestimmt und allein eine entsprechende Verurteilung vorbehalten. Die bisherige Bedeutung der Verwarnung mit Strafvorbehalt in der forensischen Praxis ist äußerst gering. c) V o r h e r i g e r V o l l z u g s v e r z i c h t und B e w ä h r u n g s h i l f e nach s o n s t i g e n Vors c h r i f t e n . Die Praxis hat nach Wegen gesucht, die Tätigkeitsfelder der Bewährungshilfe über die dargestellten Bewährungsverfahren hinaus noch zu erweitern. Entsprechende Bedürfnisse sind vor allem im Jugendkriminalrecht hervorgetreten. Besonders bemerkenswert ist ein Aussetzungsverfahren, das sich mit Hilfe des §57 Abs. 1 JGG durchführen läßt. Nach dieser Bestimmung kann der Jugendrichter - anders als der allgemeine Strafrichter - eine Jugendstrafe verhängen, ohne zugleich über die Vollstreckungsentscheidung mitzuentscheiden. Indem man nun die Aussetzungsentscheidung um einige Monate hinausschiebt, entsteht Raum für eine sogenannte „Vorbewährung". Zugleich mit der Verhängung der Jugendstrafe erteilt der Richter dem Probanden die Weisung, sich der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers zu unterstellen (gem. den §§ 8 Abs. 2,10 Abs. 1 JGG). Auch eine derartige Weisung sieht das JGG nicht ausdrücklich vor; da der Katalog der Weisungen jedoch ein offener ist, bestehen keine rechtlichen Bedenken. Allerdings muß ein Bewährungshelfer für diese Aufgabe nach landesrechtlichen Bestimmungen verfügbar sein. Der Bewährungshelfer übernimmt die ambulante Betreuung, ähnlich wie bei den herkömmlichen Aussetzungsverfahren. Der wesentliche Effekt eines solchen Vorgehens liegt in der verfahrensrechtlichen Umgehung des materiellrechtlichen Erfordernisses einer günstigen Prognose. Wenn der Richter Zweifel hat, ob er den Verurteilten schon dem Vollzug überantworten soll, und ihm noch eine Bewährungschance einräumen möchte, so kann er das hiernach tun, ohne im Moment der Verurteilung an die Feststellung einer günstigen Prognose gebunden zu sein. Stellt sich

dann das Verhalten des Probanden während der Vorbewährungszeit als hoffnungsvoll heraus, vermag darauf später die Vollstreckungsaussetzung gegründet werden. Über diesen Weg der Vorbewährung wird der Anwendungsbereich des Aussetzungsinstituts vorsichtig und in einem vertretbaren Rahmen einer vergleichsweise belasteteren Klientel eröffnet. In einem übertragenen Sinne gilt das gleichfalls für die Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehls gemäß § 116 StPO. Als „weniger einschneidende Maßnahme" kommt wiederum die Aufsicht durch eine Begleitperson, die auch ein Bewährungshelfer sein kann, in Frage. Freilich liegen insoweit die rechtlichen Rahmenbedingungen anders. Ein Haftbefehl und somit zugleich eine Haftverschonung setzen einen Haftgrund voraus, und eine Verurteilung darf noch nicht rechtskräftig sein. Bedenkt man jedoch, daß der bei weitem wichtigste Haftgrund der Fluchtgefahr oder Flucht aus bestimmten Indizien konstruiert wird und daß dem Richter ein erheblicher Interpretationsspielraum verbleibt, zeichnen sich auch hier die Konturen einer gewissen Vorbewährung ab. In dem Umfang, in dem Maßnahmen zur besonderen Sicherung des Strafverfahrens jedenfalls nicht unangebracht erscheinen, beinhaltet der ambulante Kontakt mit dem Bewährungshelfer schon eine Testsituation, deren Ergebnisse eine spätere Aussetzungsentscheidung mitbeeinflussen. d) D i e A u s s e t z u n g e i n e s S t r a f r e s t e s z u r B e w ä h r u n g . Wie die anfängliche Vollstreckungsaussetzung ist auch die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung unter bestimmten Voraussetzungen obligatorisch und nach gesetzlichen Vorschriften vom Richter zu verfügen. Dabei handelt es sich um eine Strafvollstreckungsmaßnahme, über die nicht der erkennende Richter, sondern im Erwachsenenrecht die Strafvollstreckungskammer und im Jugendkriminalrecht der jugendrichterliche Vollstreckungsleiter zu entscheiden haben (s. §§462 a Abs. 1, 454 StPO, 82 Abs. 1, 88, 89 JGG). Eine Restaussetzung kommt sowohl für eine anfänglich vollstreckbare Freiheitsstrafe als auch für eine durch Widerruf vollstreckbar gewordene Strafe in Betracht. Ob sie ebenfalls Ersatzfreiheitsstrafen betrifft, die anstelle uneinbringlicher Geldstrafen vollstreckt werden, ist umstritten, aber wohl zu bejahen. Beim Institut der Reststrafenaussetzung geht es weniger um die Belohnung für Wohlverhalten während des Vollzuges, obwohl freilich durch die Chance einer vorzeitigen Entlassung die gute Führung im Vollzug stimuliert wird. Bezweckt ist vielmehr, die Dauer des Vollzuges auf ein notwendig scheinendes Minimum zu beschränken und den Verurteilten unter möglichst günstigen Umständen in die Freiheit zurückzuführen. Einerseits wird ihm eine gewisse Großzügigkeit und positive Verhaltenserwartung entgegengebracht, anderer-

Strafaussetzung zur Bewährung seits verbleibt er noch unter verstärkter Kontrolle. Bei längeren Verbüßungszeiten steht in der anschließenden Bewährungszeit die Wiedereingliederung des Gefangenen im Vordergrund. Hat der Gefangene mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe verbüßt, so ist ihm u. a. deshalb in der Regel ein Bewährungshelfer zu bestellen (s. §57 Abs. 3 S. 2 StGB); im Jugendrecht ist die Bewährungshilfe ohnehin wieder in jedem Falle obligatorisch (s. §§ 88 Abs. 5 S. 1,89 Abs. 3 JGG). Die Voraussetzungen, unter denen eine Restaussetzung erfolgen muß oder erfolgen kann, sind im Erwachsenenstrafrecht verbindlicher und starrer, im Jugendrecht flexibler, jedoch nicht unbedingt für den Probanden günstiger, formuliert. Gemäß § 57 Abs. 1 StGB ist bei Erwachsenen nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe, mindestens von zwei Monaten, die Vollstreckung des Strafrestes von einem Drittel zur Bewährung auszusetzen. Die Aussetzung wird vorgeschrieben, falls „verantwortet werden kann zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird". Mit diesem Erfordernis hält das Gesetz an dem Grundsatz der günstigen Prognose für alle gesetzlichen Aussetzungsentscheidungen fest. Um indessen eine risikobereite Praxis zu begünstigen, sind die konkreten Anforderungen sehr zurückhaltend und bescheiden formuliert worden. Die Aussetzung kann nur mit Zustimmung des Gefangenen vorgenommen werden (s. § 57 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Gewöhnlich wird er darauf bedacht sein, bald aus der Anstalt entlassen zu werden. Schwierigkeiten können vor allem auftreten, wenn der Gefangene lediglich von dem Vollzug eines insgesamt gesehen unbedeutenden Restes verschont würde, den er vor der Alternative eines anschließenden Bewährungsverfahrens lieber voll „absitzen" möchte. Auch Hospitalisierungserscheinungen können dazu führen, daß der Gefangene seine Einwilligung verweigert. Eine Aussetzung schon nach Vollstreckung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe sieht das Gesetz für Ausnahmefälle vor; sie ist dem Vollstreckungsgericht nicht schlechthin vorgeschrieben, sondern unterliegt pflichtgemäßem richterlichen Ermessen. Das Gericht kann aussetzen, wenn der Gefangene ein Jahr Freiheitsstrafe verbüßt hat und „besondere Umstände in der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten" vorliegen (s. I 57 Abs. 2 StGB). Wir begegnen hier der gleichen Formel wie in § 56 Abs. 2 StGB, der die anfängliche Vollstreckungsaussetzung einer Freiheitsstrafe von ein bis zwei Jahren zuläßt. Die Bezugnahme auf Besonderheiten der Tat verdeutlicht, daß jedenfalls ein besonders positiver Ansatz für das weitere Leben in Freiheit für sich genommen nicht ausreicht. Keine ausdrückliche Regelung enthält das Gesetz für die Fälle, in denen mehrere Freiheitsstrafen hintereinander zu vollstrecken sind. Hier hat sich ein Verfahren durchgesetzt, wonach die Vollstreckung jeder Frei-

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heitsstrafe nach zwei Dritteln der Zeit unterbrochen und dann einheitlich über die Restaussetzungen entschieden wird (s. § 43 Abs. 3 StVollstrO). Veranlaßt durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (1977) hat der Gesetzgeber nunmehr eine Strafrestaussetzung auch für die lebenslange Freiheitsstrafe vorgesehen (20. StrÄndG - 1981). Danach muß die Strafvollstreckungskammer nach einer Haftzeit von 15 Jahren die weitere Vollstreckung bei günstiger Prognose aussetzen, falls nicht die „besondere Schwere der Schuld" die weitere Vollstreckung gebietet (§ 57 a Abs. 1 StGB). Die Entscheidung ergeht nach einer mündlichen Anhörung des Verurteilten und der Stellungnahme eines Sachverständigen, der sich insbesondere zur Gefährlichkeit des Verurteilten äußern soll (§ 454 Abs. 1 StPO). Die Dauer der Bewährungszeit beträgt grundsätzlich fünf Jahre. Dem Entlassenen ist im Regelfall ein Bewährungshelfer zur Seite zu stellen (§§ 57a Abs.3, 57 Abs. 3 StGB). Der erzieherische Charakter der Jugendstrafe kommt nicht zuletzt in den Vorschriften über die Aussetzung einer Restjugendstrafe zum Ausdruck. Zunächst finden wir in Übereinstimmung mit den Bemessungsgrundsätzen die Annahme wieder, daß ein erzieherischer Vollzug von einer Mindestdauer von sechs Monaten ausgehen müsse. Freilich schließt §88 Abs. 2 JGG eine frühere Vollstrekkungsaussetzung nicht rundweg aus, sie wird jedoch auf „besonders wichtige Gründe" beschränkt. Derartige wichtige Gründe können vor allem günstige Lebensbedingungen für den Probanden in der Freiheit sein. Bei einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr muß mindestens ein Drittel der Strafe verbüßt sein, wobei natürlich anrechenbare Untersuchungshaft sowie anrechenbare Leistungen, die im Rahmen eines vorausgegangenen Bewährungsverfahrens erbracht wurden, zu berücksichtigen sind. Ansonsten hat der Vollstreckungsleiter - anders als im Erwachsenenrecht - freie Hand. Selbstverständlich muß er sich ebenfalls an Prognosekriterien orientieren. Bei einer Jugendstrafe wegen „Schwere der Schuld" erscheint eine gewisse Anlehnung an die Fristen der allgemeinen Freiheitsstrafe angezeigt, obwohl in Einzelfällen eine entgegenkommendere Handhabung durchaus in Betracht zu ziehen ist. Eine Restaussetzung ist außerdem bei der nur im Jugendkriminalrecht vorgesehenen Jugendstrafe von unbestimmter Dauer möglich (s. §§ 19, 89 JGG). Vorausgesetzt wird neben der günstigen Prognose die Verbüßung des Mindestmaßes der Jugendstrafe (mindestens sechs Monate, s. §§ 19 Abs. 2 S. 2,18 Abs. 1 JGG). Die Strafe wird in eine Jugendstrafe von bestimmter Dauer umgewandelt. Da die Bestimmungen über die vorzeitige Entlassung aus dem Vollzug sowohl im Erwachsenenrecht als auch vor allem im Jugendrecht dem Vollstrekkungsrichter erhebliche Beurteilungsspielräume eröffnen, der Entlassungszeitpunkt andererseits

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aber einen wichtigen Fixpunkt für die Vollzugsgestaltung bildet (s. § 15 StVollzG), kommt einer entsprechenden Verständigung und Kooperation zwischen Vollzugsanstalt und Vollstreckungskammer/Vollstreckungsleiter große Bedeutung zu. Hinsichtlich der Ausgestaltung des Bewährungsverfahrens werden die jeweiligen Regeln über die anfängliche Vollstreckungsaussetzung für entsprechend anwendbar erklärt (s. §§57 Abs. 3 StGB, 57 a Abs. 3, 88 Abs. 5, 89 Abs. 3 JGG). Die vorherigen Ausführungen (s. 3. a) über Bewährungszeit, Auflagen, Weisungen und Widerruf gelten grundsätzlich auch für die Reststrafenaussetzung. Die Restaussetzung und auch der spätere Teilerlaß werden registerrechtlich als einzutragende Tatsachen erfaßt (s. §§ 14 Abs. 1 Nr. 1, 4, 15 Abs. 1 Nr. 2, 4 BZRG) und wirken sich günstig auf das Führungszeugnis aus (vgl. §§30 Abs. 2 Nr. 3, 32 Abs. 1 N r . l b BZRG; hinsichtlich der lebenslangen Freiheitsstrafe s. §§ 31 Abs. 2 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 2, 32 Abs. 2 BZRG). 4. Das Institut der Führungsaufsicht Die Führungsaufsicht stellt eine neuartige ambulante Maßregel der Besserung und Sicherung dar. Sie ist unter dem Anspruch einer sachgerechteren und umfassenderen Alternative zur früheren Polizeiaufsicht (§§38, 39 StGB a.F.) entwickelt worden. Die Polizeiaufsicht verlieh der höheren Landespolizeibehörde für höchstens fünf Jahre die Befugnis, dem Verurteilten den Aufenthalt an bestimmten Orten zu verbieten und jederzeit Hausdurchsuchungen durchzuführen. Seit der Mitte der 50er Jahre arbeitete die Große Strafrechtskommission an dem Konzept einer „Sicherungsaufsicht", die dann in den Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 1962 einging. Gedacht war vorrangig an eine Art „ambulanter Sicherungsverwahrung". Man hatte besonders die kriminell erheblich gefährdeten und gefährlichen Vollverbüßer längerer Freiheitsstrafen im Auge. Da für diese Klientel eine Reststrafenaussetzung, auch bei einer noch so zurückhaltenden Prognose, kaum in Betracht kam, stand keine Einrichtung bereit, die den Sicherungsbedürfnissen der Allgemeinheit hätte entsprechen können. Freilich war man schon damals bemüht, den Akzent nicht ganz einseitig allein auf die Sicherung zu legen, sondern versuchte, die Vorstellung einer gewissen Lebenshilfe für den Verurteilten mit dem Sicherungsgedanken zu harmonisieren. Teilweise zog man sogar Vergleiche mit der Erziehungsbeistandschaft bei jugendlichen Straftätern (vgl. §9 Nr. 2 JGG). Verglichen mit den 50er Jahren brachten die 60er Jahre eine deutliche Schwerpunktverlagerung von Kontrolle auf Behandlung und Resozialisierung. Einen besonders eindrucksvollen Niederschlag hat diese Sichtweise in dem von einer Professorengruppe erarbeiteten Alternativentwurf eines StGB (von 1967) gefunden. Das im Kern repressive

und im Hinblick auf Resozialisierung wenig überzeugende Konzept einer Sicherungsaufsicht stieß auf erheblichen Widerstand, dem sich die bundesministeriellen Reformarbeiten wie auch eine etablierte Länderkommission nicht verschließen konnten. Fortan war man bestrebt, die Sicherungsaufsicht stärker in die Nähe der Bewährungshilfe zu rücken, sie gleichsam zu einer Bewährungshilfe auszugestalten. Neben eine Aufsichtsstelle sollte der Bewährungshelfer treten, und beide sollten in sich ergänzender Weise zusammenarbeiten. Darin sah man ein neues Konzept, das es rechtfertigte, von einem Institut der „Führungsaufsicht" zu sprechen. Das Bemühen, bestimmte Kontroll- und Sicherungsfunktionen mit einem gewissen Betreuungsangebot zu verbinden, fand dann schließlich seinen Niederschlag im 2. Strafrechtsreformgesetz von 1969, das die gegenwärtige rechtliche Regelung enthielt. Bevor dieses Gesetz jedoch 1975 in Kraft trat, wurde es noch durch das Einführungsgesetz zum StGB von 1974 erheblich modifiziert, und zwar wiederum im Sinne des Trends zur Bewährungshilfe, indem man vor allem die Stellung und Bedeutung des Bewährungshelfers gegenüber der Aufsichtsstelle hervorhob und eine hinreichend deutliche Aufgabenbeschreibung und -abgrenzung für und zwischen Bewährungshelfer und Aufsichtsstelle festzulegen suchte. Daneben wurden zugleich noch andere organisatorische Regelungen für die Aufsichtsstellen getroffen. Die Führungsaufsicht ist für eine Klientel vorgesehen, die im Vergleich zu der der Bewährungshilfe zumeist wesentlich umfangreichere Vorerfahrungen mit Instanzen sozialer Kontrolle aufweist und deshalb allgemein als schwer gefährdet qualifiziert wird. Gleichwohl werden von der Führungsaufsicht recht unterschiedliche Tätergruppen erfaßt. Die Führungsaufsicht ist auch im Rahmen des Jugendkriminalrechts anwendbar (s. §7 JGG). Man unterscheidet zumeist gemäß der gesetzlichen Systematik zwischen den Fällen, in denen Führungsaufsicht durch richterliche Anordnung eintritt (§ 68 Abs. 1 StGB), und den Fällen, in denen sie ohnehin kraft Gesetzes eintritt (§ 68 Abs. 2 StGB). Diese an den formalen Wirksamkeitsbedingungen orientierte Aufteilung bringt indessen die verschiedenen kriminalpolitischen Funktionen der Führungsaufsicht nicht ganz zum Ausdruck. Aus kriminalpolitischer Sicht kann man zwei verschiedene Aufgabenbereiche der Führungsaufsicht unterscheiden: Führungsaufsicht als ambulante Alternative oder als Substitut zur stationären Unterbringung im Maßregelvollzug (1) und Führungsaufsicht als zusätzliches Mittel zur Kontrolle und Intervention bei kriminalprognostisch besonders ungünstig zu beurteilenden Tätern, außerhalb des Bereichs der gemeinlästigen Bagatelldelinquenz (2). Letzterenfalls figuriert die Führungsaufsicht gleichsam als Ausfallbürge für die „eigentliche", unter präventiven Gesichtspunkten aber unzureichende (Vor-)Sanktion.

Strafaussetzung zur Bewährung Mit der grundlegenden Reform des Maßregelrechts, die das 2. Strafrechtsreformgesetz brachte, war die Möglichkeit geschaffen, wie bei Freiheitsstrafen so nun auch bei stationärer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§§ 61 Nr. 1, 63 StGB), einer Entziehungsanstalt (§§ 61 Nr. 2, 64 StGB) und sogar in der Sicherungsverwahrung (§§ 61 Nr. 4, 66 StGB) die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung auszusetzen. Man schuf sowohl die Form der anfänglichen Aussetzung (§§67b, 67 c StGB) durch das erkennende Gericht (s. § 260 Abs. 4 S. 4 StPO) als auch die einer nachträglichen „Rest"-Aussetzung (§67d Abs. 2 StGB) durch das Vollstreckungsgericht (s. §§463, 462 a Abs. 1 StPO). Während sich an die Vollstreckungsaussetzung einer Freiheitsstrafe ein Bewährungsverfahren anschließt, so ist es im Bereich des Maßregelrechts die ambulante Maßregel der Führungsaufsicht, die in sämtlichen Aussetzungsfällen ohne besondere richterliche Anordnung eingreift. Eine Parallele zum Recht der Strafaussetzung läßt sich des weiteren darin erblicken, daß die Vollstrekkungsaussetzung - schon aus strukturellen Notwendigkeiten heraus - eine günstige Prognose voraussetzt. Das Gesetz orientiert sich am Zweck der Maßregel und deren Zweckerreichung. Auch wenn der Zweck (noch) nicht erreicht ist und damit die materielle Grundlage für die Maßregel vorliegt, wird als Weg dorthin neben der Unterbringung auch der der ambulanten Betreuung vor dem Hintergrund des Widerrufs gesehen. Soweit schon durch einen solchen leichteren Eingriff die von den Maßregeln in den Mittelpunkt gerückten kriminalitätsfördernden Bedingungen (z. B. psychische Krankheiten, Rauschmittelsucht) und ihre Auswirkungen im Verhalten des Probanden erfolgversprechend angegangen zu werden vermögen, hat die Führungsaufsicht - in konsequenter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - den Vorrang. Hier bezieht sich die günstige Prognose also nicht primär auf die Symptomfreiheit und selbstregulierende Kräfte im Täter, sondern - bescheidener - vorrangig auf eine ausreichende Zugänglichkeit des Probanden auf ambulante Behandlungs- und Kontrollstile. Daneben stellt freilich die Rückfallgefahr noch einen gesonderten Rechnungsposten dar, weil Humanität und Liberalität einer Behandlung mit den Gefahren für die Allgemeinheit irgendwie ins Lot gebracht werden müssen. Von daher überrascht es nicht, wenn sich die Formeln bei der „Rest"-Aussetzung von Freiheitsstrafen und stationären Maßregeln, also nach erfolgter stationärer Intervention, praktisch wieder gleichen: Gemäß §67d Abs. 2 StGB setzt das Vollstreckungsgericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, sobald „verantwortet werden kann zu erproben, ob der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzuges keine rechtswidrigen Taten mehr begehen w i r d . . . " . Mindestens gleichgewichtig zu dieser ersten Fall-

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gruppe steht die zweite, die den Aspekt einer zusätzlichen Sicherung verfolgt. Hier kennt das Gesetz sowohl die gleichsam automatisch per Gesetz eintretende Führungsaufsicht, die an ein bestimmtes Ereignis, die Entlassung aus einer Anstalt, anknüpft, als auch die durch das erkennende Gericht angeordnete Führungsaufsicht, die mit der Rechtskraft der Entscheidung beginnt, freilich während einer Anstaltsverwahrung nicht ausgeführt wird (s. §68c Abs. 2 StGB). Führungsaufsicht tritt einmal obligatorisch ein, wenn ein Verurteilter wegen der Erreichung der Höchstfrist für die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, das sind gemäß §67d Abs. 1 StGB zehn Jahre, entlassen werden muß (§ 67 d Abs. 4 StGB). Man will auf diese Weise das fortbestehende Sicherungsbedürfnis wenigstens in einer milderen Form befriedigen. Vom Ansatz her sehr ähnliche Überlegungen liegen dem nächsten Tatbestand des §68f StGB zugrunde, wonach Führungsaufsicht eintritt, falls eine wegen einer vorsätzlichen Straftat verhängte Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren vollständig vollstreckt worden ist. Betroffen sind hiervon auch die Fälle, in denen zwar eine Reststrafenaussetzung erfolgt war, die Reststrafe aber dann infolge eines Widerrufs schließlich doch verbüßt werden mußte. Sofern allerdings im Anschluß an die Strafverbüßung eine freiheitsentziehende Maßregel vollzogen wird, besteht das zusätzliche Sicherungsbedürfnis nicht mehr und scheidet deshalb Führungsaufsicht aus diesem Tatbestand aus. Entsprechendes ist anzuordnen, wenn am Ende der Strafzeit aus neuen Gründen heraus eine günstige Kriminalprognose gestellt werden kann (s. §68f Abs. 2 StGB). Auch hier soll jede vermeidbare und eher schädliche Übersicherung unterbleiben. In den beiden Fällen, in denen Führungsaufsicht infolge einer Anordnung des erkennenden Richters eintritt, ist die Anordnung nicht unter bestimmten Voraussetzungen vorgeschrieben, sondern in das pflichtgemäße richterliche Ermessen gestellt. Es handelt sich einmal um den Fall, daß beim tatbestandlichen Vorliegen der gesetzlichen Rückfallbestimmung (§ 48 StGB) - die sechs Monate Freiheitsstrafe als Mindeststrafe vorschreibt - eine zeitige Freiheitsstrafe verwirkt worden ist (s. § 68 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Es braucht keine mindestens sechsmonatige Freiheitsstrafe verhängt worden zu sein, wenn beispielsweise eine besondere Milderung wegen Beihilfe eingreift (s. §§ 27 Abs. 2 S. 2, 49 Abs. 1 StGB). Umgekehrt braucht sich die Mindeststrafe wegen Rückfalls auch gar nicht ausgewirkt zu haben, falls der Strafrahmen wegen des neuen Delikts ohnehin eine noch höhere Mindeststrafe angibt. Soweit jedoch die Anwendung des §48 StGB zu einer Strafschärfung führt, haben wir es mit einer Kumulation des kriminalrechtlichen Eingriffs zu tun, die wiederum auf früheren Eingriffen gründet. Eine derartige Entwicklung muß unter dem Aspekt der kriminellen Karriere als problematisch erschei-

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Strafaussetzung zur Bewährung

nen. Die zweite Fallgruppe betrifft einzelne Strafvorschriften des Besonderen Teils des StGB, ungefähr 30, für die die Anordnung von Führungsaufsicht ausdrücklich vorgesehen wird. Gemäß §68 Abs. 1 Nr. 2 StGB kommt Führungsaufsicht allerdings nur in Betracht, wenn im Einzelfall eine zeitige Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verwirkt worden ist. Die einzelnen Delikte, die Führungsaufsicht nach sich ziehen können, lassen sich schwerlich unter einen rechtsgutbezogenen oder anderweitig zu bildenden Oberbegriff ordnen, sie reichen vom einfachen Diebstahl (auch Diebstahlsversuch) über vorsätzliche Körperverletzung, Sexualstraftaten, Geiselnahme bis zu bestimmten gemeingefährlichen Straftaten. Für beide Fallgruppen, die letztgenannte und auch die des gesetzlich erfaßten Rückfalls, gilt indessen das zusätzliche Erfordernis einer ungünstigen Prognose. Die Anordnung von Führungsaufsicht steht dem Gericht lediglich offen, soweit die abzuurteilende Tat oder die abzuurteilenden Taten als Ausdruck für die kriminelle Gefährlichkeit des Angeklagten angesehen werden können. Die Führungsaufsicht dauert mindestens zwei und höchstens fünf Jahre, die Höchstdauer kann allerdings abgekürzt werden (§68b Abs. 1 StGB). Die Führungsaufsicht endet mit Ablauf der Frist, durch vorzeitige gerichtliche Aufhebung nach Ablauf der Mindestdauer (§68e Abs. 1 StGB) oder aus sonstigen Gründen, z. B. wegen erneuten Vollzuges einer stationären Maßnahme, der entweder unabhängig von der bisherigen Führungsaufsicht erfolgen kann (s. §68e Abs. 3 StGB) oder durch den Widerruf der Aussetzung einer stationären Maßregel bedingt wird. Agenten der Führungsaufsicht sind die Aufsichtsstelle und obligatorisch der Bewährungshelfer. Ihr Zusammenwirken und das Verhältnis zum (übergeordneten) Gericht werden im einzelnen unter II Β dargestellt; hinsichtlich der personellen Ausstattung und Organisation der Aufsichtsstellen s. II A 2. Das rechtliche Instrumentarium zur Beeinflussung der Lebensführung des Probanden sind wiederum Weisungen. Doch gelten für die Führungsaufsicht wichtige Besonderheiten. Die Weisungen werden in zwei verschiedene Gruppen aufgeteilt, wobei die eine Gruppe den Weisungen entspricht, die in Bewährungsverfahren erteilt werden können oder sollen (§ 68 b Abs. 2 StGB), während die andere Gruppe abweichenden Regelungen unterliegt (§68b Abs. 1 StGB). Diese zur zweiten Gruppe gehörenden Weisungen sind in einem abschließenden Katalog einzeln aufgeführt, das Gericht hat darüber hinaus bei seiner konkretisierenden Formulierung das verbotene oder verlangte Verhalten genau zu bestimmen. Der Grund liegt darin, daß Zuwiderhandlungen von § 145 a StGB als kriminelles Unrecht pönalisiert sind. Danach kann bei Antragstellung der Aufsichtsstelle mit Freiheitsstrafe

bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe belegt werden, wer vorsätzlich gegen eine solche präzisierte Weisung verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet. Die Einschränkungen durch strafbewehrte Weisungen können sehr erheblich und die Möglichkeiten des Verstoßes entsprechend reichhaltig sein. Der Proband kann beispielsweise angewiesen werden, einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen (§ 68 b Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder bestimmte Tätigkeiten nicht auszuüben, die er nach den Umständen zu Straftaten mißbrauchen kann (Nr. 4). Verständlicherweise ist bei den strafbewehrten Weisungen eine „Vorwärtsstrategie" des Probanden, nämlich Zusagen über sein künftiges Verhalten zu machen, ausgeschlossen. Daß die Pönalisierung des Weisungsverstoßes erhebliche Probleme aufwirft, ist offensichtlich. Durch das Antragserfordernis kann die Aufsichtsstelle zwar entscheidend steuern. Andererseits gelangt sie dadurch aber auch in eine gewisse Nähe zu den Strafverfolgungsbehörden. Da der Bewährungshelfer die Überwachung der Weisungen immerhin zu unterstützen hat, fragt sich, inwieweit daraus Berichtspflichten erwachsen. Ein wohl noch größeres Dilemma bereitet die Art der Bestrafung, d. h. die Strafzumessung, die leicht auf eine kurzfristige Freiheitsstrafe hinauslaufen wird. An deren Wirksamkeit muß in Anbetracht der betroffenen Klientel gezweifelt werden. Die „strafrechtliche" Lösung ist eigentlich nur als eine Notlösung verständlich und sollte daher auf wirkliche „Notfälle" beschränkt bleiben. Soweit die Führungsaufsicht im Wege der Maßregelaussetzung eintritt, besteht als wirkungsvolles Druckmittel der Widerruf der Aussetzung, der bei einem gröblichen oder beharrlichen Verstoß gegen Weisungen gemäß § 67 g Abs. 1 Nr. 2 StGB in Betracht kommt. Im übrigen besteht nicht in jedem Fall Anlaß, sogleich mit den Weisungen gemäß §68b Abs. 1 StGB zu operieren. Mit Recht wird empfohlen, erst einmal auszuloten, inwieweit nicht schon mit den Mitteln der allgemeinen Bewährungshilfe einigermaßen befriedigende Ergebnisse erreichbar sind. Erst wenn und soweit hierfür der Weg versperrt ist, kann dann durch nachträglichen Beschluß (s. §§463 Abs. 2, 453 Abs. 1 StPO) die Gangart immer noch verschärft werden. So gesehen stellt sich dann bereits die Drohung mit dem Übergang zu verstärkter Einschaltung der Aufsichtsstelle und zu strafbewehrten Weisungen als Druckmittel dar. Die gerichtliche Anordnung der Führungsaufsicht oder ihr Eintritt kraft Gesetzes werden registerrechtlich erfaßt (vgl. §§ 4 Nr. 2, 5 Abs. 1 Nr. 6, 8 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 2 BZRG); falls die Führungsaufsicht durch Aussetzung der Maßregelvollstrekkung eintritt, wird sie indessen unter Umständen nicht in das Führungszeugnis aufgenommen, s. §30 Abs. 2 Nr. 6 BZRG.

Strafaussetzung zur Bewährung C. Bedeutung der Strafaussetzung zur Bewährung, der Bewährungshilfe und der Ffihrungsaufsicht in der kriminalrechtlichen Praxis

171

streckungsaussetzung) und durch die Ablösung der Freiheitsstrafe von der Geldstrafe bewerkstelligt. Über den Widerruf von Aussetzungsentscheidungen und über Ersatzfreiheitsstrafen gelangt zwar ein Teil der Verurteilten später dennoch in den stationären Vollzug. Doch diese beachtenswerten Korrekturen heben den Befund des grundlegenden Wandels keineswegs auf. Um die kriminalpolitische Bedeutung der Strafaussetzung und der Bewährungshilfe zu ermessen, muß deren Rolle in diesem Gesamtrahmen gesehen werden. Entsprechend den Berechnungen von Heinz (Entwicklung, Stand und

1. Strafaussetzung zur Bewährung Die kriminalrechtliche Sanktionspraxis hat in den letzten 100 Jahren elementare Wandlungen erfahren. Die Gewichte haben sich von stationären zu ambulanten Sanktionen verlagert. Dieser Umschichtungsprozeß wurde vor allem durch einen verstärkten Gebrauch der Strafaussetzung (Voll-

Männliche Verurteilte nach allgemeinem Strafrecht im Jahre 1966 Spalte

3

Straftaten

Verurteilte insgesamt

Zu Gefängnis und Zuchthaus

StrafausSetzungen

Verurteilte insgesamt

insgesamt

(% von Sp. 1)

(% von Sp. 2)

(% von Sp. 2)

(% von Sp. 4)

(% von Sp. 2)

(% von Sp. 2)

(% von Sp. 2)

477 604

186 225 (38,9%)

57 851 (31,1%)

170 582 (91,6%)

57 851 (33,9%)

4813 (2,6%)

6642 (3,6%)

4188 (2,2%)

Verbrechen und 202 400 Vergehen ohne Straßenverkehrsdelikte insgesamt

88 333 (43,6%)

29 337 (33,2%)

73 240 (82,9%)

29 337 (30,1%)

4469 (5,1%)

6444 (7,3%)

4180 (4,7%)

Straßenverkehrsdelikte insgesamt

97 892 (35,6%)

29 514 (30,1%)

97 342 (99,4%)

29 514 (30,3%)

344 (0,4%)

198 (0,2%)

8 (0,008%)

Verbrechen und Vergehen insgesamt

275 204

Gefängnis und Zuchthaus 9 Monate 1 Jahr bis bis 1 Jahr 2 Jahre

bis 9 Monate

über 2 Jahre (zeitl. befristet)

davon

im Jahre 1976 Spalte

1 Verurteilte insges.

5 Zu Freiheitsstrafe Verurteilte insges.

StrafausSetzung insges.

(% von Sp. 1)

(% von Sp. 2)

bis 6 Monate

6 Monate

davon

davon

setzt

Straftaten insgesamt

501 070 91 810 (18,3)

(% von Sp. 2)

(% von Sp. 4)

(% von Sp. 2)

Freiheitsstrafen 6-9 Monate 9 Monate bis 1 Jahr davon davon ausgeausgesetzt setzt

(% von (% von Sp. 6) Sp. 2)

(% von Sp. 8)

(% von Sp. 2)

(% von Sp. 10)

Hahr bis 2 Jahre davon

über 2 Jahre

(% von Sp. 2)

(% von Sp. 2)

56 794 43 317 33 272 11 222 7664 12 562 7482 12 179 7582 7862 (61,9) (47,2) (76,1) (12,2) (68,3) (13,7) (59,6) (13,3) (62,3) (8,5)

(% von Sp. 12)

(zeitl. befristet)

794 4602 (10,1) (5,0)

Straftaten ohne 240 745 66 804 Straftaten im (27,7) Straßenverkehr insgesamt

37 487 22 872 16 745 9409 6407 11 089 6597 11 219 6972 7590 766 4559 (56,1) (34,2) (73,2) (14,0) (68,1) (16,6) (59,5) (16,8) (62,1) (11,4) (10,1) (6,8)

Straftaten im 260 325 25 006 Straßenverkehr (9,6) insgesamt

19 307 20 445 16 527 1 813 (77,2) (81,8) (80,8) (7,2)

1257 1 473 (69,3) (5,9)

885 960 (60,1) (3,8)

610 272 (63,5) (1,1)

28 43 (10,8) (0,2)

Quelle: Stat. Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3. Strafverfolgung 1976; und eigene Berechnungen. Die aus 1966 mitgeteilten Daten entstammen teilweise unveröffentlichten Unterlagen Kerners.

172

Strafaussetzung zur Bewährung

Struktur der Strafzumessungspraxis. Eine Übersicht über die nach allgemeinem Strafrecht verhängten Hauptstrafen von 1882 bis 1979. MschrKrim 64. [1981] S. 148f.) waren 1882 noch 76,8% aller Strafen wegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze unbedingt verhängte Freiheitsstrafen, im Jahre 1979 betrug der entsprechende Anteil bei nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten lediglich 6,1 %. Das Verhältnis von stationär : ambulant hat sich von 3 , 3 : 1 in 1:15 geändert. Die Relation von Geldstrafe : Freiheitsstrafe kehrte sich von 1:3,5 in 4 , 7 : 1 um. Seit der gesetzlichen Einführung der Strafaussetzung zur Bewährung in das Erwachsenenstrafrecht im Jahre 1953 hat sich das Verhältnis

der vollstreckbaren zu den ausgesetzten Freiheitsstrafen von 2,3 :1 in 1:1,9 umgewandelt. Während 1954 von den regelmäßig aussetzbaren Freiheitsstrafen des Erwachsenenrechts 33,9 % und 1966 noch 35,9% tatsächlich ausgesetzt wurden, waren es 1976 71,4% und 1979 dann 73,2%. Schon an diesen wenigen Zahlen wird deutlich, daß die Entwicklung der stationären Freiheitsstrafe zur ambulanten Sanktion exemplarisch von einem Vergleich dieser beiden Jahrgänge eingefangen werden kann. Der Grund dafür liegt in der Strafrechtsreform von 1969, die das Rechtsfolgensystem und die Sanktionspraxis im Sinne des aufgezeigten Trends besonders nachhaltig beeinflußt hat. Im folgenden

Männliche Verurteilte nach Jugendstrafrecht im Jahre 1966 4

5

6

davon ausgesetzt (% von Sp.4)

Jugendstrafe 6-9 Monate davon ausgesetzt (% von (% von Sp- 6) Sp. 2)

7

1

2

3

Straftaten

Verurteilte insgesamt

Jugendstrafe insgesamt

Strafaussetzung insgesamt

6 Monate

(% von Sp. 1)

(% von Sp. 2)

(% von Sp. 2)

63 842

8815 (13,8)

4064 (46,1)

1610 1122 2070 1371 2509 (18,3) (69,7) (23,5) (66,2) (28,5)

1571 (62,6)

1286 (14,6)

386 (4,4)

45 138

8534 (18,9)

3901 (45,7)

1489 (Π,4)

1047 1992 1319 2445 (70,3) (23,3) (66,2) (28,7)

1535 (62,8)

1276 (14,9)

384 (4,5)

18 704

281 (1.5)

163 (58,0)

75 52 64 121 78 (43,0) (61,9) (27,7) (66,6) (22,7)

36 (56,2)

10 (3,5)

2 (0,7)

Verbrechen und Vergehen

8

9

11

Spalte

10

von bestimmter Dauer 9 Monate bis 1 Jahr 1-2 Jahre davon ausgesetzt (% von (% von (% von Sp.8) Sp- 2) Sp-2)

über 2 Jahre

(% von Sp-2)

insgesamt Verbrechen und Vergehen ohne Straßenverkehrsdelikte insgesamt Straßenverkehrsdelikte insgesamt

im Jahre 1976 Spalte

1

2

3

Straftaten

Verurteilte insgesamt

Jugendstrafe insgesamt

Strafaussetzung insgesamt

6 Monate

(% von Sp. 1)

(% von Sp. 2)

(% von Sp. 2)

(% von Sp.2)

setzt (% von Sp.8)

(% von Sp.2)

94 915

16 828 (17,7)

9667 (57,4)

3051 2485 3528 2778 5081 (18,1) (81,4) (20,9) (78,7) (30,2)

3724 (73,3)

3417 680 1255 (20,3) (19,9) (7,5)

Straftaten ohne 71 308 Straftaten im Straßenverkehr insgesamt

16 247 (22,8)

9288 (57,2)

2852 2333 3401 2679 4910 (17,5) (81,8) (20,9) (78,8) (30,2)

3616 (73,6)

3345 660 1247 (20,6) (19,7) (7,7)

Straftaten im 23 607 Straßenverkehr insgesamt

581 (2,5)

379 (65,2)

199 152 127 99 171 (34,3) (76,4) (21,9) (77,9) (29,4)

108 (63,2)

72 20 8 (12,4) (27,8) (1,4)

Straftaten insgesamt

Quelle: wie zuvor.

4

5

6

7

davon

Jugendstrafe von bestimmter Dauer 9 Monate bis 1 Jahr 1-2 Jahre 6-9 Monate davon davon davon

setzt (% von Sp. 4)

(% von Sp. 2)

setzt (% von Sp. 6)

8

9

10

11

setzt (% von Sp. 10)

12

über 2 Jahre

(% von Sp.2)

173

Strafaussetzung zur Bewährung

Prozentsatz der ausgesetzten Strafen von 61,86%; betrachtet man lediglich die Straftaten im Straßenverkehr, liegt der Anteil der ausgesetzten Strafen sogar bei 77,21 %. Die vollstreckbare Freiheitsstrafe, die im Bereich der „klassischen" Kriminalität (ohne Straßenverkehrsdelikte) 1966 immerhin noch in 29,15 % der Fälle verhängt wurde, hatte 1976 nur noch einen Anteil von 12,18 % an der Gesamtheit der entsprechenden Verurteilungen. Das Anliegen der Strafrechtsreform von 1969, die Freiheitsstrafe generell, vornehmlich aber die kürzere und da wiederum die vollstreckbare, einzuschränken, konnte auf die Praxis durchschlagen. Die Häufigkeitsverteilung der Strafaussetzung stimmt mit den Erwartungen, die man aufgrund der gesetzlichen Regelung haben muß, auch insofern überein, als der Anteil der Aussetzungen bei den

wird deshalb zunächst ein Überblick über die Entwicklung der anfänglichen Strafaussetzung in den Jahren 1966 und 1976 gegeben, der sich auf männliche Verurteilte nach Erwachsenenstrafrecht und nach Jugendstrafrecht bezieht. Die bei weitem geringeren Zahlen für weibliche Verurteilte werden nur für 1976 - wiederum getrennt nach Erwachsenenstrafrecht und nach Jugendstrafrecht - aufgeführt, da es insoweit als ausreichend erscheint, eine gewisse Anschauung von den Größenordnungen zu vermitteln. Am augenfälligsten zeigt sich der Rückgang der Freiheitsstrafen im Bereich der Verkehrsdelinquenz. Der Anteil der ausgesetzten Freiheitsstrafen betrug 1966 noch für alle Verbrechen und Vergehen 31,07%, für die Straßenverkehrsdelikte 29,13%. Bezüglich 1976 ergibt sich für alle Straftaten ein

Weibliche Verurteilte (1976) nach allgemeinem Strafrecht Spalte

1

2

3

4

Straftaten

Verurteilte insges.

Zu Freiheitsstrafe Verurteilte insges.

Strafaussetzung insges.

(% von Sp. 1)

(% von Sp.2)

Freiheitsstrafen bis 6 Monate 6 Monate 6-9 Monate 9 Monate bis 1 Jahr davon davon davon davon ausgeausgeausgeausgesetzt setzt setzt setzt (% von (% von (% von (% von (% von (% von (% von (% von Sp.4) Sp.2) Sp.2) Sp.8) Sp. 2) Sp. 10) Sp. 6) S p . 2 )

6423

5007

3736

3077

810

682

746

586

708

(7,1)

(77,9)

(58,2)

(82,4)

(12,6)

(84,2)

(11,6)

(78,5)

(11,0)

6070

4701

3449

2822

784

662

723

568

(9,2)

(77,4)

(56,8)

(81,8)

(12,9)

(84,4)

(11,9)

(78,6)

353

306

287

255

26

20

23

(1,4)

(86,7)

(81,3)

(88,8)

(7,4)

(76,9)

(6,5)

7

8

Straftaten

91084

insgesamt

Straftaten ohne

65 949

S t r a f t a t e n im

5

6

7

8

9

10

11

12

14

13

Hahr bis 2 Jahre davon ausgesetzt

über 2 Jahre (zeitl. befristet)

(% von Sp.2)

(% von (% von Sp. 12) S p . 2 )

578

276

84

142

(81,6)

(4,3)

(30,4)

(2,2)

692

565

275

84

142

(11,4)

(81,6)

(4,5)

(30,5)

(2,3)

18

16

13

1

(78,3)

(4,5)

(81,3)

(0,3)

/

/

Straßenverkehr insgesamt

Straftaten im

25 135

Straßenverkehr insgesamt

nach Jugendstrafrecht Spalte

1

2

3

Straftaten

Verurteilte insgesamt

Jugendstrafe insgesamt

StrafausSetzung insgesamt

6 Monate

(% von Sp. 1)

(% von Sp.2)

Straftaten

12 2 7 0

insgesamt

Straftaten ohne

10 765

Straftaten im

4

5

6

davon ausge-

Jugendstrafe von bestimmter Dauer 6-9 Monate 9 Monate bis 1 Jahr 1-2 Jahre über 2 Jahre davon davon davon ausgeausgeausge-

9

10

11

12

(% von Sp.2)

setzt (% von Sp. 4)

(% von Sp. 2)

setzt (% von Sp. 6)

(% von Sp. 2)

setzt (% von Sp. 8)

259

283

231

355

(% von Sp. 2)

setzt (% von Sp. 10)

(% von Sp. 2)

49

28

1119

817

300

278

143

(9,1)

(73,0)

(26,8) (86,3) (25,3) (81,6) (31,3)

(78,3)

(12,8) (34,3)

(2,5)

1106

809

295

275

141

28

(10,3)

(73,1)

(26,7) (86,4) (25,5) (81,6) (31,6)

(78,6)

(12,7) (34,8)

13

8

5

3

(0,9)

(61,5)

(38,5) (80)

255

282

230

350

49

(2,5)

Straßenverkehr insgesamt

Straftaten im

1505

Straßenverkehr insgesamt

Quelle: wie zuvor.

4

1

1 (7,7)

5 (100)

(38,5)

(60)

2 (15,4)

-

-

174

Strafaussetzung zur Bewährung

unter sechs Monaten liegenden Freiheitsstrafen am höchsten ist (alle Straftaten: 76,81%, nur Straftaten im Straßenverkehr: 80,84 %), hingegen die Prozentsätze der Aussetzungen für die Freiheitsstrafen von neun Monaten bis zu einem Jahr nicht etwa niedriger liegen als die der Aussetzungen von Freiheitsstrafen zwischen sechs und neun Monaten (Anteil der Aussetzungen bei den 6-9monatigen Freiheitsstrafen: Straftaten insgesamt 59,56%, nur Straftaten im Straßenverkehr 60,08%; Anteil der Aussetzungen bei den 9-12monatigen Freiheitsstrafen: Straftaten insgesamt 62,26 %, nur Straftaten im Straßenverkehr 63,54%). Bei den Freiheitsstrafen zwischen einem und zwei Jahren, die nur unter besonderen Voraussetzungen ausgesetzt werden können, sinkt der Prozentsatz der Aussetzungen erwartungsgemäß stark ab: Er beträgt für alle Straftaten 10,10 %, für die Straftaten im Straßenverkehr 10,29%. Die Einzelberechnungen machen erkennbar, daß die Aussetzungspraxis hinsichtlich der „klassischen" Kriminalität von der Verkehrskriminalität nicht sonderlich abweicht. Wenn gleichwohl der Anteil der Aussetzungen bei den wegen Verkehrsstraftaten zu Freiheitsstrafe Verurteilten in seiner Gesamtheit deutlich höher liegt, hat das seinen Grund darin, daß im Bereich der klassischen Kriminalität vergleichsweise mehr längere Freiheitsstrafen verhängt werden, für die eine Aussetzung weniger oder gar nicht in Betracht kommt.

Der Rückgang der Freiheitsstrafen gilt lediglich für Erscheinungsformen der geringfügigeren und mittleren Kriminalität, nicht hingegen für gravierende Straftaten. Diese betreffen nur einen sehr kleinen Täterkreis, der gleichsam den „harten Kern" darstellt. Die Grenze liegt etwa bei einer konkret verwirkten Freiheitsstrafe von einem Jahr. Ein Vergleich der Jahre 1966 und 1976 läßt erkennen, daß freilich die Sanktionspraxis im Grenzbereich nicht unabhängig von den Grenzziehungen des jeweiligen positiven Rechts ist. So liegt die Anzahl der Freiheitsstrafen zwischen 9 Monaten und einem Jahr 1976 wesentlich höher als 1966, da zu der Zeit die Neun-Monats-Zäsur für die Strafaussetzung nicht mehr galt und die etwas längeren Strafen ebenfalls ausgesetzt werden konnten. Man gelangt hier wieder zu ähnlichen Größenordnungen, wenn man die ausgesetzten Strafen von den insgesamt verhängten abzieht und somit lediglich die nicht ausgesetzten Freiheitsstrafen vergleicht (dann: Straftaten insgesamt: 4597; Straftaten ohne Taten im Straßenverkehr: 4247, Straftaten im Straßenverkehr: 350). Die Entwicklung im Erwachsenenstrafrecht hat sich in abgeschwächter Form auch auf das Jugendkriminalrecht ausgewirkt. Dort sind die Anteile der ausgesetzten Jugendstrafen gegenüber den vollstreckbaren Jugendstrafen um mehr als 10 % gestiegen:

Anteil der ausgesetzten Jugendstrafen an den gegen männliche Verurteilte verhängten Jugendstrafen bis zu einem Jahr Straftaten

Dauer der Jugendstrafe

Jahr

Anteil der Aussetzungen

Straftaten insgesamt

6 Monate

1966 1976 1966 1976 1966 1976

69,69 % 81,45% 66,23 % 78,74% 62,62 % 73,29 %

1966 1976 1966 1976 1966 1976

70,32 % 81,80% 66,22 % 78,77 % 62,78 % 73,65 %

1966 1976 1966 1976 1966 1976

61,98% 76,38% 66,67 % 77,95 % 56,25 % 63,16%

6-9 Monate 9 Monate bis 1 Jahr

Straftaten ohne Straftaten im Straßenverkehr

6 Monate 6-9 Monate 9 Monate bis 1 Jahr

Straftaten im Straßenverkehr insgesamt

6 Monate 6-9 Monate 9 Monate bis 1 Jahr

Quelle: vgl. Tab. 1.

175

Strafaussetzung zur Bewährung Ein Vergleich der absoluten Zahlen der 1966 und 1976 verhängten Jugendstrafen ergibt für 1976 nahezu eine Verdoppelung. Das scheint der These vom Rückgang der Freiheitsstrafe zu widersprechen. Hier muß jedoch berücksichtigt werden, daß die deutliche Zunahme auch gerade der längeren, ein Jahr übersteigenden Jugendstrafe, auf eine stärkere Anwendung des Jugendkriminalrechts auf Heranwachsende zurückzuführen ist. Der Beurteilungsspielraum, ob ein zur Tatzeit schon 18-, aber noch nicht 21jähriger einem Jugendlichen gleichzustellen ist (vgl. § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG), wird zunehmend zugunsten des Jugendrechts genutzt. Auch eine These vom Kriminalitätszuwachs wird man auf diese Daten (erst recht) nicht stützen können.

Anteil der Aussetzungen

Vor allem bei männlichen Verurteilten ist der Anteil der ausgesetzten Strafen unter Anwendung des Jugendrechts relativ (d. h. unter Ausschluß der kurzen Freiheitsstrafen bis zu 6 Monaten) höher. Das kann nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden, weil Jugendstrafe überwiegend wegen „schädlicher Neigungen" verhängt wird, wodurch die Prognose negativ beeinflußt werden müßte. Gegenüber den männlichen weisen die weiblichen Verurteilten noch bessere Aussetzungsquoten auf. Sie werden offenbar insgesamt gesehen prognostisch günstiger beurteilt. Bei den weiblichen Verurteilten gestaltet sich indessen die Differenz zwischen Jugendrecht und Erwachsenenrecht niedriger.

unter Anwendung von allgemeinem Strafrecht und von Jugendstrafrecht Straftaten insgesamt - im Jahre 1976

6 Monaten

Freiheitsstrafe von 6-9 Monaten 9 Monaten bis zu 1 Jahr

1 Jahr bis zu 2 Jahren

männlich allgemeines Strafrecht

68,29%

59,56%

62,26 %

10,10%

Jugendstrafrecht

81,45%

78,74 %

73,29%

19,90 %

weiblich allgemeines Strafrecht

84,20%

78,55 %

81,64%

30,44 %

Jugendstrafrecht

86,33 %

81,63%

78,31 %

34,27 %

Quelle: vgl. Tab. 1.

Die Anteile der ausgesetzten Freiheitsstrafen bei einzelnen Delikten sind ebenfalls unterschiedlich, wie die Übersicht auf Seite 176 veranschaulicht. Von den aussetzbaren Freiheitsstrafen wurden beispielsweise unter Anwendung des allgemeinen Strafrechts beim Diebstahl nur 52,07 % ausgesetzt, beim Raub 45,36%, bei der Urkundenfälschung dagegen 61,75 %. Die männlichen Täter einer Vergewaltigung schnitten mit 56,91 % besser ab als die wegen einfachen Diebstahls Verurteilten (46,57%). Im Hinblick auf die beispielhaft aufgeführten Delikte bestätigt sich wiederum, daß einmal die nach Jugendkriminalrecht verurteilten männlichen Delinquenten im allgemeinen eine größere Chance der Aussetzung gegenüber den nach Erwachsenenstrafrecht Verurteilten haben und daß zum andern die Aussetzungsquote bei den weiblichen Verurteilten höher liegt als bei den männlichen. Wenn die Gesamtgegenüberstellung der Aussetzungshäufigkeit im Erwachsenenstrafrecht und

im Jugendstrafrecht für das Jugendrecht sogar leicht niedrigere Werte aufweist, so liegt das im wesentlichen an der hohen Anzahl von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten (die es im Jugendrecht nicht gibt), die vor allem bei Straßenverkehrsdelikten häufig zur Bewährung ausgesetzt werden. Trotz der Schwankungen, die die Aussetzungspraxis bezüglich einzelner Delikte aufweist, halten sich diese Abweichungen doch - verglichen mit vergleichbaren Werten - in Grenzen. Größere Polarisierungen würden sich ergeben, falls die ausgesetzten zu den verhängten Freiheitsstrafen in Beziehung gesetzt würden. Dann betrüge beispielsweise der Anteil der Aussetzungen beim Raub (allgemeines Strafrecht, männliche und weibliche Verurteilte) nur 33,56 % gegenüber 58,56 % bei der Urkundenfälschung. Um das Sanktionsverhalten der Gerichte genauer zu erfassen, erscheint es jedoch zweckmäßig, der Berechnung lediglich die aussetzbaren Freiheitsstrafen zugrundezulegen, zugleich

176

Strafaussetzung zur Bewährung Anteil der Aussetzungen bei einzelnen Delikten im Jahre 1976

Deliktsgruppe

angewende- Verurteilte davon Frei- Anteil der tes Recht insges. heitsstrafe Freiheitsstrafe

Einfacher allgemeines m Strafrecht w Diebstahl §242 StGB i

aussetzbare ausgesetzte Anteil der ausFreiheitsFreiheitsgesetzten an den strafen strafen aussetzbaren Freiheitsstrafen

48018 38449 86467

8600 1799 10399

17,91 % 4,68% 12,03 %

8518 1794 10312

3967 1402 5369

46,57 % 78,15 % 52,07%

m w i

19405 6537 25942

1677 212 1889

8,64% 3,24% 7,28 %

1584 212 1796

989 146 1135

62,44 % 68,87 % 63,20 %

Einfacher allgemeines m Raub Strafrecht w §249 StGB

854 48 902

843 45 888

98,71 % 93,75 % 98,45 %

615 42 657

268 30 298

43,58% 71,43% 45,36%

m w i

1066 55 1121

782 36 818

73,36% 65,46% 72,97 %

665 36 701

456 29 485

68,57 % 80,56% 69,19%

Vergewalti- allgemeines m gung § 177 Strafrecht w Abs. 1 StGB i

891 2 893

881 2 883

98,88 % 100,00% 98,88%

557 2 559

317 1 318

56,91 % 50,00 % 56,89%

m w i

288 2 290

238 1 239

82,64 % 50,00% 82,41 %

175

108

61,71%

175

108

61,71%

Urkunden- allgemeines m fälschung Strafrecht w §267 StGB >

8615 1656 10271

3118 417 3535

36,19% 25,18 % 34,42 %

2946 406 3352

1750 320 2070

59,40 % 78,82 % 61,75%

1738 364 2102

324 83 407

18,64% 22,80 % 19,36%

298 83 381

193 62 255

64,77% 74,70 % 66,93 %

allgemeines m 501070 Strafrecht w 91084 i 592154

91810 6423 98233

18,32% 7,05 % 16,59%

87142 6276 93418

56794 5007 61801

65,17% 79,78% 66,16 %

Jugendstrafe

16828 1119 17947

17,73 % 9,12% 16,74%

15077 1081 16158

9667 817 10484

64,12 % 75,58% 64,88 %

Jugendstrafrecht

Jugendstrafrecht

Jugendstrafrecht

Jugendstrafrecht

Straftaten insgesamt

m w i

m 94915 w 12270 i 107185

-

-

-

Quelle: vgl. Tab. 1.

freilich auch zu berücksichtigen, zu wieviel Prozent ein Delikt überhaupt mit Freiheitsstrafe geahndet wird. Hier gibt es, wie die vorstehende Tabelle zeigt, natürlich erhebliche Unterschiede. Interessant ist nun, daß ein hoher Anteil an Freiheitsstrafen nicht gleichzeitig zu einer restriktiven Aussetzungspraxis führt. Das macht eine Gegenüberstel-

lung der Verurteilungen wegen Diebstahls (mit einem relativ geringen Anteil verhängter Freiheitsstrafen - 12,03 % nach allgemeinem Strafrecht, 7,28% nach Jugendstrafrecht) mit denen wegen Raubes (mit einem sehr hohen Anteil verhängter Freiheitsstrafen - 98,45 % nach allgemeinem Strafrecht, 72,97% nach Jugendstrafrecht) erkennbar.

Strafaussetzung zur Bewährung Während die Aussetzungsfreudigkeit in Anwendung des allgemeinen Strafrechts beim Diebstahl noch mit 52,07 % vor der von 45,36 % beim Raub liegt, werden in Anwendung des Jugendrechts mehr aussetzbare Jugendstrafen wegen Raubes ausgesetzt (69,19%) als wegen Diebstahls (63,20%). Bedenkt man, daß die Aussetzungsentscheidung überwiegend an die Kriminalprognose gebunden ist, erscheinen derartige Ergebnisse keineswegs ungesetzlich. Zu wenig Beachtung gefunden hat bislang der Aspekt der Stellung der Strafaussetzung im Längsschnitt der Sanktionierung des einzelnen Täters, mithin die Frage, welche kriminalrechtlichen Rechtsfolgen der Strafaussetzung vorausgegangen sind, von welchem Punkt an die Gerichte zur Freiheitsstrafe mit Aussetzung „gegriffen" haben. Die nachfolgenden Sanktionen werden teilweise von der Erfolgskontrolle erfaßt (hierzu s. III Α und B). Über die Vorgeschichte geben die Statistiken keinen Aufschluß; man ist insoweit auf empirische Einzeluntersuchungen (von Stichproben) angewiesen. Sie sind vor allem für die Jugendkriminalrechtspflege bedeutsam, da das Jugendkriminalrecht unter einem besonderen Erziehungsanspruch steht und die Jugendstrafe nicht lediglich als tatbezogene Vergeltungssanktion begriffen werden darf. In der jugendkriminalrechtlichen Praxis fungiert die ausgesetzte Jugendstrafe vermutlich weniger als Instrument frühzeitiger intensiver ambulanter Betreuung, sondern mehr als ein mittelschweres repressives Übel, das stärker ist als etwa Arbeitsauflagen und Jugendarrest, das andererseits jedoch noch das letzte Mittel des Freiheitsentzuges (zumindest vorerst) vermeidet.

2.

Bewährungshilfe

Der Anstieg der Strafaussetzung wird begleitet und ergänzt durch eine ständig wachsende Inanspruchnahme der Bewährungshilfe. Man betreut also diejenigen, die in früheren Jahren stationär untergebracht worden wären, auf ambulantem Wege. Die Inanspruchnahme der (hauptamtlichen) Bewährungshilfe in den letzten zehn Jahren veranschaulicht die Übersicht auf dieser Seite. Diese Zahlen spiegeln zu einem Teil die praktischen Auswirkungen des 1. StrRG wider. Die entsprechenden Veränderungen werden durch einen Vergleich der Jahre 1968 (vor der Reform) und 1971 (nach der Reform) erfaßt. Ebenfalls scheint sich das 2. StrRG, das vom EGStGB flankiert, korrigiert und ergänzt am 1. Januar 1975 in Kraft getreten ist, durch eine erneute Mehrbelastung der Bewährungshilfe niedergeschlagen zu haben, da die Zahlen für das allgemeine Strafrecht 1975 erneut überdurchschnittlich angestiegen sind. Im Wege der weiteren Reform hat man jedoch die unmittelbaren Vorschriften über die Strafaussetzung nicht mehr

177

Jährliche Zugänge zur hauptamtlichen Bewährungshilfe Jahr

Anzahl der Bewährungshelfer im Bundesgebiet (mit Berlin)

anfängliehe Strafaussetzung nach allgemeinem Strafrecht

Verhängungsaussetzungund anfängliche Aussetzung einer bestimmten Jugendstrafe

Restaussetzung -bedingte Entlassung - n a c h allgemeinem Strafrecht

Aussetzung des Restes einer bestimmten oder unbestimmten Jugendstr.

1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976

516 519 524 538 616 717 819 911 1018 1118 1241

1554 1871 1761 2051 4036 4445 4724 4939 5324 7042 7719

4949 5982 6329 7286 7977 9394 10024 10771 10708 11177 11615

1841 2015 2716 3386 4812 4393 3518 3606 3979 5962 7262

2424 2847 3257 3344 3274 3324 3194 3977 3944 3927 3778

Quelle: Stat. Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 5. Bewährungshilfe.

wesentlich und im Sinne einer Ausdehnung der Unterstellungen unter Bewährungshilfe abgeändert (die Führungsaufsicht wird noch gesondert angesprochen). Gegenüber 1968 nahmen 1971 die Zugänge wegen gerichtlich angeordneter anfänglicher Strafaussetzung nach allgemeinem Strafrecht um 152,41 % zu. Der Zuwachs im Jahre 1976 beträgt gegenüber 1966 nicht weniger als 396,72 %! Bei den Restaussetzungen ergibt sich für 1971 im Vergleich zu 1968 eine Zunahme von 61,75%, der Anstieg von 1966 (100%) bis 1976 gestaltete sich nahezu ebenso rasant wie bei der anfänglichen Aussetzung, er beträgt 294,46 %. Die Entwicklung im Jugendkriminalrecht verlief kontinuierlicher. Zwar haben wir auch hier von 1970 zu 1971 einen überdurchschnittlichen Zuwachs von 1417 Unterstellungen bei der anfänglichen Aussetzung ( = 17,76%) zu verzeichnen, während der Anstieg in den Vorjahren von 1967 zu 1968 (+ 347), von 1968 zu 1969 (+ 957), von 1969 zu 1970 (+ 691) und dann von 1971 zu 1972 (+ 630) und von 1972 zu 1973 (+ 747) im Durchschnitt nur jeweils (von Jahr zu Jahr) 8,91 % betrug. Die Daten stützen die schon zuvor dargelegte These von der Ausstrahlung der Reform auf die Praxis der Jugendkriminalrechtspflege, die bereits seit 1966 im wesentlichen über das nötige gesetzliche Instrumentarium verfügte. So paßt es auch ins Bild, daß der jährliche Anstieg der Bewährungsaufsichten auch schon von 1968 zu 1969, als die Konturen der Reform im Erwachsenenrecht deutlich waren, eine Rate von 15,12% aufwies. Eine Aufschlüsselung der Daten nach den einzelnen Unterstellungsgründen und nach dem Geschlecht erfolgt durch die nachstehende Tabelle:

Strafaussetzung zur Bewährung

178

Zugänge zur hauptamtlichen Bewährungshilfe im Jahre 1976 allgemeines Strafrecht 1

Zugänge

männlich: 14 676

weiblich: 917

insgesamt: 15 593

3

2

4

5

6

anfängliche Aussetzung

Restaussetzung

gem. §56 Abs. 1 StGB

gem. §56 Abs. 2 StGB

gem. §57 Abs. 1 StGB

gem. §57 Abs. 2 StGB

Gnadenentscheidungen und Aussetzung des Berufsverbots gem. §78 a StGB

6729 (45,9%)*

431 (2,9%)

6753 (46%)

233 (1,6%)

530 (3,6%)

25 (2,7)

82 (8,9)

258 (1,7%)

612 (3,9 %)

520 (56,7%)*

7249 (46,5 %)*

39 (4,3%)

470 (3,0%)

251 (27,4%)

7004 (44,9)

Sonstige

Jugendstrafrecht 1

Zugänge

männlich: 14 297

weiblich: 1 197

insgesamt: 15 494

2

3

4

5

6

7

anfängliche Aussetzung

Restaussetzung

Verhängungsaussetzung gem. § 27 JGG

Vollstreckungsaussetzung gem. § 21 gem. § 21 Abs. 1 JGG Abs. 2 JGG

gem. gem. Gnaden§ 88 JGG § 89 JGG entscheidung.

1265 (8,8%)*

8504 (59,5%)

3271 (22,9%)

194 (16,2%)*

1459 (9,4%)*

802 (67%)

9306 (60%)

780 (5,5%)

70 (5,8%)

850 (5,5%)

118 (9,9%)

3389 (21,9%)

383 (2,7%)

6 (0,5%)

389 (2,5%)

Sonstige

94 (0,7%)

7 (0,6%)

101 (0,7%)

* %-Angaben jeweils bezogen auf Spalte 1 - Zugänge Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 5. Bewährungshilfe; sowie eigene Berechnungen. Vergleicht man die Inanspruchnahme der Bewährungshilfe nach Erwachsenen- und nach Jugendstrafrecht, fällt das zahlenmäßige Gleichgewicht zwischen 15 593 (Zugängen nach allgemeinem Strafrecht) und 15 494 (Zugängen nach Jugendrecht) auf. Mittlerweile hat also die Bewährungshilfe - gemessen an den absoluten Zahlen für das Erwachsenenstrafrecht eine etwa gleich große Bedeutung.

Ein Blick auf die vorausgegangene Übersicht läßt erkennen, daß das nicht immer so war, die Bewährungshilfe vielmehr im Erwachsenenstrafrecht „aufgeholt" hat. 1966 noch wurde sie mit 3395 nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten befaßt, während über Vorschriften des Jugendkriminalrechts immerhin 7373 Zugänge erfolgten. Bei näherem Hinsehen bestehen auch jetzt gewisse strukturelle Unterschiede. Sie äußern sich darin, daß die Ausla-

179

Strafaussetzung zur Bewährung stung der Bewährungshilfe durch anfängliche Aussetzungen und Restaussetzungen verschieden stark ist. Unter Anwendung des allgemeinen Strafrechts halten sich beide Zugangsarten in etwa die Waage, wohingegen die jugendrechtlichen Zugänge seit jeher ein Obergewicht bei der anfänglichen Aussetzung aufweisen. Dieses Übergewicht muß positiv interpretiert werden: Bewährungshilfe bedeutet ambulante Behandlung, die den Weg zum Vollzug verhindern soll. Die differenzierte Berücksichtigung der verschiedenen Aussetzungsformen veranschaulicht für das Jugendrecht zugleich die gegenwärtige praktische Bedeutung der Verhängungsaussetzung gemäß § 27 JGG. Sie hatte, gemessen an den Zugängen der Bewährungshilfe im Jahre 1976, einen Anteil von 12,56 % an den anfänglichen Aussetzungen. Dieser Anteil ist trotz einer gewissen Konstanz in starkem Maße abhängig von der regional sehr unterschiedlichen Praxis und von der Richterpersönlichkeit. Während im Jugendrecht wegen der obligatorischen Unterstellung des Probanden unter einen (in

Jahr

1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976

Restaussetzungen (bedingte Entlassungen) gem. der Strafvollzugsstatistik-allgemeines Strafrecht und Jugendstrafrecht insgesamt

18306 19076 22428 20106 17157 13998 13676 14998 16286 16498 17951

abzüglich der Zugänge zur Bewährungshilfe nach den §§88,89 JGGgem. der Bewährungshilfestatistik

der Regel) hauptamtlichen Bewährungshelfer die Zugänge im wesentlichen mit der gesamten Zahl der richterlichen Aussetzungsentscheidungen übereinstimmen, betreffen die jährlichen Zugänge zur Bewährungshilfe im Erwachsenenstrafrecht nur einen kleinen Prozentsatz. So wurde im Jahre 1976 die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß §56 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB bei 56794 männlichen Verurteilten zur Bewährung ausgesetzt, jedoch hatte die Bewährungshilfe nur 7160 Neuzugänge (12,61 %) zu registrieren. Bei den entsprechenden weiblichen Verurteilten stehen 559 Unterstellungen einer Gesamtheit von 5007 Aussetzungsentscheidungen gegenüber (11,16%). Insgesamt werden folglich im allgemeinen Strafrecht lediglich 12,49 % der unter Strafaussetzung Verurteilten der hauptamtlichen Bewährungshilfe zugeführt. Bei den Restaussetzungen liegt der Anteil jedoch erheblich höher. Obwohl insoweit genaue Zahlen nicht zugänglich sind, läßt sich der Prozentsatz wie folgt abschätzen:

Differenz (geschätzte Restaussetzungen nach allgemeinem Strafrecht)

2424 2847 3257 3344 3274 3324 3194 3977 3944 3927 3778

15882 16229 19171 16762 13883 10674 10482 11021 12342 12571 14173

Bewährungshilfe bei Restaussetzung nach allgemeinem Strafrecht - Z u g ä n g e -

1841 2015 2716 3386 4812 4393 3518 3606 3979 5962 7262

Anteil der Unterstellungen unter Bewährungshilfe

11,60% 12,42 % 14,17% 20,20% 34,66% 41,16% 33,56 % 32,72% 32,24% 47,43 % 51,24%

Quelle: Eigene Berechnungen anhand der Rechtspflegestatistiken. Danach hat die Entwicklung dazu geführt, daß immerhin bei ungefähr jeder zweiten Restaussetzung nach allgemeinem Strafrecht ein Bewährungshelfer bestellt wird. Diese Hälfte wiederum ist auf ungefähr 30 % der Entlassenen (die vorzeitig Entlassenen) zu beziehen. Die tatsächliche Belastung und Auslastung der Bewährungshilfe kann durch die Zugänge allein nicht erfaßt werden, da die Anzahl der fortzuführenden Bewährungshilfen einbezogen und die Abgänge abgezogen werden müssen. Dieser Bestand an Probanden gestaltete sich am Stichtag des 31. Dezember 1976, wie aus der Übersicht auf Seite 180 folgt. Die in der rechten Spalte ausgewiesenen Fallzahlen sind zunächst nur rechnerische Einheiten, die

sich ergeben, wenn die Summe der Probanden (die nach Erwachsenenstrafrecht und Jugendstrafrecht der Bewährungshilfe unterstellt sind) durch die jeweilige Anzahl der männlichen oder weiblichen Bewährungshelfer geteilt wird. Diese Aufteilung ist freilich nicht identisch mit der tatsächlich durchgeführten Geschäftsverteilung. Vielmehr werden weibliche Bewährungshelfer vor allem auch für männliche Jugendliche und Heranwachsende eingesetzt. Die Insgesamt-Berechnungen in der dritten Linie (Verhältnis der Gesamtzahl der Probanden zur Gesamtzahl der Bewährungshelfer) zeigen, daß die allgemein anerkannte Richtzahl von 40 Probanden pro Bewährungshelfer in fast keinem Land eingehalten werden konnte. Der Übersicht zufolge waren die Verhältnisse in Berlin am günstigsten, im Saarland am ungünstigsten. Freilich darf die Bedeu-

180

Strafaussetzung zur Bewährung Hauptamtliche Bewährungshelfer und Probanden am 31. Dezember 1976 im Bundesgebiet (einschl. Berlin-West) Probanden Jugendrecht allgemeines Strafrecht

Fallzahl pro Bewährungshelfer

Bundesland

Bewährungshelfer

Schleswig-Holstein

m w i

32 5 37

1017 39 1056

1027 32 1059

63,88 57,16

Hamburg

m w i

51 13 64

1869 119 1988

932 72 1004

54,92 14,69 46,75

Niedersachsen

m w i

141 36 177

4258 210 4468

3117 163 3280

52,71 10,36 43,77

Bremen

m w i

25 4 29

903 53 956

387 32 419

51,60 21,25 47,41

NordrheinWestfalen

m w i

301 76 377

9731 468 10199

9377 711 10088

63,48 15,51 53,81

Hessen

m w i

58 29 87

3084 201 3285

2257 161 2418

92,09 12,48 65,55

Rheinland-Pfalz

m w i

49 7 56

1471 88 1559

1848 124 1972

67,74 30,29 63,05

BadenWürttemberg

m w 1

130 42 172

4347 280 4627

4059 357 4416

64,66 15,17 52,58

Bayern

m w i

114 34 148

3203 282 3485

5201 361 5562

78,72 18,92 61,13

Saarland

m w i

14 3 17

527 24 551

988 75 1063

108,21 33,00 94,94

Berlin-West

m w i

59 18 77

1591 130 1721

1023 83 1106

44,31 11,83 36,71

Bundesrepublik insgesamt

m w 1

974 267 1241

32001 1894 33895

30216 2171 32387

63,88 15,23 53,41

Quelle: Stat. Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 5. Bewährungshilfe.

181

Strafaussetzung zur Bewährung tung der Fallzahl auch nicht überschätzt werden. Sie hängt maßgeblich von der Dauer der Bewährungszeit ab. So kann nach einer intensiven Eingangsphase bei einer deutlichen Aufwärtsentwicklung des Probanden der Arbeitsanfall in der Folgezeit sehr gering sein; wird die Bewährungszeit abgekürzt, rechnet der Proband ab Abgang nicht mehr mit, dauert die Bewährungszeit fort, erhöht er zwar die Fallzahl, kaum hingegen die Arbeitsbelastung usf. Die Angaben zur Bewährungshilfe beziehen sich jeweils nur auf die hauptamtliche Bewährungshilfe. Zuverlässige Zahlen über die ehrenamtliche Be-

währungshilfe im Bundesgebiet liegen bisher nicht vor. Der Anteil ist jedoch vermutlich sehr gering und kann für eine Beurteilung der Gesamtsituation vernachlässigt werden, vgl. im übrigen II A 3. 3.

Die praktische Bedeutung der Führungsaufsicht liegt überwiegend bei den Fällen, in denen Führungsaufsicht kraft Gesetzes eintritt. Die Gerichte sind bei der Anordnung der Führungsaufsicht bisher sehr zurückhaltend, wie die nachstehende Übersicht zeigt:

Richterlich angeordnete Führungsaufsicht Straftaten

insgesamt

Erwachsenen 1976 1980 m w i

325 5 330

308 8 316

m w 1

21

19

-

-

21

19

Diebstahl und Unterschlagung

m w 1

201 3 204

178 2 180

Raub und Erpressung

m

34

i m w i

gegen die sexuelle Selbstbestimmung

andere Vermögensdelikte

Führungsaufsicht

in den Jahren 1976 und 1980

Anordnung gegenüber Heranwachsenden 1976 1980 18 -

18

Jugendlichen 1976 1980

29 2 31

1

6

1

6

_

-

2

3

_

-

-

-

2

3

-

9

7

-

-

9

7

30

4

5

1

34

30

4

5

1

46 2 48

49 5 54

_

2

-

-

-

2

5 -

5

1 -

_

1

Quelle: Stat. Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3. Strafverfolgung 1976 und 1980.

Bislang wird Führungsaufsicht fast nur gegenüber männlichen erwachsenen Vermögenstätern angeordnet, bei Jugendlichen und Heranwachsenden will man offenbar die weitere Entwicklung abwarten und sie noch nicht mit dem erheblichen Stigma der Führungsaufsicht belasten. Die Strafbestimmung des §145a StGB, wonach Verstöße gegen detailliert umrissene Weisungen gemäß § 68 b Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe auf Antrag der Aufsichtsstelle geahndet werden können, hat nur zu vereinzelten Verurteilungen (Geldstrafe) geführt. In der Praxis sind bisher

Schwierigkeiten aufgetreten, weil die Staatsanwaltschaften das Verfahren etwa wegen geringer Schuld oder der Abwesenheit des Beschuldigten einstellten. Gegenüber der richterlich angeordneten Führungsaufsicht fällt die kraft Gesetzes eintretende Führungsaufsicht stärker ins Gewicht. Genaue Zahlenangaben aufgrund der allgemeinen Statistiken sind allerdings nur zum Teil möglich. Zunächst ergibt sich aus der Strafvollzugsstatistik die Zahl derer, die aus dem Maßregelvollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und

182

Strafaussetzung zur Bewährung

Abgänge aus der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt in den Jahren 1976 und 1980 Art der Unterbringung

Jahr

Abgänge davon bedingt insgesamt entlassen

bedingt entlassene bedingt entlassene männliche Unter- weibliche Untergebrachte gebrachte

Unterbringung in einem 1976 psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB 1980

753

136 (18,1 %)

133

3

844

129 (15,3 %)

128

1

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB

1976

373

151 (40,5 %)

149

2

1980

799

88 (11 %)

82

6

1976

112

35 (31,3 %)

35

-

1980

317

28 (8,8%)

24

4

darunter: Entziehungsfälle ohne Trunksucht

Quelle: Stat. Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 4. Strafvollzug. 1976, 1980.

der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedingt entlassen wurden, bei denen also gemäß § 67 d Abs. 2 StGB die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In diesen Fällen tritt Führungsaufsicht ein. Diese Führungsaufsichtsfälle sind mithin für 1976 auf 287 und für 1980 auf 217 zu beziffern. Wie bei der richterlich angeordneten Führungsaufsicht werden auch hier fast ausschließlich männliche Personen betroffen. Die Vollstreckungsaussetzungen machen nur einen gewissen Anteil aller Abgänge aus, der bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt noch bemerkenswert abgenommen hat. Bei Drogenabhängigen betrug er 1980 nicht einmal 10%. Daraus darf indessen nicht der Schluß gezogen werden, daß die Untergebrachten in der überwiegenden Zahl der Fälle ohne weitere ambulante Maßnahmen in die Freiheit entlassen werden. Eine schlichte Entlassung aus der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist vielmehr, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, rechtlich gar nicht möglich. Als Abgangsgrund kommt insoweit wohl überwiegend die Aufnahme in andere stationäre Einrichtungen in Betracht. Die bedingten Entlassungen markieren in der Praxis nicht selten auch nur einen Wechsel des Unterbringungsgrundes, wenn die Klienten anschließend durch einen Vormund mit richterlicher Zustimmung gemäß § 1800 Abs. 2 BGB wiederum untergebracht werden. Die Maßregeln gemäß den §§63 und 64 StGB müssen in

der Regel vor einer zugleich verhängten Freiheitsstrafe vollzogen werden (§ 67 StGB - Grundsatz des Vikariierens). Gerade bei Kapitalverbrechen kann deshalb der Abgang aus dem psychiatrischen Krankenhaus den Übergang in den Strafvollzug bedeuten. Soweit ein Verzicht auf den Strafvollzug vertretbar erscheint, sind Gesetz und Praxis freilich bestrebt, einen Erfolg der Maßregel nicht durch eine anschließende Strafhaft wieder aufzuheben, sondern einen durch Anrechnung des Maßregelvollzuges noch nicht erledigten Strafrest möglichst zur Bewährung auszusetzen (vgl. die bes. Vorschrift des §67 Abs. 5 StGB). Die Restaussetzung einer zugleich verhängten Freiheitsstrafe kann auch in Fällen zu einer ambulanten Nachbetreuung (durch Bewährungsshilfe) führen, in denen eine Maßregelaussetzung und Führungsaufsicht wegen Ablaufs der Höchstfrist für den Maßregelvollzug ausgeschlossen sind. Das ist hinsichtlich der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedeutsam, für die die Höchstfrist mit zwei Jahren vergleichsweise kurz bemessen ist (vgl. §67d Abs. 1 StGB). Inwieweit Führungsaufsicht durch anfängliche Vollstreckungsaussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt eintritt (§67b StGB), läßt sich der Strafverfolgungsstatistik nicht entnehmen. Die ungefähren Größenordnungen werden jedoch sichtbar, wenn man sich die Zahlen der Abgeurteilten vor Augen führt, bei denen eine entsprechende Unterbringung überhaupt angeordnet wurde:

Strafaussetzung zur Bewährung

183

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§63 StGB) und in einer Entziehungsanstalt (§64 StGB) - richterliche Anordnungen in den Jahren 1976 und 1980 -

Geschlecht männlich

gegenüber Erwachsenen

gegenüber Heranwachsenden gegenüber Jugendlichen

§63 StGB

§64 StGB

§63 StGB

§64 StGB

§ 63 StGB

§64 StGB

1976

1980

1976

1980

1976

1980

1976

1980

1976

1980

1976

1980

315

292

274

447

46

39

89

58

28

16

11

5

20

12

12

52

1

4

16

19

-

3

2

4

335

304

286

499

47

43

105

77

28

19

13

9

weiblich insgesamt

Quelle: Stat. Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3. Strafverfolgung. 1976 und 1980.

Es ist davon auszugehen, daß nur bei einem kleinen Bruchteil der Anordnungen eine anfängliche Vollstreckungsaussetzung erfolgt ist. Das gilt vor allem bezüglich der angestiegenen Unterbringung Erwachsener in einer Entziehungsanstalt. Damit dürfte die praktische Bedeutung der Führungsaufsicht infolge anfänglicher Maßregelaussetzung die der nachträglichen jedenfalls nicht übersteigen. Beachtlich ist vor allem die (zahlenmäßig größte) Fallgruppe derer, die aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurden und damit stets unter Führungsaufsicht stehen (gemäß §67d Abs. 2 oder sehr selten - Abs. 4 StGB). Im Jahre 1976 sind 606 Abgänge aus der Sicherungsverwahrung registriert worden (1980 waren es 616 Abgänge), deswegen ist

insoweit von einer entsprechenden Zahl von Führungsaufsichten auszugehen. Aus den bisher veröffentlichten Statistiken nicht zu entnehmen ist die nicht unbedeutende Gruppe der „Vollverbüßer" (§68f Abs. 1 StGB), bei denen die Führungsaufsicht an eine wegen einer vorsätzlichen Straftat vollständig vollstreckte Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren anschließt. Eine vorläufige Einschätzung der praktischen Bedeutung der einzelnen Unterstellungsgründe erlaubt jedoch die nachstehende Übersicht, deren Zahlen von der Hamburger Justizbehörde mitgeteilt wurden. Sie sind allerdings für das gesamte Bundesgebiet nicht unbedingt repräsentativ und wegen der erst sehr kurzen Lebensdauer der Maßregel mit Vorsicht zu werten.

Unterstellung unter Führungsaufsicht (FA) - Bestand am 31. Dezember 1978 nach allgemeinem Strafrecht Bundesland

insgesamt

Bayern 618 Hamburg 218

Entscheidung des erkennenden Gerichts „VollRückfall-

Delikte,

anfäng-

verbüßer"

täter s. §§68 Abs. 1 Nr. 1, 48 StGB

bei denen FAbesonders vorgesehen ist, § 68 Abs. 1 Nr. 2 StGB

liehe Ausgem. Setzung § 68 f StGB der Unterbringung gem. § 67 b Abs. 2 StGB

zogener Freiheitsstrafe gem. § 67 c Abs. 1 StGB

156 36

38 14

45 6

30 18

76 18

nach voU-

Aussetzung der Unterbringung

vollständige

gem. § 67c Abs.2

nachträglieh nach

Vollstreckung Art.314

der ersten

StGB spätere Aussetzung der Unterbringung

vorausgegangenem Vollzug gem. § 67 d Abs. 2 StGB

Abs. 2 S. 1 EGStGB bedingte Aussetzung der Unterbringung vor dem 1.1.1975

Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, FA gem. § 67d Abs. 4 StGB

399 86

64 24

49 7

8 -

nach Jugendstrafrecht Bayern 85 4 Hamburg 1 2 -

3 -

13 2

3

6 -

2 -

Daten zur Führungsaufsicht in Baden-Württemberg gibt nunmehr E. M. Schulz (1982).

184

Strafaussetzung zur Bewährung

Die Aufstellung veranschaulicht, daß das Schwergewicht der Führungsaufsicht in der Praxis bei den besonders kriminell Vorbelasteten liegt. Sie treten vornehmlich als aus der Sicherungsverwahrung Entlassene in Erscheinung, daneben aber auch als Rückfalltäter. Der Anteil der möglicherweise noch nicht zu stark belasteten, aber prognostisch ungünstig beurteilten „Vollverbüßer", bei denen keine Reststrafenaussetzung vorgenommen wurde, ist demgegenüber geringer.

ü . BEWÄHRUNGSHILFE UND FÜHRUNGSAUFSICHT - ORGANISATION UND AKTIVITÄTEN A. Die Organisation der Bewährungshilfe und der Führungsaufsicht 1. Bewährungshilfe Während die materiellen Aufgaben der Bewährungshelfer und der Führungsaufsichtsstelle im wesentlichen bundesgesetzlich einheitlich geregelt sind, liegt die verwaltungsmäßige Organisation dieser Einrichtungen entsprechend der föderativen Struktur der Bundesrepublik hauptsächlich bei den einzelnen Bundesländern. Die ressortbezogene Eingliederung der Bewährungshilfe erfolgte in den einzelnen Ländern in unterschiedlicher Weise. Überwiegend wurde die Bewährungshilfe durch Landesgesetze, aber auch durch bloße Verwaltungsvorschriften, der Justiz zugeordnet und dort wiederum den Landgerichten (Landgerichtspräsidenten). Bezüglich des Jugendrechts schreibt § 113 S. 1 JGG vor, daß in der Regel für den Bezirk eines jeden Jugendrichters mindestens ein hauptamtlicher Bewährungshelfer anzustellen ist. Die RessortZuordnung ist zunächst bedeutsam für die Auswahl und Einstellung der Bewährungshelfer und für die Dienstaufsicht. Die Dienstaufsicht umfaßt einerseits die Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten oder Angestellten, andererseits Disziplinarbefugnisse sowie vor allem auch die geschäftsmäßige Organisation der Arbeit, z. B. Regelung der Anwesenheit, der Aktenführung, der Textverarbeitung usw. Die Dienstaufsicht ist zwar von der Fachaufsicht zu trennen und hat sich grundsätzlich auf eine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle zu konzentrieren, strahlt aber doch schon wegen der Organisationsbefugnisse des Dienstvorgesetzten auf die praktische Arbeit des Bewährungshelfers aus. Die verwaltungsmäßige Zuordnung der Bewährungshilfe zu einem bestimmten Ressort wirkt sich auf die praktische Arbeit der Bewährungshelfer auch insofern aus, als Behördenstruktur und die übrigen Tätigkeitsfelder der Behörde und deren Arbeitsschwerpunkte eine unterschiedliche Nähe zur Sozialarbeit aufweisen.

2. Führungsaufsicht und soziale Dienste der Justiz Bezüglich der Führungsaufsicht bestimmt das Bundesrecht durch Art. 295 Abs. 1 EGStGB, daß die Führungsaufsichtsstellen in den Geschäftsbereich der Landesjustizverwaltungen fallen. Sie sind in den Ländern zumeist bei den Landgerichten errichtet worden. Art. 295 Abs. 2 EGStGB läßt es zu, daß der Leiter der Aufsichtsstelle kein Richter und Jurist, sondern ein sozialwissenschaftlich qualifizierter Beamter des höheren Dienstes ist. Als Mitarbeiter oder Beauftragte der Aufsichtsstelle kommen Beamte des höheren Dienstes (z. B. Psychologen, Soziologen), Sozialarbeiter/Sozialpädagogen oder Beamte des gehobenen Dienstes in Betracht. Diese bundeseinheitliche Verortung der Führungsaufsichtsstelle bei der Justizverwaltung legt es bereits aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und größerer Transparenz nahe, die verschiedenen sozialen Bereiche der Justiz organisatorisch in einer Verwaltungseinheit, dem Sozialen Dienst oder Sozialdienst der Justiz, zusammenzuführen. Eine dahingehende Zielvorstellung liegt denn auch der bundesgesetzlichen Regelung des EGStGB zugrunde, die eine durchgängige ambulante Betreuung begünstigen möchte. Eine derartige Neuordnung der sozialen Dienste wurde seit 1978 in verschiedenen Bundesländern in die Wege geleitet und hat teilweise zu entsprechenden Gesetzen geführt (z. B. SozDG des Saarlandes v. 6.7.1976). Die Entwicklung ist jedoch noch im Fluß. Die sozialen Dienste, die in einer organisatorischen Einheit verankert werden sollen, sind die Bewährungshilfe, die Gerichtshilfe für Erwachsene und die Führungsaufsicht. Die Gerichtshilfe für Erwachsene (§160 Abs. 3 S.2 StPO) wird durch Art. 294 EGStGB ebenfalls den Landesjustizverwaltungen zugewiesen, allerdings kann hier die Landesregierung im Wege einer Rechtsverordnung auch eine andere Behörde aus dem Bereich der Sozialverwaltung mit den Aufgaben der Gerichtshilfe betrauen. Die bisherigen Regelungen beziehungsweise Überlegungen zum einheitlichen Sozialdienst der Justiz gehen von folgenden Grundsätzen aus: Der Leiter der Führungsaufsichtsstelle leitet zugleich die gesamte Dienststelle, ist folglich auch der Dienstvorgesetzte aller Bewährungshelfer. Die Sozialarbeiter, die der Dienststelle zugeordnet sind, können sowohl als Bewährungshelfer im Rahmen der Bewährungshilfe, als Bewährungshelfer im Rahmen der Führungsaufsicht, als Mitarbeiter oder Beauftragte der Führungsaufsichtsstelle als auch als Gerichtshelfer eingesetzt werden (Prinzip der Austauschbarkeit). Für dieses Modell wird angeführt, es erleichtere eine reibungslose Zusammenarbeit der Dienste und begünstige eine längerfristige Betreuung des Probanden durch denselben Sozialarbeiter. Dagegen wird geltend gemacht, daß die gesamte Dienststelle zu stark von der Führungsauf-

Strafaussetzung zur Bewährung sieht geprägt werde und daß den Sozialarbeitern zu wenig Einfluß auf die dann sehr bedeutsame Geschäftsverteilung eingeräumt werde. Es würden zudem erhebliche Rollenkonflikte vorprogrammiert.

3. Ehrenamtliche

Bewährungshilfe

Die im Ausland (z. B. USA, Japan) teilweise sehr bedeutsame Einrichtung der ehrenamtlichen Bewährungshilfe (Volunteers, Aides) sieht auch unser Erwachsenen- und Jugendkriminalrecht ausdrücklich vor (s. §§ 56d Abs. 5 StGB, 24 Abs. 1 S. 2 JGG). §14 Abs.3 WStG und §112a Nr.4 JGG nennen den Soldaten der Bundeswehr als möglichen Bewährungshelfer für Wehrdienstleistende. Das Jugendrecht geht allerdings vom Regelfall des hauptamtlichen Bewährungshelfers aus. Der Begriff des ehrenamtlichen Helfers kann unterschiedlich gefaßt und nuanciert werden. Unterscheidungskriterien sind die Bezahlung, die zeitliche Inanspruchnahme und die fachliche Qualifikation. Ganz trennscharf differenzieren freilich alle drei Kriterien nicht, da auch ehrenamtliche Helfer eine Aufwandsentschädigung erhalten, erhebliche Zeit (etwa im Rahmen der Tätigkeit eines Wohlfahrtsverbandes) für ihre Probanden investieren und auch sozialpädagogisch ausgebildet sein können. Gewöhnlich unterscheidet man auf formal-organisatorischer Ebene und bezeichnet diejenigen als ehrenamtliche Helfer, die außerhalb der staatlichen Institution der Bewährungshilfe arbeiten. Ihr Einsatz ist in allen Bundesländern landesrechtlich geregelt. Den ehrenamtlichen Bewährungshelfern werden Bestallungen oder Dienstausweise erteilt. Insgesamt spielt die ehrenamtliche Bewährungshilfe in der Bundesrepublik nur eine recht unbedeutende Rolle. In den Ländern Bayern, Berlin und Rheinland-Pfalz etwa ist die Zahl der ehrenamtlichen Bewährungshelfer äußerst gering. Niedersachsen verfügte 1976 immerhin über 92 Helfer (gegenüber 177 hauptamtlichen). Ein Überblick und genauere Zahlen über die ehrenamtliche Bewährungshilfe fehlen leider zumeist. Der Personenkreis der ehrenamtlichen Bewährungshelfer dürfte sehr heterogen zusammengesetzt sein (Hausfrauen, Studenten, Sozialpädagogen aus anderen Bereichen, Angehörige des Probanden, Arbeitskollegen usf.). Ehemalige Straffällige (Ex-offenders) werden in der Bundesrepublik nur selten als ehrenamtliche Bewährungshelfer eingesetzt.

B. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Bewährungshelfer und der Führungsaufsichtsstelle Die Regelungen des Bundesrechts zur rechtlichen Stellung des Bewährungshelfers gelten für die

185

hauptamtlich und die ehrenamtlich geleistete Bewährungshilfe gleichermaßen. Mit der Generalklausel, der Bewährungshelfer stehe dem Verurteilten helfend und betreuend zur Seite (§§56d A b s . 3 S. 1 StGB, 24 Abs.2 S. 1 JGG), benennt das Gesetz im Grunde nur die zentrale sozialpädagogische Komponente im Aufgabenkreis des Bewährungshelfers. Damit ist keine methodische Verengung auf die Einzelfallhilfe verbunden, obgleich natürlich der individuelle Aspekt den entscheidenden Anknüpfungspunkt bildet. Diese Tätigkeit wird vom Bewährungshelfer in eigener Regie und Verantwortung ausgeführt; freilich hat der Richter die Möglichkeit, die Pflichten des Probanden und auch Angebote an den Probanden mit Hilfe von Weisungen vorzustrukturieren. Die Anweisung des Bewährungshelfers kommt hauptsächlich als Korrekturinstrument in Frage. Sie ist in jedem Fall problematisch und nicht selten dysfunktional, weil ihr Ziel bei einer Frontstellung von Richter und Bewährungshelfer kaum erreichbar erscheint. In solchen Fällen dürfte eine - gesetzlich nicht besonders vorgesehene, aber rechtlich zulässige - Auswechslung des Bewährungshelfers die vergleichsweise noch bessere Alternative darstellen. Wenn das Gesetz die Kontrollfunktionen, in erster Linie die Überwachung von Auflagen, Weisungen, Anerbieten oder Zusagen, erst an zweiter Stelle erwähnt, so darf man darin auch eine Bedeutungsabstufung erblicken. Die Überwachungsfunktion erfolgt im Einvernehmen mit dem Gericht. Insoweit handelt es sich um eine ebenfalls dem Richter übertragene Aufgabe (vgl. §453b Abs. 1 StPO), deren sinnvolle Erfüllung das gegenseitige Einverständnis voraussetzt. Eine Pflicht des Richters, den Bewährungshelfer vor weiteren Entscheidungen im Bewährungsverfahren zu hören, ist im Erwachsenenstrafrecht nicht gesetzlich normiert (vgl. § 453 Abs. 1 S. 2 StPO, der nur den Staatsanwalt und den Angeklagten nennt). Das Jugendrecht erweist sich hier als überlegen (s. §58 Abs. 1 S.2 JGG, der den Bewährungshelfer ausdrücklich einbezieht). Entsprechendes müßte für das Erwachsenenstrafrecht gelten, zumindest bedeutet die Anhörung des Bewährungshelfers ein nobile officium. Mitunter dürfte in Anbetracht der sehr differenzierenden und zurückhaltenden Widerrufsbestimmungen ein Widerruf ohne Anhörung des bestellten Bewährungshelfers als Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht zu werten sein. Der Kontakt zwischen Richter und Bewährungshelfer wird durch die Berichtspflicht des Bewährungshelfers gesichert. Der Bericht wird in der Regel, obgleich das Bundesrecht insoweit schweigt, schriftlich abgefaßt und in die Strafakte aufgenommen. Es entstehen damit sämtliche Etikettierungsgefahren und -probleme, die mit einer entscheidungsvorbereitenden, also kontextabhängigen, selektiven und legitimierenden Mitteilung sozialer „Tatsa-

186

Strafaussetzung zur Bewährung

chen" verbunden sind. Ausführlichkeit, Schwerpunktsetzung und Häufigkeit der Berichterstattung hängen wesentlich vom Richter ab. Bei „gröblichen oder beharrlichen Verstößen" gegen Bewährungspflichten wird der Bewährungshelfer vom Gesetz zu Eigeninitiativen angehalten (s. §§56d Abs.3 S.4 StGB, 25 S.4 JGG). Wann Verstöße grob oder beharrlich sind, das unterliegt wiederum der Interpretation des Bewährungshelfers, der sich freilich an den Grundsätzen zu orientieren hat, die zur Auslegung dieser Begriffe entwickelt worden sind. Die Meldepflicht, die sich selbstverständlich nur auf das Gericht und nicht auf die Strafverfolgungsbehörden bezieht, hindert den Bewährungshelfer, den Probanden um jeden Preis zu „decken", sie setzt zugleich dem Vertrauensverhältnis zum Probanden deutliche Schranken, die der Bewährungshelfer zu Beginn seiner Arbeit offenlegen sollte. Auch für den Probanden sichtbar wird die Kooperation zwischen Bewährungshelfer und Gericht bei Anhörungsterminen, die überwiegend anberaumt werden, wenn sich die Arbeit mit dem Probanden als schwierig erweist. Der Richter gerät dann leicht in eine ähnliche Rolle wie der berufstätige Vater, dem am Abend die „Schandtaten" seines Sohnes vorgetragen werden und der daraufhin eine eindringliche Ermahnung erteilt. Ein Anhörungstermin erscheint indessen auch angezeigt, um beispielsweise vor neuen, grundsätzlichen Ausbildungs- oder Berufsentscheidungen ein gemeinsames klärendes Gespräch zu führen, an dem zugleich die Eltern zu beteiligen sind. Von den Terminen, die in Durchführung des Bewährungsverfahrens anberaumt werden, sind Verhandlungen zu unterscheiden, die wegen des Vorwurfs neuer Straftaten während der Bewährungszeit oder auch wegen früherer, nicht abgeurteilter Taten erfolgen. Hier ist eine Beteiligung des Bewährungshelfers wünschenswert und sachgerecht. Lediglich das JGG bestimmt in § 48 Abs. 2, daß dem Bewährungshelfer selbst bei einer nichtöffentlichen Verhandlung die Anwesenheit gestattet ist. Es fehlt bislang eine gesetzliche Verankerung der richterlichen Pflicht, grundsätzlich auch den Bewährungshelfer zu hören. Gegenwärtig ist die prozeßrechtliche Stellung des Bewährungshelfers unklar; ist er als Zeuge, als Sachverständiger oder gar als (Jugend-)Gerichtshelfer zu beteiligen? Alle diese Beteiligungsformen sind unbefriedigend. Das gilt vor allem für die Zeugenrolle. Der Zeuge darf gemäß den §§243 Abs. 2 S. 1, 58 Abs. 1 StPO vor seiner Vernehmung nicht anwesend sein und hat sich auf die Schilderung von Tatsachen zu beschränken, außerdem besteht das Problem der Aussagegenehmigung (vgl. §54 Abs. 1 u. 4 StPO). Wird dem Bewährungshelfer die Rolle des Gerichtshelfers übertragen, was im übrigen gar nicht immer möglich ist, gerät er leicht in einen Rollenkonflikt und in eine Vertrauenskrise mit seinem Probanden.

In der Vergangenheit ist wiederholt gefordert worden, dem Bewährungshelfer ein Zeugnisverweigerungsrecht einzuräumen, eben um Rollenkonflikte zu vermeiden. Ein Zeugnisverweigerungsrecht kann sich nur auf Zeugenvernehmungen erstrekken, nicht hingegen auf die Berichtspflichten, die im laufenden Bewährungsverfahren zu erfüllen sind. Soweit der Bewährungshelfer als besonderer Verfahrensbeteiligter an gerichtlichen Verhandlungen teilnehmen und dort entsprechend seinem gesetzlichen Auftrag berichten kann, ist für Weigerungsrechte kein Raum. Anders sieht es aus, wenn ihm im Wege einer Zeugenvernehmung das Konzept seiner Äußerungen durch gezielte Fragen aus der Hand genommen wird, weil dadurch - möglicherweise unbeabsichtigt - Dinge zur Sprache kommen, die der Bewährungshelfer auch in Verantwortung vor seinem gesetzlichen Auftrag hätte verschweigen dürfen. Durch die Formulierung, daß gröbliche und beharrliche Verstöße gegen Bewährungspflichten mitzuteilen sind, bringt das Gesetz nämlich zum Ausdruck, daß lange nicht alle Pflichtwidrigkeiten benannt zu werden brauchen. Außerdem müssen die mitzuteilenden Tatsachen eine besondere Nähe und Relevanz für die Kriminalprognose aufweisen. Das geltende Recht kennt ein Zeugnisverweigerungsrecht nur für Sozialarbeiter in bestimmten Beratungsstellen, so daß Konfliktlagen des in den Zeugenstand versetzten Bewährungshelfers unberücksichtigt bleiben. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Gesetzeskraft entschieden, daß die Versagung des Zeugnisverweigerungsrechtes mit der Verfassung in Einklang steht (s. BVerfGE 33.367). In umgekehrter Hinsicht wird die unbefugte Verletzung (und nur diese!) von Privatgeheimnissen des Probanden gemäß § 203 StGB mit Strafe bedroht. Ein Anweisungsrecht besteht zwar für den Richter gegenüber dem Bewährungshelfer, nicht aber für den Bewährungshelfer gegenüber dem Probanden. Eine richterliche Weisung, den Anordnungen des Bewährungshelfers Folge zu leisten, ist ebenfalls unzulässig. Der Bewährungshelfer hat jedoch eine Leitungsfunktion; falls sich der Proband beharrlich der Leitung durch den Bewährungshelfer entzieht, bedeutet das sogar einen Widerrufsgrund (s. §§ 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB, 26 Abs. 1 Nr. 2 JGG). Zur Leitung des Probanden gehört es, die dem Probanden erteilten Weisungen zur konkretisieren und inhaltlich auszufüllen. Eine mangelnde Mitarbeit des Probanden vermag dann einen Weisungsverstoß darzustellen. Ebenfalls hat der Bewährungshelfer die Möglichkeit, nachträgliche oder zusätzliche Weisungen anzuregen. Kommt sonst oder trotzdem das notwendige Zusammenwirken nicht zustande, bleiben die Beantragung eines Anhörungstermins und die Erstellung eines Berichts. Für ein eigenes Anweisungsrecht des Bewährungshelfers dürfte deswegen kaum ein berechtigtes Bedürfnis vorhanden sein.

Strafaussetzung zur Bewährung Besondere Regelungen des Verhältnisses des Bewährungshelfers zu Dritten enthält das Jugendrecht in §24 Abs. 2 JGG. Bei Jugendlichen, die noch nicht volljährig sind und für die noch ein allgemeines Erziehungsrecht der Eltern besteht, ergibt sich eine Parallelität dieser Befugnisse zu den Betreuungsrechten und -pflichten des Bewährungshelfers. Damit daraus kein unfruchtbares und schädliches Gegeneinander erwächst, wird dem Bewährungshelfer aufgegeben, mit dem oder den Erziehungsberechtigten und dem/den gesetzlichen Vertreter(n) vertrauensvoll „zusammenzuwirken". Der Bewährungshelfer hat das Recht auf Zutritt zu dem Jugendlichen. Befindet sich der Proband in Untersuchungshaft, ist dem Bewährungshelfer der Verkehr mit ihm in demselben Umfang wie einem Verteidiger gestattet (s. § 93 Abs. 3 JGG). Um in der Lage zu sein, seine Hilfs- und Kontrollfunktionen wirkungsvoll zu erfüllen, kann der Bewährungshelfer vom Erziehungsberechtigten, dem gesetzlichen Vertreter, der Schule, dem Lehrherrn oder dem sonstigen Leiter der Berufsausbildung Auskunft über die Lebensführung des Jugendlichen verlangen. Falls (schon volljährige) Heranwachsende nach Jugendrecht verurteilt worden sind, gelten diese Bestimmungen entsprechend (§ 105 Abs. 1 JGG), so daß auch insoweit beispielsweise der Lehrherr zur Auskunft verpflichtet ist. Die Gesetze enthalten besondere Bestimmungen für Probanden, die ihren Wehrdienst ableisten. Soweit ein Kamerad oder ein Vorgesetzter als (ehrenamtlicher) Bewährungshelfer bestellt wird, kann ihm der Richter keine Anweisungen geben (s. § 14 Abs. 3 WStG und § 112 a Nr. 4 JGG). Gemäß § 14 Abs. 4 WStG und §112 a Nr. 5 JGG sind von der Überwachung durch einen Bewährungshelfer, der nicht Soldat ist, Angelegenheiten ausgeschlossen, für welche die militärischen Vorgesetzten zu sorgen haben. Maßnahmen des Disziplinarvorgesetzten haben den Vorrang. Die Tätigkeiten im Rahmen der Führungsaufsicht werden durch das Wechselspiel zwischen Führungsaufsichtsstelle und Bewährungshilfe gekennzeichnet. Die Bewährungshelfer, die zusammen mit der Aufsichtsstelle die Führungsaufsicht bewerkstelligen, sind keine unselbständigen Repräsentanten oder gar Untergebene der Aufsichtsstelle, sondern handeln als vom Gericht bestellte Bewährungshelfer. Daher sind auch ehrenamtliche Bewährungshelfer zugelassen. Ihre Hilfsfunktion können die Bewährungshelfer indessen nicht in eigener Regie wahrnehmen, vielmehr sagt §68 a Abs. 2 StGB, daß die Bewährungshelfer im Einvernehmen mit der Aufsichtsstelle dem Verurteilten helfend und betreuend zur Seite stehen. Dadurch soll die Aufsichtsstelle zu einer Art Sozialagentur werden, die nicht lediglich beaufsichtigt und kontrolliert, sondern an erster Stelle auch Förderungsleistungen für den Probanden erbringt oder veranlaßt. Die Notwendigkeit des Einvernehmens von Aufsichts-

187

stelle und Bewährungshelfer(n) verlangt eine Auseinandersetzung über die Art und Weise der Hilfegewährung und die einzuschlagenden Wege. Die Aufsichtsstelle kann dem Bewährungshelfer nicht schlichtweg Anweisungen erteilen. Der Gesetzgeber hat die Gefahr von Meinungsverschiedenheiten antizipiert und deshalb das Gericht, in der Regel das erkennende Gericht oder das Vollstreckungsgericht, als eine übergeordnete Schlichtungsinstanz vorgesehen (s. §68 a Abs. 4 StGB). Auch kann das Gericht der Aufsichtsstelle und dem Bewährungshelfer fachliche Anweisungen erteilen (s. §68 a Abs. 5 StGB). Da eine wiederholte Einschaltung des Gerichts die Arbeit verzögern und erschweren wird, empfiehlt es sich, daß Aufsichtsstelle und Bewährungshelfer zu Beginn der Führungsaufsicht die einzuschlagende Marschroute im Groben einvernehmlich festlegen. Die Überwachung der Lebensführung und des Verhaltens des Probanden, vor allem die Überwachung der Weisungen, ist gemeinsame Aufgabe des Gerichts und der Aufsichtsstelle. Insoweit fällt dem Bewährungshelfer lediglich eine unterstützende Tätigkeit zu. Darin liegt eine nicht unbedeutende Entlastung. Der Bewährungshelfer darf mithin seinen Arbeitsschwerpunkt in der Hilfegewährung erblicken. Die gesetzlichen Handlungsspielräume der Aufsichtsstelle sind erheblich. Zum einen kann sich die Aufsichtsstelle in sehr unterschiedlichem Ausmaß in die Arbeit des Bewährungshelfers mit dem Probanden einschalten. Sie kann ihr Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrecht extensiv wahrnehmen, sich aber auch mehr darauf beschränken, den Bewährungshelfer bei besonderen Schwierigkeiten durch Fachkräfte (Psychologen, Psychiater, Soziologen) zu unterstützen. Letzteres erscheint als die bessere Alternative. Im Hinblick auf die Überwachung gibt §463 a Abs. 1 StPO der Aufsichtsstelle recht weitgehende Befugnisse, von denen wiederum ein unterschiedlicher Gebrauch gemacht werden kann. Alle öffentlichen Behörden, insbesondere die Polizei, sind der Aufsichtsstelle gegenüber zur Auskunft verpflichtet, ferner müssen sie auf Antrag der Aufsichtsstelle im Rahmen ihrer Zuständigkeit Ermittlungen jeder Art für die Aufsichtsstelle vornehmen. Damit werden die Grenzen der allgemeinen Amtshilfe überschritten. Die Aufsichtsstelle darf auch selbst Ermittlungen anstellen, um etwa das Auftreten von Polizeibeamten zu vermeiden; zu eidlichen Vernehmungen ist sie allerdings nicht befugt. Neben den Gefahren, die ein entsprechender Machtzuwachs birgt, besteht zugleich die Chance, daß Leistungen verschiedener Leistungsträger (z. B. Arbeitsamt, Gesundheitsamt, Sozialamt, Jugendamt usw.) besser koordiniert und zu einer schnelleren und wirksameren Hilfe verbunden werden. Die Wirksamkeit des § 463 a StPO wird allerdings schon jetzt gelegentlich angezweifelt. Stellt sich ein Verstoß des Probanden gegen strafbewehrte Weisungen (§68b Abs. 1 StGB) heraus, hängt

188

Strafaussetzung zur Bewährung

die Strafverfolgung ebenfalls vom Antrag der Aufsichtsstelle ab. Sie hat zwar den Bewährungshelfer vorher zu hören, kann aber den Antrag auch gegen dessen Votum stellen, ohne daß der Bewährungshelfer insoweit eine Entscheidung des Gerichts gemäß §68 a Abs. 4 StGB herbeizuführen vermag (s. §68 a Abs. 6 StGB). Diese Beschränkung ist nicht unproblematisch, denn der Bewährungshelfer wird unter Umständen im anschließenden Strafverfahren als Zeuge der Anklage (zum Beweis des Weisungsverstoßes) herangezogen. C. Sozialarbeit unter den Bedingungen justizieller sozialer Kontrolle 1. Allgemeine

Aspekte

So sehr auch die neueren gesetzlichen Kodifikationen die Hilfe für den Probanden und dessen Betreuung in den Vordergrund rücken, so deutlich bleibt auf der anderen Seite, daß die Förderung des Probanden nicht allein und nicht primär um seiner selbst willen erfolgt, sondern aus dem gesamtgesellschaftlichen Anliegen der Prävention weiterer Taten. Die soziale Kontrolle vollzieht sich ferner in institutionalisierten Prozessen, sie geschieht durch Institutionen, die über eine längere Tradition verfügen, ge- und verfestigt sind und eine gewisse Resistenz gegenüber unkonventionellen Kontrollstilen besitzen. Obgleich die Bewährungshilfe inzwischen selbst als ein Teil dieses umfassenden Systems der sozialen Kontrolle angesehen werden kann, erscheint doch ihre Aufgabenstellung, die Zielvorgabe der Sozialarbeit, nicht als ein homogener Bestandteil des Kontrollsystems. Anliegen und Stoßrichtung von Sozialarbeit, -pädagogik und -therapie stehen in einem Spannungsverhältnis zu sozialen Konfliktlösungsstrategien, die unerwünschte Verhaltensweisen durch hoheitliche Eingriffe beim „Störer" zu korrigieren suchen. Sozialarbeit im Kontext solcher Strategien kann daher einen innersystematischen Widerspruch bedeuten. Soweit den Sozialarbeitern besondere Überwachungsaufgaben, die aus dem hoheitlichen Eingriffskonzept erwachsen, übertragen werden, wie die Überwachung der Erfüllung von Auflagen und Weisungen, verlagert sich der Konflikt in ihre Person, er wird zum Rollenkonflikt. Das Verhältnis von Strafjustiz und Sozialarbeit ist indessen nicht als schlichter Gegensatz begreifbar. Zum einen schließen Repressionen und ein anfänglicher und auch fortbestehender Zwang des Probanden zur Kooperation mit dem Bewährungshelfer und zur Auseinandersetzung mit ihm sozialpädagogische Methoden nicht rundweg aus. Zum anderen sind das normative Handlungsprogramm und die Handlungsintentionen der meisten Justizjuristen gegenüber sozialpädagogischen Forderungen flexibler und offener geworden. Aus sozialpädagogischer Sicht erscheint der kriminalrechtliche Ansatz bei der Straftat - als dem

Interventionsgrund gegenüber dem Straftäter - als eine erhebliche Verengung. Die Feststellung einer Straftat beruht auf komplexen Wahrnehmungs- und Selektionsprozessen, wodurch die Straftat sogar als „Symptom" für bestimmte persönliche Fehlentwicklungen fragwürdig wird. Das Straffälligwerden ist nicht selten erst vor einem breiteren soziologischen Hintergrund verständlich, wenn sozialstrukturelle Lebensbedingungen, die Zugehörigkeit des Probanden zu bestimmten Randgruppen, etwa zu den Obdachlosen, in den Blick rücken. Bestimmte rechtliche Begriffe, wie beispielsweise der der „schädlichen Neigungen", sind aber individualisierender Natur. Der Bewährungshelfer darf sich weder mit der Kriminaljustiz identifizieren, deren Reaktionspalette überwiegend nicht sozialpädagogisch orientiert ist, er darf aber auch nicht in eine zu große Distanz zur Strafrechtspflege treten und versuchen, den Probanden vor deren Eingriffen um jeden Preis zu bewahren. Bewährungshilfe basiert auf dem Gedanken der Behandlung. Die herkömmliche Vorstellung von dem zu Behandelnden als einem Menschen mit Defiziten und vom Behandler als dem, der durch besondere Einwirkungen diese Defizite ausgleicht, bedarf indessen der Modifizierung. Die Probleme, die angegangen werden sollen, stehen nicht fest, sondern werden konstituiert. Sie müssen vom Bewährungshelfer und Probanden in gemeinsamer Arbeit herausgefunden werden. Freilich wird ein Konsens wegen der unterschiedlichen Lebenswelt des Probanden und des manifesten Vorverständnisses von Problemen beim Bewährungshelfer oft schwerlich herzustellen sein. Persönliche Schwierigkeiten des Probanden sind ferner seltener als angenommen allein in individuellen psychischen Strukturen zu erblicken. Sie haben vielmehr häufig ihre Wurzel in bestimmten Beziehungsstrukturen, so daß Dritte einen erheblichen Anteil daran mittragen. Dieser Personenkreis bleibt für den Bewährungshelfer jedoch schwer erreichbar. Schließlich vermag eine dem vorgenannten Behandlungsverständnis entsprechende - einseitige, wenn auch gutgemeinte, Einwirkung nicht zur Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit hinzuführen. 2. Arbeitsbereiche

und Methoden der Bewährungshilfe

Die Aufgaben des Bewährungshelfers erschöpfen sich nach heutigem Verständnis nicht in den Kontakten mit Probanden. Ausgehend von dessen Situation und seinen (gemeinsam mit ihm geklärten) Bedürfnissen sind die Kreise wesentlich weiter zu ziehen. Neben den Notwendigkeiten des Augenblicks müssen längerfristige Zielvorstellungen einbezogen werden, die zugleich die immer wiederkehrenden Probleme und Anliegen der Probanden in größeren Zusammenhängen berücksichtigen. Die Arbeitsbereiche erstrecken sich bis hin zur Kommu-

Strafaussetzung zur Bewährung ne und zu den meinungsbildenden Medien und Einrichtungen. Die Möglichkeiten, Chancen und die Notwendigkeit einer derartigen Spektrumserweiterung werden freilich unterschiedlich wahrgenommen, eingeschätzt und beurteilt. Die Frage nach der Breite des Tätigkeitsspektrums hängt nur sehr bedingt mit der in den letzten Jahren geführten Grundsatzdiskussion zusammen, ob Anpassung oder „Gesellschaftsveränderung" das anzustrebende Ziel von Sozialarbeit darstelle. Einflußnahme auf Gemeinde und Öffentlichkeit kann und sollte in erster Linie mehr Information, eine realitätsgerechte Beurteilung der Phänomene und mehr Kritik an verbreiteten Alltagstheorien über Kriminalität und Kriminelle bewirken. Daß ein verstärktes Problembewußtsein späterhin auch die gesamtgesellschaftlichen Lebensbedingungen zu verbessern hilft, bleibt zu erhoffen. Greifbarer sind konkrete und vielleicht nur punktuelle Fortschritte im Umgang mit straffällig Gewordenen. Das methodische Vorgehen des Bewährungshelfers hängt wesentlich von seiner Aus- und Vorbildung ab. Seit ca. 1920 wird die Ausbildung systematisch und schulmäßig betrieben. Die Schulen waren bis ca. 1960 Wohlfahrtsschulen, bis ca. 1970 höhere Fachschulen für Sozialpädagogik oder Sozialarbeit, sie heißen seitdem Fachhochschulen. Wie in vielen anderen Ausbildungszweigen auch hat eine Verwissenschaftlichung und Verlängerung der Ausbildung stattgefunden. Als Absolventen dieser Schulen und nach einem Berufspraktikum verfügen alle hauptamtlichen Bewährungshelfer über theoretische und praktische Kenntnisse der Einzelfallhilfe (case work), teilweise auch der Gruppenarbeit (group work) sowie der Gemeinwesenarbeit (community organization). Im Bereich der Einzelfallhilfe kann man zwischen Tätigkeiten unterscheiden, die verschiedenartige praktisch-materielle Geschäftsbesorgungen (Wohnungs- und Arbeitsvermittlung, Schuldenregulierung usw.) zum Gegenstand haben, und solchen, die mehr auf der Linie einer psychischen Hilfestellung (z. B. Korrektur von Reaktions- und Verhaltensmustern) liegen. Spannungen zwischen Proband und Bewährungshelfer haben ihren Ursprung mitunter darin, daß Aufgaben und gegenseitige Erwartungen beider Interaktionspartner schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Der Proband ist etwa nur an bestimmten materiellen Zuwendungen interessiert und ansonsten „verschlossen", der Bewährungshelfer fühlt sich ausgenutzt und vermag sein Selbstbild als anspruchsvoller Helfer nicht zu verwirklichen. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, wenn Bewährungshelfer und Probanden den Erfolg der Betreuung unterschiedlich beurteilen. Das Rollenverständnis als psychischer Helfer trägt gewisse idealistische Züge, die kaum in der Praxis eingelöst werden können. Erforderlich wäre die Verfügbarkeit bestimmter psychologischer Verfahren (klient-

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zentrierte nondirektive Gesprächstherapie, verhaltenstherapeutische Verfahren, kommunikationstheoretische Ansätze usf.), die es inzwischen zwar in fast unüberschaubarer Fülle gibt, die aber nicht hinlänglich für die Klientel der Bewährungshilfe spezifiziert und unter den justiziellen und sozialen Rahmenbedingungen eines Bewährungsverfahrens erprobt worden sind. Sie werden zudem in der Ausbildung wenig vermittelt. Aber auch die praktisch-materiellen Hilfen scheinen nur einen Teil der Tätigkeit der Bewährungshelfer auszumachen, die wie eine niederländische Studie erwiesen hat - dort die Hälfte der Zeit für interne Kontakte und sonstige Tätigkeiten verwendeten. Die Zurückhaltung gegenüber materiell-praktischen Hilfen mag damit zusammenhängen, daß man die Probanden nicht mit paternalistischer Bevormundung überziehen, sondern zu selbständigem Handeln veranlassen will. Doch tragen praktische Unterstützungen gerade am Anfang der Bewährungszeit erheblich dazu bei, die prognostischen Bedingungen günstig zu beeinflussen. Vor der notwendigen materiellen Absicherung stehen psychische Hilfen auf tönernen Füßen. Die Scheu und Unbeholfenheit vieler Probanden, vor Behörden ihre Ansprüche durchzusetzen, ist bekannt. Unterstützungstätigkeiten werden insoweit meist angenommen und können dann später schrittweise zugunsten größerer Eigeninitiativen vermindert werden. Sie verschaffen dem Bewährungshelfer vor allem wichtige Erfolgserlebnisse, die eher, sicherer und augenfälliger eintreten als nach psychischer Behandlung. Neben der Einzelfallhilfe spielen gelegentlich verschiedene Formen der Gruppenarbeit eine gewisse praktische Rolle. Die Tendenz zur Arbeit mit und in Gruppen sowie die damit verbundenen Erwartungen unterliegen erheblichen Schwankungen. Während in den 60er Jahren die soziale Gruppenarbeit im Vordergrund stand, favorisierte man in den 70er Jahren vorwiegend gruppendynamische Ansätze und Selbsterfahrungsgruppen. Nach anfänglichem Engagement sind dann auch hier wiederum Ermüdungserscheinungen aufgetreten. Gegenwärtig entwickeln sich manchenorts Selbsthilfegruppen, die im Wege solidarischen Verstehens und Handelns emanzipatorische Problemlösungsstrategien versuchen. Das Gruppenelement wird gleichsam wellenförmig und mit wechselnden Akzentsetzungen - analog den allgemeinen Strömungen berücksichtigt, bis jetzt jedoch immer nur probeweise und ansatzweise. Die Initiativen zur Arbeit in Gruppen gehen nicht selten von Sozialarbeitern aus, die eine als unbefriedigend erlebte Berufssituation für sich verbessern oder einschlägige eigene Vorerfahrungen weitergeben möchten. Gruppen können auch für Angehörige des Probanden hilfreich sein, wenn etwa Ehefrauen und Freundinnen von Inhaftierten auf ein partnerschaftliches Leben nach der Entlassung der Männer aus der Vollzugsanstalt vorbereitet werden. Nicht im-

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Strafaussetzung zur Bewährung

mer wird es notwendig, daß der Bewährungshelfer selbst in die Gruppenarbeit eintritt. Er kann entsprechende Angebote beispielsweise des Jugendamtes oder anderer Einrichtungen, die zudem nicht das Stigma der Strafjustiz (mit)tragen, erschließen und auch insoweit eine wirkungsvolle Vermittlerrolle übernehmen. Erwägenswert, aber bisher noch nicht Realität, ist eine stärkere Anwendung der Familientherapie. Sie bezieht sich nicht lediglich auf familiäre Bande im rechtlichen Sinne, sondern ebenfalls auf andere Formen der Lebensgemeinschaft und des Zusammenlebens. Delinquente Verhaltensweisen lassen sich mitunter aus bestimmten Beziehungsstrukturen des Probanden zu Angehörigen erklären. Bei der Familientherapie werden die Verhaltensweisen des Probanden aus diesem Bezugsfeld heraus betrachtet und nicht als isolierte Erscheinungen behandelt. Es werden die Funktionen erforscht, die die Straftaten des Probanden im familiären Kommunikationssystem erfüllen. Besondere Beachtung verdient des weiteren die dritte Säule der Sozialarbeit, die Gemeinwesenarbeit. Sie beginnt vor allem in industriellen Ballungszentren Fuß zu fassen. Stadtteilarbeit, die sich durch eine Aktivierung der betroffenen Bürger eines Stadtteils, etwa eines Sanierungsgebiets oder eines Neubaugebiets (Trabantenstadt), entfaltet, bietet dem Bewährungshelfer Gelegenheit, auf die Probleme und Benachteiligungen seiner Klientel aufmerksam zu machen und sich an den Kontakten in einer Sozialstation oder einem Stadtteilbüro zu beteiligen. Zugleich bestehen Chancen für verschiedene Formen der Öffentlichkeitsarbeit, die in der Bewährungshilfe immer noch unterentwickelt ist. Wichtig erscheinen neben der Einflußnahme auf die Berichterstattung in regionalen Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsendungen der Einstieg in die Meinungsbildung in Bürgerversammlungen und die Zusammenarbeit mit den kommunalen Politikern. Auf diesem Gebiet sind verschiedentlich schon umfangreichere Erfahrungen gesammelt, aber noch wenig ausgewertet und in Handlungskonzepte umgesetzt worden. Teilweise ist eine Mitsprache in kommunalen Gremien bereits gesetzlich vorgesehen, wie etwa durch die Bestimmungen zum Jugendwohlfahrtsausschuß (Jugendhilfeausschuß), vgl. § 14 JWG. III. ERFOLG UND MISSERFOLG DER STRAFAUSSETZUNG ZUR BEWÄHRUNG UND DER BEWÄHRUNGSHILFE A. Dimensionen und Problematik des Erfolgsbegriffs Versuche der Erfolgsmessung stoßen auf drei grundsätzliche Probleme. Zum einen ist Erfolg keine feststehende Größe, der Erfolg einer ambulan-

ten Maßnahme kann nur beurteilt werden, wenn zuvor ein Erfolgsmaßstab definiert worden ist. Hier muß eine Übereinstimmung über die Erfolgskriterien hergestellt werden. Des weiteren bereitet es erhebliche Schwierigkeiten, diese Kriterien möglichst objektiv zu kennzeichnen und zu operationalisieren. Schließlich muß das Meßergebnis zu einem hypothetischen Ablauf (ohne die vorgenommene Intervention) in Beziehung gesetzt und gefragt werden, inwieweit der „Erfolg" auf die Intervention kausal zurückgeführt werden kann. Diese Aufgaben konnten bisher nicht befriedigend bewältigt werden, so daß exakte Aussagen zum Erfolg gegenwärtig nicht möglich sind. Deshalb darf freilich auf das Bemühen um eine Erfolgsbeurteilung nicht verzichtet werden. Erfolgskriterien können im wesentlichen aus dem Ablauf der Bewährungszeit, der Legalbewährung nach Beendigung der Bewährungszeit und aus einer Lebensbewährung nach Beendigung der Bewährungszeit hergeleitet werden. Der erstgenannte Gesichtspunkt läßt sich wiederum in verschiedener Weise umschreiben und dementsprechend verschieden operationalisieren. Ein positiver Ablauf kann (aus der Sicht des Richters) angenommen werden, wenn sich die der Strafaussetzung zugrunde gelegte günstige Prognose erfüllt hat. Er kann (aus der Sicht des Bewährungshelfers) angenommen werden, wenn seine Bemühungen für den Probanden die erwarteten Früchte getragen haben, der Proband beispielsweise ein festes Unterkommen, geregelte Arbeit gefunden hat usw. Für ihn läge ein Erfolg sogar vor, falls etwa ein überraschendes Abgleiten des Probanden in die Drogenszene späterhin zum Widerruf führt. Insoweit besteht jedoch ein allgemeines Einvernehmen, daß auf den Widerruf abzustellen ist, daß mithin ein positiver Ablauf anzunehmen ist, soweit das Verfahren mit dem Erlaß der Freiheitsstrafe sein Ende findet. Gleichwohl hat man damit ein sehr subjektives und wenig überzeugendes Merkmal gewonnen. Der Widerruf tritt nicht wie ein Naturereignis ein, er stellt eine richterliche Entscheidung dar, ist also - soziologisch gesprochen eine Maßnahme der sozialen Kontrolle. Ob der Richter widerruft oder nicht, hängt von einer sehr komplexen Abwägung vielerlei Umstände ab (s. vorne I Β 3. a). Die Widerrufspraxis ist naturgemäß nicht ganz einheitlich. Der Widerruf richtet sich folglich nicht allein nach dem Verhalten des Probanden. Neben den Strategien des Richters spielen die des Bewährungshelfers eine Rolle, der auf Verstöße gegen Bewährungspflichten unterschiedlich reagieren kann. Bereits seine Aufmerksamkeit und die Intensität seiner Betreuung bestimmen mit darüber, welche Verhaltensweisen überhaupt in seinen Blick geraten. Außerdem steigt die Widerrufswahrscheinlichkeit mit der Länge der Bewährungszeit und sinkt mit deren Abkürzung. Begreift man den stationären Vollzug überdies als ein Glied in einer

Strafaussetzung zur Bewährung weiterfassenden Behandlungskette, liegt es nahe, die Vollstreckung der zunächst ausgesetzten Freiheitsstrafe lediglich als eine vorübergehende Intensivierung der Gesamtmaßnahme zu betrachten, die über einen Erfolg noch nichts Endgültiges aussagt. Auf den ersten Blick imponiert vom Ansatz her wohl am stärksten der Maßstab der Lebensbewährung, mithin die Prüfung der Lage des ehemaligen Probanden nach einer längeren Zeitspanne (von etwa fünf Jahren) seit dem Abschluß der Bewährungszeit. Wenn das Ziel der Resozialisierung die Richtschnur abgibt, erscheint eine spätere Überprüfung der sozialen Integration nur konsequent. Hier erwachsen die Schwierigkeiten jedoch aus der Aufgabe der Konkretisierung und Operationalisierung. Woran läßt sich eine „befriedigende" Lebenslage messen? Soweit auf dauerhafte Arbeit, die Gründung einer Familie, die Konsolidierung der wirtschaftlichen Verhältnisse u. a. m. abgestellt wird, kann eingewendet werden, das allein seien reine Mittelschichtsideale oder -werte, die keineswegs schlicht für allgemeinverbindlich erklärt werden dürften. Ein zusätzliches Erschwernis besteht darin, daß eine derartige Untersuchung eigene Recherchen erfordert, da auf keine ohnehin stattfindenden statistischen Datenerhebungen zurückgegriffen werden kann. Nachzuweisen bliebe ferner der kausale Zusammenhang von Intervention und Lebensstellung. Will man die Gefahr fragwürdiger Erfolgskriterien umgehen und dem Probanden die Freiheit zugestehen, von bürgerlichen Lebensbedingungen und Mittelschichtsnormen abzuweichen, bleibt nur, den Minimalkonsens zugrunde zu legen, den die Strafgesetze markieren. Der Erfolgsmaßstab ist dann der der Legalbewährung. Unter diesen Voraussetzungen werden auch reine Symptomverschiebungen als Erfolg verbucht, falls etwa ein „Fixer" zum Alkohol übergeht, ohne im berauschten Zustand oder zur Beschaffung des Alkohols Straftaten zu begehen. Die Straftatbestände sind relativ präzise umschrieben, man kann außerdem später, also wieder nach einer Frist von fünf Jahren, Strafregisterauszüge einholen. Das Problem der Dunkelziffer ist methodisch zu bewältigen, indem die früheren Probanden entsprechend befragt werden. Der Maßstab der späteren Straffälligkeit braucht auch nicht schematisch und undifferenziert angewendet zu werden. Vielmehr ist es üblich, je nach der Intensität des Rückfalls verschiedene Rückfallgruppen zu bilden. Eine Bewertung der nachträglichen Taten nach der Art und dem Quantum der Strafe nimmt freilich wiederum Bezug auf Reaktionen der Kontrollinstanzen. Beachtung verdient zugleich die Rückfallgeschwindigkeit, die sich an den zeitlichen Intervallen zur nächsten Straftat ablesen läßt, weil selbst in einer Verminderung der Rückfallgeschwindigkeit ein - wenn auch nur recht begrenzter Erfolg zu finden ist. Die Herstellung einer Experimentalsituation in dem Sinne, daß eine vergleichba-

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re Tätergruppe entweder gar nicht oder mit Freiheitsentzug sanktioniert wird, scheitert an den rechtlichen Gegebenheiten. Immerhin jedoch besteht sowohl hinsichtlich der späteren registrierten Kriminalität als auch hinsichtlich des Dunkelfeldes die Möglichkeit eines Vergleichs mit den jeweiligen Gruppen der Normalbevölkerung. Anhaltspunkte vermitteln außerdem „natürliche Experimente", die stattfinden, wenn etwa im Vergleich zu früher die gesetzlichen Voraussetzungen sowie die Sanktionspraxis geändert werden oder wenn der rechtliche Rahmen - beispielsweise der der Weisungen unterschiedlich ausgefüllt wird. Eine weitere Schwierigkeit bei der Erfolgsmessung wurde bisher noch zurückgestellt. Sie betrifft die Abhängigkeit des Erfolges von den Vorgaben. Für einen Erfolg ist nicht gleichgültig, welche Risikobelastung ein Proband aufweist und in welcher Weise er von wem betreut wird. Hier sind durch die Ausweitung der Strafaussetzung erhebliche Verschiebungen in Richtung belasteterer Probanden eingetreten. Damit ergeben sich Vorbehalte gegen einen Vergleich älterer Erfolgsuntersuchungen mit jüngeren, die die Sanktionspraxis nach den Reformgesetzen betreffen.

B. Ergebnisse bisheriger Erfolgsuntersuchungen Als Material zur Erfolgsbeurteilung stehen derzeit die amtlichen Statistiken (Strafverfolgungsstatistik, Bewährungshilfestatistik, Strafvollzugsstatistik) sowie empirische Einzeluntersuchungen an einer Auswahl von Probanden zur Verfügung. Die Bewährungshilfestatistik gibt lediglich Auskunft über den Bewährungszeitraum, nicht also über die Zeit danach. Sie ist überdies eine Stichtagsstatistik und keine Verlaufsstatistik. Es kann nur die generelle Widerrufspraxis ermittelt und interpretiert werden. Eine derartige Analyse hat Kerner vorgelegt. Eine Sekundäranalyse von empirischen Arbeiten (Dissertationen - Aktenuntersuchungen) ist von Heinz erstellt worden. Die folgenden Angaben stützen sich in der Hauptsache auf diese Auswertungen (die beide in: Bewhi 1977. S.285f. und S. 296f. veröffentlicht sind, s. nunmehr auch Spieß, MschrKrim 1981. S.296f.). Ein spektakulärer Anstieg der Widerrufshäufigkeit nach der Ausdehnung des Aussetzungsinstituts ist nicht festzustellen. Der Anteil der (graduell eher stärker gefährdeten) Probanden, die einem Bewährungshelfer unterstellt waren und deren Unterstellung mit einem Widerruf endete, stieg ausweislich der Bewährungshilfestatistik von durchschnittlich 44,8 % (in den Jahren 1963 bis 1967) in den Jahren bis 1972 auf durchschnittlich 50,3 % und sank danach aber wieder auf 48,7 % ab. Gerade bei den stärker belasteten Probanden scheint sich die Widerrufshäufigkeit zu verringern. Setzt man die Wi-

192

Strafaussetzung zur Bewährung

derrufshäufigkeit zum Aussetzungsverfahren in Bezug, ergibt sich erwartungsgemäß, daß bei einer anfänglichen Aussetzung - sowohl nach Jugendrecht als auch nach allgemeinem Strafrecht - weniger widerrufen wird als nach einer Aussetzung des Strafrestes. Die Unterschiede treten nach den statistischen Daten bei Anwendung des Jugendrechts stärker hervor als bei Anwendung des Erwachsenenstrafrechts, sind aber nicht gravierend (Jugendrecht, jeweils Aussetzung einer bestimmten Jugendstrafe: 44,7% zu 52,6%, Erwachsenenrecht: 53,3% zu 55,7%. - Die Prozentsätze bezeichnen den Anteil der Widerrufe bezogen auf die jeweilige Probandengruppe im Durchschnitt der Jahre 1963 bis 1974). Zieht man zum Vergleich die Einzeluntersuchungen heran, ergeben sich teilweise beträchtliche Schwankungen. Sie reichen bezüglich der jugendrechtlichen Aussetzungen bei der anfänglichen Aussetzung einer bestimmten Jugendstrafe von 38,1 % (Rohnfelder 1974) bis 52,7 % (Neriich 1960) und bei der Restaussetzung einer bestimmten Jugendstrafe von 38,2% (Lange 1973) bis 56,3% (wieder Rohnfelder). Die Durchschnittswerte aus allen einschlägigen Erhebungen führen im Vergleich zu den von Kerner errechneten Prozentsätzen zu einem Verhältnis von 42,8 % zu 52,3 % (eigene Berechnung anhand der Zusammenstellung von Heinz), weisen mithin wiederum eine erstaunliche Übereinstimmung auf. Für das Erwachsenenstrafrecht ergibt sich ein entsprechendes Verhältnis der Widerrufshäufigkeit von 36,3 % zu 47,2 %. Insoweit weichen die Werte aus den Einzeluntersuchungen merklich ab. Die Einzeluntersuchungen stützen die Annahme einer prinzipiell stärkeren Widerrufs- (Bewährungs-?)Gefährdung der Klientel, die insgesamt bereits Vollzugserfahrung besitzt oder - anders ausgedrückt - die bereits die negativen Voraussetzungen für die Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion in der Vergangenheit erfüllt hatte. Von daher paßt es ins Bild, wenn Verhängungsaussetzungen gemäß § 27 JGG am wenigsten widerrufen werden. Kerner errechnet eine Widerrufsquote von ca. 25 %; bei Einzeluntersuchungen schwankt sie zwischen 26,6 % (Gütt 1964) und 39,1 % (Lange 1973) und liegt im Durchschnitt der betreffenden Untersuchungen bei 33,2 % und damit gleichfalls deutlich unter der der Vollstrekkungsaussetzung. In den meisten Fällen erfolgt der Widerruf wegen neuer Straftaten der Probanden. Der Widerruf wegen Verstoßes gegen Bewährungspflichten bleibt aber durchaus in bemerkenswerten Größenordnungen, wenngleich insoweit eine abnehmende Tendenz festzustellen ist. Nach Kerners Berechnungen betrug der Anteil derartiger Widerrufe gemessen an allen Widerrufen bei Anwendung des allgemeinen Strafrechts teilweise über 40%. Die jugendrechtlich sanktionierte Klientel weist weniger Widerrufe wegen solcher Verstöße auf, was nicht zuletzt an

der größeren Flexibilität des Jugendrechts (z. B. Beugearrest) sowie daran liegen dürfte, daß im Erwachsenenrecht wesentüch häufiger Geldbußen auferlegt werden, die dann nicht bezahlt werden. Die von Kerner - auch nur mit Vorsicht - aufgestellte Vermutung, Erwachsene würden mehr Verhaltensauffälligkeiten „allgemeiner Art" zeigen oder bei „Unbotmäßigkeiten" mit schnelleren und entschiedeneren Reaktionen zu rechnen haben, scheint als zu weitgehend. Die Praxis der Begründung des Widerrufs - nicht unbedingt zugleich die Widerrufspraxis - dürfte zudem unterschiedlich sein. Das legt die Sekundäranalyse von Heinz nahe. Der Prozentsatz der Widerrufe, die nicht auf neue Straftaten gestützt werden, beträgt nach der Untersuchung von Neriich (1966) 35,6%, nach den Untersuchungen von Schünemann (1971) und Vogt (1972) übereinstimmend nur ca. 8 % (jeweils Widerruf einer anfänglich zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe). Die Prozentsätze werden allerdings durch die Zählweise der Fälle mitbeeinflußt, in denen in den Widerrufsbeschlüssen mehrere Begründungen kumulativ aufgeführt werden. Die Wahrscheinlichkeit eines Widerrufs ist ferner altersabhängig. Kerner errechnete folgende Quoten: 14-15jährige - 97,3% 16-17jährige - 82,4% 18-20j ährige - 60,9% 21-24j ährige - 38,5% 25-29jährige - 49,3 % 30-39jährige - 52,1 % - 44,7% 40-49j ährige 50 Jahre und älter - 25,8% Man wird diese Daten vorwiegend mit der unterschiedlichen kriminellen Belastung der Probanden in Verbindung zu bringen haben. Die ganz jungen Probanden, die schon mit einer Jugendstrafe belegt werden, stellen eine besondere Negativauslese dar, da die Praxis dazu neigt, vor einer Jugendstrafe erst mildere Sanktionen auszuprobieren. Die Abflachung der Kurve in höherem Alter deckt sich mit dem allgemeinen, freilich noch nicht hinreichend erklärbaren Phänomen, daß die Karrieren oft nach einer gewissen Zuspitzung „abgebrochen" werden. Deliktsspezifische Abhängigkeiten der Widerrufswahrscheinlichkeit können gleichfalls festgestellt werden. Lagen der Ausgangsverurteilung beispielsweise Diebstahl oder Raub zugrunde, ist das Widerrufsrisiko höher, als wenn etwa ein Verkehrsdelikt oder ein Totschlag die Verurteilung zu einer aussetzbaren Freiheitsstrafe veranlaßt haben. Hinter diesen Gesetzmäßigkeiten steht eine von Delikt zu Delikt unterschiedliche Rückfallgefährdung. Tötungsdelikte sind häufig Konflikttaten, die sich aus seltenen Konstellationen gleichsam als Entladungen ergeben; Verkehrsdelinquenten scheinen gegenüber den Tätern von Diebstahl und Raub strafempfindlicher und entsprechend lernfähiger zu sein.

Strafaussetzung zur Bewährung Die von Heinz herangezogenen Einzeluntersuchungen stützen die These der Praxis, daß sich die Frage, ob der Proband in Freiheit belassen werden kann, relativ schnell beantworten läßt. Mehr als die Hälfte aller Widerrufe erfolgte bereits im ersten Bewährungsjahr. 75 % aller Aussetzungen nach allgemeinem Strafrecht wie auch nach Jugendrecht arbeiten mit einer Bewährungsfrist von drei Jahren. Der Widerruf der nach Jugendrecht Verurteilten wurde indessen bei 80-95 % schon innerhalb von zwei Jahren, der nach Erwachsenenstrafrecht Verurteilten zu ca. 75 % innerhalb dieser ZweijahresFrist ausgesprochen. Daraus läßt sich schlußfolgern: Eine Hilfestellung für den Probanden ist vor allem zu Beginn der Bewährungszeit vonnöten. Des weiteren sprechen die genannten Zahlen für die schon vorhandene Tendenz zumindest des Gesetzgebers, die langen Bewährungszeiten - im Erwachsenenstrafrecht bis zu fünf Jahren - abzukürzen. Wie zuvor unter III A. ausführlicher dargelegt wurde, sagt der Widerruf über die Bewährung der Probanden nur sehr begrenzt etwas aus. Aussagekräftiger ist die Entwicklung während eines späteren Nachbeobachtungszeitraums. Wie insoweit die Situation zu beurteilen ist, folgt aus einer von Heinz zusammengestellten Tabelle (siehe Seite 194), deren Angaben folgenden Untersuchungen entnommen worden sind:

Dieter Höbbel: Bewährung des statistischen Prognoseverfahrens im Jugendstrafrecht. Göttingen. Schwartz 1968. Stichprobe: 500 männliche Jugendliche und Heranwachsende, die zwischen dem 1.1.1960 und dem 12.10.1960 aus den Jugendstrafanstalten Herford und Staumühle entlassen wurden, soweit sie im OLG-Bezirk Hamm verurteilt wurden. Stichtag: 1.6.1966. Peter Lange: Rückfälligkeit nach Jugendstrafe. Diss. jur. Göttingen 1973. Stichprobe: 339 männliche und weibliche Jugendliche und Heranwachsende, die 1962 bis 1966 im LG-Bezirk Göttingen zu Jugendstrafe verurteilt wurden oder gegen die eine Schuldfeststellung gem. §27 JGG getroffen wurde. Stichtag: 8.10.1971. Hans-Erich Meyer-Wentrup: Die erneute Straffälligkeit nach Jugendstrafe. Diss. jur. Hamburg 1966. Stichprobe: 1589 männliche und weibliche Jugendliche und Heranwachsende, die zwischen 1954 und 1957 in Hamburg zu Jugendstrafe verurteilt wurden oder gegen die eine Schuldfeststellung gem. §27 JGG getroffen wurde. Stichtag: 1.10.1963. Egon Müller: Zum Erziehungserfolg der Jugendstrafe von unbestimmter Dauer. Köln. Heymanns 1969. Stichprobe: 170 männliche Jugendliche und Her-

193

anwachsende, die zwischen dem 1.1.1957 und dem 31.12.1964 im Saarland (Saarbrücken) aus unbestimmter Jugendstrafe entlassen wurden. Stichtag: Anfang 1967. Jürgen Näther: Die Lebensbewährung zu unbestimmter Jugendstrafe verurteilter Jugendlicher und Heranwachsender. Diss. jur. Göttingen 1967. Stichprobe: 150 männliche Jugendliche und Heranwachsende, die zwischen dem 1.4.1957 und dem 31.3.1958 aus unbestimmter Jugendstrafe aus der Jugendstrafanstalt Vechta entlassen wurden. Stichtag: Anfang 1964. Heinz Neriich: Die kriminalpolitischen Auswirkungen der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 20 J G G bei Jugendlichen und Heranwachsenden. Diss. jur. Heidelberg 1966. Stichprobe: 165 männliche und weibliche Jugendliche und Heranwachsende, die in den LG-Bezirken Mannheim und Heidelberg zu Jugendstrafen mit Strafaussetzung verurteilt wurden. Stichtag: 30.9.1961 und 30.9.1962. Hans-Georg Rosig: Rückfälligkeit und Bewährung bei unbestimmt verurteilten Jugendlichen und Heranwachsenden. Diss. jur. Göttingen 1970. Stichprobe: 200 männliche Jugendliche und Heranwachsende, die vom Jan. 1962 bis Febr. 1963 nach Verbüßung von unbestimmter Jugendstrafe aus der Jugendstrafanstalt Vechta entlassen wurden. Beobachtungszeitraum: 5 J. 3 Mte. bis 6 J. 5 Mte. Karl-Heinz Sydow: Erfolg und Mißerfolg der Strafaussetzung zur Bewährung. Bonn. Röhrscheid 1963. Stichprobe: 188 männliche und weibliche Probanden, die zwischen dem 1.10.1953 und dem 30.6.1955 im Alter von 21 und 29 Jahren vom A G oder LG Hannover zu Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt wurden, mit Ausnahme von Verurteilungen wegen Verkehrsdelikten. Stichtag: 1.10.1961. Hans-Günter Vogt: Strafaussetzung zur Bewährung und Bewährungshilfe bei Jugendlichen und Heranwachsenden. Diss. jur. Göttingen 1972. Stichprobe: 200 männliche Jugendliche und Heranwachsende, die 1965 und 1966 in den LGBezirken Göttingen, Hildesheim, Braunschweig und Lüneburg zu Jugendstrafe mit Bewährung verurteilt wurden. Stichtag: Mitte September 1970. Wolfram Wächter: Untersuchungen über Erfolg und Mißerfolg der Erziehung durch die Jugendstrafe von unbestimmter Dauer. Diss. jur. Heidelberg 1966. Stichprobe: 201 männliche Jugendliche und Heranwachsende, die zwischen dem 1.4.1958 und dem 31.3.1959 aus unbestimmter Jugendstrafe in Hall und Ludwigsburg entlassen wurden. Stichtag: 1.10.1964.

194

Strafaussetzung zur Bewährung Bewährungshilfe und Legalbewährung im Spiegel einzelner Nachuntersuchungen Untersuchung

Probanden insgesamt

Ν

Ν

%

Straffälligkeit nicht ganz unerheblich rückfällig

Β

%

I. Strafaussetzung gem. § 23 StGB a. F. Sydow Wittig

(1963) (1969)

188 199

98 81

52,1 40,7

75") 70>)

39,9 35,2

105 114 409 143

72,9 69,1 66,9 71,5

732)

50,7

3743) 1052)

61,2 52,5

243) 1163)

70,6 65,5

1242) 1104) 995) 1282) 1316)

62,9 66,3 66,0 64,0 67,9

II. Strafaussetzung gem. i 20 JGG a. F. Lange Nerlich Meyer-Wentrup Vogt

(1973) (1966) (1966) (1972)

144 165 611 200

III. Entlassung zur Bewährung aus bestimmter Jugendstrafe §88 JGG Lange Meyer-Wentrup

(1973) (1966)

34 177

24 121

70,6 68,4

IV. Entlassung zur Bewährung aus unbestimmter Jugendstrafe § 89 JGG Höbbel Müller Näther Rosig Wächter

(1968) (1969) (1967) (1970) (1966)

197 166 150 200 193

154 127 118 160 157

78,2 76,5 78,7 80,0 81,4

') Straffälligkeit insges., ohne: Übereinstimmungen; kleine Verkehrsdelikte; Ordnungswidrigkeiten; fahrlässige Delikte, wenn nur auf Geldstrafe erkannt; geringe Kriminalität, die i. d. R. noch nicht zum Widerruf der Aussetzung führt, wie vorsätzliche Vergehen, die mit Geldstrafe, und mittlere Verkehrsdelikte, die mit Haftstrafe geahndet wurden. 2 ) Straffälligkeit insges., ohne: einmalige erneute Verurteilung wegen eines nicht geringfügigen Deliktes zu einer Geldstrafe (nach l.StrRG: soweit die Ersatzfreiheitsstrafe höchstens einen Monat beträgt); mehrfache erneute Verurteilung zu einer Geldstrafe von über 100 DM, soweit die Ersatzfreiheitsstrafe insgesamt 2 Monate nicht übersteigt; einmalige erneute Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von höchstens einem Monat; mehrfache erneute Verurteilung zu insgesamt nicht mehr als 2 Monaten. 3 ) Straffälligkeit insges., ohne: leichte Verkehrsvergehen; fahrlässige Körperverletzung oder Steuerstraftat (Schmuggel), sofern nur mit Geldstrafe geahndet wurde. 4 ) Straffälligkeit insges., ohne: „leichte Delikte bei sonst vorbildlichem oder zumindest beanstandungsfreiem Verhalten. Meist waren es minder schwere Verkehrstaten wie z.B. gelegentliches Führen eines Kraftfahrzeuges ohne Fahrerlaubnis oder auch einmalige im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehende Taten wie Körperverletzung oder Widerstand gegen die Staatsgewalt". 5 ) Straffälligkeit insges., ohne: Verkehrs- und leichte Fahrlässigkeitsdelikte. 6 ) Straffälligkeit insges., ohne: Verkehrsdelikte und geringfügige Delikte (Betrug, Unterschlagung, Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt), die mit Geldstrafe geahndet wurden.

Strafaussetzung zur Bewährung Klaus Wittig: Die Praxis der Strafaussetzung zur Bewährung bei Erwachsenen. Diss. jur. Göttingen 1969. Stichprobe: 199 männliche und weibliche Erwachsene im Alter von 21 bis 39 Jahren, die zwischen dem 1.1.1958 und dem 31.12.1959 vom A G oder LG Heilbronn zu Gefängnisstrafe mit Bewährung verurteilt wurden, mit Ausnahme von Verurteilungen wegen Verkehrsdelikten. Stichtag: 1.7.1966. Die erheblichen Rückfallquoten machen deutlich, daß die kriminalpolitische Zielsetzung, den Rückfall mit ambulanten Maßnahmen zu verhindern, noch nicht befriedigend erreicht worden ist. Gegenüber der Inhaftierung stellt die Strafaussetzung dennoch die bessere Alternative dar. Es bleibt die Aufgabe, dieses Institut weiter zu verbessern. Dazu bedarf es vor allem einer Verstärkung der Sanktionsforschung. Künftige Untersuchungen werden noch elementare Fragen zu klären haben. Wir benötigen genauere Kenntnisse über die Umstände, die eine widerrufsfreie Bewährungszeit und eine weitgehend straffreie Folgezeit begünstigen beziehungsweise erschweren. Es müssen spezielle Programme entwickelt werden, die unter den vorfindlichen, kaum veränderlichen Rahmenbedingungen die über einen Erfolg mitentscheidenden veränderlichen Momente bestmöglich beeinflussen.

Monographien

und

Sammelwerke

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Strafaussetzung zur Bewährung

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STRAFVOLLZUG: UNTERSUCHUNGSHAFT I. ZWECK U N D VORAUSSETZUNGEN DER UNTERSUCHUNGSHAFT A . Begriff und Zweck der Untersuchungshaft 1. Begriff und Funktion der Untersuchungshaft a ) B e g r i f f d e r U n t e r s u c h u n g s h a f t . Untersuchungshaft ist Entziehung der Freiheit des Beschuldigten zum Zweck der Sicherung des Erkenntnisverfahrens und der - etwaigen - Strafvollstrekkung (BVerfGE 19, 349; 20, 49; 32, 93; Roxin 1982). Sie besteht in Einsperrung in einer geschlossenen Anstalt, die ressortmäßig zum Bereich der Justizverwaltung (Justizvollzug) gehört. Im einzelnen soll die Untersuchungshaft die Anwesenheit des Beschuldigten (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO) und eine ordnungsgemäße Tatsachenermittlung durch die Strafverfolgungsorgane gewährleisten (§112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) sowie die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe (§ 38 StGB) oder freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung (§61 Nr. 1 bis 4 StGB) sicherstellen (§457 StPO). Danach lassen sich die Funktionen der Untersuchungshaft ausschließlich auf die Zwecke der Verfahrens- und Vollstreckungssicherung zurückführen. Das entspricht auch der Einordnung der Untersuchungshaft in den Katalog strafprozessualer Zwangsmittel, welche die StPO den Strafverfolgungsbehörden um einer einwandfreien und wirksamen Aufklärung des Sachverhalts willen an die Hand gibt. Unter diesen Zwangsmitteln stellt die Untersuchungshaft den schwerwiegendsten Eingriff in die persönliche Freiheit dar; deshalb unterliegt sie auch strengen rechtsstaatlichen Schranken (vgl. I C 2). b) F u n k t i o n der Untersuchungshaft. Die Rechtsordnung sieht diesen Eingriff im Interesse einer funktionsfähigen Strafrechtspflege vor. Hiernach kann der Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters zumindest in manchen Fällen nicht anders eingelöst werden als durch vorläufige Inhaftierung des Verdächtigen (Boing 1979). Da zugunsten des Beschuldigten bis zur

Strafvollzug: Untersuchungshaft rechtskräftigen Entscheidung die Unschuldsvermutung gilt (vgl. I C 2), darf dieser nicht mehr belastet werden, als für die sachgerechte Durchführung des Verfahrens unerläßlich ist. Dies bedeutet, daß Untersuchungshaft nur dann angeordnet und vollzogen werden darf, wenn anders die Zwecke der Verfahrens· oder Vollstreckungssicherung ernstlich gefährdet wären. Freilich dient die Untersuchungshaft in manchen ausländischen Staaten nicht allein der Verfahrensund Vollstreckungssicherung, sondern auch noch anderen Zwecken (Jescheck, Krümpelmann 1971). Ebenso kennt die StPO außer jenen Gesichtspunkten noch die Haftgründe der Tatschwere und der Wiederholungsgefahr, die nachträglich ins Gesetz aufgenommen wurden (zur Entstehungsgeschichte Dünnebier, in: Löwe-Rosenberg 1978). So soll nach §112 Abs. 3 StPO schon der Verdacht, daß der Beschuldigte eine der dort genannten schweren Straftaten begangen hat, die Anordnung von Untersuchungshaft rechtfertigen. Nach §112 a StPO darf bei Vorliegen eines bestimmten Tatverdachts dann Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn die Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten besteht. Diese Erweiterungen der Inhaftierungsmöglichkeiten haben eine umfassende Diskussion ausgelöst (Baumann 1962; 1969; R. Schmitt 1965; Dünnebier 1966; Kanka 1966; Oppe 1966; Ender 1969; Klug 1969; Seebode 1969; Gnam 1972). Namentlich wurde dadurch die Frage aufgeworfen, ob die Untersuchungshaft in ihrem Wesen und in ihrer Funktion nicht wesentlich verändert worden ist. Indessen erblickt das BVerfG im Gesichtspunkt der Tatschwere keinen neuen Haftgrund. Vielmehr dient hiernach auch die Regelung des § 112 Abs. 3 StPO der Verfahrenssicherung. Dem BVerfG zufolge stellt das Gesetz bei Vorliegen eines solchen Tatverdachts lediglich an die Feststellung eines Haftgrundes im Hinblick auf die Schwere des Delikts geringere Anforderungen (BVerfGE 19, 350). Es fragt sich jedoch, ob es sich dabei noch um eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes und nicht vielmehr um dessen Umdeutung handelt (Roxin 1982). Demgegenüber erfüllt der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 a StPO) eindeutig Präventionsfunktion und hat deshalb mit dem Gesichtspunkt der Verfahrenssicherung nichts zu tun (BVerfGE 35, 191). Der Sache nach verwandelt er die Untersuchungshaft in derartigen Fällen in eine Art „Sicherungshaft", deren Anordnung und Durchführung aus Zweckmäßigkeitsgründen den Strafverfolgungsbehörden und nicht der Polizei übertragen ist (Dünnebier 1978). Daher wird dieser Haftgrund z.T. als systemwidrig kritisiert (Zipf 1977; Roxin 1982). Auf der anderen Seite hält man ihn für sachgerecht, weil zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich (Kleinknecht 1981; Boing 1979). Jedoch hat das Erfordernis kriminalpoliti-

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scher Vorkehrungen zum Schutz der Allgemeinheit der Sache nach nichts mit Maßnahmen zur Verfahrenssicherung zu tun. Soweit Inhaftierung zur Bekämpfung erheblicher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit unerläßlich ist, sollte sie jedenfalls nicht als Untersuchungshaft fungieren und organisiert werden (Grebing 1975; Müller-Dietz 1981; Wolter 1981). Die Frage, welche Zwecke die Untersuchungshaft nach geltendem Recht zu erfüllen hat, ist hingegen nicht mit dem Problem gleichzusetzen, welche Funktionen der Untersuchungshaft de facto zukommen, ob sie also auch - wenngleich unbeabsichtigt - etwa generalpräventive Aufgaben wahrnimmt (Kerner 1978) oder andere Straffunktionen, z.B. solche spezialpräventiver Art, erfüllt und damit gleichsam Freiheits- oder Jugendstrafe antizipiert (Kury 1981 a; Schulz 1981). Einigkeit besteht jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland darüber, daß solche zusätzlichen Gesichtspunkte weder die Anordnung noch die Ausgestaltung der Untersuchungshaft beeinflussen dürfen (Roxin 1982).

2. Abgrenzung der Untersuchungshaft von sonstigen Freiheitsentziehungen a) A b g r e n z u n g von s t r a f r e c h t l i c h e n Sanktionen und öffentlichrechtlichen F o r m e n d e s F r e i h e i t s e n t z u g e s . Die Untersuchungshaft unterscheidet sich durch ihren besonderen Zweck als prozeßsichernde Maßnahme und ihre Ausgestaltung (vgl. III und IV) von anderen Formen der Freiheitsentziehung. Dies gilt namentlich im Hinblick auf freiheitsentziehende Sanktionen, deren Vollzug ein rechtskräftiges Urteil voraussetzt (§ 449 StPO); dazu gehören etwa die Freiheitsstrafe für Erwachsene (§38 StGB), die Jugendstrafe (§§17 ff. JGG), der Jugendarrest (§16 JGG), der militärische Strafarrest (§§9ff. WStG) sowie die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§63 bis 66 StGB). Ferner ist die Untersuchungshaft von denjenigen Formen der Freiheitsentziehung zu unterscheiden, die entweder dem Schutz von Personen oder der Durchsetzung bestimmter öffentlichrechtlicher Anordnungen dienen (Calliess, Müller-Dietz 1983). Beispiele dafür bilden die Unterbringung Geisteskranker nach dem Unterbringungsrecht der Länder, die sog. Zivilhaft (Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft), die Abschiebungshaft und die Auslieferungshaft. Ordnungshaft wird wegen Ungehorsam oder Ungebühr angeordnet; Sicherungshaft dient der Sicherung von Zwangsvollstreckung; Zwangs- und Erzwingungshaft soll ein gesetzlich befohlenes Verhalten bewirken. Abschiebungshaft soll den Vollzug der Ausweisung aus dem Bundesgebiet nach dem Ausländergesetz, Auslieferungshaft die - etwaige - Auslieferung an

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einen fremden Staat sicherstellen; Auslieferungshaft ist auch schon vor Eingang eines Auslieferungsersuchens zulässig (vgl. §§ 10 bis 23 Deutsches Auslieferungsgesetz). Aber während für alle diese Formen der Freiheitsentziehung besondere Regelungen gelten, sind für die (vorläufige) Auslieferungshaft die Vorschriften über den Vollzug der Untersuchungshaft maßgebend (Calliess, MüllerDietz 1983). b) A b g r e n z u n g von a n d e r e n s t r a f p r o z e s s u a l e n F r e i h e i t s e n t z i e h u n g e n . Untersuchungshaft muß schließlich auch von denjenigen Formen der Freiheitsentziehung unterschieden werden, die im weitesten Sinne die Aufklärung der Tat ermöglichen, aber nicht die spezifische Funktion der Verfahrenssicherung im Wege einer mehr oder weniger langen Inhaftierung des Beschuldigten erfüllen sollen. Dazu gehören zum einen diejenigen Maßnahmen, die aus Gründen einer vorläufigen Sicherstellung der Person des Verdächtigen oder einer Identitätsfeststellung zu kurzfristiger Freiheitsentziehung führen (können). Beispiele dafür bilden vor allem die vorläufige Festnahme nach § 127 StPO und das Festhalten verdächtiger (und unverdächtiger) Personen zu Identifizierungszwekken nach §163c StPO (vgl. II A). Zum anderen gehören hierher Maßnahmen gegen den Beschuldigten, die unmittelbar der Tataufklärung oder präventivpolizeilichen Zwecken dienen und gleichfalls mit Freiheitsentziehung verbunden sind (oder doch sein können). Kurzfristiger Freiheitsentzug in diesem Sinne kann etwa zum Zwecke körperlicher Untersuchung des Beschuldigten (§ 81 a StPO) oder zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen (§ 81 b StPO) in Betracht kommen. Zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten - bei Jugendlichen und Heranwachsenden auch zur Ermittlung ihres Entwicklungsstandes (§§73, 104 Abs. 1 Nr. 12, 109 JGG) - ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bis zur Dauer von sechs Wochen zulässig (§81 StPO). Schließlich hat auch die einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt Freiheitsentzug zur Folge (§ 126 a StPO). Sie stellt eine Präventivmaßnahme im Vorgriff auf eine zu erwartende Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder in einer Entziehungsanstalt (§64 StGB) dar, d.h. die zum Schutz der Allgemeinheit voraussichtlich notwendig werdende freiheitsentziehende Maßregel wird im Interesse der Öffentlichkeit gleichsam antizipiert (Kleinknecht 1981). Einstweilige Unterbringung ist unter drei Voraussetzungen zulässig: (a) Dringende Gründe müssen dafür sprechen, daß jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen hat (§§20, 21 StGB), (b) Dringende Gründe müssen die endgültige Unterbringung in

einer solchen Anstalt erwarten lassen, (c) Außerdem muß die öffentliche Sicherheit die Unterbringung schon vor rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens erfordern. Das zwingt namentlich zur Prüfung, ob weniger einschneidende Maßnahmen ausreichen. Allerdings ist Verschonung mit der Unterbringung nach Art der Haftverschonung gegen Sicherheitsleistung (vgl. II B) entsprechend dem Wesen jener Einrichtung ausgeschlossen. Dafür ist aber auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. I C 2). Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Garantien, die generell für Freiheitsentziehungen gelten, setzt die einstweilige Unterbringung - nach Analogie der Untersuchungshaft - einen richterlichen Unterbringungsbefehl voraus (§ 126 a Abs. 1 StPO). Für das Unterbringungsverfahren gelten im wesentlichen die Vorschriften über die Untersuchungshaft (§126a Abs. 2 StPO; vgl. II). Der Unterbringungsbefehl ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung nicht mehr vorliegen oder wenn das Gericht im Urteil die - endgültige - Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt nicht anordnet (§126a Abs. 3 StPO). Die Ausgestaltung der einstweiligen Unterbringung in einer solchen Anstalt richtet sich nach dem für derartige Institutionen generell geltenden Bundesund Landesrecht (vgl. §§136 bis 138 StVollzG). Dabei stehen die Gesichtspunkte der therapeutischen Behandlung und ärztlichen Pflege neben dem Aspekt des Schutzes der Allgemeinheit im Vordergrund.

B. Rechtsquellen der Untersuchungshaft In der Bundesrepublik Deutschland sind für die Anordnung und Durchführung der Untersuchungshaft im wesentlichen drei Rechtsquellen maßgebend: das GG, die MRK und die StPO. Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG darf in die Freiheit der Person nur auf Grund eine Gesetzes eingegriffen werden. Art. 104 GG regelt im einzelnen die Rechtsgarantien für alle Fälle der Freiheitsentziehung; die Vorschrift gilt dementsprechend auch für die Untersuchungshaft. Danach darf über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter entscheiden (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG). Wird jemand vorläufig festgenommen (§127 StPO), ist unverzüglich eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen (Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG). Wer wegen Verdachts einer Straftat vorläufig festgenommen ist, muß spätestens am Tage danach dem Richter vorgeführt werden (Art. 104 Abs. 3 GG). Diese Regelungen, die aus rechtsstaatlichen Gründen gewährleisten sollen, daß Freiheitsentziehung nur im Falle unabweisbarer Notwendigkeit stattfindet und hinreichender gerichtlicher Kontrolle unterliegt (BVerfGE 29, 195), tragen in vollem

Strafvollzug: Untersuchungshaft Umfange den Anforderungen Rechnung, welche Art. 5 Abs. 1 c) MRK an den innerstaatlichen Gesetzgeber stellt (vgl. I C 2). Die MRK hat in der Bundesrepublik Deutschland allerdings lediglich Gesetzesrang. Neben dem GG und der MRK stellt die StPO die wesentliche Rechtsquelle dar. Sie regelt zum einen - in Übereinstimmung mit GG und MRK (Boing 1979) - die materiellrechtlichen Voraussetzungen und das Verfahren der Anordnung (§§ 112-118b, 120-131 StPO), zum anderen die Durchführung der Untersuchungshaft (§119 StPO). Dagegen bindet die bundeseinheitlich geltende UVollzO als bloße Verwaltungsanordnung lediglich die Vollzugsbehörden, d. h. die Haftanstalten, in denen Untersuchungshaft vollstreckt wird, und deren Mitarbeiter; für den Richter, der ausschließlich dem Gesetz unterworfen ist, hat sie nur den Charakter einer Empfehlung (BVerfGE 15, 294; Kleinknecht, Janischowsky 1977). Darüber hinaus strebt man auf internationaler Ebene seit einiger Zeit gemeinsame Regelungen der Untersuchungshaft an. Zu nennen sind hier zunächst einschlägige Bemühungen der Vereinten Nationen (Triffterer in: Jescheck, Krümpelmann 1971). Hinsichtlich der materiellen und formellen Voraussetzungen der vorläufigen Festnahme und der Untersuchungshaft ist etwa Art. 9 der Konvention über bürgerliche und politische Rechte von 1966, hinsichtlich des Vollzugs der Untersuchungshaft sind die "Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners" von 1955 (Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen) von Bedeutung (Mindestgrundsätze 1975). Der Konvention, die am 23.3.1976 in Kraft getreten ist, entsprechen die einschlägigen Vorschriften des GG und der StPO; dies gilt auch für die normative Ausgestaltung der Untersuchungshaft durch die StPO (Boing 1979). Allerdings läßt die bruchstückhafte gesetzliche Regelung der Durchführung der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland noch manche rechts- und sozialstaatlichen Wünsche offen (Dünnebier 1975; Evang. Akademie 1977; Roxin 1982; Baumann 1981; Preusker 1981; Wolter 1981; Müller-Dietz 1981; vgl. auch V A).

C. Materielle Voraussetzungen der Untersuchungshaft 1. Dringender Tatverdacht und Haftgrund Hinsichtlich der Anordnung der Untersuchungshaft ist nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland zwischen den materiellen und den verfahrensmäßigen Zulässigkeitsvoraussetzungen zu unterscheiden. Zu den sachlichen Voraussetzungen gehören allemal dringender Tatverdacht und ein besonderer Haftgrund (§§ 112, 112a StPO). Liegen sie vor, darf Untersuchungshaft angeordnet wer-

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den, muß es aber nicht; die Anordnung ist in keinem Fall zwingend vorgeschrieben, kann jedoch in jedem Stadium des Verfahrens erfolgen. Dringender Tatverdacht bedeutet: Es muß eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür gegeben sein, daß der Beschuldigte die Straftat (Vergehen oder Verbrechen) begangen hat und daß grundsätzlich alle Voraussetzungen der Strafbarkeit und Verfolgbarkeit vorliegen (Roxin 1982). Der dringende Tatverdacht, der sich ausschließlich auf die Tat-, nicht auf die Rechtsfrage bezieht (Zipf 1977), kann seiner Natur nach widerlegt werden; dann ist die Untersuchungshaft aufzuheben (Boing 1979; II C). Als Haftgründe kommen in Betracht: Flucht oder Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO), Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) und Wiederholungsgefahr (§112a StPO). Die Annahme eines Haftgrundes setzt allemal das Vorliegen bestimmter Tatsachen voraus, aus denen der Richter dann auf die jeweilige Gefahr schließen kann. Der Haftgrund der Flucht ist gegeben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält. Fluchtgefahr ist anzunehmen, wenn „bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde" (§112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Demnach muß die Flucht als eine konkrete und naheliegende Möglichkeit erscheinen (Kleinknecht 1981). Fluchtgefahr darf nicht einfach schematisch nach der Höhe der zu erwartenden Strafe angenommen werden, sondern muß unter Abwägung aller Gesichtspunkte des Einzelfalles, wozu namentlich die persönlichen Verhältnisse (z. B. familiäre Situation, Wohnsitz, Arbeitsplatz) rechnen, festgestellt werden (Zipf 1977; Roxin 1982). Nach h. M. ist sie auch dann zu bejahen, wenn zu erwarten ist, der Beschuldigte werde sich verhandlungsunfähig machen (Roxin 1982). Verdunkelungsgefahr liegt vor, wenn das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde Beweismittel beeinträchtigen oder beseitigen oder auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder andere zu solchem Verhalten veranlassen und dadurch die Wahrheitserforschung erschweren (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO). Nach der Rspr. des BVerfG muß Flucht- oder Verdunkelungsgefahr auch bei dringendem Verdacht schwerer Straftaten im Sinne des § 112 Abs. 3 StPO gegeben sein; nur soll an die Feststellung der Voraussetzungen hier kein so strenger Maßstab angelegt werden müssen wie sonst (vgl. I A l b ) . Dagegen stellt der Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr seit 1964 einen echten, dritten Haftgrund dar (§ 112 a StPO). Als eine Art präventivpolizeilicher Sicherungshaft paßt er nicht in das System der Verfahrens- und Vollstreckungssicherung (vgl. I A 1 b). Dies gilt unbeschadet der kriminalpolitischen Notwendigkeit, Gefährdungen der Allgemeinheit durch (riickfall-)gefährliche Täter zu be-

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gegnen (Zipf 1977; Dünnebier 1978), und der Bejahung der Verfassungsmäßigkeit jenes Haftgrundes (BVerfGE 35, 185). Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr war ursprünglich auf Sexualdelikte beschränkt (Dietrich 1970); er ist nunmehr auf eine Reihe weiterer erheblicher Straftaten ausgedehnt. Im einzelnen setzt dieser Haftgrund voraus, daß der dringende Tatverdacht sich auf bestimmte schwerwiegende Straftaten (zu denen nach dem Katalog des § 112 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO neben Sexualverbrechen gewichtige Körperverletzungs-, Diebstahlsdelikte, gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz zählen) bezieht und daß die Untersuchungshaft zur Abwendung der Gefahr weiterer schwerer Straftaten erforderlich ist. Außerdem muß der Beschuldigte in der Regel innerhalb der letzten fünf Jahre wegen einer Straftat gleicher Art zu Freiheitsstrafe verurteilt worden sein (§112 a Abs. 1 StPO). Schließlich ist der Haftgrund der Wiederholungsgefahr subsidiär; er kann Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn ein Haftgrund nach § 112 StPO gegeben ist (§ 112a A b s . 2 StPO).

2. Rechtsstaatliche Schranken und verfahrensrechtliche Grundsätze Der Schwere des Eingriffs, der in der Untersuchungshaft liegt, entspricht seine Begrenzung durch rechtsstaatliche Schranken. Nach dem (Verfassungs-)Recht der Bundesrepublik Deutschland unterliegt die Anordnung und Durchführung der Untersuchungshaft dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Darüber hinaus ist - namentlich im Vollzug - die Unschuldsvermutung zu beachten. Schließlich soll auch der für das Strafverfahren insgesamt geltende Grundsatz der Beschleunigung dazu beitragen, daß die Untersuchungshaft nicht länger dauert, als für die Aufklärung der Tat unerläßlich ist. Zunächst einmal verpflichtet der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dazu, Anordnung und Dauer der Untersuchungshaft auf das notwendige Maß zu beschränken (Seetzen 1973; Roxin 1982). Steht die Untersuchungshaft zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel außer Verhältnis, darf sie weder angeordnet noch (weiter) vollzogen werden (§§112 Abs. 1 Satz 2, 120 Abs. 1 StPO). Hiernach muß allemal die Schwere des Eingriffs in die Freiheitssphäre des Beschuldigten gegen das Gewicht des Tatvorwurfs und die Höhe der Straferwartung abgewogen werden. Die Untersuchungshaft muß also ein angemessenes Verhältnis zum Tatvorwurf und zur Strafdrohung aufweisen (Boing 1979). Deshalb ist Untersuchungshaft wegen bloßer Verdunkelungsgefahr bei leichteren Straftaten schlechthin unzulässig (§ 113 Abs. 1 StPO); wegen Fluchtgefahr darf sie in solchen Fällen nur unter erschwerten

Voraussetzungen angeordnet werden. Nach überwiegender Auffassung kommt in Privatklagesachen Untersuchungshaft nicht in Betracht (Roxin 1982). Besteht kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung und hängt die Rücknahme der Klage vom Kläger ab, erscheint Freiheitsentziehung sachlich nicht gerechtfertigt. Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt ferner, daß der Vollzug der Untersuchungshaft in Fällen der Fluchtgefahr auszusetzen ist, „wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann" (§116 Abs. 1 Satz 1 StPO). Danach kommen alle Maßnahmen in Betracht, die den Beschuldigten weniger belasten als der Freiheitsentzug und die zugleich als Ersatzmittel für die Untersuchungshaft vollauf geeignet sind (Kleinknecht 1981). Das Gesetz nennt beispielshalber Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkungen, Hausarrest und Sicherheitsleistung (§ 116 Abs. 1 Satz 2 StPO). Die Maßnahmen dürfen natürlich nicht in uneinschränkbare Grundrechte eingreifen oder an den Beschuldigten unzumutbare Anforderungen stellen. Unter vergleichbaren Voraussetzungen kann in Fällen der Verdunkelungsgefahr der Vollzug der Untersuchungshaft ausgesetzt werden (§ 116 Abs. 2 StPO). Als weniger einschneidende Maßnahme sieht das Gesetz insoweit die Anweisung an, mit Verfahrensbeteiligten und -betroffenen keine Verbindung aufzunehmen. Entsprechendes gilt auch für den Fall der Wiederholungsgefahr; hier genügt für die Aussetzung eine hinreichende Erwartung, daß der Beschuldigte bestimmte Anweisungen befolgen und daß dadurch der Zweck der Haft erreicht wird (§116 Abs. 3 StPO). Bis zur rechtskräftigen Entscheidung kann sich der Beschuldigte ferner auf die Unschuldsvermutung berufen. Nach Art. 6 Abs. 2 MRK gilt er so lange als unschuldig. Rechtliche Bedeutung und sachlicher Gehalt der Unschuldsvermutung sind bis heute umstritten (Krauß 1971; Mrozynski 1978; Roxin 1982). Daß Zweifel in tatsächlicher Hinsicht zugunsten des Beschuldigten ausschlagen, ergibt sich bereits aus dem Grundsatz „in dubio pro reo". Unbestritten ist, daß die Unschuldsvermutung strafprozessuale Zwangsmaßnahmen - und damit auch Untersuchungshaft - keineswegs ausschließt. Manches spricht für ihre Interpretation als Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes. Dann darf der Verdächtige nicht mit Eingriffen belastet werden, die einem in Wahrheit Unschuldigen schlechterdings nicht zugemutet werden können (Krauß 1971; Roxin 1982; Müller-Dietz 1981; BVerfGE 19, 347). Schließlich wirkt sich auch der Beschleunigungsgrundsatz auf die Anordnung und Durchführung der Untersuchungshaft aus. Zwar formuliert ihn die StPO an keiner Stelle ausdrücklich; jedoch ist einer ganzen Reihe von Vorschriften zu entnehmen, daß

Strafvollzug: Untersuchungshaft das Verfahren - ungeachtet der Sorgfalt der Ermittlungen - möglichst rasch abgeschlossen werden soll (Roxin 1982). Im Falle der Untersuchungshaft spricht schon die Schwere des Eingriffs für eine Beschleunigung des Verfahrens. Demgemäß ist der Verhaftete oder Festgenommene unverzüglich einem Richter vorzuführen, der ihn zur Sache vernehmen muß (§§115, 128 f. StPO). Ebenso stellt die regelmäßige Beschränkung der Untersuchungshaftdauer auf sechs Monate (§ 121 StPO) in gewissem Sinne einen Ausfluß der Konzentrationsmaxime dar (vgl. II C). Freilich trägt diese zeitliche Begrenzung auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung (BVerfGE 20, 50; Kleinknecht 1981). D. Formelle Voraussetzungen der Untersuchungshaft Aus den verfassungsrechtlichen Garantien hinsichtlich der Freiheitsentziehung folgt, daß nur ein Richter Untersuchungshaft anordnen darf (vgl. I B). Sie setzt dementsprechend einen schriftlichen Haftbefehl des Richters voraus (§ 114 Abs. 1 StPO). Zuständig für den Erlaß des Haftbefehls ist vor Erhebung der öffentlichen Klage der Amtsrichter, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist oder der Beschuldigte sich aufhält (§ 125 Abs. 1 StPO). Nach Erhebung der öffentlichen Klage ist dafür das mit der Sache befaßte Gericht zuständig (§ 125 Abs. 2 StPO). Im Haftbefehl sind anzuführen: der Beschuldigte, die Tat (deren er dringend verdächtig ist), der Haftgrund und die Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht und der Haftgrund ergeben (§114 Abs. 2 StPO). Die Angabe der Tatsachen darf nur entfallen, wenn sonst die Staatssicherheit gefährdet würde. Gegebenenfalls muß sich der Richter auch noch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auseinandersetzen (§114 Abs. 3 StPO). Die Verpflichtung, die Angaben im Haftbefehl möglichst zu präzisieren, soll gerade dem Erlaß sachlich ungerechtfertigter Haftbefehle entgegenwirken (Roxin 1982).

II. VOLLSTRECKUNG UND AUFHEBUNG DES HAFTBEFEHLS A. Vorläufige Festnahme und Verhaftung Zur Freiheitsentziehung qua Untersuchungshaft kann es nach der StPO auf zweierlei Weise kommen. So kann in Eilfällen eine sofortige Freiheitsentziehung durch die Staatsanwaltschaft, Polizeibeamte oder aber auch durch Privatpersonen erforderlich werden, wenn etwa Gefahr besteht, daß sich ein Tatverdächtiger durch Flucht dem Verfahren entzieht, oder wenn anders als durch vorläufigen Freiheitsentzug Identitätsfeststellung nicht möglich

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ist. In allen diesen Fällen kann wegen der besonderen Eilbedürftigkeit vorher ein schriftlicher Haftbefehl des Richters nicht erwirkt werden. Dementsprechend ist zur vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 1 StPO jedermann befugt, wenn der Täter auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird und wenn die Person des Täters nicht sofort feststellbar ist oder Fluchtverdacht besteht. Die Staatsanwaltschaft und die Polizeibeamten dürfen darüber hinaus den Tatverdächtigen auch dann vorläufig festnehmen, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls (oder eines Unterbringungsbefehls nach §126a StPO) vorliegen (§127 Abs.2 StPO), d . h . wenn dringender Tatverdacht und ein Haftgrund gegeben sind. Sie dürfen ferner die zur Identitätsfeststellung erforderlichen Maßnahmen treffen (§§ 127 Abs. 1 Satz 2, 163b StPO). Dazu kann auch eine kurzfristige Freiheitsentziehung gehören; sie darf indessen nicht länger als notwendig, auf keinen Fall jedoch länger als zwölf Stunden dauern (§ 163c Abs. 1 und Abs. 3 StPO). Ist jemand vorläufig festgenommen, muß er spätestens am Tag nach der Festnahme dem Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk die Festnahme erfolgte, vorgeführt werden. Der Richter vernimmt ihn zur Sache (§§128 A b s . l , 115 Abs. 3 StPO). Dann entscheidet er darüber, ob der Festgenommene freigelassen oder ein Haftbefehl erlassen wird (§ 128 Abs. 2 StPO). Im letzteren Falle ist der Festgenommene unmittelbar in Untersuchungshaft zu nehmen. Ist dem Erlaß des Haftbefehls keine vorläufige Festnahme vorausgegangen, befindet sich der Beschuldigte also noch auf freiem Fuß, muß der Haftbefehl im Wege der Verhaftung (Ergreifung) vollstreckt werden. Sie ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft (§36 Abs. 2 Satz 1 StPO), die sich dazu ihrer Hilfsbeamten (§ 152 GVG) oder der Polizei (§ 161 StPO) bedienen kann. Bei der Verhaftung ist dem Beschuldigten der Haftbefehl bekanntzugeben. Sollte dies nicht möglich sein, muß ihm in jedem Fall mitgeteilt werden, welcher Tat er verdächtig ist (§ 114a Abs. 1 StPO). Den verfassungsrechtlichen Garantien entsprechend (I B) ist der Beschuldigte spätestens am Tag nach der Ergreifung dem Haftbefehlsrichter vorzuführen (§115 A b s . l StPO). Der Richter hat die Benachrichtigung eines Angehörigen oder einer Vertrauensperson anzuordnen und dem Verhafteten selbst Gelegenheit zu solcher Unterrichtung zu geben (§ 114b StPO). Dadurch soll verhindert werden, daß jemand „bei Nacht und Nebel" spurlos verschwindet (Dünnebier 1978; Roxin 1982). Ferner hat der Richter den Beschuldigten unverzüglich zur Sache zu vernehmen, wobei er ihn ausdrücklich auf seine Aussagefreiheit hinweisen muß (§115 Abs. 2 und Abs. 3 StPO). Schließlich muß der Richter darüber entscheiden, ob der Haftbefehl aufrechterhalten werden kann (§115 Abs. 4 StPO) oder ob er nach § 120 StPO aufgehoben oder sein Vollzug nach § 116 StPO ausgesetzt werden muß.

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Ist der zuständige Richter nicht rechtzeitig zu erreichen, muß der Verhaftete unverzüglich dem Richter des nächsten Amtsgerichts vorgeführt werden (§115 a StPO). Diesem obliegt dann die Benachrichtigung und Vernehmung. Jedoch kann er weil mit der Sache nicht vertraut - den Haftbefehl nicht aufheben und nur unter eingeschränkten Voraussetzungen den Verhafteten freilassen. Er hat insoweit lediglich die Möglichkeit, den zuständigen Richter über Bedenken gegen den Haftbefehl unverzüglich zu informieren (§115 a Abs. 2 StPO) oder den Verhafteten diesem Richter vorzuführen (§ 115a Abs. 3 StPO); auf Verlangen des Beschuldigten muß er die Vorführung anordnen.

B. Aussetzung der Untersuchungshaft (Haftverschonung) Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich, daß weniger einschneidende Maßnahmen an die Stelle des Vollzugs der Untersuchungshaft treten müssen (dürfen), soweit deren Zweck es zuläßt (§ 116 StPO; vgl. I C 2). Bei Fluchtgefahr muß der Vollzug ausgesetzt werden, wenn mildere Mittel ausreichen. Als solche kommen namentlich Meldepflicht, Aufenthaltsbeschränkung, Hausarrest und Sicherheitsleistung in Betracht (§ 116 Abs. 1 StPO). Auch bei Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr kann der Richter weniger einschneidende Maßnahmen anordnen (§ 116 Abs. 2 und Abs. 3 StPO). Umstritten ist, ob zugleich in den Fällen des § 112 Abs. 3 StPO (Untersuchungshaft bei Tötungsverbrechen) Haftverschonung zulässig ist. Jedoch wird man dies auch ohne ausdrückliche Regelung schon im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bejahen müssen (Zipf 1977; Kleinknecht 1981; Roxin 1982). Die Haftverschonung dauert nur so lange, als der Beschuldigte die ihm auferlegten Pflichten und Beschränkungen einhält; verstößt er dagegen, wird der Haftbefehl wieder vollzogen (§116 Abs. 4 StPO). Den praktisch bedeutsamsten Fall der Haftverschonung stellt die Freilassung gegen Sicherheitsleistung dar. Sie bildet insofern ein gewisses Problem, als dadurch der Vermögende bessergestellt werden kann als der Vermögenslose. Deshalb muß möglichst vermieden werden, daß Vermögende leichter mit Haftvollzug verschont werden als andere (Kleinknecht 1981). Eine gewisse Gleichbehandlung wird durch die Möglichkeit herbeigeführt, die Kaution von anderen Personen stellen oder von diesen Bürgschaften übernehmen zu lassen (§ 116 a StPO).

C. Aufhebung des Haftbefehls Der Haftbefehl ist generell in drei Fällen aufzuheben (§ 120 StPO), zu denen dann noch zwei wei-

tere Sonderfälle hinzutreten. Allgemein ist er aufzuheben, a) wenn die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen, also entweder der dringende Tatverdacht oder die Haftgründe entfallen sind, b) wenn die weitere Untersuchungshaft zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel außer Verhältnis stehen würde (vgl. I C 2), c) wenn der Angeklagte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird; ein rechtskräftiger Freispruch ist nicht erforderlich; auch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung des Beschuldigten nicht verzögern (§ 120 Abs. 2 StPO). Der Haftbefehl muß ferner aufgehoben werden, wenn die Staatsanwaltschaft es vor Erhebung der öffentlichen Klage beantragt (§120 Abs. 3 StPO). Sie kann gleichzeitig mit dem Antrag die Freilassung des Beschuldigten anordnen. Diese besondere Befugnis der Staatsanwaltschaft hängt mit ihrer Stellung als Herrin des Vorverfahrens zusammen (Roxin 1982). Schließlich ist der Haftbefehl aufzuheben, wenn die Untersuchungshaft wegen derselben Tat sechs Monate gedauert hat, der Vollzug des Haftbefehls nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt wurde und das OLG die Fortdauer der Untersuchungshaft auch nicht angeordnet hat (§121 Abs. 1 und Abs. 4 StPO). Der zuständige Haftrichter legt zu diesem Zweck die Akten dem OLG zur Entscheidung vor, wenn er die Fortdauer der Untersuchungshaft für notwendig hält (§ 122 Abs. 1 StPO). Erfolgt die Vorlage verspätet, ist freilich der Haftbefehl nicht schon deshalb aufzuheben; vielmehr hat das OLG auch dann nach den materiellen Kriterien zu entscheiden, die für die Haftfortdauer maßgebend sind. Über sechs Monate darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat nur andauern, „wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen" (§121 Abs. 1 StPO). Bildet Wiederholungsgefahr den Haftgrund (§112a StPO), darf der Vollzug der Untersuchungshaft nicht länger als ein Jahr aufrechterhalten werden (§ 122 a StPO). Hebt das OLG den Haftbefehl mangels Verlängerungsgrundes auf, darf auch bei nachträglicher Veränderung der Tatsachengrundlage kein neuer Haftbefehl wegen derselben Tat erlassen und vollzogen werden (Dünnebier 1978; Roxin 1982). Die zeitliche Befristung soll offenkundig dazu dienen, den mit der Untersuchungshaft verbundenen Eingriff in die Freiheit des Beschuldigten zu begrenzen. Sie trägt insofern dem Rechtsstaatsprinzip Rechnung. § 121 Abs. 1 StPO ist deshalb streng zu handhaben, um zu vermeiden, daß Personalmangel oder Überlastung der Gerichte oder Staatsanwaltschaften dem Beschuldigten ein sachlich unge-

Strafvollzug: Untersuchungshaft rechtfertigtes Sonderopfer abverlangen; die Justiz ist daher gehalten, durch geeignete organisatorische Maßnahmen darauf hinzuwirken, daß Untersuchungshaft nicht länger als unbedingt notwendig dauert (Roxin 1982; BVerfGE 36, 264). Wird ein Haftbefehl unverhältnismäßig lange aufrechterhalten, verletzt er den Betroffenen in seinem allgemeinen Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 G G ; so ist mit der Unschuldsvermutung nur in besonderen Ausnahmefällen vereinbar, einen Beschuldigten 12 Jahre lang unter dem psychischen Druck eines Haftbefehls zu belassen (BVerfG NJW 1980, 1448). Wird der Beschuldigte freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt, kann er nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 8.3.1971 (StrEG) Entschädigung für die Untersuchungshaft verlangen (§2 Abs. 1 StrEG). Im Gegensatz zum früheren Rechtszustand kommt es nicht mehr darauf an, ob die Untersuchungshaft unschuldig erlitten wurde. Muß das Verfahren eingestellt werden, besteht grundsätzlich immer ein Anspruch auf Entschädigung. Beruht die Einstellung auf einer Ermessensentscheidung, kann Entschädigung gewährt werden, soweit dies der Billigkeit entspricht (§ 3 StrEG). §4 StrEG dehnt diese Regelung auch auf Fälle des Absehens von Strafe und sog. überschießender Strafverfolgungsmaßnahmen aus (in denen die Rechtsfolgen hinter dem mit der Untersuchungshaft verbundenen Eingriff zurücktreten). Darüber hinaus kann neben dem Aufopferungsanspruch nach dem StrEG gegebenenfalls auch ein Anspruch auf Grund von Amtspflichtverletzung (§839 BGB, Art. 34 GG) in Betracht kommen (Roxin 1982).

D . Haftprüfung Während des Vollzugs der Untersuchungshaft kann der Beschuldigte jederzeit eine gerichtliche Entscheidung über die Fortdauer herbeiführen. Für die Prüfung der Frage, ob der Haftbefehl aufzuheben oder Haftverschonung zu gewähren ist, stellt ihm die StPO zwei Rechtsbehelfe zur Verfügung: die Haftbeschwerde (§§304 ff. StPO) und den Antrag auf Haftprüfung (§§ 117 ff. StPO). Die Haftbeschwerde zwingt den Haftrichter dazu, die Aufrechterhaltung des Haftbefehls zu überprüfen. Hilft er der Beschwerde nicht ab, entscheidet das LG als Beschwerdegericht (§ 306 StPO, § 73 GVG). Gegen dessen ablehnende Entscheidung ist dann die weitere Beschwerde zum OLG gegeben (§310 StPO). Haftbeschwerde kann gegen denselben Haftbefehl nur einmal eingelegt werden. Dagegen kann ein Antrag auf Haftprüfung - im Falle seiner Erfolglosigkeit - beliebig oft wiederholt werden (§ 117 Abs. 1 StPO). Im Haftprüfungsverfahren kann der Beschuldigte durch seinen Antrag eine mündliche Verhandlung erzwingen (§118 Abs. 1 StPO). Das

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Beschwerdeverfahren ist im Verhältnis zum Haftprüfungsverfahren subsidiär (§117 Abs. 1 StPO). Nach h. M. wird sogar eine bereits eingelegte Haftbeschwerde unzulässig, wenn der Beschuldigte vor ihrer Erledigung einen Haftprüfungsantrag stellt (Kleinknecht 1981; Roxin 1982). Auch im Haftprüfungsverfahren sind die einfache und die weitere Beschwerde gegeben (§§117 Abs. 2, 304, 310 StPO). Neben der gerichtlichen Kontrolle der Untersuchungshaft kann sich der Beschuldigte auch des Beistandes eines Verteidigers bedienen. Allgemein steht ihm dies in jeder Lage des Verfahrens frei (§137 Abs. 1 StPO). Hat die Untersuchungshaft mindestens drei Monate gedauert, hat er einen Anspruch auf Bestellung eines Verteidigers, wenn er noch keinen gewählt hat (§ 117 Abs. 4 StPO). Macht er von diesem Recht keinen Gebrauch und ergreift er auch keinen Rechtsbehelf gegen den Haftbefehl, findet von Amts wegen eine Haftprüfung statt (§117 Abs. 5 StPO). Sinn der Regelung ist es, zu gewährleisten, daß der nach längerer Untersuchungshaft besonders schutzbedürftige Beschuldigte in jedem Fall entweder durch einen Verteidiger oder durch den Richter in der Wahrung seiner Rechte sachgerecht unterstützt wird (Roxin 1982).

III. VOLLZUG D E R UNTERSUCHUNGSHAFT A N ERWACHSENEN A. Die rechtliche Regelung der Untersuchungshaft 1. Grundsätze der Untersuchungshaft Der Vollzug der Untersuchungshaft ist in der Bundesrepublik Deutschland derzeit nur fragmentarisch gesetzlich geregelt. Den Rahmen, den § 119 StPO insoweit zieht, füllt inhaltlich die UVollzO i. d. F. vom 1.1.1978 aus, die als bundeseinheitliche Verwaltungsanordnung freilich nur die Vollzugsbehörden, nicht aber die Gerichte bindet (vgl. I B ) . Neben einigen wenigen Detailregelungen enthält § 119 StPO im wesentlichen die Grundsätze, die für die Durchführung der Untersuchungshaft im einzelnen maßgebend sind. a) H a f t z w e c k u n d O r d n u n g in d e r H a f t a n s t a l t . Zunächst einmal ist davon auszugehen, daß Untersuchungshaft keine vorweggenommene Strafe ist (Zipf 1977). Das „Verbot antizipierter Strafvollstreckung" figuriert hiernach als Schranke staatlicher Eingriffsbefugnisse. Das BVerfG hat diesen Grundsatz dahin umschrieben, kein noch so dringender Tatverdacht rechtfertige es, „gegen den Beschuldigten im Vorgriff auf die Strafe Maßregeln zu verhängen, die in ihrer Wirkung der Freiheitsstrafe gleichkommen" (BVerfGE 19, 347). Dies kann aber schwerlich bedeuten, daß

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Strafvollzug: Untersuchungshaft

die praktischen Auswirkungen des Freiheitsentzuges, die der Untersuchungshaftvollzug mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe notwendigerweise teilt, schlechthin unzulässig wären (Müller-Dietz in: Evang. Akademie 1977); denn dann wäre ja das Institut der Untersuchungshaft selbst rechtlich fragwürdig (Krauß 1971). Vielmehr folgt aus jenem Grundsatz „nur", daß mit dem Vollzug der Untersuchungshaft - vom Fall des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr (§112a StPO) einmal abgesehen - keine allgemeinen Strafzwecke verfolgt werden dürfen. Demgegenüber fungieren als Grundlage für Haftbeschränkungen, die der Verhaftete hinzunehmen hat, ausschließlich die Sicherung des Haftzwecks und der Ordnung in der Vollzugsanstalt (§119 Abs. 3 StPO). Diese unbestimmten Rechtsbegriffe müssen im Hinblick auf den verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsbereich des einzelnen näher konkretisiert werden (Roxin 1982). Der Zweck der Untersuchungshaft ergibt sich aus den Haftgründen (§§112, 112 a StPO). Danach soll sie verhindern, daß sich der Verhaftete dem Strafverfahren entzieht, daß er durch bestimmte Handlungen die Wahrheitsermittlung erschwert oder beeinträchtigt und daß er durch weitere erhebliche Straftaten die Allgemeinheit gefährdet (Dünnebier 1978). Streitig ist, ob sich die Haftbeschränkungen nur an dem im Einzelfall zugrundeliegenden Haftgrund orientieren dürfen (Kleinknecht 1981). Soweit Beschränkungen und Kontrollen jedoch gleichermaßen zur Abwehr von Flucht- und Verdunkelungsgefahr notwendig sind, löst sich das Problem schon auf der praktischen Ebene (Dünnebier 1978). Auch die Konsequenzen, die zur Bekämpfung von Wiederholungsgefahr jeweils zu ziehen sind, stimmen wohl weitgehend mit den gegen Fluchtgefahr gerichteten Maßnahmen überein. Mit dem Begriff der Ordnung in der Vollzugsanstalt sind diejenigen Voraussetzungen des Zusammenlebens in der Zwangsgemeinschaft der Untersuchungshaft gemeint, die unerläßlich sind, um die Existenz und Funktionsfähigkeit der Institution im Hinblick auf deren besondere Zwecke zu sichern (Dünnebier 1978). Dabei geht es nicht allein um die Wahrung der äußeren Ordnung sondern auch um die Aufrechterhaltung der Sicherheit (Kleinknecht 1981). Dies schließt einerseits eine weitgehende Individualisierung in der Gestaltung der Haftbedingungen wegen der Zusammenfassung und Unterbringung einer größeren Anzahl von Personen im begrenzten räumlichen Bereich einer Haftanstalt aus. „Die Ordnung in der Anstalt muß mit beschränkten sachlichen Mitteln und mit einem ebenso ausreichenden Personal aufrechterhalten werden" (Dünnebier 1978). Andererseits müssen sich diese Beschränkungen im Rahmen des sachlich Notwendigen und Unvermeidbaren halten (BVerfGE 42, 100). Unzulässig wäre es hiernach, dem Verhafteten einen Freiheits-

spielraum nach Maßgabe der Möglichkeiten zu gewähren, die in einer Haftanstalt gerade (und zufällig) vorhanden sind. Vielmehr müssen sich organisatorische Gestaltung sowie personelle und räumliche Ausstattung der Haftanstalt danach richten, was zu einem menschenwürdigen Vollzug notwendig ist. Das Β VerfG hat ausdrücklich darauf verwiesen, daß nur die „unvermeidbaren", sich „aus der Natur der Sache" ergebenden „situationsbedingten" Beschränkungen zulässig sind (BVerfGE 42, 100). Dies bringt auch § 119 Abs. 3 StPO zum Ausdruck, wonach sich der Verhaftete diejenigen Bequemlichkeiten und Beschäftigungen - auf seine Kosten - beschaffen darf, die mit dem Haftzweck vereinbar sind und nicht gegen die Ordnung in der Haftanstalt verstoßen. b ) T r e n n u n g s g r u n d s a t z . Über die Sicherung von Haftzweck und Ordnung in der Haftanstalt hinaus bestimmt der Trennungsgrundsatz maßgeblich die Stellung des Verhafteten. Er besagt im wesentlichen zweierlei: Zum einen folgt daraus grundsätzlich Unterbringung des Verhafteten in Einzelhaft (§119 Abs. 1 und Abs. 2 StPO). Dies bedeutet, daß der Verhaftete in aller Regel in einem Haftraum allein unterzubringen ist. Darin liegt insofern eine Privilegierung gegenüber dem Strafgefangenen, als dieser grundsätzlich Alleinunterbringung nur während der Ruhezeit beanspruchen kann (§18 StVollzG). Gemeinschaftliche Unterbringung ist lediglich zulässig, wenn sie der Verhaftete ausdrücklich schriftlich beantragt oder wenn sein körperlicher oder geistiger Zustand dies erfordert. Im letzteren Falle wird im allgemeinen ein ärztliches Gutachten eingeholt werden müssen. Allerdings bezieht sich der Grundsatz der Einzelunterbringung nur auf den Haftraum, in dem der Verhaftete wohnt und lebt, nicht dagegen auf andere Räumlichkeiten der Haftanstalt (Kleinknecht 1981). Während dieser Grundsatz im Verhältnis zu allen anderen Gefangenen, also auch zu Untersuchungsgefangenen, gilt, bezieht sich der Trennungsgrundsatz auf die Trennung der Untersuchungs- von Strafgefangenen. Er ist durch die praktischen Möglichkeiten der Haftanstalt eingeschränkt (§ 119 Abs. 1 Satz 2 StPO). Ist die Trennung unmöglich, darf der Untersuchungsgefangene mit Strafgefangenen zusammengebracht werden. Im selben Raum ist dies allerdings nur unter den Voraussetzungen zulässig, die eine Durchbrechung des Grundsatzes der Einzelunterbringung gestatten (Dünnebier 1978). c) G e s t a l t u n g s b e f u g n i s d e s H a f t r i c h t e r s . Grundsätzliche rechtliche und praktische Bedeutung in verfahrensmäßiger Hinsicht kommt §119 Abs. 6 StPO zu. Denn diese Vorschrift begründet die Zuständigkeit des Haftrichters für alle notwendigen Anordnungen und Entscheidungen,

Strafvollzug: Untersuchungshaft die der Sicherung des Verfahrens dienen. Danach obliegt es dem Richter namentlich, die Haftbeschränkungen anzuordnen, die dem Verhafteten im Einzelfall im Hinblick auf den Haftzweck auferlegt werden müssen (§119 Abs. 3 StPO). Ebenso bestimmt der Richter, welche Bequemlichkeiten dem Verhafteten zu gewähren sind (§ 119 Abs. 4 StPO). Dabei kann er die erforderlichen Maßnahmen allgemein und von vornherein oder auch (nachträglich) im Wege der Ergänzung treffen. In die Organisation der Haftanstalt darf der Haftrichter nicht eingreifen (Kleinknecht 1981). Will er eine Einzelanordnung treffen, die einen Verhafteten in einer über den Regelvollzug hinausgehenden Weise beschwert, muß er jenem zuvor rechtliches Gehör gewähren (BVerfGE 17, 143). Freilich kann sich insoweit eine Einschränkung auf Grund konkreter Gefahr für Leib und Leben anderer ergeben (Dünnebier 1978; Kleinknecht 1981). In dringenden Fällen kann auch der Staatsanwalt, der Anstaltsleiter oder ein anderer Anstaltsbediensteter vorläufige Maßnahmen treffen. Der Anordnende muß dann eine Entscheidung des Richters über die Fortwirkung der Maßnahme herbeiführen (§ 119 Abs. 6 Satz 3 StPO). Ein dringender Fall liegt vor, wenn die Maßnahme notwendig ist, um den Haftzweck oder die Anstaltsordnung zu sichern, aber rechtzeitig eine richterliche Entscheidung nicht eingeholt werden kann. In Betracht kommen etwa die Fälle der Meuterei, sonstiger Gewalttätigkeiten und erhöhter Fluchtgefahr. Hingegen ist für solche Eilentscheidungen in Fällen von Disziplinarmaßnahmen und Zwangsernährung kein Raum (Dünnebier 1978).

2. Die Stellung des Verhafteten im einzelnen a ) Ü b e r b l i c k . Außer den Grundsätzen der Freiheitsbeschränkung (Sicherung des Haftzwecks und der Ordnung in der Haftanstalt, Trennung und Einzelunterbringung des Verhafteten sowie Zuständigkeit des Haftrichters) enthält § 119 StPO lediglich noch eine Detailregelung der Voraussetzungen der Fesselung (Abs. 5). Demgegenüber liegt auf der Hand, daß Freiheitsentziehung - auch wenn sie nur der Verfahrens- und Vollstreckungssicherung dient - in die verschiedensten Lebensbereiche des Verhafteten eingreift. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Haftrichter im Hinblick auf den Haftzweck besondere Beschränkungen anordnet, sondern bereits für die „Normallage" des Vollzugs. So trifft denn auch die UVollzO in detaillierter Weise Regelungen für die verschiedenen Lebensbereiche und Situationen, in denen sich aus der Tatsache des Freiheitsentzuges selbst oder aus dem Haftzweck oder der Anstaltsordnung (rechts-)praktische Konsequenzen für die Gestaltung der Haftbedingungen ergeben. Im einzelnen geht es dabei namentlich um: Verkehr mit der Außenwelt

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(Nrn. 24-41), Arbeit und Selbstbeschäftigung (Nrn. 42-44), Freizeit (Nrn. 45-46), Seelsorge (Nrn. 47-48 a), soziale Hilfe (Nr. 49), Ernährung, Kleidung und Habe (Nrn. 50-55), Gesundheitspflege (Nrn. 56-59), Durchsuchung und besondere Sicherungsmaßnahmen (Nrn. 61-66), Disziplinarmaßnahmen (Nrn. 67-71) sowie unmittelbaren Zwang (Nr. 72). Angesichts ihrer Rechtsnatur als Verwaltungsanordnung kann die UVollzO die Rechte des Verhafteten nicht weiter einschränken, als dies GG und StPO vorsehen oder zulassen (Dünnebier 1978; Roxin 1982). Sonderprobleme ergeben sich hinsichtlich der Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen in Fällen der sog. Überhaft. Diese ist dann gegeben, wenn zusätzlich ein Haftbefehl in einer anderen Strafsache vorliegt oder wenn gegen den Verhafteten außer dem Haftbefehl auch noch Freiheitsstrafe auf Grund eines rechtskräftigen Urteils zu vollstrecken ist. Während im ersteren Fall ausschließlich Untersuchungshaft vollzogen wird, hat das Zusammentreffen von Strafvollstreckung und Untersuchungshaft eine Kumulation der Haftbeschränkungen zur Folge, die sich einerseits auf den Vollzug der Freiheitsstrafe (i 4 Abs. 2 StVollzG), andererseits auf den Vollzug der Untersuchungshaft gründen (§ 122 StVollzG; Kleinknecht, Janischowsky 1977). Diese besondere Situation gebietet es, in solchen Fällen an die Prüfung der Voraussetzungen für Eingriffe in die Rechte des Verhafteten strenge Anforderungen zu stellen; namentlich ist zu beachten, daß Rechtsbeschränkungen aus Verfahrensgründen nur nach Maßgabe des im Haftbefehl jeweils ausgewiesenen Haftgrundes zulässig sind (Baumann 1981; Calliess, Müller-Dietz 1983). Die folgende kursorische Darstellung greift einzelne Regelungsmaterien und Fragen auf, denen im Vollzug der Untersuchungshaft besondere Bedeutung zukommt; hinsichtlich der Details muß auf die ausführliche Darstellung von Dünnebier (1978) und Spezialuntersuchungen verwiesen werden. b ) E i n z e l n e R e g e l u n g s b e r e i c h e . Ernährung (Nrn. 50-51 UVollzO): Für die Ernährung des Verhafteten hat die Vollzugsanstalt zu sorgen. Jedoch darf sich der Verhaftete auf seine Kosten durch Vermittlung der Haftanstalt selbst verpflegen; Maßstab ist dabei eine vernünftige Lebensweise. Ihm ist es auch gestattet, sich auf seine Kosten von der Anstalt zugelassene Zusatznahrungs- und Genußmittel sowie andere Gegenstände des persönlichen Bedarfs zu beschaffen. Auch in diesem Fall übernimmt die Beschaffung die Anstalt. Kleidung (Nr. 52 UVollzO): Der Verhaftete darf eigene Kleidung und Wäsche tragen; er darf auch eigene Bettwäsche benutzen. Soweit er über eigene Kleidung und Wäsche nicht verfügt oder nicht in der Lage ist, für regelmäßigen Wechsel und für Reinigung der eigenen Sachen zu sorgen, wird er mit Anstaltskleidung und -Wäsche ausgestattet.

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Strafvollzug: Untersuchungshaft

Auch zur Schonung der eigenen Sachen kann ihm das Tragen von Anstaltskleidung und -Wäsche gestattet werden. Umgekehrt kann ihm erlaubt werden, bei Kontakten mit der Außenwelt eigene Kleidung und Wäsche zu tragen. Insoweit ist die Regelung der UVollzO restriktiver, als der verfassungsrechtlichen Stellung des Untersuchungsgefangenen entspricht. Ausgestaltung des Haftraums und persönlicher Besitz (Nr. 53 UVollzO): Der Anstaltsleiter darf dem Verhafteten diejenigen Sachen aus der Habe überlassen, die sich zum persönlichen Gebrauch oder zur Ausstattung des Haftraumes eignen. Geld, Wertsachen und besondere Kostbarkeiten sind davon ausgenommen. Der Besitz von Uhren und das Tragen eines Ehe- oder Verlobungsringes sind gestattet. Der Verhaftete darf Sachen aus seiner Habe nur mit Zustimmung des Richters aus der Anstalt entfernen oder anderen Gefangenen überlassen. Gesundheitsfürsorge (Nrn. 56-59 UVollzO): Auf Grund der staatlichen Fürsorgepflicht hat der Verhaftete einen Anspruch auf ärztliche Betreuung (Dünnebier 1978). Diese obliegt dem Anstaltsarzt. Dem Verhafteten kann gestattet werden, einen beratenden Arzt hinzuzuziehen und sich durch seinen eigenen Zahnarzt behandeln zu lassen. Diese restriktive Regelung wird mit Recht als zu eng kritisiert (Dünnebier 1978). Grundsätzlich muß sich der Verhaftete durch einen Arzt eigener Wahl behandeln lassen können (Molketin 1981; Baumann 1981). Seelsorge (Nrn. 47-48 a UVollzO): Der Verhaftete darf grundsätzlich am gemeinschaftlichen Gottesdienst und an anderen religiösen Veranstaltungen seines Bekenntnisses teilnehmen. Ausnahmen gelten nur dann, wenn der Richter im Hinblick auf den Haftzweck oder die Anstaltsordnung etwas anderes anordnet. Das Recht auf Einzelseelsorge darf dem Verhafteten nicht beschnitten werden. Auch während des Vollzugs einer Disziplinarmaßnahme darf er nur dann vom Gottesdienst ausgeschlossen werden, wenn er dessen Störung besorgen läßt (Dünnebier 1978). Arbeit und Selbstbeschäftigung (Nrn. 42-44 UVollzO): Der Verhaftete ist nicht zur Arbeit verpflichtet; Arbeitszwang wäre auch mit dem Charakter der Untersuchungshaft unvereinbar. Jedoch soll dem Verhafteten Gelegenheit zur Arbeit gegeben werden. Übernimmt er eine Tätigkeit, kann er nicht dazu angehalten werden sie auszuüben. Da er keinen Anspruch auf Arbeit hat, muß er sie zu den Bedingungen annehmen, die der Staat ihm gewährt (Dünnebier 1978). In jedem Fall hat er dann aber einen Anspruch auf ein - freilich bescheidenes Arbeitsentgelt, das dem des Strafgefangenen entspricht (§1177, 43, 200 Abs. 1 StVollzG). Der Verhaftete darf sich selbst beschäftigen, soweit dies mit dem Haftzweck und der Anstaltsordnung vereinbar ist. Grundsätzlich darf er für seine Arbeiten auch eine Schreibmaschine benutzen. Aus sozialstaatli-

chen Gründen ist die Vollzugsverwaltung gehalten, für ein sinnvolles Arbeitsangebot zu sorgen (Baumann 1981). Informationsmöglichkeiten (Nrn. 40-45 UVollzO): Auch der Verhaftete kann sich auf das Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Es darf nur aus zwingendem Anlaß und auf Grund einer Einzelfallprüfung eingeschränkt werden (Roxin 1982). Dementsprechend steht es dem Verhafteten frei, auf eigene oder fremde Kosten Zeitungen, Zeitschriften und Bücher zu beziehen. Schranken ergeben sich insoweit grundsätzlich nur aus den Strafgesetzen. Deshalb darf dem Verhafteten etwa der Bezug nicht strafbarer Schriften pornographischen Inhalts nicht verwehrt werden (Dünnebier 1978). Eine Kontrolle von Zusendungen (Zeitungen, Zeitschriften, Bücher) in Bezug auf versteckte Nachrichten ist gegebenenfalls zulässig. Dem Verhafteten ist ferner Einzelrundfunkempfang in der Regel gestattet (BVerfGE 15, 294; Roxin 1982). Einschränkungen dieses Rechts darf der Richter nur aus begründetem Anlaß anordnen (z. B. Empfang von Nachrichten im Rahmen geheimdienstlicher Tätigkeit). Entsprechendes gilt für den Einzelempfang durch eigenes Fernsehgerät (Dünnebier 1978); zu Unrecht verfahren Praxis und Rechtsprechung hier jedoch sehr restriktiv (OLG Koblenz NStZ 1982, 46). Am gemeinschaftlichen Hörfunk- und Fernsehempfang darf der Verhaftete dann teilnehmen, wenn der Richter zugestimmt hat. Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze über die Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen. Briefverkehr (Nrn. 28-35 UVollzO): Der Schriftverkehr ist grundsätzlich unbeschränkt; der Verhaftete kann so viele Briefe absenden und empfangen wie er will. Einschränkungen sind nur im Einzelfall und dann zulässig, wenn der Haftzweck oder die Ordnung in der Anstalt es erfordert. Ausgehende Post darf kontrolliert werden; insoweit werden das Recht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und das Briefgeheimnis (Art. 10 Satz 1 GG) durch § 119 Abs. 3 StPO eingeschränkt. Von der Einsicht ausgenommen ist grundsätzlich die Verteidigerpost (§ 148 StPO). Umstritten ist, ob dies auch generell für die eingehende Post gilt (für Kontrollbefugnis: Dünnebier 1978; Kleinknecht 1981; gegen Kontrollbefugnis: Franz 1965; Roxin 1982). Ebenso ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen Schreiben angehalten und von der Weiterbeförderung ausgeschlossen werden dürfen. Einigkeit besteht darin, daß Briefe, deren Weitergabe das Strafverfahren oder die Anstaltsordnung beeinträchtigen würden, angehalten werden dürfen. Zweifelhaft ist jedoch, ob dies auch für Briefe bloß beleidigenden Inhalts gilt (vgl. Dünnebier 1978; Roxin 1982). Zu begrüßen ist, daß das BVerfG im Hinblick auf den Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) einen solchen Anhaltegrund wenigstens für den Briefwechsel unter Angehörigen verneint

Strafvollzug: Untersuchungshaft (BVerfGE 42, 237). Mit Recht verweist das BVerfG (NJW 1981, 1943) darauf, daß § 119 Abs. 3 StPO keinen Ehrenschutztatbestand darstellt, sondern lediglich der Gefahrenabwehr dient. Die Briefkontrolle obliegt grundsätzlich dem Richter. Er kann sie - wie auch andere Maßnahmen (Nr. 3 UVollzO) - dem Staatsanwalt übertragen. Hingegen wäre es unzulässig, damit den Anstaltsleiter oder andere Vollzugsbeamte zu betrauen (Dünnebier 1978). Wird der Inhalt eines Briefes beanstandet, ist dieser zur Habe des Verhafteten zu nehmen. Die Anordnung muß dem Verhafteten bekanntgegeben werden. Gegebenenfalls kommt eine Beschlagnahme in Betracht, wenn der Brief als Beweismittel im Verfahren verwendet werden soll (§97 StPO). Besuchsverkehr (Nrn. 24-27 UVollzO): Besuche sind grundsätzlich zulässig. Sie unterliegen aber im Hinblick auf den Haftzweck und die Ordnung in der Haftanstalt gleichfalls der Kontrolle. Diese bezieht sich sowohl auf das Gespräch als auch auf die Gegenstände, die der Besucher übergeben will. So kann der Richter etwa die Zulassung von Besuchen von einer Durchsuchung abhängig machen (Dünnebier 1978). Dagegen ist eine Überwachung von Verteidigerbesuchen grundsätzlich unzulässig (§ 148 StPO). Das gilt auch für die Kontrolle der mitgeführten schriftlichen Verteidigerunterlagen; eine Ausnahme bilden lediglich diejenigen Fälle, in denen sich der Beschuldigte wegen des Verdachts der Beteiligung an einer terroristischen Organisation (§ 129 a StGB) in Haft befindet; insoweit unterliegen Schriftstücke und andere Unterlagen des Verteidigers richterlicher Kontrolle (§ 148 Abs. 2 StPO). Im übrigen muß sich der Verteidiger aber lediglich in bezug auf Waffen und Ausbruchswerkzeuge wie jeder andere Besucher behandeln lassen. Ebenso wie bei der Kontrolle des Briefverkehrs müssen auch bei der Überwachung und Regelung des Besuchsverkehrs verfassungsrechtlich geschützte Positionen gewahrt bleiben. Das gilt z. B. für das Recht des Verhafteten, seinen Ehepartner auch außerhalb der Besuchszeiten zu empfangen, wenn anders ein Besuch nicht möglich oder zumutbar ist (BVerfGE 42, 101). Besondere Sicherungsmaßnahmen (§119 Abs. 5 StPO, Nrn. 62-66 UVollzO): Besondere' Sicherungsmaßnahmen sind nur zulässig, soweit sie die Sicherung des Haftzwecks oder die Wahrung der Anstaltsordnung zwingend erfordert. Dabei ist namentlich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. So können geringfügige Störungen der Anstaltsordnung solche Maßnahmen nicht rechtfertigen. Besondere Sicherungsmaßnahmen kommen vor allem dann in Betracht, wenn nach dem Verhalten oder dem Zustand des Gefangenen erhöhte Fluchtgefahr, die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr der Selbsttötung oder -Verletzung besteht. Die UVollzO sieht einen ganzen Katalog solcher Maßnahmen

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von der verstärkten Durchsuchung des Haftraums und der Person des Verhafteten bis zu seiner Verlegung in eine andere Anstalt vor (Nrn. 63 und 66). Einen von § 119 Abs. 5 StPO besonders geregelten Fall stellt die Fesselung dar. Sie ist nur zulässig, wenn der Verhaftete Gewalt anwendet, Widerstand leistet, einen Fluchtversuch unternimmt oder wenn konkrete Flucht-, Selbsttötungs- oder -verletzungsgefahr gegeben ist (vgl. Dünnebier 1978). Hinsichtlich der Fesselung, aber auch anderer schwerwiegender Eingriffe in die Freiheit des Verhafteten wie etwa der „Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände", muß an die Prüfung der Frage, ob weniger einschneidende Maßnahmen ausreichen, ein strenger Maßstab angelegt werden. Allemal dürfen besondere Sicherungsmaßnahmen nur soweit und solange aufrechterhalten werden, als es ihr Zweck verlangt. Die Anordnung ist grundsätzlich dem Richter vorbehalten; eine Notkompetenz steht auch hier dem Staatsanwalt und Anstaltsbediensteten zu. Unmittelbarer Zwang (§§ 178, 94-101 StVollzG, Nr. 67 UVollzO): Auch in der Untersuchungshaft kann äußerstenfalls die Anwendung unmittelbaren Zwangs notwendig werden. Maßgebend dafür sind nach § 178 StVollzG die Vorschriften des StVollzG über den unmittelbaren Zwang (§§94-101 StVollzG). Sinn dieser Regelung ist es offenkundig zu vermeiden, daß die im Straf- und Untersuchungshaftvollzug tätigen Bediensteten auf diesem rechtlich wie praktisch überaus heiklen Gebiet mit unterschiedlichen Vorschriften operieren müssen (Calliess, Müller-Dietz 1983). „Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen" (§95 StVollzG). Schon im Hinblick auf die Schwere und die - möglichen - Folgen eines solchen Eingriffs darf unmittelbarer Zwang nur als letztes, äußerstes Mittel angewendet werden, um rechtmäßige Vollzugs- und Sicherungsmaßnahmen durchführen zu können. Voraussetzung ist, daß der damit verfolgte Zweck auf keine andere Weise erreicht werden kann. In Betracht kommt unmittelbarer Zwang vor allem bei Flucht, Fluchtversuch, Meuterei, Angriff auf Vollzugsbedienstete und Gefangene, Selbstgefährdung und sonstigen bedrohlichen Situationen (vgl. Dünnebier 1978). Zu den Maßnahmen unmittelbaren Zwangs rechnen auch die Zwangsmaßnahmen in der Gesundheitsfürsorge; dazu gehören zwangsweise medizinische Untersuchung, Behandlung und Ernährung (§ 101 Abs. 1 StVollzG). Vor allem der letztere Fall ist - etwa in den Fällen des Hungerstreiks - praktisch bedeutsam. Zwangsernährung ist (ebenso wie andere medizinische Zwangsmaßnahmen) nur bei Lebensgefahr, schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig. Sie muß für alle Beteiligten zumutbar und darf nicht mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit des Ge-

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Strafvollzug: Untersuchungshaft

fangenen verbunden sein. Zur Durchführung der Maßnahme ist die Vollzugsbehörde jedoch erst dann verpflichtet, wenn es an der freien Willensbestimmung des Inhaftierten fehlt oder wenn akute Lebensgefahr besteht (vgl. im einzelnen Dünnebier 1978; Calliess, Müller-Dietz 1983). Eine wesentliche Schwierigkeit liegt ersichtlich darin, daß diese Anordnung der Haftrichter zu treffen hat (§119 Abs. 6 StPO), während der Anstaltsarzt jeweils das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen nach medizinischen Gesichtspunkten feststellen muß. Regelung und Praxis der Zwangsernährung sind stark umstritten (Linck 1975; Weis 1975; Wagner 1975; Nöldeke, Weichbrodt 1981; Geppert 1982). Überwiegend bejaht man heute jedoch die Erforderlichkeit einer solchen Notkompetenz zumindest für die Fälle mangelnder Entscheidungsfreiheit und akuter Lebensgefahr. Disziplinarmaßnahmen (Nrn. 67-71 UVollzO): Darüber, daß die Ordnung in der Haftanstalt nicht ohne Disziplinarmaßnahmen aufrechterhalten werden kann, besteht weitgehend Einigkeit. Umstritten ist freilich, ob §119 Abs. 3 StPO (Aufrechterhaltung der Ordnung) als gesetzliche Eingriffsgrundlage ausreicht oder ob es nicht vielmehr einer - derzeit noch fehlenden - Spezialermächtigung bedarf (Dünnebier 1978). Ferner ist umstritten, ob Disziplinarmaßnahmen nur präventiven oder auch repressiven Zwecken dienen dürfen (vgl. Roxin 1982). Die derzeitige Praxis geht indessen von der Zulässigkeit im letzteren Sinne aus (Kleinknecht 1981). Danach dürfen schuldhafte Verstöße gegen die Anstaltsordnung durch den Richter mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden. Nr. 68 UVollzO sieht neben dem Verweis namentlich die Beschränkung oder den Entzug von Bequemlichkeiten und Rechten als Disziplinarmaßnahmen vor; als schwerste Disziplinarmaßnahme ist Arrest bis zu vier Wochen zugelassen. Der Anstaltsleiter veranlaßt in Disziplinarfällen die Ermittlungen; dabei ist jeweils der Verhaftete zu hören. Hält der Anstaltsleiter eine Disziplinarmaßnahme für erforderlich, teilt er das Ergebnis der Ermittlungen dem Richter mit. Dieser kann dann eine Disziplinarmaßnahme anordnen, muß es aber nicht. Die derzeitige Disziplinarpraxis ist manchen Einwänden und Bedenken ausgesetzt, die z. T. auch mit der richterlichen Zuständigkeit zusammenhängen (vgl. Dünnebier 1978).

3. Gerichtlicher

Rechtsschutz

Der Verhaftete kann sich gegen den Haftbefehl und dessen Vollzug mit der einfachen Beschwerde und dem Antrag auf Haftprüfung wenden (vgl. II D). Gegen Anordnungen des Haftrichters kann er einfache Beschwerde einlegen (§304 StPO). Die Beschwerde führt zur Überprüfung der getroffenen Entscheidung durch den Haftrichter. Hilft er der

Beschwerde nicht ab, legt er sie dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vor (§ 306 Abs. 2 StPO). Dieses verwirft die Beschwerde oder trifft die in der Sache gebotene Entscheidung (§309 StPO). Hingegen ist die weitere Beschwerde nicht gegeben, da die Anfechtung hier nicht die Verhaftung, sondern nur deren Vollzug betrifft (§310 StPO). Das Beschwerderecht steht auch dem Staatsanwalt, dem Verteidiger sowie demjenigen zu, dessen Antrag auf Kommunikation mit dem Verhafteten abgelehnt worden ist (Dünnebier 1978; Kleinknecht 1981). Der Anstaltsleiter hat kein Beschwerderecht; er kann lediglich - nach erfolglosen Gegenvorstellungen - sich um Einlegung der Beschwerde durch den Staatsanwalt bemühen. Gegen Maßnahmen und Verfügungen der Anstaltsbediensteten kann der Verhaftete Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen (Nr. 75 UVollzO). Er kann - wie auch sonst - Gegenvorstellungen erheben. Vor allem steht ihm gegen Vollzugsmaßnahmen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§23ff. E G G V G offen, über den dann ein Strafsenat des zuständigen O L G befindet (§25 E G G V G ) . Dieser Rechtsweg ist an sich subsidiär (§ 23 Abs. 3 E G G V G ) ; bei Maßnahmen des Untersuchungshaftvollzuges ist jedoch in der Regel eine andere strafprozessuale gerichtliche Zuständigkeit nicht begründet, soweit sie eben nicht auf Anordnungen des Haftrichters selbst zurückgehen (Dünnebier 1978). Der Antragsteller muß geltend machen, daß er durch die Maßnahme, ihre Ablehnung oder ihre Unterlassung in seinen Rechten verletzt ist (§24 Abs. 1 E G G V G ) . Der Antrag kann sich - im Hinblick auf die Zuständigkeitsabgrenzung - allemal nur gegen solche Maßnahmen des Anstaltsleiters richten, die der Haftrichter nicht abstellen kann (Dünnebier 1978). Soweit ein Verwaltungsvorverfahren rechtlich vorgeschrieben ist, kann der Antragsteller den Strafsenat erst nach erfolgloser Einlegung dieses Rechtsbehelfs anrufen (§ 24 Abs. 2 EGGVG). Als Gegenstand eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung, den neben dem Verhafteten jeder stellen kann, der durch Vollzugsmaßnahmen, deren Ablehnung oder Unterlassung rechtlich betroffen ist, kommen namentlich in Betracht: Regelung finanzieller Ansprüche an den Staat (ausgenommen Amtshaftungsansprüche), Größe und Ausgestaltung der Hafträume, Art und Umfang der Verpflegung, Zu- und Verteilung der Gefangenenarbeit, ärztliche Behandlung (mit Ausnahme der Zwangsmaßnahmen) (Dünnebier 1978). In der Hauptsache sind es also Maßnahmen, die üblicherweise im Rahmen des Dienstbetriebes und Tagesablaufs in der Untersuchungshaft getroffen werden, während diejenigen Entscheidungen, welche die Gewährung oder Versagung von Bequemlichkeiten sowie die Einschränkungen von Rechten zum Gegenstand haben, haftrichterlicher Zuständigkeit und damit der Beschwerde unterliegen. Aus dieser Kompetenzre-

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Strafvollzug: Untersuchungshaft gelung ergeben sich freilich manche Schwierigkeiten hinsichtlich der Abgrenzung der Rechtsbehelfe. Denn je nachdem, ob die getroffene oder zu treffende Maßnahme in den Zuständigkeitsbereich des Haftrichters oder des Anstaltsleiters fällt, ist für die gerichtliche Entscheidung der Haftrichter oder das O L G zuständig. Weitere Kompetenzprobleme können sich in Fällen der sog. Überhaft ergeben, weil dann noch gegebenenfalls die Strafvollstreckungskammer zuständig sein kann (vgl. III Α 2 a).

B. Zur tatsächlichen Situation der Untersuchungshaft 1.

Überblick

Umfassende empirische Erhebungen über die tatsächliche Situation der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland fehlen weitgehend. Sie sind auch im Ausland allenfalls teilweise vorhanden (vgl. Jescheck, Krümpelmann 1971). Jedoch werden regelmäßig statistische Daten über Zahl, Alter und Geschlecht der Verhafteten in der Fachserie Rechtspflege Reihe 4 Strafvollzug des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden veröffentlicht. Sie lassen freilich nur quantitative Aussagen über die Entwicklung der Untersuchungshaft, jedoch keine Schlüsse auf ihre reale Ausgestaltung in den einzelnen Haftanstalten zu. Seit den grundlegenden rechtsvergleichenden Studien über die Untersuchungshaft von Jescheck/Krümpelmann (1971) liegen auch einschlägige Analysen über zahlenmäßige Trends vor (Krümpelmann in: Jescheck/Krümpelmann 1971; Dünkel, Rosner 1981). Dabei spielen nicht zuletzt die Haftdauer (Krümpelmann in: Göppinger/Kaiser 1976; Carstensen 1980; 1981) sowie Zusammenhänge zwischen Untersuchungshaft und Strafurteil (Kerner 1978) eine Rolle. Statistische Untersuchungen wurden auch zum Vollzug der Untersuchungshaft an Jugendlichen und Heranwachsenden durchgeführt (Kreuzer 1978; Kallien 1980). Die tatsächliche Ausgestaltung dieser Untersuchungshaft wurde in exemplarischer Weise analysiert (Zirbeck 1973; Busch 1980). Daten zur Insassenstruktur wurden erhoben (Kury 1981). Auch Auswirkungen der Haft (Sieverts 1979; Schütze 1980) und langer Haftdauer (Binswanger/Brandenberger 1975) sind Gegenstand von Studien. Darüber hinaus liegen Analysen und Erfahrungsberichte zu einigen Projekten und Maßnahmen vor, die i.w. S. der Reform der Untersuchungshaft sowie der Entwicklung von Alternativen gelten (Bundeszusammenschluß 1975; Sozialpädagogischer Arbeitskreis Uelzen 1975; Martijn/Beyer 1979). Paradigmatisch dafür erscheint die sog. Haftentscheidungshilfe in Hamburg, die etwa dazu beitragen soll, durch Vermittlung von Informationen über Persönlichkeit und soziales Umfeld des Beschuldigten an den Richter zur Abkürzung der Haftdauer

und durch Gewährung sozialer Hilfen zugleich zur Eingliederung des Beschuldigten beizutragen (Plemper 1979; 1981; Reher 1979; Staatliche Pressestelle Hamburg 1979; Beese 1981; Lau 1981; Bender, Reher 1981). In diesem Zusammenhang wird ferner diskutiert, ob und inwieweit Lern- und therapeutische Angebote zur erzieherischen Ausgestaltung des Vollzugs der Untersuchungshaft an Jugendlichen beitragen können (Kempe 1973; Barasch und Brandler in: Jugendgerichtsbarkeit 1975; Karger 1976; Blumenberg in: Evang. Akademie 1977; 1978; Eberle 1978; 1980; Walter 1978; Stephan/Werner 1979; Kallien 1980; Kury 1981).

2. Informationen zur tatsächlichen Situation Die Zahl der Verhafteten macht in der Bundesrepublik Deutschland seit einiger Zeit ca. ein Viertel aller Insassen des Vollzuges aus. So belief sie sich am 30.6.1980 auf 14066 bei 55744 Gefangenen insgesamt. Der Anteil der Untersuchungsgefangenen an der Gesamtzahl der Inhaftierten unterlag freilich zeitweilig erheblichen Schwankungen. Nach der Strafprozeßnovelle von 1964 war er im wesentlichen leicht rückläufig; dies gilt vor allem für die Zeit bis 1969 (Krümpelmann in: Jescheck/Krümpelmann 1971). Danach stieg er wieder an (Krümpelmann 1976); vermutet wird nicht zuletzt ein Zusammenhang zwischen der Zunahme der Kriminalität und der vermehrten Praktizierung von Untersuchungshaft (Kerner 1978). Im internationalen Vergleich liegt die Bundesrepublik, was die Gefangenenziffern anlangt (Anzahl der Verhafteten pro 100000 Einwohner), im Mittelfeld; dies entspricht in etwa der Gefangenenrate im ganzen (Kerner 1978). Freilich sind solche Daten wenig aussagekräftig. Nähere Informationen ergeben Aufschlüsselungen nach Geschlecht und Alter. Von den insgesamt 14155 Verhafteten (Stichtag 1.1.1978) waren 13537 Männer. Auch der Untersuchungshaftvollzug bildet also weitgehend die zahlenmäßige Aufteilung auf die beiden Geschlechter ab, wie sie für den Vollzug im ganzen und die (amtlich registrierte) Kriminalität charakteristisch ist. Die Altersstruktur zeigt folgendes Bild (Stichtag 1.1.1978): Insgesamt 14155

14-18 J. 746

18-20 J. 2015

A b 21 J. 11394

Danach stellen die Altersgruppen der Erwachsenen von 21 Jahren an und der Heranwachsenden (sog. Jungtäter) den Hauptanteil der Verhafteten. Hierbei erscheinen die Quoten der Jungtäter vergleichsweise hoch (Kerner 1978; Kreuzer 1978). Die Entwicklung dieser Zahlen läßt einen Trend zur Zunahme der Untersuchungshaft an jungen

214

Strafvollzug: Untersuchungshaft

Tatverdächtigen sowie eine Verschiebung von der Jugendstrafe zur Untersuchungshaft an jungen Menschen erkennen (Kreuzer 1978; Kury 1981 a; Schulz 1981). Die erhebliche Belastung der Haftanstalten wird daran deutlich, daß die Zahl der Zu-

Zugänge Abgänge

und Abgänge an Verhafteten ein Mehrfaches der jeweiligen Anzahl der Untersuchungsgefangenen und ca. ein Fünftel der Gesamtzahl der Zu- und Abgänge im Vollzug überhaupt ausmacht. In diesem Sinne bietet das Jahr 1978 folgendes Bild:

Insgesamt

Unters.-Haft

Davon 14-18 J.

18-20 J.

Ab 21 J.

457889 458501

91067 91726

5487 5570

15549 15580

70031 70576

Justizpraxis. In der Statistik der Haftgründe dominiert eindeutig die Fluchtgefahr; demgegenüber treten alle anderen Haftgründe zurück.

Bisherige Untersuchungen deuten darauf hin, daß die Verhafteten im Falle einer Verurteilung in der Regel mit Freiheitsstrafen rechnen müssen, während bei den sonstigen Abgeurteilten (vollstreckbare) Freiheitsstrafen eher die Ausnahme darstellen. Dementsprechend hat Kerner (1978) für 1976 einen Anteil von 84 % Verhafteten errechnet, die dann zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden; demgegenüber betrug der Anteil sonstiger Tatverdächtiger, die Freiheitsstrafen erhielten, nur 1 2 % . Auch zeichnet sich insoweit ein deliktsspezifisches (differentielles) Verhaftungsrisiko ab. Danach werden vorrangig Tatverdächtige in Untersuchungshaft genommen, die schwerer(er) Straftaten beschuldigt werden; an der Spitze stehen eindeutig Kapitaldelikte. Insofern entspricht die Insassenstruktur der Haftanstalten anscheinend Alltagserfahrungen der Absolute Dauer bis 1 Monat 36,4%

bis 3 Monate 28,6%

Besondere Aufmerksamkeit gilt seit jeher (mit Recht) der Haftdauer. Sind doch die Reformbemühungen nicht zuletzt darauf gerichtet (gewesen), die Zeit der Untersuchungshaft - wenn ihr Vollzug schon unerläßlich erscheint - möglichst kurz zu halten. Dem dienten etwa Beschleunigungsgrundsatz und zeitliche Befristung nach § 121 StPO (vgl. II C). Nach der Analyse von Kerner (1978) wird offenbar in einem erheblichen Prozentsatz der Fälle jenes Ziel nicht erreicht. Demzufolge ergaben sich für 1976 hinsichtlich der Haftdauer folgende Anteile, die allerdings hinsichtlich der einzelnen Deliktsgruppen variierten:

bis 6 Monate 20,1%

Dauer im Vergleich zur Strafe kürzer gleich 89,5% 5,0%

länger als 6 Monate 14,9%

länger 5,5%

Carstensen (1980; 1981) kam in seiner Untersu- I folgenden Ergebnissen (Einzelrichtersachen waren chung von 110 Verfahren mit 127 Häftlingen zu I allerdings ausgenommen): Hafttage

Häftlinge in %

bis 29 30-89 90-179 180 +

7 23 43 28

dto. in „vollen" Verfahren, d.h. bis zur letzten Hauptverhandlung 1. Instanz

22 42 36

Während insoweit erste statistische Aussagen möglich sind, fehlt es indessen nach wie vor weitgehend an Informationen über Persönlichkeits- und Sozialmerkmale der Verhafteten; bisher liegen erst entsprechende Daten über Jugendliche und Heranwachsende vor (Kury 1981). Hier können erst (wei-

tere) empirische Untersuchungen Aufschluß darüber geben, ob die Annahme, daß ein schichtspezifisches Verhaftungsrisiko besteht (Wolff 1975), berechtigt erscheint. Eher hat freilich die Hypothese einiges für sich, daß die Schichtvariable lediglich im Kontext der Deliktsstruktur von Bedeutung ist.

215

Strafvollzug: Untersuchungshaft Trotz des Fehlens repräsentativer Erhebungen wird man davon ausgehen können, daß Unterbringung, Betreuung, Beschäftigungs- und Freizeitmöglichkeiten in der Untersuchungshaft verschiedenenorts nach wie vor erheblich zu wünschen übrig lassen. So fehlt es vielfach an den personellen, räumlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die Gewährung erforderlicher sozialer Hilfen. Nicht selten verfügt der Strafvollzug selbst über bessere Angebote und Lebensbedingungen (vgl. Bundeszusammenschluß 1975; Evang. Akademie 1977; Bundesvereinigung 1980; Preusker 1981; Baumann 1981). Vor allem für den Bereich des Vollzugs der Untersuchungshaft an Jugendlichen und Heranwachsenden ist dies empirisch gut belegt (Zirbeck 1973; Jugendgerichtsbarkeit 1975; Kreuzer 1978; Walter 1978; Bundesminister der Justiz 1979; 1980; Kallien 1980; Schulz 1981; Kury 1981 a). Daraus folgen denn auch entsprechende Reformforderungen, die freilich auch der Einschränkung des Anwendungsbereichs der Untersuchungshaft sowie der Entwicklung und dem Ausbau von Alternativen gelten (vgl. V Β und C). IV. VOLLZUG DER UNTERSUCHUNGSHAFT AN JUGENDLICHEN UND HERANWACHSENDEN A. Voraussetzungen Für die Inhaftierung Jugendlicher und Heranwachsender gelten grundsätzlich dieselben Vorschriften wie für Erwachsene (§§ 112 ff. StPO). Hinsichtlich der Voraussetzungen der Anordnung (dringender Tatverdacht, Haftgrund) besteht insoweit kein Unterschied. In verfahrensmäßiger Hinsicht ist gleichfalls ein Haftbefehl erforderlich (§ 72 JGG). Die richterliche Zuständigkeit für den Erlaß eines Haftbefehls richtet sich ebenso nach den allgemeinen Vorschriften (§§125, 126 StPO); nur ist hier der Jugendrichter dazu berufen (§72 Abs. 2 JGG). Der Haftrichter hat in aller Regel auch über die Vollstreckung des Haftbefehls und über Maßnahmen zu ihrer Abwendung zu entscheiden. Um eine flexible Handhabung zu ermöglichen, kann der zuständige Richter die Entscheidungen, welche die Untersuchungshaft betreffen, aus wichtigen Gründen sämtlich oder zum Teil einem anderen Jugendrichter übertragen (§72 Abs. 5 JGG). Besonderes Gewicht mißt das JGG dem Subsidiaritätsgrundsatz bei. Nach § 72 Abs. 1 JGG darf Untersuchungshaft nur verhängt und vollzogen werden, wenn ihr Zweck nicht durch eine vorläufige Anordnung über die Erziehung oder durch andere Maßnahmen erreicht werden kann. Dadurch sollen möglichst Entwicklungs- und Sozialisationsschäden, die infolge einer Inhaftierung auftreten (können), vermieden werden. Als Maßnahmen, die an Stelle der Untersuchungshaft treten können, kommen namentlich die einstweilige Unterbringung in

einem Erziehungsheim (§§71 Abs. 2, 72 Abs. 3 JGG) und Weisungen in Bezug auf die Lebensführung (ζ. B. Eintritt in ein Heim, Aufnahme in eine Familie, Übernahme oder Wechsel eines Arbeitsplatzes oder einer Lehrstelle) in Betracht; freilich sind diese Weisungen, die ihrer Natur nach nur vorläufigen Charakter haben und nicht mit zwangsweisem Freiheitsentzug verbunden sein dürfen, nicht erzwingbar (Böhm 1977; Schaffstein 1982). Reicht die vorläufige Anordnung nicht aus oder ist sie undurchführbar, vermag nur die Heimunterbringung die Untersuchungshaft zu ersetzen. Da Heimunterbringung mangels geeigneter Erziehungsheime und wegen des Fehlens an Heimplätzen praktisch kaum realisiert werden kann, fristen diese alternativen Möglichkeiten nach wie vor ein Schattendasein (Roestel 1968; Buchhierl 1969; Baräsch in: Jugendgerichtsbarkeit 1975; Hennings 1978; Philipp 1979; Bundesminister der Justiz 1979; 1980; Lüthke 1982); das hat dann letztlich doch den Vollzug der Untersuchungshaft zur Folge. Nicht zuletzt daraus erklärt sich der relativ hohe Anteil junger Gefangener an der Gesamtzahl der Untersuchungsgefangenen (vgl. III Β 2). Wird Untersuchungshaft vollzogen, ist vor allem der Beschleunigungsgrundsatz zu beachten (§72 Abs. 4 JGG). Praktische Erfahrungen lassen indessen nicht erkennen, daß Haftsachen Jugendlicher rascher erledigt würden. Dies trifft angesichts der „geringen Beschwerdemacht" junger Inhaftierter namentlich auf solche Fälle zu, in denen die Inhaftierten weder durch einen Verteidiger noch durch Angehörige „von außen" unterstützt werden (Böhm 1977). B. Ausgestaltung Die Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzugs an jungen Gefangenen ist nur teilweise gesetzlich geregelt (§93 JGG). Ausführungsvorschriften enthält die UVollzO (Nrn. 77-85). Die Vorschriften über den Vollzug der Untersuchungshaft an Jugendlichen gelten gleichermaßen für den Vollzug der Untersuchungshaft an Heranwachsenden (§ 110 JGG). Nach § 93 Abs. 1 JGG ist Untersuchungshaft möglichst in einer besonderen Anstalt oder wenigstens in einer besonderen Abteilung der Haftanstalt zu vollziehen. Ist Freiheitsstrafe nicht zu erwarten, erfolgt der Vollzug in einer Jugendarrestanstalt. Diese Fälle sind praktisch recht selten. Tatsächlich sind junge Untersuchungsgefangene in aller Regel in Abteilungen der allgemeinen Untersuchungshaftanstalten oder der Jugendstrafanstalten untergebracht, da es an besonderen Haftanstalten für diese Personengruppe praktisch völlig fehlt (Böhm 1977). Der Trennungsgrundsatz, der einerseits der Verwirklichung des Haftzwecks, andererseits dem Schutz des Jugendlichen vor schädlichen Einflüssen und Kontakten dient, steht daher zumindest teilweise auf dem Papier.

216

Strafvollzug: Untersuchungshaft

Nr. 79 UVollzO sieht vor, daß während der Untersuchungshaft eine Persönlichkeitserforschung stattfindet. Diese soll die erforderlichen Informationen für die Entscheidung des Gerichts, aber auch für eine etwaige spätere Behandlung im Jugendstrafvollzug liefern. Jedoch fehlt es vielfach an Fachkräften, die solche Arbeit leisten könnten (z. B. Psychologen, Sozialarbeiter); jene Verpflichtung wird deshalb weitgehend auf bloß formale Weise durch Aktenvermerk eingelöst (Zirbeck 1973; Jugendgerichtsbarkeit 1975; Böhm 1977). Nach § 93 Abs. 2 JGG soll die Untersuchungshaft erzieherisch gestaltet werden. In Konkretisierung dieses Grundsatzes schreibt die UVollzO vor, daß junge Untersuchungsgefangene unter Anleitung pädagogisch besonders geeigneter Beamter (Nr. 84) arbeiten (Nr. 80 Abs. 2), gemeinsam oder einzeln Unterricht erhalten (Nr. 80 Abs. 3), mit geeignetem Lesestoff versorgt und durch persönliche Einwirkung und Aussprache gefördert werden (Nr. 80 Abs. 4). Der Aufenthalt im Freien soll für Leibesübungen genutzt (Nr. 82), Lebenshaltung (Nr. 81) und Außenkontakte sollen aus erzieherischen Gründen sorgfältig überwacht werden (Nr. 83). Eine Sonderregelung stellt Jugendgerichtshelfer, Bewährungshelfer und Erziehungsbeistände hinsichtlich des Verkehrs mit jungen Untersuchungsgefangenen Strafverteidigern gleich (§93 Abs. 3 JGG); dadurch sollen ungehinderte Kontakte mit den für die soziale Eingliederung besonders wichtigen Bezugspersonen ermöglicht werden. Im ganzen zielt das pädagogische Konzept des JGG und der UVollzO auf eine Vollzugsgestaltung ab, in deren Mittelpunkt qualifizierte Beschäftigung, Unterricht, Weiterbildung, berufliche Förderung, Hilfen zur Lebensbewältigung (Aussprachen, Gruppenarbeit) sowie Angebote zu sinnvoller Freizeitgestaltung (Lektüre, Sport usw.) stehen. Freilich ist umstritten, ob der Grundsatz erzieherischer Ausgestaltung eine Rechtsgrundlage für Eingriffe in den Rechtsstatus des jungen Inhaftierten abgibt, die über die Verwirklichung des Haftzwecks hinausgehen; deshalb wird verschiedentlich eine Arbeitspflicht junger Untersuchungsgefangener verneint (Krippes 1967; Linck 1971; Sprenger 1976; AG Zweibrücken ZfStrVo 1979, 191). Man wird indessen danach differenzieren müssen, ob es sich um minderjährige oder erwachsene Inhaftierte handelt; bei letzteren sind weitergehende, auf erzieherischen Gründen beruhende Rechtsbeschränkungen sicher unzulässig (Böhm 1977; Baumann 1981). Die praktische Bedeutung dieser Rechtsfrage ist jedoch wegen des latenten Mangels an Arbeitsmöglichkeiten sowie an sonstigen pädagogischen und therapeutischen Angeboten recht gering. Soweit überhaupt Arbeit zur Verfügung steht, ist ihre erzieherische und bildungsmäßige Eignung häufig zweifelhaft (z. B. Heim- und Füllarbeit). Die starke Fluktuation der Insassen erschwert nicht nur die Einführung qualifizierter Arbeiten, sondern steht

auch Unterrichtsangeboten hindernd im Wege, die der individuellen Lernfähigkeit und Begabung zureichend Rechnung tragen. Vielfach läßt auch die unzureichende personelle Ausstattung von Untersuchungshaftabteilungen die erforderliche persönliche Betreuung und Gruppenarbeit gar nicht zu. Ebenso wirkt sich mancherorts die organisatorische Anbindung des Untersuchungshaftvollzugs an Jugendlichen an den Vollzug der Untersuchungshaft an Erwachsenen erzieherisch ungünstig aus. Insgesamt leidet der Vollzug der Untersuchungshaft an jungen Gefangenen an einem „pädagogischen Defizit", das über die Mängel des Jugendstrafvollzugs noch wesentlich hinausreicht (Zirbeck 1973; Evang. Akademie 1977; Bundesminister der Justiz 1979; 1980; Eberle 1980; Baumann 1981). Die zur Durchführung der Untersuchungshaft, namentlich zur Sicherung des Haftzwecks erforderlichen Maßnahmen ordnet - wie hinsichtlich des Vollzugs der Untersuchungshaft an Erwachsenen der (Jugend-)Richter an (§ 119 Abs. 6 StPO). Dies gilt auch für Disziplinarmaßnahmen (Nr. 67 Abs. 1 UVollzO); lediglich bei leichteren Verstößen kann der Anstaltsleiter Ermahnungen oder Verwarnungen aussprechen (Nr. 67 Abs. 2 UVollzO). In die innere Organisation der Haftanstalt darf der Richter nicht eingreifen (vgl. III A l e ) . Soweit die Zuständigkeit des Richters reicht, kann er angerufen werden (§119 Abs. 6 StPO); seine Entscheidung unterliegt der einfachen Beschwerde; weitere Beschwerde ist nicht zulässig. In allen anderen Fällen ist der Rechtsweg zum Strafsenat des OLG gegeben (§23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG; vgl. III A 3).

V. REFORMFRAGEN DER UNTERSUCHUNGSHAFT Derzeitige Regelung und tatsächliche Ausgestaltung der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland werfen in mehrfacher Hinsicht Reformfragen auf. Zum einen stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung. Zum zweiten ergibt sich das Problem der Verbesserung der Lebensbedingungen und des Ausbaus sozialer Hilfe und Therapie in der Untersuchungshaft. Nicht zuletzt im Hinblick auf eine stärkere Zurückdrängung der Untersuchungshaft und ihrer schädlichen Auswirkungen auf Inhaftierte und Angehörige stellt sich schließlich die Frage nach geeigneten und realisierbaren Alternativen und Ersatzlösungen.

A. Zur Notwendigkeit eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes Die Untersuchungshaft ist derzeit allenfalls in Grundzügen gesetzlich geregelt. Das gilt für den Vollzug der Untersuchungshaft sowohl an jungen

Strafvollzug: Untersuchungshaft Gefangenen (§ 93 JGG) als auch an über 21 Jahren alten Inhaftierten (§ 119 StPO). Die gesetzlichen Vorschriften enthalten - von wenigen Einzelheiten abgesehen - im wesentlichen nur Grundsätze (vgl. I B, III A, IV B). Vergleichsweise ausführlich und detailliert regelt demgegenüber die UVollzO die Untersuchungshaft; sie ist indessen nur für die Vollzugspraxis selbst und lediglich insoweit verbindlich, als sie ihrerseits mit dem geltenden Verfassungsund Gesetzesrecht (GG, StPO, JGG) in Einklang steht. Das hat in der Praxis wiederholt zu Zweifelsfragen geführt, inwieweit die UVollzO im einzelnen anwendbar ist. Dieser Rechtszustand wird seit langem als unbefriedigend empfunden. Dementsprechend wird denn auch eine detailliertere gesetzliche Regelung des Untersuchungshaftvollzuges, namentlich der Rechtsstellung des Verhafteten, gefordert (Rotthaus 1973; Dünnebier 1975; Nicki in: Evang. Akademie 1977; Bundesvereinigung 1980; Roxin 1982; Baumann 1981; Preusker 1981). Dabei ist von nachrangiger, eher gesetzestechnischer Bedeutung, ob die Untersuchungshaft - ebenso wie der Strafvollzug (StVollzG) - durch ein besonderes Gesetz oder in einem eigenen Abschnitt in StPO und JGG geregelt wird. Allerdings muß man zwischen der Frage nach der etwaigen verfassungsrechtlichen Notwendigkeit und dem Problem rechtspolitischer Zweckmäßigkeit einer solchen Regelung unterscheiden. Das BVerfG jedenfalls sieht das geltende Recht unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als ausreichend an, die mit dem Vollzug der Untersuchungshaft verbundenen Rechtsbeschränkungen zu legitimieren (BVerfGE 35, 311); danach ist eine weitergehende gesetzliche Regelung nicht geboten (Böhm 1977; Kleinknecht, Janischowsky 1977). Wenn auch diese Auffassung umstritten ist (Nicklas in: Evang. Akademie 1977; Baumann 1981), so begründet die wohl überwiegende Meinung die Notwendigkeit einer detaillierten gesetzlichen Regelung zu Recht in erster Linie mit rechtspolitischen Argumenten. Danach ist der derzeitige Rechtszustand der Rechtssicherheit abträglich, weil er zahlreiche Zweifelsfragen offenläßt oder in unbefriedigender Weise regelt (Rotthaus 1973; Dünnebier 1975; 1978; MüllerDietz in: Evang. Akademie 1977; Bundesvereinigung 1980; Roxin 1982). Dies zeigen vor allem wenn auch keineswegs allein - die Probleme, die mit der derzeitigen Regelung der Bequemlichkeiten, Erleichterungen, Informationsmöglichkeiten und des Kontakts mit der Außenwelt durch die UVollzO verbunden sind. Die rechtspolitischen Überlegungen konzentrieren sich im wesentlichen auf zwei Schwerpunkte. Zum einen geht es um eine detailliertere gesetzliche Regelung der Stellung des Verhafteten, die diesem so viel Freiheiten einräumt, wie sich mit dem Haftzweck und der Funktionsfähigkeit der Haftanstalt verträgt. Zum anderen strebt man eine Neuverteilung der Kompetenzen im Verhältnis von Haftrich-

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ter und Anstaltsleiter an, die dessen Handlungsfähigkeit erhöht, ohne die Verfahrensinteressen und damit die Rechtspflege zu beeinträchtigen. Hinsichtlich der Stellung des Verhafteten wird etwa gefordert: die Einführung eines Rechts auf Einzelunterbringung und Trennung von anderen Gefangenen, auf Tragen eigener Kleidung, Benutzung eigener Wäsche, Selbstverpflegung, Selbstbeschäftigung, Ausstattung des Haftraums mit eigenen Sachen in angemessenem Umfang, auf soziale Hilfe und Betreuung (Bundesvereinigung 1980; Preusker 1981; Baumann 1981). In diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt die Frage von Bedeutung, ob und in welchem Umfange der Verhaftete in ein System resozialisierender (rückfallverhütender) Behandlung einbezogen werden kann, wie es das StVollzG etwa für den Strafgefangenen vorsieht. Die besondere Stellung des erwachsenen Verhafteten, der sich auf die Unschuldsvermutung berufen kann (vgl. I C 2), schließt gewiß Rechtsbeschränkungen aus Behandlungsgründen, die im Vollzug der Freiheitsstrafe innerhalb gewisser Grenzen zulässig sind (BVerfGE 40, 276), aus. So ist im Vollzug der Untersuchungshaft etwa für die Einführung einer Arbeitspflicht kein Raum. Auf der anderen Seite ist es der Haftanstalt rechtlich jedoch keineswegs verwehrt, dem Verhafteten Angebote der Beschäftigung, Weiterbildung, beruflichen Förderung, Freizeitgestaltung, sozialen Hilfe und Therapie zu unterbreiten, soweit diese nicht im Einzelfall mit dem Haftzweck kollidieren. Vielmehr verpflichtet das Sozialstaatsprinzip den Staat sogar dazu, solche Möglichkeiten zu schaffen (MüllerDietz in: Evang. Akademie 1977; 1981; Preusker 1981; Wolter 1981; Baumann 1981). Es steht dann in der freien Entscheidung des Verhafteten, ob er davon Gebrauch machen will. Künftige Regelungen der Informationsmöglichkeiten und des Kontaktes mit der Außenwelt müssen vor allem - im Sinne der Verfassungskonformität - mehr als bisher die Grundrechte der Informationsfreiheit, Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 GG) und des Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 GG) berücksichtigen (Dünnebier 1978; Roxin 1982; BVerfGE 42, 95). In jedem Falle bedürfte der Grundsatz der erzieherischen Ausgestaltung des Vollzuges an jungen Gefangenen (§ 93 Abs. 2 JGG) gesetzlicher Konkretisierung. Dabei müßte auch klargestellt werden, daß er jedenfalls für Heranwachsende keine zusätzlichen Rechtsbeschränkungen zeitigen darf. Hinsichtlich der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Haftrichter und Anstaltsleiter gehen die Forderungen im wesentlichen dahin, alle anstaltsbezogenen Maßnahmen dem Anstaltsleiter und lediglich die haftzweckbezogenen Maßnahmen dem Haftrichter zu übertragen (Grebing 1975; Nicklas in: Evang. Akademie 1977; Bundesvereinigung 1980; Preusker 1981; Baumann 1981). Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß die jetzige Kompetenz-

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Strafvollzug: Untersuchungshaft

Verteilung wenig zweckmäßig ist, vor allem den Anstaltsleiter, der ja für Sicherheit und Ordnung der Haftanstalt verantwortlich ist, in seiner Handlungsfähigkeit zu sehr beschneidet. Eine solche Neuregelung würde zu einer Verlagerung eines Großteils der Kompetenzen auf den Anstaltsleiter führen, die de lege lata dem Haftrichter zugewiesen sind (§ 119 Abs. 6 StPO). Dies gilt namentlich für Maßnahmen, die den Tagesablauf, das Verhalten des Inhaftierten und die Ordnung in der Haftanstalt betreffen. Soweit solche Maßnahmen - wie etwa Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen - weitergehende Rechtsbeschränkungen zur Folge haben, kann eine Anordnungskompetenz des Anstaltsleiters aus verfassungsrechtlichen Gründen ohnehin nur durch Gesetz geschaffen werden. Hinsichtlich der Maßnahmen, die der Verfahrenssicherung dienen, muß es freilich allemal bei der Zuständigkeit des Richters bleiben.

B. Maßnahmen sozialer Hilfe und Therapie in der Untersuchungshaft Derzeitige Ausgestaltung und Praxis der Untersuchungshaft erscheinen nicht zuletzt unter dem (sozialstaatlichen) Gesichtspunkt der Verbesserung der Lebensbedingungen und der Leistungsangebote des Staates reformbedürftig. Vielfach verfügt der Strafvollzug über qualifiziertere Möglichkeiten der Beschäftigung, Weiterbildung, Freizeitgestaltung, sozialen Hilfe und Therapie (vgl. III B). Vor allem läßt die erzieherische Ausgestaltung des Vollzugs der Untersuchungshaft an jungen Gefangenen zu wünschen übrig. Bloße Einschließung, nicht selten verbunden mit der Möglichkeit des Kontaktes mit hafterfahrenen (Straf-)Gefangenen und der Subkultur der Haftanstalt, wirkt häufig desozialisierend und erschwert - unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens - die soziale Eingliederung. Die Zeit der Untersuchungshaft wird dann für den Verhafteten leicht zur sinnentleerten, verlorenen Zeit. Darüber hinaus stürzt sie den Verhafteten, der sich selbst überlassen ist, nicht selten in eine innere Krise, mit der er aus eigener Kraft nicht mehr fertig wird. Deshalb fordert man zu Recht eine personelle und räumliche Ausstattung der Haftanstalten sowie organisatorische Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzuges, welche die Schaffung eines differenzierten Angebots sozialer Hilfen ermöglichen. Dazu gehören namentlich Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung, schulischer und beruflicher Förderung, soziales Training zur Konflikt- und Lebensbewältigung, Rechtsberatung und sog. haftüberschreitende Hilfen, die der Entlassungsvorbereitung und der Nachsorge in der Zeit nach der Entlassung dienen (vgl. Müller-Dietz in: Evang. Akademie 1977; 1981; Bundesminister der Justiz 1979; 1980; Bundesvereinigung 1980; Preusker 1981; Baumann 1981). Praktische Erfahrungen mit solchen Konzep-

ten liegen vor allem aus dem Bereich des Vollzuges der Untersuchungshaft an jungen Gefangenen vor (Blumenberg in: Evang. Akademie 1977; 1978; Eberle 1978; 1980; Stephan/Werner 1979; Kury 1981). Freilich darf man nicht übersehen, daß die Verwirklichung solcher Forderungen keineswegs nur finanzielle und personelle Schwierigkeiten bereitet. Vielmehr wirken sich insoweit auch die Besonderheiten des Untersuchungshaftvollzuges ungünstig aus. Hierzu rechnen etwa die relativ große Bedeutung des Sicherheitsaspekts, die Kürze der Haftzeiten und die starke Fluktuation in den Haftanstalten.

C. Alternativen zur Untersuchungshaft Bereits das geltende Recht stellt eine Reihe von Möglichkeiten bereit, die der Vermeidung von Untersuchungshaft dienen. Zunächst soll der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 116 StPO) darauf hinwirken, daß allemal weniger einschneidende Maßnahmen an die Stelle des Untersuchungshaftvollzuges treten, sofern sie dessen Zweck erreichen (vgl. I C 2). Beispiele für solche Maßnahmen stellen vor allem die Meldepflicht, Aufenthaltsbeschränkungen, der Hausarrest und die Sicherheitsleistung dar (vgl. II B). Sie kommen auch hinsichtlich junger Tatverdächtiger in Betracht. Darüber hinaus ist bei diesem Personenkreis ferner an Weisungen in Bezug auf die Lebensführung und die Unterbringung in einem geeigneten Erziehungsheim zu denken (vgl. IV A). Auf weitere Möglichkeiten verweist Hänni (1980) in seiner Studie zu den Ersatzmaßnahmen in den kantonalen Strafprozeßregelungen der Schweiz. Das Ziel, Untersuchungshaft wegen der damit vielfach verbundenen negativen Auswirkungen (z. B. schädliche Einflüsse, Verlust sozialer Bindungen und Kontakte, Ausgliederung aus dem Arbeitsprozeß) möglichst zu vermeiden, ist theoretisch anerkannt. Ebenso besteht Einigkeit darüber, daß die insoweit vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten noch stärker ausgeschöpft und namentlich etwa fehlende praktische Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Dies gilt vor allem für den Personenkreis der jungen Tatverdächtigen; hier können die Alternativen der Unterbringung in einer Familie oder in einem Heim noch nicht annähernd im gesetzlich vorgesehenen Umfange genutzt werden. Umstritten ist jedoch, ob das derzeitige rechtliche Instrumentarium ausreicht, um den Anwendungsbereich der Untersuchungshaft in dem gewünschten, zugleich aber auch unter dem Gesichtspunkt der Verfahrenssicherung vertretbaren Maße nach Häufigkeit der Fälle und Dauer des Vollzuges einzuschränken. Zur Diskussion gestellt werden in diesem Zusammenhang vor allem Institute wie die Soziale Bürgschaft (die es auch ohne Kaution Dritten ermöglicht, sich für den Tatverdächtigen gegen-

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Strafvollzug: Untersuchungshaft über dem Richter zu verbürgen) sowie die Vorwegnahme der Bewährungshilfe und des Strafvollzugs mit Einwilligung des Tatverdächtigen. In den beiden letzteren Fällen verzichtet der Beschuldigte auf die ihm nach seinem Status infolge der Unschuldsvermutung zustehenden Rechte und erklärt sich damit einverstanden, daß er entweder im Rahmen der Bewährungshilfe oder im Rahmen des Strafvollzugs wie ein bereits rechtskräftig Verurteilter behandelt wird. Dies ermöglicht es, ihn in vollem Umfange in die Resozialisierungsmaßnahmen einzubeziehen, die für Verurteilte vorgesehen sind. Mit dem Institut des freiwilligen vorzeitigen Strafantritts liegen im Ausland (Schweiz, Niederlande) bereits praktische Erfahrungen vor (v. Brukken-Fock 1973; Müller-Dietz in: Evang. Akademie 1977; Schubarth 1979). Freilich stellt sich insoweit nicht zuletzt die Frage, ob und inwieweit sich solche Maßnahmen sinnvoll in das deutsche Strafverfahren integrieren lassen und ob sie mit der Rechtsstellung des Verhafteten vereinbar sind. In jedem Fall verdienen Alternativen zum Untersuchungshaftvollzug den Vorzug, die Freiheitsentziehung - in welcher Form auch immer - vermeiden. In dieser Richtung werden die Reformüberlegungen und praktischen Bemühungen weitergehen müssen.

Monographien und

Sammelwerke

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Z e i t s c h r i f t e n - und

Sammelwerkaufsätze

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220

Strafvollzug: Untersuchungshaft

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Strafvollzug: Erwachsenenbildung

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STRAFVOLLZUG: ERWACHSENENBILDUNG I. EINFÜHRUNG IN DIE PROBLEMATIK Erwachsenenbildung im Strafvollzug steht im Kontext zweier gänzlich unterschiedlich strukturierter Lebensbereiche und Arbeitsfelder. Darauf verweisen schon die beiden Begriffe in ihrer Zuordnung zueinander. Der Begriff „Erwachsenenbildung" nimmt Bezug auf staatliche und gesellschaftliche Bildungsmaßnahmen, die der Allgemeinheit gelten; als potentieller Nutznießer kommt praktisch jeder Erwachsene in Betracht. Mit zunehmender Freizeit und den strukturellen Veränderungen der Situation auf dem Arbeitsmarkt hat die Erwachsenenbildung erheblich an Bedeutung gewonnen; sie partizipiert nicht zufällig an der ausgiebigen bildungspolitischen Diskussion der letzten Zeit (Feidel-Mertz 1975; Gernert 1975; Groothoff/Wirth 1976; Bockemühl 1977; Helmer 1978; Kaiser 1979; Lempert 1979). Insofern ist diese Entwicklung zugleich Ausdruck eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels, welcher der Weiterbildung im Erwachsenenalter eine zentrale Funktion sowohl für den beruflichen und sozialen Status des einzelnen als auch für die Entfaltung seiner Persönlichkeit zuweist (Geissler 1978; Windolf 1979). Es gilt nunmehr, unter solchen Umständen ein neues Selbstverständnis der Erwachsenenbildung zu gewinnen, ihre Funktion im heutigen Entwicklungsprozeß des einzelnen und der Gesellschaft zu bestimmen. Einen wesentlichen, wenn auch keineswegs den einzigen Aspekt stellt in diesem Zusammenhang die Erhaltung der beruflichen und sozialen Flexibilität und Mobilität dar. Demgegenüber finden Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug unter äußeren Umständen und Entwicklungsbedingungen statt, die sich in vieler Hinsicht von der Situation in Freiheit unterscheiden. Sie sind gleichsam eingebettet in die Zielsetzungen des Strafvollzuges, in die Aufgaben und Funktionsabläufe der Vollzugsanstalt sowie in deren organisatorisches und personelles Gefüge. Insofern ist Erwachsenenbildung in der Vollzugsanstalt abhängig von empirischen Rahmenbedingungen, die durch den Freiheitsentzug selbst, die zwangsweise Zusam-

menfassung einer größeren Anzahl von Straftätern auf eng begrenztem Raum und die hieraus resultierenden Folgeprobleme der Sicherheit und Ordnung gesetzt werden. Damit ergibt sich notwendigerweise das Problem, ob und inwieweit sich die auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung allgemein gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen auch auf die besondere Situation des Strafvollzugs übertragen lassen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug sich sinnvoll durchführen lassen, schließt in der Gegenüberstellung das gesamte Spektrum aller Möglichkeiten ein, die zwischen der Entwicklung eines eigenständigen Konzepts der Erwachsenenbildung für den Strafvollzug und der - möglichst weitgehenden - Veränderung der Institution Strafvollzug im Sinne der allgemeinen Bildungskonzeption liegen (Kluge 1977; 1978; Pilger-Michelletto/Wehle 1978; Ballhausen 1979; Eberle 1980). Akzentuiert werden die beiden skizzierten Aspekte der Erwachsenenbildung im Strafvollzug noch durch die besondere Insassenstruktur der Vollzugsanstalten. In dem Maße, in dem es der Strafvollzug mit Straftätern zu tun hat, die in ihrer (aus-)bildungsmäßigen, beruflichen und sozialen Entwicklung hinter allgemeingesellschaftlichen Erwartungen und Standards zurückgeblieben sind, gewinnt der Ausgleich dieser Defizite im Verhältnis zu der in Freiheit lebenden Bevölkerung zusätzlich an Bedeutung. Gleichzeitig verschärfen die Vollzugsbedingungen dann jenen (aus-)bildungsmäßigen Abstand gegenüber der Normalbevölkerung, wenn sie nicht der besonderen Persönlichkeits- und Motivationsstruktur der Insassen und ihrer Lage innerhalb der Vollzugsanstalten Rechnung tragen (Wolff 1978a; Quensel, in: Lüderssen 1978). Dies weist wiederum auf die grundsätzliche Frage zurück, ob und inwieweit der Strafvollzug selbst wenigstens bestimmte Vollzugsbereiche - als Teil des allgemeinen gesellschaftlichen Bildungssystems begriffen oder wenigstens konzipiert werden können (Calliess 1971; 1972; 1981).

II. BEGRIFF UND BEDEUTUNG DER ERWACHSENENBILDUNG IN STAAT UND GESELLSCHAFT A. Begriff der Erwachsenenbildung Mit der Sache selbst sind auch die Begriffe in Bewegung geraten. Während ursprünglich mit dem Begriff „Erwachsenenbildung" - wie der Ausdruck schon sagt - die auf (weitere) Ausbildung, (Um-) Schulung und auf den Erwerb zusätzlicher Fertigkeiten und Qualifikationen gerichteten Aktivitäten und Maßnahmen umschrieben wurden, hat sich dafür inzwischen der Begriff „Weiterbildung" eingebürgert. Dieser Wechsel im Sprachgebrauch signali-

Strafvollzug: Erwachsenenbildung siert im wesentlichen zwei Tendenzen: Zum einen kennzeichnet er einen gesellschaftlichen Prozeß, der auf die Überwindung der traditionellen Antinomie von Berufsbildung und Allgemeinbildung zielt. Beide Aspekte der Erwachsenenbildung werden jetzt nicht mehr als einander polar gegenüberstehende und voneinander abzugrenzende Bereiche verstanden. Vielmehr erscheint Weiterbildung ungeachtet sektoraler (Bildungs-) Interessen und Maßnahmen, wie sie sich z. B. in der beruflichen Bildung manifestieren - umfassender als früher angelegt. Zum zweiten soll der Terminus „Weiterbildung" die Notwendigkeit des „life long learning" verdeutlichen, die sich eben aus den erheblich veränderten Anforderungen an den einzelnen im beruflichen und sozialen Leben ergibt. Danach soll die Erwachsenenbildung einem ganzen Bündel von Aufgaben zugleich gerecht werden. So soll sie etwa zur Qualifizierung, Berufsbewältigung, Lebensbewältigung beitragen und Freizeithilfe leisten. Ein wesentlicher Schwerpunkt liegt dabei in der Zielsetzung, den einzelnen zur sinnvollen Auseinandersetzung mit der heutigen - technischen - Welt und ihrer sozialen Komplexität zu befähigen. Freilich reichen die Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels auf die Erwachsenenbildung noch tiefer. Während das Spektrum der Aufgaben breiter geworden ist, sind inhaltliche Festlegungen schwieriger geworden. Bildungsbürgerliche und volkspädagogische Intentionen mochten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert den Begriff der Erwachsenenbildung noch mit mehr oder weniger festen weltanschaulichen Inhalten gefüllt haben. Heute läßt sich der spezifische Bildungsauftrag der Erwachsenenbildung - namentlich unter den Vorzeichen teleologischer und funktionaler Betrachtungsweise und fortschreitender Verwissenschaftlichung - jedenfalls außerhalb kirchlicher Institutionen und parteipolitischer Programme nicht mehr mit der gleichen Eindeutigkeit wie ehedem umreißen; er ist offener und flexibler geworden, gibt dadurch aber auch Verunsicherungen und Mißdeutungen Raum. Dies bedeutet indessen nicht, daß der früher vielfach gebrauchte Begriff der Persönlichkeitsbildung der Sache nach aus der Weiterbildung verbannt wäre; er wird nur in einem nüchternen funktionalen Sinne auf die Schulung und Erprobung jener Fähigkeiten bezogen, welche den sozialen Status und die gesellschaftliche Existenz des einzelnen gewährleisten sollen. Demnach vereinigt die Erwachsenenbildung im heutigen Verständnis in sich die beiden Elemente der Qualifizierung und der personalen Bildung.

B. Bedeutung der Erwachsenenbildung Die Begriffsbestimmung liefert zugleich wesentliche Hinweise auf die praktische Bedeutung, die der

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Erwachsenenbildung heute zukommt und ihr - zumindest aus wissenschaftlicher Sicht - beigelegt wird. Ungeachtet der Frage, wie sich schrumpfende Energiequellen sowie damit einhergehende ökonomische Krisen langfristig auf die wirtschaftliche Situation und den Arbeitsmarkt und damit auch mittelbar (etwa wegen abnehmender finanzieller und personeller Ressourcen) - auf den (Aus-) Bildungssektor auswirken, ist die Notwendigkeit, angesichts der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse bestimmte „Schlüsselqualifikationen" zu vermitteln und zu erwerben, unbestritten. Längst ist dem Begriff „Leistungsgesellschaft" der Ausdruck „Bildungsgesellschaft" zur Seite getreten. Damit wird deutlich, daß der Erwerb weiteren Wissens und weiterer Fähigkeiten und Fertigkeiten im Erwachsenenalter nicht mehr als Privileg von Angehörigen bestimmter Berufe oder Schichten verstanden wird, sondern grundsätzlich jedermann möglich sein muß. Aufstiegschancen und Entwicklungsmöglichkeiten sollen grundsätzlich jedem im Rahmen individueller Begabungen, Leistungen und Interessen offenstehen. Dies erfordert allein schon der Wandel des Produktionsprozesses, der technischen und wirtschaftlichen Verfügung des Menschen über die Welt. Danach sind berufliche Flexibilität und Mobilität, die Fähigkeit zur Anpassung an veränderte Arbeitsbedingungen und Berufsrollen unerläßlich. Da sich viele Berufe mehr denn je im Wandel befinden, ist der einschlägige Lernprozeß mit dem Ende der Berufsausbildung keineswegs abgeschlossen. Vielmehr setzt er sich später im Rahmen der Berufsausübung selbst - wenngleich unter dem Vorzeichen, die bereits erworbene berufliche Qualifikation zu erhalten oder zu verbessern - fort. Berufsausbildung stellt demnach nur mehr eine Phase in einem Qualifizierungsprozeß dar, der die ganze Berufszeit begleitet. Demzufolge muß der einzelne durch berufliche und sonstige Weiterbildung auf die Veränderung seiner Berufsrolle, ja sogar auf einen Berufswechsel vorbereitet werden, um den Anforderungen des Arbeitsmarktes gewachsen zu bleiben, d. h. letztlich seine berufliche Existenz und seinen sozialen Status sichern zu können. Ein typisches Beispiel für solche Entwicklungen stellt die Entlassung von Arbeitskräften auf Grund von Rationalisierungsmaßnahmen und Mechanisierung der Arbeitsvorgänge dar. Insofern kann der Weiterbildung heute geradezu eine existenzerhaltende Funktion zukommen. Sie ist auch keineswegs auf die jeweilige berufliche Tätigkeit allein bezogen und beschränkt, sondern vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsstruktur zu sehen, weil die berufliche Sozialisation allemal in die Persönlichkeitsentwicklung eingebettet ist und deshalb im Zusammenhang mit dieser gesehen werden muß (Windolf 1980). In der neueren Diskussion der Erwachsenenbildung wird verschiedentlich die Aufgabe, zur höheren persönlichen und beruflichen Qualifikation

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Strafvollzug: Erwachsenenbildung

durch den Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten beizutragen, als „technokratischer Ansatz" charakterisiert, dem der „emanzipatorische Ansatz" gegenübergestellt wird; dieser soll namentlich in der Selbst- oder Identitätsfindung, in der Befreiung zu sich selber, im Angebot von Verhaltensalternativen, im Erwerb neuer Verhaltensweisen bestehen (vgl. Müller-Dietz 1973 a; Bockemühl 1977). Soweit es darum geht, die im einzelnen angelegten Fähigkeiten und Möglichkeiten im Sinne der Persönlichkeitsentfaltung weiterzuentwickeln und ihm zu einem sinnerfüllten Leben zu verhelfen, besteht zwischen beiden Positionen allerdings kein echter Gegensatz. Konflikte ergeben sich freilich dort, wo sich der „emanzipatorische Ansatz" an Normen und Werten orientiert, die in der jeweiligen gesellschaftlichen Situation sozial nicht akzeptiert werden. Faßt man die heutige Diskussion der Erwachsenenbildung zusammen, so lassen sich im wesentlichen folgende Konzeptionen und Positionen ausmachen: die Orientierung - am technischen Wandel und den daraus resultierenden Qualifikationsanforderungen des Arbeitsmarktes (bildungsökonomischer Ansatz); - an der Persönlichkeitsstruktur der - in Betracht kommenden - Adressaten (lerntheoretischer Ansatz); - an der internen Struktur von Teilnehmergruppen (gruppendynamischer Ansatz); - an den gesellschaftlichen Strukturbedingungen und Steuerungsmechanismen (politisch-ökonomischer Ansatz); - an der Struktur des zu vermittelnden Wissens im Sinne einer Standardisierung und Systematisierung der Lerninhalte (curricularer Ansatz); - am lebensweltlichen und Alltagswissen Erwachsener (lebensweltlicher Ansatz) (Dewe, Wosnitza 1981). Dabei ist der letztgenannte Ansatz im Zuge neuerer soziologischer Perspektiven, die namentlich der Lebenswelt und den Alltagserfahrungen Erwachsener gelten, mehr und mehr in den Vordergrund getreten. Hiernach muß auch und gerade die Erwachsenenbildung alltagsrelevante soziale Deutungsmuster thematisieren und reflektieren. Freilich steht die Um- und Übersetzung solcher phänomenologischer und wissenssoziologischer Konzeptionen der Struktur der Lebenswelt in pädagogische Strategien und Curricula erst am Anfang; theoretisch ist sie bisher noch nicht zureichend bewältigt (Dewe, Wosnitza 1981). Dementsprechend bieten sich als zumindest theoretische Anknüpfungspunkte für den Strafvollzug eher der bildungsökonomische, der lern theoretische, der gruppendynamische und der curriculare Ansatz an. Darüber hinaus gewinnt hier zunehmend die sozialarbeiterisch-sozialpädagogische Orientierung an Gewicht (Quensel 1981; vgl. IV A 2).

III. ENTWICKLUNG DER ERWACHSENENBILDUNG IM STRAFVOLLZUG A. Zur Geschichte der Gefängnisschule Begriff und Sache der Erwachsenenbildung sind relativ jung. Sie konnten erst mit der Aufklärung und dem Bestreben aufkommen, die Welt nicht nur wissenschaftlich erfahrbar zu machen, sondern diese Erkenntnisse und Erfahrungen auch zu popularisieren, d. h. der Allgemeinheit weiterzugeben. Vor diesem Hintergrund sind namentlich Tendenzen des 19. und 20. Jahrhunderts zu sehen, die Erwachsenenbildung als Möglichkeit zur Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in volkstümlicher Form zu sehen. „Volkserziehung" und „Volksbildung" waren insoweit die gängigen Begriffe. Praktisch bedeutsam wurden die daraus resultierenden Bestrebungen zunächst in der Bildungsarbeit an der Jugend in Schulen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts fanden sie ihren weiteren Ausdruck in dem Anspruch der Arbeiter auf Teilhabe am Geistesleben. Symptomatisch dafür wurde die Gründung von Bildungsvereinen um die Jahrhundertwende (Krebs 1978; 1978 a). Erst mit dem grundlegenden Wandel der wissenschaftlich-technischen Welt, wie er sich um die Mitte des 20. Jahrhunderts abzeichnete, der „zweiten industriellen Revolution", gewann die Erwachsenenbildung das skizzierte breitere Fundament, dessen Konturen erst allmählich sichtbar werden. Dementsprechend fand die Erwachsenenbildung in den Strafvollzug erst sehr spät Eingang. Von Bildungsarbeit in diesem Sinne kann erst im 20. Jahrhundert die Rede sein. Zwar spielte der Erziehungsgedanke, der auf Besserung des Rechtsbrechers zielte, seit Errichtung der Amsterdamer Zuchthäuser Ende des 16. Jahrhunderts in den Strafanstalten eine gewisse Rolle; doch gab er angesichts der Vorherrschaft von Zucht und Ordnung pädagogischen Einwirkungen nur sehr wenig Raum. Dazu fehlten sowohl die konzeptionellen als auch die organisatorischen und personellen Voraussetzungen. Erwachsenenbildung im eigentlichen Verständnis gab es bis in die neuere Zeit hinein nicht. Einen ersten Vorläufer bildete die religiöse Unterweisung durch Geistliche; sie findet sich in einzelnen Strafanstalten bereits im 18. Jahrhundert. Indessen stand lange Zeit der moralisierend-belehrende Zweck des Religionsunterrichts im Vordergrund. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden auch Lehrer im Strafvollzug angestellt, die Unterricht in „weltlichen" Fächern (z.B. Lesen, Schreiben, Rechnen) zu erteilen hatten. Damit entstand die Gefängnisschule als feste Einrichtung innerhalb der Strafanstalten (Eberle 1980). Zu ihrer Entwicklung trug nicht zuletzt die Einführung des pennsylvanischen Systems der Einzelhaft im kontinentaleuropäischen, namentlich deutschen Strafvollzug bei. Der Gefangene sollte vor der negativen Beeinflus-

Strafvollzug: Erwachsenenbildung sung durch Mitgefangene bewahrt werden; statt dessen sollten die Beamten, vor allem die Erzieher, ihn günstig beeinflussen. Inhaltlich lehnte sich die Gefängnisschule an die öffentliche Volksschule an, d. h. sie übernahm einfach deren Lehrpläne. Sie sollte - im Sprachgebrauch jener Zeit - der „sittlichen Hebung und Besserung der Gefangenen" dienen. Jedoch trat der Unterricht um die Jahrhundertwende an Bedeutung hinter die Gefangenenarbeit zurück, die schon aus ökonomischen Gründen das Anstaltsleben prägte. Vielerorts herrschte auch die Vorstellung vor, Arbeit sei das beste Erziehungsmittel im Sinne bessernder Einwirkung auf den Gefangenen. Erst in der Weimarer Zeit gewann die Anstaltsschule unter dem Vorzeichen des Erziehungsgedankens wieder stärker an Boden. Sie entwickelte sich - zumindest ihrem Anspruch nach - zur Erziehungsschule mit sozialpädagogischer Orientierung; der Gefangene sollte an seiner gesellschaftlichen Wiedereingliederung aktiv mitwirken. Dementsprechend lehnte sich die Anstaltsschule in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung nicht mehr an die Volksschule an, sondern knüpfte an das Konzept der Heimvolkshochschule an. Der Unterricht sollte zum einen kompensatorischen Funktionen dienen, d. h. bildungsmäßige Defizite beheben und Haftschäden bekämpfen helfen. Vor allem aber wurde ihm die Aufgabe der Sozialerziehung gestellt. Diese Entwicklung brach 1933 mit der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus jäh ab. Nunmehr sollte die Gefängnisschule „als Willensschule im Auslesevollzug" fungieren, in deren Mittelpunkt die weltanschauliche Schulung stand (Eberle 1980). Von Vollzugspädagogik und Erwachsenenbildung konnte keine Rede mehr sein.

B. Der Ausbau der BUdungsarbeit und beruflichen Förderung im Strafvollzug Nach 1945 knüpfte der Strafvollzug auch hinsichtlich der Ausgestaltung und Maßnahmen der Erwachsenenbildung zum Teil jedenfalls an die Entwicklung der Weimarer Zeit an. Freilich waren die verfügbaren personellen Kräfte und finanziellen Mittel lange Zeit verschiedenenorts durch den Wiederaufbau, die Herstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse und den Abbau der Überbelegung, unter der etliche Vollzugsanstalten litten, absorbiert. So mußte sich die Tätigkeit vieler Anstaltslehrer auf die Erteilung von Unterricht (etwa zur Behebung von Wissenslücken oder zur beruflichen Ausbildung), die Gestaltung der Freizeit (bis hin zu Sportveranstaltungen) und die Einrichtung und Unterhaltung einer Anstaltsbücherei beschränken. Immerhin entstanden erste Ansätze, der Erwachsenenbildung nach Form und Inhalt festere Konturen zu geben. Symptomatisch dafür ist die DVollzVO vom 1. 12. 1961, die dem Thema „Erwachsenenbil-

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dung" einen eigenen Titel widmete (Nrn. 124-129) und dem Anstaltslehrer entsprechende Aufgaben zuwies (Nr. 27). Danach sollte dem Gefangenen Gelegenheit gegeben werden, sich „soweit möglich, unter Anleitung fachlich vorgebildeter Kräfte fortzubilden"; auch die Erwachsenenbildung sollte dem Ziel dienen, den Willen des Gefangenen „zu geordneter Lebensführung zu wecken und zu stärken" (Nr. 124 Abs. 1). Der Fortbildung wurde eine dreifache Aufgabe gestellt: Sie sollte Elementarwissen auffrischen und ergänzen, die geistigen Fähigkeiten und beruflichen Kenntnisse des Gefangenen fördern und schließlich zum Gemeinschaftssinn beitragen (Nr. 125). Drei Formen der Fortbildung hebt die DVollzO besonders hervor: den Unterricht (Nr. 126), die Anleitung zu sinnvoller Beschäftigung in der Freizeit (Nr. 127) und zu sachgemäßer Lektüre; zu diesem Zweck sollte jede Anstalt eine eigene Bücherei unterhalten (Nrn. 128 und 129). Mit diesen Regelungen lehnte sich die DVollzO erklärtermaßen an das damalige Konzept der Erwachsenenbildung (Nr. 126 Abs. 1) und die Erfahrungen mit Volksbüchereien (Nr. 128 Abs. 1) an. Repräsentative empirische Erhebungen, ob und inwieweit der damit erhobene Anspruch praktisch eingelöst wurde, wurden freilich nicht durchgeführt; aus Einzelinformationen wird man schließen müssen, daß es verschiedenenorts entsprechende Anstrengungen gab, die aber auf Grund der defizitären Ausstattung der Vollzugsanstalten und des Fehlens eines durchdachten pädagogischen Gesamtkonzepts im ganzen doch hinter den normativen Anforderungen zurückblieben (Rückert 1974; Wolff 1978 a; Kaiser/Kerner 1982). Einen besonderen Schwerpunkt der Erwachsenenbildung stellte relativ früh schon die berufliche Bildung dar, die sich freilich bis in die 50er und 60er Jahre hinein weitgehend auf die Vermittlung handwerklicher Fähigkeiten und Fertigkeiten beschränkte. Danach sollten geeignete Gefangene, die ihren früheren Beruf nicht mehr ausüben konnten oder gar keinen erlernt hatten, je nach den Ausbildungsmöglichkeiten der Vollzugsanstalt einen beruflichen Abschluß erhalten, der sie in die Lage versetzte, sich und ihre Familie zu ernähren. Dieses Konzept der beruflichen Bildung weitete sich im Zuge der Entstehung der sog. Wohlstandsgesellschaft mit ihrer zunehmenden Nachfrage nach Arbeitskräften aus. Die Zahl der Ausbildungsplätze und -berufe nahm zu; so wurde in verschiedenen Vollzugsanstalten etwa auch die Möglichkeit der Ausbildung zum Facharbeiter (z. B. Dreher, Schweißer, Betriebsschlosser, Kfz-Mechaniker, Werkzeugmacher) angeboten. Jedoch waren für diese Entwicklung wenigstens vier Aspekte charakteristisch, welche insgesamt die Situation der Erwachsenenbildung im Strafvollzug beleuchteten: Die Möglichkeiten beruflicher Bildung - namentlich die Vielfalt und Qualität des Angebots - waren je nach Vollzugsanstalt ganz unterschiedlich. Sie wurden nur

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Strafvollzug: Erwachsenenbildung

zögernd und allmählich auf qualifizierte(re) Berufe erstreckt. An den Ausbildungsmaßnahmen partizipierte lediglich ein Bruchteil der Insassen. Schließlich fehlte es auch an einer Integration der beruflichen Bildung in ein vollzugspädagogisches Gesamtkonzept der Erwachsenenbildung.

IV. DIE ERWACHSENENBILDUNG IM HEUTIGEN STRAFVOLLZUG A. Grundfragen der Erwachsenenbildung im Strafvollzug 1. Ausbildung und Bildung als Kriminalitätsprophylaxe Besondere Bedeutung gewinnen (Aus-) Bildungsmaßnahmen im Vollzug vor allem dadurch, daß der Stand der Allgemeinbildung und Berufsausbildung der Insassen von Vollzugsanstalten größtenteils unter dem der sog. Normalbevölkerung liegt. So sind etwa die ehemaligen Sonderschüler und Volksschüler ohne Abschluß in den Vollzugsanstalten überrepräsentiert. In manchen Anstalten hat die Hälfte der Insassen keinen Volksschulabschluß (Hammermann 1977). Ähnlich hohe Anteile wurden für den Personenkreis ohne abgeschlossene Berufsausbildung ermittelt. Untersuchungen zufolge liegen sie zwischen 55 % (Cyprian 1977), 6 6 % (Hammermann 1977) und 7 1 % (Kaiser, Kerner, Schöch 1982); ein ähnliches Bild zeigt der Jugendstrafvollzug (Böhm 1973; Hilkenbach 1979). Dabei spielt eine wesentliche Rolle, daß diese (Aus-)Bildungsdefizite bei der Mehrzahl der Insassen von Vollzugsanstalten insgesamt Ausdruck weiterreichender Dissozialisationserscheinungen und mangelnder sozialer Integration sind. Vielfach ist die Sozialisation durch gestörte Familienstrukturen, randständige Rolle (z. B. Unterschichtzugehörigkeit) und Heimaufenthalte beeinträchtigt (Bundesminister für Jugend 1978). Dementsprechend hoch ist der Prozentsatz vorbestrafter und Rückfalltäter mit psychischen Defiziten (z. B. geringe Belastbarkeit, Frustrationstoleranz, Fehlen sozialer Handlungskompetenz), Fixierung auf abweichende Verhaltensmuster und kriminellen Karrieren (Dolde 1978). Freilich darf man nicht übersehen, daß dazu auch die Selektionsmechanismen des Strafrechts und der Strafzumessungspraxis der Gerichte beitragen. Sie bewirken im Ergebnis, daß sich die Insassen der Vollzugsanstalten überwiegend aus Wiederholungstätern (aus den Bereichen der Eigentums· und Vermögenskriminalität) rekrutieren, die bereits verschiedene Instanzen der jugendrechtlichen und strafrechtlichen Sozialkontrolle durchlaufen haben (Müller-Dietz 1980). Unter diesen Umständen sind viele Gefangene den allgemeinen normativen und sozialen Anforderungen - sei es im Berufs- und Familienleben, sei es

im sonstigen gesellschaftlichen Leben - nicht gewachsen. Vor allem sind sie hinsichtlich ihrer beruflichen Entwicklung und damit ihres Sozialstatus gegenüber der übrigen Bevölkerung im Nachteil. In einer leistungsorientierten Gesellschaft stellen Berufsausbildung und berufliche Qualifikation wesentliche Faktoren für die „soziale Chancenzuweisung" dar (Cyprian 1977; Geissler 1978; Kluge/ Majoli 1978; Meisel 1980). Sie erfüllen nicht allein existenzsichernde Funktionen, sondern bestimmen darüber hinaus die Stellung des einzelnen in der Gesellschaft, seine soziale Identität. Schon die berufliche Ausbildung fungiert als elementarer Bestandteil des Sozialisationsprozesses (Burger/Seidenspinner 1979). Erst recht spielen diese Faktoren in Zeiten umwälzender wirtschaftlicher und wissenschaftlicher, namentlich technologischer Veränderungen sowie ökonomischer Krisen eine Rolle. Erfahrungsgemäß sind dann am ersten diejenigen Arbeitnehmer von der Gefahr der Teilzeitbeschäftigung oder gar Entlassung bedroht, die beruflich und wissensmäßig wenig oder gar nicht qualifiziert sind (z. B. ungelernte Arbeiter, Handlanger). Diese Gruppe von Beschäftigten, zu denen auf Grund ihres (Aus-)Bildungsstandes eben ein erheblicher Teil der Strafgefangenen gehört, ist denn auch in besonders starkem Maße von der Arbeitslosigkeit betroffen (Martens 1978; Wacker 1978; Lenhardt 1979). Gelingt es im Strafvollzug nicht, jenen Insassen zu einer dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaftslage entsprechenden beruflichen Qualifikation und zu höherer Allgemeinbildung zu verhelfen, bleiben sie als Haftentlassene weiterhin am Ende der sozialen Stufenleiter stehen; der verhängnisvolle Kreislauf von Strafverbüßung, mangelnder sozialer Integration, erneutem abweichendem Verhalten mit der Folge weiterer Strafverbüßung schließt sich dann nur allzu leicht (Bundesminister für Jugend 1978). Dies gilt unbeschadet der Frage, in welchem Zusammenhang Fehlen beruflicher Qualifikationen, Bildungsdefizite und Arbeitslosigkeit auf der einen Seite mit sozial abweichendem Verhalten und Kriminalität auf der anderen Seite kriminologisch zu sehen sind. Insoweit hat die ältere Literatur mehr oder minder unmittelbare Beziehungen herzustellen versucht und deshalb nicht zuletzt auf das Konzept „Resozialisierung durch Ausbildung und Arbeit" gesetzt (Hellmer 1966). Indessen ist deutlich geworden, daß Kriminalität keineswegs das Produkt linearer Abläufe, sondern komplexer Interaktionsprozesse ist, in deren Rahmen die skizzierten Defizite und Mängellagen durchaus eine Rolle spielen können, dies jedoch keineswegs tun müssen, vielmehr erst im Zusammenhang mit anderen Faktoren an Bedeutung gewinnen. So ist durchaus denkbar, daß solche Phänomene im Einzelfall auf andere Weise als durch kriminelles Verhalten „verarbeitet" werden - etwa durch Übernahme einer sonstigen sozial randständigen Rolle - oder in

Strafvollzug: Erwachsenenbildung seelische oder körperliche Erkrankungen münden (Martens 1978). Dies ändert im Ergebnis jedoch nichts daran, daß sich das Fortbestehen (aus-)bildungs- und wissensmäßiger Defizite vielfach negativ auf die weitere berufliche Entwicklung und soziale Identität der Strafgefangenen auswirkt. In aller Regel äußern sie sich - gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten - in Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung (Degen 1977). Geringe Problemlösungskompetenz, ökonomische Randständigkeit und Statusunsicherheit sind dann die Folgen beruflicher und sozialer Desintegration (Blath/Dillig/ Frey 1980). So deuten denn auch einzelne Untersuchungen darauf hin, daß Gefangene, die einen Ausbildungsgang erfolgreich abgeschlossen haben, weniger Rückfälle aufzuweisen haben als andere Gefangene (Calliess 1981). Allerdings steht die Evaluationsforschung, d. h. die empirische Überprüfung des Erfolges von Behandlungsmaßnahmen im Strafvollzug in der Bundesrepublik Deutschland noch in den Anfängen; deshalb sind repräsentative Aussagen auf diesem Feld derzeit noch nicht möglich (Böhm 1979; Kaiser, Kerner, Schöch 1982).

2. Inhalt und Methoden der Erwachsenenbildung im Strafvollzug Belegt die besondere Insassenstruktur der Vollzugsanstalten einmal mehr die Notwendigkeit von Erwachsenenbildung im Strafvollzug, so ist damit freilich noch nichts über deren Inhalt und Konzeption ausgesagt. Noch am unproblematischsten erscheint die Bestimmung der Gegenstandsbereiche der Erwachsenenbildung. Insofern besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß die Bildungsarbeit im Strafvollzug schulische und berufliche Ausbildung, die Vermittlung von Allgemeinbildung, aber auch von Möglichkeiten der Problemlösung und Lebensbewältigung sowie die Einübung sozialer Verhaltensweisen umfassen muß. Danach geht es nicht allein um die Aufarbeitung wissensmäßiger Defizite und die Schaffung der Voraussetzungen für die Integration in das Erwerbs- und Wirtschaftsleben, sondern auch - und in vielen Fällen sogar vorrangig - um eine Art soziales Training, das gleichermaßen der Persönlichkeitsentfaltung wie der Einordnung in das gesellschaftliche Leben dient. Tendenzen dieser Art wurden etwa im Konzept des Sozialen Trainings sichtbar, das namentlich der Entwicklung sozialer Handlungskompetenzen und Fähigkeiten dient; entsprechende Curricula, die sich auf die relevanten Lebensbereiche beziehen, wurden bereits vorgelegt und in verschiedenen Vollzugsanstalten praktisch erprobt (Braun-Heintz, Schradin, Wehle 1980; Arbeitsgruppe für empirische Bildungsforschung 1981). Freilich werden gerade hier die Akzente nach wie vor unterschiedlich gesetzt. Namentlich kehrt insoweit die Diskussion über den sog. technokratischen

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und den sog. emanzipatorischen Ansatz der Erwachsenenbildung (Bockemühl 1977) unter anderem Vorzeichen wieder, die Frage also, ob die Erwachsenenbildung primär zur Anpassung an die Normen und Erwartungen der Leistungsgesellschaft oder in erster Linie zur Entfaltung der eigenen Möglichkeiten („Selbstbefreiung") beitragen soll. Allerdings wird dieses Problem schon dadurch relativiert, daß es in etlichen Fällen erst einmal darum geht, einfache Techniken der Problemlösung und Lebensbewältigung zu vermitteln, um überhaupt eine sinnvolle und verantwortliche Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen (Kaiser, Kerner, Schöch 1982). Die konsequente Verfolgung eines emanzipatorischen Ansatzes könnte dann leicht auf eine emotionale und intellektuelle Überforderung hinauslaufen, namentlich wenn lebensgeschichtliche Fehlentwicklungen wegen zunehmender Verfestigung abweichender Einstellungs- und Verhaltensmuster nur noch schwer zu korrigieren sind und dispositionelle Defizite sich allenfalls unter optimalen Rahmenbedingungen - die der Strafvollzug auch unter günstigen Voraussetzungen nicht zu bieten vermag - beheben lassen. Die Frage, ob und gegebenenfalls mit welchen Veränderungen die einschlägigen Vorstellungen von der Erwachsenenbildung in der freien Gesellschaft übernommen werden können, beschäftigt namentlich die neuere Vollzugspädagogik, die mit dem personellen Ausbau der Fachdienste (Psychologen, Lehrer, Sozialarbeiter) in den Vollzugsanstalten erheblich an Boden gewonnen hat (Calliess 1970; 1971; 1972; Müllges 1973; Rückert 1974; 1976; Kluge 1977; 1978; Deimling/Lenzen 1974; Deimling 1978; 1979; Krebs 1978 a; Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft etc. 1979; Niemeyer 1979; Ballhausen 1979; Eberle 1980; Quensel 1981). Eine wesentliche Schwierigkeit liegt offenkundig darin, daß die Vollzugspädagogik wegen der Eigenart und Lebensgeschichte ihrer Klientel, z. T. wohl auch wegen der besonderen Bedingungen des Freiheitsentzuges selbst nicht einfach und unvermittelt das Konzept der Erwachsenenbildung übernehmen kann, sondern in methodischer wie inhaltlicher Hinsicht Anleihen bei der Heilpädagogik, der Heimerziehung und der Sozialpsychiatrie aufnehmen muß. Damit partizipiert sie an den Erkenntnissen und Methoden verschiedener Wissenschaften (wie z . B . der Psychologie, Tiefenpsychologie, Soziologie, Psychiatrie), deren empirische Befunde wie inhaltliche Vorstellungen sich keineswegs ohne weiteres zu einem bruchlosen Gesamtkonzept der Bildungsarbeit im Strafvollzug zusammenfügen lassen. So wird denn auch bis heute das Fehlen eines solchen Konzepts moniert (Niemeyer 1979). Noch am ehesten gelingt es, entsprechende Ansätze aus bestimmten Erfahrungsbereichen heraus (so z. B. die „Kölner Verhaltensauffälligenpädagogik": Kluge 1977; 1978) oder auf Grund normativer, etwa kirchlich-religiöser Vorgaben (so z. B.

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Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft etc. 1979) zu entwickeln. Hier stellt sich freilich allemal die Frage nach der Übertragbarkeit solcher Ansätze (auf die verschiedenen Vollzugseinrichtungen und Insassengruppen), also nach der Verallgemeinerungsfähigkeit. In der neueren Diskussion werden gerade Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer ausgeprägten Psychologisierung und therapeutischen Orientierung der Vollzugspädagogik angemeldet; statt dessen verspricht man sich teilweise von Anleihen an der allgemeinen Pädagogik und an Theorie und Praxis der Sozialarbeit und Sozialpädagogik größere Chancen positiver Beeinflussung des Sozialisations- und Bildungsprozesses (Quensel 1981). Vor allem in ihren Konsequenzen stimmen sie weitgehend mit philosophisch orientierten Grundsatzvorstellungen der Erwachsenenbildung überein, die teils anthropologische, teils pädagogische Prämissen in das Konzept einbringen (Eberle 1980). Sie gehen etwa davon aus, daß der Mensch zugleich Subjekt seiner Geschichte und zu verantwortlichem Sozialverhalten berufen ist, daß sich dieses Verhalten an Rechts- und Sozialnormen zu orientieren hat, daß ihm aber von Staats wegen um der Freiheit und Entwicklung der Person willen auch der nötige Freiraum zu belassen ist. Danach soll die Erwachsenenbildung „die Vermittlung zwischen normativem Anspruch und vorgefundener Realität" leisten. Sie weist einen doppelten, den inhaltlichen Aspekt und den Handlungsaspekt auf: Erst die „Verbindung von realistischem Wissen, autonomem Bewußtsein und selbsttätigem Handeln" ermöglicht die Selbstverwirklichung des einzelnen im sozialen Raum, verschafft dem einzelnen jene Handlungskompetenz, die ihn in die Lage versetzt, zwischen subjektiver Freiheit und Selbstentfaltung sowie objektiven Anforderungen der Gesellschaft sinnvoll und sozial verantwortlich zu vermitteln. So verstandene Erwachsenenbildung beruht letztlich auf einer „Pädagogik der Autonomie", „der Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit also". Inhaltlich besteht sie in intellektueller (kognitiver), sittlicher (affektiver) sowie ästhetischer (politisch/sozialer) Bildung, denen sich jeweils bestimmte Zielsetzungen und Methoden (Integration von Theorie und Praxis/ Selbstorganisation, Konflikt- und Krisenbewältigung, Diskurs) sowie Prinzipien (Rationalität, Autonomie und Spontaneität, subjektives Interesse) zuordnen lassen (Eberle 1980). Sie kommt insofern dem Vollzugsziel des §2 StVollzG entgegen, als soziale Handlungskompetenz, d.h. die Fähigkeit, sich mit selbstbestimmtem und -verantwortetem Verhalten in gesellschaftliche Interaktionen einzubringen, gerade Voraussetzung für soziale Integration ist (Hansi, in: Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft etc. 1979). Erwachsenenbildung in diesem Sinne erschöpft sich also nicht nur in (gewiß unerläßlicher) Wissensvermittlung; über den kognitiven Bereich hinaus will sie auch den affektiv-emotionalen ansprechen.

Erfordert doch der Erwerb sozialer Kompetenz außer der Fähigkeit zum Gespräch und zur Praktizierung von Konfliktlösungsverhalten und -Strategien auch die Fähigkeit, seine eigenen Gefühle zu vertreten (Hansi, in: Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft etc. 1979). Dabei spielen lernpsychologische und gruppendynamische Erfahrungen und Erkenntnisse eine wesentliche Rolle. Sie erfordern eine entsprechende Strukturierung des „Lernfeldes" Strafvollzug, ohne die alle Bildungsbemühungen in den Vollzugsanstalten letztlich ein Torso blieben oder leerliefen (Eberle 1980).

3. Bedeutung der Erwachsenenbildung im Rahmen der Vollzugs- und Behandlungsmaßnahmen Inhalt und Anspruch einer solchen Erwachsenenbildung gehen erheblich über das traditionelle Konzept der Vollzugspädagogik hinaus. Sie beschränken die Erwachsenenbildung nicht allein auf den Ausgleich Wissens- und ausbildungsmäßiger Defizite, sondern beziehen die Lebensgeschichte, Sozialisation und gegenwärtige Lernsituation in Reflexion und Handeln ein. Insofern steht die Erwachsenenbildung in mehr oder minder unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vollzugsziel und der dem Gefangenen nach § 71 StVollzG zu leistenden sozialen Hilfe, die ihrerseits dem Vollzugsziel zugeordnet ist (Müller-Dietz 1978; Calliess 1981). Hiernach müssen die traditionellen Elemente der Erwachsenenbildung - wie etwa Unterricht, Vermittlung berufspraktischer Kenntnisse und Fertigkeiten, Anleitung zu sinnvoller Lektüre und Verwendung der Freizeit (einschließlich der Benutzung der Massenkommunikationsmittel) - in ein umfassenderes Konzept integriert werden, das auf soziales Lernen und Training, auf die Aufarbeitung lebensgeschichtlicher Defizite und Fehlhaltungen hin angelegt ist. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Strafvollzug dies zu leisten vermag, ob er etwa entsprechende Lernbedingungen schaffen kann, fällt weitgehend mit der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung im Rahmen des Freiheitsentzuges zusammen (dazu IV A4).

Sicher bereitet die Verwirklichung eines solchen Konzepts schon deshalb Schwierigkeiten, weil Bedeutung und Stellenwert der verschiedenen Vollzugsmaßnahmen im Verhältnis zueinander noch nicht einmal auf der theoretischen Ebene zureichend geklärt sind. Zwar werden der Arbeit und beruflichen Ausbildung heute nicht mehr jene überragende Rolle zugeschrieben, die ihr die frühere Vollzugsdoktrin beigelegt hat (Müller-Dietz 1973 a; 1973b; Cyprian 1977; Kaiser, Kerner 1982). Gerade angesichts der Häufung verschiedener Sozialisationsdefizite hat sich der Schwerpunkt der Theorie zum sozialen Lernen und Training hin verschoben. Indessen fehlt es bis heute an einem bis in die

Strafvollzug: Erwachsenenbildung praktischen Konsequenzen hinein durchdachten Konzept, das die verschiedenen „Lernfelder" Arbeit, Ausbildung, Freizeitgestaltung, soziales Training, Therapie in ein sachgerechtes, d. h. Sozialisationserfordernissen und Vollzugsbedingungen entsprechendes Verhältnis zueinander bringt. So ist bis in die Gestaltung des Tagesablaufs und die organisatorische Gestaltung der Vollzugsanstalten hinein der Vorrang der Arbeit zumindest de facto bestehengeblieben. Lediglich der Alternativ-Entwurf eines StVollzG hat sich darum bemüht, die verschiedenen Lernfelder in zeitlicher und institutioneller Hinsicht zu gewichten, um daraus im einzelnen Konsequenzen für den inneren Aufbau der Vollzugsanstalt abzuleiten (Baumann 1973; Calliess 1981). In seinem Konzept nehmen denn auch Bildungsmaßnahmen neben therapeutischen einen stärkeren Rang ein, als es derzeit in der Vollzugspraxis der Fall ist.

4. Institutionelle und personelle Hemmnisse der Erwachsenenbildung in der Vollzugsanstalt Die Schwierigkeiten, die sich der praktischen Umsetzung des Behandlungsgedankens entgegenstellen, wirken sich auch negativ auf Ausgestaltung und Durchführung von Maßnahmen der Erwachsenenbildung aus (Niemeyer 1979; Kaiser, Kerner, Schöch 1982). Sie sind im wesentlichen dreifacher Natur: Zum einen behindern die durch den Freiheitsentzug bedingten Reglementierungen und Restriktionen die Bildungsarbeit. Zum zweiten belasten organisatorische und personelle Probleme die Bildungsmaßnahmen. Schließlich stehen vielfach die bereits angedeutete Persönlichkeits- und Motivationsstruktur der Insassen sozialem Lernen und Training hindernd im Wege. Dabei ist nicht zu übersehen, daß sich diese verschiedenen Faktoren nicht nur gegenseitig ergänzen, sondern in ihrer Wirkung gleichsam einander hochschaukeln können mit der Folge, daß die damit verbundenen psycho-sozialen Lernbarrieren, wenn überhaupt, nur mit erheblichen Anstrengungen zu überwinden sind. Zunächst einmal stellt schon der Freiheitsentzug per se eine ungünstige Bedingung für Bildungsarbeit dar. Die zwangsweise Zusammenfassung einer größeren Anzahl von Menschen auf verhältnismäßig engem Raum bringt eine Reihe institutioneller Folgeprobleme hervor, die in aller Regel die Durchführung von (Aus-)Bildungsmaßnahmen beeinträchtigen. Im Vordergrund steht namentlich das Erfordernis, Sicherheit und Ordnung in der Vollzugsanstalt aufrechtzuerhalten, d. h. die immanente Zielsetzung, Ausbruch oder Entweichung sowie (physische) Aggressionen zu verhindern oder wenigstens zu bekämpfen. Darüber hinaus richtet sich das Interesse vieler Mitarbeiter, vor allem der für die Überwachung verantwortlichen, auf mög-

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lichst störungsfreien Tagesablauf. In gewisser Hinsicht gilt dies auch für die Ausgestaltung der Arbeit in den Betrieben. Hieraus resultiert ein mehr oder minder starkes Kontrollsystem, das meist baulich und personell abgesichert ist. Freiräume, welche die Erwachsenenbildung - in jedem Sinne des Wortes - benötigt, werden dadurch eingeengt, die Gestaltungsfreiheit der Insassen und der in der Bildungsarbeit stehenden Mitarbeiter (namentlich der Lehrer) beschnitten. Insofern sind die Gefangenen und die Fachdienste in freilich verschiedenem Ausmaß von den vollzugsimmanenten Restriktionen und Reglementierungen betroffen. Diese Auswirkungen sind natürlich unterschiedlich, je mehr die jeweilige Vollzugsanstalt dem Typus einer sog. totalen Institution mit hohem Sicherheitsgrad (Goffman) oder einer nach innen und außen weitgehend offenen Übergangseinrichtung angenähert ist. In mehr oder minder unmittelbarem Zusammenhang damit steht die Organisations- und Kommunikationsstruktur der Vollzugsanstalt. Auch sie erschwert häufig die Bildungsarbeit. Zum einen führt der hierarchische Aufbau der Anstalt dazu, daß die Entscheidungsbefugnis in allen Fragen - von den Fällen der Verantwortungsdelegation (§156 Abs. 2 Satz 2 StVollzG) einmal abgesehen - beim Anstaltsleiter konzentriert ist und daß die übrigen Mitarbeiter dann folgerichtig davon ausgeschlossen sind. Zum anderen hat die strenge Aufgliederung der Vollzugsanstalt in verschiedene Zuständigkeitsbereiche jedenfalls in solchen Einrichtungen, in denen keine institutionalisierten Formen der Kooperation existieren, zur Folge, daß Vollzugsmaßnahmen ihrer tatsächlichen Bedeutung nach nicht hinreichend gewichtet und aufeinander abgestimmt sind. Erfahrungsgemäß leiden darunter dann vor allem diejenigen Bereiche, die - wie die Erwachsenenbildung eher eine randständige denn eine zentrale Rolle im Vollzugsgeschehen spielen. Das zahlenmäßige Übergewicht derjenigen Mitarbeiter, die primär zur Sicherung der Vollzugsabläufe und Kontrolle der Gefangenen verpflichtet sind, setzt für sich schon Schwerpunkte in der Erfüllung der Vollzugsaufgaben, welche die relativ wenigen Mitarbeiter der Fachdienste oft kaum noch entscheidend verändern können. Es kommt hinzu, daß mancherorts die personellen, finanziellen und räumlichen Voraussetzungen für qualifizierte Bildungsarbeit fehlen, so daß sich schon deshalb die Priorität anderer Vollzugsbereiche faktisch behaupten kann. Schließlich wirkt sich die bereits erwähnte Persönlichkeits- und Motivationsstruktur vieler Insassen (IV A 1) hemmend auf die Bildungsarbeit aus. Wenn sich auch die Gefangenen - entgegen früheren Annahmen - hinsichtlich ihrer intellektuellen Ausstattung nicht wesentlich von der sog. Normalbevölkerung unterscheiden (Kaiser, Kerner, Schöch 1982), so sind doch die lebensgeschichtlich und altersmäßig bedingten Lernbarrieren oft recht hoch. Ohnehin nimmt die Bereitschaft zu lernen

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mit zunehmendem Alter ab. Nicht selten fehlt sie auf Grund von Sozialisationsdefiziten bei Gefangenen von vornherein. Deshalb ist oft schon ein wesentlicher Schritt getan, wenn es gelingt, den Gefangenen zur aktiven Mitarbeit zu motivieren, etwa sich an (Aus-)Bildungsmaßnahmen zu beteiligen unabhängig davon, ob die Mitwirkung zu einem Abschluß führt oder gar die Resozialisierung positiv beeinflußt (Müller-Dietz 1978; Calliess 1981). Umgekehrt wirken sich die äußeren Rahmen- und Lernbedingungen des Freiheitsentzuges als negative Verstärker mangelnder Lernfähigkeit und -bereitschaft aus. Tendenziell sind somit die situativen und personellen Umstände im Strafvollzug der Erwachsenenbildung eher abträglich. Dies ist ja auch ein wesentlicher Grund dafür, weshalb im ganzen die Chancen resozialisierender Einwirkung auf Straftäter unter den Bedingungen des Freiheitsentzugs überaus zurückhaltend bis kritisch beurteilt werden (Deimling 1980; Müller-Dietz 1980).

B. Die rechtliche Regelung der Erwachsenenbildung im Strafvollzug Für die rechtliche Ausgestaltung der Erwachsenenbildung im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland sind in erster Linie die Vorschriften des seit 1.1. 1977 geltenden StVollzG maßgebend. Daneben sind aber auch die Regelungen des Berufsförderungsrechts, namentlich das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vom 25. 6. 1969 (BGBl. I 582) i . d . F . des Gesetzes vom 22. 12. 1981 (BGBl. I 1497) und das Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz = BaföG) vom 9. 4.1976 (BGBl. 1989) i. d. F. vom 23. 12. 1981 (BGBl. 11692) von Bedeutung. Ferner sind ergänzend die verschiedenen Landesgesetze zur Erwachsenenbildung heranzuziehen (Bockemühl 1977). Diese komplexe Rechtslage spiegelt einmal mehr die bipolare Lage der Erwachsenenbildung im Strafvollzug wider, die einerseits den Aufgaben und Maßnahmen des Vollzugs zugeordnet ist, andererseits aber auch durch die Zielvorstellungen und Ausgestaltung der Erwachsenenbildung in der freien Gesellschaft beeinflußt wird.

1. Die Regelungen des StVollzG a) D i e i n h a l t l i c h e A u s g e s t a l t u n g d e r E r w a c h s e n e n b i l d u n g im S t V o l l z G . Anders als die DVollzO enthält das StVollzG keine systematische, von sonstigen Regelungsmaterien getrennte Zusammenfassung der Vorschriften über die Erwachsenenbildung. Vielmehr ist ein Großteil der einschlägigen Bestimmungen in den Titel integriert, der die Regelungen der Arbeit und des Arbeitsentgeltes zusammenfaßt: „Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung" (§§37-52 StVollzG). Das

StVollzG erkennt damit die grundsätzliche Gleichrangigkeit von Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung an (Müller-Dietz 1978; Calliess 1981). Es hat dadurch normativ den Anschluß an die heutige Bildungskonzeption vollzogen, die im wesentlichen auch dem Alternativ-Entwurf zugrundeliegt (Baumann 1973; Calliess 1974). Weitere einschlägige Regelungen finden sich in den Vorschriften über den Vollzugsplan (§ 7 StVollzG), die Freizeitgestaltung (§§67-70 StVollzG) sowie in einer ganzen Reihe von Bestimmungen, die Strukturfragen der Vollzugsanstalt wie etwa die organisatorische, personelle und räumliche Gliederung - zum Gegenstand haben (§§ 145, 148,149, 154,155 StVollzG). Letztere Vorschriften sollen gewissermaßen die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für die Bildungsarbeit im Strafvollzug schaffen helfen. Die grundsätzliche Gleichrangigkeit der Erwachsenenbildung mit anderen Vollzugsbereichen und -maßnahmen kommt zunächst darin zum Ausdruck, daß das StVollzG Maßnahmen der beruflichen Förderung und Weiterbildung ebenso wie die Beschäftigung des Gefangenen und die Maßnahmen sozialer Hilfe und Therapie zu jenen Behandlungsmaßnahmen rechnet, die in den Vollzugsplan aufzunehmen sind (§7 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StVollzG). Der Vollzugsplan soll als „Rahmen-Plan" (Calliess) diejenigen Maßnahmen festlegen und koordinieren, die zur Behandlung des einzelnen Gefangenen notwendig erscheinen und denen allgemein besondere Bedeutung für dessen Resozialisierung beigelegt wird. Dabei dient einerseits die Orientierung am Vollzugsziel, andererseits die Berücksichtigung spezifischer Vorbelastungen und Bedürfnisse des einzelnen Gefangenen, die im Wege der Persönlichkeitserforschung zu ermitteln sind (§6 StVollzG), als Maßstab. Angesichts der erheblichen bildungsund wissensmäßigen Defizite, die viele Gefangene aufzuweisen haben (IV A 4), kommt der Erwachsenenbildung im Spektrum der verschiedenen Vollzugsbereiche besonderes Gewicht zu. Das erkennt §37 Abs. 3 StVollzG etwa für den Bereich der beruflichen Bildung an, indem er die Vollzugsbehörde dazu verpflichtet, geeigneten Gefangenen entsprechende Ausbildungsmöglichkeiten zu eröffnen. Nach der Systematik des Gesetzes lassen sich insgesamt drei Bereiche der Weiterbildung voneinander unterscheiden: Zum einen kennt es erwerbsbezogene Ausbildungsmaßnahmen, die auf Erhaltung oder auf Schaffung einer beruflichen Existenz gerichtet sind, den Gefangenen also in die Lage versetzen sollen, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu sichern (§37 Abs. 1 StVollzG). Insoweit hat das StVollzG die von § 1 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz vorgenommene Dreiteilung der beruflichen Förderung in Berufsausbildung, berufliche Fortbildung und Umschulung übernommen. Sie soll die individuell verschiedenen Erfordernisse und

Strafvollzug: Erwachsenenbildung Möglichkeiten beruflicher (Aus-) Bildung verdeutlichen (Schausten 1977). Daß berufliche Ausbildung und Umschulung auch berufsbildenden Unterricht umfassen müssen, stellt das StVollzG ausdrücklich klat (§38 StVollzG). Zum zweiten sieht das StVollzG „andere ausbildende oder weiterbildende Maßnahmen" vor (§ 37 Abs. 3 StVollzG). Sie brauchen keineswegs berufsbezogen zu sein. Dazu gehört vor allem die schulische Aus- und Weiterbildung, die wiederum allen geeigneten Gefangenen offenstehen soll (§37 Abs. 3 StVollzG). Einen besonderen Fall stellt in diesem Zusammenhang derjenige Unterricht dar, der auf Vermittlung des Hauptschulabschlusses zielt oder dem Gefangenen wenigstens die Gelegenheit geben soll, Wissen auf dem Niveau der Sonderschule zu erwerben (§38 StVollzG). Der dritte Bereich der Weiterbildung, die allgemeine soziale Ausbildung, die nach §72 StVollzG des Alternativ-Entwurfs vor allem dazu dienen soll, dem Gefangenen konkrete Lebenshilfen und soziale Fertigkeiten zu vermitteln, ist im StVollzG zwar nicht ausdrücklich geregelt, aber vom Begriff der „anderen ausbildenden und weiterbildenden Maßnahmen" mitumfaßt. Hier geht es der Hauptsache nach darum, dem Gefangenen zu sozialer Kompetenz zu verhelfen. Wenigstens insoweit erscheint denn auch der Rückgriff auf das heutige Konzept der Erwachsenenbildung (Eberle 1980) zur inhaltlichen Strukturierung der Bildungsmaßnahmen nicht nur sinnvoll, sondern geradezu notwendig (IV A 2). Welche der verschiedenen Maßnahmen im Einzelfall in Betracht kommt, ergibt sich jeweils aus dem Vollzugsplan (§7 StVollzG), der seinerseits auf der Grundlage individueller Lerndefizite und -möglichkeiten zu erstellen ist. Daß die Teilnahme an Maßnahmen der Erwachsenenbildung allemal freiwillig ist (§41 Abs. 2 StVollzG), ergibt sich schon aus allgemeinen Grundsätzen; ein Zwang wäre verfassungsrechtlich bedenklich und würde auch dem Selbstverständnis der Erwachsenenbildung zuwiderlaufen. Davon zu unterscheiden ist das Bemühen der Vollzugsbehörde um Motivierung des Gefangenen; hierzu sind die Mitarbeiter schon deshalb verpflichtet, weil in vielen Fällen die freiwillige und spontane Mitwirkung des Gefangenen nicht vorausgesetzt werden kann (§4 Abs. 1 StVollzG). Dem Gleichrang von Weiterbildung und Arbeit entspricht es, daß aus- und weiterbildende Maßnahmen während der Arbeitszeit stattfinden, soweit sie eben an Stelle der Arbeit treten und damit die grundsätzlich bestehende Arbeitspflicht (§41 Abs. 1 StVollzG) substituieren. Für die Erteilung von Unterricht legt dies das StVollzG in § 38 Abs. 2 ausdrücklich fest. Im übrigen bleibt es dem Gefangenen unbenommen, seine Freizeit zur Teilnahme an Veranstaltungen der Weiterbildung zu nutzen. Die Vollzugsbehörde ist gehalten, ihm die Teilnahme an solchen Veranstaltungen zu ermöglichen;

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freilich steht ihm ein Rechtsanspruch auf Beteiligung an bestimmten Veranstaltungen nicht zu. Im einzelnen erwähnt das StVollzG beispielshalber Unterricht, , Fernunterricht, Lehrgänge, sonstige Veranstaltungen der Weiterbildung, Gruppengespräche und die Benutzung einer Bücherei (§67 StVollzG). Bücher und andere Gegenstände, die der Gefangene zur Fortbildung benötigt, sind ihm grundsätzlich zu überlassen; sie dürfen ihm nur im Falle von Rechtsverletzungen oder konkreten Gefährdungen der Sicherheit vorenthalten werden (§70 StVollzG). Auch insoweit will das StVollzG darauf hinwirken, daß der Gefangene sich seinen persönlichen Fähigkeiten und Interessen entsprechend in möglichst weitgehendem Umfang weiterbilden kann. b) Die R e g e l u n g i n s t i t u t i o n e l l e r und o r g a n i s a t o r i s c h e r V o r a u s s e t z u n g e n im S t V o l l z G . Die institutionellen und organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Erwachsenenbildung sind im StVollzG nicht im gleichen Maße ausgeprägt wie die inhaltlichen Vorgaben. Dies hängt mit der allgemeinen Zurückhaltung dieses Gesetzes in der Regelung von Organisations- und Personalfragen zusammen (Müller-Dietz 1978). Immerhin eröffnen die Strukturnormen des StVollzG einen Organisations- und Handlungsspielraum, der dem Konzept der Erwachsenenbildung gemäß ausgefüllt werden kann. Danach hat die Gliederung der Vollzugsanstalten den Behandlungsbedürfnissen ihrer Insassen Rechnung zu tragen (§ 143 Abs. 1 StVollzG). Um eine dem Vollzugsziel entsprechende Behandlung zu ermöglichen, sind die Anstalten in überschaubare Vollzugseinheiten zu gliedern (§ 143 Abs. 2 StVollzG). Das StVollzG schreibt damit den Wohngruppenvollzug zugleich als Gestaltungsprinzip und Form (Erfahrungsraum) sozialen Lernens fest (Schulte-Altedorneburg 1977; Calliess 1981). Ein solcher Rahmen bietet auch und gerade der Erwachsenenbildung Entfaltungsmöglichkeiten. In gleicher Weise soll die räumliche Differenzierung und Ausstattung schließlich der beruflichen Förderung Rechnung tragen. Dies bedeutet, daß die Vollzugsanstalten in ausreichendem Maße über entsprechende Räumlichkeiten verfügen müssen (§ 145 StVollzG). In personeller Hinsicht geht das StVollzG davon aus, daß die Vollzugsanstalten mit denjenigen Mitarbeitern und Fachkräften ausgestattet sind, die sie zur Erfüllung ihrer verschiedenen, teilweise recht heterogenen und komplexen Aufgaben benötigen (§155 Abs. 2 StVollzG). Wenn das Gesetz auch davon abgesehen hat, nach dem Vorbild früherer Entwürfe die Einrichtung eines sog. Dienstes für Erwachsenenbildung vorzuschreiben, so will es doch offenbar diesen Tätigkeitsbereich vorrangig den Pädagogen (Lehrern) zugewiesen wissen (Müller-Dietz 1978); dies entspricht in der Sache den

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bisherigen Konzeptionen über die Erwachsenenbildung im Strafvollzug (Müllges 1973; Deimling/Lenzen 1974; Rückert 1974; Linnenbaum/Lührmann 1976; Deimling 1978; 1979; Ballhausen 1979; Niemeyer 1979; Eberle 1980). Indessen ist damit natürlich kein Ausschließlichkeitsanspruch für Angehörige bestimmter Berufe verbunden; vielmehr geht es lediglich darum, Schwerpunkte in der Zuordnung von Aufgabenbereichen je nach fachlicher Qualifikation der Mitarbeiter zu setzen. Insofern partizipieren auch Angehörige anderer Dienste der Vollzugsanstalt an der Erwachsenenbildung; ein Beispiel dafür stellt die Beteiligung des Werkdienstes an Maßnahmen beruflicher Förderung dar. Nicht zuletzt hängt die sinnvolle Gestaltung der Erwachsenenbildung - ebenso wie die Strukturierung anderer Tätigkeitsfelder des Strafvollzugs - davon ab, daß die daran beteiligten Mitarbeiter ihrer allgemeinen Kooperationspflicht genügen (§ 154 StVollzG); dies erfordert laufenden Erfahrungsaustausch und gegenseitige Abstimmung der verschiedenen Vollzugsmaßnahmen. Nach der Grundkonzeption des StVollzG soll die Erwachsenenbildung keineswegs ausschließlich in den Händen des Strafvollzugs und seiner Mitarbeiter liegen. Vielmehr sollen auch freie (ehrenamtliche) Mitarbeiter und Einrichtungen außerhalb der Vollzugsanstalt daran beteiligt werden. Dabei bieten sich - je nach Bereich - verschiedene Anknüpfungspunkte an. Zum einen geht es generell darum, mit denjenigen Vereinigungen und Stellen des Arbeits· und Wirtschaftslebens zusammenzuarbeiten, die vorrangig zur beruflichen Integration des Gefangenen beitragen können (§ 148 StVollzG). Das ist vor allem die Bundesanstalt für Arbeit, der ja nach § 3 Abs. 2 AFG die Aufgaben der Berufsberatung, Arbeitsvermittlung und Förderung der beruflichen Bildung obliegen. Daneben kommen etwa die Handwerkskammern und -Innungen, die Industrie- und Handelskammern, die Berufsschulen sowie die Volkshochschulen in Betracht. Das StVollzG verpflichtet die Vollzugsbehörde dementsprechend dazu, die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, die ein solches „Verbundsystem" zwischen jenen Institutionen und den Vollzugsanstalten herstellen und gewährleisten. Das hat z. B. zur Folge, daß Berufsberater der Arbeitsämter in Vollzugsanstalten regelmäßig Sprechstunden abhalten und als ständige Gesprächspartner für Lehrer und Sozialarbeiter fungieren. Ferner sieht das StVollzG in § 149 Abs. 3 vor, daß Maßnahmen der beruflichen Bildung in Betrieben der freien Wirtschaft durchgeführt werden können. Des weiteren kann es nach dem Gesetz Gefangenen ermöglicht werden, staatliche oder freie Bildungseinrichtungen außerhalb des Strafvollzugs (z.B. Schulen, Volkshochschulen) zu besuchen. Dies kommt namentlich dann in Betracht, wenn sich der Gefangene im offenen Vollzug (§ 10 Abs. 1 StVollzG) befindet oder den Status eines Freigän-

gers hat (§11 Abs. 1 Nr. 1). Schließlich ist auch denkbar, daß sich Fachkräfte oder Laien - je nach Eignung und Interessen - an Maßnahmen der Erwachsenenbildung innerhalb der Vollzugsanstalt beteiligen. Das StVollzG sieht ein solches Engagement nicht nur vor, sondern auch als erwünscht an (§ 154 Abs. 2 StVollzG). Dieser „Öffnung des Strafvollzugs" liegen im wesentlichen zwei Überlegungen zugrunde. Die angestrebte Intensivierung der Erwachsenenbildung ist, wenn überhaupt, nur mit Hilfe außervollzuglicher Kräfte und Einrichtungen praktisch zu verwirklichen. So dürften auch bei einem weiteren Ausbau der Personalstruktur die personellen und sachlichen Ressourcen des Strafvollzugs jedenfalls in absehbarer Zeit nicht ausreichen, um jenes Konzept in die Praxis umzusetzen. Noch wesentlicher erscheint aber der Gesichtspunkt, daß der Strafvollzug um der sozialen Integration seiner Insassen willen in jeder nur erdenklichen Weise die Bildungsmöglichkeiten der freien Gesellschaft nutzen muß, da Leistung, Bildung und soziale Kompetenz von dorther definiert werden. Die Erfahrung zeigt, daß eine weitgehende Abkapselung des Strafvollzugs von der Außenwelt die Lernsituation seiner Insassen verschlechtert und damit auch die Chancen einer Resozialisierung verringert.

2. Regelungen des Berufsförderungs- und Erwachsenenbildungsrechts Die zunehmende Bedeutung, welche die Erwachsenenbildung auf Grund des gesellschaftlichen Wandels gewonnen hat, kommt nicht zuletzt in einer erheblichen Ausweitung des Rechts der Ausbildungsförderung und beruflichen Bildung zum Ausdruck. Setzen die einschlägigen Gesetze, das Berufsbildungsgesetz, das BaföG und das AFG, Akzente hinsichtlich der schulischen Förderung und Berufsvorbereitung, so enthalten die Erwachsenenbildungsgesetze der Länder mehr oder minder programmatische Aussagen zur Zielsetzung und Funktion der Erwachsenenbildung (Bockemühl 1977). Das StVollzG selbst hat im wesentlichen inhaltliche Anleihen beim Recht der beruflichen Bildung und Förderung aufgenommen. Der Grundtenor dieser Regelungen lautet: Die Einrichtungen und Möglichkeiten, welche das Recht der Erwachsenenbildung und beruflichen Förderung vorsieht, sollen im Prinzip auch den Gefangenen zugutekommen (Hoppe 1974; Joppe 1977; Müller-Dietz 1978; Calliess 1981). Der Sache nach geht es dabei vor allem um eine überaus differenzierte und qualifizierte Aus- und Weiterbildung, die zugleich den Anforderungen des Arbeitsmarktes und der wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung trägt, um Ausbildungs- und Berufsberatung sowie um Arbeitsvermittlung. Den Rahmen der beruflichen Bildung stecken namentlich das Berufsbildungsgesetz und das AFG

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Strafvollzug: Erwachsenenbildung ab. Nach dem Berufsbildungsgesetz geht es zum einen um die Vermittlung einer breit ausgelegten beruflichen Grundbildung sowie der für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit erforderlichen fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten (§ 1 Abs. 2 Berufsbildungsgesetz). Die berufliche Fortbildung soll dazu dienen, die beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu erhalten, zu erweitern, der technischen Entwicklung anzupassen oder beruflich aufzusteigen (§ 1 Abs. 3 Berufsbildungsgesetz). Die berufliche Umschulung soll zu einer anderen beruflichen Tätigkeit befähigen (§ 1 Abs. 4 Berufsbildungsgesetz). Im Mittelpunkt steht hier ebenso wie im BaföG die Regelung der individuellen (beruflichen oder Ausbildungs-)Förderung. Demgegenüber kennt das AFG neben der individuellen Förderung der beruflichen Bildung (§§ 33 ff. AFG) auch eine entsprechende institutionelle Förderung (§§50 ff. AFG). Hiernach kann die Bundesanstalt für Arbeit Darlehen und Zuschüsse für den Aufbau, die Erweiterung und Ausstattung von Einrichtungen (z. B. Lehrwerkstätten) gewähren, die der beruflichen Bildung dienen. Diese Möglichkeiten kann auch grundsätzlich der Strafvollzug nutzen. Die prinzipielle Gleichstellung des Gefangenen mit dem freien Bürger auf dem Gebiet der beruflichen Bildung hat zur Folge, daß er unter den gleichen Voraussetzungen gegen das Arbeitsamt einen Anspruch auf derartige Förderungsmaßnahmen hat (Franke 1979). Die erforderliche Eignung festzustellen ist Sache des Arbeitsamtes. Steht die Eignung des Gefangenen fest, darf die Vollzugsbehörde die Teilnahme an einer Berufsförderungsmaßnahme des Arbeitsamtes nur dann ablehnen, wenn sie nicht in der Lage ist, die zur Durchführung notwendigen sachlichen Voraussetzungen (z. B. Ausbildungsplätze) zu schaffen, oder wenn die Teilnahme erhebliche Gefährdungen der Sicherheit mit sich brächte (§4 Abs. 2 StVollzG). An dieser weitgehenden, wenngleich nicht völligen Egalisierung der Stellung des Gefangenen und des freien Bürgers wird deutlich, in welchem Maße jedenfalls Teile des Erwachsenenbildungskonzepts normativ Eingang in den Strafvollzug gefunden haben. Demgegenüber haben die Erwachsenenbildungsgesetze für den Strafvollzug eher mittelbare Bedeutung. Sie lassen aber in ihren programmatischen und organisatorischen Aussagen immerhin den allgemeinen staatlichen und gesellschaftlichen Rahmen erkennen, in den letztlich auch die Erwachsenenbildung im Strafvollzug eingebettet ist. Das wird etwa an den zentralen Fragestellungen deutlich (Bockemühl 1977), die sich - zumindest auf dem Umweg über öffentliche und freie Träger der Erwachsenenbildung - dem Strafvollzug mitteilen. Da geht es zum einen um die Festlegung der politischen, gesellschaftlichen und pädagogischen Ziele der Erwachsenenbildung, zum zweiten um das Verhältnis von öffentlichen und freien Trägern und

Einrichtungen der Erwachsenenbildung und schließlich um die Frage, ob die Erwachsenenbildung in das Gesamtbildungssystem integriert oder selbständig sein soll. In modifizierter Form stellen sich diese Fragen auch der Erwachsenenbildung im Strafvollzug. Paradigmatisch dafür ist nicht zuletzt das Problem der Zusammenarbeit (mit anderen Einrichtungen und Trägern), das in der freien Gesellschaft praktisch so überaus bedeutsam geworden ist (Helmer 1978). Es schlägt sich gleichermaßen in der Bildungsarbeit der Vollzugsanstalten nieder, die inzwischen in erheblichem Umfange von außervollzuglichen Einrichtungen und Personen getragen wird und deshalb nur auf der Grundlage enger Kooperation lebensfähig ist.

C. Zur tatsächlichen Lage der Erwachsenenbildung im Strafvollzug 1. Überblick Repräsentative empirische Erhebungen zur Lage der Erwachsenenbildung im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland fehlen bis zum heutigen Tage. Außer konzeptionellen Studien (Müllges 1973; Deimling/Lenzen 1974; Rückert 1974; 1976; Deimling 1978; 1979; Ballhausen 1979; Eberle 1980) liegen im wesentlichen nur Erfahrungsberichte vor, die entweder über bestimmte Projekte/Modelle oder über einzelne Vollzugsanstalten informieren (Schüler 1972; 1973; Müllges 1973; Drumm 1973; Schmitt-Wallraff 1973; Brick 1976; Souchier 1976; Deiters in: Schwind/Blau 1976; Berufliche Resozialisierung 1977; Pilger-MichellettoAVehle 1977; 1978; Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft 1979; Spitzcok von Brisinski 1979; Niemeyer 1979; Dezernat für Schule und Bildung 1979; Rechtspflege Nordrhein-Westfalen 1979; Neufeind 1979; Pendön 1979; Diederichsen 1980; Schlebusch 1980; Wendland 1980). In der Hauptsache lassen diese Berichte drei Schwerpunkte der Erwachsenenbildung erkennen: Zum einen geht es um den Bereich der beruflichen Förderung, zum zweiten um schulische und allgemeinbildende Angebote und schließlich um Vollzugsgruppenarbeit und Soziales Training.

2. Schwerpunkte der Erwachsenenbildung a) S c h w e r p u n k t a n s t a l t e n u n d M a ß n a h m e n d e r b e r u f l i c h e n F ö r d e r u n g . Mit dem Ausbau des Rechts der beruflichen Förderung, der namentlich den Aufgabenbereich der Bundesanstalt für Arbeit auf eine neue Grundlage stellte (IV Β 2), sind auch die tatsächlichen Möglichkeiten der beruflichen Bildung im Strafvollzug gewachsen. Finanzielle und personelle Unterstützung durch die Bundesanstalt und durch das Berufsförderungswerk

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des DGB schufen die Voraussetzungen dafür, daß neue Ausbildungsplätze geschaffen, die Zahl der Ausbildungsberufe vermehrt und integrierte Programme der beruflichen Förderung praktisch ins Werk gesetzt werden konnten. Im Gefolge dieser Entwicklung sind in verschiedenen Vollzugsanstalten Schwerpunkte der beruflichen Bildung im Zusammenwirken von Bundesanstalt für Arbeit, Berufsförderungswerk des DGB und Landesjustizverwaltungen entstanden. Beispiele dafür stellen die Berufsförderungsstätten und Berufsbildungszentren in den Vollzugsanstalten Bochum-Langendreer, Geldern und Zweibrücken dar. Verschiedentlich ist das Berufsfortbildungswerk Träger der Einrichtung. Es stellt dann die Ausbilder und Lehrkräfte für die praktische Unterweisung und den theoretischen Unterricht; in fachlicher Hinsicht unterstehen die Ausbilder der Vollzugsanstalt den Weisungen dieser Lehrkräfte. Die Gefangenen, die berufliche Förderung erfahren sollen, werden jeweils zuvor auf ihre Eignung durch Fachkräfte überprüft. Das Spektrum der Ausbildungsberufe reicht vom Kraftfahrzeugmechaniker, Betriebsschlosser, Werkzeugmacher, Drucker, Setzer bis hin zum Elektroingenieur, technischen Zeichner und Bürokaufmann. Es spiegelt insbesondere Trends in der Nachfragesituation des Arbeitsmarktes wider; das erklärt sich nicht zuletzt aus der Verpflichtung der Bundesanstalt, sich auch im Rahmen der beruflichen Förderung an der Lage auf dem Arbeitsmarkt und der Entwicklung der Berufe zu orientieren. Vielfach sind diese Schwerpunktanstalten für den Bereich eines Landes oder - auf Grund von Vollzugsvereinbarungen (§ 150 StVollzG) - mehrerer Länder zuständig. Darüber hinaus nutzen eine ganze Reihe weiterer Vollzugsanstalten - namentlich auf der Basis des gelockerten oder offenen Vollzugs - Aus- und Weiterbildungsangebote öffentlicher und freier Träger der Erwachsenenbildung sowie der freien Wirtschaft. Dabei ist die Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern, den Handwerkskammern sowie den Industrie- und Handelskammern von wesentlicher Bedeutung. In manchen Bundesländern sucht man sämtliche Gefangene, die einer beruflichen Bildung bedürfen, systematisch zu erfassen, um auf diese Weise das Zufallsprinzip, das vielerorts eine Rolle spielt, auszuschalten und eine sachgerechte Durchführung von Förderungsmaßnahmen zu ermöglichen. Über die Einrichtungen der beruflichen Bildung, die derzeit in den Vollzugsanstalten existieren, informiert eine Dokumentation der Bundesanstalt für Arbeit; sie enthält gleichzeitig Angaben über Ziel, Dauer und Träger der Ausbildung sowie über die Teilnahmevoraussetzungen (Bundesanstalt für Arbeit 1981). b) U n t e r r i c h t und Wissensvermittl u n g . Einen zweiten Schwerpunkt der Erwachsenenbildung stellt der Ausgleich schulischer und

bildungsmäßiger Defizite durch gezielte Unterrichtsangebote mit entsprechenden Abschlüssen dar. Zwar gab es in verschiedenen Vollzugsanstalten für Gefangene früher schon die Möglichkeit, durch Teilnahme am Unterricht in Grundschulfächern Wissenslücken zu schließen und sich in speziellen Gebieten (z. B. Sprachen) fortzubilden. Doch wurden erst in neuerer Zeit Konzepte entwikkelt, welche die schulische Ausbildung und Wissensvermittlung stärker in die Didaktik und Methodik der Erwachsenenbildung integrierten, zugleich aber auch den Lernbarrieren und -defiziten der Insassen Rechnung zu tragen suchten. Dies bedeutet einerseits etwa Abkehr vom Frontalunterricht unter Hinwendung zum dialogischen Gespräch und zur Gruppenarbeit, andererseits Vermittlung von Lernfähigkeit, Abbau von Ängsten und Aggressionen, Überwindung emotionaler und affektiver Widerstände gegen die Wissensvermittlung durch gruppendynamische Einführungsveranstaltungen, welche den Interessen und psychischen Bedürfnissen der Teilnehmer entgegenkommen. Teilweise wurde diese konzeptionell stärker abgesicherte Form von Erwachsenenbildung institutionalisiert (z.B. Pädagogisches Zentrum Münster); teilweise wurde sie in die Tätigkeit der örtlich zuständigen Volkshochschulen (z. B. in Bremen) oder in die Vollzugsgruppenarbeit (z.B. in Hannover) integriert. Dabei liegt ein Hauptgewicht der Bildungsarbeit in der Vermittlung von Hauptschul- und Realschulabschlüssen. Die Erfahrungen lassen erkennen, daß ein nicht unerheblicher Teil ehemaliger Sonderschüler unter der Voraussetzung zum Hauptschulabschluß geführt werden kann, daß entsprechende Motivationsprozesse in Gang gesetzt und vollzugsbedingte Hemmnisse abgebaut werden. c) S o z i a l e s T r a i n i n g . Verschiedenenorts sind Unterrichtskurse und Wissensvermittlung eingebettet in ein Gesamtkonzept, das dem Gefangenen im Sinne der neueren Vorstellungen zur Erwachsenenbildung zur sozialen Kompetenz verhelfen will. Hier steht in aller Regel der Gesichtspunkt sozialen Lernens im Vordergrund, das auf Problemlösung und sinnvolle Lebensbewältigung und damit letztlich auf gesellschaftliche Eingliederung gerichtet ist. Beispiele dafür stellen das seit einiger Zeit (z. B. in Berlin-Tegel) in der Erprobung befindliche Konzept des Sozialen Trainings sowie das Frankfurter Modell zur sozialen Rehabilitation und Berufsausbildung weiblicher Strafgefangener dar. In gewisser Weise lassen sich hier auch die Bemühungen öffentlicher und freier Träger, gemeinnütziger Vereinigungen sowie von ehrenamtlichen Vollzugshelfern einordnen, teils auf gruppendynamischer Basis, teils in themenzentrierter, Weise Alltags-, Kommunikations- und Eingliederungsprobleme anzugehen. So finden seit einiger!Zeit in vermehrtem Umfange etwa gemeinsame Gruppenarbeit und Se-

Strafvollzug: Erwachsenenbildung minare mit Familienangehörigen statt. Dadurch sollen nicht nur soziale Bindungen stabilisiert, sondern allgemein die Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung verstärkt werden (Pilger-Micheletto 1979; Arbeiterwohlfahrt 1979; Katholische Arbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe 1980). Das Konzept des Sozialen Trainings zielt insgesamt auf den Abbau bestimmter Persönlichkeitsund Sozialisationsdefizite; es soll der Ich-Stabilisierung dienen und den Teilnehmern Lebenstechniken vermitteln, die sie vor sozialen Benachteiligungen bewahren. Speziell für Berlin-Tegel wurde ein Curriculum entwickelt, das sieben Trainingsbereiche umfaßt. Fünf Bereiche betreffen die Bewältigung von Alltagsproblemen (Arbeit sowie Leistungs- und Berufsorientierung, Umgang mit Geld, namentlich Schuldentilgung, Rechtsempfinden und Rechtskenntnisse, Bewältigung der Freizeit, Kontaktfähigkeit und Pflege sozialer Bindungen und Beziehungen). Ein weiteres Programm befaßt sich mit der Behandlung Alkoholabhängiger; hier geht es vor allem um Information, die Weckung von Problembewußtsein sowie neue Therapie mit Selbsthilfecharakter. Das Curriculum findet seinen Abschluß mit dem „Lernziel Wohnen", in dem Einzelfragen zur Sprache kommen, die auch in anderen Trainingsbereichen eine Rolle spielen. Erfahrungen mit dem Sozialen Training vermitteln etwa Berichte der Arbeitsgruppe für empirische Bildungsforschung (Heidelberg), die konzeptionelle Vorarbeiten geleistet und das Projekt in Berlin-Tegel sowie andere Projekte dieser Art durchgeführt oder wissenschaftlich begleitet hat (Pilger-Michelletto/Wehle 1977; 1978; Braun-Heintz, Schradin, Wehle 1980; Arbeitsgruppe für empirische Bildungsforschung 1981). Vergleichbare theoretische Ansätze liegen auch dem Frankfurter Modell zur sozialen Rehabilitation und Berufsausbildung weiblicher Strafgefangener zugrunde, das eine Integration von allgemeiner Ausbildung, sozialtherapeutischen Maßnahmen und Berufsausbildung anstrebt. Auch darüber liegt nunmehr ein erster Bericht vor, der die bisherigen Erfahrungen in die weitere Bildungsarbeit einbringen soll (Dezernat für Schule etc. 1979; Traxler 1980; Müller-Dietz 1982). Spezielle Ansätze und Methoden eröffnen nunmehr auch dem Strafvollzug ein bisher weitgehend unerschlossenes Terrain; ein Beispiel für viele bildet die theaterpädagogische Arbeit (Thielicke 1980; 1981).

V. ENTWICKLUNGSTENDENZEN UND -CHANCEN DER ERWACHSENENBILDUNG IN STRAFVOLLZUG UND STRAFFÄLLIGENHILFE Das Angebot an Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland ist in der letzten Zeit deutlich gewachsen. Es wurde verschie-

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denenorts quantitativ erweitert und qualitativ verbessert. Das gilt namentlich für die Bereiche der schulischen Bildung und beruflichen Förderung. Mancherorts werden auch konzeptionelle Ansätze sichtbar, welche die verschiedenen Bildungsmaßnahmen in ein Gesamtsystem zu integrieren suchen, das die Vermittlung sozialer Kompetenz, also die Entwicklung von Ich-Identität, Kommunikationsfähigkeit und Problemlösungsverhalten, anstrebt; ein markantes Beispiel stellt das Soziale Training dar. Auch in institutioneller Hinsicht wurde die Erwachsenenbildung auf eine breitere Grundlage gestellt. Charakteristisch dafür sind etwa die Schaffung pädagogischer Schwerpunkte in verschiedenen Vollzugsanstalten, die Errichtung besonderer Träger für die berufliche Bildung und damit die Einrichtung spezifischer Ausbildungsanstalten sowie der erhebliche Anteil öffentlicher und freier Träger der Erwachsenenbildung an den Bildungsmaßnahmen. Ebenso lassen Gruppenarbeit mit ehrenamtlich tätigen Vollzugshelfern und Gruppen sowie Ehe- und Familienseminare eine verstärkte Einbeziehung des sozialen Umfeldes in die Bildungsarbeit erkennen; sie bleibt nicht mehr allein auf den Strafvollzug beschränkt, sondern ist in zunehmendem Maße zur Sache der Straffälligenhilfe geworden. Gleichwohl harren noch eine ganze Reihe grundsätzlicher Fragen der Klärung. Sie betreffen zum einen den inhaltlich-konzeptionellen Aspekt, zum anderen den organisatorisch-administrativen Bereich der Erwachsenenbildung. In beiderlei Hinsicht sind sie in unmittelbarer Weise mit der Strukturproblematik der Vollzugsanstalt verknüpft. So fehlt es trotz beachtlicher Ansätze immer noch an einem Gesamtkonzept, das die verschiedenen Bereiche der Vollzugsanstalt zu einem gleichermaßen konsistenten wie differenzierten „sozialen Lernfeld" zusammenschließt. Statt dessen existiert namentlich in größeren und in geschlossenen Vollzugsanstalten eine Hierarchie der Vollzugsbereiche, die meist Sicherheit und Ordnung sowie Arbeit an der Spitze rangieren läßt. Die vielfach pragmatische „Lösung" des Zielkonfliktes zwischen Sicherung und Behandlung zugunsten der ersteren wirkt sich nicht zuletzt auf die Erwachsenenbildung nachteilig aus, der dann sowohl in zeitlicher als auch in personeller Hinsicht die dann noch übrigbleibenden Freiräume zugewiesen werden. Aber auch dort, wo die Erwachsenenbildung faktisch stärkeres Gewicht hat, steht sie in Konkurrenz mit anderen Vollzugsbereichen, vor dem Problem der Selbstbehauptung und der sachgerechten Abstimmung mit anderen Vollzugsmaßnahmen (§§7, 154 StVollzG). Insofern kann sie nicht mehr leisten, als die Kommunikations- und Organisationsstruktur der Vollzugsanstalt insgesamt hergibt. Deren Kontaktbereitschaft sowie Innovationsfähigkeit entscheidet im übrigen auch darüber, in welchem Umfange sich die Anstalt außervollzuglichen Bildungsangeboten öffnet oder verschließt. Im Idealfall gelingt eine enge Zusam-

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menarbeit sowie Verzahnung der Bildungsmaßnahmen öffentlicher und freier Träger der Vollzugsanstalt. Im tendenziell eher wahrscheinlichen ungünstigeren Fall bleibt es bei der punktuellen Nutzung von Bildungsangeboten ohne Integration in ein Gesamtprogramm. Schließlich spielt neben dem konzeptionell und personell bedingten Mangel an Bildungsangeboten eine wesentliche Rolle, daß etliche Vollzugsanstalten ihrer Motivierungspflicht (§ 4 Abs. 1 StVollzG) nicht hinreichend nachkommen und damit die schulisch, beruflich und bildungsmäßig zu fördernden Insassen nur teilweise erreichen. Diese Schwierigkeiten sind wenigstens mitverantwortlich dafür, daß nach wie vor nur ein Teil der Insassen an weiterführenden Bildungsmaßnahmen partizipiert. Gewiß kommen zeitlich aufwendige Bildungsangebote nur für Gefangene mit längeren Freiheitsstrafen in Betracht. Doch existieren längst kurzzeitige Bildungsmöglichkeiten in Form von Kursen und Lehrgängen (z.B. Baukastensystem), die auch die Einbeziehung von Gefangenen mit kürzeren Freiheitsstrafen erlauben. Damit läßt sich natürlich der naheliegende Einwand mangelnder Eignung, der vielfach ins Feld geführt wird, nicht entkräften. Jedoch erscheint er empirisch solange nicht schlüssig, als weder eine umfassende und wissenschaftlichen Standards entsprechende Überprüfung der intellektuellen Leistungsfähigkeit, emotionalen Belastbarkeit und individuellen Begabung noch ein zureichendes Motivationstraining vor dem Hintergrund unterschiedlich qualifizierter und qualifizierender Bildungsangebote stattfindet. Erst dann würde sich nämlich erweisen, wo gemessen an der Gesamtzahl der Insassen und wo im Einzelfall die Grenzen der Bildungsfähigkeit verlaufen. Dies setzte aber wiederum strukturelle (organisatorische, personelle und räumliche) Rahmenbedingungen „sozialen Lernens" in den Vollzugsanstalten voraus, wie sie heute allenfalls partiell oder in einzelnen Vollzugsbereichen existieren. Nachhaltige Förderung und Wirksamkeit kann die Erwachsenenbildung im Strafvollzug danach nur in dem Maße erwarten, in dem eine stärkere Öffnung der Vollzugsanstalten und Einbeziehung in das System der Weiterbildung in der freien Gesellschaft gelingt.

Monographien und W.

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Z e i t s c h r i f t e n - und

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MÜLLER-DIETZ

Alterskriminalität

ALTERSKRIMINALITÄT Α. Einleitung A b welchem Alter sollte ein Mensch, Mann oder Frau, als alt bezeichnet werden? Wann hören die „mittleren Jahre" auf und wann beginnt das „Alter"? Auf diese Frage gibt es keine zufriedenstellende oder allgemeingültige Antwort. Altern ist ein Prozeß, und zwischen den genannten Lebensabschnitten gibt es keine deutliche Grenzlinie. Das chronologische Alter allein ist eine unzulängliche Grundlage für die Klassifikation von Menschen entsprechend ihren sozialen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten (Stone und Fletcher 1980). Das Alter von 65 Jahren hat für die Beschreibung anderer Aspekte des Funktionierens wie allgemeiner Gesundheitszustand, geistige Fähigkeiten, psychische oder physische Belastbarkeit oder Kreativität lediglich untergeordnete Bedeutung (Butler und Lewis 1982). Wie Butler und Lewis feststellen, hat man dieses Alter zu gesellschaftlichen Zwecken festgelegt, etwa um den Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Berufsleben zu bestimmen, oder den Zeitpunkt, ab dem ältere Menschen bestimmte ihnen zustehende Leistungen in Anspruch nehmen können. Aus kriminologischer Sicht, also bei der Erforschung von Straftaten, begangen durch und gegen alte Menschen, ist die Festsetzung des Status „alter Mensch" ab dem 65. Lebensjahr nicht angemessen. Für eine Betrachtung der Alterskriminalität ist das 65. Lebensjahr ein zu spät angesetzter Zeitpunkt. Kriminalität nimmt nach dem 25. Lebensjahr ab und setzt diesen abwärts gerichteten Trend ohne Unterbrechung fort. Zu kriminologischen Zwecken sollte eine Alterskategorisierung zwischen den folgenden Altersgruppen unterscheiden: unter 15; 1 5 - 2 4 ; 2 5 - 3 4 ; 3 5 - 4 4 ; 4 5 - 5 4 ; 55 und darüber. Für die Untersuchung von Alterskriminalität ist das 55. Lebensjahr ein angemessenerer Ausgangspunkt als das 65. Lebensjahr. Es wird trotzdem notwendig sein, die Gruppe der über 55jährigen in drei oder sogar vier Untergruppen aufzuteilen: 55—64, 65 - 7 4 , 75 - 84, 85 und darüber.

1. Der Alterungsprozeß

der

Bevölkerung

In den letzten Jahren hat in Europa und Nordamerika eine deutliche Änderung der Altersstruktur der Bevölkerung stattgefunden. Der Geburtenrückgang hat zusammen mit der höheren Lebenserwartung zu einem überproportionalen Anwachsen der höheren Altersgruppen in der allgemeinen Bevölkerung geführt. Dieser Trend setzt sich fort. Aus der neuesten Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland (1987) geht hervor, daß der Anteil der höchsten Altersgruppe (65 und älter) auf 15 % an-

239

gestiegen ist, während der Anteil der niedrigsten Altersgruppe (unter 15) von 23 % auf 15 % zurückging. In der Bundesrepublik leben ungefähr 9 Millionen Menschen, die 65 Jahre oder älter sind, wobei die Frauen bei weitem in der Mehrzahl sind. Diese deutliche Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen westlichen Nationen und der nie zuvor beobachtete Zuwachs der absoluten und der Prozentzahlen bei den höheren Altersgruppen konnte auf verschiedene Faktoren zurückgeführt werden: — erhebliche Verbesserungen der Lebensverhältnisse und des Gesundheitszustandes: Hygiene, Ernährung, medizinische Versorgung, allgemeiner Gesundheitszustand etc. Die Bevölkerung ist heute wesentlich gesundheitsbewußter als früher und versucht, ihre Gesundheit und ihre körperliche Verfassung durch Veränderungen im Lebensstil und in den Ernährungsgewohnheiten weiter zu verbessern. Außerdem verbessern sich die Arbeitsbedingungen ständig, und es besteht ein erhöhtes Bewußtsein der Gesundheitsrisiken, die mit dem Arbeitsplatz, mit bestimmten Tätigkeiten und mit der Umwelt allgemein in Verbindung stehen. — große Fortschritte in der Medizin haben zu erheblichen Verbesserungen bei der Diagnose, Behandlung und Vorbeugung vieler Krankheiten, insbesondere tödlicher Krankheiten wie Schlaganfälle, Herzinfarkte und anderer Erkrankungen der Herzkranzgefäße, geführt. Folgen hiervon waren ein signifikanter Anstieg der Langlebigkeit und eine erhöhte Lebenserwartung. Zu Beginn dieses Jahrhunderts betrug die Lebenserwartung in Deutschland 44,82 Jahre für Männer und 48,33 Jahre für Frauen. Heute ist die Lebenserwartung in der Bundesrepublik Deutschland für Männer auf 71,54 Jahre und für Frauen auf 78,10 Jahre angestiegen. — eine deutliche Abnahme der Geburtenrate in den vergangenen 25 Jahren, die durch Wohlstand, Urbanisierung, bessere Ausbildung, moderne Technologien, neue Methoden der Geburtenkontrolle und eine scheinbare Z u n a h m e bei den Abtreibungen herbeigeführt wurde. Während die Menschen länger leben, werden weniger Kinder geboren. Das Ergebnis ist ein allgemeiner Alterungsprozeß der Bevölkerung: Die höheren Altersgruppen nehmen zu, während die niedrigeren Altersgruppen abnehmen. Die erhebliche Bedeutung, die der Alterungsprozeß der Bevölkerung für die Kriminologie hat, sollte nicht unterschätzt werden. Er könnte die Häufigkeit bestimmter Straftaten signifikant beeinflussen und eine allgemeine Abnahme der Kriminalitätsraten mit sich bringen. Mit außergewöhnlicher Voraussicht hat von Hentig bereits 1927 in einem in der Monatsschrift für Kriminologie veröffentlichten Ar-

240

Alterskriminalität

tikel versucht, die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung zu lenken, die der Alterungsprozeß der europäischen Bevölkerung für die Kriminologie hat.

2. Geschlecht und Familienstand Bevölkerungsgruppen

der

älteren

In der Bundesrepublik Deutschland überwiegen wie in allen anderen westlichen Gesellschaften die älteren Frauen die älteren Männer zahlenmäßig bei weitem. Frauen leben durchschnittlich etwa 10 Jahre länger als Männer. Abgesehen davon, daß Frauen in allen Altersgruppen niedrigere Sterblichkeitsziffern als Männer aufweisen, sind sie weniger als Männer von den zwei hauptsächlichen Todesursachen des späteren Lebensalters, nämlich Krebs und Herzkrankheiten, betroffen. Die demographischen Veränderungen der letzten Jahre haben zu einem erheblichen und zunehmenden Ungleichgewicht zwischen den Zahlen von Männern und Frauen beigetragen. Frauen je 1000 Männer 0-6 6-15 15-18 18-21 21-45 45-60 60-65 65+ Jahre 951 960 950 948 948 993 1428 1932 Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch 1988. Wiesbaden 1989, 62. Aufgrund der geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt und bei der Langlebigkeit gibt es im allgemeinen eine größere Zahl von verwitweten Frauen. Dies wird verstärkt durch die Tatsache, daß Männer im allgemeinen älter sind als ihre Ehefrauen. Folglich ist die Mehrheit der älteren Frauen von 65 Jahren und darüber verwitwet (53,94%), während die Mehrheit der älteren Männer verheiratet ist (77,46%). Die Lebensbedingungen der älteren Bevölkerungsschichten reflektieren zu einem großen Teil die Unterschiede zwischen Männern und Frauen hinsichtlich des Familienstandes. Der Anteil der älteren Frauen, die allein leben, ist deutlich höher als der entsprechende Anteil der Männer. Die Tatsache, daß nur ein kleiner Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre nicht in privaten Haushalten lebt, widerspricht der verbreiteten Auffassung, daß die meisten älteren Menschen von gleichgültigen Verwandten einem elenden Leben in Heimen überlassen werden (Stone und Fletcher 1980).

sellschaften, in denen die Kernfamilie überwiegt. Zudem sind in weniger entwickelten Gesellschaften alte Menschen nicht in dem Maße dem Verlust von Status und Macht ausgesetzt, unter dem nicht mehr im Berufsleben stehende Menschen in westlichen Gesellschaften leiden. In Agrargesellschaften können alte Menschen weiterhin nützliche, produktive Aufgaben erfüllen, sofern sie hieran nicht durch Krankheit oder Behinderung gehindert werden. Sie verfügen zudem über begehrtes Wissen und wohlgehütete Geheimnisse und genießen den Status und die Macht, die mit solchem Wissen einhergehen. Die Situation der alten Menschen in westlichen Gesellschaften ist hiervon sehr verschieden. Menschen in den mittleren Jahren fürchten das Altern wegen all der Verluste, die sie im Herbst ihres Lebens werden hinnehmen müssen. E. Pheiffer (1971) beschrieb das Alter als eine „Zeit des Verlustes" in dem Sinne, daß für die meisten Menschen das Altern eine Serie von altersbezogenen Verlusterlebnissen darstellt: Einkommensverlust, Statusverlust, der Verlust von Ehepartnern oder Freunden und die Abnahme der körperlichen und geistigen Kräfte. Für viele alte Menschen erzeugen diese miteinander in Beziehung stehenden Faktoren etwas, das man als Teufelskreis beschreiben könnte: Die Krisen des Alters können alte Menschen dazu bringen, sich selbst zu isolieren. Isolation wiederum führt oft zu verstärkter Einsamkeit und Angst oder Depression. Es gibt außerdem den Teufelskreis von Isolation und Furcht: Furcht führt zur Isolation und wird durch sie verstärkt. Wenn Menschen sich fürchten, neigen sie dazu, sich zu isolieren, und wenn sie isoliert sind, verstärkt sich ihre Furcht. Das Altern ist ein Prozeß, der zur Abnahme der körperlichen und geistigen Fähigkeiten führt. Selbst dann, wenn sie nicht von einer Behinderung oder einer Krankheit betroffen sind, leiden ältere Menschen unter der Abnahme ihrer körperlichen Kraft und der Schwächung ihrer Sinne, insbesondere des Gehörs und des Gesichtssinnes. Kriminologisch ist diese Schwächung insofern von Bedeutung, als sie die Verletzbarkeit durch Viktimisierungen erhöht und alte Menschen leichter zur Zielscheibe als jüngere Altersgruppen werden läßt. Die Abnahme der geistigen Fähigkeiten und die psychiatrischen Veränderungen, die mit dem Alter einhergehen, haben zudem forensische, rechtsmedizinische und kriminologische Implikationen und sind außerordentlich wichtig für das Verständnis und für die Behandlung von kriminellem Verhalten im Alter.

3. Die problematische Lebenssituation alter Menschen in der westlichen Gesellschaft

Das Alter wird im allgemeinen durch eine Abnahme der Wirtschafts- und Finanzkraft begleitet, die aus folgenden Faktoren herrührt:

In ländlichen Ackerbaugesellschaften, in denen die Großfamilie noch die überwiegende Form der sozialen Gruppenbildung darstellt, sind ältere Menschen besser integriert als in westlichen Industriege-

— Niedrigeres Einkommen: Da das Altersruhegcld immer niedriger ist als das Gehalt, bedeutet der Rückzug aus dem Berufsleben für die meisten Menschen ein niedrigeres Einkommen.

Alterskriminalität — Fixes Einkommen: Die Mehrheit der alten Menschen lebt mit einem nicht mehr zu erhöhenden Einkommen. Sogar dann, wenn ein Teil der Rente Erhöhungen der Verbraucherpreise angepaßt wird, führt die Inflation dazu, daß sie unter einer Abnahme der Kaufkraft leiden. — Zunehmende finanzielle und ökonomische Abhängigkeit: Viele ältere Menschen sind zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes oder zum Überleben entweder auf jüngere Familienmitglieder oder auf den Staat angewiesen. Die finanzielle Schwächung, die mit dem Alter einhergeht, hat eine wesentliche kriminologische Bedeutung. Sie zwingt viele ältere Menschen dazu, in den ärmeren Bezirken der städtischen Zentren zu leben, in Bezirken, die typischerweise hohe Raten von Straßenkriminalität aufweisen. Die Mobilität alter Menschen ist eingeschränkt, und sie sind auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, wie etwa den Bus oder die U-Bahn, wo die Wahrscheinlichkeit der Viktimisierung hoch ist. Die schlechte finanzielle Situation der älteren Menschen bedeutet zudem, daß die Folgen einer kriminellen Viktimisierung, sei es gegen die Person oder gegen das Eigentum, im allgemeinen als dramatischer und traumatischer empfunden werden.

B. Alter als kriminologische Variable Schon seit der Frühzeit der wissenschaftlichen Kriminologie ist das Alter als wichtigster kriminogener Faktor bekannt. Auf der Grundlage ihrer statistischen Untersuchungen von Kriminalität erklärten Guerry und Quetelet, daß das Alter jener Faktor sei, der größte Auswirkung auf das Verbrechen habe. Im Jahre 1839 schrieb Quetelet: Von allen Ursachen, die die Entwicklung der Neigung zum Verbrechen beeinflussen oder diese Neigung vermindern, ist das Alter fraglos die wirksamste. Quetelet stellte zudem fest, daß mit zunehmendem Alter die Kraft durch List und die Gewalt durch Gerissenheit bei der Begehung von Verbrechen ersetzt wird. Spätere Untersuchungen zur Beziehung zwischen Alter und Verbrechen bestätigten die Ergebnisse von Guerry, Quetelet und deren Nachfolgern. So weisen Hirschi und Gottfredson (1983) auf eine grundlegende und beständige, durch alle verfügbaren Daten immer wieder bestätigte Tatsache hin, nämlich die, daß die Beziehung zwischen Alter und Kriminalität bei allen Geschlechtern, Rassen und Kulturen dieselbe ist. In neuerer Zeit haben in verschiedenen Ländern durchgeführte Viktimisierungserhebungen gezeigt, daß das Alter nicht nur ein wichtiges Korrelat der Kriminalität, sondern auch der Viktimisierung ist,

241

daß also die lineare negative Beziehung zwischen Alter und Verbrechen ebenso zwischen Alter und Viktimisierung besteht. Ältere Menschen begehen wesentlich weniger Verbrechen und werden wesentlich weniger kriminell viktimisiert als jüngere Menschen. Diese negativen Beziehungen scheinen beide allgemeingültigen Charakter zu besitzen. Uberall ist es so, daß die Jungen die Jungen berauben. Der Einfluß des Alters ist nicht auf die Kriminalität begrenzt. Hirschi und Gottfredson (1983) betonen, daß auch der Kriminalität analoges Verhalten mit zunehmendem Alter abnimmt. So verringert sich z. B. die Zahl der Autounfälle mit dem Alter, ungeachtet der sozialen Charakteristika der Fahrer. Hirschi und Gottfredson stellen nach dem Alter der Führerscheininhaber strukturierte Daten über Autounfälle im Staate New York vor, die parallel zu den Daten für Kriminalität verlaufen. Sie weisen zudem auf einige Untersuchungen hin, die ähnliche Beziehungen zwischen Alter und Vorschriftsverletzungen im Gefängnis aufzeigen. Das Alter der höchsten Kriminalitätsbelastung variiert in gewisser Weise mit der Form der Straftat; der Höhepunkt liegt bei Straftaten gegen die Person etwas später als bei Eigentumsdelikten. Wenn jedoch ein bestimmter Lebensabschnitt isoliert werden soll, in dem die Kriminalität ihren Höhepunkt erreicht, in dem die Menschen besonders für Delinquenz und Kriminalität anfällig sind, dann ist dies die Phase des Heranwachsenden- und besonders des späten Heranwachsendenalters. Wenn man die Belastungszahl der unterschiedlichen Altersgruppen miteinander vergleicht, wird offensichtlich, daß die Altersgruppe von 15 bis 24 Jahren erheblich mehr Verbrechen begeht, als man auf der Grundlage ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung annehmen könnte. Diese Ziffer beginnt um das 25. Lebensjahr abzunehmen, und die Kriminalitätskurve zeigt einen deutlichen Abfall nach dem 30. Lebensjahr. Sogar Menschen, die eine persönliche Geschichte antisozialen Verhaltens aufweisen, zeigen mit zunehmendem Alter einen signifikanten Rückgang bzw. Besserung. Die verbreitete Auffassung, „das Leben beginnt mit 40", trifft somit sicherlich nicht auf das kriminelle Leben zu. Mit Ausnahme der wenigen chronischen Kleinkriminellen, deren kriminelle Karrieren über ihr 40. oder 50. Lebensjahr hinausreichen, endet das konventionelle antisoziale Verhalten im allgemeinen im 4. oder 5. Lebensjahrzehnt. Die folgende Tabelle und Graphik, die aus der Polizeilichen Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen für das Jahr 1987 entnommen wurden, illustrieren deutlich den Abfall der Kriminalitätsbelastungszahl mit fortschreitendem Alter. Warum nimmt Kriminalität mit zunehmendem Alter ab? Zur Erklärung dieser Abnahme sind verschiedene Hypothesen vertreten worden. Einige dieser Hypothesen erscheinen plausibler als andere,

242

Alterskriminalität

Bevölkerung

Tabelle 1 — Tatverdächtige — Kriminalitätsbelastung 1986 und 1987 1987

1986 Bevölkerung

Alter

Tatverdlchtlg«

Stand:

Krlmlnalltüts-

Bevölkerung

belastungszahl

Stand:

31.12.1985 1

8 bl* unter 14* Jahren

14 b l i unter 18 Jahren

18 bis unter 21 Jahren

21 bis unter 25 Jahren

25 bis unter 30 Jahren

30 bis unter 40 Jahren

40 bis unter 50 Jahren

50 bis unter 60 Jahren

Uber 60 Jahre

Gesamt*

2

3

Tatverdlchtlge

Krlmlnalltitsbelastungszahl

31.12.1986 4

5

6

7

8

m

499 844

11 940

2389

484921

12 098

2 495

w

480922

3824

795

466 742

3811

817

I

980 766

15 764

1 607

951 663

15 909

1 672

m

491 401

31 696

6450

449677

30 099

6 693

w

465 985

8 968

1 925

426722

8140

1 908

I

957 386

40 664

4 247

876399

38 239

4363

m

448058

35 007

7813

436047

34 539

7921

w

421 153

7 601

1 805

412104

7198

1 747

1

869211

42 608

4902

848151

41 737

4921

m

592 734

37 362

6 303

604465

38 535

6375

w

562834

8 868

1 576

570 237

8 684

1523

1

1 155568

46 230

4001

1 174 702

47219

4 020

m

666120

34138

5125

683337

35 428

5185

w

634 758

8 874

1 398

651 625

8812

1352

1

1300878

43012

3 306

1 334 962

44 240

3314

m

1 118099

45 179

4041

1 148395

44 832

3 904

w

1 101 681

13 593

1 234

1 127 572

13 295

1 179

1

2 219780

58 772

2 648

2 275967

58127

2554

m

1 220 246

33107

2713

1 181164

31 499

2 267

w

1 191 982

11 583

972

1 159 544

10 649

918

1

2412228

44 690

1853

2340708

42 148

1 801

m

1068435

16 520

1 546

1093945

16422

1501

w

1076125

7 431

691

1 087 868

7 190

661

1

2144560

23951

1 117

2181 813

23 612

1082

m

1 198713

8 704

726

1 216700

8 691

714

w

2 1 60 977

8018

371

2178287

7 433

341

1

3359690

16722

498

3 394 987

16124

475

m

7303650

253 653

3 473

7 298 651

252143

3455

w

8096417

78 760

973

8080701

75 212

931

1

15400067

332 413

2159

15 379 352

327 355

2129

Quelle: Landeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen 1987. Düsseldorf 1988, S. 40.

243

Alterskriminalität Graphik Tatverdächtige nach Lebensalter und 1986 und 1987

Geschlecht

8000

7 000

6 000

5000

4 000

3 000

2000

1 000

Quelle: Landeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen 1987. Düsseldorf 1988, S. 41.

doch bedarf es weiterer Forschungsarbeit, um jede dieser Hypothesen zu überprüfen.

1. Die Hypothese des „Ausbrennens" Mit zunehmendem Alter erreichen die unreifen, rücksichtslosen Jugendlichen eine Stufe der Erwachsenenreife. Sie werden gesetzter, weniger abenteuerlustig, weniger rebellisch und weniger be-

gierig, der Autorität zu trotzen oder das System zu bekämpfen. Konformität ist nicht unbedingt das Resultat einer Veränderung von Glaubenssätzen oder Einstellungen, sondern kann auch ganz einfach durch Müdigkeit hervorgerufen werden. Antigesellschaftliche Einstellungen können weiterbestehen, obwohl sich das Verhalten verändert. Viele Menschen, die längere Zeit im Gefängnis verbracht haben, erreichen einen Punkt, an dem sie das Gefühl haben, daß sie ihr Leben (oder zumindest die

244

Alterskriminalität

besten Jahre ihres Lebens) verschwendet haben, und sie entscheiden sich, ihr Leben zu ändern, bevor es zu spät ist. Sie beschließen, ihr Tun zu bessern und weitere Inhaftierungen um jeden Preis zu vermeiden.

2. Die Verringerung von körperlicher und Geschicklichkeit

Kraft

Fortschreitendes Alter wird stets von einem Nachlassen der körperlichen Kräfte begleitet, von einer Abnahme körperlicher Beweglichkeit, von Belastbarkeit, von Unternehmungsgeist und von Initiative. Von mancher Seite wird diese Abnahme als ein wesentlicher Grund für die Verringerung der kriminellen Aktivität im Alter angesehen. Aschaffenburg (1913) weist darauf hin, daß der schwächer werdende Körper eines Menschen die Begehung all jener Straftaten verhindert, bei denen körperliche Kraft und Geschicklichkeit notwendig sind. Pollak (1941) bemerkt, daß man mit zunehmendem Alter zu schwach wird, um ein kriminelles Leben zu führen. Dieselbe Erklärung vertritt Moberg (1953), der darauf hinweist, daß ältere Menschen weniger aktiv sind als junge Menschen und daß ihre körperliche Schwäche und ihre langsameren Bewegungen ihre Fähigkeit herabsetzen, bestimmte Formen von Kriminalität erfolgreich auszuführen. Hirschi und Gottfredson (1983) bemerken, daß einige Straftaten erst dann begangen werden, wenn die Kraft, die dazu notwendig ist, anderen Verletzungen zuzufügen oder Zwang auf andere auszuüben, erworben ist. Man kann hinzufügen, daß dieselben Verbrechen wahrscheinlich verschwinden oder sich wesentlich vermindern, wenn diese Kraft durch fortschreitendes Alter oder anderen körperlichen Verfall verlorengeht oder geschwächt wird. Hierfür finden sich empirische Bestätigungen. Es gibt umfassende empirische Beweise dafür, daß Straftäter, die ständig kriminelle Handlungen begehen, ab einem bestimmten Alter im allgemeinen auf weniger physische und weniger gewalttätige Deliktsformen überwechseln. Raub und Einbruch werden zugunsten von Betrug, Trickbetrügereien, Vorspiegelung falscher Tatsachen oder Hehlerei aufgegeben. Anonyme Briefe und Telefonanrufe ersetzen die körperliche Gewalt als Mittel der Erpressung. Aktive und gewalttätige Sexualstraftaten, die die Anwendung körperlicher Kraft erfordern, wie etwa Vergewaltigung, werden durch weniger aktive, weniger gewalttätige Formen wie Exhibitionismus, Voyeurismus oder die sexuelle Belästigung von sich nicht widersetzenden Kindern ersetzt.

3. Die Verminderung der Interaktion

gesellschaftlichen

Gewalttätige Straftaten gegen die Person stehen in enger Beziehung zum Ausmaß der gesellschaftli-

chen Interaktion. Sie vermehren sich, wenn zwischenmenschliche Kontakte häufig und intensiv sind, und nehmen ab, wenn diese Kontakte selten oder vereinzelt werden. Da viele ältere Menschen allein oder in relativer Isolation leben und das Ausmaß ihrer sozialen Interaktion geringer ist als das von jüngeren Menschen, ist ihre kriminelle Belastung durch gewalttätige Delikte gegen die Person zwangsläufig wesentlich geringer als die entsprechende Belastung der jüngeren Altersgruppen (H. J. Schneider 1981, 530/1; 1987, 703/4). Die Reaktion älterer Menschen auf Provokationen und Herausforderungen ist im allgemeinen langsamer und weniger gewalttätig als die junger Menschen. Aus diesem Grunde sind ältere Menschen mit höherer Wahrscheinlichkeit eher Opfer als Täter von Gewalthandlungen. Ältere Menschen sind Gruppeneinflüssen weniger oder nicht in der gleichen Weise ausgesetzt wie junge Leute. Der Druck der Gleichaltrigengruppe, der für einen erheblichen Anteil der Jugenddelinquenz verantwortlich ist, verliert mit fortschreitendem Alter viel von seinem Einfluß. Sogar im Gefängnis ist die Anbindung an die Subkultur der Häftlinge unter jungen Strafgefangenen wesentlich ausgeprägter als unter älteren. Auf der anderen Seite respektieren ältere Gefangene im höheren Maße die institutionellen Regeln und Vorschriften. Das Phänomen der „Bande", besonders der „delinquenten Bande", tritt nur in früher Jugend, nicht aber im Alter auf.

4. Veränderungen aggressiver

in der Zielrichtung Tendenzen

Aggressive Persönlichkeiten werden im allgemeinen mit dem Alter ruhiger, und die aggressiven Neigungen, die weiterbestehen, werden vermehrt nach innen und weniger nach außen, eher gegen sich selbst als gegen andere gerichtet und tragen so zu einer hohen Rate von Suizid und versuchtem Suizid bei. Während Tötungsdelikte bei älteren Menschen relativ selten vorkommen, ist die Suizidrate unter alten Menschen im allgemeinen höher als unter anderen Altersgruppen.

5. Schwächere

Motivation Hemmungen

und

stärkere

Ältere Menschen sind weniger als jüngere dazu motiviert, Straftaten zu begehen. Zumindest bis zum Ausscheiden aus dem Berufsleben verdienen Menschen mit fortschreitendem Alter mehr Geld, haben weniger freie Zeit und weniger Gelegenheit und sind Versuchungen und dem Druck der Gleichaltrigengruppe weniger ausgesetzt als jüngere Menschen. Sie haben ein geringeres Bedürfnis, sich darzustellen, und ihr Sexualtrieb und ihre Potenz

245

Alterskriminalität sind weniger stark, als sie es in jüngeren Jahren waren. Zunehmende Verantwortlichkeiten und die Aufrechterhaltung ihrer Lebensqualität nehmen in ihren Überlegungen einen breiteren Raum ein. Während junge Menschen im allgemeinen Risiken in Kauf nehmen und Abenteuer suchen und nach Spannung, Aufregung und Gefahr verlangen, scheuen die meisten alten Menschen das Risiko. Sie suchen nicht nur weniger nach Abenteuern und Aufregungen, sondern sie haben auch mehr zu verlieren, wenn sie gefaßt, bestraft und stigmatisiert werden. Sie sind daher weniger bereit, Risiken in Kauf zu nehmen. Es ist bekannt, daß mit zunehmender Reife, Stabilität und Verantwortung die Menschen vorsichtiger und in ihren Entscheidungen überlegter werden.

Teil der Unterschiede auf die geringere Aufklärungsquote von Verbrechen bei alten Straftätern zurückgeführt werden kann. Ältere Straftäter, so wird behauptet, sind erfahrener und geschickter darin, sich der Entdeckung und der Verhaftung zu entziehen. Zudem begehen sie eher Straftaten, die schwerer aufzuklären sind, wie etwa Betrug und Wirtschaftsdelikte (Jackson 1981). Es wird weiterhin behauptet, daß alte Straftäter eher auf das Mitgefühl von Polizei, Gericht und Geschworenen rechnen können als jüngere. Dies macht es weniger wahrscheinlich, daß ein alternder Straftäter verhaftet und verurteilt wird. Selbst wenn dies geschieht, werden ihre Strafen häufig zur Bewährung ausgesetzt oder fallen aufgrund des Alters des Angeklagten wesentlich milder aus (Moberg 1953). Nur sehr wenige gehen ins Gefängnis.

6. Die Hypothese der erfolgreichen Rehabilitation

Eine von Rowe und Tittie (1977) durchgeführte Untersuchung hat versucht, vier Hypothesen zur Erklärung der A b n a h m e von Kriminalität im Alter empirisch zu überprüfen:

Erfolgreiche Rehabilitation und Behandlung führen im Alter zu einer Abnahme der Straftaten. Wenn Straftäter mit Strafvollzugsinstitutionen und -personal in Kontakt kommen (und lernen, mit ihren Problemen umzugehen) und wenn sie feststellen, daß sich „Verbrechen nicht auszahlt", werden einige von ihnen „in sich gehen" und Straftaten als ein Mittel zum Erwerb des Lebensunterhalts oder als Lebensstil aufgeben. Wenn also Behandlung und Rehabilitation von Straftätern wirksam sind und wenn sie einen Einfluß auf das Verhalten der so Behandelten haben, werden zumindest einige Straftäter ihre kriminellen Aktivitäten aufgeben und damit zur Abnahme der Kriminalität im Alter beitragen. Zur Stützung dieser Hypothese läßt sich empirisches Beweismaterial anführen, das zeigt, daß die Rückfallraten in keinem Fall 100% erreichen, und daß sie im Erwachsenenalter im allgemeinen niedriger sind als in jeder der vorausgehenden Altersgruppen. Eine nicht belegte Hypothese behauptet, daß Kriminelle ein gefährliches Leben führen und nicht alt werden (Moberg 1953). Unter Berufung auf Tannenbaum (1938) behauptet Pollak (1941), daß einer der offensichtlichen Gründe für die allgemeine Abnahme der Kriminalität im Alter in der Tatsache besteht, daß Kriminelle ein außerordentlich gefährliches Leben unter extremen Randgruppenbedingungen führen und daher nicht alt werden.

7. Die Hypothese der niedrigeren Aufklärungsquote Diese letzte Hypothese ist nicht dazu gedacht, alle Unterschiede zwischen den Kriminalitätsbelastungsziffern alter und junger Menschen zu erklären, sondern eine teilweise Erklärung der Varianz zu liefern. Diese Hypothese argumentiert, daß ein

a) b) c) d)

stärkere soziale Integration; stärkere Durchsetzung moralischer Standards; erhöhte Furcht vor Strafsanktionen; geringere Motivation zur Verbrechensbegehung.

Laut diesen Autoren können die Variablen soziale Integration, moralische Verpflichtung, Abschreckung und Motivation in ihrer Interaktion die Verringerung der Kriminalität mit dem Alter erklären. Die Ergebnisse der statistischen Analyse waren nicht überraschend. Sie zeigten eine deutliche negative Beziehung zwischen Alter und krimineller Neigung, die teilweise auf Generationsunterschiede und teilweise auf Veränderungen im Lebenszyklus zurückführbar ist. Laut Rowe und Tittie zeigten Bemühungen, diese Konstellation zu erklären, daß diese Beziehung außerordentlich stabil ist und sich Erklärungen weitgehend widersetzt. Die Analyse wies jedoch auf komplexe Interaktionen zwischen verschiedenen Variablen als angemessene Erklärung hin.

C. Entwicklungen und Muster von Alterskriminalität in der Bundesrepublik Deutschland 1. Statistik und Dunkelfeld Schätzungen des Aufkommens von durch ältere Bürger begangenen Verbrechen und Analysen der Entwicklungen und Muster bei dieser Kriminalitätsform sind engen Beschränkungen unterworfen. Soweit sich aus der zugänglichen Literatur erschließen läßt, haben Selbstberichtuntersuchungen bislang in den untersuchten Populationsgruppen keine alten Menschen berücksichtigt. Schätzungen von Alterskriminalität müssen sich daher auf offizielle Poli-

246

Alterskriminalität

zei-, Gerichts- und Strafvollzugsstatistiken stützen und leiden unter den Mängeln dieser Statistiken. Die allgemeinen Mängel offizieller Kriminalstatistiken wirken sich im Bereich der geriatrischen Kriminalität noch weitaus deutlicher aus. Die im Alter begangenen Straftaten sind im allgemeinen Delikte mit einer niedrigen Sichtbarkeit und einer hohen Dunkelziffer: Ladendiebstahl, Sexualdelikte, Betrug usw. Die Häufigkeit der Anzeige von durch alte Menschen begangenen Straftaten dürfte zudem niedriger sein als die entsprechende Ziffer für die jüngeren Altersgruppen und somit noch zu einer höheren Dunkelziffer beitragen. Die Aufklärungsund Verhaftungsziffern andererseits dürften für ältere Straftäter höher sein als für jüngere, weil viele ältere Straftäter ihre Delikte auf ungeschickte Art und Weise begehen und die Spuren ihrer Straftaten nicht verwischen. Es dürfte daher einfacher für die Polizei sein, von älteren Menschen begangene Straftaten aufzuklären. Da sich Schätzungen der Alterskriminalität nur auf jene angezeigten Straftaten stützen können, die durch eine Verhaftung, eine Anklage oder beides aufgeklärt worden sind, bleibt der größere Teil der Kriminalität unberücksichtigt. Alle Straftaten, die aus dem einen oder anderen Grund nicht bei der Polizei angezeigt worden sind, können ebenso wie angezeigte, aber nicht aufgeklärte Straftaten nicht in die Schätzung der Kriminalität einbezogen werden. Natürlich sind Straftaten, die bei der Polizei angezeigt wurden, bei denen der Täter aber nicht ermittelt werden konnte, bei einer Untersuchung von Alterskriminalität nutzlos. Außerdem besteht kein Grund anzunehmen, daß verhaftete und/oder verurteilte ältere Straftäter eine repräsentative Stichprobe der Gesamtheit der alten Straftäter darstellen. Wahrscheinlich ist diese Stichprobe ganz im Gegenteil in vieler Hinsicht alles andere als repräsentativ. Dies bedeutet, daß aus dieser Stichprobe keine allgemeinen Schlüsse gezogen werden können, und daß die Charakteristika und Eigenschaften der verhafteten älteren Straftäter nicht notwendigerweise die aller älteren Straftäter sind. Die Probleme bei der Verwendung offizieller Polizeiund Gerichtsdaten wären weniger schwerwiegend, wenn man annehmen könnte, daß sich die Verzerrungen bei der Anzeige und Bearbeitung ebenso wie die Probleme bei Aufklärung und Strafverfolgung nicht von einem Jahrzehnt zum anderen erheblich verändern würden. D a diese Annahme bisher aber nicht empirisch belegt werden konnte, sollten Veränderungen oder Fluktuationen in den Statistiken eher mit Vorsicht und als Andeutungen denn als zwingend schlüssig und definitiv betrachtet werden. Keiner der am häufigsten benutzten Indikatoren für Alterskriminalität, nämlich die Zahl der Verhaftungen und die Zahl der Verurteilten, ist eine angemessene Meßgröße für das Ausmaß der Kriminalität, die durch alte Menschen begangen wird. Ver-

haftungen stellen aufgrund der Dunkelziffer und aufgrund der Tatsache, daß eine große Zahl von Verhaftungen mit Alkohol in Beziehung steht, keinen brauchbaren Indikator dar. Die absolute Zahl und/oder die Quote von älteren Menschen in Strafanstalten ist gleichfalls eine unzulängliche Meßgröße für Alterskriminalität. Die mildere Behandlung alter Menschen durch die Polizei und die Gerichte hat zur Folge, daß viele ältere Straftäter, besonders jene, die Kleinkriminalität begangen haben, nicht ins Gefängnis gehen müssen oder keine Freiheitsstrafen auferlegt bekommen. Zudem hat eine große Zahl der älteren Menschen im Gefängnis ihre Straftaten nicht im Alter begangen, sondern ist im Gefängnis alt geworden. Dies trifft besonders auf jene zu, die zu lebenslanger Freiheitsstrafe oder zu langen Haftstrafen verurteilt worden sind.

2. Entwicklungen der

Alterskriminalität

Im Gegensatz zu den Entwicklungen in einigen anderen Ländern (z. B. den U S A ) , in denen Alterskriminalität in den letzten zwei Jahrzehnten angestiegen ist, hat sich die Kriminalität alter Menschen in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1965 und 1985 kaum verändert. Diese Schlußfolgerung ergibt sich aus den Gerichtsstatistiken. Die Verurteiltenziffer der 60jährigen und Älteren für alle Straftaten (Verbrechen und Vergehen) betrug im Jahre 1965 184,4 pro 100000 und im Jahre 1985 184,2. Man könnte dies als eine Bestätigung von Quetelets Prinzip der Unveränderlichkeit des Verbrechens ansehen. In Wirklichkeit ist jedoch die Alterskriminalität in der Bundesrepublik Deutschland nicht so stabil oder unveränderlich, wie diese zwei Raten aus den Jahren 1965 und 1985 nahelegen. Es ergibt sich ein grundsätzlich anderes Bild, wenn Verkehrsstraftaten getrennt von anderen Straftaten untersucht werden, und wenn man die Entwicklungen bei Männern und Frauen von 60 Jahren und darüber getrennt betrachtet. Wie aus den Tabellen 2, 3 und 4 ersichtlich, ist die Verurteiltenziffer für Verkehrsstraftaten bei den 60jährigen und Älteren von 92,4 pro 100000 im Jahre 1965 auf 72,2 pro 100 000 im Jahre 1985 abgesunken, was eine Abnahme von 2 2 % bedeutet. Die Verurteiltenziffer derselben Altersgruppe für andere als Verkehrsstraftaten ist dagegen von 92,0 pro 100000 auf 112,0 im selben Zeitraum angestiegen, was ein Anwachsen um 22% bedeutet. Wenn man die Verurteiltenziffern für ältere Männer und ältere Frauen untersucht und vergleicht, ergibt sich ein interessantes Muster. Bei den über 60jährigen Männern ist die Verurteiltenziffer für alle Straftaten von 375,3 pro 100000 im Jahre 1965 auf 346,6 im Jahre 1985 leicht gesunken. Diese Abnahme ist ausschließlich auf eine Verringerung der Verurteiltenziffer für Verkehrsstraftaten zurückzuführen, die von 215,0 pro 100000 im

247

Alterskriminalität Tabelle 2 Wegen Verbrechen und Vergehen Verurteilte nach Altersgruppen und Geschlecht 1965, 1975, 1985 Verurteiltenzahlen* Jugendliche und Heranwachsende 14-21 1965 m w i 1975 m w i 1985 m w i

2194,4 247,6 1138,0 2218,4 336,4 1206,6 2195,0 410,6 1242,7

Tabelle 4 Wegen Vergehen im Straßenverkehr Verurteilte nach Altersgruppen und Geschlecht 1965, 1975, 1985 Verurteiltenzahlen*

Alte Menschen 60 und mehr 375,3 52,5 184,4

1965 m w i

388,6 95,6 208,4

1975 m w i 1985 m w i

346,6 93,5 184,2

Jugendliche und Heranwachsende 14-21

Alte Menschen

1189,9 63,8 578,8 1135,1 87,2 571,8 919,5 97,5 480,8

215,0 7,7 92,4

60 und mehr

212,9 10,4 88,3 175,9 14,3 72,2

* Je 100000 Einwohner derselben Personenbzw. Altersgruppe, Alter zur Zeit der Tat.

* Je 100000 Einwohner derselben Personenbzw. Altersgruppe, Alter zur Zeit der Tat.

Quelle: Statistisches Bundesamt/Wiesbaden.

Quelle: Statistisches Bundesamt/Wiesbaden.

Tabelle 3 Wegen Verbrechen und Vergehen (ohne Vergehen im Straßenverkehr) Verurteilte nach Altersgruppen und Geschlecht 1965, 1975, 1985 Verurteiltenzahlen* Jugendliche und Heranwachsende 14-21

60 und mehr

1975 m w i

1004,5 183,8 559,1 1083,2 249,2 634,9

160,3 44,8 92,0 175,7 85,2 120,0

1985 m w i

1275,6 313,1 761,9

170,8 79,2 112,0

1965 m w i

Alte Menschen

* Je 100000 Einwohner derselben Personenbzw. Altersgruppe, Alter zur Zeit der Tat. Quelle: Statistisches Bundesamt/Wiesbaden. Jahre 1965 auf 175,9 im Jahre 1985 gesunken ist. Im selben Zeitraum stieg die Verurteiltenziffer bei Männern von 60 Jahren und darüber für andere als Verkehrsstraftaten leicht von 160,3 auf 170,8 an. Die Verurteiltenziffer für Verkehrsstraftaten, die mehr als die Hälfte aller Verurteilungen bei Männern von 60 Jahren und darüber ausmacht, sank von 215,0 pro 100000 im Jahre 1965 auf 175,9 im Jahre 1985, eine Abnahme um 18%.

Das Schema der Verurteiltenziffern bei Frauen von 60 Jahren und darüber unterscheidet sich im selben 20-Jahreszeitraum hiervon erheblich. Die Gesamtverurteiltenziffer stieg von 52,5 pro 100000 im Jahre 1965 auf 93,5 im Jahre 1985, also um 78 % an. Obwohl sich die Verurteiltenziffer für Verkehrsstraftaten bei derselben Altersgruppe von 7,7 pro 100000 im Jahre 1965 auf 14,3 im Jahre 1985 beinahe verdoppelt hat, erklärt sie nicht den Gesamtanstieg. Verurteilungen bei Frauen von 60 Jahren und darüber wegen Verkehrsstraftaten stellen einen kleinen und zu vernachlässigenden Teil der Gesamtzahl der Verurteilungen dar. Für den Gesamtanstieg bei der Verurteiltenziffer der älteren Frauen sind Verurteilungen wegen anderer als Verkehrsstraftaten hauptsächlich verantwortlich, deren Ziffer sprunghaft um 77% von 44,8 pro 100000 im Jahre 1965 auf 79,2 im Jahre 1985 anstieg. Der beträchtliche Anstieg der Verurteiltenziffer bei Frauen für andere als Verkehrsstraftaten ist nicht auf die Altersgruppe der 60jährigen und darüber beschränkt. Die Verurteiltenziffer der jüngsten Altersgruppe bei Frauen (14—21) für diese Delikte stieg um 70% von 183,8 pro 100000 im Jahre 1965 auf 313,1 im Jahre 1985. Im selben 20-Jahrszeitraum stieg die Verurteiltenziffer der entsprechenden Gruppe bei den Männern (14—21) für andere als Verkehrsstraftaten lediglich um 27 % , nämlich von 1004,5 pro 100000 im Jahre 1965 auf 1275,6 im Jahre 1985. Dieser überproportionale Anstieg der Verurteiltenziffern bei älteren Frauen zwischen 1965 und 1985 kann auf verschiedene Weise erklärt werden. Eine plausible Erklärung für den Anstieg der Verurteiltenziffern für Verkehrsstraftaten ist die Tatsa-

248

Alterskriminalität

che, daß im Jahre 1985 sehr viel mehr Frauen Kraftfahrzeuge fuhren als im Jahre 1965. Dies kann jedoch lediglich eine teilweise Erklärung darstellen, da Verurteilungen wegen Verkehrsstraftaten nur 15% der Gesamtzahl der Verurteilungen älterer Frauen ausmachen. Verurteilungen wegen anderer als Verkehrsstraftaten sind für ältere Frauen gleichfalls dramatisch in die Höhe gegangen und haben sich im genannten 20-Jahreszeitraum nahezu verdoppelt. Eine mögliche Erklärung für diesen Anstieg besteht darin, daß Frauen im allgemeinen, aus dem einen oder anderen Grunde, in den 80er Jahren mehr Straftaten begehen als in den 60ern. Eine Untersuchung der Verurteiltenziffern bei jungen Frauen (14—21) für andere als Verkehrsstraftaten unterstützt diese Hypothese. Im selben Zeitraum (1965 — 1985) stieg die Verurteiltenziffer für diese Altersgruppe von 183,8 pro 100000 im Jahre 1965 auf 313,1 im Jahre 1985. Im selben Zeitraum stieg die Verurteiltenziffer für junge Männer nur leicht von 1004,5 pro 100000 auf 1275,6 (vgl. Tabelle 3). Es scheint daher die Annahme gerechtfertigt, daß in den vergangenen zwei Jahrzehnten die weibliche Kriminalität (einschließlich der Kriminalität älterer Frauen) schneller angestiegen ist als die männliche Kriminalität. Eine weitere mögliche Erklärung besteht darin, daß die gesellschaftlichen Einstellungen gegenüber Frauen (und gegenüber ihrer Kriminalität) sich als Resultat ihrer wachsenden Emanzipation verändert haben. Möglicherweise behandeln die Gesellschaft und das Strafrechtssystem weibliche delinquente Jugendliche und weibliche Straftäter nicht mehr mit derselben ritterlichen Haltung, mit der sie noch vor einem Vierteljahrhundert behandelt wurden. Es besteht daher die Möglichkeit, daß heute mehr durch Frauen (einschließlich ältere Frauen) begangene Straftaten angezeigt werden, und daß die Vertreter des Strafrechtssystems mit weiblichen Straftätern weniger milde umgehen, als sie es noch vor zwei Jahrzehnten getan haben. Ein weiteres interessantes Schema, das sich ergibt, wenn die Verurteiltenziffern für ältere Männer und ältere Frauen verglichen werden, ist die Veränderung im Zahlenverhältnis der Geschlechter bei den Verurteilungen. Mit fortschreitendem Alter scheint sich die weite Kluft zwischen männlicher und weiblicher Kriminalität zu verengen. Im Jahre 1965 betrug das Verhältnis der jungen weiblichen Kriminalität gegenüber der jungen männlichen Kriminalität (14—21 Jahre) ungefähr 1 zu 5. 20 Jahre später betrug dieses Verhältnis 1 zu 4. Bei der älteren Altersgruppe (60 Jahre und darüber) betrug das Verhältnis der Verurteiltenziffern von Frauen zu Männern für andere als Verkehrsstraftaten 1 zu 3,5 im Jahre 1965 und hatte sich im Jahre 1985 auf die unglaubliche Ziffer von nahezu einer weiblichen Verurteilung auf je zwei männliche Verurteilungen angenähert. Diese überraschende Relation ist u. a.

darauf zurückzuführen, daß die Frauen den Männern in den höheren Altersgruppen zahlenmäßig weit überlegen sind. Die Statistiken des Bundeskriminalamtes für das Jahr 1987 liefern weitere Bestätigung für die sich mit dem Alter verringernde Kluft zwischen der Kriminalität der beiden Geschlechter. In den Altersgruppen 21 bis 23, 23 bis 25, 25 bis 30, 30 bis 40 und 40 bis 50 beträgt der Anteil der Frauen unter den Tatverdächtigen durchgängig weniger als 25 % . Bei der älteren Gruppe von 50 bis 60 steigt der Anteil jedoch auf 29,3% und erreicht bei den 60jährigen und Älteren beinahe die Hälfte aller Tatverdächtigen (Männer 54,4%, Frauen 45,6%, vgl. Tab. 7). Der gleiche Trend läßt sich beobachten, wenn man die Ziffern statt der Prozentzahlen untersucht. Während das Verhältnis von Frauen zu Männern bei Tatverdächtigen in der Altersgruppe 21 bis 23 genau 1 zu 4 (1682 zu 6773) beträgt, ist das Verhältnis in der Altersgruppe der 60jährigen und Älteren ungefähr 1 zu 2 (410 zu 877, vgl. Tab. 5).

3. Struktur der nach Straftaten

Alterskriminalität und Geschlecht

Obwohl die Kriminalität älterer Menschen in der Bundesrepublik Deutschland relativ niedrig ist (Bild 1), sind die absoluten Zahlen älterer Straftäter (60 Jahre und darüber) erheblich. Wie die Tabelle 6 zeigt, sind alte Menschen unter den Tatverdächtigen unterrepräsentiert. Im Jahre 1987 betrug ihr Anteil an den Tatverdächtigen nach den Statistiken des Bundeskriminalamtes lediglich 5 , 7 % , wohingegen diese Altersgruppe laut Volkszählung von 1987 nahezu ein Fünftel der Bevölkerung ausmacht. Die absoluten Zahlen sind dagegen beträchtlich. Im Jahre 1987 gab es 39701 männliche Tatverdächtige und 33308 weibliche Tatverdächtige im Alter von 60 Jahren und darüber, insgesamt also 73 009. Der Anteil der älteren Frauen an der Gesamtzahl weiblicher Tatverdächtiger ist fast dreimal höher als der entsprechende Anteil bei Männern. Die Zahl der weiblichen Tatverdächtigen von 60 Jahren und darüber beträgt 33 308 gegenüber einer Gesamtzahl von 300661, mithin 11%. Die Zahl der Männer beträgt 39701 gegenüber einer Gesamtzahl von 989 780, also 4 % . Während unter jeweils 25 männlichen Tatverdächtigen einer 60 Jahre oder älter ist, ist eine von jeweils 10 weiblichen Tatverdächtigen eine ältere Frau. Zwei Ursachen können zur Erklärung dieser disproportionalen Repräsentation von älteren Männern und Frauen an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen genannt werden. Ein Grund besteht darin, daß Frauen in der Altersgruppe von 60 Jahren und darüber den Männern zahlenmäßig weit überlegen sind. Ein weiterer Grund besteht in der sich mit dem Alter verringernden Kluft zwischen männ-

249

Alterskriminalität

Tabelle Kriminalitätsbelastungszahlen

einzelner

5 Alters-

und

Geschlechtsgruppen*

insgesamt

männlich

1 438

2 164

701

— 8 bis unter 10

688

1 096

261

— 10 bis unter 12

1 273

1 923

597

— 12 bis unter 14

2 295

3 346

1 208

Jugendliche

3 990

6 044

1 832

Altersgruppe Kinder 8 bis unter 14

weiblich

darunter:

darunter: — 14 bis unter 16

3 655

5 429

1 794

— 16 bis unter 18

4 275

6 564

1 863

Heranwachsende (18 bis unter 21)

4 779

7 620

1 782

2 065

3 340

940

— 21 bis unter 23

4 308

6 773

1 682

— 23 bis unter 25

3 986

6 207

1 615

— 25 bis unter 30

3 562

5 496

1 494

— 30 bis unter 40

2 900

4 400

1 328

— 40 bis unter 50

2 153

3 218

1 052

— 50 bis unter 60

1 322

1 880

777

580

877

410

2 283

3 677

1 016

Erwachsene darunter:

— 60 und mehr Insgesamt (ohne Kinder unter 8 Jahren)

') Tatverdächtige (1987) jeder Altersgruppe bezogen auf je 100 000 Einwohner derselben Altersgruppe (jeweils ohne Kinder unter 8 Jahren; Stichtag 1. 1. 87) Quelle: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1987. W i e s b a d e n 1988, S . 4 6 . Bild

1

Alter und Geschlecht der Tatverdächtigen

6 0 mehr 50-60 40-50 30-40 25-30 21 - 2 5

18 - 2 1 16-18 14 - 16 unter14

Quelle: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1987. W i e s b a d e n 1988, S . 4 8 .

250

Alterskriminalität Tabelle 6 Aufgliederung der tatverdächtigen Erwachsenen von 30 bis unter 60 und von 60 und mehr nach Straftaten(gruppen) 30 bis 60 Jahre Straftaten(gruppe)·

männlich Anzahl in %

60 Jahre und mehr

weiblich Anzahl in %

männlich Anzahl in %

weiblich Anzahl in %

Mord und Totschlag

1 082

0.3

181

0,1

80

0,2

14

Vergewaltigung

1 5t6

0,4

7

0,0

29

0,1

-

Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

0,0 -

3 517

0,9

419

0,3

100

0,3

29

0,1

Gefährliche und schwere Körperverletzung

21 355

5.3

3 292

2,6

1 417

3,6

340

1.0

(Vorsätzliche leichte) Körperverletzung

45 548

11,3

6 419

5,0

2 710

2.1

842

2.5

Straftaten gegen die persönliche Freiheit

23 040

5.7

2 686

2.1

1 686

4,2

311

0,9

Diebstahl ohne erschwerende Umstände

84 667

21,0

55 896

43,3

18 739

47,2

24 927

74,8

Diebstahl unter erschwerenden Umständen

18 430

4,6

2 153

1,7

465

1,2

143

0,4

Betrug

84 501

21,0

26 405

20,5

3 521

8,9

1 607

4,8

2 490

0,6

619

0,5

155

0,4

36

0,1

Unterschlagung

14 132

3,5

3 739

2,9

469

1,2

248

0,7

Urkundenfälschung

12 446

3.1

2 519

2,0

410

1,0

150

0,5

767

0,2

125

0,1

35

0,1

9

0,0

22 475

5,6

4 034

3,1

1 122

2.8

415

1,2

Untreue

Erpressung Widerstand gegen die Staatsgewalt und Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Begünstigung, Strafvereitelung und Hehlerei

6 676

1.7

1 602

1,2

229

0.6

93

0,3

Brandstiftung

2 787

0,7

631

0.5

345

0.9

261

0,8

827

0.2

133

0,1

56

0.1

16

0,0

darunter: — (Vorsätzliche) Brandstiftung

1 445

0.4

130

0,1

43

0.1

7

0,0

Verletzung der Unterhaltspflicht

13 354

3,3

408

0,3

52

0,1

2

0,0

Beleidigung

25 615

6,4

7 423

5,8

3 016

7,6

1 581

4,7

Sachbeschädigung

21 960

5,4

2 930

2,3

1 618

4,1

153

0,5

Straftaten gegen strafrechtliche Nebengesetze auf dem Wirtschaftssektor

8 164

2.0

1 645

1.3

446

1,1

117

0,4

Rauschgiftdelikte

9 325

2,3

1 421

1,1

63

0,2

36

0,1

403 334

100,0

128 993

100,0

39 701

100,0

33 308

100,0

Straftaten im Amt

Straftaten insgesamt

* Die Auflistung ist nicht vollständig.

Quelle: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1987. Wiesbaden 1988, S.56.

Hoher und weiblicher Kriminalität, wie wir sie zuvor dargestellt haben. Wenn man anstelle der absoluten Zahlen und der Prozentwerte die Kriminalitätsbelastungszahlen vergleicht, so stellt man fest (Tabelle 7), daß ältere Männer (60 Jahre und darüber) immer noch mehr Kriminalität begehen als ältere Frauen, und zwar in

einem Verhältnis von 2 zu 1 (877 pro 100000 bei Männern und 410 pro 100000 bei Frauen, vgl. Tab. 5). Welche Straftaten begehen ältere Menschen in der Bundesrepublik Deutschland? Da die Unterschiede zwischen der Kriminalität älterer Männer und älterer Frauen qualitativer wie

251

Alterskriminalität Tabelle 7 Geschlechts- und Altersstruktur der

Tatverdächtigen

Die G e s a m t z a h l der Tatverdächtigen setzte sich 1987 wie folgt z u s a m m e n : Tatverdächtige Altersgruppe

insgesamt = 100 %

Kinder davon: bis unter 6 Jahre 6 bis unter β Jahre 8 bis unter 10 10 bis unter 12 12 bis unter 14 Jugendliche davon: 14 bis unter 16 16 bis unter 18 Heranwachsende (18 bis unter 21) Erwachsene insgesamt davon: 21 bis unter 23 23 bis unter 25 25 bis unter 30 30 bis unter 40 40 bis unter 50 50 bis unter 60 60 Jahre und mehr Tat verdächtige insgesamt

54 790 902 3 201 7 837 14 821 28 029 127 706 53 724 73 982

männlich

I in % 4.2 0,1 0.2 0,6

Anzahl 41 912

weiblich in %

Anzahl

in %

1.1 2,2

705 2 630 6 386 11 413 20 778

76,5 78,2 82,2 81,5 77,0 74.1

12 872 197 571 1 451 3 408 7 251

23,5 21,8 17.8 18,5 23,0 25,9

9,9 4,2 5,7

99 125 40 852 58 273

77,6 76,0 78,8

28 581 12 872 15 709

22,4 24,0 21,2

147 017

11,4

120 325

81,8

26 692

18,2

960 928 93 952 85 666 175 974 246 727 185 767 99 833 73 009

74,5 7,3 6,6 13,6 19,1 14,4 7,7 5.7

728 418 76190 68 884 140 309 191 557 141 150 70 627 39 701

75,8 81.1 80,4 79,7 77,6 76,0 70,7 54,4

232 510 17 762 16 782 35 665 55 170 44 617 29 206 33 308

24,2 18,& 19,6 20,3 2,4 24.0 29,3 45,6

1 290 441

100,0

989 780

76,7

300 661

23,3

Quelle: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1987. Wiesbaden 1988, S.44.

quantitativer Natur sind, ist es notwendig, die Straftaten, die alte Männer und alte Frauen begehen, separat zu untersuchen und zu vergleichen. Das überraschendste Charakteristikum der Alterskriminalität in der Bundesrepublik Deutschland steht im Zusammenhang mit Ladendiebstahl. Es ist überraschend und beunruhigend, daß ältere Frauen (60 Jahre und darüber) nach den Statistiken des Bundeskriminalamtes für 1987 von allen Altersgruppen die höchste Zahl der Tatverdächtigen für das Delikt Ladendiebstahl stellen (Bild 2). In der Tat (vgl. Tabelle 6) besteht die Kriminalität älterer Frauen zu % (74,8%) aus einem Delikt: Diebstahl ohne erschwerende Umstände. Dasselbe Delikt macht weniger als die Hälfte der männlichen Alterskriminalität aus (47,2%). Trotzdem steht diese Straftat bei beiden Geschlechtern an erster Stelle, während andere Straftaten weit dahinter folgen. Die nächsthäufige Straftat bei Männern und Frauen von 60 Jahren und darüber ist Betrug mit 8,9 % bei Männern und 4,8 % bei Frauen. An dritter Stelle steht Beleidigung (7,6 % bei Männern und 4,7% bei Frauen). Die drei nachfolgenden Straftaten sind bei älteren Männern: Straftaten gegen die persönliche Freiheit (4,2%), Sachbeschädigung (4,1 %) und schwere Körperverletzung (3,6%). Bei älteren Frauen folgen nachrangig die vorsätzliche leichte Körperverletzung (2,5%), Widerstand gegen die Staatsgewalt und Störung der öffentlichen Ordnung (1,2%) und schwere Körperverletzung

(1%).

Mit Ausnahme der Körperverletzung kommen Gewaltstraftaten bei älteren Männern wie bei älteren Frauen extrem selten vor. Zusammengenommen (Mord und Totschlag, Vergewaltigung, Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer) machen sie 0,6 % bei den Männern und lediglich '/io Prozent (0,1 % ) bei Frauen aus.

D. Ursachen und Erscheinungsformen der Alterskriminalität 1. Die Erklärung

von

Alterskriminalität

Die Kriminalätiologie ist vermutlich das problematischste und am wenigsten erfolgreiche Forschungsgebiet in der Disziplin der Kriminologie. Ein Grund hierfür ist natürlich die komplexe Natur des Verbrechens. Kein Verbrechen kann auf eine einzelne Ursache zurückgeführt werden. Die Ursachen von Verbrechen sind vielfältig, verschieden und miteinander verwoben. Einige Ursachen sind endogen (charakteristisch für das Individuum und seinen Organismus), andere sind exogen (charakteristisch für die Umgebung oder das soziale Milieu des Individuums). Ein weiterer Grund ist der, daß Verbrechen keine homogene Verhaltenskategorie und Kriminelle keine homogene Gruppe darstellen. Durch das Gesetz als Verbrechen definierte Handlungen können aus einer Vielzahl von heterogenen und unterschiedlichen Aktivitäten bestehen, die

252

Alterskriminalität Bild 2 Alter und Geschlecht der Tatverdächtigen

Ladendiebstahl ohne erschwerende Umstände

Quelle: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1987. Wiesbaden 1988, S. 119.

nichts gemeinsam haben als die Tatsache, daß sie alle durch irgendein Gesetz unter der Androhung einer Strafe verboten sind. Dies an sich erklärt bereits, warum es schwierig, wenn nicht unmöglich ist, eine allgemeine Theorie des Verbrechens zu entwickeln, die jede Form von Verbrechen und jeden Typus des Kriminellen zu erklären imstande wäre. Es wäre sowohl naiv wie auch überoptimistisch zu erwarten, daß eines Tages in nächster Zukunft eine umfassende kriminologische Theorie angemessene Erklärungen liefern könnte für Verhaltensweisen, die von krimineller Tötung bis zum Ausstellen ungedeckter Schecks, von Preisabsprachen bis zu Handtaschendiebstahl, von bewaffnetem Raub bis zu sexuellem Mißbrauch von Kindern reichen können, eine Theorie, die gleichermaßen erfolgreich Gewaltkriminalität, Eigentumsdelikte, Sexualstraftaten, opferlose Verbrechen, WeißeKragen-Kriminalität, organisiertes Verbrechen etc. erklären könnte. Zudem können die den Verbrechen zugrundeliegenden Ursachen für unterschiedliche Kategorien von Straftätern sehr verschieden sein. Wenn dies zutrifft, wären Erklärungen von Jugenddelinquenz nicht angemessen für die Erklärung von Alterskriminalität, Erklärungen von männlicher Kriminalität nicht angemessen zur Erklärung weiblicher Delinquenz. Zur Erklärung der unterschiedlichen Formen von Verbrechen, die von jeder Gruppe begangen werden, können unterschiedliche Erklärungen notwendig sein. Gewaltstraftaten brauchen eventuell eine andere Erklärung als Vermögensdelikte, und Sexualstraftaten können andere Erklärungen erfordern als Eigentumsdelikte und so fort.

Neben den allgemeinen Problemen, die hier dargestellt wurden, ist Alterskriminalität deshalb schwierig zu erklären, weil kriminelles Verhalten für jene, die ein bestimmtes Alter erreicht haben, ein atypisches Verhalten darstellt. Dies ist vermutlich der Grund, warum die meisten gängigen Erklärungen für Alterskriminalität in Wirklichkeit „Umkehrschlüsse" sind. Sie versuchen also — anstatt zu erklären, warum einige ältere Menschen Verbrechen begehen —, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, warum die älteren Menschen als Gruppe weniger Verbrechen begehen als jüngere Menschen, oder warum Kriminalität mit dem Alter abnimmt. Diese sogenannten Umkehrschlüsse sind durchaus hilfreich. Das Verständnis darüber, warum Menschen aufhören, Verbrechen zu begehen, kann zu einem besseren Verständnis des Problems beitragen, warum sie anfangen, Verbrechen zu begehen. Mit anderen Worten, das Verständnis des Ablassens vom Verbrechen kann das Verständnis der Hinwendung zum Verbrechen erklären helfen. Unglücklicherweise ist die Forschung über das Ablassen vom Verbrechen nicht so umfangreich wie die Forschung darüber, warum Menschen anfangen, Verbrechen zu begehen. Folglich sind unsere Kenntnisse über die Ursachen der Abwendung vom Verbrechen großenteils spekulativer Natur, und viele der wichtigen Fragen, die mit diesem interessanten Phänomen in Verbindung stehen, sind noch unbeantwortet. Ein anderer Erklärungsansatz der Alterskriminalität ließe sich als „Zirkelschlüsse" bezeichnen. Dies trifft besonders auf psychiatrische Erklärungsansätze zu. Häufig wird das kriminelle Verhalten des

Alterskriminalität älteren Individuums dazu benutzt, eine organische oder anorganische geistige Störung zu diagnostizieren, und diese Störung dient wiederum der Erklärung des in Frage stehenden kriminellen Verhaltens. Die Erklärung der Alterskriminalität verlangt eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Typen von älteren Straftätern ebenso wie eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen von Straftaten, die ältere Menschen begehen. Eine weitere Tatsache, die bei dem Versuch des Verständnisses und der Erklärung von Alterskriminalität berücksichtigt werden muß, ist das Problem der Anpassung. Die physischen, psychischen und sozialen Veränderungen, die mit dem Alter einhergehen, machen diesen Lebensabschnitt zu einer Phase der Anpassung. Die Fähigkeit zur Bewältigung dieser Veränderungen unterscheidet sich zwangsläufig, zuweilen erheblich, zwischen dem einen und dem anderen Individuum, nicht nur aufgrund von individuellen Unterschieden, sondern auch aufgrund des Einflusses der Umgebung und der Stärke oder Schwächc der Unterstützungssysteme, insbesondere des sozialen Netzwerks des Individuums. Besonders wenn Verbrechen erstmals zu einem sehr späten Zeitpunkt im Leben auftritt, kann es als ein Symptom für mehr oder weniger akute Probleme der Bewältigung und der Anpassung an die neuen Bedingungen, die seltsamen Erfahrungen und die grundlegenden Veränderungen des Alters interpretiert werden. In dieser Hinsicht könnten durchaus Ähnlichkeiten zwischen Alterskriminialität und Jugenddelinquenz bestehen. Moberg (1953) erinnert daran, daß viele Formen delinquenten Verhaltens bei Jugendlichen auch auf Probleme der Anpassung an physische, psychische und soziale Veränderungen zurückgeführt werden können, die in der Jugend und im heranwachsenden Alter stattfinden. Die nächste Lebensphase mit einer vergleichbaren Anzahl von Veränderungen ist die des Alterns. Der alternde Mensch muß sich häufig mit dem Tod des Ehepartners oder Lebensgefährten, mit dem Verlust der Berufstätigkeit und vermindertem Einkommen, mit dem Verlust an Status abfinden; er muß sich mit Einsamkeit, Isolation, Langeweile, Armut, körperlichem Verfall, körperlicher Schwäche und mit dem Verlust der Mobilität oder Freiheit auseinandersetzen. Es ist nicht überraschend, daß zwischen dem Altern und dem Heranwachsen Parallelen und Analogien hergestellt worden sind. Wolf u. a. (1963) stellten fest, daß sich die Persönlichkeitsdynamik alter Menschen und Heranwachsender in vieler Hinsicht ähnelt: — Beide Altersgruppen befinden sich in einem Zustand der beständigen Veränderung; in der Jugend besteht diese Veränderung im Reifungsprozeß, im Alter dagegen im Verfall; — beide Gruppen beschäftigen sich mit der Zukunft, jedoch nur in kurzfristiger Sicht;

253

— die Frustrationstoleranz ist bei beiden Gruppen niedrig; — beide Gruppen sind von körperlichen Veränderungen betroffen: Heranwachsende durch das Wachstum, ältere Menschen durch körperlichen Verfall; — das Hauptaugenmerk des Lebens ist auf das tägliche und unmittelbare Überleben ausgerichtet. Dies führt gelegentlich zu Egoismus und zu der Auffassung, nichts zu verlieren zu haben; — die Selbstbilder beider Gruppen ähneln sich: Bei beiden Gruppen treten Gefühle von Unsicherheit und Unzulänglichkeit auf, und beide versuchen, Männlichkeit, Weiblichkeit oder Sexualität zu entwickeln und zu erhalten. Feinberg (1984) zieht noch weitere Analogien zwischen den beiden Gruppen. Er weist auf die folgenden Ähnlichkeiten hin: — Freiheit von beruflichen Verantwortlichkeiten, — relativ unstrukturierter Tagesablauf, — relative Freiheit von zukünftiger Lebensplanung, — niedriges Prestige des gesellschaftlichen Status, — eingeschränkte finanzielle Unabhängigkeit, — relative Freiheit von familiären Verantwortlichkeiten, — stärkere Betonung der Verbrauchs- als der Produktionstätigkeit, — starke Betonung auf Spiel und Freizeit als Lebensstil. Feinberg (1984) erkennt allerdings auch die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Er stellt folgendes fest: — Jugendliche können ihr zukünftiges Engagement in ökonomischen, familiären und politischen Rollen voraussehen, während ältere Menschen hauptsächlich ihren Rückzug aus solchen Rollen zu erwarten haben. — Die gesellschaftliche und eigene Erwartung geht bei Jugendlichen dahin, daß sie sich in den Hauptstrom der Gesellschaft eingliedern. Bei älteren Menschen richtet sich dagegen die eigene und die gesellschaftliche Erwartung darauf, den Hauptstrom der Gesellschaft zu verlassen und nicht zurückzukehren. — Mit der Zeit werden die Statusposition, die finanzielle Position und die Machtposition der Jugendlichen stärker, während sie mit der Zeit für ältere Menschen schwächer werden. — Jugendliche suchen die Akzeptanz der gesellschaftlich Mächtigen, und ihre Bezugsgruppen sind in die fortschrittliche Sozialordnung eingebettet. Ältere Menschen befinden sich außerhalb des gesellschaftlichen Hauptstromes wie die Jugendlichen, aber darüber. — Jugendliche haben im allgemeinen direkte und intime Rollenvorbilder, an denen sie sich orien-

254

Alterskriminalität

tieren; älteren Menschen fehlen in der Regel solche idealisierten Rollenmodelle. Feinbergs Analogie betont und beleuchtet die zumeist negativen Aspekte des Alters und der späteren Lebensabschnitte. Dies ist verständlich, da er sie alle in den Kontext der Erklärung eines atypischen Verhaltens, einer abnormen Aktivität für ältere Menschen, nämlich Verbrechen, insbesondere Ladendiebstahl, stellt. Es steht natürlicherweise zu erwarten, daß nur jene, die die Veränderungen und Probleme des Alters nicht erfolgreich bewältigen konnten, und die nicht in der Lage waren, sich an ihre neuen Lebensbedingungen anzupassen, ihre Zuflucht bei kriminellem Verhalten in der einen oder anderen Form suchen. Mit anderen Worten, das Verhalten älterer Menschen, die keine Verbrechen begangen haben, erfordert keine Erklärung.

2. Die Rolle geistiger Störungen bei der Alterskriminalität Wie zuvor dargestellt wurde, erfordern unterschiedliche Formen devianten und kriminellen Verhaltens in verschiedenen Lebensphasen unterschiedliche Erklärungsansätze. Es besteht daher die Möglichkeit, daß zwar soziologische und soziokulturelle Theorien zur Erklärung früher Delinquenz und jugendlicher Kriminalität nützlich sein können, daß aber psychiatrische Erklärungsansätze für die Alterskriminalität aufschlußreicher sein können. Die Psychiatrie hat bereits vor langer Zeit festgestellt, daß Schädigungen des Gehirns, zerebrale Krankheiten, traumatische Gehirnverletzungen ebenso wie chronische Epilepsie mit Verhaltensstörungen in Verbindung stehen können, die das betroffene Individuum manchmal in Konflikt mit dem Gesetz bringen. Da einige geistige Störungen, insbesondere senile Demenz, manchmal in der Tat mit dem Alter einhergehen oder dadurch hervorgerufen werden, besteht durchaus die Möglichkeit, daß sie bei bestimmten Formen antigesellschaftlichen Verhaltens älterer Bürger eine verursachende Rolle spielen in dem Sinne, daß die veränderten Verhaltensformen zumindest teilweise auf die zerebrale Störung rückführbar sind. Tatsächlich sind viele Psychiater davon überzeugt, daß die meisten Straftaten im Alter Ausdruck einer beginnenden senilen Demenz sind, obwohl sich noch kein offensichtliches geistiges Krankheitsbild entwickelt hat (Pollak 1941, S . 2 3 0 ) . Klinische Studien (Whiskin 1965) berichten über eine stark vermehrte Häufigkeit organischer Gehirnstörungen unter älteren Sexualstraftätern. So wurde festgestellt, daß von 47 älteren Sexualstraftäter (60 Jahre und älter) 18 unter arteriosklerotischer Demenz litten; Whiskin stellte bei 9 von 15 älteren Sexualstraftätern (60 Jahre und darüber), die durch das Gericht psychiatrischen Kliniken überwiesen

worden waren, organische Hirnstörungen fest. In Toronto konnten dagegen Hucker und Ben-Aron (1985) nur bei 14 % von 43 älteren Sexualstraftätern ein organisches zerebrales Syndrom diagnostizieren. Offenbar hat das verwendete Diagnoseverfahren einen großen Einfluß auf die Prozentzahlen. Variationen der angelegten Kriterien und letztlich der Diagnose können zu erheblichen Unterschieden in den festgestellten Häufigkeitsziffern führen. Sie haben dagegen keinen Einfluß auf die psychiatrische Tatsache, daß organischer Verfall des Gehirns, organische Gehirnkrankheiten und progressive zerebrale Schädigungen, dort wo sie wirklich bestehen, zu Einschränkungen des Urteilsvermögens, Kontrollverlust, einer Verminderung von Hemmungen und anderen Symptomen, die eine kausale Rolle bei der Entstehung bestimmter Straftaten spielen, führen können und führen. Es sind daher weitere Forschungsarbeiten nötig, die nicht nur eindeutig die Häufigkeit solcher Störungen bei älteren Straftätern feststellen (und diese Häufigkeit mit der der nichtkriminellen älteren Bevölkerungsgruppen vergleichen), sondern auch den Prozeß und die Mechanismen untersuchen, durch die sie ihren wie auch immer gearteten kriminogenen Einfluß ausüben.

3.

Sexualstraftaten

Unter allen Straftaten, die von älteren Männern begangen werden, haben auf irgendeine Weise Sexualdelikte die größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Besonders die europäischen Kriminologen haben Sexualstraftaten immer als die häufigste Form der Kriminalität älterer Menschen behandelt (Bürger-Prinz 1961; Körner 1977; Roth 1968). Auf der Grundlage früherer amerikanischer Statistiken schloß Pollak (1941), daß Sexualstraftaten unter den verschiedenen Delikten, die von älteren Menschen begangen werden, eine führende Stellung einnehmen. Neuere und verläßlichere Statistiken scheinen jedoch diesen Schluß nicht ohne weiteres zuzulassen. Wie andere Gewaltstraftaten wird auch Vergewaltigung nur selten von älteren Männern begangen. Die Statistiken des Bundeskriminalamtes für das Jahr 1987 zeigen, daß in der gesamten Bundesrepublik Deutschland nur 29 Personen im Alter von 60 Jahren und darüber als Tatverdächtige in Fällen von Vergewaltigung ermittelt wurden, und daß ihr Anteil an der Gesamtzahl älterer Tatverdächtiger nur Vw Prozent betrug (0,1 % ) . Es scheint sogar die Annahme gerechtfertigt (obwohl dies in der Statistik nicht näher ausgeführt wird), daß die meisten dieser 29 Personen sich in der Altersgruppe zwischen 60 und 65 Jahren befanden. Wir wissen nicht mit Sicherheit, wieviele Sexualdelikte in einem beliebigen Jahr von älteren Männern begangen werden. Da die große Mehrheit der

Alterskriminalität Sexualstraftaten, die von älteren Männern begangen werden, nicht mit Gewalt ausgeübt wird, und weil zur Unterwerfung oder Gefügigmachung des Opfers keine körperliche Kraft eingesetzt wird, ist die Dunkelziffer außerordentlich hoch. Angst ist ein weiterer wichtiger Grund für die mangelnde Anzeigebereitschaft bei Sexualdelikten. Dies trifft besonders dann zu, wenn innerhalb der Familie ältere Personen inzestuöse Sexualstraftaten an kleinen Kindern begehen, mit denen sie verwandt sind. Trotz der hohen Dunkelziffer ist wahrscheinlich die Häufigkeit der nichtgewalttätigen Straftaten bei alten Männern niedriger als bei anderen Altersgruppen der Bevölkerung, wie dies auf alle Straftaten zutrifft. Für die Verteilung der Fälle nach Geschlecht des Opfers gibt es gleichfalls keine genauen Daten. Die Schätzungen variieren. Aber da ältere Sexualstraftäter ausschließlich männlichen Geschlechts sind, ist es gerechtfertigt anzunehmen, daß die Opfer mehrheitlich weiblich sind und es auch in Zukunft sein werden. Es besteht allgemein Konsens darüber, daß die verschiedenen Formen sexuellen Mißbrauchs von Kindern die Mehrheit der durch ältere Männer begangenen Sexualstraftaten darstellen. Mit Ausnahme einiger weniger echter pädophiler Straftäter, die sexuell auf kleine Kinder fixiert sind, scheint die Vorliebe älterer Straftäter für junge Opfer in den meisten Fällen eher durch Zweckmäßigkeit, Zugänglichkeit und Gelegenheit als durch eine tatsächliche Präferenz kleiner Kinder als Sexualobjekt bestimmt zu werden. In den meisten Fällen ist das Kind nicht das bevorzugte Sexualobjekt, sondern ein Ersatz dafür, weil es weniger imstande ist, Widerstand zu leisten, leichter zu bestechen ist, leichter zugänglich ist, durch Drohungen eher zu beeinflussen ist und mit geringerer Wahrscheinlichkeit etwas erzählen wird ( H . J . Schneider 1987, 704). Einige Psychiater betrachten dagegen die Wahl eines Kindes als Sexualobjekt als Symptom einer pathologischen Geistesstörung, die mit dem Alter einhergeht, oder als Anzeichen der Regression auf die Kindheitsstufe. Im Gegensatz zu jungen Vergewaltigungstätern, von denen viele Gewalt anwenden, um ihr Opfer gefügig zu machen, verwenden ältere Sexualstraftäter im allgemeinen keine körperliche Gewalt. In manchen Fällen ist das Kind noch zu jung, um zu erkennen, welche Handlungen an ihm vorgenommen werden oder es selbst vornehmen soll. Wenn das Kind alt genug ist, die sexuelle Natur und den verbotenen Charakter der in Frage stehenden Handlungen zu erkennen, kann seine Einwilligung auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden: durch Geld, Geschenke, Versprechungen etc. Falls diese nicht das gewünschte Resultat erzielen, können Drohungen eingesetzt werden. Für durch ältere Männer begangene Sexualstraftaten sind Kinder die idealen Opfer. Kinder sind vertrauensvoll und gehorsam, respektieren ältere

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Menschen (die für sie ihre Eltern oder Großeltern symbolisieren), suchen nach Zuneigung und sind bestrebt zu gefallen. All dies macht sie zu idealen und einfachen Objekten für die sexuelle Annäherung älterer Männer, die mit Sicherheit eine Ablehnung erwarten, wenn sie sich reiferen potentiellen Sexualpartnern zuwenden. Neben jenen Fällen, die durch den alten Mann selbst initiiert werden, gibt es belegte Fälle von aufgeweckten und neugierigen Mädchen (oder Jungen), die ihre sexuelle Neugier und/oder ihre erwachenden Bedürfnisse zu befriedigen oder auch etwas Geld dadurch zu verdienen suchen, daß sie sich alten, zuweilen arglosen Männern nähern. In diesen Fällen sind die „Opfer" eher die Initiatoren als die Verführten. Die meisten älteren Straftäter, die des sexuellen Mißbrauchs junger, scheinbar bereitwilliger Kinder angeklagt werden, berufen sich darauf, von ihren Opfern verführt worden zu sein. In vielen Fällen dient dies lediglich der Verteidigung wie auch die Behauptung, daß die Straftat unter dem Einfluß von Alkohol ausgeübt wurde und der Straftäter nicht die volle Kontrolle über seine Handlungen hatte. Wahrscheinlich ist jedoch in manchen Fällen die Darstellung des Straftäters nicht lediglich eine Verteidigungsstrategie, sondern ein wirklichkeitsgetreuer Bericht über die tatsächlichen Vorgänge. Einige Autoren berichten über Fälle von Kinder-„Prostituierten" beiderlei Geschlechts, die sich älteren Männern nähern und deren Schwäche und verzweifeltes Bedürfnis, ihren schwindenden Sexualtrieb zu befriedigen, ausnutzen (Pollak 1941, S.223). Wolf (1957) berichtet über drei solcher Fälle. Alle drei nicht miteinander in Beziehung stehenden Fälle betreffen Sexualdelikte, die von älteren Männern an minderjährigen Mädchen ausgeführt wurden. In allen drei Fällen handelte es sich bei den sexuell mißbrauchten Kindern um die gleichen, was Anlaß zu der Vermutung gibt, daß sie selbst Initiatoren der sexuellen Handlungen waren. Den Berichten zufolge betraf das Verhalten vernachlässigte, sexuell verwahrloste Kinder, die schwachsinnige Männer ohne jede Vorstrafen zu diesen kriminellen Handlungen angestiftet hatten. Wolf stellt die Frage, wie es möglich sein könnte, alte, geistesschwache Männer vor vernachlässigten, sexuell verwahrlosten Kindern zu schützen.

Obwohl feministische Autoren zur Sexualkriminalität die Rolle des Kindes bei der Initiierung, Ermutigung (oder sogar Einwilligung) zu der sexuellen Handlung vehement abstreiten, liefern einige Studien, die nicht nur in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, sondern noch 1980 durchgeführt wurden, empirisches Beweismaterial zu dieser Annahme (Maisch 1970; Virkkunen 1975). In ihrer umfangreichen Untersuchung von Sexualstraftätern weisen Gebhard u. a. (1965) darauf hin, daß in Fällen von Sexualstraftaten gegen Kinder, mit Ausnahme gewalttätiger Delikte, in über drei Viertel

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Alterskriminalität

der Fälle Ermutigung oder zumindest passives Verhalten des Opfers vorlag. In der Bundesrepublik Deutschland, wo die Rolle des Opfers bei Sexualstraftaten systematisch untersucht wird, hat die Psychiaterin Thea Schönfelder die Rolle des jungen weiblichen Opfers bei Sexualstraftaten umfassend untersucht. In einem 1965 unter dem Titel „Die Initiative des Opfers" veröffentlichten Artikel liefert Schönfelder einige quantitative Daten zu diesem Problem. Die Untersuchung stützt sich auf 165 Fälle von verurteilten Sexualstraftätern mit 309 kindlichen Opfern (245 Mädchen und 64 Jungen). Schönfelder stellte bei 31 % der Mädchen und 28 % der Jungen eine aktive Teilnahme fest. Sie fand weiterhin, daß das aktive Verhalten des Kindes sich mit dem Alter des Täters verstärkte. In Fällen, in denen der Sexualstraftätcr über 60 Jahre alt war, betrug der Prozentsatz der aktiv teilnehmenden Opfer 4 7 % . In Fällen mit Tätern von unter 40 Jahren betrug der entsprechende Anteil nur 20 % . Die Forschungsarbeiten zur Dissertation von Harald Körner (1975 und 1977) liefern weitere Informationen zur Rolle des Opfers bei durch ältere Männer begangenen Sexualstraftaten. Körner untersuchte 483 Fälle von Männern über 55 Jahren, die vor dem Landgericht in Frankfurt/M. in den Jahren 1960 bis 1969 wegen Sexualstraftaten gegen Kinder angeklagt waren. Obwohl die offiziellen Berichte, wie Körner hervorhebt, dazu neigen, den Widerstand des Opfers zu betonen und die Ermutigung und/oder Partizipation des Opfers herunterzuspielen, fand er in nicht weniger als 35% dieser Fälle Teilnahme seitens des Opfers. Körner bemerkt, daß der wirkliche Anteil der aktiv teilnehmenden Opfer wesentlich höher als 35 % anzusetzen sein müßte, da freiwillige sexuelle Kontakte nur selten den Behörden angezeigt werden, und da ein hoher Prozentsatz der Fälle, in denen das Opfer ein bereitwilliger oder gar initiativer Partner ist, wahrscheinlich unentdeckt bleibt. Um seine These zu illustrieren, zitiert Körner im Detail Fallstudien aus seinem Material, die zeigen, wie einige der älteren Sexualstraftäter aktiv und nachdrücklich von frühreifen, sexuell verwahrlosten Kindern verführt wurden. Solchen Fällen läßt sich freilich kaum vorbeugen, wenn die Vorbeugung, Behandlung und Rehabilitation ihre Bemühungen ausschließlich auf die Täter richten. Körner zitiert den Forscher Paulsen, der wie Wolf (1957) die Frage stellte, wie es möglich sein könne, solche Sexualstraftaten zu verhindern, wenn die Statistik zeige, daß nahezu 50% der sogenannten Opfer in Wirklichkeit die Verführer gewesen seien. Auf der Basis einer Erhebung zur sexuellen Viktimisierung, die an sechs Colleges und Universitäten in Neu-England durchgeführt wurde, bestreitet Finkelhor (1979) die Annahme einer Opferinitiicrung. Er berichtet, daß nach seinen Daten die Kinder die Empfänger sexueller Handlungen, nicht

deren Initiatoren, und außerdem Opfer von Gewalt und Zwang waren. Er fügt hinzu: Es ist zutreffend, daß Kinder oft Handlungen unterlassen haben, die sie, aus der Sicht eines Erwachsenen, vor dieser Erfahrung beschützt hätten oder zumindest eine Wiederholung verhindert hätten. Aber in vielen Fällen waren die Kinder sich über die Situation im unklaren, sahen ihre Möglichkeiten nicht oder wurden durch ihre Partner mit Absicht irregeführt (1979, S.64). Finkelhors Untersuchung befaßte sich nicht spezifisch mit durch ältere Männer begangenen Sexualdelikten. Außerdem steht zu erwarten, daß Untersuchungen, die sich auf Berichte der Opfer über die Vorfälle stützen, niedrigere Prozentzahlen bei Initiierung, Teilnahme und Einwilligung und höhere Prozentzahlen bei Widerstand und Gewaltanwendung erbringen als Studien, die sich auf Berichte der Täter oder auf Gerichtsfälle stützen. Finkelhor deutet an, daß besonders für Mädchen das erlittene Trauma um so größer ist, je größer der Altersunterschied ist, und daß die Erfahrung um so traumatischer ist, je älter der Partner ist. Er stellte weiterhin fest, daß Vater-Tochter-Inzest die traumatischste überhaupt mögliche Form sexueller Erfahrung ist. In einigen Fällen von Sexualdelikten, die von älteren Menschen begangen werden, ist das kindliche Opfer sehr jung. Newman und Newman (1982) haben festgestellt, daß der Altersunterschied zwischen Täter und Opfer manchmal außerordentlich extrem ist. Sie zitieren auch eine unter dem Behandlungspersonal von Programmen für Sexualstraftäter verbreitete Ansicht: „Je älter der Mann, desto jünger das Kind." Ein Charakteristikum älterer Straftäter, die wegen Sexualdelikten verhaftet werden, ist das scheinbar völlige Fehlen von Vorstrafen. Henninger (1939) berichtet, daß es sehr selten Anhaltspunkte für frühere Gesetzesverletzungen oder Fehlverhalten bei senilen Sexualstraftätern gibt und daß ein solches Verhalten fast immer für die Familie und Freunde des Täters vollkommen unerwartet kommt. Da viele Sexualstraftaten, besonders Inzest und sexueller Mißbrauch von Kindern, eine hohe Dunkelziffer aufweisen, sind Schätzungen von Ersttätern und Rückfalltätern, sofern sie sich ausschließlich auf offizielle Berichte und frühere Verurteilungen stützen, nicht allzu genau. Newman und Newman (1982) weisen darauf hin, daß viele ältere Straftäter (und es ist nicht bekannt, wie viele) offenbar in ihrem ganzen Leben sexuell abweichendes Verhalten gezeigt haben, das vielleicht in ihren späteren Lebensjahren offensichtlicher wurde. Andererseits erscheint es, daß viele Menschen mit sexuell abweichendem Verhalten, vielleicht die Hälfte, weder Vorstrafen noch klinische Berichte

Alterskriminalität über sexuelle Auffälligkeiten aufwiesen, bis sie das Alter erreicht hatten. Roth (1968) berichtet gleichfalls, daß das perverse Sexual verhalten häufig im Alter erstmals auftritt. Er nimmt jedoch an, daß bei sorgfältiger Untersuchung häufig zum Vorschein kommen würde, daß einige der Probanden bereits vor ihrer ersten Verurteilung im Alter erhebliche Schwierigkeiten mit ihrer sexuellen Orientierung hatten. Die Häufigkeit der Ersttäter unter jenen, die im Alter ein Verbrechen begehen, brachte Pollak (1941) zu der A n n a h m e , man könne allgemein feststellen, daß, je älter der Kriminelle sei, er mit um so höherer Wahrscheinlichkeit ein Ersttäter sei. Mit Ausnahme einiger älterer Prostituierten und „Bordellmütter", die wegen Kuppelei, Ausbeutung von Prostituierten, Betrieb eines Bordells oder Anstiftung Jugendlicher zu Straftaten angeklagt werden könnten, und mit Ausnahme einiger älterer Frauen, die gelegentlich als Mittäter in Fällen von Vergewaltigung, Inzest oder sexuellem Mißbrauch auftreten, gibt es praktisch keine Beteiligung älterer Frauen an Sexualstraftaten. Zahlenmäßig überwiegen die psychiatrischen Erklärungsansätze für durch ältere Männer begangene Sexualstraftaten bei weitem die soziokulturellen, da diese Form kriminellen Verhaltens bisher hauptsächlich durch Psychiater, denen die Straftäter durch Gerichtsbeschluß überwiesen wurden, untersucht worden ist. Einige Psychiater halten Sexualstraftaten im Alter für Symptome von Geisteskrankheit. Viele sehen in ihnen den frühen Ausdruck einer beginnenden senilen Demenz, obwohl sich noch kein offensichtliches geistiges Krankheitsbild entwickelt haben muß (Pollak 1941). Roth (1968) nimmt an, daß sexueller Mißbrauch von Kindern durch ältere Menschen oft auf zerebrale Degeneration zurückgeführt werden kann, die primitive instinktive Triebe der Kontrolle durch die höheren Zentren des Gehirns entzieht. Roth zitiert Beweismaterial, welches zeigt, daß einige dieser älteren Sexualstraftäter zweifelsfrei an Erkrankungen der Gehirngefäße litten und andere sich im frühen Stadium eines senilen Degenerationsprozesses befanden. Roth hält es für möglich, den Einfluß zerebraler Degenerationserscheinungen auf perverse Sexualität im Alter durch sorgfältige Nachfolgestudien nachweisen zu können. Es sollte hier darauf hingewiesen werden, daß trotz der Neigung vieler Psychiater, Sexualstraftaten im Alter auf zerebrale Degeneration zurückzuführen, noch keine Korrelation zwischen dem Grad des Verfalls und der Wahrscheinlichkeit von Sexualdelikten festgestellt worden ist (Henninger 1939). Ein weiterer psychiatrischer Erklärungsansatz für Sexualdelikte im Alter bezieht sich darauf, daß die Libido physiologisch beständig ist, während die internen Mechanismen der Selbstkontrolle geschwächt werden. Pollak (1941) nimmt an, daß physiologische Veränderungen durch das Altern ei-

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ne wichtige Rolle spielen. Laut Pollak können Veränderungen der Blutgefäße und Gehirnzellen ebenso wie senile Veränderungen auf die Sexualdrüsen kausale Faktoren darstellen. Alkohol scheint gleichfalls eine wesentliche Rolle bei durch ältere Männer begangenen Sexualstraftaten zu spielen, und zahlreiche Studien haben seinen kriminogenen Einfluß auf Inzest dokumentiert (vgl. Maisch 1970). Soziokulturelle Erklärungen im Alter begangener Sexualstraftaten betonen das Fehlen normaler sexueller Trieberleichterung und das Ausmaß der Unterdrückung von Sexualität im Alter. Obwohl sich die gesellschaftlichen Einstellungen gegenüber älteren Menschen in den vergangenen 10 Jahren verändert haben, assoziiert die Gesellschaft Sexualität immer noch mit Jugend und Schönheit. Die Situation hat sich gegenüber den 40er Jahren verbessert, als Pollak (1941) nachdrücklich veraltete soziale Einstellungen beklagte, die es „als das äußerste an Unanständigkeit (betrachten), daß ein alter Mensch noch sexuelle Bedürfnisse haben sollte, und nichts scheint unseren Respekt für alte Menschen mehr zu erschüttern als die Feststellung, daß sie einen Sexualtrieb ohne die Rechtfertigung der Fortpflanzung besitzen". Diese extreme und vollständige gesellschaftliche Unterdrückung, so Pollak, könnte für einen Teil der Sexualstraftaten im Alter verantwortlich sein. D e r tiefe seelische Konflikt, der durch die rigide Unterdrückung der Sexualität im Alter hervorgerufen wird, könnte auch für andere Straftaten nichtsexuellen Charakters, die durch ältere Menschen begangen werden, verantwortlich sein. Whiskin (1968) betont die Rolle der Isolation und Einsamkeit in der Ätiologie der durch ältere Männer begangenen Sexualstraftaten. Er nimmt an, daß ältere Straftäter Erleichterung von ihrer Isolation und ihrer Einsamkeit suchen, und weist darauf hin, daß die Kontakte oft relativ harmlos beginnen; mehr oder weniger weitreichende sexuelle Handlungen können sich allmählich entwickeln. Roth (1968) bemerkt unter Berufung auf Hirschmann, daß ältere Männer durch die Furcht vor Zurückweisung und Erniedrigung oder durch sexuelles Versagen davon abgeschreckt werden, persönliche Beziehungen mit erwachsenen potentiellen Sexualpartnern als Vorstufe zu engeren Beziehungen anzuknüpfen. Auf der anderen Seite finden sie es relativ einfach, Beziehungen zu einem Kind herzustellen, bei dem die Großvaterfigur eine Einstellung von Vertrauen und Zuneigung hervorruft. Roth sieht Affinitäten zwischen der Psychologie dieser sexuellen Handlungen älterer Menschen mit Kindern und dem perversen Verhalten einiger entwicklungsgestörter und geistesschwacher Täter, die ebenfalls leicht mit Kindern kommunizieren können und auf diese Weise eine sexuelle Beziehung herstellen, die nur eine geringe Drohung oder Herausforderung darstellt (vgl. auch H . J . Schneider 1981, 531).

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Alterskriminalität

4. Mord und Totschlag Im Unterschied zu Sexualstraftaten, die sich durch eine hohe Dunkelziffer auszeichnen, hat Mord und Totschlag eine relativ niedrige. Die Statistiken über Tötungsdelikte sind daher wahrscheinlich genauer als die für die meisten anderen Straftaten. Da Tötungsdelikte älterer Menschen zumeist innerhalb bestimmter Beziehungen begangen werden, dürften sie eine höhere Aufklärungsrate haben als andere Formen, etwa Tötungsdelikte bei einander völlig Fremden oder sexuell motivierter Mord. Ältere Menschen begehen weniger Tötungsdelikte als nach ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung zu erwarten wäre. So entdeckte Wolfgang (1958) in seiner Untersuchung von Tötungsdelikten in Philadelphia, daß vor dem 50. Lebensjahr die statistische Wahrscheinlichkeit, daß jemand Täter eines Tötungsdeliktes wird, etwas höher ist als die, daß jemand einem Tötungsdelikt zum Opfer fällt, während über dem 50. Lebensjahr die Wahrscheinlichkeit des Opferwerdens zweimal höher ist als die des Täterwerdens. Er stellte fest, daß die mittlere jährliche Ziffer der Täter über 50 Jahre nur 2,3, dagegen die Ziffer für Opfer in derselben Alterskategorie 4,7 betrug. In den Statistiken des Bundeskriminalamtes für 1987 werden für die Bundesrepublik Deutschland nur 80 Männer und 14 Frauen im Alter von 60 Jahren und darüber als Tatverdächtige in Tötungsdelikten genannt. Die Häufigkeit der Tötungsdelikte durch ältere Menschen steht in enger Verbindung mit dem kulturellen Umfeld. Amerikanische Daten bestätigen die Bedeutung der kulturellen Unterschiede. Wolfgang (1961) beobachtete z . B . , daß, obwohl Schwarze wie Weiße in ihren 20er Jahren häufiger Tötungsdelikte begehen als zu jedem anderen Zeitpunkt ihres Lebens, schwarze Männer in ihren frühen 60ern ebenso häufig töten wie weiße Männer in ihren frühen 20ern! Newman und Newman (1982) fanden zwei Hauptunterschiede zwischen den Tötungsdelikten älterer Menschen und denen der jüngeren. Erstens sind bei älteren Menschen Tötungsdelikte, die während der Begehung anderer Straftaten verübt werden (etwa während eines Bankraubs), wesentlich seltener als bei allen anderen Altersgruppen. Zweitens — und dies trifft auf Mord wie auf Alterskriminalität insgesamt zu — ist der ältere Täter häufiger eine Frau als in anderen Altersgruppen. Die Autoren sehen hierin eine Auswirkung des in den älteren Bevölkerungsgruppen unterschiedlichen zahlenmäßigen Geschlechterverhältnisses und des zahlenmäßigen Überwiegens von Frauen in den höheren Altersgruppen. Die letztgenannte Feststellung wird durch die deutschen polizeilichen Statistiken nicht bestätigt. Nach den Statistiken des Bundeskriminalamtes für das Jahr 1987 (vgl. Tabelle 6) wurden in der Alters-

gruppe von 30 bis 60 Jahren 1082 Männer und 181 Frauen als Tatverdächtige in Tötungsdelikten ermittelt, was ein Verhältnis von 5,9 zu 1 ergibt. In der Altersgruppe von 60 Jahren und darüber beträgt die Zahl der Männer 80 und die der Frauen 14, also ein Verhältnis von 5,7 zu 1. Im Zahlenverhältnis der Männer zu den Frauen gibt es also für diese zwei Altersgruppen kaum einen Unterschied. Wenn ältere Menschen ein Tötungsdelikt begehen, wird das Opfer nur selten erschlagen oder stranguliert. Den meisten älteren Tätern fehlt die körperliche Kraft, die notwendig ist, um das Opfer auf diese Weise zu überwinden. In Crime: Causes and Conditions stellt von Hentig (1947) folgendes fest: Die Kriminalität des älteren Mannes ähnelt in vieler Hinsicht der der Frau. Er ist der Anstifter, oder er begeht Straftaten, bei denen List oder die Anwendung körperlicher Gewalt oder chemischer Substanzen eine Rolle spielen. Da er gleichzeitig das Gefühl hat, daß ihm die normalen Methoden, einen Gegner zu besiegen, nicht mehr zur Verfügung stehen, greift der ältere Mann auf primitive Gewaltmittel zurück. Sogar ein schwacher Mensch kann Gewalt anwenden, wenn er ein schwächeres Objekt, eine Frau oder ein Kind, wählt, oder wenn er auf kraftsparende Mittel, Waffen, Gift und List zurückgreift (1947, S. 152). Ein weiteres wichtiges Merkmal bei Tötungsdelikten älterer Menschen ist die intime Beziehung, die sehr oft zwischen Täter und Opfer besteht. Das letztere ist oft die Ehefrau oder ein anderer naher Verwandter: eine Tochter, eine Schwiegertochter, ein Bruder, ein Neffe usw. Bei alten Menschen sind Tötungsdelikte unter Fremden relativ selten. Wie bei Körperverletzung und schwerer Körperverletzung gibt es bei durch alte Menschen begangenen Tötungsdelikten nur selten ein zufälliges, unbekanntes Opfer. Durch ältere Menschen begangene Tötungsdelikte sind noch schwieriger zu erklären als durch jüngere Menschen begangene. Es gibt nur sehr wenige Informationen, die sich speziell auf den Kontext, in dem diese Tötungen begangen werden, auf die Charakteristika und Einstellungen von Tätern und Opfern, auf die Dynamik solcher Tötungen, die verwendeten Techniken und so fort beziehen. Wir wissen jedoch, daß bestimmte Persönlichkeitscharakteristika, die häufig mit Gewaltakten gegen die Person in Verbindung stehen, im Alter weiterbestehen oder sogar noch deutlicher zutage treten können (z.B. krankhafte Eifersucht). Aggressivität verschwindet nicht vollständig mit fortschreitendem Alter. Zudem werden manche Menschen in ihren späteren Lebensjahren streitsüchtiger, leichter erregbar, argwöhnischer und mißtrauischer. Altere Menschen leiden oft an schweren Frustrationen und außerordentlichen emotionalen Spannungen. Und,

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Alterskriminalität wie Richman (1982) betont, wird zunehmender Verfall von einer abnehmenden Frustrationstoleranz und einer geringeren Fähigkeit, impulsive Äußerungen hinauszuschieben, begleitet. Pathologische Ängste und Wahnvorstellungen sind gleichfalls unter älteren Menschen verbreitet, während pathologische Eifersucht durch starken Alkoholkonsum verstärkt werden kann. Die Rolle des Alkohols bei Tötungsdelikten älterer Menschen ist wahrscheinlich ebenso wichtig wie bei Tötungsdelikten jüngerer. Angesichts der Tatsache, daß einige ältere Menschen leicht erregbar sind, dürfte auch Provokation durch das Opfer ein wichtiger Faktor sein. Die unfreiwillige Institutionalisierung, der viele ältere Menschen gegen ihren Wunsch und Willen unterworfen werden, und die damit verbundenen beschränkten Lebensumstände können zu einem nie zuvor empfundenen Gefühl der Einengung führen. Dies wiederum kann Anpassungsprobleme an das Leben im Heim mit sich bringen und aggressive Verhaltensweisen gegen andere Mitbewohner oder das Personal hervorrufen oder auslösen. Da es bisher keine umfassende Studie über Tötungsdelikte älterer Menschen gibt, kann ein Versuch, dieses merkwürdige Phänomen zu erklären, sich nur auf die vereinzelten Hinweise in der kriminologischen, psychiatrischen und gerontologischen Literatur stützen. Shichor und Kobrin (1978) weisen auf das im Alter erhöhte Konfliktpotential hin. Sie bieten zur Erklärung von Gewaltkriminalität unter älteren Menschen folgende ihnen plausibel erscheinende Hypothese an: In dem Maße, wie sich gesellschaftliche Interaktionen mit fortschreitendem Alter verengen, werden primäre zwischenmenschliche Beziehungen intensiver, was zu einem erhöhten Konfliktpotential führt. Roth (1968) diskutiert die Rolle der geistigen Störungen in der Ätiologie der Gewalt bei älteren Menschen und insbesondere bei Tötungsdelikten, die durch alte Menschen begangen werden. Roth weist darauf hin, daß die seltenen Gewaltakte älterer Männer oft im Umfeld einer geistigen Störung mit suizidalen Neigungen entstehen; bevor der ältere Mensch Suizid begeht oder versucht, kann er versuchen, seinen Ehepartner oder andere Verwandte, oft auf eine höchst brutale Weise, zu töten. Roth ist davon überzeugt, daß Gewalthandlungen bei älteren Menschen in engem Zusammenhang mit suizidalen Neigungen stehen, die wiederum mit zerebraler Degeneration verbunden sein können. Er weist auch auf eine kleine Zahl von feindlichen und aggressiven Handlungen durch paranoide Täter hin — jene, die unter krankhafter Eifersucht leiden, die durch Senilität und ein fortgeschrittenes Stadium chronischen Alkoholismus verstärkt oder freigesetzt wird.

5. Suizid und versuchter Suizid Suizid ist wie der Suizidversuch eine Form krankhaften Verhaltens, das im Alter zuzunehmen statt abzunehmen scheint. Stengel (1964) berichtet über eine positive Korrelation der Suizidraten mit verschiedenen Faktoren wie männlichem Geschlecht, zunehmendem Alter, Familienstand: verwitwet, alleinlebend oder geschieden, Alkoholkonsum, geistiger Störung und körperlicher Krankheit. Er stellt fest, daß im Gegensatz zu der verbreiteten Auffassung, die Suizid mit enttäuschter Liebe und einem „schwachen Moralgerüst" in Verbindung setzt, die Mehrheit der Menschen, die sich selbst töten, alt und in vielen Fällen körperlich krank ist. Das Durchschnittsalter liegt bei Ende 50. Das bei Suizid am häufigsten vertretene Alter liegt laut Stengel zwischen 55 und 64 Jahren. Henry und Short (1965), die die Beziehung zwischen Suizid und Status untersucht haben, berichten, daß die zur Verfügung stehenden Daten die Hypothese bestätigen, daß Status im allgemeinen in positiver Beziehung zum Suizid steht, ausgenommen im Falle des Alters, bei dem der Statusverlust in den späteren Lebensjahren von einem Anstieg und nicht von der zu erwartenden Abnahme bei den Suizidzahlen begleitet wird. Die Behauptung, daß aggressive Neigungen im Alter eher gegen sich selbst als gegen andere gerichtet werden, also alte Menschen ihre gewalttätigen Neigungen mehr nach innen als nach außen richten, wird durch die im Vergleich zu anderen Gewaltstraftaten hohe Rate von Suizid unter älteren Menschen empirisch unterstützt. Moberg (1953) berichtet, daß Suizid unter älteren Männern häufiger vertreten ist als in jeder anderen Bevölkerungsgruppe. Und Roth (1968) weist darauf hin, daß der erfolgreiche Suizid unter Männern in jedem Land, für das statistische Daten zur Verfügung standen, in den Gruppen spätes mittleres Alter und im Alter selbst die höchste Ziffer aufzeigt. Er nimmt zudem an, daß Suizid unter älteren Menschen ein wesentlich verbreiteteres Phänomen ist, als man aufgrund der geringen Zahl von suizidalen Individuen annehmen würde. Erklärungsversuche für die hohe Suizidrate unter älteren Menschen beziehen sich zumeist auf den Zustand der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, in dem sich viele alte Menschen unausweichlich befinden, oder auch auf die Langeweile und die Frustration, die im Alter einsetzen. Depression, die durch physische Gebrechen und geistige Störungen und durch den Rückzug aus dem Berufsleben verursacht wird, und Veränderungen der Lebensbedingungen, die durch den Verlust eines geliebten Menschen ausgelöst oder verstärkt werden, sind gleichfalls als wichtige Faktoren erkannt worden, die zu der hohen Suizidrate unter alten Menschen beitragen. Roth (1968) glaubt, daß zusätzlich zu dem Zusammenhang mit Depression eine Verbindung

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Alterskriminalität

zwischen Suizid und zerebralen degenerativen Erkrankungen besteht. Die prekären wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen viele ältere Menschen leben, werden gleichfalls von manchen Autoren als entscheidende Faktoren bei Suizid betrachtet. Jackson (1981) weist auf eine deutliche Korrelation zwischen den hohen Suizidraten und dem niedrigen ökonomischen Status der älteren Menschen hin. Dieses Muster ist dem der Gesamtbevölkerung genau entgegengesetzt, bei dem die Suizidraten auf den höchsten Ebenen des sozioökonomischen Status die höchsten sind (Brown 1965, S. 145). Sie zitiert außerdem Kaplan (1945), der feststellte, daß wirtschaftliche Gefährdung ein wichtiger Grund für Suizid ist, eine Tatsache, die sich in der Fluktuation der Suizidraten entsprechend den ökonomischen Bedingungen niederschlägt. Auch die besonders unter Gerontologen verbreitete Theorie der Ablösung (disengagement) ist als möglicher Erklärungsansatz für die hohe Suizidrate unter älteren Menschen vorgeschlagen worden. Die Theorie der Ablösung besagt, daß einige Menschen, die alt werden, dazu neigen, sich von der Gesellschaft zu lösen und sich mehr nach innen zu orientieren. So kommt es mit fortschreitendem Alter zu einer allmählichen Akzeptanz des Wunsches nach Ablösung aus der aktiven gesellschaftlichen Rolle. Jackson (1981) hält die Hypothese der Ablösung für konsistent sowohl mit der niedrigeren Kriminalitätsrate wie auch mit den hohen Suizidraten unter älteren Menschen. Roth (1968) steht dagegen Versuchen kritisch gegenüber, die die deutliche Verringerung der kriminellen Belastung im Alter (die mit einer deutlichen Abnahme im Auftreten neuer Fälle von Drogenabhängigkeit und in der Häufigkeit chronischen Alkoholismus parallel verläuft) und die relativ hohe Häufigkeit von vollendetem Suizid und von geistigen Störungen (hiervon viele Fälle unabhängig von zerebraler Degeneration) durch Theorien des Alters erklären. Er schreibt: Die beschriebenen Veränderungen können mit den Theorien, die in vager Form aus der Psychologie des Alters abgeleitet werden, nicht zufriedenstellend erklärt werden. Die Abnahme der Raten von Kriminalität und Drogenabhängigkeit beginnt relativ früh im Erwachsenenleben. Es sind präziser formulierte, überprüfbare Hypothesen notwendig, um Bereiche zu erforschen, die Erkenntnisse über bestimmte Probleme kriminellen Verhaltens erbringen könnten (1968, S. 49-50). 6.

Eigentumsdelikte

Wie bei anderen Altersgruppen überwiegen die nichtgewalttätigen Eigentumsdelikte, die durch ältere Menschen begangen werden, die Sexualstrafta-

ten oder die Straftaten gegen die Person bei weitem. Die weitaus häufigste Form von Eigentumsdelikten unter älteren Menschen ist Diebstahl ohne erschwerende Umstände, der im Jahre 1987 in der Bundesrepublik Deutschland % der gesamten Kriminalität älterer Frauen (60 Jahre und darüber) und beinahe die Hälfte der gesamten Kriminalität älterer Männer ausmachte. Betrug steht bei beiden Geschlechtern mit 8,9% bei Männern und 4,8% bei Frauen an zweiter Stelle. Kriminologen haben seit langer Zeit eine hohe Häufigkeit von Betrug bei älteren Straftätern beobachtet. Schon im Jahre 1955 verglich Ruth Cavan die Eigentumsdelikte, die von verschiedenen Altersgruppen begangen werden, und schloß daraus, daß die unter älteren Menschen häufigen Eigentumsdelikte die folgenden sind: Fälschung, Vorspiegelung falscher Tatsachen, Veruntreuung und Betrug — Methoden, sich durch geschickte Nachahmung von Handschriften oder Drucken, durch Manipulation von Konten und durch das Überlisten eines Opfers Geld zu verschaffen. Diese Straftaten, die handwerkliches Geschick und geistige Beweglichkeit verlangen, sind besonders charakteristisch für die Altersgruppen der reifen Erwachsenen und in gewissem Maße für die mittleren und alten Altersgruppen (1955, S. 47). Ladendiebstahl ist zweifellos die verbreitetste Form von Diebstahl, der durch ältere Straftäter begangen wird, ob nun in der Bundesrepublik Deutschland, in England, in Kanada oder in den USA. Wie bereits früher dargestellt (Bild 2), befand sich unter den älteren Frauen (60 Jahre und älter) nach den Statistiken des Bundeskriminalamtes für das Jahr 1987 die von allen Altersgruppen höchste Zahl von Ladendieben! Der britische Psychiater Roth (1968) berichtet, daß die Gesamthäufigkeit kriminellen Verhaltens unter älteren Menschen auf geringfügige Diebstähle zurückgeführt werden kann, und daß Ladendiebstahl unter den Diebstählen bei Männern und Frauen überwiegt. Bei Männern, so fügt er hinzu, ist er genauso häufig wie alle anderen Formen von geringfügigen Diebstählen zusammengenommen nach dem 60. Lebensjahr. Unter Bezug auf Forschungsergebnisse von Gibbens und Prince (1962) behauptet Roth, daß Ladendiebstahl bei Männern oft die letzte Phase in der Karriere von rückfälligen Straftätern darstellt, die zuvor für eine breite Vielzahl von Straftaten verurteilt worden waren. Erklärungsversuche der großen Häufigkeit von Ladendiebstahl unter älteren Straftätern variieren von der Gelegenheitstheorie zur Theorie der ökonomischen Motivation bis zu Theorien des amorphen Status („drifting"). Newman und Newman (1982) behaupten, daß Ladendiebstahl zumeist ein Amatcurdelikt darstelle (mit Ausnahme professioneller Ladendiebe, die Pelze, Juwelen und andere wertvolle Gegenstände stehlen). Ladendiebstahl

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Alterskriminalität durch Ältere, so Newman und Newman, ist ein relativ einfaches, opportunistisches Delikt, da das Einkaufen eine Hauptaktivität älterer Menschen darstellt und sich so Gelegenheiten zum Stehlen jeden Tag ergeben. Sie fügen hinzu, daß der größte Teil der älteren Ladendiebe, möglicherweise bis zu 90 % , nie durch Straftaten aufgefallen ist, bis sie bei diesem Delikt ertappt wurden. Newman und Newman (1982) stellen einige Eigenschaften älterer Ladendiebe vor, von denen sie annehmen, daß sie sich von den Eigenschaften jugendlicher Ladendiebe und anderer, professioneller Ladendiebe unterscheiden: — Der durchschnittliche ältere Ladendieb hat nicht nur kein Vorstrafenregister, sondern stammt auch aus der Mittelschicht oder der gehobenen Mittelschicht. — Die bei Ladendiebstählen am häufigsten entwendeten Gegenstände sind Kosmetika und Sportkleidung. Notwendige Medikamente oder Vitaminpräparate stehen ebensowenig oben auf der Liste wie Brot und Butter, die am häufigsten gestohlenen Lebensmittel. Stattdessen stehlen ältere Ladendiebe ausgefallenere Nahrungsmittel, wie importierten Käse, eingelegte Austern u. ä. — Das Hauptmotiv für Ladendiebstahl älterer Menschen besteht in keiner wirklichen wirtschaftlichen Notlage, sondern in der Tatsache, daß er den finanziellen Spielraum des Täters erweitert. Wirtschaftliche Not könnte jedoch zu einem Hauptmotiv für Ladendiebstahl bei älteren Menschen werden, besonders wenn sich der Verfall der Wirtschaft weiter fortsetzt. — Ein weiteres Motiv für Ladendiebstahl bei älteren Menschen könnte im Erregen von Aufmerksamkeit bestehen. Viele ältere Menschen, die in Altersheimen weit entfernt von ihren Kindern leben, haben festgestellt, daß sie Aufmerksamkeit und Zuwendung erfahren, wenn sie verhaftet werden. Die Newmans zitierten eine ältere Ladendiebin, die aussagte, „meine Kinder besuchen mich nie, ganz egal, wie oft ich sie darum bitte, aber als ich verhaftet wurde, waren sie sofort da!" — Eine marxistische Hypothese behauptet, daß einige ältere Menschen das Gefühl haben, sie seien ihr Leben lang durch Wirtschaftskonzerne ausgebeutet worden. Sie betrachten Ladendiebstahl als ihre letzte Möglichkeit, quitt zu werden.

7. Organisiertes Verbrechen, Berufsverbrechen und Weiße-Kragen-Kriminalität Newman und Newman (1982) stellen fest, daß ältere Straftäter eine wichtige und manchmal dominierende Rolle bei drei Hauptverbrechensformen

spielen, die sich von normaler Kriminalität unterscheiden: organisiertes Verbrechen, Berufsverbrechen und Weiße-Kragen-Kriminalität. Sie bemerken, daß Gangster und organisierte Kriminelle für das Verbrecherleben im allgemeinen aus jungen Menschen rekrutiert werden, daß aber die Kontrolle des organisierten Verbrechens eindeutig in den Händen der älteren „Familien"-Oberhäupter, der „Paten" liegt, die in jedem Fall älter sind, wobei der „Pate" sehr häufig ein Großvater ist. Sie fügen hinzu, daß Berufskriminalität, die Trickbetrug, Laden- und Taschendiebstahl ebenso umfassen kann wie großangelegte Juwelendiebstähle, Bankraub und organisierten Kraftfahrzeugdiebstahl, gleichfalls von älteren Menschen beherrscht wird. Nach ihrer Auffassung ist f ü r den Berufskriminellen das Verbrechen eine lebenslange Karriere und eine Gruppenaktivität, die im Vergleich zum organisierten Verbrechen informell strukturiert ist, doch sich auf ihre eigene Art und Weise organisiert. Berufskriminalität ist zudem erheblich verfeinerter, erheblich geschickter und erheblich schwieriger aufzuklären als gewöhnliche Kriminalität. Als dritte Hauptform diskutieren Newman und Newman (1982) die Weiße-Kragen-Kriminalität, die darin besteht, daß Menschen im Rahmen ihres Berufs, im allgemeinen Geschäftsleben, in der Politik oder im Umfeld akademischer Berufe die Gesetze oder das Vertrauen anderer verletzen. Weiße-Kragen-Kriminalität wird per Definition nicht von jungen Menschen begangen, da es Alter und Reife erfordert, in eine Position zu gelangen, die das Begehen von Weiße-Kragen-Verbrechen ermöglicht. Newman und Newman schließen, daß organisierte, Berufsund Weiße-Kragen-Kriminalität Straftaten der älteren und nicht kriminelle Handlungen jüngerer Menschen sind. Sie schreiben: Im Gegensatz zu verbreiteten Auffassungen nehmen alte Menschen doch an bedeutenden kriminellen Handlungen teil; mit anderen Worten, ältere Menschen beschränken sich nicht darauf, im Geschäft Dosensuppen zu stehlen, um die Zeit bis zur nächsten Rentenzahlung zu überbrücken. Tatsächlich ist die einzige Hauptform des Verbrechens, bei der alte Menschen unterrepräsentiert sind, die gewöhnliche Kriminalität, und sogar dies ändert sich (1982, S.3).

8. Straftaten und Alkohol Mit Alkohol in Verbindung stehende Straftaten treten im Gesamtbild der Alterskriminalität deutlich zutage. Tatsächlich spielt Alkohol bei vielen der Delikte, die von alten Menschen begangen werden, eine sowohl direkte wie auch indirekte Rolle. Die direkte Rolle zeigt sich am hohen Prozentsatz der Verhaftungen wegen Trunkenheit, Störung der öffentlichen Ordnung, Landstreicherei und Fahrens unter Alkoholeinfluß. Die indirekte kriminogene

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Alterskriminalität

Rolle des Alkohols ergibt sich daraus, daß er bei Gewaltstraftaten gegen die Person (insbesondere Mord und Totschlag), Scxualdcliktcn und bei einigen Eigentumsdelikten (z.B. Ladendiebstahl oder Diebstahl), die begangen werden, um sich Mittel zum Erwerb alkoholischer Getränke zu verschaffen, ein auslösender Faktor sein oder Hemmungen beseitigen kann.

E. Schlußbemerkungen Vor 10 Jahren (1978) stellten Shichor und Kobrin fest, daß Kriminalität und kriminelles Verhalten älterer Menschen ein kaum untersuchtes Problem darstellt, und daß das Wissen um die Muster ihrer kriminellen Handlungsweisen und die damit in Beziehung stehenden sozialen und psychologischen Faktoren sehr begrenzt ist. Leider trifft heute, viele Jahre später, diese Feststellung immer noch zu, und ältere Straftäter werden weiterhin von der kriminologischen Forschung weitgehend vernachlässigt. Die Fülle der Literatur, Theorien und Forschungsprojekte zur Jugenddelinquenz steht in deutlichem Kontrast zur Dürftigkeit des Datenmaterials und der Erklärungsansätze für Alterskriminalität. Pollak (1941) bemerkte scherzhaft, „alte Kriminelle [seien] ein häßlicher Anblick, und es scheint, als ob sogar Wissenschaftler sie sich nicht gern über einen längeren Zeitraum ansehen". Und obwohl die neuere kriminologische Literatur mehr und mehr Aufmerksamkeit auf die Viktimisierung alter Menschen richtet, scheint ihre Kriminalität weder großes Interesse noch besonderen Forschungsenthusiasmus hervorzurufen. Über die Gründe für diese Vernachlässigung in einem Forschungsfeld, in dem jedes Jahr Hunderte von Büchern und Aufsätzen veröffentlicht werden, kann man nur spekulieren. Ein Grund scheint in der deutlichen Abnahme der Kriminalität im Alter zu bestehen. Ein weiterer Grund ist vielleicht der Respekt, den man alten Menschen im allgemeinen zollt. Dieser Respekt hindert uns daran, sie in der Rolle von Räubern, aggressiv handelnden Menschen oder Dieben wahrzunehmen. Wir sehen sie viel eher als Opfer denn als Täter. Zwar hört man gelegentlich im angelsächsischen Sprachraum im Zusammenhang mit devianten oder abnormen Handlungen im Bereich der Sexualität den Ausdruck „dirty old man". Im großen und ganzen jedoch entspricht das Bild, das die meisten Menschen von den Älteren haben, eher dem allgemeinen Stereotyp des Opfers denn dem des Kriminellen (vgl. zur Alterskriminalität auch H.J. Schneider 1981, 5 2 8 - 5 3 6 ; 1987, 6 9 9 - 7 1 4 ) .

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FATTAH

COMPUTERKRIMINALITÄT A. Begriff der Computerkriminalität Noch vor einigen Jahren bestand in der wissenschaftlichen Literatur ein heftiger Streit darüber, o b das, was heute (und auch schon damals) mit d e m Begriff „Computerkriminalität" umschrieben wird, in das Reich der Phantasie zu verweisen oder Realität sei (vgl. nur K.-M. Betzl 1972, S. 3 1 7 f f . und G . S i e b e n , R. von zur Mühlen 1972, S . 3 9 7 f f . ) . Dieser Streit um die Existenz der Computerkriminalität ist nach neueren empirischen Untersuchungen ( U . Sieber 1980; P. Poerting, E . G . Pott 1986 m. w. N . ) heute jedoch nur noch von historischem Interesse. Es besteht wohl kein Zweifel mehr daran, daß das Computerzeitalter nicht nur Segen über die Menschheit gebracht hat, sondern der Einsatz des Computers zahlreiche Möglichkeiten des Mißbrauchs eröffnet. Vorbei sind die Zeiten, in denen Eingaben und Ausgaben, Gewinne und Verluste von Buchhaltern fein säuberlich in Kontenbüchern notiert wurden, und vorbei sind auch die Zeiten, in denen ungetreue Angestellte mit Radiergummi und Bleistift Zahlen in eben diesen Büchern zum eigenen Wohl korrigierten. Allein in der Bundesrepublik Deutschland waren im Jahre 1985 über 3 0 0 0 0 0 Computeranlagen installiert, hieran angeschlossen

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Computerkriminalität

waren weit über 1 Million Terminals. In den USA wird von Marktexperten geschätzt, daß im Jahre 1990 dort ca. 38 Millionen Arbeitsplatzcomputer und Terminals, 34 Millionen Heimcomputer und 7 Millionen portable Terminals installiert sein werden. 40—50% aller Beschäftigten werden dann in irgendeiner Weise ihre Arbeit mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung verrichten (H. Uepping 1985, S. 326; zur rasanten Ausbreitung von Computeraniagen vgl. auch E.Zimmerli 1987, S.247). Wirtschaft, Handel, Technik und Verwaltung setzen die E D V in immer größerem Umfang ein. Die Erledigung von Massen- und Routineaufgaben zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs und zur Bilanzerstellung, die Erstellung von Datenmaterial in der öffentlichen Verwaltung, die Steuerung von Produktionsvorgängen und nicht zuletzt die Speicherung geheimer betrieblicher und militärischer Informationen sind heute ohne den Einsatz des Computers kaum noch denkbar. Was verbirgt sich nun hinter dem sprachlich etwas verunglückten Begriff — denn nicht der Computer ist kriminell — der, wie sich unschwer denken läßt, dem amerikanischen Wort "computer crime" entlehnt ist? Handelt es sich etwa bei dem Angestellten, der aus Enttäuschung, Wut oder gar Rache eine Tasse heißen Kaffees über die Maschine gießt und damit Produktionsabläufe zeitweise außer Gang setzt, bereits um einen Fall von Computerkriminalität? Oder sollten mit diesem Begriff nur solche Verhaltensweisen erfaßt werden, die ohne Computer-Technik in vergleichbarer Form nicht zu verwirklichen sind? Auch nach Einführung des Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 1986, das am 1. August 1986 in Kraft trat (BGBl. I, S.721) und schwerpunktmäßig neue strafrechtliche Normen zur Bekämpfung der Computerkriminalität schuf, fehlt eine Legaldefinition dessen, was unter dieser Art von Kriminalität zu verstehen ist. Von den bis heute vorliegenden zahlreichen Definitionen zur Bestimmung dieses Begriffs seien hier nur einige genannt. Bereits im Jahre 1973 definierte von zur Mühlen, der als erster eine umfangreiche Studie zur Computerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland vorlegte, Computerkriminalität als „all jenes deliktische Handeln, bei dem der Computer Werkzeug oder Ziel der Tat ist" (R. von zur Mühlen 1973, S. 17). Ähnlich weit versteht Uepping unter dem Begriff Computerkriminalität „alle tatsächlichen Erscheinungsformen von strafwürdigem bzw. strafbarem Verhalten, welche mit dem Computer in irgendeiner Weise zusammenhängen (H. Uepping 1985, S. 334). Einengender definiert Sieber: „Der Begriff der Computerkriminalität umfaßt rechtswidrige Vermögensverletzungen, bei denen EDVDaten vorsätzlich verändert (Computermanipulation), zerstört (Computersabotage), unberechtigt erlangt und verwertet (Computerspionage) oder gemeinsam mit der EDV-Hardware benutzt (Zeit-

diebstahl) werden" (U. Sieber 1980, S. 188). Nach Zimmerli umfaßt der Begriff Computerkriminalität „alle vorsätzlichen und rechtswidrig begangenen Vermögensverletzungen, die durch die elektronische Datenverarbeitung überhaupt erst möglich, zumindest aber einfacher gemacht werden" (E. Zimmerli 1987, S.248). Schneider versteht unter Computerkriminalität Straftaten, „bei denen elektronische Datenverarbeitungsanlagen als Tatwerkzeuge genutzt werden oder bei denen solche Anlagen Tatobjekte sind" (H. J. Schneider 1987, S.48). Parker definiert den Begriff des "computer abuse" als "all types of act distinctly associated with computers and date communications in which victims involuntarily suffer or could have suffer losses, inquiries or damage, or in which perpetrators receive or could have received gain" ( D . B . Parker, S.Nycum, S. S. Oüra 1973, S. 5). Diese, wenn auch zum Teil nur in Nuancen unterschiedlichen Definitionen machen deutlich, daß zwischen Computerkriminalität in einem weiteren Sinne, die auch computerbezogene Verletzungen des Persönlichkeitsrechts und computerbezogene Delikte gegenüber individuellen oder sozialen Rechtsgütern umfaßt, und Computerkriminalität im engeren Sinne, die eingegrenzt ist auf den Bereich der vermögensschädigenden Mißbrauchsmöglichkeiten der EDV, unterschieden werden kann (so auch U. Sieber 1980, S.29 und S. 2/137ff. sowie G. Kaiser 1988, S. 782). Dabei bedeutet die Beschränkung auf Vermögensverletzungen natürlich nicht, daß etwa die im Zusammenhang mit dem Mißbrauch von Computern häufig zugleich auftretenden Taten aus dem Bereich der Urkundsdelikte nicht vom Begriff der Computerkriminalität im engeren Sinne umfaßt wären. Dieser Bereich der Computerkriminalität erfaßt — wie bereits die genannte Definition von Sieber deutlich macht — die vier Erscheinungsformen Computermanipulation, Computerspionage (einschließlich Softwarediebstahl), Computersabotage und Gebrauchs- oder Zeitdiebstahl.

B. Erscheinungsformen der Computerkriminalität 1.

Computermanipulation

Unter Computermanipulation versteht man diejenigen Taten, die im weitesten Sinne die Funktionalität eines Rechensystems betreffen. Es handelt sich um partielle Datenveränderungen im EDVBereich mit dem Ziel, das ordnungsgemäße Arbeitsergebnis einer Datenverarbeitungsanlage (Output) zu verändern, um sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Im Jahre 1971 fälschte ein Sachbearbeiter in der Kindergeldstelle eines bayerischen Arbeitsamtes das Handzeichen eines anderen Sachbearbeiters auf mehreren, zur Eingabe in den Computer vorgese-

Computerkriminalität henen Lochkarten. Hiermit bewirkte er, daß unter Umgehung seines Kollegen die gefälschten Lochkarten an die Bundesanstalt für Arbeit abgesandt wurden. In Nürnberg wurden die Lochkarten in den Computer eingelesen und verarbeitet. Das entsprechende Kindergeld wurde auf die Konten der scheinbar Berechtigten überwiesen. Durch die Eingabe der gefälschten Lochkarten wurden dem Täter innerhalb von 10 Monaten auf sein Konto, das Konto seiner Schwiegereltern und der ebenfalls bedachten über 80jährigen Großeltern Kindergeldzahlungen in Höhe von über 250000,— DM überwiesen (U. Sieber 1982, S.1434). Dieser Fall ist typisch für sogenannte Input-Manipulationen. Von Input-Manipulationen wird dann gesprochen, wenn bei der Eingabe von Daten in den Computer, seien diese Daten auf Lochkarten, Magnetbändern, Lochstreifen oder Magnetplatten erfaßt, entweder falsche Daten eingegeben werden, richtige Daten abgeändert oder durch falsche ersetzt werden oder Daten bei der Eingabe unterdrückt werden ( L . R o h n e r 1976, S . 3 7 f . ) . Computermanipulationen kommen auch vor in Form der Programmanipulation. Hierbei werden die Computerprogramme des betroffenen Unternehmens abgeändert oder mit Hilfe von selbsterstellten Programmen die in den Datenbanken gespeicherten Daten verändert. Recht eindrucksvoll hat diese Form der Manipulation der Progammierer einer großen deutschen Aktiengesellschaft vorgeführt. E r fügte mit Hilfe eines speziell erstellten Programms in den Gehaltsdatenspeicher seiner Firma die Gehaltsdaten fiktiver Personen ein und gab dabei als deren Konten, auf die die Gelder zu überweisen waren, sein eigenes Konto an. Um eine Aufdeckung der Manipulation über Kontrollausdrucke zu verhindern, veranlaßte der Täter zunächst durch Veränderungen an dem Gehaltszahlungsprogramm, daß keine Lohnzettel für die fiktiven Mitarbeiter ausgedruckt wurden. Durch eine weitere Manipulation des Bilanz- und Buchungsprogramms erreichte er schließlich, daß die an ihn überwiesenen Beträge von der an das Finanzamt zu entrichtenden Lohnsteuer abgezogen wurden und daher nicht als Fehlbeträge in den Buchungsübersichten und der Bilanz des Unternehmens auffielen. Bis zur Aufdeckung der Manipulation bereicherte sich der Täter um 1 9 3 0 0 0 , - DM (U.Sieber 1982, S. 1435). Die ordnungsgemäße Verarbeitung des Computers kann aber nicht nur durch Veränderungen bei der Eingabe von Daten oder durch Programmanipulationen gestört werden, sondern auch durch den Mißbrauch von mechanischen Bedienungselementen der EDV-Anlage, insbesondere durch sogenannte Konsol-Manipulationen. Der in der Bundesrepublik wohl spektakulärste Fall einer solchen Manipulation ereignete sich Mitte der 70er Jahre bei der Verheimlichung der Devisenspekulationsgeschäfte der Herstatt-Bank. Die gesamten Abrech-

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nungen des Devisen- und Geldhandels der HerstattBank wurden über die Konsolschreibmaschine eines Kleincomputers erfaßt und anschließend an den zentralen Computer der Bank übertragen. Durch das Drücken der sogenannten „Abbruch-Taste", die sich an der Konsole des Computers befand, erreichten die Mitarbeiter der Bank, daß die Daten einzelner Devisengeschäfte nicht an den Zentralcomputer der Bank übertragen wurden. Hierdurch wurden Verluste kaschiert und konnte das Gesamtvolumen der Termingeschäfte optisch niedrig gehalten werden. Insgesamt sollen dabei Beträge von mehreren Milliarden US-Dollar nicht oder nicht ordnungsgemäß gebucht worden sein. Zur Vermeidung von Mißbräuchen sah das Programm des Kleincomputers allerdings vor, daß bei Drücken der Abbruch-Taste das Wort „Abbruch" auf das Abrechnungsformular gedruckt wurde. U m eine Aufdeckung der Manipulation durch diesen Ausdruck zu verhindern, entnahmen die Täter das Abrechnungsformular nach seiner Fertigstellung, aber noch vor dem Drücken der Abbruch-Taste, so daß das Wort „Abbruch" auf die leere Walze gedruckt wurde (U. Sieber 1982, S. 1435). Schließlich gehören zur Gruppe der Computermanipulationen noch die sogenannten Output-Manipulationen, bei denen zunächst korrekte Ausgabe-Informationen der EDV-Anlage nachträglich verändert werden, also nicht wie bei den vorher geschilderten Manipulationsformen computerintern gespeicherte Daten betroffen sind. Die Lohnbuchhalterin einer Klinik im Kanton Schaffhausen (Schweiz) fälschte die EDV-Lohnbuchhaltung der Klinik in der Weise, daß sie monatlich einer gelegentlich noch in der Klinik arbeitenden Aushilfskraft 5stellige „Jubiläumsgehälter" gutschrieb bzw. die entsprechenden Daten mittels Terminal eintippte. Damit diese fiktiven Barlohnzahlungsbeträge nicht auf dem Lohnjournal erschienen, deckte die Täterin jeweils die Stelle, an welcher der manipulierte Betrag erscheinen mußte, mit einem Klebestreifen derart ab, daß die ersten beiden Ziffern des Betrages auf diesen Klebestreifen gedruckt wurden. Nachträglich entfernte sie den Klebestreifen. Durch diese Manipulation stimmte die Summe der Einzelbeträge nicht mehr mit der auf dem Lohnjournal ausgedruckten Gesamtsumme überein. Die Richtigkeit der Addition wurde allerdings auch nicht überprüft. Von dem Bargeld, daß die Täterin aufgrund der mit dem Lohnjournal gleichzeitig ausgedruckten Münzliste zur Auszahlung der Löhne vom Verwalter bezog, eignete sie sich jeweils jenen Betrag, den sie als „Jubiläumsgehalt" eingegeben hatte (insgesamt ca. 850000,— sFr) unrechtmäßig an (E. Zimmerli 1987, S.335). In den Bereich der Computermanipulation fallen schließlich auch die erst in neuerer Zeit aufgetretenen Fälle der mißbräuchlichen Benutzung von Geldautomaten. Abgesehen von den Fällen, in denen sich der Täter eine ansonsten ordnungsgemäße

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Computerkriminalität

Code-Karte und die hierzu passende „Persönliche Identifikations-Nummer" (P. I.N.) widerrechtlich verschafft und verwendet, ist hier vor allem an diejenigen Fälle, in denen an der Code-Karte Manipulationen vorgenommen werden (Mischform von Input- und Programmanipulation), zu denken. Bei der ersten Fallvariante gestattet der Kontoinhaber einem Mittäter die Duplizierung der auf seiner Code-Karte gespeicherten Daten auf eine BlankoCode-Karte. Der Mittäter tätigt mit der Dublette unberechtigte Abhebungen. Nach Belastung seines Kontos macht der Kontoinhaber unter Hinweis auf die Speicherungsinhalte seiner Code-Karte gegenüber dem Geldinstitut Schadensersatzansprüche geltend. Dabei behauptet er, er habe weder seine Code-Karte Dritten zugänglich gemacht noch seine P . I . N . bekanntgegeben (H.Richter 1989, S.304). Die zweite Fallvariante betrifft Manipulationen an der eigenen Code-Karte. In einem solchen Fall hatte der Verfügungsberechtigte eines Girokontos seine eigene, bereits „abgelaufene" EurochequeKarte mit Hilfe eines selbsterstellten Programms, mit dem er in der Lage war, die Daten auf dem Magnetstreifen seiner Scheckkarte zu lesen, in mehrfacher Weise manipuliert. Nachdem er die sogenannte Prüfziffer des Magnetstreifens „geknackt" hatte, veränderte er die Gültigkeitsdauer der Scheckkarte um ein Jahr, die gespeicherte Begrenzung der Auszahlungshöhe, die Limitierung der Auszahlungsvorgänge im vorgegebenen Auszahlungszyklus und die Prüfziffer. Sodann übertrug er die geänderten Daten auf neun vorher von ihm beschaffte Blanko-Code-Karten. In einem Zeitraum von nur vier Tagen gelang es ihm, mit den so manipulierten Code-Karten von mehreren Bankautomaten insgesamt über 43000,— DM abzuheben (Fall rechtskräftig entschieden vom Amtsgericht Böblingen, Computer und Recht 1989, S.308). Wie die beiden letzten Fallvarianten zeigen, können zahlreiche Manipulationsformen natürlich nicht nur von Angestellten des geschädigten Unternehmens vorgenommen werden. Computermanipulationen der geschilderten Art sind etwa auch möglich bei der gemeinsamen Benutzung eines Computers durch mehrere Anwender im Wege des sogenannten "time-sharing" und beim Einsatz des Computers im Wege der Datenfernverarbeitung durch außenstehende Dritte (z. B. Nutzung des BTX-Systems und des sogenannten home-banking). Als einschlägiger Beispielsfall kann die Manipulation eines amerikanischen Studenten angeführt werden, dem es bereits Anfang der 70er Jahre gelang, von seiner Wohnung aus über das öffentliche Telefonnetz in den Zentralcomputer der „Pacific Telephone Corporation" einzudringen und diesen zur kostenlosen Lieferung von Waren im Wert von ca. eine Million Dollar zu veranlassen (U. Sieber 1980, S.52 f.).

2. Computerspionage Softwarediebstahl

und

Als zweite Erscheinungsform der Computerkriminalität im engeren Sinne sind die Computerspionage und der sogenannte Softwarediebstahl zu nennen. Unter Computerspionage bzw. Softwarediebstahl versteht man die unberechtigte Erlangung und/oder Verwertung von Daten und Programmen, die einen Vermögensnachteil beim Geschädigten zur Folge haben (U. Sieber 1980, S.98). In den Rechenzentren der Unternehmen sind zahlreiche wichtige Betriebsgeheimnisse, Kalkulationen, Bilanzen, Kundenadressen sowie Entwicklungs- und Forschungsdaten in komprimierter Form in der EDV-Anlage gespeichert. Wirtschaftsspionage ist natürlich an sich keine neue Erscheinung. Wer aber heute Wirtschaftsspionage betreibt, kann auf das mühsame Fotografieren von Zeichnungen oder Karteien verzichten. Er überspielt die Daten kurzerhand auf Band oder Magnetplatte, auf denen sich der Inhalt von einer halben Million DIN A4 Seiten in Minutenschnelle speichern läßt. Die hohe Komprimierung von Daten führt so dazu, daß die Computerspionage ganz neue Dimensionen der Wirtschaftsspionage eröffnet. So kopierte ein Angestellter eines großen Versandhauses 327 000 Kundenadressen. Darunter waren 230000 als besonders wertvoll geltende Anschriften von Sammelbestellern, die im Jahre 1970 für rund 400 Millionen DM Waren bezogen hatten. Zum Stückpreis von 0,50 DM verkaufte der Angestellte diese Adressen anschließend an die Konkurrenz (U. Sieber 1980, S. 52 f.). Obwohl zahlreiche Indizien darauf hinwiesen, daß die Konkurrenzfirma über die Herkunft der Anschriften wußte — für Sammelbestelladressen ist ein Marktpreis zwischen 5,— DM und 10,— DM üblich —, ging sie nicht nur auf das Geschäft ein, sondern stellte den Angestellten später sogar noch als Leiter ihres Sammelbestellerbereichs ein (U. Sieber 1980, S. 104; weitere Fälle bei O.Grosch, K.Liebl 1988, S. 569ff.). Beim Softwarediebstahl sind nicht nur jene Täter zu nennen, die, wie es im Branchenjargon heißt, „aggressive Marktforschung" dadurch betreiben, daß sie beispielsweise die Programmdokumentationen fremder Firmen kopieren und so zuweilen Entwicklungskosten in Millionenhöhe einsparen. In diese Kategorie gehören auch die sog. „Cracker". Während es den sogenannten häufig jugendlichen Hackern aus quasi sportlichem Ehrgeiz heraus lediglich darum geht, von ihrem Heimcomputer aus den Code eines anderen Computers zu knacken, um zu wissen, was in dem anderen Computer gespeichert ist, versuchen die Cracker den Code eines Programms zu knacken, um so das Programm kopieren zu können. Renner auf dem illegalen Markt sind nach den Erkenntnissen der Polizei neben den Computerspielen vor allem Programme für die Textverarbeitung und Buchführung in kleineren

269

Computerkriminalität und mittleren Betrieben. So berichtete der Rechtsbeistand eines Computerherstellers, daß allein auf dem Telespielmarkt ca. 8 0 % der Spiele gefälscht seien (WDR 2, Sendung vom 30.10.1984 „Angezapft — Computerkriminalität"). Jeder, der eine Grundkopie hat, kann beliebig viele Kopien herstellen. Jede Kopie ist wie ein neugeschaffenes Werk, nicht schlechter als das Original.

3.

Computersabotage

Der Begriff Computersabotage umfaßt die Fälle, in denen mit dem Vorsatz der Vermögensschädigung des Opfers die ordnungsgemäße Funktion des Computers beeinträchtigt oder aufgehoben wird. Sabotagehandlungen können sich dabei sowohl gegen die gerätetechnische Hardware als auch gegen die programm- und systemtechnische Software einer EDV-Anlage richten. Bei den Angriffen auf die EDV-Hardware können, je nach der Motivlage der Täter, einerseits solche Fälle genannt werden, in denen Angestellte eines Unternehmens aus Wut oder Rache den Computer „erschießen", Bierflaschen in den Computer schleudern oder weniger spektakulär Ein- und Ausgangsstecker am Rechner vertauschen, wodurch das gesamte System zusammenbricht (K.-H. Volesky, H. Schölten 1987, S.284). Andererseits handelt es sich hierbei um Fälle, in denen vor allem ideologisch motivierte Täter in Erscheinung treten, die im Computer häufig ein Instrument staatlicher Überwachung und Unterdrückung sehen. Während bis vor kurzem Sabotagefälle hauptsächlich aus den USA (U. Sieber 1980, S. 93), Italien und Frankreich gemeldet wurden, sind auch in der Bundesrepublik Deutschland in neuerer Zeit solche Fälle bekanntgeworden. So wurde beispielsweise im Jahre 1985 ein Brandanschlag auf eine Datenverarbeitungsfirma in Karlsruhe verübt, wobei ein Sachschaden von knapp 500000,— DM entstand. Bereits einen Tag später ging in einem Stuttgarter Rechenzentrum eine Bombe hoch. Hier betrug der Sachschaden mehrere Millionen DM. Der mutmaßliche Täter, ein RAFTerrorist, kam bei dem Anschlag ums Leben (R.Sieg 1986, S.354). Angriffe auf die Software einer E D V können durch sogenannte Sabotageprogramme getätigt werden. Diese Programme zeichnen sich dadurch aus, daß sie einen bestimmten Auslöser für eine Zerstörung des ordnungsgemäßen Programms enthalten. Der Auslöser wird in der Regel durch den Eintritt einer bestimmten Bedingung, wie z. B. ein Datum oder die Eingabe eines Kennwortes, aktiviert. So fügte ein Programmierer der Personalabteilung eines deutschen Unternehmens in das Programm der Abteilung den Befehl ein, alle Personaldaten zu löschen, sobald sein Name von der Personalliste gelöscht würde. Nach der Entlassung des Programmierers wurde dieser Zusatzbefehl in der

Tat ausgeführt. Das betroffene Unternehmen war gezwungen, das gesamte Datenbanksystem neu erstellen zu lassen (K.-H. Volesky, H . Schölten 1987, S. 286ff.). Als Beispiel für die Installierung solcher „Crash-Programme" auf dem Wege der Datenfernverarbeitung können die Schüler einer renommierten New Yorker Privatschule genannt werden, denen es im Jahre 1980 mit Hilfe ihres Unterrichtscomputers gelang, in die Datenbanken verschiedener kanadischer Gesellschaften einzudringen und deren Daten zu zerstören (U. Sieber 1982, S. 1437). Eine Sonderstellung im Bereich der Sabotageprogramme nehmen die in neuester Zeit mit zunehmendem Interesse verfolgten Computerviren ein (vgl. hierzu nur die Abhandlungen von K.-H. Volesky, H. Schölten 1987 und von v. Grabenreuth 1989 sowie die Anfrage eines CDU/CSU Abgeordneten des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung zu „Computerviren in Datenverbundnetzen" vom 22. November 1988, Recht der Datenverarbeitung 1989, S . 4 2 f . ) . Computerviren sind kleine und kleinste Computerprogramme, die in der Lage sind, andere Programme zu infizieren und sich so wie biologische Viren auszubreiten. Computerviren verfügen über zwei wesentliche Eigenschaften. Sie können Kopien ihres eigenen Programmcodes erzeugen und diesen Code in andere Programme einpflanzen, ohne daß diese Programme hierdurch zerstört würden (K.-H. Volesky, H. Schölten 1987, S. 287). Selbst wenn aber die gesamte Software und der gesamte Datenbestand einer Rechneranlage verseucht ist, tritt ein Schaden durch solche Virusprogramme erst dann ein, wenn sie durch eine bestimmte Anfrage aktiviert werden und die Löschung von Daten und Programmen oder einen Systemabsturz bewirken. Bis heute sind nur sehr vereinzelt Fälle von Sabotagehandlungen durch Einpflanzen von Computerviren bekanntgeworden, was wohl nicht zuletzt seine Ursache auch darin hat, daß der Einbau eines Virusprogramms im Gegensatz zu den sogenannten „Crash-Programmen" außerordentlich schwierig ist und die Existenz von Viren in einem Rechnersystem nur in den seltensten Fällen erkannt werden kann (E. Bunge 1987, S. 77). Als einschlägiges Beispiel kann hier der Student genannt werden, dem es im Jahre 1986 gelang, sich im Rechenzentrum der Universität Linz durch die Kenntnis eines geheimen Paßwortes Zugang zum Zentralrechner zu verschaffen. Das eingepflanzte Virusprogramm war in der Lage, die Zugriffsberechtigung des Studenten zu einem späteren Zeitpunkt auf die jeweils höchste Stufe zu setzen. Bevor es jedoch hierzu kam, wurde die Manipulation bekannt und konnte rückgängig gemacht werden (K.-H. Volesky, H. Schölten 1987, S.289).

4. Gebrauchs- oder

Zeitdiebstahl

Unter Gebrauchs- oder Zeitdiebstahl als weitere Erscheinungsform der Computerkriminalität wird

270

Computerkriminalität

die zwar an sich ordnungsgemäße, aber unbefugte Nutzung von Datenverarbeitungssystemen (Hardware und/oder Software) verstanden, um sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen (R. Sieg 1986, S. 360). Der Täter „stiehlt" Computerbetriebszeit. Er benutzt den Computer, die Ein- und Ausgabeeinheiten und den Speicherplatz, unberechtigterweise für seine eigenen Zwecke. In der EDV-Branche werden diese Fälle zwar als durchaus zur Tagesordnung gehörend bezeichnet, nennenswerte Schäden entstehen aber nur dann, wenn das Unternehmen die tatsächlich genutzte Zeit eines gemieteten Computers bezahlen muß (bei großen Computeranlagen kann die Rechenzeit mehr als 2000,— D M pro Stunde kosten), oder wenn der Täter seinem Arbeitgeber Kunden abwirbt (U. Sieber 1982, S. 1437; T. Lenckner 1981, S.220). Zur Illustration dieser Art der Computerkriminalität sei der Fall genannt, in dem 16 Ingenieure eines großen Ingenieurbüros, die im Datenfernverarbeitungsbetrieb mit dem Computer eines Rechenzentrums verbunden waren, ohne Wissen des Inhabers des Rechenzentrums Aufträge für Dritte auf eigene Rechnung durchführten. Für diese privaten Aufträge nutzten sie die EDV-Anlage zu einem Fünftel der insgesamt zur Verfügung stehenden Zeit. Der Schaden durch diese unbefugte Nutzung betrug 2,8 Millionen Dollar (E. Zimmerli 1987, S. 337). Anschaulich ist auch der Fall eines Programmierers, der zugleich als Operator eingesetzt war und sich dadurch einen lukrativen Nebenverdienst verschaffte, indem er im Lohnauftrag Programme schrieb, diese auf der firmeneigenen EDV-Anlage testete und auch die Produktionsläufe auf dieser Anlage durchführte. Weil dieser Nebenerwerb nach einiger Zeit so gut florierte, gründete der Programmierer ein eigenes Service-Büro, das er allein mit Hilfe der firmeneigenen EDV-Anlage betreiben konnte (R.Sieg 1986, S.360).

C. Umfang der Computerkriminalität Über den tatsächlichen Umfang der Computerkriminalität lassen sich gesicherte Aussagen derzeit nicht machen (vgl. hierzu nur U. Sieber 1982, S. 1438; T. Lenckner 1981, S. 10 und P.Poerting, E. G. Pott 1986, S. 45). Seit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität weist die Polizeiliche Kriminalstatistik für die Bundesrepublik Deutschland erstmals für das Jahr 1987 gesondert auch die bekanntgewordenen Fälle der Computerkriminalität aus. Hiernach wurden im Jahre 1987 insgesamt 3067 Fälle bekannt. Dies entspricht einem Anteil der Straftaten aus dem Bereich der Computerkriminalität an allen registrierten Straftaten (ohne Verkehrs- und Staatsschutzdelikte) von 0 , 0 7 % . Den weitaus größten Anteil machte der Computerbetrug (§263 a StGB) mit 2777 Fällen aus, d. h. daß es sich bei 9 von 10

erfaßten Fällen aus dem Bereich der Computerkriminalität um dieses Delikt handelte. Demgegenüber waren die Fälschung beweiserheblicher Daten und die Täuschung im Rechtsverkehr bei Datenverarbeitung (§§269, 270 StGB) mit 169 Fällen, die Datenveränderung und die Computersabotage (§§303a, 303b StGB) mit 72 Fällen und das Ausspähen von Daten (§202 a StGB) mit 49 Fällen relativ selten vertreten (Bundeskriminalität 1988, S.88). Neben diesen nur die polizeilich bekanntgewordenen Fälle von Computerkriminalität aufzeigenden Zahlen gibt es zahlreiche Untersuchungen zum Umfang der Computerkriminalität, die schon vor der Einführung spezieller Straftatbestände die Bedeutung und die Struktur dieses Deliktsbereichs deutlich machen wollten. Eine der ersten umfangreichen Untersuchungen stammt aus den USA, wo sich bereits im Jahre 1958 der erste Fall von Computerkriminalität ereignet haben soll (U. S. Department of Justice, Bureau of Justice Statistics 1979, S. 6). Seit 1979 werden am Stanford Research Institute (USA) in einer umfangreichen Dokumentation alle bekanntgewordenen einschlägigen Fälle gesammelt. In die Sammlung werden alle Fälle der Computerkriminalität, die durch Verlautbarungen amtlicher Stellen, Hinweise von Beteiligten, Presseberichte und ähnliches bekannt werden, aufgenommen. Bis zum Jahre 1984 waren dies insgesamt 1200 Fälle, von denen etwa 4 2 % auf Manipulationen und Betrug, 2 8 % auf Spionage und Diebstahl, 17 % auf unberechtigte Nutzung und 13 % auf Sabotagehandlungen entfielen (vgl. hierzu und zu der gegen diese Sammlung geübten Kritik: P. Poerting 1986, S. 595). Nach einer Untersuchung des Bundesrechnungshofes der USA aus dem Jahre 1976 machten die Computermanipulationen an den hier untersuchten 69 Fällen sogar einen Anteil von 91,3 % aus. Eine neuere Erhebung des FBI aus dem Jahre 1984 bestätigt dieses Bild. Hier waren von den 50 an einem bestimmten Stichtag bei sämtlichen FBI-Dienststellen in Bearbeitung befindlichen Fällen von Computerkriminalität ebenfalls mehr als 90% dem Bereich der Computermanipulation zuzurechnen (P.Poerting, E . G . Pott 1986, S. 18ff.). In der Bundesrepublik Deutschland wurde die erste umfangreiche Untersuchung zur Computerkriminalität im Jahre 1973 von von zur Mühlen vorgelegt (R. von zur Mühlen 1973). In dieser Untersuchung wird die Fallzahl bis 1973 mit 138 bekanntgewordenen Fällen angegeben, während derselbe Autor in einer späteren Publikation die Fälle von Computerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland für den Zeitraum von 1967 bis 1973 auf 54 beziffert (P. Poerting, E. G. Pott 1986, S. 27). Sieber berichtet in seiner Studie aus dem Jahre 1977 von 42 Strafverfahren, die Computerkriminalität zum Gegenstand hatten (U. Sieber 1980, S. 126). In all diesen Erhebungen standen Computermanipulationen an erster Stelle der untersuchten Fälle, während andere Erscheinungsformen der

Computerkriminalität Computerkriminalität demgegenüber eine eher untergeordnete Rolle spielten. Seit 1983 führt auch das Bundeskriminalamt Erhebungen über gemeldete Fälle von Computerkriminalität durch. Bis 1983 wurden dem BKA insgesamt 40 Fälle gemeldet, für das Jahr 1984 war diese Zahl auf 222 Meldungen gestiegen, während die Zahl der gemeldeten Fälle im Jahre 1985 bereits 695 betrug. Besonders auffällig ist bei einem Vergleich dieses Meldeaufkommens über die Jahre hinweg nicht nur die hohe Steigerungsrate, sondern auch und gerade die Tatsache, daß sich die Deliktsstruktur grundlegend gewandelt hat. Während für die Zeit von 1980 bis 1983 lediglich 19 Fälle von Software-Piraterie als Unterform der Computerspionage gemeldet worden waren, stieg diese Art der Computerkriminalität über 559 Fälle im Jahre 1984 auf 664 Fälle im Jahre 1985 an. Damit handelt es sich bei der überwiegenden Anzahl der gemeldeten Delikte (ca. 9 5 , 5 % ) um das illegale Kopieren und Vertreiben von Home- und Personalcomputerprogrammen (K. Mohr 1987, S. 43). Alle anderen Erscheinungsformen der Computerkriminalität sind demgegenüber in ihrem Umfang relativ konstant geblieben. Die Divergenz in der Deliktsstruktur, die sich bei einem Vergleich dieser Daten mit den durch die Polizeiliche Kriminalstatistik erfaßten Fällen ergibt, erklärt sich daraus, daß Fälle von Software-Piraterie strafrechtlich bewehrte Verstöße gegen das Urheberrechtsgesetz darstellen, die von der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht erfaßt werden. Über den tatsächlichen Umfang der Computerkriminalität, also auch über deren Dunkelfeld, liegen wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse nicht vor, weil entsprechende breit angelegte Dunkelfelduntersuchungen bis heute fehlen. Allerdings wird allgemein angenommen, daß das Dunkelfeld erheblich ist. Die Schätzungen bewegen sich insoweit zwischen 80 % (R. von zur Mühlen 1973, S. 30) bis hin zu 9 8 % (F.Söldner 1973, S. I f f . ) . Wegen des Fehlens fundierter Untersuchungen zum Dunkelfeld haben aber all diese Schätzungen mehr oder weniger spekulativen Charakter. Allerdings gibt es eine Reihe von Indizien, die die Annahme eines hohen Dunkelfeldes im Bereich der Computerkriminalität plausibel erscheinen lassen. Gerade im Bereich der E D V gibt es spezifische Aufklärungsund Nachweisschwierigkeiten. Die meisten bekanntgewordenen Fälle wurden nur durch Zufall entdeckt, sei es, daß eine Aufdeckung wegen des zufälligen Wechsels des Personals am Computer glücken konnte oder ein aufmerksamer Bankbeamter mißtrauisch wurde, weil einem seiner Kunden plötzlich immens hohe Geldbeträge auf das Konto überwiesen wurden. Im übrigen ist es für manchen geschickten Täter in vielen Fällen nicht schwer, in das erstellte falsche Programm Verschleierungsmaßnahmen einzubauen. Die Zufälligkeit der Entdeckung wird sicher auch dadurch maßgeblich beeinflußt, daß viele Firmen auf geeignete Kontroll-

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und Überwachungsmaßnahmen verzichten, weil solche Maßnahmen natürlich auch mit einigem finanziellen Aufwand verbunden sind. Darüber hinaus wird dem Computer vielfach unbegrenztes Vertrauen in seine Unfehlbarkeit und Sicherheit entgegengebracht. Hinzu kommt, daß zahlreiche Delikte von den geschädigten Unternehmen nicht angezeigt werden, weil sie eine Rufschädigung fürchten. Dies ist übrigens ein auch auf dem Gebiet der sonstigen Wirtschaftskriminalität als typisch zu bezeichnendes Phänomen. Bis heute ist beispielsweise keine Computermanipulation zum Nachteil einer deutschen Bank bekanntgeworden, obwohl bei den Banken ca. 13% aller größeren Computersysteme der Bundesrepublik installiert sind (U. Sieber 1980, S. 2/132). In zahlreichen Fällen ziehen die geschädigten Unternehmen es auch vor, keine Anzeige zu erstatten, sondern eine innerbetriebliche Regelung zu finden. Sie beschäftigen den Täter häufig weiter, weil sie so eher mit einer Schadenswiedergutmachung rechnen können, als wenn der Täter eine Freiheitsstrafe verbüßen muß und nach seiner Entlassung Probleme hat, eine Beschäftigung zu finden (U. Sieber 1980, S. 177). Diese Anhaltspunkte zur Annahme eines großen Dunkelfeldes sind allerdings nicht geeignet, den wirklichen Umfang der Computerkriminalität auch nur annähernd sicher zu verifizieren. Insbesondere lassen sie auch keine Rückschlüsse auf die Struktur des Dunkelfeldes zu, denn immerhin ist denkbar, „daß bestimmte Formen der Computerkriminalität zwar typisch für das Hellfeld sind, daß aber auf der anderen Seite ein eventuell vorhandenes Dunkelfeld ganz andere Schwerpunkte aufweist" (P. Poerting, E. G . Pott 1986, S. 42). Über die angerichteten Schäden lassen sich wegen der angenommenen hohen Dunkelziffer im Bereich der Computerkriminalität ebenfalls keine gesicherten Angaben machen. Fest dürfte insoweit jedoch stehen, daß wegen der besonderen Permanenz der Tatbegehung ein herausragendes Charakteristikum der Computerkriminalität die hohen Schadenssummen sind. Ein „gewöhnlicher" Bankraub mutet demgegenüber wie ein Anachronismus an. Während die Schäden des größten Teils der klassischen Betrugsfälle in der Bundesrepublik Deutschland unter 10000,— DM liegen ( G . K a i s e r 1988, 784), war nach der von Sieber im Jahre 1977 durchgeführten Untersuchung ein Großteil der Computermanipulationen in die Schadensklasse zwischen 2 0 0 0 0 0 , - und 3 0 0 0 0 0 , - DM einzuordnen. Die Schäden der zwischen 1977 und 1982 aufgedeckten Computermanipulationen bewegten sich dagegen schwerpunktmäßig bereits in der Größenordnung zwischen 500000,— und 1,5 Millionen DM pro Fall (U.Sieber 1980, S. 139ff., S.2/106). Die bereits erwähnte Untersuchung des Stanford Research Institute weist dagegen bereits eine durchschnittliche Schadenssumme von knapp 1,7 Millionen Dollar in den USA aus ( U . S . Depart-

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Computerkriminalität

ment of Justice, National Criminal Justice Information and Statistics Service 1979, S. 7). Nach Schätzungen von Sicherheitsfachleuten der Industrie soll der allein durch die Computerspionage tatsächlich verursachte Schaden bei über 5 Millionen D M pro Jahr liegen (O. Grosch, K. Liebl 1988, S. 568). Unter der eben angesprochenen Permanenz der Tat ist die der Computerkriminalität zugrundeliegende häufige Wiederholungsmöglichkeit zu verstehen. Wegen des regelmäßig streng organisierten Arbeitsablaufs im EDV-Bereich kann der Täter eine einmal gefundene Lücke praktisch beliebig oft ausnutzen. Bei Programmanipulationen wird die häufige Wiederholung der Tat zu einem Automatismus, da bei jedem neuen Programmeinsatz die Manipulation wiederholt wird, ohne daß der Täter noch irgendetwas tun muß. Im Hinblick auf die hohen Schadenssummen mag die vereinzelt zu hörende Behauptung, die Computerkriminalität entwickle sich vielleicht zu der bedrohlichsten Straftat des ausgehenden 20. Jahrhunderts, eine gewisse Berechtigung haben. Hierin kommt aber eine höchst einseitige Betrachtungsweise zum Ausdruck, die lediglich auf finanzielle Verluste abstellt. Für sehr viel bedrohlicher und gesellschaftlich schädlicher muß demgegenüber beispielsweise die in den letzten Jahrzehnten ansteigende Zahl einiger Gewaltdelikte gehalten werden. Hier hat sich ein Trend abgezeichnet, der auf eine zunehmende Konfliktlösung unter Anwendung körperlicher Gewalt hindeutet.

D. Täter der Computerkriminalität Wegen der geringen Zahl der in der Bundesrepublik bekanntgewordenen Fälle von Computerkriminalität ist es bisher nicht möglich, endgültige und gesicherte Aussagen über einen bestimmten Tätertyp in diesem Bereich zu machen. Die Polizeiliche Kriminalstatistik für die Bundesrepublik Deutschland stellt lediglich fest, daß die registrierten Taten aus dem Bereich der Computerkriminalität in der Regel von männlichen Erwachsenen begangen wurden (Bundeskriminalamt 1988, S. 88). In den USA wurde der typische Computer-Kriminelle als verheirateter 35jähriger Mann, der in einer respektablen Gegend lebt, seit 3 Jahren bei derselben Firma arbeitet und im oberen Gehaltsdrittel bezahlt wird, charakterisiert ( H . U e p p i n g 1985, S.340). In der Literatur wird teilweise angenommen, daß „ein großer Teil der strafbaren bzw. strafwürdigen Handlungen im EDV-Bereich beim Täter nicht nur Intelligenz, sondern oft ein exklusives Fachwissen voraussetzt" (R. von zur Mühlen 1973, S.26). Demgegenüber kommt Sieber in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, daß es diesen überlegenen Computertäter zwar durchaus gibt. Entgegen manchen sensationell aufgebauschten Presseberichten sei dies aber nicht der Normalfall. Vielmehr ergibt sich

nach dieser für den deutschsprachigen Raum wohl umfassendsten Untersuchung ein differenziertes Bild. Bei den Computermanipulationen verfügten lediglich 37 % der Täter, die meist Angestellte des geschädigten Unternehmens waren, über spezielle EDV-Kenntnisse. Lediglich in 21 % dieser Fälle waren diese Kenntnisse auch zur Ausführung der Tat notwendig. Dagegen waren in über der Hälfte der Fälle gute bis sehr gute Kenntnisse der innerbetrieblichen Organisation erforderlich, um die Kontrollmechanismen zu umgehen (U. Sieber 1980, S. 127ff.). Auch Zimmerli weist in seiner Untersuchung über Computerkriminalität in der Schweiz darauf hin, daß es gerade in dem Bereich der Computermanipulationen keinen typischen Täter gibt. Während das Spektrum der Täter bei In- und Outputmanipulationen breit ist, weil hier nicht nur Fachleute, sondern auch außenstehende Dritte und Hilfspersonal in Frage kommen, können Manipulationen an Systemprogrammen in der Regel nur durch Spezialisten wie Systemprogrammierer und Systemanalytiker ausgeführt werden. Mit zunehmender Komplexität der Tatausführung verengt sich der Täterkreis auf hoch spezialisierte EDVFachleute (E. Zimmerli 1987, S.335f.). Im Bereich der Computerspionage besaßen in 9 von 10 der bekanntgewordenen deutschen Strafverfahren die Beschuldigten Spezialkenntnisse in der E D V (U. Sieber 1980, S. 130). Bei der Computersabotage und den Angriffen auf die Computer-Hardware sind mangels ausreichenden empirischen Materials überhaupt keine einigermaßen gesicherten Aussagen möglich. Bei einer Gesamtwürdigung der bekanntgewordenen Fälle ist weiterhin auffällig, daß die Täter, soweit sie über spezielle EDV-Kenntnisse verfügten, im Vergleich zu den Tätern klassischer Vermögensdelikte fast alle relativ jung waren — nämlich 23 bis 26 Jahre — und viele bereits häufig die Stelle gewechselt hatten. Dies läßt sich wohl darauf zurückführen, daß sogenannte EDV-Berufe erst seit wenigen Jahren existieren und berufliche Mobilität in diesem Bereich üblich ist. Auffällig ist weiterhin, daß in fast allen Fällen nichtvorbestrafte Ersttäter in Erscheinung traten, bei denen es sich stets um Gelegenheits- oder Situationstäter handelte. Sie wurden oft rein zufällig auf die mangelnde Kontrolle der EDV-Anlagen und der sich damit bietenden Möglichkeit der Tatbegehung aufmerksam. In diesem Zusammenhang dürfte von nicht unmaßgeblicher Bedeutung sein, daß die Tatbegehung oft nur einen geringen Arbeitsaufwand erfordert und die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, sehr gering ist. Der als Motiv der Tat in einer amerikanischen Untersuchung genannte „Spieltrieb" der Täter ( U . S . Department of Justice, National Criminal Justice Information and Statistics Service 1979, S. 7) wird von der deutschen Untersuchung nicht bestätigt (U. Sieber 1980, S. 127ff.). Mancherorts wird zusätzlich hervorgehoben, daß das Unrechtsbe-

Computerkriminalität wußtsein bei vielen Computer-Tätern ausgesprochen unterentwickelt sei (R. von zur Mühlen 1973, S.29). Dies beruht wohl zum einen darauf, daß zahlreiche angestellte Programmierer zu Unrecht annehmen, ihnen ständen Nutzungsrechte an den von ihnen entwickelten Programmen zu (U. Sieber 1983, S. 1436). Zum anderen mag für das unterentwickelte Rechtsbewußtsein ein ganz bestimmter Neutralisationsmechanismus der Täter, der generell bei Wirtschaftsdelikten weit verbreitet ist ( H . J . Schneider 1987, S.49), eine Rolle spielen. Auch bei der Computerkriminalität ist ein bestimmtes Opfer häufig nicht vorhanden bzw. anonym — sozial nicht sichtbar. Deshalb ist es für den Täter möglich, die Tat vermeintlich damit zu rechtfertigen, daß das Opfer keine natürliche Person sei, der Schaden sich auf viele verteile oder dem Unternehmen der Schaden nichts ausmache.

E. Strafrechtliche Erfassung der Computerkriminalität Vor Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität im Jahre 1986 stieß das deutsche Strafrecht auf ganz erhebliche Schwierigkeiten bei der Erfassung schon damals für strafwürdig angesehener Verhaltensweisen aus dem Bereich der Computerkriminalität (C. Uthemann 1986, S.60ff.). Wenn auch mancherorts vor dem blinden Eifer des Gesetzgebers und vor überflüssigen neuen Straftatbeständen gewarnt wurde (R. Sieg 1986, S. 362), so darf doch nicht übersehen werden, daß die neuen Straftatbestände nicht nur Strafbarkeitslücken geschlossen haben, sondern solche speziellen Straftatbestände „eine größere Abschreckungswirkung als die Subsumtion der Computerdelikte unter allgemeine Straftatbestände (haben). Solche speziellen Straftatbestände dienen nicht nur der klaren und eindeutigen Strafrechtsanwendung. Sie können auch die Grundlage für die Entwicklung einer Berufsethik innerhalb der Computerberufe bilden" ( H . J . Schneider 1987, S.49f.). Der neu in das Strafgesetzbuch aufgenommene Straftatbestand des § 263 a StGB (Computerbetrug) erfaßt verschiedene Formen der Computermanipulationen. Die „Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten" regelt die Strafbarkeit von Inputmanipulationen, die „unrichtige Gestaltung des Programmes" erfaßt Programmanipulationen und schließlich geht es bei der „unbefugten Verwendung von Daten" um die unbefugte Verwendung von richtigen Daten. Dieser Tatbestand zielt vor allen Dingen auf den in den letzten Jahren ansteigenden Mißbrauch echter Eurocheque-Karten und richtiger persönlicher Identifikationsnummern an Geldausgabeautomaten. Um auch möglicherweise in Zukunft auftretende neue Manipulationstechniken erfassen zu können, enthält der

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neue §263 a StGB schließlich einen Auffangtatbestand, die sonstige „unbefugte Einwirkung auf den Ablauf" eines Datenverarbeitungsvorganges. In Parallele zur Urkundenfälschung wurde der Straftatbestand des § 269 StGB (Fälschung beweiserheblicher Daten) in das Strafgesetzbuch eingefügt. Der Tatbestand schützt den Rechts- und Beweisverkehr vor Täuschungen durch die Speicherung und Änderung von Daten, denen wegen dieser Speicherung die Urkundsqualität fehlt. Geschützt sind nicht nur Computerdaten, sondern auch solche Daten, die auf optischen Speichermedien oder auf Tonbändern und Schallplatten gespeichert sind. Im Bereich der Urkundsdelikte wurde durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität der Strafrechtsschutz nun auch auf die inhaltliche Richtigkeit von Erklärungen, die in öffentlichen Dateien enthalten sind (§§ 271, 348 StGB), erstreckt, es wurde die betrügerische Verwendung von falschen Datenspeichern unter Strafe gestellt (§273 StGB), und schließlich bewirkt §274 StGB nunmehr auch einen Bestandsschutz beweiserheblicher gespeicherter Daten vor Löschungen. Der neu eingefügte Straftatbestand des §202 a StGB (Ausspähen von Daten) richtet sich gegen verschiedene Formen der Computerspionage, indem er das unbefugte Verschaffen von nicht für den Täter bestimmten Daten unter Strafe stellt. Der unbefugte Datenzugang wurde vom Gesetzgeber bewußt aus dem Anwendungsbereich des §202 a StGB herausgelassen, so daß die sogenannten Hakker, die sich mit dem bloßen Eindringen in fremde Datenbanken begnügen, weiterhin straffrei sind. Schließlich sind nun auch Fälle der Computersabotage durch die Neufassung des Strafgesetzbuches eindeutig mit Strafe bewehrt. §303 a StGB (Datenveränderung) schützt das Interesse des Verfügungsberechtigten an der uneingeschränkten bzw. unverzerrten Verwendbarkeit von Daten, und § 3 0 3 b StGB (Computersabotage) schützt das störungsfreie Funktionieren der Verarbeitung von Daten in Wirtschaft und Verwaltung. Der sogenannte „Zeitdiebstahl" ist nach wie vor straffrei. Maßgebliche Überlegungen zur Vermeidung von Uberkriminalisierungen waren hierbei, daß mit Ausnahme der §§248b, 290 StGB die Strafbarkeit der unbefugten Sachnutzung dem deutschen Strafrecht fremd ist, daß die Zahl der bekanntgewordenen Fälle von „Zeitdiebstahl" äußerst gering ist und daß das Zivilrecht in diesem Bereich ausreichenden Schutz gewährt (C. Bühler 1987, H . A . Engelhard 1985, M. Möhrenschlager 1987).

F. Bekämpfung der Computerkriminalität Die eben beschriebenen neuen Straftatbestände sind allein natürlich nicht geeignet, Computerkriminalität wirksam zu verhindern. Sie können lediglich

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Computerkriminalität

— etwa durch Schaffung eines bestimmten veränderten Normbewußtseins oder durch die Präventivfunktion von Straftatbeständen — einen Teilbeitrag zur Bekämpfung dieser neuen Erscheinungsformen von Kriminalität leisten. Daneben müssen Bemühungen einer effektiven Verbrechensvorbeugung durch die betroffenen Unternehmen und Institutionen selbst stehen. Wenn auch die Sicherung des EDV-Bereichs in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat, so werden doch noch von vielen Unternehmen häufig die elementarsten Sicherungsmaßnahmen gröblich vernachlässigt (U. Sieber 1982, S.39). Solche Sicherungsmaßnahmen müssen, wenn auch häufig mit hohen finanziellen Aufwendungen verbunden, im baulichen, im organisatorischen, im personellen und EDV-spezifischen Bereich ansetzen. Die oftmals fehlenden Vorkehrungen gegen Computerkriminalität gerade im EDV-spezifischen Bereich werden anschaulich verdeutlicht durch den anfangs geschilderten Kindergeldfall. Obwohl die Bundesanstalt für Arbeit durch die Manipulation ihres Sachbearbeiters um 250000,— DM geprellt worden war, sah sie sich nicht veranlaßt, mit Hilfe des Computers Plausibilitäts- und Höchstsummenkontrollen einzuführen, obwohl das mit relativ geringem Aufwand möglich gewesen wäre (U. Sieber 1982, S. 1439). So konnte es geschehen, daß die nächste bei der Bundesanstalt für Arbeit aufgedeckte Kindergeldmanipulation nur durch eine unfreiwillige Plausibilitätskontrolle auffiel. Der Täter hatte hier nämlich Kindergeldzahlungen für über 10 Kinder beantragt und damit das nur für 9 Kinder programmierte System zu einer Fehlermeldung veranlaßt. Maßnahmen zur Bekämpfung der Computerkriminalität müssen schließlich auch bei den Ermittlungsbehörden und Gerichten ansetzen. Die Schwierigkeiten, die die formellen Instanzen sozialer Kontrolle gerade in diesem Bereich haben, resultieren häufig daraus, daß den Mitarbeitern dieser Instanzen Kenntnisse der E D V und ihrer Verfahrensabläufe fehlen und daß die EDV-gespeicherten Daten visuell nicht sichtbar, verschlüsselt und anonymisiert sind. So hatte eine Firma, deren Konkurrenzunternehmen auf Magnetbänder kopierte Kundenkarteien aufgekauft hatte, eine einstweilige Verfügung auf Herausgabc sämtlicher Adreßdaten erwirkt. Der Gerichtsvollzieher, der diesen Titel vollstrecken sollte, wurde höflich gebeten, seiner Pflicht nachzukommen. Er stand jedoch einigermaßen hilflos und verwirrt vor einer Vielzahl von Magnetbändern und -platten, deren Inhalt er nicht in Erfahrung bringen konnte, und mußte die Firma unverrichteter Dinge wieder verlassen (U. Sieber 1982, S. 1442). Um solche und ähnliche Vorkommnisse zu verhindern, um vor allen Dingen aber auch die Entdeckungs- und Aufklärungswahrscheinlichkeit zu erhöhen, müssen in vermehrtem Umfang die zuständigen Ermittlungsbeamten eine spezifische Ausbildung auf dem Gebiet der E D V erhalten. Als

Vorbild können hier die Landeskriminalämter dienen, die inzwischen alle Spezialabteilungen mit Fachleuten zur Aufklärung von Computerdelikten eingerichtet haben. Alle diese Maßnahmen zur Bekämpfung der Computerkriminalität erscheinen um so wichtiger, als mit zunehmendem Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung in allen Bereichen damit zu rechnen ist, daß die Zahl der einschlägigen Fälle in Zukunft eher zu- denn abnehmen wird.

L e h r b ü c h e r , M o n o g r a p h i e n und

Sammelwerke

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Zeitschriften- und

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UTHEMANN

DIVERSION I. BEGRIFF, GRUNDGEDANKEN UND PROBLEMATIK Mit dem Begriff der Diversion, der wörtlich übersetzt Ablenkung oder Umleitung bedeutet, werden die in den USA entstandenen und inzwischen in vielen Staaten verbreiteten Bestrebungen bezeichnet, den Anteil der Justiz an der gesellschaftlichen Bewältigung von Kriminalität zurückzudrängen und auf Delinquenz mit eher informellen Maßnahmen außerhalb der strafrechtlichen Sozialkontrolle zu reagieren. Diese Bestrebungen haben sich vorwiegend auf die Jugendstrafrechtspflege konzentriert. Diversion kommt aber auch im Erwachsenenstrafrecht in Betracht. Obwohl der Begriff der Diversion heute in aller Munde ist, besteht über seine genaue Definition keine Übereinstimmung. Eine enge Auffassung beschränkt Diversion auf den Abbruch der Strafverfolgung zwischen der polizeilichen Erfassung des Täters und der formellen Eröffnung eines Hauptverfahrens (vgl. P.-A. Albrecht 1987, S.22). Nach einem weiten Begriffsverständnis kann Diversion demgegenüber auf allen Ebenen der strafrechtlichen Sozialkontrolle geübt werden. Danach fällt es unter Diversion, wenn der Gesetzgeber einen Straftatbestand abschafft oder wenn der Richter in einem Strafurteil statt einer stationären eine ambulante Sanktion verhängt (siehe Sonnen 1981, S. 180f.). Umstritten ist ferner, ob Diversion die Kopplung des Verzichts auf eine strafrechtliche Sanktionierung mit einer informellen Reaktion voraussetzt oder ob auch beim schlichten Absehen von einer Strafverfolgung von Diversion gesprochen werden kann. In diesem Artikel wird unter Diversion die Beendigung der Strafverfolgung ohne förmliche, durch ein Strafurteil erfolgende Sanktionierung des Täters verstanden. Diversion kommt danach frühestens dann in Betracht, wenn ein Organ der Strafrechtspflege von einer Straftat amtlich Kenntnis erlangt hat. Die rein private Konfliktregelung ohne jede Beteiligung staatlicher Organe fällt nicht unter den Begriff, denn unter Diversion wird allgemein eine offizielle Reaktionsweise auf Delinquenz verstanden. Andererseits wird hier nicht mehr von Diver-

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sion gesprochen, wenn gegen den Täter ein Strafurteil ergeht, mag der Richter auch statt einer stationären eine ambulante Sanktion verhängen. Zwar beruhen die Bestrebungen, stationäre durch ambulante Rechtsfolgen zu ersetzen, zu einem großen Teil auf ähnlichen Grundgedanken wie die Diversion, so daß man das Bemühen, möglichst geringe strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, als Diversion im weiteren Sinne bezeichnen könnte (vgl. Schaffstein/Beulke 1987, S. 164). Im Interesse einer klaren Begriffsabgrenzung sollte aber die Bezeichnung Diversion auf die Strategien beschränkt werden, die eine informelle Verfahrenserledigung zum Gegenstand haben. Weiterhin ist der Begriff der Diversion zur Bezeichnung der Vorgehensweisen geprägt worden, in denen der Verzicht auf eine förmliche Sanktionierung mit einer informellen Reaktion zur Behandlung des Täters oder zur Konfliktregelung verknüpft wird (siehe Blau 1985, S.314f.). Ziel der Diversionsprogramme ist es, die Nachteile des förmlichen Strafverfahrens zu vermeiden, aber doch im Interesse der Rückfallverhinderung und der Lösung sozialer Konflikte tätig zu werden. Diversion ist damit vom Screening, der schlichten Einstellung des Verfahrens, abzugrenzen (vgl. Kirchhoff 1981, S.248f.). Die Verwirklichung der informellen Reaktion kann hierbei durch eine außerhalb der Justiz stehende Einrichtung erfolgen oder weitgehend in den Händen von Organen der strafrechtlichen Sozialkontrolle liegen. Im vorliegenden Beitrag wird neben dieser „Diversion im engeren Sinn" wegen des engen Sachzusammenhangs auch die folgenlose Einstellung des förmlichen Strafverfahrens angesprochen, denn die Einleitung der Strafverfolgung, mag sie auch mit einer folgenlosen Einstellung enden, stellt bereits eine gewisse offizielle Reaktion auf die Tat dar. Die Einbeziehung dieser Fälle empfiehlt sich auch deshalb, weil damit die Möglichkeit im Blick bleibt, statt einer formellen oder informellen Sanktion ganz auf eine strafrechtliche Reaktion zu verzichten. Der Diversionsbewegung liegt eine Reihe unterschiedlicher Zielvorstellungen zugrunde (vgl. Kury 1981, S. 177ff.; Palmer/Lewis 1980, S.221). Wesentliche Anstöße gingen von den Thesen des Labeling-Ansatzes aus, wonach die offizielle Etikettierung einer Person als kriminell dazu beiträgt, daß diese Person in Kriminalität abgleitet. Werde eine Person als Krimineller abgestempelt, habe das zur Folge, daß sie von ihrer Umwelt diskriminiert und benachteiligt werde und schließlich die Vorstellung, sie sei ein Krimineller, in ihr Selbstbild aufnehme, wodurch sich deliktisches Verhalten verfestige (siehe Lemert 1971; Sack 1978). In dieser Perspektive verhindert formelle Sanktionierung insbesondere leichterer Jugenddelinquenz weitere Kriminalität nicht, sondern fördert sie und stiftet daher mehr Schaden als Nutzen. Es ist daher angezeigt, sich mit formellen Sanktionen zurückzuhalten und auf die

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Diversion

spontane Eingliederung des Jugendlichen in die Gesellschaft, die in der Regel zu erwarten ist, zu vertrauen. Es kommt somit darauf an, durch Abbau formeller Verfahren eine Stigmatisierung des Täters zu verhindern. Neben der Vermeidung schädlicher Wirkungen des Strafverfahrens wird von der Diversion erwartet, daß sie wirksamer als formelle Verfahren zur Resozialisierung des Täters beiträgt. Behandlungsprogramme von außerjustitiellen Diensten erscheinen als bessere Hilfen für die Lösung von Schwierigkeiten des Täters als formelle strafrechtliche Sanktionen. In informellen Verfahren kann flexibler auf die persönlichen Probleme des Delinquenten reagiert werden und können Behandlungsmaßnahmen schneller eingeleitet werden. Es besteht nicht die Gefahr, daß es aufgrund gemeinsamer Inhaftierung mit anderen Straftätern zum Erlernen krimineller Verhaltensmuster kommt. Der Diversionsgedanke trägt weiterhin der Erkenntnis Rechnung, daß es sich bei den Straftaten Jugendlicher überwiegend um leichtere Delikte mit verhältnismäßig geringen Schäden handelt, deren gelegentliche Begehung nach den Ergebnissen der Dunkelfeldforschung bei den meisten Jugendlichen im Verlauf des normalen Entwicklungsprozesses zu verzeichnen ist, ohne daß der Beginn einer kriminellen Karriere zu befürchten ist. Unter diesem Blickwinkel erscheint eine formelle Verurteilung der jugendlichen Delinquenten als unnötig und unverhältnismäßig, zumal die meisten Bagatelldelikte Jugendlicher nicht entdeckt werden und das Ausbleiben einer strafrechtlichen Reaktion nicht zu einer ernsthaften Gefährdung des Hineinwachsens der jungen Menschen in die Gesellschaft führt. Diversion dient damit dem Abbau überschießender formeller Sozialkontrolle. Dieses Ziel führt auf das zu den Grundgedanken des deutschen Jugendgerichtsgesetzes gehörende, in den §§5, 45 und 47 J G G verankerte Subsidiaritätsprinzip zurück, wonach eine jugendstrafrechtliche Sanktion nur dann zu verhängen ist, wenn es ihrer zur erzieherischen Einwirkung auf den Täter bedarf (vgl. Heinz 1987, S. 135). Große Schubkraft erhielt der Diversionsgedanke weiterhin durch das Streben nach Entlastung der Justiz von der Vielzahl der zu bearbeitenden Fälle (siehe Kaiser 1985, 73). Informelle Erledigungen versprachen eine schnellere, einfachere und kostengünstigere Bearbeitung der Verfahren. Die frühzeitige Beendigung der Strafverfolgung wegen leichterer Delikte sollte die Möglichkeit zur nachdrücklicheren Bekämpfung der schwereren Kriminalität schaffen. Insbesondere in den Vereinigten Staaten wurde an die Verlagerung der Reaktionen auf außerjustitielle Einrichtungen auch die Erwartung geknüpft, daß die Mitarbeit von Freiwilligen an Behandlungsprogrammen zu einer gründlicheren Auseinandersetzung der Bürger mit Problemen abweichenden Verhaltens führen werde und einer Ent-

fremdung von Jugendlichen und Erwachsenen entgegengewirkt werden könne (vgl. Forward u. a. 1974; Gemignani 1972). Diversionsprogramme lassen allerdings nicht nur Vorteile erwarten, sondern werfen auch eine Reihe von Problemen auf. Kritische Stimmen in der Literatur erheben daher eine Reihe von Bedenken gegen Diversion. Aus spezialpräventiver Sicht wird darauf hingewiesen, daß die Erforschung der Persönlichkeit des Täters vernachlässigt werden könnte und deshalb die angebrachten Resozialisierungsmaßnahmen unterbleiben könnten. Außerdem sei es denkbar, daß sich bei manchen Tätern gerade die Förmlichkeiten des Strafverfahrens spezialpräventiv günstig auswirken könnten (vgl. Schaffstein 1985, S.953). Aus generalpräventiver Perspektive läßt sich gegen Diversion einwenden, daß durch informelle Verfahrenserledigungen sowohl die Abschreckungswirkung des Strafrechts als auch die positive Generalprävention, also die Bekräftigung des Rechtsbewußtseins der Bevölkerung, beeinträchtigt werden könnten. Besonders nachdrücklich sind rechtsstaatliche Bedenken gegen Diversionsprogramme vorgetragen worden. Durch Drohung mit der Fortsetzung des förmliche Strafverfahrens könnten Beschuldigte veranlaßt werden, ein Geständnis abzulegen und an „informellen" Behandlungsprogrammen teilzunehmen. Auf diese Weise könnten Tatverdächtige mit belastenden Maßnahmen überzogen werden, bevor ihre Schuld rechtsstaatlich einwandfrei festgestellt sei (vgl. Walter 1983, S. 58f.). Soweit in den Diversionsprogrammen Polizei oder Staatsanwaltschaft die Diversionsmaßnahmen einleiteten, werde deren Machtstellung verstärkt, da sie dann praktisch Ermittlungs- und Sanktionierungskompetenz in ihrer Hand vereinigten. Außerdem bestehe die Gefahr der schichtenspezifischen Ungleichbehandlung, denn in den erhebliche Handlungsspielräume gewährenden informellen Verfahren könne es Angehörigen der mittleren und oberen Schichten leichter fallen, ihre Interessen durchzusetzen. Weiterhin wird von Diversionsprogrammen eine Ausweitung des Netzes der sozialen Kontrolle befürchtet (siehe dazu etwa Kury 1981, S.223). Die Vorstellung, Diversion belaste den Täter weniger als eine förmliche Sanktionierung und informelle Behandlung stelle eine wünschenswerte Hilfe für den Täter dar, könne dazu führen, daß der Adressatenkreis von Diversionsprogrammen auf Personen ausgedehnt werde, die ansonsten von einer Sanktionierung verschont werden würden. Schließlich ist zu fragen, ob nicht mit der Teilnahme an einem informellen Behandlungsprogramm in der Gemeinde eine stärkere Stigmatisierungswirkung verbunden sein kann als mit der Aburteilung durch ein Strafgericht. Inwieweit die Hoffnungen und Befürchtungen, die mit Diversion verbunden sind, zutreffen, kann nur die praktische Erfahrung zeigen. Im folgenden

Diversion wird daher zunächst die Entwicklung der Diversion beschrieben. Anschließend werden Erkenntnisse über ihre Auswirkungen dargestellt.

II. DIE ENTWICKLUNG DER DIVERSION IN DEN USA UND ANDEREN STAATEN AUSSERHALB DER BUNDESREPUBLIK A. Die Vereinigten Staaten von Amerika Die Diversionsbewegung hat ihren Ausgang in den USA genommen. Die große Zahl der dort betriebenen Diversionsprogramme ist u. a. auf die starke finanzielle Unterstützung zurückzuführen, die diesen Programmen in den 60er und 70er Jahren durch den Staat zuteil wurde. Die President's Commission on Law Enforcement and Administration of Justice sprach sich 1967 dafür aus, auf Jugenddelinquenz in weitem Umfang mit informellen Reaktionen zu antworten und auf Gemeindeebene Einrichtungen zur Behandlung junger Delinquenten außerhalb des Kriminaljustizsystems zu schaffen (vgl. President's Commission 1967). In vielen Gemeinden der USA wurden zur Durchführung der Programme "Youth Service Bureaus" geschaffen. Die finanzielle Förderung erfolgte vor allem durch die Law Enforcement Assistance Administration (LEAA), eine Abteilung des amerikanischen Bundesjustizministeriums. Allein 1972 gab diese Behörde für Diversionsmaßnahmen 15,5 Millionen Dollar aus (vgl. Kirchhoff 1981, S.263; zur finanziellen Förderung siehe auch Kury 1981, S. 172). Die weite Verbreitung der Diversion wurde außerdem durch spezifische Bedingungen des Justizsystems der USA gefördert (siehe dazu Blau 1985, S.314ff.). So ließ die starke Formalisierung des gerichtlichen Verfahrens eine Beendigung der Strafverfolgung vor Weitergabe des Falles an das Gericht als besonders dringlich erscheinen. Im Bereich des Jugendkriminalrechts bestand außerdem ein starkes Bedürfnis nach informellen Erledigungsformen, weil das amerikanische Recht den Bereich des deliktischen Verhaltens Jugendlicher wesentlich weiter faßt als in Europa und auch Verhaltensweisen wie Weglaufen von zu Hause, Nichtbesuchen der Schule oder Ungehorsam gegenüber Erziehungsberechtigten als Delikt definiert (sogenannte status offences). Den Spielraum für Diversionsprojekte eröffnete das im Strafverfahren der USA geltende Opportunitätsprinzip. Die in den Vereinigten Staaten entwickelten Formen der Diversion sind vielfältig. Diversion wird teilweise von der Polizei betrieben (police-diversion), teilweise liegt die Diversion in den Händen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts (pretrialdiversion, vgl. Kaiser 1985, S . 7 3 f . ) . Die Behandlungsprogramme werden teilweise von den Strafrechtspflegeorganen selbst organisiert und durchge-

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führt oder stehen doch unter deren Kontrolle, so daß der Täter zwar in den Händen des Kriminaljustizsystems verbleibt, aber ein zu tiefes Eindringen in das System verhindert wird (minimization of penetration). Z u m Teil wird der Täter an Programme überwiesen, die von Personen und Einrichtungen außerhalb der Jugendgerichtsbarkeit durchgeführt werden (true diversion). Freilich sind auch bei einer Überweisung an ein Programm außerhalb der Justiz die Fälle selten, in denen mit der Überweisung das Strafverfahren endgültig beendet ist. Überwiegend sind die Programme so ausgestaltet, daß den Justizorganen über den Verlauf des Behandlungsprozesses zu berichten ist und diese sodann entscheiden, ob das Verfahren endgültig beendet wird oder ob das formelle Strafverfahren wegen Scheiterns der Behandlungsmaßnahme fortzuführen ist. Den Projekten ist gemeinsam, daß die Überweisung in ein Diversionsprogramm der Zustimmung des Betroffenen bedarf. Lehnt er ab, nimmt das formelle Strafverfahren seinen Fortgang. Weiterhin muß der Betroffene bei den meisten Programmen mit der Weiterführung des Strafprozesses rechnen, wenn er sich im Diversionsprogramm nicht bewährt. Die Inhalte der Programme sind vielfältig. Beispielhaft seien genannt: Einzelberatung bei der Lösung persönlicher Schwierigkeiten, Gruppenarbeit, Einzel- und Gruppentherapie, Beratung der Eltern und Familientherapie, Hilfe bei der Arbeitssuche und bei Aus- und Weiterbildung, Maßnahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs. Im folgenden sollen beispielhaft einige Diversionsprogramme skizziert werden. Die Polizei hat in Ausnutzung des ihr nach dem amerikanischen Strafprozeßrecht zustehenden weiten Ermessensspielraums zunehmend eigene Diversionsprogramme entwickelt (vgl. Gibbons/Blake 1976; Kury 1981, S. 204ff.). So wurde in Columbus/ Ohio für Delikte, die aus zwischenmenschlichen Konflikten, wie z . B . Familienstreitigkeiten, hervorgehen, das "Night Prosecuter's Program" entwickelt. In diesem Programm werden die Beteiligten nach Registrierung des Vorfalls zu einem "Hearing" eingeladen. Dieses Hearing findet auf der Polizeistation statt und wird von einem "hearing-officer" geleitet. Dieser bemüht sich, zwischen den Beteiligten zu vermitteln und zu einer für beide Parteien befriedigenden Konfliktlösung zu gelangen (vgl. zu diesem Programm Palmer 1974). Um die Schlichtung von Familienstreitigkeiten und die Vermeidung von Festnahmen bemüht sich auch das "Family Crisis Intervention Project" in New York (siehe dazu Bart 1970). Das "Dallas Police Department's Youth Services Program" nimmt Jugendliche im Alter von 10 bis 16 Jahren auf (siehe zu diesem Programm Collingwood u. a. 1976). Dieses Projekt kennt neben einem "First Offender Program" für Ersttäter auch ein Programm für Rückfalltäter, die "Counseling Unit". In dem

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Diversion

Projekt arbeiten neben Polizeibeamten auch sonstige Berater mit. Verfolgt die Polizei einen Fall nicht weiter, ohne den Täter in ein Behandlungsprogramm zu überweisen, wird von Screening gesprochen. Diese folgenlose Einstellung des Verfahrens gehört zu den von der amerikanischen Polizei seit jeher praktizierten Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung (siehe dazu Kirchhoff 1981, S.248). Diversion findet weiterhin auf der Ebene der Staatsanwaltschaften und Gerichte statt. Zu den bekannten Diversionsprojekten mit Beteiligung der Staatsanwaltschaft gehört das Programm der Citizen Probation Authority (CPA) in Genessee County (vgl. dazu Mullen 1975; Kirchhoff 1981, S. 264f.). Die CPA erstellt mit Erlaubnis des Tatverdächtigen eine Fallstudie und entwirft einen Behandlungsplan. Mit Zustimmung des Staatsanwalts und des Beschuldigten wird die Anklageerhebung bis zu einem Jahr verschoben. Bewährt sich der Verdächtige in dieser Zeit, nimmt er also an den Behandlungsmaßnahmen teil und begeht er keine weiteren Straftaten, wird das Verfahren nach Ablauf der Zeit eingestellt. Andernfalls erfolgt Anklageerhebung. Das Manhattan Court Employment Project in New York und das ebenfalls 1967 begonnene Project Crossroads in Washington D . C . hatten neben der Vermeidung formeller Verurteilung vor allem das Ziel, Rückfälle durch Hilfen beim Finden legaler Verdienstmöglichkeiten zu verhindern (vgl. dazu Kirchhoff 1981, S.265; Leiberg 1971). Im CREST-Programm in Gainesville/Florida werden jugendliche Delinquenten für 90 Tage von Pädagogikstudenten, den sogenannten Counsellors, betreut (siehe dazu Kirchhoff 1981, S.263). Verläuft die Betreuung erfolgreich, wird die Anklage fallen gelassen. Als Beispiel für ein beim Jugendgericht angesiedeltes Diversionsprogramm sei die Diversion im Kalamazoo County Juvenile Court in Michigan erwähnt (vgl. Mengelkoch u. a. 1981). Status offences und leichtere Delikte werden an das Status Diversion Department abgegeben, wo Sozialarbeiter mit den jugendlichen Delinquenten zusammenarbeiten und den Fall bei erfolgreicher Arbeit einstellen können. Für von jugendlichen Ersttätern begangene Ladendiebstähle und Diebstähle aus Gebäuden mit einem Wert der entwendeten Sachen von weniger als 100 Dollar wurde das "Stop Taking Others Property-Program" (STOP) entwickelt. Die Verfahren werden an das Special Services Department des Jugendgerichts überwiesen. Hier wird der Fall einem freiwilligen Mitarbeiter, einem Volunteer, übertragen, der ein Gutachten über den Jugendlichen anfertigt und ihn gegebenenfalls während einer „Bewährungszeit" von 90 Tagen betreut. Begeht der Jugendliche während dieser Zeit keine weiteren Delikte, wird das Verfahren eingestellt. Auch bei schwerer Kriminalität besteht die Möglichkeit, auf eine formelle Hauptverhandlung zu verzichten und den geständigen Jugendlichen mit

seinem Einverständnis und mit der Zustimmung seiner Eltern an ein vom Special Services Department getragenes Bchandlungsprogramm zu überweisen. Es handelt sich hierbei um das VolunteerProbation-Officer-Program (VPO) und das HomeIntensive-Probation-Program (HIP). In beiden Fällen wird dem Jugendlichen ein Volunteer zur Seite gestellt, der sich um eine intensive Beratung und Betreuung des Probanden bemüht. Bei erfolgreicher Betreuung wird das Verfahren eingestellt. Das Home-Intensive-Probation-Program zielt speziell auf die Vermeidung einer stationären Unterbringung von gefährdeten Jugendlichen ab. In diesem Programm ist dem Jugendlichen das Verlassen des Hauses oft nur zum Schulbesuch gestattet. Die Diversionsprogramme in Kalamazoo beruhen also zu einem großen Teil auf der Mitarbeit von Volunteers. Für diese freiwilligen Mitarbeiter wurden Trainingsprogramme entwickelt, an denen sie teilnehmen müssen, bevor sie in der Arbeit mit Jugendlichen eingesetzt werden. Der Betreuung von Jugendlichen durch ehrenamtliche Mitarbeiter dienen auch das "Guarantor Program", das beim Juvenile Court angesiedelt ist, und das "Big-Brothcrs/Big-Sisters-Program", indem die Betreuung durch Mitarbeiter der privaten „Big-Brother/BigSister-Bewegung" übernommen wird. Die bei der Justiz eingerichteten Diversionsprogrammc haben teilweise auch die Schadenswiedcrgutmachung zum Gegenstand. So verpflichtet sich der Beschuldigte in dem für Ersttäter von Eigentumsdelikten konzipierten Prosecuter's Diversion Program (PDP) in Ingham County, Schadensersatz zu leisten, eine Geldsumme an PDP zu zahlen und gemeinnützige Arbeit zu verrichtcn. Erfüllt er diese Auflagen und begeht er keine weiteren Straftaten, wird das Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt (siehe dazu Janssen 1981, S. 268ff.). Betrachtet man die Diversionspraxis in den USA, so zeigt sich, daß sich die Programme überwiegend auf leichte Delikte jugendlicher Ersttäter konzentrieren. Schwere Straftaten und Delikte mit besonders problematischen Tätergruppen, z. B. Sexualstraftaten oder Drogendelikte, sind häufig von den Programmen ausgeschlossen. Die Programme wenden sich überwiegend an Jugendliche. Es wurde aber auch eine Reihe von Projekten für erwachsene Delinquenten entwickelt. Der Schwerpunkt der Programme liegt bei wenig gefährdeten Tätern mit günstiger Prognose. Teilweise entscheiden die Mitarbeiter des Behandlungsprojektes über die Aufnahme des Delinquenten in das Programm. An den Behandlungsmaßnahmen sind neben Fachpersonal in nicht unerheblichem Umfang freiwillige Mitarbeiter beteiligt. Die Programme mit vielfältigem Inhalt dauern meistens nicht länger als 6 Monate. Nachdem Diversion in den USA zunächst teilweise euphorisch betrieben wurde, ist inzwischen eine Beruhigung eingetreten. Mit der Auflösung der L E A A und der Streichung von Bundesmittcln

Diversion im Jahre 1981 hat die großzügige finanzielle Förderung ihr Ende gefunden. Auch in der amerikanischen Wissenschaft wird Diversion heute zurückhaltender und kritischer betrachtet (siehe etwa Lemert 1981). Insbesondere wird angenommen, daß die Diversionsprogramme zu einer Ausweitung sozialer Kontrolle geführt hätten (vgl. Polk 1984). Bevor die Diversionsbewegung jedoch in den USA ihren Höhepunkt erreicht hatte, hat sie die Verwirklichung der Diversion in anderen Staaten erheblich gefördert. Die Bedeutung, die der Diversionsgedanke gewann, zeigte sich u. a. daran, daß „Diversion und Schlichtung" Thema der Sektion III des XIII. Internationalen Strafrechtskongresses in Kairo 1984 war (vgl. Herrmann 1985).

B. Weitere Staaten Bei der Verwirklichung von Diversionskonzepten konnte in einer Reihe von Staaten an bereits etablierte Strafverfolgungsstrategien angeknüpft werden, die schon eine Beendigung des Strafverfahrens vor förmlicher Verurteilung zum Gegenstand hatten. So wird in England und Wales seit langem ein großer Teil der Delikte von Jugendlichen durch polizeiliche Verwarnung erledigt (vgl. Harding 1986, S. 224). 1969 fand dieses Vorgehen im Children and Young Persons Act eine gesetzliche Regelung (siehe Junger-Tas 1980, S. 369). In Schottland wurde durch den Social Work (Scotland) Act von 1968 die Jugendstrafrechtspflege weitgehend beseitigt und ein einheitliches Jugendwohlfahrtsrecht geschaffen. Hierbei wird von den Jugendbehörden in ca. einem Drittel der Fälle von einer formellen Reaktion abgesehen (siehe Tutt 1986, S.478, 482). Auch in Kanada werden viele Fälle von der Polizei informell durch eine Verwarnung divertiert. Der Young Offenders Act von 1982 enthält Bestimmungen über "alternative measures", ist aber schwerpunktmäßig „legalistisch" orientiert (vgl. Hackler 1986). Diversionsprojekte wurden auch in Australien durchgeführt (vgl. Sarri 1979). In den Niederlanden ist das RBS-Projekt in Groningen bekannt geworden. Anders als viele amerikanische Programme wendet sich dieses Projekt insbesondere auch an Jugendliche, die schwerere Delikte begangen haben. Das Programm konzentriert sich vor allem auf praktische Hilfe bei der Bewältigung der Lebensprobleme der Jugendlichen sowie auf rechtlichen Beistand für die Jugendlichen im Strafverfahren und bemüht sich, formelle Verurteilungen abzuwenden (siehe Andriessen 1981). Mit dem in Rotterdam initiierten HALT-Programm soll dem Vandalismus von Jugendlichen entgegengewirkt werden. Das Projekt organisiert Arbeitsleistungen und Schadenswiedergutmachung durch die Jugendlichen, um Strafverfahren abzuwenden, und leistet Hilfe bei der Lösung praktischer Probleme (siehe Junger-Tas 1986, S.450ff.). Projekte, die

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gemeinnützige Arbeit als alternative Sanktion vorsehen, die zur Vermeidung eines Gerichtsverfahrens führen kann, sind in den Niederlanden sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene in Gang gesetzt worden (vgl. Sagel-Grande 1986, S.286f.). Bagatelldelikte Jugendlicher werden in den Niederlanden häufig informell durch die Polizei erledigt. Dies ist auch in Belgien und Frankreich der Fall (vgl. Junger-Tas 1980, S.370f.). In Schweden überweist die Staatsanwaltschaft eine große Zahl der Verfahren gegen 15 —18jährige Täter an die Wohlfahrtsämter, deren Arbeit überwiegend informell ist (siehe Lahti 1987, S.4; Sonnen 1981, S. 186). In Österreich diente die im dortigen J G G enthaltene Möglichkeit, von der Verfolgung von Delikten Jugendlicher abzusehen, wenn nur eine geringe Sanktion zu erwarten ist, als Ausgangspunkt für die Entwicklung des Projektes „Konfliktregelung", das eine Einstellung des Strafverfahrens durch den Staatsanwalt vorsieht, wenn der Jugendliche bestimmte durch einen Bewährungshelfer vermittelte Leistungen, wie z . B . Schadenswiedergutmachung oder gemeinnützige Arbeit, erbringt (vgl. Jesionek 1986). Sowohl das österreichische als auch das schweizerische Recht kennen die Möglichkeit, bei Drogendelikten von Konsumenten unter bestimmten Voraussetzungen von der Strafverfolgung abzusehen (vgl. Dearing 1987, S. 514ff.; Heine 1987, S. 579ff.; zu einer ähnlichen Regelung in Frankreich siehe Driendl 1981, S.439f.). In der D D R werden ca. ein Viertel aller Strafsachen durch die gesellschaftlichen Gerichte erledigt, die als Konfliktkommissionen in den Betrieben und als Schiedskommissionen in den Wohnvierteln tätig sind und als Verhandlungsziel eine gütliche Einigung anstreben sollen (siehe Eser 1985). Bei leichteren Straftaten Jugendlicher kann das Strafverfahren eingestellt werden, wenn durch die Jugendhilfe oder andere Erziehungsträger ausreichende Erziehungsmaßnahmen eingeleitet worden sind (vgl. Luther 1987, S. 16). In Polen bemüht sich die Jugendstrafrechtspflege, förmliche Gerichtsverhandlungen durch folgenlose Einstellung von Bagatellsachen, Übergabe des Falles an die Schule oder eine andere gesellschaftliche Organisation oder Übergang in das familienrechtliche Vormundschaftsverfahren zu vermeiden (siehe Buchata/Weigend 1981). In Verfahren gegen Jugendliche und Erwachsene besteht in Polen die Möglichkeit, das Strafverfahren mit Einverständnis des Beschuldigten unter Auflagen für eine Bewährungszeit bedingt einzustellen. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und steht er die Bewährungszeit durch, erfolgt die endgültige Einstellung (siehe Schneider 1987, S. 855). In der auf Behutsamkeit angelegten und durch die Neigung zur informellen Konfliktregelung gekennzeichneten japanischen Strafrechtspraxis wird Diversion der Sache nach seit langem praktiziert (—»Vergleichende Kriminologie; Japan). Die Poli-

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Diversion

zei erledigt ca. 20% der ihr bekanntwerdenden Fälle informell. Die Staatsanwaltschaft sieht in einem Drittel aller Fälle trotz hinreichender Beweislage aufgrund von kriminalpolitischen Überlegungen von der Anklageerhebung ab. Besonders stark ausgeprägt ist das Bemühen, formelle Gerichtsverhandlungen möglichst zu vermeiden, im japanischen Jugendstrafverfahren. Die Jugendrichter an den Familiengerichten sehen überwiegend von der Eröffnung einer mündlichen Verhandlung ab bzw. verzichten nach Betreuung und Begutachtung des Jugendlichen durch den gerichtlichen Untersuchungs- und Fürsorgebeamten auf weitere Maßnahmen (vgl. Miyazawa 1981). Das Jugendstrafrecht in Südkorea kennt die Einrichtung der "Suspension of prosecution with guidance". Der Staatsanwalt kann die Strafverfolgung bedingt aussetzen und dem Jugendlichen die Auflage erteilen, sich der Aufsicht eines Bewährungshelfers zu unterstellen (vgl. Blau 1985, S. 324f.).

DI. DIVERSION IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND A. Diversion im Jugendstrafrecht 1. Rechtsgrundlagen

und

Diversionsmodelle

Zu den Grundgedanken des Jugendstrafrechts der Bundesrepublik Deutschland gehört das Subsidiaritätsprinzip. Danach soll auf Delikte Jugendlicher nur dann mit jugendstrafrechtlichen Sanktionen reagiert werden, wenn außerstrafrechtliche Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Straftaten nicht ausreichen. Dieses Prinzip hat seinen Niederschlag in den §§45ff. JGG gefunden, die dem Jugendstaatsanwalt und dem Jugendrichter Möglichkeiten eröffnen, das Verfahren ohne förmliche Verurteilung zu beenden (vgl. Schaffstein/Beulke 1987, S. 163ff.). Unter den Voraussetzungen des §45 Abs. 2 JGG kann der Staatsanwalt das Verfahren ohne Zustimmung des Richters einstellen. §45 Abs. 2 Nr. 2 JGG ermöglicht eine Einstellung ohne Sanktionierung, wenn die Voraussetzungen des § 153 StPO vorliegen, wenn es sich also um ein Vergehen handelt, die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Nach § 45 Abs. 2 Nr. 1 JGG kann der Staatsanwalt von der Verfolgung absehen, wenn eine erzieherische Maßnahme, die eine Ahndung durch den Richter entbehrlich macht, bereits angeordnet ist. Hierbei kann es sich zum Beispiel um eine Erziehungsmaßnahme der Eltern handeln. Der Staatsanwalt kann die Maßnahme auch selbst schaffen, indem er den Jugendlichen z. B. ermahnt oder zur Schadenswiedergutmachung veranlaßt. Erbringt der Jugendliche die Leistungen nicht, kann der Staatsanwalt das Verfahren fortsetzen.

Die Möglichkeit, das Jugendstrafverfahren ohne Anklageerhebung, aber mit Beteiligung des Jugendrichters zu beenden, eröffnet §45 Abs. 1 JGG. Ist der Beschuldigte geständig und hält der Staatsanwalt eine Ahndung durch Urteil für entbehrlich, so kann er nach dieser Bestimmung beim Jugendrichter anregen, dem Jugendlichen Auflagen zu machen, ihm aufzugeben, Arbeitsleistungen zu erbringen, seine Teilnahme an einem Verkehrsunterricht anzuordnen oder ihm eine Ermahnung auszusprechen. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab. Folgt der Jugendrichter dem Vorschlag des Staatsanwalts nicht oder kommt der Jugendliche den richterlichen Anordnungen nicht nach, kann der Staatsanwalt das Verfahren weiterführen. Ist Anklage erhoben, ermöglicht es § 47 JGG dem Richter, das Verfahren mit Zustimmung des Staatsanwalts einzustellen, wenn er eine Ahndung für entbehrlich hält und gegen den geständigen Jugendlichen eine in §45 Abs. 1 bezeichnete Maßnahme anordnet oder wenn die Voraussetzungen des §45 Abs. 2 JGG vorliegen. Bei einer aufgrund von Drogenabhängigkeit begangenen Straftat, für die keine höhere Strafe als 2 Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten ist, kann die Staatsanwaltschaft nach §§37, 38 Abs. 2 BtMG mit Zustimmung des Gerichts vorläufig von der Anklageerhebung absehen, wenn der Beschuldigte sich einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung unterzieht. Auf der Grundlage der §§45, 47 JGG sind in der Praxis eine Reihe von Diversionsmodellen entwikkelt worden. Das Lübecker Modell zielte vor allem auf eine schnelle Reaktion bei geständigen Ersttätern von Bagatelldelikten ab (vgl. Pohl-Laukamp 1984; Sessar/Hering 1985). Die Polizei lädt den Jugendlichen und seine Eltern zu einem Gespräch beim Jugendstaatsanwalt. Kommt dieser zu der Auffassung, daß das Gespräch als erzieherische Maßnahme ausreicht, stellt er das Verfahren nach §45 Abs. 2 Nr. 1 JGG ein. In den ländlichen Bereichen des Bezirks der Staatsanwaltschaft Lübeck leitete die Polizei den Vorgang mit telefonischer Zustimmung des Jugendstaatsanwalts dem zuständigen Jugendrichter zur Ermahnung nach §45 Abs. 1 JGG zu. Geständige Ersttäter von leichteren Delikten sind auch der Adressatenkreis des Marler Modells (siehe dazu Beckmann 1985). Hier schaltet sich die Jugendgerichtshilfe (JGH) in Zusammenarbeit mit der Polizei in das Ermittlungsverfahren ein. Hält die JGH nach Gesprächen mit dem Jugendlichen und den Eltern ein förmliches Verfahren nicht für erforderlich, weil andere Maßnahmen wie Beratungsgespräche oder von der JGH vermittelte Leistungen des Jugendlichen, z.B. soziale Dienste, ausreichen, schlägt sie der StA das Verfahren nach § 45 Abs. 2 Nr. 1 JGG vor. Erbringt der Jugendliche die Leistungen, wird das Verfahren endgültig eingestellt. Das STOP-Programm des Vereins INTEG in

Diversion Mönchengladbach befaßt sich mit geständigen Ersttätem von Ladendiebstählen (vgl. Kirchhoff/Wachowius 1982; Kirchhoff 1985). Zwei ehrenamtliche Mitarbeiter des Vereins suchen den Jugendlichen und seine Eltern auf, besprechen mit ihnen den Fall und bilden sich ein Urteil darüber, wie die Familie auf die Tat reagiert. Ist der Jugendliche einverstanden, sucht er das Geschäft auf und spricht dort mit einem Angestellten. Die freiwilligen Mitarbeiter erarbeiten zusammen mit dem Programmleiter, einem hauptamtlichen Sozialarbeiter, einen Vorschlag für die Staatsanwaltschaft. In mehr als 90 % der Fälle wird die folgenlose Einstellung vorgeschlagen. Das Programm hat dazu geführt, daß die Verurteilungsquote bei Ladendiebstählen von Ersttätern von 80% auf unter 9 % zurückgegangen ist. Das Ziel einer Erweiterung der Einstellungen durch die StA nach § 45 Abs. 2 Nr. 1 JGG wird auch vom Braunschweiger Modell verfolgt (siehe Staeter 1984; Breymann 1986). Sind eine polizeiliche Vernehmung und Belehrung erzieherisch ausreichend, sieht die StA ohne weitere Reaktion — gegebenenfalls in Verbindung mit einer schriftlichen Ermahnung — von der Verfolgung ab. In anderen Fällen ohne erheblichen kriminellen Unrechtsgehalt lädt die StA den Jugendlichen und seine Eltern zu einem Gespräch. Die StA kann dann nach mündlicher Ermahnung auf eine weitere Verfolgung verzichten oder eine erzieherische Maßnahme, wie z. B. Leistung gemeinnütziger Arbeit oder Schadenswiedergutmachung, vereinbaren und nach Verwirklichung der Maßnahme das Verfahren einstellen. Diese Vorgehensweise wurde dadurch ermöglicht, daß die J G H zusätzliche Angebote für ambulante Maßnahmen zur Verfügung stellte. Die Entscheidung der StA nach §45 Abs. 2 JGG erfolgt jedoch grundsätzlich ohne JGH-Bericht, damit sich die J G H auf die sozialpädagogische Arbeit und die Berichterstattung in schwierigen Fällen konzentrieren kann. Auf Diversionsentscheidungen durch den Jugendrichter nach §§45 Abs. 1, 47 JGG hat sich das Brücke-Projekt in München konzentriert (vgl. dazu Pfeiffer 1983). Dieses 1978 begonnene Projekt hat die Diversionspraxis in der Bundesrepublik wesentlich gefördert. Ein Schwerpunkt der Arbeit des Vereins „Brücke" liegt in der Organisation richterlich angeordneter Arbeitsweisungen, wobei die Arbeitseinteilung durch einen Sozialarbeiter der Brükke nach einem Gespräch mit dem Jugendlichen erfolgt. Die Arbeitsleistungen bestehen vor allem in der Betreuung alter oder behinderter Menschen oder in handwerklichen Tätigkeiten. Außerdem stehen Sozialarbeiter der Brücke Jugendlichen im Rahmen von richterlich angeordneten Betreuungsweisungen zur Seite. Während das Hauptgewicht der Betreuung zunächst bei der Einzelfallhilfe lag, wurde das Konzept später um Gruppenarbeit erweitert (zur Bedeutung der erzieherischen Gruppenarbeit als jugendstrafrechtlicher Reaktion vgl.

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auch Fischer 1986 — zum Uelzener Projekt — und Busch u . a . 1986). Der Durchführung von Arbeitsund Betreuungsweisungen dient auch das Kölner Brücke-Projekt, wobei in diesem Projekt auch Arbeitsweisungen durchgeführt werden, die vom Staatsanwalt veranlaßt werden und zur Einstellung nach §45 Abs. 2 Nr. 1 J G G führen (vgl. Marks 1982). In Hamburg wurde ein detailliertes Konzept für eine Diversionsstrategie entwickelt, wonach im Bagatellbereich der Jugenddelinquenz grundsätzlich auf Strafverfolgung verzichtet und bei mittlerer Kriminalität mit informellen, pädagogisch ausgerichteten Maßnahmen reagiert werden soll (siehe Raben u. a. 1987). In einigen Projekten wird versucht, durch einen Täter-Opfer-Ausgleich eine Befriedung zu erreichen, die eine formelle Reaktion auf die Straftat entbehrlich macht oder eine mildere Sanktion ermöglicht (vgl. Schöch 1987). So bemüht sich in Braunschweig die Jugendgerichtshilfe um die Vermittlung eines Gesprächs zwischen Täter und Opfer, um eine Schadenswiedergutmachung und eine menschliche Begegnung zu erreichen, die zur Einstellung des Strafverfahrens oder jedenfalls zu einer Abmilderung der Sanktion führen kann (vgl. Viet 1988). In dem von Rössner initiierten Projekt „Handschlag" in Reutlingen bemühen sich bei einem privaten Trägerverein angestellte Sozialarbeiter mit dem Ziel einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 45, 47 J G G um einen Täter-Opfer-Ausgleich (vgl. Kuhn/Rössner 1987). Auch beim Kölner „Waage-Projekt" liegt die Vermittlung zwischen Täter und Opfer in den Händen von Mitarbeitern eines privaten Vereins (siehe Schreckling 1987; zu einem Modellversuch für den Täter-Opfer-Ausgleich in München und Landshut vgl. Görlach 1987). Die Praxis der Jugendstrafrechtspflege hat somit ohne Änderung des JGG im Wege der „inneren Reform" zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten von Diversion entwickelt.

2. Verbreitung und Strukturen der jugendstrafrechtlichen Diversionspraxis Gefördert durch die dargestellten Modelle hat die informelle Verfahrenserledigung in der Praxis der Jugendstrafrechtspflege der Bundesrepublik einen weiten Anwendungsbereich gefunden. Gegenwärtig wird etwa jedes zweite Jugendstrafverfahren informell nach den §§45, 47 J G G erledigt (vgl. Heinz/Hügel 1986, S.16). Hierbei hat die Einstellung durch den Staatsanwalt ohne Mitwirkung des Richters nach § 45 Abs. 2 JGG gegenüber der Einstellung unter Beteiligung des Richters nach §45 Abs. 1 J G G zunehmend an Bedeutung gewonnen. Von den Einstellungen nach §45 J G G erfolgten 1981 56,2% nach Absatz 2 dieser Vorschrift, 1986 betrug die Quote der Einstellungen nach Abs. 2 80,2% (berechnet nach Statistisches Bundesamt,

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Diversion

Staatsanwaltschaften 1981, S. 10; 1986, S. 12). Die Zunahme informeller Verfahrenserledigungen ist Bestandteil tiefgreifender Veränderungen in der strafrechtlichen Reaktion auf Jugenddelinquenz, die ihren Ausdruck auch darin finden, daß bei den jugendstrafrechtlichen Verurteilungen der Anteil der ambulanten gegenüber den stationären Sanktionen von etwa der Hälfte in den 50er Jahren auf ca. Vi Mitte der 80er Jahre gestiegen ist (siehe dazu Heinz 1987, S. 139). Die Praxis der Einstellungen nach §§45, 47 J G G weist freilich erhebliche regionale Unterschiede auf. Nach Berechnungen von Heinz kamen 1985 auf 100 nach Jugendstrafrecht erhobene Anklagen in Rheinland-Pfalz 25 Einstellungen nach §45 J G G und in Hamburg 136 Einstellungen. In RheinlandPfalz kamen auf 100 nach Jugendstrafrecht verurteilte Personen 64 Verfahrenseinstellungen gemäß §§45, 47 J G G , in Hamburg waren es 476 Einstellungen (siehe Heinz/Hügel 1986, S. 18). Beträchtliche Unterschiede bei der Anwendung der §§45, 47 J G G bestehen auch innerhalb ein und desselben Bundeslandes (siehe Spieß 1984). Soweit Jugendstrafverfahren informell erledigt werden, konzentriert sich die Anwendung der §§45, 47 J G G auf leichtere Delinquenz von Erst- und Gelegenheitstätern. Von der informellen Erledigung werden vor allem nicht oder kaum vorbelastete Beschuldigte erfaßt, denen nur ein Delikt und nicht mehrere real oder ideal konkurrierende Straftaten vorgeworfen werden und durch deren Tat nur geringer Schaden verursacht worden ist (siehe Heinz/Hügel 1986, S. 42 ff.).

B. Diversion im Erwachsenenstrafrecht Auch im Erwachsenenstrafrecht der Bundesrepublik haben informelle Erledigungsformen erhebliche Bedeutung erlangt. Während die Diversionsbewegung im Jugendstrafrecht von dem Leitgedanken getragen wird, für den Jugendlichen schädliche Folgen des Strafverfahrens zu vermeiden und durch weniger förmliche Reaktionen pädagogisch erfolgversprechender auf den Jugendlichen einzuwirken, stehen im Erwachsenenstrafrecht prozeßökonomische Erwägungen stärker im Vordergrund (vgl. Schaffstein 1985, S.939). Durch informelle Erledigung leichterer Delinquenz sollen die Strafverfahren beschleunigt und eine intensivere Verfolgung von schwererer Kriminalität ermöglicht werden. Erheblich gefördert wurde diese Entwicklung durch die Erweiterung der Einstellungsmöglichkeiten nach dem Opportunitätsprinzip durch das am 1.1.1975 in Kraft getretene Einführungsgesetz zum StGB. Zentrale Vorschriften für die informelle Verfahrenserledigung sind danach die §§153, 153 a StPO. Gemäß § 153 kann die Staatsanwaltschaft bei Vergehen mit Zustimmung des Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als

gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Bei Vermögensdelikten mit geringem Schaden kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren ohne gerichtliche Zustimmung einstellen. Nach Anklageerhebung ist das Gericht unter den genannten Voraussetzungen befugt, das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten einzustellen. Die Verfahrenseinstellung unter Auferlegung von Sanktionen regelt § 153 a StPO. Danach kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts bei einem Vergehen vorläufig von der Anklageerhebung absehen und dem Beschuldigten auferlegen, eine Leistung zur Schadenswiedergutmachung zu erbringen, einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen, sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen oder Unterhaltspflichten nachzukommen, wenn diese Maßnahmen geeignet sind, bei geringer Schuld das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen. Bei Vermögensdelikten mit geringem Schaden ist die Zustimmung des Gerichts nicht erforderlich. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen innerhalb der ihm gesetzten Frist, stellt der Staatsanwalt das Verfahren ein. Nach Anklageerhebung stehen die genannten Befugnisse dem Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten zu. Die Anwendung dieser Vorschriften hat im letzten Jahrzehnt erheblich zugenommen. Während die Staatsanwaltschaft nach den Berechnungen von Rieß (1983, S.94) 1977 55015 Verfahren nach § 153 a StPO einstellte, betrug die Zahl der staatsanwaltschaftlichen Verfahrenseinstellungen nach dieser Vorschrift 1986 im Bundesgebiet ohne Schleswig-Holstein und Hessen 130044 (vgl. Stat. Bundesamt, Staatsanwaltschaften 1986, S. 12). Das ist eine Steigerung um mehr als 130%. Durch die Gerichte wurden nach Rieß ( a . a . O . ) 1977 34846 Verfahren nach § 153 a StPO eingestellt. 1986 sind 50994 gerichtliche Einstellungen nach dieser Vorschrift zu verzeichnen (berechnet nach Stat. Bundesamt, Strafgerichte 1986). Das ist ein Anstieg um 4 6 , 3 % . Auch die sanktionslosen staatsanwaltschaftlichen Einstellungen nach § 153 StPO haben zugenommen. Sie stiegen von 58447 im Jahre 1977 (vgl. Rieß 1983, S. 96) auf 134954 im Jahre 1986 im Bundesgebiet ohne Schleswig-Holstein und Hessen (vgl. Stat. Bundesamt, Staatsanwaltschaften 1986, S. 12). Die Zahl der gerichtlichen Einstellungen nach § 153 StPO kann anhand der vorhandenen statistischen Daten nur geschätzt werden. 1986 dürften ca. 48000 Verfahren durch die Gerichte nach § 153 StPO eingestellt worden sein (Schätzung aufgrund der Daten in Stat. Bundesamt, Strafgerichte 1986, nach dem von Rieß 1983, S. 94, vorgeschlagenen Verfahren). Die Anwendung der §§153, 153 a StPO konzentriert sich auf leichtere Taten aus den Bereichen der Eigentums- und Vcrmögenskriminalität sowie der Straßenverkehrs-

Diversion und Aggressionsdelinquenz. Unter den Maßnahmen nach § 153 a StPO dominiert eindeutig die Geldauflage (vgl. Ahrens 1978; Hertwig 1982). Auch bei der informellen Erledigung im Erwachsenenstrafrecht treten erhebliche regionale Unterschiede auf. Diese Differenzen haben sich zwar infolge verstärkter Anwendung der §§153, 153 a StPO in den zunächst zurückhaltenden Bundesländern abgeflacht, bestehen aber weiterhin fort (vgl. Rieß 1985, S.216). Insgesamt haben sich die unter dem Begriff der Diversion zusammengefaßten informellen Erledigungsstrategien auch in der Strafrechtspraxis der Bundesrepublik einen festen Platz erobert. Von 2316636 im Jahre 1986 von den Staatsanwaltschaften der Bundesrepublik (ohne Schleswig-Holstein und Hessen) nach Jugendstrafrecht und allgemeinem Strafrecht erledigten Ermittlungsverfahren (ohne Unbekanntsachen) wurden 431499, das sind 18,6%, nach Opportunitätsvorschriften eingestellt (Stat. Bundesamt, Staatsanwaltschaften 1986, S. 12, 14).

IV. DIE AUSWIRKUNGEN DER DIVERSION Über die Auswirkungen der Diversionsstrategien läßt sich nach dem bisherigen Erkenntnisstand folgendes sagen: Die informellen Erledigungsstrategien führen zu einer erheblichen Beschleunigung und Vereinfachung der Strafverfahren. Für das Lübecker Modell hat Sessar (1985, S. 392 ff.) eine beträchtliche Verfahrensbeschleunigung ermittelt. Nach einem von Heinz/Hügel (1986) durchgeführten Vergleich von Einstellungen nach §§45, 47 J G G mit Verurteilungen zu ambulanten Sanktionen war bei den informellen Verfahren die Zahl der Nichterfüllungen von Auflagen und Weisungen, der Wiedervorlagen bei der Überwachung von Auflagen und Weisungen und die Zahl der Anmahnungen bei den Beschuldigten geringer. Nach einer Untersuchung zu den §§ 153, 153 a StPO führte die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft zu einer deutlichen Beschleunigung und Entlastung des Strafverfahrens (siehe Hertwig 1982, S. 140ff.). Aus den USA wird berichtet, daß Diversionsprogramme zu Kosteneinsparungen geführt haben. O b dies tatsächlich der Fall ist, ist jedoch umstritten (vgl. Kury 1981, S. 182, 205, 207). Im Hinblick auf die spezialpräventiven Auswirkungen von Diversionsprogrammen liegen aus den USA zahlreiche Erfolgsberichte vor. Die Untersuchungen leiden jedoch teilweise an erheblichen methodischen Mängeln (vgl. Kury 1981, S. 171 f., 217ff.). Zusammenfassend läßt sich sagen, daß nach den Ergebnissen der amerikanischen Arbeiten die Rückfälligkeit der divertierten Probanden teils niedriger ist als bei den formell sanktionierten Tä-

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tern und teils etwa gleich hoch liegt (vgl. H.-J. Albrecht 1984, S. 159, 161; Schneider 1987, S.860). Eine Untersuchung von Lincoln u. a. (1977) ergab bei der offiziell registrierten Kriminalität eine höhere Rückfallquote bei den formell sanktionierten Probanden. Bei einer Dunkelfeldbefragung derselben Jugendlichen zeigten sich demgegenüber keine ins Gewicht fallenden Unterschiede in der Rückfälligkeit. Eine Analyse der Eintragungen im Bundeszentralregister und Erziehungsregister durch Heinz/ Hügel (1986, S . 6 1 f f . ) erbrachte bei Einstellungen nach §§45 , 47 J G G eine geringere Rückfallquote als bei Verurteilungen zu ambulanten Sanktionen. Heinz (1987, S. 153 f.) ermittelte bei einem auf leichte Eigentumsdelikte von Ersttätern konzentrierten Vergleich von Einstellungen nach §§45, 47 J G G mit rechtskräftigen Verurteilungen eine niedrigere Rückfallquote bei den Probanden mit informeller Verfahrenserledigung. Nach der Arbeit von Pfeiffer (1983, S. 305 ff.) war die Rückfallquote niedriger, wenn die Jugendrichter nicht verurteilten, sondern nach §§45, 47 J G G vorgingen. Insgesamt sprechen insbesondere die deutschen Untersuchungsergebnisse für eine spezialpräventive Überlegenheit der informellen Verfahren in ihrem bisherigen Anwendungsbereich. Die Diversionsstrategien haben den Vorteil, daß sie eine schnellere Reaktion auf die Tat ermöglichen und damit der Zusammenhang zwischen Tat und Reaktion auch in der Vorstellung des Täters gewahrt bleibt. Weiterhin werden durch eine Reduzierung förmlicher Verfahren die Gefahren einer Stigmatisierung verringert. Im Hinblick auf die Beurteilung von Diversionsstrategien unter generalpräventiven Aspekten ergaben sich in zwei amerikanischen Untersuchungen keine Auswirkungen von Diversionsprogrammen auf die offiziell registrierte Gesamtkriminalität (siehe H.-J. Albrecht 1984, S. 161). Für die Dauer des Uelzener Projektes, in dem stationäre Sanktionen durch ambulante Trainingskurse ersetzt wurden, ermittelte Pfeiffer (1986, S.47), daß im Landkreis Uelzen die Kriminalitätsbelastungsziffern nicht anstiegen. Diese noch spärlichen Erkenntnisse deuten darauf hin, daß Diversionsprogramme nicht zu einer Verminderung der Abschreckungswirkung des Strafrechts führen müssen. Sie stimmen mit neueren Untersuchungen über die generalpräventive Wirkung des Strafrechts auf junge Menschen überein, wonach für das Legalverhalten die Einschätzung des Entdeckungsrisikos eine gewisse Bedeutung hat, von hohen Strafen aber keine Verstärkung der Abschreckungswirkung des Strafrechts zu erwarten ist (vgl. Schumann u. a. 1987; Schöch 1984; Dölling 1983). Insbesondere im Erwachsenenstrafrecht ist freilich darauf zu achten, daß informelle Erledigungsstrategien nicht von berechnenden Tätern als Einladung zum folgenlosen Rechtsbruch verstanden werden. Bei strafrechtlich schützenswerten Normen sollte daher das Bestra-

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Diversion

fungsrisiko grundsätzlich aufrechterhalten werden und eine informelle Erledigung jeweils nach sorgfältiger Prüfung erfolgen. Insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht ist vor einer allzu weitherzigen Anwendung informeller Erledigungsstrategien zu warnen (vgl. Meinberg 1985). Werden Diversionsstrategien sachgerecht angewandt, ist auch nicht zu befürchten, daß die positive Generalprävention, also die Aufgabe des Strafrechts, die grundlegenden Normen des menschlichen Zusammenlebens zu verdeutlichen, beeinträchtigt wird. Dies gilt insbesondere im Jugendstrafrecht. Werden Straftaten Jugendlicher verfolgt und wird versucht, mit kriminalpädagogischen Maßnahmen auf die Jugendlichen einzuwirken, so wird der Wille der Rechtsordnung, die Einhaltung der Normen sicherzustellen, auch ohne ein langwieriges und formalisiertes Verfahren hinreichend deutlich. Bei der Beurteilung der generalpräventiven Auswirkungen von Diversionsstrategien ist freilich Vorsicht geboten, denn das gesicherte Wissen über die generalpräventiven Auswirkungen des Strafrechts ist noch gering. Zu den am intensivsten diskutierten Einwänden gegen Diversionsprogramme gehört die Befürchtung, Diversion könne zu einer Ausweitung der sozialen Kontrolle führen, indem Personen, deren Verfahren früher sanktionslos eingestellt worden wären, nun in „informellen" Programmen behandelt würden (vgl. Kerner 1983). Aus den USA wird davon berichtet, daß die Diversion zu einer Zunahme der Gesamtzahl der behandelten Jugendlichen geführt habe. So sollen in einem Diversionsprogramm der California Youth Authority zur Hälfte Probanden teilgenommen haben, die ohne Diversion ohne weitere Reaktion sogleich wieder entlassen worden wären (siehe Kirchhoff 1981, S.272). Für die Bundesrepublik läßt sich nicht feststellen, daß Diversionsstrategien zu einem Rückgang der Einstellungen mangels hinreichenden Tatverdachts oder der Freisprüche geführt haben. So ging die Zunahme der staatsanwaltschaftlichen Einstellungen nach §45 Abs. 2 J G G im Lübecker Modell nach Sessar/Hering (1985, S.387) zu Lasten der Einschaltung des Jugendrichters und führte nicht zu einer Abnahme der Einstellungen mangels hinreichenden Tatverdachts nach §170 Abs. 2 StPO. Nach einer Untersuchung von Heinz (1986, S. 179) über die Sanktionspraxis in den Landgerichtsbezirken Baden-Württembergs 1979 war die Freispruchsrate in den Bezirken mit höheren Einstellungsquoten nach §§45, 47 J G G nicht niedriger, sondern höher als in den übrigen Bezirken. Allerdings zeichnet sich die Gefahr einer Überbetreuung bei Jugendlichen ab, die ein Delikt begangen haben, ohne kriminell gefährdet zu sein. Unter den Adressaten von Betreuungsweisungen befanden sich nach einer Umfrage von Heinz (1986, S. 33) bei den Jugendämtern der Bundesrepublik im Jahre 1983 zu 28 % Erst- und Bagatelltäter. Der Gefahr

der Überbetreuung kann jedoch entgegengewirkt werden. Nachdem im Münchener Brücke-Projekt die Zahl der nur mit einer Ermahnung verbundenen Einstellungen auf Kosten von Arbeitsweisungen zurückgegangen war, konnte durch Gespräche mit Jugendrichtern eine Abmilderung dieser Praxis erreicht werden (vgl. Pfeiffer 1983, S.229f.). Weitere Bedenken gegen die Diversion stützen sich auf das Rechtsstaatsprinzip (vgl. Schaffstein 1985, S. 948ff.; Walter 1983, S.49ff.). Insbesondere wird befürchtet, daß durch die Drohung mit der Fortsetzung des formellen Verfahrens Druck auf Beschuldigte ausgeübt werden könnte, die Tat zu gestehen und der Teilnahme an Behandlungsprogrammen zuzustimmen. Insoweit geben insbesondere die weiten Entscheidungsspielräume der Kontrollinstanzen in den U S A Anlaß für eine gründliche Prüfung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. In der Bundesrepublik sind rechtsstaatliche Probleme vor allem im Erwachsenenstrafrecht bei der gerichtlichen Einstellung nach §153 a StPO erkennbar geworden. Insoweit zeigen die Untersuchungen von Ahrens (1978) und Hertwig (1982), daß die Einstellung nach § 153 a StPO in beweis-' schwierigen Fällen teilweise als „Notbremse" eingesetzt wird, um Freisprüche zu vermeiden, und daß Angehörige höherer Schichten bessere Chancen haben, anstelle einer Bestrafung mit einer gerichtlichen Einstellung gegen Auflagen davonzukommen (zur Anwendung von § 153 a StPO bei Wirtschaftsdelikten trotz hoher Schäden vgl. Meinberg 1985). Hier zeigen sich gewisse Defizite an Rechtsstaatlichkeit, die abgebaut werden müssen. Für das Jugendstrafverfahren liegen dagegen bisher keine Daten vor, die dafür sprechen, daß die verstärkte Anwendung der §§ 45,47 J G G zu nicht akzeptablen Einbußen an Rechtsstaatlichkeit geführt hat. Unter spezialpräventiven Aspekten werfen die Diversionsprogramme die Frage auf, ob die informelle Verfahrenserledigung zu einer Vernachlässigung der Erforschung der Persönlichkeit des Täters und damit zu einer Gefährdung einer spezialpräventiv sachgerechten Reaktion führen könnte. Die bisherigen Erkenntnisse sprechen jedoch nicht dafür, daß bei den Diversionsprogrammen Maßnahmen der Persönlichkeitserforschung in sachwidriger Weise unterblieben sind (vgl. etwa Staeter 1984, S.225). Bei leichterer Gelegenheitsdelinquenz von Ersttätern kann häufig auf eine nähere Persönlichkeitserforschung verzichtet werden. Im übrigen lassen sich Diversionsstrategien und Persönlichkeitserforschung durchaus vereinbaren. Ist zweifelhaft, ob eine informelle Verfahrenserledigung spezialpräventiv angemessen ist, kann zur Vorbereitung der Entscheidung die J G H oder die Gerichtshilfe herangezogen werden.

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Diversion

V. KRIMIN VI POUTLSCHF BEURTEILUNG Nach den bisherigen Erfahrungen mit Diversionsprogrammen handelt es sich hierbei um eine wichtige Weiterentwicklung der strafrechtlichen Reaktionen auf Kriminalität. Diversion ermöglicht es, auf leichtere Delinquenz schnell und flexibel zu antworten, unter Wahrung generalpräventiver Belange spezialpräventiv auf den Täter einzuwirken und schädliche Folgen des Strafverfahrens zu reduzieren. Insbesondere im Jugendstrafrecht erscheint die Erledigung vorübergehender Bagatelldelinquenz ohne aufwendige Hauptverhandlung und förmliches Strafurteil sinnvoll. Es ist daher zu begrüßen, daß das geplante Erste Gesetz zur Änderung des J G G durch eine Neufassung der §§45, 47 J G G deren Systematik verdeutlichen und hierdurch zu einer besseren Handhabung der informellen Erledigungsmöglichkeiten beitragen will. Die Gefahr einer Ausweitung der sozialen Kontrolle durch Diversion besteht. Wird sie erkannt, kann ihr aber mit Aussicht auf Erfolg entgegengewirkt werden. Ebenso erscheint es möglich, das Verfahren der Diversion rechtsstaatlich einwandfrei zu gestalten. Ihre Grenze findet Diversion in Fällen, bei denen der Beschuldigte nicht geständig oder der Tatnachweis sonst zweifelhaft ist, bei Taten mit erheblichem Unrechtsgehalt, bei denen gravierende Sanktionen zu erwarten sind, und in Fällen, in denen eine kriminelle Gefährdung des Beschuldigten möglich erscheint, so daß eine eingehende Persönlichkeitserforschung erforderlich ist. Hier bedarf es einer vollständigen Durchführung des Strafverfahrens und einer Entscheidung des Falles durch richterliches Strafurteil. Aber auch im förmlichen Strafverfahren ist den Leitprinzipien Rechnung zu tragen, die der Diversion zugrunde liegen. Degradierung und Stigmatisierung des Beschuldigten sind soweit wie möglich zu vermeiden. Das Vorgehen der Strafrechtspflegeorgane sollte von dem Bemühen um Integration des Täters getragen sein. Reaktionen, die sich in den Diversionsprogrammen als sinnvoll erwiesen haben, sollten auch im förmlichen Strafverfahren zur Anwendung kommen. Das gilt z. B. für den weitgehenden Gebrauch von ambulanten Sanktionen und für die Aufnahme des TäterOpfer-Ausgleichs in das Strafverfahren. Es kommt also darauf an, die in den Diversionsprogrammen enthaltenen Impulse fruchtbar zu machen. Durch Diversion darf freilich der Geltungsanspruch der strafrechtlich geschützten Normen nicht in Frage gestellt werden. Es muß auch vermieden werden, daß zurückhaltende strafrechtliche Reaktionen von nüchtern kalkulierenden Tätern als Einladung zum Rechtsbruch verstanden werden. Dies wird erreicht, wenn die informelle Verfahrenserledigung bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung des Strafbarkeitsrisikos auf leichtere Delinquenz von Gelegenheitstätern begrenzt wird.

Die Diversionsbewegung kann nicht als eine bloße kriminalpolitische „Modeströmung" angesehen werden. Die Diskussion über Vor- und Nachteile der Diversion hat sich versachlicht. Es bleibt festzustellen, daß in den Diversionsprogrammen Leitprinzipien und Handlungsstrategien für die strafrechtliche Sozialkontrolle konzipiert worden sind, die sich als sachgerecht und weiterführend erwiesen haben. An ihnen ist festzuhalten und über ihren Ausbau ist nachzudenken. (Stand: 1.4.1988)

Monographien und

Sammelwerke

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DÖLLING

ABOLITIONISMUS D a s Wort Abolitionismus bezeichnet Lehren und Bestrebungen zur Aufhebung rechtlich institutionalisierter Zwangsverhältnisse und Sanktionsformen. Im 19. Jh. war es vor allem im anglo-amerikanischen Raum zunächst mit dem Kampf gegen die Sklaverei, dann auch mit dem gegen die Reglementierung der Prostitution verbunden. Als Abolitionisten bezeichneten sich dort aber auch damals schon die Anhänger einer Abschaffung der Todesstrafe. Heutzutage bezeichnet das Wort Abolitionismus auch eine im engeren Sinne kriminalpolitische Strömung, die auf die Abschaffung der Gefängnisse und des Strafrechtssystems sowie eine Neudefinition der bisher als Kriminalität bezeichneten Phänomene und auf einen völlig anderen, weniger Leid verursachenden U m g a n g mit diesen Situationen abzielt. Die Skepsis der Abolitionisten gegenüber der kon-

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ventionellen Täter-Opfer-Dichotomie, den gängigen Kriminalitätstheorien und Strafzwecklehren findet sich nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Justizberichterstattung etwa eines Sling, einer Peggy Parnass oder eines Gerhard Mauz. Letzterer schrieb zum Beispiel: „Es muß nicht bis zum Ende aller Tage angeklagt und verurteilt werden. Über die Verstöße gegen unsere Vereinbarungen, die wir Gesetze nennen, als hätten wir sie wie Moses vom Berge herabgebracht, kann auch solidarisch verhandelt, sie können auch leidenschaftslos ausgetragen werden (so jedenfalls, daß nicht noch mehr Leid entsteht, wo schon gelitten wird). Es setzt dies nur voraus, daß wir darauf verzichten, über Menschen zu befinden; daß wir uns dazu entschließen, mit ihnen, für sie und damit auch für uns nach Lösungen zu trachten. Eine Utopie? Eine Utopie ist wohl eher die Vorstellung, es könne unsere Mühe um den Austrag der Konflikte, die im Zusammenhang mit unseren Vereinbarungen entstehen, für alle Zeit im Anklagen und Verurteilen am Ziel sein — in einem Richten, das über uns richtet. Eine Utopie ist doch wohl eher die Vorstellung, wir könnten für alle Zeit damit am Ziel sein, daß wir strafen" (Mauz 1975, 7). Abolitionisten stützen sich weniger auf zweckrationale Überlegungen im Sinne einer Kosten-Nutzen-Rechnung als auf prinzipielle, ethische, wertrationale Argumente. Selbst wenn sich eine abschrekkende Wirkung der Todesstrafe belegen ließe, wären sie dagegen, weil sie der Ansicht sind, daß ein Gemeinwesen nicht das Recht haben kann, eines seiner Mitglieder zu töten. Dies und der offen antizipatorische Charakter abolitionistischer Bewegungen führen dazu, daß der Abolitionismus häufig als realitätsblind, idealistisch und utopisch kritisiert wird. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist allerdings zu bedenken, daß auch Utopien aufgrund bestimmter sozialer Bedingungen zu entstehen pflegen und daß dieselben Kritiken auch gegenüber der Bewegung gegen die Sklaverei vorgebracht wurden — einer Bewegung, die trotz ihrer idealistischen Argumentationsweise durchaus über reale Grundlagen in der sozio-ökonomischen Entwicklung verfügte und sich bekanntlich als politisch überaus erfolgreich erweisen sollte. Weiterhin ist die abolitionistische Richtung in der Kriminalpolitik nicht nur auf die Erwartung gegründet, daß die Wiedervergesellschaftung der Konfliktregelung zu befriedigenderen Lösungsformen führen kann, sondern auch auf eine Reorganisation von Forschungsfeldern und -ergebnissen der Kriminologie, um die Tatsachen, mit denen es diese Wissenschaft zu tun hat, besser zu erfassen und zu erklären, als es die traditionellen kriminologischen Theoreme vermögen. Insofern stellt der Abolitionismus heute auch eine theoretische Perspektive dar, die mit den kriminologischen Ursachentheo-

rien ebenso konkurriert wie mit den juristischen Straftheorien. Ahnlich wie der Labeling Approach fokussiert die abolitionistische Perspektive den Prozeß der gesellschaftlichen Definition von Kriminalität und kritisiert dabei die normativistischen sozialen Ordnungsvorstellungen und die Aktorfixierung der traditionellen Kriminologie. In scharfer Wendung gegen den totalisierenden Ansatz systemtheoretischen und funktionalistischen Denkens stellt der Abolitionismus auf die Einzigartigkeit der jeweiligen Situationen und die Autonomie und Vielfalt widerständiger Subjektivitäten ab. Als sensitivierende Theorie stellt der Abolitionismus die Idee eines universellen Subjekts, von dem aus generalisierende Vorschriften über die Definition und Regelung verschiedenster Konflikte getroffen werden könnten — sei es ein göttlicher Wille, das Prinzip einer zweckrationalen Vernunft oder ein einheitlicher Volkswille — grundsätzlich in Frage. Insofern zeigt sich eine deutliche Wahlverwandtschaft mit Denktraditionen der Kritischen Theorie (Th. W. Adorno) und des sogenannten Dekonstruktivismus (Lyotard 1986), wobei hinter der Dekonstruktion herkömmlicher Klassifikationen, Prämissen und Modelle die Konturen einer gesellschaftstheoretisch fundierten Gesamtkritik vertikaler Konfliktregulierung aufscheinen. Somit bezeichnet das Wort Abolitionismus heute dreierlei: erstens bestimmte soziale Bewegungen, zweitens eine kriminalpolitische Strömung und drittens eine theoretische Perspektive. Zwischen Bewegungen, Strömung und Perspektive bestehen vielfach Strukturanalogien und subtile Wechselbeziehungen, doch auch erhebliche Unterschiede in bezug auf Hintergrundsannahmen, Motivationen, Ziele und Fraktionen, so daß eine allzu rasche Ineinssetzung dieser drei Dimensionen nur Mißverständnisse produzieren würde.

L ABOLITION Eine Geschichte des Begriffs Abolitionismus sollte beim juristischen Terminus Abolition ansetzen. Als abolitio wurde im alten Rom die Streichung des Namens eines Angeklagten aus der Anklageliste bezeichnet (abolere, -evi, -itum: vernichten, zerstören; abschaffen, beseitigen; vgl. engl, to abolish). Neben der abolitio ex lege und der abolitio privata, die beide nur rechtstechnische Bedeutung besaßen, kam relativ spät, nämlich Ende des 1. Jh. n . C h r . , die abolitio publica auf, d . h . eine Anweisung des Senats oder Kaisers an die Strafgerichte, alle anhängigen Verfahren mit Ausnahme der Verfahren gegen verhaftete Sklaven und derer wegen Kapitalverbrechen als gegenstandslos zu betrachten. Es bestand insofern eine Ähnlichkeit mit Amnestien, als diese Generalabolition meist anläßlich besonderer Ereignisse — in der christlichen Zeit dann z. B. zur Steigerung der jährlichen Osterfreude — erlas-

Abolitionismus sen wurde und nicht zuletzt dem Zweck diente, durch diesen Gunsterweis die Loyalität der Bevölkerung zu stärken (Grewe 1936). Als Abolitionsrecht wird die Befugnis bezeichnet, die Aufnahme von Strafverfolgungsmaßnahmen zu untersagen, bzw. schwebende Verfahren niederzuschlagen. Dieses Recht galt im Absolutismus als Privileg des Landesherrn und als Teil seines umfassenden Gnadenrechts. So pflegte der französische König mit den lettres d'abolition vor allem Adlige vor dem Zugriff der Justiz zu bewahren. Von den Enzyklopädisten als Ausdruck absolutistischer Willkür kritisiert, wurde das Abolitionsrecht der Regierung in Frankreich von der Revolution abgeschafft. In Preußen war es „dem Oberhaupte des Staates unmittelbar" vorbehalten, „aus erheblichen Gründen Verbrechen zu verzeihen, Untersuchungen niederzuschlagen, Verbrecher ganz oder zum Teil zu begnadigen" (§ 9 II 12 A L R 1793/94; ähnlich schon die Kriminalordnung von 1717 in Kapitel XI und später noch die Kriminalordnung vom 11. Dez. 1805 in §590). Während die bayrische Verfassung dem König immerhin schon 1808 ausdrücklich untersagte, „irgend eine anhängige Streitsache oder angefangene Untersuchung (zu) hemmen" oder gar „eine Partei ihrem gesetzlichen Richter (zu) entziehen", blieben die einzelstaatlichen Abolitionsrechte in Deutschland trotz erheblicher rechtsstaatlicher Bedenken und Einschränkungsversuche selbst nach der Reichsgründung von 1871 weiter in Kraft (Fleischmann 1911). Vom nationalsozialistischen Staat zunächst ohne Rechtsgrundlage in Anspruch genommen und dann erst durch die Gnadenordnung von 1935 auch förmlich auf den Reichsgewalthaber übertragen, fand das exekutive Abolitionsrecht in Deutschland erst mit der Bundesrepublik sein Ende. Für die Niederschlagung schwebender Verfahren bedarf es seither wie für Amnestien förmlicher Gesetze (Marxen 1984).

Π. ABOLITIONSBEWEGUNGEN Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, daß alle Abolitionsbewcgungen — angefangen von der ersten, die sich seit dem ausgehenden 18. Jh. gegen die Sklaverei richtete, über diejenige gegen die staatliche Reglementierung der Prostitution bis hin zu den Bestrebungen, die auf eine Abschaffung der Gefängnisse zielen — aus dem politischen Protestantismus insbesondere der Quäker in England und Nordamerika entstanden und im anglo-amerikanischen Bereich auch über eine ungebrochene Traditionslinie verfügen, während ihre kontinentaleuropäischen Ableger und Gegenstücke sich stärker aus den weltanschaulichen Quellen des Liberalismus und Sozialismus speisten, ohne allerdings in der Regel einen vergleichbaren Einfluß auf Politik und öffentliche Meinung zu gewinnen.

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A. Die Bewegung gegen die Sklaverei Schon bald nach der Entdeckung Amerikas standen sich in der westlichen Hemisphäre zwei Wirtschaftsformen gegenüber, die aus prinzipiellen Gründen nicht auf Dauer koexistieren können: Sklavenökonomie und Marktwirtschaft auf der Grundlage von Lohnarbeit. Diesen Antagonismus hatte es auch schon in der Antike gegeben. Doch während damals das Prinzip der Anhäufung unfreier Arbeit zur eigenwirtschaftlichen Gütererzeugung als Sieger aus diesem Konflikt hervorgegangen war, was nach der Analyse Max Webers (1973, 1—26) den entscheidenden Grund für den Untergang der antiken Kultur legte, sollte die Entwicklung im Falle Amerikas zugunsten von Geldwirtschaft, Lohnarbeit und weltweitem Güterverkehr ausgehen. Obwohl strukturell durch die europäische Entwicklung im 18. Jh. vorbereitet, war die Durchsetzung der (rechtlich) freien Arbeit gegenüber der Sklaverei politisch doch das Resultat der wertrational orientierten, über ein Jahrhundert dauernden Abolitionsbewegung. Die Quäker protestierten als erste öffentlich gegen die Sklaverei (1671), welche in der Neuen Welt schon bald nach der Entdeckung begonnen hatte und bis zu ihrer Abschaffung zur Verschleppung von rund 15 Millionen Schwarzafrikanern nach Nord- und Südamerika führen sollte. Sie riefen 1783 eine Kampagne gegen den transatlantischen Sklavenhandel ins Leben und gründeten 1787 in England die diesem Ziel verschriebene Abolition Society. Weniger religiös denn vernunftrechtlich motiviert war im Jahr darauf die Gründung der Societe des Amis des Noirs in Frankreich. Der Sklavenbefreiung im Norden der U S A (1777 — 1804) und dem Verbot des transatlantischen Sklavenhandels durch England und die USA (1807) sowie Brasilien (1831) folgte eine Verhärtung der Fronten, die sich u. a. im anhaltenden Schmuggel und im Mißerfolg der gradualistischen Strategie ausdrückte. Die Gradualisten setzten auf die Überzeugung von Plantagenbesitzern und den Freikauf sowie die Rücksiedlung von Sklaven nach Afrika — eine Strategie, der zwar der westafrikanische Staat Liberia seine Gründung verdankt, die aber zwischen 1821 und 1867 nur ca. 6000 Schwarzen die Rückkehr nach Afrika ermöglichte, während durch den Sklavenschmuggel selbst um 1850 herum noch jährlich ca. 50000 nach Amerika transportiert wurden. Abolitionisten wie William Lloyd Garrison (1805 — 1879) hingegen, der Gründer der Zeitschrift The Liberator (1831) sowie der American AntiSlavery Society (1833), prangerten die Sklaverei als nationale Sünde an und forderten in kompromißloser Weise ihre sofortige und bedingungslose Abschaffung. Garrisons Radikalität war zwar vielen Zeitgenossen suspekt und führte u. a., als er partout auch Frauen die Mitgliedschaft in der abolitionistischen Gesellschaft ermöglichen wollte, zu deren

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Spaltung und vorläufigem Niedergang (1839), doch läßt sich andererseits nicht verkennen, daß die Abolitionisten das politische Klima und die Ereignisse, die zu Sezession, Bürgerkrieg und Sklavenbefreiung in den U S A (1865) führten, entscheidend beeinflußten (Wilson 1872). Abolitionisten wurden hinter Sklavenrevolten wie derjenigen von Nat Turner (1831) vermutet und von vielen Weißen erbittert verfolgt (Lynchmord an Elijah P. Lovejoy 1837). Die Gesetzgebung der Südstaaten und die Methoden der Jagd auf entflohene Sklaven (Fugitive Slave Act von 1850) sowie deren literarische Verarbeitung durch Harriet Beecher-Stowes weltberühmten Roman Onkel Toms Hütte (1852) erhöhten andererseits den nationalen und internationalen Druck auf die Südstaaten, die sich zusehends fundamental bedroht sahen. Einen Höhepunkt erreichte die Eskalation mit den Aktionen des radikalen Abolitionisten John Brown (Überfall auf Harper's Ferry) und seiner Hinrichtung nach einem Prozeß wegen Mordes, Hochverrats und Sklavenaufstands (1859). In dieser Situation interpretierte der Süden die Wahl von Abraham Lincoln zum Präsidenten (1860) aufgrund eines zur Sklaverei kritisch eingestellten Wahlprogramms als Anlaß, die Union aufzukündigen. Lincoln, der selbst nie Abolitionist gewesen war, machte nicht zuletzt wegen der abolitionistisch gesonnenen Öffentlichkeit auf beiden Seiten des Atlantik die sofortige und unbedingte Sklavenbefreiung zum Hauptziel des Krieges. Diese Befreiung, die in zwei Schritten (1863, 1865) realisiert wurde und ca. vier Millionen Schwarze in eine — mangels weiterer Reformen durch Armut und Diskriminierung gekennzeichnete — Unabhängigkeit von ihren ehemaligen Herren entließ, ließ auch die übrigen Staaten der westlichen Hemisphäre nicht unbeeinflußt und führte 1888 sogar die brasilianische Abolitionsbewegung mit zum Erfolg (da Costa 1982).

B. Die Bewegung gegen die Reglementierung der Prostitution Nicht mehr Gradualisten und Abolitionisten, wie im Kampf gegen die Sklaverei, sondern Reglementaristen und Abolitionisten standen sich im Konflikt um die rechtliche Diskriminierung der Prostituierten gegenüber. Das aus dem napoleonischen Frankreich stammende Prinzip des Reglementarismus (1802) galt für geraume Zeit als wirksamstes Mittel zur Eindämmung der Geschlechtskrankheiten, zugleich aber auch wohl als tragbarer Kompromiß zwischen den Anforderungen einer wieder prüder werdenden öffentlichen Moral einer- und der offenbaren Aussichtslosigkeit einer völligen Abschaffung der Prostitution andererseits. Was die liberale Öffentlichkeit an dem reglementaristischen Lösungsversuch störte und was sie für zutiefst ungerecht hielt, war

die Tatsache, daß die Opfer für diese Politik ausschließlich von den Prostitutierten gebracht wurden, während die staatlichen Behörden, von denen die faktisch rechtlos gestellten und vielfach schikanierten Prostituierten in streng überwachten Bordellen zusammengefaßt wurden, sich offenbar problemlos in der Rolle „amtlicher Kuppler" zurechtfanden. So war denn, als die Engländerin Josephine Butler (1828-1906) im Jahre 1875 die Internationale Abolitionistische Förderation (I. A. F.) gründete, der Anklang an den Kampf gegen die Sklaverei durchaus gewollt — und selbst der I. A. F.-Kongreß von 1984 sollte noch unter dem Thema stehen: „Prostitution: Ein Fortbestehen der Sklaverei" (H0igard/Finstad 1987, 226). Der Reglementarismus beruhte auf der grundsätzlichen Kriminalisierung der Prostitution bei gleichzeitiger Duldung ihrer Ausübung in polizeilich streng überwachten Bordellen, „Kontrollstraßen" (Helenenstraße in Bremen) oder sog. Dirnenquartieren („Kasernierung der Prostitution"). §361 Nr. 6 RStGB bedrohte denn auch im Kaiserreich von 1871 jede „Weibsperson" mit Haft, „welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherung der Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen Vorschriften zuwider handelt oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßige Unzucht treibt". Der Hinweis auf die von der jeweiligen Polizeibehörde zu erlassenden Vorschriften machte dieses Strafgesetz zu einer Blankettvorschrift, die Anlaß und Umfang der Strafbarkeit der Bestimmung der Exekutive überließ. Wenn eine Polizeivorschrift wie die von Charlottenburg (1903) die sittenpolizeilich registrierte Frau generalklauselartig dazu verpflichtete, „dafür Sorge zu tragen, daß durch ihren Aufenthalt in dem von ihr bewohnten Haus weder im Hause selbst noch in der Nachbarschaft ein Ärgernis gegeben wird" (Ziff. 8) und zudem „den zur Besichtigung ihrer Wohnung erscheinenden Polizeibeamten . . . zu jeder Tages- und Nachtzeit sofort Einlaß (zu) gewähren" (Ziff. 10), dann war damit die Möglichkeit jederzeitiger Schikanierung und Kriminalisierung der Prostituierten legalisiert. Der abolitionistische Protest, der seine radikalere Ausprägung in England fand, wo er auch (im Kampf gegen den Contagious Diseases Act) im Jahre 1869 begonnen hatte, forderte den vollständigen Verzicht auf straf- und verwaltungsrechtliche Diskriminierungen der Prostituierten und klagte statt dessen die Anerkennung der gesellschaftlichen Verantwortung auch dieser Randgruppe gegenüber ein. Präventionsmaßnahmen allgemeiner und nichtdiskriminierender Art einerseits und Ausstiegshilfen für Prostituierte andererseits sollten der Bildung einer Paria-Gruppe entgegenwirken. Freie und freiwillige ärztliche Behandlung sollte den Prostituierten zugänglich gemacht, die Gewerbefreiheit sollte ihnen gewährt und der Aufstieg zum höheren

Abolitionismus Hetärentum sollte ihnen, von allen entehrenden Schikanen befreit, ermöglicht werden: „Die ,Dirne' muß verschwinden, der ,Mensch' muß wieder erwachen. Die prostituierte Frau muß wieder zugelassen werden zur sozialen Gemeinschaft" (Redhardt 1977, 341). In Deutschland, wo erst 1898 ein Zweig der I . A . F . ins Leben gerufen wurde, der ab 1902 die Abolitionistischen Flugschriften sowie die Zeitschrift Der Abolitionist herausgab, war die Kritik am Staat weniger, die Kritik an der Prostitution stärker ausgeprägt, so daß auch die Vorstellung einer vollständigen Abschaffung jeder rechtlichen Diskriminierung der Prostituierten einen schweren Stand hatte: „Während die Ausländer hauptsächlich das rein negative abolitionistische Ziel im Auge hatten", schrieb Anna Pappritz (1919, 226), „trat bei den Deutschen immer mehr das Bestreben in den Vordergrund, neben das negative ein positives Programm aufzustellen, in der Überzeugung, daß die deutsche Regierung und der Reichstag nur dann in die Abschaffung der Reglementierung willigen werden, wenn an ihre Stelle andere Maßnahmen gesetzt werden, die geeigneter sind, die Unsittlichkeit zu bekämpfen und die Volksgesundheit zu schützen." Das Geschlechtskrankheitsgesetz vom 17. 2. 1927 (RGBl. I, 61) brachte durch die Neufassung des § 361 Nr. 6 StGB zwar die grundsätzliche Straflosigkeit der Prostitution und damit einen wichtigen Teilerfolg für die abolitionistische Bewegung, beließ aber eine ganze Reihe von Kriminalisierungsmöglichkeiten (Redhardt 1977, 342). Da die Prostituierten auch heute noch unter zahlreichen straf-, arbeits- und versicherungsrechtlichen Diskriminierungen zu leiden haben, haben die abolitionistischen Forderungen, die heute zunehmend auch von Prostituierten selbst artikuliert werden, ihre Aktualität keineswegs eingebüßt. So werden z. B. gefordert: die ersatzlose Streichung der §§183a, 184a, 184 b StGB sowie der Rechtsgrundlage für den Erlaß von Sperrgebietsverordnungen (Art. 297 EGStGB), ebenso die Streichung der §§119 und 120 OWiG. Seit 1978 ein selbst nach Meinung des Gerichts „excellent eingerichteter Betrieb" geschlossen und der Unternehmer bestraft wurde, „weil die guten Arbeitsbedingungen ein Anreiz seien, prostituiert zu bleiben", ist auch § 180a StGB (Förderung der Prostitution) Gegenstand der Kritik (Lautmann 1984, 85 f.). Daneben werden gefordert: die Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung, die Aufhebung jeglicher Datenspeicherung bei Polizeibehörden, die Abschaffung des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, „weil es nur zu Lasten der Prostituierten praktiziert wird", die Abschaffung der Kontrollkarten („Bock-Scheine"), die Schaffung von freiwilligen und kostenlosen Untersuchungs-, Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten und vieles andere (Biermann 1982, 129ff., 184ff.; Prostituiertenprojekt

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Hydra 1988, 195 ff.). Versuche, auch das Drogenproblem abolitionistisch, d. h. nicht zu Lasten der Drogengebraucher, anzugehen, befinden sich angesichts konventioneller Vorstellungen über Sucht und Abhängigkeit sowie einer ähnlichen (Doppel-) Moral wie im Bereich der Prostitution vor analogen Schwierigkeiten (Quensel 1982).

C. Die Bewegung gegen die Freiheitsstrafe Die abolitionistische Kritik am Strafrechtssystem begann mit dem Kampf gegen die Todesstrafe, der in Europa seit 1764 mit dem Namen Cesare Beccarias verbunden wurde und in England (Tuttle 1961) und den USA (Düsing 1952) dieselben Wurzeln hatte wie die Kritik an der Sklaverei. Neben traditionelle Organisationen wie die Pennsylvania Prison Society (Philadelphia), die John Howard Association (Chicago) und die American League to Abolish Capital Punishment (Boston) trat in den sechziger Jahren die internationale Menschenrechtsorganisation amnesty international (London). Immer stärker wird aber auch die ethische (und utilitaristische) Ablehnung der Freiheitsstrafe — und zwar durchaus als solcher, d. h. als Prinzip des strafenden Freiheitsentzugs, auch wenn diese Grundsatzkritik sich häufig an kriminalpolitischen Einzelthemen wie z. B. der lebenslangen Freiheitsstrafe, des Strafvollzugs an Jugendlichen usw. festmacht (Tannenbaum 1938, V; Morris 1976; Schumann/Steinert/Voß 1988). In England und den USA entspringt die radikale Gefängniskritik häufig einem politischen Protestantismus, in Kontinentaleuropa eher einem rationalistischen Humanismus, bzw. liberalen oder sozialistischen Traditionen. So ist die englische Gruppe RAP (Radical Alternatives to Prison), welche die Zeitschrift The Abolitionist herausgibt, ebenso eng mit den Kirchen verbunden wie die von nordamerikanischen Quäkern initiierte und seit 1983 alle zwei Jahre stattfindende ICOPA (International Conference on Prison Abolition), die sich seit 1987 in einem weiteren Sinne mit Penal Abolition befaßt. Eher in politischen Traditionszusammenhängen sind die skandinavischen Initiativen zu verorten — der dänische Verein für humane Kriminalpolitik (KRIM), die schwedische Vereinigung für Strafvollzugsreform (KRUM) und der norwegische Verein für Kriminalreform ( K R O M ) . Letzterer inspirierte in Deutschland z . B . die Arbeit der hessischen Initiative für eine bessere Kriminalpolitik (IbK) und des kriminalpolitischen Arbeitskreises in der Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise ( K R A K in der A G SPAK). Zusammen mit der Schließung des Jugendstrafvollzugs im US-Bundesstaat Massachussetts beeinflußte die Arbeit von K R O M auch die hiesige Diskussion um die Abschaffung des Strafvollzugs an Jugendlichen (Schumann/V oß/Papendorf 1986).

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Der norwegische Soziologe Thomas Mathiesen, einst Mitbegründer und Vorsitzender von KROM, unterscheidet in seinem Buch „The Politics of Abolition" (1974/1979) vier Aufgaben der Gefängnisstrafe. Erstens ist die Anstalt eine bevorzugte Möglichkeit für die Gesellschaft, sich von ihren „unproduktiven" Mitgliedern zu trennen („Säuberungsfunktion"). Zweitens ist sie geeignet, die Ausgesonderten so ohnmächtig zu machen oder zu halten, daß man nie wieder etwas von ihnen hört („widerstandslähmende Funktion"). Drittens wird die Freiheitsstrafe vornehmlich gegenüber relativ ungefährlichen Individuen angewandt, mit der Folge, daß viel gefährlichere Schädigungen, die Umwelt und Leben in größerem Maßstab bedrohen, sozusagen eine Bonitätsbescheinigung ausgestellt bekommen („Ablenkungsfunktion"). Viertens ist das Gefängnis eine symbolische Demarkationslinie zwischen „Gut" und „Böse" und entlastet insofern die Hauptgesellschaft von kritischer Selbstreflexion („Symbolfunktion"). Der französische Philosoph Michel Foucault, Mitbegründer des sich zur maoistischen Linken zählenden Gl Ρ (Groupe d'informations Sur les prisons), analysierte den Übergang von den peinlichen Strafen zur modernen Freiheitsstrafe unter dem Gesichtspunkt der Verallgemeinerung und Verfeinerung der Machtmechanismen, denen die Gesellschaft unterworfen ist: „Es handelt sich um eine Anpassung und Verfeinerung der Apparate, die das alltägliche Verhalten der Individuen, ihre Identität, ihre Tätigkeit, ihre scheinbar bedeutungslosen Gesten erfassen und überwachen ( . . . ) · Was sich abzeichnet, ist weniger ein neuer Respekt vor dem Menschen im Verurteilten — die Martern sind auch für leichte Verbrechen noch häufig, sondern vielmehr eine Tendenz zu einer sorgfältigeren und verfeinerten Justiz, zu einem lückenloseren Durchkämmen des Gesellschaftskörpers" (Foucault 1976, 99). Für ihn waren sowohl die Gefängnisse selbst wie auch die Diskurse über die ideale Form der Bestrafung nur besonders klare Ausdrücke ganz allgemeiner Praktiken der Disziplinierung von Individuen wie Bevölkerungsgruppen an der Schwelle zum 19. Jh. (Treiber/Steinert 1980). Abolitionisten gehen mit den postulierten Zielen des Strafvollzugs also distanziert bis respektlos um und lokalisieren seine realen, wenn auch seitens der Justiz nicht explizit gemachten (und ihr vielleicht gar nicht bewußten) Funktionen in größeren Zusammenhängen gesellschaftlicher Struktur und politischer Herrschaft. Da sie für eine emanzipatorische, überflüssige Herrschaft abbauende Entwicklung eintreten, ist das Zusammentreffen von Handlung und Forschung bei vielen Vertretern dieser Perspektive kein biographischer Zufall. So wird auch verständlich, daß Diagnosen der Situation z.B. bei Mathiesen nicht allein stehen, sondern aus der kriminalpolitischen Praxis entstanden und über strategische Überlegungen auch wieder an sie zu-

rückgebunden werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist seine aus der Arbeit in der Gefangenenbewegung entstände „Strategie der Negation", die diese Erfahrungen verdichtet und theoretisch verallgemeinert.

III. DIE ABOLITIONISTISCHE PERSPEKTIVE A. Die Ebene der Kriminalpolitik Die Heterogenität der Abolitionismen inspirierte schon einige (z.T. polemische) Differenzierungsversuche. Haferkamp (1984) unterschied zwischen beobachtbaren Prozessen des Sanktionsverzichts (realer Abolitionismus) und den Postulaten der abolitionistischen Richtung der Kriminalpolitik (ideeller Abolitionismus), ohne hierfür Zustimmung zu finden (Feest 1984). An einem allzu groben Koordinatenkreuz orientiert ist wohl auch die Unterscheidung Kaisers (1987) zwischen einem extremen und einem gemäßigten Abolitionismus, wobei als Kriterium der Grad der Negativität des Ansatzes herangezogen wird. Besser erscheint die Unterscheidung zwischen einem „wirklichen" Abolitionismus, der an keine Rechtfertigung der Strafe glaubt und sich der ständigen Kritik am Strafrecht verschreibt, ohne es verbessern zu wollen, und einem „diversionistischen" Abolitionismus, der das Strafrecht zwar pädagogisieren und therapeutisieren und die von ihm Betroffenen entstigmatisieren, dabei aber durchaus an der staatlichen Oberleitung festhalten will (Naucke 1985). Eine genauere Systematisierung steht allerdings noch aus. Abolitionisten geht es darum, den Ausbau des Gefängnissystems zu stoppen, möglichst viele Gruppen von Inhaftierten aus den Gefängnissen zu holen, die Kriminalisierung und Inhaftierung neuer Gruppen zu verhindern und schließlich das Gefängnissystem zu überwinden. Es handelt sich gewissermaßen um eine Kombination von defensiven und offensiven Vorgehensweisen, die sich ζ. T. auch gegen die ambulanten Alternativen und gegen den staatlichen Strafanspruch insgesamt richten. Dies geschieht teils in der Form sektoraler Entkriminalisierungsforderungen, teils in anderen Formen, die sich aber regelmäßig als Bestandteile einer Strategie der Negation verstehen.

1. Die Strategie der

Negation

Die Strategie der Negation besteht zum einen aus der Ablehnung positiver Reformen zugunsten von negativen Reformen, d. h. solchen, die das System nicht nur in einem technischen Sinne besser machen, sondern kleinere oder größere Teile der repressiven Institutionen, von denen das Gesamtsystem mehr oder minder abhängig ist, abzuschaffen.

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Abolitionismus Da diese Unterscheidung auch als Anwendung von den konkreten Bedürfnissen der Gefangenen und als eine Art kriminalpolitischer Verelendungstheorie aufgefaßt werden konnte (Ablehnung der Forderung nach TV-Geräten für Gefangene, um der Gefahr der Entpolitisierung vorzubeugen und das Gefängnis durch den humanen Anschein, den es sich damit gibt, nicht noch zusätzlich zu legitimieren), hat Mathiesen sie später revidiert (1986, 87), wodurch sein Konzept einer Strategie der Negation in gewisser Weise Gustav Radbruchs (1969, 140) These von der Notwendigkeit einer negativen Kriminalpolitik sich annäherte, einer Politik, „gewiß bedacht auf die Verbesserung, aber vor allem bedacht auf die Vermeidung der Freiheitsstrafe". Obwohl von Mathiesen nicht ausdrücklich darunter subsumiert, gehört zum anderen wohl auch sein Konzept des Unfertigen zu einer solchen Strategie im weiteren Sinne. Gemeint ist damit zunächst nur, daß eine soziale Bewegung immer in Gefahr schwebt, entweder vom System absorbiert oder von ihm vollständig ausgegrenzt und damit in beiden Fällen wirkungslos gemacht zu werden. Um als lebendiger Widerspruch im System auf eine Art und Weise zu wirken, die den status quo aufbricht und überschreitet, darf sich die soziale Bewegung weder mit der Absorption noch mit der Ausgrenzung abfinden — und dazu bedarf es des Unfertigen: „Jeder Versuch, die herrschende Ordnung in der Weise zu verändern, daß an ihre Stelle etwas Fertiges gesetzt wird, ist zum Scheitern verurteilt: In dem Prozeß des Vollendens liegt ein Zurückwenden zu dem Alten" (Mathiesen 1979, 168). Um die Qualität des Unvollendeten zu bewahren, muß die Botschaft der sozialen Bewegung einerseits im Widerspruch zum status quo stehen — damit wird die Absorption abgewehrt — darf aber andererseits nicht die Form einer dogmatisch ausgeformten, vollständig perfektionierten Gegenwelt annehmen — denn damit würde die Ausgrenzung, das Nicht-mehr-ernstgenommen-Werden geradezu herausgefordert. Nur von der fremden und angedeuteten Position läßt sich deshalb sagen, daß sie „unfertig" ist sowohl in dem Sinne, daß sie noch nicht erprobt, wie auch in dem Sinne, daß ihre Konsequenzen noch nicht präzisiert sind: „Eine solche Alternative ist damit insoweit die doppelte Negation der fertigen ausgeformten Welt" (Mathiesen 1979, 170). Jenseits ihrer bewegungsstrategischen Bedeutung besitzt die Weigerung der Abolitionisten, sich auf eine Blaupause für die Zukunftsgesellschaft festlegen zu lassen, also wohl auch noch eine erkenntnistheoretische Dimension der Art, daß aus ihr ein tiefer Zweifel an der Möglichkeit spricht, Qualitäten wie „Wahrheit", „Gerechtigkeit" oder „das Gute" anders sich offenbaren zu lassen als durch die Analyse dessen, was von diesen Qualitäten verlassen ist, der Ungerechtigkeit also, des Unwahren und des Bösen (Horkheimer/Adorno 1988, 229). Sowohl in seinem strategischen wie in seinem erkenntnistheoretischen

Aspekt bedeutet das Konzept des Unvollendeten daher die Forderung nach einer beharrlichen Kritik des Unrechts und nach einer Existenz im Widerspruch — in einem Widerspruch, dessen Botschaft unklar, aber doch immerhin so weit angedeutet ist, daß er mit dem status quo, den er herausfordert, konkurriert, der fremd ist, aber doch verstehen läßt, daß und warum er sich auf die Funktionsimperative des Systems nicht einlassen will. Was die praktische Kriminalpolitik angeht, so sehen Abolitionisten in Strafrecht und Gefängnissen keine an sich wertneutralen Ressourcen, die lediglich gegen die „wirklichen Verbrecher" wie z. B. Umwelt-Straftäter, Wirtschaftskriminelle oder Drogenhändler eingesetzt bzw. mit ihnen gefüllt werden müßten, um wieder akzeptabel zu werden. Sie sehen in Strafrecht und Gefängnissen vielmehr den Ausdruck eines prinzipiell falschen Umgangs mit Problemen gesellschaftlicher Normierung und Reaktion auf Abweichung und Schädigung. Ihre Opposition gegen die Vermehrung des Strafrechts und die Verschärfung der Strafandrohungen, gegen immer längere Freiheitsstrafen und immer mehr Gefängnisse ist deshalb unabhängig von ihrer Bewertung der kriminalisierten Verhaltensweisen. Für sie sind die genannten Phänomene auch dann als soziales Problem zu thematisieren, wenn die Sanktionen wegen Taten verhängt wurden, die sie selbst entschieden ablehnen. Für Abolitionisten hat die Reduzierung des Strafensystems Vorrang vor seiner Modernisierung und immanenten Verbesserung. Dies hat zur Konsequenz, daß sie sich gegen jeden Gefängnisneubau, jedes neue Strafgesetz und jede Strafverschärfung wenden, wodurch sie sich sowohl von den Alternativentwürfen der sechziger Jahre wie von „progressiven" Forderungen nach einer verstärkten Bekämpfung von Wirtschafts-, Umwelt- und Sexualdelikten bzw. des illegalen Drogenhandels unterscheiden (Ward 1986).

2. Kritik der

Diversion

Mit ihrer radikalen Gefängniskritik stehen Abolitionisten nicht mehr ganz allein, seit der Glaube an die resozialisierende Wirkung des Vollzugs geschwunden ist. Während die herrschende Meinung sich nach anderen Begründungen für die Unentbehrlichkeit der Freiheitsstrafe im Bereich der Generalprävention, der Unschädlichmachung und des Schuldausgleichs umsieht, ist für andere Kriminologen, die weder das Strafrecht noch das Strafverfahren abgeschafft wissen wollen, gleichwohl das „Ende der Strafanstalt" in Sicht: „Die Strafanstalt hat sich als ein Mißerfolg erwiesen und als eine menschliche Erfindung, die mehr Schaden als Nutzen gestiftet hat. Die Ära der Strafanstalt geht ihrem Ende entgegen, weil sie — auch in ihrer modernsten Form — nichts zur Beseitigung der persönlichen und sozialen Desintegration beizutragen ver-

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Abolitionismus

mag, aus der Massenkriminalität erwächst" (Schneider 1983, 323). Ähnlich erklärte auch Klaus Lüderssen (1984, 22): „Wir nähern uns dem Ende der durch die Freiheitsstrafe bestimmten Epoche. Nachdem sie ihrerseits eine lange währende Zeit qualifizierter Todes- und Leibesstrafen abgelöst hat — auf der Basis der Erfahrungen und moralischen Wertungen, daß diese Strafen nicht zweckmäßig und nicht human sind —, sieht sich die Freiheitsstrafe jetzt selbst diesen Fragen — nicht zweckmäßig, nicht human — gegenüber." Das Wissen um die Kontraproduktivität der formalen Reaktionen auf Straffälligkeit insbesondere bei jungen Menschen, die durch die stigmatisierende Wirkung von Gerichtsverfahren und die Beschneidung legaler Handlungsmöglichkeiten leicht in eine kriminelle Karriere gedrängt werden können, führte in den USA zu zahlreichen Versuchen der Herumleitung straffällig gewordener Jugendlicher um den normalen Rechtsgang, insbesondere um Strafverfahren und stationären Strafvollzug (Diversion). Diversionsprojekte streben eine Entpönalisierung und Entstigmatisierung, oft auch die Lösung persönlicher und sozialer Schwierigkeiten an, die als Auslöser für konkrete Straftaten gelten. Sie sind getragen von tiefer Ernüchterung bezüglich totaler' Institutionen und einem gewissen Optimismus hinsichtlich ambulanter sozialpädagogischer Betreuung. Sie lassen die abstrakte Definition von Handlungen als Straftat ebenso unberührt wie die Kompetenz staatlicher Stellen, den Diversionsprojekten bestimmte Klienten unter Aufrechterhaltung der Drohung einer Weiterführung des regulären Strafverfahrens zuzuweisen. Es geht also weder um eine Entkriminalisierung noch um eine vollständige Entstaatlichung der Konfliktregelung, sondern im Gegenteil um die Einschaltung privater, intermediärer und nicht unmittelbar zum Strafrechtssystem gehörender staatlicher Einrichtungen zu Zwecken der staatlichen Reaktion auf Straffälligkeit, mithin also zu strafjustiziellen Zwecken. Obwohl Diversionsprojekte sich selbst häufig als prinzipielle Alternative zur staatlichen Strafrechtspflege verstehen, ist die von ihnen angebotene Hilfeleistung für die Betroffenen also kein reines Angebot, sondern nur eine besondere Form der Strafverbüßung. Eine Form, die zwar in mancher Hinsicht milder ist als die regulären Sanktionen es sein mögen, in mancher Hinsicht aber auch einen belastenderen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen darstellen kann. Da die Diversionsmaßnahmen eine förmliche Verurteilung nicht voraussetzen, sind sie als Strafen ohne voraufgegangenes reguläres Strafverfahren rechtsstaatlich ausgesprochen bedenklich. Schließlich ist es durchaus möglich, daß Diversionsprojekte ihren Anspruch verfehlen, Straftäter vor einer ansonsten drohenden Gefängnisstrafe zu bewahren — dann nämlich, wenn sie vom Strafju-

stizsystem nur solche Fälle erhalten, die ohne das Eingreifen der Diversion durch schlichten Sanktionsverzicht (Einstellung des Verfahrens) oder durch eine geringfügigere Sanktion beendet worden wären, als es die Diversion darstellt (Geldstrafe). Die Diversionsprojekte würden dann entgegen ihrer Intention nicht zu einer allmählichen Ersetzung des Gefängnissystems, sondern zu dessen Stabilisierung durch einen vorgelagerten Ring zusätzlicher sozialpädagogischer Behandlungssanktionen beitragen („net-widening"). Das Gefängnis würde nicht durch freiheitlichere Alternativen überflüssig gemacht, sondern nur dadurch in seiner relativen Bedeutung reduziert, daß andere, mit der Justiz subtil vernetzte Professionen und Organisationen auch Aufgaben mitübernehmen, die einst ein Monopol juristisch beherrschter Sanktionsprozeduren waren. Diversionsprojekte wären dann Teil eines Anwachsens der Disziplinarnetze, der Vervielfältigung ihres Austausches mit dem Justizapparat und der Steigerung ihrer Machtkompetenzen auf Kosten der Justiz (Foucault 1976, 395). Von möglichen Ausnahmen abgesehen, bei denen die Rechte der Betroffenen skrupelhaft gewahrt und Haftplätze durch Diversionsprojekte tatsächlich ersetzt werden, so daß sie wegfallen und Gefängnisse geschlossen werden können, scheinen sich bisher die Befürchtungen der Abolitionisten sowohl in den USA wie in Deutschland zu bewahrheiten (Lemert 1985; Voß 1985).

B. Die Ebene der Straftheorien „Strafen heißt: absichtlich ein Übel zufügen. Wer in diesem Sinne strafen will, muß sich eines höheren Auftrags zuversichtlich bewußt sein. ,Eine menschliche Kraft, die keine Rechtfertigung von oben in sich spürt, ist zur Führung des Richtschwertes nicht stark genug' (Bismarck im Reichstag am l . M ä r z 1870). Nur so lange das Strafrecht im Namen göttlicher oder sittlicher Gesetze ausgeübt wurde, konnte man mit gutem Gewissen strafen. Wenn aber nur noch im Namen staatlicher oder gesellschaftlicher Notwendigkeiten oder Zweckmäßigkeiten gestraft wird, im Namen vieldeutiger, zeitbedingter und umstrittener Wertsetzungen, dann zittert die strafende Hand" (Radbruch 1969, 138). Ob und wie Strafe und Strafrecht gerechtfertigt werden (können), hängt also vom allgemeinen Bezugsrahmen der Legitimation und von der Staatsauffassung einer Epoche ab. Je höher das Autoritätsgefälle zwischen Herrschern und Beherrschten, desto stärker wird der Staat versucht sein, seine Autorität durch harte Strafen zu unterstreichen. „Die Strafgerechtigkeit", erklärte Friedrich Julius Stahl (1854, 169), „ist die Herstellung der Herrlichkeit des Staates durch die Vernichtung oder das Leiden dessen, der sich wider sie empört hat." In einer demokratischen Gesellschaft ist die autoritäre Selbstbestätigung des

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Abolitionismus Staates keine hinreichende Legitimation — was vom Strafrecht bleibt, ist die Zufügung von Leiden. Dies ist der Ansatzpunkt der negativen Straftheorie des Abolitionismus. Kriminalität wird nicht als Auflehnung gegen das staatliche Gewaltmonopol, sondern als lösungsbedürftiger zwischenmenschlicher Konflikt gesehen. Strafrecht und Strafe werden deshalb nicht als Mittel zur Wiederherstellung der staatlichen Autorität akzeptiert, sondern sehr nüchtern „als eine spezifische Form solcher Konfliktbearbeitung gesehen, deren Entstehungs- und Funktionsbedingungen, deren Leistungen und Kosten im Vergleich untersucht werden können" (Steinert 1985, 9). Mit einer gewissen Verkürzung läßt sich der Ausgangspunkt der abolitionistischen Straftheorie in der Frage zusammenfassen, ob die staatlich organisierte intentionale Zufügung von Schmerz einen positiven Beitrag zur Lösung zwischenmenschlicher Konflikte leistet. Die Quintessenz der negativen Straftheorie des Abolitionismus besteht aus der Analyse aller möglichen Rechtfertigungen des Strafrechts und seiner Sanktionen und schließlich aus der Verneinung der Ausgangsfrage. Die Zeiten, in denen sich das öffentliche Strafrecht samt seinen Sanktionen widerspruchsfrei legitimieren ließ, sind zumindest aus abolitionistischer Perspektive ein für allemal vorbei.

1. Kritik der

Spezialprävention

Spezialpräventive Straftheorien rechtfertigen die Strafe aus ihrem Zweck zu verhindern, daß der Täter künftig noch weitere Straftaten begeht. Dies kann nach Franz v. Liszt (1883) durch die behandelnde Resozialisierung, durch Abschreckung oder durch die schlichte Unschädlichmachung erfolgen. Während die Abschreckung im straftheoretischen Diskurs fast nur noch im Zusammenhang mit der Generalprävention diskutiert wird, sind das Behandlungsideal und die Idee der Unschädlichmachung durchaus noch aktuell. In der Kritik der „Behandlungsideologie" stimmen Abolitionisten weitgehend mit den Vertretern klassischer bzw. neo-klassizistischer Straftheorien überein. Sie kritisieren z. B. weniger die Ineffektivität als die Larvierung und den manipulativen Charakter der Behandlungs-Strafe sowie die Gefährdung rechtsstaatlicher Garantien im Namen des Resozialisierungsgedankens (Hassemer 1982; Christie 1986; v. Trotha 1988). In der Kritik der „Unschädlichmachung", die als spezialpräventive Straflegitimation unter dem Namen selective incapacitation gegenwärtig in die deutsche Diskussion zurückkehrt, findet sich eine ähnliche Koalition. Weder für die Anhänger eines liberalen Strafrechts noch für Abolitionisten ist eine solche Verlagerung der Subjektivität vom Individuum auf das System, bei der dem Täter keinerlei Beachtung mehr geschenkt wird, akzeptabel. Der bloße Akt des (durch Kohor-

tenforschungen angeblich erleichterten) frühzeitigen Identifizierens und gleichsam gesellschaftssanitären Wegschließens der vermeintlich „wirklich gefährlichen Intensivtäter" ergibt an sich noch keine Straftheorie, sondern nur die Beschreibung der Totalisierungstendenzen sozialer Kontrolle (Bettmer/ Kreissl/Voß 1988).

2. Kritik der

Generalprävention

Wie die Spezialprävention unter dem ethischen Gesichtspunkt der Unzulässigkeit einer zwangsweisen Anpassung des Täters an einen heteronomen Verhaltensstandard kritisiert wird, so teilen Abolitionisten auch das Unbehagen der klassischen Autoren an der Instrumentalisierung des einzelnen zur Abschreckung bzw. sozialen Integration der vielen. Was die Verlagerung der straftheoretischen Diskussion von der Spezial- zur Generalprävention angeht, so wird diese Pendelbewegung von Nils Christie (1986, 35) als „ganz natürlich" angesehen, seien doch die meist als von Grund auf verschieden dargestellten Gedankensysteme „in vielen Punkten miteinander verwandt. Zunächst sind beide in ihrem jüngsten Entwicklungsstadium das Produkt einer Epoche rationalen, zweckgerichteten Denkens. Beide haben das manipulative Element gemeinsam. Behandlung wird durchgeführt, um das Verhalten des Delinquenten zu ändern; Abschreckung ist ebenfalls ein Versuch, auf anderer Leute Verhalten verändernd einzuwirken. In beiden Fällen soll eine Art von Verhaltensmodifikation bewirkt werden." Hinzu kommt, daß im Fall der Abschreckung der Täter gleichsam „geopfert" wird, um einen Zweck zu befördern, der weder mit dem Maß seiner Schuld noch sonst mit ihm selbst zu tun hat. Die im Vordringen befindliche Theorie der positiven Generalprävention (Jakobs 1983) sieht den Zweck der Strafe in einer über die Kriminalitätsprophylaxe hinausgehenden, gesamtgesellschaftlichen Stabilisierung des Normvertrauens in der Bevölkerung insgesamt. „Diese direkte, nicht über die Einschränkung von Kriminalität erfolgende gesellschaftsstabilisierende Funktion der Strafe wird von den einzelnen Theorien in unterschiedlichem Maße betont. Wird sie zur einzig wesentlichen Funktion der Strafe erklärt — wie etwa bei Dürkheim — so kann sich das Paradox ergeben, daß neben der Institution Strafe auch der Bedingung einer Bestrafung im Einzelfall, also dem Verbrechen, eine positive gesellschaftliche Funktion zugeschrieben wird" (Neumann/Schroth 1980, 34). Die wegen ihres Rekurses auf „klassische" Autoren wie Kant und Hegel auch als Neo-Klassizismus bezeichnete kriminalpolitische/straftheoretische Richtung (v. Hirsch 1976; Herzog 1986) ist eine wichtige Verbündete der Abolitionisten, was die Forderung nach Rechtssicherheit und die Kritik an den Totalisierungstendenzen sozialer Kontrolle im spezialpräventiv legiti-

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Abolitionismus

mierten Zweckstrafrecht angeht. In ihren Hintergrundannahmen und kriminalpolitischen Fernzielen unterscheiden sich Neo-Klassizisten und Abolitionisten allerdings erheblich. Für Neo-Klassiker wie für Abolitionisten hat die Idee vom einzelnen Menschen, der nicht nur Risiko oder Störfaktor, sondern Träger von eigenen Rechten ist, ihren Sinn noch nicht verloren. Jedenfalls sind sie eher als die Vertreter einer Linie der Zwangsanpassung oder Unschädlichmachung bereit, Begriffen wie Freiheit, Autonomie, Verantwortung, Schuld und Strafe nicht von vornherein mit Abwehr zu begegnen. Neo-Klassiker wie Abolitionisten sind dafür, daß das Strafrecht, solange es denn eines gibt, vor allem die Rechte des Angeklagten und Verurteilten garantieren und die Macht der Strafinstanzen begrenzen soll. Beide würden wohl die These unterschreiben, „daß die vordringlichste Aufgabe einer echten Reform sei, die gegenwärtige Inflation des Strafrechts einzudämmen" (Mayer 1962, 57). Und: „Die menschenzerstörende Vielstraferei, wie sie heute geübt wird, muß aufhören" (Mayer 1962, V). Abolitionisten fordern mit den Neo-Klassikern, die Richter wieder stärker an das Gesetz, das Gesetz wiederum an rechtsstaatliche Prinzipien wie den Bestimmtheitsgrundsatz, das Analogie- und Rückwirkungsverbot, die Waffengleichheit im Strafprozeß u. ä. zu binden. Doch was für die neuklassische Schule nur ein Zwischenziel ist, um die Würde der Strafe und eines harten, aber gerechten Strafrechts wiederherzustellen, ist für Abolitionisten eine Maßnahme der Reduzierung staatlicher Leidzufügung auf dem Wege zur Abschaffung des Strafrechts insgesamt. Für Kantianer, Hegelianer und Neo-Klassiker ist das staatliche Strafrecht als entscheidender Integrationsfaktor im Vergesellschaftungsprozeß, als Verkündung der wichtigsten sittlich-rechtlichen Normen, die im Gemeinschaftsbewußtsein enthalten sind, absolut unverzichtbar (Mayer 1962,15). Abolitionisten halten es nicht nur für zweifelhaft, ob ein solcher Rückweg ins 19. Jahrhundert möglich ist, sie sehen darin auch ein ungerechtfertigtes Vertrauen in die Idee des „starken Staates" (Christie 1986, 55 ff.). Für sie ist die Behauptung einer sich in gemeinsamen Wertvorstellungen ausdrückenden „Einheit der modernen Gesellschaft" im Zeitalter sich ausdifferenzierender Lebensstile, Wertpräferenzen und Autonomieansprüche nicht mehr als eine Fiktion (Hulsman 1986, 68; v.Trotha 1988, 26). Soweit die Theorie der positiven Generalprävention im explikativen Rahmen der Systemtheorie präsentiert wird (Jakobs 1983, Otto 1982), kommt hinzu, daß die Differenz zwischen Sein und Sollen bei diesen kaum noch eine Rolle spielt. Man kann geradezu „von einer Ablösung des normativen Paradigmas durch ein deskriptiv-analytisches Paradigma im Bereich der Straf- und Strafrechtstheorien sprechen" (Neumann/Schroth 1980, 122). Eine Fol-

ge davon ist, daß die einst kritischen sozialwissenschaftlichen Befunde über die Selektivität der Strafverfolgung (Sack 1971) von den systemtheoretischen Neuformulierungen klassischer Strafbegründungen affirmativ gewendet werden. So wird die Akzeptabilität von Straftheorien immer mehr nach dem Grad ihrer Übereinstimmung mit dem gesellschaftlichen status quo beurteilt. Die Langeweile, die von systemtheoretischen Strafbegründungen ausgeht, hängt mit dieser Einebnung normativer Strukturen zusammen, welche sie als regulative Prinzipien, an denen die gesellschaftliche Wirklichkeit kritisch zu messen wäre, unbrauchbar macht (Baratta 1984).

3. Kritik der absoluten

Straftheorien

Abolitionisten sind der Ansicht, daß sich alle Straftheorien, wenn man sie nur konsequent zu Ende denkt, entweder als Zirkelschlüsse oder als Delegitimierungen des staatlichen Strafens erweisen. So hat das von der herrschenden Meinung heute verabschiedete Behandlungsideal ihrer Ansicht nach durchaus einen humanistischen und emanzipatorischen Kern, dessen Realisierung jedoch innerhalb des hochautoritären Strafrechtssystems prinzipiell unmöglich ist. Als ernstgenommenes Ziel einer Reaktion auf Kriminalität wäre die Utopie der Wiedereingliederung des Täters auf ein verständigungsorientiertes Verfahren angewiesen, das die Verdinglichungseffekte des abstrakten Rechts gerade vermeidet und damit eine so tiefgreifende Umwandlung des Strafrechtssystems voraussetzt, daß es einer Aufhebung oder Abschaffung des Strafrechts gleichkäme (Plack 1974; Christie 1986, 53). Nimmt man die neoklassische Schule ernst, so gelangt man ebenfalls zu einer Abschaffung des Strafrechts. Schon die empirische Überprüfung ihres zentralen Gedankens der „gerechten Strafe" („just deserts") führt zu der Erkenntnis, daß Gerechtigkeit heutzutage weniger mit Strafe denn mit Ausgleich verbunden wird (Seßar/Beurskens/ Boers 1986), ganz zu schweigen von der radikalen Reduktion des gesellschaftlichen Wertkonsenses, vom Ernstnehmen des Ultima-Ratio-Gedankens und weiterer Bestandteile neuklassischer Straftheorien, die alle letztlich gegen eine Aufrechterhaltung des Strafrechtssystems sich wenden würden. Eine besondere Nähe weist das abolitionistische Denken zu den absoluten Straftheorien auf, die nur noch extrem selten vertreten werden (Naucke 1985) und unter zeitgenössischen Strafrechtstheoretikern meist als ganz und gar überholt gelten. So bekennt sich Christie ausdrücklich zum Anti-Utilitarismus der absoluten Straftheorien, zu ihrem Verzicht auf Tarnung und zur Schärfe ihrer ethischen Selbstreflexion. Doch auch die absoluten Straftheorien führen, wenn man sie vorbehaltlos ernstnimmt, aus dem Strafrecht hinaus. Gerechtigkeit, Vergeltung

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Abolitionismus und Versöhnung können heute nicht mehr an einen autoritär zur Verkörperung des Absoluten idealisierten Staat delegiert werden (Brunkhorst 1986; vgl. auch Schild 1984). „Eine absolute Straftheorie, die von sich nahestehenden Gleichen angewendet würde, würde in ihrer praktischen Handhabung mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Theorie des privaten Konflikts werden" (Christie 1986, 105). Abolitionisten leugnen also keineswegs, wie häufig angenommen wird, die Berechtigung von Kategorien wie Schuld und Verantwortung, Unrecht und Strafe. Sie sind aber der Meinung, daß abstrakt-generelle Rechtssätze nicht geeignet sind, der Pluralität von Lebenswelten, Wert- und Handlungsorientierungen gerecht zu werden und daß insbesondere die starre Anwendung fixierter Regeln auf Einzelfälle mittels formal organisierter Justizbürokratien nicht geeignet ist, dem Bedürfnis nach gerechten Lösungen zu entsprechen. Schuld und Verantwortung, Unrecht und Strafe sollen deshalb nicht staatlich verwaltet, sondern gesellschaftlich mit Inhalt gefüllt, sie sollen auch nicht in ihrem Begriffsinhalt ein für allemal festgelegt, sondern in verständigungsorientierten Verhandlungen jedesmal neu definiert werden. Hieraus ergibt sich das Eintreten der Abolitionisten für ein ernstgenommenes strafrechtliches Subsidiaritätsprinzip — und darüber hinaus ihre Sicht des Strafrechtssystems als eines sozialen Problems.

4. Subsidiarität

des

Strafrechts

In seiner allgemeinsten Form besagt das Subsidiaritätsprinzip, daß das, was die Gesellschaftsmitglieder aus eigener Kraft und in eigener Verantwortung bewerkstelligen können, ihnen nicht von staatlichen Instanzen entzogen werden darf. Wo Eigenverantwortung und Selbsttätigkeit der einzelnen Betroffenen nicht ausreichen, sind zunächst substaatliche und intermediäre Instanzen, dann erst staatliche Regelungen zuständig. Dabei darf die staatliche Regulation jedoch niemals die noch bestehenden Eigenkompetenzen zunichte machen, schwächen oder ein für allemal den Betroffenen entziehen, sondern nur dergestalt wirken, daß durch sie die Selbstverantwortung und Handlungskompetenz reaktiviert wird. Hieraus folgt, daß das Strafrecht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur dann zum Einsatz gelangen darf, wenn die Möglichkeiten anderer Rechtsgebiete — insbesondere des Zivilrechts und des Ordnungswidrigkeitenrechts — erschöpft sind. Das Strafrecht gilt deshalb als ultima ratio des Rechtsgüterschutzes. Während dieser Grundsatz nach wie vor Bestätigung findet (BVerfG, NJW 1975, 573, 576), entlarvt die Rechtswirklichkeit diese Bekenntnisse als rein rhetorisch. Im Grunde genommen hat es eine wirkliche Subsidiarität des öffentlichen Strafrechts nur in dessen Frühzeit gegeben, als die sog. Sühnevereinba-

rungen zwischen Beteiligten Vorrang hatten und das Strafrecht nur „hilfsweise" zum Einsatz gelangte, wenn autonome Regelungen versagten. Heute hingegen ist es so, daß das Strafrecht von vornherein die Priorität beansprucht. Dies geschieht schon beim Herbeirufen der Polizei. Häufig nur benachrichtigt, um eine momentane Situationsklärung herbeizuführen oder einen Schadensersatzanspruch zu dokumentieren, ist sie beim Vorliegen einer Straftat aufgrund des Legalitätsprinzips zur Ingangsetzung eines Kriminalisierungsprozesses — regelmäßig auch ohne oder gegen den Willen des Geschädigten — verpflichtet. Damit beginnt dann ein Verfahren, das zwar vorgeblich im Interesse der Beteiligten geführt wird, in Wirklichkeit aber weit an ihren Bedürfnissen vorbeigeht (Hanak 1986). Abolitionisten sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Enteignung von Konflikten" (Christie 1986, 125—145), weil staatliche Instanzen an die Stelle einer durchaus möglichen autonomen Regelung eine autoritäre eigene Lösung setzen, die weder der Problematik des Täters noch den Schutzund Genugtuungsbedürfnissen des Opfers Gerechtigkeit widerfahren läßt. Ein Ernstnehmen des Subsidiaritätsgedankens hingegen würde zunächst einmal den Kreis der Antragsdelikte erweitern. Auch müßte der Verdächtigte (Beschuldigte, Angeklagte) die Einstellung des Verfahrens durch eine Art Veto bewirken können, sobald er eine vom Opfer der Tat akzeptierte Regelung nachweisen kann. Schließlich wird man zugeben müssen, daß das neoklassische Interesse daran, die verletzte Norm bestätigt zu finden, durch eine Schadensersatzleistung ebensogut befriedigt werden kann wie durch die öffentliche Strafe. Dann aber muß sich das Strafrecht auch „die zivilrechtliche Stabilisierungsfunktion anrechnen lassen, indem es grundsätzlich hinter die zivilrechtliche Abwicklung zurücktritt und ihren Erfolg konsequent anerkennt" (Frehsee 1986, 111).

5. Strafrecht

als soziales

Problem

Abolitionisten sehen in der rechtswissenschaftlichen Theoriebildung über die Strafrechtspflege eine exemplarische ignoratio elenchi. Beachtung finden nämlich nur die postulierten positiven Wirkungen, nicht die negativen Effekte des Strafrechtssystems, welche ja durchaus überwiegen könnten. Ignoriert werden, wie Baratta (1984, 141) es auch für die neueren Theorien belegt, „alle Einwände und Argumente, die aufzeigen, daß das Strafrechtssystem mit hohen sozialen Kosten und schwerwiegenden Folgen für die soziale Integration verbunden ist. Man denke etwa an die zersetzenden Auswirkungen, die die Strafe im familiären und sozialen Bereich des Verurteilten hat, an die soziale Distanz, die zum Täter als Folge der strafrechtlichen Stigmatisierung entsteht. Man denke ferner an das große

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Abolitionismus

Mißtrauen, das durch die Selektivität des Strafrechtssystems hervorgerufen wurde; an die Verzerrungen, die durch die willkürliche Handhabung von strafrechtlichen Instrumenten entstehen (z. B. die Anwendung der Untersuchungshaft unabhängig von verfahrenstechnischen Bedürfnissen als Strafe); und schließlich an die Struktur des Strafprozesses, der vor allem bei Konflikten, die auch privat beigelegt werden könnten, eine mögliche Wiederherstellung der sozialen Integration von Täter und Opfer eher e r s c h w e r t . . . " . Der niederländische Strafrechtslehrer und Kriminologe Lodewijk (Louk) H. C. Hulsman betrachtet die gesamte Strafrechtspflege denn auch nicht als eine gesellschaftliche Leistung, sondern als ein staatlich geschaffenes soziales Problem, als einen dringend abzuschaffenden gesellschaftlichen Mißstand. D a ist zum einen die Bestrafung des Verurteilten, die faktisch immer auch seine Familie und Freunde mitbestraft, schwerpunktmäßig die eh schon Benachteiligten betrifft und damit die Ungleichheit in der Gesellschaft vertieft. Zweitens erfüllt das Strafrecht nicht einmal die in den Straftheorien ausgeführten Zwecke seines Daseins — es ist insofern nur scheinrational. Drittens hat es sich, nimmt man alle staatlichen Instanzen der Strafrechtspflege zusammen, zu einer gigantischen Maschine entwickelt, deren hervorstechendstes Merkmal ihre Unkontrollierbarkeit ist — unkontrollierbar seitens der unmittelbaren Konfliktbeteiligten, aber auch seitens politischer Reformanstrengungen, die auf eine ernsthafte Reduktion des Apparats hinauslaufen. Viertens ist der Begriff der Straftat (Kriminalität, Verbrechen) selbst ein unbrauchbares Konzept, da er in unerträglicher Abstraktion eine Vielzahl unterschiedlichster Handlungen erfaßt, deren einzige Gemeinsamkeit in ihrer staatlichen Definition als Kriminalität und ihrer Verarbeitung durch das Strafrecht besteht. Ist aber erst einmal der Begriff der Kriminalität als unbrauchbar erkannt, weil er den Handlungsbedeutungen und -motiven der Beteiligten nicht gerecht wird, dann löst sich neben dem gesamten Strafschema (Straftat, Täter, Opfer, Strafurteil, Strafvollzug) auch die Legitimation des Systems der Strafrechtspflege gleichsam in nichts auf (Hulsman / Bernat de Celis 1982; Blad/Mastrigt/Uildriks 1987, 8 ff.). Die Frage, was an die Stelle des strafrechtlichen Systems der Leidzufügung treten solle, wird vom norwegischen Kriminologen Nils Christie (1986, 84 ff.) mit dem Hinweis auf einige Bedingungen für ein niedriges Niveau der Schmerzzufügung beantwortet. Seiner Meinung nach kann das Maß an Leid, das als Reaktion auf Normbrüche zugefügt wird, wesentlich reduziert werden, wenn folgende fünf Bedingungen erfüllt sind: ein erhebliches Wissen der Gesellschaftsmitglieder voneinander; die Ersetzung des mächtigen, durch das Gewaltmonopol mit Zwangsmitteln ausgestatteten Richters durch einen unabhängigen Dritten ohne Erzwin-

gungskompetenz; eine erhöhte Verletzbarkeit der Inhaber von Macht; erhöhte gegenseitige Abhängigkeit, die eine Sanktionierung ohne Verlust des Gruppenmitglieds erforderlich macht; ein Wertoder Glaubenssystem, das die Zufügung von Schmerz zurückweist.

C. Die E b e n e d e r Kriminalitätstheorie Die theoretischen Positionen von Abolitionisten speisen sich aus der Phänomenologie, dem Marxismus und der Tradition des symbolischen Interaktionismus. Insbesondere besteht auch eine Art wahlverwandtschaftlicher Beziehung zu den Kernaussagen des Labeling Ansatzes, soweit dieser Kriminalität als soziales Konstrukt entziffert und „nicht nur die Verdinglichung von Menschen durch deren Etikettierung, sondern auch die Verdinglichung einer Vielzahl heterogener Handlungen zu einer Kategorie Kriminalität analysiert hat" (Hess 1986, 24f.; Keupp 1976). Ähnlich wie die verschiedenen Richtungen des Labeling-Ansatzes, so favorisieren auch abolitionistische Ansätze statt des „kataskopischen" Blicks von oben auf die Gesellschaft hinab eine „anaskopische" Sichtweise, die von konkreten Situationen ausgeht und für die subjektiv-lebensweltliche Erfahrung der Beteiligten wie für ihre eigensinnigen Autonomieansprüche sensibel bleibt (Hulsman 1986). Darüber hinaus sind sie prinzipiell in der Lage, die herkömmlichen Devianztheorien kritisch zu mustern und das, was von ihnen zu gebrauchen ist, in eine dialektische Kriminalitätstheorie zu integrieren, die mikro-, meso- und makroperspektivische Fragen gleichermaßen berücksichtigt. Eine solche Kriminalitätstheorie hätte sich schwerpunktmäßig mit folgenden Bereichen zu befassen: mit der historischen Entstehung der Kategorie Kriminalität (Erfindung des Verbrechens) und mit der Frage, warum wann welche Verhaltenskategorien als kriminell definiert werden (strafrechtliche Normgenese); sodann mit jenen Prozessen, die Kriminalität alltäglich neu konstituieren — also mit dem selektiven Handeln der Instanzen und der Konstruktion des Kriminalitätsstereotyps in Massenmedien und verdinglichenden wissenschaftlichen Bearbeitungen; schließlich mit den Funktionen des Mythos von der Kriminalität im Zusammenhang gesellschaftlicher Herrschaft (Hess 1986, 27). Durch die fokussierende Fortentwicklung der Denkansätze in der kritischen Kriminologie sind mittlerweile die Konturen einer radikalen Delegitimation der strafrechtlichen und kriminalpolitischen Moderne sichtbar geworden. Darüber hinaus ließ sich zeigen, daß die Kriminologie, verstanden als ideologiekritisches Projekt einer dialektischen Kriminalitätstheorie, durchaus eine eigenständige Theorie über einen bestimmten Gegenstand sein

Abolitionismus und zugleich in einer allgemeinen Gesellschaftstheorie aufgehoben werden kann (Hess 1986; Hess/ Stehr 1987; Schumann 1985; de Folter 1986; Smaus 1986). Die seit langem überfällige Neubegründung einer theoretischen Kriminologie, die sich zu gesellschaftswissenschaftlichen Basiskonzepten weder im Rückstand noch im Widerspruch befindet (Sack 1978), ist insoweit mit der abolitionistischen Theorieperspektive in Sichtweite gerückt.

IV. ZUR KRITIK AM ABOLITIONISMUS Einstige Protagonisten der „new criminology", die heute einem „new realism" huldigen, der das Konzept der Kriminalität nicht mehr kritisiert, sondern statt dessen die härtere Bekämpfung sowohl der Straßenkriminalität als auch der Wirtschaftskriminalität fordert, bezeichnen den Abolitionismus laut de Haan (1985, 257) als katastrophale Strategie und gefährliches ultra-linkes Abenteuer: „Damit eine ernsthafte Bewegung zur Reform der Strafrechtspflege überhaupt zum Tragen kommen könne, müsse man sich den Realitäten stellen, statt wie die Abolitionisten von einem Bündnis der AKWGruppen, der Friedensbewegung, der Antifaschisten, Antirassisten, Frauen- und Schwulengruppen usw. als einer geschlossenen Front gegen das Gefängnisssystem zu träumen." Mit dieser Kritik konvergiert der Befund Kaisers (1987, 1036, 1044), daß selbst der „gemäßigte Abolitionismus" als sozialromantisch, realitätsblind und totalitär einzuschätzen und deshalb sowie wegen seiner praktisch-kriminalpolitischen Implikationen „unannehmbar" sei. Selbst v. Trotha (1983, 40), der immerhin Nils Christies entschiedener moralisch-ethischer Position „vorbehaltlose Zustimmung" signalisiert, sieht sich zu ähnlichen Kritiken veranlaßt: „Erstens: Von den fünf wesentlichen Bedingungen, die Christie zu Voraussetzungen für eine Einschränkung des Maßes an Schmerzzufügung bei der Reaktion auf Normbrüche erklärt, sind mindestens vier Bedingungen mit den grundlegenden Gegebenheiten moderner sozialer und politischer Ordnung nicht vereinbar. Zweitens: Das Konzept der ,Konfliktpartizipation' in der Christieschen Form setzt ein Konzept von Gemeinschaft' im Tönnies'schen Sinne voraus, das nicht nur historisch fragwürdig ist, sondern bei Christie bedenkliche totalitäre Züge gewinnt. Drittens: Die alternativen Perspektiven von Christie beruhen auf einer unüberlegten Übertragung von Konfliktregelungsmechanismen in segmentären Gesellschaften. Viertens: Die absolute Theorie der Strafe beinhaltet unter der Voraussetzung der Forderung nach Schmerzreduktion eine zweifelhafte akademische Reflexionsgläubigkeit." Tatsächlich sind hinsichtlich des notwendigen Widerspruchs zwischen der kriminalpolitischen Strömung mit ihrem antizipatorischen und utopischen Diskurs einerseits (Barker 1986) und den mit

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dieser Strömung in Wahlverwandtschaft verbundenen Ansätzen, die ja (auch) anderen Kriterien verpflichtet sind, noch zahlreiche Fragen offen. Auch ist es zweifellos richtig, daß wertrationale Orientierungen immer in der Nähe des Wertrigorismus leben, insofern sie den Bedingungscharakter der Umwelt, die Frage der Mittelwahl und insbesondere der Nebenfolgen ihres ethisch motivierten Handelns nicht als Bestandteile eben dieser Motivation zulassen. Doch all dies galt auch für andere, ebenfalls scheinbar sozialromantisch-realitätsblinde Strömungen, denen bei genauerer Analyse jedoch weder eine objektive soziale Basis fehlte noch der Realitätssinn — vielleicht besser: Möglichkeitssinn (Steinert 1986) — abging: man denke nur an das Verhältnis von Rhetorik und Realität bei der ersten Abolitionsbewegung. Sucht man also nach den objektiven Bedingungen, die Entstehung und Verbreitung abolitionistischer Strömungen prägten, so wird man nicht in erster Linie im Bewußtsein der Akteure der sozialen Bewegungen selber zu suchen haben, sondern in ihren realen Lebensumständen im weitesten Sinne. Zu den Umständen, unter denen die neuere abolitionistische Strömung aufkam, gehören neben der sog. Spaltung der Gesellschaft (Scheerer 1984) eine Reihe von Phänomenen, die als faktische Überdehnung, wahrgenommene Überforderung und ideologische Erschöpfung des Strafrechtssystems angesprochen werden können. Dies mag zum einen damit zusammenhängen, daß mit der Entstehung eines neuen Systems sozialer Kontrolle die Bestandteile der herkömmlichen Strafjustiz plötzlich grell und grausam erscheinen (Foucault 1976). Als zweite, damit zusammenhängende Bedingung ist das hypertrophe Wachstum mediengesteuerter Subsysteme und das daraus folgende Übergreifen administrativer und monetärer Steuerungsmechanismen auf die Lebenswelt nicht länger zu ignorieren — und in diesem Kontext als gleichsam lebensweltliche Reaktion die Suche nach einer deutlichen Verringerung der Distanz zwischen Apparaten und Bürgern durch zunehmende Partizipation und Selbstverwaltung in den bislang vom Staat „enteigneten" Bereichen (Habermas 1981, 489ff.; Teubner 1985,313ff.). Drittens könnte man die abolitionistische Strömung auch als Teil einer allgemeinen demokratie- und verfassungstheoretischen Strömung betrachten, welche sich unter Berufung auf das Scheitern des Zentralstaats weigert, überhaupt noch von einer homogenen Gesellschaft zu sprechen. Nimmt man „die Gesellschaft" aber als Pluralität von Szenen und Kulturen, dann erscheint es wenig sinnvoll, über das Strafrecht und die Strafjustiz („Im Namen des Volkes") überhaupt einen homogenen Gesamtwillen des Volkes zu konstruieren, der als Bezugspunkt staatlicher Steuerung der gesamten Gesellschaft dient. Das Strafrechtssystem erscheint dann als Teil einer globalen Unterwerfung der Gesamtgesellschaft unter einen ein-

300

Abolitionismus

heitlichen, uniformierenden Willen — eines Prozesses, der die historische Wahrheit wohl recht gut trifft (Hess/Stehr 1986), heute aber, wo es keine gesamtgesellschaftliche Rationalität mehr gibt, zugunsten eines Sozialmodells der Selbstkoordination heterogener Lebenswelten aufgegeben werden sollte (Burnheim 1987; Preuß 1988). Hierbei geht es nicht um einen theorielosen Rückweg in die Stammesgesellschaft, sondern um die Erinnerung an vorstaatliche Konfliktregelungsmodalitäten auf dem Weg zu einer neuen, freieren und menschlicheren Ordnung hochkomplexer Zukunftsgesellschaften.

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SCHEERER

MASSENMEDIEN Λ. Bedeutung der Massenmedien und ihrer Kriminalitätsdarstellung Die Massenmedien sind im letzten Jahrzehnt weltweit zahlreicher, einflußreicher und mächtiger geworden. Sie bilden neben Gesetzgebung, Rechtsprechung und Regierung gleichsam eine vierte wesentliche Beeinflussungsgröße in der Gesellschaft. Nachdem man in der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren ein Fernsehprogramm und in den sechziger und siebziger Jahren drei Fernsehprogramme empfangen konnte, ist die Zahl der empfangbaren Fernsehprogramme durch das Satelliten- und Kabelfernsehen in den letzten Jahren auf etwa zwanzig Programme angestiegen. Mit der Vermehrung der Programme wächst die Verschiedenartigkeit der Darstellungsweisen keineswegs. Im Wettbewerb um Werbeeinnahmen wetteifern die verschiedenen Fernsehkanäle vielmehr um Einschaltquoten. Ob privat- oder öffentlichrechtlich organisiert, sie senden alle die Inhalte, die sie für publikumswirksam halten. Zum Programmangebot hinzu kommt noch das große Angebot an Videos. Die Verbreitung der Videorecorder in der Bevölkerung nimmt zu. Wir befinden uns weltweit auf dem Weg zu einer Kommunikations-, einer Massenmediengesellschaft, in der die Fiktion, die Phantasie, die Definition der Realität eine größere Rolle spielt als die Realität selbst, in der die Menschen ständig unterhalten werden wollen, und in der die Darstellung der Inhalte ein größeres Gewicht erhält als die Inhalte selbst. Seit Jahrhunderten faszinieren Kriminalitätsnachrichten die Bevölkerung. Im Mittelalter zogen Bänkelsänger mit Erfolg von Ort zu Ort, um ihre Moritaten zu verbreiten, die zum großen Teil Mordgeschichten waren. Kriminalitätsgeschichten sind keine Neuigkeiten. Denn Straftaten, auch grausame Gewaltverbrechen, werden seit Jahrtausenden immer wieder begangen, und die Massenmedien berichten über nichts wirklich Neuartiges. Rechtsbrüche werden vielmehr nach dem Schema der „gewohnten Sensation", der „sensationellen Alltäglichkeit" vorgetragen, weil sie für die Gesellschaft eine entlastende Funktion haben, weil der „gesetzestreue Bürger" sich durch sie vom Verbrechen abgrenzen kann (Sündenbocktheorie), weil sie ihm seine „normale" Identität beweisen, und weil er darüber zufrieden sein kann, daß er besser als die Verbrecher ist und daß er dem Verbrechen erfolgreich zu entgehen vermochte (Paul Reiwald 1948; Helmut Ostermeyer 1975). Es besteht in der Bevölkerung ein großer Bedarf nach Kriminalitätsnachrichten, speziell über Gewaltverbrechen, weil solche Nachrichten unterhaltsam sind und die Langeweile des alltäglichen Lebens vertreiben. Die Massenmedien kommen der Nachfrage gern nach, weil

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Kriminalitätsnachrichten leicht erreichbar und billig sind, und weil man mit Gewaltdarstellungen nahezu alle Produkte verkaufen kann. Es besteht daher eine Symbiose, eine unheilige Allianz zwischen Massenmedien und Gesellschaft, gegen die der kritische Kriminologe seine Einwände vergeblich vorbringt. Man ist besorgt über das Ausmaß an Gewalt im Fernsehen und über mögliche schädigende Wirkungen auf Zuschauer, speziell auf Kinder. Der Einfluß der Gewaltdarstellungen auf das eigene Verhalten wird von der Mehrheit der Zuschauer indessen als gering eingeschätzt. Immerhin möchte man durch Inserts auf dem Bildschirm oder durch Hinweise in Programmzeitschriften und Zeitungen vor Gewaltdarstellungen gewarnt werden (Barrie Gunter, Mallory Wober 1988).

B. Veranschaulichung der Interaktion zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung über Kriminalität ohne Realitätsgrundlage durch eine Fallstudie 1. Die Medienkriminalitätswelle M. K. Wisehart war 1922 der erste, der entdeckte, daß die veröffentlichte Meinung (die Massenmedien) auf die öffentliche Meinung über Kriminalität und Kriminaljustiz einen erheblichen Einfluß ausübt, obgleich keine der beiden Meinungen mit der Verbrechenswirklichkeit übereinstimmt, wie sie sich in Kriminalstatistiken und empirisch-kriminologischen Forschungsergebnissen niederschlägt. Die Wirklichkeit von Kriminalität und Kriminaljustiz ist zwar ein Konstrukt, eine gedankliche Hilfskonstruktion. Es stellt sich zudem die erkenntnistheoretische Frage, ob man tatsächlich das wahrnimmt, was man wahrzunehmen beabsichtigt. Die Erforschung der kriminellen Wirklichkeit beruht ferner auf der sozialen Wahrnehmung, die besagt, daß alles, was man wahrnimmt, durch die Gesellschaft, in der man lebt, beeinflußt wird. Abgesehen von diesen theoretischen und methodologischen Problemen, die sich jeder Art empirischer Sozialforschung stellen, ist das kriminologische Konstrukt der Kriminalitätswirklichkeit und der Kriminaljustiz aber in der Regel ungleich verläßlicher als die Mediendarstellung von Kriminalität und Kriminaljustiz. Denn die empirisch-kriminologischen Forschungsmethoden werden ständig an den Gütekriterien der Reliabilität (Zuverlässigkeit) und Validität (Gültigkeit) gemessen und von kriminologischen Forschern untereinander und gegenseitig kritisch überprüft. Seit Wiseharts Zeiten ist der sozialpsychologische Mechanismus, den er entdeckt hat, in zahlreichen verläßlichen empirischen Studien immer wieder von neuem bestätigt worden (F. James Davis 1952; E.Terrence Jones 1976; Drew Humphries 1981; Jane Kelsey, Warren Young 1982).

Die These, daß sich die Darstellung von Kriminalität und Kriminaljustiz in den Massenmedien und die öffentliche Meinung gegenseitig konstant beeinflussen, und daß die kriminologische Forschung über die Verbrechenswirklichkeit praktisch keinen Einfluß auf veröffentlichte wie öffentliche Meinung hat, ist durch Mark Fishman (1978) in eindrucksvoller Weise in einer Fallanalyse veranschaulicht worden: Die Massenmedien produzieren „Kriminalitätswellen", subjektive Eindrücke von periodischen Ausbrüchen oder Epidemien krimineller Taten. Ende 1976 erlebte New York City eine solche Medienkriminalitätswelle. Die drei Zeitungen „New York Times", „New York Daily News" und „New York Post" sowie die fünf lokalen Fernsehstationen berichteten in ihren Nachrichten über ein Anwachsen der Gewaltkriminalität gegen alte Menschen. Die Rezipienten erhielten den Eindruck, die Verbrechen gegen alte Menschen seien im Ansteigen begriffen. Diese Medienkriminalitätswelle dauerte etwa sieben Wochen und wurde von Zeitungen und Fernsehstationen in den gesamten USA weiterverbreitet. „Verbrechen gegen alte Menschen" waren typische Verbrechen mit typischen Opfern, typischen Tätern und typischen Begleitumständen. Die Täter von Raub, Mord und Vergewaltigung an alten Menschen waren in der Regel farbige junge Leute mit vielen Vorstrafen. Sie entstammten Gettogebieten in der Nähe von Wohnenklaven für ältere weiße Menschen, den typischen Opfern, die aus verschiedenen Gründen, zumeist Armut, die Innenstadt von New York City nicht verlassen hatten und die nicht in die Vorstädte umgezogen waren. Die Journalisten benutzten das Konzept „Verbrechen gegen alte Menschen" gleichsam wie ein Drehbuch, und während der Monate November und Dezember 1976 berichteten sie über einen brutalen Vorfall nach dem anderen.

2. Die mangelnde Tatsachengrundlage der Medienkriminalitätswelle Die Medienkriminalitätswelle entbehrte jeder Tatsachengrundlage. Die Kriminalstatistik der New Yorker Polizei wies für den Zeitraum November/ Dezember 1976 keinen Anstieg der Kriminalität gegen alte Menschen aus. Tatsächlich zeigte die Statistik für die Straftat „Mord an alten Menschen" sogar einen Rückgang von 19 % gegenüber dem Vorjahr. 2 8 % der Kriminalitätsnachrichten bezogen sich auf Mord an alten Menschen, während in der New Yorker Polizeilichen Kriminalstatistik Mord an alten Menschen mit weniger als 1 % verzeichnet ist. Die Straftaten gegen alte Menschen unterschieden sich in nichts vom Kriminalitätstrend für die Gesamtbevölkerung (Fishman 1978). Obwohl die Medienkriminalitätswellen keinerlei Basis in der Wirklichkeit haben, lösen sie trotzdem eine Interaktion zwischen veröffentlichter Meinung und

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Massenmedien öffentlicher Meinung aus. Meinungsumfragen in den USA im Mai 1977 förderten bei 6 0 % der Befragten die Ansicht zutage, daß die Verbrechen gegen alte Menschen zahlenmäßig zugenommen hätten. 5 0 % der Befragten über 50 Jahre äußerten die Befürchtung, auf der Straße nicht mehr so sicher wie noch ein Jahr zuvor zu sein (Fishman 1978). Sobald die Massenmedien ein Verbrechensthema für ihre Berichterstattung „erfunden" haben, berichten sie auch über die Reaktionen, die sie selbst hervorgerufen haben. In diesem Sinne „schaffen" sich die Medien ihre Kriminalitätsnachrichten selbst. Veröffentlichte Meinung und öffentliche Meinung üben einen gegenseitigen Einfluß aus; sie interagieren ständig. Die Massenmedien spiegeln nicht nur den sozialen Prozeß, über den sie berichten. Sie greifen vielmehr selbst in den Sozialprozeß ein, indem sie Reaktionen auf ihre Nachrichten erzeugen und darüber berichten. Reformvorschläge für das Strafrechtssystem werden gemacht. Anfragen und Debatten stehen auf der parlamentarischen Tagesordnung. Neue Polizeiprogramme werden verwirklicht und Bürgerversammlungen abgehalten. Die offiziellen Reaktionen lassen die „Kriminalitätswelle" noch glaubhafter erscheinen, als sie es auf der Grundlage der Medienberichte schon war. Durch selektive Berichterstattung lenken die Massenmedien das soziale Bewußtsein. Was nicht in den Massenmedien thematisiert worden ist, ist nicht im öffentlichen Bewußtsein. Die Massenmedien richten die soziale Sichtbarkeit des Verbrechens nach ihren massenmedialen Bedürfnissen, indessen nicht nach den Ergebnissen der kriminologischen Forschung und auch nicht nach den Erfordernissen der Sozialkontrolle.

3. Negative Folgen der Medienkriminalitätswelle Wenn die Medienkriminalitätswellen auch nur in der Vorstellung von Kommunikatoren und Rezipienten der Massenmedien existieren, so haben sie doch Auswirkungen. Die imaginative, auf Einbildungskraft beruhende Interaktion zwischen veröffentlichter Meinung und öffentlicher Meinung hat Folgen für die soziale Wirklichkeit, für die Kriminaljustiz und sogar in der Strafgesetzgebung. Dies wurde ebenfalls während der Medienkriminalitätswelle Ende 1976 in New York City deutlich. Das Jugendgerichtssystem wurde kritisiert. Jugendgerichte und der Jugendstrafvollzug galten als zu mild und zu nachsichtig. Unter dem Eindruck der öffentlichen Meinung änderten Jugendgerichte und Jugendstrafanstalten ihre Praxis: Sie verhängten härtere Urteile und vollzogen die Verurteilungen unnachsichtiger. Dem Parlament des Staates New York unterbreitete man Gesetzesentwürfe mit dem Ziel einer Verschärfung der Strafvorschriften für

jugendliche Straftäter mit zahlreichen Vorstrafen, die ein Verbrechen gegen einen alten Menschen begangen hatten (Fishman 1978).

4. Die Gründe für die Medienkriminalitätswelle Der Grund für die Erfindung von Medienkriminalitätswellen erscheint zunächst simpel. Journalisten gehen an die Fülle der Kriminalitätsnachrichten mit bestimmten Themenvorschlägen heran. Das Nachrichtenthema wird für eine bestimmte Zeit das Auswahlkriterium und das einigende Konzept, um das herum sich Einzelnachrichten reihen, die im allgemeinen nur dann berichtet werden, wenn sie einem wirklichen oder angenommenen, beginnenden oder bereits laufenden Trend in der Kriminalität oder Sozialkontrolle entsprechen. „Medienkriminalitätswellen" beruhen auf der Interaktion zwischen Nachrichtenorganisationen. Auf der Suche nach der „Kriminalitätsnachricht des Tages" tun alle Mitarbeiter dasselbe: Sie hören, lesen und sehen sich gegenseitig, sie nutzen dieselben Informationsquellen: Meldungen der Nachrichtenagenturen, Presseverlautbarungen und Presseberichte der Polizei. Die Pressebüros der Kriminalpolizei sind an dem Hervorrufen von Medienkriminalitätswellen insofern beteiligt, als sie die Massenmedien mit jenen Kriminalitätsnachrichten versorgen, die sie für die Öffentlichkeit als interessant und daher für massenmediale Verbreitung als geeignet ansehen. Medienkriminalitätswellen werden von den Rezipienten indessen so willig angenommen, weil sie diffuse nationale Ängste und persönliche emotionale Befürchtungen kanalisieren und konkretisieren, die auf negativen sozialstrukturellen Entwicklungen, z. B. Wirtschaftskrise. Arbeitslosigkeit, beruhen. Politiker und Massenmedien vermeiden es, diese negativen sozialstrukturellen Entwicklungen mit der Bevölkerung zusammen sozial angemessen zu verarbeiten. Die sozialstrukturell verursachten sozialen Probleme werden gesellschaftlich verdrängt, indem sie auf soziale Minderheiten gerichtet und an ihnen stellvertretend abreagiert werden.

C. Die theoretischen Grundlagen der Interaktion zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung über Kriminalität Die Interaktion zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung findet ihre Grundlage in der historisch gewordenen Wirtschafts- und Sozialstruktur einer Gesellschaft und in deren Entwicklung. Die These, daß die Mediendarstellung von Kriminalität und Kriminaljustiz Konsequenzen in der sozialen und persönlichen Realität hat, gründet sich im Rahmen des sozialstrukturellen Ansatzes auf die Theorie sozialen Lernens (Albert Bandura

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1977). Nach dieser Theorie wird Verhalten nicht nur durch Erfolg gelernt, sondern auch durch die Beobachtung von Modellen, durch „stellvertretende" Erfahrung. Menschen schaffen durch ihr Verhalten soziale Bedingungen, die wiederum ihr Verhalten beeinflussen. Menschen lernen nicht nur Verhaltensweisen, sondern auch Einstellungen und Rechtfertigungen ihres Verhaltens aus sozialen Werthaltungen, Stereotypen, sozialen Vorurteilen. Vor allem lernen sie in Selbstbekräftigungsprozessen, wobei der Maßstab für die Selbstbelohnung oder Selbstbestrafung wiederum aus sozialen oder subkulturellen Normen, Leitbildern oder Rollenerwartungen herrühren kann. Sie folgen Wertvorstellungen und Verhaltensstilen, weil sie annehmen, daß die Mehrheit der Bevölkerung sie für richtig hält. Die Massenmedien richten sich nach solchen Wertvorstellungen der öffentlichen Meinung, in die sie eingreifen, indem sie sie bilden und formen. Die Massenmedien formen und verformen soziales Verhalten. Die Annahme, daß die beständige Interaktion zwischen veröffentlichter Meinung und öffentlicher Meinung Folgen in der sozialen und persönlichen Realität hat, kann ferner auf die Theorie der symbolischen Interaktion zurückgeführt werden (George Herbert Mead 1976; Herbert Blumer 1972), die eine Weiterentwicklung und prozeßhafte Ergänzung der sozialen Lerntheorie darstellt. In der Interaktion zwischen Massenmedien und öffentlicher Meinung kommt es darauf an, welche Bedeutung die Massenmedien dem sozialabweichenden und kriminellen Verhalten geben, wie sie es interpretieren. Denn sie beeinflussen letztlich die gesellschaftlichen Stereotype, die dann wieder als Interpretation in die Interaktion zwischen den Menschen eingehen. Die Massenmedien verfremden der Gesellschaft das Phänomen Kriminalität. Die Menschen haben Bilder über Kriminalität und Kriminelle in ihren Köpfen, die der kriminellen Wirklichkeit, der realen Kriminalitätsstruktur, die von Wirtschafts- und Sozialstruktur abhängt, nicht entsprechen. Solche Bilder entstehen durch Vorurteile, durch Vorstellungsklischees, die die Massenmedien hervorrufen und die die Menschen glauben, weil sie keine Erfahrung mit den dargestellten Kapitalverbrechen haben. Die Distanzreaktion der Massenmedien, ihr „In-die-Ferne-Rücken" der Kriminalität, ihre Betrachtung des Kriminellen als „Bösewicht", trägt dazu bei, daß sich die Fremd- und die Selbstdefinition des Rechtsbrechers ändern und daß sein Ausstoßungsprozeß aus der Gesellschaft verstärkt und beschleunigt wird. Der Rechtsbrecher nimmt das Bild an, von dem er annimmt, daß die Gesellschaft es von ihm hat. Das konstruierte Bild über Kriminalität und Kriminaljustiz gibt den Maßstab an, nach dem kriminelle Situationen in der Gesellschaft alltäglich definiert und Einstellungen gegenüber Kriminellen und gegenüber der Kriminaljustiz und der Wirksamkeit der Sozialkontrolle

entwickelt werden. Konstruierte Wirklichkeit wird in unseren Köpfen zur Wirklichkeit schlechthin, weil wir ihr glauben und unser Verhalten nach ihr ausrichten.

D. Analyse der Arbeitsweise der Kommunikatoren bei der Kriminalitätsberichterstattiing U m auf der Basis der Wirtschafts- und Sozialstruktur die Interaktion von veröffentlichter und öffentlicher Meinung und ihre Wirkungen auf die Realität zu erkennen, hat man den gesamten Massenkommunikationsprozeß, die Arbeitsweise der Kommunikatoren, den Inhalt der Mediendarstellung von Verbrechen und Kriminaljustiz, die Einstellung der Rezipienten zu Kriminalität und deren Kontrolle und die Wirkungen der Massenmediendarstellung auf die subjektive und objektive Sicherheitslage, insbesondere auf die Kriminalpolitik, untersucht. Die Ergebnisse der empirisch-kriminologischen Forschung werden hierbei theoretisch in ein zweistufiges, prozeßhaftes, symmetrisches Modell eingeordnet, das die Annahme postuliert, daß zwischen Ursache und Wirkung Interaktion und Ähnlichkeit bestehen, die sich über die Bildung von Normen und Leitbildern in negativen Verhaltensweisen und psychischen und sozialen Zuständen auswirken, weil sich die Interaktion von der sozialen Wirklichkeit abhebt. In den Jahren 1982 und 1983 haben Richard V. Ericson, Patricia M. Baranek und Janet Β. L. Chan (1987) die Arbeitsweise von Journalisten und Herausgebern der zwei führenden Tageszeitungen Torontos („Globe" und „Mail") und der Fernsehstation der „Canadian Broadcasting Corporation" in Toronto mit der Beobachtungs- und Interviewmethode untersucht. Sie kamen hierbei zu folgenden Ergebnissen: — Kriminalitätsnachrichten beruhen weniger auf tatsächlichen Geschehnissen als auf Konstruktionen der medialen Nachrichtenorganisationen und deren Quellenorganisationen, ζ. B. der Polizeipressestellen. Journalisten verbünden sich mit ihren Quellenorganisationen, die wiederum eine Reporterfunktion für die Medien erfüllen. — Interpretative Arbeit ist notwendig. Nachrichten liegen nicht einfach herum und warten darauf, aufgelesen und in Wissen verwandelt zu werden. Da Wissen Interpretation im Zusammenhang bedeutet, ist es Teil der Arbeit des Journalisten, bürokratische Informationsquellen in verständlicher Form zu interpretieren. Seine Aufgabe ist also die Nachrichtentransformation. Nachrichten sind keine wirklichkeitsgetreue Darstellung der Realität, sondern ein soziales und kulturelles Konstrukt der Journalisten und ihrer Quellen.

Massenmedien — Als Fiktion haben Nachrichten die Macht, bestimmte Versionen der Wirklichkeit als akzeptiertes Wissen zu verbreiten. Journalisten sind also nicht nur Makler von Informationen, Nachrichten nicht nur Aufzeichnungen menschlichen Handelns, sondern Journalisten sind aktive Former des organisierten Lebens, und Nachrichten kontrollieren menschliche Aktivität. Macht bedeutet in der modernen Gesellschaft nicht nur, spezialisiertes Wissen zu besitzen (Wissenschaft), sondern auch in einer Position zu stehen, in der spezialisiertes Wissen in allgemeines Wissen umgesetzt wird (Journalismus). — Journalisten reflektieren als Informationselite die eigene Branche in hohem Maße. Sie haben nur begrenzte Möglichkeiten der tatsächlichen Beobachtung von Ereignissen, über die sie berichten. Sogar wenn diese Möglichkeit gegeben ist — etwa bei Strafprozessen, Pressekonferenzen und Demonstrationen —, recherchieren Journalisten kaum selbst. Sie fragen auch kaum nach, sondern sie reproduzieren vorstrukturierte Darstellungen, Dokumentationsmaterial, das bereits speziell für seine Aufgabe der Repräsentation in der Öffentlichkeit hergestellt worden ist. Journalisten sind zumeist Reproduzenten von bereits mehrfach reproduziertem Material. Unmittelbare Beobachtung und die Recherche von Originaldokumenten spielen in der Praxis keine große Rolle, wohl aber im populären Mythos vom Journalismus.

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Journalismus hervorgerufen, journalistische Tätigkeit bestehe im wesentlich aus umfassender Recherche und gründlicher Untersuchung, die eine Vielzahl von Quellen und Methoden bei der Feststellung der Wahrheit nutzt. In Wirklichkeit ist journalistische Arbeit weit entfernt von der Erfassung der Wirklichkeit. — Die Bürger sind gegenüber den Nachrichten relativ skeptisch. Untersuchungen deuten darauf hin, daß viele Rezipienten der Auffassung sind, die Nachrichten dienten bestimmten organisatorischen oder individuellen Interessen und ermangelten jener Werte, die der Journalismus als Handwerk aufrechtzuerhalten vorgebe. Vielleicht betrachten die Rezipienten die Nachrichten bereits wirklich mit jener gesunden Skepsis, die sie verdienen. Trotz ihrer Skepsis konsumieren die Bürger Nachrichten. Die Erklärung hierfür besteht darin, daß der Journalismus die Perspektiven und Werte der politisch Mächtigen reproduziert und daß der Bürger über diese Perspektiven und Werte informiert werden will, obgleich er weiß, daß Nachrichten interpretativ, spekulativ, selektiv, verzerrend und teilinformierend sind.

— Journalisten sind zentrale Handlungsträger in der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit von Kriminalität und ihrer Kontrolle. Sie definieren Grenzen der sozialen Konformität und die Konturen der sozialen Ordnung, artikulieren die Standards akzeptablen Verhaltens, von Stabilität und Wandel, von Ordnung und Krisen. In der Position einer Sozialabweichung definierenden Elite besteht ein wesentlicher Teil ihrer Macht darin, andere Devianz definierenden Eliten (Polizei, Kriminaljustiz, Strafvollzug, Kriminologie) entweder zu unterstützen oder zu unterminieren. Nur bestimmte Organisationen und Personen erhalten ständig die Möglichkeit zu sagen, was gut und was schlecht ist und welche Maßnahmen zur erstrebten Kontrolle angemessen sind.

— Der Produzent der subjektiven Sicherheitslage nimmt die Welt der kriminellen Wirklichkeit nur durch die Augen einer bestehenden Autoritätsstruktur wahr, die sich zwar auf die geschichtlich gewordene Wirtschafts- und Sozialstruktur gründet, diese aber nur insofern reflektiert, als ihre Interpretation der kriminellen Wirklichkeit übernommen und diskutiert wird. Bürger, die nicht Mitglieder der Informationselite sind, können Kriminalität und ihre Kontrolle nur als „Zuschauersport" wahrnehmen. Ihnen bleiben allein die symbolischen Spektakel, die ihnen zumindest sagen, worüber sie nachdenken sollen, wenn nicht auch, was sie denken sollen. Wie beim Sport oder im Theater kann die Befriedigung des Zuschauers bei der Darstellung von Kriminalität und ihrer Kontrolle ausschließlich im Amüsement bestehen. Es werden Symbole — etwa die Nachricht als Theater — eingesetzt, um der Bevölkerung ein beständiges Vergnügen zu bereiten und sie von ihren eigenen Ängsten und Problemen abzulenken.

— Die Nachrichtenmedien sind Instanzen der informellen Sozialkontrolle. Im Umgang mit den Quellenbürokratien, durch die und über die sie berichten und die sie kontrollieren, müssen sich Journalisten öffentlich in der „Als-ob"-Welt der untadeligen Arbeitsweise bewegen, um ihre Legitimität zu sichern. Sie bringen in das öffentliche Bewußtsein die Fiktion ein, ihre Arbeitsmethode sei das, was sie zu sein vorgibt. Objektivität, Fairneß und Ausgewogenheit gelten in der öffentlichen Meinung als Legitimationen journalistischen Handelns. Es wird der Mythos des

Wenn auch die Analyse von Ericson, Baranek und Chan sehr eigenwillig und nicht immer empirisch ausreichend begründet ist, so deckt sie die Mängel im Kommunikationsprozeß bei den Kommunikatoren dennoch mit erstaunlicher Klarheit auf. Ihre Analyse kann diese Mängel der Öffentlichkeit bewußt machen. Ohne eine solche Medienkritik ist die Kontrolle der Kontrolleure (der Massenmedien) nicht möglich. Freilich ist die Kriminologie ebenso wie die Kommunikationswissenschaft in ihrem gesellschaftlichen Status zu schwach, um

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eine solche Kontrolle der Kontrolleure wirksam ausüben zu können. Sie bedürfte der selbstkritischen Mitarbeit der Massenmedien, die diese der medienkritischen Wissenschaft immer noch verweigern. Deshalb empfiehlt sich die Institutionalisierung der Medienkritik in einem Medienrat von kompetenten, unabhängigen Wissenschaftlern, der beratende und bewertende Funktionen haben und politisch mit der notwendigen Definitionsmacht ausgestattet sein sollte.

E. Die Mediendarstellung von Verbrechen und Kriminaljustiz (Inhaltsanalyse) In zahlreichen Inhaltsanalysen sind TV-Nachrichten (Bob Roshier 1973; Steve Chibnall 1977; Joseph R. Dominick 1973, 1978; Drew Humphries 1981; Sanford Sherizen 1978), Berichte, Dokumentationen, Magazinbeiträge, Fahndungs- und Unterhaltungssendungen im Fernsehen (Hans Joachim Schneider 1977, 1979a, 1979b, 1980, 1981, 1982, 1987; Maria Helene Stein-Hilbers 1976; Werner Jubelius 1981; John A . Pandiani 1978), seriöse und Boulevardzeitungen, insbesondere auch Karikaturen, Comics und die Gerichtsberichterstattung, auf Art und Inhalt ihrer Kriminalitätsdarstellung untersucht worden. Die Unterhaltungssendungen über Kriminalität im Fernsehen (Kriminalfernsehspiele, Western) haben die größte Bedeutung, da sie zu guten Sendezeiten mit hoher Einschaltquote ausgestrahlt werden und da sie gegenüber den Informationssendungen über Kriminalität im Fernsehen schon rein zahlenmäßig ein starkes Übergewicht haben. Sie sprechen darüber hinaus Hören und Sehen in gleicher Weise intensiv an. Sie entfernen sich in ihrem Inhalt völlig von der kriminellen Wirklichkeit. Kriminalitätsnachrichten und -dokumentationen vermögen die Kriminalitätsdarstellung der Unterhaltungssendungen im Sinne einer größeren Realitätsnähe nicht zu berichtigen. Dokumentarberichte werden hauptsächlich in Minderheitsprogrammen gesendet. Sie werden zu schlechten Sendezeiten mit niedriger Einschaltquote (spät abends) oder in lokalen Fernsehprogrammen ausgestrahlt und sind in ihrer ganzen Aufmachung (Sprache, abstrakte Darstellung) meist auf ein akademisch ausgebildetes Publikum ausgerichtet. Außerdem versuchen sie nur selten, die Kriminalität als etwas Normales, Alltägliches verständlich zu machen (Nahperspektive), das sich aus sozialen und zwischenmenschlichen Konflikten erklärt. Die Dokumentationen wenden vielmehr sehr oft das Prinzip der Unterhaltung an: Sie bemühen sich nämlich darum, die Kriminalität als etwas außergewöhnlich Interessantes zu gestalten, und stellen insofern nicht selten eine Ergänzung, Bestätigung und Erweiterung der Kriminalitätsunterhaltung dar (Fernperspektive). Dasselbe gilt für Fernsehnachrichten und für die Kriminalitätsberichterstattung in seriö-

sen Zeitungen, die sich nur in der Form, nicht aber im Inhalt ihrer Kriminalitätsdarstellung von den Fernsehunterhaltungssendungen und den Boulevardblättern unterscheiden. Da Kriminalberichte und -fernsehspiele in bunter Folge auf dem Bildschirm erscheinen und da sich die Kriminalfernsehspiele nicht selten den Anschein der Realität geben, ist es für den durchschnittlich ausgebildeten Rezipienten fast unmöglich, zu unterscheiden, ob es um Fakten oder Fiktion geht, zumal die Fakten durch die Eigenart ihrer Darstellung interpretiert werden und zumal sich die Inhalte der Kriminalitätsunterhaltung und -berichterstattung deshalb weitgehend decken und ergänzen. Aus den Inhaltsanalysen ergibt sich — zusammenfassend — ein ziemlich einheitliches Kriminalitätsbild, das die Massenmedien mit erstaunlicher Beständigkeit verbreiten und nur unzulänglich berichtigen: — Medienkriminalität ist nahezu ausschließlich Gewaltkriminalität unter Fremden, obwohl Gewaltkriminalität in den Industriegesellschaften nur einen kleinen Teil der Straftaten ausmacht. Gewaltanwendung in der Familie, zwischen Verwandten, Freunden, Nachbarn und Bekannten wird nicht gezeigt, obgleich sie einen großen Teil der Gewaltkriminalität bildet. Es wird auch nicht veranschaulicht, daß Gewaltdelikte, z . B . kriminelle Tötungen, in Wechselwirkungsprozessen zwischen Täter und Opfer entstehen, die sich häufig kennen und die in vielen Fällen eine mehr oder weniger tiefe gefühlsmäßige Beziehung miteinander verbindet. Die Gewalt wird verschönt, ästhetisch dargestellt. Die schädlichen Folgen der Gewaltanwendung kommen nicht ins Bild. Die viel häufigeren Straßenverkehrs·, Vermögens- und Wirtschaftsstraftaten sind in den Massenmedien ein untergeordnetes Thema. — In den Massenmedien konzentriert sich die Kriminalitätsdarstellung auf die Tatausführung und -aufklärung. Sie ist auf Ereignisse, z. B. die äußere Form der Tatbegehung, die Anklageerhebung, die Verurteilung gerichtet. Die Verbrechensentstehung vor der Tatbegehung und die weitere Entwicklung des Täters und des Opfers nach der Verurteilung des Angeklagten werden kaum thematisiert. Die kriminellen Ereignisse werden aus der Sicht der Ermittler, also im wesentlichen der Kriminalpolizei, geschildert. Persönliche und soziale Hintergründe der Ermittler werden allerdings kaum abgebildet. Vorgänge im Strafverfahren oder im Strafvollzug sind in der Kriminalitätsunterhaltung kein Thema; sie werden in der Kriminalitätsberichterstattung selten aufgegriffen. — In der „Medienwelt der Kriminalität" ist der Täter unfair, unsympathisch, rücksichtslos und egoistisch. Er ist häufig vorbestraft und geht bei seinen Straftaten planvoll vor. Seine Motive

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Massenmedien bleiben im dunkeln oder sind als bloße Habgier und Rachsucht oberflächlicher Natur. Die tieferen sozialstrukturellen und zwischenmenschlichen Ursachen der Rechtsbrüche kommen nicht ins Bild. Auf die Persönlichkeitsentwicklung und die kriminelle Karriere des Täters wird nicht differenziert genug eingegangen. Über seine Herkunft, die soziale Schicht seiner Eltern, die Wohnverhältnisse in seinem Elternhaus oder seine Schulleistungen werden keine Angaben gemacht. — In der „Medienwelt der Kriminalität" ist das Verbrechensopfer ahnungslos und wird von der Straftat völlig überrascht. Das Delikt — regelmäßig ein schweres Gewaltverbrechen — entwickelt sich in keinem Wechselwirkungsprozeß zwischen Täter und Opfer, die einander nicht kennen und keine Beziehung zueinander haben. Das Opfer gefährdet sich niemals selbst; es begibt sich in keine viktimogenen Situationen, in denen es leicht Opfer einer Straftat werden kann. Es ist passiv und provoziert den Täter fast nie. Es ist völlig schuldlos, an der Tat unbeteiligt, hilflos und dem Täter vollkommen ausgeliefert. Im Gegensatz zum Täter ist es sympathisch und sozial nützlich, so daß der Rezipient ihm gegenüber Sympathie empfinden kann. Gleichwohl wird es in seiner Persönlichkeit als farbund gesichtslos geschildert, sein sozialer Hintergrund vernachlässigt. Wenn es einen Schaden durch die Straftat erleidet, ist dies fast immer der Tod. Soziale und psychische Opferschäden werden in den Massenmedien nicht sichtbar gemacht, weshalb sie in der Bevölkerung so gut wie unbekannt sind und sich als kein ernsthaftes Problem darstellen. — In der „Medienwelt der Kriminalität" wird die Verbrechenskontrolle fast ausschließlich durch die formelle Sozialkontrolle der Polizei, der Gerichte und des Strafvollzugs ausgeübt. Verglichen mit den Ermittlern, den Privatdetektiven und Kriminalkommissaren, werden Richter, Staatsanwälte und Strafanstalten allerdings selten gezeigt. Auf jeden Fall hat die informelle Sozialkontrolle durch Familie, Schule, Berufsund Freizeitgruppe keine Funktion. Ebenso wie die gesellschaftliche Verursachung bei der Entstehung des Verbrechens wird auch die soziale Mitverantwortung für die Verbrechensverhütung nicht thematisiert. Kriminalitätsbekämpfung ist immer repressive Spezialistentätigkeit, die als äußerst erfolgreich geschildert wird. Die dargestellten Verbrechen werden fast alle aufgeklärt. Da der Medienrezipient über das große Dunkelfeld der verborgen gebliebenen, nicht angezeigten Kriminalität und über die niedrige Aufklärungsquote ermittelter Täter von Eigentumsdelikten im unklaren gelassen wird, wiegt er sich in einer trügerischen Scheinsicherheit. Die Medien versäumen es, ihren Rezipienten

deutlich zu machen, daß die formelle Sozialkontrolle, z. B. die Polizei, nur dann erfolgreich arbeiten kann, wenn die informelle Sozialkontrolle, z.B. die Familie, die Nachbarschaft, grundsätzlich intakt ist und ungestört funktioniert. Weder im persönlichen noch im sozialen Bereich gehen die Massenmedien in ausreichendem Maße auf die Verbrechensursachen ein. Sie analysieren weder die Entwicklung des Verbrechens im Einzelfall noch der Kriminalität als ein soziales Massenphänomen. In der Mediendarstellung wird das kriminelle Ereignis aus seinem sozialen und zwischenmenschlichen Zusammenhang herausgelöst und in konstruierte und der Realität entfremdete Vorstellungsabläufe eingepaßt. Durch dieses „In-die-Ferne-Rücken" wird Kriminalität in gleicher Weise dramatisch, spannend und sensationell wie unrealistisch und unverständlich (G. Peter Hoefnagels 1973, 1 6 - 4 2 ) .

F. Einige Erscheinungsformen medialer Kriminalitätsdarstelhing Die Kriminalitätsdarstellung der Fernsehnachrichten, der Fahndungssendungen im Fernsehen, der seriösen Zeitungen, der Fernsehberichterstattung über Terrorismus und über Bankraub mit Geiselnahme weicht inhaltlich nur wenig von dem skizzierten allgemeinen Kriminalitätsbild der Massenmedien ab, das von der Fernsehunterhaltung mit Kriminalität wesentlich geprägt wird.

1. Fernsehnachrichten

über

Kriminalität

Fernsehnachrichten haben eine hohe Einschaltquote und eine hohe Glaubwürdigkeit. Durch Auswahl und Plazierung der Nachrichten tragen sie zur Meinungsbildung bei. Die Fernsehnachrichten „Tagesschau" (1. Fernsehprogramm der Bundesrepublik Deutschland) und „Heute" (2. Fernsehprogramm) konzentrieren sich in ihrer Kriminalitätsberichterstattung auf das äußere Tatgeschehen spektakulärer Gewaltdelikte, die häufig politischen Bezug haben (z.B. Terrorismus), und auf ihre unmittelbaren Reaktionen: Ermittlung, Fahndung, Festnahme, Verhaftung, Verurteilung, Auslieferung, Abschiebung, Ausweisung. Verbrechensmeldungen, die den Zweck des „Danachrichtens" verfolgen sollen, sind meistens nur Schlaglichter, die die Hintergründe nicht beleuchten und keinen besseren Verständniskontext liefern, obwohl es die Fernsehprogramme „Tagesthemen" (1. Fernsehprogramm) und „Heute-Journal" (2. Fernsehprogramm) gibt, die speziell Hintergrundinformationen liefern sollen (Rita Höing 1983; siehe auch Dorris A. Graber 1980).

308 2. Fernsehfahndung

Massenmedien als

Unterhaltung

Im Zweiten Deutschen Fernsehen gibt es eine Fernsehserie („Aktenzeichen XY ungelöst"), die schon seit mehr als zwanzig Jahren läuft, die beim Publikum und bei der Kriminalpolizei populär ist, und die aus der Fahndung nach Straftätern eine Unterhaltung macht. Die Bevölkerung wird zur Mitfahndung aufgerufen. Diese Fernsehserie wird auch in Österreich und der Schweiz ausgestrahlt. Sie fahndet nicht nur nach Unbekannten, sondern leistet auch Aufklärungshilfe. In diesem Zusammenhang werden Bilder und Namen von Personen veröffentlicht, die mit Verbrechen, meist Gewaltverbrechen, in Zusammenhang gebracht werden, ohne daß diese Personen in einem Strafverfahren verurteilt worden wären (Verletzung der Unschuldvermutung). Trotz ihrer hohen Popularität ist diese Fernsehserie problematisch. Das Fernsehen ist keine Ermittlungsbehörde. Durch die Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei hält man die Sendung für ein „Sprachrohr der Polizei", ihr scheinbar offizieller Charakter verstärkt bei den Rezipienten den Eindruck, daß Gewaltdelikte weit verbreitet sind und die Aufklärungsarbeit der Kriminalpolizei die wichtigste Aufgabe der Verbrechenskontrolle bildet. Es ist indessen eines der bedeutsamsten Forschungsergebnisse der Kriminologie, daß der informellen Sozialkontrolle durch die sozialen Gruppen, z. B. durch Familie und Nachbarschaft, eine mindestens ebensogroße Bedeutung zukommt wie der formellen Kriminalitätskontrolle durch das Kriminaljustizsystem. Die Fernsehserie („Aktenzeichen XY ungelöst") kann den Ablauf späterer Gerichtsverhandlungen stören, weil Richter, insbesondere Laienrichter, durch die Fernsehdarstellung dem Angeklagten gegenüber negativ beeinflußt werden (J. Edward Gerald 1983). Sie kann die Wiedereingliederung von Straftätern erschweren, die in dieser populären Fernsehsendung gesucht und deshalb als Rechtsbrecher bei einem großen Zuschauerkreis stigmatisiert worden sind. Die Fernsehserie, die von einem freien Mitarbeiter des „Zweiten Deutschen Fernsehens" gestaltet wird, an der aber die Kriminalpolizei aktiv mitarbeitet, bietet keinerlei kriminologische Analysen im Einzelfall oder über die Kriminalitätsentwicklung in der Gesellschaft (Friedrich Geerds 1979; Konrad Schima o. J.; Martin Killias 1982, 24).

3. Vergleich der Kriminalitätsdarstellung in einer Boulevard- und einer seriösen Zeitung Bei einem Vergleich der Kriminalitätsdarstellung der „Bild-Zeitung", der größten Boulevardzeitung der Bundesrepublik, mit der der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der angesehensten seriösen Zeitung der Bundesrepublik, ergab sich (Bettina Schwacke 1983), daß sich die Kriminalitätsdarstel-

lung der beiden Zeitungen nur in ihrer Form, nicht aber in ihrem Inhalt unterscheidet. Im Mittelpunkt der Kriminalitätsberichterstattung stehen Ausführung, Aufklärung und Sanktionierung der Tat. Eine an Äußerlichkeiten haftende Kriminalfallbeschreibung beherrscht das Kriminalitätsbild beider Zeitungen. Übereinstimmend wird die Verbrechensthematik verkürzt dargestellt, indem auf die kriminologischen und strafrechtlichen Probleme des Straftäters, des Verbrechensopfers und der formellen Sozialkontrolle, der Polizei, der Gerichte, des Strafvollzugs, in beiden Zeitungen fast überhaupt nicht eingegangen wird und indem jede Analyse der Verbrechensverursachung, der Täter- und Opferpersönlichkeit und der strafrechtlichen Reaktion durch die Gerichte und den Strafvollzug unterbleibt. Dieses Ergebnis überrascht, weil allgemein angenommen wird, daß seriöse Zeitungen ihren Lesern Kriminalitätsanalysen bieten. Die Kriminalitätsdarstellung unterscheidet sich nur insofern, als die „Bild-Zeitung" ihre Kriminalitätsberichte sensationell und dramatisierend aufmacht und an das Gefühl ihrer Leser appelliert, während die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" sachlich-nüchtern, zurückhaltend und ruhig über Straftaten berichtet, denen sie kein so großes Gewicht wie die „BildZeitung" beimißt.

4.

Medienberichterstattung über Terrorismus

Die Terrorismus-Berichterstattung zeigt, daß die Massenmedien wenig zum Verständnis und zur Kontrolle dieses Phänomens beitragen, sondern daß sie — ungewollt — den Terrorismus fördern (Robert H. Kupperman 1985, 190; Grant Wardlow 1984, 76—86). Ohne die Medienberichterstattung wären die Terroristen ziemlich hilflos. Denn sie wollen durch die mögliche schädigende Einwirkung auf ihre unmittelbaren Opfer, z . B . die Passagiere eines entführten Flugzeugs, eine Zielgruppe, z. B. eine Regierung (ihr mittelbares oder eigentliches Opfer), treffen, die sie zu Handlungen zwingen wollen, die in ihrem Interesse liegen und die sie durchsetzen möchten. Hierbei möchten sie die Regierung als hilflos und brutal erscheinen lassen, um das demokratische Vertrauen in das soziale System zu erschüttern. Durch die Mediendarstellung über einen gerade ablaufenden terroristischen Akt berichten die Medien über diesen Akt nicht nur, sondern sie greifen — ungewollt — in ihn aktiv zugunsten der Terroristen ein. Sie stellen nämlich die Beziehung zwischen den Terroristen und ihrem eigentlichen Opfer, z. B. der Regierung, her; sie machen damit Terroristen und Regierung zu gleichberechtigten Partnern und ziehen das Weltpublikum nicht nur als Zuschauer, sondern auch als Schiedsrichter in den terroristischen Akt mit hinein. Die Terroristen versuchen, die Weltmeinung und

Massenmedien die öffentliche Meinung in dem Land durch die Massenmedien in ihrem Sinne zu beeinflussen, dessen Regierung sie treffen möchten. Durch das Fernsehen wird Terrorismus zum Theater. Die Nordamerikaner haben ebenso wie die Westeuropäer einen unstillbaren Hunger nach Neuem und Bizarrem. Sie verleihen einer Handlung, die sonst nur ein Beispiel krimineller Barbarei wäre, enorme politische Bedeutung. Der Terrorist nutzt die Medien, wie keine demokratische Regierung dies kann. Häufig sind deshalb demokratische Regierungen wie gelähmt und unfähig, sich gegen ein relativ kleines kriminelles Element zur Wehr zu setzen. Keine Terroristengruppe ist ein ernsthafter Gegner für eine Polizeitruppe, die zur Terrorismusbekämpfung ausgebildet worden ist. Es ist der Medienwert, dessen sich der Terrorakt erfreut, der den Terroristen unvergleichbare Macht verleiht. Die Medien formen die öffentliche Meinung über Erfolg oder Versagen der terroristischen Operation und über die Kompetenz des Staates angesichts der terroristischen Drohung. Dieses Medienspektakel im Glanz der Scheinwerfer, das allein der Unterhaltung des Publikums dient, das die unmittelbaren Opfer, die Geiseln nämlich, zusätzlich gefährdet und die mittelbaren Opfer, die Regierungen, unter unnötigen Druck setzt, sollte dadurch vermieden werden, daß die Medien erst nach Abschluß des terroristischen Aktes über ihn berichten und daß sie mit ihrem Bericht eine Analyse über die sozialstrukturellen und zwischenmenschlichen Ursachen des Terrorismus verbinden. In diesem Falle würden sie wesentlich zur Kontrolle des Terrorismus beitragen und der Polizei ihre Arbeit nicht noch zusätzlich erschweren.

5. Medienberichterstattung über einen Bankraub mit Geiselnahme Eine ähnliche Situation wie bei der TerrorismusBerichterstattung entsteht, wenn in den Medien live über einen gerade ablaufenden Bankraub mit Geiselnahme und Flucht der Bankräuber berichtet wird. Das kann am Beispiel des Gladbecker Geiseldramas veranschaulicht werden: Mitte August 1988 überfielen zwei Straftäter in Gladbeck eine Bank. Nach Verhandlungen mit der Polizei erpreßten sie ein Fluchtfahrzeug. Zusammen mit einer Komplizin, die später zustieg, unternahmen sie eine rund eintausend Kilometer lange Irrfahrt durch die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen sowie die Niederlande, in deren Verlauf sie mehrmals das Fluchtfahrzeug wechselten und Geiseln austauschten. Unbehelligt hielten sie vor Gemüseläden und Tankstellen, beschafften sich Lebensmittel, kauften in einer Großstadt ein, telefonierten, aßen in einer Autobahnraststätte zu Abend und frühstückten in einem Großstadtcafe. In einem Pulk von zeitweise bis zu zwanzig bis

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fünfundzwanzig Fahrzeugen folgten ihnen Journalisten im Jagdfieber auf dem Fuße. Die beiden Rechtsbrecher zogen die Massenmedien systematisch in die Geschehnisse, in ihre Rechtsbrüche, mit hinein, indem sie vor laufenden Fernsehkameras aufsehenerregende Interviews gaben und sich als „Stars der Zeit" gebärdeten, die völlig in die Ganovenklischees hineinpaßten, die die Massenmedien verbreiten. Dreizehn Millionen Fernsehzuschauer verfolgten 54 Stunden lang die Flucht der beiden Straftäter und ihrer Komplizin live an ihren Geräten. In der Kölner Innenstadt parkten die Rechtsbrecher zwei Stunden, ohne daß die Polizei eingreifen konnte. Gut eine halbe Stunde lang konnten Hunderte von Schaulustigen das Fluchtauto in der Kölner Fußgängerzone umringen. Ihre Schußwaffen abwechselnd auf ihre Geiseln und das Publikum gerichtet, plauderten die Täter mit Journalisten, die ihnen und ihren Geiseln die Mikrophone vor den Mund hielten. Bei der Verfolgung des Fluchtwagens behinderten die Journalisten massiv die Polizeifahrzeuge. Die Täter konnten die Meldungen über den Stand ihrer Verfolgung zum Teil über Autoradio mithören. Das Gladbecker Geiseldrama, in dessen Verlauf zwei Menschen durch die Täter um ihr Leben kamen, macht deutlich, daß die Journalisten durch ihr Eingreifen in die Geschehnisse die kriminellen Situationen, die kriminelle Wirklichkeit von Grund auf verändern. Rechtsbrecher können bei den Massenmedien „Zuflucht" suchen und sich in ihren „Schutz" begeben. Es geht den Massenmedien nicht — weder bei der aktuellen Live-Berichterstattung noch im nachhinein — um Analyse der sozialstrukturellen und zwischenmenschlichen Ursachen der Kriminalität, sondern um Unterhaltung des Publikums, um Einzelheiten des Geschehens, das dramatisiert wird, und um die Strategie und Taktik des Polizeieinsatzes. Immer stehen die Ereignisse selbst und die Menschenjagd, also die hypothetische Frage, wie hätte man die Straftäter am besten fangen können, im Mittelpunkt. Durch eine solche verfehlte Kriminalitätsdarstellung tragen die Massenmedien zur Sozialkontrolle wenig bei. Denn sie vermitteln keinerlei Einsicht in die Ursachen der Geschehnisse, in die Fragen also z. B., wie die Täter zu einem solchen Verhalten kommen und warum sich Publikum, Polizisten und Journalisten in der Weise benehmen, wie sie sich verhalten. Durch ihre LiveBerichterstattung verändern die Massenmedien vielmehr die Situation: Schwere Rechtsbrüche mit Gefährdungen für Leib und Leben von Menschen werden zur Fernsehspielshow gemacht, an der dreizehn Millionen Laiensheriffs an ihren Fernsehgeräten teilnehmen. Die Medien werten Straftäter zu gleichberechtigten Partnern der Polizei auf; sie machen das Publikum zum Schiedsrichter. Dieses „gefährliche Spiel" (insbesondere für die Geiseln) mag zwar spannende Unterhaltung abgeben; zur adäquaten sozialen Verarbeitung der Kriminalität ist

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Massenmedien

es indessen denkbar ungeeignet. Das Argument, das teilweise in der seriösen Presse geäußert worden ist, letztendlich habe sich doch der Versuch der Straftäter, die Öffentlichkeit in ihrem Interesse zu beeinflussen, stets als vergeblich herausgestellt, überzeugt nicht. Denn das Verhalten der Straftäter und der Polizei verändert sich im Scheinwerferlicht einer Millionenöffentlichkeit: Die Straftäter werden zunehmend nervös und handeln irrational. Die Polizei scheut fast jedes Risiko, da in den Massenmedien und in der öffentlichen Diskussion Schuldzuweisungen eine große Rolle spielen. Kriminalität verträgt — zumal wenn sie gerade abläuft — Publizität nur in begrenztem Maße. Die Medienberichterstattung verursacht zwar den kriminellen Konflikt nicht, sie verschärft ihn aber, und sie trägt weder zu seiner Lösung noch zum gesellschaftlichen Bewußtwerden der Ursachen dieses Konfliktes bei. Ob die Polizei mit oder ohne Medieneinfluß Fehler gemacht hat, ist hierbei von geringerer Bedeutung.

6. Gründe für die verfehlte mediale Kriminalitätsdarstellung und ihre negativen Folgen Die Kommunikatoren der Massenmedien versuchen, Spannung und Unterhaltung dadurch zu erzielen, daß sie die Kriminalität als etwas Unerhörtes, Unverständliches, Unheimliches, Außergewöhnliches und Rätselhaftes schildern. Kriminalität wird ansprechend und verschönt dargestellt. Das kriminelle Ereignis ist skurril; es regt zum wohligen Gruseln an; es ermöglicht die moralische Selbstzufriedenheit, Anmaßung und Überheblichkeit des „Nichtkriminellen", der sich vom Straftäter abheben kann. Die Medien folgen in ihren Kriminalitätsdarstellungen immer noch einer überholten Kriminalitätstheorie, die im Rechtsbrecher einen Psychopathen, einen seelisch abnormen Menschen, sieht, der sich in seinem andersartigen Wesen vom „Normalmenschen" unterscheidet. In den Medien ist der Täter ein Monster, das H a ß und Verachtung verdient. Das Verbrechensopfer gehört zu den Unberührbaren, zu den Tabuisierten, mit deren wahrem Schicksal man sich besser nicht befaßt, die es eben stellvertretend für alle anderen getroffen hat, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, die vielleicht sogar unbewußt zu Verbrechensopfern werden wollten. Man kann nicht argumentieren, das falsche Verbrechensbild, das die Rezipienten durch die mediale Verbrechensdarstellung bekommen, könne leicht durch die tägliche Erfahrung, die Menschen mit Verbrechen machen, korrigiert werden. Man muß zugestehen, daß viele Menschen einmal oder sogar mehrmals in ihrem Leben zu Tätern oder Opfern von Rechtsbrüchen werden. Der Unterschied zwischen der Art von Gesetzesübertretung, die man persönlich erlebt, und der, die man in den Massen-

medien liest, hört oder sieht, ist aber beträchtlich. Während es sich bei der unmittelbar erlebten Kriminalität sehr häufig um Kleinkriminalität, Ladendiebstähle und Vandalismus, Betrügereien und Verkehrsdelikte, aber auch um Wirtschafts- und Umweltkriminalität handelt, die zumeist unbemerkt, unentdeckt oder unangezeigt bleiben oder informell reguliert werden, zeigt man in den Massenmedien hauptsächlich Gewaltverbrechen (z.B. Mord, Erpressung, Bankraub), die noch dazu sensationell aufgemacht und dramatisiert werden. Unmittelbar erlebte Kriminalität ist in vielerlei Hinsicht so verschieden von den in den Massenmedien dargestellten Verbrechen, daß die wirkliche Kriminalitätserfahrung häufig nicht einmal als solche wahrgenommen und erkannt wird. 95 % aller Menschen in den westlichen Industrienationen entnehmen ihre „Erfahrung" mit Gewaltkriminalität, die sie als „wirkliche" Kriminalität betrachten, den Massenmedien, die für glaubwürdig gehalten werden (James Garofalo 1981, 334; Michael O'Connor 1978). Insbesondere dem Fernsehen traut man, weil es seinen Zuschauern das Bewußtsein vermittelt, unmittelbar dabei zu sein und das Zeitgeschehen mit eigenen Augen zu erleben. Selbst Live-Sendungen stellen indes durch die Auswahl ihrer Bilder und die Einstellungen ihrer Kameras lediglich Interpretationen der Wirklichkeit, nicht aber die volle Realität dar. Bei einer Rezipientenbefragung über die Fernsehnachrichtensendungen „Tagesschau" und „Heute" stellte sich heraus, daß 76 % der Befragten sie für glaubwürdig hielten (Michael Abend 1974, 174/5). In den USA äußerten etwa 8 0 % der Befragten, daß das Verbrechensproblem in Wirklichkeit genauso schwer oder noch schwerer sei, als es die Massenmedien veranschaulichen (Michael J. Hindelang, Michael R. Gottfredson, James Garofalo 1978, 172). Diese Umfrageergebnisse zeigen, daß die öffentliche Meinung für die Kriminalitätsdarstellung in den Massenmedien sehr empfänglich ist.

G. Öffentliche Meinung über Verbrechen (Analyse der Einstellung der Rezipienten) Veröffentlichte Meinung und öffentliche Meinung über Verbrechen und Strafrechtssystem interagieren beständig. Wer einen Einblick in den subjektiven Zustand der öffentlichen Sicherheit auf der Basis von Erhebungen zum Opferwerden (Dunkelfelduntersuchungen) zu gewinnen sucht (Australian Bureau of Statistics 1979, 1984; U . S . Department of Justice 1983, 1984; Solicitor General Canada 1984-1985; David Biles 1985; Jan J. Μ. van Dijk, Carl Η. D. Steinmetz 1980; Mike Hough, Pat Mayhew 1983; Akira Ishii 1979; Tetsuya Fujimoto 1982; Knut Sveri 1982; Luis Rodriguez Manzanera 1984; Marshall B.Clinard 1978; Hans-Dieter Schwind 1975; Egon Stephan 1976), findet Haltungen, die

Massenmedien den durch die Massenmedien vertretenen entsprechen (Prozeßhaftes symmetrisches Modell): — Gewaltkriminalität und Verbrechen gegen die Person werden als die Hauptprobleme der Kriminalität angesehen. Erhebungen zum Opferwerden in zahlreichen Ländern zeigen, daß die Kriminalität als um so umfangreicher, schwerer und bedrohlicher wahrgenommen wird, je weiter sie aus dem Lebensbereich des Befragten wegrückt (vgl. z . B . Michael J.Hindelang, Michael R. Gottfredson, James Garofalo 1978, 161; Egon Stephan 1976, 326). Kriminalität wächst „irgendwo anders", aber nicht im eigenen Wohnbezirk. Die Bedrohung kommt von außen. Außenseiter, Fremde, unbekannte Rechtsbrecher sind hauptsächlich für Kriminalität verantwortlich, die der Nachbarschaft, der Gesellschaft durch eine Fremdgruppe von außen angetan wird. Durch diese Projektion, die die Psychoanalyse zuerst entdeckt hat, wird das Hineinverlegen krimineller Wünsche der rechtstreuen Bürger in eine soziale Außengruppe, die Kriminellen, möglich. Durch die „Wir-Sie"-Dichotomie kann der sozialkonforme Bürger die „abnormen", „psychopathischen" Rechtsbrecher um so entschiedener verdammen. Demgegenüber sind in der Bevölkerung nach übereinstimmenden kriminologischen Forschungsergebnissen Delinquenz und Kriminalität nicht entweder-oder, sondern mehr-oder-weniger verteilt (vgl. z . B . Maynard L.Erickson, LaMar T. Empey, 1963). Die Kriminalität ist ein Kontinuum, an dessen einem E n d e Rechtsbrecher stehen, die zahlreiche und schwere Delikte begehen und die relativ häufig entdeckt werden, und an dessen anderem Ende sich Menschen befinden, die leichte Rechtsbrüche selten verüben und deren Kriminalität zumeist verborgen und unentdeckt im Dunkelfeld bleibt. Die Übergänge sind fließend. Dieses kriminologische Modell der Kriminalitätsverteilung, das auf modernen empirisch-kriminologischen Forschungen beruht, ist von den Massenmedien noch nicht übernommen worden. Es ist zweifelhaft, ob es jemals von ihnen akzeptiert wird, da es die gesellschaftliche Projektion und damit das Entlastungserlebnis der Rezipienten unmöglich macht. Angemessene soziale Verarbeitung der Kriminalität ist indessen nur möglich, wenn die Gesellschaft ihre Verantwortung für Verbrechensentstehung und -kontrolle erkennt und akzeptiert. — Die Verbrechensfurcht hat sich von ihrer rationalen Grundlage gelöst und richtet sich vor allem auf Gewaltdelikte, die von Fremden begangen werden. Da solche Straftaten selten vorkommen, hat die Bevölkerung Angst vor Rechtsbrüchen, die am wenigsten verübt werden. Vor Sexual- und Gewaltdelikten in der

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Familie und zwischen Personen im sozialen Nahraum (z. B. Verwandten, Freunden, Bekannten, Nachbarn) fürchtet sich die Bevölkerung weniger. Solche Straftaten werden zwar häufiger verübt, bleiben aber großenteils verborgen und unentdeckt, weil sie der Polizei nicht angezeigt werden. Die Bevölkerung ist auch nicht sehr besorgt darüber, Opfer von Straßenverkehrs·, Vermögens- und Wirtschaftskriminalität zu werden, obgleich solche Straftaten zahlreich sind. Denn Vermögens- und Wirtschaftsdelikte haben meist kollektive und anonyme, unpersönliche Opfer. Die Straßenverkehrsdelikte gelten zum großen Teil als Kavalierskriminalität. Besonders ängstlich gegenüber Gewaltdelikten, die von Fremden begangen werden, sind Frauen und ältere Menschen, obgleich die kriminelle Viktimisierung in dieser Geschlechts- und Alterskategorie unter dem Durchschnitt liegt (John Braithwaite, David Biles, Ray Whitrod 1982; Yves Brillon 1983; Micheline Baril 1983). Die Verbrechensfurcht der Frauen und alten Menschen findet also keine Grundlage in ihrem tatsächlichen Viktimisierungsrisiko. — Die Mehrheit der Bevölkerung in den westlichen Industrienationen ist der Auffassung, daß die Kriminalität durch eine Verstärkung und bessere Ausrüstung und Ausbildung der Polizei sowie durch die Androhung, Verhängung und den Vollzug härterer Strafen bekämpft werden soll (vgl. z . B . Albert J. Reiss 1967; Raymond H. C. Teske, Greg P. Farrar 1978). Mit der Polizeiarbeit ist man im großen und ganzen zufrieden. Die Öffentlichkeit überschätzt allerdings die Bedeutung der formellen Sozialkontrolle durch Polizei, Gerichte und Strafanstalten bei der Verbrechenskontrolle. Die Wichtigkeit der informellen Sozialkontrolle durch Familie, Nachbarschaft, Schule, Berufs- und Freizeitgruppe für die Verbrechensverhütung und -kontrolle wird demgegenüber unterschätzt. Informelle Sozialkontrolle, die im lebenslangen Sozialisationsprozeß auf gesetzestreues, sozialkonformes Verhalten hinarbeitet und damit die formelle Sozialkontrolle erst möglich macht und wesentlich unterstützt, darf hierbei nicht mit Selbsthilfe verwechselt werden, die sich an die Stelle der formellen Sozialkontrolle setzen will.

H. Konsequenzen des subjektiven Zustande der öffentlichen Sicherheit für die Realität Die ständige Interaktion von öffentlicher und veröffentlichter Meinung über Kriminalität und ihre Kontrolle hat in der Realität Konsequenzen (zweistufiges, prozeßhaftes, symmetrisches Modell). Da die Verbrechenswirklichkeit, wie sie sich in der empirisch-kriminologischen Forschung dar-

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Massenmedien

stellt, auf die massenmediale Kriminalitätsdarstellung praktisch keinen Einfluß ausübt, verliert der subjektive Zustand der öffentlichen Sicherheit seine Basis in der sozialen Wirklichkeit. Der wirklichkeitsfremde subjektive Zustand der öffentlichen Sicherheit trägt über entsprechende Einstellungen und Werthaltungen zur Entstehung negativer Verhaltensweisen und Zustände bei. Hierbei sind es allerdings nicht nur die Massenmedien, die durch ihre wirklichkeitsverzerrende Kriminalitätsdarstellung Verbrechensfurcht und soziale Isolation, aggressive Einstellungen und Verhaltensweisen und eine kriminologisch nicht zu rechtfertigende Verschärfung der bestehenden Gesetze und ihrer Anwendung verursachen (Richard W.Harding 1984). Die realitätsverzerrende Interaktion zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung entwickelt sich im Rahmen sozialstruktureller Mängel, die auf die realitätsverzerrende Interaktion einwirken.

1.

Verbrechensfurcht

Der Fernsehvielseher nimmt die Welt im Gegensatz zum Fernsehwenigseher als gefährlicher wahr, als sie wirklich ist (George Gerbner, Larry P. Gross 1976 a, 1976 b; George Gerbner, Larry P. Gross, Michael Morgan, Nancy Signorielli 1986; Margaret Gordon, Linda Heath 1981; kritisch Barrie Gunter 1987), weil das Fernsehen das Risiko der Viktimisierung durch Gewaltdelikte in übertriebener Weise darstellt. D e r Fernsehvielseher ist deshalb mißtrauischer und furchtsamer als der Fernsehwenigseher. Er wähnt sich in größerer Gefahr kriminellen Opferwerdens. Er lebt in übertriebener Furcht vor dem Verbrechen, von dem er sich bedroht fühlt und demgegenüber er eine unsichere, gefühlsbetonte Einstellung einnimmt. Hierbei wird die emotionale Verbrechensfurcht nicht nur durch die Art der Verbrechensdarstellung, die Dramatisierung und Sensationalisierung von Straftaten erzeugt, sondern es kommt vielmehr wesentlich auf den Inhalt der Kriminalitätsdarstellung an. Eine empirisch-kriminalpsychologische Studie, die in Würzburg/Bayern erarbeitet worden ist, kommt zu dem Schluß, daß die Reaktionen auf Tat und Täter um so emotionaler ausfallen, je weniger sachgerecht die Massenmedien in persönlicher und sozialer Hinsicht über den Täter informieren (Michael Förster, Josef Schenk 1984). Emotionale Verbrechensfurcht kann die Vermeidung sozialen Kontakts und eine gefühlsmäßige Überreaktion in der aktuellen Viktimisierungssituation mit herbeiführen.

2. Selbstmord Die unrealistische Darstellung von Selbstmorden im Fernsehen hat eine erhöhte Zahl von Suiziden unter Teenagern zur Folge. In den USA wurden die

Wirkungen von 38 auf nationaler Ebene gesendeten Fernsehnachrichtensendungen oder Reportagen über Suizid von 1973 bis 1979 untersucht. Ein signifikanter Anstieg der Suizidraten unter Teenagern innerhalb von sieben Tagen nach den Fernsehsendungen konnte nachgewiesen werden (David P. Phillips 1989; David P. Phillips, Lundie L. Carstensen 1986). Diese Forschungsergebnisse wurden durch weitere empirische Untersuchungen bestätigt, die nach der Fernsehsendung „Tod eines Schülers" in den Jahren 1981 und 1982 in der Bundesrepublik Deutschland (Armin Schmidtke, Heinz Hafner 1986, 1989) und nach vier Fernsehsendungen über fiktionale Selbstmorde im Herbst und Winter 1984/85 in New York City und Umgebung durchgeführt worden sind (Madelyn S. Gould, David Shaffer 1986, 1989). Die real ausgeführten Selbstmorde, die im Anschluß an die Fernsehsendungen begangen wurden, stimmten im Hinblick auf Alter und Geschlecht der Selbstmörder und auf die Ausführungsart des Selbstmords mit den imitierten Modellen weitgehend überein. Das Suizidverhalten wird nachgeahmt, weil es in den Fernsehsendungen als nahezu unausweichlich naheliegende Problemlösungsstrategie in unerträglichen Belastungssituationen dargestellt und in der Öffentlichkeit als verständlicher, nachvollziehbarer Weg der Problemlösung weitgehend akzeptiert wird. Ein „WertherEffekt" kann freilich auch eintreten, wenn das Selbstmordverhalten unrealistisch romantisiert wird.

3. Gewaltklima Durch eine Langzeitstudie von über 30 Jahren ist bewiesen worden (Leonard D. Eron, L. Rowell Huesmann 1980, 1984), daß das beständige Anschauen von Fernsehgewalt durch Kinder einen nachhaltig negativen Einfluß auf den gesamten Lebenslauf der Kinder hat und zu gewaltsamem und kriminellem Verhalten in deren Jugend- und Erwachsenenzeit führen kann. Weitere empirisch-psychologische Studien (Dorothy G. Singer, Jerome L. Singer 1980; William A. Belson 1978; vgl. demgegenüber aber kritisch Patricia Edgar 1977; Barrie Gunter 1985) unterstützen dieses Ergebnis. Das Fernsehen lehrt seine Zuschauer aggressive Verhaltensstile. Durch die ständige Wiederholung gewöhnen sich die Zuschauer nicht nur daran, aggressiv zu reagieren, wenn provozierende Umstände in der Wirklichkeit oder in den Massenmedien (Auslösereize) dies zu erfordern scheinen (Albert Bandura 1973), sondern die ständige Wiederkehr von Mediengewalt hat auch die Wirkung einer Verminderung emotionaler Reaktionsfähigkeit auf Gewalt und einer zunehmenden Akzeptierung aggressiver Einstellungen und Werte (Richard E. Goranson 1970). Mediengewalt hat eine Übersättigung, Gewöhnung und Anpassung an die Aggression zur Folge, die zu kontinuierlich abnehmenden und

313

Massenmedien schließlich ausbleibenden Reaktionen führt. Die ständigen Gewaltdarstellungen im Fernsehen schaffen ein Gewaltklima in der Gesellschaft (Clement Semmler 1975). Man bleibt Gewalttaten gegenüber gleichgültig und unbeeindruckt. Aggressive Pornographie trägt zu einer gewaltsamen Einstellung gegenüber Frauen wesentlich mit bei (Neil M. Malamuth 1984; Edward Donnerstein 1984). Die Leiden, Schmerzen, die körperlichen und seelischen Schäden der Vergewaltigungsopfer werden in pornographischen Filmen und Videos nicht gezeigt. Durch „verschönte", „illusionäre" Abbildung sexueller Gewalt, z . B . durch einen unfreiwilligen Orgasmus beim Vergewaltigungsopfer, wird vielmehr veranschaulicht, daß das Opfer Gefallen an der Vergewaltigung findet. Solche aggressive Pornographie rechtfertigt die Gewaltanwendung. Männer wie Frauen lernen am Modell die sozialen Vorurteile „angenehmen", sexuell aufreizenden aggressiven Verhaltens (Edward C. Nelson 1982, 203, 207). Männer stehen nach dem ständigen Anschauen aggressiv-pornographischer Filme der Vergewaltigung nicht mehr ablehnend gegenüber; sie gewöhnen sich an sie; sie entwickeln aggressive Einstellungen gegenüber Frauen, auf deren Grundlage Vergewaltigungen und Frauenmißhandlungen entstehen können.

4.

Bandendelinquenz

Jugenddelinquenz erregt in der Regel keine große Aufmerksamkeit in den Massenmedien. Eine Ausnahme bildet allerdings die Delinquenz jugendlicher Banden. Durch die unterschiedliche Häufigkeit der Berichterstattung über delinquente Aktivitäten jugendlicher Banden erzeugen die Massenmedien den unzutreffenden Eindruck, die Bandendelinquenz nehme zu oder ab oder sie sei in verschiedenen Großstädten umfangmäßig ganz unterschiedlich verteilt (Walter B.Miller 1976, 95, 97, 105). Die Reaktion der Massenmedien auf Bandendelinquenz befriedigt das Geltungsstreben der Bandenmitglieder und stärkt zugleich durch die Erzeugung einer „moralischen Panik" in der Öffentlichkeit und die Schaffung von „Volksteufeln" (Stanley Cohen 1980) den Bandenzusammenhalt. Je mehr sich die Öffentlichkeit über das Bandenunwesen entrüstet, desto mehr schließen sich die Jugendbanden zusammen. Die Medienberichterstattung über Bandendelinquenz fasziniert andere Jugendgruppen und hat ansteckende Wirkungen; sie formt und verstärkt die dramatischen Stereotype über Bandenstrukturen und -aktivitäten in der öffentlichen Meinung. Bandenbeobachtungen haben gezeigt, daß die Medienberichte über Bandendelinquenz eine ähnliche Wirkung auf Bandenmitglieder haben wie Theaterkritiken auf Schauspieler oder Sportberichte auf Berufsfußballspieler. Die Bande, deren Aktivität in den Massenmedien groß herausgestellt wird, ist froh

erregt, denn sie sieht sich in ihrem sozialen Ansehen gestärkt. Die Banden, die in den Medien nicht erwähnt werden, sind enttäuscht. Weil Sensation und Dramatik in den Massenmedien gut ankommen, bemühen sich die Banden, möglichst sensationell und dramatisch zu handeln (Walter B.Miller 1976,59, 61). Durch spektakuläre Rechtsbrüche, zu denen sie sich durch die Medienberichte angespornt sehen, erhoffen sie sich noch mehr Publizität. Durch die öffentliche Brandmarkung sehen die Bandenmitglieder sich gleichzeitig als Delinquente bestätigt, und sie ändern ihre persönliche Identität in immer stärkerem Maße zu einem delinquenten Selbstbild hin.

5. Krawalle und Unruhen Zwischenmenschliche Konflikte entstehen aus instabilen, defekten oder sich wandelnden Wirtschafts- und Sozialstrukturen. Die Massenmedien können zur friedlichen Lösung solcher Konflikte, aus denen Straftaten entstehen können, beitragen, indem sie den Konfliktparteien, z. B. sozialen Minderheiten und Mehrheiten, ein ausreichendes Forum für die Darstellung und Diskussion ihres Konflikts anbieten, so daß die Möglichkeit eröffnet wird, den Konflikt in der Gesellschaft einvernehmlich-tolerant, z. B. im Wege von Kompromissen, zu verarbeiten. Stigmatisieren sich die Konfliktparteien allerdings gegenseitig in dehumanisierender Weise, unterstellen sie sich Böswilligkeit oder mangelnde Kompromißbereitschaft oder kommen sie während ihrer Mediendiskussion zum Ergebnis, daß ihr Konflikt nur gewaltsam durch Konfrontation gelöst werden kann, so trägt die Mediendarstellung nur noch zur Verschärfung ihres Konfliktes bei. Meist werden die sozialen Konflikte von Politikern und Journalisten zu spät erkannt und thematisiert. Die Konfliktparteien sind ferner an einer friedlichen Lösung mit Hilfe der Mediendiskussion häufig nicht interessiert, weil jede der Parteien auf ihrem Standpunkt beharrt und weil sich die Fronten verhärtet haben. Die Konflikte schwelen dann unter der gesellschaftlichen Oberfläche und verursachen — häufig im Anschluß an Demonstrationen — gewaltsame Auseinandersetzungen, Krawalle und Unruhen, in denen die Konfliktparteien durch Stellvertreter — Demonstranten für die Minderheit, Polizei für die Mehrheit — repräsentiert sind und über die die Massenmedien, speziell das Fernsehen, häufig berichten. Im Zentralpunkt der Mediendarstellung stehen allerdings wiederum die äußeren Geschehnisse, die dramatisiert werden, kaum dagegen ihre sozialstrukturellen Ursachen und ihre unmittelbaren und mittelbaren Folgen für die Opfer der Krawalle und für die gesellschaftliche Entwicklung. Auf diese Weise dienen die dramatischen Fernsehbilder über die Krawalle lediglich der Unterhaltung der Zuschauer, die freilich auch insofern

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Massenmedien

ein falsches Bild von den Krawallen bekommen, als sie die Minderheitsvertreter bei der gewaltsamen Auseinandersetzung allesamt als „Krawallmacher" und „Unruhestifter" ansehen, die nur Spaß an der Gewalt und an der Zerstörung haben. Schuldzuweisungen und ideologische Verkürzungen des Konflikts spielen mitunter bei der Berichterstattung eine wesentliche Rolle. Da auf die volle Tragweite der sozialen Ursachen und Folgen von Krawallen nicht hinreichend eingegangen wird, kann die Medienberichterstattung über gewaltsame Unruhen eine Verschärfung des Konflikts zur Folge haben. Denn der Konflikt wird nicht ins soziale Bewußtsein gehoben, sondern gesellschaftlich verdrängt und fehlverarbeitet (Mathias Kepplinger 1981): — Die Anwesenheit von Fernsehberichterstattern während der Krawalle kann die Gewaltanwendung vergrößern. Denn die Teilnehmer an den Unruhen und ihre jeweiligen Bezugsgruppen innerhalb der Gesellschaft, die weitgehend festgelegte Einstellungen der Sympathie und Antipathie haben, erwarten Gewalt und die „Stellvertreter" der Konfliktgegner während des Krawalls möchten die Gewalterwartungen ihrer Bezugsgruppen innerhalb der Gesellschaft nicht enttäuschen. — Die Fernsehberichterstattung über Krawalle kann auf die jeweiligen opponierenden Bezugsgruppen innerhalb der Gesellschaft im Sinne der Gewaltanwendung ansteckend wirken. Denn die jeweilige opponierende Bezugsgruppe innerhalb der Gesellschaft kann die Gewaltanwendung ihres Konfliktgegners während des Krawalls zur Neutralisierung, Vorabrechtfertigung, ihrer eigenen nachfolgenden Gewaltanwendung verwenden.

6. Strafgesetzgebung

und

-anwendung

Durch Thematisierung einzelner Verbrechensprobleme und durch einseitige Ausrichtung der öffentlichen Aufmerksamkeit können die Massenmedien Verschärfungen der Strafgesetzgebung und -anwendung verursachen, die kriminologisch nicht gerechtfertigt erscheinen. Dieser negative Medieneinfluß ist bereits durch Forschungen nachgewiesen worden, die Edwin H. Sutherland (1950) über die Triebtätergesetze und Howard S. Becker (1963, 135 — 146) über die Strafvorschriften des Marihuana-Steuergesetzes unternommen haben. Ein neueres Beispiel bietet die Medienberichterstattung über die Delinquenz der Jugendbanden der Maoris und Polynesier in Auckland/Neuseeland in den Jahren 1978 bis 1980 (Jane Kelsey, Warren Young 1982): Bandenaktivitäten wurden in den Massenmedien übertrieben und als bedrückendes Sozialproblem dargestellt. Aufgrund dieser Mediendramatisierungen wurden Strafgesetze verschärft, und es wurden härtere Urteile gegen Bandenmitglieder

der rassischen Minderheiten gefällt. Die Polizei wurde verstärkt, und die Furcht vor Bandendelinquenz in der Bevölkerung nahm zu. Die ökonomische Krise in der Mitte der 70er Jahre, Arbeitslosigkeit und Inflation hatten das Meinungsklima mit einer allgemeinen diffusen Zukunftsangst erfüllt, die die Massenmedien gegen die Jugendbanden der rassischen Minderheiten richteten und damit konkretisierten. Die Jugendbanden waren sozial sichtbar, gut organisiert und ihr Lebensstil, ihr Verhalten und ihre Wertvorstellungen standen in krassem Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung. Sie wurden plötzlich als eine Bedrohung der Gesellschaft dargestellt, obgleich es sich um ein Dauerproblem handelte. Aus dem Sozialproblem der wirtschaftlichen Krise wurde ein persönliches Problem der Maoris und Polynesier gemacht, die selbst unter der Arbeitslosigkeit am meisten litten.

I. Verbrechensfurcht und die Massenmedien Die realitätsverzerrende Interaktion zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung, die Verbrechensfurcht und soziale Isolation zur Folge haben kann, entwickelt sich zwar auf der Grundlage sozialstruktureller Mängel oder sozialstrukturellen Wandels. Die subjektive Sicherheitslage, die subjektive Einschätzung der Kriminalitätsbelastung und des persönlichen Viktimisierungsrisikos und das Sicherheitsgefühl finden aber wegen der realitätsverzerrenden Kriminalitätsdarstellung in den Massenmedien keine Stütze mehr in der wirklichen objektiven Kriminalitätsstruktur, die von der Wirtschafts- und Sozialstruktur abhängig ist. Subjektive und objektive Sicherheitslage klaffen auseinander. Die Folge ist emotionale Verbrechensfurcht, die in sich bereits ein soziales Problem bildet, weil sie zu einer Einbuße an Lebensqualität, zu allseitigem Mißtrauen, zu Selbstisolierung, zu einer passiven Opferhaltung und zu einseitigen kriminalpolitischen Einstellungen der Bevölkerung (z.B. zu einer unangebrachten Härte gegenüber dem Rechtsbrecher) zu führen vermag.

1. Arten und Abgrenzung der Verbrechensfurcht Von der Verbrechensfurcht zu unterscheiden ist die rationale Sorge vor der Kriminalität, die verstandesmäßige Einschätzung der allgemeinen Kriminalitätsbelastung und des persönlichen Risikos der Viktimisierung. Diese vernünftige Beurteilung des Umfangs, der Struktur, der Verteilung und der Entwicklung der Kriminalität und des persönlichen Risikos, Opfer bestimmter Delikte zu werden, hat eine reale Grundlage und entfernt sich von dieser

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Massenmedien Basis nicht. Je mehr man über die Tatsachen der Verbrechensbegehung und über den Täter weiß, desto weniger diffuse, irrationale, emotionale Verbrechensangst hat man (Michael Förster, Josef Schenk 1984). Ein solches kollektives Bcdrohthcitsgefühl, ein Empfinden unspezifischer Verunsicherung besitzt keine reale Grundlage (James Garofalo 1979). Die gefühlsmäßige Vervielfachung des bestehenden Risikos führt zu einem Übermaß an Verbrechensangst, zu allseitigem Mißtrauen und zu übertriebenen Reaktionen auf Kriminalität (Yves Brillon 1983; Henri Souchon 1983). Bei der affektiv-emotionalen Verbrechensfurcht muß man freilich ein weiteres Mal trennen zwischen der abstrakten Angst vor der Kriminalität als einem nationalen und internationalen Problem und der konkreten Furcht vor einem persönlichen Viktimisierungsrisiko. Die globale Beunruhigung vor der Kriminalität ist eingelagert in allgemeine nationale Ängste vor Krieg, Arbeitslosigkeit, Inflation und Umweltverschmutzung. Die auf die Person und das Wohngebiet bezogene Verbrechensfurcht ist eingebettet in latente persönliche Lebensängste vor dem Tod, vor dem Verlust eines Familienmitglieds, eines Freundes, vor schwerer Krankheit, vor Einbuße der Rente, der Pension, der Ersparnisse und vor beruflichem oder geschäftlichem Ruin. Die Bevölkerung hat mehr abstrakte Kriminalitätsangst als konkrete Verbrechensfurcht (Hans-Jürgen Kerner 1978, 88; 1986). „In dem sozialen Bereich, den die Befragten selbst überschauen können, wird die Kriminalitätsentwicklung also weit günstiger eingeschätzt als in dem sozialen Raum, über den die Befragten nur Informationen aus den Massenmedien entnehmen können" (Egon Stephan 1976, 157). Wegen der persönlichen Nähe und der Identifikation mit dem eigenen Wohngebiet wird die Kriminalität dort eher als zu niedrig bewertet. Obwohl das eigene Haus und die eigene Wohnung unsichere Orte sind (die gefährlichsten für Frauen und die risikoreichsten für schwere Delikte), fühlt man sich dort sicherer als anderswo (Louis Rodriguez Manzanera 1982, 219). Andere Gebiete der eigenen Stadt werden bezüglich ihrer Kriminalitätsbelastung von der Bevölkerung nicht immer richtig beurteilt. So hat man insbesondere Angst in Stadtteilen, die folgendermaßen gekennzeichnet sind: durch eine große Zahl verfallender oder verlassener Gebäude, durch Unsauberkeit und Unordentlichkeit, durch Vandalismus und Drogensucht, durch das Herumstreunen Jugendlicher und Fremder (Dan A . Lewis, Michael G. Maxfield 1980; Sylvie Durand 1983). Man geht Belästigungen durch unordentliche fremde und jugendliche Personen aus dem Weg. Diese Verbrechensfurcht ist wiederum eine diffuse Angst vor allem Fremden, Unheimlichen. Sie deckt sich häufig nicht mit der wirklichen Sicherheitslage.

2. Verbrechensfurcht und

Viktimisierung

Man muß ferner differenzieren zwischen der Angst vor, während und nach der Straftat, zwischen der tatsächlichen, der voraus- und der nachempfundenen Angst (Garofalo 1981). Nach alltagspsychologischen A n n a h m e n erscheint es nachgerade selbstverständlich, daß das eigene Opferwerden die Verbrechensfurcht vergrößert. Die eigene Opfererfahrung führt indessen nicht ohne weiteres zu einer erhöhten diffusen affektiv-emotionalen Verbrechensangst (President's Commission 1967, 51; Bernhard Villmow 1979). Durch das Opferwerden wird möglicherweise ein einseitiges und verzerrtes Bild der Kriminalität zurechtgerückt; die erlebte unmittelbare Gefährdung durch Kriminalität trägt auf diese Weise vielleicht dazu bei, die Verbrechensprobleme realistischer zu sehen (Kerner 1980, 389). Freilich muß man auch zwischen den Delikten unterscheiden, deren Opfer man geworden ist. Je näher das Opferwerden auf die Person und auf den eigenen sozialen Nahraum zurückt, desto größeren psychischen Schaden und ein desto höheres Bedrohtheitsgefühl wird es verursachen (Claudia, Gerd Ferdinand Kirchhoff, P. John Dussich 1980). Die Bevölkerung ist gegenüber Gewaltund Sexualdelikten besonders empfindlich, weil sie Leben, Gesundheit und den persönlichen Intimbereich betreffen. Der Mensch ist darüber hinaus ein „räumliches Wesen"; er ist gegenüber Beeinträchtigungen des Raumes, in dem er lebt, besonders sensibel. Einbrüche und vandalistische Handlungen an und in Wohnhäusern werden deshalb häufig als Störungen des Privatlebens, als Eingriffe in die Privatsphäre erlebt (Micheline Baril 1980). Gegen anonymere Viktimisierungen durch Vermögensund Wirtschaftsdelikte, die die Masse der Straftaten ausmachen, ist man demgegenüber weniger empfindlich. Die psychischen Traumen, die durch Gewalt- und Sexualdelikte entstehen, haben freilich eine andere psychische Qualität als die abstrakte Kriminalitätsangst oder die konkrete affektiv-emotionale Verbrechensfurcht von Menschen, die keine Viktimisierung erlebt haben; solche psychischen Traumen können durchaus als persönlichkeitszerstörend erfahren werden (Jos6 Lecor 1983). Ändert das persönliche Opfererlebnis die Einstellung gegenüber Kriminellen im allgemeinen nicht, so macht sie gegenüber dem „eigenen Täter" häufig toleranter (Baril 1983).

3. Gründe für die

Verbrechensfurcht

Die konkrete affektiv-emotionale Furcht vor persönlicher Viktimisierung und erst recht die globale Beunruhigung über Kriminalität liegen weniger in der persönlichen Opfererfahrung begründet als in Faktoren, die außerhalb der unmittelbaren person-

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Massenmedien

liehen Verbrechenserfahrung liegen (Joseph F. Sheley, Cindy D. Ashkins 1981): — Das persönliche Opfererlebnis beeinflußt durch Gespräche die Entstehung der Verbrechensfurcht nur wenig (a. A. Terry L. Baumer 1978, 258). Denn die Viktimisierung durch Gewaltund Sexualverbrechen ist selten. Zwar spricht man über Gewaltverbrechen, speziell Mord, sehr häufig. Man nimmt seine Information aber aus den Massenmedien, besonders aus Zeitungen (Jan J. M. van Dijk 1979, 18, 27). — Die globale Beunruhigung über Kriminalität und in geringerem Maß die konkrete affektivemotionale Furcht vor persönlicher Viktimisierung werden durch die Neigung der Bevölkerung, über Kriminalität zu phantasieren, und durch die Verbrechensdarstellung in den Massenmedien verursacht, die dieser Neigung entgegenkommt. Die Massenmedien entfernen sich mit ihrer Verbrechensdarstellung zu sehr von der kriminellen Wirklichkeit. Sie benutzen das Verbrechen zur Unterhaltung, ohne den Eindruck der unrealistischen, phantasierten Kriminalität durch Berichterstattung und Dokumentationen in ausreichendem Maße zu berichtigen. — Die Ängstlichkeit der Lebenseinstellung wirkt sich auf die Entstehung der Verbrechensfurcht aus. „Personen, die wenig optimistisch sind, wenig Selbstvertrauen aufweisen, ängstlich, unsicher und irritierbar erscheinen, erleben ihre Umwelt eher als bedrohlich und sehen eher negative Entwicklungen als Personen, die selbstvertrauend und weniger pessimistisch sind" (Stephan 1976, 161). — Die Schwäche sozialer und wirtschaftlicher Positionen und die körperliche, psychische und soziale Verwundbarkeit durch Viktimisierungen beeinträchtigen das Sicherheitsgefühl. Für Frauen, alte Menschen und Unterschichtsangehörige hat ihre körperliche, psychische und finanzielle Viktimisierung wegen ihrer schwachen sozialen und wirtschaftlichen Position und wegen ihrer größeren Verwundbarkeit mehr Gewicht (William E. Berg, Robert Johnson 1979). Sie werden schwerer mit ihrem Opferwerden fertig. Ihre Empfindlichkeit für Kriminalität äußert sich freilich auch darin, daß sie sich mehr mit dem Verbrechen beschäftigen und daß sie mehr Kriminalitätsnachrichten lesen (van Dijk 1978, 272; 1979, 33). — In wirtschaftlichen Krisenzeiten (mit Depression, Inflation, Arbeitslosigkeit) wachsen die nationalen Ängste und auch die persönlichen Lebensängste. In diesem sozialen Klima nationaler und persönlicher Beklemmungen steigen auch die globale Beunruhigung über Kriminalität und die auf die Person und ihr Wohngebiet bezogene Verbrechensfurcht an. Massenmedien und Politiker personalisieren nicht selten solche

diffusen Ängste und projizieren sie auf Randgruppen (z.B. Rauschgiftsüchtige, Obdachlose).

4. Folgen der

Verbrechensfurcht

Ob die Verbrechensfurcht begründet ist oder nicht, sie hat negative Konsequenzen: — Das soziale Stereotyp, das Kriminalität mit Gewaltkriminalität gleichsetzt, veranlaßt die Bevölkerung, sich vor der seltenen Gewaltanwendung durch Fremde zu schützen und notwendige Vorbeugungsmaßnahmen gegenüber Gewaltund verbotenen Sexualhandlungen im sozialen Nahraum und gegenüber der weitverbreiteten Vermögens- und Wirtschaftskriminalität zu unterlassen oder zu vernachlässigen (President's Commission 1967, 52). — Diffuse affektiv-emotionale Verbrechensangst beeinflußt den Lebensstil, die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung. Diese Verbrechensangst führt zu sozialer Desorganisation: Die Gemeinschaft zerfällt. Das Vertrauen in öffentliche Institutionen (z. B. gegenüber der Schule) geht verloren. Man geht Fremden aus dem Weg und spricht nicht mehr mit ihnen. Man besucht Freunde weniger. Einsicht und Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten lassen nach, das Verbrechen informell durch die Gemeinschaft zu kontrollieren. Man nimmt dem Verbrechen gegenüber eine passive Haltung ein: Großstädter schauen der Verbrechensbegehung zu, ohne auch nur die Polizei zu verständigen. Solche durch Verbrechensangst hervorgerufenen, übertriebenen Vermeidungsverhaltensweisen dürfen nicht mit vernünftigen Vorbeugungsmaßnahmen verwechselt werden, die aufgrund rationaler Information über das tatsächliche Opferrisiko getroffen werden. — Verbrechensfurcht hat eine einseitige kriminalpolitische Einstellung der Bevölkerung zur Folge. Der Ruf nach Recht und Ordnung (Günther Arzt 1976) wird laut. Eine Weiterentwicklung der Kriminalpolitik (z.B. Experimente mit der Behandlung in Freiheit für delinquente Jugendliche) wird durch den Widerstand der nichtoder falschinformierten Bevölkerung unmöglich gemacht. Die leidvolle Opfererfahrung führt demgegenüber anscheinend zu einer gelasseneren und verständnisvolleren Haltung gegenüber Kriminalitätsproblemen (Karl-Ludwig Kunz 1983, 169 m . w . N . ) . — Über eine entsprechende Erwartungshaltung kann Verbrechensangst zur Verschärfung des Prozesses des Opferwerdens beitragen. In einer akuten viktimogenen, opferverursachenden Situation verhält man sich nicht kühl und vernünftig, sondern man reagiert mit einem Übermaß

Massenmedien an Gefühl, indem man entweder einen aussichtslosen Kampf mit dem Täter zu führen versucht oder sich völlig eingeschüchtert unterwirft. Gegenwehr führt manchmal durchaus zum erwünschten Erfolg; sie muß nur angemessen und kraftvoll sein und darf keine emotionale Überreaktion darstellen, die den Täter wiederum ängstigt und in Panik treiben kann. D a die Verbrechensfurcht ein genauso großes Problem wie die tatsächliche Verbrechensbegehung bilden kann, muß ihr durch eine rationalere, maßvollere Auseinandersetzung mit Problemen der Sozialabweichung und Kriminalität in der Gesellschaft, speziell in den Massenmedien, begegnet werden. Die Dramatisierung spektakulärer Einzelfälle durch die Massenmedien muß eingeschränkt werden. Die realistische Analyse der Kriminalitätsprobleme in den Massenmedien muß demgegenüber verstärkt werden. Die Polizei hat ferner nicht nur die Aufgabe, tatsächliche Kriminalität zu verhüten und zu kontrollieren, sondern sie hat auch die Pflicht, der Verbrechensangst durch tatsächliche oder symbolische Präsenz entgegenzuwirken. Schließlich muß der Bereitschaft der Bevölkerung zu informeller Schlichtung und privater Streitbeilegung eine strafverfahrensrechtliche Grundlage gegeben werden (Kunz 1983, 172/3). Zwischenmenschliche Konflikte dürfen den unmittelbar Beteiligten nicht einfach weggenommen werden (Nils Christie 1977). Die Stellung des Verbrechensopfers im Strafverfahren muß verstärkt werden.

J. Einwände gegen die negativen Einflüsse der Kriminalitätsdarstellung der Massenmedien auf Einstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung Die Kriminologen und Kommunikationswissenschaftler, die die Meinung vertreten, daß die realitätsverzerrende Kriminalitätsdarstellung in den Massenmedien negative Folgen hat, behaupten nicht, daß diese nachteiligen Konsequenzen, z. B. Verbrechensfurcht und soziale Isolation, aggressives Gesellschaftsklima, aggressive Einstellungen und Verhaltensweisen, kriminologisch ungerechtfertigte Verschärfung bestehender Gesetze und ihrer Anwendung, auf der unrealistischen Verbrechensdarstellung in den Massenmedien allein beruhen. Sie sind vielmehr der Ansicht, daß die Massenmedien einen wesentlichen Beitrag zu den genannten unzuträglichen Zuständen und Verhaltensweisen leisten, die durch eine Verminderung von Gewalt und eine realitätsgerechtere Kriminalitätsdarstellung in den Massenmedien mittel- und langfristig leicht gebessert werden könnten. Die Massenmedien selbst, auch seriöse Zeitungen, haben die Empfehlungen wissenschaftlicher Kommissionen immer wieder unterlaufen. Die klaren Ratschläge

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einer wissenschaftlichen Kommission (U. S. Public Health Service, Surgeon General's Scientific Advisory Committee on Television and Social Behavior 1972) wurden in den Massenmedien einfach in ihr Gegenteil verkehrt, weil sie wissenschaftlich vorsichtig formuliert worden waren. Den schärfer formulierten Empfehlungen einer anderen wissenschaftlichen Kommission (National Commission on the Causes and Prevention of Violence 1969; Robert K. Baker, Sandra J. Ball, David L. Lange 1969) folgten die Massenmedien einfach nicht; ihre mehrfach abgegebenen Versprechungen, die Gewaltdarstellungen zu vermindern, hielten sie nicht ein. Gegen die Ansicht, die geltend macht, realitätsverzerrende Kriminalitätsdarstellung in den Massenmedien habe negative Folgen, wird kaum noch theoretische Grundsatzkritik erhoben. Die Triebtheorien, die Aggression auf eine angeborene Disposition zurückführen, und die auf ihnen beruhende Katharsistheorie, die von der Annahme ausgeht, Menschen müßten ihre aggressiven Verhaltenstendenzen entweder durch reales oder durch symbolisches Verhalten, z . B . Mediendarstellung, ausleben, werden kaum noch vertreten. Die medienkritische Meinung wird in der Kriminologie und in der Kommunikationswissenschaft vielmehr durch Methodenkritik angegriffen. Man behauptet, der Medieneinfluß sei aus der Vielfalt der Einflußfaktoren nicht isolierbar, den Rezipienten, z . B . den Kindern, falle die Fülle der Gewaltdarstellungen, die z . B . in den Zeichentrickfilmen objektiv feststellbar seien, gar nicht auf (Barrie Gunter 1987, 53) und das Fernsehen bilde eben gerade wegen seiner realitätsverzerrenden Kriminalitätsdarstellung für viele ängstliche Menschen einen sozialen Halt. Solange solche Ansichten in der Kriminologie und in der Kommunikationswissenschaft vertreten werden, besteht nicht die geringste Chance, daß die Massenmedien ihre sozialschädliche Praxis der verzerrenden und verkürzenden Kriminalitätsdarstellung ändern. Sie werden sie im Gegenteil verschärfen. Denn sie werden stets argumentieren, in der Wissenschaft gebe es über den Medieneinfluß verschiedene Ansichten, die sich widersprächen. Die Einwände gegen die medienkritische Meinung können — wie folgt — umrissen werden:

— Einige Kriminologen (vgl. z . B . Hans-Jürgen Kerner, Thomas Feltes 1980; Martin Killias 1983; Thomas Feltes, Christian Ostermann 1985) behaupten, der Einfluß der Massenmedien auf die Gefühle, die Einstellungen und das Verhalten der Menschen sei nicht nachgewiesen, sogar derzeit gar nicht nachweisbar. Sie berufen sich darauf, daß die Wirkungsvorgänge zwischen Massenmedien und Rezipienten sehr komplex, daß lineare Kausalbeziehungen deshalb nicht herstellbar seien und daß der Medieneinfluß von anderen Einflußfaktoren nicht trennbar sei. Sie treffen bei dieser Argumenta-

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Massenmedien

tion auf die Sympathie der Bevölkerung, die es als degradierend empfindet, von den Massenmedien in ihren Gefühlen, Einstellungen und in ihrem Verhalten maßgeblich beeinflußt zu werden. Die meisten Menschen hegen die Illusion und sind besonders stolz darauf, in ihrer Urteilsfähigkeit viel zu selbständig und viel zu kritisch zu sein, um sich von den Massenmedien irgendwie beeindrucken zu lassen. Über die Massenmedieneinflüsse legt man sich — selbstunkritisch — keine Rechenschaft ab. Die methodologischen Schwierigkeiten der massenmedialen Wirkungsforschung werden Uberhaupt nicht bestritten, obwohl es sorgfältige psychologische Forschungen gibt, die die Wirkungen der Massenmedien auf ihre Rezipienten nachweisen. Es nimmt nur wunder, daß die Massenmedien ihre Wirkungen leugnen, obgleich sie sich zum größten Teil aus Werbung finanzieren, und daß die Wirtschaft viel Geld für Werbung in den Medien ausgibt, obgleich eine solche Werbung — angeblich — keinerlei Einflüsse ausübt. Es erstaunt weiterhin, daß die Massenmedien, die — wie allgemein eingeräumt — realitätsverzerrende, gewaltsame Kriminalitätsinhalte verbreiten, nicht nachweisen müssen, daß ihr Verhalten harmlos ist, sondern daß sie die Beweislast den Wissenschaftlern zuschieben, die bereits bewiesen haben, daß die Medieninhalte gewaltsam und realitätsverzerrend sind. — In einer nordamerikanischen (Wesley G.Skogan, Michael G. Maxfield 1981) und einer schweizerischen Untersuchung (Martin Killias 1983) wird bestritten, daß die Massenmedien Verbrechensfurcht hervorrufen. Man räumt ein, daß Gewaltverbrechen in der kriminellen Wirklichkeit selten sind. Man gibt auch zu, daß die Massenmedien ständig und im Übermaß Gewaltverbrechen darstellen und daß die emotionale Verbrechensfurcht in der Bevölkerung weit verbreitet ist. Man leugnet aber den Anteil, den die Massenmedien an der Entstehung der gefühlsmäßigen Verbrechensfurcht haben. Diese Furcht soll vielmehr allein durch persönliche Viktimisierung, durch psychische und soziale Verwundbarkeit für kriminelles Opferwerden und durch persönliche Gespräche über Straftaten entstehen. Die Vertreter dieser Auffassung können die Widersprüche, die aus ihren Untersuchungsergebnissen folgen, nicht erklären. Es ist unerklärlich, warum auf der einen Seite Viktimisierung durch Gewaltdelikte selten vorkommt, warum auf der anderen Seite aber angeblich viele Menschen Opfer von Gewaltdelikten kennen und mit ihnen über ihr kriminelles Opferwerden sprechen sollen. Aus der viktimologischen Erfahrung folgt im Gegenteil die Erkenntnis, daß Opfer von Gewalttaten sich scheuen, über ihre

Opfererfahrung zu reden. Es leuchtet ferner nicht ein, warum persönliche Gespräche über Straftaten sich allein auf tatsächliche Opfererfahrungen, nicht aber auf Mediendarstellungen von Straftaten stützen sollen. — Eine kritische Studie (Barrie Gunter 1987) argumentiert, Einwohner von Stadtgebieten, die hoch mit Kriminalität belastet seien, hätten eben wegen dieser Belastung große Verbrechensfurcht; sie würden deshalb zu Fernsehvielsehern. Denn in der Kriminalitätsdarstellung des Fernsehens triumphierten letztendlich die „Kräfte des Guten"; der Straftäter werde gefaßt und Recht und Ordnung siegten. Die Studie macht ferner geltend, in der Kriminalitätsdarstellung des Fernsehens werde ganz offen eine gerechte und sichere Welt gezeigt, die gerechter und sicherer als die Wirklichkeit sei; durch diese realitätsverzerrende Kriminalitätsdarstellung erfülle das Fernsehen eine wichtige Funktion für die Menschen, die ängstlich seien; denn es vermindere deren Verbrechensfurcht und gebe ihnen sozialen Halt. Die Studie berücksichtigt nicht, daß das „Gute" in der Mediendarstellung der Kriminalität und ihrer Kontrolle stets durch repressive Gewaltanwendung siegt, die als gerechtfertigt dargestellt wird. Jeder Fernsehzuschauer bekommt durch diese Darstellung den Eindruck, er dürfe Gewalt anwenden, wenn nur seine Ziele „gut" seien. Was indessen „gut" ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Es ist gerade ein Charakteristikum des Rechtsbrechers, daß er seine Straftaten vorab als „gut" rechtfertigt. Die kritische Studie wäre im Recht, wenn das Fernsehen veranschaulichen würde, daß kriminelle Konflikte durch friedliche, einvernehmliche Konfliktregulierung der Konfliktparteien kontrolliert werden können. Das aber zeigt das Fernsehen eben nicht. Die Begehung wie die Kontrolle der Kriminalität sind in den Massenmedien gewaltsam; Sozialkontrolle besteht in den Massenmedien einseitig aus Repression, Niederschlagung, Bekämpfung. Es ist eben gerade diese übertrieben dargestellte Unfriedlichkeit der Welt, die emotionale Angst verursacht. Begehung wie Kontrolle der Kriminalität sind in Wirklichkeit nicht so gewaltsam. Außerdem macht das Fernsehen die Gründe für die Gewaltanwendung weder auf der Begehungs- noch auf der Kontrollseite deutlich. Der Fernsehzuschauer wird in eine „Scheinwelt der Gewaltsamkeit" versetzt, die ihn eben wegen dieser Unwirklichkeit unsicher und furchtsam macht. Es geht bei der Kriminalitätsdarstellung in den Massenmedien darum, objektive und subjektive Sicherheitslage möglichst zur Deckung zu bringen. Klaffen beide auseinander, entsteht emotionale Verbrechensfurcht. — Eine neuere Untersuchung, die von einem For-

Massenmedien

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schungsteam der „National Broadcasting Corporation", einem der drei großen kommerziellen Fernsehnetze der USA, durchgeführt worden ist (J. Ronald Milavsky, Ronald C. Kessler, Horst H. Stipp, William S . R u b e n s 1982), kommt zwar zu dem Ergebnis, daß Gewaltdarstellungen im Fernsehen keinerlei Wirkungen auf die Einstellungen und Verhaltensstile der Zuschauer haben. Diese Studie, die gewaltsames Verhalten allein auf Familien- und Nachbarschaftseinflüsse zurückführen will, vermag jedoch nicht zu überzeugen. Sie kann nämlich nicht begründen, warum sich aggressive Lernvorbilder der Familie und Nachbarschaft auf das Verhalten auswirken, nicht aber Lernmodelle des Fernsehens.

Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben ist den Massenmedien keineswegs alles erlaubt. Sie dürfen Hetzpropaganda, wie sie z. B. in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland zu verhängnisvollen Folgen geführt hat, nicht dulden (Law Reform Commission of Canada 1986). Die Kriminalität kann nur mit Hilfe der Gesellschaft kontrolliert werden. Voraussetzung für eine solche Kontrolle ist, daß der Gesellschaft ihre kriminellen Probleme wirklichkeitsgetreu bewußt gemacht werden. In diesem Zusammenhang kommt den öffentlichrechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, die sich weitgehend aus Gebühren finanzieren, eine besondere Verantwortung zu. Die Bestimmungen der Landesrundfunkgesetze und Staatsverträge müssen voll verwirklicht werden.

— Schließlich wird geltend gemacht, daß die kritischen Einwände gegen Kriminalitätsdarstellung in den Massenmedien zwar für die USA zutreffend sein könnten, nicht aber für die westeuropäischen oder gar die übrigen Länder der Erde. Solcher Abwehrmechanismus überzeugt nicht. Die Produkte der nordamerikanischen Filmund Fernsehindustrie verbreiten sich — nicht zuletzt im Wege des Kabel- und Satellitenfernsehens und der Videos — immer mehr über die ganze Welt, nicht zuletzt in Westeuropa. Nordamerikanische Kriminalitätsdarstellung gibt den Maßstab für die Medienproduktion in anderen Ländern ab. Leitbilder, Wertvorstellungen und Verhaltensstile der Gesellschaft der USA werden von anderen Gesellschaften, speziell von denen der westeuropäischen Länder, vermehrt übernommen. Wir befinden uns gegenwärtig in einem nordamerikanischen Jahrhundert.

Bei einer realistischen Einschätzung der gegenwärtigen Lage wird es nicht möglich sein, den Rezipienten ihre beliebte Unterhaltung mit abweichenden und kriminellen Phantasien ganz zu entziehen. Die Gewaltdarstellungen sollten allerdings zugunsten von Darstellungen friedlicher Konfliktregelung eingeschränkt werden. Insbesondere sollten die Zeichentrickfilme für Kinder keine wie immer gearteten Gewaltdarstellungen mehr enthalten. Die unterhaltenden Kriminalitätsdarstellungen für Erwachsene sollten ferner nicht in dem gegenwärtigen hohen Maße von der Realität abweichen. Hauptsächlich sollten die Massenmedien bei ihrer Kriminalitätsunterhaltung nicht den Anschein der kriminellen Wirklichkeit erwecken. Es ist vielmehr ein Gebot der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit, daß sie in geeigneter Weise darauf hinweisen, daß es sich bei Kriminalfernsehspielen um Spiele, um Denksportaufgaben handelt (Heike Jung 1985 a, 1985 b).

K. Empfehlungen für eine kriminologisch wünschenswerte Kriminalitätsdarstellung der Massenmedien Es kann keine Rede davon sein, daß die Pressefreiheit aufgrund der dargestellten Forschungsergebnisse in irgendeiner Weise eingeschränkt werden soll. Die Kommunikatoren der Massenmedien können sich freilich nicht auf den Standpunkt zurückziehen, die Massenmedien hätten ihre Rezipienten ausschließlich mit Verbrechen und abweichendem Verhalten zu unterhalten. Die Massenmedien haben in einem demokratischen Rechtsstaat die Aufgabe, über Kriminalität und Kriminaljustiz in objektiver, wirklichkeitsnaher Form zu informieren, die potentiellen Opfer von Verbrechen über ihr Viktimisierungsrisiko wahrheitsgemäß zu orientieren, die Strafgesetzgebung und das Kriminaljustizsystem als „Wachhunde der Öffentlichkeit" zu kontrollieren und der Gesellschaft klarzumachen, wo die Grenzlinie zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten zu ziehen ist (Grenzziehungshypothese) (Kai T. Erikson 1966; Michael Sturma 1984).

Die Kriminalitätsberichterstattung in den Massenmedien muß ihren Rezipienten ein vollständigeres und wirklichkeitsgerechteres Bild von Kriminalität, Straftätern und Verbrechensopfern vermitteln. Kriminalitätsnachrichten sind durch Hintergrundinformationen, durch Dokumentationen zu ergänzen, die zu Sendezeiten mit einer hohen Einschaltquote ausgestrahlt werden, und die einem Massenmedienpublikum die Forschungsergebnisse der Kriminologie und ihre praktischen Auswirkungen verständlich machen. Es genügt nicht, daß Kriminologen in Hintergrunddokumentationen zitiert oder kurz interviewt werden, die im übrigen nach dem bisherigen Unterhaltungsprinzip strukturiert sind. Vielmehr müssen die Hintergrundinformationen selbst von besser kriminologisch ausgebildeten Journalisten nach den Forschungsergebnissen der Kriminologie gestaltet werden. Es reicht nicht aus, daß unter dem Zwang der Aktualität Dokumentationen hastig zusammengestellt werden. Die Analyse von Kriminalitätsproblemen erfordert vielmehr sorgfältige Recherchen und ein kriminologisches Durchdenken der Probleme mit R u h e , Besonnenheit und Gelassenheit. Der Journalist muß den Mut zur Darstellung der Alltäglichkeit, der „Normali-

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Massenmedien

tät" der Kriminalität haben. Dies ist zwar schwer, da die Rezipienten durch die Kriminalitätsunterhaltung verbildet und verwöhnt sind. Es ist jedoch nicht unmöglich, wenn die Journalisten sich von der Vorstellung freimachen, ihre Rezipienten wollten unbedingt die Kriminalität so verkürzt sehen, wie sie gegenwärtig dargestellt wird. Es ist insbesondere notwendig, daß die empirischen Forschungsergebnisse der Kriminologie einer breiteren Öffentlichkeit und speziell den Massenmedien in verständlicher und aktueller Art und Weise nahegebracht werden. In diesem Zusammenhang spielt die kritische Medienerziehung in Schule und Erwachsenenbildung eine große Rolle. D a s Problem liegt letztlich in einer besseren Zusammenarbeit der Kriminologie mit den Massenmedien, zu der beide Teile ihren Beitrag leisten müssen. Alles, was von den Massenmedien hier gefordert wird, läßt sich in einem Satz zusammenfassen: Sie sollen zum Frieden, zur Wahrheit und zur Ehrlichkeit besser beitragen, damit wir mit den Problemen der Sozialabweichung, der Jugenddelinquenz und der Kriminalität erfolgreicher fertigwerden, als dies gegenwärtig der Fall ist.

M o n o g r a p h i e n und

Sammelwerke

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Z e i t s c h r i f t e n - , S a m m e I we rk a u f s ä t z e u n d Α.

Vorträge

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SCHNEIDER

KINDESMISSHANDLUNG 1. Probleme

der

Begriffsbildung

Viele wissenschaftliche und publizistische Abhandlungen zu dem Problem der Kindesmißhandlung verzichten auf Versuche, den Gegenstand ihrer Darstellung, den körperlichen Mißbrauch von Kindern, begrifflich näher zu umreißen. Sie setzen vielmehr stillschweigend eine gesellschaftliche Übereinstimmung hinsichtlich der begriffsbestimmenden Merkmale der Kindesmißhandlung voraus, die in der sozialen Wirklichkeit nicht vorhanden ist (Williams 1980, 1). Die Vielfalt der Vorstellungen darüber, welche sozialen Verhaltensweisen und Bedingungen als Kindesmißhandlung einzustufen sind, wird besonders augenfällig, wenn Gesellschaften unterschiedlicher Kulturkreise miteinander verglichen werden (vgl. die Abhandlungen in Korbin 1981). Es gibt keine interkulturell gültigen Maßstäbe für die Wege und Ziele der kindlichen Sozialisation (Korbin 1982, 257). Sie sind vielmehr in hohem Maße von gesellschaftlichen Normen und Werten geprägt. Denn das Kind soll im Sozialisationsprozeß zur Anpassung an die jeweilige Gesellschaft geführt werden, die Werte und Kenntnisse seiner Gruppe erwerben und die seiner Position entsprechenden sozialen Rollen lernen (Goode 1976, 27). Kindesmißhandlung ist eine Form der Abweichung von den jeweils gesellschaftlich anerkannten Mitteln und/oder Zielen der Sozialisation. In einigen Stammeskulturen der dritten Welt müssen sich Heranwachsende auch heute noch grausam schmerzhaften und demütigenden Initiationsriten unterziehen (für Neu Guinea: Langness 1981). Sie erscheinen westlichen Beobachtern, die ihr eigenes Normen- und Wertesystem zugrundelegen, oft als schlimmste Form der Kindesmißhandlung. Da das Durchleiden solcher Riten indessen die Voraussetzung dafür ist, daß ein Heranwachsender seine soziale Position in der Erwachsenengesellschaft einnehmen kann, wird die rituell geforderte Zufügung

körperlicher Schmerzen und Verletzungen weder von ihren „Opfern" noch von den übrigen Angehörigen des jeweiligen Stammes als Mißbrauch empfunden. Ähnliches gilt für die Praxis der Beschneidung von Kindern oder Jugendlichen, die in islamischen Ländern noch verbreitet ist (Olson 1981, 111; LeVine, LeVine 1981,49). Umgekehrt werden einige im Westen übliche Erziehungsmethoden, wie das Füttern von Säuglingen nach einem festen Zeitplan oder die von den Eltern getrennte Unterbringung der Kinder in Kinderzimmern, von Angehörigen anderer Kulturen als Grausamkeit angesehen (Korbin 1981, 4f.; 1982, 259; Olson 1981, 113; Wu 1981, 152). Die Suche nach einem interkulturell annehmbaren und gültigen Begriff von Kindesmißhandlung führt zu Definitionen, die in ihrer Subjektivität und Unbestimmtheit kaum verwertbare Abgrenzungen darstellen. So gelangt Cantwell (1982, 273) zu dem Schluß, daß Verhaltensweisen gegenüber einem Kind dann international als Kindesmißhandlung eingestuft werden, wenn sie von dem Wunsch geleitet sind, das Kind zu verletzen, oder die Bereitschaft erkennen lassen, die Interessen des Kindes den Interessen des Handelnden zu unterwerfen und die Schwäche des Kindes auszunutzen. Diese Begriffsbestimmung ausschließlich anhand von Motivationsmerkmalen wirft erhebliche Schwierigkeiten auf. Ein Verhalten ist regelmäßig durch eine Vielzahl von Motiven bestimmt. Schmerzhafte Initiationsriten in Stammeskulturen oder körperliche Strafen in westlichen Industrieländern mögen durchaus auch von dem Wunsch getragen sein, Kinder zu verletzen. Andere — religiös-soziale oder erzieherische — Motive spielen gleichwohl eine bedeutende Rolle. Zweifelhaft ist weiterhin, wie die beabsichtigte Folge eines Verhaltens beschaffen sein muß, um als Verletzung des Kindes oder Vernachlässigung seiner Interessen angesehen zu werden. Insbesondere über die Frage, welches die Interessen des Kindes sind, herrscht erhebliche Uneinigkeit. Es stellt sich auch das Problem, wie die Unterdrückung der — wie auch immer bestimmten — Kindesinteressen zu werten ist, wenn sie auf wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeiten beruht. Dies ist beispielsweise bei der in vielen Entwicklungsländern verbreiteten Kinderarbeit der Fall (LeVine, LeVine 1981, 43). Schließlich stößt die Messung von Motivation und Motivationsstärke auf beträchtliche Schwierigkeiten. Eine praktisch verwendbare, interkulturell gültige Definition von Kindesmißhandlung ist daher bislang nicht gelungen. Problematisch ist freilich auch die Bestimmung eines intrakulturell in den westlichen Industrienationen oder auf nationaler Ebene anerkannten Begriffs mißbräuchlichen Verhaltens gegenüber Kindern. Sowohl Laien als auch die im Kinderschutz praktisch tätigen Fachleute haben recht unterschiedliche Vorstellungen über die Abgrenzung der Kindesmißhandlung von annehmbarem Erzie-

Kindesmißhandlung hungsverhalten (vgl. die Untersuchung von Giovannoni, Becerra 1979). Innerhalb der Bevölkerung gibt es Schicht- und ethnisch bestimmte Unterschiede im Verständnis des Begriffs der Kindesmißhandlung (Giovannoni, Becerra 1979, 184f., 208ff.; Gil 1977, 11). Fachleute definieren das Problem anders als Laien (Giovannoni, Becerra 1979, 206ff.) und lassen ihrerseits berufsgruppenspezifische Abweichungen in ihrer Begriffsbildung erkennen (Giovannoni, Becerra 1979, 136ff.). Übereinstimmungen im Begriffsverständnis sind nur in den Extrembereichen körperlicher Gewaltanwendung gegenüber Kindern festzustellen (Giovannoni, Becerra 1979, 243 f.). Welche Geschehnisse mit dem Begriff Kindesmißhandlung belegt werden, ist demnach eine Frage der subjektiven Wertung, die nicht nur von Maßstäben der jeweiligen Gesamtgesellschaft, sondern auch von den Normen und Werten der sozialen Gruppe geprägt sind, der der Wertende angehört. Kindesmißhandlung ist ein gesellschaftliches Konstrukt (Gelles 1979 b). Es gibt keine objektiv faßbaren Merkmale, die einem Verhalten innewohnen und es gleichsam automatisch als Kindesmißhandlung kennzeichnen (Giovannoni, Becerra 1979, 20). Vielmehr bildet sich der Begriff der Kindesmißhandlung in sozialen Definitionsabläufen und wird in individuellen Etikettierungsprozessen auf den konkreten Einzelfall angewendet. Am einfachsten und zutreffendsten ist es deshalb, Kindesmißhandlung zu definieren als alle diejenigen Verhaltensweisen und Bedingungen, die gesellschaftlich als Kindesmißhandlung angesehen werden. Eine solche Begriffsbestimmung ist freilich wenig greifbar und legt unmittelbar die Frage nahe, welche Verhaltensweisen und Bedingungen es sind, die als Kindesmißhandlung betrachtet werden. Jeder Versuch der inhaltlichen Konkretisierung dieser Begriffsbestimmung anhand von empirischen Untersuchungen des sozialen Verständnisses führt wieder zu dem Ausgangsproblem zurück, daß es insoweit keine einheitliche gesellschaftliche Auffassung gibt. Die unkritische Übernahme sozialer Definitionen bei der Begriffsbildung verstellt darüber hinaus den Blick auf die Frage, ob der Begriff nach wissenschaftlicher Wertung „richtig" bestimmt ist, d. h. ob er nicht beispielsweise zu eng ist und einige Formen der schädigenden Behandlung von Kindern überhaupt nicht erfaßt. Üm die Probleme einer ausschließlichen Ausrichtung des wissenschaftlichen Begriffsverständnisses an gesellschaftlichen Anschauungen zu lösen und dennoch der sozialen Subjektivität des Begriffs Rechnung zu tragen, wird vorgeschlagen, Kindesmißhandlung zu definieren als jede Handlung oder Unterlassung einer Sorgeperson, die aufgrund von Wertungen der Gesellschaft einerseits und dem sachverständigen Urteil von Wissenschaftlern und Praktikern des Kinderschutzes andererseits als unangemessen und schädlich für das Kind angesehen

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wird (Garbarino, Gilliam 1980, 7). Indessen bestehen auch in der Wissenschaft und der rechtlichen und sozialarbeiterischen Praxis des Kinderschutzes keine übergreifend gültigen Konzepte der Kindesmißhandlung (Gelles, Cornell 1983, 4 f f . ) . Unterschiede in der Begriffsbildung ergeben sich bereits daraus, daß teilweise nicht nur individuelle Verhaltensweisen als Kindesmißhandlung eingestuft werden, sondern auch allgemeine soziale Bedingungen, die zu einer Schädigung oder Benachteiligung von Kindern führen (Gil 1976, 130; Kinderschutzzentrum Berlin in Wittenhagen, Wolff 1980, 6; Bhattacharyya 1983, 110). Soweit wissenschaftliche Definitionen der Kindesmißhandlung nur individuelles Verhalten einbeziehen, unterscheiden sie sich zum einen hinsichtlich der Reichweite der erfaßten Handlungen. So wird teilweise nur die Verursachung schwerer körperlicher Schäden als Mißhandlung angesehen (Kempe, Silverman, Steele, Droegemueller, Silver 1974). Andere Autoren nehmen alle Formen körperlicher Gewaltausübung gegenüber Kindern in die Definition auf (Gil 1970, 6; 1979, 177; damit übereinstimmend H . J . Schneider 1987, 668) oder machen den Gebrauch des Begriffs der Mißhandlung von der Gefährdungsintensität der Gewaltanwendung abhängig (Straus, Gelles, Steinmetz 1980, 20ff.). Zum Teil wird eine Grenzziehung zwischen körperlicher und seelischer Mißhandlung und Vernachlässigung abgelehnt und ein umfassender Begriff des Kindesmißbrauchs gebildet (Garbarino, Gilliam 1980, 71 ff.; Cantwell 1982). Das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland geht bei der tatbestandlichen Definition der Mißhandlung von Schutzbefohlenen (§ 223 b StGB) einen Mittelweg, indem es mit der Verwendung des Merkmals „quälen" einerseits die Verursachung länger dauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden verlangt, andererseits hier auch seelische Mißhandlungen ausreichen läßt (Schönke, Schröder, Stree § 223 b Rdn. 12). Abweichungen unter den wissenschaftlichen und rechtlichen Konzepten ergeben sich zum anderen im Hinblick auf den Stellenwert, der der Verletzungsabsicht des Täters oder seinen Motiven eingeräumt wird. Manche Definitionen stellen nur auf den Eintritt bestimmter Verletzungsfolgen bei dem Kind ab und lassen subjektive Merkmale des Täterverhaltens außer Betracht (Kempe, Silverman, Steele, Droegemueller, Silver 1974). Um unfallbedingte Schädigungen aus dem Begriff der Mißhandlung auszuschließen, wird freilich oft eine vorsätzliche oder nicht zufällige Verletzung verlangt (Gil 1970, 6; 1979, 176f.; Straus, Gelles, Steinmetz 1980, 20ff.; Wittenhagen, Wolff 1980, 7; Kempe, Helfer 1972, xi). Teilweise werden besondere Anforderungen an die Motive des Täters gestellt (Cantwell 1982), insbesondere wird häufig die Kindesmißhandlung von der erzieherisch motivierten angemessenen körperlichen Bestrafung von Kindern abgehoben (Kaiser 1983, 13ff.; Giesen 1979, 12).

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Kindesmißhandlung

Auch das Strafrecht geht von einer Abgrenzung zwischen erlaubter, erzieherisch motivierter Kindeszüchtigung (Schönke, Schröder, Eser §223 Rdn. 17ff., 24) und Kindesmißhandlung aus. Die Vielfalt der in Wissenschaft und Praxis verwendeten Mißhandlungsbegriffe ergibt sich aus der Verschiedenartigkeit der Zwecke, denen die Definitionen dienen. Im Strafrecht ist die tatbestandliche Bestimmung des Begriffes der Mißhandlung Schutzbefohlener Grundlage für ein Eingreifen des Staates mit den schärfsten ihm zu Gebote stehenden Mitteln. Entsprechend dem Ultima-Ratio-Charakter des Einsatzes staatlicher Strafdrohungen und ihrer Verwirklichung wird der Begriff der Kindesmißhandlung sehr eng definiert. In der Kinderheilkunde hat die Festlegung eines medizinischen Konzepts der Kindesmißhandlung Bedeutung für die Diagnose und Behandlung der eingetretenen Verletzungen. Es ist daher zweckmäßig, daß die Pädiatrie bei ihrer Begriffsbildung nur auf die eingetretenen Verletzungsfolgen und nicht auf die Absicht oder die Motive des Täters abstellt. Unter medizinischen Gesichtspunkten spielt darüber hinaus die Schwere der beim Kind eingetretenen körperlichen Schäden eine zentrale Rolle. Die Kinderheilkunde wendet ihre Aufmerksamkeit daher vornehmlich dem sogenannten „Kindesmißhandlungssyndrom" (battered-child-syndrome) zu, einem vorwiegend bei Kleinkindern auftretenden Krankheitsbild, das Knochenbrüche, subdurale Hämatome (Blutergüsse in den Schädelraum unter der harten Hirnhaut), Wachstumsstörungen, Schwellungen der weichen Gewebe und Blutergüsse umfaßt (Kempe, Silverman, Steele, Droegemueller, Silver 1974; Cameron, Rae 1975). Die Begriffsbildung der Sozialarbeit ist vorwiegend am Gedanken des Kinderschutzes durch eine Verbesserung der allgemeinen sozialen und besonderen familiären Lebensbedingungen ausgerichtet. Der Gedanke des sozialen Kinderschutzes läßt es angemessen erscheinen, nicht nur gegen gewaltsame Verletzungen des Kindes im Elternhaus vorzugehen, sondern auch gesellschaftliche Zustände und Prozesse zu verdeutlichen und zu bekämpfen, die Rechte und Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern beeinträchtigen. Eine weite Definition von Kindesmißhandlung, die neben individuellen Formen mißbräuchlichen Verhaltens gegenüber Kindern auch schädliche oder nachteilige soziale Bedingungen erfaßt (vgl. die Definition des Kinderschutz-Zentrums Berlin in Wittenhagen, Wolff 1980, 6), hat im Hinblick auf diese Ziele durchaus ihre Berechtigung (a. A. Kaiser 1983, 14 f.). Wegen dieser Zweckabhängigkeit der Bestimmung des Begriffs der Kindesmißhandlung in Wissenschaft und Praxis ist die Bildung eines einheitlichen Konzepts letztlich überhaupt nicht wünschenswert. Denn die Definition muß den jeweiligen Anforderungen und Aufgaben unterschiedlicher Wissenschafts- und Praxisfelder angepaßt sein. Gleich-

wohl verursacht die Vielfalt der Begriffe auf interdisziplinärer Ebene erhebliche Verständigungsschwierigkeiten und stellt insbesondere die kriminologische Forschung vor beachtliche Probleme. Anliegen der Kriminologie sind in erster Linie die Ermittlung der Häufigkeit, der gesellschaftlichen Verteilung und der Erscheinungsformen der Kindesmißhandlung sowie die Analyse ihrer Ursachen und die Erarbeitung problembezogener Vorbeugungs- und Behandlungsprogramme. Die Definition der Kindesmißhandlung hat für die Erfüllung dieser wissenschaftlichen Aufgaben grundlegende Bedeutung. Von der Enge oder Weite des Begriffs und seiner inhaltlichen Ausgestaltung hängt zum einen die Erfassung der Häufigkeit und Verbreitung der Kindesmißhandlung und ihrer Erscheinungsformen ab (Williams 1980, 4). Wegen ihrer uneinheitlichen Definition ist es schwierig, vergleichbare Daten über Häufigkeit und Verbreitung von Kindesmißhandlung zu erhalten (Gil 1970, 12; Gelles 1979 b, 149). Je weiter ihr Begriff gefaßt wird, desto größer ist naturgemäß ihre soziale Ausdehnung. Weite und Inhalt der Definition beeinflussen zum anderen die Analyse der Ursachen mißbräuchlichen Verhaltens gegenüber Kindern (Gil 1970, 12ff.; Gelles 1979b, 148ff.). O b die Kindesmißhandlung als Problem weniger in ihrer Persönlichkeit gestörter Täter oder sozial unterprivilegierter Familien angesehen wird oder als gesellschaftliches Massenphänomen, das aus gängigen sozialen Normen und familiären Interaktionsmustern heraus erklärt werden muß, hängt von der Reichweite des betrachteten Verhaltens ab. Die Ursachenanalyse ihrerseits bestimmt die Entwicklung und Auswahl von Behandlungs- und Vorbeugungsmaßnahmen. Auf diese Weise hat die Definition des Begriffs der Kindesmißhandlung auch erheblichen Einfluß auf die soziale Reaktion (Gelles 1979 b, 148). Der kriminologische Begriff der Kindesmißhandlung muß mithin so gebildet werden, daß er die Analyse des Umfangs, der Verteilung und der Ursachen sowie die Entwicklung von Vorbeugungsund Reaktionsmöglichkeiten fördert. Er soll klare, forschungsfreundliche Abgrenzungskriterien liefern. Im Hinblick auf die Verschiedenartigkeit der Ursachen der schädigenden Verhaltensweisen und der zu ihrer Verhinderung erforderlichen Maßnahmen muß er eine Unterscheidung zwischen vorsätzlichen und fahrlässigen oder zufälligen Verletzungen des Kindes treffen. Nur die vorsätzliche Verletzung eines Kindes darf als Kindesmißhandlung eingestuft werden. Der Mißhandlungsbegriff darf ferner nicht durch die Zusammenfassung vieler verschiedener individueller und sozialer Verhaltensweisen und Bedingungen überfrachtet sein. Globale Definitionen, wie sie etwa in der Sozialarbeit verwendet werden, erschweren die kriminologischen Ursachen· und Behandlungsanalyse. Das Konzept der Kindesmißhandlung soll vielmehr homogen sein,

Kindesmißhandlung d. h. es soll möglichst gleichartige Verhaltensweisen erfassen. Der Begriff der Kindesmißhandlung soll d a h e r nur f ü r F o r m e n körperlicher Gewaltausübung verwendet w e r d e n . Die ausschließlich seelische Beeinträchtigung des Kindes soll im Sinne der Forderungen nach Klarheit und Homogenität der Definition ebenso aus dem Begriff der Kindesmißhandlung ausgeklammert bleiben wie die ausschließlich sexuelle Belästigung und Verletzung des Kindes, die nicht mit körperlicher Gewaltanwendung einhergeht. Diese begriffliche Einschränkung besagt nicht, d a ß diese F o r m e n des Kindesmißbrauchs für das b e t r o f f e n e O p f e r , die Familie und die Gesellschaft weniger schwerwiegend sind als die körperliche Kindesmißhandlung. Eine forschungsfreundliche Definition soll schließlich keine Ansprüche an die Motivation des Täters stellen, da Beweggründe nicht objektivierbar und selten eindeutig sind. Eine Unterscheidung zwischen „erzieherisch" motivierter Kindeszüchtigung einerseits und Kindesmißhandlung andererseits ist nicht sinnvoll, da sie den Blick auf möglicherweise vorhandene gemeinsame Ursachen von körperlicher Bestrafung und Mißhandlung verstellt. Indem sie soziale N o r m e n übernimmt, verhindert die Grenzziehung zwischen Züchtigung und Mißhandlung eine kritische Auseinandersetzung mit diesen N o r m e n . D e n Forderungen nach Klarheit und Homogenität der kriminologischen Bestimmung des Begriffs der Kindesmißhandlung genügt nur eine Definition, die alle F o r m e n vorsätzlicher körperlicher Gewaltanwendung durch Eltern o d e r andere Erzieher gegenüber Kindern erfaßt. Kindesmißhandlung ist daher zu definieren als jede vom Vorsatz getragene Entfaltung körperlicher Kraft durch Eltern oder andere Sorgepersonen, die darauf abzielt, dem Kind Schaden zuzufügen, es zu verletzen oder gesundheitlich zu schädigen (vgl. Gil 1977, 6; 1970, 177).

2.

Umfang

Gegenwärtig ist es nicht möglich, einen zuverlässigen Überblick über das statistische A u s m a ß des Problems der Kindesmißhandlung in der Bundesrepublik Deutschland zu gewinnen. Hier sind noch keine umfassenden Dunkelfeldstudien zur Verbreitung körperlicher G e w a l t a n w e n d u n g gegen Kinder durchgeführt worden. V e r f ü g b a r sind lediglich Daten offizieller Stellen, die über die Häufigkeit der schweren Formen von Gewalt gegen Kinder Auskunft geben sollen. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist für 1988 1145 Fälle strafbarer Kindesmißhandlung im gesamten Bundesgebiet aus (PKS f ü r 1988, 116). Seit 1980 verzeichnet sie — von einer Schwankung im Jahre 1985 abgesehen — einen Rückgang der polizeilich registrierten Fälle (vgl. PKS für 1980, 78; für 1981, 77; für 1982,77; f ü r 1983, 51; f ü r 1985, 89; f ü r 1986,109; für 1987,113). O b die insgesamt rückläu-

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fige Tendenz auf eine nachhaltige V e r ä n d e r u n g d e r Erziehungspraxis, hindeutet oder nur auf der sinkenden G e b u r t e n r a t e beruht, ist ungewiß (vgl. Engfer 1986, 21). Die Anzahl der wegen Kindesmißhandlung verurteilten Täter bleibt weit hinter der Anzahl der polizeilich ermittelten Tatverdächtigen zurück. So standen im Jahre 1987 1134 Personen im V e r d a c h t , sich wegen Kindesmißhandlung strafbar gemacht zu h a b e n (PKS für 1987, 114). D e m g e g e n ü b e r wurden nur 158 Tatverdächtige wegen Mißhandlung von Schutzbefohlenen ( § 2 2 3 b S t G B ) verurteilt (Statistisches B u n d e s a m t 1989, 26 f.). Kindesmißhandlungen sind vor Gericht meist nur schwer nachweisbar, da sie sich in d e r Z u r ü c k gezogenheit der Familie ereignen und mögliche Z e u g e n , häufig Familienmitglieder, N a c h b a r n o d e r der b e h a n d e l n d e A r z t , nicht zur Aussage bereit sind. D a r ü b e r hinaus sind die Gerichte zurückhaltend, Verurteilungen wegen Kindesmißhandlung auszusprechen. Die Richter spüren, d a ß den Beteiligten, insbesondere dem mißhandelten Kind, mit einer Verurteilung des Täters oder der Täterin nicht geholfen ist, d a ß eine solche Verurteilung vielmehr e h e r zur Verschärfung der Situation der Familie beiträgt ( U . S c h n e i d e r 1987, 161 ff.). Wegen des erheblichen Dunkelfelds gerade im Bereich der Kindesmißhandlung geben die polizeilichen Z a h l e n nur wenig Aufschluß über den wirklichen U m f a n g des Problems. Schätzungen, die f ü r Kindesmißhandlungen ein Dunkelfeld von bis zu 9 5 % zugrunde legen (vgl. Würtenberger 1974, 66), gelangen zu einer Anzahl von mindestens 20000 (Amnion 1979, 15) ü b e r 80000 (Viano 1975, 145 f.) bis zu 400000 (Kinderschutzzentrum Berlin bei Bergdoll, Namgalies-Treichler 1987, 114) Fällen in der Bundesrepublik pro Jahr. Die erheblichen A b weichungen der geschätzten Zahlen b e r u h e n nicht nur auf Unterschieden im Verständnis des Begriffs der Kindesmißhandlung, sondern spiegeln die M a n gelhaftigkeit der Datengrundlagen wider. Die vorh a n d e n e n Schätzungen sind in hohem M a ß e spekulativ, da sie sich nicht auf deutsche D u n k e l f e l d u n tersuchungen stützen k ö n n e n . Sie beruhen vielmehr bestenfalls auf regionalen Behördenzählungen. So ergab eine H o c h r e c h n u n g der Fälle von Kindesmißhandlung und -Vernachlässigung, die den Stellen der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge und der Familienfürsorge in West-Berlin im Jahre 1975 bekannt w u r d e n , ein A u s m a ß von 63660 Fällen f ü r das gesamte Bundesgebiet (Bundesministerium f ü r Jugend, Familie und Gesundheit 1980, 11 f.). Diese H o c h r e c h n u n g begegnet erheblichen methodischen B e d e n k e n (vgl. dazu Heinsen 1982). Insbesondere erlaubt die Anzahl der Fälle, die von der Fürsorge erfaßt wurden, keine soliden Rückschlüsse auf die Anzahl der tatsächlich begangenen Kindesmißhandlungen. Ü b e r d i e s ist zweifelhaft, ob sich die in West-Berlin ermittelten Zahlen auf die Bundesrepublik übertragen lassen.

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Kindesmißhandlung

Es wird davon ausgegangen, daß in der Bundesrepublik 60 bis 8 0 % aller Eltern regelmäßig von Schlägen als Erziehungsmittel Gebrauch machen (Doormann 1979, 27 ff.; Petri 1981, 930). Schneewind u . a . befragten in den Jahren 1976 und 1977 570 Familien in sechs Bundesländern zu den Erziehungspraktiken, die sie gegenüber ihrem 9- bis 14jährigen Kind anwendeten. 75 % der Mütter und 62 % der Väter sagten, daß sie ihr Kind gelegentlich ohrfeigten. 4 0 % der Mütter und 3 6 % der Väter berichteten, daß bei ihnen eine „Tracht Prügel" vorkomme, und fast 10% der Mütter und 8 % der Väter gaben an, daß sie ihr Kind gelegentlich mit einem Stock oder Gürtel schlügen (Schneewind, Beckmann, Engfer 1983, 53 f.). Bei der Übernahme dieser Forschungsergebnisse als Grundlage für eine Einschätzung der Verbreitung körperlicher Strafen in der familiären Kindererziehung muß berücksichtigt werden, daß die untersuchte Stichprobe von Familien nicht repräsentativ ist, da z. B. Väter mit Hochschulabschlüssen über- und sozial schwache Familien unterrepräsentiert sind. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß die Ergebnisse auf eine Unterschätzung der Üblichkeit körperlicher Strafen hinauslaufen (Schneewind, Beckmann, Engfer 1983, 61). Überdies bezieht sich die Studie auf eine vermutlich weniger durch körperliche Strafen betroffene Altersgruppe von Kindern. Es gibt Hinweise darauf, daß Schläge insbesondere in der Kleinkindererziehung eingesetzt werden. Bei ihren Untersuchungen in Nottingham/England fanden Newson und Newson (1976, 95), daß siebenjährige Kinder von ihren Müttern signifikant seltener gezüchtigt werden als vierjährige Kinder. 75 % der Mütter von Vierjährigen im Vergleich zu 41 % der Mütter von Siebenjährigen gaben an, ihr Kind mindestens einmal in der Woche zu schlagen. Eltern von Kleinkindern greifen häufiger zu Schlägen, weil sie meinen, sich ihren Kindern durch Worte nicht verständlich machen zu können. Eine erste bedeutende Dunkelfeldstudie über den Umfang aller Formen familiärer Gewaltanwendung wurde 1976 in den USA durchgeführt (Straus, Gelles, Steinmetz 1980). Es wurde eine Zufallsstichprobe von über 2000 Familien untersucht, von denen etwa die Hälfte Kinder zwischen drei und siebzehn Jahren hatten, die zu Hause lebten. 7 3 % der Befragten gaben an, zu irgendeinem Zeitpunkt eine Form von Gewalt gegenüber ihrem Kind eingesetzt zu haben. Schläge mit der Hand wurden von 71 % der Eltern erwähnt. 20 % hatten ihr Kind mit Gegenständen geschlagen. 8 % hatten es getreten, gebissen oder mit der Faust geschlagen. 4 % hatten es schwer geprügelt, und fast 3 % der Kinder waren mit einem Messer oder einer Schußwaffe bedroht worden und ebenso viele waren mit diesen Waffen mißhandelt worden. Auch die Ergebnisse dieser Untersuchung geben allerdings kein umfassendes Bild des Ausmaßes der Gewalt gegen Kinder, da gerade die besonders gefährdete Altersgruppe der

bis zu dreijährigen Kinder aus der Erhebung ausgeklammert war. In einer Folgestudie, die auf einer Befragung von rund 1400 amerikanischen Familien mit Kindern im Alter zwischen drei und siebzehn Jahren beruht und die im Jahre 1985 durchgeführt wurde, stellten Straus und Gelles einen Rückgang der Gewaltanwendung gegen Kinder gegenüber den Ergebnissen ihrer Untersuchung aus 1976 fest. Er betrug für alle Formen der Gewalt zwar nur 1,6 % . Die schweren Gewalttaten verringerten sich indessen um rund 24 % . Dieser Rückgang umfaßt eine Abnahme der schwersten Formen der Kindesmißhandlung um sogar etwa 47 % (Straus, Gelles 1986; Gelles, Straus 1987). Die Autoren diskutieren die Möglichkeit, daß der Rückgang der berichteten Kindesmißhandlungen nicht auf einer wirklichen Abnahme der Gewalt gegen Kinder, sondern auf einem geänderten Antwortverhalten der Befragten beruht, die infolge öffentlicher Diskussionen dieser Probleme weniger zur Angabe von Gewalthandlungen bereit gewesen sein mögen. Sie meinen allerdings, daß auch ein geändertes Antwortverhalten einen Einstellungswandel anzeigt, der in einen entsprechenden Wandel des Erziehungsverhaltens münden kann (Straus, Gelles 1986, 473; Gelles, Straus 1987, 86). Darüber hinaus halten sie einen tatsächlichen Rückgang der Gewalt gegen Kinder für durchaus wahrscheinlich und führen ihn wesentlich auf eine gesteigerte Sensibilität der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber Gewalt in der Erziehung zurück. Wissenschaftliche Untersuchungen, Medienkampagnen und eine gezielte auf die Bekämpfung von Kindesmißhandlung gerichtete Gesetzgebung (De Francis, Lucht 1974) haben dazu beigetragen, das öffentliche Bewußtsein für dieses Problem zu wecken. Auch wenn insbesondere schwere Gewalttaten gegen Kinder als Folge eines langsam einsetzenden Bewußtseinswandels teilweise rückläufig sein mögen, deuten die vorhandenen in- und ausländischen Daten einheitlich darauf hin, daß Gewalt in der Kindererziehung nach wie vor außerordentlich weit verbreitet ist. Obgleich körperliche Strafen in den letzten Jahren stark diskutiert und in der pädagogischen Literatur nahezu einmütig als nutzlos und schädlich abgelehnt wurden (vgl. die Übersicht bei Scheibe 1977, 224 ff.), scheinen sie immer noch zum selbstverständlichen Repertoire elterlicher Erziehungsmittel zu gehören (vgl. auch die Untersuchungsergebnisse von Pernhaupt, Czermak 1980, 162ff. in Österreich). Dabei überschreiten viele Eltern die verhältnismäßig engen Grenzen (vgl. Schönke, Schröder, Eser §223 Rdn. 18ff.; U. Schneider 1987, 49 ff.) der rechtlich zugelassenen Züchtigung und halten sich für befugt, zu Strafen zu greifen, die auch nach dem gegenwärtigen Recht bereits strafbare Körperverletzungen darstellen.

Kindesmißhandlung

3.

Phänomenologie

Es gibt Opfermerkmale, die Kinder in besonderem Maße für Schläge und Mißhandlung anfällig machen. Allgemein sind Kinder der jüngeren Altersstufen unverhältnismäßig häufig von elterlicher Gewaltanwendung betroffen. Nicht nur körperliche Strafen werden gegenüber Kindern im Kleinkindalter häufiger angewendet als gegenüber größeren Kindern. Kinder im Alter bis zu drei oder vier Jahren erscheinen auch am stärksten gefährdet, Opfer schwerer Mißhandlungen zu werden (Rafalli 1970, 142). Das Kind ist um so opferanfälliger, je jünger es ist (Martin 1976a, 28ff.). Häufig beginnt die Mißhandlung schon im Säuglingsalter. 11 % der in einer neuseeländischen Studie untersuchten mißhandelten Kinder waren unter einem Jahr alt. 37 % waren jünger als vier Jahre (Fergusson, Fleming, O'Neil 1972, 67). Unter den von Schreiber (1971, 101) ermittelten Mißhandlungsopfern waren sogar 45 % jünger als vier Jahre und 32 % jünger als drei Jahre. Bei einem Vergleich der Befunde verschiedener empirischer Untersuchungen gelangt Engfer (1986, 31, 34) zu dem Schluß, daß vermutlich 14 bis 2 2 % aller Kindesmißhandlungen Säuglinge im ersten Lebensjahr treffen. D a ß ausgerechnet Säuglinge und Kleinkinder die Hauptzielscheiben elterlicher Gewalt sind, hat verschiedene Ursachen. Zum einen stellt der Säugling seine Eltern vor eine veränderte wirtschaftliche und soziale Situation, die für diese häufig eine Belastung darstellt, deren Bewältigung sie nicht gelernt haben. Zum anderen erwarten die Eltern von ihrem Kind oft ein Verhalten, das der Entwicklung des Kindes nicht entspricht und zu dem es daher nicht in der Lage ist. Auf diese Weise kommt es zu einer dauernden Enttäuschung der elterlichen Erwartungen, die die Eltern zu gewalttätigen Angriffen gegenüber dem Kind reizt. D a sich Säuglinge und Kleinkinder noch nicht hinreichend sprachlich ausdrücken und Sprache nur in beschränktem Umfang verstehen können, sehen die Eltern in körperlicher Gewaltanwendung häufig die einzige Möglichkeit, Kinder dieser Altersgruppe zu disziplinieren und zu erziehen. Die Eltern kleiner Kinder werden noch nicht durch Kindergarten oder Schule in ihren erzieherischen Aufgaben entlastet, und die Kinder unterliegen noch nicht der sozialen Kontrolle dieser Institutionen, die ihre Eltern eine Entdeckung der Mißhandlung befürchten lassen muß. Zu dem gegenüber Mißhandlung besonders opferanfälligen Kreis von Kindern gehören neben geistig oder körperlich behinderten, insbesondere frühgeborene Kinder und Neugeborene mit geringem Geburtsgewicht (unter 2500 g), deren Anteil unter den mißhandelten Kindern doppelt bis dreimal so hoch sein soll wie im Bevölkerungsdurchschnitt (Elmer 1967; H. J. Schneider 1975, 64; Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit 1979, 33; Maden, Wrench 1981; Engfer 1986,

329

33). Frühgeburt oder geringes Geburtsgewicht können bereits Folge einer ungünstig verlaufenen, psychisch und sozial belasteten Schwangerschaft sein (vgl. Engfer 1986, 33). Entscheidend ist indessen wohl, daß Frühgeborene und schwache oder behinderte Kinder mehr der elterlichen Pflege und Fürsorge bedürfen als normal geborene, gesunde Kinder und damit an die Eltern erhöhte Anforderungen stellen. Sie irritieren ihre Eltern durch Verhaltensweisen, die von dem Verhalten anderer Kinder ihres Alters abweichen, entwickeln sich langsamer und sind zu manchen Lernleistungen nicht oder nur verspätet nach intensivem Training in der Lage. Die elterlichen Erwartungen befriedigen sie weniger als normale Kinder. Auf elterliche Zuwendung sprechen sie teilweise in geringerem Umfang an (vgl. Bolton 1983, 131 ff. für das frühgeborene Kind). Es gelingt ihnen nicht, besorgtes und liebevolles Verhalten ihrer Eltern zu verstärken. Sie vermitteln ihren Eltern nicht das Gefühl, von ihrem Kind akzeptiert zu werden, und die Eltern haben ihrerseits Schwierigkeiten, das Kind zu lieben und zu akzeptieren. Als Ursache elterlichen Fehlverhaltens kommt bei frühgeborenen Kindern noch hinzu, daß sie zumeist sofort nach der Geburt von ihren Müttern getrennt werden und die Eltern während der aus medizinischen Gründen erforderlichen längeren Klinikbehandlung kaum Gelegenheit haben, näheren Kontakt zu ihrem Kind aufzunehmen. Die Entwicklung einer angemessenen Bindung zwischen Eltern und Kind wird auf diese Weise erschwert (Bolton 1983, 106ff.; Lynch 1976, 43ff.). Auf der Täterseite sind Frauen außerordentlich häufig an offiziell registrierten Kindesmißhandlungen beteiligt. Ihr Anteil an den polizeilich erfaßten wegen Kindesmißhandlung verdächtigen Personen betrug 1987 etwa 4 2 % (PKS für 1988, 117), während Frauen in diesem Jahr nur mit etwa 23 % aller Tatverdächtigen an der bekanntgewordenen Gesamtzahl von Straftaten (ohne Verkehrsdelikte) und sogar nur mit knapp 10% an der gesamten registrierten Gewaltkriminalität beteiligt waren (PKS für 1988, 43, 80). Ein Drittel der wegen Kindesmißhandlung in der Bundesrepublik im Jahre 1987 verurteilten Personen waren Frauen (vgl. Statistisches Bundesamt 1989, 26 f.) gegenüber einem Frauenanteil von knapp einem Fünftel an der gesamten Anzahl der Verurteilten (ohne Straßenverkehrsdelikte) (Statistisches Bundesamt 1989, 14). Es wird angenommen, daß die Täterschaft bei Kindesmißhandlung tatsächlich etwas häufiger bei Frauen als bei Männern liegt (Gelles 1980, 879; Engfer 1986, 39). Dabei ist zwar die relativ große Belastung alleinerziehender Mütter mit Kindesmißhandlung zu beachten. In ihren Studien, die sich auf vollständige, nicht gewaltauffällige Familien beziehen, kommen Schneewind u. a. (1983, 60) für die Bundesrepublik und Straus u . a . (1980, 65) für die USA indes übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß es häufiger die Mütter sind, die ihre Kinder schla-

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gen oder in anderer Weise körperlich mißhandeln als die Väter. Frauen sind ungewöhnlich stark mit Gewalttaten gegen Kinder belastet, da sie auch in vollständigen Familien in erheblichem Maße, oft sogar alleine die Aufgabe der Kindererziehung tragen. Bereits aufgrund des engeren und häufigeren Kontakts zwischen Mutter und Kind wächst die statistische Wahrscheinlichkeit, daß es zu Konflikten kommt. Die mit der Aufgabe der Kindererziehung alleingelassene, möglicherweise durch zusätzliche Berufstätigkeit und persönliche Probleme überlastete, auf ihre Rolle als Mutter unzureichend vorbereitete Frau ist besonders in Gefahr, Gewalt als Mittel zur Erziehung ihres Kindes und als Ausdruck ihrer eigenen Unzufriedenheit einzusetzen. Die Angriffsformen der körperlichen Kindesmißhandlung sind sehr unterschiedlich. Mißhandlungsformen, die spontane heftige Gefühlsausbrüche widerspiegeln, wie das Verprügeln oder Schütteln des Kindes, stehen neben Gewalthandlungen, die sich zumindest nach außen hin als systematisches Quälen des Kindes etwa durch Zufügung von Verbrennungen oder Verbrühungen darstellen. Eine klare Trennung zwischen affekthaften und bewußt gesteuerten Grausamkeiten läßt sich indes nicht ziehen. Obgleich sadistisch anmutende Begehungsweisen in der Öffentlichkeit und in den Massenmedien die stärkste Aufmerksamkeit finden, überwiegen einfache und spontane Angriffsformen, wie das Schlagen des Kindes mit Händen, Fäusten oder zufällig griffbereiten Gegenständen. Die Wiederholungswahrscheinlichkeit der Gewalt gegen Kinder gilt als außerordentlich hoch. So ist es geradezu ein Charakteristikum der Kindesmißhandlung, daß Kinder wiederholt Gewalttätigkeiten seitens ihrer Eltern erfahren (Zalba 1971, 58; Lechleiter 1971, 68; vgl. auch die Ergebnisse von TrubeBecker 1964, 1650). Die Kinder werden über Monate und Jahre hinweg ständig von ihren Eltern angegriffen. Bei einer landesweiten Untersuchung von 13000 Mißhandlungsfällen, die in den Jahren 1967 und 1968 in den USA bekannt geworden waren, wurde bei mehr als 6 0 % der Kinder bereits eine Vorgeschichte von Mißhandlungen festgestellt (Gil 1979, 180f.). 7 3 % der in Neuseeland untersuchten mißhandelten Kinder waren mehr als einmal angegriffen worden (Fergusson, Fleming, O'Neill 1972, 147). Eine große Anzahl mißhandelter Kinder hat eine Geschichte immer schwerer und häufiger werdender Gewaltanwendung hinter sich (Maden, Wrench 1981, 213). Zu einer Verschärfung der Gewalt kann es leicht kommen, weil der Täter häufig kindliche Verhaltensweisen „bestraft", die für das Kind nicht oder nur in begrenztem Umfang steuerbar sind. Bettnässen, Erbrechen, Schreien des Säuglings, unsauberes Essen, Verweigerung der Nahrungsaufnahme werden mit Mißhandlungen geahndet. Da das Kind dieses Verhalten nicht kontrollieren kann, erreicht der Täter keine Verhaltensänderung bei ihm und

sieht sich veranlaßt, zu immer schwereren Formen der Gewalt zu greifen, um das Verhalten des Kindes zu beeinflussen. Gleichzeitig ruft der Täter durch die Mißhandlung selbst beim Kind Fehlverhalten hervor, das er wiederum gewaltsam bestraft. Auf diese Weise wird ein Kreislauf sich aufschaukelnder Gewaltanwendung in Gang gesetzt.

4. Ursachen Zur Erklärung der Ursachen von Gewalt gegen Kinder gibt es zahlreiche unterschiedliche Ansätze. Eindimensionale Zugänge (U.Schneider 1987, 87; „Theorien mittlerer Reichweite": H . J . Schneider 1987, 674) richten ihr Augenmerk auf einzelne abgegrenzte Einflußfaktoren oder psychische, biologische oder soziale Wirkmechanismen, die den Prozeß der Entstehung von Gewalt gegen Kinder steuern sollen. Die weitestgehend abgelehnten individualpathologischen Erklärungen führen Gewalt gegen Kinder auf Tendenzen zurück, die der Persönlichkeit des Täters oder der Täterin innewohnen. Eigenschaftstheoretische Ansätze schreiben mißhandelnden Eltern abnorme Persönlichkeitszüge zu. Die Eltern werden als ängstlich, feindlich und depressiv eingestuft. Sie werden durch geringes Selbstvertrauen, Verantwortungslosigkeit und Unzuverlässigkeit gekennzeichnet (Johnson, Morse 1974, 21) und lassen angeblich Impulsivität und emotionale Unreife (Bennie, Sclare 1969, 975; Fontana 1973, 63), eine geringe Frustrationstoleranz und einen Mangel an Affektivität erkennen. Es sind Typologien entwikkelt worden, die die Täter anhand von Persönlichkeitsmerkmalen in Gruppen einteilen. Die Gruppe der arbeitsunwilligen, dauernd unzufriedenen und mißmutigen Täter wird von der Gruppe der herrschsüchtigen und rücksichtslos unempfindlichen Täter und von derjenigen der Willensschwachen und Triebhaften unterschieden (Nix o. J., 83). Eine andere Typologie teilt die Täter ein in gewalttätige Primitive, reizbare Psychopathen, Trinker und Asoziale einerseits, systematische Quäler andererseits und weiterhin in Affekttäter und in Debile (Schleyer 1958, 70ff.). Der psychopathologische Ansatz führt den gewaltsamen Mißbrauch von Kindern auf psychische Defekte des Täters zurück. Die Psychopathie gilt als nichtkrankheitsbedingte seelische Auffälligkeit (vgl. den Psychopathiebegriff bei K. Schneider 1976, 17). Als Ursachen von Kindesmißhandlung werden konstitutionelle Persönlichkeitsstörungen und Intelligenzmängel der Täter angeführt (Giesen 1979, 37ff.; Bennie, Sclare 1969, 975; Smith, Hanson, Noble 1975, 45 ff.). Mißhandelnde Eltern werden als Psychopathen oder Neurotiker eingestuft (vgl. die Untersuchungen von Smith, Hanson, Noble 1975, 45ff.; Wright 1980). Diese Wertungen stützen sich häufig auf klini-

Kindesmißhandlung sehe Untersuchungen an kleinen Stichproben von Eltern, die sich in psychiatrischer Behandlung befanden oder schon wegen Kindesmißhandlung verurteilt waren. Die gewonnenen Daten sind daher bereits durch die Auswahl der Samples verzerrt und müssen mithin in ihrer wissenschaftlichen Gültigkeit angezweifelt werden. Insgesamt sind die individualpathologischen Ansätze nicht geeignet, die Ursachen von Kindesmißhandlung zu erhellen. Sie sind nur beschreibend, nicht aber erklärend, da sie Gewalt nur als Funktion bestimmter Eigenschaften oder Abnormitäten des Täters betrachten, ohne sich mit deren Entstehung zu beschäftigen (Justice, Justice 1976, 42; H . J . Schneider 1987, 675; U.Schneider 1987, 104). Sie sind zu eng, weil sie soziale Einflüsse unberücksichtigt lassen (Freeman 1979, 26; Gelles 1979a, 35). Die Rückführung von Kindesmißhandlung auf psychische Defekte der Eltern gibt „normalen" Eltern die trügerische Sicherheit, daß sie nicht in Gefahr stehen, ihre Kinder zu mißhandeln. Mißhandelnde Eltern werden in moralisierenden Begriffen als charakterlich minderwertig gebrandmarkt und so vom Gros der übrigen Bevölkerung abgehoben. Die individualpathologischen Erklärungsansätze erfüllen psychische Bedürfnisse der Gesellschaft, indem sie Gewalt gegen Kinder als persönliches Problem kleiner Minderheiten erscheinen lassen. Die psychodynamischen Modelle richten ihr Hauptaugenmerk ebenfalls auf anomale psychische Funktionen des Täters. Indessen begnügen sie sich nicht damit, psychische Fehlfunktionen festzustellen, sondern versuchen, sie zu erklären. Entsprechend ihrer tiefenpsychologischen Orientierung wenden die psychodynamischen Konzepte zur Erklärung von Kindesmißhandlung ihre Aufmerksamkeit der Kindheitsgeschichte des Täters zu. Eine zentrale Rolle spielt die Erkenntnis, daß zahlreiche Täterinnen und Täter von Kindesmißhandlung selbst in ihrer Kindheit psychisch oder physisch mißhandelt oder vernachlässigt worden sind (Goode 1978, 142; H . J . Schneider 1975, 67; Würtenberger 1974, 75; Mergen 1978, 318f.; Court 1976, 28; Ammon 1979; Steele 1976, 14). Ihre ungestillten Abhängigkeitsbedürfnisse tragen sie an das eigene Kind heran. Sie erwarten von ihm Schutz, Zuwendung und Geborgenheit und weisen die Bedürfnisse des Kindes zurück (Morris, Gould 1963, 38). Diese psychischen Vorgänge gelten als Grundlage und Bestandteil des familiendynamischen Phänomens der „Rollenumkehr", das teilweise im Zusammenhang mit Kindesmißhandlungen beobachtet wird (Steele, Pollock 1978b, 172ff.; van Stolk 1972, 20ff.; Felder 1974, 83; Vesterdal 1978, 292; Justice, Justice 1976, 40; H . J . Schneider 1975, 68). Rollenumkehr ist die Vertauschung der Abhängigkeitsrolle zwischen Eltern und Kind. Die Eltern stellen an das Verhalten ihrer Kinder unrealistisch hohe Anforderungen und sind davon überzeugt, daß selbst Kleinkinder und Säuglinge ihre Wünsche

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und Befehle verstehen und befolgen können. Die begrenzten Fähigkeiten des Kindes und seine Hilflosigkeit werden übersehen. Damit wird es ständiger Überforderung ausgesetzt. Gleichzeitig hegen die Eltern ein tiefes Mißtrauen gegen ihr Kind. D a sie in ihrer Kindheit gerade von den ihnen am nächsten stehenden Personen Ablehnung und Mißhandlung erfahren haben, sind sie nicht in der Lage, ihr Kind als „gutes" Wesen wahrzunehmen (Morris, Gould 1963, 39). Sie erhoffen von ihm zwar Liebe und Anerkennung, befürchten dabei aber, abgewiesen zu werden. Diese Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten, wenn das Kind aufgrund seiner begrenzten Fähigkeiten die überzogenen elterlichen Erwartungen nicht zu erfüllen vermag. Einer Mißhandlung geht zumeist kindliches „Fehlverhalten" voraus. Hierzu zählt nicht nur der „klassische" kindliche Ungehorsam. Auslöser für Mißhandlungen sind vielmehr häufig Schreien oder Einnässen des Kindes, Nahrungsverweigerung oder kindgemäße Ungeschicklichkeiten. Diese Verhaltensweisen werden von den Eltern ebenfalls als Ungehorsam interpretiert (vgl. Scott 1973). Das „ungezogene" Kind greift das schwach ausgeprägte elterliche Selbstbewußtsein an. Im Schreien des Kindes wird die kritisierende, ablehnende Haltung der eigenen Eltern wiedererkannt (Green, Gaines, Sandgrund 1980, 275). Gegen diese Ablehnung setzt sich der Täter gewaltsam zur Wehr. Hierbei spielen angeblich die psychischen Abwehrprozesse der Identifikation mit dem Aggressor und der Projektion eine Rolle, die ihre Wurzeln wiederum in der frühen Kindheit des Täters haben sollen. D e r Täter, der von seinen Eltern angegriffen wurde, befand sich in einem psychischen Dilemma: Einerseits waren seine Eltern die einzigen Personen, von denen er Schutz und Hilfe erwarten konnte, andererseits mußte er sich selbst vor ihrer Gewalttätigkeit schützen. Nach tiefenpsychologischen Vorstellungen bewältigt er hieraus resultierende Angst, indem er sich mit der Rolle des Angreifers und nicht mit der Rolle des Opfers identifizierte. E r begann, an den Wert physischer Gewalt bei der Durchsetzung von Autoritätsansprüchen zu glauben (Steele 1976, 18). Diese Identifikation mit dem Aggressor soll in der Mißhandlung eigener Kinder fortwirken. Der Täter definiert sich als streng und betrachtet übertriebene körperliche Züchtigungen als gerechtfertigt. Daneben soll ihm die Züchtigung des Kindes helfen, mit eigenen Minderwertigkeitsgefühlen fertig zu werden. Der Täter projiziert den als minderwertig angesehenen, ungeliebten Anteil des eigenen Ichs auf das „ungehorsame" Kind und bestraft ihn in dem Kind (Green, Gaines, Sandgrund 1980, 277; zum Konzept der Rollenumkehr vgl. auch Justice, Justice 1976, 55ff., die diesen Vorgang transaktionsanalytisch erklären). Die Konzepte der Verschiebung, Regression und Projektion stellen zwar eine nachvollziehbare, aber weitgehend spekulative und nicht beweisbare Ver-

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bindung zwischen dem beschriebenen übertrieben fordernden Verhalten der Eltern und der empirisch festgestellten Tatsache (vgl. Herrenkohl, Herrenkohl, Toedter 1985) her, daß zahlreiche mißhandelnde Eltern in ihrer Kindheit selbst mißhandelt und abgelehnt wurden. Als äußeres Korrelat der gefolgerten psychodynamischen Prozesse ist das Phänomen der Rollenumkehr vor allem in klinischen Beobachtungen und bei Befragungen von Eltern festgestellt worden, die sich wegen Kindesmißhandlung in einer tiefenpsychologisch ausgerichteten psychotherapeutischen Behandlung befanden. Die Erkenntnisgrundlagen der psychodynamischen Ansätze sind daher stark verzerrt. Inhaltlich widmen sich die psychodynamischen Theorien fast ausschließlich der Person des Täters. Dem Opfer, der Familie, dem sozialen Nahraum sowie sozialen und ökonomischen Streßfaktoren wird kaum Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. Gelles 1979a, 35; Freeman 1979, 26). Die theoretische Reichweite der psychodynamischen Ansätze ist zu gering, um leichtere Gewaltanwendung in der Erziehung als Massenphänomen zu begründen. Im Gegensatz zu den rein täterorientierten psychopathologischen und -dynamischen Theorien betrachtet das Modell des sozialen Drucks das Auftreten wirtschaftlicher und sozialer Mangelsituationen als Hauptursache für Gewalt in der Familie. Es postuliert eine einfache Beziehung zwischen dem Erleben sozialen und wirtschaftlichen Drucks durch den Täter und dem Auftreten von Kindesmißhandlung. Armut, Arbeitslosigkeit, schlechte Berufschancen, nichteheliche Elternschaft, schlechte Wohnverhältnisse, eine große Kinderzahl oder die Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder nationalen Minderheit sind frustrierende Bedingungen, die Gewalt gegen Kinder begünstigen sollen (Gil 1974, 166; Gelles 1979a, 35ff.; Elmer 1967, 335f.; Freeman 1979, 27; Giesen 1979, 43ff.; Fink 1968, 28f.; Schreiber 1971, 95ff.). Der Zusammenhang zwischen sozialem Druck und Kindesmißhandlung ist durch empirische Studien belegt. In einer Untersuchung von insgesamt etwa 12 500 bestätigten Fällen von Kindesmißhandlung, die in den USA in den Jahren 1967 und 1968 gemeldet wurden, stellte Gil (1970, 108ff.; vgl. auch die deutsche Zusammenfassung 1978, 247ff.) fest, daß fast 3 0 % der mißhandelten Kinder in Haushalten ohne Vater oder Vaterersatzperson lebten. Die eigene Mutter des Kindes wohnte in über 12% der Fälle nicht zu Hause. Familien mit vier oder mehr minderjährigen Kindern waren unter den Mißhandlungsfamilien fast doppelt so häufig vertreten wie in der gesamten amerikanischen Bevölkerung. Das Ausbildungs- und Berufsniveau der Eltern war deutlich niedriger als das der allgemeinen Bevölkerung. Fast die Hälfte der Väter mißhandelter Kinder war in dem der Meldung voraufgegangenen Jahr arbeitslos gewesen. Dasselbe galt für 7 0 % der normalerweise berufstätigen Mütter.

Das Einkommen der Familien lag deutlich unter dem nationalen Durchschnitt der USA. 3 7 % der Familien bezogen zur Zeit der Mißhandlung Sozialhilfe. Zu ähnlichen Ergebnissen hinsichtlich des Einkommens sowie der Ausbildungs- und Berufssituation der Eltern mißhandelter Kinder kommen ebenfalls deutsche Untersuchungen (Mende, Kirsch 1968, 21 ff.; Schreiber 1971, 95ff.). In die Ergebnisse dieser Untersuchungen und in offizielle Daten, die eine Korrelation zwischen Gewalt gegen Kinder und der sozialen Lage der Familie ausweisen, geht freilich ein gewichtiger systematischer Fehler ein, da sie sich nur auf solche Fälle familiärer Gewaltanwendung beziehen, die den Behörden oder privaten Organisationen gemeldet werden. Unterschichtsfamilien und Familien in sozialen Mangelsituationen sind eher in Gefahr, auffällig zu werden, als gutsituierte Mittel- und Oberschichtsfamilien (Zenz 1979, 195; Freeman 1979, 38). Bessergestellte Familien sind weniger darauf angewiesen, aber auch weniger bereit, offizielle Hilfen in Anspruch zu nehmen. Ihre Möglichkeiten, ihr Gewaltproblem privat, etwa durch Einschaltung privat praktizierender Ärzte oder Psychologen, zu lösen, sind größer (Zenz 1979,195; Fontana 1973, 60f.). Da Kindesmißhandlung in Mittelund Oberschichtsfamilien allgemein als atypisch gilt, sind Ärzte und Behörden eher geneigt, „natürliche" Erklärungen für mißhandlungsbedingte Verletzungen zu akzeptieren. Trotz dieser Bedenken kann nicht davon ausgegangen werden, daß familiäre Gewaltanwendung in allen sozialen Schichten gleich verbreitet ist (Pelton 1981, 27 ff.). In ihrer Dunkelfelduntersuchung, die von den verzerrenden Einflüssen der unterschiedlichen sozialen Sichtbarkeit gewaltsamen Verhaltens in Familien der verschiedenen Schichten frei ist, stellten Straus u. a. (1980, 148) ähnliche Beziehungen zwischen Berufsstatus, Arbeitslosigkeit, Einkommen und Gewalt in der Familie fest, wie frühere Studien, die sich auf bekanntgewordene Fälle stützten. So kam Gewalt gegen Kinder in Familien mit einem Jahreseinkommen von mehr als 20000 US-Dollar nur halb so oft vor wie in Familien mit einem Einkommen von weniger als 6000 US-Dollar pro Jahr. Das Modell des sozialen Drucks bietet aufgrund seiner Einfachheit griffige Ansatzpunkte sowohl für die Forschung wie für sozial- und wirtschaftspolitische Interventionen. Diese Einfachheit ist allerdings gleichzeitig seine größte Schwäche, denn das Modell des sozialen Drucks erklärt den bestehenden Zusammenhang zwischen äußeren Belastungsfaktoren und Gewalt in unzureichender Weise. Es bleibt unklar, warum Menschen auf Druckerlebnisse mit Gewalt gegen ihre Kinder reagieren. Hier werden offenbar vermittelnde Bedingungen wirksam, die das Modell des sozialen Drucks nicht berücksichtigt. Neuerdings ist ein sozio-biologischer Ansatz zur Verursachung von Kindesmißhandlung entwickelt

Kindesmißhandlung worden, der zum einen den körperlichen Mißbrauch besonders opfergefährdeter Kinder, zum anderen aber auch den beschriebenen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem und sozialem Mangel und Gewalt gegen Kinder unter evolutionären Gesichtspunkten analysieren will (Burgess, Garbarino 1983). Er geht davon aus, daß die elterliche Sorge für die eigene Nachkommenschaft im evolutionären Prozeß den Zweck hat, die eigenen Gene in den nachfolgenden Generationen zu erhalten. Investives Verhalten der Eltern gegenüber dem Kind (parental investment) erhöht das reproduktive Potential des Kindes und sichert damit die Weitergabe der eigenen Erbinformationen an nachfolgende Generationen. Angeblich aus diesem Grunde richtet sich die Sorge der Eltern vor allen Dingen auf solche Kinder, die die eigenen Erbinformationen tragen und zu deren Weitergabe physisch am besten geeignet erscheinen. Dies erklärt nach Ansicht der sozio-biologischen Theorie, warum Stiefund Pflegekinder und Kinder, deren Vaterschaft unsicher ist, sowie behinderte oder frühgeborene Kinder am stärksten mißhandlungsgefährdet sind. Die Wahrscheinlichkeit von Kindesmißhandlung soll sich danach auch erhöhen, wenn das Ressourcenpotential der Eltern zu gering ist, um sich selbst und ihre Kinder zu erhalten. Damit soll der Zusammenhang zwischen dem sozio-ökonomischen Status der Familie oder der Familiengröße oder alleinstehender Elternschaft und Kindesmißhandlung erklärt werden. Es erscheint höchst zweifelhaft, inwieweit im Evolutionsprozeß angelegte biologische Motive überhaupt geeignet sind, soziale Verhaltensweisen in komplexen Industriegesellschaften zu erklären. Darüber hinaus entbehrt der sozio-biologische Ansatz der inneren Logik. Er mag eine einigermaßen sinnvolle Erklärung für Kindestötungen liefern, die bei einigen Naturvölkern bis in dieses Jahrhundert hinein als legitimes Mittel der Bevölkerungskontrolle eingesetzt wurden. Nichttödliche Kindesmißhandlungen beseitigen das Kind als Träger fremder Erbanlagen oder als Mitbewerber um unzureichende Ressourcen nicht. Es gibt Anzeichen dafür, daß Kindesmißhandlungen trotz äußerst ungünstiger Lebensbedingungen in vielen Entwicklungsländern weniger verbreitet sind als in westlichen Überflußgesellschaften (Johnson 1981, 62ff.; Poffenberger 1981, 79f.). Gleichzeitig beschränkt sich die Sorge der Erwachsenen in vielen vorindustriellen Kulturen nicht auf die biologisch eigenen Kinder. Die Erwachsenen sehen sich vielmehr als Glieder einer Gemeinschaft, die sich insgesamt für das Wohl ihrer Kinder verantwortlich fühlt (Johnson 1981, 60ff.; Poffenberger 1981; Bhattacharyya 1983). Die bisher genannten Ansätze zur Erklärung von Kindesmißhandlung vermögen demnach insgesamt nicht zu überzeugen. Sie beschränken sich entweder darauf, individuelle oder soziale Merkmale, die mit Gewalt gegen Kinder (angeblich) einhergehen, zu

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beschreiben (psychopathologischer Ansatz, Modell des sozialen Drucks), oder sie führen Gewalt gegen Kinder auf psychische (psychodynamischer Ansatz) oder sozio-biologische Prozesse (sozio-biologischer Ansatz) zurück, die empirisch nicht nachgewiesen und nicht nachweisbar und im Falle des sozialevolutionären Zugangs sachlogisch kaum nachvollziehbar sind. Alle genannten Ansätze betrachten überdies nur die schweren Formen der Gewalt gegen Kinder und verkennen damit mögliche Zusammenhänge zwischen den sozial und rechtlich gebilligten körperlichen Strafen in der Erziehung und Kindesmißhandlung. Wesentliche Beiträge zur Erklärung von Gewalt gegen Kinder leistet demgegenüber die Lerntheorie (zur lerntheoretischen Erklärung aggressiven Verhaltens: Bandura, Walters 1963, 109ff.; Bandura 1976). Dem gewaltsamen Kindesmißbrauch liegen danach insbesondere Prozesse des Modellernens zugrunde. Die Lerntheorie geht dabei von demselben Ansatzpunkt aus wie die psychodynamische Theorie. Auch sie mißt nämlich dem empirischen Befund, daß zahlreiche Täter von Kindesmißhandlung in ihrer Kindheit selbst Opfer körperlicher Angriffe waren (vgl. Gelles 1972; Straus, Gelles, Steinmetz 1980, 101 ff.; Herrenkohl, Herrenkohl, Toedter 1983) eine entscheidende Bedeutung zu. Anders als die psychodynamische Theorie betrachtet sie allerdings nicht die hieraus entstehende emotionale Mangelsituation des Täters als ausschlaggebende Verbindungsvariable zur Gewalt gegen Kinder. Sie richtet ihr Augenmerk vielmehr auf das Verhaltensmodell, das dem Kind in einem Elternhaus vorgelebt wird, in dem Gewalt in der Interaktion zwischen Eltern und Kindern eingesetzt wird (Gelles 1979a, 37). Durch Beobachtung oder Erfahrung am eigenen Leib lernt das Kind, welchen Herausforderungen mit Gewalt begegnet werden darf, welcher Grad von Gewaltanwendung welcher Situation angemessen ist und welche Mechanismen eingesetzt werden können, um physische Aggression vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen, zu neutralisieren (Goode 1969, 950ff.; Owens, Straus 1975, 195 f.). Es beobachtet, in welchen affektiven Zuständen Gewalt angewendet werden darf, und lernt, die Gefühle des Opfers zu mißachten. Nach Auffassung der Lerntheorie aktivieren mißhandelnde Eltern in der Erziehung ihrer Kinder diese Erfahrungen aus ihrer eigenen Kindheit. Hierbei handelt es sich um einen ganz normalen Mechanismus. Alle Eltern neigen dazu, den Erziehungsstil ihrer eigenen Eltern nachzuahmen (Steele 1976, 14), da die eigene Herkunftsfamilie die bedeutendste und weitestgehend einzige Sozialisationsinstanz ist, die Prinzipien und Techniken der familiären Kindererziehung vermittelt. Zu den wesentlichen Vorzügen des lerntheoretischen Ansatzes gehören seine positiven Folgerungen hinsichtlich der Möglichkeiten, Verhaltensänderungen herbeizuführen. Ein weiterer Vorzug ist

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seine Allgemeingültigkeit. E r vermag jedes Verhalten und alle Formen familiärer Gewaltanwendung, nicht nur die Kindesmißhandlung, zu erklären (vgl. U. Schneider 1987, 86ff.). Freilich führt kein linearer Weg von der Erfahrung zu der aktiven Ausübung von Gewalt (vgl. die Ergebnisse von Herrenkohl, Herrenkohl, Toedter 1983). Dies zeigt sich an dem Beispiel von Eltern, die in ihrer Kindheit harten körperlichen Strafen unterworfen waren und aufgrund der eigenen leidvollen Erfahrung in der Erziehung ihrer Kinder bewußt keine Gewalt einsetzen. Das Beobachten gewaltsamen Verhaltens bewirkt zunächst nur eine kognitive Speicherung des Erfahrenen. Der Beobachter erweitert damit das Repertoire der ihm bekannten Handlungsweisen. Ob er die ihm gedanklich verfügbaren Handlungen tatsächlich ausführt, hängt von zahlreichen Variablen ab, die in einem sozialpsychologischen Verursachungsprozeß wirksam werden. Kindesmißhandlung ist ein interaktives Geschehen. Gewalt wird als erlerntes Mittel zur Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind eingesetzt. Gewaltbegünstigende Eltern-Kind-Konflikte sind bereits durch die Erziehungsaufgabe der Eltern angelegt (Newson, Newson 1976, 90). An der Entstehung erzieherischer Konflikte, die zu Kindesmißhandlung führen können, ist das Kind selbst beteiligt. Zwar scheint die Rolle des Opfers von Kindesmißhandlung auf den ersten Blick eine rein passive zu sein. Mißhandelte Kinder sind zu einem großen Teil so jung, daß sie gar nicht die notwendigen Fähigkeiten haben, um ihre Eltern durch ihr Verhalten willentlich zu provozieren (Viano 1975, 153). Gleichwohl ist das Eltern-Kind-Verhältnis ein Ergebnis von aufeinander bezogenen, dynamischen Transaktionen. Das Kind wird von seinen Eltern beeinflußt und beeinflußt seinerseits das Verhalten der Eltern. Es ist nicht ausschließlich passives Objekt elterlicher Handlungen, sondern ein aktiver Partner (Kadushin, Martin 1981, 48). Auch ein Säugling kann schon ein Verhalten seiner Eltern belohnen, indem er aufhört zu schreien, sich der Mutter oder dem Vater zuwendet, sie anschaut, anlächelt, zu plappern beginnt oder nach ihnen greift. E r kann elterliches Verhalten aber auch bestrafen, indem er nicht oder in negativer Weise reagiert. Schon die Reaktionsmuster von Neugeborenen sind sehr verschieden. Sie beruhen auf angeborenen Temperamentsunterschieden, die auf genetische, prä- und perinatale Einflüsse zurückgeführt werden können. Manche Kinder sind „brave" Babys: Sie sind zufrieden, schreien wenig und sind leicht zu trösten, schlafen nachts durch und belohnen ihre Eltern durch Zuwendung und Munterkeit. Selbst Mütter und Väter mit wenig Erfahrung und geringen elterlichen Fähigkeiten können mit diesen Kindern angemessen umgehen. Andere Babys gelten demgegenüber als „schwierig". Sie sind unruhig, schreien Tag und Nacht, verweigern die Nahrung und reagieren nicht auf die Zuwendung ihrer

Eltern. Sie stellen Anforderungen, denen nur besonders geduldige und ausgeglichene Mütter und Väter gewachsen sind (Vesterdal 1978, 293). Eltern, die unter äußerem Druck stehen oder selbst eine unbefriedigende Kindheit hatten und nun von ihrem Baby eine emotionale Entschädigung erwarten, sind durch ein solches Verhalten des Kindes überfordert und können zu körperlichen Angriffen gereizt werden. Auch der Säugling kann auf diese Weise unbewußt elterliche Gewaltanwendung veranlassen. Je älter das Kind wird, um so mehr nimmt sein Verhaltensrepertoire und damit das Gewicht zu, das ihm als Interaktionspartner im Prozeß der Entstehung von Kindesmißhandlung zukommt. Eine Analyse von 830 Berichten über Kindesmißhandlungen, die dem „Wisconsin Department of Health and Social Services" (Amt für Gesundheits- und Sozialfürsorge von Wisconsin) in den Jahren 1974 und 1975 bekannt wurden, ergab, daß die Mißhandlung in 7 7 % der Fälle durch die Opfer mitverursacht worden war. In 21 % der Fälle wurde sie durch aggressives Verhalten des Kindes oder Jugendlichen hervorgerufen. Häufige Anlässe waren bei älteren Kindern weiterhin Lügen oder Stehlen, Weglaufen oder zu spätes Nachhausekommen. Jüngere Kinder wurden mißhandelt, weil sie nicht essen wollten, nicht schliefen, erbrachen oder einkoteten, schrien oder weinten (Kadushin, Martin 1981, 115ff.). Mißhandlungen verursachen Verhaltensstörungen des Kindes, die ihrerseits wiederum gewaltsame Ausbrüche der Eltern provozieren (Kadushin, Martin 1981, 80). Mißhandlungen im Jugendalter stehen im Zusammenhang mit dem Prozeß der Ablösung des Jugendlichen vom Elternhaus (vgl. Garbarino, Gilliam 1980, 194ff.). Ihr liegen oft miteinander unvereinbare Autoritäts- und Rollenerwartungen von Eltern und Jugendlichen zugrunde. Den Selbständigkeits- und Selbstbestimmungsansprüchen des Jugendlichen stehen elterliche Autoritätsforderungen gegenüber. Eltern, die keine ausreichenden anderen persönlichen oder sozialen Ressourcen haben, um sich bei ihren heranwachsenden Kindern Anerkennung zu verschaffen, neigen dazu, Gewalt als letztes Mittel zur Durchsetzung ihrer Ansprüche auf Respekt gegen einen als widerspenstig empfundenen Jugendlichen einzusetzen (vgl. Goode 1971). Gewalt gegen Kinder ist demnach ein Interaktionsgeschehen, an dem das Opfer teilnimmt. Opiermitverursachung darf dabei allerdings nicht mit Opfermit verschulden verwechselt werden. Das Kind ist für seinen mitverursachenden Beitrag nicht, der Jugendliche allenfalls beschränkt verantwortlich. Vielmehr verfügen die Eltern über eine überlegene Einsichts- und Steuerungsfähigkeit. Sie sind eher als das Opfer in der Lage, gefährliche Interaktionsprozesse zu unterbrechen und Herausforderungen zu entschärfen. Provozierende Handlungen und Haltungen des Kindes oder Jugendli-

Kindesmißhandlung chen sind häufig durch Erziehungsfehler verursacht, für die in erster Linie seine Eltern und seine soziale Umwelt die Verantwortung tragen. Auf die Interaktion von Täter und Opfer nehmen die übrigen Familienmitglieder, der andere Elternteil und die Geschwister, entscheidenden Einfluß. Es kommt vor, daß sie sich aktiv an der Mißhandlung des Opfers beteiligen. Häufiger allerdings wirkt insbesondere der andere Elternteil durch seine Duldung an gewaltsamen Angriffen mit (van Stolk 1972, 31; Gil 1970, 122). Dies geschieht teilweise aus Resignation und Hilflosigkeit, teilweise freilich auch, weil der andere das Verhalten des Täters billigt. Bei einer Untersuchung tödlicher Kindesmißhandlungen stellte Rasch (1983) ein enges Zusammenwirken der gesamten Familie fest, das die Mißhandlung erst ermöglicht und verschärft. Dem mißhandelten Kind wird von Eltern und Geschwistern eine Sonderstellung in der Familie zugewiesen. Die Eltern entdecken an ihm körperliche oder seelische Mängel und Fehlverhaltensweisen, die sich oft erst aufgrund elterlichen Versagens herausgebildet haben. Sie empfinden das Kind als „Fremdling", gegen den sie sich zusammenschließen. Das Kind wird durch abstempelnde Bezeichnungen (z. B. Ungeziefer, Bestie) als Persönlichkeit entwertet. Es gilt als „böse". Diese Herabsetzung des Opfers erlaubt erst die Mißhandlung. Auch wenn nur ein Elternteil das Kind aktiv mißhandelt, so wird der andere durch stillschweigende Duldung zum Komplizen und wirkt an der Tat mit, indem er den Angreifer z . B . mit Erziehungsproblemen allein läßt oder ihn für Erziehungsfehler verantwortlich macht. Kindesmißhandlung ist demnach eine Angelegenheit der ganzen Familie (Elmer 1967, 337) und nicht lediglich ein auf Täter und Opfer beschränkter Prozeß. Der Einsatz von Gewalt in erzieherischen Konfliktsituationen wird durch gesellschaftliche Bedingungen begünstigt, die auf die Familie einwirken. Er wird insbesondere durch soziale Normen gefördert, die Gewalt als Erziehungsmittel billigen. Zwar hat sich hinsichtlich der Zulässigkeit und Nützlichkeit körperlicher Strafen in der Erziehung in den letzten fünfzig Jahren ein Bewußtseinswandel vollzogen. Die Gesellschaft ist gegenüber gewaltsamen Erziehungsmethoden empfindlicher geworden. Gleichwohl wird die Züchtigung von Kindern gesellschaftlich und rechtlich nicht grundsätzlich mißbilligt. Es werden nur strengere Anforderungen an den Anlaß und das Ausmaß der Züchtigung gestellt (vgl. die Umfrage von Pernhaupt, Czermak 1980, 121 ff.). Eine vollkommen gewaltfreie Kindererziehung wird weiterhin für unmöglich gehalten. Die Gewährung eines Züchtigungsrechts fördert nicht nur den — pädagogisch fragwürdigen — Einsatz rechtlich und sozial erlaubter körperlicher Strafen in der Erziehung. Vielmehr trägt die Zulassung der Kindeszüchtigung ursächlich auch zur strafbaren schweren Kindesmißhandlung bei, die harten recht-

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lichen und gesellschaftlichen Sanktionen unterliegt. Was als „erzieherische Tracht Prügel" beginnt, kann der Kontrolle des Züchtigenden entgleiten und zur schweren Mißhandlung ausarten. Der Züchtigende steigert sich während des Schlagens immer mehr in Gefühle der Wut oder gar des Hasses dem Kind gegenüber hinein und schlägt deshalb öfter und härter zu, als er es ursprünglich wollte. Das Schreien des Kindes mag ein übriges dazu beitragen, daß der Züchtigende vollends die Nerven und die Kontrolle über sein Handeln verliert. Viele mißhandelnde Eltern wollen ihre Kinder nicht ernsthaft schädigen. Sie wollen sie züchtigen und sind im nachhinein erschrocken über das Ausmaß der Verletzungen, die sie ihren Kindern zugefügt haben (Williams 1980, 599). Die rechtliche und soziale Gestattung der „erzieherischen" Züchtigung erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit, daß ein Teil der Züchtigungen außer Kontrolle gerät und das erlaubte Maß überschreitet (Jung 1977, 94). Es kann auch zu einem längerdauernden Prozeß der stetigen Intensivierung der Gewalt kommen. Denn körperliche Strafen führen sowohl beim Züchtigenden wie beim gezüchtigten Kind immer mehr zur Gewöhnung, je häufiger sie angewendet werden. Die Unterschiedlichkeit der sozialen und rechtlichen Beurteilung verschiedener Formen der Gewalt gegen Kinder verursacht bei Eltern, Verwandten, Nachbarn, Freunden und Bekannten eine Normenunsicherheit, die Verhaltensunsicherheit hervorruft. Nur in Extrembereichen kann Gewalt gegen Kinder einigermaßen sicher mit großer Übereinstimmung innerhalb der Bevölkerung und unter den Gerichten als erlaubt oder als verboten eingestuft werden. Wenn Züchtigungen erlaubt werden, so wird damit das Risiko geschaffen, daß einige Eltern das ihnen gewährte Maß an Freiheit falsch einschätzen und die Grenzen des Erlaubten überschreiten (Garbarino, Gilliam 1980, 218). Darüber hinaus begünstigt die Anerkennung eines elterlichen Züchtigungsrechts eine gesellschaftliche Zurückhaltung gegenüber schweren Formen der Gewalt an Kindern. Verwandte, Nachbarn, Freunde der Familie billigen den Eltern das Recht zu, nach ihrem eigenen erzieherischen Ermessen über Einsatz und Ausmaß körperlicher Strafen zu entscheiden. Sie mögen über die elterliche „Strenge" den Kopf schütteln, sind sich aber nicht gewiß, ob die Eltern den Rahmen des Erlaubten bereits durchbrochen haben. Eine vorbeugende und stützende informelle soziale Kontrolle der gewaltgefährdeten Familie wird durch eine zunehmende gesellschaftliche Vereinzelung der Familie erschwert. Die soziale Einbindung der Familie in ein nachbarschaftliches und verwandtschaftliches Gemeinschaftssystem, das die Familie in den noch bestehenden vor- und frühindustriellen Kulturen stützt und kontrolliert und so Kindesmißhandlung weitestgehend verhindert (Korbin 1981; Olson 1981; Langness 1981; LeVine,

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LeVine 1981; Johnson 1981; Ritchie, Ritchie 1981), hat in den westlichen Industrieländern erheblich nachgelassen. Dabei lebt gerade die Risikofamilie oft in einer gesellschaftlichen Vereinsamung, die über die allgemeine Tendenz zur Isolation und Selbstisolation der Familie hinausgeht (Garbarino, Gilliam 1980, 33f.; Morris, Gould 1963, 45). Familien, die mißhandlungsgefährdet sind, wohnen häufig in Nachbarschaften, die nicht nur durch materielle Armut, sondern auch durch Isolation innerhalb der Gemeinschaft und durch eine Konzentration von Risikofamilien gekennzeichnet sind. Diese strukturellen Merkmale werden als „soziale Verarmung" bezeichnet (Garbarino 1981, 323). Das Nebeneinanderleben von Risikofamilien führt dazu, daß die einzelne Familie innerhalb ihrer Nachbarschaft keine adäquaten Verhaltensmodelle für den Umgang mit ihren Kindern geboten bekommt. Die Familie hat kaum engere Kontakte nach außen und ist somit der informellen sozialen Kontrolle entzogen. Auf diese Isolation ist es zurückzuführen, daß Kinder oft über lange Zeit mißhandelt werden, ohne daß die Nachbarn davon wissen oder sich zu einem Eingreifen entschließen. Die Isolation und die materielle und soziale Bedürftigkeit aller Familien einer Nachbarschaft bewirken einen Mangel an Nachbarschaftshilfe. Jede Familie hat die gleichen Probleme und Konflikte und kann daher ihren Nachbarn nicht helfen. Gleichzeitig kann sie selbst aber auch keine Hilfe von ihnen erwarten und muß ihre Konflikte aus eigener Kraft lösen. Die Fülle ihrer materiellen und sozialen Probleme, die familiäre Konflikte verursachen, ihre Abgeschnittenheit von äußerer Hilfe und Kontrolle und der Mangel an adäquaten Verhaltensmodellen für die Kindererziehung innerhalb ihres sozialen Nahraums machen eine Familie besonders gewaltanfällig.

5. Individuelle

und soziale

Auswirkungen

Gewalt gegen Kinder hat komplexe individuelle und soziale Folgen, die bislang nur teilweise erforscht sind. Der durch das ursprüngliche Übergewicht der Medizin bei der Untersuchung der Kindesmißhandlung begründete Schwerpunkt der Forschung liegt auf der Ermittlung der körperlichen und seelischen Schäden, die schwer und dauerhaft mißhandelte Kinder erleiden. Erstmals wurde in den vierziger Jahren in den USA das Kindesmißhandlungssyndrom beschrieben. Neben subduralen Hämatomen, Wachstumsstörungen und Schwellungen der weichen Gewebe sind Knochenbrüche in unterschiedlichen Heilungsstadien kennzeichnend für das Mißhandlungssyndrom (Kempe, Silverman, Steele, Droegemueller, Silver 1974). Erst die Fortentwicklung der Röntgentechnik ermöglichte es, diese Knochenverletzungen zu erkennen, die auf wiederholte schwere Mißhandlungen des Kindes zurückzuführen sind. Unter den

Knochenverletzungen sind ferner Blutungen unter der Knochenhaut, Ablösungen der Gelenkstücke der langen Röhrenknochen vom Knochensaft und das Auskugeln des Knochens aus der Gelenkkapsel verbreitet (Bamford 1976, 53; Hull 1976, 61). Äußerliche Zeichen der Mißhandlung sind Blutergüsse, Hautabschürfungen und Brandwunden, die durch das Ausdrücken von Zigaretten auf Händen, Schenkeln oder Gesäß des Kindes hervorgerufen werden (Bamford 1976, 56). Die schwersten und gefährlichsten Verletzungen, die das Mißhandlungssyndrom umfaßt, sind Schädel- und Gehirnverletzungen (vgl. die Ergebnisse von Trube-Bekker 1964 und die medizinische Untersuchung von Wille, Staak, Wagner 1967). Durch harte Schläge auf den Kopf oder heftiges Schütteln der Kinder werden Schädelbrüche und subdurale Hämatome verursacht. Darüber hinaus kommen Verletzungen der inneren Organe (Leber, Milz, Nieren) und der Augen vor (Hull 1976, 65; Maden, Wrench 1981, 214f.). Bei Gehirn- und Organverletzungen besteht die Gefahr, daß es zu einer dauerhaften Schädigung des Kindes kommt oder gar der Tod des Opfers eintritt. In zahlreichen Untersuchungen an mißhandelten Kindern wurden Verzögerungen der geistigen Entwicklung aufgrund von Hirnschäden, Hirnlähmungen, Verluste der Seh- und Hörfähigkeit, dauerhafte Entstellungen, Epilepsie und andere körperliche und geistige Behinderungen als Folge der Mißhandlung festgestellt (Cooper 1978, 17f.; Birrell, Birrell 1968, 1024; Johnson, Morse 1974, 18f.; Martin 1976b, 74ff.). Neben den unmittelbaren körperlichen Verletzungen und kurz-, mittel- und langfristigen Gesundhcitsschäden können bei kindlichen Opfern elterlicher Gewalt Störungen der körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung eintreten. Mißhandlungen gehen vielfach mit einer mangelhaften Ernährung des Kindes einher, in deren Folge Wachstumsstörungen auftreten (Lynch, Roberts 1982, 52ff.). Oft finden sich Verzögerungen der motorischen, sozialen, kognitiven sowie der Sprach- und Intelligenzentwicklung des Kindes (Kempe, Kempe 1980, 45; Maden, Wrench 1981,215; Blager, Martin 1976, 85; Lynch, Roberts 1982, 79ff.; vgl. die Untersuchung von Elmer, Gregg 1979, 303). Bei älteren mißhandelten Kindern treten unabhängig von ihrer Intelligenz und ihrem sozio-ökonomischen Hintergrund Schulschwierigkeiten auf (Lynch, Roberts 1982, 94). Insbesondere in Fächern, die sprachliche Fähigkeiten fordern, erbringen sie oft schlechte Leistungen (Kempe, Kempe 1980, 59). Mißhandelte Kinder leben häufig in einem Familienklima, in dem Lernen nicht nur nicht ermuntert und gefördert, sondern im Gegenteil bestraft wird. Sie können ihre psycho-motorischen Fertigkeiten nur in ungenügendem Maße entwickeln. Für diese Kinder ist es gefährlich, ihre Umwelt zu untersuchen und Fragen zu stellen, da sie damit riskieren, daß ihre Eltern auf solches Verhalten mit körperli-

Kindesmißhandlung eher Gewaltanwendung reagieren. Gerade durch Verhaltensweisen des Kindes, die dem Lernen dienen, fühlen sich die Eltern gestört und versuchen, sie gewaltsam zu unterdrücken. Deshalb weigert sich das Kind von vornherein, Lernversuche zu unternehmen. Seine psychischen und geistigen Energien verbraucht es schon bei dem Bestreben, Strategien des physischen und emotionalen Überlebens zu entwickeln. Für altersgerechtes Lernen bleiben kaum freie Energien übrig. Viele mißhandelte Kinder sind durch Angstneurosen am Lernen gehindert (vgl. zum Vorhergehenden die Ausführungen von Martin, Rodeheffer 1976, 98ff.). Zu Entwicklungsstörungen aufgrund von Lerndefiziten kann es nicht nur dann kommen, wenn ein Kind von seinen Eltern schwer mißhandelt wird. Auch mit dem Einsatz leichterer Gewalt können Lernaktivitäten verhindert werden. Entwicklungsstörungen können daher auch bei solchen Opfern elterlicher Gewaltanwendung auftreten, die keinerlei körperliche Schäden erlitten haben. Häufig lassen sich bei Opfern schwerer, dauerhafter Kindesmißhandlung Verhaltensstörungen beobachten. Viele mißhandelte Kinder zeigen ein charakteristisches Verhalten, das in der amerikanischen Literatur als „frozen watchfulness" — erstarrte Aufmerksamkeit — bezeichnet wird (Ounsted, Oppenheimer, Lindsay 1978, 138ff.; Kempe, Kempe 1980, 47; Vestcrdal 1981, 80; Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit 1979, 34). Die Kinder ziehen sich zurück, sind ängstlich und passiv (Lynch, Roberts 1982, 98 ff.). Unangenehme und schmerzhafte medizinische Maßnahmen ertragen sie ohne Klagen. Auch Kleinkinder verhalten sich still. Sie plappern und spielen nicht in Gegenwart von Erwachsenen. Ihre starre Aufmerksamkeit ist der Unvorhersagbarkeit des Verhaltens der Eltern angepaßt, die sich von einem Moment zum anderen von zärtlichen Beschützern in Angreifer verwandeln können. Den Kindern fehlt das Urvertrauen in die Regelhaftigkeit ihres Lebens. Während die Mehrzahl der mißhandelten Kinder ein solch passives, zurückgezogenes, wachsames Verhalten zeigen, gibt es eine kleinere Gruppe von Kindern, die sich genau entgegengesetzt verhalten (Gray, Kempe 1976, 59; Bach 1978, 2). Diese Kinder sind provokativ, aggressiv und überaktiv. Sie versuchen, die Aufmerksamkeit anderer zu erregen und scheinen bei ihren erwachsenen Betreuern Bestrafungen hervorrufen zu wollen. Häufig ist für sie aggressives, zerstörerisches Verhalten der einzige Weg, die Aufmerksamkeit ihrer Eltern, wenn auch nur eine abweisende, strafende Aufmerksamkeit, zu erringen. Sie reizen die Personen ihrer Umgebung, um deren Gleichgültigkeit ihnen gegenüber zu überwinden. In der Schule fallen mißhandelte Kinder und deren Geschwister durch unangepaßtes, meist aggressives Verhalten auf (Lynch, Roberts 1982, 106 ff.). Kindesmißhandlung verursacht bei ihren Opfern

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psychische Langzeitschäden, die vielleicht schwerwiegender sind, als die unmittelbaren körperlichen Verletzungen (Lechleiter 1971, 107; Vesterdal 1981, 79). Die Mißhandlung und die Qualität der ihr zugrundeliegenden Eltern-Kind-Beziehung lassen eine gesunde seelische Entwicklung des Kindes oft nicht zu. U m Selbstbewußtsein und moralische Wertvorstellungen erwerben zu können, braucht ein Kind Zuneigung und Sicherheit (vgl. Pringle 1978, 227ff.). Es benötigt eine Umwelt, die stabil, verläßlich und vorhersehbar ist. Ein mißhandeltes Kind besitzt eine solche Umwelt nicht. Für das mißhandelte Kind ist es schwierig, seine Persönlichkeit aufzubauen, da es keine klaren Verhaltensmaßstäbe und keine verläßlichen Modelle besitzt (Kempe, Kempe 1980, 52). In seiner strafenden Umwelt lernt es, daß nicht nur seine Handlungen tadelnswert sind, sondern daß es selbst verachtenswert und eine Schande für seine Familie ist (Vesterdal 1981, 80). Mißhandelte Kinder verinnerlichen die elterliche Feindschaft und lernen, sich selbst mit derselben Ablehnung und Kritik zu betrachten, die ihnen ihre Eltern entgegenbringen. Deshalb zeigen sie teilweise selbstzerstörerische Verhaltensweisen, wie Selbstverstümmelung und Selbstbeschädigung, Selbstmordphantasien und -versuche (vgl. die Untersuchungsergebnisse von Green 1980). Zu einer Frustration der kindlichen Bedürfnisse nach Lob, Anerkennung und Einräumung kindgemäßer Selbstverantwortlichkeit kann es nicht nur bei den schweren strafbaren Formen der Kindesmißhandlung kommen. Auch das Kind, das durch alltägliche körperliche Strafen verunsichert und in seinem Lernen gehemmt wird und das die körperlichen Angriffe als Ausdruck seiner Zurückweisung durch die Eltern auffassen muß, kann psychische Langzeitschäden davontragen. Elterliche Gewaltanwendung gegenüber Kindern ruft nicht nur Schäden bei dem unmittelbar angegriffenen Opfer hervor. Häufig beschränken sich die Mißhandlungen auf ein Kind aus einer Geschwisterschar (Green 1981, 154f.). Es wird angenommen, daß die nichtangegriffenen Geschwister psychisch in ebensolchem Maße geschädigt werden wie das eigentliche Opfer und so zu mittelbaren Opfern werden (Vesterdal 1981, 74; vgl. die Untersuchungsergebnisse von Pfouts, Schopler, Henley 1981, 94). Das Erlebnis von Tätlichkeiten der Eltern gegenüber dem Bruder oder der Schwester verursacht bei ihnen Furcht und vermittelt ein Gefühl der Verwundbarkeit und der mangelnden Geborgenheit. Darüber hinaus bietet ihnen das Verhalten der Eltern ein Lernmodell. Die Kinder lernen, daß Gewalt gegenüber schwächeren Personen zur Erreichung eines bestimmten Zieles zulässig ist und ohne unangenehme Folgen für den Angreifer bleibt. Es besteht daher die Gefahr, daß die Kinder dieses aggressive Verhaltensmodell innerhalb und außerhalb der Familie nachahmen. Nicht nur wegen dieser Auswirkungen, die Ge-

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Kindesmißhandlung

wait gegen Kinder auf ihre unmittelbaren und mittelbaren Opfer hat, stellt sie eine erhebliche soziale Herausforderung dar. Ihre Folgen beschränken sich nicht auf eine Schädigung der Opfer, sondern wirken in den gesellschaftlichen Raum hinein. Gewalt gegen Kinder ist eine Störung der Sozialisationsfunktionen der Familie und hemmt so die soziale Anpassung der nachfolgenden Generation. Die Erfahrung schwerer Gewalttätigkeiten im Elternhaus steht in enger Beziehung zu dem Auftreten von sozialabweichendem Verhalten und Kriminalität im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter (Alfaro 1981, 188f.; Mouzakitis 1981, 223ff.; Wiek 1981, 237ff.; Kopernik 1964, 318; Pfouts, Schopler, Henley 1981, 95). Mißhandlungserlebnisse und Delinquenz verursachen sich zwar wechselseitig. Meist setzt allerdings die Mißhandlung in einem frühen Alter des Kindes ein und geht daher der Delinquenz voraus. Sie bringt einen Prozeß in Gang, in dessen Verlauf das angegriffene Kind antisoziale, aggressive Einstellungen und Verhaltensmuster erlernt. Darüber hinaus stört sie seine psychosoziale Anpassung. Das mißhandelte Kind hat Schwierigkeiten, enge warme mitmenschliche Beziehungen einzugehen, da ihm das Vertrauen in seine Umwelt fehlt. Für den Aufbau einer angemessenen Selbstkontrolle ist es wichtig, daß das Kind sich mit seinen Eltern und den durch sie verkörperten positiven sozialen Werten identifizieren kann. Das mißhandelte Kind neigt demgegenüber dazu, sich von seinen gewalttätigen und abweisenden Eltern zurückzuziehen, die dem Kind oft ohnedies nur wenige positive Werte vermitteln. Die Mißhandlung durch die Mutter wirkt dabei stärker entsozialisierend auf das Kind und den Jugendlichen als die Mißhandlung durch den Vater oder Stiefvater. A m stärksten delinquenzgefährdet sind freilich diejenigen Kinder und Jugendlichen, die von beiden Eltern mißhandelt werden (Pfouts, Schopler, Henley 1981, 95f.). In einem Prozeß der sich selbsterfüllenden Prophezeiung akzeptiert das Kind die ihm zugewiesene Rolle als Sündenbock der Familie und beginnt, sie durch sozialabweichendes Verhalten auszufüllen (Green 1981, 154f.). Mißhandelte Kinder und Jugendliche versuchen teilweise, den Gewalttätigkeiten zu entgehen, indem sie von zu Hause weglaufen. Die Wahrscheinlichkeit, daß sie als Ausreißer mit delinquentem Verhalten in Kontakt kommen, ist groß (vgl. die Ergebnisse von Mouzakitis 1981, 230). Gewalterfahrungen innerhalb der Familie üben wesentliche Einflüsse auf die Entwicklung von Wertvorstellungen beim Kind aus. Sie prägen die Einstellung des Kindes und des späteren Erwachsenen zur Anwendung von Gewalt. Das Kind lernt, daß ein subjektiv bedeutendes Ziel die Ausübung von Gewalt erlaubt. Gewalterfahrungen in der Kindheit stehen in Beziehung zu der Bejahung des Einsatzes von Gewalt als Mittel der Problemlösung im Erwachsenenalter (vgl. die Ergebnisse von

Owens, Straus 1975). So sind z. B. Zusammenhänge zwischen kindlicher Gewalterfahrung und der Befürwortung der Todesstrafe festgestellt worden (Gelles, Straus 1979, 538). Ein wesentlicher sozialer Folgeschaden elterlicher Gewaltanwendung besteht schließlich darin, daß sie sich im Wege der „sozialen Vererbung" fortsetzt (Goode 1978, 142; H . J . Schneider 1975, 67). Sie wird über die Kinder von Generation zu Generation weitergegeben. Die Familie, die Gewalt in der Kindererziehung einsetzt, wird demnach auf mannigfache Weise zum sozialen Trainingsfeld der Gewalt. Da Gewalt gegen Kinder ein außerordentlich weit verbreitetes Phänomen darstellt, ist zu befürchten, daß sie über die von dem einzelnen erlernten Werte das gesamtgesellschaftliche Wertgefüge zugunsten einer Befürwortung eines wie auch immer begrenzten oder unbegrenzten Einsatzes von Gewalt beeinflußt. Die Eindämmung von Gewalt gegen Kinder ist daher eine notwendige Zwischenstation auf dem Wege zur Verwirklichung einer möglichst gewaltarmen Gesellschaft.

6. Vorbeugung und Bekämpfung Gezielte Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Kindesmißhandlung werden auch heute noch vielfach erst dann ergriffen, wenn Eltern ein Kind bereits schwer mißhandelt haben. Oft geht der Mißhandlung, die schließlich Nachbarn, Verwandte, den behandelnden Arzt oder andere Betreuer des Kindes zu einer Einschaltung der Behörden oder privater Fürsorgestellen oder zu einem eigenen Eingreifen veranlaßt, eine ganze Serie wiederholter, immer schwerer werdender Gewalttätigkeiten gegen das Kind voraus. Sie bleiben entweder unentdeckt oder werden von Personen, die mit der Familie und dem Kind in Berührung kommen, geflissentlich übersehen. Diese Haltung der Kontaktpersonen beruht meist keineswegs auf Gleichgültigkeit gegenüber den Leiden des Kindes. Ihre Bereitschaft, selbst gegenüber Kindesmißhandlung einzuschreiten oder Maßnahmen von dritter, oft staatlicher Seite zu veranlassen, wird vielmehr durch soziale Normen gehemmt, die die Autonomie der Familie betonen (U.Schneider 1987, 158ff.). Der Familie wird bei der Gestaltung ihres internen Lebens und der Erziehung ihrer Kinder ein breiter Spielraum zugestanden, der von äußerer Kontrolle freigehalten wird. Ein Verstoß gegen das soziale Nichteinmischungsgebot hat nicht selten unangenehme Folgen für den hilfsbereiten und verantwortungsbewußten Nachbarn, Arzt oder Betreuer. Er stößt auf das Mißtrauen und den Widerstand der betroffenen Familie und sieht sich dem Vorwurf des Denunziantentums, möglicherweise sogar strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt. Mit seinem Eingreifen geht er daher ein beträchtliches Risiko ein. Um das Dunkelfeld bei Kindesmißhandlung zu

Kindesmißhandlung verringern, haben die Gesetzgeber in den USA, Kanada und Australien versucht, die Anzeigebereitschaft insbesondere von Ärzten und anderem medizinischen Personal, die von einer Kindesmißhandlung Kenntnis erhalten, durch die Einführung von Melderechten oder -pflichten zu heben (van Stolk 1972, 58ff.; DeFrancis, Lucht 1974; Freeman 1979, 95ff.). Der Zweck der Melderegeln liegt darin, durch Früherkennung gefährdeter Familien das Eingreifen zum Schutz des Opfers und der Familie zu fördern. Demgegenüber sollen sie nicht dazu dienen, die Strafverfolgung zu erleichtern. Adressaten der vorgeschriebenen Meldung sind daher regelmäßig nicht Polizei oder Staatsanwaltschaft, sondern zentrale Krankenhäuser und staatliche oder private Sozialdienste. Die Tatsache, daß die Anzahl der Meldungen von Kindesmißhandlung in den USA zwischen 1976 und 1983 um 142% gestiegen ist (bei Gelles, Straus 1987, 79), läßt darauf schließen, daß die Meldegesetze von den betroffenen Berufsgruppen und der Bevölkerung angenommen werden. Sie scheint auch die in der Bundesrepublik häufig geäußerte Befürchtung zu widerlegen, daß Eltern ihre Kinder nicht mehr zum Arzt bringen, wenn sie auf sein Schweigen nicht mehr vertrauen können (vgl. z . B . Trube-Becker 1982, 130). Gleichwohl sind Meldepflichten zum Schutz des Mißhandlungsopfers nur dann sinnvoll, wenn ein leistungsfähiges soziales System zur sekundären Prävention von Gewalt in der Familie vorhanden ist (Freeman 1979, 96). Daran fehlt es in der Bundesrepublik noch weitestgehend. Zu den bei schwerer Kindesmißhandlung traditionell verfügbaren und zur Verhinderung ihrer Wiederholung eingesetzten Maßnahmen gehört die Fremdunterbringung des Kindes im Heim oder in einer Pflegefamilie. Sie ist wenig geeignet, zu einer dauerhaften Gewährleistung der Sicherheit und des körperlichen und seelischen Wohlbefindens der Kinder beizutragen. In zahlreichen Fällen kehren die Kinder nach einem ausgedehnten Aufenthalt im Heim oder in einer Pflegefamilie in ein „ungebessertes" Elternhaus zurück, und es kommt zu einem Wiederaufleben der Mißhandlungsgefahr. Während der Dauer der Trennung werden zwar teilweise von den Jugendämtern in Zusammenarbeit mit anderen Behörden und privaten Wohlfahrtsverbänden Bemühungen unternommen, eine Behandlung der Eltern und des Kindes in die Wege zu leiten oder zur Verbesserung der äußeren sozialen Situation der Familie beizutragen und auf diese Weise die Rückkehr des Kindes in die Familie zu ermöglichen und vorzubereiten. Diese Schritte reichen jedoch regelmäßig nicht aus, die schädlichen Folgen einer Fremdunterbringung für das Kind selbst und für seine Familie auszugleichen. Die Trennung führt bei dem Kind und meist auch bei den Eltern und Geschwistern (vgl. den Fall bei Sinofsky 1975, 111) zu einem Trennungstrauma. In der Regel ist das Kind nicht in der Lage zu erkennen, daß die

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Trennung von seinen Eltern seinem eigenen Schutz dienen soll. Es fühlt sich vielmehr abgelehnt, von den Eltern verlassen und bestraft (Arvanian 1975, 119). Den besonderen seelischen Bedürfnissen des mißhandelten Kindes trägt seine Fremdunterbringung keine Rechnung. Das durch wiederholte schwere Mißhandlung seelisch verwundete Kind hat ein erhöhtes Bedürfnis nach Liebe und Zuwendung einer dauernden Bezugsperson, nach einer Förderung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch seine Umwelt, nach gezielter psychotherapeutischer Behandlung. Diese kindlichen Bedürfnisse erfüllt eine Heimumgebung in aller Regel auch bei guter Ausstattung des Heimes und großem persönlichen Einsatz des Personals nicht (zu den auftretenden Hospitalisierungsschäden vgl. die Untersuchung von Dührssen 1958). Die Erziehung in einer Pflegefamilie ist einer normalen Familienerziehung zwar ähnlicher als die Heimerziehung. Allerdings haben mißhandelte Kinder oft Verhaltensstörungen, die ihre Unterbringung in einer Pflegefamilie außerordentlich erschweren. Die Pflegeeltern sind den Verhaltensstörungen des Kindes häufig nicht gewachsen, so daß die Gefahr besteht, daß das Kind von Pflegestelle zu Pflegestelle gereicht wird (Martin, Beezley 1976, 191). Oft stehen die Pflegeeltern den leiblichen Eltern ihres Schützlings ablehnend gegenüber. Eine solche Haltung gefährdet nicht nur die ohnehin gestörten Beziehungen des Kindes zu seinen Eltern, sondern beeinträchtigt auch das kindliche Selbstbild, das sich anhand des Bildes aufbaut, das das Kind von seinen Eltern hat (Arvanian 1975, 119). In jedem Falle führt die Trennung des Kindes von seiner Familie zu einer Lockerung der emotionalen Bande zwischen Eltern und Kind. Die Eltern bekommen bei seiner Rückkehr in die Familie ein Kind zurück, das ihnen fremd ist und das nicht selten Verhaltensauffälligkeiten zeigt, die durch seine Fremdunterbringung hervorgerufen oder verschärft worden sind. All dies macht das Kind wiederum zu einer opfergeneigten Person für erneute Mißhandlungen. Trotz dieser erheblichen Nachteile, die mit einer Fremdunterbringung des Kindes verbunden sind, ist sie in der Praxis oft der einzige Weg, wenigstens auf Zeit die körperliche Sicherheit des Kindes zu gewährleisten, da keine ausreichenden Alternativen zum Schutz des Opfers vor weiterer Mißhandlung verfügbar sind. Neben der opfergerichteten Fremdunterbringung kommt als traditionelle tätergerichtete Reaktion auf Kindesmißhandlung die Bestrafung des Täters oder der Täterin in Frage. Sie soll nach der allgemeinen dogmatischen Zweckbestimmung der Strafe spezialpräventiv wirken, also den Täter oder die Täterin durch Abschreckung, Besserung oder Sicherung an weiteren Gewalttätigkeiten hindern. Diesem Anspruch wird die Strafe gerade in Fällen der Kindesmißhandlung nicht gerecht. Sie entfaltet keine individuell abschreckende Wirkung. Die Ta-

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Kindesmißhandlung

ten sind in aller Regel emotional motiviert und gesteuert. Täter und Opfer befinden sich in einer affektgeladenen Situation, die jeden Gedanken an eine mögliche Bestrafung der Gewalthandlung ausschaltet. Die objektiv gegebene Möglichkeit einer Bestrafung ihres Handelns vermag Eltern daher nicht von Gewalttätigkeiten abzuhalten. Überdies ist die berechenbare Wahrscheinlichkeit, daß es tatsächlich zu einer strafrechtlichen Verfolgung der Kindesmißhandlung kommt, verschwindend gering (U. Schneider 1987, 165 f.). Bessernde Einflüsse auf die Eltern gehen von einer Bestrafung der Mißhandlung in der Regel nicht aus. Gewalt gegen Kinder hat psychische, soziale und familiendynamische Ursachen, die durch Strafe nicht gemildert, sondern eher verschlimmert werden. Strafe führt zu einer gesellschaftlichen Abwertung und Brandmarkung. Sie ist daher geeignet, das ohnehin schwache Selbstwertgefühl des mißhandelnden Elternteils weiter zu erschüttern und sein Mißtrauen gegen seine Umwelt und damit seine gefährliche Neigung zur Selbstisolation zu verfestigen. Sie läßt das meist geringe gesellschaftliche Ansehen der Familie weiter sinken und begünstigt auch auf diese Weise ihre soziale Vereinzelung. Geld- oder Freiheitsstrafen belasten die Familie wirtschaftlich und verschärfen damit den sozio-ökonomischen Druck, unter dem sie häufig steht. Strafe bietet den Eltern keine Gelegenheit, gewaltlose Erziehungstechniken zu erlernen, und wirkt sich regelmäßig belastend auf das Täter-Opfer-Verhältnis aus. Die Eltern sehen oft nicht ihr eigenes Verhalten als Grund für ihre Bestrafung an, sondern machen bewußt oder unbewußt die Opfer für ihre Verurteilung verantwortlich. Strafe erhöht daher meist die bestehenden Spannungen innerhalb der Familie und wirkt somit in vielen Fällen sekundär gewaltverursachend (U.Schneider 1987, 165 ff.). Zwar kann auf ein Eingreifen des Strafrechts in Fällen der Kindesmißhandlung nicht verzichtet werden, da Gewalt gegen Kinder eine bedeutende Gefahr für elementare Rechtsgüter und soziale Werte darstellt. Die wertbildende Kraft des Strafrechts muß eingesetzt werden, um das gesellschaftliche Bewußtsein für die Unverletzlichkeit der Rechte des Kindes innerhalb der Familie zu schärfen. Auf Verletzungen der strafrechtlichen Normen zum Schutz des Kindes muß das Strafrecht jedoch eher mit „sanften" Reaktionen im Rahmen eines weitgehend informellen Diversionsverfahrens antworten, das dem Strafprozeß vorgeschaltet ist und ihn entbehrlich machen soll. In dem Verfahren muß die Erforschung der gewaltverursachenden Konflikte innerhalb der Familie im Vordergrund stehen. Wege zu einer langfristigen Verbesserung der sozialen Situation der Familie und zu ihrer psychischen Behandlung und Unterstützung sollen unter aktiver Mitwirkung aller Beteiligten erarbeitet werden. Neben diagnostischen Funktionen soll das Verfahren daher die Aufgabe haben, die Familie in ein Netz

therapeutischer und praktischer Hilfen einzuweisen und vorhandene Unterstützungsangebote zu einem auf die individuellen Bedürfnisse der Familie zugeschnittenen Reaktionsprogramm zu koordinieren. Diese Funktion kann es freilich nur dann erfolgreich wahrnehmen, wenn ausreichende therapeutische und praktische Hilfsangebote zur Verfügung stehen, denen die betroffene Familie zugeleitet werden kann. In der Bundesrepublik nehmen die Jugendwohlfahrtsbehörden die Aufgaben des öffentlichen Kinder· und Jugendschutzes wahr. Neben den allgemeinen Maßnahmen der Familien- und Jugendfürsorge gibt es kaum Hilfsangebote, die sich gezielt an mißhandelte Kinder und ihre Eltern richten und ihren spezifischen Bedürfnissen nach einem schnellen Eingreifen in akuten Krisensituationen einerseits und nach einer therapeutischen Langzeitbetreuung andererseits genügen (Honig 1982). Erfolgversprechende Ansätze einer umfassenden Unterstützung von Risikofamilien bieten hier die Kinderschutzzentren (vgl. Deutscher Kinderschutzbund 1983, 147ff.; McGehee 1984; Engfer 1986, 148ff.), die es bereits seit einigen Jahren u. a. in Berlin, München und Bremen gibt und die in einigen weiteren deutschen Großstädten zur Zeit aufgebaut werden. Sie befinden sich in privater Trägerschaft teilweise des Deutschen Kinderschutzbundes und arbeiten mit den betroffenen Familien nach den Grundsätzen der Vertraulichkeit und der Freiwilligkeit zusammen. Damit haben sie eher die Chance, das Mißtrauen zu überwinden, das mißhandelnde Eltern oft den Jugendämtern entgegenbringen und das die Zusammenarbeit zwischen Behörde und Eltern zum Schutz des Kindes außerordentlich erschwert. Die Kinderschutzzentren halten ein breitgefächertes Hilfsangebot für mißhandlungsgefährdete und mißhandelte Kinder und ihre Eltern bereit. Neben Krisenintervention und Beratung in der Familie leisten ihre Mitarbeiter praktische Hilfen im Haushalt, bei der Kindererziehung, der Wohnungssuche oder der Abwicklung von Angelegenheiten mit Behörden und Gerichten. In einigen Zentren übernehmen Laienhelfer als „Paten" diese Aufgaben. Sie können am ehesten eine dauerhafte menschliche Unterstützung bieten, die von der Familie ohne Mißtrauen angenommen wird. Darüber hinaus werden Eltern und Kinder nach Bedarf in Einzel- oder Familiensitzungen oft längerfristig professionell psychotherapeutisch betreut. Einzelne Kinderschutzzentren unterhalten darüber hinaus Kinderwohngruppen, die eine Alternative zur staatlichen Fremdunterbringung bieten sollen. Die Kinder werden in kleinen Gruppen vorübergehend betreut. Sie leben mit ihren Erziehern zusammen, und jedes Kind hat seinen Betreuer, der auf den Aufbau einer elternähnlichen Beziehung zu dem Kind hinarbeitet. Die Übernahme in die Wohngruppe erscheint für Eltern und Kind weniger belastend als die staatliche Unterbringung, da sie nicht mit

Kindesmißhandlung Zwangseingriffen verbunden ist. Eine ruhige und überschaubare Umgebung bietet dem Kind Anregung und Förderung. Ob bei einer vorübergehenden Unterbringung der Aufbau einer elternähnlichen Beziehung zwischen Kind und Betreuer gelingen kann, ist allerdings fraglich. Darüber hinaus besteht bei großem persönlichen Engagement der Betreuer die Gefahr, daß es zu einem „professional burn-out" kommt, einer Unfähigkeit der Betreuer, weitere enge Pflegebeziehungen zu schließen. Die vielleicht größte Chance des Wohngruppenansatzes liegt darin, daß parallel zur Unterbringung des Kindes Bemühungen zur Vorbereitung seiner Rückkehr in die Familie unternommen werden. Denn die Eltern werden darauf verpflichtet, begleitend zur Unterbringung des Kindes an kontinuierlichen Beratungsgesprächen teilzunehmen. Obgleich die informellen Hilfsangebote der Kinderschutzzentren insgesamt positiv zu werten sind, stößt ihre Wirksamkeit beim Opferschutz in zweierlei Hinsicht an Grenzen. Zum einen können Hilfsangebote, deren Annahme den betroffenen Eltern freigestellt ist, staatliche Zwangsmaßnahmen nicht völlig ersetzen und überflüssig machen. So wünschenswert eine freiwillige Mitwirkung der Eltern am Kinderschutz ist, wird sie doch kaum in allen, wahrscheinlich noch nicht einmal in den meisten Fällen zu erreichen sein. In diesen Fällen muß staatlicher Zwang möglich bleiben. Bevor es zu einer Ausübung von Zwang kommt, sollte freilich zunächst die „motivierende Kraft" staatlicher Zwangsdrohungen genutzt werden. Die präventive Wirksamkeit der Kinderschutzzentren ist zum anderen deswegen beschränkt, weil sie vorwiegend reaktiv tätig werden. Schon von ihrem Ansatz her greifen private und staatliche Einzelfallhilfen, die dem Schutz eines bereits mißhandelten Kindes vor weiterer Gewaltanwendung dienen sollen, regelmäßig zu spät ein, um eine nachhaltige Veränderung im Erziehungsverhalten der Eltern und eine tiefgreifende Verbesserung ihrer Beziehung zu dem Kind erreichen zu können. Die Mißhandlung ist Ergebnis langfristig entwickelter emotionaler Fehlhaltungen der Eltern und beruht auf eingeübten Verhaltensstilen, die nur mit erheblichem therapeutischen Einsatz beeinflußt und meist nicht völlig rückgängig gemacht werden können. Die Vorbeugung gegenüber Kindesmißhandlung darf daher nicht erst bei der Verhinderung ihrer Wiederholung beginnen. Eine wirksame Bekämpfung der Gewalt gegen Kinder ist nur durch Verwirklichung eines integrierten Gesamtkonzepts der Prävention möglich, das in allen Phasen des individuellen und sozialen Entstehungsprozesses der Kindesmißhandlung Wirkungen entfaltet und sämtlichen vielschichtigen Verursachungsbedingungen Rechnung trägt, die auf diesen Prozeß Einfluß haben. Prävention setzt zunächst eine intensive Erforschung der Verbreitung und Entwicklung, der Ursachen und Folgen von Gewalt gegen Kinder vor-

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aus. Aufbauend auf den gewonnenen Forschungsergebnissen dient die primäre Prävention der Verhinderung von Ersttaten der Kindesmißhandlung. Sie richtet sich auf Veränderung gewaltbegünstigender Bedingungen in der physischen und sozialen Umwelt im ganzen (vgl. Brantingham, Faust 1976; Hess, Brückner 1979, 411; Kaiser 1980, 321 ff.; H. J. Schneider 1987, 653 ff.). Auf der E b e n e der primären Prävention geht es um die Schaffung eines gesellschaftlichen Klimas, das der Gewalt gegen Kinder entgegenwirkt. Soziale Normen und Maßstäbe, die allgemein Gewalt in der Gesellschaft verherrlichen und im besonderen Gewalt in der Kindererziehung billigen und rechtfertigen, müssen abgebaut und durch gewaltfeindliche Verhaltensund Erziehungsrichtlinien ersetzt werden. Die Massenmedien müssen auf die Vermittlung gewaltorientierter Leitbilder verzichten ( H . J . Schneider 1987, 682; Straus, Gelles, Steinmetz 1980, 238). Sie sollen vielmehr positiv an Medienkampagnen gegen Gewalt in der Erziehung mitwirken, die der Förderung der öffentlichen Aufmerksamkeit gegenüber der Verbreitung und der Schädlichkeit der Gewalt gegen Kinder dienen (Harris Cohn 1982, 215; Straus, Gelles, Steinmetz 1980, 237). Körperliche Strafen müssen als Erziehungsmittel zurückgedrängt, und den Eltern muß ihr bislang anerkanntes Züchtigungsrecht entzogen werden (U. Schneider 1987, 682; Garbarino, Gilliam 1980, 218f.; Gil 1970, 141 ff.). Ein vollkommenes Verbot körperlicher Strafen in der Erziehung ist bereits im Jahre 1979 in Schweden erlassen worden (Zetterström o. J., 86ff.; Salzer 1979). Der Ministerrat des Europarates hat in seiner Empfehlung zur Bekämpfung von Gewalt in der Familie den Mitgliedsstaaten ebenfalls vorgeschlagen, die Anwendung körperlicher Strafen in der Erziehung zu begrenzen oder zu verbieten (Ziff. 12 der Empfehlung Nr. R [85] 4 vom 26. März 1985). Der Deutsche Bundestag ist demgegenüber bei der Reform des Rechts der elterlichen Sorge im Jahre 1980 nicht den Forderungen nach einem ausdrücklichen Verbot jeglicher Gewaltanwendung in der Kindererziehung gefolgt, die in der Sachverständigenanhörung erhoben wurden (vgl. die Stellungnahmen der Sachverständigen Baer, Nitsch, Beitzke und Diederichsen in der Anhörung vor dem Rechtsausschuß des Bundestages zum Gesetzesentwurf der SPD/FDP zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge, abgedruckt in: Zur Sache 1/78, S . 8 6 f . , 118f., 149, 155; ablehnend demgegenüber der Bericht des Rechtsausschusses, wiedergegeben in Jans, Happe § 1631 BGB Anm. 1 u. 2). Dieser Forderung hat sich inzwischen auch die „Unabhängige Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt", die im Jahre 1987 von der Bundesregierung eingesetzt wurde und der 36 Experten aus den Gebieten Psychologie, Psychiatrie, Soziologie, Kriminologie, Polizeipraxis, Strafrechtspraxis, Strafrechtswissenschaft und Öffentliches Recht angehör-

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ten, in ihrem nach zweijähriger Arbeit erstellten Abschlußgutachten angeschlossen (Schwind, Baumann, U.Schneider, Winter 1989, 157). Günstige soziale und wirtschaftliche Bedingungen für die primäre Prävention von Gewalt in der Erziehung müssen durch den Abbau sozialer Streßphänomene mit den Mitteln der allgemeinen Sozialpolitik geschaffen werden (Straus, Gelles, Steinmetz 1980, 239 ff.). Hierzu gehört die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ebenso wie die Förderung eines familienfreundlichen Wohnungsbaus und die Entlastung der Familie bei der Sorge für ihre Kinder durch ausreichende Angebote an Kindertagesstätten und Kindergärten. Häufig wird eine wirksamere Geburtenkontrolle einschließlich einer weitestgehenden Freigabe der Abtreibung gefordert, um die Belastung der Eltern mit unerwünschten Kindern zu verhindern, die Zielscheibe elterlicher Aggression werden können (Gil 1970, 146; Straus, Gelles, Steinmetz 1980, 234f.). Eine Regelung, die die Abtreibung alleine in die Entscheidungsfreiheit der Eltern stellt, stärkt nicht das gesellschaftliche Bewußtsein für die Unverletzlichkeit des Kindes und die Eigenständigkeit seiner Rechte gegenüber elterlicher Willkür als Voraussetzung für die Schaffung eines kinderfreundlichen und gewaltfeindlichen sozialen Klimas. Bezogen auf den Einzelfall erscheint es widersinnig, ein ungeborenes Kind durch Vernichtung seiner Existenz vor späterer Mißhandlung schützen zu wollen. Das Eltern-Kind-Verhältnis entwickelt sich vor und nach der Geburt des Kindes in einem Prozeß, auf den vielfältige Faktoren Einfluß haben (H. J. Schneider 1987, 682). Die meisten ursprünglich ungewollten, unter ungünstigen Umständen geborenen Kinder werden von ihren Eltern emotional angenommen, und es entsteht eine tiefe und herzliche Bindung zwischen Eltern und Kind. Zwar sind viele mißhandelte Kinder ungewollt. In zahlreichen Fällen sind sie aber gerade Wunschkinder, die ungestillte Bedürfnisse ihrer Mütter und Väter nach Liebe und Zuneigung befriedigen sollen. Indem sie diese Erwartungen und Sehnsüchte ihrer Eltern nicht erfüllen, fordern sie die elterliche Aggression heraus. Kindesmißhandlung kann in einer Zeit weithin erfolgreich praktizierter Empfängnisverhütung nicht mehr in nennenswertem Umfang als Folgeerscheinung unerwünschter Elternschaft betrachtet werden. Eine effektive Familienplanung ist zwar hilfreich, um möglichst vorteilhafte Ausgangsbedingungen für den Aufbau eines positiven Verhältnisses zwischen dem erwünschten Kind und seinen Eltern zu schaffen. Sie ist für die Herausbildung einer emotional tragfähigen Eltern-Kind-Beziehung aber nicht ausreichend. Die Entwicklung der Bindung zwischen Eltern und Kind muß vielmehr durch die Gestaltung günstiger sozialer Bedingungen für die Geburt und das Aufziehen des Kindes aktiv unterstützt und gepflegt werden. Die Eltern-Kind-Verbindung muß vor, während und nach der Geburt

gefördert werden (Garbarino, Gilliam 1980, 51 ff.). Jede Geburt eines Kindes verursacht in der Familie eine soziale Krise, die positiv verarbeitet werden muß (Adler 1982, 49). Die Elternerziehung sollte deshalb bereits in den Schulen beginnen und dazu dienen, junge Menschen über die Fähigkeiten von Säuglingen und Kleinkindern aufzuklären und unrealistische Erwartungen abzubauen (Gil 1970, 146; Garbarino, Gilliam 1980, 238; Justice, Justice 1976, 198, 235 ff.). Eine intensive Geburtsvorbereitung, an der beide Eltern teilnehmen, die Zulassung des Vaters bei der Geburt, die Herstellung eines unmittelbaren Körperkontakts zwischen Mutter und Kind nach der Geburt und die aktive Beteiligung beider Eltern an der Pflege des Neugeborenen und dem Spiel mit ihm helfen bei der Herstellung einer engen Eltern-Kind-Bindung (vgl. Dolby, English, Murray 1982; Klaus, Kenne» 1976; O'Connor, Vietze 1982; Siegel 1982). Die gegenwärtig vielfach noch vorherrschende Betonung der medizinischen Seite der Geburt in der Geburtshilfe gegenüber ihrer psychologischen und sozialen Seite behindert den frühen Kontakt zwischen Eltern und Kind, der für die Entwicklung der Bindung zwischen ihnen wesentlich sein kann (Garbarino, Gilliam 1980, 51 ff.; Adler 1982, 49). Der Aufbau eines allseitig befriedigenden Verhältnisses zwischen Eltern und Kind muß durch die Einbindung der Familie in ein soziales Netz gefördert und gepflegt werden, das ihr Halt gibt und ihr seelischen und praktischen Beistand insbesondere in Krisenzeiten bietet. Der Unterstützung und dem Ausbau der „natürlichen" informellen Hilfsnetze, die von Nachbarn, Verwandten, Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen der Familie gebildet werden, kommt dabei eine vorrangige Bedeutung zu (Garbarino, Gilliam 1980, 231; Straus, Gelles, Steinmetz 1980, 240ff.). Ein interkultureller Vergleich westlicher Industriegesellschaften mit noch bestehenden unversehrten Stammesgemeinschaften der Entwicklungsländer und mit der gemeinschaftsbezogenen japanischen Gesellschaft zeigt, daß sich eine feste Eingliederung der Familie in ein Geflecht verwandtschaftlicher, nachbarschaftlicher und bekanntschaftlicher Beziehungen in mannigfaltiger Weise kontrollierend und vorbeugend auf das Auftreten von Kindesmißhandlung auswirkt (Korbin 1981). Die Entwicklung und Förderung nachbarschaftlichen Kontakts durch gezielte Maßnahmen der politischen und der Kirchengemeinden sowie der privaten Wohlfahrtsverbände und die Verbesserung des sozialen und materiellen Wohnumfelds ist besonders wichtig in Risikonachbarschaften, in denen das Phänomen der sozialen Verarmung beobachtet wird (Garbarino, Gilliam 1980, 230f.). Ein System nachbarschaftsorientierter Sozialarbeit zum Schutz des Kindes ist in Schweden entwikkelt worden (Tietjen 1980). In den Nachbarschaften sind Kliniken und Gesundheitsstationen für Mutter und Kind eingerichtet worden, die die Mütter be-

Kindesmißhandlung reits während der Schwangerschaft betreuen. Neben Maßnahmen im Rahmen der Gesundheitsfürsorge bieten sie Elternkurse an, in denen werdende und junge Eltern auf die Aufgaben der Versorgung und Erziehung ihrer Kinder vorbereitet werden. Innerhalb sogenannter „offener Vorschulen" nehmen die Eltern aktiv an der Betreuung ihrer Kinder und an gemeinsamen Unternehmungen teil. Erzieherisch unerfahrenen Eltern wird so ein Lernmodell für den Umgang mit ihren Kindern vermittelt. Im Rahmen nachbarschaftsorientierter Sozialarbeit wird der nachbarschaftliche Kontakt z. B. durch Ausrichtung von Straßenfesten oder kulturellen Veranstaltungen gefördert. Diese primär-präventiven Ansätze, die allgemein der Herstellung einer familien- und kinderfreundlichen sozialen Umwelt dienen und auf diese Weise der Gewalt gegen Kinder vorbeugen sollen, müssen durch sekundär-präventive Maßnahmen zur Verhütung der Wiederholung von Kindesmißhandlung ergänzt werden. Vorrangiges Ziel der sekundären Prävention ist der Schutz des Opfers vor weiterer Gewaltanwendung durch eine Stärkung der Familie (Straus, Gelles, Steinmetz 1980, 223; Garbarino, Gilliam 1980, 230). Dieses Ziel versucht man durch psychologische Beratung und Behandlung der Eltern zu erreichen. Psychotherapie wird mißhandelnden Eltern in den Formen der Einzel- oder der Gruppentherapie angeboten. Meist wird versucht, beide Eltern in die Therapie einzubeziehen, da die Mißhandlung des Kindes in der Regel auch auf Störungen der Beziehungen und der Interaktion zwischen den Eltern beruht (Justice, Justice 1976, 109ff., 145ff.). Psychodynamisch ausgerichtete individualtherapeutische Ansätze stellen das Persönlichkeitswachstum der Eltern in den Vordergrund (Pollock, Steele 1972). Das Selbstwertgefühl der Eltern soll gestärkt werden. Sie sollen die Fähigkeit entwickeln, in der Erwachsenenwelt genug Befriedigung zu finden, so daß sie sich zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse nach Liebe und Anerkennung nicht mehr an ihre Kinder wenden müssen. Die therapeutische Beziehung soll Abhängigkeitsbedürfnisse der Eltern stillen, die in ihrer eigenen Kindheit nicht erfüllt wurden. Die Therapeuten übernehmen die Rolle von „Quasi-Eltern", die den Eltern mit Wärme und mit einer bedingungslos akzeptierenden Haltung gegenübertreten, ohne dabei ihr Fehlverhalten gegenüber ihren Kindern zu entschuldigen. Eine rein psychodynamisch orientierte Therapie erscheint nicht erfolgversprechend, da sie den Eltern keine gewaltlosen Techniken im Umgang mit ihren Kindern vermittelt, sondern ein einseitiges Schwergewicht auf die emotionalen Hintergründe der Gewaltneigung legt. Aussichtsreicher erscheint der Einsatz verhaltenstherapeutischer Techniken, die ein Erziehungs- und Kommunikationstraining umfassen, im Rahmen einer Gruppentherapie. Gegenüber der Individualtherapie hat die Gruppentherapie mit mißhandelnden Eltern den Vorteil, daß sie

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in stärkerem Maße bei der Überwindung der sozialen Isolation der Eltern hilft (Justice, Justice 1976, 112). In der Interaktion mit den anderen Gruppenmitgliedern erfahren die Eltern Anerkennung und Zuwendung durch Menschen, die ähnliche Probleme wie sie selbst haben. Sie lernen es, Vertrauen zu anderen zu entwickeln. Der Erfolg der Gruppentherapie beruht wesentlich auf dem Element der Selbsthilfe (Savino, Sanders 1973, 482). Indem sich die Eltern aktiv mit den Problemen der anderen Gruppenmitglieder auseinandersetzen, arbeiten sie nicht nur am Abbau dieser und ihrer eigenen Probleme, sondern entwickeln auch ihr Selbstwertgefühl und das Bewußtsein, Kontrolle über ihr eigenes Leben zu haben. Die Behandlung und Beratung der Eltern ist oft notwendig, selten aber ausreichend, um eine tiefgreifende Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehungen zu erreichen. Die Interaktion zwischen Eltern und Kind kann nur dann positiv beeinflußt werden, wenn auch das Kind und die übrigen Familienmitglieder in die Therapie einbezogen werden (Kempe, Kempe 1984, 113). Eine intensive Behandlung der Eltern, des Kindes und ihrer Interaktionsmuster wird teilweise im Rahmen einer stationären Familientherapie versucht (Alexander, McQuiston, Rodeheffer 1976). Im „Circle House" in Denver/ USA werden Eltern und Kinder in getrennten Wohneinheiten untergebracht, um in der akuten Krise zunächst die Eltern von der Sorge für ihre Kinder zu entlasten und gleichzeitig die körperliche Sicherheit der Kinder zu gewährleisten. D e r tägliche Kontakt zwischen Eltern und Kind wird systematisch gepflegt und erweitert. Neben psychotherapeutischer Behandlung der Eltern und gezielter medizinischer und pädagogischer Betreuung des Kindes werden die Interaktionen zwischen Eltern und Kind beobachtet, gemeinsam mit den Eltern analysiert, neue Verhaltensformen der Eltern erarbeitet und ausprobiert. Eltern und Kind werden aneinander herangeführt. Eine solche stationäre Familientherapie ist sehr aufwendig und führt zu tiefen Eingriffen in das Leben der Familie. Sie kann sich daher nur in geringem Umfang durchsetzen. Darüber hinaus ist die Behandlung der Familie in ihrer natürlichen sozialen Umwelt, mit der sie sich tagtäglich auseinandersetzen muß, in der Regel einer stationären Therapie vorzuziehen. Neben psychotherapeutischen Hilfen benötigt die Risikofamilie vielfältige praktische Unterstützung. Therapie reicht meist nicht aus, um das Ausmaß an persönlicher, sozialer und wirtschaftlicher Zurücksetzung auszugleichen, unter dem Mißhandlungsfamilien häufig leben. Die Familien haben in aller Regel zahlreiche Probleme. Die Eltern sind aufgrund von Überlastung, gesundheitlichen oder seelischen Behinderungen, Alkohol- oder Tablettenabhängigkeit nicht in der Lage, den Anforderungen zu genügen, die Beruf, Haushalt und Familie an sie stellen. Sie brauchen Hilfe bei der Arbeits- und Wohnungssu-

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che, der Versorgung des Haushalts und der Betreuung der Kinder, der Behandlung von Sucht- und anderen Krankheiten. Der Einrichtung staatlicher und privater Sozialdienste, die ein umfassendes und breitgefächertes Therapie- und Dienstleistungsangebot für Risikofamilien bereithalten, muß daher der Vorrang vor einseitig behandlungsorientierten Programmen eingeräumt werden. Die Fähigkeit der Eltern, eigene Probleme selbst zu lösen, ihr Selbstwertgefühl und ihre Bereitschaft zu mitmenschlichem Kontakt können wohl am erfolgversprechendsten im Wege der Selbsthilfe entwickelt und geschult werden. Wie in den U S A haben sich an einigen Orten der Bundesrepublik Selbsthilfegruppen nach dem Vorbild der Anonymen Alkoholiker gebildet (vgl. Kempe, Helfer 1972, 48ff.; Justice, Justice 1976, 204ff.; Freeman 1979, 114; Starkweather, Turner 1975). Sie gewähren ihren Mitgliedern praktische und therapeutische Hilfen. Die Eltern unterstützen sich gegenseitig bei der Findung und Einübung gewaltloser Erziehungsmethoden. Indem sie anderen Familien bei der Lösung ihrer Probleme helfen, lernen Risikoeltern, mit eigenen Schwierigkeiten besser fertig zu werden. Bei akuten Krisen greifen die „Anonymen Eltern" sofort zum Schutz der Kinder ein. Durch praktische Hilfen bei der Kinderbetreuung mindern sie die Belastung der Eltern durch die Versorgung und Erziehung der Kinder. Gemeinsame organisierte Unterhaltungs- und Freizeitangebote tragen dazu bei, die soziale Isolation der Risikofamilien aufzuheben. Da alle Mitglieder der Selbsthilfegruppe ähnliche Schwierigkeiten haben, kann der einzelne hier am ehesten Sympathie und Verständnis erwarten. Mißhandelnde Eltern, die unter ihrem geringen Selbstbewußtsein und unter Gefühlen der Minderwertigkeit leiden, werden nicht weiter herabgewürdigt, sondern können sich in einer Selbsthilfegruppe akzeptiert fühlen. Sie brauchen keine Zurückweisung zu befürchten. Der Anschluß an die Gruppe macht es den Eltern leichter, ihr Mißtrauen gegenüber der Umwelt zu überwinden. Zur sekundären Prävention der Kindesmißhandlung gehört schließlich und nicht zuletzt die Behandlung des Opfers und seiner durch die Mißhandlung erlittenen körperlichen und seelischen Schäden und Verhaltensstörungen. Seine Behandlung dient dazu, Auffälligkeiten des Kindes abzubauen, die es zur opfergeneigten Person für weitere Mißhandlungen machen können. Sie ist daher nicht alleine ein Akt gesellschaftlicher Wiedergutmachung gegenüber dem Mißhandlungsopfer. Das mißhandelte Kind benötigt nicht nur eine medizinische, sondern auch eine psychologische Notfallbehandlung, die ihm hilft, den akuten seelischen Schock der Mißhandlung zu überwinden (Kempe, Kempe 1984, 120ff.). Oft braucht es eine längerfristige Psychotherapie, die sein Vertrauen in seine Umwelt fördern, seine Bedürfnisse nach Liebe und Geborgenheit befriedigen und seine Ängste abbau-

en soll (Kempe, Kempe 1 9 8 4 , 1 2 3 f f . ; Beezley, Martin, Kempe 1976). In einer therapeutischen Vorschule sollen Rückstände in seiner geistigen und seiner Persönlichkeitsentwicklung überwunden werden (Mirandy 1976, 215). Wird das Kind in einer Pflegefamilie untergebracht, so muß die Pflegeerziehung therapeutisch gestaltet werden. Die Pflegeeltern müssen sich als Teile eines multidisziplinären therapeutischen Teams verstehen, dessen Ziel die Verbesserung der Beziehungen zwischen dem Kind und seinen biologischen Eltern ist (Martin, Beezley 1976).

Monographien

und

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Kindesmißhandlung

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SCHNEIDER

LADENDIEBSTAHL A. Einleitung Der Ladendiebstahl wird hier im weiteren Sinne verstanden. Er umfaßt außer einfachen Diebstählen in Einzelhandelsgeschäften, insbesondere sog. Tante-Emma-Läden, auch solche Straftaten, die in Warenhäusern oder in Selbstbedienungsläden begangen werden sowie die Messen- und Marktdiebstähle, die älteste Form derartiger Kriminalität. Rechtfertigt sich eine zusammenfassende Behandlung, da es stets um Handelsverkäufe an einen Kunden — gewöhnlich als Letztabnehmer oder Konsument — geht, ist gerade kriminologisch wegen der unterschiedlichen Organisation des Verkaufs Differenzierung geboten. Ausgeklammert bleiben lediglich Kassen- und Schalterdiebstähle; selbst wenn diese nicht in Form von Einbruchdiebstahl begangen werden, sind sie doch — etwa als Trickdiebstahl — eine Sonderform, weil der Griff in die Ladenkasse keine für einen Kunden übliche Aktivität darstellt. Handelt es sich mithin in allen diesen Fällen um Kundendiebstähle, macht es auch nichts aus, wenn mit

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Ladendiebstahl

derartigen „faulen Kunden" zuweilen unredliche Betriebsangehörige zusammenwirken, also Züge der Betriebskriminalität zu verzeichnen sind, die ansonsten aber — wie Arbeitnehmerdelinquenz überhaupt — außer Betracht bleiben soll. Alle diese Ladendiebstähle sind nicht nur 1966 bei der Behandlung des Diebstahls in diesem Werk (siehe Bd. I, S. 132f.) wohl schon zu kurz gekommen, sondern haben in den 70er Jahren zu juristischen und rechtspolitischen Kontroversen geführt, die darauf zurückzuführen sind, daß sich derartige Taten in Warenhäusern und mit dem weithin stattfindenden Übergang zum Warenverkauf im Selbstbedienungssystem gewaltig vermehrt haben, was Gegenreaktionen der Betroffenen hervorrief. Dachten diese zunächst auch nur an diese Kundendiebstähle, ist inzwischen klar, daß Inventurdifferenzen ähnlichen Ausmaßes auch auf Delikte Betriebsangehöriger zurückzuführen sind, d. h. auf Betriebskriminalität. Dennoch kommt den Ladendiebstählen nach wie vor erhebliches Gewicht zu, weshalb eine genauere Betrachtung angezeigt ist. a) Die strafrechtlich maßgebende gesetzliche Regelung ist an sich einfach zu überblicken, weil es hier vor allem um die Diebstahlsvorschrift des § 242 StGB geht. Kommt Strafschärfung nach §243 StGB bei Kundendiebstählen nur ausnahmsweise in Betracht, ist der Tatausführung mit Waffen und Bandendiebstahl betreffende § 244 StGB in diesen Fällen kaum jemals anzuwenden; eher schon können sich in Einzelfällen Abgrenzungsschwierigkeiten von Raub (§§249ff. StGB) und Erpressung (§§253, 255 StGB) ergeben, von denen hier aber abgesehen werden soll. Bedeutsamer sind für den (einfachen) Diebstahl (§242 StGB) in diesem Bereich bereits Probleme der Abgrenzung von Betrug (§ 263 StGB) und insbesondere Unterschlagung (§246 StGB). Setzt diese — wie der Diebstahl — als Tatobjekt eine fremde bewegliche Sache voraus, macht das damit vorausgesetzte zivilrechtliche Eigentum eines anderen in der Praxis hier kaum Probleme. Selbst wenn die Handelsware nicht dem Inhaber der verkaufenden Firma gehört, ist mit Eigentum seines Lieferanten oder ggf. eines Sicherungseigentümers für Täter in der Rolle eines Kunden stets Fremdheit zu bejahen. — Komplizierter gestalten sich die Dinge — wie angedeutet — bei der Tathandlung, die in §242 StGB als Wegnahme umschrieben ist. Dies bedeutet, daß der Täter die fragliche Sache aus der sozial anerkannten Herrschaftsgewalt des bisherigen Inhabers, der — wie gesagt — nicht ihr Eigentümer zu sein braucht, in seine Gewalt oder die eines Dritten bringt; und dies muß ohne oder gegen den (tatsächlichen) Willen des bisherigen Inhabers erfolgen, um Wegnahme bejahen zu können. Erschleicht sich der Täter das Einverständnis des Inhabers und somit den Gewahrsam, ist eine Wegnahme zu verneinen, kann aber ggf. Betrug (§263 StGB) oder Unterschlagung (§246 StGB) angenommen werden,

wenn er sich die so erlangte fremde Sache rechtswidrig zueignet. Außer vorsätzlichem Handeln des Diebes setzt §242 StGB schließlich noch die Absicht der rechtswidrigen Zueignung voraus, die als Erfolgsabsicht zwar nicht verwirklicht zu sein braucht, was aber in aller Regel der Fall ist. Sie bereitet bei diesen Kundendiebstählen zudem kaum jemals Schwierigkeiten, weil der Täter, der Handelsware so stiehlt, mit ihr wie ein Eigentümer verfahren, d. h. sie ge- oder verbrauchen bzw. absetzen will, ohne dazu berechtigt zu sein. Wichtiger als die Vorschrift des §247 StGB, die für Angehörige oder mit dem Opfer in häuslicher Gemeinschaft lebende Täter die Strafverfolgung von einem Antrag des Berechtigten abhängig macht, ist die auch für Diebstähle geltende, in etwa entsprechende Regelung des §248a StGB. Handelt es sich um geringwertige Sachen, was im Geldwert z . T . strittig ist, wird die Tat ebenfalls nur auf Antrag verfolgt, sofern nicht die Staatsanwaltschaft wegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. In der Rechtspraxis kann in diesen Fällen schon der Strafantrag Probleme bereiten, wenn der dazu Berechtigte durch Drohen damit den Täter zwingen will, so oder so begründet überhöhten Schadenersatz zu leisten oder statt einer Strafe einen Geldbetrag an eine dritte Institution zu zahlen. Kann der Staatsanwalt bei Diebstahl geringfügiger Sachen auch nicht auf den Weg der Privatklage (§374 StPO) verweisen, müssen er und ggf. das zuständige Strafgericht angesichts der Geringfügigkeit, die zudem strafprozessual noch weiter reicht, über eine Verfahrenseinstellung nach den §§153, 153 a StPO nachdenken und entscheiden, wenn bei einem Strafantrag des Opfers eine Bestrafung im konkreten Falle oder gar die Antragstellung als unangemessen erscheint. Der bei Ladendiebstahl zumindest nicht selten zu verzeichnende Bagatellcharakter bereitet ersichtlich nicht nur bei der Strafzumessung, sondern oft schon strafprozessual Probleme. b) Zur geschichtlichen Entwicklung dieser Strafvorschriften, die auch für Ladendiebstähle (i. w. S.) gelten, genügen hier einige wenige Hinweise. Der heimliche Diebstahl — die widerrechtliche Wegnahme einer fremden Sache — wurde im alten deutschen Recht bekanntlich sogar schwerer als der offen und mit Gewalt begangene, z. T. als legal angesehene Raub gewertet. Mag die Abgrenzung auch in Quellen des späten Mittelalters unsicher werden, haben sich die Dinge doch erst in der Zeit des gemeinen Rechts geändert. Und das dürfte weniger an der Rezeption des römischen Rechts — insbesondere des allgemein formulierten Furtum — aus den Händen der italienischen Juristen des ausgehenden Mittelalters als an hierzulande veränderten gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen liegen. Wurde erst damals der Raub auch bei uns als das die öffentliche Sicherheit besonders gefähr-

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Ladendiebstahl dende schwerere Eigentums- und Gewaltdelikt anerkannt, bemühte sich bezeichnenderweise noch die CCC von 1532 beim Diebstahl in den Art. 157 ff. darum, u. a. nach Wert und Art des Gestohlenen, Art des Gewahrsamsbruchs sowie nach der Situation des Täters zu differenzieren. Bestimmungen wie die des Art. 164 über junge Diebe oder die des Art. 166 über Stehlen in rechter Hungersnot erlangten mit der Zeit sogar allgemeinere Bedeutung. Gewichtiger aber speziell für Diebstähle war wohl die Unterscheidung nach dem Wert der Beute. Machte dieser 5 Gulden oder mehr aus, was jedoch für damalige Verhältnisse erheblich war, wurde durch Art. 160 CCC bereits für die erste Tat Strafe an Leib oder Leben angedroht, während andere einfache (sog. kleine) Diebstähle nach Art. 161 CCC milder zu ahnden waren. Betrafen u. a. die Art. 167—169 mit Feldfrüchten, Holz- und Fischdiebstählen bestimmte Tatobjekte, ist hier noch die Rückfallvorschrift des Art. 162 CCC zu erwähnen; nach dieser war auch einfacher „kleiner" Diebstahl im wiederholten Rückfall (3. Tat) mit dem Leben zu büßen. Zweifelhaft bleibt allerdings, wie man in den damaligen Verhältnissen von derartigen Rückfall begründenden Taten etwas erfahren hat, was die praktische Anwendung erheblich beeinträchtigt haben dürfte. In den folgenden Jahrhunderten, z.B. auch in den §§1121 ff. des preußischen ALR von 1794, macht sich dann aber ein Bestreben nach Gleichbehandlung aller einfachen Diebstähle bemerkbar, von dem im wesentlichen nur noch der im RStGB 1871 als Übertretung gewertete „Mundraub" (§ 370 Ziff. 5 RStGB) ausgenommen blieb, der erst 1975 mit Abschaffung dieser Deliktskategorie unter Änderung des 1912 als Notentwendung eingeführten §248 a StGB gestrichen wurde. Zudem muß man berücksichtigen, daß in früheren Jahrhunderten trotz staatlichen Bemühens um Gleichbehandlung viele kleinere Diebstähle nicht durch staatliche Institutionen, sondern intern — z.B. durch die Polizei- und Patrimonialgerichtsbarkeit oder Züchtigung durch Eltern bzw. Lehrherren — geahndet wurden. Dieser weitgehende Verzicht auf Differenzierung zwischen verschiedenartigen (einfachen) Diebstahlstaten hat wesentlich zur gegenwärtig für Ladendiebstähle (i.w.S.) geltenden strafrechtlichen Regelung beigetragen, die mehr als durch Vorschriften wie die des § 248 a StGB durch solche des Strafprozeßrechts modifiziert wird, welches in den §§ 153, 153 a StPO aber auch nur allgemein auf Geringfügigkeit abstellt.

B. Kriminologie Ausmaß und Entwicklung der so zu verstehenden Ladendiebstahlskriminalität lassen sich anhand der Kriminalstatistik überhaupt nicht und mit Hilfe der Polizeilichen Kriminalstatistik, die noch größere

Unsicherheitsfaktoren aufweist, nur bedingt beurteilen. Dennoch muß der Versuch unternommen werden, Quantitäten und Entwicklungstendenzen zumindest einigermaßen zuverlässig herauszuarbeiten. Besonders wichtig für diese Problematik erscheinen Erkenntnisse der Kriminalphänomenologie, wenngleich auch hier schon deshalb vieles noch unsicher ist, weil manche Untersuchungen zu pauschal und andere zu begrenzt konzipiert sind, was mit den eingangs erwähnten Unklarheiten der Begriffsbildung zusammenhängt. Aus diesem Grunde lassen sich auch nur mit mancherlei Vorbehalten Aussagen über die Ursachen dieser Delinquenz, sie auslösende oder fördernde Umstände und über die Persönlichkeit dieser Täter machen. Das ist mißlich, weil insbesondere für eine sinnvolle Rechtsanwendung wichtiger als Differenzierungen bei diesen Diebstahlstaten wohl solche für Tätergruppen sein dürften; denn deren kriminelle Intensität divergiert ganz beträchtlich. Außer an Menschen, insbesondere Frauen, die sich durch günstige Umstände zu solchen Taten hinreißen lassen, was man zuweilen unzulässig als „Opfer des Konsumterrors" verallgemeinert, gibt es auch Profis, die sich auf diese Art von Kriminalität spezialisiert haben und keineswegs Nachsicht verdienen. Wieder anders liegen die Dinge bei Ladendiebstählen junger Täter, bei denen wir es vielfach mit Problemen der Entwicklungskriminalität zu tun haben, weshalb diese Taten nicht mit anderen formal gleicher Art über einen Leisten geschlagen werden dürfen. Schließlich weisen manche Ladendiebe, insbesondere Frauen, Phänomene auf, die man früher mit dem psychiatrisch überholten Wort „Kleptomanie" zu kennzeichnen pflegte; in derartigen Fällen kann nicht nur die strafrechtliche Schuldfähigkeit aus mannigfachen psychiatrischen oder psychologischen Gründen zu verneinen sein, sondern muß auch die Reaktion anders als sonst aussehen. — Kurzum verdienen Ladendiebstähle aus ganz verschiedenartigen Gründen das Interesse der Kriminologen.

1. Entwicklung

und praktische

Bedeutung

Einig ist man sich bei allen Meinungsverschiedenheiten darüber, daß Ladendiebstähle ( i . w . S . ) in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen haben und ihnen heute zumindest rein quantitativ große Bedeutung zukommt. Allerdings sind praktische Bedeutung und Entwicklung speziell für Ladendiebstähle (i.w.S.) anhand der Kriminalstatistik nicht einzuschätzen, weil diese Delikte entweder in der Gruppe Diebstähle und Unterschlagung oder aber in den Daten für §242 StGB enthalten sind. Da auch hier in den letzten 20 Jahren eine beträchtliche Zunahme zu verzeichnen ist, können diese Zahlen immerhin als Orientierungsdaten dienen, um die mit anderen Unsicherheitsfaktoren be-

350

Ladendiebstahl

haftete Polizeiliche Kriminalstatistik zu ergänzen, die speziell für Ladendiebstähle (wenngleich in der Basis etwas schwankend — 1965 und 1970 Kaufhäuser/Selbstbedienungsläden, 1975 zusätzlich Verkaufsräume, 1980 und 1985 spez. Ladendiebstähle) eine noch stärkere Zunahme ausweist. Schon die Zahlen für die große, die §§242 - 2 4 8 c StGB umfassende Deliktsgruppe zeigt eine erhebliche Steigerung, die auch in den Kriminalitätsziffern — den jeweils auf 100000 Strafmündige jährlich entfallenden Verurteilungen — im Vergleich zur Gesamtkriminalität zum Ausdruck kommt. Tabelle 1 Kriminalstatistik: §§ 242-248

c StGB

Jahr

Verurteilte

KrZ

GesKrZ

1965 1975 1985

95912 103040 181266

203,2 301,7 345,2

1234,4 1343,1 1370,9

Geht es bei dieser Deliktsgruppe, da Unterschlagungen zahlenmäßig weit zurücktreten, vor allem um Diebstähle der verschiedensten Art, haben sich zwar die Verurteiltenziffern in den letzten 20 Jahren nahezu verdoppelt, hat aber die kriminelle Belastung (aller Altersgruppen) nur um nahezu 75 % zugenommen, während sich die Kriminalitätsziffer für die Delinquenz insgesamt lediglich um etwa 10% erhöht hat. Diese Entwicklung wird durch die entsprechenden Zahlen für § 242 StGB bestätigt, die u. a. einfache Ladendiebstähle umfassen. Dabei soll außer den Zahlen Abgeurteilter und Verurteilter sogleich der bei für anklagereif befundenen einschlägigen Strafsachen zu verzeichnende Schwund (durch Einstellungen, Freisprüche usw.) berücksichtigt werden. Haben sich bei einfachen Diebstählen (insgesamt) in den letzten 20 Jahren die Zahlen Verurteilter mehr als verdoppelt, ist zu beachten, daß dies bei den Abgeurteilten noch ausgeprägter ist, was z. T. durch den bei eingeleiteten Strafverfahren dieser Art von 11,6% auf 22,0% gewachsenen — etwa verdoppelten — Schwund wieder verdeckt wird.

Polizeiliche Kriminalstatistik Jahr

Erf. Fälle Zahl

1965 1970 1975 1980 1985

55344 147315 199049 285323 353055

52939 141926 181387 266096 333124

Tabelle 2 Kriminalstatistik: §242 Jahr

1965 1975 1985

StGB

Abgeurteilte Verurteilte Zahl

%

65399 120819 169145

88,4 85,3 78,0

57823 103.040 132084

Präziser für Ladendiebstähle ( i . w . S . ) sind trotz der erwähnten Unsicherheitsfaktoren die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik, die jetzt denen der Kriminalstatistik für nach § 242 StGB Abgeurteilte gegenübergestellt werden sollen. Die aus bekannten Gründen ungleich höher liegenden Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik für Ladendiebstähle zeigen im Vergleich mit denen der Kriminalstatistik für nach § 242 StGB Abgeurteilte in diesen 20 Jahren eine ungleich stärkere und kontinuierliche Zunahme. Diese beträgt bei nicht einmal verdreifachten Abgeurteiltenzahlen für § 242 StGB (insgesamt) bei den erfaßten und aufgeklärten Fällen von Ladendiebstahl etwa das Siebenfache und bei den ermittelten Tatverdächtigen immer noch rund das Sechsfache. Auch zeigt die Polizeiliche Kriminalstatistik, wenn man die letzten 10 Jahre zugrundelegt, daß die Ladendiebstähle ( i . w . S . ) zumindest einen erheblichen Anteil der Delinquenz des einfachen Diebstahls ausmachen dürften. Haben bei den erfaßten Fällen die Ladendiebstähle in den letzten 10 Jahren von etwa 20—25% auf rund 30 % aller einfachen Diebstähle zugenommen, so machen sie bei den aufgeklärten Fällen und ermittelten Tatverdächtigen sogar jeweils über 5 0 % aus. Dies aber beeinflußt mit ungewöhnlich hoher Aufklärungsquote (1985 Durchschnitt: 4 7 , 2 % ) beim Ladendiebstahl (1975: 9 1 , 1 % ; 1985: 9 6 , 0 % ) beträchtlich die gesamte Aufklärungsquote für einfache Diebstähle (1975: 3 9 , 7 % ; 1985: 4 8 , 8 % ) , weil Ladendiebstähle hier über die Hälfte ausmachen. Die bei diesen außergewöhnlich hohe Aufklärungsquote erklärt sich unschwer daraus, daß Ladendiebstähle ganz überwiegend durch Strafanzeigen zur Kenntnis der Strafverfolgungsor-

Tabelle 3 (Ladendiebst.) Aufgekl. Fälle % 95,6 96,3 91,1 96,2 96,2

Kriminalstatistik

(§242)

erm. Tatv.

Abgeurteilte

48041 136104 171133 242032 288704

65399 114540 120819 151934 169145

351

Ladendiebstahl Tabelle 4 Polizeiliche Kriminalstatistik Jahr §242

Erfaßte Fälle Ladend. Zahl

1975 1980 1985

864849 1164317 1 089387

199049 285323 353055

343687 474303 531281

Aufgeklärte Fälle §242 Ladendiebst. % Zahl % 39,7 40,7 48,8

gane gelangen, denen mit der Anzeige nahezu immer ein Tatverdächtiger präsentiert wird; sie brauchen also nur der Anzeige zu glauben, um den Fall als aufgeklärt und den Täter als ermittelt anzusehen. Vergleiche der Polizeilichen Kriminalstatistik mit der Kriminalstatistik sind jedoch in diesem Bereich überaus problematisch, wenn man sich die Zahlen für 1985 vergegenwärtigt (vgl. Tab. 3). Hatten nach Ansicht der Polizei die ermittelten 288704 Ladendiebe über die Hälfte aller einfachen Diebstähle (§242 StGB) begangen, so dürften sie vermutlich gut 50% der 169145 in diesem Jahr wegen Diebstahls (§242 StGB) Abgeurteilten ausmachen; das wären schätzungsweise etwa 80000 oder lediglich 25 % der von der Polizei als überführt angesehenen Ladendiebe. Der außerordentlich große Schwund (etwa 75 % , sonst durchschnittlich um 33 %) fordert mithin zu genaueren Untersuchungen heraus. Geben letztlich alle diese Zahlen ersichtlich nur ungefähre Orientierungspunkte, die dennoch auch bei den Ursachen dieser Kriminalität noch weiter genutzt werden müssen, sollte einleuchten, daß wir uns Einschätzungen des Dunkelfeldes der Ladendiebstahlskriminalität versagen, wo offenbar schon im Bereiche der so oder so statistisch erfaßten Delinquenz vieles dunkel ist. Hier müßte man beispielsweise noch herausfinden, inwieweit es sich 1985 bei dem gewaltigen Schwund von rund 353 000 polizeilich registrierten Fällen und schätzungsweise nur etwa 80000 wegen solcher Strafsachen Abgeurteilten bzw. vermutlich 65 000 Verurteilten (im Verhältnis zu den erfaßten Fällen wären das trotz angeblich nahezu vollständiger Aufklärung lediglich etwa 18,5%) um wirkliche oder nur vermeintliche Kriminalität handelt. Das darüber hinausgehende Dunkelfeld läßt sich u. E. gegenwärtig nicht einigermaßen seriös einschätzen. Vermutungen schwanken zwischen 1 Mill, und 120 Mill, unentdeckt gebliebenen Fällen von Ladendiebstahl, was ein Verhältnis von 1: 3 bis 320 bereits zu den erfaßten Fällen ergäbe. Auch Schadenssummen schwanken nicht nur erheblich, z.B. schon 1974 zwischen 60 Mill. DM und 2,5 Mrd. DM, sondern sind nicht geeignet, das bei Ladendiebstählen aber gewiß große Dunkelfeld — sei es für unentdeckt gebliebene Taten oder nicht bestrafte Täter — auch nur einigermaßen plausibel zu erhellen.

181387 266096 333124

91,1 96,2 96,0

2. (

Erm. Tatverdächtige §242 Ladendiebst.

328096 418666 428891

171133 242032 288764

Erscheinungsformen Kriminalphänomenologie)

Ist es u . E . auch beim Ladendiebstahl ( i . w . S . ) , obwohl es sich strafrechtlich nahezu stets um einen (einfachen) Diebstahl (§242 StGB) handelt, erforderlich, zwischen zumindest vier verschiedenen Erscheinungsformen zu unterscheiden, läßt sich doch einiges vorab allgemein festhalten, ohne damit der Kriminalistik (vgl. C.) vorzugreifen. Bei überwiegend primitiver Tatausführung, bei welcher Alleintäter dominieren, ist die Beute in aller Regel gering, wenngleich ihr Wert insbesondere bei so oder so vorkommenden Serien erheblich sein kann. Der große Schaden für den davon betroffenen Handel ergibt sich also vor allem aus dem Charakter des Massendelikts, den die statistischen Ausführungen belegen. Einige Anhaltspunkte für die durch die einzelnen Ladendiebstähle (i.w. S.) verursachten Schäden ergeben die neuerdings in der Polizeilichen Kriminalstatistik genannten Anteile, die bei über 50% Werte unter 2 5 , - DM und über 75% Werte unter 100,— DM ausweisen, was frühere Einzeluntersuchungen bestätigen (z.B. Hamburg 1973: unter 2 0 , - DM 54,9%, über 1 0 0 , - DM 9 , 0 % ) . Tabelle 5 Polizeiliche Kriminalstatistik

(Ladendiebstahl)

Jahr

unter 25 DM

DM 25-100

DM DM 100-1000 1000 u . m .

1980 1985

60,4% 55,6%

26,0% 27,7 %

12,3% 14,7%

1,4% 1,9%

Geht es in der Kriminalphänomenologie darum, typische Charakteristika eines kriminellen Verhaltens zu verdeutlichen, muß man in diesem Bereich u. E. auf die unterschiedlichen Gegebenheiten der Verkaufssituation abstellen. Obwohl die Skala bereits hier je nach Branche und Größe bzw. Organisation des Handelsunternehmens recht breit sein kann, sollte man zumindest folgende vier Erscheinungsformen des Ladendiebstahls (i. w. S.) unterscheiden. a) Der Ladendiebstahl im engeren Sinne der in herkömmlichen Einzelhandelsgeschäften begange-

352

Ladendiebstahl

nen Art wird dadurch geprägt, daß der Verkauf an den Kunden individuell durch das Verkaufspersonal, ggf. den Inhaber, erfolgt. Die Ware ist hier dem Publikum nicht oder nur begrenzt zugänglich. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen dem sog. Tante-Emma-Laden, in welchem die Inhaberin oder der Inhaber allein oder von einem Angehörigen unterstützt die Verkaufstätigkeit ausübt, und größeren Betrieben mit für diesen Zweck angestelltem, oft schon zahlreichem Verkaufspersonal. Auf die Handhabung des Verkaufs wirken sich ferner die Art der gehandelten Waren und die Verkaufslokalität aus; selbst in Kleinläden sind u . U . manche Kaufobjekte für Kunden ohne weiteres zu erreichen oder werden sogar vor dem Schaufenster auf der Straße ausgelegt, wo sie oft nur begrenzt zu überwachen sind. b) Beim Warenhausdiebstahl sehen manche Dinge, selbst wenn man einstweilen Abteilungen mit Selbstbedienungssystem noch ausklammert, schon anders aus. Zwar soll hier der Verkauf — wie in Einzelhandelsgeschäften — noch individuell durch dafür angestellte Verkäufer getätigt werden, deren Zahl aber ungleich größer als in Einzelhandelsgeschäften zu sein pflegt. Bei der Größe der Verkaufsräumlichkeiten und der im Verhältnis dazu doch begrenzten Zahl von Personal ist die Überwachung gewöhnlich viel weniger intensiv als in Einzelhandelsgeschäften. Die auf den Verkaufstischen ausgelegten Waren sind hier deshalb schon mehr dem — u . U . flotten — Zugriff eines unredlichen Kunden ausgeliefert. Daran ändern auch die in solchen Kaufhäusern öfter anzutreffenden Sicherungen der verschiedensten Art sowie angestellte bzw. engagierte Detektive oder dem Personal für das Ergreifen von Ladendieben ausgesetzte Prämien wohl nur relativ wenig. c) Wieder grundsätzlich anders sind viele Dinge beim Diebstahl in Selbstbedienungsläden, deren stark wachsende Zahl — wie dargelegt — die Zunahme der Ladendiebstahlskriminalität erheblich gefördert hat. Gleich ist dabei, ob das Verkaufsgeschäft insgesamt nach dem System der Selbstbedienung organisiert ist oder dies — wie etwa in Warenhäusern — nur für bestimmte Abteilungen oder Bereiche gilt. Wesentlich ist vielmehr, daß der Kunde unter Verzicht auf eigentliches Verkaufspersonal selbst unmittelbar in die Verkaufstätigkeit eingeschaltet ist. Er soll die deshalb für ihn in Regalen, Kühltruhen oder auf Tischen griffbereit ausliegenden Handelswaren, nachdem er seine Wahl getroffen hat, in einen von der Firma bereitgestellten Einkaufskorb oder -wagen legen. Diesen hat er zum Inhaber oder zu der von diesem beauftragten Kassiererin zu schaffen, die dann den eigentlichen Verkauf tätigt. Was bei einem Einzelhandelsgeschäft eine so oder so motivierte Ausnahme darstellt, ist also im Selbstbedienungssystem die Regel; daran ändert nichts, wenn beim Verkauf bestimmter Artikel wie Fleisch- und Fischwaren oder Käse Ange-

stellte eingeschaltet werden, die lediglich das Auswählen und Einpacken der vom Kunden gewünschten, dann an der Kasse zu bezahlenden Waren besorgen. Wichtig ist allein, daß — von auch hier anzutreffenden technischen Sicherungen abgesehen — die eigentliche Kontrolle und der Verkauf der Waren erst an der Kasse erfolgen. d) Älter als Warenhaus- oder gar Selbstbedienungsdiebstähle sind Messen- und Marktdiebstähle, die sich auf Handelswaren beziehen. Diese uralte Form des Verkaufsgeschäfts soll hier mehr der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Sie wird dadurch charakterisiert, daß Verkäufer zu gewisser Zeit an einer bestimmten Örtlichkeit ihre Waren auslegen. Ähnelt manches auch dem Verkauf in Einzelhandelsgeschäften, geschieht das hier doch überwiegend im Freien, wo die Verkäufer ihre Ware in Ständen oder auf eigens dafür aufgestellten Tischen feilbieten. Außer an Wochen- und Großmärkte ist hier auch an Jahrmärkte und dergleichen sowie Messen mit Verkauf zu denken. An der Verkaufssituation ändert im übrigen nicht viel, wenn die Buden oder Stände in Markthallen oder anderen großen Gebäuden — u. U. sogar ständig — aufgebaut werden oder sind. Wesentlich ist hier, daß der Verkauf in räumlich begrenztem Umfang, aber frei zugänglich, vom Inhaber und/oder seinen Angehörigen oder aber von einem bzw. wenigen Verkäufern getätigt wird. Je nach Lage kann diese Verkaufssituation mehr der eines Einzelhandelsgeschäfts begrenzten Umfangs oder aber auch der von Warenhaus bzw. Selbstbedienung ähneln. Das hängt wesentlich vom eingangs angedeuteten Rahmen ab, in dem hier Verkäufe organisiert und getätigt werden. Überwiegend dürfte bei Märkten und Messen die Kontrolle der Kunden jedoch weniger intensiv als in Einzelhandelsgeschäften oder auch manchen Warenhäusern sein, weil es an einem klar umgrenzten Verkaufsraum hier fehlt; Kunden — auch diebische — können sich bei der oft großen Fluktuation noch leichter und eher unbemerkt der ausliegenden Handelsware nähern, um sich ggf. nach illegalem Zugriff das auf derartigen Märkten zuweilen herrschende Gedränge zunutze zu machen.

3. Die Ursachen

(Kriminalätiologie)

Die Ursachen der Ladendiebstähle sind, zudem bei diesen Erscheinungsformen divergierend, vielfältig und werden schon deshalb oft simplifizierend oder unzulässig verallgemeinernd beurteilt. Läßt sich bei auch hier noch ungünstiger Materiallage manches nur allgemein beleuchten, darf man die so oder so kriminogen wirkenden Faktoren nicht mit bloß tatauslösend wirkenden Umständen verwechseln, auf die abschließend deshalb kurz eingegangen werden soll. a) Bei den Ursachen der Ladendiebstahlskrimi-

353

Ladendiebstahl nalität (i.w. S.) spielt schon das Geschlecht der Täter eine bemerkenswerte Rolle. Auch wenn die frühere Annahme, es handele sich ausschließlich oder doch ganz überwiegend um ein Gebiet weiblicher Kriminalität, so nicht zutrifft, sind nach dem vorliegenden Material dennoch Frauen und Mädchen überdurchschnittlich belastet, wenngleich sich die Dinge beim Ladendiebstahl (i. w. S.) seit Mitte der 60er Jahre etwas zuungunsten männlicher Täter verschoben haben. Das mag mit etwas veränderten sozialen Rollen beim Einkauf zusammenhängen, was manche als Folge weiblicher Emanzipation werten werden. D a ß Frauen und Mädchen ohnehin mit Diebstählen klar überdurchschnittlich belastet sind, auch wenn sich die Belastung etwas zuungunsten männlicher Täter verschoben hat, lassen schon die Kriminalitätsziffern für die §§242 —248 c StGB erkennen. Tabelle 6 Kriminalstatistik: Kriminalitätsziffern f . d. §§ 242-248 c StGB Jahr

insgesamt

1975 301,7 1980 317,9 1985 345,2 zum Vergleich: 1985 insges. 1370,9

männlich

weiblich

457,2 469,4 529,5

164,6 183,5 180,0

2424,2

427,0

Macht diese Delinquenz — wesentlich Diebstähle — rund ein Viertel der Gesamtkriminalität aus, liegt ihr Anteil bei weiblichen Tätern über 4 0 % , während dieser beim männlichen Geschlecht nur gut 2 0 % beträgt. Deshalb sollte nicht überraschen, daß die von der Polizeilichen Kriminalstatistik bei den wegen Ladendiebstahls ermittelten Tatverdächtigen für das weibliche Geschlecht genannten Anteile nur relativ wenig über ihren für einfache Diebstähle liegen. Tabelle 7 Polizeiliche Kriminalstatistik: Anteile ermittelter Tatv. Jahr männl. 1975 1980 1985

69,4 66,5 63,4

§242 weibl. 30,6 33,5 36,6

Ladendiebstahl männl. weibl. 54,2 53,0 54,1

45,8 47,0 45,9

Kann man Ladendiebstähle deshalb nicht als Domäne weiblicher Täter bezeichnen, so sind diese — ansonsten wenig kriminell belastet (Durchschnitt erm. Tatv. 1985: 2 3 , 8 % ) - damit doch nach wie vor deutlich um etwa das Zweifache mehr belastet.

Auch das Alter der Rechtsbrecher ist ein für die Ladendiebstahlskriminalität aufschlußreicher und bedeutsamer Faktor. Gewöhnlich werden rund 5 0 % dieser Gesetzesverstöße, soweit sie aufgeklärt worden sind, von Personen unter 21 Jahren begangen. Und selbst Kinder unter 14 Jahren weisen 1985 mit 10,2 % der ermittelten Täter einen ungewöhnlich großen Anteil auf. Auch hier ist allerdings zu beachten, daß die jüngeren Altersgruppen mit Diebstählen ohnehin besonders belastet sind, was bereits die für die einzelnen Altersgruppen bei den §§ 242 - 2 4 8 c StGB genannten Kriminalitätsziffern anschaulich machen. Tabelle 8 Kriminalstatistik: Kriminalitätsziffern §§ 242-248

c StGB

Jahr

Erwachsene Heranwachsende

Jugendliche

1965 1975 1985

147,6 230,7 270,7

645,5 802,8 877,1

651,5 771,2 787,5

Bei insgesamt wachsender Diebstahlskriminalität hat auch die seit jeher hohe Belastung Heranwachsender und insbesondere Jugendlicher weiter zugenommen in diesen 10 Jahren. Dies wird durch die in der Polizeilichen Kriminalstatistik enthaltenen Angaben über ihre Anteile an der Zahl der wegen Ladendiebstähle ermittelten Täter bestätigt.

Tabelle 9 Polizeiliche Kriminalstatistik: Ladendiebstahl erm. Tatv. Jahr

Erwachsene

Heranwachsende

Jugendliche

Kinder

1965 1970 1975 1980 1985

64,2% 58,6% 65,2% 61,0% 65,5 %

4,7% 7,2 % 6,4% 6,2 % 7,3%

14,9% 18,8% 15,7% 17,9% 17,0%

16,2% 15,4% 12,8% 14,4% 10,2%

Obgleich die Anteile der Altersgruppen an den wegen Ladendiebstahls ermittelten Tätern etwas schwanken, betragen sie für Erwachsene um 6 0 % , was heißt, daß mehr als ein Drittel auf die nur sieben Jahrgänge umfassenden Heranwachsenden und Jugendlichen sowie die noch jüngeren Kinder entfällt. Bemerkenswert ist dabei noch, daß gerade Jugendliche von 10—14 Jahren und auch Kinder mit diesem Delikt ganz besonders belastet sind, weshalb hier mit einer großen Zahl von Jugendver-

354

Ladendiebstahl

fehlungen — bzw. Entwicklungskriminalität — zu rechnen ist. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, daß die sonst kriminell wenig in Erscheinung tretenden Menschen über 40 oder gar 60 Jahren für Ladendiebstahl besonders anfällig zu sein scheinen. Zudem verschiebt sich die zunehmende kriminelle Belastung in diesen Altersgruppen zu Lasten der weiblichen Täter. Die Daten der Hamburger Untersuchung vom Jahre 1975 werden durch neuere Angaben der Polizeilichen Kriminalstatistik über die Anteile an den ermittelten Tätern bestätigt. Tabelle 10 Ladendiebstähle: Anteile erm. Täter Jahr Jahr

40—60 Jahre insg.

männl.weibl. insg.

60 Jahre und mehr männl.weibl.

1973 21,4 % 18,2 % 25,2 % 13,0 % 9,7 % 16,9 % (Hamburg) Pol.KrimStat. 1980 23,2 % 20,1 % 26,6 % 14,3 % 10,6 % 18,5 % 1985 32,6 % 20,2 %

Erfordert ein Ladendiebstahl durchweg keine besondere Intelligenz oder intellektuelle Fähigkeiten, ist die soziale Lage dieser Täter eher verwirrend als charakteristisch. So sind die wirtschaftlichen Verhältnisse keineswegs in dieser oder jener Form aufschlußreich, weil Ladendiebstähle (i.w. S.) nicht nur von „armen", sondern nicht gar so selten auch von „reichen" oder doch normal situierten Leuten begangen werden. Zudem lassen sich die wirtschaftlichen Verhältnisse sowohl bei jungen Menschen als auch vielen Ehefrauen lediglich bedingt schätzen. Man hat in manchen Einzeluntersuchungen festgestellt, daß 40—50% oder auch mehr der ertappten Ladendiebe nicht über eigenes Einkommen verfügten. Zumindest deutlich überwiegend dürften die wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Rechtsbrecher schlecht oder doch unterdurchschnittlich sein. Dem könnte entsprechen, obwohl solche Angaben naturgemäß unsicher sind, daß man in gewissen Untersuchungen 60—75 % der Ladendiebe der sog. Unterschicht zugeordnet hat. Unsicher und überdies schwankend sind auch die Angaben über Berufe und Erwerbstätigkeit der Ladendiebe. Nennen hier Einzeluntersuchungen der 70er Jahre für Schüler, Studenten und Lehrlinge Anteile von 3 3 % und für Hausfrauen von 2 0 % , sind andere für die erstgenannte Gruppe auf gut 2 6 % und für Hausfrauen lediglich knapp 8 % gekommen, um für Berufs- (Arbeits-?)lose etwa 25 % und für Rentner immerhin einen Anteil von 1 2 % bei den ertappten Ladendieben festzustellen. Hier hängt offenbar vieles von Zeit und Ort der Untersuchung ab.

Erklärt sich der Anteil lediger Täter zwanglos aus dem geringen Alter vieler Ladendiebe, wirkt sich die Ehe bei Frauen hier keinewegs günstig aus, was aber wohl damit zu erklären sein dürfte, daß es ihnen als Verheirateten immer noch weithin obliegt, die Einkäufe für den Familienhaushalt zu tätigen; und das bedeutet größere Versuchung, um von psychischen Besonderheiten einstweilen noch abzusehen. Ähnlich indifferent erscheint nach dem bisher vorliegenden Material für den Ladendiebstahl auch das Sozialverhalten dieser Täter. Kann man bei derartigen Straftaten junger Menschen wohl nur begrenzt vom Anfang einer kriminellen Karriere sprechen, gibt es hier und vor allem bei erwachsenen Tätern doch nicht gar so selten solche, die mit einschlägigem Rückfall konstanteres Abnormverhalten zeigen. In der Hamburger Untersuchung (1973) waren von den ermittelten 3815 Tatverdächtigen immerhin 1028 (26,95%, bei Erwachsenen sogar 3 6 , 4 % ) kriminalpolizeilich schon vorher in Erscheinung getreten. Und von den 3267 ermittelten strafmündigen Tatverdächtigen waren 229 oder 7 , 6 % sogar schon einschlägig wegen Ladendiebstahls vorbestraft. Auf die in diesem Bereich tätigen Profis, an die man bei manchen engagierten kriminalpolitischen Diskussionen überhaupt nicht gedacht hat, werden wir bei der Tätertypologie zurückkommen. Dasselbe gilt für die sich bei jungen Rechtsbrechern hier erhebende Frage, ob und inwieweit es sich bei Ladendiebstählen um Entwicklungskriminalität handelt und wann man hier von einem Einstiegsdelikt in eine kriminelle Karriere ausgehen kann. Auch die Motivation gibt beim Ladendiebstahl (i.w.S.) noch mancherlei Rätsel auf, selbst wenn man an hier häufig anzutreffende Motivbündel denkt. Sicherlich ist es verkehrt, die Motive allein oder doch wesentlich wirtschaftlich erklären zu wollen, obwohl das bei einem Eigentumsdelikt naheliegt. Gewiß wird man in etlichen Fällen der wirtschaftlichen Not des Täters entscheidendes Gewicht beilegen müssen. Aber schon hierbei gibt es Probleme, weil eine solche Behauptung des Ertappten nicht selten eine wohlfeile Ausrede ist oder die Not als sog. Unterprivilegierung eingebildet bzw. selbst verschuldet ist. Bereitet Feststellen der Gewinnsucht bei Profis schon wegen des Umfangs der Beute kaum jemals Probleme, wenn man von anders zu erklärenden Serien absieht, ist das bei vielen Ladendieben trotz des so erlangten oder erstrebten materiellen Vorteils häufiger nicht das einzige oder gar wesentliche Motiv ihres Handelns. Relativ oft kommt nämlich Geltungsdrang oder dergleichen eine nicht zu unterschätzende Rolle zu, weil man mit Hilfe von Ladendiebstählen auch sein Prestige gegenüber anderen aufmöbeln möchte. Außer für manche Erwachsene gilt dies sicherlich auch für viele junge Rechtsbrecher, die es so im Konsum den Erwachsenen gleich tun möchten.

Ladendiebstahl Ebenso wie Handeln aus subjektiver Not ist solches aus fremdbezogenen, sei es philanthropischen oder misanthropischen Motiven hier ungleich seltener. Bedeutsamer erscheint uns — gerade bei jungen Tätern — Handeln aus Übermut, Abenteuerlust oder Leichtsinn, was teilweise auch bei Erwachsenen mitwirken dürfte. Hier kommt es den Dieben mehr als auf materiellen Gewinn darauf an, Geschicklichkeit oder „Mut" zu beweisen bzw. bei geringem Risiko den Reiz des Verbotenen auszukosten. Nicht unerwähnt bleiben darf, daß sich manche Ladendiebstähle so überhaupt nicht erklären lassen, weil es sich um abnorme, rational also nicht ohne weiteres nachvollziehbare Motivationsprozesse handelt. b) Eine keineswegs zu unterschätzende Rolle spielen auch bei Ladendiebstählen tatauslösende Faktoren, die man nicht mit den eigentlichen Ursachen verwechseln darf, selbst wenn sie helfen können, Zeit und Art der Tatausführung zu erklären. Typisch dafür ist die in den 70er Jahren strapazierte These von den Opfern des Konsumterrors, mit der man alle Ladendiebe exkulpieren wollte. Gewiß kann schon die bei den Erscheinungsformen geschilderte unterschiedliche Verkaufssituation so oder so Taten dieser Art fördern. Doch ist es trotz einzelner Untersuchungen noch eine offene Frage, inwieweit Verkaufsorganisation und Werbung wirklich den Entschluß zum Ladendiebstahl auslösen. Denn gewiß ist eine derartige Behauptung des ertappten Diebes nicht selten eine Ausrede. Aber auch sonst ist insoweit noch vieles unklar, wenn man beispielsweise an Effekte der Konsumgesellschaft denkt, die ebenfalls derartige Taten — wie bei der Motivation angedeutet — fördern können. Und zur wohl ähnlich wirkenden verbreitet angenommenen Bagatellnatur kommt des öfteren ein wirklich oder vermeintlich geringes Entdeckungsrisiko hinzu, das — durchaus spontan — zu solchen Taten animieren mag. Alles dies muß also genauer erforscht werden, um fundierte Aussagen machen zu können.

4. Täterpersönlichkeiten

(Tätertypologie)

Schon nach dem bisher Ausgeführten sollte nicht mehr überraschen, daß wir es bei Ladendiebstählen mit recht verschiedenartigen Täterpersönlichkeiten zu tun haben. Dies aber ist besonders wichtig, um die jeweils angemessene und erfolgversprechende strafrechtliche Reaktion zu bestimmen. a) Unterscheidet man von Tätern, deren Einstellung und Verhalten ansonsten nicht vom vergleichbaren Durchschnitt der Bevölkerung abweicht, deren Taten also nicht persönlichkeitssymptomatisch sind, die konstanteres Abnormverhalten aufweisende Gruppe der Rückfallstäter, kann man hier von Asozialen, die durch Passivität geprägt nicht oder nur begrenzt sozial tauglich sind, absehen, obwohl

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auch diese Menschen zuweilen derartige Diebereien kleineren Umfangs begehen. Keineswegs aber sollte man verkennen, daß Ladendiebstähle auch von Antisozialen begangen werden, die bei gemeinschaftsfeindlicher Einstellung durchaus Aktivität zeigen, was u. a. in kriminologisch einschlägigem Rückfall zum Ausdruck kommt. Dabei dürften die Statistiken für diese cleveren Kriminellen verzerrend im Verhältnis zu anderen Rechtsbrechern wirken. Selbst wenn sie einmal ertappt werden, dürfte es ihnen eher als anderen gelingen, den Betroffenen durch Ausreden oder Zahlung eines Geldbetrages — für diese Täter eine Risikoprämie — von einer Strafanzeige abzubringen. Geht es hier vor allem um erwachsene Rechtsbrecher, gibt es doch auch frühkriminelle Jugendliche oder Kinder, die das entweder aus eigenem Antrieb oder dazu — u. U. sogar von den Eltern — abgerichtet tun. Beim ohnehin noch unvollständigen statistischen Material zur Ladendiebstahlskriminalität greift man sicherlich nicht zu hoch, wenn man den Anteil dieser antisozialen Rückfallstäter auf etwa 5 —15 % — in der statistisch erfaßten Kriminalität geringer als in der wirklichen — schätzt. Mag die Vorstrafenbelastung bei Diebstählen insgesamt mit rund 50% auch besonders groß sein (1985 waren von den 127761 nach den §§242—248c StGB Verurteilten immerhin 68413 vorbestraft), kann man trotz etwas günstigerer Lage bei Ladendiebstählen mit der obenerwähnten Hamburger Untersuchung (vgl. B . 3 . a Sozialverhalten) doch wohl auch hier von 25-33 % ausgehen. Selbst wenn man nicht bei allen diesen vorbestraften Ladendieben von einem kriminologisch einschlägigen Rückfall ausgehen darf, liegt dessen Anteil doch höher als die dort lediglich für Ladendiebstähle genannten 7,6 % . Auch wenn man etwas für asoziale und andere Rückfalltäter abziehen muß, dürften für Antisoziale Anteile um 10 % herum als durchaus realistisch erscheinen. Auf diese insgesamt immer noch kleine Gruppe von Tätern dürfte jedoch ein ungleich größerer Anteil der durch Ladendiebstähle verursachten Schäden entfallen. Hier sollte man sich also nicht durch das Pauschalurteil der Bagatellkriminalität irritieren lassen, sondern entsprechend reagieren, wenn man derartige Kriminelle wirklich einmal ertappt und überführen kann. b) Bei den im Bereiche des Ladendiebstahls (i. w. S.) demnach weit überwiegenden Durchschnittstätern, von denen wir psychisch abnorme oder abnorm handelnde unterscheiden wollen, verdienen sodann Entwicklungstäter besondere Aufmerksamkeit. Ist ein erheblicher Anteil der statistisch erfaßten Rechtsbrecher unter 21 Jahren (durchweg über 33 % der beim Ladendiebstahl ermittelten Täter), kann man zwar nicht in allen Fällen von einer typischen Jugendverfehlung und damit von Entwicklungskriminalität ausgehen. Dennoch dürfte es nach den vorliegenden, wenn-

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Ladendiebstahl

gleich unsicheren Zahlen nicht unbegründet sein, hier mit einem Anteil von 20—30% zu rechnen. Eben deshalb ist die strafrechtliche Reaktion in derartigen Fällen überlegt und so zu gestalten, daß der Diebstahl hier möglichst nicht zum Einstiegsdelikt in eine kriminelle Karriere wird, was die Strafliste von Rückfallstätern nicht selten ausweist; auch Ladendiebstähle sind insoweit eben Diebstähle. Die meisten Ladendiebe aber dürften als eigentliche Durchschnittstäter anzusehen sein, deren Einstellung und Verhalten sich ansonsten nicht von straffrei lebenden Bürgern unterscheidet; der Gesetzesverstoß ist bei ihnen nicht persönlichkeitssymptomatisch, sondern wirkt eher zufällig. Ist dies mit schätzungsweise 5 0 % oder etwas mehr der ertappten Ladendiebe die größte Tätergruppe, ist es wohl diejenige, auf welche Reformpläne der 70er Jahre vor allem abgestellt haben. Obwohl die Vorschläge zu undifferenziert waren und vor allem unzulässig verallgemeinerten, ist bei derartigen Menschen oft keine Strafe — allenfalls eine ihren jeweiligen Verhältnissen und der Tat angemessene Geldstrafe — angebracht. Denn bei im Hinblick auf Tat und Verschulden des Täters zu konstatierender Geringfügigkeit läßt sich regelmäßig eine Verfahrenseinstellung (§ 153 StPO) verantworten, die ggf. nach § 153 a StPO mit Auflagen verbunden werden sollte, damit der Betreffende nicht den falschen Eindruck ausbleibender Reaktion bekommt. Eine besondere, wenngleich zahlenmäßig begrenzte Gruppe bilden psychisch abnorme Täter. Diese oder solche, die in einer besonderen Situation psychisch abnorm handeln, kommen auch bei den verschiedenen Ladendiebstählen immer wieder vor. Sie passen ebenfalls nicht in das Klischee der Opfer des Konsumterrors, sondern verlangen eine sorgsame Behandlung der Strafsache. Noch mehr als Fälle manifester Zurechnungsunfähigkeit interessieren hier solche partieller oder vorübergehender Abnormität, die insbesondere bei weiblichen Tätern zu beobachten ist. Ist hier z. B. an psychische Ausnahmezustände zu denken, dürfte klar sein, daß bei Anzeichen dafür ein Sachverständiger einzuschalten ist, um festzustellen, ob überhaupt und ggf. in welcher Form strafrechtliche Reaktion Platz greifen kann.

C. Kriminalistik Kriminalistisch ist bei Ladendiebstählen bereits der Charakter des Massendelikts bedeutsam. Sowohl bei der Verbrechensaufklärung als auch bei präventiven Maßnahmen zeigen die oben geschilderten Erscheinungsformen gewisse Unterschiede. Dies gilt bereits für die Praktiken der Tatausführung, die der Kriminalist kennen sollte, um bei der Aufklärung zweckmäßig vorzugehen und eventuell Ratschläge machen zu können, die diesen Delinquenten ihr kriminelles Handwerk zumindest er-

schweren. Außer der damit angesprochenen Verbrechenstechnik interessieren ferner auch hier gewisse Möglichkeiten der Kriminaltechnik, weil zuweilen nur so handfeste Beweise zu erlangen sind, um den Täter zu überführen, sofern er nicht — wie häufig — auf frischer Tat ertappt wird. Schließlich sind bei diesen nicht nur oft begangenen, sondern häufiger auch nicht sonderlich intensiven Straftaten einige kriminaltaktische Überlegungen angezeigt, bei denen auch auf die Zusammenarbeit mit dem Opfer einzugehen ist, das sich des öfteren nicht nur gegen derartige Gesetzesverstöße zu sichern, sondern diese u. U. selbst zu ahnden sucht.

1.

Verbrechenstechnik

Bei den von wirklichen oder angeblichen Kunden begangenen Ladendiebstählen (i.w.S.) orientiert man sich in der Verbrechenstechnik am besten am speziellen Tatort, d. h. ebenfalls an den unterschiedlichen Erscheinungsformen. Obwohl die Täter als Outsider an sich nicht ohne weiteres Zugang zur Warenbeute haben, sind die Gegebenheiten schon insoweit bei den unterschiedlichen Formen des Verkaufs verschieden geartet. Zusammenfassend läßt sich mit den deshalb notwendigen Vorbehalten für alle Ladendiebstähle (i. w. S.) dennoch einiges festhalten. Die Tatausführung erfolgt ganz überwiegend durch Alleintäter. In lediglich 20—30% — also etwa einem Viertel — dieser Fälle dürfte mit mehreren an der Tat Beteiligten zu rechnen sein. Der Anteil wird vermutlich bei den Erscheinungsformen schwanken, z . B . im Warenhaus größer als in Einzelhandelsgeschäften oder auf Märkten sein. Höher als sonst dürfte er aber auch bei Tatausführung durch Profi-Ladendiebe zu veranschlagen sein. Hinsichtlich der Tatobjekte, der Beute der Ladendiebe, ist nach dem oben zu den Schäden Gesagten (vgl. Β 2 am Anfang, insb. Tab. 5) anzunehmen, daß es sich überwiegend um einzelne Gegenstände von zudem begrenztem Wert handelt. Hat die Hamburger Untersuchung (1973) speziell für Warenhausdiebstähle Anteile von rund 3 0 % für Lebensmittel (etwa 2 0 % ) und Alkoholika (etwa 1 0 % ) sowie für Damen- und Herrenbekleidung von knapp 3 0 % (nämlich 15% bzw. 12%) ermittelt, ist damit zu rechnen, daß sich diese Anteile bei den drei anderen Erscheinungsformen zugunsten der Verbrauchsgegenstände, d . h . vor allem der Lebens- und Genußmittel, verschieben. a) Der in Einzelhandelsgeschäften begangene Ladendiebstahl (i. e. S.) ist nicht nur ein zahlreich begangenes Delikt, sondern bleibt häufiger — zumindest zunächst — unentdeckt; man bemerkt den Verlust erst später oder lediglich durch Ausbleiben bzw. Rückgang des erwarteten Geschäftsgewinns. Ziel dieser Taten sind überwiegend Kaufgegenstände des täglichen Ver- und Gebrauchs. Für die Tat-

Ladendiebstahl ausführung werden neben der Hauptgeschäftszeit, welche die Verkäufer besonders beansprucht, gerade bei kleineren Ladengeschäften auch verkehrsarme Zeiten bevorzugt; dann lenken der oder die Täter die z . B . allein tätige Verkäuferin auf diese oder jene Weise ab. Das kann beispielsweise durch besondere Wünsche oder durch vorgegebene Eile bzw. irgendwie bewirkte Unruhe geschehen; hierbei arbeiten allerdings oft mehrere Täter zusammen. Diese Praktiken können sich denen eines Trickdiebstahls nähern; auch manche Ladendiebe präparieren ihre Kleidung oder mitgeführte Gegenstände entsprechend. Doch gibt es beim Ladendiebstahl (i. e. S.) durchaus Sonderfälle mit wertvoller Beute. Hierher gehört u . a . der Juwelendieb, der in einer im allgemeinen argwöhnischen Umgebung listenreich vorgehen muß; zuweilen ist allerdings auch hier das Verkaufspersonal recht unaufmerksam. In diesen ebenfalls dem Trickdiebstahl ähnelnden Fällen wirken überwiegend mehrere Täter zusammen. b) Bei Warenhausdiebstählen ist die Situation durchweg schon eine andere. Die Verkaufsräumlichkeiten sind ungleich größer als in Einzelhandelsgeschäften und schon wegen der oft zahlreich anwesenden Kunden schwerer zu überblicken, zumal da die ausgewählten Waren trotz im Prinzip individuellen Verkaufs dem diebischen Zugriff weithin kaum geschützt ausgesetzt sind; daran ändert nichts, daß auch hier wertvollere Kaufobjekte wie Kameras oder Schmuck gewöhnlich etwas sicherer — in Vitrinen oder Regalen hinter einem Ladentisch — untergebracht werden. Die Tatzeit zeigt hier zwischen 11 und 14 Uhr und vor allem in den späten Nachmittagsstunden Schwerpunkte. Nach der speziell Warenhäuser in der Hamburger Innenstadt betreffenden Untersuchung (1973) wurden 44,4% der Diebstähle zwischen 11 und 14 Uhr und 26,3 % zwischen 16 und 18 Uhr begangen. Als Wochentage werden anscheinend vor allem der Samstag und auch der Freitag bevorzugt, was wegen des dann üblicherweise größeren Publikumsverkehrs verständlich ist. Die in Hamburg (1973) für Donnerstag ( 1 8 , 0 % ) und Montag (17,7 % ) ermittelten Schwerpunkte dürften sich wohl nicht verallgemeinern lassen. Obwohl die Angebote von Kaufhäusern viel unterschiedlicher als die von Einzelhandelsgeschäften sind, haben es die Täter auch hier in erster Linie auf Lebens- und Genußmittel — also Verbrauchsgegenstände — abgesehen, die als Beute im Durchschnitt etwa ein Drittel ausmachen. Im übrigen geht es um Gebrauchsgegenstände, deren Art vor allem von den Bedürfnissen der Täter abzuhängen scheint oder ihren Verkaufsmöglichkeiten, wenn sie profimäßig vorgehen. Außer Bekleidungsstücken, die vor allem — aber nicht nur — für weibliche Täter attraktiv sind, werden in Warenhäusern von Kindern und Jugendlichen Spielwaren und andere für sie interessante Bedarfsartikel entwendet. Wert-

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vollere Waren wie Uhren oder (echter) Schmuck, bei denen erwachsene Täter überwiegen, treten zwar zahlenmäßig zurück, stellen aber ungleich größere Verluste als üblich dar. In aller Regel wird beim Warenhausdiebstahl nur ein einzelnes Stück entwendet, was aber — in Sicherheit gebracht — mitunter Teil einer so oder so zu erklärenden Serie sein kann. Zumindest im Einzelfall ist der Wert der so erlangten Beute gering; in einer 1970 in Hamburg durchgeführten Untersuchung lag er mehrheitlich unter 20 D M , nicht selten zwischen 2 und 10 DM. Werte über 500 D M erlangt der Warenhausdieb nur selten. Bei den Tätern handelt es sich vielfach um junge Menschen, insbesondere Jugendliche und Kinder. Überdies ist das weibliche Geschlecht hier deutlich überrepräsentiert, was wohl damit zusammenhängt, daß ihnen mehr als Männern Einkäufe obliegen. Die an sich kleine Gruppe psychisch abnorm handelnder Täter, wiederum insbesondere Frauen und Mädchen, findet man in Kaufhäusern relativ oft. Allerdings sind diese auch ein beliebter Tatort von Serientätern und sog. Profis, bei denen wir es durchweg mit Erwachsenen und des öfteren auch mit Männern zu tun haben. Sie nutzen geschickt die günstigen Tatmöglichkeiten und das relativ geringe Risiko des Ertapptwerdens aus, zumal da sie ggf. dessen Folgen abzumildern verstehen. Gewiß haben die insbesondere von Warenhäusern seit den 70er Jahren ergriffenen Selbstschutzmaßnahmen derartige Straftaten etwas erschwert, die nach der Hamburger Untersuchung immerhin zu etwa 95 % in Kaufhäusern begangen wurden. So wurden in Hamburg 8 4 % der Taten durch Hausdetektive oder Personal des Warenhauses entdeckt, was die Statistik jedoch verzerren könnte. Auch wenn Schätzungen, die Hälfte der Inventurverluste der Warenhäuser sei auf solche Diebstähle zurückzuführen, vielleicht etwas zu hoch gegriffen sein mögen, muß man heute immer noch mit einem großen Dunkelfeld rechnen. Selbst bei ertappten Warenhausdieben sieht man häufig von einer Strafanzeige ab, um sich mit Schadensersatz oder Hausverbot zu begnügen. Noch mehr als bei Einzelhandelsgeschäften hat man in den 70er Jahren bei Warenhäusern deren Reaktion bei ertappten Dieben als „Selbstjustiz" kontrovers diskutiert. Sind bei den auch hier ganz unterschiedlichen Tätergruppen Vorschläge zu pauschaler Zahlung — sei es an die betroffene Firma oder in Form einer Geldbuße — sicherlich der Sache nicht angemessen, bleibt doch die Frage, ob man zum Schadensersatz, der sich bei Ertappen auf frischer Tat im allgemeinen erübrigt, dem Unternehmen durch Sicherungen oder Ausloben von „Fangprämien" entstehende Kosten hinzuschlagen darf. Täte man das, würde man wenige Ertappte finanziell dafür heranziehen, um Kosten für technische Sicherungen und sonstige Auslagen wettzumachen, die in der Höhe letztlich von der betroffenen

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Ladendiebstahl

Firma abhängen. Dies kann ersichtlich nicht als legale Regelung derartiger Fälle allgemein anerkannt werden, weshalb die Strafverfolgungsorgane einzuschalten sind, die in entsprechenden Fällen — zudem ohne finanzielles Eigeninteresse — am ehesten eine sinnvolle strafrechtliche Reaktion erwarten lassen. c) Der Selbstbedienungsdiebstahl, wie er in Selbstbedienungsläden oder Abteilungen der Warenhäuser mit Selbstbedienungssystem begangen wird, hat mit dem kräftigen Ausbau dieser Verkaufsorganisation in den letzten 10 oder 20 Jahren prompt gewaltig an Bedeutung gewonnen. Trotz mancher Ähnlichkeiten mit dem Warenhausdiebstahl liegen gewisse Dinge hier doch etwas anders. Diese neue Verkaufstechnik, die zum einen Personal einsparen und zum anderen den Kunden besondere Anreize zum Kauf bieten soll, wird dadurch gekennzeichnet, daß der Kunde im allerdings klar begrenzten Verkaufsraum unmittelbaren Zugang zu den angebotenen Waren erhält. Der ungehinderte Zugriff ist hier also geradezu eingeplant, um den Absatz zu fördern. Da der Verkauf an der mit Einkaufswagen oder -korb zu passierenden Kasse erfolgt, wenn man von partiell gehandhabter Einzelhandelstechnik absieht, ergibt sich die eigentliche Diebstahlsproblematik erst dort. Allerdings beginnen die Aktivitäten der Diebe in Selbstbedienungsläden in aller Regel früher, um erbeutete Handelswaren unbemerkt und unbezahlt an der Kasse vorbeischaffen zu können. Sind die Kunden an sich verpflichtet, diejenigen Waren, die sie kaufen wollen, offen im Wagen oder Korb der Kassiererin — durchweg auf einem laufenden Band — zu präsentieren, wird das gewöhnlich dadurch umgangen, daß man die Beute noch im Selbstbedienungsbereich versteckt. Sind im Hinblick darauf bei diesem Verkaufssystem zumindest größere Handtaschen und dergleichen verpönt, weshalb insoweit nur für kleine Objekte Damenhandtaschen bleiben, verbirgt man die Beute entweder in der Kleidung oder aber in anderen Waren, um sie den Augen der Kassiererin zu entziehen. Außer derartigen Praktiken des Versteckens, gibt es aber auch Manipulationen an Preisschildern, die zwar nicht die Ware, aber den wirklichen Preis derselben verschleiern und Erwerb unter Wert ermöglichen sollen. Das klappt natürlich nur, wenn der Kassiererin der übliche Verkaufspreis nicht ohnehin geläufig ist oder sie dolos mit dem Dieb zusammenwirkt. Hat man deshalb sich teilende Preisschilder eingeführt, ist diese Verbrechenstechnik auch sonst nur begrenzt erfolgreich. Wichtiger scheinen im Vergleich dazu wiederum Praktiken des Täters an der Kasse, die als dem Betrug ähnliche Tricks die Kassiererin hindern sollen, alle ausgewählten Waren in Rechnung zu setzen. Diese Tricks sind sehr unterschiedlicher Natur. Sie reichen vom zwar nicht versteckten, aber

schwer einsehbaren Deponieren gewisser Sachen — z.B. auf der unteren Ebene des Einkaufswagens oder hinter anderen Gegenständen — bis zu verbalen Ablenkungsmanövern oder ähnlichen Tricks. Hier kann dahinstehen, ob bei Erfolg derselben rechtlich Diebstahl oder Betrug anzunehmen wäre. Die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen konzentrieren sich in Selbstbedienungsläden außer auf die Kasse zunehmend auch auf den Selbstbedienungsbereich, der außer vom auch hier nicht zahlreichen Personal durch Fernsehkameras und dergleichen überwacht wird. Die Reaktion der betroffenen Firmen gegenüber ertappten Dieben wirft im wesentlichen dieselben Probleme wie in Warenhäusern auf. d) Messen- und Marktdiebstähle sind vor allem durch die andersartige, wenngleich unterschiedliche Verkaufssituation geprägt. Begünstigend wirken die hier doch des öfteren primitiven Gegebenheiten sowie der nicht selten jahrmarktartige Trubel, der simple Wegnahmepraktiken ermöglicht. Selbst wenn der Betroffene den Dieb bei der Tat entdeckt, kann dieser nicht selten im Gedränge entkommen oder in einer Menschenmenge untertauchen, wenn er sich das zuvor überlegt hat. Sind sichernde Maßnahmen durch die Inhaber solcher Buden oder Stände bzw. ihre Verkäufer nur begrenzt möglich, lohnt sich auch eine externe Überwachung in dieser Verkaufsorganisation in aller Regel nicht. Scheut man z . B . die Kosten für Privatdetektive, so können auch herumstreifende staatliche Sicherheitsorgane — sei es in Uniform oder Zivil — an diesen ohnehin schwer zu überblikkenden Verkaufsstätten nicht gleichzeitig überall sein. Zudem werden potentielle Täter darauf achten, daß solche Personen sich bei der Tat nicht in ihrer Nähe befinden. Kurzum ist das Ertappen dieser Diebe, wenn dieses nicht einem prompt reagierenden Betroffenen oder seinen Helfern gelingt, eher als ein Zufallserfolg zu werten.

2.

Kriminaltechnik

Die Möglichkeiten der Kriminaltechnik sind trotz einiger Unterschiede bei allen Formen des Ladendiebstahls (i. w. S.) begrenzt. Sie beschränken sich bei der hier anders als beim schweren Diebstahl durchweg gewaltlosen Tatausführung, dem schnellen und mehr oder minder geschickten Zugriff auf ausliegende Handelsware, im wesentlichen auf die Diebstahlsbeute. Ist diese regelmäßig unschwer zu identifizieren, wenn der Dieb auf frischer Tat ertappt wird, erlangen kriminaltechnische Untersuchungen u . U . Gewicht, wenn bei einem Tatverdächtigen später — z.B. in seiner Wohnung — Gegenstände sichergestellt werden, die aus einer solchen Straftat herrühren können. Kann man dies beweisen, bereitet die Überführung gewöhnlich kaum noch Probleme, wenngleich sich der Betref-

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Ladendiebstahl fende u. U. damit herauszureden sucht, daß er die Dinge — angeblich gutgläubig — von einem Dritten erworben oder geschenkt bekommen habe, was aber, sofern das zuträfe, häufig auf Hehlerei (§ 259 StGB) hinausliefe. Die beweiskräftige Identifizierung der Tatbeute ist insbesondere bei Serientätern oder Profis wichtig, bei denen man nicht nur größere Mengen zweifelhafter Sachen nach erfolgreicher Fahndung, sondern mitunter auch wertvollere Gegenstände sicherstellen kann. In den Erfolgsaussichten ist grundsätzlich zwischen Ge- und Verbrauchsgegenständen zu unterscheiden. Hat man verdächtige Sachen sichergestellt, so sind die Möglichkeiten der Kriminaltechnik bei Gebrauchsgegenständen günstiger als bei zum alsbaldigen Verbrauch bestimmten Waren. Das gilt vor allem für wertvollere oder ungewöhnliche Objekte, die man nicht nur mit Hilfe ihrer besonderen Beschaffenheit, sondern auch durch die hier häufigere Kennzeichnung identifizieren kann. Noch wichtiger als Materialuntersuchungen sind solche der Form oder Methoden, mit denen man vom Täter so oder so entfernte Kennziffern wieder sichtbar macht. Dies setzt natürlich voraus, daß der Bestohlene unzweideutige Angaben über Kennziffern oder Besonderheiten der ihm entwendeten Sachen machen kann. Gerade in diesen Fällen muß man auch mit Umarbeiten der Beute oder ihrem Zerteilen rechnen, was kompliziertere Untersuchungsmethoden erfordert, die sich nach Art des Materials richten. Nach allem sind solche, wenn andere Ermittlungen nicht leichter weiterhelfen, zumindest beim Verdacht von gewichtigen Diebstählen oder von Serientaten, die u . U . auf einen Profi hindeuten können, nicht von der Hand zu weisen. Sind die Möglichkeiten der Kriminaltechnik im Bereiche des Ladendiebstahls (i. w. S.) nach allem schon bei Gebrauchsgegenständen begrenzt, so sieht es damit bei Verbrauchsgegenständen noch schlechter aus. Denn bei diesen Massenwaren zeigt die Materialbeschaffenheit nur selten signifikante Unterschiede. Etwas eher sind solche bei der Verpackung zu verzeichnen, die u. a. Daten oder Kennziffern enthalten kann. Doch bedarf man dann gewöhnlich keiner aufwendigen kriminaltechnischen Untersuchungen mehr, zumal da andere Ermittlungsergebnisse — Vernehmungen von Zeugen oder auch des Beschuldigten — hier regelmäßig mehr Gewicht haben, weshalb man solche Fakten zu einem Vorhalt nutzen wird. Natürlich kann es bei Verdacht eines Ladendiebstahls auch sinnvoll sein, andere Spuren wie Fingerabdrücke oder aber Besonderheiten, die von der Lage des Falles abhängen, spurenkundlich zu untersuchen. Insgesamt aber erscheinen die Möglichkeiten der Kriminaltechnik als begrenzt, wobei sie sich vorwiegend auf die sichergestellte Beute konzentrieren dürften, was insbesondere bei Gebrauchsgegenständen noch am ehesten Erfolg verspricht.

3.

Kriminaltaktik

Bedeutsamer als kriminaltechnische Untersuchungen dürften bei Ladendiebstählen (i. w. S.) Probleme der Kriminaltaktik sein, zumal da es sich hier um ein Massendelikt handelt. Besondere Aufmerksamkeit verdient deshalb bereits die Ausgangslage der Ermittlungen, die ganz überwiegend durch eine Anzeige des Opfers ausgelöst werden. Auch bei den sodann ggf. eingeleiteten Ermittlungen zeigen die einzelnen Formen dieser Delinquenz gewisse Unterschiede. Im Zusammenhang mit den von den betroffenen Firmen ergriffenen Sicherungsmaßnahmen ist sodann nochmals kurz auf deren Reaktion bei Stellen eines Ladendiebs und Fragen der Zusammenarbeit einzugehen. a) Typisch für die Ausgangslage der Ermittlungen ist in diesen Fällen eine Strafanzeige des Opfers, die zudem ganz überwiegend erfolgt, wenn ein Tatverdächtiger ertappt worden ist; nur selten werden Anzeigen erstattet, wenn festgestellte Verluste Ladendiebstähle vermuten lassen. Wird mit der Strafanzeige den staatlichen Organen ein Tatverdächtiger präsentiert, sind die Dinge relativ unproblematisch. Denn mit Warenhausdetektiven, Angestellten von Kaufhäusern oder Selbstbedienungsläden sind ebenso wie bei in Einzelhandelsgeschäften oder Marktständen Tätigen Zeugen vorhanden, die zusätzlich zur gewöhnlich sichergestellten Beute etwas über das Verhalten des Betreffenden und den Tathergang aussagen können. Ungleich ungünstiger ist die Ausgangslage bei Strafanzeigen, die nach später festgestelltem Verlust und ohne Anhaltspunkte auf mögliche Täter gemacht werden. Hier ist zu bedenken, daß nur aufwendige Fahndungsmaßnahmen an Ort und Stelle zum Erfolg führen können, sofern der Täter erneut diese oder eine gleichartige andere Firma zu kriminellem Tun aufsucht. — Angesichts dieser Gegebenheiten werden die mit solchen Anzeigen befaßten Strafverfolgungsbehörden zu überlegen haben, ob sich im Einzelfall überhaupt Ermittlungen lohnen. Das wird ohne klare Anhaltspunkte für Tatverdächtige nur ganz ausnahmsweise zu bejahen sein; schaffen Firmen — doch vor allem im eigenen Interesse — günstige Gegebenheiten für Ladendiebe, so ist es primär ihre Aufgabe, nicht die staatlicher Sicherheitsorgane, die daraus resultierenden Gefahren in Grenzen zu halten. In Fällen, in denen mit der Anzeige ein Tatverdächtiger präsentiert wird, ist zwar die Richtung klar, in welcher zu ermitteln ist, muß aber die Staatsanwaltschaft und ggf. ein Strafgericht durch Zustimmung dazu entscheiden, ob die Durchführung eines Strafverfahrens im Einzelfalle wirklich als angemessen und geboten erscheint. Das gilt bei Diebstählen von Sachen mit geringem Wert auch dann, wenn der Betroffene — wie hier wohl regelmäßig — einen Strafantrag gestellt hat. Je nach Art des Täters, bei welchem — wie gesagt — vor allem

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Ladendiebstahl

vier Gruppen zu unterscheiden sind, kann bei Geringfügigkeit eine Verfahrenseinstellung nach den §§153, 153 a StPO angebracht erscheinen. Bei jungen Rechtsbrechern sind, sofern sie überhaupt strafmündig sind (§3 J G G ) , hier die §§45, 47 J G G zu beachten, sofern nicht bedenkliche Symptome für eine andere, jugendstrafrechtliche Reaktion sprechen. Wie hier sollte man aber auch sonst bei geringem Wert der konkreten Beute nicht leichthin von Geringfügigkeit ausgehen und so zu einer Verfahrenseinstellung kommen. Vielmehr ist zu bedenken, daß der konkrete, gering anmutende Einzelfall selbst dann das Glied einer kriminell intensiveren Serie sein kann, wenn die Akten nichts Einschlägiges ausweisen. Darauf spekulieren u. a. — für sie unglücklicherweise — ertappte Profis, sofern sie sich nicht schon durch Arrangements mit der betroffenen Firma um eine Strafanzeige herumdrükken können. In manchen Fällen wird bei Zweifeln in dieser Hinsicht der Staatsanwalt ein öffentliches Interesse an Strafverfolgung bejahen, was nach §248a StGB das Antragserfordernis entfallen läßt, muß die Polizei also ohnehin ermitteln. Aber auch bei anderen Ladendiebstählen, bei denen §248a StGB nicht Platz greift, also bei größerem Wert der Sachen, ist es unter gewissen Umständen dennoch möglich und sinnvoll, das Verfahren gegen den ertappten und geständigen Ladendieb — vor allem nach § 153 a StPO unter Auflagen — einzustellen. Allerdings sollten dann Anhaltspunkte, die auf größere kriminelle Intensität oder gar eine Serie hindeuten, ebenso hinreichend sicher auszuschließen sein wie Umstände, welche die subjektive Verantwortlichkeit des Betreffenden als zweifelhaft erscheinen lassen. Nach allem ist die Ausgangslage des Verfahrens nicht nur bei vielen Ladendiebstählen ausgesprochen ungünstig, sondern auch bei Vorhandensein eines Tatverdächtigen problematisch, weil hier häufiger eine Verfahrenseinstellung in Betracht kommt, wenn das bisherige Ermittlungsergebnis keine Anhaltspunkte für intensivere Kriminalität bietet. b) Erscheinen in Fällen von Ladendiebstahl (i. w. S.) jedoch über die soeben behandelte Anzeigenaufnahme hinausgehende Ermittlungen als angebracht, gestalten sich diese bei Unkenntnis eines Tatverdächtigen schwierig und gewöhnlich aufwendig. Nur bei Verdacht schwerwiegender, insbesondere profimäßig begangener Kriminalität dürften sich Maßnahmen wie Observation der fraglichen Verkaufslokalitäten und dergleichen rechtfertigen lassen. Wird einem mit der Anzeige ein Tatverdächtiger genannt, so erschöpfen sich die Ermittlungen meistens in Vernehmungen des Bestohlenen oder seiner Angestellten bzw. für ihn arbeitender Detektive; denn die Identifizierung der belastenden Beute bereitet hier kaum jemals Probleme. Allerdings sollten die Strafverfolgungsorgane nicht außer acht

lassen, daß man mit dem nicht sonderlich eindrucksvollen Einzelfall zuweilen, da dieser die Spitze eines kriminellen Eisbergs sein kann, eine ungleich gewichtigere Serie einschlägiger Taten übersehen kann, weshalb man auf Anhaltspunkte achten sollte; ggf. kann sogar eine Nachschau in der Wohnung des Täters angebracht sein. Hat man einen Tatverdächtigen, der nicht auf frischer Tat ertappt worden ist, ermittelt, so kommt es vor allem auf Sicherstellen und Identifizieren möglicher Beute aus Ladendiebstählen an, wofür u . U . — wie gesagt — sogar kriminaltechnische Untersuchungen einzusetzen sind, wenn sie nach Lage der Dinge Erfolg versprechen. Auf diese Weise kann man mitunter Serientätern bisher unaufgeklärte Straftaten nachweisen. Es zeigt sich, da hier vor allem an Profis zu denken ist, wie sehr man bei diesen Straftaten nach Tätergruppen differenzieren muß. Dasselbe hat ferner bei jungen Tatverdächtigen zu geschehen, weil sich nur nach entsprechenden Ermittlungen über Verantwortlichkeit und ggf. Art der jugendstrafrechtlichen Reaktion entscheiden läßt. Gleiches gilt auch bei Erwachsenen, die einen Ladendiebstahl begangen haben oder eines solchen verdächtig sind, wenn sich irgendwelche Anzeichen für ein Abnormverhalten ergeben. Dann muß regelmäßig ein Sachverständiger eingeschaltet werden, um fundiert beurteilen zu können, ob überhaupt und in welcher Form der Betreffende strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen ist. Kurzum ist eine pauschale Behandlung des Ladendiebstahls (i. w. S.) auch kriminaltaktisch verfehlt, weil wiederum nach den skizzierten Tätergruppen differenziert werden muß. Nur so läßt sich erreichen, daß die Spreu vom kriminellen Weizen geschieden und in den verbleibenden Fällen das Strafrecht sinnvoll angewandt wird. c) Abschließend ist kurz noch einmal auf die besonderen Probleme der Zusammenarbeit mit dem Opfer und den für dieses Tätigen einzugehen, die gerade bei Ladendiebstählen — insbesondere den in Warenhäusern und Selbstbedienungsläden begangenen — eine große Rolle spielen, wie die Diskussion über die sog. „Selbstjustiz" zeigt. Hängt die Strafverfolgung hier wie auch sonst wesentlich von der Anzeigebereitschaft des Opfers ab, führen interne Regelungen, die man deshalb nicht verallgemeinern und legalisieren sollte, zum einen zum Unterbleiben von Strafanzeigen auch in denjenigen Fällen, in denen ein solches angebracht erscheint; davon profitieren insbesondere die Profis, die man als spezialisierte Berufsverbrecher nicht als angebliche Opfer des Konsumterrors exkulpieren sollte, weil sie sich lediglich derartige Verkaufstechniken zunutze machen. Zum anderen aber erfolgt eine solche Konflikterledigung nicht nur im Hinblick auf bestimmte Tätergruppen — insbesondere junge oder abnorm Handelnde — weithin völlig undifferenziert, sondern dürfte man vor allem

361

Ladendiebstahl die eigenen finanziellen Interessen im Auge haben. Auch vom dann leicht möglichen Übermaß abgesehen werden häufiger, allein auf den Wert der Beute schauend, weder die wirkliche kriminelle Intensität der Tat noch die für eine strafrechtliche Reaktion wichtigen Verhältnisse des Täters berücksichtigt. Ist es gewiß eine Sache des Opfers zu entscheiden, ob es durch eine Strafanzeige die Strafverfolgungsorgane einschaltet oder nicht, sollte man es u. E. doch nicht akzeptieren, wenn es bei interner Regelung durch Drohen mit einer Strafanzeige über einen ihm etwa wirklich zustehenden Ersatz für den durch den konkreten Diebstahl entstandenen Schaden hinaus weitere finanzielle Vorteile für sich selbst oder Dritte — etwa als Quasi-Justiz — erlangt oder zu erlangen sucht. Nach allem ist nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Warenhäuser, Selbstbedienungsläden oder auch andere Firmen durch technische Sicherungen vor Ladendiebstahl zu schützen suchen; nur müssen sie die Kosten selbst tragen und dürfen sie nicht auf mehr oder weniger zufällig ertappte Ladendiebe abwälzen. Ähnlich ist das bei der Anstellung von Warenhausdetektiven, dem Ausloben von „Fangprämien" für Angestellte oder sonstigen organisatorischen Sicherheitsmaßnahmen. Alles dies dient wesentlich dem Eigeninteresse der Betriebe, die damit nicht etwa im Wege der Geschäftsführung ohne Auftrag Aufgaben der staatlichen Sicherheitsorgane ausführen, weshalb sie die zweckmäßig sinnvoll zu kalkulierenden Kosten selbst zu tragen haben, soweit man diese nicht — was u. a. von der Wettbewerbssituation abhängt — über die Preise auf alle Kunden abwälzen kann. (Stand: Februar 1988)

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362

Sachbeschädigung

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Materialien Die amtliche Kriminalstatistik, herausgegeben bis 1936 vom Statistischen Reichsamt Berlin und seit 1950 vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden. Die Polizeiliche Kriminalstatistik, seit 1953 herausgegeben vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden. FRIEDRICH

GEERDS

SACHBESCHÄDIGUNG A. Einleitung Die Sachbeschädigung mag als strafrechtlicher Deliktstyp häufig Bagatellcharakter haben oder manchen sogar rechtspolitisch als suspekt erscheinen. Das aber trifft in manchen Fällen gewiß nicht zu. Zudem geht es hier um Formen der Gewalt gegen Sachen, die nicht immer klar von solcher gegen Personen abzugrenzen ist, nicht selten mit ihr zusammentrifft oder zu dieser führt. Wäre schon deshalb für die vieldiskutierte Gewaltkriminalität größere Klarheit von Nutzen, überrascht, daß sich ebenso wie Strafjuristen, wenn man von Detailfragen wie z. B. dem unbefugten Plakatieren absieht, auch Kriminologen und Kriminalisten bisher relativ wenig mit dieser Delinquenz befaßt haben. Nach einem kurzen Überblick über die maßgebenden Strafvorschriften sollen daher die kriminologischen und kriminalistischen Probleme dieser schon zahlenmäßig unterschätzten Art von Kriminalität aufgezeigt und dazu erzielte Erkenntnisse zusammengestellt werden. a) Die ausschlaggebende gesetzliche Regelung findet sich im 26. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs in den §§303—305 a. Der Grundtatbestand der Sachbeschädigung (§303 Abs. 1 StGB) setzt vorsätzliches Zerstören oder Beschädigen einer fremden Sache voraus. Geschützte Tatobjekte sind sowohl bewegliche als auch unbewegliche Sachen, sofern sie für den Täter „fremd" sind, d. h. zivilrechtlich im Eigentum eines anderen stehen. Beim Zerstören oder Beschädigen als Tathandlung ist man sich — von Grenzfällen abgesehen — heute darüber einig, daß es auf die Gebrauchsfunktion der Sache für den Eigentümer oder sonst Berechtigten ankommt. Zerstört ist eine Sache mithin, wenn sie durch die Tat völlig unbrauchbar wird, während es für ein Beschädigen genügt, daß die Brauchbarkeit der Sache für übliche Zwecke nicht unerheblich beeinträchtigt wird. Ändert auch eine mögliche Reparatur der Sache grundsätzlich nichts an der durch die Tat eingetretenen Beschädigung, so ist eine solche lediglich dann zu verneinen, wenn die Gebrauchstüchtigkeit ohne nennenswerten Aufwand wiederhergestellt werden kann. Dies ist, um einen strittigen Grenzfall herauszugreifen, u. E. beim bloßen Herauslassen der Luft aus einem Fahrradreifen regelmäßig zu bejahen, wenn eine Luftpumpe ohne weiteres verfügbar ist, bei entsprechenden Praktiken an einem Autoreifen dagegen grundsätzlich zu verneinen, weil Montieren eines Ersatzreifens oder auch Aufpumpen des Reifens, um den Kraftwagen wieder fahrtüchtig zu machen, in aller Regel doch schon einen nennenswerten Arbeitsaufwand darstellt. Kann die Rechtswidrigkeit solchen Handelns insbesondere auf Grund einer Einwilligung des Eigentümers entfal-

Sachbeschädigung len, ist für eine Sachbeschädigung vor allem der Vorsatz des Täters wichtig, um diese Straftat von bloß fahrlässig verursachten Unfallschäden abzugrenzen, welche lediglich zivilrechtlich auszugleichen sind; für vorsätzliches Handeln genügt allerdings, daß der Täter mit der Möglichkeit einer Sachbeschädigung gerechnet und eine solche willensmäßig gebilligt hat. Liegt Vorsatz vor, so kann, selbst wenn der tatbestandsmäßige Erfolg nicht eintritt, auf Grund von § 303 Abs. 2 StGB wegen Versuchs gestraft werden. Schon dies zeigt, daß der Gesetzgeber hier keineswegs nur von Bagatelltaten ausgeht. — Auch das für Bagatellcharakter sprechende Erfordernis eines Strafantrags ist dadurch relativiert worden, daß dieses nach dem durch das 2. WiKG vom 15.5.1986 eingeführten § 303c StGB entfällt, wenn die Staatsanwaltschaft wegen des besonderen öffentlichen Interesses an Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Mag man von dieser Konstruktion des relativen Antragsdelikts halten, was man will, zeigt auch der schon früher anerkannte Charakter eines Privatklagedelikts (§ 374 Abs. 1 Ziff. 6 StPO), daß es durchaus gewichtigere Straftaten dieser Art gibt, weil der Staatsanwalt, sofern er ein öffentliches Interesse daran bejaht, die Sache von Amts wegen verfolgen kann (§§376, 377 StPO). Die in § 305 StGB unter Strafe gestellte Zerstörung von Bauwerken ist ein schwerer, qualifizierter Fall der Sachbeschädigung. Als Tatobjekte werden hier neben einem Gebäude auch Schiffe, Brücken, Dämme, gebaute Straßen, eine Eisenbahn oder ein anderes Bauwerk genannt, sofern diese Sachen ebenfalls in fremdem Eigentum — auch solchem der öffentlichen Hand — stehen. Allerdings ist die Tathandlung etwas enger beschrieben, weil die Sache ganz oder doch teilweise zerstört werden muß; reicht also bloßes Beschädigen im Sinne des Beeinträchtigens der Brauchbarkeit nicht aus, ist ohne tatbestandsmäßigen Erfolg auch hier Versuchsstrafe möglich (§305 Abs. 2 StGB). Die sich für viele Fälle bereits andeutende soziale Komponente wird in dem ebenfalls durch das 2. WiKG eingeführten §305 a StGB deutlich, der gleiche Strafe demjenigen androht, der fremde und wichtige, näher umschriebene Arbeitsmittel ganz oder teilweise zerstört. Nicht mehr so sicher ist der Charakter des Eigentumsdelikts bei der gemeinschädlichen Sachbeschädigung (§ 304 StGB), weil es bei den hier aufgezählten Tatobjekten nicht auf das zivilrechtliche Eigentum eines Dritten ankommt, wenngleich hier häufig solches der öffentlichen Hand beeinträchtigt werden dürfte. Geht es hier einmal um Gegenstände der Verehrung einer Religionsgemeinschaft oder Sachen, die dem Gottesdienst gewidmet sind, werden im übrigen neben Grabdenkmälern ausdrücklich öffentliche Denkmäler, Naturdenkmäler sowie ferner diejenigen Gegenstände der Kunst, Wissenschaft oder des Gewerbes genannt, welche entwe-

363

der in öffentlichen Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich ausgestellt sind. Schließlich nennt das Gesetz Sachen, die zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen dienen. Es stellt mithin bei allen diesen Gruppen von Tatobjekten auf deren Funktion für die Allgemeinheit, den öffentlichen Charakter ab, weshalb man hier nicht mehr von einem reinen Eigentumsdelikt, sondern von einem Sozialdelikt oder zumindest von einem Mischtyp ausgehen muß, bei welchem die soziale Komponente zumindest ebenso wichtig wie die der Eigentumsverletzung ist. Die Tathandlung des §304 StGB „Beschädigen oder Zerstören" entspricht den Begehungsweisen des §303 StGB, weshalb es auch hier auf mehr oder minder nachhaltiges Beeinträchtigen der Brauchbarkeit für den fraglichen Zweck ankommt. Als Schuldform wird Vorsatz vorausgesetzt. Der Versuch wird durch §304 Abs. 2 StGB mit Strafe bedroht. Hier mehr am Rande ist auf den §303 a StGB hinzuweisen, der — ebenfalls durch das 2. WiKG eingefügt — das Unbrauchbarmachen oder Verändern von Daten sowie den Versuch dazu unter Strafe stellt. Die sich auf Daten im Sinne von § 202 a Abs. 2 StGB beziehende Strafvorschrift ist als sog. Computerdelikt wohl deshalb den Sachbeschädigungen zugeschlagen worden, da der Strafgesetzgeber sich immer noch nicht hat entschließen können, die Wirtschaftsdelikte i. e. S. ähnlich wie die Umweltdelikte (§§324 ff. StGB) als eine besondere Gruppe von Sozialdelikten zusammenzufassen, zu denen auch die Computerdelikte zu rechnen sein dürften. b) Zur geschichtlichen Entwicklung dieser Strafvorschriften ist hier nur wenig zu sagen. Das alte deutsche Recht kannte keinen der Sachbeschädigung vergleichbaren Deliktstyp. Gewalt gegen Sachen wurde nur im Zusammenhang umfassender oder spezieller „Tatbestände" wie etwa Heimsuche, Brandstiftung oder aber als Feld-, Forst- und Tierfrevel erfaßt; auch hat man wohl zuweilen Vorläufer des Hausfriedensbruchs angewandt. Hatte die CCC von 1532 in Art. 168 lediglich das verbotene Beschädigen fremden „Holzes" — der Begriff wurde jedoch zunehmend weiter interpretiert — unter Strafe gestellt, finden sich in der späten Zeit des gemeinen Rechts auch schon allgemeiner gefaßte Straftatbestände der Sachbeschädigung. So drohte beispielsweise § 1488 des preußischen A L R von 1794 demjenigen, der aus Rache oder Mutwillen einen anderen an seinem Eigentum oder Vermögen beschädigt, nicht nur Schadensersatz, sondern auch Leibesstrafe an. Doch bezeichnenderweise erst im 19. Jahrhundert gewannen in den deutschen Partikularstrafgesetzbüchern die Tatbestände der Sachbeschädigung bei manchen Unterschieden klarere Konturen. Enthielt das vom französischen Code penal stark beeinflußte preußische Strafgesetzbuch von 1851 in seinem 26. Titel „Vermögensbeschädi-

364

Sachbeschädigung

gung" in den §§281—284 Sachbeschädigungen, entwickelte man im StGB für den Norddeutschen Bund vom 31.5.1870, das alsbald zum RStGB 1871 wurde, die drei Deliktstypen etwa den §§ 303, 304, 305 StGB entsprechend, woran seitherige Reformen zumindest nicht viel geändert haben. D a ß es erst relativ spät zu Straftatbeständen der Sachbeschädigung kam, erklärt sich noch mehr als aus der lange unklaren Abgrenzung dieses Eigentumsdelikts von den heutigen Straftaten gegen das Gesamtvermögen ersichtlich daraus, daß hierzulande dem Privateigentum im 18. und insbesondere im 19. Jahrhundert besonderes Gewicht beigemessen wurde. Deshalb suchte man durch allgemeiner gefaßte Straftatbestände den Eigentümer auch vor derartigen Praktiken zu schützen und ihm den Gebrauchsnutzen seiner Sache zu erhalten, der durch Zerstören oder Beschädigen derselben wegfiel oder doch gemindert wurde.

B. Kriminologie Konzentrieren wir uns kriminologisch auf Verstöße gegen die §§ 303, 305, 304 StGB, zumal da für neuere Strafvorschriften insoweit bisher weder Zahlen noch Erkenntnisse vorliegen, so interessieren unter dem Aspekt der Gewalt gegen Sachen zunächst einmal praktische Bedeutung und Entwicklung dieser Delinquenz. Ungeachtet der sich bereits hier zeigenden Unsicherheiten erscheint es wichtig, sich sodann über die verschiedenartigen Erscheinungsformen der Sachbeschädigung Klarheit zu verschaffen, obwohl das bei den erwähnten Materialschwierigkeiten einstweilen nur mit Vorbehalten möglich ist. Denn erst dann lassen sich einige Erkenntnisse über die Ursachen dieser Kriminalität festhalten, wenngleich man künftig auch hier differenzierender als bisher verfahren sollte. Dasselbe gilt schließlich für die bei diesen Delikten zu beobachtenden Täterpersönlichkeiten.

1. Entwicklung

und praktische

Bedeutung

Die praktische Bedeutung dieser Formen kriminellen Verhaltens läßt sich an Hand der Kriminalstatistiken nicht einmal annähernd einschätzen; denn die meisten dieser Gesetzesverstöße werden aus Gründen der statistischen Technik nicht erfaßt, weil sie im Zusammenhang mit schwereren Straftaten begangen werden. Ist auf diese hier besonders bedeutsame Fehlerquelle daher noch zurückzukommen, sind dennoch die in den Kriminalstatistiken enthaltenen Daten bereits in mancher Hinsicht aufschlußreich. Deshalb seien zumindest einige genannt, ohne damit der kriminalätiologischen Analyse vorgreifen zu wollen. Die amtliche Kriminalstatistik verzeichnet für 1985 bei §303 StGB, daß von 10597 abgeurteilten Personen lediglich 6723 wirklich verurteilt worden sind, weshalb der Schwund mit 36,5% erheblich größer als im Durchschnitt (22,2%) war. Betrachtet man die Entwicklung der letzten 30 Jahre, so hat zwar die Zahl der nach § 303 StGB Verurteilten in etwa der Gesamtkriminalität entsprechend zugenommen, was auch die Kriminalitätsziffer — die Zahl der im fraglichen Jahr auf jeweils 100000 Strafmündige entfallenden Verurteilungen — zeigt; aber die Zahl der Abgeurteilten hat sich in demselben Zeitraum bei § 303 StGB praktisch verdoppelt, wobei im Verhältnis zu den Verurteilten auch die Schwundquote (Verfahrenseinstellungen, Freisprüche usw.) von 16,2% auf 36,5% auf mehr als das Doppelte gewachsen ist. Schon hierdurch dürfte eine weitere Zunahme der wirklichen Sachbeschädigungskriminalität (§ 303 StGB) teilweise verdeckt werden. Auffällig ist schon bei den nach § 303 StGB Verurteilten die überdurchschnittliche Belastung junger Altersgruppen. D a diese nur drei bzw. vier Jahrgänge umfassen, zeigen das bereits die hohen Anteile bei den nach dieser Strafvorschrift Verurteilten.

Tabelle 1 Kriminalstatistik

Jahr

Gesamtkriminalität KrZ Verurteilte

Abgeurt.

§303 Verurteilte

%

KrZ

1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985

530655 548954 570392 643285 664536 732481 719924

5115 7110 6558 7447 7307 10095 10597

4287 6214 5748 6 072 5330 6255 6723

83,8 87,4 87,6 81,5 72,9 63,9 63,5

10,75 15,01 12,44 12,70 10,77 12,63 12,82

1331 1311 1234 1346 1343 1432 1370

365

Sachbeschädigung Tabelle 2 Kriminalstatistik: Nach §303 StGB

Verurteilte

Jahr

insges.

Erwachsene Zahl %

Heranwachsende Zahl %

Jugendliche Zahl %

1960 1965 1970 1975 1980 1985

6214 5748 6072 5330 6455 6723

3584 3819 3630 3301 4636 4637

1673 972 1229 969 1145 1063

957 957 1213 1060 1274 1023

57,68 66,44 59,78 61,93 62,53 68,98

26,92 16,11 20,24 18,18 17,74 15,81

15,40 16,85 19,98 19,89 19,74 15,22

Tabelle 3 Kriminalstatistik

Jahr

Gesamtkriminalität Verurteilte KrZ

Abgeurt.

§§304, 305 Verurteilte

%

KrZ

1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985

530655 548655 570392 643 285 664536 732481 719924

1849 2383 2264 2420 2654 3105 2493

1669 2146 2004 1942 1911 1922 1530

90,2 90,1 88,2 80,2 72,0 61,9 61,4

4,19 5,18 4,34 4,06 3,86 3,76 2,91

1331 1311 1234 1346 1343 1432 1370

Entfällt schon bei § 303 StGB durchweg ein Drittel oder mehr der Verurteilten auf Heranwachsende und Jugendliche, so ist das alles bei den die §§304, 305 StGB zusammenfassenden Zahlen der Kriminalstatistik noch ausgeprägter. Diese weisen für 1985 bei insgesamt 2493 Abgeurteilten lediglich 1530 Verurteilte (61,4%) aus, weshalb die Divergenz mit 38,6 % hier noch größer ist. Die hier insgesamt sinkende Kriminalitätsziffer (1955 : 4,19; 1985 : 2,91) sollte bei zunehmenden Zahlen Abgeurteilter (1955: 1849; 1985: 2493) nicht darüber hinwegtäuschen, daß bei im Vergleich zu §303 StGB noch stärker gewachsenem Schwund (1955: 9 , 8 % ; 1985: 38,6%) die Zahlen Verurteilter hier wohl noch mehr verzerrt sind. Vor allem aber ist bei diesen schwereren Delikten die kriminelle Belastung jüngerer Altersgruppen offenbar noch

größer als bei der einfachen Sachbeschädigung (§303 StGB). Kommt der Anteil erwachsener Verurteilter nur wenig über ein Drittel hinaus, liegt der Jugendlicher seit 20 Jahren ähnlich hoch oder höher, weshalb Jugendliche und Heranwachsende zusammen hier nahezu zwei Drittel der Verurteilten ausmachen. Noch augenscheinlicher wird die weit überdurchschnittliche kriminelle Belastung junger Menschen mit Sachbeschädigungen, wenn man an Hand der Verurteilten die speziellen Kriminalitätsziffern der Altersgruppen betrachtet. Faßt man die nach den §§303, 304, 305 StGB Verurteilten zusammen, so weisen die jungen Altersgruppen trotz in den letzten zehn Jahren etwas sinkender Tendenz die fünfoder doch vierfache kriminelle Belastung Erwachsener auf.

Tabelle 4 Kriminalstatistik: Nach §§304, 305 StGB

Verurteilte

Jahr

insges.

Erwachsene Zahl %

Heranwachsende Zahl %

1960 1965 1970 1975 1980 1985

2146 2004 1942 1911 1922 1530

783 804 664 724 674 594

808 524 548 502 471 438

36,49 40,12 34,19 37,89 35,07 38,82

37,65 26,15 28,22 26,27 24,51 28,63

Jugendliche Zahl % 555 676 730 685 777 545

25,86 33,73 37,59 35,85 40,43 35,62

366

Sachbeschädigung

Kriminalstatistik: Jahr

1975 1980 1985

Tabelle 5 Nach §§303, 304, 305 StGB

Verurteilte

insgesamt Zahl

KrZ

Erwachsene Zahl KrZ

Heranwachsende Zahl KrZ

Jugendliche Zahl KrZ

7241 8377 8253

14,6 16,4 15,7

4025 4710 5231

1471 1616 1454

1745 2051 1568

9,3 10,7 11,5

57,3 54,3 45,3

47,0 48,9 42,2

Tabelle 6 §§303, 304, 305 StGB

Jahr

Polizeiliche Kriminalstatistik Erf. Taten Aufgekl. Taten Zahl %

Erm. Täter

Kriminalstatistik Abgeurteilte Zahl %

1965 1970 1975 1980 1985

107236 178081 213746 330811 342309

39985 48327 65568 98793 87 914

8 822 9867 9 961 13200 14090

33967 44092 53714 84516 84083

31,67 24,76 25,13 25,50 24,57

Lassen nach allem schon die Zahlen der Kriminalstatistik Unsicherheitsfaktoren erkennen, die insgesamt und gerade bei damit besonders belasteten jungen Menschen das Bild der Sachbeschädigungskriminalität beschönigend verzerren dürften, wird dieser Eindruck erhärtet, wenn man vergleichend die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik heranzieht. Ist hier der Schwund, hinter dem sich u. a. wirkliche Kriminalität verbirgt, noch viel größer, machen die Zahlen der Kriminalstatistik überdies nur noch einen jetzt klar unter 20 % liegenden Bruchteil aus, wenn man den nach Ansicht der Kriminalpolizei ermittelten Tätern die deshalb wirklich Abgeurteilten gegenüberstellt; und von diesen sind — wie gesagt — 1985 bei §303 StGB zudem nur 63,5% und bei den §§304, 305 StGB lediglich 61,4% — d. h. weniger als zwei Drittel — tatsächlich verurteilt worden. Bei Sachbeschädigungen ist der Schwund, in welchem wirkliche und vermeintliche Kriminalität stecken, schon in der statistisch erfaßten Delinquenz gewaltig, wenn beispielsweise im Jahre 1985 die Zahlen Verurteilter verglichen mit den von der

22,06 20,42 15,91 13,36 16,00

Polizei erfaßten Taten dieser Art lediglich rund 2 , 5 % ausmachen. Spricht schon hier vieles für ein besonders großes Dunkelfeld, ist vor allem zu beachten, daß alle diese Zahlen nur einen kleinen Bruchteil derjenigen Sachbeschädigungskriminalität darstellen, mit der deutsche Strafgerichte befaßt worden sind. Da Verstöße gegen die §§303, 304, 305 StGB ungleich häufiger als die hier nur ausgewiesenen schlichten Sachbeschädigungen zusammen mit schwereren Straftaten begangen werden, fallen derartige Rechtsbrüche dann weitgehend entweder wegen Gesetzeskonkurrenz bereits im Schuldspruch oder auch bei wirklicher Konkurrenz (§§52, 53 StGB) neben jenen aus Gründen der statistischen Technik aus. Obgleich ohne genauere Untersuchungen Schätzwerte problematisch sind, steht zu erwarten, daß die bisher genannten Zahlen lediglich 5 — 10% aller für anklagereif befundenen Sachbeschädigungen darstellen. Käme man so bei 8254 nach den §§303, 305, 304 StGB Verurteilten für 1985 auf rund 82000 bis 160000 strafrechtlich geahndete Sachbeschädigungen, würde das immerhin schon

Tabelle 7 §§303, 304, 305 StGB

Jahr

1985

Polizeiliche Kriminalstatistik Erf. Taten Aufgekl. Taten

342309

Zahl

%

84083

24,6

Erm. Täter

87914

Kriminalstatistik Abgeurt.

Verurteilte

Zahl

%

Zahl

% Abg.

% erf. Taten

14090

16,0

8253

63,5

2,5

Sachbeschädigung einem Anteil von etwa 11—22% der Gesamtkriminalität Verurteilter entsprechen. Das Dunkelfeld läßt sich bei dieser Sachlage nicht einmal annähernd einschätzen. Man müßte nämlich zunächst einmal ermitteln, wie groß der im statistischen Schwund von über 330000 Fällen enthaltene Anteil wirklicher, aber nicht aufgeklärter bzw. nicht beweisbarer Sachbeschädigungskriminalität tatsächlich sein dürfte. Dasselbe wäre sodann für die ungleich größere Zahl solcher Begleittaten zu machen, bei denen die Dunkelziffer vermutlich wie bei den vorgehenden schwereren Delikten schwanken dürfte. Schließlich muß man auch damit rechnen, daß viele der begangenen Sachbeschädigungen überhaupt nicht zur Kenntnis der Strafverfolgungsorgane gelangen, weil sie vom Betroffenen entweder überhaupt nicht als solche erkannt oder aber aus anderen Gründen, wie z . B . geringem Sachschaden oder Bequemlichkeit, nicht angezeigt werden. Klar ist somit eigentlich nur, daß man gerade auch bei schlichten Sachbeschädigungen mit einem außergewöhnlich großen Dunkelfeld rechnen muß.

2. (

Erscheinungsformen Kriminalphänomenologie)

Will man die Erscheinungsformen der Sachbeschädigungskriminalität differenzierend erfassen, so ist, obwohl z. Zt. exakte Angaben über deren unterschiedliche praktische Bedeutung aus den genannten Gründen nicht möglich sind, zunächst einmal zwischen den in der Praxis weit überwiegenden Begleittaten und den schlichten Sachbeschädigungen, wie sie in der Kriminalstatistik erfaßt werden, zu unterscheiden. Wir können uns hier auf letztere konzentrieren, um nur zunächst kurz plausibel zu machen, daß zahlreiche andere Delikte ebenfalls mit Praktiken der Sachbeschädigung verbunden sind. a) Daß Sachbeschädigungen sehr häufig als Begleittaten anderer, insbesondere schwerer Straftaten fungieren, läßt sich unschwer demonstrieren. Da die Sachbeschädigung hier jedoch nur als Tatmittel fungiert, weshalb es kriminologisch auf die eigentliche kriminelle Aktivität ankommt, können wir uns insoweit kurz fassen und es bei einigen Hinweisen bewenden lassen. Bei den in der Praxis häufigen V e r m ö g e n s d e l i k t e n , die mittels einer Sachbeschädigung begangen werden, ist beispielsweise an den Einbruchdiebstahl (§§242/243 Abs. 1 Ziff. 1, 2 StGB) zu denken. Aber auch bei anderen Diebstählen werden nicht gar so selten — sei es bei Begehung der Tat oder nachher zum Zwecke des Ge- oder Verbrauchs — fremde Sachen beschädigt oder zerstört. Beim Raub (§§249 ff. StGB) als Gewaltdelikt wird des öfteren nicht nur ein Mensch, sondern werden auch fremde Sachen in Mitleidenschaft gezogen.

367

Bei Vermögensdelikten wie Betrug (§263 StGB) oder Untreue (§266 StGB) ist das zwar seltener, kommt aber beim Verfälschen von Urkunden und dergl. vor. Wieder etwas häufiger ist Gewalt gegen Sachen bei der Erpressung (§§253, 255 StGB). Schon nach dem Gesagten sollte nicht mehr überraschen, daß bei vorsätzlichen D e l i k t e n g e g e n d i e P e r s o n des öfteren zugleich fremde Sachen beschädigt oder zerstört werden, wobei für Tötungen oder Körperverletzungen keineswegs nur an Kleidungsstücke des Opfers zu denken ist. Selbst Freiheitsdelikte oder Hausfriedensbruch, Bedrohung und Geheimnisverletzungen können in rabiaten Fällen des öfteren zugleich Charakteristika der Sachbeschädigung aufweisen. Keineswegs selten ist dies bei S t r a f t a t e n g e g e n d a s G e m e i n s c h a f t s l e b e n , wenn diese den §§ 303 ff. StGB als schwerere Straftaten so oder so vorgehen. Ist hier etwa bei der Urkundenfälschung an Praktiken des Verfälschens oder der oft schon daneben ausfallenden Urkundenunterdrükkung zu denken, so richtet sich bei den Sexualfreiheitsdelikten die Gewalt außer gegen die Person des Opfers des öfteren auch gegen dessen Sachen. Geradezu ein Prototyp sind in diesem Zusammenhang vorsätzliche Brandstiftungen, die in aller Regel zugleich fremdes Eigentum zerstören oder doch beschädigen. Dominiert in der Verkehrskriminalität auch eindeutig die Fahrlässigkeit, gibt es nicht nur bei Massendelikten wie dem Landfriedensbruch dennoch Vorsatzdelikte, die zugleich fremde Sachen in Mitleidenschaft ziehen, sondern ist das z . B . oft auch bei der Tierquälerei (§ 17 TierschutzG) der Fall. Selbst bei den S t r a f t a t e n g e g e n den S t a a t u n d s e i n e O r g a n e kommen, wenn der Täter vorsätzlich handelt, Fälle mit Gewalt gegen Sachen vor, die sich unter die §§ 303 ff. StGB subsumieren lassen. Außer an gewisse Praktiken des Hoch- oder Landesverrats ist hier bei der Exekutive an den Widerstand gegen die Staatsgewalt (§113 StGB) sowie an Verstöße gegen die §§ 134, 136, 133 StGB zu denken. Nach allem steht außer Frage, daß Sachbeschädigungen sehr viel häufiger sind, als dies die Zahlen der Kriminalstatistiken aufweisen, die sich auf solche Fälle beschränken, in denen es lediglich um Beschädigen oder Zerstören fremder Sachen geht. b) Dennoch können wir uns hier — wie gesagt — auf s c h l i c h t e S a c h b e s c h ä d i g u n g e n beschränken, obwohl diese nur einen kleinen Bruchteil der einschlägigen Delinquenz ausmachen; denn in denjenigen Fällen, in denen die Sachbeschädigung als Begleittat oder Tatmittel fungiert, kommt es kriminologisch wesentlich auf die so verübte eigentliche Kriminalität an. Lassen sich überdies bei schlichten Sachbeschädigungen, welche einfacher zu erfassen sind, die mit solcher Delinquenz verfolgten Zwecke leichter ausmachen, empfiehlt es sich u . E . kriminalphänome-

368

Sachbeschädigung

nologisch, sich an den damit vom Täter verfolgten Zielen oder Zwecken zu orientieren. Denn so läßt sich der diesen Taten gewöhnlich zugrundeliegende Konflikt besser erkennen. Einstweilen sollte man insoweit zumindest sechs Erscheinungsformen der Sachbeschädigung unterscheiden. aa) S a c h b e s c h ä d i g u n g e n i m s o z i a l e n K o n f l i k t sind Taten, die auf dem Hintergrund eines sozialen Konflikts begangen werden, was ersichtlich auch bei gewissen Begleittaten dieser Art der Fall ist. Hierher gehören außer politisch oder pseudopolitisch motivierten Sachbeschädigungen bei Krawallen oder Demonstrationen auch religiös oder rassistisch bedingte Friedhofsschändungen sowie Verwüstungen in Kirchen und dergleichen. Selbst einzelne Fälle von Kunstvandalismus lassen sich auf einen solchen sozialen Konflikt zurückführen. Es dürfte einstweilen bei derartigen Sachbeschädigungen nicht darauf ankommen, ob man im Einzelfall wirklich von als politisch oder sozial zu wertenden Motiven sprechen kann oder diese vom Täter als Vorwand benutzt werden bzw. eine fixe Idee desselben darstellen. Bei dieser Erscheinungsform hat die Gewalt gegen fremde Sachen häufiger als sonst den Charakter eines Massendelikts oder handelt es sich doch um Tätergruppen, wenngleich das für derartige Sachbeschädigungen nicht notwendig ist, weil mitunter auch Einzeltäter in dieser Weise kriminell aktiv werden. bb) Unter S a c h b e s c h ä d i g u n g e n i m i n d i v i d u e l l e n K o n f l i k t verstehen wir Taten, bei denen der Täter oder mehrere solcher mit einer bestimmten Einzelperson — also nicht mit der Gesellschaft oder sich selbst — Schwierigkeiten hat. Auch an derartigen Konfliktsituationen können also einzelne oder mehrere Individuen auf beiden Seiten beteiligt sein. Wichtig ist jedoch, daß dabei nicht der persönliche Charakter des Konflikts verlorengeht, wenngleich dieser ebenfalls zuweilen nur in der Einbildung des Täters bestehen dürfte. Derartige Sachbeschädigungen richten sich verständlicherweise auf das Eigentum des wirklichen oder vermeintlichen Feindes bzw. der Feinde. Sie können Aktionen gegen einzelne Gegenstände sein, mitunter aber auch das Ausmaß des Vandalism s erreichen. cc) Bei S a c h b e s c h ä d i g u n g e n a u s E i g e n n u t z kann man nicht von Konflikten der vorgenannten Art sprechen, sondern handelt es sich um Taten, die aus der Sicht des Rechtsbrechers vor allem durch wirtschaftliche Motive — z. B. Gewinnsucht — geprägt sind. Ist anders als bei Aneignungsdelikten Ziel einer Sachbeschädigung das Zerstören oder Beschädigen fremden Eigentums, zählen hierher beispielsweise die nicht zahlreichen Fälle, in denen der Täter aus misanthropischen Motiven oder aus Geltungsdrang eigennützig handelt, um so etwa — man denke an Wirtschafts- und Betriebssabotage — einen Konkurrenten auszu-

schalten bzw. zu schädigen und dadurch finanzielle Vorteile zu erlangen. dd) Häufiger sind in der Praxis S a c h b e s c h ä d i g u n g e n a u s G e l t u n g s d r a n g , d . h . aus betont egozentrischen Motiven, die aber auch bei sozialen oder individuellem Konflikt mitwirken können. Zu dieser Erscheinungsform zählen u . a . Taten junger Rechtsbrecher, weil in der Entwicklungsphase das Geltungsbedürfnis besonders ausgeprägt zu sein pflegt. Allerdings erscheint es uns ratsam, bei der gegenwärtig noch unsicheren Lage von solchen Sachbeschädigungen die sogleich zu behandelnden aus bloßem Übermut und dergl. zu unterscheiden. Geltungsdrang dürfte wesentlich für Gewalttätigkeiten bei sog. reinen Krawallen sein, die keine weitergehenden Zwecke verfolgen. Doch ebenso wie bei Festivitäten oder Sportveranstaltungen können Taten einzelner Täter durchaus dieser Erscheinungsform oder der des Handelns aus Übermut zuzuordnen sein, wenn sie die allgemein anders zu erklärende Situation lediglich mißbrauchen, um sich dadurch hervorzutun, daß sie Sachen Dritter oder der öffentlichen Hand beschädigen oder zerstören. In aller Regel handelt es sich bei diesen Fällen um im Ausmaß beschränkte Taten, die sich gegen einzelne Objekte richten, ohne daß ein Konflikt mit dem Eigentümer festzustellen ist. ee) Diesen Taten sind S a c h b e s c h ä d i g u n g e n a u s Ü b e r m u t zwar ähnlich; aber dennoch sollte man diese Fälle, die auch bei Begleittaten vorkommen, als Erscheinungsform zweckmäßig von den zuvor genannten unterscheiden. Charakteristisch ist hier Handeln aus Übermut, Abenteuerlust, Leichtsinn und dergl., weshalb es nicht immer einfach ist, den für Sachbeschädigungen erforderlichen Vorsatz von der Fahrlässigkeit zu unterscheiden. Das Beschädigen oder Zerstören von Sachen ist hier nicht das eigentliche Ziel der Aktivitäten, wird aber — u. U. als nicht hinreichend bedachte Folge derselben — gebilligt. Die Täter handeln — überwiegend in Gruppen — beispielsweise ohne Anlaß und ohne Bezug zum Eigentümer der Sache aus Übermut oder zum Schabernack, weshalb gewöhnlich nur Einzelgegenstände in Mitleidenschaft gezogen werden. Es kann aber auch hier zu Serien kommen, wenn jüngere Menschen auf ihrem alkoholisierten Heimweg Gartenzäune und -tore oder Straßenlaternen demolieren. Ähnlich ist es bei Rowdy-Exzessen nach Veranstaltungen wie Fußballspielen oder Friedhofsschändungen ohne erkennbaren Anlaß. Bei als unpassend empfundener Reaktion Dritter kann die Sache ausarten und beträchtliches Ausmaß erlangen, was zu anderen Erscheinungsformen überleitet. ff) Man sollte schließlich aber auch i r r a t i o n a l e S a c h b e s c h ä d i g u n g e n nicht verkennen. Das sind Taten, bei denen sich keine rational ohne weiteres nachvollziehbaren Zwecke oder Motive

369

Sachbeschädigung ausmachen lassen. Sie ergeben selbst dann keinen vernünftigen Sinn, wenn ein Experte z . B . in den Bereich der Psychopathologie gehörende Zusammenhänge auszumachen vermag. Außer an Taten Geisteskranker ist hier u. a. an sexuell motivierte Sachbeschädigungen wie die sogen. „Bettenschlitzer" oder sadistische Tierquälereien zu denken, wie sie auch in Zoologischen Gärten begangen werden. Selbst Autoreifen hat ein Täter zerstochen, weil die zischend entweichende Luft ihn sexuell befriedigte. Auch manche Fälle von Kunstvandalismus sind als ansonsten völlig unverständliche Sachbeschädigungen dieser Erscheinungsform zuzuordnen.

3. Die Ursachen

(Kriminalätiologie)

Angesichts dieser mannigfaltigen Formen schlichter und begleitender Sachbeschädigungen sollte nicht überraschen, daß auch die Ursachen dieses kriminellen Verhaltens beträchtlich divergieren, obwohl sich mangels genauerer Untersuchungen insoweit bisher nur Allgemeines sagen oder mutmaßen läßt. Aber schon das dürfte für künftige Forschungen von Nutzen sein. Zudem lassen sich außer für die Ursachen der Sachbeschädigungskriminalität so doch bereits einige Anhaltspunkte für die der Gewalt gegen Sachen ausmachen. a) Bei den Ursachen von Sachbeschädigungen, die man von den bloß tatauslösenden Faktoren unterscheiden muß, sind, was das G e s c h l e c h t anlangt, die Männer — insbesondere solche jüngeren Alters — noch mehr als üblich belastet. Der Anteil weiblicher Verurteilter liegt bei den Sachbeschädigungen trotz in den letzten zehn Jahren etwas zunehmender Tendenz immer noch weit unter dem Durchschnitt der insgesamt Verurteilten (1985: 16,4%). Die Sachbeschädigung ist deshalb als typisches Männerdelikt anzusehen. Das erklärt sich zum einen wohl daraus, daß jegliche Gewalt Körperkraft voraussetzt und diese zum anderen von Männern häufiger zur Konfliktlösung eingesetzt wird. Auch bei Begleittaten sind einschlägige Verbrechenstechniken — wie etwa beim Einbruch — für männliche Täter besonders attraktiv.

Bedeutsamer für die Sachbeschädigungskriminalität aber erscheint das A l t e r der Täter. Die nach dem oben Ausgeführten (vgl. B. 1, insbesondere Tab. 2, 4, 5) in das Auge fallende ausgesprochen hohe Belastung Jüngerer deutet darauf hin, daß es sich hier weithin um typische Jugenddelinquenz handelt. Ist beispielsweise in den letzten 30 Jahren bei § 303 StGB der Anteil erwachsener Verurteilter relativ konstant geblieben und hat sich der an sich größere Anteil der Heranwachsenden etwas vermindert, ist der Jugendlicher jedoch entsprechend größer geworden. Noch deutlicher ist das bei den §§304, 305 StGB. Bei den nach diesen Vorschriften Verurteilten ist der Anteil Erwachsener relativ konstant (1960: 36,49%; 1985: 38,82%) und hat der Heranwachsender sogar etwas abgenommen (1960: 37,65%; 1985: 28,63%). Dagegen ist bei Jugendlichen eine allerdings schwankende Zunahme von 25,86% (1960) auf 35,62% (1985) zu verzeichnen. Vermitteln die Zahlen der Kriminalstatistik infolge der im J G G erweiterten Möglichkeiten der Verfahrenseinstellung zudem nur ein verzerrtes Bild, ist zu fragen, wie gerade bei jungen Menschen diese Zunahme der Sachbeschädigungskriminalität zu erklären ist. Die überdurchschnittlich hohe und zunehmende Belastung junger Täter mit diesen Delikten ergibt sich wahrscheinlich daraus, daß in der Entwicklung Begriffene gern auf ihre Körperkraft setzen, zumal da Vernunftüberlegungen hier seltener bremsend wirken. Da dies zudem gerade bei den schwereren Verstößen gegen die §§305, 304 StGB festzustellen ist, müssen zu dieser Entwicklung Umstände beitragen, die sich hier altersspezifisch besonders nachhaltig auswirken. Weniger mit der s o z i a l e n L a g e , sondern mehr mit geringerem Alter dürfte allerdings die Tatsache zusammenhängen, daß junge Menschen sowohl mit schlichten als auch begleitenden Sachbeschädigungen besonders belastet sind. Auch kann die im Vergleich zu früher bessere wirtschaftliche Lage gerade Jüngerer ebenso wie bei Erwachsenen hier kaum eine wesentliche Rolle spielen; ähnliches gilt für Beruf oder besser Erwerbstätigkeit. Wichtiger erscheinen hier die familiäre Situation und andere für die Entwicklung ausschlaggebende erziehe-

Tabelle 8 Kriminalstatistik: Anteile weiblicher Täter

Jahr

§303 Verurteilte

1960 1965 1970 1975 1980 1985

6214 5748 6072 5330 6455 6723

davon weiblich Zahl % 242 186 211 267 288 389

3,89 3,24 3,47 3,88 4,46 5,79

§§304,305 Verurteilte

2146 2004 1942 1911 1922 1530

davon weiblich Zahl % 26 23 29 53 50 55

1,21 1,15 1,49 2,77 2,60 3,59

370

Sachbeschädigung

rische Einflüsse. Zum einen ist hier an die im Vergleich zu früher öfter fehlende oder doch gelokkerte soziale Bindung zu denken, die man als „Zerfall der Familie" beklagt. Zum anderen könnte gerade bei jüngeren Menschen die in unserer Zeit zunehmend geringere Rücksichtnahme auf andere Menschen und insbesondere deren Eigentum begünstigend wirken. Im Zusammenhang damit wirkt auf die Entwicklung junger Menschen außer der Familie auch die Schule ein, die in den letzten Jahrzehnten doch wohl mehr als früher zum Einflußobjekt politischer und gesellschaftlicher Kräfte geworden ist. Dürfte sich bereits die Betriebsamkeit zahlreicher Bildungsreformer irritierend auf junge Menschen ausgewirkt haben, kommen ebenso wie bei manchen Lehrern auch in den Massenmedien zu beobachtende Aktivitäten hinzu, die dem Ansehen des grundgesetzlich geschützten Eigentums Abbruch tun und so Sachbeschädigungen fördern, sie zumindest in breiteren Kreisen zu Bagatellen werden lassen. Warum die Achtung vor fremdem Eigentum gerade bei jungen Menschen merklich abgenommen hat, sollte daher näher erforscht werden. Wichtig für die Hintergründe der Sachbeschädigungskriminalität ist sodann, das S o z i a l v e r h a l t e n dieser Täter genauer zu durchleuchten. Zur Entwicklungssituation und für die charakteristischen Spannungen mit gesellschaftlichen Gegebenheiten kommen anscheinend ideologische Einstellungen hinzu, die sich auf jüngere Menschen noch mehr als auf Erwachsene auswirken. Auch bei der oft nicht sinnvollen Gestaltung der im Verhältnis zu früher viel größeren Freizeit kommt Politikern und gesellschaftlichen Gruppierungen oder Institutionen ein großes Maß an Verantwortung zu. Orientiert sich die Gesellschaft heutzutage ungleich stärker als früher an Geld und materiellen Werten, was man ungeachtet verschiedenartiger politischer Argumente im Grunde doch recht einheitlich viele Jahre hindurch propagiert hat, bewirkt das ein Anspruchsdenken, welches Aneignungs- und Bereicherungskriminalität plausibel macht. Paradox aber mutet insoweit die Zunahme der Sachbeschädigungen an, weil diese Delikte Eigentum und materielle Werte vernichten oder doch beeinträchtigen. Wird die Vielzahl dieser Straftaten sicherlich nicht von „Aussteigern" oder ähnlichen Eiferern begangen, wobei diese den Charakter einer Trotzreaktion haben oder Handeln aus Mißgunst darstellen könnten, bleibt die Frage, wie bei Hoch- oder Überschätzung materieller Werte die anscheinend immer geringer werdende Achtung vor fremdem Eigentum zu erklären ist. Gerade bei Verstößen gegen die §§304, 305 StGB, die durchweg öffentliches Eigentum betreffen, mag der politisch oder pseudopolitisch motivierte „Protest" als Erklärung leicht zur Hand und zuweilen richtig sein. Ungereimt aber bleibt, warum nicht nur engagierte

Kämpfer für eine sozialistische Ordnung oder gar für Volkseigentum ihre destruktiven Aktivitäten gegen Sachen der öffentlichen Hand richten, die mit Steuermitteln geschaffen oder repariert werden müssen. Reizvolle und für die Praxis bedeutsame Probleme ergeben sich ferner bei der M o t i v a t i o n der Sachbeschädigungen, wenngleich man hier von irrationalen Taten absehen muß. Haben wir es durchweg mit Motivbündeln zu tun, dürfte wirtschaftlichen Motiven wie Gewinnsucht oder Not bei schlichten Sachbeschädigungen nur eine geringe Rolle zukommen; anders ist das natürlich bei Eigentumsdelikten mit Gewalt gegen Sachen. Auch die wirtschaftliche Not dürfte, sofern sie nicht nur eingebildet ist, gewöhnlich mehr begleitenden Charakter im Motivationsprozeß haben. Ungleich wichtiger erscheinen bei (schlichten) Sachbeschädigungen bereits fremdbezogene, insbesondere misanthropische Motive wie Haß, Rachsucht, Neid und dergleichen, weil diese schnell zur Gewalt gegen Sachen der ungeliebten Person oder Institution führen können. Ähnliches oder noch größeres Gewicht kommt ichbezogenen Motiven nichtwirtschaftlicher Art zu. Hier ist häufiger als Handeln aus subjektiver Not ein solches aus Geltungsdrang und Prestigesucht, aber auch aus Übermut, Abenteuerlust oder Leichtsinn bei Sachbeschädigungen zu beobachten. Alle diese kriminogenen Faktoren dürfen nicht mit den nur t a t a u s l ö s e n d e n verwechselt werden, die — wie Reaktion des Opfers oder staatlicher Sicherheitsorgane — nur mittelbar kriminalätiologisch aufschlußreich sein können, wenngleich sich so zuweilen Zeitpunkt und Art der Delinquenz erklären lassen. Hierher gehören außer akutem Alkoholgenuß und gruppendynamischen Prozessen auch einzelne Publikationen in Massenmedien. b) Fragt man angesichts der ersichtlich weithin noch zu vertiefenden Erkenntnisse allgemein nach den Ursachen der Gewalt gegen Sachen und ihrem Verhältnis zur Gewalt gegen Personen, sollte man ungeachtet gewisser Gemeinsamkeiten u . E . doch mehr als bisher differenzieren, wenngleich die Aggressivität sich nicht nur — wie bei Begleittaten — gegen beides richten kann, sondern auch Übersprünge möglich sind. Gerade beim strafrechtlich ausufernden Gewaltbegriff und der selbst in Tatsachenwissenschaften engagierten, jedoch allgemein geführten Diskussion ist es ratsam, Gewalt gegen Personen und Sachen als unterschiedliche Ausdrucksformen der Aggressivität auseinanderzuhalten, soweit das möglich ist. Dies aber läßt sich am ehesten bei den schlichten Sachbeschädigungen erreichen, wenngleich die Gewalt gegen Sachen schon konkret oder doch in der kriminellen Karriere später zur Gewalt gegen Personen führen kann. Eben deshalb ist es, zumal da es hier weithin um Jugenddelinquenz geht, wichtig, die Ursachen dieser Kriminalität genauer als bisher zu erforschen. Kommt der Gewalt gegen Personen

371

Sachbeschädigung insgesamt gewiß ungleich größeres Gewicht zu, sollte klargestellt werden, daß die Gewalt gegen Sachen nur bei einem Teil der Begleittaten lediglich eine Folgeerscheinung ist, sie aber in anderen Fällen und insbesondere bei schlichten Sachbeschädigungen Besonderheiten aufweist. Diesen spezifischen Charakter der Sachgewalt gilt es genauer zu ergründen, was dann der Diskussion der Gewalt allgemein oder auch der speziell gegen eine Person gerichteten Gewalt förderlich sein dürfte.

4. Täterpersönlichkeiten

(Tätertypologie)

Nach allem sollte bei der bisher ungünstigen Materiallage einleuchten, daß sich zur Täterpersönlichkeit derjenigen, die so oder so Sachbeschädigungen begehen, einstweilen nur wenig und höchstens mit Vorbehalt Allgemeines sagen läßt. a) Unterscheidet man bei der weithin noch strittigen Tätertypologie von der nach Persönlichkeit und Verhalten an sich nicht von der Mehrheit abweichenden Gruppe der Durchschnittstäter die der Rückfallstäter, die bei konstanterem Abnormverhalten häufiger delinquieren, so dürfte ihr Anteil an den wegen Sachbeschädigungen Verurteilten — insbesondere wenn man Begleittaten einbezieht — relativ hoch sein. Sind hier Sätze bis zu 40 oder 5 0 % diskutabel, dürfte dieser bei schlichten Sachbeschädigungen vermutlich etwas geringer sein. Mehr als asoziale oder sozial hilflose Rückfallstäter interessieren hier jedoch die Antisozialen, deren Abnormverhalten sich aus einer gemeinschaftsfeindlichen, aktiven Einstellung ergibt. Sie dürften selbst bei schlichten Sachbeschädigungen etwa 25—33% der Verurteilten stellen. b) Bei der hier mithin wohl größeren Gruppe der Durchschnittstäter sind wichtiger als Konfliktstäter, die bei an sich normaler Persönlichkeitsstruktur durch eine abnorme Konfliktsituation zu kriminellem Handeln veranlaßt werden, die Entwicklungstäter. Selbst wenn man nicht alle von Jugendlichen oder Heranwachsenden begangenen Sachbeschädigungen als typische Entwicklungskriminalität werten kann, dürfte man bei Anteilen von rund einem bzw. zwei Dritteln bei den nach § 303 StGB und den nach den §§304, 305 StGB Verurteilten doch auf 20—30% Entwicklungstäter kommen. Ähnlich aber dürfte vermutlich der Anteil der eigentlichen — sei es erwachsenen oder jungen - Durchschnittstäter zu veranschlagen sein. c) Dies alles läßt Probleme der Tätertypologie vermuten, die auch bei dieser Kriminalität zu differenzierender Rechtsanwendung zwingen. Haben wir es hier zum einen des öfteren mit eigentlichen Durchschnittstätern zu tun, deren Straftat nicht als persönlichkeitsadäquat erscheint, verdient zum anderen die etwa gleich große Gruppe der Entwicklungstäter Aufmerksamkeit, weil Jugendverfehlungen zwar oft nur eine Episode darstellen, aber bei

falscher Reaktion auch zu einer kriminellen Karriere führen können. Zumindest gleiches Gewicht kommt schließlich bei Sachbeschädigungen vermutlich auch antisozialen Rückfallstätern zu, die keinesfalls von einem in dieser Form unangebrachten Pauschalurteil einer Bagatellkriminalität profitieren sollten.

C. Kriminalistik Sachbeschädigungen sind, mögen sie allein oder zusammen mit anderen Straftaten begangen werden, auch für den Kriminalisten von Interesse. Das erklärt sich nicht nur wegen des häufigen Vorkommens, sondern auch wegen der Ansatzpunkte, die sie für Ermitteln und Überführen solcher Täter bieten. Außer den hier als typisch anzusehenden Verbrechenstechniken sollte man über die schon wegen der großen Zahl oft nicht genutzten vielfältigen Möglichkeiten der Kriminaltechnik informiert sein. Schließlich sind einige Besonderheiten kriminaltaktischer Art zu beachten, die man für Aufklären und präventives Verhindern solcher Straftaten nutzen kann.

1.

Verbrechenstechniken

Im Rahmen der Verbrechenstechnik empfiehlt es sich, bei Sachbeschädigungen grundsätzlich zwischen zwei Arten der Tatausführung zu unterscheiden, dem Vandalismus und den gegen Einzelgegenstände gerichteten Aktionen. a) Unter Vandalismus verstehen wir gegen Sachgesamtheiten oder größere Objekte gerichtete Taten sowie dem vergleichbare Serien. Kennzeichnend ist somit vor allem das größere Ausmaß solcher Sachbeschädigungen, die auch bei Begleittaten vorkommen können. Geht es dem Täter hier offensichtlich nicht darum, einzelne fremde Sachen in ihrer Funktionstüchtigkeit zu beeinträchtigen, sondern um eine mehr oder weniger ausgedehnte Verwüstung, wirken diese Fälle leicht irgendwie sinnlos. Kriminologisch stellt sich daher beim Vandalismus nicht selten die Frage, ob eine derartige Heimsuche mehr das Opfer oder Dritte beeindrucken soll oder ob es mehr um aus der Täterpersönlichkeit zu erklärendes Abreagieren von Aggressivität geht. Will man Überblick über die Arten der Tatausführung beim Vandalismus erlangen, ist es einstweilen vermutlich sinnvoller, von den betroffenen Tatobjekten oder dem größeren Rahmen der kriminellen Aktivitäten als von einzelnen Tatwerkzeugen oder -mittein auszugehen. Eine erste Gruppe von Fällen bildet der O b j e k t - V a n d a l i s m u s , bei welchem ersichtlich vor allem die Art des Objekts die für den Täter zentrale Rolle spielt. Hierher gehören beispielsweise Friedhofsschändungen, bei denen Gräber und

372

Sachbeschädigung

Grünanlagen verwüstet und Grabsteine wahllos umgestürzt werden, was jedoch nicht nur krawallartig, sondern auch aus politischen bzw. rassistischen Gründen geschehen kann. Ihnen ähneln Verwüstungen in Kirchen, Kapellen oder von Objekten religiöser Verehrung. Aber auch fremde Sachen Privater oder der öffentlichen Hand können, insbesondere wenn sie für den Täter negativen Symbolcharakter haben, Ziel derartiger Aggressionen werden. Die für solche Vandalismus-Akte oft kennzeichnende Wut des Täters oder einer Gruppe solcher kann sich — wie gesagt — auch gegen Sachen der öffentlichen Hand richten, wenn diese für die Rechtsbrecher so etwas wie Symbolcharakter haben. Die Art der Sachgewalt divergiert je nach Objekt erheblich. Außer an bloße Körperkraft ist an Werkzeuge wie Hämmer, Äxte oder Steine sowie Beschmutzen mit Farbe (Farbbeutel, Sprays) zu denken. Vandalismus dieser Art kann sich ferner auch gegen das Eigentum einer Privatperson richten, wenngleich soziale Konflikte hier häufiger als individuelle sein dürften. Ist unter dem erstgenannten Aspekt an Aktivitäten gegen Gebäude ungeliebter Banken oder Kaufhäuser zu denken, kommen solche Dinge ferner auch in Form des Demolierens von Scheiben, Zäunen, Automaten, Kraftfahrzeugen und ähnlicher Dinge vor, wenn entweder die Sachen als solche oder ihr Eigentümer dem Täter als mißliebig oder verachtenswert erscheinen. Ein Sonderfall des Objekt-Vandalismus ist der Kunstvandalismus, dessen weit zu fassende Gegenstände sich außer in öffentlichen Anlagen, in öffentlichen und privaten Sammlungen auch in Kirchen und dergleichen befinden. Sie können aus den unterschiedlichsten Gründen für den Täter eine Schlüsselrolle haben, die ihn aggressiv werden läßt; er kann sie nicht nur als verhaßte Symbole werten, sondern auch aus religiösen Gründen oder deshalb demolieren, weil er diese Art von Kunst ablehnt. Von T ä t e r - V a n d a l i s m u s sprechen wir hingegen bei umfangreicheren Sachbeschädigungen, die sich mehr aus Sicht und Situation des Rechtsbrechers erklären. Hier haben die in Mitleidenschaft gezogenen Sachen für ihn keinen Symbolcharakter, kommt es auch weniger darauf an, in wessen Eigentum sie stehen. Wichtiger als das betroffene Objekt ist daher für den Täter sein Handeln als solches. Derartige, häufiger serienmäßig und nicht nur von jungen Menschen begangene Sachbeschädigungen ziehen — nicht selten auf dem alkoholisierten Heimweg — Straßenlaternen, Fernsprechzellen, Parkuhren, aber auch Zäune von Privatgrundstükken, Automaten oder Kraftfahrzeuge in Mitleidenschaft. Eine dritte Fallgruppe möchten wir als Α k t i ν i t ä t s - V a n d a l i s m u s bezeichnen, da er sich weniger gegen bestimmte Objekte richtet noch täterbedingt ist, sondern mehr eine Begleiterscheinung

anderer, u. U. bereits krimineller Verhaltensweisen darstellt. Vor allem drei Modalitäten sind hier zu beobachten, von denen zumindest zwei Züge der Massendelikte aufzuweisen pflegen. Hinzuweisen ist hier zunächst einmal auf gewisse Jugendkrawalle der 50er Jahre. Aber auch heute kann es bei bestimmten Veranstaltungen wie PopFestivals oder dergleichen zu ausgedehnten Verwüstungen kommen. Zu diesen Fällen von Krawallvandalismus, der die Folge einer Massensuggestion ist, gehören durchweg Exzesse bei oder im Anschluß an Sportveranstaltungen, insbesondere Fußballspielen, an denen auch Erwachsene beteiligt sind, die selbst bei der Rückfahrt von einem sie frustierenden Spiel noch Eisenbahnwaggons verwüsten. Auslösender Umstand sind hier — u. U. neben Alkoholgenuß — also Veranstaltungen, welche eine mehr oder minder große Menge von Menschen ohne sinnvollen Grund zu Gewalt gegen fremde Sachen veranlassen. Ähnlich, aber doch etwas anders ist das beim Demonstrationsvandalismus, bei welchem eine Menschenmenge mit einer so oder so motivierten Demonstration sich selbst den Anlaß zu Ausschreitungen und Gewalt gegen Sachen schafft. Hierher gehören Verwüstungen im Zuge der Studentenrevolte der 60er Jahre sowie Ausschreitungen bei Hausbesetzungen und gewisse Umweltschutz-Aktionen. Es geht hier also nicht nur um Chaoten und Krawallmacher, die solche Anlässe ohne Sinn für das verfolgte Anliegen lediglich mißbrauchen, was Täter- oder ggf. Objekt-Vandalismus wäre, sondern um Menschen, die sich unter dem Einfluß der Masse zu Gewalt gegen fremde Sachen hinreißen lassen. Schließlich gibt es — wie der Praktiker weiß — den sogen. Begleittatvandalismus, bei welchem im Zusammenhang mit andersartigen Straftaten diesen überhaupt nicht förderliche Sachbeschädigungen gewaltigen Ausmaßes begangen werden, die deshalb als besonders ungereimt anmuten. Mitunter hausen beispielsweise Einbrecher am Tatort wie die Vandalen, ohne daß dies irgendeinen Sinn für die bezweckte Straftat ergibt. Es handelt sich um Akte absurden Übermuts oder sinnloser Wut, die sich in Gewalt gegen Sachen entlädt. Kann man das vielleicht noch verstehen, wenn der Täter sein eigentliches Ziel nicht erreicht hat, bleibt unerfindlich, was das soll, wenn er die gewünschte Beute gemacht hat. Auch diese Problematik muß daher noch genauer untersucht werden. b) Obwohl dies alles auch bei mit Sachschäden verbundenen gegen Einzelgegenstände gerichteten Aktionen mitwirken kann, liegen die Dinge hier doch weithin anders, selbst wenn es sich nicht um eine einzige Sache handelt, die beschädigt oder zerstört wird. Wichtig ist dabei nur, daß bei mehreren in Mitleidenschaft gezogenen Sachen ein erkennbarer Zusammenhang besteht und die Tat überdies nicht den Charakter einer gezielten Ak-

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Sachbeschädigung tion verliert. Allerdings ist auch in diesen Fällen keineswegs immer mit einer rationalen Motivation zu rechnen, sondern kann diese emotional geprägt oder gar irrational anmuten. Da auch dies alles bisher noch wenig erforscht ist, kann man einstweilen nur zwei Gruppen von Verbrechenstechniken bei Sachbeschädigungen unterscheiden, wobei sich der Modus operandi nach Art des Tatobjekts und den Tatumständen zu richten pflegt. Dient die Sachbeschädigung — wie in der Praxis sehr häufig — lediglich als Mittel zur Begehung einer anderen Straftat, so wird man sich bei einer solchen B e g l e i t t a t - E i n z e l a k t i o n zunächst einmal an dieser orientieren, um im übrigen bei Praktiken der Sachgewalt wie auch sonst zu differenzieren. Das gilt beispielsweise ebenso für Einbruchdiebstähle wie für Brandstiftungen. Anders ist die Lage bei der in der Praxis viel kleineren Gruppe schlichter Sachbeschädigungen, die im Gegensatz zum Vandalismus Charakteristika einer gegen einen einzelnen Gegenstand gerichteten Aktion aufweisen; bei Serien sind solche i s o l i e r t e n E i n z e l a k t i o n e n nicht immer leicht vom Vandalismus abzugrenzen. Beispiele dieser Art sind das Zerstechen oder Zerschneiden von Reifen geparkter Kraftfahrzeuge oder das Abbrechen der herausgefahrenen Antenne. Solche Sachbeschädigungen sind entweder auf Haß und dergleichen gegen den betreffenden Fahrzeughalter oder auf Übermut und Ähnliches zurückzuführen. Aus Übermut oder auch Geltungsdrang handeln ferner Täter, die ihre Geschicklichkeit durch Einwerfen einer Fensterscheibe oder ihre Schießkunst an einem Verkehrszeichen demonstrieren wollen. In anderen Fällen dieser Art hängt die Sachbeschädigung jedoch deutlicher mit dem Eigentümer des Objekts zusammen. Man reagiert an diesem seine mehr oder minder begründete Wut auf einen anderen Menschen ab. Ist das Verhalten des Betroffenen Anlaß für Gewalt gegen Sachen, kann das — wie u . a . in Gaststätten — sogar in Vandalismus ausarten, zumal da man aus diesem Grunde sogar schon Feuer gelegt hat. Ferner gibt es auch isolierte Einzelaktionen, die Züge „massiver Sozialkritik" aufweisen; Angriffsobjekte sind hier häufiger — wenngleich nicht notwendig — Sachen der öffentlichen Hand. Mehr als in Schulen zu beobachtende Praktiken des falschen Bombenalarms, der Brandstiftung oder des Aufdrehens von Wasserhähnen sind Taten, die bei Ähnlichkeiten mit Demonstrationsvandalismus nicht dessen Ausmaß erreichen. Derartige Aktivitäten richten sich z . B . gegen Schaufenster einer bestimmten Firma oder ausländischen Niederlassung oder gegen gewisse dem Staat gehörende Sachen. Nach allem sollten gegen Einzelgegenstände gerichtete Aktionen gerade dann, wenn sie keine Begleittaten darstellen, differenzierender als bisher betrachtet werden.

2.

Kriminaltechnik

Ungeachtet der verschiedenartigen Praktiken bietet Gewalt gegen Sachen oft gute Ansatzpunkte für kriminaltechnische Untersuchungen, welche sowohl die Ermittlungen fördern als auch die beweismäßige Überführung ermöglichen können. Hat man das etwa bei Brandstiftungen oder auch Einbruchdiebstählen längst erkannt (wenngleich bei letzteren oft nicht ausgenutzt), wird das bei schlichten Sachbeschädigungen wegen der großen Zahl und des oft geringen Gewichts dieser Taten kaum jemals genutzt. Sowohl bei Vandalismus als auch Einzelaktionen kommt es für kriminaltechnische Untersuchungen vor allem auf die konkrete Art der Tatausführung an, die naturgemäß durch die Art des Objekts beeinflußt wird. Form-, Material- und Situationsspuren können sich nicht nur an der betroffenen Sache oder ihren Überresten, sondern außer im Tatortbereich auch an Tatwerkzeugen und -mittein sowie am Täter selbst finden. Sehen wir hier von Spuren allgemeiner Art wie z. B. Fingerabdrücken und Fußeindrücken ab, sollen zumindest einige für Sachbeschädigungen typische Spuren behandelt werden, um die Möglichkeiten der Kriminaltechnik zu verdeutlichen. a) Im Tatortbereich und insbesondere bei der betroffenen Sache spielen Formspuren eine besondere Rolle, wie sie als Werkzeug- oder Arbeitsspuren vorkommen. Denn diese sind oft geeignet, sich Klarheit über Tatwerkzeug und Tathergang zu verschaffen. Ähnlich wie beim Einbruch lassen sich solche Spuren bei signifikanter Beschaffenheit nutzen, um zum Täter zu gelangen und diesen ggf. beweismäßig zu überführen. Ähnlich ist es, wenn dieser statt Körperkraft oder eines mechanisch wirkenden Werkzeugs ätzende, oxydierende oder färbende Chemikalien bzw. Ähnliches benutzt hat, die vor allem als Materialspuren aufschlußreich sein können. Denkt man hier vorzugsweise an chemische Methoden, kann in gewissen Fällen auch der Biologe von Nutzen sein, wenn Tiere oder Pflanzen in Mitleidenschaft gezogen worden sind, obwohl man mitunter auch auf den Rechts- oder Veterinärmediziner zurückgreifen kann. Keineswegs zu unterschätzen sind bei hinreichend gewichtigen Sachbeschädigungen die Methoden der Mikrobiologie, die sich u. a. auf Staub-, Schmutz-, Bodenproben oder Textilien und Haare beziehen. Vereinzelt können auch bei Sachbeschädigungen sogen. Paßstücke — z. B. Bruchstücke von Werkzeugen — oder Kleiderfetzen weiterhelfen. b) Bei Sachbeschädigungen ist im Täterbereich außer auf verschiedenartige Spuren, die vom Tatort oder der betroffenen Sache herrühren, also insbesondere Materialspuren, auf Tatwerkzeuge und -mittel zu achten, die man mit den am Tatort gefundenen Form- oder Materialspuren vergleichen kann. Ist so u. U. ein Zusammenhang zwischen Täter und Tat festzustellen, kann sich der Rechts-

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Sachbeschädigung

brecher, was bei Gewalt keineswegs selten ist, bei seinen Aktivitäten verletzt haben, was ggf. bereits Tatortspuren vermuten läßt. Ebenso wie der Mediziner Spuren am Körper des Rechtsbrechers nutzen kann, vermögen andere Experten das an so beschädigten oder verunreinigten Kleidungsstücken. Sind die kriminaltechnischen Möglichkeiten bei Sachbeschädigungen als relativ vielfältig und günstig zu veranschlagen, ist es selbstverständlich eine Frage der Kriminaltaktik, ob und wann man die z.T. aufwendigen Untersuchungen wirklich einsetzt. Und selbstverständlich lassen sich die Erkenntnisse der Kriminaltechnik auch bei Sachbeschädigungen nicht nur repressiv, sondern ebenfalls präventiv nutzen, wie technische Sicherungen gegen Einbruch oder neuerdings auch gegen Attentate auf Kunstwerke zeigen.

3.

Kriminaltaktik

Kriminaltaktische Probleme bei Sachbeschädigungen sind umfangreicher und vielfältiger, als dies auf den ersten Blick scheinen mag. Versteht man unter kriminaltaktisch richtigem Vorgehen eine technisch, psychologisch und ökonomisch zweckmäßige Arbeitsweise beim Aufklären oder Verhindern von Straftaten, so ist für schlichte Sachbeschädigungen das Kardinalproblem, daß es sich weithin um Bagatellkriminalität handelt. Und bei Begleittaten verliert man den Aspekt der Sachbeschädigung nur zu leicht aus den Augen. Bei Sachbeschädigungen stehen intensiven Ermittlungen außer dem damit verbundenen Personal· und Kostenaufwand auch im Hinblick auf Einsatzmöglichkeiten der Kriminaltechnik oft ökonomische Erwägungen entgegen; solche sind ja auch vom Einbruchdiebstahl, ebenfalls einem Massendelikt, her bekannt. Muß man sich in der Kriminaltaktik bei Begleittaten auf das zur eigentlichen Delinquenz Erarbeitete beziehen, seien doch kurz noch einige für schlichte Sachbeschädigungen hier wichtige Gesichtspunkte aufgezeigt. a) Gewiß muß man hier schon bei der Ausgangslage der Ermittlungen, um kriminalpolitisch unsinnigen Aufwand zu vermeiden, zunächst einmal nach den Erscheinungsformen und nach dem zu vermutenden Gewicht der konkreten Tat differenzieren. Ferner ist den bei den einzelnen Verbrechenstechniken unterschiedlichen Erfolgsaussichten Rechnung zu tragen. Doch ebenso wie die Sachbeschädigung als Begleittat kriminalistisch ein Schlüsseldelikt zur Aufklärung der eigentlichen, gewichtigen Straftat sein kann, sollte man sich auch bei schlichten Taten dieser Art nicht vorschnell vom Pauschalurteil der Bagatelle hinreißen lassen, die kriminalistischen Aufwand nicht lohnt. Es ist deshalb fragwürdig, wenn auch in diesen Fällen meistens nichts Ernsthaftes geschieht. Die für eine hier kriminal-

taktisch notwendige Auswahl überzeugenden Kriterien müssen wohl erst noch erarbeitet werden. Dabei sollte man außer den bereits divergierenden Erscheinungsformen auch die konkret unterschiedliche kriminelle Intensität beachten, die keineswegs immer mit dem eingetretenen Sachschaden identisch ist. Mehr als darauf oder auf das Opfer kommt es ferner auf die im Einzelfall realistisch einzuschätzenden Erfolgschancen an. b) Erscheinen nach allem bei einer schlichten Sachbeschädigung Ermittlungen angezeigt, so versteht sich nach dem Gesagten, daß man in der Intensität derselben ebenfalls differenzieren sollte. Man greift z. B. nicht sofort zu aufwendigen kriminaltechnischen Untersuchungen, wenn Möglichkeiten der Fahndung oder Vernehmung leichter und hinreichend sicher zum Erfolg führen dürften. Ansonsten aber dürften insbesondere die betroffene Sache und der Tatort Ansatzpunkte bieten, die man nicht nur für Sachbeweise, sondern u. U. auch für Vernehmungen und dergleichen nutzen kann. Schwieriger ist die Lage, wenn sich die Sache nicht mehr am Tatort oder beim Opfer befindet, weil dann zuerst nach ihr oder ihren Überresten gefahndet werden muß. Allerdings sollte man auch beim Verdacht einer Sachbeschädigung immer daran denken, daß dieser durch ganz andere Umstände als eine derartige Straftat bewirkt worden sein kann. Außer an durch Tiere, Pannen bzw. Unglücksfälle verursachte Sachschäden ist auch an Selbstbeschädigungen — etwa zum Mißbrauch einer Hausrats- oder Kfz-Versicherung — zu denken. Sind derartige Möglichkeiten nach Lage der Dinge auszuschließen, können die vom Tatort oder -objekt ausgehenden Ermittlungen in manchen Fällen bereits erhebliche Schwierigkeiten bereiten, wenn diese Sachen allgemein zugänglich und keine Anhaltspunkte für etwaige Täter — wie bei Demonstrationen oder Krawallen — auszumachen sind. Und selbst wenn man von einem bestimmten Kreis Tatverdächtiger ausgehen kann, wirkt oft die große Zahl derselben komplizierend; denn auch Zeugen helfen in diesen Fällen gewöhnlich nur begrenzt weiter. Konzentriert sich der Tatverdacht auf bestimmte Personen, bieten sodann Vernehmungen besondere Probleme, sofern man dabei nicht mit handfesten Sachbeweisen oder klaren Zeugenaussagen aufwarten kann. Denn bei mehreren Tätern darf man ebenso wie bei Sympathisanten, die in einer Gruppe oder Menschenmenge Augenzeugen der Tat geworden sind, nicht mit Kooperation, sondern sollte durchweg mit „schlechtem Gedächtnis" oder Lügen rechnen. Man will sich durch Bekunden der Wahrheit nicht selbst hereinreiten oder so unsolidarisch gegenüber den Tätern verhalten, sofern man mit ihnen sympathisiert. Diese Probleme der Aufklärungsarbeit bei Sachbeschädigungen sind selbstverständlich schon bei der oben erwähnten Auswahl zu beachten, wenn-

Sachbeschädigung gleich man nicht schon deshalb die Flinte vorschnell ins Korn werfen sollte. c) Abschließend soll kurz aufgezeigt werden, wie man auch in diesem Bereich aus vertieften kriminalistischen Erkenntnissen Nutzen für die Kriminalprävention ziehen kann. Hier geht es insbesondere um den Objektschutz, wie er neuerdings u. a. bei in Kirchen und Museen verwahrten Kunstwerken praktiziert wird. Außer an derartige, gewiß noch zu verbessernde und vor allem zu erweiternde technische Sicherungen ist auch an dazu geeignete organisatorische Maßnahmen — Kontrollen und dergleichen — zu denken. Die für Sachbeschädigungen sowohl bei Strafjuristen als auch bei Kriminologen und Kriminalisten noch immer weithin zu verzeichnende Abstinenz ist nach allem fehl am Platze. Derartigen Delikten kommt nicht nur z. T. erhebliche kriminelle Intensität zu, sondern sie erscheinen überdies als Prototyp der Gewalt gegen Sachen durchaus geeignet, die diffizilen Probleme der Gewaltkriminalität überzeugender zu erklären. Das aber ist nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für Rechtsanwendung und -entwicklung wichtig, um den Belangen der Gesellschaft besser als bisher gerecht zu werden. (Stand: Februar 1988)

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Materialien Die amtliche Kriminalstatistik, herausgegeben bis 1936 vom Statistischen Reichsamt Berlin und seit 1950 im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden. Die Polizeiliche Kriminalstatistik, seit 1953 herausgegeben vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden. FRIEDRICH

GEERDS

SEE- UND SCHIFFAHRTSKRIMINALITÄT Die See- und Schiffahrtskriminalität schließt alle auf See und anderen schiffbaren Gewässern sowie die an Bord von Schiffen und gegen die See und Schiffahrt begangenen Straftaten ein. Bis vor kurzem hatte sich die Kriminologie nicht mit der Seeund Schiffahrtskriminalität befaßt, sondern sich ausschließlich auf die an Land (oder in der Luft) begangenen Straftaten bezogen. Die Landmassen jedoch bedecken nur ein Drittel der Erdoberfläche. Der zwei Drittel der Erdoberfläche ausmachende, mit Wasser bedeckte Teil der Welt war ein kriminologisches Vakuum. Doch die Geschichte der See- und Schiffahrtskriminalität läßt sich bis auf früheste Kulturvölker zurückverfolgen. Zwischen 1000 und 400 v. Chr. unterhielten die Phönizier weitreichende Seehan-

delsverbindungen mit allen ihnen bekannten Völkern. Dieser Seehandel litt stark durch das Seeräuberunwesen im Mittelmeer, das zum großen Teil von anderen Phöniziern ausgeübt wurde, wobei ihnen einzelne Inseln als Stützpunkte dienten. Während der griechischen Kulturzeit (1110 v.Chr. bis 0) litt der griechische Seehandel stark durch organisierte Seeräuber, wie Homer in der Odyssee berichtet. Erst das attische Seebündnis, durch welches eine unter athenischem Befehl stehende Flotte geschaffen wurde, bereitete diesem Seeräuberunwesen ein Ende (476 v.Chr.). Der römische Seehandel wurde ebenfalls von Piraten im Mittelmeer stark betroffen. Gajus Julius Caesar selbst wurde von Seeräubern im Jahre 81 v. Chr. gefangengenommen und später gegen hohes Lösegeld freigelassen. Er rüstete sodann eine Flotte aus, besiegte diese Seeräuber und ließ sie kreuzigen, wie Suetonius und Plutarch berichten. Doch erst einer von Pompeius ausgerüsteten Flotte gelang es, das Mittelmeer für den ungestörten Seehandel zu sichern. Später waren es die „Nordmänner" oder Wikinger (ein Begriff der dem der „Piraten" gleichgesetzt wurde), welche durch ihre aus leichten Langbooten bestehenden Flotten fast während des ganzen Mittelalters die Küsten und Flüsse Europas unsicher machten. Diese Seekriminalität wurde durch einheimische Seeräuber der nordeuropäischen Völker abgelöst (z.B. Störtebeker), deren Aktionen sich gegen den Handel der Hanse richteten. Es gelang schließlich der hanseatischen Flotte (besonders durch schwere Bewaffnung der Handelsschiffe), mit dieser Welle der Seekriminalität fertig zu werden. Kaum war die „Neue Welt" durch Kolumbus der Alten Welt zugänglich gemacht (1492), als sich Seeräuber (zunächst französischen Ursprungs) in amerikanischen Gewässern zeigten. Schon bei seiner zweiten Amerikareise mußte Kolumbus Seeräubern ausweichen, die sich auf der Insel La Tortue vor Haiti festgesetzt hatten. Für 300 Jahre waren die karibischen Gewässer das Haupttätigkeitsfeld von Seeräubern fast aller Nationen, die hauptsächlich die Absicht verfolgten, spanische Galleonen zu erbeuten, welche, mit geplünderten Schätzen der Mayas, Inkas und Azteken reich beladen, nach Spanien zurückkehrten. Zeitweise gelang es sowohl der spanischen Küstenwacht (Guardia Costa) als auch der englischen und später der U. S.-amerikanischen-Flotte, die Seeräuberei einzudämmen. Doch durch die geschickte Politik der Seeräuber, besonders durch Bestechung des Beamtentums, gelang es vielen der berüchtigsten Piraten, ungeschoren zu bleiben. Einer davon, Lafitte, wurde sogar 1815 zum amerikanischen Nationalhelden, weil er mit seinen Seeräubern dem General (und späteren Präsidenten) Andrew Jackson in der Schlacht von New Orleans (1815) wesentlich geholfen hatte. Die karibischen Piraten, die ausgezeichnete Seeleute waren, dehnten ihre Einflußsphäre im 16. und

See- und Schiffahrtskriminalität 17. Jahrhundert auch auf die afrikanische Ostküste und den Indischen Ozean aus. Von Stützpunkten in Madagaskar aus störten sie sowohl den Handel der arabischen und indischen Flotten als auch die Konvois der holländischen und englischen ostindischen Gesellschaften. Im 19. Jahrhundert florierte das Seeräuberunwesen hauptsächlich in ostasiatischen Gewässern (Chinesen, Indonesier), aber auch an der afrikanischen Mittelmeerküste, wo Schiffe der U. S.-amerikanischen-Flotte die Handelsschiffahrt erfolgreich beschützten und Seeräuberstützpunkte vernichteten. In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts erfuhr die Seekriminalität einen neuen Aufschwung durch die amerikanische Prohibitionsgesetzgebung. Der Alkoholschmuggel, verbunden mit Piraterie von Schmuggelfahrzeugen, stellte größte Anforderungen an die amerikanische Küstenwacht (U. S. Coast Guard), welche in jener Zeit durch Indienststellung von ehemaligen Zerstörern der U. S.-Flotte stark vergrößert wurde. Alle Perioden starker See- und Schiffahrtskriminalität haben gemeinsam: einen regen Seehandel, das Fehlen allgemein anerkannter Gesetze, die Möglichkeit enorm großer Gewinne, die Möglichkeit des leichten Ein- und Aussteigens zwischen ehrbaren Seeleuten und Seeverbrechern, ein bestechliches Beamtentum an Land, das Fehlen einer schlagkräftigen Seepolizei oder Flotte und besonders die Schaffung neuartiger Seefahrzeuge, welche denen des Handels und der Seepolizei überlegen sind. Die gegenwärtige Periode der See- und Schifffahrtskriminalität, welche mit dem Beginn der siebziger Jahre datiert werden kann, unterscheidet sich von allen bisherigen Perioden besonders dadurch, daß sich diese Kriminalität nicht auf die Piraterie beschränkt, sondern sich vielmehr auf fast alle Verbrechensarten — natürlich auch die neuesten, wie Umweltverbrechen — erstreckt. Im folgenden werden wir die folgenden Verbrechensarten behandeln: — — — — — — — — — —

Drogenschmuggel, Schmuggel von Waffen und High-Technologie, Menschenschmuggel, Moderne Seeräuberei, Schiffahrtsbetrug, Terrorismus, Umweltkriminalität, Boots- und Bootszubehördiebstahl, Gemeine Schiffahrtskriminalität, Binnenschiffahrtskriminalität.

1. Der

Drogenschmuggel

Mit wachsendem, wirtschaftlich und sozial bedingtem Drogenmißbrauch in Nordamerika verstärkten sich Narkotikaanbau und -produktion sowohl in Asien (besonders im „goldenen Dreieck"

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von Burma, Laos, Thailand und anderen Nachbarstaaten sowie in der Türkei) als auch in Südamerika (besonders in Kolumbien, Bolivien und Peru, aber auch in Mexiko und Jamaika). Diese Drogen mußten zum größten Teil auf dem Seeweg nach Amerika transportiert werden. Erst im Juni 1973 wurden die amerikanischen Behörden durch Zufall auf den sich anbahnenden Drogenschmuggel auf See aufmerksam, als sie einem Rennboot, dessen Motor ausgefallen war, vor der Küste Floridas zur Hilfe kamen. Die Küstenwacht fand mehrere Zentner Marihuana an Bord, welches dieses Boot von einem „Mutterschiff" auf hoher See übernommen hatte. Die illegale Ladung kam aus Kolumbien. Während der folgenden Jahre konnte der modus operandi der Drogenschmuggler genau festgestellt werden: In Kolumbien geerntetes Marihuana und durch Kolumbien aus Bolivien und Peru geschmuggeltes Heroin wurden auf zwei Weisen nach Florida geschmuggelt: entweder auf Fischereifahrzeugen oder Yachten oder durch größere Küstenfrachter, aus welchen die Ladung außerhalb der Dreimeilenzone auf örtliche Sportboote geladen wurde. Fischereifahrzeuge waren für diesen Schmuggel leicht zu gewinnen, da der Verdienst für eine Schmuggelfahrt das Hundertfache eines gleichlang dauernden Fischfanges einbrachte. Zum Schmuggel benutzte Yachten waren meist gestohlen und wurden nach erfolgreicher Schmuggelfahrt versenkt. D e r Schmuggel wurde von etwa zwölf kolumbianischen „Familien" organisiert. Diese unterhielten ein Netz von Agenten in Amerika, welche den Großhandel besorgten. Diese Familien haben einen bedeutenden Einfluß auf das politische Leben ihres Landes ebenso wie die Drogenplantagenbesitzer von Peru und Bolivien (letztere mit neofaschisticher militärischer Unterstützung), die ihre Produktion mit stillschweigender Genehmigung örtlicher Behörden aufrechterhalten können. Als es der amerikanischen Küstenwacht zu Anfang der achtziger Jahre gelang, die nördlich gelegenen Ausfahrtstraßen der Karibischen See so zu überwachen, daß die Schmuggelfahrzeuge, die die nordamerikanischen Häfen anliefen, immer häufiger abgefangen werden konnten, erwarben die kolumbianischen Drogenexporteure hochseetüchtige Frachter, welche, aus Kolumbien kommend, die südlichen Anfahrtswege von der Karibik in den Atlantik befuhren, um dann ihre Ladung zu den nördlichsten Küsten des amerikanischen Kontinents zu bringen. Dort wurden diese illegalen Ladungen dann wieder auf örtliche Küstenfahrzeuge (Fischerei- und Sportfahrzeuge) zum Transport in die Häfen Neuenglands und Kanadas verladen. Trotz Verstärkung der Küstenwacht, des Zolls und anderer Polizeibehörden unter Einbeziehung der amerikanischen Marine und trotz Beschlagnahme von mehreren tausend seetüchtigen Booten und Schiffen gelingt es den Schmugglern, bis zu neunzig Prozent der Drogen in Amerika an Land zu brin-

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See- und Schiffahrtskriminalität

gen. D r o g e n , die einen Verkaufswert von 120 Milliarden Dollar auf d e r Straße h a b e n , k o m m e n auf diese Weise ins Land. Mit dem Fall des Dollars und d e m steigenden Wert der europäischen W ä h r u n g e n richtet sich der Drogenschmuggel Südamerikas und Asiens immer m e h r nach E u r o p a aus, wo Drogenmißbrauch epidemisch angestiegen ist. A u c h die europäischen Behörden sind noch nicht in der Lage, die Einfuhrwege genau zu bestimmen und die E i n f u h r zu unterbinden. Es fehlt an wohlorganisierter, koordinierter Verbrechensverhütung und -Verfolgung. Auch durch internationale Z u s a m m e n a r b e i t ( U N O , E G ) ist es nicht gelungen, mit dieser A r t der See- und Schiffahrtskriminalität fertig zu w e r d e n .

2. Der Schmuggel von Waffen und High-Technologie D e r Seeschmuggel als solcher ist so alt wie die Gesetze, welche Ein- und A u s f u h r zu regulieren versuchen. Gegenwärtig werden W a f f e n , Munition und High-Technologie (also Spezialcomputeranlagen, elektronische G e r ä t e , Anlagen zur Herstellung von W a f f e n , etc.) als Schmuggelware besonders geschätzt. Einfuhrländer sind besonders Staaten, deren Technologie nicht so perfekt ist wie die der Produktionsländer, aber auch Staaten, in welchen Bürgerkriege geführt w e r d e n . Entgegen den Gesetzen der Produktionsländer werden immer wieder derartige W a r e n exportiert. Z u m Teil geschieht dies durch Fälschung der Transportpapiere, zum Teil durch Transport (und U m t r a n s p o r t ) auf Seeschiffen, welche nicht m e h r im legalen Seehandel konkurrieren können und deshalb auf Schmuggel (von W a f f e n , Drogen oder illegalen Einwanderern) umgestiegen sind. Es hat sich hier ein ganzes Netz des illegalen Seehandels gebildet. Diese Schiffe fahren meist unter der Flagge eines Landes, welches jedem A n t r a g e n d e n das Recht der Flagge preiswert verkauft (Liberia, P a n a m a , Singapur, Griechenland u. a. m.).

3. Der

Menschenschmuggel

Die wirtschaftliche Not in Entwicklungsländern hat zur legalen, aber auch illegalen Einwanderung in entwickelte L ä n d e r geführt. A u s China erreichen illegale Einwanderer H o n g k o n g auf kleinen Frachtbooten, begraben unter einer Fracht von Frucht und G e m ü s e , um dann von dort aus die weitere Reise nach A m e r i k a anzutreten. In Haiti und der Dominikanischen Republik sammeln sich H u n d e r t e von Menschen auf einem kleinen Boot — welches höchstens für den Transport von einem Dutzend Personen geeignet ist — zur F a h r t über die offene See nach Florida o d e r Puerto Rico. Die Schmuggler verlangen Wucherpreise, zwingen ihre Passagiere

meist, vor der Küste ins Wasser zu springen, um an Land zu schwimmen, wobei viele ertrinken. Eine Reihe von Fällen wurde bekannt, in welchen die Schmuggler ihre Fahrzeuge mit ihrer menschlichen Fracht in Brand setzten oder versenkten. In anderen Fällen wurden die illegalen Einwanderer ausgeplündert und auf der anderen Seite der Insel abgesetzt, von welcher sie k a m e n . U n t e r den illegalen Einwanderern befinden sich hauptsächlich Haitianer, Kubaner, Kolumbianer, Dominikaner, Bangladesher, Pakistaner und Chinesen (die auch in England an Land gebracht werden). Die Zahl der über See geschmuggelten und festgenommenen Haitianer allein stieg zwischen 1977 und 1980 von 274 auf über 15000 an, ist aber seitdem aufgrund des Einsatzes der Schiffe der U. S.-Küstenwacht gesunken, welche diese seeuntüchtigen Fahrzeuge von hoher See nach Haiti zurückschleppt.

4. Die moderne

Seeräuberei

Seit d e m Sturz d e r südvietnamesischen Regierung bildete sich eine Flüchtlingswelle aus den dortigen H ä f e n . In kleinsten Fahrzeugen (meist Küstenfischerbooten) haben seitdem über eine Million Flüchtlinge aus Vietnam die Küsten von Nachbarstaaten auf d e m Seeweg erreicht, allerdings unter höchsten G e f a h r e n und Schäden, da sich im Südchinesischen M e e r das Seeräuberunwesen wieder entwickelt hat. Nach Schätzungen und U m f r a g e n seitens der B e a m t e n des U . N . High Commissioners for Refugees wurden zwei Drittel der B o o t e von Piraten angegriffen, oft mehrmals auf der gleichen Reise. Frauen und Mädchen wurden genotzüchtigt, die M ä n n e r e r m o r d e t oder über Bord geworfen. Die Flüchtlingsfahrzeuge wurden oft gerammt oder seeuntüchtig gemacht. Die Piraten sind meist thailändische Hochseefischer, welche ihren Verdienst durch Piraterie vergrößern. U N O - G e n e r a l s e k r e t ä r Waldheim verweigerte Hilfe, da, wie er sagte, „das Problem hauptsächlich von der thailändischen und der malaysischen Regierung gelöst werden m u ß , da die meisten Angriffe in den Hoheitsgewässern dieser Staaten durchgeführt werden". Es ist zwar richtig, d a ß eine Piraterie im Sinne des internationalen Rechts nur außerhalb der Hoheitsgewässer von Staaten ausgeführt werden kann, aber in der Tat finden die meisten Angriffe auf hoher See statt. A b e r ob innerhalb oder außerhalb der Hoheitsgewässer, die Küstenstaaten des Südchinesischen Meers haben keine genügend großen Flotten in ihren Marinen und Küstenwachten, um dieser neuen Welle der Seeräuberei entgegen zu wirken. N u r international organisierte Aktionen konnten erfolgreich sein, wie die letzten Jahre bewiesen haben. Die U S A haben Thailand mehrere Kriegsschiffe zur V e r f ü g u n g gestellt, die bei der P i r a t e n b e k ä m p f u n g erfolgreich mitgewirkt haben.

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See- und Schiffahrtskriminalität Von deutscher Seite wurden die Flüchtlingshilfsschiffe Cap Anamur und Cap Anamur II eingesetzt, welchen es gelang, Seeräuberei zu verhindern und Schiffbrüchige zu retten. Und schließlich hat der U. N. High Commissioner for Refugees durch verschiedene Aktionen, z . B . Ermöglichung der legalen Emigration, dazu beigetragen, daß diese Art der Seeräuberei in Südostasien zurückgegangen ist. Während der gleichen Zeit allerdings lebte die Piraterie auch in anderen Gewässern wieder auf. In der Karibik bemächtigten sich Drogenschmuggler vieler Yachten und Fischereifahrzeuge auf hoher See — unter Verlust von Hunderten von Menschenleben —, um die erbeuteten Fahrzeuge zum Schmuggel zu benutzen. An der afrikanischen Westküste (besonders Lagos), wo jeweils Dutzende von Überseeschiffen, auf Ausladung wartend, vor Anker lagen, ist die Seeräuberei auch wieder in Erscheinung getreten. Hier sind es meist junge Männer, welche aus dem Hinterland an die Ränder der großen Hafenstädte gezogen werden, um dort von der wirtschaftlichen Entwicklung zu profitieren. Aus Enttäuschung haben sie dann Banden gebildet, welche zu Dutzenden auf kleinen Booten — auch motorisierten Einbäumen — die vor Anker liegenden Handelsschiffe angriffen, um Wertsachen zu stehlen oder die Ladung zu plündern. Die unbewaffneten Besatzungen der Handelsschiffe stehen diesen Seeräubern wehrlos gegenüber. Wer sich wehrt, wird erschossen. Sicherungsmaßnahmen auf Handelsschiffen beschränken sich auf den Gebrauch von Wasserkanonen, das Auslaufen auf See zur Nachtzeit, das Schließen aller Schotten und gelegentlich das Anheuern von nicht immer verläßlichen Wachleuten. Der Statistik nach wurden Mitte der achtziger Jahre deutsche Handelsschiffe zahlenmäßig besonders geschädigt. Diese Art der Seeräuberei hat sich unlängst auch auf die afrikanische Ostküste, die südamerikanische Küste (z. B. Santos, Basilien) und auf einige Reeden zentralamerikanischer Häfen ausgedehnt. Besonders piratengefährdet ist die Straße von Malacca (zwischen Malaysia und Sumatra), wo seeräuberische Angriffe ganz ähnlicher Art auf langsam diese enge Straßen durchquerende Schiffe ausgeübt werden.

5. Der

Schiffahrtsbetrug

Im allgemeinen hatte der internationale Seehandel ein gutes Ansehen. Geschäftspartner kannten sich, Reedereien waren gut etabliert und auf die Hauptdokumente konnte man sich verlassen. Hier ist es besonders der Frachtbrief, welcher ausweist, daß die Ladung ordnungsgemäß zum Transport an Bord geladen ist. Nur gegen den Frachtbrief kann die Ladung am Zielort empfangen werden (ähnliche Dokumente garantieren die Qualität der Ladung etc.). Aber in neuester Zeit ist das altehrwür-

dige Vertrauen in diese Dokumente immer mehr untergraben worden, besonders bei Transaktionen mit Entwicklungsländern, welche unerfahren und wehrlos Betrügereien ausgesetzt sind. Mit gefälschten Frachtbriefen, bei deren Ausstellung der Empfänger zahlt, werden Milliardenwerte durch Betrug ergaunert, und zwar entweder dadurch, daß überhaupt kein Schiff des genannten Namens existiert, oder es seeunfähig in der Werft liegt oder andererweise eingesetzt ist oder daß die Ladung nicht existiert, sondern durch Abfall oder Steine ersetzt worden ist. Noch bevor der Betrug entdeckt wird, verschwinden die Betrüger, um unter einem anderen Namen anderswo die Betrügereien fortzusetzen. Was die Lage erschwert, ist die Tatsache, daß es neben den angesehenen großen Reedereien heute eine Vielzahl von kleinen Unternehmen gibt, welche die Frachtkosten der großen Reedereien unterbieten, weil sie kleinere, ältere, abgenutzte Schiffe benutzen, welche meist unter einer "flag of convenience" segeln. Die zweite Art des Seefahrtbetrugs bezieht sich hauptsächlich auf die Fahrzeuge dieser unverläßlichen Unternehmen — aber nicht nur auf diese. Hier handelt es sich um "hull insurance fraud", also Versicherungsbetrug bezüglich des Schiffes selbst. Mit der Entwicklung des Containerfrachtwesens, das die Frachtkosten verbilligte und Diebstähle aus Einzelladungen verhinderte, mußten die Reedereien zehnfach größere Frachtschiffe bauen. Dadurch wurden die alten, kleinen Schiffe unrentabel. Sie fanden ihren Weg in den Drogenschmuggel, den Menschenschmuggel und den Waffen- oder HiTech-Schmuggel — oder auf dem Grund der Meere. In den 70er und 80er Jahren dieses Jahrhunderts verschwand fast wöchentlich eines dieser Schiffe, meist als verloren auf hoher See gemeldet. Aber entweder hatte das Schiff ganz einfach seine Identität und Flagge gewechselt, oder es war auf See versenkt worden. In beiden Fällen verlangten die Versicherten von ihrer Versicherung nicht nur den Wert des Schiffes, sondern auch den der — meist nicht existenten — Ladung. Nachforschungen seitens der Versicherungsgesellschaften werden dadurch erschwert, daß der Beweis auf dem Grunde des Meeres liegt, daß Kapitän und Besatzung aus den verschiedensten Ländern stammen, daß das Schiff seine Flagge oft geändert hat und daß alle Beteiligten in den verschiedensten Ländern der Welt seßhaft (oder auch nicht seßhaft) sind. Das International Maritime Bureau der Internationalen Handelskammer hat sich in letzter Zeit besondere Verdienste erworben bei der Lösung vieler dieser mysteriösen Schiffahrtsbetrugsfälle, welche sich übrigens auch auf Tankschiffe ausgedehnt haben.

6. Der

Terrorismus

Mit dem Ansteigen des Terrorismus an Land und in der Luft hat sich auch ein maritimer Terrorismus

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See- und Schiffahrtskriminalität

entwickelt. Der erste bedeutende Fall dieser Art geschah im Januar 1961, als der portugiesische Freischärler Kapitän Galvao mit über siebzig Komplizen die Mannschaft des portugiesischen Passagierschiffes „Santa Maria" in der Karibik überwältigte und die Passagiere und Besatzung als Geiseln nahm. Über eine Woche gelang es Kapitän Galvao, den Kriegsmarinen mehrerer Staaten zu entkommen. Schließlich gestellt, drohte er, Schiff und Menschen zu versenken. Nachdem er den maximalen Publizitätswert seiner Aktion erreicht hatte, ließ sich Kapitän Galvao in Brasilien internieren. Fast haargenau wurde Kapitän Galvaos Tat im Jahre 1985 durch palästinensische Terroristen wiederholt, nämlich auf dem italienischen Passagierschiff „Santa Maria" auf der Reede von Alexandria. Auch hier kam es den Terroristen hauptsächlich auf den Publizitätswert an. Im ganzen sind zwischen 1961 und 1989 vierzehn größere terroristische Aktionen gegen größere Passagierschiffe ausgeübt oder versucht worden. Diese Angriffe wurden sowohl von linksradikalen als auch von rechtsradikalen Gruppen ausgeführt einschließlich palästinensischer, japanischer, irischer und exilkubanischer Gruppen. Inzwischen hat die Passagierschiffahrtsindustrie stark auf diesen Terrorismus reagiert, ihre Kreuzfahrten in sichere Gewässer verlegt und Sicherheitsmaßnahmen eingeführt. Der maritime Terrorismus hat sich auch gegen Tankschiffe, Marinefahrzeuge und stationäre Ziele (wie Bohrinseln) gerichtet. Besonders gefährdet sind die großen Kanäle der Welt. Die Marinebehörden vieler Länder haben sich unlängst stark mit Terrorismus-Abwehrmaßnahmen beschäftigt. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch der staatliche Terrorismus. Libyen steht unter dem Verdacht, am Ausgang des Suezkanals im Roten Meer Minen ausgelegt zu haben, welchen 19 Schiffe zum Opfer gefallen sind. Desgleichen ist die amerikanische Counterintelligence Agency beschuldigt worden, das Auslegen von Minen vor der Küste Nicaraguas bewerkstelligt zu haben. Die französische Regierung hat sich dazu bekannt, das Schiff „Rainbow Warrior" der Umweltschutzorganisation Greenpeace in Neuseeland versenkt zu haben.

7. Die

Umweltkriminalität

Mit dem steigenden Bewußtsein, daß die Reinheit der Meere für das Überleben der Menschheit unentbehrlich ist, wuchs ein Netz internationaler Abmachungen und nationaler Gesetze, welche die Verunreinigung aller Gewässer und der Meere zu verhindern versuchen. Diese schließen nicht nur das Verbot ein, Chemikalien — besonders nuklearen Abfall — in Gewässern zu versenken, sondern auch den Schutz von Fischen und Seetieren gegen Ausrottung. Noch verläßt sich diese Gesetzgebung hauptsächlich auf nationale Verhütungsmaßnah-

men. Doch auch auf internationaler Ebene haben sich Staaten zusammengeschlossen, um gemeinsam diese Meeresumweltkriminalität zu verhüten und die Meereslebensmittelversorgung zu garantieren. Schiffe vieler Nationen beteiligen sich an dieser Aufgabe, aber an einer internationalen (UNO) Meerespolizeibehörde mangelt es noch. Doch private Initiativen wie die von Greenpeace sind gerade auf diesem Gebiet erfolgreich in Erscheinung getreten.

8. Der Boots- und

Bootszubehördiebstahl

Mit Ausbreitung des Wassersports und den stark angestiegenen Zahlen von Sportfahrzeugen ist auch die Bootsdiebstahlsrate stark gestiegen. Das 1970 eingerichtete U. S.-nationale Bootsdiebstahlsregister führte für das erste Jahr 881 gestohlene und nicht geborgene Yachten und Sportboote auf. Zehn Jahre später waren es bereits über 21000 und am Ende von 1987 stand die Zahl bei über 28000. Ähnlich stieg die Anzahl von Nachfragen beim National Crime Information Center in Washington, nämlich von über 4000 im Jahre 1970 auf über 300000 im Jahre 1981. Eine ähnliche Entwicklung, doch nicht gleichen Ausmaßes, ist in der Bundesrepublik Deutschland und in England zu verzeichnen. Die Zahl der Bootsdiebstähle steigt proportional mit der Zahl der Bootseigentümer. Damit geht aber Hand in Hand eine ebenso angestiegene Fertigkeit unter der Bevölkerung, mit Booten und Motoren umzugehen. Ähnliche Beobachtungen konnten durch Jerome Hall bereits für den Automobildiebstahl in den USA während der zwanziger Jahre gemacht werden. Während ein kleiner Teil der gestohlenen Boote, besonders größere Yachten und Schnellboote, zum Zwecke des Drogenschmuggels gebraucht werden, handelt es sich bei den meisten Diebstählen um normale Eigentumsdelikte. Größere Yachten werden oft Tausende von Meilen — meist in warme Zonen — transportiert, kleinere Boote bleiben meist in der Nähe des Tatortes, werden aber zum Teil auch auf Anhängern weit über Land gefahren. Was die Aufklärung erschwert, ist die Typisierung der Boote, welche wie Automobile serienmäßig gebaut werden und voneinander kaum zu unterscheiden sind oder durch kleinere Änderungen fast völlig der Entdeckung entzogen werden können. Amerikanische Gesetze haben unlängst die Registrierung von Wasserfahrzeugen verbessert und schreiben das permanente Einmeißeln von offenen und verborgenen Registrierungsnummern vor. Der Erfolg dieser Maßnahmen steht noch aus. Die Aufklärungsrate liegt noch unter dreißig Prozent. Ähnlich wie die Zahl der Bootsdiebstähle ist auch die Zahl der Zubehördiebstähle in den siebziger und achtziger Jahren angestiegen. Eine Untersuchung in New York zeigte, daß 36 Prozent der

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See- und Schiffahrtskriminalität innerhalb des Stadtgebietes liegenden Sportboote innerhalb von fünf Jahren von Dieben heimgesucht wurden. Bei den Tätern handelt es sich meist um Amateure, die die gestohlenen Objekte selbst benutzen möchten, aber auch um organisierte Banden, welche ihre Beute im illegalen Groß- und Einzelhandel verkaufen oder aber in Containern zum Verkauf in Entwicklungsländer transportieren — wie das besonders von der niederländischen Wasserschutzpolizei festgestellt werden konnte. Besonders gefragt sind Außenbordmotoren, aber auch elektronische Anlagen, Radios und Navigationsgeräte. Die ansteigende Zahl der Boots- und Zubehördiebstähle hat eine neue Großindustrie hervorgebracht, welche Sicherungsanlagen aller Art im Werte von vielen Millionen Dollar produziert.

9. Die gemeine

Schiffahrtskriminalität

Wie bereits Hans von Hentig bemerkte, bringt das Leben an Bord eines Seeschiffes besondere Gefahren mit sich, die sich auch an der Kriminalität bemerkbar machen. In Zeiten der langen, langsamen, beschwerlichen Reisen auf Segelschiffen waren die Nerven der auf engstem Raum lebenden Besatzungen oft gereizt. Die Seeleute waren meist ein bunt zusammengewürfeltes Volk, oft durch harte Disziplin des Kapitäns im Zaum gehalten und dadurch noch mehr gereizt. Es kam oft zu Handgreiflichkeiten und Morden, und auch mit Meuterei war zu rechnen. Diese Lage hat sich in den letzten Jahrzehnten geändert. Auf den hochseetüchtigen Großschiffen findet man Berufsseeleute, die in der Elektronik ausgebildet sind. Sie leben in angenehmen Kabinen, haben Unterhaltung an Bord. Das Bordtelefon verbindet mit jedem Ort der Erde. Schwimmbäder für die Besatzung sind keine Seltenheit mehr. Offiziere haben oft ihre Ehefrauen an Bord. Die Reisen sind sehr viel kürzer. Das Leben an Bord ähnelt dem Leben an Land, und die Kriminalität an Bord scheint bedeutend geringer zu sein als die an Land. Doch noch immer ist die Zahl der fahrlässigen Delikte bedeutend, und in fast jedem Einzelfall ist der Schaden sehr viel größer als in früheren Zeiten. Ein Navigationsfehler kann zum Verlust von Hunderten von Menschenleben führen. Der Verlust eines Großtankers — wie der der Esso Valdez — kann Hunderte von Kilometern Küste und Küstengewässer verderben. Obwohl also die Zahl der durch kriminelle Fahrlässigkeit verursachten Schiffahrtsunfälle unzweifelhaft durch moderne Navigationsanlagen gesunken ist, sind die verbleibenden Fälle viel schwerwiegender als zu Zeiten der Kleinschiffahrt.

10. Die

Binnenschiffahrtskriminalität

Neueste Untersuchungen haben ergeben, daß die Binnenschiffahrtskriminalität im Gegensatz zur Hochseekriminalität in den letzten Jahrzehnten gesunken ist. Die Binnenschiffahrtsindustrie ist sehr professionell geworden, ist sehr gut organisiert und arbeitet heute mit modernen und größeren Fahrzeugen innerhalb eines Systems von Großreedereien. Doch auch Fahrzeuge, die von Familien betrieben werden, sind noch aufzufinden. Die Schiffahrtspolizeibehörden in NordrheinWestfalen und den Niederlanden zeigen nur wenige Fälle von Morden, Körperverletzungen und Diebstählen auf. Am häufigsten sind noch Fälle, in welchen ein geringfügiger Teil einer Flüssigladung abgezapft und auf den illegalen Markt gebracht wird. Diese Angaben über die Binnenschiffahrtskriminalität sind allerdings nur vorläufiger Natur, da sie nur auf Beobachtungen in zwei Gebieten beruhen, die Schiffahrtskriminalität oft keine eigenen, die Dienststelle betreffenden Statistiken unterhalten und keine dieser Behörden über Forschungsstellen verfügt.

11. Zusammenfassung: Eine maritime Kriminologie Trotz der steigenden Zahl der Kriminologen, welche sich nun unter anderem auch mit Fragen der See- und Schiffahrtskriminalität befassen, ist es verfrüht, von einer eigenen maritimen Kriminologie zu sprechen. Dennoch, die Anfänge dazu sind da. Die Zahl der wissenschaftlichen Werke zu diesem Thema ist Mitte der achtziger Jahre angestiegen. In Amerika fand die erste nationale Tagung zum Gesamtproblem der See- und Schiffahrtskriminalität im Jahre 1986 statt, und einzelne Problemkreise, besonders der maritime Terrorismus, der Schifffahrtsbetrug und die Piraterie, wurden unlängst auf mehreren Tagungen in Nordamerika und Europa behandelt. Im Jahre 1986 veranstaltete die American Society of Criminology auch zum erstenmal eine Sitzung zum Thema See- und Schiffahrtskriminalität. An der Rutgers University (U. S. A.) existiert ein Seminar über See- und Schiffahrtskriminalität, in welchem die theoretischen Grundlagen dieser Kriminalität erarbeitet werden. Auch an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ist das Thema bereits behandelt worden. Zum ersten Male fand dieses Problem auch in einem großen Lehrbuch der Kriminologie Beachtung (Schneider), und in Antwerpen wurde die erste Dissertation zu diesem Thema vorgelegt. Mit dem starken Ansteigen der Hochseekriminalität steigt auch das Interesse, durch kriminologische Forschung zur Lösung dieses Problems beizutragen.

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Krawalle Monographien und

Sammelwerke

P. B o u l a n g e r : La Piraterie et le Terrorisme Maritimes a L ' A u b e du xxie Siecle. Dissertation, Antwerpen 3 B d e . , 1986. E . E l l e n und D. C a m p b e l l : International Maritime Fraud. London 1981. K. G r ö n f o r s (Ed.): Martime Fraud. Gothenburg 1983. H . v. H e n t i g : Der Schiffsmord und neun andere Verbrechensstudien, Hamburg 1962. G . O . W . M u e l l e r und F. A d l e r : Outlaws of the Ocean: T h e Complete Book of Contemporary Crime on the High Seas. New York 1985. Β. A . H. P a r r i t (Ed.): Violence at Sea, Paris 1986. H. J. S c h n e i d e r : Kriminologie, Berlin 1987. R. V i 11 a r : Piracy Today - Robery and Violence at Sea Since 1980, London 1985.

Z e i t s c h r i f t e n - und

Sammelwerkaufsätze

G . Ο . W. M u e l l e r : Binncnschiffahrtskriminalität in Nordwestdeutschland und den Niederlanden. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform. 73.Jg. (1990), 1 0 5 - 1 1 6 . G . O . W . M u e l l e r und F. A d l e r : Maritime Terrorism: An Old Problem with a Deadly New Twist, in: T h e Professional Mariner, 1986, I (I), 1 6 - 2 1 . G. O . W . Μ u e 11 e r und F. A d l e r : The New Wave of Crime at Sea, in: The World and I, February 1986, 9 6 - 1 0 0 . G . O . W . M u e l l e r und F. A d l e r : Terrorism at Sea: Passenger Ship Targets, in: Violence-Aggression-Terrorism: An Interdisciplinary International Forum, 1988, 2: 327—342. W. S i s s o n : Researchers See 36 Percent Crime Rate for City Boats, in: Soundings, Sec. II (July 1983), 3.

Arbeitsmaterialien U N C T A D : Maritime Fraud: A Concrete Analysis, in: International Criminal Police Review, 1986, 400: 188—194; sowie verschiedene interne Dokumente der United Nations Conference on Trade and Development ( U N C T A D ) . GERHARD

O. W. M U E L L E R FREDA ADLER

KRAWALLE Α. Begriff des Krawalls und Schwierigkeiten seiner Erforschung 1. Begriff

„Krawall"

Krawalle ereignen sich mitunter in Verbindung mit Demonstrationen, mitunter im Zusammenhang mit anderen Ereignissen. Sie dürfen nicht mit Demonstrationen verwechselt werden. Eine Demonstration ist eine friedliche Versammlung, auf die die Bürger in einer rechtsstaatlichen Demokratie ein verfassungsmäßiges Recht haben, und ein kollektiver Protest, der auf sozialstrukturelle Mängel aufmerksam machen will und damit Krawallen geradezu vorbeugt. Ein Krawall besitzt folgende Merkmale (Denis Binder 1983): Es handelt sich zunächst um eine rechtswidrige Ansammlung von Personen. Die Menschenmenge muß aus drei oder mehr Menschen bestehen. Sie führt gemeinsame, konzertierte Aktionen mit Arbeits- und Rollenverteilung durch.

Sie wendet Gewalt an. Sie wirft ζ. B. Pflastersteine auf Polizisten, zerstört Schaufensterscheiben, plündert Geschäfte, stürzt Autos um und setzt sie in Brand, errichtet Barrikaden. Ob ein Krawall vorliegt, wird von der Gesellschaft beurteilt, wobei die soziale Reaktion mitunter selbst zum Problem wird. Denn Krawalle beurteilt man als „sinnlos"; man begegnet ihnen mit Unverständnis. Die Teilnehmer an Krawallen wenden Gewalt an. Der Begriff der Gewalt wird durch folgende Merkmale (Albert Bandura 1979, 16—25) umschrieben: Sie besteht in einem Verhalten, einer nach außen beobachtbaren Aktivität des Organismus. Sie ruft einen Opferschaden hervor, einen psychischen, physischen und sozialen Personenschaden und (oder) eine Zerstörung von Sachen. Sie wird mit Schädigungsabsicht begangen. Diese Absicht braucht allerdings nicht das ausschließliche Ziel des Handelnden zu sein. Ob Gewalt illegal angewendet wird, bestimmt sich sozial durch Gesetzgebung, -anwendung und Verhaltensnormen, indem Merkmale des Verhaltens des Handelnden, des Opfers und des Beurteilenden herangezogen werden.

2. Schwierigkeiten von

bei der Erforschung Krawallen

Krawalle entstehen in einem unregelmäßigen Zyklus. Sie sind nicht selten, aber auch nicht alltäglich. Sie häufen sich mitunter zeitlich und räumlich. Sie treten plötzlich und scheinbar spontan auf und verschwinden ebenso plötzlich wieder. Dieses unregelmäßige Auftreten und Verschwinden behindert ihre systematische empirische Erforschung wesentlich. Man kann nicht auf die Entstehung eines Krawalls warten, um ihn mit Methoden der empirischen Sozialforschung zu beobachten. Eine mittelbare Erhebung durch Befragung der unmittelbar Beteiligten ist nicht unproblematisch, weil in der Krawallsituation und danach Affekte der Beteiligten im Hinblick auf den Krawall eine große Rolle spielen. Krawalle sind zumeist von Menschen beschrieben worden, die zufällig am Ort der Handlung zugegen, aber in den Methoden der empirischen Sozialforschung nicht ausgebildet waren. Krawalle laufen zwar — rein äußerlich betrachtet — einigermaßen regelmäßig ab; jeder Krawall ist freilich in seinem auslösenden Ereignis und in seiner sozialstrukturellen Ursache einzigartig und unverwechselbar. Sie lassen sich kriminologisch deshalb schwer beurteilen, weil sie auch bei den nicht unmittelbar Beteiligten emotional besetzt sind und leicht Empfindlichkeiten berühren. Zwischen der Erforschung und Kontrollvorbereitung und der Entstehung von Krawallen scheint eine Wechselwirkung zu bestehen. Wenn man sie nämlich nicht empirisch erforscht und wenn man keine Vorbeugungs- und Kontrollmaßnahmen ge-

Krawalle gen ihre Verursachung ergreift, begünstigt man ihre Entstehung. Kommen sie nicht vor und sieht man ihre mögliche Entstehung nicht voraus, trifft ein plötzlich hervorgerufener Krawall die Kontrollinstanzen unvorbereitet. Die australische Anti-Gewalt-Kommission, die der australischen Bundesregierung und den australischen Staatsregierungen Sachverständigen-Empfehlungen gegen die Verursachung aller Gewaltphänomene geben sollte, nimmt in ihrem Bericht (National Committee on Violence 1990, 50) zur Frage der Krawalle mit der Begründung keine Stellung, sie seien in Australien seit dem Ende des 2. Weltkriegs kaum vorgekommen. Man muß sich auf ihre mögliche Entstehung selbst dann vorbereiten, wenn sie sich jahrzehntelang nicht ereignet haben. Freilich darf man sich bei der Vorbereitung nicht allein auf repressive Maßnahmen verlassen. Nach den Rassen- und Studentenkrawallen der 60er Jahre verschwand die Kollektivgewalt in den USA in den 70er und 80er Jahren — abgesehen von einem kurzen Aufflackern zu Beginn der 80er Jahre — fast vollständig. Man führt dieses Verschwinden auf die Vorbereitung von Kontrollmaßnahmen zurück (Sandra J. BallRokeach, James F. Short, Jr. 1985). Die Polizei stellte Einsatzpläne auf; sie trainierte das konzertierte Verhalten im Team; sie rüstete sich mit Wasserwerfern und Hubschraubern aus. Gleichwohl verdrängte man aufgrund des gleichzeitigen Unterlassens sozialstruktureller Vorbeugungsmaßnahmen die kollektive Gewaltanwendung lediglich. Denn der Protest durch individuelle Gewaltanwendung nahm zu und trat an ihre Stelle (BallRokeach, Short 1985).

B. Erscheinungsformen von Krawallen 1. Variationsbreite

anhand

von

Beispielen

Krawalle kommen epidemieartig vor; sie ereignen sich zu sehr unterschiedlichen Anlässen und aus äußerst verschiedenartigen sozialstrukturellen Gründen. Allein in den Monaten Januar, Februar und März 1990 kam es beispielsweise zu folgenden Krawallen: Am 16. Januar 1990 stürmten etwa zweitausend Personen zwei Gebäude des früheren Staatssicherheitsdienstes der Deutschen Demokratischen Republik in Ost-Berlin; man wollte ursprünglich gegen die schleppende Auflösung des Amtes für Staatssicherheit friedlich protestieren. Am 23. Februar 1990 kam es am Rande einer AntiOpernball-Demonstration in Wien zu Schlägereien zwischen Skin-Heads und etwa ein- bis zweihundert vermummten Autonomen. Als die Polizei versuchte, die beiden feindlichen Gruppen zu trennen, entwickelte sich ein Krawall: Steine wurden geworfen und Fenster eingeschlagen. Zu dem nun entstehenden wilden Chaos trugen sich widersprechende Einsatzbefehle der Polizeiführung nicht unerheb-

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lich bei. Unbeteiligte Passanten wurden in Mitleidenschaft gezogen. Ebenfalls am Rande einer friedlichen Großkundgebung „Schluß mit dem Schnüffelstaat" auf dem Berner Bundesplatz am 3. März 1990 mit etwa 35 000 Teilnehmern randalierten etwa zweihundert zumeist schwarz gekleidete und zum Teil vermummte Personen. Sie versuchten, den Sitz der Bundespolizei zu stürmen, und verübten einen Brandanschlag auf die Volks- und Kantonalbank. Seit dem 5. März 1990 kam es in Großbritannien fast täglich über mehrere Wochen hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und aufgebrachten Bürgern, die sich gegen den Beschluß der Regierung zur Einführung einer ProKopf-Gemeindesteuer wendeten. Schließlich entstand ein Krawall anläßlich der Amtseinführung des neuen chilenischen Präsidenten Patricio Aylwin am 11. März 1990. Er war gegen die Polizei gerichtet, die während der zu Ende gegangenen Militärdiktatur von General Augusto Pinochet von ihrer Macht extensiv und zum Teil willkürlich Gebrauch gemacht hatte. Diese Beispiele zeigen, daß Krawalle bisweilen im Zusammenhang mit Demonstrationen, aber auch aus anderen Anlässen entstehen. Demonstrationen kippen mitunter in Gewalttätigkeiten um; sie werden freilich nicht selten auch zum leichten Untertauchen in der Menge bei polizeilichen Ermittlungen nach Krawallmachern genutzt. Der Krawall wird nicht selten der friedlichen Demonstration zugeschrieben. Während Großdemonstrationen in Brokdorf und Wackersdorf gegen Atomkraft und Umweltzerstörung kam es — besonders im Jahre 1986 — zu Krawallen; im Jahre 1987 ereigneten sich Krawalle am Frankfurter Flughafen anläßlich Demonstrationen gegen vermehrten Fluglärm durch den Bau der Startbahn West. Nach der Demonstrationsstatistik der Bundesrepublik Deutschland verlaufen freilich die meisten Demonstrationen friedlich. Der Anteil der unfriedlich verlaufenen Demonstrationen an allen Demonstrationen belief sich durchschnittlich in den Jahren 1977 bis 1981 auf 5,5 % pro Jahr und in den Jahren 1983 bis 1988 auf 3,2% pro Jahr (Hans-Dieter Schwind, Jürgen Baumann, Ursula Schneider, Manfred Winter 1990, 59). Die Polizei berichtet allerdings über eine zunehmende Brutalisierung des Demonstrationsgeschehens. Die Instrumente der Gewaltanwendung sind vielfältiger und gefährlicher geworden. Es gibt eine große Vielfalt von Krawallen. Durch ein kriminelles staatliches System geduldete oder sogar angeordnete Krawalle soll ein soziales Gewaltpotential auf eine gesellschaftliche Minderheit gerichtet und an dieser Minderheit abreagiert werden. Dieses Gewaltpotential ist meist durch sozialstrukturelle Mängel entstanden, die die kriminelle Regierung selbst verursacht hatte oder die zu beheben sie unfähig war. Ein Beispiel für solche Krawalle sind die Judenpogrome der sogenannten Reichskristallnacht vom 9. zum 10. November 1938. Jüdi-

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Krawalle

sehe Synagogen und Geschäfte wurden demoliert und viele jüdische Mitbürger geschlagen oder sogar ermordet. Solche staatlich hervorgerufenen oder geduldeten Krawalle sind von den im folgenden zu erörternden Krawallen in vielen Gesichtspunkten so unterschiedlich, daß sie gesonderter Diskussion bedürfen (—» Politische Kriminalität). Mit den folgenden Erscheinungsformen von Krawallen wenden sich soziale Minderheiten gegen Benachteiligungen, die durch sozialstrukturelle Mängel verursacht worden sind. Die Rassenkrawalle (z. B. in Watts/Los Angeles 1965, in Newark und Detroit 1967, in Soveto/Johannesburg in den 70er und 80er Jahren und in Großbritannien während der ersten Hälfte der 80er Jahre) richten sich gegen Rassendiskriminierung und sozioökonomische Benachteiligung. Die Studentenkrawalle (z.B. Berkeley 1963 und Kent State Universität Mai 1970) hatten die Beendigung des Vietnamkrieges und die Demokratisierung der Universität zum Ziel. Für die Entstehung von Jugendkrawallen (z. B. der sogenannten Halbstarkenkrawalle in den 50er Jahren im Anschluß an Rock 'n' Roll Konzerte (Günther Kaiser 1959), des Jugendkrawalls in Zürich im Jahre 1980 aus Anlaß der beabsichtigten Schließung eines Jugendzentrums) wird häufig die Jugendidentitätskrise, die Rollenunsicherheit und -frustration während der Jugendzeit, verantwortlich gemacht. Krawalle, die im Zusammenhang mit Hausbesetzungen und -räumungen begangen werden (z. B. in WestBerlin, in Hamburg/Hafenstraße in den 80er Jahren, zuletzt in Amsterdam Ende November 1989), ereignen sich nach Angaben von Teilnehmern an den Krawallen, um auf das Fehlen preiswerten Wohnraums und auf problematische Stadtsanierungsmaßnahmen aufmerksam zu machen, um der Grundstücksspekulation entgegenzutreten und um Raum für alternative Lebensformen zu schaffen. Besuche ausländischer Staatsmänner (z.B. des Schah von Persien Resa Pahlawi in West-Berlin am 2. Juni 1967; des damaligen Vizepräsidenten der USA George Bush in Krefeld am 25. Juni 1983) werden häufig wegen ihrer hohen sozialen Sichtbarkeit zu Anlässen für Krawalle genommen. Krawalle entstehen auch bei anderen außergewöhnlichen Ereignissen. So kam es aus Anlaß eines Stromausfalls in New York City im Jahre 1977 (Robert Curvin, Bruce Porter 1979) zunächst unter dem Schutz der Dunkelheit zu Plünderungen, danach zu Zerstörungen und Krawallen. Strafanstaltskrawalle (Robert B. McKay 1983), ζ. Β. Attica/New York im September 1971, Strangeways in Manchester im April 1990, ereignen sich häufig dann, wenn die Gefängnisleitung entweder zu viel repressive Kontrolle ausübt oder zu viel Freiraum gewährt (exzessive Permissivität) oder wenn die Lebensbedingungen in einer Strafanstalt unerträglich sind. Krawalle bei Sportereignissen (z.B. Fußballkrawall im HeyselStadion (Hans Joachim Schneider 1987, 638 - 641) in Brüssel am 29. Mai 1985) werden meist dadurch

hervorgerufen, daß das sportliche Spiel zum gnadenlosen Streit über Symbole wird und daß das Anschauen von Gewalt unter Spielern die Gewaltneigung der Zuschauer steigert. In sozial desorganisierten Gebieten (z.B. in Berlin-Kreuzberg) wiederholen sich deshalb immer wieder Krawalle (ζ. B. am l . M a i 1987 bis 1990 im Anschluß an Kiezfeste und an Maidemonstrationen), weil in solchen Bezirken aufgrund eines hohen Ausländeranteils, einer hohen Bevölkerungsdichte, niedriger Einkommen (einer hohen Arbeitslosigkeit, einer starken Abhängigkeit von Sozialhilfe) und aufgrund des Verfalls der Baustruktur die zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der Gemeinschaften zerstört werden und weil sich aggressives Verhalten in einer Subkultur der Gewalt am Modell einlernt.

2. Zwei Typologien von Krawallen In der historischen Entwicklung unterscheidet man drei Formen kollektiver Gewalt (Charles Tilly 1979). Primitive kollektive Gewalt (z.B. Fehden, Lynch-Mob-Gewalt) richtet eine kleine Gruppe gegen eine andere kleine Gruppe. Mit reaktiver kollektiver Gewalt (z.B. mit Krawallen gegen Nahrungsmittelverteilung und -preise und mit Aufständen gegen Steuereintreiber, gegen Kriegsdienst, gegen die Mechanisierung der Landwirtschaft oder gegen die Manufaktur) wendet man sich gegen Machthaber, gegen ein System. Die moderne kollektive Gewalt ist schließlich gekennzeichnet durch eine Erhöhung der Durchschnittszahl der an Krawallen Beteiligten und durch gut definierte Operationsziele. Heutige Krawalle werden in vier Gruppen (Idealtypen) eingeteilt (Graeme Newman 1979, 183): Instrumentelle Krawalle sind rational geplant, dienen als Mittel zu einem bestimmten Zweck und besitzen eine sozialstrukturelle Ursache. Expressive Krawalle sind ausdrucksbetont; sie bringen Gefühle und Einstellungen zum Ausdruck. Ein Krawall des Ubergangstyps wird sowohl instrumentell-expressiv wie grundlos verübt. Grundlose Krawalle (Issueless Riots) (Gary Τ. Marx 1972) besitzen schließlich keinerlei sozialstrukturelle Ursachen.

C. Ursachen von Krawallen 1. Geschichte ihrer Erforschung Mit der Erforschung der Kollektivgewalt hat man um die Jahrhundertwende begonnen. Die heutigen Theorien und empirischen wie experimentellen Untersuchungen der Kollektivgewalt haben eine psychologische und eine soziologische Wurzel. Die historische psychologische Betrachtungsweise ist charakterisiert durch die Unterstreichung der Homogenität und Irrationalität der Massenbildung und

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Krawalle durch die Bewertung der Masse als minderwertig. Nach Gustave LeBon (1895) ist die Masse gestaltlos, amorph. In Krawallen wirkt sich ein Herdeninstinkt aus; sie bilden sich auf der Grundlage einer Regression auf einen tierischen, frühmenschlichen Zustand. In der Krawallsituation entsteht eine Massenseele (eine Kollektivseele), die sich in erhöhter Beeinflußbarkeit der Masse, in Gefühlsansteckung und in einer Verminderung der Verantwortlichkeit des Individuums auswirkt. Sigmund Freud (1921) hat — auf dieser Lehre aufbauend — die psychoanalytischen Begründungen nachgeliefert: Die Unverantwortlichkeit und Beeinflußbarkeit der Masse während des Krawalls gründen sich auf die Vorherrschaft des Unbewußten in der Massensituation. Individuelle Hemmungen fallen weg; grausame, destruktive Instinkte brechen hervor. Beim Aufgehen in der Masse werden Triebe frei befriedigt; die Affektivität ist gesteigert, die intellektuelle Leistung eingeschränkt. Die Massenseele bildet sich beim Krawall dadurch, daß die Teilnehmer den Führer, das Massenideal, an die Stelle ihres eigenen Ich-Ideals setzen und sich mit dem Massenideal und miteinander identifizieren. Karl Jaspers (1931) sprach von der Impulsivität, Suggestibilität, Intoleranz, dem Wankelmut des Massenmenschen, von der Minderwertigkeit der vielen, des Durchschnitts. Für David Riesman (1950) sind „außengeleitete Menschen", die autoritär erzogen worden sind, besonders geneigt, in der Masse aufzugehen. Die historische soziologische Betrachtungsweise betont die Rationalität und Heterogenität der Massenbildung. Kollektivgewalt ist verständlich, zumindest aus der Perspektive der Krawall-Teilnehmer rational. Kollektiver Protest besitzt eine historische Funktion; er ist ein Instrument gesellschaftlicher Veränderung. Die Grundlage zu dieser Betrachtungsweise hat der nordamerikanische Soziologe Robert Park in seiner Heidelberger Dissertation „Masse und Publikum" aus dem Jahre 1903 gelegt. Die empirische Erforschung begann mit der Untersuchung des Rassenkrawalls in Chikago im Jahre 1919 (Morris Janowitz 1979, 262). Noch vor dem Beginn der weitausgedehnten Studenten- und Rassenkrawalle in den Vereinigten Staaten entwickelte Neil J. Smelser im Jahre 1962 seine „Theorie kollektiven Verhaltens". Er stellte ein Modell einer typischen Abfolge eines Krawalls auf: Vielen Krawallen liegt eine strukturelle Anfälligkeit und eine strukturelle Spannung zugrunde. Eine „verallgemeinernde Vorstellung" entsteht und breitet sich aus. Unter seinem zentralen Definitionsmerkmal „verallgemeinernde Vorstellung" versteht Smelser einen Prozeß des Kurzschließens, der ideologischen Indoktrination, des Kesseltreibens auf Sündenbökke, die für die sozialstrukturellen Mißstände verantwortlich gemacht werden. An diese Definition des verallgemeinernden Symbols des Bösen schließen sich auslösende und beschleunigende Faktoren an. Die Krawall-Teilnehmer werden durch Agitation

ihrer Anführer zum Handeln mobilisiert. Schließlich greift die soziale Kontrolle ein. Smelser hat ein recht gutes Modell des Krawallablaufs entworfen. Die sozialstrukturellen Ursachen von Krawallen wurden auch von zwei kriminologischen Sachverständigenkommissionen hervorgehoben, die die Studenten- und Rassenkrawalle der 60er Jahre in den USA untersucht hatten und die ihre Berichte in den Jahren 1968 (National Advisory Commission on Civil Disorders 1968, Vorsitzender: Otto Kerner) und 1969 (National Commission on the Causes and Prevention of Violence 1969, Vorsitzender: Milton S. Eisenhower) veröffentlichten. Anfang der 70er Jahre kam es zu einem wissenschaftlichen Streit zwischen den nordamerikanischen Soziologen Neil J. Smelser (1972) und Jerome Η. Skolnick (1969, 251—262, insbesondere 253; Elliott Currie, Jerome Η. Skolnick 1972), der bis heute nicht entschieden ist. Skolnick argumentierte, mit seinem Definitionsmerkmal „generalisierende Vorstellung" hole Smelser die Irrationalität kollektiven Verhaltens wieder in sein Modell hinein; er diskreditiere damit den kollektiven Protest. Skolnick stellte Smelsers Modell seine Auffassung gegenüber: Krawalle sind rationale Antworten auf feststellbare soziale Mißstände. Smelser antwortete darauf, Skolnick übernehme die Ideologie der Protestierenden kritiklos und mache sie zu seiner Sache. Meines Erachtens hat Smelser recht: Nicht alle Krawalle haben rational erfaßbare, sozialstrukturelle Ursachen. In jedem Krawall mit einer sozialstrukturellen Ursache spielen auch psychologische und sozialpsychologische Faktoren eine Rolle.

2. Heutige

Ursachentheorien

Die Entstehung von Krawallen ist vielschichtig und komplex. Es müssen psychologische, soziologische und sozialpsychologische Faktoren berücksichtigt werden. Die Ursachentheorien sind nur zum Teil empirisch und experimentell bestätigt worden. Für die folgenden drei Theorien sind ausreichende empirische Beweise nicht gesichert: — Die kriminalbiologische Regressionstheorie geht von einem Aggressionstrieb aus und sieht in einem Krawall einen Rückfall in tierisches Verhalten. — Nach der psychoanalytischen Ansteckungstheorie werden die Teilnehmer an den Krawallen von ihrem Unbewußten, von ihren Gefühlen, Affekten und Trieben, übermannt und mitgerissen. — Nach der psychopathologischen Konvergenztheorie kommen im Krawall Individuen mit ähnlichen persönlichen Merkmalen, mit abnormen Persönlichkeitszügen, Prädispositionen und Ein-

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Krawalle

Stellungen, oder Mitglieder von Randgruppen zusammen. Diese drei Theorien stellen zu sehr auf Individuen ab und berücksichtigen die Verschiedenartigkeit des Verhaltens und der Motive der Krawallteilnehmer nicht. Einige protestieren z. B.; einige nutzen das Chaos der Situation aus; einige sind passive Zuschauer. Die folgenden soziologischen, psychologischen und sozialpsychologischen Theorien erklären einzeln und für sich alleine lediglich Einzelaspekte der Krawalle. Die Vielschichtigkeit der Ursachen und Vorbeugungs- und Kontrollmechanismen kommt erst ins Bild, wenn die Theorien miteinander kombiniert werden. Soziologische Theorien gehen von gesellschaftlichen und Gruppengrundlagen aus: — Nach der sozialstrukturellen Theorie kann eine Vielzahl von Ursachen zu Krawallen führen, die alle in der konkreten Sozialstruktur begründet liegen. So können beispielsweise relativer sozioökonomischer Mangel (Deprivation) und psychische Versagung (Frustration) enttäuschter Erwartungen für die Entstehung von Krawallen verantwortlich sein. In Umbruchs- und Krisenzeiten kommen Krawalle besonders häufig vor, wenn rapider sozialer Wandel zu gesellschaftlicher und politischer Labilität, zu Unsicherheit und Unentschlossenheit und damit zu allgemeiner Ratlosigkeit führt. Traditionelle Normen und Leitbilder sind zur Bewältigung neuer Probleme ungeeignet; bisherige soziale Kontrollen sind wirkungslos geworden. Die neue Situation erfordert eine schnelle Neuorientierung, eine enorme Beschleunigung des gesellschaftlichen Lernprozesses. — Nach der Normbildungstheorie (Ralph H . T u r ner, Lewis M. Killian 1987) entstehen in einer Menschenansammlung während eines Krawalls durch Interaktion und kollektive Entscheidungen neue Normen (Gruppennormen). Recht und Unrecht werden neu gedeutet. Die Definition der Krawallsituation ist ein aktiver Prozeß der Wirklichkeitskonstruktion. Die Masse setzt sich normative Grenzen. Niemals geht alles während eines Krawalls. Die Entstehung einer neuen normativen Struktur bedeutet allerdings nicht, daß alle Krawallteilnehmer gleichartige Einstellungen besitzen. — Die Strukturbildungstheorie (Enrico Louis Quarantelli, Dennis Wenger 1983) weist darauf hin, daß während eines Krawalls Arbeits- und Rollenteilung herrscht und daß eine kurzlebige Macht- und Ideologiestruktur entsteht. Die psychologische Theorie geht auf die persönlichen Voraussetzungen der Krawallteilnehmer ein. Durch Sozialisationsmängel in Familie und Schule wird eine Gewaltneigung hervorgerufen. Gewalt und ihre Rechtfertigung werden in Subkulturen der

Gewalt gelernt. Gewaltgeneigte Personen suchen im Krawall Abenteuer, Stärkung ihrer sozialen Wertschätzung (ihres Selbstwertgefühls) und ihre soziale Identität. Häufig besitzen sie mangelhafte Verbalisierungsfähigkeiten; sie haben nicht gelernt, mit zwischenmenschlichen Konflikten friedlich und mit Worten umzugehen. Krawall kann schließlich zur Lernerfahrung werden, durch die sich Gewaltanwendung einlernt. Die sozialpsychologischen Theorien widmen sich den situativen Komponenten des Krawalls. Ein kumulativer Prozeß zunehmender Spannung geht jedem Krawall voraus. — Das Ereignis, das den Krawall auslöst und das trivial sein kann, besitzt häufig einen Symbolwert für die sozialstrukturelle Ursache. Es ist der Katalysator und Transformator, durch den sozialstrukturelle Gründe in Gewalthandlungen umgesetzt werden. Es handelt sich meist um eine Polizeibegegnung, die dramatisiert wird. Die Polizei wird nicht als Friedensstifter, sondern als Symbol für die gesellschaftlichen Mißstände beurteilt. Ideologische Indoktrination und Agitation können die Gewalthandlungen beschleunigen. Gerüchte können die Situation verschärfen. — Nach Eintritt des auslösenden Ereignisses kommt es bei Anwesenheit von Krawallteilnehmern und Polizei in der aktuellen Krawallsituation zu einem Zwischen-Gruppen-Konflikt, zu einer Polarisierung zwischen Eigen- und Fremdgruppe (Muzafer Sherif, Carolyn W. Sherif 1969, 228—261). In der Innengruppe entstehen Solidarität miteinander und Vorurteile gegenüber der Außengruppe. Man ist stolz auf die Innengruppe und überbewertet ihre Leistungen. Gegenüber der Außengruppe entwickelt man soziale Distanz und Feindseligkeit. Man unterbewertet ihre Leistungen. — Im weiteren Verlauf des Krawalls wird ein Aufschaukelungsprozeß hervorgerufen (Hans Toch 1969, 1 9 5 - 2 1 7 ) . Nach der Theorie der symbolischen Interaktion reagieren die feindlichen Gruppen nicht nur wechselseitig aufeinander, sondern sie definieren und interpretieren sich und ihr Verhalten auch gegenseitig. Die jeweilige Außengruppe und ihr Verhalten werden fehlinterpretiert. Es entwickelt sich ein spiralförmig wachsendes Potential an Gewalt. In der 1. Stufe wird das Verhalten der Außengruppe als Provokation, als Bedrohung des Selbstwertgefühls der Innengruppe definiert. In der 2. Stufe wiederholt sich dieser Vorgang bei der anderen Gruppe. Im weiteren Ablauf entsteht in weiteren Definitions- und Reaktionsstufen eine Eskalation an Gewalt. Die Krawallteilnehmer definieren die Polizisten z. B. als unfaire, stupide, brutale „Bullen". Die Polizisten meinen, die Protestierer seien ihnen feindlich gesonnen; sie halten

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Krawalle sie für respektlose, schmutzige, faule, undisziplinierte, unfreundliche und unmoralische „Chaoten" und Kriminelle. Die Vorurteile und Voreingenommenheiten auf beiden Seiten wachsen. Die „Wir-Sie-Gefiihle" nehmen zu. — In psychologischen Experimenten ist nachgewiesen worden (Philip G. Zimbardo 1983, 660— 677), daß in der Anonymität der Masse die Neigung zu Gewalt wächst. Denn die Furcht vor gesellschaftlicher Mißbilligung fällt weg. Unter der Maske der Anonymität glaubt man, der Gewalt freien Lauf lassen zu können. Man verliert seine Hemmungen und seine persönliche Verantwortlichkeit; Selbstregulierungsmechanismen werden abgebaut. Auf der Seite der Krawallteilnehmer können Vermummung, auf der Seite der Polizisten können Helme und Schutzkleidung Anonymisierung hervorrufen. — In der Krawallsituation wirken sich ferner Neutralisierungsmechanismen, Vorabrechtfertigungen auf beiden Seiten negativ aus. Man macht sich zu Objekten; die Opfer werden entmenschlicht; man wertet sie ab und weist ihnen die Schuld zu. Die Verantwortlichkeit für eigenes Verhalten schiebt man ab. Auf der Seite der Krawallteilnehmer können beispielsweise politische Skandale als Vorabrechtfertigung genommen werden, weil sie angeblich verdeutlichen, daß das gesamte politische System korrupt ist. — Ein weiteres psychologisches Experiment läßt schließlich deutlich werden (Zimbardo 1973), daß die Krawallsituation eine sich immer weiter steigernde Eigendynamik entfaltet, wenn der Zerstörungsprozeß einmal begonnen hat. Es kommt zu einem regelrechten Zerstörungsrausch, von dem sich auch bisher Unbeteiligte anstecken lassen.

D. Krawalle in den Massenmedien Durch den dauernden Wandel in den Wirtschafts- und Sozialstrukturen entstehen Konflikte in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft. U m Krawallen vorzubeugen, müssen die Massenmedien in einer rechtsstaatlichen Demokratie den Konfliktparteien ein ausreichendes Forum bieten, so daß die Konflikte mit und in der Gesellschaft durchgearbeitet werden können. Soziale Konflikte werden indessen häufig von den Politikern und Journalisten nicht erkannt, nicht thematisiert oder fehlverarbeitet, indem sie auf Randgruppen projiziert und an ihnen abreagiert werden. Unter der gesellschaftlichen Oberfläche schwelen sie dann weiter. Häufig sieht eine Konfliktpartei in diesem Falle nur noch den Ausweg der Gewaltanwendung, um Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu erregen und die Politik zu beeinflussen. Da die Massenmedien fast stets über gewaltsame Proteste berichten, ist ein Krawall in vielen Fällen geradezu ein Versuch, der Öffent-

lichkeit soziale Mißstände und Benachteiligungen mitzuteilen. Dieser Versuch wird von den Massenmedien freilich kaum zur Information genutzt. Denn im Zentralpunkt des Medieninteresses stehen meist nur die äußeren gewaltsamen Geschehnisse, die dramatisiert werden (Robert K. Baker, Sandra J. Ball, David R. Lange 1969, 1 0 3 - 1 2 0 ) . Mit einer „Story", mit „action-Szenen", mit der Veranschaulichung der dramatischsten Aspekte ungewöhnlicher Ereignisse unterhalten die Massenmedien ihre Rezipienten; sie informieren sie nicht ausreichend über die sozialstrukturellen Ursachen und die unmittelbaren und mittelbaren Folgen der Krawalle. Schuldzuweisungen und ideologische Verkürzungen des Konflikts spielen eine Rolle. Die Teilnehmer an einem Krawall werden in einseitiger Weise häufig nur als Unruhestifter gebrandmarkt, die Spaß an der Gewalt und an der Zerstörung haben. Hierdurch wird der dem Krawall zugrundeliegende Konflikt oft noch verschärft. E r wird nicht ins gesellschaftliche Bewußtsein gehoben, sondern sozial verdrängt und fehlverarbeitet. Live-Fernsehberichterstattung kann darüber hinaus ansteckend wirken (Hans Mathias Kepplinger 1981): — Durch die Anwesenheit des Fernsehens in der aktuellen Krawallsituation kann die Gewaltanwendung angeheizt werden. Denn der Konflikt wird sozusagen durch „Stellvertreter" von Bezugsgruppen innerhalb der Gesellschaft gewaltsam ausgetragen. Diese Stellvertretergruppen meinen, sich für ihre Bezugsgruppen in Szene setzen zu müssen; sie glauben, ihre Bezugsgruppen innerhalb der Gesellschaft erwarteten von ihnen Gewaltanwendung. — Gleichzeitig kann der Krawall durch die Fernsehübertragung die opponierenden Bezugsgruppen innerhalb der Gesellschaft zur Gewaltanwendung aufreizen. Denn sie können die Gewaltanwendung ihrer Konfliktgegner während des Krawalls zur Neutralisierung, zur Vorabrechtfertigung der eigenen, nunmehr nachfolgenden Gewaltanwendung verwenden. Die Massenmedien sollten sich deshalb bemühen, den Konfliktparteien frühzeitig ein ausreichendes Forum für eine friedliche, einvernehmliche Konfliktlösung zu bieten. Krawalle sollten sie möglichst nicht live übertragen. Sie sollten sie wahrheitsgemäß analysieren, indem sie auf ihre sozialen Ursachen und Folgen aufmerksam machen.

E. Vorbeugung gegen Krawalle Krawalle sind häufig, freilich nicht immer (grundlose Krawalle!) Ausdrucksformen sozial unbearbeiteter, verschleppter Konflikte, die in sozialstrukturellen Mängeln begründet liegen. Es ist Aufgabe der Politiker und Journalisten, solche Mängel

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rechtzeitig zu erkennen und mit und in der Gesellschaft zu bearbeiten. Es kann nicht Aufgabe der Polizei sein, den Konflikt zu lösen, der dem Krawall zugrundeliegt. D a f ü r ist es unmittelbar vor oder während eines Krawalls zu spät. Durch die folgenden vier Beispiele kann Krawallen mittel- und langfristig vorgebeugt werden: — Es muß darauf hingearbeitet werden, daß die gesamte Bevölkerung die ungerechtfertigte Gewaltanwendung eindeutig mißbilligt. Hierfür ist es unerläßlich, daß der Gewaltbegriff auf physische Gewaltanwendung begrenzt wird. Gewaltfreie Erziehung und die Einübung friedlicher Konfliktlösung in Familie und Schule sind wesentliche Voraussetzungen für die Verhütung krimineller Gewaltanwendung. Die gesetzliche Normierung der Unzulässigkeit körperlicher Strafen als Erziehungsmittel kann in diesem Zusammenhang eine wichtige Signalwirkung haben (Hans-Dieter Schwind, Jürgen Baumann, Ursula Schneider, Manfred Winter 1990, 157). — Ohne den „Druck der Gewalt" müssen Politiker und Journalisten zum Dialog mit den Bürgern über deren Bedürfnisse und Ängste ständig bereit sein, um dauernd entstehende Konflikte rechtzeitig friedlich und einvernehmlich lösen zu können. Die politischen Teilhabe- und Mitsprachemöglichkeiten der Bürger sollten — insbesondere auf Gemeindeebene — erweitert werden. Die Bürger sollten an der Entscheidungsfindung und an der Entscheidung selbst in angemessener Weise beteiligt werden. Staatliche Repräsentanten, wirtschaftliche, politische und wissenschaftliche Verantwortungsträger sowie kulturelle und sportliche Symbolfiguren sollten sich ihrer Vorbild- und Leitbildfunktion stärker bewußt werden. Es darf nicht zu politischen Skandalen wie zur Watergate- oder BarschelAffäre kommen. — Der Entstehung sozial desorganisierter Gebiete (z. B. Armengettos, Slums) sollte möglichst entgegengewirkt werden. In diesem Zusammenhang spielt die kriminalitätsabwehrende Architektur und Städteplanung eine bedeutsame Rolle (Hans Joachim Schneider 1987, 341/2). Ihr geht es darum, die Entwicklung von Verhaltensmustern und Interaktionen zu ermöglichen, die aufgrund der Bildung von Mietergemeinschaften und der Belebung von Nachbarschaftskontakten zu einem Territorialitätssinn, zu einem Sinn für Nachbarschaftsbelange, führen (—> Städteplanung und Baugestaltung). Subkulturen der Gewalt, in denen Gewalt am Modell gelernt und mit Gruppenunterstützung angewandt und gerechtfertigt wird, dürfen nicht entstehen. — Beim Mannschaftssport, beim Fußball- oder Eishockeyspiel, müssen Spieltechnik, Spielcharakter, die Ästhetik des Zusammenspiels und der menschlichen Kooperation mehr zum zen-

tralen Gesichtspunkt der Beurteilung und Betrachtung werden. Denn gegenwärtig gehören Berufsfußball- und -eishockeyspieler nur zu oft einer gewaltsamen Berufssubkultur an, in der ihre Mitspieler, ihre Vereinspräsidenten, ihre Trainer, ihre Freunde, ihre Fans, ihre Familienmitglieder und Verwandten gewaltsames Spiel rechtfertigen und es mit Anerkennung belohnen. Das Fußballspiel ist nämlich zum gnadenlosen Streit über Symbole, wie moralischen Wert, Status, kollektive Identität, Ansehen, Prestige von Fußballvereinen und Städten, geworden. Der Kampf ist so gnadenlos, weil es keinen Kompromiß beim Streit über Symbole gibt.

F. Kontrolle von Krawallen Dem Kriminaljustizsystem, insbesondere der Polizei, obliegt die Kontrolle von Krawallen. Da sie sich nicht selten im Zusammenhang mit Demonstrationen zu ereignen pflegen, ist die Förderung einer gewaltfreien Demonstrationskultur ein zentrales Anliegen bei der Kontrolle von Krawallen: — Friedliche öffentliche Demonstrationen sollten erleichtert werden (National Advisory Commitee on Criminal Justice Standards and Goals 1976, 48/9). Die Polizei sollte sich um eine Kooperation mit den Veranstaltern vor, während und nach der Demonstration bemühen und insbesondere bei Großdemonstrationen mit ihnen in gegenseitiger Abstimmung den Verlauf planen. Sie sollte die Demonstranten möglichst an der Kontrolle der Demonstration beteiligen. Eine Nachbesprechung der Demonstration zwischen Veranstaltern und Polizei ist sinnvoll, da das Umfeld der Demonstrationen, in denen es zu politisch motivierter Gewaltanwendung kommt, relativ konstant ist. Eine Demonstration kann deshalb wesentlicher Teil eines Lernprozesses für Veranstalter und Polizei sein. Die Nachbereitung einer (vielleicht unfriedlichen) Demonstration kann auf diese Weise eine Vorbereitung für eine folgende (möglichst friedlich verlaufende) sein. — Im Vorfeld der Demonstration ist die Bevölkerung besser zu informieren. Ziel dieser Aufklärung sollte sein, bei der Bevölkerung mehr Verständnis für die schwierige Aufgabe der Polizei bei der Kontrolle von Demonstrationen zu erwecken. Feindbilder müssen abgebaut werden. Es darf zu keiner Polarisierung, zu keinem Aufschaukelungsprozeß, zu keinem Teufelskreis der Gewalt zwischen den Gruppen der Protestierer und der Polizei kommen. Der Polizist ist nicht Konfliktpartei, sondern Friedensstifter zwischen den Konfliktparteien. In einem Streßbewältigungs- und Kommunikationstraining sollte er lernen, auch unter extremen Provoka-

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tionen ruhig und gelassen zu bleiben und besonnen zu reagieren. Ihm sollten die sozialstrukturellen Ursachen von Krawallen und ihr typischer soziodynamischcr Ablauf nahcgcbracht werden. — Die Polizei sollte sich auf die Kontrolle von Krawallen vorbereiten, selbst wenn sich über einen längeren Zeitraum keine Krawalle ereignet haben. Sie sollte Einsatzpläne erstellen und auf dem neuesten Stand halten. Sie sollte für die Kontrolle von Krawallen ausgerüstet sein und das gemeinsame Handeln im hochdisziplinierten Team üben. D i e Polizeiführung sollte lernen, widersprüchliche Befehle zu vermeiden. D a s Risiko von Gewalttätern muß ferner erhöht werden, für ihre Rechtsbrüche zur Rechenschaft gezogen zu werden. Deshalb sind bei Krawallen Spezialeinheiten zur Festnahme von Gewalttätern und zur Beweissicherung einzusetzen. Es ist darauf hinzuwirken, daß der Staatsanwaltschaft gerichtsverwertbare Beweismittel zugeleitet werden können. Bei der Kontrolle von Krawallen sollte die Polizei eine Doppelstrategie verfolgen, nämlich einerseits die Störung von Recht und Ordnung zu beseitigen und andererseits Gewalttäter zu ermitteln und ihrer Bestrafung zuzuführen. — Anonymisierung und Militarisierung der Polizei durch Ausrüstung und Bewaffnung sollten vermieden werden. D a s äußere Erscheinungsbild der Polizei (Schutzkleidung, Helme, Schilde) hat Symbolcharakter. Es kann zur Dramatisierung der Situation beitragen. Einen undifferenzierten Polizeieinsatz (mit Tränengas und Wasserwerfern), der sich in gleichem Maße gegen gewalttätige wie friedliche Demonstranten richtet, sollte man möglichst unterlassen. D i e Polizei sollte weder über- noch unterreagieren. Mit dem „Abschreckungsmodell" kann nämlich nicht angenommen werden, daß mit einer Steigerung der staatlichen Repression die Gewalt abnimmt. Mit dem „Eskalationsmodell" kann gleichfalls nicht unterstellt werden, daß sich bei einer Verstärkung der Repression die Gewaltanwendung der Protestierer steigert. Vielmehr kann ein Doppeleffekt eintreten: Repression kann sowohl Angst wie auch Empörung auslösen und damit sowohl ein Abschreckungs- wie ein Aufstachelungspotential schaffen.

Es gibt einen autoritären und einen demokratischen Stil der Krawall-Kontrolle (Lawrence W. Sherman 1983, 1393). D e r autoritäre, totalitäre Staat setzt die staatliche Macht unbegrenzt zur Krawall-Kontrolle ein. Er setzt sich damit selbst aufs Spiel. D i e Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat muß bei einem Krawall rechtsstaatlich und verhältnismäßig vorgehen. Mit ihrem auf diese Weise begrenzten Vorgehen vermittelt sie die symbolische Botschaft: D i e staatlichen Institutionen

sind auf die Unterstützung durch das Volk angewiesen. In einer rechtsstaatlichen Demokratie ist die staatliche Autorität bei einem Krawall aus diesem Grunde niemals ernsthaft gefährdet. M o n o g r a p h i e n und

Sammelwerke

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Krawalle

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Z e i t s c h r i f t e n - und

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SCHNEIDER

WIEDERGUTMACHUNG Α. Einleitung Wenn einer einem anderen einen Schaden zugefügt hat, so ist das Nächstliegende, daß er diesen Schaden repariert. Das ist eine Banalität und für jeden unverbildeten Rechtslaien so einsichtig, daß die Notwendigkeit, dies in kriminalpolitischen Diskussionen hervorzuheben, bereits bezeichnend ist. So ist die gegenwärtig so aktuelle Diskussion um Wiedergutmachung und Strafrecht geradezu von symbolartiger Bedeutung für die verselbständigte Abgehobenheit der praktischen Strafrechtspflege von der Lebensbasis, welche verhaltenskontrollierend zu regulieren sie geltend macht. Dies ist das Ergebnis fortschreitender Ausdifferenzierung der Strafjustiz im Zuge der historischen Entwicklung. Erst ihre gegenwärtige „Krise" (Kerner 1982, S.790) erlaubt eine Rückbesinnung und eine in jüngster Zeit bemerkenswert breit gewordene Diskussion über den im Grunde uralten Gedanken zur gemeinschaftlichen Verhaltensstabilisierung, die mit Hoffnungen ebenso wie mit Skepsis bedacht wird, Wissenschaft und Praxis betrifft, Theorie und Empirie herausfordert. Das Thema Wiedergutmachung hat zahlreiche Publikationen, Forschungs- und Modellprojekte angeregt, beschäftigt Juristen-, Strafrechtslehrer- und -verteidigertage, ist mittlerweile regelmäßiges Thema der Jugendgerichts- und Bewährungshilfetagungen. Damit deutet sich an, daß der Wiedergutmachungsgedanke fasziniert durch die außerordentli-

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che Spannbreite seiner Bezüge (Kaiser 1988, S. 990ff.; Müller-Dietz 1988, S. 961). Geht es einerseits lediglich um die Mobilisierung vorhandener Wiedergutmachungsregelungen im gültigen Sanktionensystem, so schließt das Thema zur anderen Seite justizentlastende Diversionsmodelle oder gar die Suche nach alternativen mediativen Regulationsmethoden unter abolitionistischer Verdrängung des herrschaftsvermittelnden Strafrechts an sich ein (Hulsman 1982; Bianchi 1974, 1988; Christie 1977, 1982). Wiedergutmachung beinhaltet einerseits materielle Ausgleichsleistungen durch Instandsetzung oder Ersetzung des am verletzten Rechtsgutsobjekt verursachten Schadens sowie andererseits auf Aufarbeitung der Interaktionsstörung und emotionale Befriedung angelegte Klärungsmethoden. Es geht also einmal um stärker sanktionsbezogene, zum anderen eher prozedurale, auf die Verfahrensweise gerichtete Ansätze. Dementsprechend wird in der Diskussion zwischen der gegenständlichen auf die konkretisierbare Leistung bezogenen „Schadenswiedergutmachung" und dem sog. „Täter-Opfer-Ausgleich" unterschieden, der zuerst auf eine offene, informelle, kommunikative Schlichtung ausgerichtet ist. Mit der unterschiedlichen Justiznähe der Ansätze zwischen Einbindung und Alternativität stellen sich ganz verschiedene Formalitätserfordernisse. Jedenfalls ist im Verlaufe der jüngeren Diskussion das Stichwort „Wiedergutmachung" dahin präzisiert worden, daß es hier im Sinne eines Substitutes für strafsanktionierende Stabilisierungsleistungen öffentlicher Verhaltenskontrolle („Wiedergutmachung statt Strafe") zu verstehen ist. Es ist deshalb abzusetzen von opferbezogenen, außerstrafrechtlichen Entschädigungssystemen wie dem sozialrechtlichen Versorgungsanspruch des Gesetzes über die Entschädigung f ü r Opfer von Gewalttaten ( O E G ) oder zivilrechtlichen Ersatzansprüchen an den Täter, auch soweit diese im Strafverfahren geltend gemacht werden können wie im Adhäsionsverfahren (§§403 —406 c StPO). Schon diese Entgegensetzung sollte deutlich werden lassen, daß so verstandene Wiedergutmachung sich zuerst (oder ausschließlich) nach den Erfordernissen individueller Disziplinierung und öffentlicher Bekräftigung reaktionsbewehrter Verhaltensverbote zu richten hat.

B. Wiedergutmachung und Strafe in der Rechtsentwicklung Die Chancen eines Ausbaus an Wiedergutmachung orientierter Straftatverarbeitung sind also davon abhängig, inwieweit sich Wiedergutmachung als geeignet erweist, Funktionszielen zu dienen, die das Strafrecht verfolgt, und/oder dysfunktionale Begleitkosten zu lindern, die die Strafrechtspflege auslöst. Dabei scheint das bundesdeutsche Strafrecht in

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Wiedergutmachung

seiner kriminalpolitischen Flexibilität im Vergleich zu anderen Rechtssystemen ( z . B . USA) dadurch stärker beschränkt zu sein, daß es über einen breiteren strafrechtsphilosophischen und -theoretischen Unterbau verfügt, innerhalb dessen es zwar eine ständige Bewegung zwischen den wenigen Grundmustern gibt, aus dem aber relativ feste Vorstellungen darüber abgeleitet werden, auf welche Weise strafrechtliche Kontrolle stattzufinden habe und auf welche nicht. Ferner scheint gerade diese breite theoretische und dogmatische Tradition ein festes strafrechtliches Selbstverständnis haben wachsen lassen, das strafrechtliches Wirken schon um seiner selbst willen für wichtig hält und auch um die Verluste, die damit verbunden sein können, wenig Besorgnis zeigt. Dieser Zustand erschließt sich aus einer Betrachtung der historischen Entwicklung und der sich dabei ausprägenden Trennung von Schadensersatz und Strafe. Die Bewältigung und Verarbeitung schädigender Verhaltensverstöße ist ursprünglich eine „private" Angelegenheit, die nur die beteiligten Kontrahenten (und ihre Sippen) selbst betrifft, die sich freilich schiedsrichterlicher Vermittlungshilfe bedienen können. Die gemeinschaftliche Disziplinierung erfährt erst derjenige, der sich dem Gegner nicht stellt und dem Befriedungsverfahren ausweicht (Eb. Schmidt 1965, S.24). Die zur Befriedung aufzubringende Buße beinhaltet materiellen Schadensersatz, Genugtuung, Friedensgeld und Prozeßkosten (v.Woringen 1836, S.31). In einem differenzierten Kompositionensystem stabilisieren sich katalogisierte Bußtaxen (His 1920, S.582f.). Gewichtsverschiebungen zwischen den Komponenten der zu erbringenden Bußleistungen zugunsten des dem Gerichtsherrn zufließenden Friedensgeldes zeigen die Verdrängung des Verletzten aus dem Rechtsverfahren an (Seagle 1951, S. 113). Diese vollzieht sich mit dem Sieg des peinlichen Strafrechts, dem Übergang vom restitutiven zum retributiven Prinzip, das an die Stelle von Wiedergutmachung an Rechtsgut und -frieden die vergeltende, vernichtende, abschreckende Übelszufügung setzt. Dieser Wandel ist kein Gebot der Optimierung durchsetzbarer sozialer Kontrolle im Interesse schutzwürdiger Risikogruppen, sondern ein Phänomen der Herausbildung, Abgrenzung, Ausdifferenzierung und Behauptung staatlicher Macht durch kirchliche und weltliche Instanzen und Akteure, weil Macht auf Herrschaft auch über die Konflikte der Gewaltunterworfenen untereinander angewiesen ist (Seagle 1951, S. 331 ff.). Der Beitrag der Kirche liegt nicht nur in ihrer Teilnahme am Kampf um irdische Macht (Köstlin 1859, S. 133), sondern vor allem in der Einführung der metaphysischen Komponente, indem die weltliche Güterverletzung zugleich als Verstoß gegen göttliches Verbot interpretiert oder doch nach dem Modell religiösen Regelbruchs behandelt, die Tat

also durch individualethischen Tadel sittlich abgewertet, die Sünde säkularisiert wird (Achter 1951). Damit ist die Transformierung des Interessenkonflikts zwischen den Gleichen in den vertikalen Wertekonflikt (Aubert 1972, S. 178) durchgeführt. Strafrechtliche Konfliktverarbeitung folgt nun dem Devianzmodell, das den Motivationsfehler des Verletzers als einziges beurteilungsrelevantes Element aus der Fülle der Bedingungen des enttäuschenden Ereignisses isoliert (Jakobs 1976, S. 13). Der Konflikt ist damit dem Interaktionszusammenhang entrissen; er ist den primär Beteiligten „gestohlen" (Christie 1977). Von der wissenschaftlich-konzeptionellen Seite her erreicht diese metaphysische Fundierung strafenden Zugriffs trotz der religiösen Herkunft erst nach der Aufklärung ihre theoretische Verselbständigung im absoluten Strafgedanken, dem es um die völlige Zweckfreiheit strafenden Zugriffs geht. Das bekannte Inselbeispiel Immanuel Kants (1797, S. 159) illustriert den Höhepunkt der Ablösung von jeglichem sozialen Kontext. In diesem Entwicklungsprozeß ist nicht nur der Verletzte immer stärker darauf verwiesen, die Bereinigung seiner persönlichen Beziehungsstörung zum Schädiger woanders zu suchen. Es liegt auch in der Dynamik, daß sich Strafrecht immer mehr Zuständigkeit für die normverletzende Komponente von Güterverletzungen anmaßt (Frank 1898); auf der anderen Seite wird das Zivilrecht immer stärker in eine Beschränkung auf die Regulation des Schadensausgleichs gedrängt. Es erfolgt die dogmatische Trennung von Reparationsverbindlichkeit und Strafe, bei denen es sich um „apodiktische Gegensätze" handele (Binding 1872, S.212). Über diese Entwicklung sind reichhaltige rechtsphilosophische und rechtspolitische Ansätze in Vergessenheit geraten, die Schadensersatz und Strafe unter dem gemeinsamen Gedanken der „Wiederherstellung" vereinigt haben, indem Zivilrecht der Wiederaufhebung des materiellen und Strafrecht der des intellektuellen Verbrechensschadens diene (Welcker 1813, S. 189ff.; s. dazu auch Müller-Dietz 1983). Damit war nicht nur wesensmäßige Gleichartigkeit (Herold 1892, S.582; Marton 1963, S . 3 8 f . ) , sondern in weiten Teilen Austauschbarkeit, jedenfalls Komplementarität der Sanktionsmittel anerkannt (Hepp 1845, S.788; Stammler 1923, S. 158), sofern der intellektuelle Schaden durch die Wiederaufhebung des materiellen mitgetilgt wird (Welcker 1813, S. 251; Huber 1921, S.371). Jedenfalls wurde das Sanktionsmittel Strafe in strenge Subsidiarität verwiesen, das nur, soweit die Wiederherstellung nach dem Tauschwerte zur vollständigen Schadensaufhebung nicht ausreicht (Hepp 1845, S. 781) oder sofern reale Zurückerstattung nicht möglich ist, als „stellvertretende symbolische Restitution" einzutreten habe (Brunner 1943, S.264). Noch im Hinblick auf die große Kodifikation des Bürgerlichen Gesetzbuches im Jahre 1900 ist um die

Wiedergutmachung Aufteilung der verhaltenskontrollierenden Aufgaben zwischen Zivil- und Strafrecht gestritten worden, wobei sich die für eine Stärkung der Zuständigkeitsbereiche privater (zivilrechtlicher) Kontrolle eintretenden Stimmen (v. Liszt 1889, S . 3 0 f . ; v . G i e r k e 1889, S.26ff.) nicht haben durchsetzen können.

C. Funktionsgrenzen von Schadensersatz und Strafe Mittlerweile sind gerade hier Grenzen sichtbar geworden, indem sich etwa die Rechtsprechung im Bereich des Ersatzes immaterieller Schäden gezwungen gesehen hat, dem deliktischen Schadensersatz gegen geschriebenes Recht verhaltenssichernde Elemente zurückzugeben ( B V e r f G E 34, 269; B G H Z 18, 149; B G H Z 26, 349). Und es wird deutlich, daß sich ohne eine (sekundäre) Pönalfunktion des deliktischen Schadensersatzes kaum je wird auskommen lassen, weil ohne persönliche Zurechenbarkeit von Handlungsfolgen eine Aushöhlung des Verantwortungsbewußtseins zu befürchten wäre (Deutsch 1976, S.413f.) oder die ansonsten allein dem Strafrecht verbleibende Aufgabe der Verhaltenskontrolle dieses hemmungslos anschwellen lassen würde (Frehsee 1986). Auf der anderen Seite scheint auch das Strafrecht in ein Grenzstadium geraten zu sein, in dem die Folgeprobleme der Ausdifferenzierung ihre Vorteile längst eingeholt haben (vorsichtiger Röhl 1979, S.135). Ein Strafrechtssystem, das eine Allzuständigkeit auch für Bagatellkonflikte des Alltags geltend macht, befreit die Kontrahenten von der Notwendigkeit der Selbstregulation und leistet somit seiner eigenen Überlastung Vorschub. Im übrigen folgt eine ganze Reihe von Dysfunktionalitäten gerade aus der Verdrängung der horizontalen Täter-Opfer-Beziehung aus dem strafrechtlichen Verarbeitungsmodell, so daß sich aus diesen Mängeln zugleich Chancen der Aufwertung durch eine Rückbesinnung auf Wiedergutmachungselemente ergeben: Dies betrifft zum einen den objektiven Umstand, daß sich Strafrecht nach dem eindimensional am Täter orientierten Devianzmodell unter Mißachtung oder gar auf Kosten des Verletzten als des zuerst und unmittelbar durch die Tat Betroffenen Geltung verschafft, indem ihm dieser nur als Beweismittel von instrumentellem Nutzwert ist (Schneider 1975, S. 190) und seine aktive Teilnahme am Klärungsprozeß als störend zurückgewiesen wird (Jung 1981, S. 1157). Diese Mißachtung erweist sich als um so eklatanter, als erst in jüngerer Zeit durch Anzeigemotivations- und Registrierungsforschung nicht nur deutlich geworden ist, in welch entscheidendem Umfang die Strafjustiz auf das Tatopfer als den maßgeblichen Zulieferer ihres Geschäftsanfalls angewiesen ist (Schneider 1987, S.174ff.), sondern daß dieses, wenn es sich an

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die Polizei als justitielle Eingangsinstanz wendet, nur nachrangig an Bestrafung des Täters interessiert ist, vielmehr Beistand, Schutz, Hilfe, Situationsbewältigung, Problemlösung und vor allem Beweissicherung, Wiederbeschaffung, Absicherung von Schadensersatzansprüchen sucht (vgl. Sessar 1986, S. 383ff.; Hanak 1986, S . 2 6 f f . ) . Zum zweiten geht der Verrechtlichungsprozeß zu Lasten der Befriedungsmöglichkeiten zwischen den Kontrahenten, indem der zugrundeliegende Lebensvorgang seiner komplexen Bezüge entkleidet, das Geschehen auf die subsumtionserheblichen Sachverhaltselemente reduziert wird (Gottwald 1981, S. 12 ff.), den Beteiligten vielleicht wirklich wichtige Aspekte als „nicht zur Sache gehörig" ausgeblendet werden (Röhl 1979, S. 140), und so Emotionalität unterdrückt wird (Rasehorn 1980, S. 7). Dadurch schafft oder verschärft das Strafverfahren erst Distanz, indem es die Trennung der Kontrahenten dogmatisiert (Krauß 1981, S. 57) und das Opfer durch die Beschränkung auf wenige ritualisierte Artikulationsmöglichkeiten förmlich in eine aggressive und dramatisierende Rolle zwingt. Und schließlich begibt sich das Strafrecht selbst seiner Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit für die öffentliche Gemeinschaft der Rechtsgenossen. Ist nämlich zunächst davon auszugehen, daß Strafrecht als hochformalisiertes, durch ultimative Strafdrohung mit höchster Verbindlichkeit ausgestattetes Normensystem zuerst die Aufgabe hat, der Rechtsgemeinschaft bewußt und akzeptabel zu halten, welches Verhalten unbedingt unterlassen werden soll, so setzt dies auch eine innere Stimmigkeit des Systems und seine Eignung zur Förderung der Einsicht in die Schonungsbedürfigkeit der geschützten Rechtsgüter voraus. Dieser steht jedoch bereits der Widerspruch entgegen, daß die Strafjustiz die mit der demonstrativen Mißbilligung des schädigenden Verhaltens bezweckte Normbestätigung durch ihr ebenso demonstratives Desinteresse an der Wiederherstellung des konkret verletzten Rechtsgutsobjektes entwertet. Dem Normadressaten ist nur schwer verständlich zu machen, daß die Strafbewehrung dem Schutz der Rechtsgenossen vor unbotmäßigen Übergriffen dienen soll, wenn das Opfer im Falle tatsächlich eingetretener Verletzungen sich selbst überlassen bleibt (Sutherland 1947, S.576), der Täter durch den strafrechtlichen Zugriff nicht nur an der Folgenbeseitigung gehindert (Hofmann 1973, S . 6 7 f . ) , sein etwa vorhandenes Wiedergutmachungsbedürfnis durch das Bestrafungserlebnis selbst erst ausgetrieben wird (Wiesnet/Gareis 1976, S.225f.). Gerade die „moderne", wegen ihrer eingeschränkten Eingriffswirkung gelobte und mittlerweile absolut dominante Hauptsanktion Geldstrafe repräsentiert die Irrationalität einer Abschöpfung dem Täter möglicher Leistungen durch den Staat, die ebensogut dem Opfer zufließen könnten, dem sie zuallererst zuständen (v. Hentig 1955, S.501).

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Wiedergutmachung

Nun läuft freilich die offizielle Strafrechtsdoktrin darauf hinaus, daß es auf eine solche vordergründige Rationalität gar nicht ankomme, gewisse Inkonsistenzen vielmehr hingenommen werden müßten, weil die entscheidende normstabilisierende und -internalisierende Wirkkraft öffentlicher Darstellung strafrechtlicher Mißbilligungsprozeduren an anderen, tieferliegenden Motivationsschichten ansetze. Danach braucht nämlich die Gemeinschaft der Rechtstreuen das Schauspiel der stellvertretenden Bestrafung des Normbrechers, um mit den aus der Unterdrückung ihrer eigenen kriminellen Wünsche erwachsenden Versagungen fertig zu werden (Schneider 1983, S. 124ff.; Alexander/Staub 1929, S. 118; Ostermeyer 1972, S . 3 3 ; Reiwald 1948, S. 251 ff.). Gilt dieses „Strafbedürfnis" immer noch als Rechtfertigung für die offiziell behauptete Unverzichtbarkeit auf Zufügung von Einbußen angelegter repressiver Sanktionsstile, so mehren sich — gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Wiedergutmachung — die Anhaltspunkte für die Unangemessenheit dieser Kardinalthese: Denn sie mißachtet, daß sich die Vorstellung von der Art und Weise, wie denn auf schädigende Normverletzungen zu reagieren sei, aus der Entwicklung kultureller Tradition ergibt und so im Sozialisationsprozeß erlernt wird. Dabei ist es zuerst der Staat selbst, der in der hoheitlichen Veranstaltung strafrechtlicher Sozialkontrolle mit höchster irdischer Autorität die Mittel vorgibt, mit denen Abweichung zu mißbilligen ist, und so eine allgemeingültige Vorstellung vom Umgang mit Normverletzungen verbindlich macht (Steinert 1980, S. 307). So erfährt schon das Kind, daß es offenbar weniger bedeutsam ist, einen angerichteten Schaden wieder in Ordnung zu bringen, als vielmehr dafür gescholten und „bestraft" zu werden. Die erst daraus erwachsende Frustration mag nun gern Entlastung finden, wenn der Gedemütigte erlebt, daß es anderen ebenso geht. Der „sozialisierte" Erwachsene hat solche Reaktionsstile akzeptiert und gibt sie weiter, so daß sich das Strafrecht auf ein Kontrollgefüge sich fortzeugender Repressionskreisläufe von Furcht und Schadenfreude stützen kann, die einem am Ideal individueller Würde, Gleichheit und Autonomie orientierten Verfassungsstaat eigentlich nicht mehr angemessen sind. Diese Annahme, daß nämlich repressive Strafbedürfnisse vom Strafrecht selbst ausgehen, bestätigt sich durch die empirisch mehrfach belegte Tatsache, daß die Intensität autoritär-vergeltender Einstellungen nicht nur bei justiznäheren Berufsgruppen tendenziell höher ist (Gandy 1978, S. 121 ff.), sondern auch mit dem Hineinwachsen in strafjuristische Berufe zunimmt (Streng 1979, S. 69, S. 78). Dennoch ist die Deutlichkeit erstaunlich, mit der bei entsprechenden Befragungen sichtbar wird, welch geringer Stellenwert entgegen der sozialisatorischen Prägungswirkung des Strafrechts klassisch-

punitiven Sanktionsbedürfnissen in der Bevölkerung zukommt, und wie sehr Akzeptanz und Bedürfnis nach reparativen und ausgleichenden Straftatfolgen zum Ausdruck kommen, wenn dies nur als denkbare Reaktionsalternative zur Diskussion gestellt wird (Gandy/Galaway 1980, S. 89; Shapland/ Willmore/Duff 1985, S. 169; Steinert 1980, S . 3 2 5 ; Herbst u . a . 1975, S . 2 8 ) . Aus Raumgründen kann hier nur auf einige Ergebnisse der ersten großen deutschen Erhebung zur Akzeptanz restitutiver Reaktionen durch Sessar u. a. näher verwiesen werden: Dabei waren für 38 Fallschilderungen 5 unterschiedliche Lösungsverfahren angeboten worden, die insgesamt folgende Präferenzquoten erhielten: private Einigung ( 2 0 , 1 % ) , Vermittlung durch eine Schiedsperson ( 1 8 , 1 % ) , strafjustitiell eingeleitete und überwachte Entschädigung ( 1 7 , 9 % ) , Bestrafung unter Anrechnung eventueller Entschädigungsleistungen (19,1 % ) , Bestrafung ohne Berücksichtigung einer Entschädigung ( 2 4 , 8 % ) . Damit schlugen drei Viertel der Befragten von der derzeitigen Rechtslage abweichende Lösungen vor. Selbstverständlich waren die Ergebnisse deliktsspezifisch sehr unterschiedlich, jedoch hat sich von einem Konsens über traditionelle Bestrafung nur bei Vergewaltigung und einer Einbruchsversion sprechen lassen (Sessar u . a . 1986, S . 9 4 f f . ) . Die Erhebungen haben auch die Erkenntnis bestätigt, daß von Straftaten bereits selbst betroffen gewesene Opfer keine punitiveren, weithin sogar versöhnlichere und konstruktiv-pragmatischere Einstellungen aufweisen als Nichtopfer (Sessar u . a . 1986, S. 98 ff. - Abele/Nowack 1978, S . 2 3 3 ; Villmow 1979, S . 2 0 3 f . ; Hough/Moxon 1985, S. 170f.). Nach solchen Ergebnissen läßt sich die Notwendigkeit der Befriedigung kollektiver Strafbedürfnisse nicht mehr als kriminalpolitisches Legitimationsargument für die Erhaltung konventionell-repressiver Sanktionsstile zur generalpräventiven Normstabilisierung benutzen. In ähnliche Schwierigkeiten ist das spezialpräventive Resozialisierungskonzept geraten, durch das dem deutschen Reformstrafrecht eine neue Grundlage und Orientierung gegeben werden sollte. Die in stationäre und ambulante Behandlungsmethoden gesetzten Erfolgserwartungen sind im großen und ganzen enttäuscht worden (Eisenberg 1985, S . 5 0 1 ff.; Albrecht 1985, S. 834ff.). Für wesentliche untere und mittlere Kriminalitätsbereiche findet insofern das Theorem von der „Austauschbarkeit der Sanktionen" empirische Bestätigung (Kaiser 1988, S. 895). Erklärungen ergeben sich aus Fehlvorstellungen der Kriminalitäts- und Wirkungskonzeptionen, die einem behandlungsorientierten Interventionsmodell zugrundeliegen. Sie leiden vor allem an einer Überschätzung der funktionalen (und auch statistischen) Beziehungen zwischen psycho-soziobiographischen Persönlichkeitsdefiziten und strafnormwidrigem Handeln, der Manipulierbarkeit persönlicher Dispositionen, der Beeinfluß-

Wiedergutmachung barkeit sozialer Beziehungsstörungen durch individualisierende Interventionen, sowie einer Unterschätzung der dysfunktionalen, also kriminalitätsförderlichen Nebenwirkungen degradierender und isolierender Zwangszugriffe.

D. Wiedergutmachung als alternativer Ansatz zur Bewältigung strafrechtsrelevanter Konflikte In dieser Situation bietet sich eine auf die Beziehung zwischen Täter und Opfer zielende Bewältigungsmethode als Ausweg aus dem als solchem kaum bestrittenen Dilemma geradezu an. Denn bei näherer Betrachtung enthält dieser ursprüngliche Gedanke die besten Ansätze für eine gleichzeitige Beförderung sowohl der auf die Gemeinschaft als auch das Individuum gerichteten Funktionsziele eines Modells öffentlicher Verhaltenssteuerung, das über die Beeinflussung der Motivationsebene wirksam werden will und dazu auf die Unterstellung von Ansprechbarkeit und Steuerungsfähigkeit angewiesen ist. Läßt sich nämlich die Legitimität öffentlicher sozialer Kontrolle insofern kaum bestreiten, als jeder sozialen Gemeinschaft die funktionale Notwendigkeit immanent ist, die Unerwünschtheit bestimmter Verhaltensweisen bewußt zu halten (Hassemer 1981, S. 294), so beschränkt sich die hoheitliche Beförderung eines Ausgleichs zwischen den Kontrahenten nicht nur auf das unvermeidliche und erträgliche Minimum der Bestätigung der Fehlerhaftigkeit des Verhaltens. Dieser erscheint darüber hinaus wegen seiner konkreten Konflikt- und Rechtsgutsbezogenheit von vornherein sehr viel eher geeignet, auch durch Art und Ausgestaltung der Rechtsfolge den materiellen Schutzgehalt der konkreten Verbotsnorm zu veranschaulichen (Abel/Marsh 1984, S.68) als allgemeine Strafen, deren Symbolgehalt sich in der auf abstrakter Ebene angesiedelten Mißbilligung erschöpft, daß überhaupt verbrochen wurde. Restitutive Reaktionen fördern ferner die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Kontrollsystems, wenn es auch bei der Straftatbewältigung im Einzelfall demonstriert, daß zuerst dem durch den Normbruch konkret Betroffenen Aufmerksamkeit zusteht (Wright 1982, S. 247; Müller-Dietz 1988, S.974). Diese Einsichtigkeit auf Ausgleich angelegter Rechtsfolgen ist in gleicher Weise ein entscheidender Vorzug in spezialpräventiver Hinsicht (Hellmer 1979, S.46): Dem Delinquenten wird es wesentlich erleichtert, Belastungen auf sich zu nehmen und anzuerkennen, die sich nicht lediglich im Erdulden einer Einbuße an Lebensqualität erschöpfen, sondern auf die Bereinigung der Tatschäden gerichtet sind und so ihren konkreten Sinn erkennen lassen. Überdies bietet gerade unter verhaltensprägenden Zielsetzungen allein die Auseinandersetzung mit

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den durch die Tathandlung ausgelösten Beeinträchtigungen die anschauliche Möglichkeit zur Einsicht in den materiellen Schutzzweck der Verbotsnorm. Die entscheidende Chance liegt jedoch vor allem in der Mobilisierung der unmittelbaren Beziehung zwischen Täter und Opfer und der gemeinschaftlichen Bearbeitung des Interaktionsfehlers. Erst dadurch kann die Verarbeitungsmethode aus der Eindimensionalität der Täterorientierung des strafrechtlichen Devianzmodells gelöst und der Konflikt der Kontrahenten als solcher thematisiert werden. Nur so eröffnet sich den Beteiligten die Möglichkeit, die unterschiedlichen Interpretationen des gemeinsam erlebten Ereignisses und ihre spezifischen Wahrnehmungen auszutauschen, um etwas über die Betroffenheit, die Ängste, Motivationen, Erwartungen und die Normalität des Gegenübers zu erfahren. Nur im Wege des „röle-taking" (Mead 1955, S. 254) wird einerseits einer Distanzierung des Täters vom Geschehen und der Verdrängung seiner Verantwortung durch Neutralisationstechniken entgegengewirkt, andererseits dem O p f e r eine einsichtige Verarbeitung und die Bewältigung von Ängsten ermöglicht, indem irrationalen Dramatisierungen und der Stilisierung des Täters zu einem unbegreiflichen Monstrum der Boden entzogen wird (McDonald 1976, S. 39). Aus der Konstruktivität einer so konzipierten Methode der Verarbeitung delinquenter Kollisionen kann sich für den Schädiger jenseits der erleichterten Verständlichkeit des Sinns seiner verantwortlichen Inanspruchnahme günstigenfalls die Gelegenheit zu einer psychologischen Selbststärkung ergeben (Eglash 1957/58, S.622). Denn die Konzentration auf die Bewältigung des Konflikts und der Tatschäden fordert den Täter zur aktiven Mitwirkung heraus. Die Erfahrung, einer positiven Verhaltenserwartung ausgesetzt zu sein, zur Reparatur der angerichteten Schäden selbst Beiträge leisten zu können und damit ernst genommen zu werden, kann dem Täter ein bestätigendes Erfolgserlebnis vermitteln (Jacob 1970, S. 156). Die Beschäftigung mit der Tat bezieht die strafrechtliche Mißbilligung auf das Ereignis und nicht auf die Person, deren Pathologisierung damit nicht nur überflüssig, sondern sogar hinderlich wird (vgl. auch Pilgram 1988, S. 151). In bezug auf die Gemeinschaft der Normadressaicn insgesamt kann das Strafrecht durch die Anerkennung, Förderung und Kultivierung restitutiver und mediativer Methoden der Straftatbewältigung seine Vorbildfunktion einsetzen und mit höchster Autorität verdeutlichen, wie auf angemessene und produktive Weise auf Verletzungen reagiert werden kann, um so auch Beispiele zu geben f ü r private Konfliktreaktionen des Alltags bis in die Familie hinein. Kommen auf diese Weise general- und spezialpräventive Zielsetzungen strafrechtlicher Normbestätigung zur Deckung, so wird hier eine Möglich-

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Wiedergutmachung

keit sichtbar, dem Dilemma der Strafzweckantinomie zu entgehen: Die Reaktionsweise bringt die Mißbilligung des inkriminierten Vorgangs zum Ausdruck, ohne sich in der Übelszufügung zu erschöpfen. Dem Normverletzer wird ein soziales Lernerlebnis vermittelt, ohne durch eine auf zweifelhafte Kausalitätsannahmen gestützte Persönlichkeitsbehandlung das Tatprinzip zu verletzen (Jakobs 1983, S. 17 f.). Deshalb läßt sich hier von einer „dritten Spur" zwischen Strafe und Behandlung sprechen (Frehsee 1987, S. 119; zust. Roxin 1987, S. 52 sowie Müller-Dietz 1988, S.971). Nun wird in jüngerer Zeit vorgeschlagen, dem Wiedergutmachungsgedanken dadurch Nachdruck zu verleihen, daß ein eigenständiger „Strafzweck der Wiedergutmachung" ins Strafrecht eingeführt wird (Seelmann 1981, S.53; Rössner 1984, S.382; Rössner/Wulf 1984, S.82f., S. 124f.; s.a. Sessar 1983, S. 157). Demgegenüber ist jedoch erhebliche Skepsis anzumelden. Die Wiedergutmachung läßt sich, wie angedeutet, problemos in das aktuelle Strafzwecksystem einpassen. Damit unterliegt sie den Schranken rechtsstaatlicher Eingriffsbegrenzung als strafrechtlicher Schutzfunktion. Ein eigenständiger Wiedergutmachungszweck würde demgegenüber der im Wiedergutmachungsgedanken enthaltenen Komponente der Förderung der Opferinteressen ein selbständiges Gewicht beimessen. Das ist riskant. Die vorliegenden Erfahrungen zeigen ohnehin an, daß die spezifische Schwäche strafrechtlicher Wiedergutmachung in der Tendenz liegt, in den zivilrechtlichen Schadensersatz hinüberzugleiten und damit den Druck des Strafverfahrens für Zwecke zu mißbrauchen, für die das Strafrecht eine Eingriffslegitimation nicht zur Verfügung stellt (skeptisch vor allem Beste 1987). Dies wird bei der Betrachtung des strafrechtlichen Umgangs mit Wiedergutmachungsmöglichkeiten in der Praxis bisweilen drastisch deutlich.

E. Wiedergutmachung in der Praxis 1. Rechtliche

Einbindungsmöglichkeiten

Das Problem ist auch abhängig vom Formalitätsgrad der Einbindung der Wiedergutmachung in die strafrechtliche Straftatverarbeitung, weil eine der privaten Autonomie der Kontrahenten überlassene Einigung natürlich unverfänglich ist, die Bedenken vielmehr dort einsetzen, wo sich strafrechtlicher Zwang zur Privatnützigkeit verselbständigt. Die im geltenden Recht vorhandenen Ansätze weisen insofern eine große Bandbreite auf: — Zunächst repräsentiert der für einige Privatklagedelikte vorgesehene Sühneversuch (§380 StPO) idealtypisch ein Modell der Auslagerung des Vorganges aus dem bereits (freilich mit besonderer privater Initiative) eingeleiteten Ver-

fahrensgang zur vorrangigen informellen Streitbeilegung. Der Staatsanwaltschaft steht insofern die Möglichkeit einer gewissen Förderung dieser Lösung offen, als bei der im Falle der Anzeige von Privatklagedelikten notwendigen Prüfung des öffentlichen Interesses (§376 StPO) Raum für die Frage ist, ob nicht auch diesem mit dem Versuch privater Schlichtung besser gedient ist, zumal nach dessen Scheitern ohnehin noch die Übernahme zur öffentlichen Verfolgung zulässig ist (§377 StPO). — Auf der Seite formaler Ausgestaltung steht dem die Auflage der Schadenswiedergutmachung durch richterliches Urteil gegenüber, die im allgemeinen Strafrecht nur in Verbindung mit Strafaussetzung (§56b Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder Verurteilungsvorbehalt (§59 a Abs. 2 StGB), im Jugendstrafrecht darüber hinaus (§§23 Abs. 1, 29 JGG) auch als selbständige Reaktion (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 J G G ) vorgesehen ist. — Ist mit solcher erzwingbarer richterlicher Rechtsfolgenzuweisung die Wahrung rechtsstaatlicher Zurechnungsvoraussetzungen vergleichsweise gesichert, so zeigt sich die spezifische Problematik strafhalber veranlaßter Wiedergutmachung vor allem in den halbformellen Zwischenbereichen, in denen durch vorläufiges Absehen von der staatsanwaltschaftlichen Verfolgung (§ 153 a Abs. 1 StPO; §45 JGG) oder vorläufige Einstellung des gerichtlichen Verfahrens (§ 153 a Abs. 2 StPO; §47 JGG) dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben werden kann, durch eigenes Bemühen um eine private Einigung mit dem Geschädigten und Befriedigung seines Ausgleichsverlangens eine strafgerichtliche Verurteilung zu vermeiden. Das Dilemma war bereits Gegenstand der heftigen Diskussion um die Einführung des § 153 a StPO im Jahre 1975 gewesen, die den Freiwilligkeitsgrad dieses „freiwilligen Unterwerfungsverfahrens" in Frage gestellt hatte (vgl. statt vieler vor allem Schmidhäuser 1973, S. 529). Tatsächlich birgt gerade die Ungewißheit hinsichtlich Art und Maß der ansonsten drohenden Strafsanktionen in besonderer Weise das Risiko, daß sich der Beschuldigte einem dadurch vermittelten Nötigungsdruck ausliefert, auch auf womöglich überzogene Ansprüche des Geschädigten einzugehen oder gar entwürdigende Unterwürfigkeitsgesten auf sich zu nehmen. Nicht ohne gewisse Skepsis ist deshalb zu beobachten, daß die an verschiedenen Gerichtsorten der Bundesrepublik eingerichteten innovativen Modellprojekte, von denen allein belebende Impulse zur Förderung wiedergutmachender Konflikterledigung ausgehen (einen Überblick versucht der Fachausschuß „Strafrecht und Strafvollzug" des Bundesverbandes der Straffälligenhilfe 1988, S. 19ff.; vgl. auch Dünkel/Rössner 1987, S. 864ff.), vor allem wohl auf jener halbformellen Ebene der „Diver-

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Wiedergutmachung sion" ansetzen, auf der das Strafverfahren ausdrücklich ja nur für den Fall der Kooperation des Beschuldigten suspendiert ist (zu den Bedenken vgl. auch Kratzsch 1987, S. 136). Im übrigen kann ein von wem auch immer veranlaßter oder geförderter Ausgleich zwischen Täter und Opfer auf allen prozeßrelevanten Entscheidungsstufen eine strafentlastende Wirkung entfalten (Grave 1988, S.84ff.), die von der Unterlassung oder Zurücknahme der Strafanzeige über sanktionslose Einstellung, mildere Strafzumessung (§ 46 Abs. 2 StGB) bis zur günstigen Beeinflussung der Entlassungsprognose zum Ausdruck kommen kann und wohl seit jeher einen der klassischen Verhandlungsgegenstände jener „Verständigung im Strafverfahren" bildet, die auch einem durch Verfolgungs- und Anklagezwang formalisierten Verfahrensmodell beträchtliche Flexibilität verschaffen (Schmidt-Hieber 1986, S.84ff.).

2. Quantitativer

Stellenwert

Eine Abschätzung der quantitativen Bedeutung im Verbund der Strafverfolgung ausgelöster und/ oder diese entlastender Wiedergutmachung ist angesichts dieser Bezugsvielfalt unmöglich. Dies gilt selbst für die durch Modellprojekte ausdrücklich veranlaßten Täter-Opfer-Verhandlungen, sofern sie unter den „Diversions"-Vorschriften (§§45, 47 JGG) geführt werden. — Die Erkenntnisgewinnung ist dann auf Einzelerhebungen angewiesen. So fand Hügel (1987, S. 37) für das Jahr 1980 unter 652 Einstellungen nach §§45 , 47 J G G zwei Wiedergutmachungsauflagen. Jedoch wird aus Österreich berichtet, daß dort nach Einführung des bundesweiten „Modellversuchs Konfliktregelung" im Jugendstrafrecht in einzelnen Gerichtsbezirken bis zu 30 % der angezeigten Jugendlichen von Jugendrichtern jedenfalls für die Konfliktregelung „in Betracht gezogen" wurden (Pelikan/Pilgram 1988, S. 69). — Im deutschen allgemeinen Strafrecht ist für den Sühneversuch vor dem Schiedsmann eine nicht nur im Vergleich zum staatsanwaltschaftlichen Geschäftsanfall bescheidene Größenordnung, sondern zudem seine ständige Abnahme von 104712 Fällen (1950) auf 21615 Fälle (1984) zu verzeichnen (Jansen 1986, S. 10). — Zur förmlichen Wiedergutmachungsauflage ist den Verurteilungsstatistiken zu entnehmen, daß diese im Jugendstrafrecht (§1511 JGG) im Größenbereich eines Anteils von 1,5% an allen Verurteilungen liegt (1565 von 107211 — vgl. Verurteiltenstatistik 1986, Tab. 4.3), und zwar mit langfristig sinkender Tendenz. Ähnliches gilt für den Anteil der Schadenswiedergutmachung an den staatsanwaltschaftlichen Auflagen

und Weisungen nach § 1 5 3 a l StPO: 1,5% (1977) - 0,5% (1983) (Rieß 1985, S.213). Bei der gerichtlichen Verfahrenseinstellung nach allgemeinem Strafrecht (§153 a II StPO) wird dagegen eine Zunahme sichtbar: 1,7% (1975) - 4 , 4 % (1978) - 5,1% (1981) (Rieß 1983, S. 94). — Über Bewährungsauflagen der Schadenswiedergutmachung lassen sich nur Einzeluntersuchungen Angaben entnehmen, die zu einer Schätzung von 1 % der Verurteilten führen (Albrecht 1982, S. 162f.; Dünkel 1985, S.360).

3. Qualitativer strafrechtlicher

Funktionsgehalt Wiedergutmachung

Auf der Grundlage einer Aktenuntersuchung zur Bedeutung von Wiedergutmachung in bisheriger strafjuristischer Praxis ist in qualitativer Hinsicht zunächst festzustellen, daß die Einbringung in den prozessualen Eingangsphasen (genauso wie im Vorfeld der Mobilisierung von Justiz) eine Sache des Schädigers und/oder Beschuldigten selbst ist. Die förmliche Auflage, die ja entgegen dem Ideal einer auf Ausgleich ausgerichteten Rechtsfolge durch einen gewissen Erzwingungsdruck gekennzeichnet ist, scheint dagegen von den justitiellen Entscheidungsorganen tendenziell für Fälle vorbehalten zu bleiben, in denen eine Wiedergutmachung bis dahin an einer renitent wirkenden Leistungsunwilligkeit des Beschuldigten gescheitert ist, obwohl sich ihre Angemessenheit und Notwendigkeit aufdrängt. Auch fällt unter solchem Blickwinkel ins Auge, daß Leistungsunfähigkeit für die Justiz auch bei vergleichbarer Deliktsart und -schwere und trotz ansonsten grundsätzlicher Wiedergutmachungsgeeignetheit offensichtlich sogleich jede Erwägung einer Wiedergutmachungsauflage ausschließt. Das hat freilich zur Konsequenz, daß dann in diesen Fällen der Leistungsunfähigkeit auf herkömmliche (in mäßigen Schwerebereichen also Geldzahlungs-) Sanktionen (Auflage, Strafe, insb. Strafbefehl) zurückgegriffen wird, womit der Geschädigte endgültig auch jede zivilrechtliche Befriedigungschance verliert (Frehsee 1987, S.340ff.). Diese unterschiedlichen Einsatzformen strafrechtlicher Wiedergutmachung folgen deutlich dem Statusgefälle der Täter, wobei dem kompetenteren, autonomeren Beschuldigten bemerkenswerte Möglichkeiten offenstehen, durch das Anerbieten einer Schadenswiedergutmachung einen Verfügungsgegenstand in das Verfahren einzubringen, um sich damit eine schonendere Behandlung zu verschaffen. Bedenklich ist dabei, daß ein solches Anerbieten in entscheidungsreifen Verfolgungsstadien offensichtlich eindeutiger und sicherer honoriert wird als eine bereits vor Anzeige und Aufnahme der Ermittlungen erledigte Schadensbeseitigung (Frehsee 1987, S. 354ff.).

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Wiedergutmachung

Vom Gegenstand her erweist sich, und dies erklärt zum Teil die Marginalität dieser Reaktionsform, daß die Schadenswiedergutmachung von der Justiz immer noch weniger als Sanktion, sondern eher als zivilrechtlicher Fremdkörper begriffen wird. Dies wird vor allem daran erkennbar, daß Schadenswiedergutmachung seltener als alle anderen Auflageformen allein, sondern überwiegend nur neben einer weiteren Sanktion angeordnet wird und damit den Charakter einer Art Zusatzsanktion gewinnt (vgl. auch Heinz 1986, S.35), die einer Adhäsionsentscheidung näher ist als einer Strafreaktion. Dem entspricht auch, daß die Auflage überwiegend auf vollen Schadensausgleich gerichtet und durch eher opfernützige als täterbezogene Erwägungen motiviert ist. Überdies weisen Fälle, in denen eine Wiedergutmachungsauflage erteilt wurde, in überproportionalem Maß Zweifel hinsichtlich der tatsächlichen Beweislage, aber auch der rechtlichen Zurechnungsvoraussetzungen auf, so daß die Anordnung von Schadenswiedergutmachung die Funktion einer „Ausweichreaktion" erhält, die angesichts ihrer zivilrechtlichen Legitimationsgrundlage auch dann erträglich erscheint, wenn sich die Strafbarkeit bei vollständiger Aufklärung nicht bestätigen ließe. Schließlich wird bisweilen sehr deutlich erkennbar, daß das Strafrecht dort, wo Institutionen oder Geschäftsleute als tatgeschädigte Opfer auftreten, teilweise recht unverhohlen als letzte Vollstreckungshilfe mißbraucht wird, wenn zivilrechtlicher Zwang bereits erschöpft ist (Frehsee 1987, S.365f.).

F. Konzeptionelle Erfordernisse strafhalber veranlaßter Wiedergutmachung Wird daran das prinzipielle Risiko restitutiver Reaktionen im Strafrecht deutlich, daß nämlich außerstrafrechtliche Motivationen bei der Inanspruchnahme des Täters nach Grund und Umfang unangemessenen Einfluß oder gar die Oberhand gewinnen, so gibt dies Anlaß, in konzeptioneller Hinsicht mit besonderem Nachdruck bewußt zu halten, daß sich strafrechtlicher Zugriff ausschließlich durch die funktionalen Erfordernisse allgemeiner und individueller Verhaltenskontrolle legitimiert. Darüber hinausgehende Ziele wie die Befriedigung des geschädigten Tatopfers können nur als Sekundärzwecke Bedeutung bekommen, sofern sie sich innerhalb des legitimierten Rahmens strafrechtlicher Einflußnahme mitverfolgen lassen. Wo jedoch der Opferbefriedigung ein selbständiger Rang und eigenständiger Stellenwert bei der Rechtsfolgenbemessung eingeräumt wird, ist der Funktionsrahmen des Strafrechts verlassen. Daraus ergeben sich für die konzeptionelle und praktische Ausgestaltung der Formen restitutiver Bewältigung strafrechtlich qualifizierbarer Schädigungen folgende Grundsätze:

1. Ablösung

alternativer Konfliktbewältigung von der Strafverfolgung

Zum einen kann die Ausgleichsverhandlung stärker aus der strafjuristischen Rahmenzuständigkeit gelöst und von der Überformung durch den strafrechtlichen Unterwerfungsdruck freigestellt werden, der sich aus der Abhängigkeit der Erfolgsdefinition von der Zufriedenstellung der jedenfalls im Grundsatz dem Legalitäts- und Gerechtigkeitsprinzip verpflichteten justitiellen Entscheidungsorgane ergibt. Die Konfliktbewältigung kann so von dem Ruch befreit werden, daß es weder dem Beschuldigten noch der Justiz um den Ausgleich in der Beziehung zum Opfer an sich geht, sondern die Strafverfolgung selbst den eigentlichen Dispositionsgegenstand bildet. Die Fortentwicklung sollte deshalb in Richtung einer Verselbständigung von Schlichtungsdiensten gehen, die als echte Alternative zum Strafrecht direkt und ohne Umweg über die polizeiliche Anzeige von Betroffenen in Anspruch genommen werden können (so auch Kuhn 1987, S. 317).

2. Formalisierung der Zugriffsvoraussetzungen bei Wiedergutmachung als Strafsanktion Zur anderen Seite muß bewußt gehalten werden, daß dort, wo Strafrecht zur Anwendung kommt, strafrechtliche Zurechnungs- und Zumessungsprinzipien zu beachten sind, von denen es sich auch im Falle restitutiver Rechtsfolgengestaltung nicht dispensieren kann. In dieser Richtung muß die Entwicklung also an stärkerer Formalisierung und stringenter Prüfung strafrechtlicher Zugriffsvoraussetzungen orientiert sein (vgl. auch Schöch 1987, S. 152). Dies erfordert zunächst die Auferlegung einer konkret bestimmbaren Leistung (was sich in einer Entschuldigung erschöpfen kann, idealtypisch die Zahlung eines konkret bezifferten Geldbetrages bedeutet, aber auch dann die Grundlage für eine persönliche klärende Täter-Opfer-Verhandlung bieten kann). Nur so läßt sich die Inpflichtnahme des Beschuldigten sanktionstechnisch formalisieren und ins Strafverfahren einbinden. Wenn nun trotzdem gerade insofern die Praxis beträchtliche Schwierigkeiten hat, so beruht dies auf bis weit in die Rechtslehre hinein zu beobachtender mangelnder Differenzierung der unterschiedlichen Funktionsziele der sich hier berührenden Rechtsbereiche: Auch wenn es bei „Wiedergutmachung" darum geht, den Ausgleich anstelle von Repression zum Instrument strafrechtlicher Aufgabenerfüllung zu machen, so bleibt es doch Strafrecht, für dessen Folgenzuweisung zivilrechtlicher Schadensersatz nie Maßstab sein kann. Denn die Zurechnungs- und Zumessungsgrundsätze sind verschieden, wenn es hier um eine der Vorwerfbarkeit entsprechende

Wiedergutmachung Mißbilligung des Verhaltensfehlers und dort um die vollständige Reparatur des Schadens geht. Das Adhäsionsverfahren ist von dieser Problematik frei, weil es sich dabei lediglich um die verfahrensrechtliche Kombination straf- und zivilrechtlicher Funktionen in einer Hand handelt, die ihre Selbständigkeit behalten. Die Erfüllung der ausgeurteilten Schadensersatzpflicht bleibt dort der Durchsetzung mit zivilem Vollstreckungszwang überlassen, ist also vom strafrechtlichen Sanktionsdruck völlig unabhängig. Die als strafrechtseigene Rechtsfolge ausgestaltete Auflage der Schadenswiedergutmachung ist dagegen Sanktion. Deshalb ist es systemwidrig, wenn die herrschende Lehre nach wie vor darauf besteht, daß es dabei nur darum gehe, den Verurteilten an eine bereits bestehende (zivilrechtliche) Verpflichtung heranzuführen (Horn, in: SK StGB § 5 6 b R d n . 4 ; L G Bremen, NJW 1971, S. 154; Itzel 1987, S. 133). Solche Haltungen veranlassen zu der auch in der durch die Modellprojekte geförderten Praxis vielfach zu beobachtenden Einstellung, die dem Täter abzufordernde Ausgleichsleistung sei an der vollständigen Erfüllung ziviler Ersatzansprüche zu orientieren. Damit wäre allerdings die Grenze zum Zivilrecht überschritten. So lange es aber um Verhaltenskontrolle geht, können allein deren Erfordernisse Grund und Maß der Rechtsfolge bestimmen. Wenn Wiedergutmachungsleistungen den materiellen Gegenstand der strafrechtlichen Reaktion bilden, ist das insofern ideal, als nicht nur entsprechende Sekundärschädigungen des Opfers vermieden, sondern zur Minderung der Primärschäden Teilbeträge geleistet werden. Jedoch stellt der Schaden nur einen Spielraum dar, innerhalb dessen der Verletzer Bemühungen entfalten kann, um die Bestätigung der Geltung der verletzten Norm zum Ausdruck zu bringen. Dies kann trotz hohen Schadens bei mäßigem Schuldvorwurf weit unterhalb des vollen Schadensausgleichs der Fall sein. Die Regulierung entsprechender Differenzen muß jedoch der originären Zuständigkeit des Zivilrechts überlassen bleiben. Dessen spezifische tatsächliche und rechtliche Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen kann das Strafrecht nicht übernehmen, schon gar nicht kann es dazu herhalten, zivilprozessualen Vollstreckungsschutz zu unterlaufen. Auf der anderen Seite gibt es unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Mißbilligung eines schädigenden Verhaltensfehlers keinen Anlaß, Reparationsbemühungen auf jenen Ausschnitt von Tatschäden zu beschränken, für den das Zivilrecht in seiner jeweiligen positivrechtlichen Gestalt Ersatzansprüche vorsieht. Denn die Anerkennung der verletzten Norm kann sich im Einzelfall natürlich auch gerade erst jenseits dieses zivilrechtlichen Minimums zum Ausdruck bringen lassen. Eine ausdrücklich strafrechtliche Schadenswiedergutmachung wird deshalb nur richtig verstanden, wenn sie sich auf eine eigenständige Bestimmung des tatsächlichen Schadens im natürlichen

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Sinne stützt und diesen als ein faktisches Betätigungsfeld für Sanktionsleistungen versteht, die ausschließlich nach strafrechtlichen Sanktionserfordernissen zu bemessen sind. Nur so kann auch die spezifisch strafrechtliche Funktion rechtsstaatlicher Eingriffsbegrenzung gewahrt und systemfremden Vermengungen mit zivilrechtlichen Ersatzbedürfnissen entgegengetreten werden (Frehsee 1987, S. 237ff.). Danach kommt es allein auf einen nach außen sichtbar werdenden Grad subjektiver Anstrengung an, der nach der den jeweiligen Umständen entsprechenden persönlichen Belastbarkeit zu bemessen ist. Damit entwertet sich auch der vielfach erhobene Vorbehalt, einer Wiedergutmachungsleistung könne eine Sanktionswirkung gar nicht beigemessen werden, sofern der Täter nur veranlaßt werde zu leisten, was er zivilrechtlich ohnehin schulde. Denn ein Rechtsanspruch ist für sich genommen nichts wert, so lange er nicht anerkannt oder tituliert ist und seine Erfüllung gesichert oder zweifelhaft ist, ob sie sich überhaupt vollstrecken läßt. Tatsächlich belegt die Empirie, daß strafrechtlich veranlaßte Schadenswiedergutmachung, insbesondere wenn sie durch eine förmliche Auflage verbindlich gemacht wird, zu Leistungen führt, die sonst nicht oder nicht in dem Umfang oder zu dem Zeitpunkt erbracht worden wären. Die förmliche Auflage findet gerade bei geringer Kooperationsbereitschaft des Beschuldigten Anwendung, wo mit vergleichsweise hohem Maß an Nachdruck noch in fortgeschrittenen Verfahrensstadien Leistungen, insbesondere auch Teilleistungen, veranlaßt werden können (Frehsee 1987, S. 365). Bedenklich ist die geringe Anerkennung dieses Sanktionscharakters durch die strafjustitiellen Entscheidungsorgane, wenn Wiedergutmachungsauflagen seltener als andere Auflagen allein, sondern überwiegend nur in Verbindung mit einer weiteren Sanktionsform erteilt werden, denen dann die eigentliche Sanktionsfunktion beigemessen wird, die neben der vermeintlich nur einer zivilrechtlichen Bereinigung dienenden Wiedergutmachungsauflage für erforderlich gehalten wird. Mit der professionell juristischen (und insofern ziviljuristischen) Bestimmung des Schadensbegriffs mag es auch zu tun haben, wenn sich die Nutzung der gesetzlichen Möglichkeiten der Auferlegung von Schadenswiedergutmachung in der bisherigen Rechtswirklichkeit im wesentlichen auf Deliktsformen geringen Schweregrades beschränkt, die einen durch Geldzahlung ersatzfähigen Schaden aufweisen (Sachbeschädigung), mag es auch um immaterielle Schäden gehen (kleinere Körperverletzungen), oder die an sich bereits durch deutliche Zivilrechtsbezüge gekennzeichnet sind (Betrug, Unterhaltspflichtverletzung). Die ausgesprochenen Massendelikte werden kaum einbezogen. Ist das etwa im Bereich Straßenverkehr hinzunehmen, weil sich Gefährdungsdelikte tatsächlich schlecht für restitu-

400

Wiedergutmachung

tive Lösungen eignen, so scheitern diese bei der Verarbeitung von Eigentumskriminalität, namentlich dem Diebstahl ohne erschwerende Umstände an dem Argument, die bloße Rückgabe einer gestohlenen Sache könne nicht als Wiedergutmachung angesehen werden. Überdies erweist sich, daß das Diebesgut in der Mehrzahl der Strafverfahren zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife bereits zurückgegeben ist (Vodopivec 1978, S. 157: 6 6 % ; Softley S. 9: 71 % ) . Ist dies zunächst Anlaß, stärker in Frage zu stellen, inwiefern hier überhaupt noch Reaktionsbedürfnisse bestehen, so setzt die Ausweitung restitutiver Verarbeitungsmöglichkeiten in diesem praktisch bedeutsamen Deliktsbereich eine deutlichere Kenntnisnahme der Begleit-, Sekundärund Folgeschäden voraus durch Sachbeschädigungen, Nutzungsausfall, Wertminderung, Wiederbeschaffung (vgl. Lange 1979, S. 174ff.), aber auch immaterieller Beeinträchtigungen im Sinne von Angst, Enttäuschung, bürokratischem Aufwand usw. Jedenfalls nehmen Eigentums- und Vermögensdelikte bei der britischen „compensation order" den ersten Platz ein (Jung 1987, S.512f.). Überdies ist insbesondere insofern darauf abzustellen, daß dem Betroffenen auch auf andere Weise als durch eine Geldzahlung ein (ggf. auch symbolischer) Ausgleich erbracht werden kann durch persönliche Dienst- oder Werkleistungen, Entschuldigungen oder klärende Gespräche. Was aber die materiellen Schäden betrifft, so ergibt sich eine weitere Einschränkung der unmittelbaren Wiedergutmachungsmöglichkeiten, wenn Versicherungen für den Schadensausgleich einstehen. Insofern hat der soziale Fortschritt solidarischer Lastenverteilung durch zunehmende Verlagerung der Verletzungsrisiken auf kollektive Haftungsträger eine nachteilige Kehrseite, weil so dem Individuum seine unmittelbare Verantwortlichkeit für schädigendes Handeln genommen wird. Geht damit die verhaltenskontrollierende Sekundärfunktion des zivilrechtlichen Schadensersatzes verloren, so ist auch darin ein Grund für einen vermehrten Rückgriff auf das Strafrecht als des ultimativen Kontrollsystems zu sehen (Christie 1977, S. 13). Es ist deshalb eine nachgerade funktionslogische Notwendigkeit, auch im Rahmen der strafrechtlichen Verarbeitung des Schädigungsereignisses trotz Versicherungsdeckung nach restitutiven Lösungen zu suchen. Das kann durch opferbezogenen Ausgleich nicht gedeckter Sekundär- oder Immaterialschäden geschehen, aber auch durch Regreßleistungen an die Versicherung, was trotz der Anonymisierung der Folgenbereinigung angesichts des funktionalen Schadensbezuges immer noch einer repressiven Strafsanktion vorzuziehen ist (Brunner 1976, S.270). Obwohl die Feststellung der Zuständigkeit einer Versicherung in der strafjuristischen Praxis allzuoft geradezu als Legitimationsargument erscheint, sich um die Schadensfrage nicht kümmern zu müssen,

beweist die Justiz in Einzelfällen selbst, daß darin ein grundsätzliches technisches Hindernis für persönliche Wiedergutmachungsleistungen nicht liegen muß, nicht einmal im Falle der Zuständigkeit von Haftpflichtversicherungen des Täters, obwohl die rechtlichen Bedingungen bei Schadensversicherungen des Opfers zweifellos unproblematischer sind (Frehsee 1987, S.361f., S. 174ff.). Auf einer ähnlichen Ebene liegt das Problem praktischer Wiedergutmachungslösungen im Falle institutioneller Tatgeschädigter. Diesbezügliche Vorbehalte bestätigen sich in der Neigung aktueller Modellprojekte, ihre Vermittlungsdienste auf strafrechtsrelevante Konflikte mit natürlichen, persönlichen Opfern zu beschränken (Görlach 1987, S. 293; Hassebrauck 1987, S.300; Kuhn/Rössner 1987, S. 269). Diese Orientierung am „Idealmodell" eines zwischenmenschlichen Täter-Opfer-Ausgleichs mag gerade in Erprobungsphasen sinnvoll sein. Dennoch muß bei der Weiterentwicklung berücksichtigt werden, daß auch im Bereich der Kriminalität entsprechend den strukturellen gesellschaftlichen Veränderungen in zunehmendem Maße Institutionen, Unternehmen, Organisationen als Tatgeschädigte in Erscheinung treten („Opferverdünnung"). Die Ausklammerung solcher Konfliktkonstellationen würde nicht nur eine unangemessene Selbstbeschränkung alternativer Bewältigungsformen bedeuten. Es ist auch sachlich nicht zu begründen, warum solche Bereiche von ausgleichenden, wiedergutmachenden Verarbeitungsmethoden ausgeschlossen bleiben sollten, so lange das Strafrecht auch hier in gleicher Weise durch sanktionsbewehrte Verhaltensverbote Rechtsgüterschutz leistet. Allerdings sind insofern stärker juristisch und ökonomisch versierte Vermittlungskapazitäten gefordert. In gegenteiliger Hinsicht ist die Suche nach ausgleichsorientierten Methoden der Straftatverarbeitung ferner im Bereich strafbarer Verletzungen höchstpersönlicher Rechtsgüter entwicklungsfähig. Zwar wird hier bislang von allen Seiten ganz überwiegend davon ausgegangen, daß dem Opfer einer schweren Körperverletzung oder einer Vergewaltigung eine neue Begegnung mit dem Täter tunlichst erspart bleiben sollte, um eine Reviktimisierung durch eine solche „Konfrontation" zu vermeiden. Diese Meinung gründet sich jedoch auf das bisher insbesondere im Strafprozeß zur Verfügung stehende Ambiente einer solchen, in der Tat konfrontativ angelegten Begegnung, ist von repressiv-punitiven Interessen beeinflußt und durch Vorurteile belastet. Der Ausbau der strafprozessualen Verletztenrechte durch das Opferschutzgesetz von 1986 läuft in seiner Einseitigkeit auf eine Verstärkung derartiger dysfunktionaler Haltungen hinaus (Schünemann 1986). Demgegenüber bekommt die erkannte Notwendigkeit einer unmittelbaren Verständigung zwischen Täter und Opfer, die Voraussetzung ist für den Abbau irrationaler Dramatisierungen, Ängste und Vermeidehaltungen, gerade dort ihre groß-

Wiedergutmachung te Bedeutung, wo die Tat höchste persönliche Betroffenheit ausgelöst hat. D a ß dabei im Einzelfall äußerste Vorsicht geboten ist und eine unmittelbare Begegnung der Tatgegner unter Umständen erst als Endstufe eines aufwendigen und in getrennter therapeutischer Aufarbeitung vorbereiteten Rationalisierungs- und Annäherungsprozesses sein kann (Ben David 1985, S.271), versteht sich von selbst. Auch zeigt sich am Beispiel des umstrittenen Hamelner „Geschlechtsrollenseminars", daß die Thematik auch beträchtliche konzeptionelle Risiken birgt. Die dort gepflegte Strategie der Zerstörung sozialwidriger Geschlechtsrollenstereotype durch militant-aggressive Degradierung der Persönlichkeit des nichterwachsenen Vergewaltigungstäters (vgl. Heilemann 1987, S.397) läßt sich nur schwer als ein Befriedungsmodell ausgleichender Versöhnung bezeichnen.

G. Entwicklungsperspektiven Für die erweiterte Ersetzung oder Zurückstellung strafprozessualer Klärungsmethoden und strafender Sanktionen durch wiedergutmachende Konfliktbewältigungsformen bedarf es deshalb zuerst einer Veränderung der Einstellungen beim Justizpersonal, vornehmlich Richtern und Staatsanwälten. Denn sie können insofern seit langem auf rechtliche Anwendungsmöglichkeiten zurückgreifen, die durchaus vielfältige Bewegungsspielräume öffnen. Ein anschauliches Beispiel der ohne Gesetzesänderung möglichen justizplanerischen Organisationsgestaltung ist Ende 1985 in Hamburg gegeben worden, wo erstmals für den Justizbereich eines gesamten Bundeslandes die Erweiterung der Diversion im Jugendstrafrecht auch durch systematische Extensivierung des Ausgleichs zwischen Täter und Opfer als vor- und halbjustitielles Verfahren zur Erledigung weiteren Reaktionsbedarfs betrieben worden ist (Hamburger Senatsmitteilung 1985). Im übrigen wird ein Regelungsbedarf für weitere prozess- und sanktionenrechtliche Öffnungen vor allem zu folgenden Gesichtspunkten diskutiert: — Strafverzicht nach freiwilliger Wiedergutmachung (tätiger Reue) vor Beginn der Ermittlungen nach dem Modell von § 167 ÖStGB oder §371 A O (Hillenkamp 1987, S.81); — Einführung eines „allgemeinen Sühneverfahrens" für den gesamten Vergehensbereich nach dem Modell des privatklagerechtlichen Sühneversuchs (§380 StPO). Danach kann der Staatsanwalt oder der Richter die Kontrahenten unter vorläufiger Verfahrenseinstellung zum Vermittlungsversuch an eine Vergleichsstelle verweisen, um durch private Konflikterledigung das öffentliche Verfolgungsinteresse zu beseitigen (Rieß 1984, S.94; v.Schacky 1975, S.340ff.);

401

— verfahrensrechtliche Verbindung der straf- und zivilrechtlichen Aspekte in unteren Schwerebereichen nach dem Modell des Adhäsionsverfahrens (§ 403 ff. StPO) durch ein neu konstruiertes Privatklageverfahren (Hirsch 1976), ein „kriminalrechtliches Vergleichsverfahren" (Kerner 1982, S. 819f.) oder ein „strafrechtliches Restitutionsverfahren" (Schöch 1984); — die Einführung einer selbständigen Hauptsanktion Schadenswiedergutmachung auch für das allgemeine Strafrecht (Frehsee 1987, S.384; Fachausschuß 1988, S . 4 0 f f . , S.47; Jung 1987, S. 533); — die Verbindung von Geldstrafe und Schadenswiedergutmachung durch Einführung der Möglichkeit, Geldstrafe unter Auflagenerteilung zur Bewährung auszusetzen (Grebing 1978, S. 1355; Rieß 1984, S. 98) oder der vorrangigen Verwendung von Geldstrafen auf Schadenswiedergutmachung durch Vikariierung (Sessar 1983, S. 159). Ein bescheidener, weil anrechnungsfreier Ansatz findet sich jetzt in §459 a StPO, wonach die Vollstreckungsbehörde Zahlungserleichterungen gewähren kann, um die Wiedergutmachung nicht zu gefährden. Darüber hinaus ist die praktische Belebung von Wiedergutmachungslösungen in erster Linie ein Implementationsproblem, weil Vorbereitung und Abwicklung Vermittlungs- und Unterstützungskapazitäten verlangen, die bei den Sozialdiensten herkömmlich nicht vorhanden sind (vgl. dazu Janssen 1986). Deshalb besteht die Leistung der an verschiedenen Gerichtsorten in der deutschen und der österreichischen Bundesrepublik eingerichteten Modellprojekte zur Erprobung von Täter-OpferAusgleich oder „Konfliktregelung" im Wege der Diversion im Bereich des Jugendstrafrechts zuerst in der Bereitstellung entsprechenden Personals. In inhaltlicher Hinsicht bedürfen solche Vermittlungsagenten besonderer Kenntnisse und Erfahrungen mit den Techniken der Kontaktvermittlung, Motivierung der Kontrahenten zur Kooperationsbereitschaft sowie den Mediationsverfahren im engeren Sinn (Grave 1988, S. 78), für die unterschiedliche Konzepte, aber auch reichhaltige Modellerfahrung aus den amerikanischen "dispute settlement"- und "neighborhood justice"-Programmen vorliegen (Sander 1982, S.25; McGillis/Mullen 1977; Ray 1981; Felstiner/Williams 1980; Alper/ Nichols 1981; siehe auch Bußmann 1986, S. 152). Das entscheidende Praxisproblem liegt aber in der zumeist nur beschränkten Leistungsfähigkeit der Schädiger, wenn zur Wiedergutmachung materieller Schadensersatz in Form eines Geldbetrages geleistet werden soll. Hier wird einerseits versucht, aus gemeinnützigen WiedergutmachungsFonds Kredite zur Verfügung zu stellen, so daß der Geschädigte schneller zum Ersatz kommt, der Verpflichtete die Beträge nach Maßgabe seiner Mög-

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Wiedergutmachung

lichkeiten in den Fonds erstatten kann (Frehsee 1982, S. 320). In den USA lebt die im Jugendbereich mit bemerkenswerter Breitenwirkung betriebene „restitution" ganz wesentlich davon, daß dem Jugendlichen die Möglichkeit geboten wird, gemeinnützige oder auch private Arbeiten und Dienstleistungen zu erbringen, um damit eine sogleich an das Tatopfer abzuführende Entlohnung zu verdienen (Schneider, P. R. 1985, S.315). Auch in der B R D sind vergleichbare erste Ansätze in der Erprobung (Staeter 1984, S.221; Kuhn 1987, S. 316), wobei sich freilich erst erweisen muß, ob sich für die gemeinnützigen Entlohnungsfonds in hinreichendem Umfang Mittel aquirieren lassen, um auf diese Weise in größerer Breite Schadensersatzleistungen zu finanzieren. Auch muß dabei der Gefahr entgegengetreten werden, daß sich solche Verfahren für den Täter auf das Erlebnis gemeinnütziger Dienstleistungen reduzieren, und der entscheidende Bezug einer Täter-Opfer-Interaktion ins Hintertreffen gerät. Die Leistungsfähigkeit des Täters ist ferner das beherrschende Problem in den Bereichen qualifizierterer Kriminalität mit höherem Schaden und ggf. verdichteten Desozialisationsstadien entwickelter Karrieren, wie sie dann im Zusammenhang mit Bewährungshilfe sowie vollstreckter oder verbüßter Freiheitsstrafe zur Bearbeitung kommen. Hier drängt das Phänomen allgemeiner Verschuldung die Frage des Schadensausgleichs zumeist in den Rang eines unter mehreren gleichlastigen Problemen herab (Dünkel/Rössner 1987, S.862). So ist das Erfordernis der Schadenswiedergutmachung hier nur eines von mehreren Argumenten für die Notwendigkeit der Verschaffung von Arbeit, einer besseren Entlohnung der Arbeit im Vollzug, der vermehrten Eröffnung von Freigang zum Zwecke freier Beschäftigung (Wulf 1985, S.74) oder der wesentlichen Einschränkung von Inhaftierungszeiten, um den Verlust von Arbeit abzuwenden oder die Aufnahme von Arbeit zu ermöglichen (vgl. insb. das Modell des amerikanischen "restitution center" - Schneider 1982, S . 3 0 f . ; Callison 1983, S.337). Dabei ist es besonders schwierig und vordringlich, im Verbund solcher Problemkumulationen den Substitutionscharakter von Wiedergutmachung zu wahren, also sicherzustellen, daß entsprechende Bemühungen des Verurteilten durch Vollzugslockerungen, frühzeitige Strafaussetzung und Straferlaß honoriert werden.

H. Ausblick Beim Vergleich erster Praxiserfahrungen der verschiedenen Modellprojekte zur Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs im Bereich jugendstrafrechtlicher Straftatverarbeitung zeigen sich — neben erwarteten technischen Problemen — mit übereinstimmender Tendenz Ergebnisse, die auf positive

Entwicklungsmöglichkeiten hindeuten und um so bemerkenswerter sind, als dadurch Vorbehalte erheblich entwertet werden, sie sie aus der Justiz auch zur Begründung bisheriger Abstinenz geltend gemacht worden waren (vgl. auch Grave 1988, S. 96 ff.): — So wird übereinstimmend berichtet, daß sich angesprochene Straftatopfer (jedenfalls Individualopfer) ganz überwiegend zugänglich zeigen, „vernünftig" mit sich verhandeln lassen und oft ihr Desinteresse an weiterer Bestrafung zum Ausdruck bringen (obwohl selbstverständlich auch Geschädigte angetroffen werden, die die Gelegenheit mißbrauchen, um überzogene Forderungen zu stellen) - (Kuhn 1987, S.314f.; Schreckling 1987, S.323). — Auch die Beschuldigten erweisen sich überwiegend als kooperationsbereit und zeigen oft bemerkenswertes Durchhaltevermögen (Kuhn 1987, S.314f.; Pelikan/Pilgram 1988, S.72). Diesbezügliche Schwierigkeiten werden mit projektspezifischen Motivationsproblemen erklärt (Hassebrauck 1987, S.304). — Im Verlaufe praktischer Projektarbeit erweitert sich das Spektrum befriedungsfähiger Deliktsformen (Kuhn/Rössner 1987, S.268; Pelikan/ Pilgram 1988, S.58, 60), so daß sich konzeptionelle Beschränkungen auf „geeignete Fälle" (Görlach 1987, S.292; Hassebrauck 1987, S. 300ff.) als unzweckmäßige Selbstbeschneidung durch sachwidrige Antizipation scheinbarer Machbarkeitsgrenzen erweisen. — Einer mediativen Bewältigung steht es ferner prinzipiell weder entgegen, daß es um Gruppendelikte geht (Kuhn 1987, S.314f.) oder Beschuldigte bereits strafrechtlich vorbelastet sind (Pelikan/Pilgram 1988, S.60; Kuhn 1987, S. 314), noch daß Organisationen geschädigt oder auch gravierende Schäden in Angriff zu nehmen sind (Pelikan/Pilgram 1988, S. 61). — Ferner lassen sich bei entsprechender Breite der Modellanlage hohe Akzeptanz sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei der Justiz und eine Veränderung der justitiellen Erledigungsweisen feststellen (Pilgram 1988, S. 149f.). Sind diese Ansätze somit ebenso ermutigend wie das in sehr kurzer Zeit so breit gewordene Interesse in wissenschaftlicher und kriminalpolitischer Diskussion und die Tatsache, daß sich im Zuge der Modellprojekte zunehmend auch Justizpraktiker bereitfinden, an einer offensiven Entwicklung mitzuwirken, so scheint es bei realistischer Einschätzung der Bewegungsfähigkeit der Strafrechtspflege dennoch zu hoffnungsvoll, den Veränderungsmöglichkeiten der Methoden öffentlicher Verhaltenskontrolle paradigmatische Dimensionen beizumessen (so Sessar u . a . 1986, S.86). Auf der anderen Seite ist es zu pessimistisch, auch in wiedergutmachender Straftatbewältigung nur wieder eine andere

403

Wiedergutmachung Form der Förderung des „allgemeinen Norm- und Wertkonsenses unter Zugrundelegung von gesellschaftlich generalisierbaren und gültigen Standards staatlichen Strafens" zu sehen (so Beste 1986, S. 163). Natürlich unterliegt eine ins Strafrecht integrierte Wiedergutmachung den Prämissen der jeweiligen Formalitätsebene und stützt deshalb die positivrechtliche Gestalt strafbewehrter Schädigungsverbote. Dennoch handelt es sich um die einzige Reaktionsweise, die im Gegensatz zu allen anderen durch die Thematisierung der Rechtsgutsverletzung und der kollidierten Interessenlagen überhaupt die Chance bietet, sich im je konkreten Anwendungsfall Rechenschaft abzulegen über die Angemessenheit der strafrechtlichen Schutzrichtung, Veränderungen in der gesellschaftlichen Schutzgüterbewertung wahrzunehmen und so durch einen Dialog von unten normgenetischen Einfluß freizusetzen. Wenn „Wiedergutmachung" in der aktuellen Diskussion vornehmlich in strafrechtlichen Bezügen Bedeutung findet (vgl. allerdings die Bemühungen um Entrechtlichung auch im zivilrechtlichen Bereich — Blankenburg/Gottwald/ Strempel 1982), so heißt das doch nicht, daß Wiedergutmachung in die strafrechtliche Funktion der Herrschaftssicherung einrücken soll, sondern daß die Notwendigkeit der Veränderung und Begrenzung sozialer Kontrolle durch Strafrecht als besonders drängend empfunden wird. D i e kriminalpolitische Einflußkraft der Wiedergutmachung im weiteren Sinne liegt gerade in ihrer außerstrafrechtlichen Originalität und ihrer Eignung, eine Brückenfunktion einzunehmen, um durch praktische Erprobung den Nachweis zu führen, inwieweit punitive Reaktionen entbehrlich sind und ein sukzessiver Rückzug auch des verfahrensrechtlichen Zugriffs von Strafrecht diskutabel wird (siehe auch Wright 1982, S. 247). Jedenfalls handelt es sich um den wohl interessantesten Impuls der kriminalpolitischen Diskussion der letzten Jahrzehnte, der eine Antwort anbietet auf entwicklungsstrukturelle Legitimationsprobleme öffentlicher Verhaltenskontrolle. O b die sog. „Hypertrophierung" von Strafrechtsanwendung nun Folge oder (Mit-)Ursache gesellschaftlicher Distanzierungsphänomene ist, die Strafrechtspflege hat es jedenfalls in der Hand, durch eigene Förderung wiedergutmachender Konfliktbewältigung selbst zu einer Richtungsänderung und einem Perspektivenwechsel beizutragen, wonach nicht mehr zu fragen ist, wieviel Strafrecht zugunsten von Wiedergutmachung verzichtbar, sondern inwiefern Strafrecht angesichts ungenutzter oder erfolgter Wiedergutmachung überhaupt zulässig ist (Sessar u . a . 1986, S . 8 8 ) . Bedenklich ist, daß die entscheidenden Beiträge dazu bislang vor allem von außerhalb der Justiz kommen und gegen ihren Widerstand anzugehen haben. (Stand: 1988)

Monographien

und

Sammelwerke

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404

Wiedergutmachung

Eb. S c h m i d t : Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl., Göttingen 1965. W. S c h m i d t - H i e b e r : Verständigung im Strafverfahren, München 1986. H . J. S c h n e i d e r : Viktimologie, Tübingen 1975. H . J. S c h n e i d e r : Kriminologie, Berlin, New York 1987. W. S e a g l e : Weltgeschichte des Rechts, München, Berlin 1951. J. S h a p l a n d , J. W i l l m o r e , P. D u f f : Victims in the Criminal Justice System, Aldershot 1985. P. S ο f 11 e y : Compensation Orders in Magistrate's Courts, H M S O , London 1978. R. S t a m m l e r : Theorie der Rechtswissenschaft, 2. Aufl., Halle a . d . S . 1923. F. S t r e n g : Strafmentalität und juristische Ausbildung, Heidelberg 1979. Ε. H. S u t h e r l a n d : Principles of Criminology, 4. Aufl., 1947. C. Th. W e l c k e r : Ü b e r die letzten G r ü n d e von Recht, Staat und Strafe, Gießen 1813. E . W i e s n e t , B. G a r e i s : Schuld und Gewissen bei jugendlichen Rechtsbrechern, Düsseldorf 1976. F. Α. M. v. W o r i n g e n : Beiträge zur Geschichte des deutschen Strafrechts. Erster Beitrag. Erläuterungen über das Compositionenwesen, Berlin 1836. M. W r i g h t : Making G o o d . Prisons, Punishment and Beyond, London 1982.

Z e i t s c h r i f t e n - und

Sammelwerkaufsätze

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G . G r e b i n g : Die Geldstrafe in rechtsvergleichender Darstellung, in: H . - H . Jescheck, G. Grebing (Hrsg.): Die Geldstrafe im deutschen und ausländischen Recht, Baden-Baden 1978, S. 1183. G. H a n a k : Polizei und Konfliktverarbeitung im Alltag. Bürgerrechte und Polizei 25 (1986), S.26. M. H a s s e b r a u c k : Modellprojekt „Täter-Opfer-Ausgleich" in Braunschweig, in: DVJJ (Hrsg.): Und wenn es künftig weniger werden, München 1987, S.299. M. H e i l e m a n n : Neue Behandlungsansätze für Sexualtäter im Jugendstrafvollzug, in: D V J J (Hrsg.): Und wenn es künftig weniger werden, München 1987, S. 397. W. H e i n z : Neue ambulante Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz, in: Der Bundesminister der Justiz (Hrsg.): Neue ambulante Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz — Bielefelder Symposium, Bonn 1986, S. 22. J. H e I l m e r : Identitätsbewußtsein und Wiedergutmachungsgedanke. J Z 1979, S.41. J. H e r b s t , U. M a l o w , K. P f u h l m a n n , W. P o o k : Argumente zu Zielen des Strafvollzuges und zum Modell des Behandlungsvollzuges. MschrKrim 58 (1975), S.25. C. H e r o l d : Bemerkungen über das Rechtsprinzip der Zweckstrafe. ZStW 12 (1892), S.573. Th. H i l l e n k a m p : Möglichkeiten der Erweiterung des Instituts der tätigen Reue, in: H.Schöch (Hrsg.): Wiedergutmachung und Strafrecht, München 1987, S.81. H. J. H i r s c h : Gegenwart und Z u k u n f t des Privatklageverfahrens, in: Festschrift für Richard Lange, Berlin, New York 1976, S.815. M. H o u g h , D. M o x o n : Dealing with Offenders: Popular Opinion and the Views of Victims. Findings from the British Crime Survey. T h e Howard Journal of Penology and Crime Prevention 24 (1985), S. 131. Chr. H ü g e l : Ergebnisse der empirischen Untersuchung, in: W. Heinz, Chr. Hügel: Erzieherische Maßnahmen im deutschen Jugendstrafrecht, Bonn 1987, S.21. D. J a n s e n : Das Güteverfahren vor dem Schiedsmann — ein alternatives Vermittlungsverfahren in zivilrechtlichen Streitigkeiten? in: K. F. Röhl (Hrsg.): Das Güteverfahren vor dem Schiedsmann. Soziologische und kommunikationswissenschaftliche Untersuchungen, Köln, Berlin, Bonn, München 1987, S. 1. H. J a n s s e n : Konfliktorientierte Jugendgerichtshilfe, in: H . J a n s sen, H . - J . K e r n e r (Hrsg.): Verbrechensopfer, Sozialarbeit und Justiz, 2. Aufl., B o n n - B a d Godesberg 1986, S. 197. H. J u n g : Compensation Order — Ein Modell der Schadenswiedergutmachung? Z S t W 99 (1987), S.497. H. J u n g : Die Stellung des Verletzten im Strafprozeß. ZStW 93 (1981), S. 1147. H.-J. K e r n e r : Möglichkeiten der Ö f f n u n g der Verfahren (straf-) rechtlicher Sozialkontrolle für präventive Maßnahmen, in: H. Kury (Hrsg.): Prävention abweichenden Verhaltens — Maßnahmen der Vorbeugung und Nachbetreuung, Köln, Berlin, Bonn, München 1982, S.789. D. K r a t z s c h : D e r Verteidiger zwischen förderlichen und rechtsstaatlich bedenklichen Auswirkungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Verteidigung in Jugendstrafsachen. Kölner Symposium, Bonn 1987, S. 131. D. K r a u ß : Subjekt im Strafverfahren? in: Evangelische Akademie Hofgeismar (Hrsg.): Das Tatopfer als Subjekt, Hofgeismar 1981, S.44. A. K u h n : Projekt Handschlag, in: DVJJ (Hrsg.): Und wenn es künftig weniger werden, München 1987, S.312. A. K u h n , D . R ö s s n e r : Konstruktive Tatverarbeitung im Jugendstrafrecht: „Handschlag" statt Urteil. Z R P 1987, S. 267. G. Μ a r t o n : Versuch eines einheitlichen Systems der zivilrechtlichen Haftung. A c P 162 (1963), S. 1. H. M ü l l e r - D i e t z : Vom intellektuellen Verbrechensschaden. G A 1983, S. 481. H. M ü l l e r - D i e t z : Schadenswiedergutmachung — ein kriminalrechtliches Konzept? in: G . K a i s e r , H . K u r y , H.-J. Albrecht (Hrsg.): Kriminologische Forschung in den 80er Jahren, Freiburg 1988, S.961. Chr. P e l i k a n , A. P i l g r a m : Die „Erfolgsstatistik" des Modellversuchs, in: A . Haidar, H . Leirer, Chr. Pelikan, A . Pilgram (Hrsg.): Konflikte regeln statt strafen! Spezialheft 58/59 der KB 15 (1988), S. 55. A. P i l g r a m : Das Ende der Erziehung? Versuch einer kriminalpolitischen Bewertung des Modellversuchs, in: A . Haidar, H. Leirer,

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Viktimologie Chr. Pelikan, A . Pilgram (Hrsg.): Konflikte regeln statt strafen! Spezialheft 58/59 der KB 15 (1988), S. 147. Th. R a s e h o r n : Kommunikationsprobleme im Zivilprozeß. Z R P 1980, S.6. P. R i e ß : Entwicklung und Bedeutung der Einstellung nach § 153 a StPO. Z R P 1983, S.93. P. R i e ß : Zur weiteren Entwicklung der Einstellungen nach § 153 a StPO. Z R P 1985, S.212. K . F . R ö h l : Beraten, Vermitteln, Schlichten und Richten. SchlHA 1979, S. 134. D. R ö s s n e r : Konfliktregulierung und Opferperspektive in der jugendstrafrechtlichen Sozialkontrolle, in: DVJJ (Hrsg.): Jugendgerichtsverfahren und Kriminalprävention, München 1984, S.375. C. R o x i n : Die Wiedergutmachung im System der Strafzwecke, in: H. Schöch (Hrsg.): Wiedergutmachung und Strafrecht, München 1987, S. 37. F. Ε. A. S a n d e r : Varieties of Dispute Processing, in: R . T o m a s i c , Μ. M. Feeley (Hrsg.): Neighborhood Justice. Assessment of an Emerging Area, New York, London 1982, S.25. E . S c h m i d h ä u s e r : Freikaufverfahren mit Strafcharakter im Strafprozeß? J Z 1973, S.529. H . J . S c h n e i d e r : D e r gegenwärtige Stand der Viktimologie in der Welt, in: H . J . Schneider (Hrsg.): Das Verbrechensopfer in der Strafrechtspflege, Berlin, New York 1982, S . 9 . H. J. S c h n e i d e r : Psychoanalytische Kriminologie, in: H . J . Schneider (Hrsg.): Kriminalität und abweichendes Verhalten, Band 1, Weinheim und Basel 1983, S. 104. P. R. S c h n e i d e r : Schadenswiedergutmachungsprogramme für jugendliche Straftäter in den U S A , in: H . J a n s s e n , H.-J. Kerner (Hrsg.): Verbrechensopfer, Sozialarbeit und Justiz, 2. Aufl., B o n n - B a d Godesberg 1986, S.305. H. S c h ö c h : Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren. NStZ 1984, S. 385. H. S c h ö c h : Täter-Opfer-Ausgleich im Jugendstrafrecht, in: H. Schöch (Hrsg.): Wiedergutmachung und Strafrecht, München 1987, S. 143. J. S c h r e c k l i n g : Die Waage-Köln im ersten Jahr: Zentrale Praxisprobleme und Perspektiven zu ihrer Bewältigung, in: DVJJ (Hrsg.): Und wenn es künftig weniger werden, München 1987, S. 322. B. S c h ü n c m a n η . / u r Stellung des Opfers im System der Strafrechtspflege. NStZ 1986, S. 193. K. S e e l m a n n : Strafzwecke und Wiedergutmachung. Z f E v E t h 25 (1981), S. 44. K. S e s s a r : Schadenswiedergutmachung in einer künftigen Kriminalpolitik, in: Kriminologie — Psychiatrie — Strafrecht. Festschrift für Heinz Leferenz, Heidelberg 1983, S. 145. K. S e s s a r : Neue Wege der Kriminologie aus dem Strafrecht, in: H . J . Hirsch, G . K a i s e r , H . M a r q u a r d t (Hrsg.): Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann, Berlin, New York 1986, S.373. K. S e s s a r , A . B e u r s k e n s , K. B o e r s : Wiedergutmachung als Konfliktregelungsparadigma. KrimJ 1986, S.86. Jf. S t a e t e r : Erfahrungsbericht über die Arbeit der Jugendstaatsanwälte in Braunschweig im Rahmen des Bundesmodellversuchs, in: DVJJ (Hrsg.): Jugendgerichtsverfahren und Kriminalprävention, München 1984, S.219. H. S t e i n e r t : Kleine Ermutigung f ü r den kritischen Strafrechtler, sich vom „Strafbedürfnis der Bevölkerung" (und seinen Produzenten) nicht einschüchtern zu lassen, in: K. Lüderssen, F. Sack (Hrsg.): Seminar: Abweichendes Verhalten IV. Kriminalpolitik und Strafrecht, Frankfurt am Main 1980, S.302. Β. V i 11 m ο w : Die Einstellung der O p f e r zu Tat und Täter, in: G. F. Kirchhoff, K. Sessar (Hrsg.): Das Verbrechensopfer, Bochum 1979, S. 199. K. V o d o p i v e c : Restitution to Victims of Criminal Offences in Slovenia. Annales Internationales de Criminologie 17 (1978), S. 147. R. W u l f : Opferbezogene Vollzugsgestaltung — Grundzüge eines Behandlungsansatzes. ZfStrVo 1985, S.67.

Arbeits materialien Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Schadenswiedergutmachung im Kriminalrecht. Untersuchungen des Fachausschusses I „Strafrecht und Strafvollzug" des Bundesverbandes der Straffälligenhilfe e . V . , Bonn 1988.

Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft: N e u e Bewältigungsformen von Jugenddelinquenz — Diversion im Jugendverfahren — Bürgerschaft der Freien und Hansestadt H a m b u r g , Drucksache U/5530 vom 17. 12. 1985. Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Fachserie 10. Rechtspflege. Reihe 3. Strafverfolgung 1986, Stuttgart, Mainz 1988. DETLEV

FREHSEE

VIKTIMOLOGIE I. BEGRIFFE DER VIKTIMOLOGIE UND DES OPFERS Viktimologie (nach lateinisch victima = das Opfer) ist eine Wissenschaft und gleichzeitig eine moderne gesellschaftliche Bewegung (victim movement). Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Auffassungen von Viktimologie als Wissenschaft: — Die eine Ansicht, die auf Beniamin Mendelsohn (1956) zurückgeht, sieht in der Viktimologie eine eigenständige Wissenschaft, die sich gleicherweise mit Opfern von Verbrechen, Unfällen und Naturkatastrophen beschäftigt. — Die andere Meinung, die Hans von Hentig (1941, 1948) zuerst entwickelt hat, hält die Viktimologie für eine Teildisziplin der Kriminologie, die sich mit der Interaktion von Täter und Opfer in Kriminalitätsentstehungs- und -kontrollprozessen befaßt. Beide Auffassungen umschreiben nicht nur unterschiedliche Gegenstandsbereiche. Sie gehen auch von verschiedenen theoretischen Grundlagen aus und kommen teilweise auch zu verschiedenen praktischen Folgerungen. Da sich die Opfer von Vergewaltigungen, Grubenunglücken, Verkehrsunfällen, Erdbeben und rassischen Vorurteilen in den Voraussetzungen ihrer Viktimisierung zu grundlegend voneinander unterscheiden — mögen ihre psychischen Schäden mitunter auch ähnlich sein —, ist die Ansicht vorzuziehen, die die Viktimologie der Kriminologie zuordnet (Heike Jung 1985; Thomas Hillenkamp 1987, 941; Armand Mergen 1986). Es ist eben etwas völlig anderes, ob man einem unbeabsichtigten Unfall zum Opfer fällt oder ob man durch eine schuldhafte Straftat verletzt wird (Gilbert Geis, Duncan Chappell, Michael W. Agopian 1986, 224). Opferbegriffe und -typen der ersten Ansicht sind zu verschiedenartig, so daß die Aussagen einer Viktimologie, die sich als eigenständige Wissenschaft versteht, zu allgemein und nichtssagend werden. Mit der Entwicklung der Viktimologie als Wissenschaft geht die weltweite Ausbreitung einer gesellschaftlichen Bewegung einher, die menschliches Leiden lindern und die Lage von Verbrechensopfern verbessern möchte. Die Tragödie der Viktimisierung dient dieser Bewegung nicht selten zum

406

Viktimologie

Appell an das Gefühl. Die Viktimologie strebt zwar auch die Verbesserung der Rechtsstellung des Opfers und die Verhütung kriminellen Opferwerdens an, das emotional besetzt ist und deshalb ohne Gefühlsbeteiligung kaum betrachtet werden kann. Dennoch wehrt sich die Viktimologie als Wissenschaft gegen eine Vermengung mit der gesellschaftlichen Opferbewegung (z.B. „National Organization for Victim Assistance" in den USA, Weißer Ring in der Bundesrepublik). Denn diese Bewegungen kommen bisweilen zu gefühlsbetont zu einer rückschrittlichen Kriminalpolitik, der es allein darauf ankommt, durch Repression die Kriminalität zu kontrollieren. Entrüstung gegen eine angebliche Benachteiligung der Opfer durch die Viktimologie und Kategorien wie Opferfeindlichkeit (Kurt Weis 1982; Wiebke Steffen 1987) sind in der wissenschaftlichen Diskussion nicht hilfreich. Denn die Viktimologie ist ebenso wie die Kriminologie eine Tatsachenwissenschaft und keine normative Wissenschaft. Tatsachen und ihre Wertung sind auseinanderzuhalten. Opfer sind die durch Sozialabweichungen oder Straftaten Betroffenen. Es gibt keine Straftaten ohne Opfer (so aber Edwin Schur 1965; wie hier Stephen Schafer 1977, 95). Mag man auch darüber im Zweifel sein, ob Rauschmittelabhängige, Alkoholiker oder Prostituierte Täter(innen) oder Opfer sind (vgl. hierzu die Beiträge in Donal E. J. MacNamara, Andrew Karmen 1983), auf jeden Fall vergißt man zu leicht die Möglichkeit der Selbstviktimisierung. Angehörige von Verbrechensopfern können Mitopfer sein. Opfertypen sind Individualopfer, Kollektivopfer, Organisationen, der Staat, die Rechtsgemeinschaft und die internationale Ordnung. Organisationen sind häufiger Verbrechensopfer als Einzelpersonen (Albert J. Reiss 1981). Obgleich die Opfer von Wirtschaftskriminalität als Kollektivopfer häufig anonym und schlecht sozial sichtbar sind, gibt es hier keine „Verflüchtigung der Opfereigenschaft" (anderer Ansicht Günther Kaiser 1988, 471). Täter-Opfer-Interaktionen finden eben nicht nur zwischen Einzelpersonen statt. Viktimisierungen ereignen sich auch zwischen Einzelpersonen und Organisationen, zwischen Organisationen (z. B. Computerkriminalität), zwischen Einzelpersonen oder Organisationen und dem Staat oder der Rechtsgemeinschaft oder der internationalen Ordnung (Hans Joachim Schneider 1987, 754-758).

Π. ENTWICKLUNG DER VIKTIMOLOGIE Die Kriminologie ist ein Kind der Aufklärung und des Rationalismus. Mit Cesare Beccarias Schrift „Über Verbrechen und Strafen" (1764) begann sie. Die Entwicklung der Einzeltatschuld, die rechtsstaatliche Bindung des Strafverfahrens, die

Verursachung des Verbrechens aufgrund rationaler Erwägungen und des freien Willens des Straftäters sind hier als Stichworte zu erwähnen. Der Tatorientierung der klassischen Schule des 18. Jahrhunderts setzte der Positivismus am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine Täterausrichtung entgegen. Einer seiner wichtigsten Vertreter war Cesare Lombroso, der in seinem 1876 erstmalig veröffentlichten Buch „Der kriminelle Mensch" die Forschungsmethoden und -ergebnisse der Naturund Sozialwissenschaften des 19. Jahrhunderts für die Kriminologie nutzbar zu machen suchte. Der Positivismus lehrte, daß das Verhalten des Rechtsbrechers durch seine körperlichen, psychischen und sozialen Merkmale bestimmt wird und daß es auf die Beurteilung der Gefährlichkeit des Täters und auf seine Behandlung ankommt. Die moderne Schule der Kriminologie, die nach dem 2. Weltkrieg entstand, versteht Verbrechensverursachung und -kontrolle als Sozialprozesse, als Interaktionsprozesse zwischen Täter, Opfer und Gesellschaft. Der Verursachungsprozeß besteht aus einem gesellschaftlichen und aus einem individuellen Prozeß. Der gesellschaftliche Prozeß setzt die Rahmenbedingungen. Der individuelle Verursachungsprozeß ereignet sich insbesondere zwischen dem Täter und den Personen seines sozialen Nahraums, speziell zwischen ihm und seinem Opfer. Der Reaktions- oder Kontrollprozeß auf Kriminalität ist zum einen ein gesellschaftlicher Prozeß (Strafgesetzgebung), der dem individuellen Verursachungsprozeß vorausgeht, und zum anderen ein Benennungsprozeß (Straftgesetzanwendung), der dem zwischenmenschlichen Verursachungsprozeß nachfolgt. Die moderne Kriminologie ist keine statische, sondern eine dynamische Wissenschaft. Sie hat die Reaktion auf das Verbrechen und die Sozialabweichung entdeckt (Edwin M. Lemert 1951), ohne die Reaktion allerdings — wie es der Labeling-Ansatz tut — überzubewerten. Im Anschluß an George Herbert Mead (1863—1931) betont die moderne sozialpsychologische Schule der Kriminologie vielmehr die Interaktion, zu der Aktion, Reaktion und Reaktion auf die Reaktion gehören. In diesem Sinne hat auch Hans von Hentig seine „Bemerkungen über die Interaktion von Täter und Opfer" verstanden, mit denen er im Jahre 1941 die Viktimologie einleitete. Die moderne sozialpsychologische Schule der Kriminologie ist eine Kriminologie der Beziehungen, der Rollen, der Einstellungen und Interaktionen. Sie unterscheidet sich damit fundamental vom Mehrfaktorenansatz, der täterorientiert ist. Denn nach diesem Ansatz werden alle Verursachungsfaktoren nur dann wirksam, wenn sie durch den „Transformator" der psychischen Faktoren, der Tätermotive hindurchgegangen sind (Hermann Mannheim 1965, 202). Anstatt nach der Motivation des Straftäters zu fragen, untersucht die Viktimologie aber die Interaktion, die Wechselwirkung zwischen Täter und Opfer. Das bringt Hans

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Viktimologie von Hentig (1948, 384, 436) klar zum Ausdruck: „In gewissem Sinne formt und bildet das Opfer seinen T ä t e r . . . Das heimliche Einverständnis zwischen Täter und Opfer ist eine grundlegende Tatsache der Kriminologie. Natürlich gibt es keine Verständigung oder gar bewußte Teilhabe, wohl aber eine Interaktion, eine Wechselbeziehung und ein Austausch verursachender Elemente." Die internationalen Symposien in Jerusalem (1973), in Boston (1976), in Münster (1979), in Tokio/Kyoto (1982), in Zagreb (1985) und Jerusalem (1988) haben die Viktimologie entscheidend gefördert. Im Jahre 1979 wurde die „World Society of Victimology" in Münster gegründet, die auch heute noch ihren Sitz in Münster hat. In den Jahren 1981 bis 1987 hat der Europarat in Strasbourg durch einen Expertensonderausschuß folgende drei Dokumente erarbeiten lassen, die die viktimologischen Theorien und Forschungsergebnisse in die Praxis der Strafrechtsanwendung umgesetzt haben: — eine Europäische Konvention über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten, — Empfehlungen des Ministerrats zur Rechtsstellung des Opfers im Strafrecht und im Strafverfahren, — Empfehlungen des Ministerrats zu Opferhilfsund Behandlungsprogrammen und zur Verhütung des Opferwerdens. Die Vereinten Nationen haben sich auf ihrem 7. Kongreß für Verbrechensverhütung und Behandlung des Rechtsbrechers im Jahre 1985 in Mailand mit dem Verbrechensopfer befaßt. Ihre Generalversammlung hat eine Deklaration über die Rolle von Verbrechensopfern und von Opfern des Machtmißbrauchs erlassen. In zahlreichen Ländern sind in jüngster Zeit Opferschutzgesetze verabschiedet worden. Zwei Beispiele sollen genannt werden. In den Vereinigten Staaten machte eine Expertengruppe (President's Task Force on Victims of Crime) im Jahre 1982 Gesetzgebungsvorschläge. Noch im selben Jahr wurde ein Opferschutzgesetz (Federal Victim and Witness Protection Act) erlassen. In der Bundesrepublik war das Opferentschädigungsgesetz aus dem Jahre 1976 das erste Gesetz, in dem Opferinteressen verfolgt wurden. Der 55. Deutsche Juristentag diskutierte im Jahre 1984 in Hamburg die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren. Am 1. April 1987 trat ein erstes Opferschutzgesetz in Kraft, das die Rechtsstellung des Verbrechensopfers im Strafverfahren verbesserte. Opferhilfs- und -behandlungsprogramme entstehen derzeit weltweit (vgl. für die Bundesrepublik den Überblick von Leo Schuster 1985; vgl. auch Edwin Kube 1986).

III. THEORIE UND METHODE DER VIKTIMOLOGIE Die theoretischen Grundlagen der Viktimologie sind dieselben wie die der Kriminologie. Nur eine Kombination von Theorien mittlerer Reichweite kann das kriminelle Opferwerden erklären. Eine dieser Theorien ist die Theorie der sozialen Desorganisation, die vermehrte Viktimisierung aus dem Zerfall der Gemeinschaft, aus der Zerstörung sozialer Beziehungen ableitet. Eine spezielle Ausprägung dieser Theorie für die Kindesmißhandlung ist beispielsweise die Theorie der sozialen Verarmung, der sozialen Isolation, die das zentrale Problem der Kindesmißhandlung im gestörten emotionalen und sozialen Klima der Mißhandlungsfamilie sieht. Dieses Klima wird wesentlich bestimmt durch die Qualität und Quantität der zwischenmenschlichen Interaktionen innerhalb der Familie und der dauerhaften sozialen Beziehungen und Kontakte zu Personen außerhalb der Familie, z . B . zu Nachbarn und Freunden. Die Theorie der sozialen Isolation hat sich empirisch bestätigen lassen (James Garbarino, Gwen Gilliam 1980). Eine weitere Theorie, die für die Viktimologie Bedeutung besitzt, ist die soziale Lerntheorie, die das menschliche Lernen als einen aktiven, kognitiv (erkenntnismäßig) gesteuerten seelischen Verarbeitungsprozeß gemachter Erfahrungen versteht. Opferverhalten lernt sich am Modell. Opfereinstellungen und -rollen werden gelernt. Hierfür soll nur ein Beispiel genannt werden. Der Umfang an Gewalt zwischen Eheleuten erhöht sich ziemlich beständig nach dem Ausmaß an Gewalt, das sie als Kinder zwischen ihren eigenen Eltern beobachtet haben (Murray A. Straus, Richard J. Gelles, Suzanne K.Steinmetz 1980, 101 — 109). Je mehr ein Mädchen von ihren Eltern geschlagen worden ist, desto mehr ist es geneigt, sich als Ehefrau von seinem Ehemann schlagen zu lassen (Richard J. Gelles 1979, 101). Die Subkulturtheorie ist weiterhin für die Viktimologie wichtig. Opferverhalten, -rollen, -einstellungen und -neutralisationen lernt man an den Verbalisierungen, den Leitbildern und Wertvorstellungen der viktimellen Subkultur, der man angehört (Donald R. Cressey 1983). Das Ertragen gewaltsamen Verhaltens wird z. B. mit Gruppenunterstützung in Subkulturen der Gewalt (Marvin E.Wolfgang, Franco Ferracuti 1967) gelernt. Schließlich haben die Theorien der symbolischen Interaktion und der Opferkarriere viktimologische Bedeutung. Opferwerden entsteht in einem Interaktionsprozeß zwischen Täter und Opfer. Das Opfer verstößt durch sein Verhalten gegen soziale Vorurteile. In illusionärer Situationsverkennung fehlinterpretiert der Täter das Opferverhalten. Es kommt zur Straftat. Das Opfer wird in Reaktionsprozessen auf das Opferwerden, in Interaktionsprozessen zwischen Opfer und Kriminaljustiz definiert. Durch das wiederholte Opferwerden und durch die Reaktion auf das

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Viktimologie

Opferwerden kann die Wahrscheinlichkeit des erneuten Opferwerdens erhöht werden (Rückfallopfer, Opferkarriere). Viktimologische Methoden sind empirische Studien zum Opferwerden und Opferbefragungen. Man kann eine repräsentative Stichprobe von Haushalten danach befragen, ob der Haushalt selbst oder ob Mitglieder des Haushalts Verbrechensopfer geworden sind (victimization surveys, vgl. hierzu Michael J . Hindelang 1982). Solche Untersuchungen zum Opferwerden (Dunkelfeldstudien) sind in den letzten Jahren in vielen Ländern durchgeführt worden (vgl. den Überblick bei Hans Joachim Schneider 1987, 203—207). In der Bundesrepublik hat man sie z . B . in Göttingen (HansDieter Schwind u . a . 1975), in Bochum (Hans-Dieter Schwind, Wilfried Ahlborn, Rüdiger Weiß 1978) und in Stuttgart (Egon Stephan 1976) gemacht. Man kann auch Opfer, deren Opferwerden der Kriminaljustiz bereits bekannt geworden ist, nach ihren Erfahrungen mit ihrem Opferwerden und mit den Reaktionen auf ihr Opferwerden befragen (Joanna Shapland 1986; Shapland, Jon Willmore, Peter Duff 1985). In allen diesen Untersuchungen geht es darum, etwas über die Häufigkeit, die Entwicklung, die Verteilung, die Schäden und die Risiken des kriminellen Opferwerdens zu erfahren. Man möchte Opferzeiten und -räume und die Verhaltensstile der Opfer ermitteln. Man möchte wissen, welche Beziehungen zwischen Tätern und Opfern bestehen, ob die Verbrechensfurcht ein viktimogener Faktor oder eine Folge der Viktimisierung ist und welche Erfahrungen das Opfer mit der Reaktion auf sein Opferwerden in seinem sozialen Nahraum und bei der Kriminaljustiz gemacht hat. Es ist zwar wesentlich, die Bedürfnisse und die Sorgen der Verbrechensopfer zu erfahren. Stets ist aber auch zu berücksichtigen, daß die Wünsche der Verbrechensopfer gesellschaftlich bestimmt sind. Bei Opferbefragungen richten sich viele Verbrechensopfer in ihren Antworten nach der gesellschaftlichen Erwünschtheit. Ihre Antworten sind deshalb für die Änderung der Kriminalpolitik nur bedingt verwendbar. Denn es fehlt vielen Opfern am kriminologischen Durchblick und am kriminalpolitischen Sachverstand. Ihre Antworten werden durch die herkömmliche, popularisierte Kriminalpolitik mitbestimmt. Neue kriminalpolitische Vorstellungen, Erfindungen und deren Folgerungen für Verbrechensopfer müssen ihnen erst nahegebracht werden.

IV. DAS OPFER IN DEN PHASEN DES V IKI IMISIFRI NGSPRO/KSSKS A. Das Opfer im Vorfeld des Viktimisierungsprozesses Hier geht es darum, zum Zwecke der Vorbeugung viktimogene, das kriminelle Opferwerden

begünstigende Risikofaktoren aufzudecken. Man kann im wesentlichen drei Faktorengruppen unterscheiden: — Räumliche und sozialbedingte Faktoren betonen den Gelegenheitsaspekt. Im Unterschied zur Kriminalgeographie erforscht die Kriminalökologie die Interaktion (Wechselwirkung) zwischen Raum und Baustruktur einerseits und menschlichem Erleben (Viktimisierung, Verbrechensfurcht) andererseits. Menschliches Verhalten gestaltet den Raum; es wirkt auf die Landschaft ein und formt die Baustruktur, die auf menschliches Verhalten zurückwirkt, es verändert, verstärkt und motiviert. Architektur und Städtebau können die Entstehung sozialkonformer mitmenschlicher Bindungen begünstigen. Sie können allerdings auch dazu beitragen, daß sich kein Gebietssinn bei den Bewohnern entwickelt, daß sie ihr Wohngebiet und ihr Haus nicht als ein gemeinsames wahrnehmen und benutzen und daß sie sich nicht darum kümmern, was sich in ihrem gemeinsamen Gebiet ereignet. Die Raumgestaltungstheorie legt Wert auf Unterteilung und Überblickbarkeit des Raumes, damit sich die Bewohner ihre Gebäude und ihr Wohngebiet als ihre eigenen Gebäude und ihr eigenes Wohngebiet zuschreiben und damit sie sich mit ihnen identifizieren können. Verwahrloste, unpersönlich gestaltete, riesengroße Gebäude kann man nicht als eigene definieren. Sie werden deshalb auch vermehrt Objekte des Vandalismus. — Personengebundene Faktoren fragen danach, ob es so etwas wie Opferneigung und -anfälligkeit gibt. Ein „geborenes Opfer" existiert zwar nicht. Aber erworbene körperliche, psychische und soziale Eigenschaften ( z . B . Schwächen, Behinderungen und Schädigungen) können einen Stellenwert in der Täter-Opfer-Interaktion haben. Nicht selten ist das Opfer bereits vor seiner Viktimisierung psychisch oder sozial geschädigt. Es hat sich an eine Opferhaltung, an einen Mangel an Verteidigungswillen gewöhnt. Wegen seiner großen körperlichen, psychischen und ökonomisch-finanziellen Attraktivität werden potentielle Täter auf das potentielle Opfer aufmerksam. — Die wichtigsten viktimogenen Faktoren sind die verhaltensbedingten Risikofaktoren (lifestyle, exposure model). Das potentielle Opfer unterläßt bewußt oder unbewußt Vorsichtsmaßnahmen. Es setzt sich immer wieder bewußt oder unbewußt viktimogenen Risikosituationen aus. So sind Häuser und Wohnungen dann besonders einbruchsgefährdet, wenn sich ihre Bewohner wegen ihrer Berufstätigkeit und wegen ihrer Vergnügungen häufig außer Haus aufhalten, wenn sie ihre Häuser und Wohnungen häufig während des Tages und in der Nacht und über

Viktimologie längere Zeit (z.B. während ihres Urlaubs) unbeaufsichtigt und unbewacht lassen und wenn sie nicht einmal nach außen hin den Anschein zu erwecken versuchen, daß das Haus oder die Wohnung bewohnt ist (vgl. z . B . Irvin Waller 1982). Die Aufdeckung viktimogener Risikofaktoren kann nicht dazu führen, daß die Viktimologie eine Selbstschutzideologie vertritt und daß sie den Rückzug in eine Festungsmentalität, in Selbstjustiz und Selbsthilfe empfiehlt. Sie tritt vielmehr für eine Verstärkung mitmenschlicher Bindungen ein. Sie möchte nur dem potentiellen Opfer das Risiko viktimogener Situationen bewußt machen, damit es nicht alle ihm durchaus möglichen und zumutbaren Vorsichtsmaßnahmen außer acht läßt.

B. Das Opfer in der Situation der Primärviktimisierang Die viktimologische Analyse der Verletzungssituation soll dazu beitragen, dem potentiellen Opfer einen Rat zu geben, wie es sich verhalten soll, wenn es sich in einer aktuellen viktimogenen Situation befindet. Straftaten entstehen in Interaktionsprozessen zwischen Täter und Opfer. In diesen Prozessen agieren und reagieren potentielle Täter und Opfer nicht nur, sondern sie definieren, sie interpretieren auch ihr Verhalten, ihre Einstellungen und ihre Rollen. Sie fragen sich nach der „Bedeutung" ihres Verhaltens und des Verhaltens ihres Interaktionspartners. Sie entwickeln ein Selbstbild und ein Fremdbild. Widerstand kann beim Raub dazu führen, daß die Tat abgebrochen wird; er begünstigt aber auch die Möglichkeit der körperlichen Verletzung des Opfers. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Opfer sich in einer Tatsituation wehren soll oder nicht, gibt es keinerlei Patentrezept. Welche Opferreaktion innerhalb der Soziodynamik einer bestimmten Tatsituation ratsam ist, hängt von der Persönlichkeit des Täters, insbesondere von seiner kriminellen Energie, von der Persönlichkeit des Opfers, insbesondere von seinem Widerstandswillen, und von zahlreichen äußeren Faktoren ab, die eine konkrete Tatsituation bestimmen, z . B . die Erreichbarkeit von Hilfe. Bereits unerschrockener Widerspruch kann bisweilen etwas nützen. Dramatisierung der Opferlage ist fehl am Platze. Das richtige Einschätzen der kriminellen Energie des Täters und eine kühle, angemessene Gelassenheit einer kaltblütig-nüchternen Persönlichkeit sind für eine erfolgreiche Gegenwehr entscheidende Voraussetzungen. Insbesondere darf sich das Opfer selbst nicht als Opfer definieren, sondern es muß versuchen, eine persönliche Beziehung zum Täter aufzubauen. Das zeigen die beiden folgenden Beispiele:

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— Ein Sexualmörder hatte eine ganze Reihe von Mädchen im Auto mitgenommen und dann umgebracht. Einem der Mädchen war es gelungen, ihn während der Autofahrt in ein Gespräch zu verwickeln und seinem Opferwerden auf diese Weise zu entgehen. Als Zeugin antwortete es verwundert auf eine Frage des Gerichts: „Ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, vor diesem Mann Angst zu haben. E r schaute so unbeholfen und ängstlich aus" (Eberhard Schorsch, Nikolaus Becker 1977, 138). — A m 2. Dezember 1975 wurde gegen 10 U h r morgens der Zug von Groningen nach Amsterdam in der Nähe von Beilen von sieben maskierten und bewaffneten Männern angehalten, die Mitglieder der „Freien Jugendbewegung der Südmolukken" waren. Der Zugführer und zwei weitere Geiseln wurden erschossen, um den Forderungen der Geiselnehmer Nachdruck zu verleihen. Gerard Vaders, der Herausgeber einer der größten Zeitungen Nordhollands, war als nächster zur Erschießung vorgesehen. Da er mit seiner Frau und seinem Pflegekind familiäre Probleme hatte, die er vor seinem Tod noch möglichst lösen oder wenigstens mildern wollte, erzählte er den Terroristen seine Lebensgeschichte und seine Schwierigkeiten in seiner Familie. Er bat sie, seiner Familie eine persönliche Botschaft zu überbringen. Da die Terroristen in Vaders kein seelen- und gesichtsloses Symbol der Unterdrückung, keine Wahnfigur mehr sehen konnten, sondern einen ganz normalen Menschen mit all seinen Fehlern und Unzulänglichkeiten, waren sie unfähig, ihn umzubringen. Sie griffen sich statt seiner einen anderen, ihnen Unbekannten, dem gegenüber sie keine Hemmschwellen der Individualität und der Humanität aufgebaut hatten (Frank M. Ochberg 1978, 147-168). Läßt sich ein potentielles Opfer in einer viktimogenen Situation erst gar nicht auf sein Opferwerden ein, definiert es sich selbst nicht als Opfer, sondern gelingt es ihm, sich dem Täter gegenüber als Subjekt, als Person zu behaupten, so kann es seiner Viktimisierung entgehen. Alles hängt indessen auch hier von der kriminellen Energie des zur Tat entschlossenen Rechtsbrechers ab. Zeichen der Schwäche, des persönlichen Bedrängtseins und der Passivität des Opfers können einerseits auf den Täter geradezu stimulierend, als Auslösesignale für seine Tat wirken. Ein aggressiver, zur Tat entschlossener Rechtsbrecher läßt sich andererseits auch durch den Widerstand des Opfers nicht entmutigen. Hier kann die Gegenwehr des Opfers sogar noch den Täter erregen und ihn zur Tat aufreizen.

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Viktimologie

C. Das Opfer im Reaktionsprozeß auf seine Viktimisierung Bei der Reaktion auf Primärviktimisierung kommt es darauf an, das kriminelle Opferwerden psychisch und sozial zu verarbeiten, das Verbrechensopfer an der Sozialkontrolle angemessen zu beteiligen und eine Sckundärviktimisierung zu vermeiden (Bernhard Villmow 1985). Dem Opfer können durch die Straftat psychische und soziale Kurzund Langzeitschäden entstehen, denen durch Opferbehandlungsprogramme vorgebeugt werden muß. Mit der Methode der Krisenintervention muß das Trauma der Viktimisierung z. B. seelisch verarbeitet und in die Persönlichkeit des Verbrechensopfers eingeordnet werden (Mike Maguire, Ciaire Corbett 1987). Durch Opferhilfsprogramme ist eine Sekundärviktimisierung zu vermeiden, die dadurch entstehen kann, daß Personen des sozialen Nahraums des Opfers und große Organisationen, wie z . B . Krankenhäuser, Massenmedien oder das Kriminaljustizsystem, auf die Primärviktimisierung unangemessen reagieren. Das Verbrechensopfer ist durch die Straftat emotionalisiert. Ihm werden mitunter gefühllose und unvernünftige Fragen gestellt. Es bekommt oft den Mangel an Sympathie und mitmenschlicher Nähe empfindlich zu spüren. In großen Organisationen wird es bisweilen durch deren Unpersönlichkeit und Anonymität erneut zum Objekt gemacht. Opferhilfsprogramme wirken der Sekundärviktimisierung dadurch entgegen, daß sie die Öffentlichkeit und die Personen, die mit dem Opfer nach seiner Primärviktimisierung zusammentreffen, für die psychischen und sozialen Schäden sensibilisieren, die das Opfer durch die Straftat erlitten hat. Durch Auskunfts-, Informations- und Beratungsdienste wird es gleichzeitig auf das Strafverfahren vorbereitet, durch das es wiederum psychisch und sozial schwer belastet zu werden pflegt. Eine angemessene Beteiligung des Verbrechensopfers am Kriminaljustizsystem ist erforderlich, um es in seiner Kriminilitätskontrollaufgabe nicht zu entmutigen und um durch Friedensstiftung zwischen Täter und Opfer beide zu resozialisieren. Seit der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 wurde in zunehmendem Maße nur noch der Strafanspruch des Staates, der Gesellschaft gesehen. Die Verbrechenskontrollaufgabe des Opfers verschwand fast gänzlich aus dem gesellschaftlichen Bewußtsein. Diese Kontrollaufgabe des Opfers muß durch folgende Reformen neu belebt werden: — Das Verbrechensopfer muß eine eigene Rechtsstellung im Strafverfahren erhalten. Ihm muß mit Respekt begegnet werden. Es darf nicht bloß zum Objekt der Wahrheitsfindung gemacht werden. Es muß vielmehr Mitspracherechte erhalten. Hierdurch wird das Strafverfahren humaner und gleichzeitig wirksamer. Zwar dürfen Verfassungs- und Verfahrensrechte des Ange-

klagten nicht unangemessen beschnitten werden. Der Angeklagte hat aber kein Recht darauf, daß das Opfer — wie bisher — zum bloßen Objekt der Wahrheitsfindung gemacht wird. Im Strafverfahren geht es vielmehr um eine Konfliktregulierung zwischen Täter und Opfer. — Dem formellen Strafverfahren muß ein informelles Vermittlungs-, Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren vorgeschaltet werden. Ein solches Verfahren eignet sich insbesondere in den Fällen, bei denen die Schuldfrage unzweifelhaft ist und bei denen alle Verfahrensbeteiligten dem informellen Verfahren zustimmen. Es dient nicht nur der Aktivierung des Opfers, sondern auch der Aktivierung der gesamten Gesellschaft für den formellen Kriminalitätskontrollprozeß. Im heutigen formellen Strafverfahren ist den Beteiligten, dem Opfer und dem Täter, ihr Konflikt „gestohlen" (Nils Christie 1977, 1981, 1986). Dem Täter ist jede Chance genommen, daß ihm das Opfer vergibt. Opfer und Täter können sich nicht menschlich begegnen. Das kann im Vermittlungs-, Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren geändert werden, das mit einem für alle Verfahrensbeteiligten verbindlichen richterlichen Schuldspruch oder Vergleich endet. Ein solches Verfahren eignet sich auch besonders in Wirtschaftsstrafsachen, weil die Schadenswiedergutmachung durch die kriminellen Unternehmen eine äußerst wirksame strafrechtliche Sanktion bildet (John Braithwaite 1984). — Die kreative Ersatzleistung durch den Täter muß zur selbständigen strafrechtlichen Reaktion werden. Wiedergutmachung ist mehr als Ersatz des Schadens. Mit ihr übernimmt der Täter seine Verantwortung für seine Tat. Mit ihr werden die Leiden und Qualen des Opfers — auch vom Gericht — gewürdigt. Dem Opfer wird durch den Täter und das Gericht sein menschlicher Wert bestätigt, den ihm sein Täter streitig gemacht hat. Im Opferschutzgesetz der USA muß das Gericht die Sanktion der Wiedergutmachung an erster Stelle prüfen und aussprechen. Wenn es von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht, muß es seine Gründe ausdrücklich im Urteil aufführen. — Die materielle Schadensregulierung und die immaterielle Aussöhnung zwischen Täter und Opfer sind schließlich zur Auf- und Verarbeitung der Tat durch den Strafgefangenen in der Strafanstalt erforderlich (Rüdiger Wulf 1985). Der Behandlungsstrafvollzug ist nicht zuletzt deshalb in die Krise geraten und bei der Bevölkerung unpopulär, weil es ihm nur auf die Resozialisierung des Strafgefangenen ankommt und weil er die Opferbelange völlig ausblendet. Zum inhumanen und ineffektiven Vergeltungsstrafvollzug gibt es keine Rückkehr. Der gegenwärtige Behandlungsstrafvollzug muß vielmehr weiterentwickelt werden.

Viktimologie Das kann geschehen, wenn er zur Aufarbeitung des Konflikts zwischen Täter und Opfer beiträgt. Der Strafgefangene stellt sich durch die Wiedergutmachung seinen sozialen Pflichten. Er wird für die Situation seines Opfers sensibilisiert. Durch Wiedergutmachung und Aussöhnung mit dem Opfer kann er sich allein von seiner Schuld befreien. Der Strafgefangene lernt gleichzeitig friedliche Konfliktlösungen. Freilich erfordert die opferbezogene Vollzugsgestaltung eine Kurskorrektur des Behandlungsvollzugs und ein Umdenken der Vollzugsbediensteten, die nicht mehr nur allein Betreuer und Helfer des Strafgefangenen, sondern vielmehr Vermittler zwischen Täter und Opfer sind. Die Übernahme einer solchen Vermittlerrolle setzt viel Behutsamkeit und Einfühlungsvermögen voraus.

V. BERÜCKSICHTIGUNG VIKTIMOLOGISCHER GESICHTSPUNKTE BEI DER REFORM DES STRAFRECHTS, DES STRAFVERFAHRENS UND DES STRAFVOLLZUGS A. Viktimologisch bedeutsame theoretische Entwicklungen und empirische Forschungsergebnisse 1. Entwicklung

der viktimologischen

Theorie

Die Klassische Strafrechtsschule des 18. Jahrhunderts, die von der Aufklärung maßgeblich beeinflußt war, richtete ihre besondere Aufmerksamkeit auf die rationale Verursachung der Tat und auf die Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens; sie betonte die Schuld des Täters. Demgegenüber orientierte sich die Positivistische Strafrechtsschule gegen Ende des 19. Jahrhunderts kriminalätiologisch am Täter und seiner „Persönlichkeitsstörung"; sie legte kriminalpolitisch besonderen Wert auf die Gefährlichkeit und die Behandlung des Rechtsbrechers. Innerpsychische Konflikte des Täters waren für das psychoanalytische Verständnis der Verursachung des Verbrechens maßgebend. Während des 2. Weltkriegs und in der Nachkriegszeit änderte sich die kriminologische Ursachenbetrachtung grundlegend: Gesellschaftliche und zwischenmenschliche Prozesse wurden für die Verursachung der Massenkriminalität verantwortlich gemacht; Strafrecht und Strafverfahren wurden nur noch als Instrumente einer umfassenderen Sozialkontrolle gesehen. Das Verbrechen entsteht aus zwischenmenschlichen Konflikten, durch die Zerstörung sozialer Bindungen. Kriminalisierung und Viktimisierung werden in gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Interaktionsprozessen gelernt.

2. Viktimologische

411 Forschungsergebnisse

Seit den 60er Jahren hat eine weltweite viktimologische Forschung die folgenden drei Hauptergebnisse hervorgebracht, die kriminalpolitisch bedeutsam geworden sind: — Das Verbrcchensopfer ist „Türhüter" zum Kriminaljustizsystem. Nicht die Polizei, sondern das Opfer bringt durch seine Anzeige in den meisten Fällen das Strafverfahren in Gang. Freilich ist das kriminelle Opferwerden viel weiter verbreitet, als man bisher gemeinhin angenommen hat. Nur ein kleiner Teil der Straftaten wird der Kriminaljustiz bekannt. Viele Verbrechen werden vom Opfer nicht angezeigt. Die Gründe für die Nichtanzeige sind hierbei vielschichtig: Das Opfer gewinnt durch die Anzeige nichts (z.B. keine Wiedererlangung gestohlenen Gutes, keine Wiedergutmachung). Es fürchtet sich vor der Rache des Täters. Es hat zur Kriminaljustiz kein Vertrauen. Es ist selbst in die Tat verwickelt (Mitverursachung). Opfer, die zu ihren Tätern eine persönliche Beziehung haben (also z. B. Bekannte, Verwandte, Freunde, Intimpartner), zeigen ihr Opferwerden seltener an als Opfer, denen ihr Täter fremd ist. — Opfer von Gewaltverbrechen tragen häufig schwere psychische und soziale Schäden davon. Solche Schäden werden oft noch durch die Reaktion auf ihr kriminelles Opferwerden vertieft (sekundäre Viktimisierung). Wenn das kriminelle Opferwerden nicht seelisch verarbeitet wird, kann es zur späteren Enstehung psychosomatischer oder neurotischer Schäden oder zur Verursachung von Sozialabweichung, Jugenddelinquenz und Erwachsenenkriminalität beitragen. Viele Beziehungstaten im sozialen Nahraum (z. B. sexueller Mißbrauch von Kindern, Kindesmißhandlung), die schwere psychische Schäden verursachen können, werden nicht angezeigt und bleiben — unbehandelt — im Dunkelfeld. — Obgleich man der Mitwirkung des Opfers im Strafverfahren zum Zwecke der Beweisführung dringend bedarf, behandelt man es mit Gleichgültigkeit (Joanna Shapland, Jon Willmore, Peter Duff 1985). Die Opfer beklagen sich darüber, daß man ihnen ohne Einfühlungsvermögen gegenübertritt und daß man sie über den Gang und den Ausgang des Strafverfahrens nicht informiert. Opfer wollen im Kriminaljustizsystem keine Entscheidungen fällen. Sie wollen aber als Partner um Rat gefragt werden. Opfer sind nicht darauf aus, daß der Täter möglichst hart bestraft wird. Sie möchten aber ihren Schaden wiedergutgemacht haben. Der Täter soll ihnen gegenüber seine Verantwortung zugeben und sich nicht in Ausreden flüchten. Das Gericht soll ihnen bestätigen, daß sie Opfer

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Viktimologie

geworden sind und daß sie für die Gesellschaft eine Sonderleistung im Sinne der Sozialkontrolle erbracht haben.

3. Erkenntnisse der kriminologischen Karriere-, Behandlungs- und Abschreckungsforschung Gleichzeitig mit der Hinwendung zum Verbrechensopfer erarbeitete man die folgenden drei empirisch-kriminologischen Forschungsergebnisse, die kriminalpolitisch in dieselbe Richtung weisen wie die viktimologischen Erkenntnisse: — Aus neueren kriminologischen Kohortenstudien (Marvin E.Wolfgang, Robert M.Figlio, Thorsten Sellin 1972; Wolfgang, Terence P. Thornberry, Figlio 1987) und prospektiven Längsschnittuntersuchungen (David P. Farrington 1979, 1982) zog man den Schluß, daß die überwiegende Mehrheit der Verbrechen, insbesondere der Gewaltverbrechen, von verhältnismäßig wenigen wiederholt kriminellen und gewalttätigen Personen begangen wird. Die Täter, die häufige und schwere Straftaten begingen, waren meist auch zuvor Opfer von Rechtsbrüchen geworden (Opfer-Täter-Abfolge). Mit jeder Verhaftung und Verurteilung wächst die Wahrscheinlichkeit des Rückfalls. Täter- und Opferwerden lernen sich ein. Schroffe, harte elterliche Einstellung gegenüber ihrem Jungen war der zuverlässigste Vorhersagefaktor für Jugenddelinquenz und Erwachsenenkriminalität. Väter, die wegen Gewalttaten verurteilt worden waren, hatten in vermehrtem Umfang Söhne, die Gewaltdelikte begingen. Mit jeder Verurteilung wegen einer Gewalttat nahm die Wahrscheinlichkeit des Rückfalls zu. — Die Rückfallforschung im Anstaltsstrafvollzug kam zu dem Resultat (Hans Joachim Schneider 1987, 847), daß die Behandlung der Strafgefangenen in der Strafanstalt ihren Rückfall nicht in höherem Maße verhindert oder mindert als der Verwahrvollzug. Für dieses Resultat sind mehrere Gründe maßgebend: Wenn Straftaten in 15- bis 20jährigen Prozessen fehlgelaufener und mangelhafter Sozialisation entstehen, können kriminelle Einstellungen nicht kurzfristig in der sozialen Isolation der Strafanstalt verlernt werden. Für das Behandlungspersonal ist es außerordentlich schwierig, in einer Strafanstalt, die von Prinzipien der Sicherheit und Ordnung geleitet sein muß, ein soziales Klima zu schaffen, in dem keine kriminellen Leitbilder und Wertvorstellungen mehr vorherrschen und in dem sozialkonforme Lebensstile und Verhaltensweisen gelernt werden können. Die Strafgefangenen machen sich sozial, psychisch, sexuell und körperlich (durch Gewaltanwendung) gegensei-

tig selbst zu Opfern. Der wichtigste Grund für das Scheitern der bisherigen Praxis des Behandlungsstrafvollzugs besteht allerdings darin, daß er es nicht vermocht hat, das Verbrechensopfer und die Gesellschaft in die Behandlung mit einzubeziehen. — Aus der empirischen Abschreckungsforschung (Hans Joachim Schneider 1987, 801-803) ergab sich, daß für die Verbrechensverhütung die unmittelbare Abschreckungswirkung der Strafgesetzgebung und -anwendung (negative Generalprävention) weniger bedeutsam ist als die mittelbare Beeinflussung der Bevölkerung durch den lebenslangen Sozialisationsprozeß (positive Generalprävention), der sich auch an Strafrechtsnormen orientiert. Die empirisch-kriminologische Forschung hat deutlich werden lassen, daß die unmittelbare Abschreckungswirkung von Strafgesetzgebung und -anwendung nicht so hoch veranschlagt werden kann, wie man ursprünglich angenommen hatte. Erfolgreiche Menschen sind in der Regel gut abschreckbar, weil sie viel zu verlieren haben und weil sie durch ihren Erfolg dem Sozialsystem verbunden zu sein pflegen, in dem sie leben. Straftäter sind demgegenüber regelmäßig erfolglos in ihrer sozialkonformen Karriere und deshalb schlecht abschreckbar, weil sie jede Hoffnung verloren haben und glauben, durch Straftaten nur noch gewinnen zu können. In ihrer positiven Funktion zielt die Strafgesetzgebung und -anwendung auf eine Weckung und Stärkung der Rechtstreue der Bevölkerung und ihrer Befolgungsbereitschaft gegenüber Rechtsnormen ab (Reinhart Maurach, Heinz Zipf 1987, 66; Walter Hauptmann 1 9 7 7 , 1 1 3 - 1 1 9 ) . Das Strafrecht erfüllt seine werteschaffende und werterhaltende Aufgabe dadurch, daß seine Werturteile in den tagtäglichen Interaktionsprozeß der Sozialisation eingehen. Für die Entwicklung des Rechtsbewußtseins in der Psyche des Kindes und Jugendlichen ist hierbei von entscheidender Bedeutung, wie die Eltern und andere wichtige Bezugspersonen auf Normübertretungen reagieren. Ein primär durch Strafe und Machtausübung geprägter Erziehungsstil, bei dem auch harte und häufige körperliche Strafen zur Anwendung kommen, hat bestenfalls eine oberflächliche, äußere konformistische Anpassungsbereitschaft zur Folge; er kann auch zu aggressiven Verhaltensweisen gegenüber Schwächeren führen. Durch einen Laissez-faire-Erziehungsstil wird überhaupt kein Rechtsbewußtsein aufgebaut. Die Bildung eines eigenständigen, von innen gesteuerten Rechtsbewußtseins orientiert sich nicht an abstrakt vorgegebenen Normen und Regeln; sie setzt vielmehr ein vorgelebtes, praktiziertes Rechtsverständnis voraus. Die Eltern oder Lehrer, die eine durch emotionale Wärme und Akzeptanz gekennzeichnete Beziehungsbasis zu ihren Kindern

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Viktimologie und Schülern hergestellt haben, dürfen sich nicht damit begnügen, sich beim Auftreten von Konflikten auf ihre überlegene Kompetenz und Macht zu berufen und vorgefertigte Lösungsmöglichkeiten für Konfliktsituationen anzubieten. Sie müssen sich vielmehr aufrichtig und ernsthaft mit ihren Kindern und Schülern geistig und seelisch auseinandersetzen. Hierfür ist die Erfüllung dreier Voraussetzungen erforderlich. — Zum ersten müssen sie ihren Kindern und Schülern deutlich machen, warum es notwendig ist, die verletzte Norm einzuhalten. — Des weiteren müssen sie ihre Kinder und Schüler lehren, welcher Schaden und welche Betroffenheit beim Verletzten, beim Opfer durch die Normübertretung entstanden ist. — Schließlich müssen sich die Erziehungspersonen selbst an die für alle Beteiligten verbindlichen Normen halten und ihren Kindern und Schülern verdeutlichen, daß sie ihre Konflikte untereinander offen und friedlich austragen und lösen.

4. Erträge der Vergleichenden Kriminologie Aus Studien der vergleichenden Kriminologie (Marshall B. Clinard 1978; Freda Adler 1983) ist die große Bedeutung der informellen Sozialkontrolle durch Familie, Schule, Nachbarschaft, Berufs- und Freizeitgruppen für die Verbrechensvorbeugung und -kontrolle deutlich geworden. Die zehn Länder mit der niedrigsten Kriminalität in der Welt, zu denen Staaten mit so unterschiedlicher Wirtschaftsund Sozialstruktur wie Japan, die Schweiz und Saudi-Arabien gehören, wiesen drei gemeinsame Merkmale auf: — Durch Gemeinschaftssinn und durch die freiwillige Übernahme von Verantwortung ihrer Bürger wird die friedliche Konfliktregulierung in der Gemeinschaft erleichtert. Aufgrund einvernehmlicher Konfliktregulierung entstehen wiederum Werteübereinstimmung und gesellschaftlicher Zusammenhalt. — Der Zerfall von Gemeinschaften, die Zerstörung sozialer Bindungen, ist gering. Sozial desorganisierte Gebiete, zum Beispiel in industriellen Ballungsräumen, und Jugendsubkulturen haben sich nicht gebildet. Die sozialen Beziehungen innerhalb sozialer Gruppen und zwischen den sozialen Gruppen sind weitgehend unzerstört. — Das Kriminaljustizsystem ist gut in die Gemeinschaft eingeordnet. Das Verbrechen wird unter Beteiligung der Gemeinschaft definiert, aufgeklärt, angeklagt, verurteilt, und die Strafe wird unter Beteiligung der Gemeinschaft verbüßt. Die Gemeinschaft unterstützt ihr Kriminaljustizsystem; das Kriminaljustizsystem sucht die Nähe seiner Gemeinschaft.

Viele ehrenamtliche Helfer sind zum Beispiel bei der Polizei, als Bewährungshelfer und im Strafvollzug tätig. Die Polizisten wohnen in dem Stadtbezirk, in dem sie ihren Dienst tun, und sie suchen die Nähe der Bürger. Polizeiverbindungs- und -beratungsbüros in Schulen bemühen sich darum, ein Vertrauensverhältnis zwischen Schülern und Schülerinnen einerseits und Polizeibeamten und -beamtinnen andererseits zu entwickeln.

5. Ergebnisse für die Kriminalpolitik Aus allen diesen empirischen Forschungsergebnissen kann man folgende Prinzipien für die Reform des Strafrechts und des Strafverfahrens folgern: — Es ist erforderlich, daß das Verbrechensopfer eine eigene Rechtsstellung im Strafverfahren erhält. Durch Opferhilfs- und -beratungsdienste muß vermieden werden, daß Verbrechensopfer durch die formelle Reaktion des Kriminaljustizsystems oder die informelle Reaktion der sozialen Gruppen, z. B. ihrer Familie, ihrer Nachbarschaft, auf ihr Opferwerden ein zweites Mal sozial und psychisch geschädigt werden. Durch Opferbehandlungsprogramme ist darauf hinzuwirken, daß soziale und psychische Schäden, die das Verbrechensopfer durch die Straftat selbst erlitten hat, therapeutisch angegangen werden. — Aufgrund tagtäglichen Lernens einer friedlichen, einvernehmlichen Konfliktregulierung, aufgrund eines demokratischen Erziehungsstils und einer demokratischen „Strafpraxis" muß die Heilung zwischenmenschlicher Konflikte von Kindheit an eingeübt werden. Vorbildfunktion für einen solchen demokratischen Erziehungsstil kann die Praxis der Strafrechtspflege haben, indem sie sich an der Wiedergutmachung des Opferschadens orientiert und die Vorschaltung eines informellen Ausgleichs- und Schlichtungsverfahrens vor dem formellen Strafverfahren ermöglicht. Zwischen den Konfliktbeteiligten kann auf diese Weise Frieden geschaffen werden. Wiedergutmachung als eigenständige Strafsanktion und Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren können zur Entwicklung eines von innen gesteuerten, eigenständigen Rechtsbewußtseins wesentlich beitragen. Das formelle Strafverfahren muß allerdings aus rechtsstaatlichen Gründen letztes Mittel der Konfliktregelung bleiben. — Strafe im Sinne der Stellung der Machtfrage ist in der tagtäglichen Erziehungspraxis ebenso unwirksam wie im Strafverfahren und im Strafvollzug. Täterzentrierte Behandlung im Strafvollzug ist unzureichend und verliert in der Bevölkerung in zunehmendem Maße an Unterstützung. Sie ist zur kreativen Wiedergutmachung weiterzuentwickeln. Geistig-seelische Auseinanderset-

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Viktimologie

zung des Täters mit seinem Täterwerden und des Opfers mit seinem Opferwerden unter Hilfe und Vermittlung der Strafrechtspflege ist für die Entwicklung des Rechtsbewußtseins beider und des Rechtsbewußtseins der Gesellschaft unerläßlich. Das Kriminaljustizsystem muß dadurch in die informelle Sozialkontrolle gut eingeordnet werden, daß freiwillige, ehrenamtliche Helfer sich an ihm aktiv beteiligen.

B. Kriminalpolitische Entwicklungen auf internationaler und nationaler Ebene Aufgrund der theoretischen und empirischen Weiterentwicklung der Kriminologie während der letzten vierzig Jahre haben der „Europarat" und die „Vereinten Nationen" viktimologische Aktivitäten unternommen, die erste Schritte in die richtige Richtung bilden. Gleichzeitig haben einzelne Staaten Opferschutzgesetze erlassen, die eine Umorientierung der Kriminalpolitik einleiten. Als Beispiele sollen die Opferschutzgesetze der U S A und der Bundesrepublik Deutschland dienen.

1. Viktimologische Aktivitäten des Europarates Im März 1981 beschloß der „Europäische Ausschuß für Kriminalitätsprobleme" des Europarates in Strasbourg, einen „Sonderausschuß von Sachverständigen über Verbrechensopfer und Kriminalund Sozialpolitik" zu bilden. Aufgabe dieses Expertengremiums sollte es sein, Empfehlungen für die Verbesserung des Schutzes von Verbrechensopfern auszuarbeiten. Nachdem der Ministerrat die Entscheidung des „Europäischen Ausschusses für Kriminalitätsprobleme" gebilligt hatte, begann der Sonderausschuß Anfang 1982 mit seiner Arbeit. Zunächst entwarf er eine „Europäische Konvention über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten" (Council of Europe 1984). Anschließend erarbeitete er „Empfehlungen für die Verbesserung der Rechtsstellung des Opfers im Strafrecht und Strafverfahren" (Council of Europe 1985). Zuletzt — diese Arbeiten sind im Frühjahr 1987 abgeschlossen worden — entwickelte der Sonderausschuß Vorschläge, wie die gegenwärtig existierenden Opferhilfs- und -behandlungsprogramme in den verschiedenen Mitgliedsstaaten ausgebaut werden können (Council of Europe 1988). Der Sonderausschuß hat bei seinen fünfjährigen Beratungen besonderes Gewicht darauf gelegt, daß das Opfer Wiedergutmachung für seine durch die Straftat erlittenen körperlichen, psychischen, materiellen und sozialen Schäden erhält und daß ihm kein weiterer Schaden durch die formelle oder informelle Reaktion auf sein Opferwerden entsteht. Er wollte das Vertrauen des Verbrechensopfers in

die Kriminaljustiz stärken und es zur Zusammenarbeit mit der Strafrechtspflege anregen. D e r Sonderausschuß hat die fünf folgenden Hauptergebnisse erzielt, die vom Ministerrat des Europarates gebilligt und als Empfehlungen an die Regierungen der Mitgliedsstaaten weitergegeben worden sind: — Der Sonderausschuß setzt sich für die staatliche Entschädigung für Opfer von Gewalttaten und für die Wiedergutmachung des Opferschadens durch den Täter als eigen- und selbständige strafrechtliche Sanktion ein. — D e r sekundären Viktimisierung des Verbrechensopfers soll durch seine möglichst schonende, rücksichtsvolle Vernehmung bei der Polizei und im Strafverfahren entgegengewirkt werden. A u f seine spezielle persönliche und soziale Situation soll Rücksicht genommen werden. Seine Menschenrechte und seine Menschenwürde dürfen nicht verletzt werden. — D e r Sonderausschuß räumt dem Verbrechensopfer bescheidene Informationsrechte im Strafverfahren ein. So soll es z. B. darüber unterrichtet werden, ob und in welcher Weise es Entschädigung vom Staat oder Ersatzleistung durch den Täter erhalten kann. — Das Verbrechensopfer und seine Angehörigen sollen vor unangemessener Publizität, vor Belästigungen und Racheakten geschützt werden. — Schließlich befürwortet der Sonderausschuß mit Nachdruck die Datensammlung und die Unterrichtung der Bevölkerung über ihr kriminelles Opferwerden. Er ermutigt staatliche und private Opferhilfs- und -behandlungsprogramme. Der Sonderausschuß hat sich nicht dazu durchringen können, dem Opfer Beteiligungs-, Mitsprache-, Kontroll- und Beeinflussungsrechte (Rechtsmittel- und Beweisantragsrechte) im Strafverfahren einzuräumen. Zumindest Anhörungsrechte hätten dem Opfer unbedingt gewährt werden müssen. Für das Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren spricht er sich nur sehr halbherzig aus. Die Mitgliedsstaaten sollen die Vorteile eines solchen Verfahrens prüfen. Die europäischen Experten wollten sich nicht für weitergehende Empfehlungen entschließen, weil sie den „Racheinstinkt" (das Genugtuungsbedürfnis) des Opfers und die Schmälerung von Angeklagtenrechten durch Abbau rechtsstaatlicher Sicherungen befürchteten und weil sie die Strafverfolgungsorgane keiner erheblichen Mehrbelastung oder gar Überlastung aussetzen wollten. D e r angebliche „Racheinstinkt" des Verbrechensopfers ist ein gesellschaftliches Vorurteil, das durch empirisch-viktimologische Untersuchungen nicht bestätigt wird. Bei vielen Vorschlägen für eine Verbesserung der Rechtsstellung des Verbrechensopfers im Strafverfahren war eine Schmälerung von Angeklagtenrechten nicht zu befürchten. In Wirklichkeit ging es um eine Erschwerung der Strafverteidigung durch Opferschutz, die von den Strafver-

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Viktimologie teidigern nicht gewünscht wird. Die Strafverfolgungsorgane dürfen nicht auf Kosten des Verbrechensopfers entlastet werden; sonst leidet letztendlich die Verbrechenskontrolle darunter.

2. Viktimologische der Vereinten

Aktivitäten Nationen

Die „Vereinten Nationen" haben sich gleichfalls in den letzten Jahren mit der Frage beschäftigt, auf welche Weise die Situation von Verbrechensopfern verbessert werden kann. So empfahl der „7. Kongreß der Vereinten Nationen zur Verbrechensverhütung und Behandlung von Rechtsbrechern", der in der Zeit vom 26. August bis 6. September 1985 in Mailand stattgefunden hat, der Generalversammlung der „Vereinten Nationen" die Verabschiedung einer „Deklaration über Grundsätze der gerechten Behandlung von Verbrechensopfern und Opfern von Machtmißbrauch" (United Nations 1986, 43—48). Dieses Dokument ist inhaltlich maßgeblich durch die Aktivitäten der „Weltgesellschaft für Viktimologie" geprägt worden. Die Bemühungen dieser Gesellschaft um die Verabschiedung einer Deklaration über Opferrechte durch die „Vereinten Nationen" hatten bereits im Jahre 1982 während des „4. Internationalen Symposiums für Viktimologie" in Tokio und Kyoto (Koichi Miyazawa, Minoru Ohya 1986) begonnen und waren mit den internationalen „Workshops" über Opferrechte, die in den Jahren 1984 und 1985 in Dubrovnik/Jugoslawien stattgefunden haben, und mit dem „5. Internationalen Symposium für Viktimologie" in Zagreb (Zvonimir Paul Separovic 1988, 1989) im Jahre 1985 fortgesetzt worden. Die Deklaration verpflichtet die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, die Rechte der Opfer traditioneller und solcher Verbrechen, die einen Mißbrauch politischer und ökonomischer Macht darstellen, vorbehaltlos anzuerkennen sowie Maßnahmen zu treffen, die ihnen Schutz, die Wiedergutmachung des erlittenen Schadens und eine menschenwürdige Behandlung gewährleisten. Die Deklaration ist inzwischen von der Generalversammlung der „Vereinten Nationen" am 29. November 1985 verabschiedet worden. Im Hinblick auf die staatliche Entschädigung für Opfer von Gewalttaten, auf die Wiedergutmachung des Opferschadens durch den Täter, auf die Vermeidung sekundärer Viktimisierung, auf den Schutz des Opfers vor unangemessener Publizität und vor Racheakten, auf die viktimologische Datensammlung und die Information der Bevölkerung über die Risiken des kriminellen Opferwerdens und schließlich im Hinblick auf die Befürwortung von Opferhilfs- und -behandlungsdiensten kommt die Resolution der Generalversammlung der „Vereinten Nationen" zu denselben Resultaten wie der Europarat. In den folgenden vier wichtigen Punk-

ten geht sie indessen über die Empfehlungen des Europarates hinaus: — Unter dem Einfluß der Entwicklungsländer legt die Resolution größeres Gewicht auf die Einführung von Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren. — Die Informations- und hauptsächlich die Beteiligungsrechte des Verbrechensopfers im Strafverfahren werden wesentlich erweitert. Die Opfer sollen über ihre Rolle im Verfahren, über den Umfang, die Termingestaltung, den Gang und die Entscheidungen im Verfahren orientiert werden. Sie sollen ihre Meinungen und Sorgen in den dafür geeigneten Verfahrensabschnitten darlegen können. Ihre Meinungen und Sorgen sollen vom Gericht erwogen und bedacht werden. — Auf Umweltdelikte soll durch gerichtliche Anordnung der Schadenswiedergutmachung reagiert werden, die in der Wiederherstellung der Umwelt, in der Rekonstruktion der Infrastruktur und im Ersatz von zerstörten Gemeinschaftseinrichtungen und -anlagen bestehen soll. — Den Opfern von Machtmißbrauch soll der Staat Wiedergutmachung leisten, dessen Repräsentanten den Opferschaden angerichtet haben. Die Beweislast, daß die betreffenden Beamten nicht in Ausübung ihres Amtes gehandelt haben, soll den Staat treffen, in dessen Namen die Beamten gehandelt haben. Die Nachfolgestaaten sollen für den Machtmißbrauch der Repräsentanten ihrer Vorgängerstaaten haften.

3. Opferschutzgesetz von

der Vereinigten Amerika

Staaten

In den Vereinigten Staaten ist ein Bundesgesetz zum Schutz von Verbrechensopfern und Tatzeugen am 12. Oktober 1982 erlassen worden, das die Rechtsstellung des Opfers im Strafverfahren verbessert hat. Es beruht in weiten Teilen auf Empfehlungen einer Expertenkommission (President's Task Force on Victims of Crime 1982), die der Präsident der Vereinigten Staaten im April 1982 eingesetzt hatte. Das Gesetz weist fünf beachtenswerte Neuerungen auf: — Der Ermittlungsbericht, der dem Gericht vorgelegt wird, muß Angaben darüber enthalten, welche Folgen die Straftat für das Verbrechensopfer gehabt hat, insbesondere welche finanziellen, sozialen, physischen und psychischen Schäden es durch den Rechtsbruch erlitten hat. — Die Strafvorschriften für Handlungen, die einen gegen das Opfer gerichteten Einschüchterungsund Racheakt darstellen, sind erweitert und verschärft worden. Das Gericht kann ferner während des Strafverfahrens Einschränkungs- und Schutzanordnungen treffen, die Einschüchte-

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Viktimologie

rungs- und Belästigungsversuche verhindern sollen, denen das Verbrechensopfer ausgesetzt sein könnte. — Als wichtigste Verbesserung sieht das Gesetz die Wiedergutmachung als eigen- und selbständige Strafsanktion vor. Will das Gericht von dieser Sanktion keinen Gebrauch machen, so muß es die Gründe hierfür schriftlich darlegen. Bis zu dieser Neuregelung konnte die Schadenswiedergutmachung nur als Bewährungsauflage bei Strafaussetzung zur Bewährung angeordnet werden. Dies hatte zur Folge, daß die Berücksichtigung der Wiedergutmachungsinteressen des Opfers in nordamerikanischen Strafprozessen bisher die Ausnahme blieb. Vollstreckt wird die gerichtliche Wiedergutmachungsanordnung entweder durch den Staat selbst oder durch das darin genannte Opfer, und zwar in gleicher Weise wie ein in einem Zivilprozeß erlassenes Urteil. Diese Regelung stellt insofern gegenüber der „Auflagenregelung" eine Verbesserung für das Opfer dar, als es beim Verstoß des Täters gegen die Auflage der Schadenswiedergutmachung auf den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung durch das Gericht angewiesen war, der ihm nichts brachte und der nur sehr selten ausgesprochen wurde. Denn Gericht und Bewährungshelfer fürchteten, daß durch einen solchen Widerruf die Resozialisierung des Täters gefährdet werde.

1986 (BGBl. 1,2496 - 2 5 0 0 ) in Kraft getreten. Es ist durch die Beratungen des „55. Deutschen Juristentages", die am 26. und 27. September 1984 in Hamburg stattgefunden haben, vorbereitet worden. Diese Beratungen sind durch ein ausführliches Gutachten (Peter Rieß 1984) und eine Diskussion in der Fachliteratur eingeleitet worden. Dem Gesetz mangelt es an einer grundlegenden viktimologischen Konzeption. Es verbessert zwar an einzelnen Stellen verstreut die Rechtsstellung des Opfers in der Strafprozeßordnung. Diese „Verbesserungen" sind indessen meist unwirksam und unzureichend. Sie zeigen lediglich, daß der Gesetzgeber „etwas" für das Verbrechensopfer tun wollte, ohne das überkommene, einseitige, ineffektive, auf Tat und Täter ausgerichtete Prinzip der Verbrechensverhütung und -kontrolle aufzugeben. Das wird an den vier folgenden Beispielen der Gesetzesänderungen deutlich:

Damit das Opfer wirksamer als bisher vor diskriminierenden Fragen im Strafverfahren geschützt werden kann, soll ein Zeuge bei seiner Vernehmung nach Tatsachen aus seinem „persönlichen Lebensbereich" nur dann noch befragt werden, wenn dies zur Wahrheitsfindung unerläßlich ist. Nach altem Recht galt diese Beschränkung allein für Tatsachen, die dem Zeugen oder einem seiner Angehörigen „zur Unehre gereichen" konnten. Zu weitergehenden Einschränkungen der Aussagepflicht, etwa zur Einführung eines Beweisthemenverbots, wie es in Einzelstaaten der USA oder — Das Gesetz sieht Auskunfts-, Informations- und Australiens (Louis Waller 1982) gilt, hat sich der Beratungsrechte für das Verbrechensopfer vor, Gesetzgeber nicht durchringen können, da hierzu denen der Generalstaatsanwalt der USA durch angeblich Angeklagtenrechte beeinträchtigt Richtlinien erlassen hat. Die Mitwirkungsrechte würden (Peter Rieß 1984, 784). Diese Auffassung für Opfer schwerer Verbrechen sind besonders ist unzutreffend. In Vergewaltigungsprozessen wird erwähnenswert. So muß die Staatsanwaltschaft beispielsweise nicht selten von der Verteidigung das Opfer zu Rate ziehen, wenn der Angeklagte eine Strategie der Opferbeschuldigung verfolgt, die während des Strafverfahrens auf freien Fuß gedas Opfer psychisch und sozial zu verarbeiten nicht setzt werden soll. in der Lage ist. Es ist zwar richtig, daß auch in — Die Frage, was mit dem finanziellen Gewinn zu Vergewaltigungsfällen Falschaussagen vorkommen geschehen hat, den der Rechtsbrecher aus der können, obgleich sie bei der Vergewaltigung nicht Vermarktung seines Verbrechens in den Mashäufiger sind als bei anderen Delikten. Daß gleichsenmedien ziehen kann, ist im Gesetz angesprosam routinemäßig das sexuelle Vorleben des Opfers chen, aber nicht gelöst. Der Generalstaatsanin Vergewaltigungsprozessen in aller Öffentlichkeit walt soll dem Kongreß lediglich über die gesetzerörtert wird, läßt sich indessen unter keinem Gelichen Möglichkeiten berichten. Der Staat New sichtspunkt rechtfertigen. Auch Opfer mit einem York und andere Staaten der USA haben Gesexuellen Vorleben können vergewaltigt werden setze, die vorsehen, daß solche Gewinne beim und können im Strafverfahren die Wahrheit sagen. Justizministerium hinterlegt werden müssen. Die Opferbeschuldigungsstrategie der Verteidigung Die Gesetze räumen dem Verbrechensopfer unist deshalb für die gerichtliche Wahrheitsfindung ter bestimmten Bedingungen Zugriffsmöglichunerheblich; sie dient nur dem Ziel, das Gericht keiten auf solche hinterlegten Gewinne ein. und die Öffentlichkeit gefühlsmäßig gegen das Opfer einzunehmen, und schädigt es nicht selten in unberechtigter Weise. Das richtige Mittel, um die 4. Opferschutzgesetz der Bundesrepublik Glaubhaftigkeit der Aussage eines Zeugen oder Deutschland einer Zeugin in Zweifelsfällen festzustellen, ist die Einholung eines psychologischen SachverständigenIn der Bundesrepublik ist am 1. April 1987 das gutachtens. Die Einführung eines Verbots der Be„Erste Gesetz zur Verbesserung der Stellung des I weiserhebung über das sexuelle Vorleben einer verVerletzten im Strafverfahren" vom 18. Dezember

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Viktimologie gewaltigten Zeugin engt daher in keiner Weise die Angeklagtenrechte ein; sie schützt das Opfer nur vor unnötiger Schädigung und macht es dem Verteidiger nicht so leicht, seine Verteidigung nach außen hin auf Kosten des Opfers als durchschlagend erscheinen zu lassen. Schließlich wird auch durch ein Beweisthemenverbot dem Sensationsinteresse einer breiten Öffentlichkeit mit Recht keine Rechnung getragen. Im bundesdeutschen Opferschutzgesetz ist ferner der Kreis der Nebenklageberechtigten erweitert worden. Personen, die durch bestimmte Straftaten in höchstpersönlichen Rechtsgütern verletzt sind, können jetzt neben dem Staatsanwalt als zusätzliche Ankläger im Strafverfahren auftreten; dies gilt zum Beispiel für Personen, die Opfer einer Vergewaltigung, einer Geiselnahme oder eines versuchten Tötungsdelikts geworden sind. Diese Neuregelung ist von zweifelhaftem Wert. Denn sie mißversteht die viktimologische Konzeption, der es nicht vor allem darum geht, im streitigen formellen Strafverfahren die Opferseite zu stärken und hierdurch gleichsam den Täter-Opfer-Konflikt noch zu verschlimmern. Es wäre deshalb besser gewesen, wenn sich der bundesdeutsche Gesetzgeber für die Einführung eines Ausgleichs- und Schlichtungsverfahrens entschieden hätte, das den am Konflikt Beteiligten die psychische und soziale Aufarbeitung ihrer Interaktionsstörung unter Mithilfe und Vermittlung des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung ermöglicht. Zur Wahrnehmung seiner Rechte kann sich das Opfer — nach dem Opferschutzgesetz — weiterhin eines Beistands bedienen, um Ubergriffe des Gerichts oder des Strafverteidigers besser als bislang abwehren zu können. Wenn auch die Einführung eines solchen „Opferanwalts" im Interesse des Opferschutzes ein großer Schritt nach vorn ist, wäre es gleichwohl besser gewesen, weitergehende konkrete Vorschriften gegen eine sekundäre Viktimisierung in der Strafprozeßordnung selbst zu verankern. Als Beispiel kann das bereits genannte Beweisthemenverbot bei der Zeugenvernehmung herangezogen werden. Eine weitere Schädigung des Opfers im Strafverfahren wird am besten dadurch vermieden, daß man es nicht als bloßes Objekt der Wahrheitsfindung behandelt, sondern daß man seine Sorgen anhört, von seinen Nöten Kenntnis nimmt und daß man seine Sorgen und Nöte bei der Entscheidungsfindung erwägt. Das Opferschutzgesetz enthält schließlich eine Reihe von Änderungen zum sogenannten Adhäsionsverfahren, das dem Tatopfer die Verfolgung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche im Rahmen des Strafverfahrens ermöglicht. Diese Änderungen zielen darauf ab, seine Anwendung in der Praxis zu erleichtern; denn es hat bisher in der bundesdeutschen Strafrechtspflege fast keine Bedeutung erlangt. Die Neuregelungen sind allerdings nicht weitreichend genug, so daß sie ihr Ziel der

Praxisbelebung der Schadenswiedergutmachung innerhalb des Strafverfahrens verfehlen werden. So soll beispielsweise der Antragsteller Prozeßkostenhilfe in Anspruch nehmen können; außerdem sollen Grund- und Teilurteil zulässig sein. Der Gesetzgeber hat es versäumt, das Gericht zu verpflichten, den potentiellen Antragsteller über die Möglichkeit des Adhäsionsverfahrens zu informieren. Außerdem hat er die Vorschrift in der bundesdeutschen Strafprozeßordnung nicht gestrichen, nach der die Strafgerichte von der Entscheidung über den Antrag des Verbrechensopfers absehen können, wenn er sich „zur Erledigung im Strafverfahren nicht eignet". Dadurch, daß der Gesetzgeber den Gerichten diese Ausweichmöglichkeit nicht genommen hat, wird die Schadenswiedergutmachung im Strafverfahren weiterhin eine Ausnahme bleiben. Eine solche Wiedergutmachungsverhandlung und -entscheidung ist deshalb für das Verbrechensopfer günstig, weil es auf diese Weise nicht mit den psychischen und finanziellen Bürden einer zivilrechtlichen Klageerhebung belastet wird. Am besten wäre es freilich für das Verbrechensopfer gewesen, wenn man die Wiedergutmachung als eigenund selbständige Strafsanktion eingeführt hätte. Bundesdeutsches Strafrecht und Strafverfahren haben sich von der Wirklichkeit der Konfliktlösung zwischen Täter und Opfer so weit entfernt, daß sie selbst Modifikationen ihrer tat- und täterorientierten Reaktionsprinzipien nicht zulassen und dadurch zu ihrer eigenen Überforderung beitragen.

5. Resultat

der kriminalpolitischen Entwicklung

Durch neue theoretische und empirische Erkenntnisse der Kriminologie ist kriminalpolitisch etwas in Bewegung geraten. Es geht nicht nur darum, durch Opferhilfs- und -behandlungsprogramme die Opferschäden auszugleichen und damit weiterem Opferwerden entgegenzuwirken. Das Verbrechensopfer darf vielmehr nicht nur im Strafverfahren bloßes Beweismittel von instrumentellem Nutzwert sein, sondern seine Meinungen und Sorgen müssen vom Gericht angehört, erwogen und bedacht und seine Schäden zur Kenntnis genommen und anerkannt werden. Die Kriminaljustiz kann allein mit seinem Vertrauen und seiner Mitarbeit rechnen, wenn sie seinen Wiedergutmachungsinteressen Rechnung trägt. Den am Konflikt Beteiligten, dem Täter, dem Opfer und den Personen ihrer sozialen Nahräume, darf ihr Konflikt nicht „gestohlen" (Nils Christie 1977) werden; das formelle Strafverfahren — so notwendig es in vielen Fällen aus rechtsstaatlichen Gründen sein mag — schafft Distanz und erschwert auf diese Weise die Konfliktlösung. Es trägt zur Täter- und Opferstigmatisierung bei. Deshalb ist es notwendig, ein informelles Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren als Vorschalt-

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Viktimologie

verfahren vor dem formellen Strafprozeß vorzusehen, in dem die Beteiligten selbst ihren Konflikt unter Vermittlung und Mithilfe der Kriminaljustiz lösen können. Ein solches Verfahren kann eine wesentliche Lernerfahrung bilden und Vorbildwirkung für die tagtägliche friedliche Konfliktlösung haben. Es kann wesentlich dazu beitragen, daß sich die formelle Sozialkontrolle, die Kriminaljustiz, besser in die informelle Sozialkontrolle der gesellschaftlichen Gruppen, der Familie, der Schule, der Nachbarschaft, der Berufs- und Freizeitgruppen, einordnet.

C. Mögliche zukünftige Umgestaltung des Strafverfahrens, der Strafrechtsfolgen und des Strafvollzugs nach viktimologischen Gesichtspunkten 1. Wiedergutmachung Persönlichkeitsund

als kreative Sozialleistung

Das gesamte Kriminaljustizsystem muß am Wiedergutmachungsgedanken ausgerichtet werden, der eine Ausdehnung und Erstreckung des täterzentrierten Behandlungsgedankens auf Verbrechensopfer und Gesellschaft darstellt. Wiedergutmachung ist als Interaktionsprozeß zwischen Täter, Opfer und Gesellschaft zu verstehen, der den kriminellen Konflikt heilt und Frieden zwischen den Beteiligten schafft. Es handelt sich nicht nur eben um die Zahlung eines Geldbetrages und um ein paar leicht hingeworfene Bemerkungen der Entschuldigung. Wiedergutmachung ist ein kreativer Prozeß, eine Persönlichkeits- und Sozialleistung, die eine mühsame psychische und soziale Geständnis- und Trauerarbeit beim Täter verlangt und durch die er seine Verantwortung für seine Tat vor dem Opfer und vor der Gesellschaft auf sich nimmt. Aus erfolgreicher Geständnis- und Trauerarbeit gehen Täter, Opfer und Gesellschaft verändert, gereift hervor. Der Täter sühnt dadurch seine Tat, daß er sich ihren schädlichen Folgen stellt und daß ihm das Opfer vergibt; er löst sich von seiner Tat ab, ohne sich persönlich zu erniedrigen. Er verliert sein kriminelles Stigma, und er kann sich wieder als gleichberechtigtes Mitglied in die Gesellschaft einreihen. Das Opfer erhält — im Rahmen des Möglichen — Schadenersatz. Durch seine Persönlichkeitsleistung der Vergebung, durch die es das Trauma der Viktimisierung in seine Persönlichkeit einordnet, überwindet es selbst seine psychischen und sozialen Schäden, die ihm durch die Straftat verursacht worden sind. Durch die Wiedergutmachung, durch die Heilung des kriminellen Konflikts, durch die Friedensstiftung zwischen Täter, Opfer und Gesellschaft, wird in der Gesellschaft Rechtsbewußtsein geschaffen, das für die Verbrechenskontrolle weit wichti-

ger ist als die Abschreckung der Allgemeinheit durch Strafgesetzgebung und -anwendung. Wiedergutmachung erfordert eine Veränderung der Zielsetzung der gesamten Kriminaljustiz. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht konzentrieren ihre Aktivitäten nicht mehr allein auf den Täter. Der Bewährungshelfer und der Strafvollzugsbedienstete sind nicht mehr nur Helfer und Betreuer ihrer Probanden, sondern sie müssen die Rolle der Vermittler zwischen Täter, Opfer und Gesellschaft übernehmen. Der Wiedergutmachungsgedanke verlangt auf diese Weise verstärkte Anstrengungen beim Täter, aber auch beim Opfer und bei der Gesellschaft, insbesondere bei ihrer Sozialkontrolle. Gegen die Wiedergutmachung wird einerseits eingewandt, sie sei eine zusätzliche Sanktion; andererseits macht man geltend, sie sei überhaupt keine Sanktion, da der Täter sie zivilrechtlich ohnehin schulde. Beide sich widersprechenden Einwände, die mitunter gleichzeitig vorgebracht werden, verkennen das Wesen der Wiedergutmachung, die eben nicht nur in einer Geldzahlung besteht, sondern die es wesentlich darauf abstellt, daß sich Täter und Opfer mit der Tat im bereits skizzierten Sinne auseinandersetzen. Auch die Argumentation, die Wiedergutmachung sei utopisch, weil der Täter nicht genugtuungsbereit und das Opfer nicht vergebungsbereit seien, stimmt nicht. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, daß Verbrechensopfer keine punitiveren, weithin sogar versöhnlichere Einstellungen besitzen als Nichtopfer (Bernhard Villmow 1979). Der Straftäter ist leichter davon zu überzeugen, Belastungen auf sich zu nehmen und anzuerkennen, die auf eine Bereinigung der von ihm verursachten Opferschäden gerichtet sind, als Einbußen an Lebensqualität zu erdulden, deren Sinn z. B. bei Geld- und Freiheitsstrafen abstrakterer Art und deshalb nicht leicht einsehbar sind. Schließlich ist das Argument, die meisten Täter seien leistungsunfähig, nicht überzeugend. Denn es kommt für die Wiedergutmachung nicht auf den vollen finanziellen Schadensausgleich, sondern auf die Dokumentation des Wiedergutmachungswillens des Täters an, für die bereits ein symbolischer Ausgleich in Form von persönlichen Dienst- und Werkleistungen und klärender Gespräche genügt.

2. Ausgleichs-

und

Schlichtungsverfahren

Bei diesem Verfahren, das zuerst von der kanadischen Rechtsreformkommission vorgeschlagen worden ist und das als Vorschaltverfahren vor dem formellen Strafverfahren gedacht ist, setzen sich Täter und Opfer an einen Tisch und versuchen, unter Leitung und Vermittlung eines Richters und unter Mithilfe des Staatsanwalts, des Verteidigers und eventuell eines Sachverständigen in einem informellen Verfahren ihren Konflikt selbst zu lösen. Für die Durchführung eines solchen Verfahrens

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Viktimologie ist es notwendig, daß die Begehung der Straftat durch den Täter (Schuldfrage) außer Zweifel steht und daß ihm alle Beteiligten zugestimmt haben. Man hat den Ausgleichs- und Schlichtungsprozeß, der mit einem für alle Beteiligten verbindlichen Schiedsspruch oder einem Vergleich endet, deshalb empfohlen, weil er die informelle Kontrolle dadurch stärkt, daß er die Konfliktlösung unter den Beteiligten selbst und mit Hilfe der Kriminaljustiz einübt. Man hat ein solches Verfahren für verschiedene Deliktskategorien vorgeschlagen, die alle eine Gemeinsamkeit besitzen, daß sie nämlich durch das formelle Strafverfahren nicht wirksam kontrolliert werden können. Man muß deshalb bei seiner verfahrensmäßigen Ausgestaltung neben Grundsatzvorschriften besondere Verfahrensnormen für die speziellen Deliktskategorien vorsehen. Straftaten zwischen Personen im sozialen Nahraum, z. B. Frauen- und Kindesmißhandlung, Vergewaltigung in der Ehe, sexueller Mißbrauch von Kindern, werden deshalb so selten angezeigt, weil das Opfer vom Täter abhängig ist, weil es auf ihn Rücksicht nehmen will oder muß, weil der Rechtsbrecher durch das Strafverfahren ungewöhnlich stark stigmatisiert wird und weil sich nach einem solchen formellen Verfahren, das mit einer Verurteilung abschließt, in der Regel die Familie auflöst. Da das Opfer gleichwohl schwere psychische Schäden davontragen kann, die sich auch verbrechensverursachend auswirken können, kann die soziale Verdrängung durch eine Nichtkenntnisnahme solcher Delikte in der Gesellschaft nicht einfach hingenommen werden. Das Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren bietet sich hier an, weil es auf die Wiederherstellung zwischenmenschlicher Beziehungen gerichtet ist und mit einem Schiedsspruch oder Vergleich endet, der die Kontrolle der kriminellen Konflikte unter Betreuung und Beaufsichtigung der Familie und der Personen im sozialen Nahraum durch Sozialdienste vorsieht. Die Niederlande haben für die Kontrolle der Kindesmißhandlung einen anderen Weg gewählt (Jack E. Doek 1978): Im Rahmen eines Systems medizinischer Schiedsleute versuchen Sozialdienste mit gutem Erfolg, den mißhandelten Kindern zu helfen. Auch in Israel hat man bei der Kontrolle des sexuellen Mißbrauchs von Kindern eine andere Richtung eingeschlagen (David Reifen 1973): Jugendvernehmungsbeamte befragen kindliche Opfer von Sexualdelikten in ihrer gewohnten Umgebung; sie erscheinen an Stelle der kindlichen Opfer als Zeugen vor Gericht. Aus rechtsstaatlichen Gründen sind beide Vorgehensweisen dem Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren unterlegen. Denn die medizinischen Schiedsleute werden außerhalb der Kriminaljustiz tätig, und bei den Jugendvernehmungsbeamten mangelt es an der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Sogenannte Bagatellkriminalität, z.B. Ladendiebstähle, Diebstähle aus Kraftfahrzeugen, Fahr-

raddiebstähle oder leichte Sachbeschädigungen (Vandalismus), liegt häufig im Dunkelfeld der nicht bekanntgewordenen, verborgen gebliebenen Straftaten. Man versucht in der Bundesrepublik weitgehend erfolglos, sie im Wege des Strafbefehlsverfahrens oder der Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft — mit oder ohne Anordnung einer Auflage — wegen Geringfügigkeit der Schuld des Rechtsbrechers zu kontrollieren, um sie nicht durch Täterstigmatisierung zur Einstiegsdelinquenz für Jugendliche werden zu lassen. Diese Einstellungspraxis ist kritisiert worden, weil sie das Legalitätsprinzip verletzt, weil die Staatsanwaltschaft rechtsprechende Gewalt ausübt, weil die Einstellungsverfahren keine spezial- und generalpräventive Wirkung haben, sondern vielmehr das Rechtsbewußtsein der Bevölkerung negativ beeinflussen und zu Selbstjustiz führen können. Auch diese Bagatellkriminalität kann durch ein Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren besser kontrolliert werden, weil es den genannten Einwänden Rechnung trägt, weil es den Rechtsbrecher nicht brandmarkt, gleichwohl aber das Gebiet der Bagatellkriminalität strafrechtlich besetzt hält und zur Bildung von Normbewußtsein beiträgt. Schließlich eignet sich die Wirtschafts- und Umweltkriminalität für das Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren, wenn sie von Unternehmen begangen wird, die durch ihre Straftaten eine große Zahl von Verbrechensopfern (Opferverdünnung) schädigen. Denn für die Reaktion auf solche Rechtsbrüche ist das formelle Strafverfahren zu langsam, zu zeitaufwendig und zu unflexibel. Bei der Unternehmenskriminalität sind Tat und Täter, nämlich das Unternehmen, leicht feststellbar. Nur die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb des Unternehmens ist schwierig zu ermitteln. Geldund kurze Freiheitsstrafen gegen leitende Angestellte des Unternehmens, das die Wirtschafts- und Umweltkriminalität begangen hat, sind spezial- und generalpräventiv unwirksam. Es ist deshalb wirkungsvoller, das Unternehmen selbst verantwortlich zu machen und es zur vollen Wiedergutmachung zu verpflichten (John Braithwaite 1984; Marshall B.Clinard 1980). Diese Schadenswiedergutmachung ist bei Unternehmensdelikten in der Regel so teuer, daß sie für sich allein abschreckend wirkt. Die Feststellung individueller Schuld von Einzeltätern innerhalb des Unternehmens ist demgegenüber ein stumpfes Schwert bei der Kontrolle der Umwelt- und Wirtschaftskriminalität, die durch Unternehmen verübt wird; den unzähligen Opfern solcher Straftaten bringt sie nichts.

3.

Täter-Opfer-Ausgleichsprojekte

Die Kriminaljustiz stellt nur einen — wenn auch wichtigen — Teilbereich sozialer Kontrolle dar. Das formelle Strafrecht und Strafverfahren können

420

Viktimologie

schädliche Wirkungen auf Täter und Opfer haben (Etikettierung). Um diese Nachteile zu vermeiden, versucht man in vielen Ländern, kriminelle Konflikte außerhalb des Kriminaljustizsystems (Diversion) und unter Mithilfe von freiwilligen Helfern zu regeln. Denn Jugenddelinquenz und Erwachsenenkriminalität verfestigen sich immer mehr, je tiefer der Rechtsbrecher ins Kriminaljustizsystem verstrickt wird. Aus Nordamerika kommend, hat die informelle Verfahrenserledigung auch in der Praxis der Jugendstrafrechtspflege der Bundesrepublik einen weiten Anwendungsbereich gefunden. Sie hat bei der Reaktion auf Erwachsenenkriminalität gleichfalls Bedeutung erlangt. Zu den Diversions-Modellversuchen gehören Täter-Opfer-Ausgleichsprojekte. So bemüht sich beispielsweise die Jugendgerichtshilfe um die Vermittlung von Gesprächen zwischen Täter und Opfer, um Schadenswiedergutmachung und menschliche Begegnung zu erreichen, die zur Einstellung des Strafverfahrens führen können. Als Beispiel wird ein kanadisches Täter-Opfer-Aussöhnungsexperiment skizziert (Mark D. Yantzi 1985): Jugendliche Einbruchstäter, die Strafaussetzung zur Bewährung erhalten haben, begegnen ihren Einbruchsopfern unter Vermittlung und Aufsicht von Bewährungshelfern, die mit Behutsamkeit und psychologischem Geschick vorgehen. Durch die Zusammenführung von Täter und Opfer, die sich keineswegs in einem einmaligen Gespräch erschöpft, sondern die einen längeren Prozeß zahlreicher Gespräche erfordert, lernt der Täter das volle Ausmaß der materiellen, sozialen und psychischen Schäden kennen, die er angerichtet hat. Sein Opfer ist für ihn keine abstrakte Person mehr, die in seiner Erinnerung verblaßt. Er kann seine Tat nicht mehr rechtfertigen und verdrängen. Dadurch, daß das Opfer seinen Täter näher kennenlernt, wird sein Täterbild „humanisiert". Der Täter ist für das Opfer kein abstraktes „Monster" mehr, sondern konkret ein junger Mann mit Problemen, wie sie viele junge Leute haben. Der Täter wird nicht entschuldigt. Er muß sich im Gegenteil zur vollen Verantwortung für seine Tat bekennen, und er muß materiellen Schadenersatz leisten. Die kriminologische Begleitforschung von Wiedergutmachungsexperimenten mit jugendlichen Straftätern in den USA hat gute Ergebnisse erbracht (Anne L. Schneider 1986).

4. Wiedergutmachung

in der

Strafanstalt

Im Strafvollzugsgesetz vom 16.3.1976 (BGBl. I, 581—612) ist die Opferperspektive fast völlig ausgeklammert worden. Man glaubte, durch täterzentrierte Behandlung die Sozialisationsdefizite des Strafgefangenen beheben zu können, ohne freilich zu erkennen, daß es zur Bildung seines Rechtsbewußtseins und des Rechtsbewußtseins der Bevölkerung darauf ankommt, daß sich der Strafgefangene

mit seiner Tat geistig und seelisch auseinandersetzt. In vielen Gesprächen mit Strafgefangenen im Inund Ausland ist immer wieder deutlich geworden, daß sie von ihrem Opfer so gut wie nichts wußten und daß sie ihre Straftat durch die bloße Strafverbüßung in der Strafanstalt als erledigt ansahen. Mit Zeitablauf war die Erinnerung an die Tat verblaßt. Der Strafgefangene darf im Anstaltsstrafvollzug keinen persönlichen Degradierungen unter dem Vorwand des „Schuldausgleichs" und der „Sühne" ausgesetzt werden, weil er solche Degradierungen verinnerlicht und weil durch sie sein ohnehin vermindertes Selbstwertgefühl noch geschwächt und zu einem kriminellen Selbstbild verfestigt wird. Er muß vielmehr in sozialkonforme Verhaltensstile, Einstellungen und Rollen eingeübt werden. Eine solche Behandlung kann im Sinne des Aufbaus eines von innen gesteuerten Rechtsbewußtseins allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn ihm die Gründe für die Notwendigkeit der Normbefolgung einsichtig gemacht werden und wenn er sich mit seiner Tat und der Viktimisierung seines Opfers aufrichtig und selbstkritisch auseinandersetzt. Durch die Einsicht des Strafgefangenen in die bei seinem Opfer von ihm verschuldeten Tatfolgen lernt er, den Täter-Opfer-Konflikt aufzuarbeiten und seelisch zu verarbeiten. Die Sensibilisierung des Strafgefangenen für die von ihm verschuldeten Opferschäden darf allerdings nicht mit einer Rückkehr zu einer vergeltenden Vollzugsgestaltung verwechselt werden. Eine mögliche Begegnung zwischen dem Strafgefangenen und seinem Opfer, die nicht als Konfrontationserlebnis wie im Strafverfahren mißverstanden werden darf, muß möglichst behutsam und sorgfältig vorbereitet werden. Auf die besondere Lage des Opfers, namentlich seine psychische Belastung, ist Rücksicht zu nehmen. Ein unmittelbares Zusammentreffen zwischen dem Opfer und dem Strafgefangenen ist ein hochsensibles Erlebnis für beide. Hier muß mit großer Behutsamkeit vorgegangen werden. Die offene Strafanstalt SaxerrietSalez in der Schweiz praktiziert seit Jahren ein Täter-Opfer-Ausgleichsprogramm (Paul Brenzikofer 1982). Zum Täter-Opfer-Ausgleich ist freilich nicht immer die persönliche Begegnung zwischen beiden erforderlich. Für die materielle Wiedergutmachung ist zwar auf Dauer und langfristig die Zahlung eines leistungsgerechten Arbeitsentgelts an den Strafgefangenen anzustreben, damit er seine Schulden regulieren und volle Wiedergutmachung erbringen kann. Aber auch die volle materielle Wiedergutmachung ist nicht immer und unbedingt notwendig. Häufig kommt es dem Verbrechensopfer allein darauf an, daß der Strafgefangene seinen guten Willen zeigt. Die immaterielle Aussöhnung zwischen Täter und Opfer ist bedeutsamer und zugleich schwieriger. Nicht jedes Verbrechensopfer ist gesprächsbereit und fähig zu einem Gespräch mit dem Täter. Hier ist ein symbolischer Täter-Opfer-

Viktimologie Ausgleich, eine symbolische Aussöhnung ausreichend, die zum Beispiel dadurch erreicht werden kann, daß der Strafgefangene sich nicht mit seinem eigenen Opfer zu Gesprächen trifft, sondern daß er in Gesprächsgruppen von Strafgefangenen mit gesprächsbereiten Verbrechensopfern die Kriminalität und ihre Folgen aus der Sicht der Opfer kennenlernt. Durch opferbezogene Rollenspiele im Rahmen des Sozialen Trainings könnte gleichfalls eine dauerhafte Sensibilisierung für die Belange des Verbrechensopfers erreicht werden.

5. Kriminalpolitische Berücksichtigung der Opfermitverursachung Straftaten entstehen in zwischenmenschlichen Prozessen, in denen das Opfer keineswegs immer untätig und passiv ist. Durch zwei viktimologische Konzepte ist die heutige strafrechtliche Diskussion über die Bewertung der Opfermitverursachung vorbereitet worden: — Nach dem Konzept der Opfermitwirkung ("Victim-Precipitation") (Marvin Ε. Wolfgang 1958) ist in zahlreichen Fällen das Opfer ein an der Tat wesentlich Beteiligter, ein „direkter, positiver Beschleuniger des Verbrechens". Es erleichtert die Tat; es löst die Tat aus; es führt die Tat herbei; es fordert die Tat heraus. Nach dem Modell der funktionalen Verantwortlichkeit ("Functional Responsibility") (Stephen Schafer 1977, 160/161) sind Täter und Opfer wechselseitig, sich ergänzend für ihr Verhalten verantwortlich. Das Opfer muß seine eigene Viktimisierung vermeiden. Es darf sich nicht in viktimogene Situationen bringen, in denen es leicht zum Opfer gemacht werden kann. Aus diesen beiden Konzepten hat man folgende strafrechtliche Konsequenzen zu ziehen versucht: — Das potentielle Opfer soll durch verwaltungsrechtliche Zwangsmittel, durch die Androhung von Ordnungs- und Kriminalstrafen dazu gezwungen werden, sein eigenes Opferwerden zu verhindern. Um die Gelegenheit zum Ladendiebstahl möglichst niedrig zu halten, schlägt man ζ. B. vor, die potentiellen Opfer, Kaufhäuser und Einzelhandelsgeschäfte, zu verpflichten, ihre Warenauslagen, ihre Verkaufsräume und ihre Organisation des Verkaufsbetriebs möglichst übersichtlich zu gestalten und eine Mindeststärke ihres Verkaufs- und Aufsichtspersonals einzuhalten (Armin Schoreit 1976). — Das potentielle Opfer soll in bestimmten Fällen die Sozialkontrolle selbst übernehmen. So hat man zum Beispiel vorgeschlagen, daß der Verletzte bei einem Ladendiebstahl, der einen Schaden von nicht mehr als 500,— DM verursacht hat, neben der Herausgabe der durch

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Diebstahl erlangten Ware und neben Schadensersatz in Geld eine Sanktion von mindestens 50,— DM verlangen kann. Die formelle Sozialkontrolle durch Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht soll in diesen Fällen ausgeschlossen sein. — Dem Opfer soll der strafrechtliche Schutz versagt werden, wenn es die ihm zumutbaren Selbstschutzmaßnahmen unterlassen hat (Bernd Schünemann 1986). Die Einschränkung des Opferschutzes wird allerdings nicht für Straftaten befürwortet, die mit Gewaltanwendung verbunden sind. — Schließlich soll das schuldhafte Opferverhalten bei der Auswahl der strafrechtlichen Sanktion durch das Gericht oder wenigstens bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden (Thomas Hillenkamp 1986). Nur diese letzte Lösung des Problems der strafrechtlichen Beurteilung der Opfermitverursachung verdient Unterstützung (Udo Ebert 1983). Verbrechensbekämpfung durch Opferbestrafung ist abzulehnen.

VI. CHANCEN UND GEFAHREN FÜR UND DURCH DIE VIKTIMOLOGIE Durch die Viktimologie kann das Tatgeschehen besser erfaßt und verstanden werden. Insofern bietet sie einen Erkenntnisgewinn. Sie ermöglicht eine humanere Begegnung mit dem Verbrechensopfer und mit dem Straftäter und zwischen beiden. Sie dient einer größeren Effektivität der gesamten Sozialkontrolle. Durch ein „Opferübergewicht" kann sie allerdings auch zur Dramatisierung und Emotionalisierung der Kriminalität und damit zu einer Gefährdung der Resozialisierung des Täters führen. Es würde den Forschungsergebnissen der Viktimologie zuwiderlaufen, wenn sie sich in den Dienst eines ebenso inhumanen wie ineffektiven Vergeltungsstrafvollzugs stellen würde. Die Viktimologie beschuldigt das Opfer nicht. Sie ist eine Tatsachenwissenschaft. Wenn sie von „Opfermitverursachung" (nicht Opferschuld) spricht, so will sie allein opferbezogene Vorbeugungsprogramme entwickeln. Strafrechtlich hat die „Opfermitverursachung" zumeist überhaupt keine, in wenigen Fällen eine völlig untergeordnete Bedeutung (Strafzumessung!). Mit der Ubiquität der Opferbenennung ist kein neuer Erkenntnisgewinn verbunden. Die „Erkenntnis", daß Straftäter Opfer der Gesellschaft sind, ist einseitig und führt nicht weit. Von der Unterscheidung zwischen opferfreundlichen und opferfeindlichen Viktimologen (Kurt Weis 1982, Wiebke Steffen 1987) sollte abgesehen werden. Feindbilder sollten nicht auf-, sondern abgebaut werden, damit unsere Gesellschaft friedlicher wird.

422

Viktimologie Monographien

und

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Z e i t s c h r i f t e n - und

Sammelwerkaufsätze

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Viktimologie

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SCHNEIDER

STAATSSTREICH A. Staatsstreich und Kriminologie 1.

Definition

Unter einem Staatsstreich versteht man die plötzliche, versuchte oder gelungene Entmachtung der an der Spitze eines Staates stehenden Person oder Gruppe durch einen gewaltsamen Akt. Träger eines Staatsstreiches ist in der Regel eine zahlenmäßig kleine Gruppe von Inhabern hoher, vorwiegend militärischer Funktionen, zuweilen auch das Staatsoberhaupt selbst mit dem Ziel, die eigene Macht rechtswidrig zu erweitern. Zu den Charakteristiken eines Staatsstreiches gehört die Schnelligkeit der

426

Staatsstreich

Ausführung des Coups. Die meisten Staatsstreiche sind innerhalb von Stunden beendet, kaum einer dauert länger als ein paar Tage. „Durch einen erfolgreichen Staatsstreich wird das gegenwärtige Regime gezwungen, das Amt entgegen den üblichen verfassungsmäßigen Regeln zu verlassen", d . h . die gegenwärtige Regierung wird durch die Führer des Staatsstreiches oder durch von ihnen bestimmte Personen ersetzt (Steven R . D a v i d 1987, S.7—8). Nach anderer Definition ist der Staatsstreich „ein unerwarteter, plötzlicher, entscheidender, potential mit Gewalt verbundener illegaler Akt, der für den Ausführenden wie auch für das ins Auge gefaßte Opfer mit Gefahr verbunden sein kann und große Geschicklichkeit bei der Ausführung verlangt. Sein eingestandenes Ziel ist die Veränderung der staatlichen Politik" (zitiert bei Ekkart Zimmermann 1981, S. 79). Indessen ist ein Staatsstreich nicht immer mit politischen Veränderungen verbunden, häufig besteht er nur in einem Personenwechsel; so kennt man in Südamerika — früher mehr als heute — das „Karussell der Generäle", bei dessen Drehungen das Land im wesentlichen unberührt bleibt, während in den jungen afrikanischen Staaten Staatsstreiche oft aus Stammesrivalitäten, dem traditionellen Tribalismus, entstehen, der im Anschluß an den Staatsstreich nicht selten zu Bürgerkriegen führt. Wenn durch einen Staatsstreich eine grundlegende Änderung der Politik erfolgt, handelt es sich um eine Revolution, zu der begriffsmäßig auch die Beteiligung der Massen gehört. Es gibt Mischformen zwischen Staatsstreich und Revolution, Vorformen und abgebrochene Versuche von Staatsstreichen, sowie Drohformen mit Staatsstreichen, um vor einer beabsichtigten Änderung der Machtverhältnisse zu warnen oder sie zu befürworten. So wurde im Mai 1988 die politische Führung Sloweniens durch Teile der jugoslawischen Militärführung bedroht. Im Oktober 1988 zeigten Truppenteile in Venezuela ihre Unzufriedenheit, indem sie in Caracas während kurzer Zeit die Straßen um den Präsidentenpalast besetzten. Der Aufstand in der Slowakei im August 1944 war gleichzeitig Staatsstreich, Revolution und Partisanenkampf; mehrere Gruppen kämpften mit verschiedenen Zielen (Paul D. Gawron 1980). Staatsstreich und Revolution sind mit Gewalt verbunden, d. h. mit Straftaten wie Mord, Hochverrat und Nötigung von Verfassungsorganen. Sie sind deshalb Forschungsgegenstand der Kriminologie, insbesondere der Historischen Kriminologie (Wolf Middendorff 1981), und sie sind Teilgebiet der Geschichtswissenschaft.

2. Statistik Über Staatsstreiche gibt es nur wenige, zumeist ausländische Statistiken. In einer der umfangreichsten Studien über Staatsstreiche werden zwischen

1946 und 1970 274 militärische Staatsstreiche gezählt. Aufgeteilt ereignete sich ein Staatsstreich oder ein Staatsstreichversuch zwischen 1945 und 1972 in Lateinamerika einmal in vier Monaten, in Asien zwischen 1947 und 1972 einmal in sieben Monaten, im Nahen Osten zwischen 1949 und 1972 alle drei Monate und zwischen 1960 und 1972 in Afrika ungefähr alle 55 Tage (zitiert bei Ekkart Zimmermann 1981, S.75). Wenn man die oben erwähnten 274 Staatsstreiche auf Weltregionen aufteilt, entfallen 136 Staatsstreiche, d. h. fast die Hälfte, auf 17 Länder in Lateinamerika, 53 auf 13 Staaten in arabischen Ländern (19,3%), 40 auf 9 Länder in Asien (14,6%), 38 auf 17 Länder südlich der Sahara in Afrika (13,9 % ) und 7 auf 3 Länder in Europa ( 2 , 6 % ) (zitiert bei Ekkart Zimmermann 1981, S. 76). Man kann es auch so ausdrücken, daß in den Staaten der Dritten Welt Regierungen einander häufiger durch Staatsstreiche als durch Wahlen oder andere verfassungsgemäße Verfahren ablösen (Eric A. Nordlinger 1977, S. 7).

3. Material Im deutschen Sprachraum finden sich nur wenige Arbeiten über Staatsstreiche; mehr Material gibt es von Politologen und Soziologen im Ausland, insbesondere in den USA. Zur Auswertung von Erfahrungen mit Staatsstreichen habe ich zehn Staatsstreiche untersucht, von denen die Hälfte erfolgreich und die Hälfte mißlungen waren. Das Material stammt aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Zeiten; einige Staatsstreiche haben die Geschichte des betreffenden Landes tatsächlich oder psychologisch entscheidend verändert (weitere Staatsstreiche bei Wolf Middendorff 1988). Angesichts der kleinen Zahl der Staatsstreiche und der großen Unterschiede zwischen ihnen ist die Anwendung statistischer Methoden — wie oben geschehen — nur sehr bedingt möglich. Dies gilt besonders in bezug auf die im folgenden untersuchten Staatsstreiche. Auch bezüglich der Fakten ist bei der Auswertung Vorsicht geboten; Sieger und Besiegte sind leicht versucht, ihre eigene Rolle je nach dem Ergebnis des Staatsstreiches zu dramatisieren oder zu verkleinern, letzteres insbesondere als Angeklagte.

B. Die Taten 1. Einteilung der Staatsstreiche Zwischen den einzelnen Staatsstreichen gibt es große Unterschiede; die Spannweite reicht vom Mord am römischen Kaiser Domitian, der das einzige Opfer war, bis zum Staatsstreich in Deutschland am 20.7.1944, der unter schwersten Bedingungen erfolgte und nachträglich viele Opfer kostete.

Staatsstreich

427

Chronologische Liste der Staatsstreiche 1.

1 8 . 1 0 . 3 1 n. Chr.

Rom

2. 3.

18.9.96 28.6.1762

Rom St. Petersburg

4. 5. 6.

2.12.1851 26.2.1936 20.7.1944

7. 8. 9.

15.1.1966 21.4.1967 23.2.1981

Paris Tokio Rastenburg und Berlin Lagos, Nigeria Athen Madrid und Valencia

10.

30.12.1987

Umtata

Gardepräfekt Seian versucht, sich an die Stelle von Kaiser Tiberius zu setzen Kaiser Domitian wird von einem Diener ermordet Die spätere Kaiserin Katharina II. bemächtigt sich der Herrschaft Präsident Napoleon Bonaparte wird Alleinherrscher Militärputsch junger Offiziere Attentat und Staatsstreich gegen Hitler Militär versucht, die Regierung zu stürzen Die Obristen erringen die Macht Militär und Guardia Civil versuchen, die Macht zu erringen Die Regierung der Transkei wird abgesetzt

— Die Staatsstreiche gegen Domitian und Tiberius kann man auch in die Kategorie der Palastverschwörungen einordnen, wobei man oft in unrichtiger Weise von Palastrevolution spricht. Titus Flavius Domitianus, geboren 51 n . C h r . , war ab 81 n. Chr. Kaiser. In den ersten Jahren führte seine Regierung wirtschaftlich, geistig, künstlerisch und militärisch zu einer Blütezeit. Allmählich aber wuchs die Opposition gegen ihn, die es als ihr ideales Ziel ansah, als Kaiser nur den Besten des Volkes zu sehen und nicht einen Mann, dem dieses Amt durch Erbfolge zugefallen war. Es kam zu zahlreichen Verschwörungen des Adels, die vom Kaiser immer grausamer zerschlagen wurden. Selbst Verwandte des Kaisers waren vor dessen Rache nicht mehr sicher, so daß schließlich sogar seine Ehefrau sich an einer Verschwörung des Adels beteiligte. Man gewann den Kammerdiener Domitians, der sich bereit erklärte, den Kaiser zu ermorden. Dieser Diener Stephanus trug dann tagelang am linken Arm einen wollenen Verband unter dem Vorwand, sich verletzt zu haben. Tatsächlich aber hatte er zwischen Arm und Verband einen Dolch verborgen. Am 1 8 . 9 . 9 6 brachte er dem Kaiser die schriftliche Anzeige einer angeblichen Verschwörung; als der Kaiser sich in das Schreiben vertiefte, stieß ihm Stephanus den Dolch in den Unterleib. Schon am folgenden Tag wählte der Senat den 66jährigen Nerva, den rangältesten Senator, zum Nachfolger Domitians. Sofort nach der Tat hatte der Senat über den Ermordeten die „damnatio memoriae" verhängt, was bedeutete, daß der Name des Kaisers aus dem Gedächtnis de r Menschheit gelöscht werden sollte (Jürgen Lot/ 1987, S. 455). Lucius Aelius Seianus stand der Spitze der Prätorianer-Garde, die er geschlossen nach Rom verlegte und damit praktisch die Hauptstadt in seiner Gewalt hatte. Am Kaiserhof machte sich Seian unentbehrlich, und es kam bald zum Konflikt zwischen ihm und dem Nachfolger des Tiberius, d. h. dessen Sohn Drusus Julius Caesar.

Drusus hatte die Gefahr erkannt, die seinem Vater und dem Reich durch den Machthunger Seians drohte, Seian aber räumte dieses Hindernis zur Macht bald beiseite, indem er mit Hilfe seiner Geliebten, der Frau des Drusus, diesen vergiften ließ (Jürgen Lötz 1975, S. 841 ff.). Seians Versuch, in die kaiserliche Familie einzuheiraten, scheiterte am Widerstand des Kaisers. Nun faßte Seian den Sturz des Kaisers ins Auge. Tiberius hielt sich allerdings zumeist auf der Insel Capri auf; er war inzwischen mißtrauisch geworden, aber die Macht des Seian war so stark geworden, daß man ihn nicht mehr durch einen einfachen kaiserlichen Befehl hätte stürzen können. Tiberius gewann einen Stabsoffizier der Prätorianer, Macro, sowie Laco, den Befehlshaber der Feuerwehr und des Nachtwachdienstes (Vigiles) in Rom für sich. Macro wurde nach Capri befohlen, und Tiberius betraute ihn mit dem Oberbefehl über die Prätorianer und händigte ihm Befehle für den Senat aus. Am 18. Oktober 31 begab sich Macro in die entscheidende Senatssitzung, die zur Entgegennahme eines Handschreibens des Kaisers einberufen war. Er entfernte die Wache der Prätorianer und ließ die Vigiles den Tempel umstellen, Seian verhaften und in das Gefängnis bringen. Dann begab sich Macro sofort in das Lager der Prätorianer, um etwaigem Widerstand vorzubeugen und die Truppen von seiner Ernennung zum Befehlshaber in Kenntnis zu setzen. Zur Durchsetzung seiner Mission hatte Macro auf Befehl des Tiberius jedem Soldaten eine große Summe Geldes versprochen. Der Senat reagierte auch sofort und verhängte das Todesurteil gegen Seian, das auf der Stelle vollstreckt wurde. Auch die Kinder Seians wurden getötet (Ernst Kornemann 1980, S. 1 6 6 - 1 6 7 ) . — Zwei Staatsstreiche, der der Gemahlin des Zaren Peters III., Katharina, und der des Präsidenten der Französischen Republik, Louis Napoleon, führten wegen der eigenen Machtstellung und des persönlichen Einsatzes leicht zum Erfolg. Bei Napoleon kam noch die Erinnerung an seinen Onkel,

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Staatsstreich

den großen Korsen Napoleon I., hinzu, der im französischen Volk unvergessen war. Zar Peter III., früher Herzog von Holstein-Gottorp, herrschte seit 1761. E r schloß sehr schnell Frieden mit Friedrich dem Großen, ohne die für Rußland günstige Kriegslage auszunutzen, denn er verehrte Friedrich und verachtete alles Russische, er führte den preußischen Drill und sogar preußische Uniformen ein. Bei Beförderungen bevorzugte er deutsche Offiziere. Durch diese Maßnahmen erregte er den Unwillen weiter Kreise, und es bildeten sich Verschwörungen gegen ihn. Kern der Militärverschwörung waren die fünf Offiziere und Gebrüder Orlow, von denen Gregor der Geliebte Katharinas war. Ihre konspirative Tätigkeit gegen den Zaren war so intensiv, daß sie bald über 30 bis 40 Offiziere und über rund 10000 Soldaten verfügten. Ein Gardekommandeur stellte sein ganzes Regiment für einen Staatsstreich zur Verfügung. Katharina fühlte sich zu Recht oder Unrecht von ihrem Mann bedroht, weil dieser sie bei einem großen Bankett in aller Öffentlichkeit beleidigt und außerdem seine Absicht erklärt hatte, seine Geliebte zu heiraten. Als einer der Verschwörer, ein Hauptmann Passek, wegen Beleidigung des Zaren verhaftet wurde, fürchteten die Verschwörer, Passek würde unter der Folter das ganze Komplott verraten. Gregor Orlow fuhr sofort in das 30 Kilometer von St. Petersburg gelegene Schloß Peterhof und brachte Katharina in die Stadt. Schon in der ersten Kaserne eines Garderegimentes wurde ihr stürmisch gehuldigt, und an der Spitze dieses Regimentes ritt sie in einem sich ständig vergrößernden Siegeszug durch die Stadt, bis ihr alle Garderegimenter Gehorsam gelobten. An der Spitze von vier Regimentern mit insgesamt 14000 Mann wandte sie sich gegen den Zaren und sein Heer. Peter III. wehrte sich nicht, wurde verhaftet und knapp eine Woche später in der Haft ermordet.

druckerei wurden die Aufrufe gedruckt; jeder Gruppe, die einen Politiker oder Militär in Paris verhaften sollte, wurden Soldaten und ein Schlosser beigegeben. Die Verhaftungsaktion gelang beispielhaft; erst zwei Tage später, am 4.12.1851, kam es in Paris zu einem Massaker, und Barrikaden mußten vom Militär gestürmt werden. Ein Jahr später wurde Napoleon Kaiser, eine Volksabstimmung bestätigte ihn.

Louis Napol6on war am 10.12.1848 mit großer Mehrheit zum Präsidenten der Republik gewählt worden. Er geriet schon bald in Schwierigkeiten mit dem Parlament, u. a. weil die Abgeordneten von ihm beantragte Gelder verweigerten. Außerdem stand im Mai 1852 die Neuwahl des Präsidenten an, über deren Ausgang Napoleon sich nicht sicher war. Er plante deshalb einen Staatsstreich und suchte mit viel Geschick Mitverschworene aus, so daß bald schon die wichtigsten Posten in Frankreich mit „zuverlässigen" Männern besetzt waren. So hatte Napoleon ebenso den Kriegsminister wie den Polizeichef wie auch den Kommandanten der Pariser Garnison und schließlich sogar den Generalstabschef der Nationalgarde für seine Pläne gewonnen. Letzterer ließ am Abend vor dem Staatsstreich die Trommeln seiner Tamboure zerbrechen, damit diese am folgenden Morgen keinen Alarm schlagen konnten. Die Gesamtorganisation des Staatsstreiches lag in den Händen von Napoleons Halbbruder Morny. In der nach außen abgesperrten National-

A m 21.4.1967 gegen 2 Uhr morgens besetzten Einheiten der griechischen Streitkräfte alle Verkehrsknotenpunkte in Athen; gleichzeitig wurden die führenden Politiker verhaftet. Eineinhalb Stunden später war der Staatsstreich so gut wie gelungen. Das Haupthindernis war noch König Konstantin, der jedoch sehr schnell mit den Verschwörern zusammenarbeitete.

— Die vier folgenden Staatsstreiche wurden nach dem bei Staatsstreichen wohl am häufigsten angewandten Schema organisiert, d . h . die Macht sollte durch Einsatz von Truppen, vorwiegend in der Hauptstadt, errungen werden, und das jeweilige Staatsoberhaupt und die Regierung sollten immobilisiert und abgesetzt werden. A m 20.7.1944 mißlang das Sprengstoffattentat auf Hitler im Führerhauptquartier in Ostpreußen, und die vom Sitz der Verschwörer in Berlin in der Bendlerstraße ausgegebenen Befehle wurden nur teilweise befolgt bzw. durch Gegenbefehle außer Kraft gesetzt. Nach wenigen Stunden war der Staatsstreich niedergeschlagen. Nigeria, der volkreichste Staat Afrikas, wurde 1960 selbständig. Schon bald zeigte sich die Unfähigkeit der Regierenden, insbesondere durch Korruptionserscheinungen. Junge Offiziere, die Anführer im Rang von Stabsoffizieren, bildeten eine Verschwörung, und am 15.1.1966 wurden in verschiedenen Zentren des Landes eine Reihe von Politikern und höheren Offizieren festgenommen. Wer sich wehrte, wurde kurzerhand erschossen. Der Norden Nigerias geriet schnell in die Hand der Verschwörer; in der Hauptstadt Lagos gelang es zwar, die Verhaftung einiger Minister durchzuführen und Straßensperren zu errichten, der Oberkommandierende der Streitkräfte jedoch, General Ironsi, konnte entkommen. Aus diesem und anderen Gründen scheiterte der Staatsstreich.

Am 23.2.1981 besetzte der Oberstleutnant Antonio Tejero an der Spitze von etwa 200 Angehörigen der halbmilitärischen Guardia Civil das Parlament in Madrid und verhaftete neben den Abgeordneten auch die gesamte Regierung, die sich wegen eines Regierungswechsels gerade im Parlamentsgebäude befand. Gleichzeitig rief in Valencia der Generalkapitän dieser Militärregion, Generalleutnant Milans del Bosch, den Ausnahmezustand aus und besetzte mit Panzern die Stadt. Die in der Nähe von Madrid stationierte Panzerdivision Brunete wurde von einem Einsatz zurückgehalten. Noch in der Nacht wandte sich König Juan Carlos über das

Staatsstreich Fernsehen an die Bevölkerung und die Streitkräfte und sagte u. a.: „Die Krone, Symbol der Beständigkeit und Einheit des Vaterlandes, kann unter keinen Umständen Aktionen oder Handlungsweisen von Personen zulassen, die mit Gewalt den demokratischen Prozeß unterbrechen" . .. „Ich schwöre, daß ich nicht die Krone niederlegen und Spanien nicht verlassen werde. Wer sich erhebt, riskiert einen Bürgerkrieg und wird dafür verantwortlich sein" (Der Spiegel, 10/1981 und 13/1981). Damit war der Höhepunkt des Staatsstreiches überschritten. — Bei zwei weiteren Staatsstreichen zeigte es sich, daß die Militärs nicht selbst regieren, sondern nur die Regierung bzw. deren Politik korrigieren oder kontrollieren wollten. Am 26.2.1936 besetzten Teile eines InfanterieRegimentes das Regierungsviertel in Tokio, einige hohe Politiker und Militärs wurden ermordet, um sie — als Berater des Kaisers — auszuschalten. Der Kaiserpalast wurde abgesperrt, aber nicht betreten. Nach vier Tagen wurde der Staatsstreich ohne Blutvergießen beendet. Der für tot gehaltene Premierminister Okada tauchte wieder auf. Sein Schwager hatte sich absichtlich für ihn von den Soldaten erschießen lassen, um das Leben des Politikers zu retten (Joseph C. Grew 1947, S. 145ff.). In Umtata, der Hauptstadt des „Homeland" Transkei, setzte der Kommandeur der "Transkei Defence Force", Generalmajor Bantu Holomisa, am 30.12.1987 die Regierung unter der Ministerpräsidentin Stella Sigcau ab, weil im Lande Korruption herrsche. Es gab keinen Widerstand; die Ministerpräsidentin befand sich im Urlaub. General Holomisa hatte bereits zum dritten Mal wegen Korruptionserscheinungen auf seine Weise Ordnung geschaffen.

2. Planung und

Einsatzkräfte

Bei der Planung von Staatsstreichen sind die örtlichen, zeitlichen und personellen Gegebenheiten und Notwendigkeiten zu prüfen. Die durch die Umstände gestellten Aufgaben sind am einfachsten bei Palastverschwörungen zu lösen, am schwersten, wenn in einem großen Land mit mehreren Gewaltzentren der Einsatz starker militärischer Kräfte zeitlich koordiniert werden muß, und ganz besonders, wenn nicht nur die Macht errungen, sondern ein politisches System durch ein anderes ersetzt werden soll wie z. B. 1944 in Deutschland, was auch politische Planungen und den Einsatz von mehr Menschen erfordert. Je stärker die politische und militärische Macht in einer Hand und an einem Ort und vielleicht sogar in einem Gebäude zentralisiert sind, desto eher gelingt ein Staatsstreich. Andererseits ist in den modernen dezentralisierten Demokratien mit Systemen der Gewaltenteilung ein Staatsstreich kaum

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denkbar. Auch in territorial und bevölkerungsmäßig großen Staaten können — in der Vergangenheit mit langsameren Kommunikationsmöglichkeiten eher als in der Gegenwart — die Ereignisse in der Hauptstadt und ihrer Umgebung für das ganze Land entscheidend sein, wie dies beispielsweise bei den Staatsstreichen Katharinas, Napoleons und der Obristen in Griechenland der Fall war. In Deutschland lag 1944 das politische und militärische Machtzentrum im Führerhauptquartier in Ostpreußen und nicht in Berlin. Attentat und Staatsstreich hätten also in der Wolfsschanze versucht werden müssen. In Spanien war das Land zu groß für einen Staatsstreich; schon General Franco war 1936 im ersten Anlauf gescheitert, worauf ein dreijähriger Bürgerkrieg folgte. Verschwörer lieben für ihre Aktionen die Nacht; in Athen erfolgte der Staatsstreich um 2 Uhr; auch in Paris wurden in der Nacht 68 Verhaftungen gleichzeitig durchgeführt, ohne daß es zu besonderen Zwischenfällen gekommen wäre. In Deutschland konnte das Attentat auf Hitler nur mittags erfolgen, weil Hitler nur zu diesem Zeitpunkt für einen größeren Kreis zugänglich war. Dadurch erfolgte erst am Nachmittag von Berlin aus die Alarmierung der in Berlin und der Umgebung stationierten Truppenverbände, und in den Wehrkreisen kamen die Befehle teilweise zu spät an und waren schon durch Gegenbefehle aus dem Führerhauptquartier überholt. Zur Durchführung eines Staatsstreiches gehört ein kampfkräftiger militärischer Verband, dessen Kommandeur aus den Reihen der Verschwörer kommt und dem die Truppe bedingungslos gehorcht, auch wenn von höher gestellten Offizieren Gegenbefehle kommen (siehe auch Ekkart Zimmermann 1981, S.84). Die stärkste, ihm zunächst noch bedingungslos gehorchende Militärmacht hatte der Gardepräfekt Seian zu seiner Verfügung; der Kaiser war für ihn jedoch, weil auf Capri, unerreichbar. Katharina gewann zwar ohne Schwierigkeiten die vier Garderegimenter in St. Petersburg für sich; damit war der Staatsstreich aber noch keineswegs gelungen, denn Peter III. hatte eine überlegene Armee und Marine zu seiner Verfügung. Napoleon konnte als Präsident ohne weiteres auch Generälen Befehle erteilen. Zur Vorsicht hatte man aber den Polizeibeamten und den ihnen zugeteilten Hilfskräften nichts Genaueres von den ihnen zugewiesenen Aufgaben, d. h. den Verhaftungen, gesagt. Oberstleutnant Tejero hatte 200 Beamte der Guardia Civil ins Parlament befohlen; sie wußten nicht, was sie eigentlich dort tun sollten, und ihr General konnte ihnen später Gegenbefehle erteilen. Die Truppen, die die Fernsehstation in Madrid besetzt hatten, wurden nach einiger Zeit ohne Schwierigkeit von eigenen höheren Vorgesetzten abgezogen, so daß der König seine Ansprache halten konnte. Die Verschwörer des 20. Juli 1944 hatten in Berlin keine für einen Staatsstreich geeignete Truppe

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Staatsstreich

zur Verfügung. Der Kommandeur des alarmierten Wachregimentes, Major Remer, gehörte nicht zu den Verschwörern und stellte seine Truppe sehr bald der anderen Seite zur Verfügung. Die in und um Berlin alarmierten Schulen und Ersatztruppenteile wurden viel zu spät alarmiert und konnten nicht schnell genug in Berlin eintreffen; ihre Kampfkraft war zudem, wie es scheint, sehr gering, und ihre Anzahl hätte wohl auch nicht ausgereicht, alle in einer großen Liste aufgeführten Wehrmachtund Parteidienststellen zu besetzen und die notwendigen Verhaftungen durchzuführen. 3. Ziele und

Motive

Die Zielsetzungen und Motive bei Staatsstreichen sind sehr verschieden (siehe Steven R. David 1987, S. 8—9). Seit der Begründung des römischen Kaisertums durch Augustus wurden die Prätorianer immer mit Geld zu einem Staatsstreich angereizt oder später für einen solchen belohnt. Schließlich erhoben sie selbst Kaiser auf den Schild bzw. setzten sie ab. Katharina handelte mehr aus Abneigung gegen den Zaren, aber auch aus Ehrgeiz und vielleicht um ihrer eigenen Sicherheit willen. Napoleon und seine Mitverschwörer wurden von Ehrgeiz, Machtgelüsten und dem Vorbild von Napoleons Onkel getrieben. Die Helfer hofften auf Belohnungen, Beförderungen und den neuen Glanz eines Kaiserreiches. Ganz andere Beweggründe hatten die Stabsoffiziere in Nigeria für ihren Staatsstreich; sie waren voller Idealismus und noch mehr voller Illusionen und Utopien; sie wollten die koloniale Erbschaft der künstlichen Einteilung des Landes verändern, alte Stammesstrukturen und Feudalismen beseitigen und die Korruption bekämpfen. Als Vorbild schwebte ihnen die Sowjetunion, aber auch China vor. Die Diskrepanz zwischen Möglichkeiten und Zielen war indessen allzu groß (Adewale Ademoyega 1981, S. 31—40). In Griechenland und Spanien waren die Staatsstreiche gegen die Demokratie gerichtet. In Spanien wollten die Verschwörer auch die Einheit des Staates sichein, die durch separatistische Bestrebungen, insbesondere durch den baskischen Terrorismus, gefährdet schien. Die Verschwörer des 20.7.1944 wollten das NSSystem beseitigen und den Krieg beenden. Der Staatsstreich wurde als „Aufstand des Gewissens" bezeichnet, wobei andere Motive nicht unbedingt ausgeschlossen werden können. Der Kriminologe weiß, daß der Mensch ein „gemischter Charakter" ist und daß sein Handeln in der Regel von einem Motivbündel bestimmt wird. 4. Die

Aktion

Ein Staatsstreich muß, um Erfolg zu haben, überraschend erfolgen; die Verschwörer müssen das

richtige Maß an Gewalt anwenden und durch Täuschung und List die zunächst häufig vorhandene Schwäche und zahlenmäßige Unterlegenheit gegenüber den angegriffenen Kräften des Staates ausgleichen, insbesondere durch Beherrschung der Medien. Die Geheimhaltung von Staatsstreichplanungen ist nur selten vollständig möglich. Dies um so weniger, je mehr Menschen in die Planung eingeweiht werden müssen. Indessen nützt den Regierenden ein Ahnen oder Wissen um einen zukünftigen Staatsstreich nicht immer, weil Gegenmaßnahmen auch nicht ohne weiteres möglich sind. Griechenland und Spanien lebten seit Jahrzehnten in dem Bewußtsein, daß immer wieder Staatsstreiche drohten; man wartete also darauf, konnte aber nicht ständig in Spannung und in der Bereitschaft zur Gegenwehr leben. Die Anwendung von Listen und Täuschungen sind in der Kriegführung nicht unbekannt, bei Staatsstreichen sehr oft notwendig, und sie machen Gewalt oft unnötig. In Griechenland wurde beim Staatsstreich der Obristen vom Rundfunksender der Armee die Erklärung abgegeben, die Armee, die die Regierungsgewalt übernommen habe, berufe sich auf ein königliches Dekret, durch das ein Teil der Verfassung außer Kraft gesetzt worden sei. Zudem wurde behauptet, man wolle und müsse einen drohenden kommunistischen Umsturzversuch verhindern. Auch in Spanien arbeiteten die Verschwörer mit der falschen Behauptung, der König sei stillschweigend oder ausdrücklich mit dem Staatsstreich einverstanden. Am 20. Juli 1944 wurde nach der Auslösung des Stichwortes „Walküre", also der Alarmierung der vorgesehenen Truppenteile, behauptet, Hitler sei tot, und man müsse Umsturzversuchen entgegenwirken. Diese Täuschung wurde nur sehr unvollständig durchgeführt, so daß die Anwendung von Gewalt mit entsprechender Signalwirkung um so notwendiger gewesen wäre. Auch Napoleon und seine Helfer arbeiteten mit der Behauptung, es sei eine Verschwörung gegen den Präsidenten der Republik aufgedeckt worden, und außerdem müsse man eine Razzia gegen aus London zurückgekehrte Emigranten durchführen (Andre Castelot 1961, S.285).

C. Die Täter 1. Die

Verschwörer

Die Persönlichkeitsforschung ist ein Kernstück der Kriminologie, nicht jedoch der Historiographie. Selbst in Biographien fehlt oftmals das dem Kriminologen wichtige Material aus dem privaten Leben des „Helden". So liefern die Historiker auch von Beteiligten an Staatsstreichen selten mehr als ein „uniformes" äußeres Persönlichkeitsbild (hierzu Wolf Middendorff 1988, S. 44 - 4 5 ) . Zur Durchführung eines Staatsstreiches werden

Staatsstreich ganz verschiedene Typen von Verschwörern benötigt: Organisatoren, Befehlshaber und Durchführende. Überschneidungen sind möglich und kommen häufig vor, zuweilen sind auch alle drei Funktionen zum Glück oder Schaden eines Staatsstreiches in einer Hand vereint. Vor dem Staatsstreich muß der Verschwörer oft lange Zeit in einer Doppelrolle und unter außerordentlicher Nervenanspannung in der Gefahr der Entlarvung leben — vergleichbar einem Spion (Wolf Middendorff 1980, S . 9 5 f f . ) —, eine Rolle, der ein aufrechter Soldat nicht immer gewachsen ist (Wolf Middendorff 1988, S. 2 7 - 2 8 ) . In Deutschland war die Konspiration „für die meisten Generäle und Stabsoffiziere ein ungewohntes und unbehagliches Gebiet" (Walter Görlitz 1950, S. 620). Das konspirative Unvermögen der deutschen militärischen Führer war neben solchen von Erziehung und Denkgewohnheiten bestimmten Handlungen auch auf einen allgemeinen Mangel an Gewandtheit, Lebensüberlegenheit und Finesse zurückzuführen, wie es etwa der italienische Botschafter Attolico in einer Bemerkung anläßlich der verschwörerischen Versuche vom Jahr 1938 angedeutet hat: „Den Deutschen liegt die Konspiration nicht. Ein Verschwörer braucht gerade alles das, was sie nicht haben: Geduld, Kenntnis der menschlichen Natur, Psychologie, T a k t . . . Um gegen solche Verhältnisse anzukämpfen, wie sie hier herrschen, muß man ein beharrlicher und guter Heuchler sein wie Talleyrand und Fouche. Aber wo wollen Sie zwischen Rosenheim und Eydtkuhnen einen Talleyrand finden?" (zitiert bei Joachim C. Fest 1969, S. 431). Napoleons Staatsstreich wird in der Literatur als „wohl der geschickteste aller Zeiten" bezeichnet (Felix Schlaginweit 1950, S. 117). Diese Charakterisierung ist vor allem dem Halbbruder Napoleons, Morny, zu verdanken. Über ihn heißt es in der Biographie von Gerda Grothe, die größte Leistung seines Lebens sei die Vorbereitung und Ausführung des Staatsstreiches gewesen. Sie habe bewiesen, daß er das Zeug zum Staatsmann in sich gehabt habe. „Er schätzte die Kräfteverhältnisse im Lande richtig ein — die erste Voraussetzung zum Gelingen eines organisierten Ü b e r f a l l s . . . Er erkannte den rechten Augenblick zum Losschlagen — er erwies sich als Menschenführer und Organisator ersten Ranges; er besaß die zielstrebige Konsequenz, den Blick für die Zusammenhänge und die richtige Einordnung des Einzelnen, die Skrupellosigkeit und den kalten Mut, die eingeleitete Aktion gegen jeden Widerstand zum Siege zu führen" (Gerda Grothe 1966, S. 297). An diesem Maßstab kann sich kaum eine andere führende Verschwörerpersönlichkeit messen. Auch Napoleon war er wird in der Literatur ehrgeizig und sensibel intelligent. Vor diesem

weniger Militär als Zivilist; als Spieler, als verschlagen, bezeichnet, aber auch als Staatsstreich hatte er schon

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zweimal den Versuch gemacht, die Macht zu erringen: einmal 1836 in Straßburg und dann 1840 von seinem Exil in England aus mit einer Landung in Boulogne. Die beiden sehr dilettantischen Versuche endeten schnell, und nach dem zweiten Staatsstreichversuch wurde Napoleon zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt, die er auf der Festung Ham verbüßen sollte. Nach sechs Jahren gelang ihm die Flucht. Er hatte zuvor das Strafverfahren und insbesondere die Hauptverhandlung zu einer glänzenden Propagandadarstellung für sich und den Bonapartismus benutzt (Maximilian Jacta 1971). In einem Brief des englischen Diplomaten Lord Clarendon heißt es nach dem Staatsstreich von 1851: „Ich habe keine Sympathie für Louis Napoleon, der Hochverrat begangen, seine eigenen Pflichten und die Rechte der anderen mit Füßen getreten hat und dies mit einer Dreistigkeit, die in der Geschichte beispiellos ist. Aber ich kann Dir nicht ganz zustimmen, wenn Du meinst, er sei eine erbärmliche Kreatur. Der Mann, der den Staatsstreich ersann und alle Vorbereitungen dafür in solcher Heimlichkeit und mit solcher Umsicht traf, der alle seine echten und mutmaßlichen Feinde zur gleichen Zeit überfallen ließ, der den Mut hatte, sich auf der Straße zu zeigen, obwohl er noch gar nicht sicher sein konnte, daß sein Staatsstreich gelungen und vom Volk akzeptiert war, und der während und nach dem Blutbad keinerlei menschliche Regungen zu haben schien, so ein Mann kann kein gewöhnlicher Sterblicher sein" (David Duff 1979, S. 96). Ganz andere Persönlichkeiten planten den Staatsstreich vom 2 0 . 7 . 1 9 4 4 und versuchten, ihn durchzuführen. Politiker und Militärs planten mehr getrennt als vereint und waren nicht selten uneinig. Die zivile Gruppe wurde von dem früheren Oberbürgermeister von Leipzig, Goerdeler, geführt, und zwischen ihm und dem führenden Kopf der militärischen Gruppe, Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg, kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen und mit der Zeit zu wachsenden Spannungen. „So steht immer einer gegen den anderen" (Ulrich von Hassell 1946, S. 293). Goerdeler war ein Mann der Illusionen; er wollte den Staatsstreich nicht mit einem Mord belasten, denn auf einem durch Mord bewirkten Umsturz könne kein Segen ruhen. E r plädierte dafür, Hitler von Mann zu Mann zu überreden, seine Politik zu ändern. Stauffenberg griff nicht selten in die politische Planung ein und verlangte, „über die politischen Maßnahmen und die vorgesehenen Persönlichkeiten völlig ins Bild gesetzt zu werden" (Hans-Adolf Jacobsen 1984, S . 5 2 3 ) . Bei militärischen Staatsstreichen sind sehr häufig Obristen in führender Stellung tätig. D e r Oberst nimmt als Truppenkommandeur in fast jeder Armee eine besondere Stellung ein; er hat noch die Verbindung zu seiner Truppe und kann sie, wenn er eine entsprechende Persönlichkeit ist, eng an sich

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Staatsstreich

binden. Stauffenberg war zwar Oberst, war aber eher ein geistiger Mensch und in politischer Beziehung ein „Revolutionär" (Walter Görlitz 1950, S.621), der wohl, über den Staatsstreich hinaus, schon zu viel an die Gestaltung des neuen Deutschland dachte. Stauffenberg war in seiner Laufbahn nie Truppenkommandeur gewesen, sondern hatte in Stäben Generalstabsarbeit geleistet und war zum Zeitpunkt des Staatsstreiches in Berlin Stabschef des Befehlshabers des Ersatzheeres. Er hatte die praktische Leitung des Staatsstreiches und zugleich die Ausführung des Attentates in seiner Hand, weil nur er zu den wenigen Offizieren gehörte, die direkten Zugang zu Hitler hatten. Stauffenbergs Kameraden sahen ihn als einen Feuerkopf, und ihm gelang es auch, immer neue Verschwörer für seine Ziele zu gewinnen, durch seine Brillanz der Redegabe, sein umfassendes Wissen, und im ganzen durch seine faszinierende Persönlichkeit (siehe auch Wolf Middendorff 1985a und Friedrich Hielscher 1954, S. 398—401). In Gesprächen mit jungen Offizieren ließ er zuweilen durchblicken, auch die Feldmarschälle und Führer der Heeresgruppen würden mitmachen, wenn die Aktion erst einmal „im Laufen" sei (Hans-Adolf Jacobsen 1984, S.305—306). Stauffenberg überzeugte und überredete die angesprochenen Offiziere durch Appelle an ihre Kameradschaft, an ihre Freundestreue sowie an den Korpsgeist der Offiziere. Die Mehrzahl der Verschwörer war durch verwandtschaftliche, gesellschaftliche und standesmäßige Beziehungen miteinander verbunden, was für die Geheimhaltung der Verschwörung sehr günstig war, was aber auch dazu führte, daß der Verschwörung völlig die Basis an Unteroffizieren und Mannschaften fehlte. „Man kann so etwas (einen Umsturzversuch) — mit einigermaßen sicherer Aussicht auf Erfolg — nur unternehmen, wenn man der unteren Offiziersränge, des Unteroffizierskorps und der Mannschaften sicher ist. Das ist eine geschichtliche Erfahrung. Daß sie mitgingen, war aber keinesweg sicher, sie waren ideologisch auf die nationalsozialistische Bewegung ausgerichtet. Die meisten hatten nie etwas anderes gehört" (Erich Schwinge 1981, S.28). Die günstigste Konstellation für einen Staatsstreich ist die, daß der tatsächliche Oberbefehl in der Hand eines jüngeren Offiziers — wie hier Stauffenberg — liegt, während bekannte Generäle nur ihren Namen für das Gelingen zur Verfügung stellen. Angesichts der traditionellen militärischen Hierarchie war diese Konstellation in Deutschland nicht herzustellen. Man mußte also Generäle in die aktive Planung und Ausführung des Staatsstreiches mit einbeziehen. Diese Notwendigkeit führte zu Schwierigkeiten sowohl mit den Politikern als auch mit den Stabsoffizieren um Stauffenberg. Die Publizistin Margret Boveri, die einen Teil der Beteiligten am Staatsstreich kannte, sah bei den Älteren, also den Generälen, eine Hilflosigkeit, eine gewisse Müdigkeit, ein Nachlassen der Spannkraft und eine

wachsende Vorsicht im Handeln (Margret Boveri 1956, S. 1 4 - 1 5 und 17). Der als Staatsoberhaupt vorgesehene Generaloberst Beck wird von seinem Biographen ein asketischer Mystiker und ein fleißiger und ausdauernder Geistesarbeiter genannt (Nicholas Reynolds 1977, S.223). Ulrich von Hasseil bemängelte Becks „allzu schwache Führung" und versuchte, Beck „Korsettstangen einzuziehen" (Ulrich von Hasseil 1946, S. 287 und 289). Es kam hinzu, daß Beck und auch andere Generäle schon seit einigen Jahren den Kontakt mit der Truppe verloren hatten, weil sie pensioniert waren. Der als Oberbefehlshaber der Wehrmacht vorgesehene frühere Generalfeldmarschall von Witzleben und auch Beck waren zudem in ihrer Entschlußkraft und Aktivität durch Krankheit beeinträchtigt (Walter Görlitz 1950, S.663). In den Berichten des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD nach dem Staatsstreich hieß es, die Untersuchungen hätten ergeben, „daß das Verhalten zahlreicher Offiziere in den entscheidenden Stunden des 20.7. durch eine zum Teil sehr weitgehende Hilflosigkeit und Entschlußlosigkeit gekennzeichnet gewesen ist. Dies trifft insbesondere für solche Offiziere und Generalstabsoffiziere zu, die seit längerer Zeit in Bürostellen verwendet worden waren" (Hans-Adolf Jacobsen 1984, S. 481). Joachim C. Fest (1969, S. 2 8 8 - 2 8 9 ) sieht als letzten Grund des Scheiterns „am Ende wohl auch jener(n) Mangel an letzter Entschiedenheit zu einer allen anerzogenen Normen zuwiderlaufenden Tat, der im Grunde aus ihnen allen, diesen grüblerischen, gebrochenen, unaufhörlich diskutierenden, in ihre Gründe und Gegengründe tief verstrickten Verschwörern, merkwürdige, moderne Hamletnaturen macht". Schon 1917 hatte General Groener am deutschen Offizierskorps „die geistige Regsamkeit, schnelle Auffassung und militärische Phantasie" vermißt, vor allem mangele es dem deutschen Denken am Sinn für die Wirklichkeit (Dorothea GroenerGeyer 1955, S. 26 und 235). Der so sorgfältig ausgearbeitete Generalstabsplan hatte nicht genügt, weil die Menschen zu seiner Ausführung fehlten oder auch zu wenig geeignet waren. Stauffenberg blieb „letzten Endes in tragischer Vereinsamung" (Walter Görlitz 1950, S. 672). In Spanien war der Oberstleutnant Tejero der „Haudegen"; auch Generalleutnant Milans del Bosch war ein alter Kämpe. Salvador de Madariaga hielt allerdings nicht viel von spanischen Generälen und sagte, sie „wären in einem Beruf, der von seinem Inhaber überdurchschnittliche Intelligenz verlangte, nie so hoch gestiegen". Die Armee sei eine bürokratische Maschine und als Instrument der inneren Politik wichtiger denn als Waffe für den Krieg. Das Militär verdiene selten den Ruf besonderer psychologischer Gaben; „in natürlichem Ausleseprozeß zieht es eine Kategorie von Männern in seine Reihen, die reicher an Temperament

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Staatsstreich als an Urteil sind" (Salvador de Madariaga 1979, S. 108—109). Oberstleutnant Antonio Tejero Molina war zum Zeitpunkt des Staatsstreiches 49 Jahre alt. Als junger Mann war er Berufssoldat geworden und hatte von sich gesagt: „Ich bin ein spanischer Soldat, für den vom geheiligten Namen Spaniens alles andere außer Gott derart verdunkelt wird, daß man es kaum noch sieht; der für Spanien und für alles, was Spanien bedeutet, lacht, leidet, arbeitet, lebt und notfalls mit Freuden stirbt" (Der Spiegel 31/81). Der junge Offizier wurde an mehreren Orten eingesetzt, wurde 1974 zum Major befördert und ins Baskenland geschickt, um die ETA zu bekämpfen, die gerade den Regierungschef Admiral Carrero ermordet, dem spanischen Staat den Krieg erklärt und Soldaten der Guardia Civil laufend ermordet hatte. Tejero wurde mit der Zeit immer radikaler und verstand die Politiker immer weniger. Anfang 1977 mußte er das Baskenland verlassen, denn er hatte dem damaligen Innenminister ein unverschämtes Telegramm geschickt und sich geweigert, die baskische Fahne auf öffentlichen Gebäuden des Baskenlandes hissen zu lassen. Tejero kam in Madrid für einen Monat in Arrest und wurde dann nach Malaga versetzt. In demselben Jahr beschäftigte er sich in Madrid während mehrerer Monate mit Putschplänen, die aber verraten wurden. Ein Kriegsgericht verurteilte ihn zu 7 Monaten Haft, die durch die Untersuchungshaft abgegolten waren. Tejero wurde hierdurch keineswegs abgeschreckt, sondern begann mit der Planung des Staatsstreiches von 1981. Der 65 Jahre alte Generalleutnant Milans del Bosch war Monarchist aus Tradition; die Demokratie liebte er nicht. In seinen Augen hatte die demokratische Verfassung dem Lande nur Uneinigkeit, Terrorismus, Arbeitslosigkeit, Elend und Pornographie gebracht. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte Milans mit der spanischen „Blauen Division" im Rahmen der deutschen Wehrmacht in Rußland und wurde fünfmal verwundet. Als Militärattache in Lateinamerika war er Augenzeuge zahlreicher Staatsstreiche und war ganz allgemein der Auffassung, daß in Spanien nach dem Tode Francos „nichts mehr laufe" (Der Spiegel 31/81). Einer der Hauptfehler von Verschwörern in vielen Ländern ist es, die psychologischen Gegebenheiten von Menschen zu verkennen. Mancher Mitwisser oder auch Teilnehmer an der Verschwörung ist nur halbherzig dabei und übersieht nicht, daß ein Aktivwerden bei einem Staatsstreich mit Lebensgefahr verbunden sein kann, und schreckt daher zurück, wenn es ernst wird. Verschwörer müssen aus diesem Grunde in personeller Hinsicht für alle Aufgaben mehrfache Sicherungen einbauen, was z. B. beim 20. Juli 1944 bei dem geringen Umfang der militärischen Verschwörung nicht möglich war.

2. Mitwisser

und

Attentisten

Neben dem engeren Kreis der aktiven Verschwörer, der wegen der Geheimhaltung möglichst klein gehalten wird, gibt es den größeren Kreis jener Menschen, dem politische und militärische Vorbereitungen für einen Staatsstreich nicht verborgen bleiben, die von dem beabsichtigten Unternehmen mehr oder weniger wissen oder zumindest etwas ahnen, und schließlich jene Militärs und Politiker, die von einem Staatsstreich überrascht werden. Als Beispiel für das Verhalten Uneingeweihter sei auf die Reaktionen einiger Befehlshaber im Juli 1944 in den Wehrkreisen hingewiesen. Sie bekamen plötzlich Fernschreiben aus Berlin auf den Tisch, durch die die Abschaffung des elfeinhalb Jahre alten Regimes verkündet wurde. Die Befehlshaber reagierten so, wie ein Soldat reagiert, wenn er einen überraschend neuen Befehl bekommt: Er versucht, sich durch Rückfrage bei seinen Vorgesetzten von der Richtigkeit des erhaltenen Befehls zu überzeugen. Durch diese Prozedur entstanden erhebliche Verzögerungen, und inzwischen kamen die Gegenbefehle aus dem Führerhauptquartier an. Im übrigen sind natürliche Erscheinungen wie Entschlußlosigkeit und Attentismus nicht auf die damalige Zeit beschränkt. Auch im November 1918 mahnte Generalleutnant Henning von Ondarza, der Inspekteur des Heeres: „Die Lauen und Rückversicherer sind unabhängig von jeder Führungsebene der Krebsschaden einer Armee" (WaS, 13.11.1988). In Spanien warteten die Generalkapitäne der Militärregionen ebenfalls zunächst ab und ließen sich später von der Ansprache des Königs — und der inzwischen erfolgten Ereignisse — mehr oder weniger schnell zu Stellungnahmen gegen den Staatsstreich „überzeugen".

3. Die Teilnahme

des

Volkes

Bei einem Staatsstreich ist die aktive Mitwirkung des Volkes schon per definitionem ausgeschlossen. Die Anteilnahme der Bevölkerung am Ablauf der Ereignisse ist jedoch nicht ohne Bedeutung. Gegen ein politisch waches und aktives Volk ist ein Staatsstreich kaum möglich (Steven R. David 1987, S. 9) Am 20. Juli 1944 hatten die Verschwörer von der Bevölkerung kaum Hilfe zu erwarten. Trotz des Vorhandenseins einzelner Widerstandsgruppen konnten die Verschwörer mit den breiten Massen des Volkes nicht rechnen (Erich Schwinge 1981, S.28). In Nigeria wurde der Staatsstreich von weiten Bevölkerungskreisen mit Enthusiasmus begrüßt; die Zustimmung beschränkte sich dann aber wegen der Gegensätze zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen auf Angehörige des Ibo-Stammes. In Griechenland und Spanien war die Bevölkerung an Staatsstreiche gewöhnt und hatte Angst vor wiederaufflammenden Bürgerkriegen. Kara-

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Staatsstreich

manlis sagte einmal unter Bezug auf ein Wort von de Gaulle: „Das Land ist alle hundert Jahre nur zehn Jahre lang regierbar" (Die Zeit, 15. 3.1985). In Paris blieb nach dem Staatsstreich die Bevölkerung zunächst ruhig. Am folgenden Tag, dem 3. Dezember, gab es einzelne Zwischenfälle, und am Abend wurden die Truppen aus der Stadt zurückgezogen, um Gegner des Staatsstreiches in die Falle zu locken. In den Vorstädten wurden sofort Barrikaden errichtet, die dann am 4. Dezember von den Truppen gestürmt wurden. Man zählte rund 600 Tote und Verletzte (George W. F. Hallgarten 1966, S. 131).

4. Die Rolle des Auslands Für den Erfolg eines Staatsstreiches können die internationale Lage und die Rolle des Auslands von großer Bedeutung sein. Stauffenberg versuchte noch im Juni 1944, Kontakte zu den U S A und zu England aufzunehmen und zu erkunden, wie beide Länder sich nach einem Umsturz in Deutschland verhalten würden. Auch diese Kontakte hatten wie vorhergehende kein greifbares Ergebnis (siehe Wolf Middendorff 1988, S. 1 8 - 1 9 ) . Die griechischen Obristen glaubten, das Ausland, insbesondere die U S A , ständen ihrem Staatsstreich mit Wohlwollen gegenüber, weil durch das neue Militärregime die Kraft der Nato vielleicht gestärkt werden könne.

D. Viktimologisches Kriminologische Erfahrungen haben in vielfacher Weise gezeigt, daß Zustand und Verhalten eines Opfers mehr, als man sich allgemein vorstellt, für den Erfolg bzw. das Ergebnis einer Tat von Bedeutung sind. So haben sich auch vor einem Staatsstreich die Verschwörer auf Zustand und Verhalten ihrer Gegner einzustellen, und die angewandten Mittel haben sich nach der Stärke bzw. Schwäche der angegriffenen Machthaber zu richten. Von Hitler war mit Sicherheit anzunehmen, daß er jedem Versuch, seine Macht zu begrenzen oder ihn zu stürzen, mit äußerster Brutalität und Energie begegnen würde. Auf der Ebene unter Hitler gab es im Juli 1944 Gegensätze zwischen Front und Heimat und unter den Wehrmachtsteilen und weiter auch zwischen ihnen und der Waffen-SS, deren rund 600000 Mann in der Hand ihres Reichsführers-SS Himmler eine beachtliche Waffe im Innern darstellten, wenn auch einige ihrer Generäle im Westen unter dem Eindruck der Erfolge der Invasion mit den Verschwörern sympathisierten (Heinz Höhne 1969, S. 5 4 8 - 5 4 9 ) . Wie sie sich allerdings bei bewaffneten Auseinandersetzungen verhalten hätten, ist eine andere Frage. Die bei Staatsstreichen angegriffenen gekrönten

Staatsoberhäupter verhielten sich gegenüber Staatsstreichen sehr verschieden. Katharina fand zunächst nur die Unterstützung der Garderegimenter in St. Petersburg, die wegen ihrer Stationierung in der Hauptstadt und ihrer Privilegien wegen von anderen Teilen der Armee gehaßt wurden. Zar Peter III. vermochte es indessen nicht, sich dieser Gegensätze zu bedienen, er fiel statt dessen in „planlose Geschäftigkeit" (Vincent Cronin 1980, S. 181). E r versuchte schließlich, zur Marine nach Kronstadt zu fliehen, die indessen bereits zu Katharina übergegangen war. Friedrich der Große bemerkte mehr als zwanzig Jahre später, der Zar habe sich entthronen lassen „wie ein Kind, das man zu Bett schickt" (Reinhold Neumann-Hoditz 1988, S . 6 8 ) . König Juan Carlos wehrte sich 1981 energisch gegen den Staatsstreich und trug entscheidend zu dessen Mißlingen bei. Dagegen wurde König Konstantin von Griechenland vom noch amtierenden Ministerpräsidenten Kanellopoulos in seinem Palast aufgefordert: „Gehen Sie in das Nebenzimmer, wo die drei führenden Putschisten Papadopoulos, Makarezos und Pattakos warten, und befehlen Sie die Verhaftung dieser Verschwörer. Vielleicht werden wir beide dabei umkommen, aber dies ist die einzige Möglichkeit, die Monarchie zu retten . . . Sie können natürlich auch einen anderen Weg gehen, indem Sie mit den Obristen einen Kompromiß schließen." König Konstantin ging den zweiten Weg und verlor Amt und Krone (Basil P. Mathiopoulos 1967, S. 39). Konstantin hatte zuvor die Unterstützung durch die Marine in Verkennung seiner Situation abgelehnt. Churchill hat einmal den griechischen Thron „die unsicherste Sitzgelegenheit in Europa" genannt (Die Welt, 1 1 . 9 . 1 9 7 1 ) .

E. Die Folgen der Staatsstreiche Strafprozesse um Staatsstreiche sind politische Verfahren, in denen es seit altersher nicht selten zu ungerechten Urteilen kommt. Theodor Mommsen schrieb in seinem „Römisches(n) Strafrecht": „Unparteilichkeit im politischen Prozeß steht ungefähr auf einer Linie mit der Unbefleckten Empfängnis; man kann sie wünschen, aber nicht sie schaffen" (Otto Kirchheimer 1965, S . 4 4 7 ) . Die allgemeine Stellung des Militärs in einem Staat und das oft prekäre Gleichgewichtsverhältnis zwischen Militär und Politik bestimmen letztlich den Ausgang derartiger politischer Prozesse. In Deutschland hatte das Militär im Kaiserreich rechtlich und tatsächlich eine starke Stellung; gegen Ende des Ersten Weltkrieges sprach man sogar infolge des Versagens der politischen Führung von einer „Militärdiktatur" der Obersten Heeresleitung, deren politischer Einfluß allerdings begrenzt blieb (Ernst Rudolf Huber 1938, S. 416ff.). In den Wirren der ersten Nachkriegszeit wurden Soldaten gebraucht, so daß deren Putschversuche milde

Staatsstreich Richter fanden. Nach dem Kapp-Putsch (1920) wurde nur e i η Angeklagter zur gesetzlichen Mindeststrafe von 5 Jahren Festungshaft verurteilt. Alle anderen Teilnehmer des Kapp-Putsches wurden schon 1920 amnestiert, und die Reichsregierung erklärte sich sogar bereit, den beteiligten Soldaten die ihnen versprochene „Putschzulage" von 7 Mark täglich und die „Extrabelohnung" von 50 Mark für den Sturz der Regierung auszubezahlen (Wolf Middendorff 1985b, S. 275). Nach dem Putsch des Majors Buchrucker in Kiistrin 1923 wurde Buchrucker wegen Hochverrats zu 10 Jahren Festungshaft und 100 Milliarden Mark Geldstrafe verurteilt. Andere Offiziere erhielten Freiheitsstrafen. Alle wurden 1927 amnestiert (Günther Körner 1980, S. 162). Auch die Urteile gegen die am Hitler-Putsch 1923 in München Beteiligten waren sehr milde; Hitler wurde zu 5 Jahren Festungshaft verurteilt, wobei ihm die Strafaussetzung zur Bewährung nach sechsmonatiger Verbüßung zugesagt wurde. Nach der schon 1921 erfolgten Verkleinerung der Reichswehr auf 100000 Mann ging allmählich deren Bedeutung im Staat zurück (Franz von Gaertner 1969); ab Ende der zwanziger Jahre begannen dann die Einflüsse der nationalsozialistischen Bewegung in der Reichswehr zu wirken und führten zu einem „Riß durch die Generationen" (Joachim C. Fest 1969, S. 279). Entscheidend für die Stellung der Reichswehr bzw. der Wehrmacht zu Beginn und für die Dauer des Dritten Reiches war es wohl, daß die bewaffnete Macht nicht geschlossen protestierte, als am 3 0 . 6 . 1 9 3 4 zwei Generäle von SS-Leuten ermordet wurden. Die 1935 einsetzende verstärkte Aufrüstung mit vielen neuen jungen und auf Beförderung hoffenden älteren Offizieren brachte es mit sich, daß es auch in der Blomberg-Fritsch-Krise kein geschlossenes Eintreten der Wehrmacht für den von Hitler schmählich behandelten Generalobersten Freiherr von Fritsch gab (Wolf Middendorff 1984). Damit war die innere Einheit des Offizierskorps endgültig zerbrochen, und Hitler äußerte verächtlich, „nun sei er gewiß, daß alle Generäle feige seien" (Joachim C . F e s t 1969, S . 2 8 6 ) . Nach Ulrich von Hassell (1946, S. 28) hatten es die Generäle „in geradezu fabelhafter Weise" fertiggebracht, „ihre Autorität vor allem Hitler gegenüber auf Null zu reduzieren". So war es nach dieser Entwicklung kein Wunder, daß Hitler die Wehrmacht nicht mehr als eine Art Gegengewicht oder auch nur zu berücksichtigende Größe empfand und er nach dem 20. Juli 1944 seinem Haß gegen den Adel und den Generalstab freien Lauf lassen konnte. Ein sogenannter „Ehrengerichtshof" stieß die militärischen Verschwörer aus der Wehrmacht aus, und der Volksgerichtshof verurteilte die meisten Verschwörer des 20. Juli zum Tode, nachdem sie in der Verhandlung beschimpft und erniedrigt worden waren. Auch für die Vollstreckung der Urteile hatte

435

Hitler besondere Weisungen erlassen (siehe Wolf Middendorff 1989). In Spanien hatte das Heer auch nach dem Tode Francos seine überragende Stellung behalten und blieb ein schwerer Schatten über der Demokratie. Etwa ein Jahr nach dem spanischen Staatsstreich begann vor einem Militärgericht von 16 Generälen der Prozeß gegen 32 angeklagte Militärs und einen Zivilisten. Unter den Militärs waren drei Generäle und 29 Offiziere anderer Ränge. Von den Hauptangeklagten schob jeder die Schuld auf den anderen; der andere habe von der Mitwirkung oder zumindest dem Wissen des Königs gesprochen, und es fehlte auch nicht an Verdächtigungen des Königs selbst. Bei der Vernehmung der Angeklagten wollte der Ankläger zunächst Oberstleutnant Tejero hören. Die Verteidiger protestierten dagegen, und das Gericht beschloß schließlich, die Angeklagten in der Reihenfolge ihres militärischen Ranges zu hören, d.h. der erste, der aussagte, war Generalleutnant Milans del Bosch. Der militärische Staatsanwalt behandelte ihn mit ausgesuchter Höflichkeit und bat bei fast jeder Frage um Entschuldigung dafür, daß er frage. Anfang Juni 1982 wurde das Urteil gesprochen; in seinem Schlußwort hatte Tejero seine „äußerste Verachtung für die Führer des Coups, für ihre Feigheit und ihren Verrat" ausgesprochen. Milans del Bosch verglich das gegenwärtige Spanien mit der Zeit der chaotischen Epoche des Bürgerkriegs und fügte hinzu: „Heute ist die Lage ernster, als sie damals war", und weiter: „Ich würde in derselben Weise handeln, wenn ich noch einmal eine Chance hätte" (Time, 1 4 . 6 . 1 9 8 2 ) . Milans del Bosch und Tejero wurden zu j e 30 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. In Erwägung dessen, daß die Armee in Spanien immer noch eine große Rolle spielt und man den einen Teil der Bevölkerung mit den „harten" Urteilen für die Hauptangeklagten befriedigt habe, wurden die übrigen Offiziere und Verschwörer sehr milde bestraft. Elf Offiziere der Guardia Civil, die Tejeros Befehlen gefolgt waren, wurden freigesprochen. Der Strafvollzug wurde bisher bei den Verurteilten in angenehmster Form durchgeführt. In Griechenland wurden nach dem gelungenen Staatsstreich mehr als 8000 Personen verhaftet und über 6000 von diesen in die Verbannung geschickt. Sieben Jahre später, nach dem Ende des Militärregimes, wurden vom höchsten Gericht Griechenlands Papadopoulos, Makarezos und Pattakos zum Tode und siebzehn andere Verschwörer zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die Todesstrafen wurden später in Freiheitsstrafen umgewandelt (Time, 1. 9. 1975). Die Mehrzahl der Verschwörer kam mit einem „blauen Auge" davon (Johannes Gaitanides 1978, S . 2 8 6 ) . Das neue Regime Napoleons ging mit seinen Gegnern nicht gnädig um. Über 2 6 0 0 0 Personen wurden verhaftet, 9350 nach Algerien und 239 nach Cayenne deportiert. 2804 wurden interniert und

436

Staatsstreich

1545 ausgewiesen (Andre Castelot 1961, S.296). In Nigeria wurden zahlreiche Teilnehmer des Staatsstreiches verhaftet; es kam aber zu keinem Prozeß, da am 29.6.1966 der nächste einer weiteren Reihe von Staatsstreichen folgte. In Japan wurden 13 Offiziere und 4 Zivilisten zum Tode verurteilt; weitere 59 Angeklagte erhielten Freiheitsstrafen zwischen lebenslänglich und 18 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung (Joseph C. Grew 1947, S. 162). Das Ziel, das sich die jungen „faschistischen" Offiziere gesetzt hatten, wurde jedoch erreicht: der Einfluß des Militärs auf die Regierung wuchs, und die Armee wurde zur führenden Kraft im Lande. Der letzte Putsch junger Stabsoffiziere erfolgte im August 1945, um die Kapitulation des Landes zu verhindern. Die Offiziere sperrten den Palastbezirk in Tokio hermetisch ab, übersahen dabei aber eine Telefonleitung, über die kaisertreue Truppen alarmiert werden konnten, die den Putsch niederschlugen. Der Führer des Putsches, Oberst Hatanaka, erschoß sich vor den Toren des Palastes ( F A Z , 14.1.1989).

F. Konklusion In den obigen Ausführungen wurde gezeigt, wie einfach es zu einer Palastverschwörung im alten Rom kommen konnte, und wie schwer es in der Gegenwart ist, in einem großen Land mit mehreren Machtzentren einen Staatsstreich zum Erfolg zu führen. Trotz aller Verschiedenheiten gibt es zwischen den Staatsstreichen in Deutschland und in Spanien eine Reihe von Gemeinsamkeiten. In beiden Ländern hatten die Verschwörer an ihrer Spitze einen dynamischen Stabsoffizier mit starker Initiative. In beiden Ländern gab es zwei Machtzentren, wobei die spanischen Verschwörer wohl von ihrem König kein Eingreifen befürchteten, während die Deutschen vom Tod Hitlers alles erwarteten. Noch heute gibt es die Ansicht, das Gelingen des Attentats von Stauffenberg hätte den Erfolg des Staatsstreiches gewährleistet (Hans-Adolf Jacobsen 1984, S. XXIX). Viele Historiker sind dagegen der Auffassung, das Deutsche Reich sei kein perfekter, durch Befehle lenkbarer Einheitsstaat gewesen, sondern allein durch die Person Hitlers zusammengehalten worden. Auch aus den Kreisen der Verschwörer selbst wurden vor Attentat und Staatsstreich bezüglich des Erfolges erhebliche Zweifel geäußert, bzw. der Staatsstreich wurde für undurchführbar gehalten (Wolf Middendorff 1988, S.42 —43). In bezug auf die Hauptakteure des Staatsstreiches schrieb einer der Verschwörer, der in der Bendlerstraße in Berlin am Staatsstreich beteiligt war, Hauptmann Friedrich Karl Klausing, am 8. 8.1944 nach seiner Verurteilung zum Tode in seinem letzten Brief an seine Eltern: „Ich möchte Euch auch nur noch eins sagen. Rückschauend

betrachtet, insbesondere nachdem ich die Anführer des Ganzen gesehen habe, kann ich es nur als ein Zeichen göttlicher Gnade ansehen, die es unmöglich machte, daß der Putsch gelang und damit das Chaos und Ende des deutschen Volkes heraufbeschworen wurde. Durch diese Gewißheit kann ich ruhig auf mich nehmen, was mich erwartet." Klausing wurde am selben Tage hingerichtet (HansAdolf Jacobsen 1984, S. 800). Eine Alternative zu der verfehlten Planung des Staatsstreiches mit Schwerpunkt in Berlin wäre es gewesen, die Verschwörung im Hauptzentrum, d. h. im Führerhauptquartier, anzusiedeln und im Kriege keine Änderung des politischen Systems, sondern nur ein Auswechseln der Personen anzustreben, um mit dem als Nachfolger Hitlers bestimmten Reichsmarschall Göring — trotz oder wegen seines Persönlichkeitsverfalls — politische und militärische Veränderungen durchführen zu können. Man hätte also schon lange vorher, z. B. nach der Niederlage von Stalingrad, statt eines Staatsstreiches eine „Palastverschwörung" planen müssen und die Personalplanung auf das Führerhauptquartier konzentrieren müssen. Wahrscheinlich wäre es außerordentlich schwer, aber nicht unmöglich gewesen, in der unmittelbaren Umgebung Hitlers einen Mann oder eine Frau zu finden, der oder die bereit gewesen wäre, ein Giftattentat auf Hitler durchzuführen, wie es ähnliche Fälle in der Geschichte schon recht häufig gegeben hat (Liselotte Herx 1937, S. 6—7). Admiral Canaris, der Chef der Abteilung Abwehr beim O K W , der die Verschwörung förderte, war im Besitz von fast unbeschränkten Geldmitteln, von Devisen und Pässen, um einen Attentäter zur Tat zu reizen und ihm eventuell die Flucht ins Ausland zu ermöglichen. Hitler lebte zwar in ständiger Furcht vor Vergiftung, doch die im innersten Sperrbezirk des Führerhauptquartiers angeordnete höchste Wachsamkeit erlahmte immer wieder (Peter Hoffmann 1975, S. 223). Zu den Lükken in der Abschirmung Hitlers gehörte es beispielsweise, daß eine große Flasche mit einem Magenelixier meist unbeaufsichtigt in der Nähe von Hitlers Eßtisch stand. Henry Picker, der eine Zeitlang Hitlers Tischgespräche aufnahm, stellte fest: „ . . . daß es einem entschlossenen Attentäter, der Zugang zum Führerhauptquartier hatte, jederzeit möglich gewesen wäre, Hitler zu töten" (Will Berthold 1981, S. 220). Von Hitlers langjährigem Leibarzt, Theo Morell, war bekannt, daß er eine krankhafte Angst davor hatte, im Alter mittellos dazustehen (Ottmar Katz 1985, S. 157). Hier wäre für die Verschwörer vielleicht ein Ansatzpunkt gewesen. Doch mit den Ehrbegriffen eines deutschen Offiziersverschwörers vertrug sich der Gedanke an einen Giftmord wohl nicht; ihm lag der Plan eines Sprengstoffattentates näher, bei dem allerdings auch Unbeteiligte gefährdet waren und getötet wurden. Im Rückblick mag man an ein Wort Ovids in

437

Verkehrsdelikte einem Brief aus dem Pontus denken: „Ut desint vires, tarnen est laudanda voluntas". Monographien

und

Sammelwerke

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MIDDENDORFF

VERKEHRSDELIKTE A. Allgemeines 1.

Definition

Unter der Bezeichnung Verkehrsdelikte werden im folgenden die Strafbestimmungen behandelt, die sich in verschiedenen Ländern mit fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung, der Teilnahme am Straßenverkehr mit einem verbotenen Blutalkoholgehalt (mit und ohne Unfall), der Unfallflucht, der Verkehrsgefährdung durch grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Fahren und dem Fahren ohne Fahrerlaubnis befassen. Im Gefolge von Strafrechtsreformen hat man schon seit über 80 Jahren um Wesen und Begriff der Verkehrsdelikte gerungen; die Verkehrsdelikte haben aber bis heute nicht die Selbständigkeit gewonnen, wie etwa Tötungs-, Eigentums- oder Sittlichkeitsdelikte (Günther Kaiser 1988, S. 802).

2. Verkehrsdelikte und

Kriminologie

Die obengenannten Delikte sind nach deutschem Recht Vergehen, also echte Straftaten und damit „crimen", d. h. Gegenstand der Kriminologie in der besonderen Form der Verkehrskriminologie. Obwohl in den westlichen Industriestaaten die Strafgerichte zu etwa 50 Prozent mit Verkehrsdelikten befaßt sind, ist die Verkehrskriminologie bisher in fast allen Ländern nur wenig entwickelt. Das Erfahrungswissen ist noch als gering einzuschätzen (Günther Kaiser a . a . O . , S . 8 0 2 ) . Lehrbücher der traditionellen Kriminologie sind in der Regel an der Darstellung der Kriminologie der Verkehrsdelikte wenig interessiert. Vielfach werden diese Delikte noch nicht als „echte" Straftaten angesehen. V o r allem die Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluß gilt vielfach noch als Kavaliersdelikt. Dagegen hat sich die Verkehrswissenschaft dieser Forschungslücken angenommen, u. a. auch deshalb, weil die Verkehrswissenschaftler ζ. B . Unfälle registrieren und untersuchen, die nicht immer aus Verschulden der Verkehrsteilnehmer entstehen, also nicht Gegenstand der Kriminologie sind. In der Bundesrepublik Deutschland werden die Verkehrswissenschaft und auch die Verkehrskrimi-

438

Verkehrsdelikte

nologie — o h n e , daß die Untersuchungen vielfach als Kriminologie bezeichnet werden — u . a . von der Anstalt für Straßenwesen, d e m H U K - V e r b a n d , dem Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr, den Verkehrswachten und den Automobilclubs durchgeführt. D a s Institut für die G e s a m t e Unfallforschung, B a d e n - B a d e n , b e m ü h t sich um die Entwicklung eines „Allgemeinen Teils" der Unfallforschung unter Einbeziehung d e r Unfälle aus anderen Lebensbereichen, „weil sowohl in der Problematik des Unfallgeschehens als auch in der Methodik seiner Untersuchung bei allen A r t e n von Unfällen mehr Übereinstimmungen (mit Verkehrsunfällen) als Unterschiede vorliegen" (Konstantin L e h m a n n 1962, S. 7). „ D e r empirische Gesamtzusammenhang aller Unfallereignisse läßt s i c h . . . nicht gut leugnen" ( G ü n t h e r Kaiser a . a . O . , S.803; siehe auch die Aufzählung bei Friedrich Geerds 1986, S. 81 ff.). In den U S A werden nur sehr wenige Untersuchungen, die sich mit Verkehrsproblemen befassen, als kriminologisch bezeichnet. D a f ü r gibt es aber eine sehr lebendige Verkehrswissenschaft. In erster Linie seien der „National Safety Council", Chikago/ III. und das „ D e p a r t m e n t of Motor Vehicles" in Sacramento/Kal. genannt. D a n e b e n ist auch die „American A u t o m o b i l e Association" sehr rührig (siehe auch H. Laurence Ross 1983, S. XVI).

3.

Statistik

In der Bundesrepublik Deutschland ist die Entwicklung der polizeilich erfaßten Verkehrsunfälle von 1956 bis 1986 folgendermaßen verlaufen: Jahr

insgesamt

Getötete

Verletzte

1956 1957 1958 1959 1960

663741 678889 751784 843412 990127

13 427 13004 12169 13822 14406

383145 376141 372524 419827 454960

1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970

1029381 1079101 1096539 1089289 1099361 1166622 1143552 1180704 1213921 1392610

14543 14445 14513 16494 15753 16868 17084 16636 16646 19193

447927 428488 424298 446 172 433490 456832 462048 468718 472387 531 795

1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978

1337665 1380977 1323793 1228660 1265060 1417421 1523137 1618415

18753 18811 16302 14614 14870 14820 14978 14662

518059 528527 488246 447142 457797 480581 508142 508644

1979 1980

1660557 1684261

13222 13041

486441 500463

1981 1982 1983 1984 1985 1986

1678611 1629265 1692 776 1780818 1840295 1935595

11674 11608 11732 10199 8400 8948

475944 467188 489210 466033 422095 443 217

Nach den Erläuterungen des Statistischen Bundesamtes liegen die G r ü n d e für die E r h ö h u n g der Zahlen zwischen 1985 und 1986 u. a. darin, daß die milderen W i n t e r m o n a t e J a n u a r , Februar und November 1986 zu einer stärkeren Beteiligung der Fußgänger am V e r k e h r und damit zu höherem Unfallrisiko geführt haben. Auf der anderen Seite stiegen die Fahrleistungen, vor allem der Pkw, durch die gesunkenen Benzinpreise. Dadurch läßt sich auch der besonders h o h e Anstieg der Zahlen der G e t ö t e t e n auf den A u t o b a h n e n (plus 14 Prozent) erklären. W e n n man die Altersgruppen der Verkehrsopfer p r ü f t , fällt die überdurchschnittlich hohe G e f ä h r d u n g jüngerer Verkehrsteilnehmer auf; mehr als 2 6 % der Verkehrstoten gehörten zu den Altersgruppen zwischen 18 und 24. Fast 13 % der Verkehrstoten waren im Alter von 75 Jahren und mehr. 71 % der G e t ö t e t e n waren Männer; der Anteil der F r a u e n stieg indessen. Ältere Frauen verunglücken häufig als Mitfahrerinnen im Pkw (Statistisches B u n d e s a m t 1987, S . 2 3 und 22). In den U S A verlief die Entwicklung der Unfälle mit tödlichem Ausgang im Straßenverkehr folgendermaßen: Jahr

Getötete

1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980

39628 38702 36981 37910 38137 38091 40804 43 564 47 700 49163 53041 52924 54862 55791 54633 54381 56278 55 511 46402 45853 47038 49510 52411 53524 53172

Verkehrsdelikte 1981 1982 1983 1984 1985

51385 45779 44452 46200 45 600

Die U S A rühmen sich, eine der geringsten Todesquoten zu haben, wenn man die Anzahl der im Straßenverkehr Getöteten auf 100 Millionen gefahrene Meilen bezieht. Verglichen mit einer Reihe von Ländern in verschiedenen Erdteilen sieht die Reihenfolge in dieser Beziehung für 1983 folgendermaßen aus: USA Norwegen Großbritannien Finnland Kanada Niederlande Dänemark Australien Japan Italien Bundesrepublik Deutschland Frankreich Belgien Spanien (National Safety Council 1986, S. 59 und 49)

2,7 3,0 3,4 3,5 3,8 3,9 4,2 4,4 4,9 5,6 5,8 6,7 7,5 10,5

439

im Schilderwald der Verkehrszeichen, wo auch so wichtige Zeichen wie Ampelanlagen nicht selten einfach übersehen werden. Nach schwedischen Untersuchungen macht der Autofahrer durchschnittlich alle zwei Minuten einen Fahrfehler ( G U V U 1979). Man spricht in diesem Zusammenhang schon lange von einer Überforderung des Kraftfahrers (Günther Kaiser 1970, S. 4 6 - 5 1 ; Gustav Nass 1966, S. 7 2 - 7 7 ) . Fehler sind der Tribut, den der Mensch für seine technische Entwicklung zahlt (Hans Welzel 1961, S. 6). Fehler wie z. B . die Nichtbeachtung eines Rotlichts können verschiedene Ursachen haben. Es kann sein, daß der Kraftfahrer das Rotlicht sehr wohl gesehen hat, aber glaubt, er könne es sich leisten, dieses Zeichen zu mißachten. Es ist genausogut möglich, daß es sich um einen ortsfremden Kraftfahrer handelt, der unter dem Ansturm verschiedenster Eindrücke und Wahrnehmungen diese Ampelanlage, die vielleicht auch noch sehr hoch und schlecht sichtbar angebracht ist oder von einem Lkw verdeckt wird, einfach übersehen hat.

Die Ursachenforschung in der Kriminologie ist schon sehr alt. Die Zahl der Ursachentheorien ist Legion (Hans Joachim Schneider 1987, S. 359—560). Eine Ursache ist oft schwer zu ermitteln; man kann im Straßenverkehr z. B . feststellen, daß zwei Faktoren gegeben sind: die überhöhte Geschwindigkeit und ein Unfall; es ist bzw. kann jedoch sehr fraglich sein, ob diese Faktoren zueinander kausal im Sinne einer notwendigen Aufeinanderfolge sind. Selbst wenn diese Kausalität eindeutig festzustellen ist, ist damit die Frage noch nicht beantwortet, warum der Kraftfahrer zu schnell gefahren ist oder die Vorfahrt verletzt oder eine Kurve geschnitten hat. Vor Gericht werden als Grund für derartige Fehlleistungen oft familiäre Sorgen angeführt. Auf der anderen Seite gibt es sehr viele Verkehrsteilnehmer mit ähnlichen Sorgen, die derartige Fehler nicht begehen. Nach alledem sind die Ergebnisse der Unfallursachenforschung mit Vorbehalten aufzunehmen (Gerhard Weber 1964).

Verhaltensforscher haben gezeigt, daß der Mensch ein Ordnungswesen ist (Hans Hass o . J . , S. 150—160); das bedeutet, daß er sich an jede Art von Tätigkeit in allen Berufen mehr oder weniger schnell gewöhnt und diese Tätigkeit dann routinemäßig ausübt. E s kann auch nicht bestritten werden, daß Routine den Menschen automatisch mehr oder weniger nachlässig macht. Ein routinemäßiges Nachlassen der Aufmerksamkeit tritt z. B . dann ein, wenn ein Kraftfahrer täglich dieselbe Strecke fährt; es ist möglich, daß er auf dieser Strecke eine Änderung der Vorfahrt oder eine neu angebrachte Ampelanlage einfach nicht wahrnimmt. Im Straßenverkehr können normale Fehler unschädlich sein oder tödliche Folgen haben, wobei diese Folgen oft vom Zufall abhängen. Fehlverhalten kommt z . B . auch durch Unaufmerksamkeit infolge Ermüdung zustande. Der deutsche Verkehrssicherheitsrat veranstaltete 1977 eine Befragung von 1603 Bundesbürgern bezüglich ihres Verkehrsverhaltens und ihres Unfallrisikos. Etwa zwei Drittel der Befragten gaben an, daß Übermüdung für sie der größte Risikofaktor im Straßenverkehr sei. Ebenfalls zwei Drittel sahen ihre Leistungsfähigkeit dann gemindert, wenn sie „mit den Gedanken woanders waren". Als weitere wesentliche Gründe für eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit am Steuer wurden aufgezählt: Ärger während der Fahrt und Nervosität (55 % ) , Ärger am Arbeitsplatz (52 % ) , Probleme zu Hause ( 4 6 % ) , längere Kolonnenfahrt ( 4 4 % ) , Eile ( 4 0 % ) und schlechtes Wetter ( 2 6 % ) (Badische Zeitung, 3 0 . 1 1 . 1 9 7 7 ) .

Als Hauptursache für Unfälle ist zunächst die allgemeine Fehlerhaftigkeit des Menschen anzusprechen. Zahlreiche psychologische Untersuchungen von Verkehrsteilnehmern haben ergeben, daß häufiger, als allgemein bekannt ist, Wahrnehmungsfehler und -mängel auftreten, insbesondere

In den U S A hat ein Bostoner Psychologe Hunderte von Fällen gesammelt, in denen übermüdete Autofahrer auf Überlandstraßen plötzlich Gegenstände sahen, die gar nicht existierten, und dann darauf reagierten, beispielsweise scharf abbremI sten. Diese Halluzinationen traten besonders dann

B . Die Unfallursachen

1. Allgemeines

440

Verkehrsdelikte

auf, wenn der Fahrer sich gerade auf der Schwelle zwischen Wachen und Schlafen befand (Verkehrswacht Praxis 1, 1979, S.30). Der Fahrer, der ohnehin vielleicht schon ermüdet ist oder sich in einer Streß-Situation befindet, wird durch schlechte Witterungseinflüsse noch zusätzlich in seiner Fahrtauglichkeit eingeschränkt. Es ist ein erstaunliches Phänomen, das zu Beginn eines jeden Winters erneut zu beobachten ist — und dieses bestätigt die These von der mangelnden Voraussicht des Menschen (Wolf Middendorff 1978, S. 100) - , daß oft langjährige Kraftfahrer nicht in der Lage sind, die Erfahrungen des vorausgehenden Winters einen Sommer lang zu bewahren und im nächsten Winter nutzbringend zu verwerten. Wenn es plötzlich schneit und wenn Glatteis auftritt, müssen viele Kraftfahrer erst wieder eigene bittere Erfahrungen sammeln und sich völlig neu auf die besondere Fahrweise im Winter einstellen. Es ist bekannt, daß zur Zeit des ersten Schneefalls und des ersten Glatteises die Unfallzahlen sprunghaft ansteigen und dann ebenso schnell wieder absinken. Als Gründe für dieses Ansteigen wird auch angeführt, daß der Mensch allgemein durch die Zivilisation den Sinn für die Gefahren der Natur verloren habe, daß er z.B. durch den Komfort des Autos von den Gefahren der Außenwelt abgelenkt wird. In besonderem Maße zeigt sich die mangelnde Voraussicht und die schlechte Bewahrung von Erfahrungen durch die Verkehrsteilnehmer an den in jedem Jahr wieder auftretenden schweren Unfällen im dichten Nebel. An einem Tage im Februar 1987 rasten auf der Autobahn westlich von Köln 130 Pkw, 72 Lkw und ein Bus im Nebel ineinander. Das Ergebnis waren 3 Tote und 48 Verletzte. Einen Tag später kamen bei fünf Massenkarambolagen in Bayern 3 Menschen ums Leben und 10 wurden schwer verletzt. Die Chronobiologie, d . h . die Untersuchungen der Zusammenhänge zwischen dem Biorhythmus des Menschen und Unfällen (aller Art), befindet sich erst in den Anfängen (FAZ, 18.6.1988). Nach alledem können wohl „mehr als drei Viertel aller (Verkehrs-)Unfälle ausschließlich auf menschliches Fehlverhalten als Unfallursache zurückgeführt werden" (Günther Kaiser 1988, S.807; siehe auch Edgar Spoerer 1979, S. 26).

2. Zur

Statistik

Im Vergleich zu 1985 gab es in der Bundesrepublik 1986 12 Prozent weniger Unfälle durch allgemeine Unfallursachen wie Straßenglätte durch Regen oder Schnee; an rund 10 Prozent der Fahrzeuge stellte die Polizei technische Mängel fest. Die wichtigste Unfallursache war die nichtangepaßte Geschwindigkeit, die 15,2 Prozent der an den Unfällen beteiligten Fahrer vorzuwerfen war. Danach kamen Vorfahrtsfehler, ungenügender Sicherheitsabstand und Alkoholeinfluß. Im Jahre 1986 nah-

men insbesondere die Abstandsfehler zu. Nichtangepaßte Geschwindigkeit, Abstandsfehler und Fehler beim Überholen waren überdurchschnittlich häufig jüngeren Fahrern anzulasten, während mit steigendem Alter Abbiegefehler oder Vorfahrtsmißachtung deutlich zunahmen (Statistisches Bundesamt 1987, S.26). Der 65jährige fällt wieder auf die Risikoebene der Fahranfänger zurück (Badische Zeitung, 12.3.1988). Bezüglich der Unfallursache Alkohol ermittelte die Bundesanstalt für Straßenwesen, daß diese Unfallursache deutlich mit der Schwere der Unfälle anstieg und insgesamt rund 25 Prozent betrug (Hans-Jürgen Kerner u. a. 1985, S. 45). Frauen verursachen weniger häufig als Männer Unfälle durch nichtangepaßte Geschwindigkeit, Überholfehler oder Alkoholeinfluß; Frauen mißachten indessen viel häufiger die Vorfahrt oder machen Fehler beim Abbiegen (Statistisches Bundesamt 1987, S.26). Sie fahren (noch) nicht so schnell und aggressiv wie die Männer (John Macmillan 1975, S. 163-164). In den USA kamen verschiedene Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß der Alkoholeinfluß in 50 bis 55 Prozent der tödlich verlaufenen Unfälle eine Rolle spielt. Außerdem wird übermäßiger Geschwindigkeit eine große Bedeutung beigemessen; man schätzt, daß die Geschwindigkeitsbeschränkung infolge der Ölkrise von 1973 in den folgenden 12 Jahren rund 80000 Menschen das Leben gerettet habe (National Safety Council 1986, S. 5 2 - 5 3 ) . Im internationalen Vergleich spielen neben den verschiedenen äußeren Faktoren vor allem die verschiedenen inneren Einstellungen zum Auto eine Rolle; ob man das Auto nüchtern als Gebrauchsgegenstand ansieht, oder ob man sich durch Autofahren vor allem selbst zu verwirklichen sucht.

C. Die Typologie des Verkehrstäters 1. Geschichte

und

Schwierigkeiten

Es ist ein altes Bestreben der Kriminologen, Ordnung in die Vielfalt der Erscheinungen zu bringen, das Gemeinsame herauszuarbeiten und Typologien zu ermitteln (siehe Hans Joachim Schneider 1987, S. 3 8 4 - 3 8 6 ; Wolf Middendorff 1967, S. 6 7 - 7 1 ) . Das Gemeinsame aller kriminologischen Typologien ist es, daß man eine Unterscheidung zwischen dem Gelegenheitstäter und dem Rückfalltäter macht. Der Rückfalltäter kann entweder ein vielfach straffälliger Gelegenheitstäter oder ein Gewohnheitsverbrecher sein. Die letztere Unterscheidung kann sehr schwierig sein, weil die Übergänge zwischen beiden Gruppen fließend sind und Mischarten häufig vorkommen. Als Unterscheidungsmerkmal kann gelten, daß das Leben des vielfachen Gelegenheitstäters in Wellenbewegungen verläuft, d. h. er wird nach mehr oder weniger heftigem Kampf mit sich selbst immer wieder straffällig, wäh-

441

Verkehrsdelikte rend der Gewohnheitsverbrecher mit dem immer gleichen Vorsatz sein Leben in der einmal eingeschlagenen Bahn fortsetzt. Schon früher haben Ernst Meyer und Ernst Jacobi in ihrer großen Untersuchung über die Unfallursachen im deutschen Straßenverkehr auch eine Typologie von Verkehrstätern entwickelt; sie unterscheiden zwischen Kriminellen, Rowdies (Flegeln), Uneinsichtigen, Gleichgültigen, schlechten Fahrern, korrekten Fahrern und Kranken (1961, S.21—39). Aus strafrechtlicher Sicht hat Baumann darauf hingewiesen, daß es bisher in der Verkehrskriminologie keine überzeugende Typenlehre gebe; er nennt als Typen den aggressiven Verkehrstäter, den allgemein Rücksichtslosen, den Gleichgültigen und den Unauffälligen, den Jedermann, der „uns so ziemlich entspricht und dennoch in der Sondersituation des modernen Straßenverkehrs straffällig wird" (Jürgen Baumann 1968, S.2—3). Eine andere Typologie teilt nach dem Grade der Rücksichtslosigkeit des Kraftfahrers ein und nennt beispielsweise den typischen Spitzenreiter, den zügigen, aber bedächtigen Sicherheitsfahrer, den trödelnden Langsamfahrer und den neurotisch unentschiedenen Zauderer, der sicher genauso gefährlich sein kann wie ein rücksichtslos rasender Kraftfahrer (Wilhelm Heinen 1957, S.4—5). Aus tiefenpsychologischer Sicht erklären Hoff und Berner Fehlverhalten aus offener Aggression, offener Angst, latenter Aggression und latenter Angst. Sie unterscheiden zwei große Gruppen: einmal diejenigen, bei denen ein Unfall meist aus Unkenntnis oder Zerstreutheit zustande kommt, und die andere Gruppe, bei der der Unfall eine unmittelbare Bedrohung des menschlichen Lebens darstellt. Beiden Gruppen liege als ursächlicher Faktor eine Störung der zwischenmenschlichen Beziehungen zugrunde (Hans Hoff und Peter Berner 1961, S. 1 4 - 1 5 , 22). Während die letzte Typologie in der Praxis sicher viele Schwierigkeiten bereitet, ist eine andere Einteilung einfacher; viele Unfälle stehen mit dem Grad der individuellen Fahrerfahrung in Zusammenhang. Der Gipfel der Unfallhäufigkeit liegt am Beginn der Lern- und Verkehrspraxis (Günther Kaiser 1970, S. 166—172). Auf die Probleme des jungen und des alten Kraftfahrers soll im einzelnen nicht näher eingegangen werden (Wolf Middendorff 1972, S.35 —44); besorgniserregend ist jedenfalls, daß Anfänger im jüngeren Lebensalter zwei- bis dreimal so häufig an Verkehrsunfällen beteiligt sind wie „langgediente Führerscheininhaber" (Günther Kaiser 1978, S. 68). Im folgenden sollen einige Gruppen herausgehoben und typologisch beschrieben werden; die Typologie bringt einen Erkenntnisgewinn mit sich; „die unendliche Fülle der Merkmale wird auf ein erträgliches, erkennbares Maß vermindert" (Hans Joachim Schneider 1987, S.386). Die Typologie ist geordnet nach der Art der Tat, dem Erfolg der Tat, der Häufigkeit der Tat. Überschneidungen zwi-

schen den verschiedenen Typen sind möglich; so kann beispielsweise der Geisterfahrer ein rückfälliger Trunkenheitstäter sein, der sich einer fahrlässigen Tötung schuldig macht.

2. Der

Alkoholtäter

Die Persönlichkeit des Alkoholtäters ist seit vielen Jahren Gegenstand intensiver Forschung. Nach kriminologischen Erfahrungen weist der Alkoholtäter vier signifikante Charakteristika auf: E r ist — männlich, — häufiger als die meisten anderen Verkehrstäter vorbestraft, — gehört zu den unteren Einkommensklassen — und ist häufig Alkoholiker. — Im Bereich der konventionellen Kriminalität schwankt der Anteil der Frauen in verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten zwischen etwa 10 und 15 Prozent. Unter den Trunkenheitstätern ist die Frau dagegen — auch unter Berücksichtigung ihrer geringeren Beteiligung am Straßenverkehr — weit weniger häufig vertreten. In älteren Untersuchungen schwankt der weibliche Anteil der Alkoholtäter zwischen fast 0 und 3 Prozent (Wolf Middendorff 1961, S.22; Hans-Heinrich Schumann 1964, S.22; Wolfgang Borchert 1960, S. 113; Jörg Langer 1968, S. 36; Ralf Krüger 1968, S. 146; Arno Müller 1976, S. 141). In einer neueren Untersuchung wurde ein weiblicher Anteil an den Trunkenheitsdelikten von 3,4 Prozent festgestellt. Hierbei handelt es sich indessen um eine G r u p p e junger Frauen zwischen 21 und 25 Jahren, die nicht charakteristisch ist für alle Frauen (Stefan Legat 1987, S.414). Alle Anzeichen der letzten Jahre deuten darauf hin, daß die Zahl der Frauen, die als Trunkenheitstäter in Erscheinung treten, zunimmt, ohne jedoch den weiblichen Anteil an der konventionellen Kriminalität zu erreichen, der auch im Steigen begriffen ist (Manfred Erkens/Dietrich Gründler 1987, S. 184; Timothy Benjamin 1987, S . X X I V ) . Die Erklärung für den insgesamt geringen Anteil der Frauen an der Trunkenheitskriminalität liegt wohl in den Trinksitten und den Gewohnheiten gesellschaftlicher Veranstaltungen (Hans Schultz 1975, S. 506). Unter den männlichen Alkoholtätern ragen besonders die jungen Täter hervor, weil sie in unserer Zeit zum einen mehr Alkohol trinken als früher und weiter in größerer Zahl als früher von Jugend an Kraftfahrzeuge führen (Timothy Benjamin a . a . O . , S . X X I V ) . Von deutscher Seite hat man auf die gerade junge Menschen betreffende „tödliche Verbindung" zwischen „Disco, Drinks and Driving" hingewiesen (Verkehrswacht spezial, 4, 1985). Dasselbe gilt für die Verbindung „Land, Langeweile, Disco, Alkohol, Raserei" (Zeit-Magazin, 21.8.1987). Winkler hat die Gruppe der alko-

442

Verkehrsdelikte

holauffälligen Fahranfänger untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen: „Der typische alkoholisierte Fahranfänger ist Arbeiter, männlichen Geschlechts, benutzt einen Pkw, wird vorwiegend durch Unfälle auffällig, die sich an Wochenenden zwischen 20 Uhr abends und 6 Uhr morgens auf gerader Strecke oder in Kurven durch Abkommen von der Fahrbahn ereignen, und weist eine Blutalkoholkonzentration von über 1,4 %o auf" (Werner Winkler 1985, S . 4 4 8 ) . Auch in den U S A sind die Trunkenheitsfahrten junger Menschen (teenagers) zu einem schweren sozialen Problem geworden. Für Heranwachsende sind Verkehrsunfälle die Haupttodesursache. Die meisten Heranwachsenden beginnen zu der Zeit zu trinken, in der sie gleichzeitig lernen, Auto zu fahren. Eine Untersuchung in sechs High Schools in Richmond, Virginia umfaßte 1082 Schüler und Schülerinnen, die meisten zwischen 16 und 17 Jahre alt. Von diesen hatten 57 Prozent unter Alkoholeinfluß ein Kraftfahrzeug gesteuert. Bei den männlichen Jugendlichen waren es 62 Prozent, bei den weiblichen 50 Prozent. Eine nähere Definition der Alkoholbeeinflussung wurde nicht gegeben. Als Ergebnis wird gesagt, der wichtigste Einfluß in bezug auf Alkohol und Verkehrsteilnahme gehe von den Altersgenossen aus (Frederick A . DiBlasio 1986). — In vielen Untersuchungen wird übereinstimmend festgestellt, daß die Alkoholtäter zu hohen Prozentzahlen vorbestraft sind bzw. rückfällig werden. Für 1969 bis 1973 ermittelte die Bundesanstalt für Straßenwesen eine Vorstrafenquote der wegen Trunkenheit in Verbindung mit einem Unfall verurteilten Täter von 54 Prozent. Als Erklärung wird angeführt, die Rückfallgefahr sei zu einem nicht unwesentlichen Teil auf die Begleiterscheinungen der modernen Wohlstandsgesellschaft zurückzuführen, in der der Alkoholkonsum zur Lebensbewältigung dient (Günter Croy/Rolf Hellemann 1971, S. 103; weitere Nachweise bei Wolf Middendorff 1981, S. 427). Unter Kriminologen besteht Einigkeit darüber, daß die Trunkenheitstäter weit höhere Vorstrafenquoten aufweisen als etwa diejenigen Täter, die nur wegen einer fahrlässigen Körperverletzung bestraft werden. Häufig liegt der Alkoholtäter mit seiner Vorstrafenquote auch über der Quote der Täter der konventionellen Kriminalität. Wenn noch vor 20 bis 30 Jahren nicht selten die Auffassung vertreten wurde, der Alkoholtäter sei ein „Kavalier", so ist dem nach kriminologischer Erfahrung zu entgegnen, daß er, insbesondere soweit er Rückfalltäter ist, einem Kriminellen gleicht. Kaiser bemerkte hierzu, die Trunkenheit am Steuer verschiebe sich generell weg vom bloßen Ungehorsam, der einmaligen Episode oder Entgleisung hin zur Kriminalität (Günther Kaiser 1970, S. 265). In Massachusetts ergab eine Untersuchung von 1406 Fällen von Trunkenheitsdelikten, daß 27 Prozent der Täter zuvor wegen Trunkenheit im Straßenverkehr verhaftet worden waren, 51 Prozent waren

wegen anderer Delikte der allgemeinen Kriminalität beschuldigt worden (John R . Snortum 1988, S. 195—196; für die Schweiz siehe: Hans Thomas Haffner u. a. 1987, S. 204ff.). — In früheren Jahren wurde vielfach die Auffassung vertreten, der Verkehrstäter und insbesondere der Alkoholtäter entstamme meist den sogenannten höheren Schichten oder höheren Einkommensgruppen; umfassende statistische Untersuchungen haben das Gegenteil erwiesen. Beispielsweise waren Langers Alkoholtäter zu 72,2 Prozent Arbeiter. Die Berufskraftfahrer waren demgegenüber an Alkoholstraftaten relativ weniger beteiligt als an übrigen Verkehrsstraftaten. Unter den Arbeitern waren die Bauberufe mit 11,2 Prozent der Gesamtzahl aller Täter besonders stark vertreten (Jörg Langer 1968, S . 4 0 — 4 6 ) . Schöch faßt zusammen: „Insgesamt dürften nach allen bisherigen Erfahrungen und den Ergebnissen der eigenen Untersuchung die Angehörigen der unteren und der oberen Unterschicht stärker beteiligt sein, als ihrem Bevölkerungsanteil entspricht" (Heinz Schöch 1973, S. 150; Günther Kaiser 1970, S. 2 5 4 - 2 5 5 ) . Kunkel und Menken glaubten demgegenüber, daß die sozial schwächeren Schichten nur deshalb unter den Trunkenheitstätern stärker vertreten seien, weil sie sich der Polizei gegenüber nicht durchzusetzen vermöchten (Eberhard Kunkel/Eugen Menken 1978, S . 4 3 6 ; a. A . Wolf Middendorff 1979, S. 152). — Eine Reihe von Untersuchungen in den U S A und in Europa haben gezeigt, daß die Trunkenheitskriminalität oft mit krankhaftem Alkoholismus gekoppelt ist. In der Bundesrepublik Deutschland wie auch in zahlreichen anderen Ländern muß daher der Teilnahme chronischer Alkoholiker am Straßenverkehr immer größere Bedeutung zugemessen werden. Die Schätzung des Anteils der Alkoholiker schwankt zwischen 7 Prozent und 50 Prozent (Oskar Grüner/Norbert Bilzer 1985, S. 209). Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation sind Alkoholiker exzessive Trinker, deren Abhängigkeit vom Alkohol einen solchen Grad erreicht hat, daß eine psychische Störung erkennbar wird, daß die seelische oder körperliche Gesundheit beeinträchtigt ist, die menschlichen Beziehungen und das soziale und ökonomische Verhalten leiden, oder daß sich Anfangssymptome einer solchen Entwicklung zeigen. Ein schwerwiegendes Indiz für Alkoholismus ist u. a. das Überschreiten der Grenze von 1,8 %o bei einer Trunkenheitsfahrt (siehe Wolf Middendorff 1980, S . 2 5 9 f f . ) . Eine neuere Untersuchung bestätigte, daß man es „bei einem großen Teil der Trunkenheitstäter nicht mit .trinkenden Fahrern', sondern mit Jährenden Trinkern' zu tun hat" (Arno Müller/Cornelia Weiler 1987, S. 122). In den U S A wurden ähnliche Feststellungen getroffen (F. A . Whitlock 1971, S. 7 1 - 7 4 ; John R . Snortum 1988, S. 195). Eine weitere amerikanische Untersuchung ergab, daß ein beträchtlicher Teil der Trunkenheitstäter „Pro-

443

Verkehrsdelikte blemtrinker" war (John R. Snortum 1988, S. 195). Eine Untersuchung im Gerichtsbezirk Quincy, Massachusetts, zeigte, daß von November 1982 bis 15.3.1985 von 1252 verurteilten Ersttätern 1031 oder 82 Prozent Alkoholiker („Problemtrinker") und nur 18 Prozent Gelegenheitstrinker waren. Eine ähnliche Untersuchung in Pennsylvania mit 40724 Alkoholtätern ergab 78 Prozent Alkoholiker und 22 Prozent Gelegenheitstäter (Albert L. Kramer 1986, S.28). Skandinavische Untersuchungen haben zur Kenntnis der Trunkenheitskriminalität besonders viel Material beigesteuert; so hatten z. B. in Schweden 64 Prozent der Trunkenheitstäter Probleme mit Alkoholismus (H. Laurence Ross 1978, S. 57). In Dänemark fand man, daß von den untersuchten Alkoholtätern sehr viele alkoholsüchtig waren, insbesondere die Rückfalltäter (Gitte Carstensen 1978, S. 123). Nach alledem kann man drei Typen des Trunkenheitstäters unterscheiden: erstens den Gelegenheitstäter, der in einer bestimmten Situation der Versuchung erlegen ist, zweitens den Rückfalltäter, der sich seine Erfahrung nicht zu Herzen genommen hat — er ist der eigentliche Kriminelle — und drittens den alkoholkranken Täter, bei dem der Alkoholismus ein Zustand ist. Überschneidungen zwischen diesen Typen sind möglich.

3. Der

flüchtige

Täter

Die Verkehrsunfallflucht umfaßt Taten mit sehr unterschiedlichem Unrechtsgehalt vom „Kotflügelfall" auf dem Parkplatz mit geringfügigem Sachschaden bis zur Flucht auf der Landstraße, auf der Verletzte oder Tote liegenbleiben (siehe Wolf Middendorff 1981, S.428ff.; Klaus Leipold 1987). Anlässe und Motive der Unfallflucht sind ebenfalls unterschiedlich; man schätzt, daß der Anteil der Alkoholbeeinflußten an der Unfallflucht bis zu 50 Prozent und mehr beträgt. Mit der Frage nach der möglichen Alkoholbeeinflussung hängt diejenige nach dem Motiv der Flucht eng zusammen. Der Unfallflüchtige handelt hauptsächlich aus Furcht vor Strafe wegen Trunkenheit oder zur Verdeckung anderer Delikte, wie z.B. dem Fahren ohne/oder trotz entzogener Fahrerlaubnis, wegen Diebstahls oder Gebrauchsentwendung von Kraftfahrzeugen. Als weitere Gründe werden die Furcht vor einem Skandal oder auch die Furcht vor dem Verlust des Versicherungsbonus für unfallfreies Fahren genannt. Die aus der Sicht der Psychologie entscheidende Frage ist die, ob ein Kraftfahrer nach einem Unfall überhaupt rationale Überlegungen anstellt. Für die meisten Beteiligten ist ein Verkehrsunfall eine so starke psychische Belastung, eine derart frustrierende Situation, daß ihnen zur Besinnung wenig Zeit bleibt. Sicher werden Verkehrsunfallfluchten häufig aus Kopflosigkeit und in einem gewissen

Schock begangen, aus einem übermächtigen, irrationalen Fluchttrieb und aus dem Bedürfnis heraus, nur wegzukommen, um sich irgendwo zu verbergen. Aus ärztlicher Sicht wird immer wieder darauf hingewiesen, daß die Belastungssituation nach einem Verkehrsunfall in die Grenzbereiche des Zumutbaren hineinreicht und unter Umständen sogar diese Grenze für einige Zeit überschreitet (siehe Helena Krezdorn 1984). Primitive Fluchtreflexe sind aus der Verhaltensforschung vom Tier hinlänglich bekannt. Eine Reihe von Untersuchungen befaßt sich mit dem Zusammenhang zwischen Verkehrsunfallflucht und allgemeiner Kriminalität. Die Zahl der Vorstrafen liegt bei Unfallflüchtigen zwischen den Zahlen klassischer Kriminalität und reiner Verkehrsdelinquenz. Unter den wegen Verkehrsunfallflucht Verurteilten befanden sich früher etwa 4 bis 7 Prozent Frauen; nach einer Statistik für die Bundesrepublik betrug der Anteil der Frauen an den Fluchtfällen 1950 2,6 Prozent und stieg bis 1985 auf 15,2 Prozent an (Hanns Bär/Josef Hauser 1987, Anhang 4.7).

4. Der

Aggressionstäter

Als Aggressionstäter wird der motorisierte Verkehrsteilnehmer bezeichnet, der mehr oder weniger gewaltsam und ohne Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer seine Belange im Verkehr durchsetzt. Die Folgen sind häufig schwere Unfälle; ein Zusammenhang zwischen diesen Aggressionen und der allgemeinen Gewaltkriminalität ist nachgewiesen (Liselotte Moser 1983, S. 465 ff.). Zwei herausragende Faktoren führen zu derartigen Aggressionshandlungen : — Risikobereitschaft, — exzessive Geschwindigkeit. — Die Risikobereitschaft vor allem junger Menschen hat es immer schon gegeben, sie wird indessen durch die moderne Technik gefährlicher (Karl S.Bader 1961, S . 2 6 5 - 2 6 7 ) . Für viele Menschen hat das Risiko eine anziehende, faszinierende und besonders reizvolle Seite, und viele Menschen setzen sich dabei bewußt oder unbewußt Gefahren Mus, die weder lebensnotwendig noch besonders ehrenhaft sind (siehe Max Hess-Haeberli 1967, S. 63ff.; Sivo Spörli 1972, S. 5 4 - 6 0 ) . Bei einer internationalen Befragung zeigte es sich, daß die I )cutschen sich am ehesten zu risikoreichem Fahren verleiten ließen, nämlich 43 Prozent, in Japan waren es nur 2,2 Prozent (Günther Kaiser 1988, S. 804). Neuerdings wurde eine „Risikokompensationstheorie" entwickelt; danach wird jede technische Neuerung, die zur Sicherheit von Auto und Straße entwickelt worden ist, über kurz oder lang durch das Verhalten von Verkehrsteilnehmern wieder „aufgezehrt"; d . h . Autofahrer gehen auch mit

444

Verkehrsdelikte

einem Wagen von höchstmöglichem Sicherheitsstandard oft bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten und darüber hinaus. Eine Untersuchung der Bundesanstalt für Straßenwesen, die sich mit Fahranfängern befaßte, ergab, daß 1983 die 18- bis 20jährigen Pkw-Fahrer zu 17,3 Prozent an Unfällen mit Personenschäden beteiligt waren, während ihr Anteil an der Bevölkerung nur 6,6 Prozent betrug. In derselben Altersgruppe wurden ähnlich viele PkwFührer verletzt oder getötet wie in den zehn Altersjahren der 25- bis 34jährigen. Die Todesrate für je eine Million 18- bis 20jähriger liegt bei 232. Das sind viermal mehr als für den Durchschnitt der auf je eine Million Einwohner getöteten Pkw-Führer (Bernhard Schlag u. a. 1986, S. 5). Ein besonders krasser Fall sei geschildert, er ereignete sich im Juli 1986 im Landkreis Kelheim. Ein 19jähriger Bäckergeselle fuhr mit rund 100 km/h über ein Stoppschild und direkt in die Breitseite eines anderen Pkw. Das Ergebnis waren vier Tote und ein schwerverletzter Bäckergeselle. Zu jener Zeit war unter jungen Menschen in dieser Gegend eine Art russisches Roulette in Mode gekommen. Das Ziel ihrer Mutproben war es, möglichst schnell über ein Stoppschild hinwegzufahren („sicher unterwegs" 1, 1988; in Hamburg kennt man das S-Bahn-Surfen, d. h. das Entlangklettern an einem S-Bahn-Zug bei voller Fahrt, Der Spiegel 15, 1988). — Der Wunsch, sich möglichst schnell fortzubewegen, ist wohl so alt wie die Menschheit. Jacob Burckhardt schrieb in seiner Biographie über Konstantin den Großen: „Schon zu Juvenals Zeiten (etwa 60—140 n.Chr.) hatte die Eitelkeit mancher etwas darin gesucht, halsbrechend schnell zu fahren und sich für die eigenen wie für die Zirkuspferde zu fanatisieren, auch dies dauerte noch fort" (S.469). Ebenso alt sind die Bemühungen der Obrigkeit, den Schnelligkeitsdrang der Menschen zu zügeln. Das Straßen-Reglement der Stadt Goslar von 1835 bestrafte „zu schnelles Reiten und Fahren" mit 1 Taler 1913 betrug die zulässige Maximalgeschwindigkeit in der ganzen Schweiz 30 km/h, in geschlossenen Ortschaften 10 km/h und an schwierigen Stellen 6 km/h (Wolf Middendorff 1974, S.51—55). In der Kriminologie war Erich Wulffen wohl der erste, der sich mit dem von ihm so genannten „Automobildelinquenten" befaßte. Er schrieb: „Kriminalistisch interessant ist die neuerdings hervorgetretene leichte Bewußtseinstrübung des Automobilfahrers. Ein Arzt, der „sportsmäßig in rasendem Tempo" häufig mit dem Automobil fährt, hat sich über seine Geistesverfassung in solchen Momenten dahin ausgesprochen, daß „eine Art Umnebelung der Sinne, eine Art Trunkenheit, die sehr angenehm sei!, eintrete und zu immer kühnerem Fahren verleite, so daß man stets sorgloser auf seine Umgebung achte" . . . „Ein Sportsmann in oben geschilderter Verfassung ist nicht mehr geistig normal zu nennen, eventuell muß auf verminderte Zurechnungsfähigkeit erkannt werden" (Erich

Wulffen 1925, S. 390; siehe hierzu Max Frisch 1958, S.56—57, u . a . : „Das Kennzeichen dafür, daß wir unser Tempo überschritten haben, ist das Ungenügen, das wir jedesmal empfinden, wenn ein andrer Wagen uns v o r f ä h r t . . . " ) . Heute sprechen wir vom „Autoraser" (Rüdiger Herren 1957, S. 168ff.); je höher die Geschwindigkeit, desto eher verliert der Mensch die Kontrolle über die Geschwindigkeit und hat große Schwierigkeiten, später sein Fahrtempo wieder zu drosseln und sich z.B. von der Autobahn wieder auf die Geschwindigkeit von Bundes- und Landstraßen umzustellen. In der Bundesrepublik Deutschland ist es bisher nicht gelungen, eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen durchzusetzen, obwohl die Gefahren des Rasens evident sind, des „ganz normalen Wahnsinns", wie eine Zeitung schrieb (Badische Zeitung, 26.6.1987). In den USA hat neuerdings schon die Erhöhung der Geschwindigkeitsgrenze auf bestimmten Autobahnabschnitten von 55 auf 65 Meilen/h zu einer Zunahme der tödlichen Unfälle um rund 50 Prozent geführt. 38 von 51 Staaten der USA hatten von der Möglichkeit der Heraufsetzung der Geschwindigkeit Gebrauch gemacht. In 22 Staaten wurden bisher Zahlen veröffentlicht, und danach war die Zahl der Verkehrstoten auf den betreffenden Strecken von 312 auf 457 gestiegen, während sie auf allen anderen Straßen um 10 Prozent zurückgegangen war (FAZ, 23.1.1988). Auch für die Entstehung einer Mehrfachkollision ist die Höhe der Geschwindigkeit vor dem Unfall ausschlaggebend. Jeder zweite Unfall auf der Autobahn ist eine Mehrfachkollision, die zu den schwersten Folgen führt, die es im Straßenverkehr gibt (VS aktuell [GUVU], Nr. 42, Januar 1988; VS aktuell [GUVU], Nr. 37, März 1987). Risikobereitschaft und exzessive Geschwindigkeit führen häufig zu Nötigungen in Gestalt der Verhinderung des Überholens durch Fahrbcwcgungen, des Erzwingens des Überholens durch dichtes Auffahren unter Benutzung der Lichthupe und der Verhinderung des Überholens durch Blockieren des Überholstreifens. Nicht selten werden Kraftfahrer durch Nötigungen zu gefährlichen Vollbremsungen gezwungen. Jedes Jahr werden in der Bundesrepublik rund 3000 Autofahrer wegen Nötigung verurteilt. Die Dunkelziffer ist offensichtlich sehr hoch, da die Beweislage oft außerordentlich schwierig ist (siehe Wolf Middendorff 1988, S. 16ff.)

5. Die

Geisterfahrer

Geisterfahrer werden solche Kfz-Führer genannt, die auf Schnellstraßen oder Autobahnen entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung fahren. Nach einer Hochrechnung gibt es bei rund 2 Millionen Fahrten durchschnittlich 4,8 derartige Falschfahrten. Diese Falschfahrten entstehen insbe-

Verkehrsdelikte sondere an Anschlußstellen der Autobahnen und an Autobahnkreuzen, bei denen der Fahrer die Beschilderung genau zu beachten hat, weil Mißverständnisse möglich sind. Die Geisterfahrten sind am Wochenende und an Feiertagen häufiger als an anderen Wochentagen. Bei starkem Verkehr sind Falschfahrten seltener als bei schwachem oder normalem Verkehr. Nur rund 7 Prozent der Geisterfahrer verursachen einen Unfall. Sehr häufig ist der Fall, daß der Falschfahrer unbewußt die falsche Richtung einschlägt und nach kurzer Zeit seinen Irrtum bemerkt. E r wendet nicht, sondern geht davon aus, daß er bald eine Ausfahrt erreichen werde, und setzt daher die Falschfahrt fort. In sehr vielen Fällen kommt es zu der Falschfahrt durch eine Überforderung des Kraftfahrers. Für diese Annahme spricht die prozentual hohe Beteiligung von Personen über 65 Jahren als Falschfahrer. Indessen haben auch sehr junge Fahrer zuweilen Schwierigkeiten in der Praxis, wenn sie sich in komplizierten Verkehrssituationen zurechtfinden müssen. Nach alledem gibt es unterschiedliche Motive und unterschiedliche Situationen der Geisterfahrt, so daß eine eindeutige Beurteilung dieses Phänomens noch nicht möglich ist (Ulrike Benz 1987). Einer der schwersten Fälle einer Geisterfahrt: Anfang Juni 1988 stieß auf der Autobahn bei Zürich eine 27jährige Pkw-Fahrerin mit zwei Kindern im Wagen in der falschen Richtung fahrend frontal mit einem Pkw zusammen. Das Ergebnis: 3 Tote und 3 Schwerverletzte, unter letzteren die Geisterfahrerin (Badische Zeitung, 3.6.1988).

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benutzen, obwohl ihnen die Fahrerlaubnis vorläufig oder endgültig entzogen wurde oder obwohl ihnen ein Fahrverbot auferlegt war. Es handelt sich hierbei nicht nur um einen vorsätzlichen Gesetzesverstoß, sondern um etwas, das man im Vergleich mit englischen und amerikanischen Verhältnissen als "contempt of court" bezeichnen kann. Von diesen Tätern geht eine „ganz besondere Gefahr" aus. Sie gehören überwiegend zu den Menschen mit „allgemeiner krimineller Neigung, so daß . . . diese Taten nicht mehr als kleine, ungefährliche und unwichtige Verstöße gegen verkehrsrechtliche Formalitäten" erscheinen (Günther Kaiser 1970, S. 230—231). Außerdem wurde nachgewiesen, daß es einen sehr engen Zusammenhang zwischen dem Fahren ohne Fahrerlaubnis und der allgemeinen Kriminalität und der sonstigen Verkehrsdelinquenz gibt. „Wiederholtes und längeres Fahren ohne Fahrerlaubnis kann also durchaus ein Hinweis für die Bedenkenlosigkeit auch bei der Einhaltung anderer Verkehrsvorschriften sein" (Heinz Schöch 1971, S. 1862). Auch Willett berichtet von Zusammenhängen zwischen Fahren ohne Fahrerlaubnis und Vorstrafen der allgemeinen Kriminalität und einer allgemeinen Verachtung der Gesetze. 68 Prozent von den Tätern, denen die Fahrerlaubnis endgültig entzogen worden war, fuhren ohne Fahrerlaubnis (Terence Willett 1968, S.30). Kriefman ermittelte, daß 85 Prozent der Täter, denen man die Fahrerlaubnis entzogen hatte und die dennoch fuhren, Vorstrafen hatten, während nur 46 Prozent derjenigen Täter vorbestraft waren, die während der Zeit der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht fuhren (Roger Hood 1977, S. 109).

6. Wer ohne Führerschein fährt 7. Der Täter der fahrlässigen Körperverletzung und der fahrlässigen Tötung

Unter den Tätern des Fahrens ohne Fahrerlaubnis kann man zwei Typen unterscheiden: — den, der noch nie einen Führerschein hatte und es nicht erwarten kann, ihn ordnungsgemäß nach Erreichen der Altersgrenze zu bekommen. In diese Kategorie fallen insbesondere Jugendliche. Hierher gehören auch jene Fälle, in denen ein Verlobter oder Ehemann seine Verlobte oder Ehefrau auf einsamen Wegen fahren läßt, um auf diese Weise die Fahrschulpraxis zu ergänzen oder vorzubereiten. Man mag auch an jene Fälle denken, in denen ein Sohn im Pkw der Eltern Tanzveranstaltungen besucht, um Mädchen imponieren zu können. Aus ganz anderen Gründen kann ein Bauernsohn vielleicht den Traktor seines Vaters benutzen, weil dieser krank ist oder sonst keine Arbeitskraft auf dem Hofe ist. In der großen Mehrzahl aller dieser Fälle wird das Delikt nicht entdeckt. Mit dem Erhalt des Führerscheins fällt der Anlaß zum Fahren ohne Fahrerlaubnis fort. Die kriminelle Intensität war gering, und es bleiben keine nachteiligen Folgen.

Die Täter der fahrlässigen Körperverletzung (§230 StGB) sind typologisch kaum einzuordnen; obgleich jedes Jahr Tausende dieser Täter vor die Verkehrsgerichte kommen, ist das kriminologische Wissen von dieser Tätergruppe außerordentlich gering; der Hauptgrund hierfür liegt darin, daß es sich um „geradezu erschreckend unauffällige" Täter handelt (Günther Kaiser 1970, S.220). Der größte Teil dieser Täter ist nicht vorbestraft. Der Anteil mit Vorstrafen beläuft sich auf etwa 20 Prozent. Die Unfälle entstehen im wesentlichen durch Überforderungssituationen und nicht durch besondere kriminelle Intensität (Günther Kaiser 1970, S. 218—219). Auch über die Täter der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) gibt es nur sehr wenig kriminologisches Material (siehe auch Wolf Middendorff 1983); die Vorstrafenquote dieser Täter liegt zwischen 27 und 33 Prozent (Günther Kaiser 1970, S. 213).

— Die kriminologisch bedeutsamsten Fälle sind diejenigen, in denen die Täter ihr Kraftfahrzeug

In den USA hat Michalowski tödliche Unfälle untersucht; zu beachten ist hierbei, daß er in seinem

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Verkehrsdelikte

Material auch Unfälle unter Alkoholeinfluß hat und daß der Fahrlässigkeitsbegriff der Amerikaner ein anderer ist als der unsrige. In Fällen einfacher Fahrlässigkeit, die bei uns angeklagt oder durch Strafbefehl erledigt werden, kommt es in den USA meistens nicht zu einem Strafverfahren, weil die Laienrichter in den Fällen freisprechen würden, in denen sie glauben, daß ihnen ein ähnlicher leichter Fehler genauso unterlaufen könnte. Erst wenn es sich um Fälle handelt, die bei uns unter den Begriff der groben Verkehrswidrigkeit und der Rücksichtslosigkeit fallen, oder wenn der Täter nach Alkoholgenuß fahruntüchtig ist, erfolgt eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung, die dann allerdings wesentlich härter ausfällt als bei uns. Es kann daher nicht überraschen, daß Michalowski unter seinen Tätern einen hohen Prozentsatz von Vorbestraften im Straßenverkehr und in der allgemeinen Kriminalität hat. Die nach Alkoholgenuß fahruntüchtigen Täter hatten meistens die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten. Unter den Alkoholtätern waren die Gruppen der Hilfsarbeiter und der Vorbestraften am stärksten vertreten (Raymond Michalowski 1977, S. 135).

8. Selbstmörder

im

Straßenverkehr

Wenn bei sogenannten Alleinunfällen, die mit dem Tod des Fahrers enden, keine Krankheitsursachen, keine technischen Mängel am Kraftfahrzeug und z.B. keine Brems- und Schleuderspuren bei trockener Fahrbahn zu finden sind und auch keine besonderen Mängel der Straße vorliegen, dann liegt der Verdacht auf einen verdeckten Selbstmord nahe. Die Beweisschwierigkeiten sind jedoch oftmals sehr groß, und die Verkehrspolizei beschränkt sich dann darauf, festzustellen, daß offensichtlich kein anderer Verkehrsteilnehmer an dem Unfall beteiligt war. Die Zahl der tatsächlichen Selbstmorde kann daher nur sehr vage geschätzt werden. Eine amerikanische Studie aus dem Jahre 1972 kam zu dem Ergebnis, daß jeder sechste bei einem Unfall getötete Amerikaner diesen Unfall aus Selbstmordabsichten herbeigeführt habe (Die Welt, 20.9.1972). 1968 wurde vermutet, daß von den rund 30000 Selbstmorden dieses Jahres in den USA etwa 8000 auf den Straßenverkehr entfallen seien. In der Bundesrepublik Deutschland vermutet man, daß 5 Prozent der Verkehrstoten eines Jahres freiwillig den Tod gesucht haben (Welt am Sonntag, 17.12.1978). Die Absicht, mit dem Auto Selbstmord zu begehen, beruht wohl selten auf einem auf längere Sicht gefaßten, klaren und vernunftgemäßen Entschluß; nicht selten sind Kurzschlußhandlungen nachzuweisen, insbesondere bei Jugendlichen und Heranwachsenden, die damit auf einen unmittelbar vorhergehenden Konflikt reagieren (Hans Göppinger 1980, S.218). Viele Faktoren können die Unfall- bzw. Todes-

fahrt beeinflussen. In erster Linie wird in der Literatur immer wieder auf den Faktor Alkohol hingewiesen. Es werden aber auch psychische Störungen und Depressionen genannt. Eine Untersuchung von 72 Fahrern, die in den Jahren von 1961 bis 1964 in Ann Arbor, Michigan, in tödliche Verkehrsunfälle verwickelt waren, unter denen wohl auch einige Selbstmorde waren, ergab, daß 42 von ihnen unter psychischen Störungen gelitten hatten (Die Welt, 13.1.1966). In Houston, Texas, wurden 28 Verkehrsunfälle mit Todesfolge untersucht; das Ergebnis war, daß in 4 Fällen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Auto als Selbstmordmittel benutzt worden war (ADAC-Motorwelt 11, 1972, S.30; siehe auch Wolf Middendorff 1986, S. 179ff.). Selbstmorde mit dem Auto sind auch aus Versicherungsgründen denkbar.

9. Unfäller und

Mehrfachtäter

Jeder Unfall im Straßenverkehr kann bei den dadurch Betroffenen einen Unfallschock auslösen, der lange nachwirkt, zu Unsicherheit führt und dadurch die Ursache eines weiteren Unfalls sein kann. Der Psychologe Karl Marbe nannte in seiner Selbstbiographie das Gesetz der Serie das Gesetz der Gleichförmigkeit oder die Wiederholungsregel (Karl Marbe 1945, S. 1 4 - 1 7 ) . An anderer Stelle führte Marbe bezüglich des Wiederholungssatzes aus: „Wie jemand um so wahrscheinlicher mit Gefängnis oder Zuchthaus in Berührung kommt, je öfter er früher schon bestraft wurde, so erleidet jemand innerhalb einer bestimmten Zeit durchschnittlich auch um so mehr Unfälle, je mehr Unfälle er früher innerhalb einer bestimmten Zeit erlitt . . . Von besonderer Wichtigkeit ist aber die statistisch erwiesene Tatsache, daß die Personen, die zum Erleiden von Unfällen, und diejenigen, die zum Anrichten von Schäden neigen, in weitem Umfang zusammenfallen, was darauf beruht, daß die psychologischen Dispositionen beider weitestgehend übereinstimmen" (Karl Marbe 1932, S. 30—31). In neueren Untersuchungen zur Persönlichkeit des Unfällers wird darauf hingewiesen, daß der mittlere Intelligenzquotient der Unfäller um 20 Prozent niedriger war als der Intelligenzquotient in der Gruppe der Nichtunfäller (Klaus Mayer 1960, S. 34). Vom Typ des Unfällers — der nicht unbedingt auch Täter ist — ist der des Rückfälligen oder Mehrfachtäters zu unterscheiden. Mayer hat in Tübingen 125 Mehrfachtäter untersucht, die insgesamt 872 Verkehrsdelikte begangen hatten. Der Durchschnitt liegt also bei 7 Delikten, die Höchstzahl bei 28, die Mindestzahl bei 2. Unter den Berufsgruppen der Mehrfachtäter standen die Facharbeiter und Handwerker mit 34,4 Prozent vor den Berufsfahrern mit 29,6 Prozent an der Spitze. In der Gruppe der Facharbeiter und Handwerker häuften sich die

447

Verkehrsdelikte Alkoholdelikte. Bei etwa der Hälfte der untersuchten Mehrfachtäter waren „die für die Fahreignung relevanten Funktionen wie Aufmerksamkeitseinstellung und Konzentration sowie das Reaktionsvermögen ungenügend". 62 von den 125 Tätern (49,5%) waren allgemein kriminell vorbelastet. „Aus den Persönlichkeitsmerkmalen der auch allgemein kriminellen Verkehrstäter läßt sich zumindest eine insgesamt mangelnde Anpassungsbereitschaft und -fähigkeit und mangelnde Erfahrungsbildung folgern. Bei der Unterhaltung mit diesen Probanden war immer wieder besonders eindrucksvoll, wie wenig sie selbst aus den wiederholten Delikten und ihren Folgen gelernt hatten und zu lernen bereit waren" (Klaus Mayer 1968, S. 117-129; Klaus Mayer u. a. 1968, S. 157-166).

10.

Verkehrstäter

und

Krimineller

Zwischen Verkehrstätern und Tätern der allgemeinen Kriminalität bestehen, wie oben schon beim Mehrfachtäter gezeigt wurde, enge Zusammenhänge, die sich — in der täglichen Praxis der Verkehrsgerichtsbarkeit zeigen und — empirisch nachweisbar sind. Verkehrstäter verstoßen gegen spezifische Verkehrsvorschriften, gegen Strafvorschriften, die daneben auch für andere Lebensgebiete gelten, und gegen Paragraphen der allgemeinen Kriminalität. Vergehen nach §315c StGB werden oft zusammen mit Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung oder der fahrlässigen Tötung begangen, und die Täter haben nicht selten das Kraftfahrzeug zum Gebrauch entwendet oder gestohlen. Immer wieder begehen Trunkenheitstäter das Delikt des Widerstandes gegen die Staatsgewalt, vorsätzliche Körperverletzungen und Beleidigungen. — Es gibt eine Reihe kriminologischer Untersuchungen, die auf statistischem Wege die Zusammenhänge zwischen Verkehrsdelinquenz und allgemeiner Kriminalität zeigen. So untersuchte Schöch die Beziehungen zwischen Verkehrsdelinquenz und allgemeiner Kriminalität und fand: „Manches scheint dafür zu sprechen, daß es tatsächlich eine besondere, nicht unbedeutende Gruppe unter den wiederholt Straffälligen gibt, in deren Bezugswelt die ungezügelte Leidenschaft zum Kraftfahrzeug eine so zentrale Rolle spielt, daß nicht nur die eigene Lebensplanung darunter leidet, sondern auch die Einhaltung von Verkehrsvorschriften und die Rücksichtnahme auf andere nebensächlich erscheinen." Die Affinität zum Kraftfahrzeug und zu Verkehrsdelikten wird schon verhältnismäßig früh sichtbar (Heinz Schöch 1971, S. 1862-1863; neuerdings Josef Kürzinger 1982, S. 307). Moser untersuchte die Zusammenhänge zwischen Aggression — verstanden als bewußter oder

unbewußter Impuls, jemandem Schaden zuzufügen — Kriminalität und Unfallhäufigkeit. Etwa jeder zehnte allgemein-kriminelle Aggressionstäter, der 1971 verurteilt wurde, war einmal oder öfter wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung im Straßenverkehr vorbestraft, dagegen nur etwa jeder fünfzehnte Eigentumsdelinquent. Allgemein-kriminell vorbestrafte Täter zeigen auch im Straßenverkehr signifikante Anpassungsschwierigkeiten (Liselotte Moser 1978, S.47). Die besonders schwierigen Verkehrsverhältnisse in und um Los Angeles führten 1987 zu einer Welle von Gewalt, in deren Verlauf drei Personen — im Straßenverkehr — erschossen und sieben verletzt wurden (Time, 17.8.1987).

D. Die Bekämpfung der Verkehrsdelinquenz 1. Die

Dunkelziffer

Einer auch nur einigermaßen effektiven Bekämpfung der Verkehrsdelinquenz steht eine anhaltend dunkle Dunkelziffer entgegen, die es immer schon gegeben hat. So schrieb Honore de Balzac: „Es gibt keinen Richter, der n i c h t . . . zugestände, daß die Justiz auch nicht die Hälfte der begangenen Übeltaten bestraft", und in unserem Jahrhundert schrieb Robert Heindl: „Die weitaus größte Zahl der Verbrechen und Vergehen kommt nicht einmal zur Kenntnis der Polizei" (siehe Bernd Wehner 1957). In bezug auf die moderne Form der Trunkenheitskriminalität im Straßenverkehr äußerte Arno Müller 1976, ein Kraftfahrer könne im Durchschnitt 9000 Kilometer unter Alkoholbeeinflussung fahren, bis er mit einer gerichtlichen Bestrafung wegen Trunkenheit rechnen müsse. Wenn man eine Einzelfahrt nach einer Feier mit 30 km annehme, könne man theoretisch dreihundert derartiger Fahrten machen, bevor man einmal erwischt werde. Der Kraftfahrer mache also die Erfahrung, daß Autofahren unter Alkoholeinfluß nicht „gefährlich" für ihn sei (FAZ, 1.9.1976). „Die Sanktionsgeltung der Norm, ohne Trunkenheit am Straßenverkehr teilzunehmen, ist also sehr gering" (Günther Kaiser 1988, S. 824). In den USA hat man versucht, mit Hilfe von Telefoninterviews die Dunkelziffer in bezug auf Trunkenheitsdelikte zu ermitteln. Im April 1983 wurden 1401 Personen gefragt, wie oft sie und bei welchen Gelegenheiten Bier, Wein oder harte Getränke zu sich nähmen, und wie sie sich bezüglich der Benutzung eines Kraftfahrzeugs verhielten. Die meisten Interviewten fuhren ihren Antworten gemäß mit dem eigenen Auto zu dem Ort ihres Alkoholkonsums, ungefähr die Hälfte der Männer nahm drei oder mehr "drinks" zu sich, während nur ein Viertel der Frauen diese Menge erreichte. In der Regel hatte man abgesprochen, wer auf dem Rück-

448

Verkehrsdelikte

weg das Fahrzeug steuere, und die Person, die das tun wollte, hielt sich beim Trinken stärker zurück als die anderen. Die Interviewer glaubten ermittelt zu haben, daß starke Trinker sich bei dieser Gelegenheit mäßigten, und die Autoren betrachteten es als wichtigstes Ergebnis ihrer Studie, daß man überhaupt so etwas wie Abschreckung durch eine gesetzliche Regelung entdeckt habe, denn allgemein wird das Risiko des Ertapptwerdens in den USA bei einer Trunkenheitsfahrt auf 1:2000 geschätzt (John R. Snortum/Dale E. Berger 1986).

2. Die konzertierte

Aktion

Die Gesamtwirksamkeit der Justiz bei der Bekämpfung nicht nur der Verkehrskriminalität beruht auf drei Faktoren: auf guten, d. h. für die Praxis brauchbaren Gesetzen, auf einer schnellen und sicheren Strafverfolgung und auf einer maßvollen und gleichmäßigen Strafzumessung. Schließlich spielt auch das mehr oder weniger rechtsfreundliche Klima in der betreffenden Bevölkerung eine wesentliche Rolle (siehe Günther Kaiser 1988, S. 803). Alle Faktoren stehen untereinander in einem Abhängigkeitsverhältnis, und wir wissen aus den Erfahrungen der Historischen Kriminologie, daß jedes Mißverhältnis zwischen den einzelnen Faktoren zu Lasten der Gesamtwirksamkeit geht (Wolf Middendorff 1972, S.56ff.). Als Musterbeispiel für die wirksame Bekämpfung der Trunkenheitsdelikte im Straßenverkehr sei das Beispiel Norwegen angeführt. Seit 1936 besteht in Norwegen die 0,5 %o-Grenze, und dieses Gesetz wurde seit dieser Zeit nur unwesentlich geändert. Polizei und Justiz bemühen sich, die Befolgung dieser Vorschrift durchzusetzen, und die Strafen der Justiz sind sehr hart. Während für andere Delikte ein Ersttäter eine Strafaussetzung zur Bewährung erhält, gilt dies nicht für den Trunkenheitstäter im Straßenverkehr. Nur in ungefähr 15 Prozent der Fälle wird die Strafe zur Bewährung ausgesetzt; gleichzeitig wird eine hohe Geldstrafe hinzugefügt. Die Dauer der Freiheitsstrafe liegt bei Ersttätern zwischen einem Minimum von 21 und 36 Tagen. Gleichzeitig wird schon dem Ersttäter die Fahrerlaubnis für mindestens 1 Jahr, im Regelfall aber für 2 Jahre entzogen. Diese gleichmäßige Praxis und die beständige Aufmerksamkeit der Massenmedien haben bewirkt, daß der Norweger im allgemeinen die 0,5 %o-Grenze genau kennt, abschätzen kann, was er trinken darf, und daß er auch weiß, daß er, wenn er erwischt wird, zwischen 21 und 36 Tagen einsitzen muß. Es wird allerdings eingeräumt, daß es auch in Norwegen eine Dunkelziffer gibt (Johannes Andenaes 1988). Demgegenüber wurden in den USA von den Parlamenten der einzelnen Staaten zwischen 1981 und 1985 478 neue Gesetze in bezug auf die Trunkenheitsdelikte erlassen, so daß kaum erwartet wer-

den kann, daß diese Gesetze ihre volle Wirkung auf die Bevölkerung bereits entfalten konnten. Hinzu kommt, daß die Bevölkerung in den USA weitaus gemischter und auch mobiler ist als in Norwegen. Indessen hat man in den einzelnen Staaten der USA sehr wohl energische Versuche gemacht, die Trunkenheitsdelikte einzudämmen. So führte 1981 der Staat Maine eine Reihe von Gesetzen ein, die nicht nur die Strafen für Trunkenheitsfahrten erhöhten, sondern auch die Strafverfolgung erleichterten. In Telefoninterviews im Jahre 1982 ermittelte man, daß die Kraftfahrer in Maine zunächst an den Erfolg dieser Maßnahmen glaubten; 1982 ging die Zahl tödlicher Unfälle um ein Drittel zurück. Diese Wirkung hielt auch im folgenden Jahre noch an, aber im dritten Jahr wurde die frühere Anzahl tödlicher Unfälle wieder erreicht (John R. Snortum 1988, S. 203). Auch in Großbritannien fehlte es an der konsequenten Durchsetzung eines neuen Gesetzes. 1967 wurde durch den Road Safety Act die 0,8 %o-Grenze eingeführt, und der Polizei wurde erlaubt, bei begründetem Anlaß Alkoholtests mit Kraftfahrern durchzuführen. Richter und viele Polizeibeamte boykottierten das Gesetz, und Richter suchten die merkwürdigsten Auswege, um einen Kraftfahrer vor der Bestrafung wegen eines Trunkenheitsdeliktes zu schützen. Immerhin gab es in England, insbesondere durch die Schlagzeilen in der Presse, anfängliche Erfolge des neuen Gesetzes. Insgesamt aber war der Road Safety Act ein Fehlschlag, weil die Intensität der Strafverfolgung immer geringer wurde. Die Zahl der Trunkenheitsdelikte war bald schon wieder auf dem Stand von 1967. Eine ähnliche Erfahrung machte man in Frankreich, als 1978 die 0,8 %o-Grenze eingeführt wurde. Die Gefahr für einen Kraftfahrer, von der Polizei kontrolliert zu werden, blieb gering (H. Laurence Ross 1982, S. 27 - 28, 42).

3. Die

Strafverfolgung

Unter den genannten Faktoren ist nach wohl übereinstimmender Meinung die schnelle und sichere Strafverfolgung der wichtigste Faktor bei der Bekämpfung der Kriminalität. Schon frühere Untersuchungen haben gezeigt, daß die Rolle der Polizei große Bedeutung hat, und daß die Polizei oft die Weichen für das gesamte Strafverfahren stellt (Wolf Middendorff 1972, S.62ff.). Neuere Untersuchungen, die in Köln angestellt wurden, ergaben damit übereinstimmend, daß durch eine länger dauernde intensive Kontrolle des Straßenverkehrs ein meßbarer Effekt erreicht werden kann. Insgesamt ist der Aufwand dafür allerdings außerordentlich hoch und bindet Ressourcen, die vielleicht anderswo noch effektiver eingesetzt werden könnten (Hans-Jürgen Kerner u . a . 1985, S.239). Finnische Erfahrungen zeigen den Wert intensi-

Verkehrsdelikte ver Strafverfolgung besonders deutlich; die Strafen für Trunkenheitsfahrten waren in Finnland immer sehr hoch; sie lagen zwischen 3 und 6 Monaten Gefängnis. 1977 wurden die Strafen für Trunkenheitsdelikte „radikal" heruntergesetzt, und Geldstrafen und zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen waren nunmehr die Regel. Gleichzeitig wurde die 0,5 %o-Grenze eingeführt, und die Kontrollen der Polizei wurden verstärkt. Eine Uberprüfung der Entwicklung bis 1985 ergab, daß die Zahl der Verurteilungen 1978 um 10 Prozent angestiegen war, daß sich aber gleichzeitig die Gefahr des Ertapptwerdens für den einzelnen Fahrer verdoppelt hatte. Insgesamt ging die Zahl der Trunkenheitsdelikte um etwa die Hälfte zurück. In der Bevölkerung wurde die Gefahr des Ertapptwerdens für höher eingeschätzt, als sie es tatsächlich war, — eine Erscheinung, die auch in anderen Ländern anzutreffen ist. Andenaes hebt besonders hervor, daß die Kontrollen der Polizei in den Jahren nach dem Erlaß des neuen Gesetzes nicht nachließen, sondern noch verstärkt wurden (Johannes Andenaes 1988, S. 5 5 - 5 6 ) . Auch in anderen Ländern hat man zeitweise die Kontrollen der Polizei auf Trunkenheitstäter verstärkt, aber die Wirkungen überlebten die Dauer dieser Kontrollen nicht. Nach derartigen Experimenten in Kanada wurde insbesondere die notwendige Mitwirkung der Massenmedien hervorgehoben (Evelyn Vingilis/Violet Vingiiis 1987, S. 17ff.; Ronald Kivikink u. a. 1986, S. 263 ff.)

4. Die

Strafzumessung

Die Strafzumessung ist die wichtigste und zugleich schwierigste Aufgabe des Strafrichters, bei deren Erfüllung er selten ohne Kritik bleibt, wie sie denn auch immer schon allgemein an Art und Weise der Strafzumessung geäußert wurde; so wurde 1950 von einer Krise und von einem Chaos der Strafzumessung gesprochen (Helmut von Weber 1956). Auch bei der Strafzumessung für Verkehrsdelikte gibt es schon lange starke Unterschiede in vergleichbaren Fällen; so wurden z.B. Trunkenheitstäter im Straßenverkehr in Württemberg viele Jahre zu Gefängnis- bzw. Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt, während in Baden diese Strafen in der Regel zur Bewährung ausgesetzt wurden. In jenen Bundesländern, in denen Wein angebaut wird, war man im allgemeinen milder als in anderen Bundesländern. Auch nach der Strafrechtsreform von 1975, die die Geldstrafe in den Mittelpunkt der Strafzumessung rückte (siehe Wolf Middendorff 1981, S. 331 ff.), blieben erhebliche Unterschiede bestehen. Streng befragte 522 Richter und Staatsanwälte, wie sie den Fall einer Trunkenheitsfahrt mit 2,3 %o, verbunden mit fahrlässiger Körperverletzung und Unfallflucht, beurteilen würden. 61,8 Pro-

449

zent der Befragten wollten eine Geldstrafe verhängen, 27,4 Prozent eine Freiheitsstrafe mit Bewährung und 3,2 Prozent eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Die höchste Freiheitsstrafe war in zwölf Fällen höher als 1 Jahr, einmal sogar 30 Monate. Der niedrigste Wert war 1 Monat (Franz Streng 1984, S. 98). Neben regionalen und anderen Faktoren spielt auch die Persönlichkeit des Richters bei der Strafzumessung eine große Rolle, insbesondere die Art und Weise, wie er einzelne Faktoren gewichtet, ob z. B. stärker die Tat oder die Täterpersönlichkeit, die Schuld oder den Taterfolg, oder auch wie er die Belange und die Art der Beteiligung des Opfers an der Tat berücksichtigt. Bei einer Untersuchung von 120 Strafbefehlsakten des Landgerichtsbezirks Heidelberg bezüglich der Strafzumessung von Trunkenheitsfahrten nach §316 StGB ergab sich, daß die Richter der Höhe der Blutalkoholkonzentration des Täters überragende Bedeutung beigemessen hatten (Raimund Hassemer 1986, S. 25). Der wichtigste Faktor bei der Beurteilung der Täterpersönlichkeit ist die Vorbelastung, d. h. die Feststellung, ob der Täter im Rückfall gehandelt hat. Die Heidelberger Richter bewerteten auch diesen Faktor deutlich bei der Strafzumessung (Raimund Hassemer 1986, S. 30). Besondere Schwierigkeiten bei der Strafzumessung zeigen sich, wenn es gilt, bei Vergehen der fahrlässigen Tötung eine sehr geringe Schuld, d. h. eine leichte Fahrlässigkeit, mit einem sehr schweren Erfolg, wie z. B. der Tötung mehrerer Menschen, in einer Strafe zusammenzufassen (siehe Friedrich Geerds 1986, S. 9 8 - 1 0 1 ) . Bis heute wird der sogenannte Erfolg der Straftat gegenüber der Schuld überbewertet. Eine Umfrage der G U V U zeigte dies deutlich. Gefragt wurde: „Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären Verkehrsrichter. Vor Ihnen steht ein Mann, der mehr als die zulässige Menge Alkohol getrunken hat — sagen wir, er hätte 1,6 Promille — und der dennoch Auto gefahren ist. Er wurde bei einer Routinekontrolle zum ersten Mal erwischt. Wie würden Sie diesen Mann verurteilen? — Und wie wäre das, wenn dieser Mann einen Unfall verursacht hätte, bei dem es mehrere Verletzte gegeben hat?" „Hart wird erst die tatsächliche Folge beurteilt, während das hohe Unfallrisiko offensichtlich weniger berücksichtigt wird. Der Führerscheinentzug gilt offensichtlich als schwere Sanktion" ( G U V U , Nr. 35, November 1986; siehe auch Wolf Middendorff 1980). Viktimologische Erwägungen spielen bei der Strafzumessung in Verkehrsstrafsachen bisher kaum eine Rolle, obwohl sie in manchen Fällen große Bedeutung haben (siehe Hans Joachim Schneider 1987, S. 7 8 4 - 7 8 5 ) . Auch in der Bundesrepublik Deutschland wurde schon vielfach versucht, insbesondere auf dem Wege der Diskussionen unter Richtern und Staatsanwälten, die Maßstäbe für die Strafzumessung zu

450

Verkehrsdelikte

Strafzumessung

bei unfallfreier 1,6%0-Fahrt o/ /o

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Freispruch oder Ermahnung Strenge Verwarnung Verkehrsunterricht Geldstrafe Geldstrafe und Verkehrsunterricht Führerscheinentzug Führerscheinentzug und Verkehrsuntericht Führerscheinentzug und Geldstrafe Gefängnis (z. T. mit Geldstrafe oder Verkehrsunterricht) 10. Gefängnis und Führerscheinentzug

vereinheitlichen, so insbesondere auf den Deutschen Verkehrsgerichtstagen in Goslar. Einen Höhepunkt bildeten die Diskussionen im Arbeitskreis des Verkehrsgerichtstages 1966, in dem sich die „Falken" und die „Tauben" auf den Kompromiß einigten, beim Ersttäter eines Trunkenheitsdeliktes zwar eine Freiheitsstrafe zu verhängen, diese aber zur Bewährung auszusetzen (Wolf Middendorff 1982, S. 116). 1969 organisierte der Verfasser dieses Beitrages im Auftrag des Bundes gegen Alkohol im Straßenverkehr, Landessektion Südbaden, ein Seminar über Strafzumessung, an dem Richter aus allen Bundesländern teilnahmen. Ihnen waren vorher sieben Verkehrsstraffälle zugeleitet worden, die sie schriftlich mit Vorschlägen der Strafzumessung zurückreichten, und über die dann diskutiert wurde. Es ergaben sich bemerkenswerte Annäherungen in der Beurteilung der Fälle (Wolf Middendorff 1969, S. 8ff.; neuerdings siehe Günther Kaiser 1988, S. 819). Auch in der Schweiz ist bis heute die Strafzumessung bei Verkehrsdelikten, insbesondere Trunkenheitsfahrten, uneinheitlich (Gilbert Thiriet 1978). In Polen werden im Vergleich zur Bundesrepublik bei Verkehrsdelikten höhere Strafen, insbesondere Freiheitsstrafen, verhängt, weil sich die Schwere der Strafe im polnischen Recht vornehmlich am Ausmaß des verursachten Schadens orientiert (Andrzej Gaberle 1983). Auch in den U S A kann man nicht von einer gleichmäßigen Strafzumessung sprechen; die Strafen für Verkehrsdelikte sind zu milde oder zu streng, und man experimentiert gerne mit der Strafzumessung. Die Richter haben eine sehr große Entscheidungsfreiheit; nach einer Untersuchung im Staate Maryland spielten bei der Strafzumessung die Faktoren Rasse und Geschlecht, Einkommensverhältnisse, Familienstand und Alter der Angeklagten eine Rolle. Weibliche Angeklagte wurden milder beurteilt als männliche, was nicht nur in den USA der Fall ist. Auch Vorstrafen und die Höhe

bei l,6%o-Fahrt mit Unfallfolge (mehrere Verletzte) o/ /o

8,3 17,6 12,2 22,5 4,6 13,4 2,8 16,2

0,2 2,2 1,8 10,4 2,9 25,5 3,8 34,7

1,0 1,3

6,0 12,5

100%

100%

des Blutalkoholgehaltes waren für die Entscheidung bedeutsam (David Jacobs/Michael Fuller 1986, S. 785 ff.). In Kanada ist die Situation nicht anders; 206 Strafrichter beantworteten einen Fragebogen, in dem nach der Strafzumessung für einen 55jährigen selbständigen, nicht vorbestraften Trunkenheitstäter gefragt wurde, der sich bei der Heimfahrt nach einer Hochzeitsfeier einer fahrlässigen Tötung von zwei Kindern schuldig gemacht hatte. Die niedrigste Strafe war eine Geldstrafe von 300 Dollar, die höchste eine von 2 Jahren Gefängnis ohne Bewährung. Die meisten Richter hielten sich im Mittelbereich von 3 Monaten Haft ohne Bewährung mit Entzug der Fahrerlaubnis (T. S. Palys/Stan Divorski 1986). So verschieden auch die Richter die Wirkungen von Geldstrafen oder Freiheitsstrafen einschätzen, in einem sind sie sich wohl in allen Ländern einig, daß die Entziehung der Fahrerlaubnis die wirksamste Sanktion für Verkehrstäter überhaupt ist und, in vielen Fällen als einzige Sanktion verhängt, auch ohne begleitende Geld- oder Freiheitsstrafe genügen könnte, um die Strafzwecke zu erfüllen (Wolf Middendorff 1972, S . 8 9 f f . ; Johannes Andenaes 1988, S. 50; John R. Snortum 1988, S. 1 9 7 - 1 9 8 ) . In manchen Ländern wird bei der Strafzumessung dem Verkehrstäter, insbesondere dem Trunkenheitstäter, die Auflage gemacht, sich einer Schulung oder Nachschulung von verschieden langer Dauer zu unterziehen. In der Bundesrepublik gibt es mehrere Formen dieser Nachschulung, über deren Erfolge sich noch nichts Endgültiges sagen läßt; es gibt vorsichtigen Optimismus (Günther Kaiser 1987, S. 680). In einer anderen Untersuchung der Ergebnisse der Nachschulung heißt es: „Die Unterschiede zwischen Nachgeschulten und Nichtnachgeschulten in der Rückfallquote wegen Alkohol am Steuer — erfaßt durch die strafrechtliche Auffälligkeit — sind vermutlich bescheidener, als bisher in der Fachliteratur angenommen" (Anton Rosner 1988, S.256).

451

Verkehrsdelikte Für die .^Schweiz gilt ähnliches (Raphael Denis Huguenin u.a. 1988, S. 1 5 5 - 1 5 8 ) ; die USA haben die vielfältigsten Formen des "Driver Improvement" entwickelt (Edgar Spoerer 1979, S. 44ff.).

H. W e l z e l : Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte. Karlsruhe 1961. F. A . W h i t l o c k : Death on the R o a d . London 1971. Ε. W u l f f e n : Kriminalpsychologie. Berlin 1926.

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Sammelwerkaufsätze

Sammelwerke

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MIDDENDORFF

453

Dunkelfeldforschung

DUNKELFELDFORSCHUNG Seit einigen Jahren beginnen die „Vorbemerkungen" der bundesweiten „Polizeilichen Kriminalstatistik" (PKS), die das Bundeskriminalamt (BKA) jährlich veröffentlicht, mit dem Hinweis, daß „die Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik besonders dadurch eingeschränkt wird, daß der Polizei ein Teil der begangenen Straftaten nicht bekannt wird". Weiter heißt es, daß „sich der Umfang des Dunkelfeldes ... unter Einfluß variabler Faktoren (z. B. Anzeigebereitschaft der Bevölkerung, Intensität der Verbrechensbekämpfung) auch im Zeitablauf ändern dürfte".

A. Dunkelziffer und Dunkelzifferrelationen 1. Begriff des Dunkelfeldes ( Dunkelziffer) Nach der Definition des Bundeskriminalamtes umfaßt „das Dunkelfeld also die Summe jener Delikte, die den Strafverfolgungsbehörden (Polizei, Justiz) nicht bekannt werden und deshalb in der Kriminalstatistik auch gar nicht erscheinen" (so schon Schwind/Ahlborn/Eger et al. 1975). Nicht bekannt werden vor allem solche Straftaten, die von den Opfern (aus den verschiedensten Motiven) nicht angezeigt werden, denn nur zwei bis fünf Prozent aller registrierten Delikte werden Polizei und Justiz von Amts wegen (z. B. aus der Zeitung) bekannt (Kreuzer 1975 geht von 10 Prozent aus). In der Literatur wird anstelle des Begriffes „Dunkelfeld" häufig auch der Begriff der „Dunkelziffer"

Übersicht 1:

Polizei

1

1 1

benutzt. Diesen Ausdruck hat der japanische Staatsanwalt Shigema Oba in seiner (deutschen) Dissertation (1908) zum ersten Male verwendet, wobei er jedoch die englische Bezeichnung „dark number" mit „Dunkelziffer" und nicht mit „Dunkelzahl" übersetzt hat. Da die „Zahl" der Delikte, die im dunklen verbleiben, interessiert, und nicht deren „Ziffer", ist die Übersetzung zwar gründlich mißlungen, hat sich aber gleichwohl im deutschen Schrifttum durchsetzen können. Allerdings wird der Begriff nicht einheitlich definiert. So werden unter der „Dunkelziffer" (vgl. Übersicht 1) folgende Grundtypen verstanden: a) zunächst: die Dunkelziffer i. S. der oben zitierten Definition („unbekannte Straftaten"), die sich immer mehr durchsetzt; b) die Summe jener Delikte, die den Strafverfolgungsbehörden zwar bekanntwerden, bei denen aber der Täter unbekannt bleibt („unbekannte Täter"); c) die Summe jener Delikte, die den Strafverfolgungsbehörden zwar bekanntwerden, bei denen jedoch der vermutliche Täter nicht abgeurteilt werden kann, weil er z. B. verstorben ist („nicht abgeurteilte Tater"); d) die Summe jener Delikte, die den Strafverfolgungsbehörden zwar bekanntwerden, bei denen jedoch der (vermutliche) Täter nicht verurteilt werden kann, weil er z. B. in der Hauptverhandlung nicht überführt werden konnte („nicht verurteilte Täter"); e) die Zahl aller tatsächlich begangenen, aber nicht abgeurteilten Straftaten (a, b und c); f) die Zahl aller tatsächlich begangenen, aber nicht geahndeten Straftaten (a, b, c und d).

Dunkelzifferdeßnitionen

Zahl aller tatsächlich verübten Straftaten

Den Strafverfolgungsorganen bekannt gewordene Straftaten Den Strafverfolgungsorganen bekanntgewordene und aufgeklärte Straftaten

SsÄI^^BiiÄÄiÄ b

Dunkelziffer

c

Abgei. rfeilte

CO

—3

Verurteilte

d

e

i

f Die Dunkelzifferdefinitionen a, e, und f sind am gebräuchlichsten; für die vorliegende Untersuchung wird Definition a verwendet.

Quelle: Schwind/Ahlborn/Eger et al. 1975, 17

a

454

Dunkelfeldforschung

2.

Dunkelzifferrelationen

Beschrieben wird der Umfang des Dunkelfeldes mit Hilfe einer Dunkelzifferrelation: Diese wird definiert als Verhältnis aus der Zahl der der Polizei bekanntgewordenen Delikte zu der Anzahl der nicht bekanntgewordenen Straftaten. Die erste der beiden in die Dunkelzifferrelation eingehenden Größen ist eine (meist aufgrund der PKS) vorgegebene Zahl, die zweite Größe (die Anzahl der nicht bekanntgewordenen Delikte) wird mehr oder weniger sicher geschätzt bzw. mit den Methoden der empirischen Forschung ermittelt. Beispiel: Eine Dunkelzifferrelation von 1:2 (etwa beim Einbruch) bedeutet, daß auf eine den Strafverfolgungsbehörden bekanntgewordene Straftat (Einbruch) zwei weitere entfallen, die diesen nicht bekannt (z. B. nicht angezeigt) wurden.

B. Zur Geschichte der Dunkelfeldforschung Über das Verhältnis zwischen Hellfeld und Dunkelfeld der Kriminalität hat schon im neunzehnten Jahrhundert A. Quetelet (1869) nachgedacht. Dieser ging davon aus, daß zwischen beiden Feldern ein konstantes Verhältnis besteht, daß also dort, wo das Hellfeld klein ist, auch das Dunkelfeld klein ist. Dieses Verhältnis sei notwendig, schreibt er, denn „wenn es dieses nicht gäbe, wäre alles, was bis heute aufgrund der statistischen Unterlagen über Verbrechen ausgesagt wurde, falsch und absurd". Noch Hellmer (1974, 103) vermutet, daß uns z. B. in der Kriminalgeographie das „Dunkelfeld nicht interessiert, weil es überall gleich ist". Sack (1974, 473) verneint hingegen jede Aussagemöglichkeit an Hand der Kriminalstatistik, weil sie das (wechselnde) Dunkelfeld nicht berücksichtigen kann. Auch das Bundeskriminalamt mahnt inzwischen zur vorsichtigen Interpretation seiner Zahlen. So heißt es in den schon oben zitierten „Vorbemerkungen" zur PKS (z. B. PKS 1996, 7), daß „die Polizeiliche Kriminalstatistik ... kein getreues Spiegelbild der Kriminalitätswirklichkeit (biete), sondern eine je nach Deliktsart mehr oder weniger starke Annäherung an die Realität". D a ß das Dunkelfeld bei den einzelnen Delikten verschieden groß ist, zeigt schon ein Blick auf die Ergebnisse der Dunkelfeldforschung. Bis vor etwa dreißig Jahren lagen aus Deutschland allerdings insoweit lediglich vage Schätzungen vor, die als solche mehr oder weniger willkürlich waren. Sie beruhten auf reinen Spekulationen (Blindschätzungen) oder wenigstens auf Erfahrungen (z. B.) von Beamten der Polizei (Erfahrungsschätzungen). Gezielt angesetzte Primäruntersuchungen zur Erfassung des Dunkelfeldes, die sich sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden bedienen, sind erst in neuerer Zeit angestellt worden. Bei diesen

wird jedoch der Vergleich der Ergebnisse dadurch erschwert, daß -

die Schätzungsgrundlagen nicht übereinstimmen und - der Begriff der Dunkelziffer unterschiedlich definiert wird. Die Dunkelzifferdefinition a (vgl. oben), von der das Bundeskriminalamt ausgeht, kommt in den frühen Untersuchungen deshalb nicht vor, weil die PKS erst ab 1953 geführt wird. Bis dahin wurde grundsätzlich die Strafrechtspflegestatistik, die 1882 eingeführte Abgeurteiltenstatistik, als Ausgangspunkt der Überlegungen in Deutschland verwendet. Zu den bekanntesten Untersuchungen, die auf polizeilicher Erfahrung aufbauen, dürfte eine Arbeit über die „Latenz der Straftaten" gehören, die 1957 von Wehner veröffentlicht wurde. Dieser Autor konnte sich bereits auf die 1953 eingeführte PKS beziehen und dementsprechend die Definition a des Dunkelzifferbegriffs (vgl. oben) verwenden. Seine Untersuchung beginnt mit einer ausführlichen Überprüfung der Dunkelziffer bei den Tötungsdelikten. Dazu heißt es, daß „ein exakter Beweis für die mögliche Zahl latenter Kapitalverbrechen, ja auch nur für das Vorliegen eines einzigen unentdeckten Mordes, natürlich nicht möglich (sei), da sonst keine Latenz" (vorläge). Man könne aber untersuchen, in welcher vielfaltigen Form der Zufall Kapitalverbrechen entdecken lasse. Daraus könnten „Schlüsse gezogen werden" (1957, 19). Wehner geht dabei so vor, daß er zahlreiche Fälle, die nur zufallig entdeckt worden sind, in einem Kapitel über „Phänomene der Zufallsentdeckungen" beschreibt und aus diesen Schätzwerte ableitet. So glaubt er, den Beweis dafür führen zu können, „daß die Latenz der Tötungsdelikte wesentlich höher liegen muß als nur in der gleichen oder doppelten Höhe der entdeckten Fälle" (1957, 89). Er gelangt dabei zu Schätzungen, die zwischen 1 : 3 und 1:6 schwanken; d. h., auf ein bekanntgewordenes Tötungsverbrechen würden drei bis sechs andere entfallen, die den Strafverfolgungsbehörden nicht bekannt wurden (kritisch zu solchen Relationen z. B. Volmer 1988, 477 ff.). Die neueste Schätzung (von Oehmichen in Kriminalistik 1993, 139) klingt weniger spektakulär: 30:1. Wehners Verdienst ist es sicher, die bis dahin bekannten Minimal- und Maximalschätzungen übersichtlich (auch in bezug auf andere Straftaten) dargestellt zu haben. Gleichwohl haftet seinen Angaben ein Element des nur Ungefähren an, das allerdings in der Natur jeder Schätzung liegt. Diese Unsicherheit betrifft deshalb aber auch - wenn auch in einem weit geringeren Maße - die Resultate der gezielt angesetzten Primäruntersuchungen, mit denen sich die folgende Darstellung beschäftigen soll.

C. Methoden der Dunkelfeldforschung Als mögliche Methoden der Dunkelfeldforschung werden heute das „Experiment", die „teilnehmende Beobachtung" und die „Befragung" (in Form der

455

Dunkelfeldforschung Täter-, Opfer- oder Informantenbefragung) in der empirischen Forschung verwendet (zusammenfassend zur Methodik vgl. z. B. Müller 1978). Entsprechende Untersuchungen stammen vor allem aus den Vereinigten Staaten, England, Skandinavien und Deutschland (vgl. dazu die Übersichten bei Schwind/ Ahlborn/Eger etal. 1975; Stephan 1976; Villmow/ Stephan 1983; Block 1984; Schneider 1987, 192ff.; Schwind 1997, 29 ff.).

1.

Experiment

Dabei wird unter dem Experiment die „wiederholbare Beobachtung unter kontrollierten Bedingungen" verstanden, und zwar mit dem Ziel, eine zugrundeliegende Hypothese (Behauptung eines Kausalzusammenhanges) zu überprüfen. Ein solches Vorgehen ist in der empirischen Sozialforschung durchaus üblich. Dennoch hat sich diese Methode in der Dunkelfeldforschung nicht durchsetzen können, und zwar deshalb nicht, weil in diesem Rahmen die Kontrolle aller möglichen Variablen und Störeinflüsse nicht möglich erscheint (vgl. Müller 1978). Als Beispiel für ein Experiment kann bei Anlegung eines großzügigen Maßstabes eine Untersuchung von Blankenburg (1973, 120 ff.) in Freiburg eingestuft werden: An normalen Werktagen wurde nachmittags zwischen 15 und 18 Uhr in den Selbstbedienungsläden eines großen Einzelhandelsunternehmens eine Serie von vierzig Ladendiebstählen mit zwei „Dieben" und je einem Beobachter durchgeführt. Ziel des Experiments war es, das Risiko kennenzulernen, mit dem ein Ladendieb bei „normalem" Vorgehen rechnen muß. Der „Diebstahl" sollte so ungeschickt ausgeführt werden, wie es von einem ungeübten Dieb zu erwarten ist. Die Waren, die eingekauft bzw. „gestohlen" werden sollten, waren vorgeschrieben: ein Pfund Kaffee bzw. eine Dose mit Fleisch und Gemüse, also Gegenstände, die so groß waren, daß sie nicht in der Hand oder im Ärmel verschwinden konnten. Die „Diebe" hatten eine Aktentasche mitzuführen; sie sollten „ordentlich", aber nicht elegant angezogen sein. Unmittelbar im Anschluß an den „Diebstahl" sollten „Dieb" und Beobachter unabhängig voneinander ein (standardisiertes) Protokoll über den Vorgang ausfüllen. Gerechnet wurde mit einer „normalen" Dunkelziffer von etwa 90 Prozent, also 10 Prozent Entdeckungen. Tatsächlich wurden jedoch 39 Diebstähle mit Erfolg durchgeführt, nur ein Dieb gab sein Vorhaben auf, weil er sich entdeckt fühlte. Die Dunkelzifferrelation dürfte demnach beim Ladendiebstahl mehr als 1 : 9 betragen, d. h., auf einen entdeckten Ladendiebstahl entfallen wahrscheinlich mindestens neun andere, die nicht entdeckt werden; ähnliche Schätzungen finden sich schon bei Schoreit (1979). In diesem Zusammenhang soll auch der Hinweis nicht fehlen, daß sich Kunden, die einen Diebstahl deutlich mitansehen können, offenbar um solche Vorgänge nicht im-

mer kümmern (anzeigen, Lärm schlagen). So waren sich „Dieb" und Beobachter zumindest in zwei Fällen darüber einig, daß andere Kunden den „Diebstahl" beobachtet hatten; keiner dieser Kunden wurde jedoch im Hinblick auf die Ergreifung des Täters aktiv. Nur eine der Kundinnen soll dem „Dieb", als sich dieser entfernte, noch „lange und strafend nachgesehen" haben.

2. Teilnehmende

Beobachtung

Als teilnehmende Beobachtung wird die „geplante Wahrnehmung des Verhaltens von Personen in ihrer natürlichen Umgebung durch einen Beobachter (bezeichnet), der an der Interaktion teilnimmt und von den anderen Personen als Teil ihres Handlungsfeldes angesehen" (anerkannt) wird (Friedrichs 1973, 288). Das entscheidende Kriterium für die teilnehmende Beobachtung ist danach „die Übernahme einer konkreten sozialen Rolle und des entsprechenden Verhaltens, also die Mitgliedschaft in dem soziokulturellen System" (Mayntz/Holm/Hübner 1978, 100). Beispiele bilden die Untersuchungen von Humphreys (1973), der als vermeintlich homosexueller „Aufpasser" die sexuellen Begegnungen (Praktiken) in öffentlichen Toiletten untersucht hat; ferner die Untersuchungen von Haferkamp (1975), der Mitarbeiter in Gruppen von Ladendieben, Drogenabhängigen und Rockern einschleusen konnte, oder auch die Beobachtungen von Kürzinger (1977), der in Polizeiuniform festzustellen versuchte, wie sich die Vorgänge der Anzeigeerstattung in der Praxis abspielen. Die Kritik an der „teilnehmenden Beobachtung" bezieht sich vor allem darauf, daß sich die gefundenen Resultate - wie beim Experiment - nicht verallgemeinern lassen, weil sie sich nur auf bestimmte kleine Gruppen beziehen (vgl. Müller 1978). Metzger-Pregizer (1974, 230) weist darüber hinaus auf die besondere Problematik dieser Methode hin, die darin besteht, daß sich der Wissenschaftler „in dreifacher Hinsicht schuldig (mache): einmal gegenüber dem Opfer (dem er nicht beisteht), zum zweiten gegenüber seinem Beobachtungsobjekt, dem er möglicherweise einige Jahre Gefängnis hätte ersparen können, zum dritten sich selbst gegenüber, was seine strafrechtliche Verantwortung anbetrifft".

3.

Befragung

Das gebräuchlichste Verfahren, das sich in der empirischen Sozial-Forschung (zur Aufhellung des Dunkelfeldes) entwickelt hat, ist die Befragung: face to face, per Post oder per Telefon. Insoweit ist wiederum zwischen Täterbefragung, Opferbefragung und Informantenbefragung zu unterscheiden. Gefragt wird meist an Hand eines Fragebogens, dessen Fragen vorher im Wortlaut genau festgelegt und je-

456

Dunkelfeldforschung

weils in gleicher Reihenfolge gestellt werden (standardisiertes Interview). Bei mündlichen Umfragen ist (nach Kury 1994, 22 ff.) in stärkerem Maße mit dem Auftreten sozial erwünschter Verhaltenstendenzen zu rechnen als bei schriftlicher Befragung. Bei der schriftlichen (postalischen) Befragung sind hingegen die Ausfallquoten relativ hoch: zu wenig Adressaten schicken den Fragebogen wieder zurück. Bei der besonders kostengünstigen telefonischen Befragung (dazu Hormuth/Brückner 1985), bei der diese Probleme weniger auftreten, muß damit gerechnet werden, daß Teile der sozialen Unterschicht (mangels Telefonanschluß) nicht erreicht werden können (dazu Baurmann et al. 1991 und Kury 1991, 268). Erfaßt wird im übrigen nicht „die" Kriminalität als solche, sondern (nur) „deren soziale Wahrnehmung, die durch Erinnerungsvermögen, Beurteilungsfähigkeit und Mitteilungsbereitschaft der Befragten, sowie durch die methodologischen Vorgaben der Erhebungsinstrumente gefiltert ist" (Kunz, 1994, 243). Soweit Stichproben (samples) befragt werden, ist es notwendig, die entsprechenden Streubreiten zu berechnen, wie das z. B. in den Göttinger und Bochumer Untersuchungen geschehen ist (vgl. unten). Ohne Streubreitenangaben sind jedenfalls Fehlinterpretationen Tür und Tor geöffnet. a) Bei der T ä t e r b e f r a g u n g („self-reported delinquency") wird der Proband (die Versuchsperson) etwa einer Zufallsstichprobe gefragt, ob er selbst in einem bestimmten Zeitraum ein nicht entdecktes Delikt verübt hat; meist werden Personen aus (besonders mitteilungsfreudigen sowie leicht zugänglichen) Gruppen befragt: etwa Schüler einer Klasse, Lehrlinge oder Studenten einer Vorlesung, Soldaten usw. Beispiele dafür: schon in den vierziger Jahren fragte Porterfield (1946) 200 männliche und 137 weibliche College-Studenten der Texas-ChristianUniversity anhand eines anonym ausgegebenen Fragebogens nach insgesamt 55 verschiedenen Rechtsbrüchen. Dabei ergab sich, daß sämtliche Probanden schon mehr oder minder schwere Delikte verübt hatten, und zwar angeblich hin bis zum Mord(!). Ein Theologiestudent soll sogar 27 Straftaten eingeräumt haben. Solche Studentenbefragungen sind seither häufig durchgeführt worden. So befragten z. B. Schwind und Eger (1973) 290 Jura-Studenten und Studentinnen einer Strafrechtsanfängerübung in Göttingen anhand eines Fragebogens, der in der Übung ausgeteilt und anonym ausgefüllt wurde; die Probanden waren 19—23 Jahre alt und befanden sich in der Regel im zweiten oder dritten Semester. Als besonders auffällige Delikte, die noch nach dem 18. Lebensjahr (unentdeckt) verübt worden waren, wurden genannt: Trunkenheit am Steuer (von 60,7% der Probanden), Unfallflucht (23,1%), Nahrungsmittel im Supermarkt gestohlen (19,3%), sonstige Kaufhausdiebstähle (12,4%), Preisschilder ausgetauscht

zwecks Täuschung im Rechtsverkehr (12,8%), Bücher aus der Seminarbibliothek der Universität entwendet oder beschädigt (4,4%). - Kreuzer und seine Mitarbeiter (1990, 11 ff.) haben (z. B.) im Wintersemester 1988/89 die insgesamt rund 2800 Erstsemester aller Fachrichtungen der Universität Gießen nach eigenem delinquenten Verhalten befragt, und zwar ebenfalls anhand eines Fragebogens, den 60% der Probanden ausgefüllt wieder zurückgeschickt haben. Ergebnisse: Frauen berichteten von bestimmten Formen delinquenten Verhaltens seltener als Männer. Insbesondere bei Verhaltensweisen, die Gewalt gegen Personen oder Sachen betrafen, war der Frauenanteil deutlich geringer. So räumten 36,5% der männlichen, aber nur 13% der weiblichen Erstsemester ein, schon einmal an einer Schlägerei beteiligt gewesen zu sein. Auch bei Sachbeschädigungen zeigt sich dieser Geschlechterunterschied. Jeweils rund 20% der Männer gaben beispielsweise an, öffentliches Eigentum (18,2%) oder anderer Leute Sachen (20,8%) mutwillig beschädigt zu haben; die entsprechenden Resultate der Frauen liegen mit 2,5% und 7,2% deutlich niedriger. Bei den Diebstahlsdelikten nähern sich die Geschlechter demgegenüber etwas an. So berichteten etwa 35% der Studentinnen und 45% der Studenten darüber, schon einmal einen Ladendiebstahl begangen zu haben. Annähernd geschlechtergleich häufig wurde berichtet: über „Schwarzfahren" (von jeweils 75%), Urkundenfälschung (jeweils 36%: z. B. Fälschen der elterlichen Unterschrift) und Entwendung von Büchern, Zeitschriften u. ä. aus Bibliotheken (17% bzw. 16%). — Im Dezember 1990 schickte Kreuzer mit seinem Team (Kreuzer et al. 1992, 1993, 1994) dann ähnliche Delinquenzbögen an Studienanfänger in West (Gießen) und Ost (Jena und Potsdam). Beteiligt haben sich 3732 Studentinnen und Studenten: 1772 aus dem Westen und 1465 aus dem Osten; das entspricht einer Rücklaufquote von 57%. Gefragt wurde nach unentdeckten und entdeckten Straftaten, die in den letzten 12 Monaten mindestens einmal verübt wurden. Besonders auffällige Ergebnisse: Ladendiebstähle räumten 130 „Westler" ein (7,3%) und 269 „Ostler" (18,5%); beim Schwarzfahren waren es 523 „Westler" (29,5%) und 1073 „Ostler" (73,2%). Entdeckt worden ist kaum ein Proband. Das Mißerfolgsrisiko ist bei solchen Straftaten jedoch generell gering, und das hat sich offensichtlich rasch auch in den neuen Bundesländern herumgesprochen. Das gilt auch für das Führen von Kfz im angetrunkenen Zustand: 398 „Westler" (28,1%) und 198 „Ostler" (13,8%) räumten das ein. Dabei wirkte bei den „Ostlern" offenbar noch die 0,5 Promillegrenze (die in der früheren D D R gültig war) nach: die Zahl der Rechtsbrecher war wahrscheinlich deshalb erheblich geringer. Weitere Täterbefragungen haben (ab 1970) z. B. durchgeführt Remschmidt/Merschmann/Walter 1975; Kirchhoff 1975; Albrecht/Howe/WolterhoffNeetix 1988; Kreuzer et al. 1990; Übersicht bis 1984:

Dunkelfeldforschung bei Schneider 1987, 192 ff. Die „Auswirkungen unterschiedlicher methodischer Vorgehensweisen auf die Ergebnisse selbstberichteter Delinquenz" werden zusammenfassend von Kreuzer et al. (1992, 91 ff.) ausführlich besprochen. Über international durchgeführte Täterbefragungen (International SelfReport-Delinquency-Studies = ISRD) berichtet Klein 1989. Die Vorbehalte gegenüber der Täterbefragung resultieren aus „methodischen Mängeln der Genauigkeit, Widerspruchsfreiheit und Verläßlichkeit der erfragten Delinquenz" (so Kaiser 1993, 222). Vor allem wird im Schrifttum die Zuverlässigkeit der Selbstangaben zu eigenen Straftaten in Frage gestellt (vgl. dazu ausführlicher z. B. Kreuzer et al. 1993); ganz abgesehen von Fehlwahrnehmungen und von der oft geringen Bereitschaft der Täter, dem Interviewer eigene (heikle) Straftaten (Scham), die bisher nicht entdeckt wurden, (vollständig) zu offenbaren (Tabuschwelle). Junger (1989, 273) schätzt den Anteil der Befragten, die eigene Straftaten überhaupt nicht zugeben, auf 10 bis 20 Prozent. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor besteht schließlich darin, daß zahlreiche Straftaten, die ein Täter unentdeckt begangen hat, dennoch in der Kriminalstatistik erscheinen, und zwar als unaufgeklärt. Bemängelt wird schließlich, daß sich die bisher veröffentlichten Selbstmelde-Studien nahezu ausnahmslos auf Kinder, Jugendliche und Heranwachsende beschränken (Kaiser aaO) und deshalb die Gesamtpopulation nicht repräsentieren; auf der anderen Seite wird auch kein „repräsentativer Querschnitt der Gesamtjugend" erfaßt (Kreuzer 1994, 12). b) Bei der O p f e r b e f r a g u n g („reports on victimization") wird der Proband etwa einer Zufallsstichprobe (etwa aus der Kartei des Einwohnermeldeamtes) darüber befragt, ob er (in einem bestimmten Zeitraum) Opfer von bestimmten nicht angezeigten (oder angezeigten) Delikten geworden ist. Wenn die Hochrechnung der angezeigten Straftaten mit der PKS übereinstimmt, dürfte das auch für die Richtigkeit der Zahl der angegebenen nicht angezeigten Delikte sprechen. Diese Form der „Doppelbefragung" wurde z. B. in den Göttinger und Bochumer Opferbefragungen (vgl. unten) verwendet. Die Opferbefragungen dürften im übrigen (im Vergleich zu den Täterbefragungen) die sichereren Ergebnisse bringen, da zu erwarten ist, daß ein Opfer eher als ein Täter bereit ist, Auskunft über verübte Delikte zu geben. Allerdings eignen sich nicht alle Straftaten für die Opferbefragung gleichermaßen (vgl. dazu z. B. auch Kreuzer 1994, 14 f.); so müssen z. B. (aus begreiflichen Gründen) die (vollendeten) Tötungsdelikte aus der Opferbefragung ausscheiden; das dürfte aus naheliegenden Überlegungen auch für die Vergewaltigung gelten (anders wohl Kirchhoff/ Kirchhoff 1979); ferner gibt es Tatbestände - wie den Betrug —, die tatbestandlich so kompliziert sind, daß das Opfer meist gar nicht recht weiß, ob es Opfer geworden ist oder nicht. Hinzu kommen zahlrei-

457

che weitere Straftaten, die nicht erfaßt werden können, weil sie sich nicht gegen Privatpersonen richten. Dazu gehören vor allem die Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, Vermögensdelikte zum Nachteil juristischer Personen, Umweltschutzdelikte usw. Zu den Straftaten, die sich für die Opferbefragung hingegen gut eignen, gehören z. B. „einfacher" Diebstahl (Diebstahl ohne erschwerende Umstände), „Einbruch" (Diebstahl unter erschwerenden Umständen), Raub und Körperverletzung. Aber auch bei diesen Straftaten darf die Gefahr von Gedächtnislücken (fehlende Erinnerung) nicht außer Betracht bleiben. Schließlich darf man nicht übersehen, daß Verweigerungsquoten bzw. Ausfallquoten die Resultate verzerren; mißlich ist, daß zahlreiche Untersuchungen über diese keine oder kaum Informationen enthalten. Die ersten Opferbefragungen sind (in den 60er Jahren) in den USA durchgeführt worden (Biderman et al. 1967; Ennis 1967 und Reiss 1967), und zwar als Pilotprojekte für eine landesweite Befragung, die dort seit 1972 regelmäßig durchgeführt wird. Beispiele aus Deutschland: eine Göttinger Studie (1974) und zwei Bochumer Arbeiten (1976 und 1986) sind deshalb in ihren Ergebnissen gut miteinander vergleichbar, weil sie mit grundsätzlich demselben Leitungsteam (Schwind/Ahlborn/Eger et al. 1975; Schwind/Ahlborn/Weiß etal. 1978; Schwind/ Ahlborn/Weiß et al. 1989) und grundsätzlich mit der gleichen Methodik (Opferbefragung einer Zufallsstichprobe aus der Einwohnermeldekartei; Fragebogenmethode; Berechnung von Streubreiten; Signifikanztest) durchgeführt wurden. Das gilt auch für eine Solinger Opferbefragung (Plate/Schwinges/Weiß 1985), in der die gleiche Methodik wie in Bochum und Göttingen angewandt wurde (vgl. zu den Resultaten die Übersicht 2). Weitere Beispiele: Kräupl und Ludwig (1993) befragten im November/Dezember 1991 (schriftlich per Fragebogen) 2901 Jenaer Bürger (eine Zufallsstichprobe aus dem Einwohnermelderegister) danach, ob sie in den letzten 12 Monaten Opfer von Straftaten mit „besonderer Alltagsrelevanz" geworden waren. Vorgegeben waren 12 Delikte. Von 2901 versandten Fragebögen kamen 49% ausgefüllt wieder zurück. Die Ergebnisse beziehen sich auf 2194 „auswertbare Fragebögen". 40,9% der Probanden meinten, im letzten Jahr mindestens einmal Opfer solcher Delikte geworden zu sein; das ist auffallig. Denn bei Kury (1994, 2 ff.), der einen weit längeren Zeitraum abgefragt hatte (fünf Jahre), waren es „nur" 28,2%. Mehrmals betrogen worden zu sein, meinten 174 (18,2%) der Befragten, mehrmalige Einbrüche gaben 24 (6,5%) an, mehrmalige Körperverletzungen 22 (4,7%). 56 Probanden (8,7%) berichteten darüber, daß ihnen mehrmals etwas aus dem Auto gestohlen worden sei bzw. Autoteile geklaut worden wären. Mehrmals beraubt wurden nach eigenen Angaben: vier (1,4%). Eine Dunkelzifferrelation wurde nicht berechnet. — Eine erste g e s a m t d e u t s c h e O p f e r -

458

Dunkelfeldforschung Übersicht 2:

Ort/Untersuchungszeitraum

Dunkelzifferrelationen

Stichprobe; Gesamtausfallquote, davon Verweigerer „einfacher" Diebstahl (ohne Warenhausdiebstahl)

Dunkelzifferrelationen wahrscheinlichster Wert; (Ober- und Untergrenzen) „schwerer" vors. KörperDiebstahl verletzung

Göttingen (1973)

1,0 % der Bevölkerung; 7,4%; 4,2%

1:15 (1:13 bis 1:17)

1:2 (1:2 bis 1:3)

1:8 (1:4 bis 1:11)

Bochum I (1975)

0,5% der Bevölkerung; 15,2%; 10,0%

1:6 (1:5 bis 1:7)

1:2 (1:1 bis 1:2)

1:7 (1:4 bis 1:10)

Solingen (1982)

1,0% der Bevölkerung; 36,9%; 16,6%

1:3 (1:2 bis 1:4)

1:1 (1:1 bis 1:2)

1:5 (1:2 bis 1:7)

Bochum II (1986)

0,5% der Bevölkerung; 20,0%; 12,0%

1:8 (1:7 bis 1:9)

1:1 (1:1 bis 1:1)

1 :6 (1:4 bis 1:9)

Quelle: Schwind 1997, 37

Übersicht 3 Delikthäufigkeiten DDR/BRD Nennungen zu mindestens einem der folgenden Delikte für die letzten 5 Jahre

Diebstahl PKW Diebstahl aus PKW Schaden an PKW Diebstahl Krad Diebstahl Fahrrad

wmmmmmmmmmmmmmmmmmmmms^msuem mmsammmmamcmmiism äääääMiä

Einbruch Einbruch, versucht Raub Diebstahl Sexuelle Belästigung Tätlicher Angriff

m

DDR (n = 4999) BRD (n = 2027)

16 Prozent

Quelle: Dörmann 1991, 296

be f r a g u n g wurde im Herbst 1990 im Auftrag des Bundeskriminalamtes und des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht durchgeführt (vgl. Dörmann 1991, 295f.; Kury et al. 1992,152): Befragt wurden 4999 Personen ab 14 Jahren in der früheren D D R (bzw. in den neuen Bundesländern) und 2027 in den alten Bundesländern, und zwar danach, ob sie in den letzten fünf Jahren Opfer

bestimmter Straftaten wurden. Die Ergebnisse zeigt die Übersicht 3. Auffällig ist manche Ähnlichkeit der Resultate. Weitere Opferbefragungen haben (ab 1980) ζ. B. durchgeführt: Stadler 1987; Schwarzenegger 1992; Baurmann et al. 1991; Kreuzer et al. 1993; Übersicht bis 1984 bei Schneider 1987, 203 ff.; zu zukünftigen Befragungen Sessar 1995, 159 ff.

459

Dunkelfeldforschung Über internationale Opferbefragungen berichten Arnold (1986, 1014 f.), van Dijk/Mayhew/Killias 1990, und Dünkel/KrainzAVürger 1991, 123 ff. Bei der Interpretation länderübergreifend angelegter Untersuchungen ist allerdings immer Vorsicht geboten, weil „nationen- und regionsspezifische Unterschiede durch kulturgeprägte Wahrnehmungstoleranzen und Mitteilungsbereitschaften sozialer Auffälligkeiten bestimmt sein" können (so Kunz 1994, 247). c) Bei der I n f o r m a n t e n b e f r a g u n g wird ein Proband gefragt, „ob er Kenntnis von der Ausführung bestimmter Delikte, die von anderen gegen andere verübt wurden, erlangt hat" (Stephan 1972, 115); hier wird also nicht danach gefragt, ob der Befragte Täter oder Opfer wurde, sondern danach, ob er etwas über Straftaten anderer Personen angeben kann. Solche Informationen haben z. B. Lösel (1975) und Brusten/Hurrelmann (1973/1976) sowie Schwind/Ahlborn/Roitsch/Gielen (1995; 2. Aufl. 1997) von Lehrern über das Verhalten von Schülern erbeten; Gold (1966) ließ sich von seinen Informanten die Namen der Täter angeben; in anderen Untersuchungen blieb der Täter bewußt anonym, so z. B. bei Stephan (1976) und Treiber (1973). d) Unter k o m b i n i e r t e n B e f r a g u n g e n werden solche verstanden, in denen Täter-, Opfer- und Informantenbefragungen kombiniert durchgeführt werden. Erwähnt werden können insoweit z. B. die Untersuchungen von Treiber (1973), Stephan (1976) und Villmow/Stephan (1983). Beispiele: Treiber (1973) hat in Deutschland 222 Rekruten und 36 Offiziere in einer kombinierten Tater-Opfer-Informantenbefragung nach nicht entdeckten Normverstößen befragt und dabei u. a. ermittelt, daß „die Anteile derjenigen, die Normbrüche zugeben, in der Regel niedriger sind als die Anteile, die durch die Informantenbefragung zustande kommen". Die meisten Deliktsfragen Treibers sprachen allerdings Normverstöße an, die nur in der „totalen Institution" des Militärs vorkommen können, wie „mit dem Gewehr auf Kameraden gezielt" (die Verstöße bewegen sich zwischen 44% und 54%) oder „scharfe Munition im Spind aufbewahrt" (rund 4%). - Auch Stephan hat (1976) in Stuttgart mit Hilfe der Fragebogenmethode die Probanden von zwei Teilstichproben befragt: In der ersten Teilstichprobe befanden sich 440 Haushaltsvorstände, in der zweiten 633 Haushaltsmitglieder. Die zweite Gruppe wurde nach selbst erlittenen Opfersituationen gefragt, die erste zusätzlich nach Opfersituationen der übrigen Haushaltsmitglieder (insoweit zugleich Informantenbefragung). Dadurch beziehen sich die Informationen auf insgesamt 1645 Personen. Bei einer Verweigerungsquote von 14,4% haben sich folgende Resultate ergeben: Auf jeden Probanden entfielen im Durchschnitt 0,42 Opfersituationen. Die obere soziale Schicht hatte dabei in beiden Teilstichproben den größten Opferanteil, während die obere Unterschicht am wenigsten zu den Opfern gehörte. Angezeigt wurden nach den Angaben der Befragten nur

46% der Delikte. - Villmow und Stephan (1983) haben in einer Gemeinde 920 männliche Probanden im Alter zwischen 14 und 25 Jahren als Tater, Opfer und Informanten befragt, ob sie bei zwölf ausgewählten Delikten in den vergangenen zwölf Monaten betroffen waren. Kontroll- und Wiederholungsstudien wurden zur Absicherung et al. folgender Resultate benutzt: — 11% der Befragten räumten ein, selbst eine Straftat begangen zu haben; 23% waren Opfer geworden; 27% waren zugleich als Tater und Opfer in Erscheinung getreten und 39% weder als Täter noch als Opfer; — zahlreiche Probanden (etwa die Hälfte) hatten ein oder zwei Delikte verübt, wiederholte Rechtsbrüche (vier und mehr Taten) wurden aber immerhin von 42% der Delinquenten eingeräumt; — die Angehörigen der sozialen Unterschichten waren am wenigsten, diejenigen der Oberschichten am häufigsten in Opfersituationen geraten (die Unterschiede sind jedoch statistisch nicht signifikant).

D. Zum Ertrag der bisherigen Dunkelfeldforschung Faßt man die Ergebnisse der bisherigen Dunkelfeldforschung (die sich naturgemäß nur auf einen Teil der Delikte bezieht) zusammen, so ergibt sich im Trend etwa folgendes Bild: 1. Es werden grundsätzlich weniger Straftaten angezeigt als nicht angezeigt, d. h., das Dunkelfeld ist grundsätzlich größer als das Hellfeld; die Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt also nur einen verzerrten Ausschnitt aus der Gesamtkriminalität, die sich aus Hellfeld und Dunkelfeld zusammensetzt: die „Spitze des Eisbergs" aller tatsächlich verübten Straftaten. 2. Es existiert ein von Delikt zu Delikt (mehr oder weniger stark) variierendes Dunkelfeld. 3. Die Polizeiliche Kriminalstatistik kann auch deshalb nicht als Indikator für die Gesamtkriminalitätszahlen benutzt werden, weil sich der Umfang des Dunkelfeldes unter dem Einfluß variabler Faktoren (z. B. Anzeigebereitschaft der Bevölkerung, Intensität der Verbrechensbekämpfung) auch im Zeitablauf ändert. Das bedeutet, daß das „Gesetz der konstanten Verhältnisse" (Quetelet Bd. 2, 1869, 251), nach dem zwischen Hellfeld und Dunkelfeld der Kriminalität ein konstantes Verhältnis besteht, das Rückschlüsse vom Hellfeld auf das Dunkelfeld zuläßt, widerlegt ist (vgl. dazu Schwind 1995, 42). 4. Insbesondere die Jugendkriminalität dürfte sehr viel weiter verbreitet sein als die Polizeiliche Kriminalstatistik erkennen läßt. Bei bestimmter Kriminalität (etwa Ladendiebstahl, Sachbeschädigung) scheint es sich bei Jugendlichen und Kindern um

460

Dunkelfeldforschung

eine allgemein übliche Erscheinung zu handeln; fast jeder im Rahmen der Täterbefragungen Befragte gab Straftaten zu, die nicht entdeckt worden waren. 5. Den Feststellungen der Polizeilichen Kriminalstatistik entsprechend scheinen Mädchen nicht nur im Hellfeld, sondern auch im Dunkelfeld weit weniger kriminalitätsbelastet zu sein als Jungen. Allerdings ist der Geschlechterabstand im Dunkelfeld (mit einem Verhältnis von 1 : 2 ) geringer als der Hellfeldabstand (mit etwa 1:3). Dieser Abstand nimmt jedoch mit steigender Häufigkeit und Schwere der abgefragten Delikte wieder zu. 6. Je schwerer die Kriminalität bzw. je höher der Schaden des Opfers ist, desto kleiner fällt das Dunkelfeld aus: das gilt auch für den Schaden bei Diebstahlsdelikten (vgl. Übersichten 4 a und 4 b). Schwere Delikte werden eher als leichtere angezeigt

(vollendete eher als versuchte). Dementsprechend wird als bestimmendes Motiv der Nichtanzeige in Deutschland die „Geringfügigkeit des erlittenen Schadens" genannt; die Befürchtung der „Ineffektivität der Strafverfolgungsorgane" (die z. B. in den U S A eine Rolle spielt) fallt demgegenüber kaum ins Gewicht. 7. Vollendete Straftaten werden häufiger angezeigt als versuchte. 8. Kriminelles Verhalten ist zwar in allen sozialen Schichten zu finden, aber nicht (zwingend) ubiquitär (jedenfalls nicht in allen Schichten gleich häufig verteilt). In schichtenspezifischer Hinsicht scheinen sich Unterschiede in der Häufigkeit der verübten Delikte und in deren Schwere zu zeigen: Unterschichtangehörige geben zumindest mehr bzw. „andere" Delikte als Angehörige der Mittel- und Oberschicht an.

Übersichten 4 α und 4 b: Gesamtzahl der Diebstahlsdelikte (ohne Warenhausdiebstahl) — aufgeteilt in angezeigte und nicht angezeigte Straftaten — in Abhängigkeit vom Wert der entwendeten Sachen

Bochum 1975 Fälle in Tsd.

Delikt: Diebstahl (ohne Warenhausdiebstahl)

24

Bagatellen

6-25 DM

26-100 D M

angezeigte Delikte

101-1000 D M

ab 1001 D M

nicht angezeigte Delikte

Bochum 1986 Fälle in Tsd.

Delikt: Diebstahl (ohne Warenhausdiebstahl!

24 20 16 12

8 4

0 Bagatellen

6-25 D M

26-100 D M

angezeigte Delikte

Quelle: Schwind/Ahlborn/Weiß 1989, 112

Η

101-1000 D M nicht angezeigte Delikte

ab 1001 D M

Dunkelfeldforschung 9. Männer verüben häufiger Straftaten als Frauen; sie werden aber auch öfter Opfer. Junge Leute tragen ein höheres Risiko, Opfer zu werden, als ältere Menschen. 10. Polizeibekannte Delinquenten sind im Durchschnitt höher belastet als nicht polizeibekannte Rechtsbrecher. 11. Das Risiko der Entdeckung steigt mit der Zahl der verübten Delikte und deren Schwere: Offiziell registrierte Täter haben im allgemeinen wesentlich mehr Delikte verübt als die nicht registrierten Täter. 12. In Stadtgebieten fallt auf, daß neben hohen Hellfeldzahlen meist auch hohe Dunkelfeldzahlen feststellbar sind.

E. Zur kriminalpolitischen Bedeutung Die Dunkelfeldforschung ist nicht nur (wie manche meinen) in wissenschaftlicher Beziehung interessant; sie besitzt auch Bedeutung für die Praxis der Strafverfolgungsbehörden und letztlich für die Kriminalpolitik: nämlich als zusätzliches Meßinstrument für die Kriminalitätsentwicklung (kritisch z. B. Schneider 1987, 215 ff.).

1. Interpretation der Polizeilichen Kriminalstatistik Wenn in der PKS z. B. für 1996 (gegenüber 1995) eine Abnahmerate von 0,3% festgestellt wird (PKS 1996, 21), so kann diese Abnahme folgende Ursachen haben: -

1996 ist weniger angezeigt worden als 1995 oder (und) - im Vergleich zum Vorjahr hat 1996 die Verfolgungsintensität der Polizei abgenommen oder (und) - es liegen programmtechnische Fehler vor (etwa Mindererfassungen) oder (und) - die Kriminalität hat sich 1996 tatsächlich vermindert.

Da (zumindest noch) unbekannt ist, mit welcher dieser Ursachen die registrierte Veränderung der statistischen Zahlen tatsächlich zu tun hat, ist bei der Interpretation der PKS äußerste Vorsicht geboten, das gilt nicht nur für den Journalisten oder für den Kriminalpolitiker, der im Rahmen der repressiven und präventiven Verbrechensbekämpfung Entscheidungen fallt. Zur Bedeutung der Verfolgungsintensität folgendes Beispiel: Wegen ständiger gewalttätiger Demonstrationen im Raum Gorleben wurde 1981 die Kriminalpolizei in Lüchow-Dannenberg erheblich verstärkt mit der Folge, daß die Zahl der registrierten Tatverdächtigen anstieg. Diese Tendenz setzte sich

461

auch noch nach der Beendigung der Demonstrationen weiter fort. Während 1980 dort 3,49% der 14- bis 21jährigen als Tatverdächtige (TV) registriert worden sind, lag die entsprechende Quote 1981 bei 5,69% und 1982 bei 6,49% (Steigerungsquote insgesamt: 3 Prozentpunkte). Im übrigen LG-Bezirk (Lüneburg) stiegen die TV-Zahlen zwar auch, aber nur um lediglich einen Prozentpunkt (Pfeiffer in DVJG: Bericht über den 20. Deutschen Jugendgerichtstag 1987, 2 ff./ 34 ff.). Daraus ergibt sich die (plausible) Vermutung: je mehr Polizei eingesetzt wird, desto mehr Straftaten werden bekannt: Die registrierten Kriminalitätszahlen steigen. Auch für die Strafverfolgungsbehörden (vgl. schon Herold 1977) ist die PKS danach eher eine Statistik, die nur über die Tätigkeit der Polizei Auskunft gibt: „Gleichwohl sind diese Datenquellen wichtig, liefern sie doch wenigstens ein Abbild der offiziell registrierten, der für die Öffentlichkeit sichtbaren, für die Meinungsbildung in Allgemeinheit und Politik bedeutsamen Kriminalität und damit zugleich Anhaltspunkte für den strafjustiziellen Umgang mit dieser Kriminalität, etwa für die Prozesse der Kriminalisierung und Entkriminalisierung im G a n g der Strafverfolgung von der Polizei bis hin zum Urteil und Strafvollzug" (Kreuzer 1983, 51). Die Gesamtkriminalität (als Grundlage kriminalpolitischer Entscheidung) ergibt sich erst aus der Addition von Hell- und Dunkelfeldzahlen; daraus folgt das Postulat nach statistikbegleitender Dunkelfeldforschung.

2. Statistikbegleitende Dunkelfeldforschung als Postulat Solche kontinuierlichen (jährlichen oder halbjährlichen) Untersuchungen - die sich allerdings nur auf wenige (Massen-)Delikte erstrecken (können) — finden z. B. seit 1972 in den Vereinigten Staaten und seit 1973 in den Niederlanden statt: in beiden Ländern als „Haushaltsbefragungen". a) In der niederländischen Studie werden jährlich rund 11 000 Haushalte in den Monaten Januar und Februar befragt (vgl. die Veröffentlichungen des Central Bureau voor de Statistiek); die Stichprobe des amerikanischen Nationalen Berichts zur Kriminalitätslage bzw. „National Crime Survey" (NCS) umfaßt rund 60000 Wohneinheiten mit rund 130000 Bewohnern, die zweimal jährlich (nach einem besonderen Rotationssystem) interviewt werden (dazu Skogan 1990, 256 ff.; Kreuzer 1994, 14); bis 1977 wurden zusätzlich rund 40000 Gewerbebetriebe befragt. Wegen der unterschiedlichen Methodik (dazu Schwind/Ahlborn/Weiß et al. 1989, 92 ff.) sind die beiden Replikationsreihen allerdings nur mit größter Vorsicht vergleichbar. Gleichwohl fallt auf, daß die Viktimisierungsrate z. B. für Einbruch (Hell- und Dunkelfelddelikte spezifisch addiert) seit 1973 in den

462

Dunkelfeldforschung

USA nicht zu-, sondern abnimmt; in den Niederlanden ist es umgekehrt. Vielleicht hat der Unterschied auch damit zu tun, daß die US-Befragungen aus Kostengründen telefonisch durchgeführt werden (zu den computer-assisted-telephone-interviews = CATI: vgl. Killias 1990, 153 ff.). b) In verschiedenen anderen Ländern werden die Viktimisierungsraten unregelmäßig erhoben. So fanden Replikationsstudien z. B. in England und Wales 1981 und 1983 (vgl. Hough/Mayhew 1985) und in Finnland (vgl. Aromaa 1984, 11 ff.: nur zur Gewaltkriminalität) 1970, 1973 und 1976 statt (vgl. dazu den Überblick bei Schwind/Ahlborn/Weiß et al. 1989, 92 ff.). Für Deutschland hat immer wieder Dörmann die bundesweite statistikbegleitende Dunkelfeldforschung gefordert (vgl. zuletzt Dörmann 1988, 403 ff.). Eine entsprechende Umfrage hat das BKA „zu methodischen Testzwecken" 1984 durch das EMNID-Institut durchführen lassen; befragt wurden 2000 Personen ab vierzehn Jahren (Dörmann 1988, 404): zwei Drittel der Befragten gaben an, die Tat bei der Polizei (mit Unterschrift) angezeigt zu haben. „Ähnlich übertriebene Angaben zum Anzeigeverhalten (schreibt Dörmann aaO) werden offensichtlich auch beim NCS in den USA gemacht, wenn z. B. jedes zweite Vergewaltigungsopfer angibt, die Tat bei der Polizei angegeben zu haben." In den USA leidet die Datenqualität (es werden nur wenig nicht angezeigte Straftaten angezeigt) offenbar wie schon erwähnt - an der (nur) telefonischen Befragung, bei der BKA-Umfrage daran, daß „die bundesweit verteilten Interviewer mit vertretbarem Aufwand nicht genügend geschult werden können, zumal in strafrechtlicher oder kriminologischer Hinsicht" (Dörmann aaO). Deshalb dürfte sich eher als die flächendeckende Befragung der Bevölkerung des Bundesgebiets eine sich wiederholende „Inselbefragung" anbieten, z. B. im Anschluß an die Bochumer Umfragen: also statistikbegleitende jährliche Replikationsstudien in (etwa 10) ausgewählten Städten und Gemeinden der Bundesrepublik Deutschland (so wohl auch Dörmann aaO, 405).

3. Realistische Einschätzung Auflclärungsquo te

der

Legt man die Zahlen der PKS zugrunde, ist damit zu rechnen, daß in Deutschland nicht nur die (1994) registrierten rund 2,1 Millionen schweren Diebstahlsdelikte (Diebstahlsdelikte unter erschwerenden Umständen) verübt wurden, sondern bei einer Dunkelzifferrelation von nur 1:2 rund sechs Millionen. Die reale Aufklärungsquote, die beim Diebstahl unter erschwerenden Umständen knapp 14 Prozent beträgt, dürfte, wenn man sie auf Hell- und Dunkelfeld bezieht, also tatsächlich (bezogen auf die Gesamtkriminalität) bei nur rund 4 Prozent liegen. Beim einfachen Diebstahl (Diebstahl ohne erschwerende Umstände) würde die Aufklärungsquote

bei einer Dunkelziffer-Relation von 1:6 auf unter 10 Prozent absinken. Rechnet man die Aufklärungsquote beim Ladendiebstahl/Warenhausdiebstahl (deren Dunkelfeld auf mehr als 1:9 geschätzt wird: vgl. oben) noch heraus, dann dürfte die realistische Aufklärungsquote des sonstigen einfachen Diebstahls sogar weit unter die 5-Prozent-Grenze absinken; denn beim Warenhausdiebstahl liegt die Aufklärungsquote bei fast hundert Prozent, und zwar deshalb, weil Tat und Täter (vom Kaufhausdetektiv, Kaufhauspersonal oder Kundschaft) meist gleichzeitig entdeckt werden; damit gilt das Delikt schon als aufgeklärt und verschönt (eigentlich unverdientermaßen) die Statistik der Polizei.

4. Informationen über das Anzeigeverhalten Aus kriminalpolitischer Sicht interessiert ferner, weshalb Straftaten vom Opfer nicht angezeigt werden bzw. weshalb angezeigt wird. Hat z. B. das Vertrauen in die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden damit zu tun? Die (vergleichbaren) Opferbefragungen Bochum I und Bochum II ergeben dazu das folgende Bild: nicht angezeigt wird aus den in der Übersicht 5 aufgelisteten Gründen, die Motive der Anzeige (in Abhängigkeit zum Versicherungsschutz) ergeben sich aus der Übersicht 6. Dabei zeigt sich, daß sowohl für die Anzeige als auch für die Nichtanzeige materielle Motive im Vordergrund stehen. Man zeigt primär dann nicht an, wenn der Schaden gering ist (Übersicht 5: Motive 5/8/13/14 = 61,1% bzw. 49,0%) und man zeigt an, wenn man sich Schadenersatz von der Versicherung verspricht (Übersicht 5: 58,5%) oder hofft, das verlorene Gut irgendwie zurückzubekommen (Übersicht 6: 21,3%). Die Befürchtung der „Ineffektivität der Strafverfolgungsorgane" (Übersicht 6: 21,6% bzw. 30,7%: Motive 2/3/ 4), das aus kriminalpolitischer Sicht auf (bedenkliche) Vertrauensverluste in die staatlichen Strafverfolgungsbehörden hindeuten könnte, rangiert hierzulande (zumindest bis Ende der 80er Jahre) noch (mit weitem Abstand) auf dem zweiten Rangplatz der Motive für die Nichtanzeige der Straftat. Daß viele Straftaten wieder vergessen werden, und zwar insbesondere diejenigen, die nicht angezeigt wurden, zeigt die Übersicht 7. Für die Dunkelfeldforschung heißt das, daß dem Opfer Zeit zum Erinnern eingeräumt werden muß. Und: Je kürzer der Zeitraum ist, der im Rahmen eines Forschungsprojektes abgefragt wird, desto genauer ist die Information durch die Opfer. In der Regel werden die in der Dunkelfeldforschung ermittelten Deliktszahlen eher zu niedrig als überhöht sein. Dagegen könnte allerdings der sog. T e l e s c o p i n g - E f f e k t sprechen: „Ereignisse aus früheren Jahren werden von den Befragten (mitunter) fälschlich in den Befragtenzeitraum verschoben und die Dunkelfeldergebnisse dadurch überhöht" (Dörmann 1988, 404).

463

Dunkelfeldforschung

Übersicht 5: Gründe der Nichtanzeige, bezogen auf alle nicht angezeigten Diebstahlsdelikte in den Untersuchungen Bochum I und II Motiv- Kurzbezeichnung

*) geordnet nach der Rangfolge der Untersuchung Bochum II

B o c h u m I (1975)

Quelle: Schwind/Ahlborn/Weiß et al. 1989, 248



B o c h u m II (1986)

464

Dunkelfeldforschung

Übersicht 6: Die Motive für eine Anzeige in Abhängigkeit vom Versicherungsschutz; Diebstahlsopfer, die angezeigt haben (n = 129) Motive für eine Anzeige Versicherungsschutz

Um das verlorene Gut zurückzuerhalten/um Schadensersatz vom Täter zu erhalten 1

Die Anzeige war notwendig, um Schadensersatz von der Versicherung zu erhalten 2

Bezugsgröße

Es war richtig, das zu tun; es war meine Pflicht

Weil ich mich geärgert habe

Damit der Täter bestraft wird

Damit so etwas nicht noch einmal passiert

Sonstiges

3

4

5

6

7

Keine Angaben

sind alle

Insgesamt

versichert

19 21,3% — 50,0% i

52 58,4% 91,2%

3 3,4% 75,0%

1 1,1% 25,0%

8 9,0% 72,7%

4 4,5% 50,0%

1 1,1% 25,0%

1 1,1% 33,3%

89 100% 69,0%

nicht versichert

19 50,0% 50,0%

4 10,5% 7,0%

1 2,6% 25,0%

3 7,9% 75,0%

3 7,9% 27,3%

3 7,9% 37,5%

3 7,9% 75,0%

2 5,3% 66,7%

38 100% 29,5%

keine Angaben insgesamt

0 38 29,5% 100%

1 50,0% 1,8%

0

57 44,2% 100%

4 3,1% 100%

0 4 3,1% 100%

0 11 8,5% 100%

1 50,0% 12,5% 8 6,2% 100%

0

0

4 3,1% 100%

3 2,3% 100%

2 100% 1,6% 129 100% 100%

Quelle: Schwind/Ahlborn/Weiß et al. 1989, 255

5. Berücksichtigung Rückkoppelungseffekten

von

Die bisher zur Dunkelfeldforschung aufgeführten Phänomene stehen schließlich in einem Abhängigkeitsverhältnis, das die polizeiliche Arbeit in Form von Rückkoppelungsmechanismen tangiert und auch für die kriminalpolitische Lagebeurteilung Bedeutung besitzt. Solche Effekte bestehen nämlich zwischen — — — —

Hellfeld, Dunkelfeld, Aufklärungsquote, Vertrauen der Bevölkerung in die Effektivität der Polizei (Anzeigeverhalten) sowie — der sogenannten „Erwartungssicherheit" des Straftäters, unter der wir dessen Erwartung verstehen, gefaßt und abgeurteilt zu werden (Mißerfolgsrisiko).

Ein Beispiel dazu: Geht man davon aus, d a ß sich die Forschung nur auf die aufgeklärten Delikte bezieht, sind das beim Diebstahl unter erschwerenden U m s t ä n d e n („Einbruch") nur rund 4% aller Straftaten dieser Art. Sollten nur die verurteilten l a t e r den Untersuchungsgegenstand bilden, bleiben lediglich 1 bis 2% übrig (vgl. Übersicht 8). Sind diese für die Grundgesamtheit aller Rechtsbrecher dieser Art überhaupt repräsentativ? Leder weist darauf hin (1993, 692), d a ß „alle vermeintlich gesicherten Erkenntnisse und Informationen über abweichendes Verhalten und Kriminalität (durch das Dunkelfeld) in Frage gestellt" werden (so allerdings auch schon Schwind in JR 1974, 12 ff.). M o n o g r a p h i e n und

Ist das Mißerfolgsrisiko gering (wie z. B. für die Punker bei den „Chaostagen" 1994 und 1995 in Hannover), läuft der Polizei zu Lasten der Bürger die Kriminalitätskontrolle aus dem Ruder. 6. Dilemma

der

Forschung

Vor dem Hintergrund der erheblichen Dunkelfeldzahlen müssen naturgemäß alle Forschungsergebnisse problematisch erscheinen, die sich nur auf das aufgeklärte Hellfeld beziehen.

Sammelwerke

Biderman, A. S., Johnson, L., Mc Intyre, J., Weir, Α.: Field surveys, I: Report on a pilot study in the district of Columbia on victimization and attitudes toward law enforcement. Washington 1967. Block, R. (Hrsg.): Victimization and fear of crime: World perspectives. Washington 1984. Brüsten, Μ., Hurrelmann, Κ.: Abweichendes Verhalten in der Schule. Eine Untersuchung zu Prozessen der Stigmatisierung. München (1. Auflage 1973, 3. Auflage 1976). Dijk van, J., Mayhew, P., Kiilias, M.: Experiences of crime across the world. Key findings from the 1989 International Crime Survey. Boston. Ennis, Ph.H.: Criminal victimization in the United States. A report of a national survey. Washington 1967.

465

Dunkelfeldforschung Übersicht 7: Verteilung der offiziell registrierten und der erinnerten (nicht angezeigten) Delikte (Göttinger Dunkelfeldforschung)

1. Quartal 1973

2.

3.

4.

Quelle: Schwind/Ahlborn/Eger et al. 1975, 175

Friedrichs, J. (Hrsg.): Methoden empirischer Sozialforschung. Reinbek 1973. Haferkamp, H.: Kriminelle Karrieren. Hamburg 1975. Hough, Μ., Mayhew, P.: Taking account of crime: Key findings from the 1974 British Crime Survey. London 1985. Kaiser, G.: Kriminologie. Eine Einführung in die Grundlagen. 9. Auflage, Heidelberg 1993. KirchhofT, G. F.: Selbstberichtete Delinquenz. Göttingen 1975. Kräupl, G., Ludwig, H.: Wandel kommunaler Lebenslagen, Kriminalität und Sanktionserwartungen. Freiburg/Br. 1993. Kreuzer, Α.: Drogen und Delinquenz. Wiesbaden 1975. Kürzinger, J.: Private Strafanzeige und polizeiliche Reaktion. Berlin 1977. Kunz, K.-L.: Kriminologie, Bern 1994. Kury, H. et al.: Opferbefragungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit. Wiesbaden 1992. Lösel, F.: Handlungskontrolle und Jugenddelinquenz. Stuttgart 1975. Mayntz, R., Holm, K., Hübner, R.: Einführung in die Methoden der empirischen Soziologie. 5. Auflage, Opladen 1978.

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466

Dunkelfeldforschung

Übersicht 8: Filterstufen (des Ausleseprozesses) bei Diebstahlsdelikten in NRW (§§ 242 -244 StGB)

1995

ω ,_ O) CD « Qfic ι 5 3 0 0 1

Abgeurteilte (zum Begriff s.Rdn. 6)

Verurteilte

-σ i= m

^

zu Freiheitsstrafe bzw. Jugendstrafe Verurteilte

Quellen: 1. Polizeiliche Kriminalstatistik N R W 1995 (hrsg. vom L K A NW) 2. Strafverfolgungsstatistik N R W 1995 * Hochrechnung aufgrund der Resultate der Dunkelfeldforschung Bochum 1975 und 1986 (mit N R W aber nicht ohne weiteres vergleichbar).

467

Kinder- und Jugenddelinquenz Schwind, H.-D., Ahlborn, W., Weiß, R. et al.: Empirische Kriminalgeographie. Kriminalitätsatlas Bochum. Wiesbaden 1978. Schwind, H.-D.: Kriminologie. Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen. 8. Auflage, Heidelberg 1997. Schwind, H.-D., Ahlhorn, W., Weiß, R. et al.: Dunkelfeldforschung in Bochum 1986/87. Eine Replikationsstudie. Wiesbaden 1989. Schwind, H.-D., Roitsch, K., Ahlborn, W., Gielen, B. (Hrsg.): Gewalt in der Schule. Mainz 1995 (2. Auflage, Mainz 1997). Stadler, H.: Kriminalität im Kanton Uri. Eine Opferbefragung. Entlebuch (Schweiz) 1987. Stephan, E.: Die Stuttgarter Opferbefragung. Wiesbaden 1976. Villmow, B., Stephan, E.: Jugendkriminalität in einer Gemeinde. Freiburg/Br. 1983. Wehner, B.: Latenz der Straftaten. Wiesbaden 1957.

Zeitschriften und

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SCHWIND

KINDER- UND JUGENDDELINQUENZ I. D E F I N I T I O N DER D E L I N Q U E N Z A. Konstrukt der Delinquenz Kinder und Jugendliche durchleben verschiedene Entwicklungsphasen, die sich in ihrer Eigenart voneinander unterscheiden. Kinder bis zum Alter von acht Jahren verhalten sich nur äußerst selten delin-

468

Kinder- und Jugenddelinquenz

quent. Im Alter zwischen acht und vierzehn Jahren delinquieren Kinder schon häufiger; sie sind allerdings strafrechtlich schuldunfahig (§ 19 StGB). Die 14- bis 18jährigen Jugendlichen und die 18- bis 21jährigen Heranwachsenden sind zwar stark mit Delinquenz belastet, nach deutschem Jugendstrafrecht aber in unterschiedlicher Weise nur bedingt verantwortlich (§§ 1, 3, 105 JGG). Kinder- und Jugenddelinquenz im engeren Sinne ist ein Verhalten, das als eine Straftat im Sinne des Strafrechts definiert werden würde, wenn es von einem Erwachsenen begangen worden wäre (Robert C. Trojanowicz, Merry Morash 1992, 3). Darüber hinaus unterliegen Kinder und Jugendliche wegen ihrer Erziehungsbedürftigkeit und wegen ihrer altersmäßigen Verletzbarkeit Schul-, Erziehungs- und Jugendschutzbestimmungen, bei deren Verletzung durch Kinder und Jugendliche man in den USA von Jugenddelinquenz („Juvenile Delinquency") im weiteren Sinne spricht und die man dort Status-Delikte nennt (Peter C. Kratcoski, Lucille Dunn Kratcoski 1996, 2 - 4 ) . Zu solchen Status-Delikten gehören z. B. Weglaufen aus dem Elternhaus, Herumstreunen und Schulschwänzen, die als Vorformen der Kinderund Jugenddelinquenz (im engeren Sinne) kriminologisch bedeutsam sind, die aber hier nur am Rande mitbehandelt werden. Entgegen dem überwiegenden Sprachgebrauch im deutschsprachigen Raum, in dem man immer noch von Jugend- und sogar mitunter von Kinderkriminalität spricht, werden hier die Begriffe Kinder- und Jugenddelinquenz (im engeren Sinne) aus folgenden Gründen verwandt: — Es soll zum Ausdruck gebracht werden, daß zwischen Erwachsenenkriminalität und Kinder- und Jugenddelinquenz wesentliche Unterschiede bestehen. Kinder- und Jugenddelinquenz sind hauptsächlich entwicklungsbedingt, vorübergehend und episodenhaft. Kinder, Jugendliche und Heranwachsende sind entweder überhaupt nicht oder nicht voll strafrechtlich verantwortlich. — Mit dem Begriff Delinquenz sollen das starke soziale Unwerturteil und die übermäßige Brandmarkung vermieden werden, die mit dem Begriff Kriminalität verbunden sind. Es soll deutlich gemacht werden, daß auf Delinquenz und Kriminalität in unterschiedlicher Weise, nämlich auf Delinquenz weniger mit Repression und Strafe als vielmehr mit Prävention und Erziehung, reagiert werden muß.

B. Historische Entwicklung des Konstrukts Jugend und Delinquenz sind soziale Konstruktionen, die erst im 19. Jahrhundert „erfunden" worden sind (Clemens Bartollas 1997, 10-15; James F. Short 1990a, 29/30). Im Mittelalter gab es keine Übergangszeit zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Das Kind trat übergangslos in die Welt der

Erwachsenen ein. Initiationsriten, festlich-rituelle Zeremonien, z. B. Schwertleite, Ritterschlag, markierten die Grenze zwischen den Lebensabschnitten des unmündigen Kindes und des „vollwertigen" Erwachsenen. Wegen ihrer hohen Sterblichkeit wurden Kinder ziemlich gleichgültig behandelt; sie mußten von frühester Kindheit an in Haus und Hof mitarbeiten, lebten allerdings auch in der Großfamilie relativ geborgen. Da die Lebenserwartung im Vergleich zur Gegenwart wesentlich niedriger war, stellten 18- bis 21jährige Heranwachsende und 21- bis 25jährige Jungerwachsene einen Großteil der Erwachsenen des Mittelalters. Aufgrund der Industrialisierung und der Verstädterung bildete sich erst im 18. und 19. Jahrhundert langsam eine Jugendzeit heraus, die sich von der Kindheit und dem Erwachsenenalter abhob. Das Berufsleben im Industriezeitalter erforderte eine lange schulische und berufliche Ausbildung, so daß sich zwischen Kindheit und Erwachsenenalter eine Übergangszeit schob, die ganz der Erziehung und Ausbildung gewidmet war. Mit Industrialisierung und Verstädterung setzte sich weiterhin die Erkenntnis durch, daß die Jugend des Schutzes vor Ausbeutung (Kinder- und Jugendarbeit) und vor schädlichen Einflüssen (z. B. Alkoholkonsum, verfrühter Sexualität) bedarf. Das Industriezeitalter zerstörte die Großfamilie, die sich wegen der großstädtischen beengten Wohnverhältnisse und der erhöhten Mobilität, die mit der industriellen Produktionsweise verbunden ist, nicht mehr zu halten vermochte. Aufgrund der Berufstätigkeit der Eltern wurden Identifikations- und Beaufsichtigungsmöglichkeiten für die Jugend in der Kernfamilie immer unzulänglicher. Sie war nicht mehr so gut in ein Netz sozialer Beziehungen, z. B. in Nachbarschaft, Verwandtschaft, eingeordnet. Es entstand, besonders in der Unterschicht der Industriegesellschaften, eine Jugend-(„Teenager"-)subkultur mit eigenen Wertvorstellungen und Verhaltensmustern, mit eigenen Konsum- und Freizeitgewohnheiten und mit einem eigenen Jugendstatus. Dadurch, daß man die Jugend von Arbeit und Verantwortung weitgehend ausschloß und sich selbst überließ, wurde die Teilung in Erwachsenen- und Jugendgesellschaft begünstigt. Das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern und der Erziehungsstil der Eltern änderten sich mit der historischen Entwicklung. Während man noch im 18. Jahrhundert den kindlichen Trotz und die kindliche „Verstocktheit" mit Schlägen brechen zu müssen glaubte, ermutigte man zu Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, besonders in den USA, die „Natürlichkeit" des Kindes. In der jüngsten Vergangenheit und in der Gegenwart sind die Kinder und Jugendlichen einerseits immer abhängiger von ihren Eltern geworden; sie sind auf deren Unterstützung in mannigfaltiger Weise voll und ganz angewiesen. Andererseits hat sich in der Erziehung so etwas wie eine Eltern-Kinder-Partnerschaft entwickelt, die es dem Kind und Jugendlichen noch schwerer

Kinder- und Jugenddelinquenz macht, sich mit erwachsenen Rollenmodellen zu identifizieren. Hinzu kommt die wachsende Bedeutung der Gleichaltrigengruppe („Peer-Group"), die in zunehmender Weise die maßgeblichen Wertmaßstäbe und Leitbilder für die Sozialisation setzt. Ende des 19. Jahrhunderts erfanden die „Kinderretter" („Child Savers") in den USA das Konzept der Jugenddelinquenz, um den sozialen Fehlentwicklungen zu begegnen, die mit Industrialisierung und Verstädterung entstanden waren (Anthony M. Platt 1969). Sie gründeten im Jahre 1899 in Chikago das erste Jugendgericht, das als Modell für die ersten Jugendgerichte in Deutschland (im Jahre 1908 in Frankfurt/Main, Berlin und Köln) diente. Auf diese Weise wollten sie die delinquenten Jugendlichen „entkriminalisieren" (Arnold Binder, Gilbert Geis, Dickson Bruce 1988, 67) und den wachsenden Konflikten zwischen Erwachsenen und Jugendlichen entgegenwirken. Freilich hatte diese Entwicklung auch eine negative Kehrseite. Denn in Wirklichkeit vergrößerten sie die Konflikte. Sie verstärkten mit ihrer Hilfe nämlich die Abhängigkeit der delinquenten Jugend; sie schmälerten ihr ihre Verfassungs- und Verfahrensrechte, und nicht wenige „Kinderretter" versuchten als „moralische Unternehmer" (Howard S. Becker), ihre eigene persönliche und soziale Identität dadurch zu finden, daß sie sich von der „verdorbenen" Jugend abhoben, und ihre schwindende elterliche Autorität dadurch wieder zu stärken, daß sie Jugendgerichte gründeten (William B. Waegel 1989, 17).

quenz mehr oder weniger verteilt. Am einen Ende des Kontinuums befindet sich die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen, die keine Delikte oder leichtere Delikte seltener verüben. Am anderen Ende des Kontinuums steht eine Minderheit von Kindern und Jugendlichen, deren Delikte häufig und schwer sind. Diese Minderheit ist nicht nur für den Großteil der Straftaten und speziell der Gewaltdelikte verantwortlich. Sie entwickelt sich auch vermehrt zu Rückfalltätern, deren Delinquenz sich einlernt und zur Kriminalität hin fortbildet, die auch im Erwachsenenalter bestehen bleibt. Man kann bei der Kinder- und Jugenddelinquenz also eine Zweiteilung in Delinquente, die keine Straftaten oder leichtere Rechtsbrüche seltener begehen und deren Delinquenz sich in ihrer Masse mit Wahrscheinlichkeit spontan zurückbildet (Episodenhaftigkeit), und in Delinquente vornehmen, deren Rechtsbrüche schwerer und hartnäckiger sind und die sich in der Gefahr befinden, in ihrer Jugendzeit zu chronischen Delinquenten und als Erwachsene zu Rückfalltätern und Berufsverbrechern zu werden. -

Die Instanzen der formellen Sozialkontrolle (z. B. Polizei, Gerichte) erfahren nur von einem kleinen Bruchteil der begangenen Delikte. Da allerdings die häufigeren und schwereren Rechtsbrüche mit größerem Schaden eher angezeigt werden als die selteneren und leichteren Straftaten, kennen sie die häufigere und schwerere Delinquenz in höherem Maße als die seltenere und leichtere. Das Entdeckungsrisiko hängt also von Häufigkeit und Schwere der Delinquenzbegehung ab. Die Toleranz der Gesellschaft läßt nach, wenn Kinder und Jugendliche häufiger und schwerer delinquent werden.

-

Mädchen und weibliche Jugendliche sind im Dunkelfeld weit weniger delinquenzbelastet als Jungen und männliche Jugendliche. Der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Delinquenzbelastung ist allerdings im Dunkelfeld nicht so groß wie im Hellfeld (in der offiziellen Delinquenzstatistik), weil Mädchen und weibliche Jugendliche weniger häufig delinquent werden, weil sie leichtere Straftaten begehen und weil ihre Delikte deshalb in höherem Maße als bei ihren männlichen Altersgenossen nicht angezeigt werden und im Dunkelfeld verbleiben.

-

Delinquenz ist grundsätzlich ein Gruppenphänomen („Co-offending") (Albert J. Reiss 1988). Sie wird meist in Gesellschaft Gleichaltriger (häufig zu zweit) verübt. Das bedeutet freilich nicht, daß die meiste Kinder- und Jugenddelinquenz „Gang"- oder Bandendelinquenz ist. Außer der gut organisierten, sozial sichtbaren Bande gibt es noch mannigfaltige formlosere, lockere, kurzlebige Gesellungsformen (z. B. Rudel, Horden, Rotten, Cliquen), die sehr verbreitet sind.

-

Delinquentes Verhalten findet sich zwar in allen Bevölkerungsschichten. Die zahlreicheren und

II. DIMENSIONEN DER KINDERUND JUGENDDELINQUENZ A. Häufigkeit Die moderne Dunkelfeldforschung, die Selbstberichtuntersuchungen und die Studien zum Opferwerden (Larry J. Siegel, Joseph J. Senna 1997, 3 4 - 8 4 ; Jack E. Bynum, William E. Thompson 1996, 51-89; Robert M. Regoli, John D. Hewitt 1991, 25-49), hat die Erkenntnisse zur Jugenddelinquenz wesentlich bereichert und erweitert. Ihre Erträge können, soweit sie sich auf die Kinder- und Jugenddelinquenz beziehen, folgendermaßen zusammengefaßt werden: Ein großer Teil der Delinquenz bleibt unentdeckt, den Instanzen der formellen Sozialkontrolle, z. B. der Polizei und den Gerichten, unbekannt. Die meiste Delinquenz, die im Dunkelfeld der verborgenen, nichtangezeigten Straffalligkeit bleibt, ist allerdings leichterer Art (z. B. vandalistische Handlungen, Ladendiebstähle) und bildet sich spontan zurück. Mit ihrem Älter- und Reiferwerden und mit ihrer Einordnung in die Gesellschaft hören die meisten Kinder und Jugendlichen mit Straftaten von selbst auf, ohne daß es eines offiziellen Eingreifens bedarf. - Es gibt keine Zweiteilung in Delinquenz und Nichtdelinquenz. Innerhalb der Jugend ist Delin-

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Kinder- und Jugenddelinquenz

schwereren Straftaten werden aber von Kindern und Jugendlichen der sozial und wirtschaftlich niedrigeren Bevölkerungsschichten begangen (Arnold Binder, Gilbert Geis, Dickson Bruce 1988, 29-33). Die Rechtsbrüche der Unterschichtsjugendlichen werden allerdings auch häufiger angezeigt, weil die Unterschicht eine härtere, unnachsichtigere Einstellung zur Delinquenz besitzt und weil sie nicht in demselben Maße wie die Mittel· und Oberschichten über Selbsterziehungsmöglichkeiten („soziale Puffer") verfügt. Die Instanzen der formellen Sozialkontrolle beurteilen die Rechtsbrüche der Unterschichtsjugendlichen als schwerer und gefährlicher als die der Mittelschichtsjugendlichen. Nach der offiziellen Kriminalstatistik ist die Delinquenzbelastung der Jugend höher als die Kriminalitätsbürde der Erwachsenen. Bei einer durchschnittlichen Kriminalitätsbelastung von 2.212 ermittelten Tatverdächtigen auf 100.000 Einwohner im Jahre 1995 betrug die Delinquenzbelastung der 14- bis 18jährigen Jugendlichen 6.431 und die der 18- bis 21jährigen Heranwachsenden 6.354 (Tatverdächtigen-Belastungszahlen). Die 8- bis 14jährigen Kinder sind mit einer Delinquenzbelastungszahl von 1.855 und die über 21jährigen Erwachsenen mit der Kriminalitätsbelastungszahl von 1.863 unterdurchschnittlich beschwert (Bundeskriminalamt 1996, 80). Bei männlichen Jugendlichen und Heranwachsenden ist die höhere Delinquenzbelastung im Vergleich zu männlichen Erwachsenen noch ausgeprägter. Die stärkere Delinquenzlast der Jugendlichen und Heranwachsenden spiegelt sich in den Verurteiltenzahlen wider (Statistisches Bundesamt 1997b, 10/11). Die unterschiedliche altersmäßige Belastung mit Verurteilten ist in diesen Zahlen gegenüber den Zahlen der Tatverdächtigen allerdings abgemildert. Denn auf Straftaten Jugendlicher und Heranwachsender wird in stärkerem Maße als auf Rechtsbrüche Erwachsener Sanktionsverzicht (z. B. Verfahrenseinstellung) geleistet. Auch in Osterreich ist die Belastung der Jugend mit Delinquenz höher als die der Erwachsenen mit Kriminalität (Bundesministerium für Inneres 1996, 23). Doch wirkt sich der Sanktionsverzicht in Österreich auf die Verurteilungen der delinquenten Jugend ebenso spürbar aus wie in der Bundesrepublik (Österreichisches Statistisches Zentralamt 1996,20/21). Die höhere Delinquenzbelastung der Jugendlichen und Heranwachsenden ist nicht nur ein delinquenzstatistisches Artefakt, das durch die größere Anzeigehäufigkeit, die leichtere Überführbarkeit, die höhere Geständnisbereitschaft bei delinquenten Jugendlichen und Heranwachsenden und die stärkere Strafverfolgungsintensität ihnen gegenüber entsteht. Diese Faktoren mögen im Hellfeld der bekanntgewordenen Delinquenz eine gewisse Bedeutung haben. Die Überbelastung der Jugend mit Delinquenz zeigt sich indessen — in abgeschwächter Form auch in Dunkelfeldstudien (Larry J. Siegel, Joseph J. Senna 1997, 6 2 - 6 5 ; Josine Junger-Tas 1994). Sie

ist eine Folge der Entwicklungsbedingtheit der meisten Jugenddelinquenz (Integrations- und Anpassungskonflikte). Mit dem Älter- und Reiferwerden der Jugendlichen und Heranwachsenden ändert sich ihr Lebensstil, und ihre Delinquenz bildet sich in der Mehrzahl der Fälle spontan zurück („Aging Out").

B. Charakteristik Erwachsenenkriminalität, z. B. Wirtschaftskriminalität, Organisiertes Verbrechen, und Kinder- und Jugenddelinquenz sind in ihrer Eigenart und in ihren Erscheinungsformen, insbesondere auch in ihrer Motivation (Arthur Kreuzer 1993), höchst unterschiedlich. Während das ökonomische Prinzip (geringer Aufwand, großer Erfolg) einen Großteil der Erwachsenenkriminalität ausmacht, trägt die Jugenddelinquenz weitgehend irrationale Züge. Das wichtigste Problem junger Menschen ist ihre Statusunsicherheit. Sie streben vor allem nach Anerkennung, Prestige und Statussymbolen. Sie möchten schon gerne den Erwachsenen ebenbürtig sein, weil die moderne Industrie-, Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft durch die Wertvorstellungen und Verhaltensstile Erwachsener geprägt ist. Ihr Verhalten ist aus diesem Grunde maßgeblich gekennzeichnet durch Großsprecherei, Überheblichkeit, Kraftmeiertum und Imponiergehabe. Wenn sie in der Erwachsenengesellschaft kaum Beachtung finden, so möchten sie doch wenigstens ihre Jugendsubkultur, ihre Rotte, ihre Clique, beeindrucken. Durch Alkoholtrinken und Spendieren möchten sie ihrer Gruppe imponieren und beweisen, daß sie schon „große Männer" sind. In ihrer Bezugsgruppe sind sie spontan zu allem Unfug, jedem Blödsinn und allen Possen bereit, nur um Aufmerksamkeit zu erregen und sich „zu profilieren". Dort sind sie ausgelassen, übermütig und enthemmt. Es ist ihnen verhaßt, sich in ihrer Freizeit zu langweilen. Folglich treiben sie Ulk und Schabernack, um Abwechslung zu haben. Da sie noch wenig Erfahrung besitzen, möchten sie mit delinquenten Experimenten die Grenzen ihres Handelns ausloten. Aus Abenteuerlust und Erlebnisdrang gehen sie Risiken ein, deren mögliche Auswirkungen sie nicht zu übersehen vermögen. Da die Gelegenheiten zur legalen Kraftanwendung im Beruf und in der Freizeit durch Technisierung und Automation dürftig geworden sind, haben junge Menschen viel überschüssige Kraft, die sie austoben und mit anderen messen wollen. Sport, Spiel, Delinquenz gehen ineinander über. Heutige Jugendliche vermögen sich mit wenig Rollenmodellen in ihrer Familie und Schule zu identifizieren. Deshalb suchen sie sie in den Massenmedien (z. B. bei Sportlern, Schlagersängern, Schauspielern) oder in ihrer eigenen Gruppe. Alle diejenigen werden in ihrer äußeren Erscheinung und in ihrem Verhalten nachgeahmt, die etwas „Außergewöhnliches" tun und die sich darzustellen vermögen. Jugendliche und Heranwachsende sind noch unaus-

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Kinder- und Jugenddelinquenz geglichen, noch nicht zu Kompromissen und Zugeständnissen bereit. Infolgedessen neigen sie zu bizarrem, groteskem, überspanntem Verhalten. In Krawallen und Hausbesetzungen protestieren und rebellieren sie. Aus der Gesellschaft ziehen sie sich in die Rauschgiftszene zurück; der religiösen Jugendsekte schließen sie sich an, um aus der Gesellschaft auszusteigen. Da Jugenddelinquenz meist ungeplant ist und aus einer Augenblicksstimmung heraus unternommen wird, erscheint sie auf den ersten Blick in ihrer Ausführung und in ihren schädlichen Folgen verglichen mit der Erwachsenenkriminalität - leichter, einfacher und folgenloser, zumal die Jugendlichen — infolge ihrer mangelnden Routine — von der Polizei schneller gefaßt und überführt werden und geständnisbereiter sind. Die Schwere der Jugenddelinquenz liegt indessen gerade häufig in ihrer Unberechenbarkeit und in ihrer Planlosigkeit. Es treten Schäden ein, die die jugendlichen Täter nicht vorausgesehen und nicht gewollt haben. Delinquenz wird von Jugendlichen und Heranwachsenden oft nicht so ernst genommen. Hierin liegt ihre Gefahr. Es gibt Deliktsformen, die dadurch jugendtypisch, jugendspezifisch sind, daß sie unverhältnismäßig häufig von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden begangen werden und daß sie in Ausführungsart und Motivation jugendlichen Belangen und Verhaltensweisen entsprechen. Zu solchen Deliktsformen gehören z. B. Diebstähle von, an und aus Kraftfahrzeugen, unbefugter Gebrauch von Kraftfahrzeugen, Fahrrad-, Mofa-, Moped- und Motorraddiebstähle, Einbrüche in Boden- und Kellerräume und in Kioske, Automaten- und Ladendiebstähle, Handtaschenraub, Krawalle, Schlägereien, vandalistische Handlungen, z. B. Hakenkreuzschmierereien, und Gruppenvergewaltigungen.

C. Entwicklung Während die Tatverdächtigenbelastung der deutschen Erwachsenen in den letzten zehn Jahren nahezu gleich geblieben ist, hat sie bei den Jugendlichen seit 1988 und bei den Heranwachsenden seit 1989 erheblich zugenommen; bei den Kindern ist seit 1993 ein deutlicher Anstieg eingetreten (Bundeskriminalamt 1996, 83). Ein Wachsen der bekanntgewordenen Kinder- und Jugenddelinquenz während der letzten zehn Jahre wird auch aus NordrheinWestfalen berichtet (Landeskriminalamt 1996, 18). Freilich sind im Bundesgebiet im selben Zeitraum die Verurteiltenzahlen bei Jugendlichen (Statistisches Bundesamt 1997a, 17) und die Gefangenenzahlen im Jugendstrafvollzug (Statistisches Bundesamt 1997c, 8) zurückgegangen. Diese Verminderung ist auf einen vermehrten Sanktionsverzicht („Diversion") zurückzuführen. Aufgrund des gesellschaftlichen Umbruchs durch die Wiedervereinigung ist die Jugenddelinquenz insbesondere in den neuen Bundesländern gewachsen (Monika Trauisen 1996).

Die Interpretation der amtlichen Zahlen ist nicht unumstritten. Während die einen behaupten, es werde nicht mehr Delinquenz begangen, sondern mehr angezeigt und intensiver verfolgt, die in Wirklichkeit Bagatellcharakter habe und früher nicht bei der Polizei gemeldet worden sei (Peter-Alexis Albrecht, Siegfried Lamnek 1979), neigen andere dazu, einen realen, zwar nicht immer kontinuierlichen, aber insgesamt bedeutenden Delinquenzzuwachs in allen europäischen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg anzunehmen (Günther Kaiser 1996, 600). Eine vermittelnde Meinung macht geltend, zum Teil sei zwar die Delinquenzzunahme auf eine verstärkte Anzeigebereitschaft der Bevölkerung zurückzuführen; allein könne das Wachsen der Jugenddelinquenz aus diesem Gesichtspunkt jedoch nicht erklärt werden; vielmehr finde der offiziell registrierte Anstieg in der delinquenten Wirklichkleit zum Teil wenigstens seine Entsprechung (Wolfgang Heinz 1995). Ob der einen, der anderen oder der vermittelnden Meinung zuzustimmen ist, läßt sich gegenwärtig nicht klar entscheiden. Denn die Bundesrepublik verfügt noch über keine repräsentativen Dunkelfeldforschungen zur Delinquenzentwicklung über Jahre hinweg, mit denen der Delinquenzablauf im Hellfeld der bekanntgewordenen Straftaten verglichen werden könnte. Immerhin ist die Auffassung, die nur von einem scheinbaren Delinquenzzuwachs ausgeht, nicht völlig von der Hand zu weisen. Mit der Höherentwicklung der Gesellschaft (Zivilisationsprozeß!) pflegt auch ihre Delinquenzempfindlichkeit zu wachsen. Gleichwohl ist ein realer Delinquenzzuwachs wahrscheinlich, weil die Jugenddelinquenz in allen vergleichbaren westlichen Industrienationen steigt (Arthur Kreuzer 1993, 186; für die USA: Larry Siegel, Joseph Senna 1997, 38/39). Um zu beweisen, daß die Bundesrepublik eine Ausnahme von diesem Delinquenztrend bildet, bedarf es stichhaltiger Beweise, die bisher nicht erbracht worden sind. Das Argument, daß es sich bei den vermehrt angezeigten Jugenddelikten im wesentlichen um Bagatelldelinquenz handelt, ist nicht sehr überzeugend. Denn der Bagatellcharakter der Jugenddelinquenz ist eines ihrer Wesensmerkmale. Kinder, Jugendliche und Heranwachsende streben mit ihren Straftaten psychische Ziele, z. B. Anerkennung und Geltung in ihrer Gleichaltrigengruppe, an. Der geringe materielle Gewinn steht meist außer jedem Verhältnis zum hohen Tataufwand (mangelndes ökonomisches Prinzip). Der erstrebte Nutzen fallt auch nicht mit dem Schaden zusammen, der durch das jugendspezifische Delikt entsteht.

D . Struktur 1.

Kinderdelinquenz

Aus einer Dunkelfelduntersuchung geht hervor (Helmut Remschmidt, Gerd Höhner, Reinhard Walter 1984), daß jedes Kind Handlungen begeht, die

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Kinder- und Jugenddelinquenz

gegen Strafrechtsnormen verstoßen. D a es in die Rechtsordnung hineinwachsen und die Normen kennen und beachten lernen muß, sind gelegentliche Grenzüberschreitungen normal. Durch entsprechende Zurechtweisungen wegen der Normverstöße lernt es ihre Befolgung. In der kindlichen Vorstellung und Phantasie sind Märchenwelt und Wirklichkeit noch nicht so klar voneinander getrennt, wie das beim Erwachsenen üblich ist. Kinder begehen zwar alle möglichen Straftaten, z. B. in seltenen Fällen auch Tötungsdelikte; die Struktur der Kinderdelinquenz ist aber noch sehr undifferenziert. Wie die Erwachsenen verüben sie häufig Diebstahl und Einbruch. Im übrigen sind sie allerdings nur noch an Sachbeschädigung, Brandstiftung und Erpressung in vermehrtem Umfang beteiligt. Die in sehr geringem Ausmaß delinquenzbelasteten Mädchen begehen fast ausschließlich Diebstahl. Drei Viertel der kindlichen Tatverdächtigen werden vor Erreichen der Strafmündigkeit nur einmal, die Hälfte sogar nur wegen einer einzigen Straftat polizeilich registriert (Monika Trauisen 1984, 1985). Der größte Teil kindlicher Delinquenz bleibt mithin eine Episode, die schnell vergessen wird und keine negativen Nachwirkungen hinterläßt. Eine sehr kleine Gruppe von kindlichen Serientätern ist immerhin für einen Großteil der Kinderdelikte verantwortlich. Der Kinderanteil an Brandstiftungen ist ungewöhnlich hoch. Faszination durch Feuer und Spiel mit dem Feuer sind für die Verursachung von Bedeutung (Clive R. Hollin, Kevin J. Epps 1996; Herschel Prins 1994, 7 5 - 8 5 ) . Die Kinder haben keine zwischenmenschlichen Problem-Lösungs-Fähigkeiten erworben und noch keine einvernehmliche Konfliktlösung gelernt. Ihre Familien sind zumeist sozial desorganisiert: Es mangelt an elterlicher Zuwendung und Aufsicht. Die Strafenpraxis der Eltern ist zu hart oder widersprüchlich. Körperliche Mißhandlung und sexueller Mißbrauch kommen nicht selten vor. Vier Tatergruppen sind herausgearbeitet worden (Wayne S. Wooden, Martha Lou Berkey 1984). Die erste Gruppe ist vom Feuer fasziniert; sie ist neugierig auf die Wirkung des Feuers. Sie hat nicht gelernt, mit dem Feuer angemessen umzugehen; sie weiß nicht, daß Umgang mit dem Feuer kein Spiel ist. Die Eltern haben ihre Kinder vernachlässigt und nicht angemessen beaufsichtigt. Die zweite Gruppe „schreit" durch das Feuerlegen nach Hilfe. Sie möchte sich von seelischen Spannungen befreien. Das Feuerlegen ist ein Symptom für zugrundeliegende emotionale und physische Streßphänomene. Eine verhältnismäßig unbedeutende Enttäuschung oder Versagung, wie z. B. der Tod eines geliebten Haustiers, der Wechsel der Schule oder des Wohnorts, der Entzug einer übertragenen Aufgabe in der Schule, kann das Feuerlegen auslösen. Das Kind möchte sich für die erlittene Frustration, mit der es nicht fertig wird, durch das Feuer entschädigen. Die Kinder der dritten, delinquenten Gruppe kommen aus ernsthaft gestörten Familien. Sie sind häufig Op-

fer sexuellen Mißbrauchs geworden. Sie fallen durch schlechte Schulleistungen oder durch Schulschwänzen auf. Sie werden entweder durch ihre delinquente Gleichaltrigengruppe stark beeinflußt, oder sie haben überhaupt keine Beziehungen zu Gleichaltrigen und sind zur Freundschaft unfähig. Nicht selten wollen sie durch das Feuerlegen ein Delikt verdecken oder gegen ihre kindliche Machtlosigkeit und gegen den Mißbrauch elterlicher oder schulischer Autorität protestieren. Die Kinder der vierten, psychiatrisch auffälligen Gruppe sind ernstlich psychisch gestört (vgl. auch Jessica Gaynor, Chris Hatcher 1987). Wenn Kinder Gewaltdelikte, z. B. Tötungsdelikte, begehen, so sind ihre Opfer meist Familienmitglieder oder gleichaltrige oder jüngere Freunde oder Spielkameraden (Manfred Riße, Eberhard Lignitz, Klaus Püschel, Gunther Geserick 1993; William Meloff, Robert A. Silverman 1992). Die Motive, die sie angeben, sind häufig trivial. Kindliche Psychopathie ist keine Erklärung (so aber Elisabeth Trube-Becker 1990). Zwischenmenschliche Spannungen und Versagungen, die sie über lange Zeit ertragen mußten, sind die wahren Ursachen. Sie sind körperlich und seelisch vernachlässigt und mißhandelt worden und haben elterliche Liebe und Zuneigung entbehren müssen (Reinhard Walter, Helmut Remschmidt 1984). Viele delinquente Kinder sind mangelhaft von ihren Eltern betreut worden. Kinder, die töten, stammen häufig aus Familien, in denen körperliche und sexuelle Gewalt angewandt wird. Sie haben früh Alkohol und Drogen mißbraucht, und sie machen große Erziehungsschwierigkeiten. Sie haben in der Regel Schulen besucht, in denen ein Gewaltklima herrschte. Sie ziehen sich aus der Realität zurück und flüchten sich in ihr gewaltsames Phantasieleben (Ronald M. Holmes, Stephen T. Holmes 1994, 185— 187). Eine Kombination miteinander zusammenhängender Probleme schafft die Bedingungen, aus denen heraus Kinder ihre Eltern töten (Kathleen Μ. Heide 1992; 1993): -

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Die Kinder wachsen in Familien auf, in denen man Brutalität und Grausamkeit der Eltern untereinander und ihren Kindern gegenüber sowie Drogen- und Alkoholmißbrauch beobachtet hat. Die Kinder haben vergeblich versucht, ihre Familie zu verlassen. Sie sind mehrfach weggelaufen und haben an Selbstmord gedacht oder Selbstmordversuche unternommen. Sie haben sich erfolglos bemüht, Hilfe gegen die elterliche Gewaltanwendung zu erhalten. Die Kinder sind sozial isoliert. Sie sind schwer sexuell, körperlich und verbal mißhandelt worden. Die Familiensituation verschlechtert sich zunehmend. Die Gewalt in der Familie nimmt immer mehr zu. Die Kinder verlieren ihre Selbstkontrolle. Eine Schußwaffe ist leicht erreichbar.

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Kinder- und Jugenddelinquenz Kinderdelinquenz hat in der Regel keine bahnende Wirkung, keine „Schrittmacherfunktion" für Jugenddelinquenz oder sogar Erwachsenenkriminalität. Lediglich eine kleine Minderheit straffälliger Kinder steht am Anfang einer kriminellen Karriere.

2. Delinquenz der Jugendlichen Heranwachsenden

und

Die Delinquenz der männlichen Jugendlichen und Heranwachsenden ist in ihrer Struktur wesentlich differenzierter als die Kinderdelinquenz. Jugendliche begehen neben Diebstahl, Einbruch und Sachbeschädigung häufig Raub, Hehlerei, alle Arten von Körperverletzung, Betrug, Urkundenfälschung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Bei männlichen Heranwachsenden kommen zu diesen Straftaten noch Rauschgift- und Straßenverkehrsdelikte hinzu. Die weiblichen Jugendlichen und Heranwachsenden sind nicht nur sehr viel weniger als die männlichen mit Delinquenz belastet; ihre Straffälligkeit erschöpft sich im wesentlichen auch in Diebstahl (Ladendiebstahl), Betrug, Sachbeschädigung und in Rauschgiftdelikten. Die Jugenddelinquenz wird zahlenmäßig im wesentlichen durch die Diebstahlsdelinquenz bestimmt. Den größten Anteil an den Gewaltdelikten nimmt die Körperverletzung ein. Die Sexualdelinquenz der Jugendlichen und Heranwachsenden hat zwar rein quantitativ eine relativ geringe Bedeutung. Sie stellt aber die Gerichte und den Strafvollzug vor besonders schwierige psychologische und psychiatrische Probleme (Peter Hummel 1988). Nicht wenige männliche jugendliche und heranwachsende Delinquente begehen Vergewaltigungen (etwa 20% dieser Delikte) und sind mit etwa 30% am sexuellen Mißbrauch an Kindern beteiligt (Howard E. Barbaree, Stephen M. Hudson, Michael C. Seto 1993). Auf der Grundlage mangelnder sozialer Bindungen (William L. Marshall, Stephen M. Hudson, Sharon Hodkinson 1993) wird die Sexualdelinquenz durch masturbatorische Phantasien (William L. Marshall, Anthony Eccles 1993) erlernt. Die Aneignung kognitiver Verzerrungen (Judith V. Becker, Bradley R.Johnson, John A. Hunter 1996) spielt für ihre Verursachung ebenfalls eine maßgebliche Rolle. Bei zahlreichen Tötungsdelikten, die von Jugendlichen an Kindern verübt werden, stehen sexuelle Motive im Vordergrund (Manfred Riße, Klaus Püschel, Eberhard Lignitz 1995). Heranwachsende sind vermehrt in Straßenverkehrsdelikte verwickelt, weil sie die Verkehrsroutine noch nicht besitzen, weil sie vom Geschwindigkeitsrausch besessen, von der Technik fasziniert und gleichzeitig alters- und rollenspezifisch unsicher sind und weil sie die Grenzen ihres normgerechten Verhaltens herausfinden möchten. Die meiste Delinquenz der Jugendlichen und Heranwachsenden ist ein vorübergehendes Ereignis, das nicht dramatisiert werden sollte.

E. Verteilung / . Mädchendelinquenz und Delinquenz weiblicher Jugendlicher und Heranwachsender In den westlichen Industrieländern weisen die offiziellen Kriminalstatistiken einen erheblich geringeren Anteil der Mädchen und jungen Frauen an der Delinquenz aus (-• Frauenkriminalität), der zwischen 15% und 25% der Tatverdächtigen ihrer Altersgruppe liegt (Günther Kaiser 1988, 63). Im Dunkelfeld nähert sich die Delinquenzbelastung der weiblichen und männlichen Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden zwar einander an; der Belastungsunterschied bleibt aber gleichwohl in Ost- wie Westdeutschland recht deutlich ausgeprägt (Arthur Kreuzer, Thomas Görgen, Ralf Krüger, Volker Münch, Hans Schneider 1993, 275). Durch die geringere Differenz im Dunkelfeld wird die These von der Gleichverteilung weiblicher und männlicher Jugenddelinquenz freilich nicht bestätigt. Die Delinquenz der weiblichen Jugend ist nicht so gewaltsam, nicht so häufig und nicht so hartnäckig wie die der männlichen Jugend (Don C. Gibbons, Marvin D. Krohn 1991, 57—61; Josine Junger-Tas 1988a). Sie wird von den Instanzen formeller sozialer Kontrolle auch nicht als so schwer angesehen wie die männliche Delinquenz. Mädchen und junge Frauen begehen im wesentlichen Eigentums- und Vermögensdelikte; mit Gewaltdelinquenz sind sie nur in sehr geringem Umfang beschwert. Die Gründe für die geringere Häufigkeit und Schwere der weiblichen Kinder- und Jugenddelinquenz liegen in verschiedenen Fakten: Mädchen und junge Frauen leben trotz des Wandels, in dem sich die Frauenrolle gegenwärtig befindet, auch heute noch in stärkerem Maße als Jungen und junge Männer in Rückzugsstrukturen der Familie, in eingeschränkteren sozialen Handlungsräumen, in denen geringere soziale Kontakte weniger Gelegenheiten zum later- und Opferwerden eröffnen. Mädchen und junge Frauen unterliegen auch gegenwärtig noch einer wesentlich stärkeren Kontrolle durch ihre Eltern (Peter C. Kratkowski, Lucille Dunn Kratkowski 1996, 140-156). Ihre Erziehung zur Konformität mit der weiblichen Rolle, mit weiblichen Werten und Skripten (Verhaltensabläufen in bestimmten Situationen) ist strenger und verhindert stärker den Kontakt mit abweichenden Verhaltensmustern. Sozial definierte Geschlechtsrollen führen zu weiblichen Einstellungen und zu weiblichem Verhalten, zu Geschlechtsrollenbewußtsein und -erwartungen, zu einem Selbstbild des Mädchens und der jungen Frau, das mit Delinquenz, insbesondere mit Gewaltdelinquenz, unvereinbar ist (Larry Siegel, Joseph Senna 1997, 245-273). Mädchen können sich viel leichter mit ihrer Mutter als Rollenmodell identifizieren, weil sie die Mutter und ihr Verhalten im Elternhaus viel häufiger tagtäglich vor Augen haben, als dies bei Jungen mit ihrem Vater der Fall ist. Jungen unterliegen schließlich einem stärkeren gesellschaftlichen Er-

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Kinder- und Jugenddelinquenz

folgsdruck. Während sich ein Junge in Ausbildung und Beruf unbedingt bewähren muß, kann sich ein Mädchen auf seine Hausfrauen- und Mutterrolle zurückziehen, ohne durch sozialen Mißerfolg ein negatives Selbstbild zu entwickeln (Dietlinde Gipser 1981). Seit Beginn der 70er Jahre wächst in den westlichen Industrieländern die weibliche Jugenddelinquenz etwas schneller als die männliche (Larry Siegel, Joseph Senna 1997, 249; Darreil Steffensmeier 1993). Sie gleicht sich zudem in ihrer Struktur etwas mehr der männlichen an. Junge Frauen begehen in zunehmendem Maße auch Gewalt- und Drogendelinquenz; sie schließen sich vermehrt Jugendbanden an (Beth Bjerregaard, Carolyn Smith 1993) und bilden vermehrt Banden junger Frauen (Anne Campbell 1991). Die Änderung in der Höhe und in der Art der weiblichen Jugenddelinquenz ist nicht auf die Gleichberechtigung der Frau, sondern auf den tatsächlichen Wandel der Frauenrolle in der Gesellschaft zurückzuführen. Je mehr sich das weibliche Rollenverhalten dem männlichen annähert, desto mehr wird sich auch die weibliche Jugenddelinquenz in Höhe und Struktur der männlichen angleichen („Konvergenz-Argument"). Die Ursachen der weiblichen Kinder- und Jugenddelinquenz sind grundsätzlich dieselben wie die der männlichen Kinderund Jugenddelinquenz. Allerdings sind die Ursachen durch die weibliche Sozialisation modifiziert: Für Mädchen und junge Frauen sind funktionale Störungen in ihrem Elternhaus noch schwerwiegender als für Jungen (Jill Leslie Rosenbaum 1989). Allerdings spielt die delinquente Unterstützung in der Gleichaltrigengruppe bei ihnen nicht dieselbe bedeutende Rolle, die sie bei der männlichen Kinder- und Jugenddelinquenz hat (Merry Morash 1986).

2. Delinquenz junger

Ausländer

Nach den Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik sind ausländische Kinder, Jugendliche und Heranwachsende stärker delinquenzbelastet, insbesondere mit Gewaltdelinquenz, als ihre deutschen Altersgenossen (Landeskriminalamt 1996, 88) (-• Ausländerkriminalität). Die Delinquenzbelastung junger Ausländer ist nach der Polizeilichen Kriminalstatistik im letzten Jahrzehnt gestiegen (Bundeskriminalamt 1996, 88). Da man der jungen Ausländerbevölkerung in der Bundesrepublik eine sozialstrukturell vergleichbare Altersgruppe junger Deutscher bisher kriminalstatistisch nicht gegenübergestellt hat und da es auch an speziellen repräsentativen Dunkelfeldforschungen zur Delinquenz junger Ausländer mangelt, ist die Frage der höheren Delinquenzbelastung junger Ausländer in der Bundesrepublik bestritten (Monika Trauisen 1988). Die Mehrheit der Kriminologen neigt allerdings zu der Ansicht, daß die Delinquenz junger Ausländer höher ist als die der deutschen Altersgruppe und daß sie

sich schneller entwickelt, wenn auch - wegen der kriminalstatistischen Verzerrungsfaktoren - ein geringeres Ausmaß der höheren Belastung und der schnelleren Entwicklung angenommen wird (HansJörg Albrecht 1997; für die Schweiz Martin Killias 1997). Zur Erklärung der höheren Delinquenzbelastung und der schnelleren Delinquenzentwicklung der jungen Ausländer werden folgende drei Theorien vertreten: — Nach der Theorie der sozialen Mangellage und der geminderten Zugangschancen wird die erhöhte Jugenddelinquenz der Ausländer als Folge systematischer Chancenverweigerung betrachtet (Peter-Alexis Albrecht, Christian Pfeiffer 1979). Die Ausländer leben in einer gettoähnlichen Wohnsituation. Ihre Kinder sind in ihrer Schulund Berufsausbildung benachteiligt. Im Vergleich zu deutschen Jugendlichen haben mehr Ausländerkinder nicht einmal einen Hauptschulabschluß; sie finden keine Lehrstelle oder brechen ihre Berufsausbildung ab; sie finden keine Arbeit. Die Jugendarbeitslosigkeit ist unter Ausländerkindern höher als unter der deutschen Vergleichspopulation. Die Theorie der sozialen Mangellage und der geminderten Zugangschancen vermag die größere Häufigkeit und die Schwere (Gewaltdelinquenz) der Jugenddelinquenz der Ausländer nicht allein zu erklären. Denn die Theorie sagt zu viel Delinquenz voraus. Alle ausländischen Jugendlichen und Heranwachsenden spielen in der Bundesrepublik eine Außenseiterrolle mit geminderten Ausbildungs-, Berufs- und Zukunftschancen. Sie müßten demnach alle delinquent werden. Wegen der Art ihrer Schlechterstellung läge es auch viel näher, wenn alle Ausländerkinder Vermögensdelikte begingen. Die Theorie der sozialstrukturellen Benachteiligung und der sozialen Randständigkeit berücksichtigt schließlich zu wenig, daß vielen Menschen gerade solche Schlechterstellung zum Motor ihres sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegs wird. - Nach der Labeling-Theorie ruft die deutsche Gesellschaft durch Status-Zuweisung ihren Konflikt mit den Ausländern selbst hervor (Ulrich Eisenberg 1995, 1022). Die Ausländerkinder sind als Rand- und Außenseiter, als Sündenböcke stigmatisiert; sie werden von ihren deutschen Schulkameraden und von den deutschen Lehrern als Randseiter abgelehnt und zurückgewiesen. Die ausländischen Jugendlichen begreifen sich als Ausländer mit gemindertem Status; sie nehmen die Fremdenfeindlichkeit und den Ausländerhaß wahr. Ausländer-Jugenddelinquenz ist dann die Folge solcher Behandlung. Es ist zwar richtig, daß sich eine kleine radikale Minderheit der deutschen Bevölkerung ihren ausländischen Mitbürgern gegenüber extrem feindlich verhält. Es ist indessen überzogen, von einer Ausländerfeindlichkeit aller Deutschen zu reden. Ausländer mögen

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Kinder- und Jugenddelinquenz im Kriminalitätskontrollprozeß dadurch in mannigfaltiger Weise benachteiligt sein, daß sie einen geringeren „sozialen Puffer", also weniger Verteidigungsmöglichkeiten, besitzen. Von einer bewußten Ungleichbehandlung ausländischer Tatverdächtiger durch Polizei, Gerichte und Strafvollzug kann man jedoch nicht reden. Jedenfalls sind Unterschiede - von seltenen Ausnahmen abgesehen - in der Verhandlungsführung deutscher Richter gegenüber ausländischen delinquenten Jugendlichen im Hinblick auf Ermutigung, Ruhe und Sachlichkeit bisher empirisch nicht festgestellt worden.

Gastarbeiterkinder den Kulturkonflikt psychisch und sozial recht gut. Aber eine beträchtliche Minderheit scheitert an ihm; sie wird vermehrt delinquent.

— Die Kulturkonflikttheorie ist am besten geeignet, die Besonderheiten der Delinquenz junger Ausländer (größere Häufigkeit und Schwere, schnellere Entwicklung) zu erklären (Hans Joachim Schneider 1995). Kulturkonflikte entstehen, wenn Ausländer in der Bundesrepublik leben, aber weiterhin in ihrem Verhalten den Normen ihrer Heimatländer folgen (Außenwertkonflikte) oder wenn sie sich weder für eine der beiden widerstreitenden Wertvorstellungen entscheiden noch beide sinnvoll psychisch verarbeiten können (Innenwertkonflikte). Der Delinquenz verursachende Kulturkonflikt ist der geistigseelische, verinnerlichte, personalisierte Normenkonflikt. Die kriminogene Wirkung des Innenwertkonflikts entfaltet sich in der 2. Ausländergeneration. Er führt dann zur Familien- und Persönlichkeitsdesorganisation. Die widerstreitenden Normen werden in die Familie hineingetragen und in der Persönlichkeit des Ausländerkindes verinnerlicht. Auf den Ausländerkindern lastet ein sich widersprechender Sozialisationsdruck: Unter Führung der Eltern, insbesondere des Vaters, folgt die Familie traditionellen Sitten und Bräuchen des Heimatlandes. Die gesellschaftlichen Erwartungshaltungen, denen die Ausländer-Kinder in Schule, Gleichaltrigengruppe, Massenmedien begegnen, stehen diesen Leitbildern entgegen. Die Einstellungen der Eltern kommen mit denen ihrer Kinder in Konflikt. Die Kinder können sich nicht mehr mit ihren Eltern identifizieren. Es entstehen Spannungen und Streitigkeiten in der Familie. Die elterliche Autorität wird in Frage gestellt. Der Familienzusammenhalt zerbricht. Die Kinder sind unfähig, die widerstreitenden Normen psychisch zu verarbeiten und in ihre Persönlichkeit einzuordnen. Sie verlieren die Orientierung; sie folgen weder den Normen des Heimat- noch denen des Gastlandes; sie haben ihre Muttersprache verlernt, ohne die Sprache des Gastlandes ausreichend zu beherrschen. Sie kommen in einen anomischen Zustand (doppelte Norm- und Sprachlosigkeit). Die Eltern verlieren die Kontrolle über ihre Kinder, die sich einer delinquenten Gleichaltrigengruppe anschließen, in der sie delinquente Verhaltensstile und Vorbilder kennenlernen. Freilich verarbeitet die Mehrheit der

Kinder- und Jugenddelinquenz ist ein Verhalten, das von außen (durch Reaktion) als Delinquenz beurteilt wird. Verhaltensstile (Gewohnheiten) und gesellschaftliche, Gruppen- und Individual-Normen steuern dieses Verhalten. Es entsteht in gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Lernprozessen (-• Kriminalitätstheorien). Die Persönlichkeiten des Täters, des Opfers und der Personen ihres sozialen Nahraums bestimmen zwar auch die zwischenmenschlichen Lernprozesse. Die Persönlichkeit ist indessen selbst ein Prozeß, und die diesen Prozeß beeinflussenden Faktoren (z. B. Sozialisation, Vererbung) haben deshalb nur einen indirekten Einfluß auf das delinquente Verhalten. Die Mehrheit der Kriminologen vertritt einen „weichen, gemäßigten" Determinismus: Menschliches Verhalten entbehrt keineswegs freier Entscheidung, nur weil es kausal wesentlich mitbestimmt ist (Don C. Gibbons, Marvin D. Krohn 1991, 82).

III. URSACHEN A. Allgemeine Verursachungsprobleme 1. Kombination von Ursachentheorien mittlerer Reichweite

Der Mehrfaktorenansatz, der Kinder- und Jugenddelinquenz auf viele verschiedene, nicht näher gewichtete Faktoren zurückführt, wird gegenwärtig noch im deutschsprachigen Raum vertreten (Hans Göppinger 1983). In der nordamerikanischen kriminologischen Diskussion hat er seit den 70er Jahren stark an Bedeutung eingebüßt. Man folgt verschiedenen Kombinationen von Ursachentheorien mittlerer Reichweite, die man zu integrieren versucht (-» Kriminalitätstheorien). Allerdings sind manche Theorien, die einmal sehr populär waren, aus der Diskussion ausgeschieden oder stark relativiert worden. Das gilt z. B. für den schichtspezifischen, ökonomischen Ansatz. Die Theorie unterschiedlicher Zugangschancen, die die Blockade der Möglichkeiten der Unterschichtsjungen zur Erreichung sozioökonomischen Erfolgs für die Entstehung der Kinder- und Jugenddelinquenz verantwortlich macht, wird kaum noch vertreten. Denn nach der Dunkelfeldforschung hat sich die Kinder- und Jugenddelinquenz als kein Schichtenproblem erwiesen (Michael J. Hindelang, Travis Hirschi, Joseph G. Weis 1981). Außerdem waren die Delinquenzverhütungsprogramme, die sich in den 60er und 70er Jahren in Nordamerika auf die Theorie der unterschiedlichen Zugangschancen gründeten, nicht erfolgreich (Hans Joachim Schneider 1987, 660/661). Seit Anfang der 80er Jahre wird die kriminalbiologische Theorie, die

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Kinder- und Jugenddelinquenz

jahrzehntelang tabu war, wieder etwas mehr diskutiert (Patricia A. Brennan, SarnofF A. Mednick, Jan Volavka 1995). Freilich ist man einig darüber, daß sich Kinder- und Jugenddelinquenz nicht vererbt und daß genetische Faktoren delinquentes Verhalten nicht unmittelbar beeinflussen. Gleichwohl möchte man einen indirekten Einfluß genetischer Faktoren auf delinquentes Verhalten über Gehirn, Nervenund hormonales System („Pfadmechanismen") nicht völlig ausschließen (C. Ray Jeffery 1990, 166-187). Allerdings besteht das Problem darin, daß man bisher keinen speziellen biologischen, genetischen Faktor herausgefunden und empirisch nachgewiesen hat, der über Persönlichkeitsfunktionen zur Delinquenz prädisponiert (Janet Katz, William J. Chambliss 1995). Die radikale Labeling-Theorie, die die Delinquenzentstehung mit selektiver Sanktionierung und mit Sekundärkriminalisierung durch die Instanzen formeller Sozialkontrolle, z. B. durch Polizei, Gericht, Strafvollzug, begründet, hat empirisch nicht das gehalten, was sie versprochen hat. Die These, sozialstrukturelle Benachteiligungen würden von den Instanzen formeller Sozialkontrolle zum Anlaß genommen, delinquente Jugendliche und Heranwachsende erneut (ein zweites Mal) zu benachteiligen (Siegfried Lamnek, 1982), hat sich in dieser Allgemeinheit bisher empirisch nicht bestätigen lassen. Die Sanktionierung durch die Strafverfolgungsbehörden richtet sich vielmehr nicht nach sozialstrukturellen Mängeln, sondern nach Häufigkeit und Schwere der Delinquenz. Kinder- und Jugenddelinquenz sind auf Mängel in gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Lernprozessen zurückzuführen (-»Kriminalitätstheorien). Mit dem sozialen Wandel, mit der gesellschaftlichen Entwicklung, mit der Umformung der Wirtschafts- und Sozialstruktur ändern sich auch Lebensstile und Wertvorstellungen, die Verhalten steuern (James F. Short 1990a, 137). Da die neuen Verhaltensweisen und Wertvorstellungen mit unterschiedlicher Schnelligkeit gelernt werden, entstehen im sozialen Lernprozeß Wert- und Verhaltenskonflikte (Kulturkonflikttheorie). Wenn diese Konflikte nicht friedlich-einvernehmlich gelöst werden können, kommt es zu Wertezerfall (Anomietheorie), der sich über den Gruppen- und Persönlichkeitszerfall auf die Delinquenzentstehung auswirkt. Bleiben im gesellschaftlichen Wandel Gebiete (Stadtviertel, Nachbarschaften) in ihrer sozioökonomischen Entwicklung zurück, so wird der Gemeinschaftszusammenhalt zerstört (Theorie der sozialen Desorganisation) (Robert J. Sampson 1995). Gemeinschaftstraditionen werden nicht mehr befolgt; neue Traditionen bilden sich nicht heraus. Mitmenschliche Beziehungen in sozialen Gruppen, z. B. in der Familie, zerfallen. Soziale Desorganisation ist ein sozioökonomischer Prozeß, vor allem aber ein anomisch verlaufender Lernprozeß, der sich allerdings durch Selbstregulierung über lange Zeiträume spontan zurückzubilden vermag (Robert J. Bursik 1988). Mit

dem Gemeinschaftszerfall entwickeln sich Subkulturen, delinquente Spiel- und Gleichaltrigengruppen (Subkulturtheorie), in denen Kinder und Jugendliche mit Gruppenunterstützung delinquente Gewohnheiten und Rechtfertigungen lernen (James F. Short 1990a, 139/140). Soziale Desorganisation und subkulturelle Bedingungen werden über die Sozialisation dem Kind und Jugendlichen weitergegeben (Ora Simcha-Fagan, Joseph E. Schwartz 1986). In Familie und Schule fühlen sie sich in ihrer Selbstachtung herabgesetzt; sie schließen sich delinquenten Gleichaltrigengruppen an, um ihr Selbstvertrauen durch Delinquenz wiederherzustellen (E. Edward Wells 1989). Delinquentes Verhalten wird nicht nur am Verhaltenserfolg, sondern auch an Verhaltensmodellen gelernt. Es kann in Selbstbekräftigungsprozessen, durch Gewöhnung und durch mangelnde Einsicht in die Richtigkeit und Notwendigkeit sozialkonformen Verhaltens erworben werden (kognitiv-soziale Lerntheorie). Ein Kind oder ein Jugendlicher lernt, sein Verhalten als gut oder als schlecht zu bewerten. Er lernt sozusagen den Maßstab für sein Verhalten. Er wird um so eher an delinquentem Verhalten teilhaben, je mehr er für solches Verhalten im Vergleich zu sozialkonformem Verhalten verstärkt worden ist und je mehr man ihm gegenüber ein solches delinquentes Verhalten als wünschenswert definiert oder doch wenigstens als annehmbar gerechtfertigt hat (Theorie der unterschiedlichen Verstärkung). Delinquente Kinder und Jugendliche haben keine Zuneigung und Anhänglichkeit zu ihren Eltern und Lehrern entwikkelt. Elternhaus und Schule bedeuten ihnen wenig. Sie haben keine zwischenmenschliche Bindungsfahigkeit gelernt. Sie streben keine langfristigen sozialkonformen Ziele an; sie setzen sich für keine sozialkonforme Karriere ein. Sie haben keinerlei Achtung vor dem Gesetz (Kontrolltheorie). Wenn die offizielle Reaktion auf Delinquenz eine Überreaktion, eine Dramatisierung darstellt, verschlimmert sie die Jugendstraffälligkeit, die sich verfestigt. Aus Primärdelinquenz, die normalisiert werden könnte, wird Sekundärdelinquenz: Der Serientäter, der Rückfalldelinquente ordnet sein Leben und seine Identität um die Realität der Delinquenz herum; er entwickelt ein delinquentes Selbstbild (Theorie der symbolischen Interaktion).

2. Empirische Erforschung der Ursachen der Kinder- und Jugenddelinquenz

a. Querschnittuntersuchungen Um die Ursachen der Kinder- und Jugenddelinquenz empirisch nachzuweisen, stellt man Gruppenvergleiche an: Man vergleicht eine delinquente mit einer nichtdelinquenten Gruppe. Einen der sorgfältigsten Gruppenvergleiche unternahmen Sheldon und Eleanor Glueck (1950), die 500 offiziell defi-

Kinder- und Jugenddelinquenz nierte (institutionalisierte) 11- bis 17jährige Delinquente mit 500 gleichaltrigen („normalen") Nichtdelinquenten verglichen. Einen ähnlichen Forschungsansatz verfolgte die Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung (Hans Göppinger 1983), deren Experimental- und Kontrollgruppe freilich kleiner war (jeweils 200 Probanden) und deren Probanden einer älteren Altersgruppe (20 bis 30 Jahre alt) angehörten. In den 80er Jahren wurde eine umfangreiche Querschnittuntersuchung nach Glueckschem Muster in Taiwan durchgeführt (Li-hsing Chen 1984), die zu ähnlichen Ergebnissen wie das Forscherehepaar Glueck gekommen ist. Die Gluecksche Studie hat man in theoretischer wie methodischer Hinsicht kritisiert. Die beiden Haupteinwände gehen dahin, daß ihr keinerlei Theorie zugrunde liege und daß sie eine wesentliche methodische Verzerrung, nämlich die offizielle Definition der Delinquenten, enthalte. Beiden Einwänden versuchte Travis Hirschi (1969) in seiner Querschnittuntersuchung Rechnung zu tragen. Er übersetzte tiefenpsychologische Konzepte in empirisch nachprüfbare sozialpsychologische Begriffe und machte sie auf diese Weise operationalisierbar. Er untersuchte keine offiziell definierten Delinquenten, sondern Schüler und Schülerinnen, fragte sie nach ihrer Delinquenz, teilte sie nach ihrem Selbstbericht (Delinquenz, Nichtdelinquenz) in zwei Gruppen ein und verglich sie dann miteinander. Er entwickelte die Kontrolltheorie, die in den 70er und 80er Jahren zur weltweit am meisten zitierten und empirisch bestätigten Delinquenzverursachungstheorie geworden ist. Die Glueckschen Originaldaten (John H. Laub, Robert J. Sampson 1988) und die Daten der Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung (Hans-Jürgen Kerner, Elmar G. M. Weitekamp, Wolfgang Stelly 1995) wurden erneut analysiert. Man fand bei der wiederholten Analyse der Glueckschen Daten heraus, daß die Familienprozeßvariablen, die Störungen der Familienfunktion die wichtigsten Vorhersagefaktoren für hartnäckige, schwere Jugenddelinquenz sind: mangelhafte Aufsicht der Mutter, fehlerhafter elterlicher Erziehungsstil und fehlende elterliche Zuneigung. Familienstrukturelle Hintergrundfaktoren, wie z. B. Unvollständigkeit der Familie, Arbeitslosigkeit des Vaters, sozioökonomischer Mangel, können den Familienprozeß empfindlich stören (und so indirekt Delinquenz hervorrufen), sie brauchen es aber nicht. Durch eine umfangreiche niederländische Selbstbericht-Studie (Josine Junger-Tas 1988b) ist Hirschis Kontrolltheorie ein weiteres Mal empirisch erhärtet worden: Kinder und Jugendliche, die in Familie und Schule Mißerfolg haben, die sich dort nicht wohlfühlen und die eine zu schwache soziale Bindung zu Eltern und Lehrern entwickeln, wenden sich ihrer Gleichaltrigengruppe zu und versuchen dort durch Delinquenz (z. B. Ladendiebstahl, Vandalismus) ihr erschüttertes Selbstvertrauen wiederzugewinnen. Wesentliche Gesichtspunkte für die Delinquenzentstehung sind in diesem Zusammenhang, ob

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sie delinquente oder nichtdelinquente Freunde haben und ob die Gruppe, der sie sich anschließen, sozialkonforme Werte stark oder weniger stark unterstützt oder gar delinquentes Verhalten rechtfertigt. An den Gruppenvergleichen nach dem Selbstberichtmodell hat man Kritik geübt: Sie erfassen die leichteren, mittelschweren Formen der Delinquenz, aber nicht die schwereren. Sie beziehen sich auf jüngere, aber zu wenig auf ältere Delinquente (Robert Agnew 1985). Schwere chronische Rechtsbrecher sind in Selbstberichtuntersuchungen unterrepräsentiert (Stephen A. Cernkovich, Peggy C. Giordano, Meredith D. Pugh 1985).

b. Längsschnittuntersuchungen Während man mit der Querschnittuntersuchung die Ursachen für die Beteiligung an der Delinquenz herauszufinden versucht, geht es in der Längsschnittuntersuchung um die Feststellung der Ursachen der Häufigkeit und Intensität (Schwere) der Delinquenzbegehung. Man möchte den chronischen Rechtsbrecher in früher Kindheit und Jugend ermitteln, um durch freiwillige, helfende, nichtstigmatisierende Vorbeugungsprogramme einem Großteil der späteren schweren Rückfallkriminalität rechtzeitig zuvorzukommen. Die große interventionsstrategische Bedeutung der Ergebnisse der Längsschnittuntersuchung ist erst in jüngster Zeit voll erkannt worden (David P. Farrington, Lloyd E. Ohlin, James Q. Wilson 1986). Offizielle und nichtoffizielle Daten zeigen an: Obgleich sich die Masse der Jugenddelinquenz spontan zurückbildet („Aging Out"), fahrt eine relativ kleine Gruppe von Delinquenten, die früh in ihrem Leben mit Straftaten begonnen haben („Early Onset"), mit ihren Rechtsbrüchen bis ins Erwachsenenalter fort („Persistenz") (Terrie E. Moffitt 1993). Diese sogenannten chronischen delinquenten Rechtsbrecher sind für einen bedeutsamen Umfang aller delinquenten und kriminellen Aktivität verantwortlich. Der Prozeß der „Karriere-Kriminalität" beginnt in frühem Alter. Frühe und wiederholte Delinquenz ist der beste Vorhersagefaktor für zukünftige Erwachsenenkriminalität. In jüngster Zeit sind zahlreiche Längsschnittuntersuchungen durchgeführt worden. Es gibt die prospektive, vorausschauende Längsschnittstudie, bei der die zu untersuchende Stichprobe von Probanden im voraus festgelegt wird, bevor die Ereignisse eintreten, die man zu ermitteln trachtet. Mit ihr kann man Ursache-Wirkungs-Mechanismen, Entwicklungsabläufe und die Effektivität von Interventionen des Kriminaljustizsystems besonders gut herausfinden. Von ihr zu unterscheiden ist die retrospektive, rückschauende Längsschnittuntersuchung, bei der die zu untersuchende Stichprobe von Probanden im nachhinein festgelegt wird, nachdem sich bereits die Geschehnisse ereignet haben, für die man sich interessiert. Diese Form der Längsschnittstudie hat einen

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Kinder- und Jugenddelinquenz

begrenzten Wert, da sie nur Daten über das offiziell bekanntgewordene Täterwerden aus Akten erheben kann. Eine spezielle Art der Längsschnittuntersuchung ist die Kohortenstudie, bei der die Probanden eine Gemeinsamkeit, z. B. das Geburtsjahr, miteinander teilen. Als eine der ersten hat Lee N. Robins (1966) in einer Längsschnittuntersuchung erkannt, daß frühe, häufige, schwere Kinder- und Jugenddelinquenz zu hartnäckiger, beharrlicher Erwachsenenkriminalität führen. Sie sah den Grund für diese Hangtäterschaft in einer Soziopathie der Persönlichkeit, die sie als psychische Erkrankung bezeichnete. In den 70er und 80er Jahren ist der Intensivtäter (Hans Joachim Schneider 1977) wiederentdeckt worden, der einen Großteil der Straftaten verursacht. Aus der polizeilichen Kriminalstatistik kann man nämlich ersehen, daß zwischen rund 3% und etwa 5% der kindlichen, jugendlichen und heranwachsenden Täter im Querschnitt eines Jahres für etwa 20% bis 35% der für die jeweils gesamte Altersgruppe bekanntgewordenen Straftaten verantwortlich sind (Landeskriminalamt 1985, 129-136). In zahlreichen Längsschnittstudien aus verschiedenen Ländern hat man weiterhin herausgefunden, daß über 10 und mehr Jahre hinweg zwischen 6% und etwa 20% der Täter zwischen rund 50% und 60% aller Taten begehen, die in den verschiedenen Altersstufen bekannt werden (David P. Farrington 1996a, 1996b, 1987; Rolf Loeber 1996; Per-Olof H. Wikström 1990). Dabei konzentriert sich insbesondere die schwere Delinquenz auf diese Tatergruppe. Um einen lediglich beschreibenden und sogar abwertenden Begriff wie Soziopathie zu vermeiden, erfand man die Konstrukte „kriminelle Karriere" und „Karriere-Krimineller", mit deren Hilfe man Einblick in die Ursachen der Serien- und Mehrfachtäterschaft zu gewinnen versucht. Unter krimineller Karriere versteht man die Abfolge des Täterwerdens während eines Teils der Lebenszeit eines Menschen. Die kriminelle Karriere besitzt einen Anfang, eine Länge und ein Ende. Ein Karriere-Krimineller ist ein Täter, der schwere Verbrechen mit großer Häufigkeit und über längere Zeit hinweg verübt. Von Gelegenheitstätern, die man mit einer niedrigen jährlichen Verurteilungsrate und hoher Beendigungs-Wahrscheinlichkeit ihres Delinquentwerdens kennzeichnet, unterscheidet man die Gewohnheitstäter, die eine hohe jährliche Verurteilungsrate und eine niedrige Beendigungs-Wahrscheinlichkeit ihres Delinquentwerdens besitzen (Alfred Blumstein, David P. Farrington, Soumyo Moitra 1985). Sie fallen durch die Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit ihrer Delinquenz auf; ihr Rückfall beruht nicht auf einer günstigen Gelegenheit, sondern auf einer delinquenten Einstellung (Verhaltensbereitschaft), die sie im Laufe ihrer delinquenten Karriere erworben haben. Unter den neueren Längsschnittuntersuchungen haben die folgenden größere Beachtung gefunden, so daß auf sie etwas näher eingegangen wird:

Aufgrund von Schul- und Polizeiakten untersuchten Marvin Ε. Wolfgang, Robert Μ. Figlio und Thorsten Sellin (1972) retrospektiv eine Kohorte von 9.945 Jungen, die 1945 in Philadelphia geboren waren und die bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr dort gelebt hatten. 35% der untersuchten Kohorte wurden delinquent; 3.475 Jungen begingen Straftaten, die zu mindestens einem Polizeikontakt in jedem Fall geführt hatten, während 6.470 oder 65% der Jungen niemals eine solche Erfahrung gemacht hatten. In dieser Kohortenstudie wurde ermittelt, daß die Wahrscheinlichkeit des Rückfalls mit jeder begangenen Straftat wächst und daß die 627 chronischen Rückfalltäter, die mehr als jeweils fünf Rechtsbrüche vor ihrem 18. Lebensjahr verübt hatten, 6% der Kohorte und 18% der delinquenten Gruppe ausmachten. Diese 627 Rezidivisten waren für 52% der von den untersuchten Jungen begangenen Straftaten und für zwei Drittel der verübten Gewalttaten verantwortlich. Anhand von Polizeiakten haben Wolfgang, Terence P. Thornberry und Figlio (1987) eine Unterstichprobe von 975 jungen Männern nachuntersucht, die für die gesamte Geburtskohorte in ausreichender Weise repräsentativ war. Die offiziellen Daten wurden mit Erreichung des Kohortenalters von 26 und 30 Jahren erhoben. 567 Probanden (58,2%) wurden persönlich interviewt. Man fand heraus, daß 45% der chronischen Jungtäter ihre Straftaten in beharrlicher, hartnäckiger Weise auch während ihres Erwachsenenalters fortsetzten. Je früher der Junge mit seiner Delinquenz begann, desto mehr und desto schwerere Straftaten beging er später. Diejenigen Jungen, die mit ihrer delinquenten Karriere im Alter von 11 bis 12 Jahren anfingen, brachten es auf die höchste Durchschnittszahl von Verhaftungen pro Täter (nämlich zehn). Mit zunehmendem Alter verübten die chronischen Täter immer schwerere Delikte mit größer werdendem Schaden. Die Rückfallintervalle waren bei den chronischen Tätern kurz; je länger sich ein Rechtsbrecher sozialkonform verhielt, eine desto bessere Kriminalprognose hatte er. Bandenzugehörigkeit erwies sich als Prognosefaktor für spätere beharrliche Serientäterschaft. Die schwerrückfalligen Mehrfachtäter waren in höherem Maße als die Gelegenheitstäter Verbrechensopfer geworden. Unterstützung durch die delinquente Gruppe und die psychische und soziale Verletzung durch das Opferwerden spielen bei der Entstehung einer delinquenten Karriere eine große Rolle. In einer weiteren Längsschnittstudie haben Paul E. Tracy, Wolfgang und Figlio (1990) eine neue, größere Geburtskohorte untersucht, die in 1958 in Philadelphia geboren worden war und deren Lebensläufe sie bis zu ihrem 18. Lebensjahr verfolgten. Ihre 1958er Geburtskohorte bestand aus 27.160 Jugendlichen, von denen 13.160 männlich und 14.000 weiblich waren. Von den männlichen Teilnehmern der Stichprobe waren 7,5% der Kohorte und 23% der Delinquenten chronische Rückfalltäter, die für einen

Kinder- und Jugenddelinquenz unverhältnismäßig großen Anteil an delinquentem Verhalten verantwortlich waren. 9.240 Verhaftungen (61% aller Verhaftungen) gingen auf das Konto dieser 982 chronischen männlichen Delinquenten. Sie verübten einen unverhältnismäßig großen Teil schwerster Verbrechen: 61% der kriminellen Tötungen, 76% der Vergewaltigungen, 73% der Raubüberfälle und 65% der schweren Körperverletzungen. Chronische weibliche Straftäter waren weniger in schwere Rechtsbrüche verwickelt. Die beiden Kohortenstudien, die man in Philadelphia durchführte, wurden auf der Antilleninsel Puerto Rico wiederholt (Dora Nevares, Marvin Ε. Wolfgang, Paul Ε. Tracy 1990). Man fand wiederum ähnliche Ergebnisse; die Kohorte auf dem ländlichen Eiland war indessen bei weitem nicht so delinquent wie die beiden Kohorten im großstädtischen Philadelphia: 72% der Jugendlichen der delinquenten Puerto-Rico-Kohorte begingen nur eine Straftat; 26% waren einfache Rezidivisten, und nur 11% waren chronische Rückfalltäter. In Montreal untersuchten Marc LeBlanc und Marcel Frechette (1988, 1989a, 1989b) 1.684 12- bis 17jährige Kinder und Jugendliche in den Jahren 1974 und 1976 mit der Selbstberichtmethode; sie interviewten 470 13- bis 17jährige Delinquente, die das Jugendgericht verurteilt hatte; die Interviews wurden zwei und fünf Jahre später wiederholt. Mit ihrer Längsschnittuntersuchung erzielten sie folgende Ergebnisse: -

Häufigkeit, Variationsbreite, Schwere und Gewaltsamkeit der Delinquenz nahmen von einer Lebensphase zur nächsten zu. - Je früher der Täter mit seiner Delinquenz begann, desto höher wuchs die Wahrscheinlichkeit, daß sie längere Zeit anhielt, daß sie eine große Variationsbreite erreichte und daß sie sich beschleunigte. - Vier delinquente Typen bildeten ein Kontinuum: Der Täter des ersten Typs verübte gelegentliche delinquente Handlungen. Der Täter des zweiten Typs war sprunghaft delinquent aktiv (zahlreiche Straftaten mit größeren und kleineren zeitlichen Zwischenräumen). Der Rechtsbrecher des dritten Typs beging geringere Straftaten in beharrlicher Art und Weise (eine begrenzte Zahl von Rechtsbrüchen, aber keine Gewalttaten). Der Täter des vierten Typs schließlich war andauernd und mit bedeutenden Straftaten delinquent (zahlreiche Rechtsbrüche, auch sich wiederholende Gewalttaten). Eine prospektive Längsschnittuntersuchung haben Donald J. West (1969, 1982) und David P. Farrington (1979, 1982, 1987) durchgeführt. Ab 1961/62 haben sie 411 Jungen, die seinerzeit 8 oder 9 Jahre alt waren und die in einem mit Delinquenz hoch belasteten Arbeiterwohnviertel in London lebten, mit 8, mit 10, mit 14, mit 16, mit 18, mit 21, mit 25 und mit 32 Jahren interviewen und psychodiagnostisch

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testen lassen. Sie haben die offizielle Delinquenz ihrer Probanden erhoben. Sozialarbeiter haben auch die Eltern, die Lehrer, später im Erwachsenenalter die weiblichen Partner ihrer Probanden befragt (West, Farrington 1973, 1977; Farrington, West 1990). Die Studie hat die folgenden drei Hauptergebnisse erzielt: — Nur 23 Jungen (weniger als 6% der Stichprobe) waren für die Hälfte aller Verurteilungen wegen Straftaten verantwortlich, die bis zum 25. Geburtstag der Probanden ausgesprochen worden sind. Diese chronischen Mehrfachtäter hatten in höherem Umfang als die Gelegenheitstäter kriminelle Eltern, delinquente ältere Geschwister und delinquente Freunde. — Auf lediglich 4,5% aller Familien war nahezu die Hälfte (48%) aller Verurteilungen aller Familienmitglieder (Väter, Mütter, Söhne, Töchter) wegen Straftaten zurückzuführen. Das soziale Klima in diesen Familien konnte mit harter, unberechenbarer Strafpraxis der Eltern, mit ihrer grausamen, vernachlässigenden Einstellung gegenüber ihren Kindern, mit unzureichender elterlicher Beaufsichtigung und mit einer hohen Zahl elterlicher Konflikte gekennzeichnet werden. Besonders beharrliche spätere Gewalttäter besaßen in hohem Maße Eltern mit kalter, harter, disharmonischer Einstellung, die ihre Jungen mangelhaft beaufsichtigten. Die Jungen ahmten das aggressive Verhalten ihrer Eltern nach. — Die Kinder und Jugendlichen, die in einem frühen Alter wegen einer Straftat oder auch wegen ständigem delinquentem Verhalten im weiteren Sinne (ζ. B. Weglaufen aus dem Elternhaus, Schulschwänzen, Aggressivität) aufgefallen waren, entwickelten sich in hohem Maße zu hartnäkkigen Rechtsbrechern. Mit jeder Verhaftung und Verurteilung wuchs die Wahrscheinlichkeit der Wiederverhaftung und -Verurteilung. Die offizielle Reaktion durch die Polizei, das Jugendgericht und den Jugendstrafvollzug hatte für die Entstehung der delinquenten Karriere große Bedeutung; sie wirkte sich nämlich eher abträglich auf das Selbstbild des Delinquenten aus; er entwikkelte durch die formelle Sanktionierung eine delinquente Identität. Die Ursachen für die chronische Rückfalldelinquenz hat man in unterschiedlicher Weise interpretiert: — Der chronische Rückfalltäter besitzt eine kriminelle Anfälligkeit, einen latenten kriminellen Persönlichkeitszug, nämlich eine „antisoziale Tendenz" (David P. Farrington 1996a). — Der chronische Rückfalltäter leidet an einem Verhaltens-Problem-Syndrom, das im wesentlichen auf seinen mangelhaften sozialen Fähigkeiten beruht (Larry J. Siegel, Joseph J. Senna 1997, 71-73).

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Kinder- und Jugenddelinquenz

Chronische Rückfalldelinquenz ist auf eine Stabilität in der Art sozialer Beziehungen und sozialer Zusammenhang-Faktoren zurückzuführen (Delbert S. Elliott 1994).

Β. Besondere Verursachungsprobleme 1.

Schicht

Zahlreiche Dunkelfelduntersuchungen unterstützen die Ansicht, daß zwischen Schicht und Delinquenz keine oder nur eine schwache Beziehung besteht (Larry J. Siegel, Joseph J. Senna 1997, 60/61). Delinquenz ist kein ausschließliches Unterschichtsphänomen; sie ist über alle Schichten (auch über Mittel- und Oberschichten) verteilt (Charles R. Tittie, Robert F.Meier 1991, 1990). Gleichwohl begehen die Jugendlichen der Mittel- und Oberschichten die selteneren und leichteren Delikte. Das zeigt sich in den Dunkelfelduntersuchungen, in denen die leichtere bis mittelschwere Delinquenz überrepräsentiert ist. Die häufigeren und schwereren Straftaten werden von den Jugendlichen der Unterschicht begangen (Margaret Farnworth, Terence R Thornberry, Marvin D. Krohn, Alan J. Lizotte 1994; Delbert S. Elliott, Suzanne S. Ageton 1980). Polizei und Jugendgerichtssystem betrachten deshalb die Jugenddelinquenz der Unterschicht als größeres Problem (Arnold Binder, Gilbert Geis, Dickson Bruce 1988, 32). Die höhere und schwerere Delinquenzbelastung der Unterschicht beruht freilich nicht unmittelbar auf dem objektiven ökonomischen Mangel der Unterschicht. Man macht vielmehr das schlechte soziale Klima und die fehlerhaften Erziehungspraktiken (ζ. B. die häufige Anwendung körperlicher Strafen) in der Unterschichtsfamilie dafür verantwortlich, daß Unterschichtskinder und -jugendliche vermehrt schwerere Straftaten begehen (Robert E. Larzelere, Gerald R. Patterson 1990): Wegen ihrer größeren sozioökonomischen Belastung und ihrer geringeren sozioökonomischen Mittel mangelt es vielen Unterschichtsfamilien an sozialer Bindung und an Ausrichtung auf sozialkonforme Werte. Viele Unterschichtseltern beaufsichtigen ihre Kinder zu nachlässig. Sie haben zu geringe Möglichkeiten und sind auch nicht ausreichend daran gewöhnt, wie Mittelschichtseltern in ihrer Kindererziehung Argumentation und Überzeugungskraft einzusetzen. Unterschichtskinder und -jugendliche haben deshalb unzureichend gelernt, beim Auftreten von Konflikten effektive, sozialkonforme Problemlösungsstrategien anzuwenden. Viele Unterschichtseltern bereiten ihre Kinder nur unzulänglich auf die Schule vor; sie unterstützen zudem die Erziehungsarbeit der Lehrer in unzureichender Weise. Unterschichtskinder werden deshalb durch Mitschüler und Mitschülerinnen häufig zurückgewiesen, und sie versagen allzu oft in den schulischen Anforderungen.

2.

Arbeitslosigkeit

Ob durch die Arbeitslosigkeit des Vaters die Kinder- und Jugenddelinquenz mit verursacht wird, ist sehr umstritten. Teilweise wird ein Zusammenhang ohne nähere Begründung angenommen (Clemens Bartollas 1997, 559/560). Aufgrund einer empirischen Studie wird die Meinung vertreten, die Arbeitslosigkeit des Vaters verringere die Kinder- und Jugenddelinquenz, weil durch sie die Eltern-KinderKontakte gestärkt würden (Daniel Glaser 1983). Daß Jugendarbeitslosigkeit Delinquenz unmittelbar verursacht, ist eine grobvereinfachende These. Nicht ausreichend empirisch bestätigt ist auch die Annahme der radikalen Labelingtheorie, arbeitslose jugendliche Straftäter würden durch härtere Strafsanktionen vom Jugendkriminalrechtssystem zusätzlich ein weiteres Mal benachteiligt. Da die ersten Straftaten begangen zu werden pflegen, wenn die Jugendlichen noch zur Schule gehen und wenn sie sich also noch nicht im Arbeitsprozeß befinden, kann Jugendarbeitslosigkeit den Anfang einer delinquenten Karriere in der Regel nicht verursachen. Sie kann lediglich zu ihrer Weiterentwicklung und Verschärfung beitragen. Es spricht viel dafür, daß Jugenddelinquenz Arbeitslosigkeit verursacht (John Hagan 1993) oder daß Jugendarbeitslosigkeit und Delinquenz gemeinsame Ursachen haben. Aufgrund einer gestörten Familiendynamik (ζ. B. Entwicklung von Fehleinstellungen, Zerfall mitmenschlicher Beziehungen) erwerben die Kinder keine soziale Bindungsfähigkeit. Sie versagen in der Schule und verlassen sie frühzeitig ohne regelrechten Abschluß. Die Berufsausbildung wird immer wieder abgebrochen und nicht zu Ende geführt. Aufgrund dieser Fehlentwicklung (mangelnde berufliche Qualifikation) kommt es sowohl zu Jugendarbeitslosigkeit wie auch zu Delinquenz.

3.

Familie

Als einer der ersten hat F. Ivan Nye (1958) die Familienvariablen als Schlüsselfaktoren bei der Delinquenzentstehung herausgearbeitet. Neuerlich ist allerdings die Meinung im Vordringen begriffen, die Schule, die Gleichaltrigengruppe und die Massenmedien seien dabei, die Familie in ihrer Sozialisationsaufgabe zu verdrängen. Nye entwickelte anhand seiner empirischen Studie die Kontrolltheorie, die Travis Hirschi (1969) vertiefte und weiterentwickelte. Von der unmittelbaren Kontrolle (Beaufsichtigung) unterschied Nye die mittelbare Kontrolle (liebevolle Bindung, Identifikation mit sozialkonformen Personen, insbesondere Eltern), die verinnerlichte (internalisierte) Kontrolle (Selbstbild, -kontrolle) und die Kontrolle in Versuchungssituationen (Anwesenheit der Eltern in der Psyche des Kindes). Er betonte das demokratische Familienklima (Mitbestimmung der Kinder bei Familienentscheidungen) und die Über-

Kinder- und Jugenddelinquenz einstimmung der Eltern und Kinder in der Anerkennung von Werten als wichtige Delinquenzverhütungsfaktoren. Nyes Forschungsergebnisse sind durch zahlreiche empirische Studien in den 80er und 90er Jahren bestätigt worden. Familienstrukturelle Variablen, z. B. Unvollständigkeit der Familie, sind für die Delinquenzentstehung von untergeordneter (indirekter) Bedeutung (L. Edward Wells, Joseph H. Rankin 1991). Wesentlich sind vielmehr die familienfunktionalen Interaktionsvariablen, die Beziehungen, die Einstellungen, die Rollen innerhalb der Familie (Partricia van Voorhis, Francis T. Cullen, Richard A. Mathers, Connie Chenoweth Garner 1988; Stephen A. Cernkovich, Peggy C. Giordano 1987). Die entscheidenden Gesichtspunkte im Rahmen der Bedeutung der Familie im Delinquenzentstehungsprozeß hat Hirschi (1990) zusammengefaßt: Die Eltern delinquenter Jugendlicher kümmern sich zu wenig um ihre Kinder. Sie haben nicht genug Zeit und Energie, das Verhalten ihrer Kinder zu beaufsichtigen. Sie sehen nichts Falsches in der Delinquenz ihrer Kinder. Sie haben keine Neigung und keine Mittel, ihre Kinder für delinquentes Verhalten zu bestrafen. Das sozialwissenschaftliche Konzept der Strafe ist hierbei wesentlich breiter und komplexer, als es der gewöhnliche Sprachgebrauch nahelegt (L. Edward Wells, Joseph H. Rankin 1988). Es geht nicht um körperliche Strafen allein, sondern vielmehr z. B. um den Entzug von Vergünstigungen. Folgerichtigkeit, Festigkeit und Verhältnismäßigkeit der Bestrafung sind wichtig. Unverhältnismäßig harte Bestrafung ist genauso abzulehnen wie außergewöhnlich nachgiebige Reaktion. Zu viel Kontrolle ist ebenso schädlich wie zu wenig Kontrolle (Joseph H. Rankin, L. Edward Wells 1990). Ein kleiner Teil von Familien bringt eine relativ große Zahl von Delinquenten hervor (Rolf Loeber, Magda Stouthamer-Loeber 1986). Diese Familien sind gekennzeichnet durch mangelnde elterliche Beaufsichtigung der Kinder, durch elterliche Zurückweisung der Kinder (fehlende Zuneigung), durch Ablehnung der Eltern von Seiten der Kinder, durch Kriminalität der Eltern und durch ihre Ehekonflikte. Chronische Gewalttäter wachsen in gewaltsamen Familien auf; diese Familien sind in gewaltorientierte, desorganisierte Nachbarschaften eingebettet. Die Jugendlichen setzen ihr gewaltsames Verhalten in der Schule und in ihrer Berufsausbildung fort, und sie werden in ihrer Gewaltorientierung durch ihre Gleichaltrigengruppe unterstützt (Jeffrey Fagan, Sandra Wexler 1987). Unbeaufsichtigte Freizeitaktivitäten mit delinquenten Freunden begünstigen Kinder· und Jugenddelinquenz (Robert Agnew, David M. Petersen 1989). Ob Berufstätigkeit der Mutter sich delinquenzbegünstigend auswirkt, ist umstritten. Hier spielt das sich wandelnde Geschlechtsrollenmodell der Frau in der Gesellschaft eine Rolle. Während die Mehrheit der Kriminologen eine delinquenzbegünstigende Wirkung („Zerstörung des Famiiiennests", mangelnde Beaufsichtigung durch die

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Mutter) annimmt (Nye 1958, 59; Cernkovich, Giordano 1987, 297; Hirschi 1990, 78), ist eine Minderheit der Meinung, ein solcher delinquenzbegünstigender Effekt brauche nicht unbedingt einzutreten (Loeber, Stouthamer-Loeber 1986, 42). In jüngster Zeit ist der Beziehung zwischen Kindsmißhandlung und Jugenddelinquenz vermehrte Aufmerksamkeit in der jugendkriminologischen Forschung zugewandt worden. Man untersucht die Hypothese: Familientraumen aller Art beeinflussen die Wahrscheinlichkeit, daß sich Kinder und Jugendliche delinquent verhalten. Man geht z. B. davon aus: Kinder werden durch ihre körperliche Mißhandlung dazu ermutigt, Aggression als ein Mittel der Problemlösung zu gebrauchen. Kindsmißhandlung verhindert es, daß Kinder Mitgefühl für ihre Mitmenschen entwickeln. Ein hoher Prozentsatz jugendlicher Straftäter gibt an, als Kinder körperlich mißhandelt, sexuell mißbraucht und vernachlässigt worden zu sein. Hier ist die Möglichkeit der Sekundärrechtfertigung nicht zu verkennen: Die jugendlichen Delinquenten machen auf ihre angebliche Viktimisierung aufmerksam, um ihre Straftaten in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. Das Verhalten ihrer Eltern, das sie nachträglich als „körperliche Mißhandlung" bewerten, war möglicherweise eine Reaktion auf ihr delinquentes Fehlverhalten. Folgende Forschungsarbeiten haben bisher den empirischen Nachweis zu erbringen versucht, daß Kindsmißhandlung ein signifikanter Risikofaktor bei der Delinquenzentstehung ist: In einer Kohortenstudie verfolgte Cathy Spatz Widom (1989, 1992) die delinquenten Karrieren von 908 Kindern, die mißhandelt und vernachlässigt worden waren, und verglich sie mit denen einer Kontrollgruppe von 667 nichtmißhandelten und nichtvernachlässigten Kindern. 26% der Stichprobe mißhandelter und vernachlässigter Kinder waren — im Vergleich zu 17% der Kontrollgruppe — wegen Delinquenz verhaftet worden. Widom untersuchte auch die Hypothese: Opfer der Gewalt in der Kindheit nehmen als Erwachsene selbst Zuflucht zur Gewalt. Die Kinder ihrer Experimentalgruppe wurden später in ihrem Leben doppelt so häufig wegen Gewalttaten verhaftet als die Kinder ihrer Kontrollgruppe. Während 29% der Experimentalgruppe als Erwachsene kriminell wurden, verhielten sich 71% sozialkonform. Als Ergebnis ihrer Forschungsarbeit warnte Widom: Die Stärke der Hypothese des Gewaltzyklus („Cycle of Violence Hypothesis") ist möglicherweise nicht so erheblich, wie man ursprünglich angenommen hat. Die Langzeitfolgen des sexuellen Mißbrauchs an Kindern untersuchten Jane Siegel und Linda Meyer Williams (1995, 1993) an einer Stichprobe junger Männer, die als Kinder in der Notaufnahme eines Krankenhauses wegen sexuellen Mißbrauchs behandelt worden waren. Sie fanden heraus, daß nahezu doppelt so viele Probanden ihrer Experimentalgruppe im Vergleich zu den Probanden ihrer Kontrollgruppe wegen Delinquenz verhaftet worden wa-

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Kinder- und Jugenddelinquenz

ren. Das größte Delinquenzrisiko hatten Jungen, die ein männlicher Täter sexuell mißbraucht hatte, als sie unter 7 Jahre alt waren. Wiederholte Opfer sexuellen Mißbrauchs hatten ebenfalls das größte Delinquenzrisiko. Sexuell mißbrauchte Mädchen wurden während ihres Lebenslaufs vermehrt aggressiv. In einer Selbstberichtstudie waren Carolyn Smith und Terence Thomberry (1995) in der Lage, nachzuweisen, daß es eine signifikante Beziehung zwischen selbstberichteter und offiziell bekanntgewordener Mißhandlung auf der einen Seite und schwerer Delinquenz auf der anderen Seite gibt. Sie interviewten 823 Probanden, deren Mißhandlung durch Kinderschutzdienste festgestellt worden war. Ihrer Experimentalgruppe stellten sie eine Kontrollgruppe von 791 nichtmißhandelten Kindern gegenüber. Sie erzielten folgendes Ergebnis: Während Kindesmißhandlung nicht automatisch Delinquenz zur Folge hat, erhöht sie doch signifikant das Verhaftungsrisiko und die Häufigkeit späterer Verhaftung wegen schwerer Delinquenz. Die höchsten Delinquenzraten hatten die Probanden, die am längsten und am schwersten mißhandelt worden waren. Drei Gruppen bildeten Matthew T. Zingraff, Jeffrey Leiter, Kristen A. Myers und Matthew C. Johnsen (1993). Sie verglichen die Delinquenz einer Experimentalgruppe von 655 nach Zufall ausgewählten, mißhandelten Kindern (148 körperlich mißhandelten, 401 vernachlässigten und 84 sexuell mißbrauchten Kindern) mit einer Kontrollgruppe von 387 ebenfalls nach Zufall ausgewählten Schulkindern und einer weiteren Kontrollgruppe von 177 sozioökonomisch benachteiligten Kindern derselben Altersgruppe. Zwar wurden die Probanden ihrer mißhandelten Gruppe häufiger wegen Delinquenz verhaftet (14%) als die Probanden ihrer Schulgruppe (5%) und ihrer Armutsgruppe (9%). Ihre mißhandelten Kinder zeigten indessen signifikante Unterschiede gegenüber ihren nichtmißhandelten Kindern nur bei der Delinquenz im weiteren Sinne (z. B. beim Weglaufen aus dem Elternhaus, beim Schulschwänzen), nicht jedoch bei der Delinquenz im engeren Sinne, z. B. bei Gewalt- und Vermögensdelikten. Als Fazit ihrer Studie kommen sie zu dem Schluß: Das erhöhte Delinquenzrisiko, das man in der neuesten jugendkriminologischen Forschung herausgearbeitet hat, ist weidlich übertrieben worden. Als Resultat der bisherigen jugendkriminologischen Forschung zur Beziehung zwischen Kindesmißhandlung und Jugenddelinquenz kann festgehalten werden, daß Kindsmißhandlung Jugenddelinquenz zwar nicht automatisch zur Folge hat, daß sie aber einen Risikofaktor bei der Entstehung von Jugenddelinquenz bildet, der durch weitere Forschung noch näher zu konkretisieren ist.

4. Schule Eine Fülle delinquenter Handlungen wird in der Schule (im Schulgebäude, auf dem Schulhof) und auf dem Weg zur und von der Schule (auf der Straße,

im Bus, in der Straßenbahn) begangen: Vermögensdelikte (Diebstahl, Erpressung), Gewaltstraftaten (Körperverletzung, Raub) und Drogendelikte (Clemens Bartollas 1997, 259-291; Jack E. Bynum, William E. Thompson 1996, 311-334; Peter C. Kratcoski, Lucille Dunn Kratcoski 1996, 157-181). Gewalt in der Schule ist ein Thema, das die jugendkriminologische und die viktimologische Forschung der jüngsten Zeit erheblich beschäftigt hat (-• Schule, V, 668 - 676). Gewalthandlungen werden von Schülern gegen Lehrer, zwischen Schülern oder von Schülern gegen Sachen ihrer Schule oder ihrer Mitschüler verübt. Kinder- und Jugenddelinquenz ist regelmäßig verbunden mit schlechten Schulleistungen, mit Abneigung gegenüber der Schule und mit fehlerhafter Erziehungsbindung. Ein Jugendlicher, der in der Schule nichts leistet, wird keine Zuneigung zur Schule entwickeln und sich keinem Erziehungsideal verbunden fühlen. Der entstehende Freiraum wird durch die delinquente Gleichaltrigengruppe ausgefüllt. Nur mit einer Kombination mehrerer Theorien mittlerer Reichweite kann Delinquenz in der Schule erklärt werden. Da delinquenzbelastete Schulen vor allem in Großstadtbezirken liegen, die durch die Zerrüttung der Gemeinschaft gekennzeichnet sind, muß die Theorie der sozialen Desorganisation (Jackson Toby 1995) die Grundlage der Erklärung bilden. Delinquenz entsteht, wenn Gemeinschaften, wenn zwischenmenschliche Beziehungen zerfallen. In den sozial desorganisierten Großstadtgebieten wird die Schule abgelehnt. Die schulischen Erziehungsbemühungen werden nicht unterstützt. In ihrer Familie haben die Kinder zwischenmenschliche Bindungsfahigkeit nicht gelernt. Deshalb sind sie unfähig zu positiven Interaktionen mit ihren Lehrern. Der entscheidende Gesichtspunkt ist, daß die Kinder zur Schule keine Bindung haben, und zwar weder zum Erziehungsprozeß in der Schule noch zum sozialen Leben, das diesen Erziehungsprozeß umgibt (Arnold Binder, Gilbert Geis, Dickson Bruce 1988, 460-462; James F. Short 1990a, 87).

5. Massenmedien Die gegenwärtige Gewalt- und Kriminalitätsdarstellung in den Massenmedien hat negative Wirkungen auf die Gesamtbevölkerung, insbesondere auf die Eltern der Kinder und Jugendlichen. Diese negativen Wirkungen bestehen in der Hervorrufung eines Gewaltklimas in der Gesellschaft, einer ungerechtfertigten Verbrechensfurcht und schädlicher kriminalpolitischer Haltungen in der Bevölkerung (-» Massenmedien, V, 301-324). Die Bereitschaft zu gewaltsamem Verhalten wird auch bei Kindern und Jugendlichen verstärkt. Durch eine empirische Langzeitstudie von über 30 Jahren ist bewiesen worden (Leonard D. Eron, L. Rowell Huesmann 1980, 1984), daß das ständige Anschauen von Femsehgewalt durch Kinder einen nachhaltig negativen Ein-

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Kinder- und Jugenddelinquenz fluß auf den gesamten Lebenslauf der Kinder hat und zu gewaltsamem und kriminellem Verhalten in deren Jugend- und Erwachsenenzeit führen kann. Weitere empirisch-psychologische Studien unterstützen dieses Ergebnis (Hans Joachim Schneider 1996b; Brandon S. Centerwall 1993; Wendy Wood, Frank Y. Wong, J. Gregory Chachere 1991). Das Fernsehen lehrt seine Zuschauer aggressive Verhaltensstile. Durch die ständige Wiederholung gewöhnen sie sich nicht nur daran, aggressiv zu reagieren, wenn provozierende Umstände dies zu erfordern scheinen, sondern die ständige Wiederkehr von Mediengewalt hat auch eine Verminderung emotionaler Reaktionsfähigkeit auf Gewalt und eine zunehmende Akzeptierung aggressiver Einstellungen und Werte zur Folge. Mediengewalt hat eine übersättigende, gewöhnende und anpassende Wirkung an Aggression, die zu kontinuierlich abnehmenden und schließlich ausbleibenden emotionalen Reaktionen führt. Die ständigen Gewaltdarstellungen im Fernsehen begünstigen ein Gewaltklima in der Gesellschaft.

dringen. Elterliches Wissen über Religion ist bei nichtdelinquenten Jugendlichen häufiger, die sich öfter um Rat in religiösen Fragen an ihre Eltern wenden und deren Eltern vielfach religiöse Probleme mit ihnen diskutieren. Religiöse, nichtdelinquente Jugendliche haben regelmäßig religiöse, nichtdelinquente Freunde (Steven R. Burkett, Bruce D. Warren 1987). — Religiosität begrenzt und verringert delinquentes Verhalten in Gemeinschaften (Nachbarschaften, Dörfern, Stadtbezirken, Städten, Provinzen), in denen eine Mehrheit ein religiöses Bekenntnis ausübt und in denen Religion ein wesentlicher Bestandteil des täglichen Lebens ist (Rodney Stark, Daniel P. Doyle, Lori Kent 1980; Stark, Kent, Doyle 1982; Joseph W. Rogers, Larry Mays 1987, 192/193). Religion vermindert Delinquenz nur dort, wo religiöse Überzeugungen des Individuums von der sozialen Umgebung mitgetragen werden.

7. 6.

Daß die heutige Jugend erhebliche Mängel in der religiösen Erziehung besitzt und daß diese Aussage auch für delinquente Jugendliche zutrifft (Hans Jürgen Koervers 1988), sagt nichts darüber aus, ob eine Beziehung zwischen mangelnder Religiosität und Delinquenzverursachung besteht. Bloßes religiöses Wissen schützt nicht vor Delinquenz. Höllenstrafen stellen keine wirksamen Abschreckungsmittel dar. Jugendliche, die an das Leben nach dem Tode und an übernatürliche Sanktionen glauben, begehen genauso viele Straftaten wie Jugendliche, die nicht daran glauben. Teilnahme an religiösen Aktivitäten und Glaube an ein übernatürliches Sanktionssystem haben - für sich allein genommen - keinerlei Wirkungen auf delinquente Aktivitäten (Travis Hirschi, Rodney Stark 1969; Douglas M. Sloane, Raymond H. Potvin 1986; John K. Cochran, Ronald L. Akers 1989), die nicht nur rational motiviert sind, sondern die aus dem emotionalen und vitalen Bereich der Persönlichkeit herrühren. Religiosität ist kriminologisch bedeutsam, wenn sie in den Persönlichkeits- und Sozialbereich in folgender Weise ausstrahlt: -

Baustruktur

Religion

Sie muß in den persönlichkeitsformenden Jahren der Kindheit durch eine Identifikation mit religiösen Eltern verinnerlicht worden sein. Religiöse Orientierung, regelmäßiger Kirchenbesuch und Teilnahme der Eltern am religiösen Leben sind bei nichtdelinquenten Jugendlichen häufiger als bei delinquenten (Sheldon und Eleanor Glueck 1950, 167; F. Ivan Nye 1958, 35; Albert Lewis Rhodes, Albert J. Reiss 1970; Kirk W. Elifson, David M. Petersen, C. Kirk Hadaway 1983). - Religiosität muß das Klima in einer Familie bestimmen und die familiären Interaktionen durch-

Menschliches Verhalten gestaltet den Raum; es wirkt auf die Landschaft ein und formt die Baustruktur, die auf menschliches Verhalten zurückwirkt, es verändert, verstärkt und motiviert (-• Städteplanung und Baugestaltung, IV, 181-197). Eine durch die Baustruktur begünstigte Gelegenheit kann z. B. einerseits zu delinquentem Handeln motivieren. Ein durch die Baustruktur geförderter Gebietssinn kann andererseits dazu führen, daß die Bewohner selbst die informelle Kontrolle (Mitverantwortlichkeit) in ihrem Stadtviertel übernehmen, die potentielle Rechtsbrecher fernhält. Informelle Kontrolle, die die Polizei unterstützt, darf hierbei nicht mit Selbstjustiz verwechselt werden, die sich an die Stelle der Kriminaljustiz setzen will. Unzureichende Wohnbedingungen schaffen zwar nicht unmittelbar Delinquenz. Sie liefern aber den äußeren Rahmen für einen Prozeß sozialer Zerrüttung. Trabantenstädte, Großwohnanlagen an der Peripherie von Großstädten, die häufig „Stadtrandsiedlungen" genannt werden und die — mit Hilfe öffentlicher Mittel gebaut - auf eine Wohnverdichtung in preiswerten Wohnungen für einkommensschwache Familien abzielen („Schlafstädte"), sind überdurchschnittlich mit Delinquenz belastet. Denn von Anfang der Belegung der Wohnungen an vermag sich wegen der delinquenzökologisch unzureichenden Bauplanung keine stabile Sozialstruktur (keine „Mieter-Gemeinschaft") zu bilden. In der Bremer Großwohnanlage Osterholz-Tenever hat man für die Altersgruppe der 14- bis 17jährigen eine verdoppelte, für die 18- bis 20jährigen sogar eine verdreifachte Delinquenzbelastung im Vergleich zu Bremen ermittelt (Herbert Schäfer 1979). Ähnliche Verhältnisse werden für andere Neubausiedlungen berichtet, z. B. für den Stadtteil Kiel-Mettenhof (Detlev Frehsee 1981, 321)

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Kinder- und Jugenddelinquenz

oder für Schwalbach-Limesstadt im Großraum Frankurt (Antje Flade 1984). Die Jugendlichen dringen in schlecht gesicherte Keller ein; sie brechen Autos in Tiefgaragen auf, oder sie machen ihrer Aggression in vandalistischen Handlungen Luft, die sich unmittelbar gegen den Neubaubestand richten (z. B. Wandschmierereien). Die Kinder und Jugendlichen müssen lernen, sich mit ihrem sozialen Nahraum auseinanderzusetzen, zu dem auch die Wohnung, das Haus und das Gebiet gehören, in denen sie leben (Frehsee 1982, 276). Nach dem ökonomischen Prinzip kann man beträchtliche „Menschenmassen" auf engstem Raum hygienisch unterbringen. Damit sind für die psychosoziale Entwicklung des jungen Menschen indessen noch keine ausreichenden Möglichkeiten geschaffen. In den Großwohnanlagen (Hochhausvierteln) mit hoher Delinquenzbelastung sind die Gemeinschaftsund Jugendinteressen bei der Bauplanung zu sehr vernachlässigt worden. Es gibt zu wenig Nachbarschaftsräume, Spielflächen, Freizeit- und Kommunikationsräume. Ein Sinn für Territorialität, ein Zuständigkeits- und Verantwortlichkeitsgefühl von Mietergemeinschaften für ihre begrenzten räumlichen Bereiche, vermag sich nicht zu entwickeln. Die Eintönigkeit und die Gleichförmigkeit der Wohnungen und Wohnhochhäuser begünstigen ein Wohnund Lebensgefühl der Anonymität und der sozialen Isolation.

Auch die Art der Delikte ändert sich: An die Stelle von Vandalismus und Ladendiebstahl treten Einbruch und Raub.

2. Begriff der Jugendbande Von den lockeren, formloseren Gesellungseinheiten sind die Kinder- und Jugendbanden im engeren Sinne zu unterscheiden, die in den U S A und in Rußland häufiger vorkommen als in Westeuropa. Das Phänomen der Jugendbande ist freilich ein internationales Problem (Irving A. Spergel 1995). Als eine Jugendbande wird die selbstgebildete Vereinigung etwa gleichaltriger delinquenter Kinder, Jugendlicher und Heranwachsender verstanden, die sich in wechselseitigem Interesse, mit erkennbarer Führerschaft, mit gutentwickelten Befehls- und Gehorsamswegen und anderen organisatorischen Vorkehrungen für eine gewisse Dauer zusammengeschlossen haben und die konzertiert zur Erfüllung bestimmter Ziele handeln, die Straftaten und die gewaltsame Kontrolle eines umgrenzten Gebietes umfassen (vgl. zum Bandenbegriff Robert J. Bursik, Harold G. Grasmick 1995). Zahlreiche Jugendbanden konzentrieren sich freilich nicht mehr auf ein bestimmtes Bandengebiet (Joan W. Moore, Diego Vigil, Robert Garcia 1991; James F. Short 1990b).

3. Banden-Typologie IV. EINIGE AUSGEWÄHLTE SONDERPROBLEME A. Gleichaltrigengruppe und Bandendelinquenz 1. Gruppenunterstützung Die meiste Kinder- und Jugenddelinquenz wird zwar mit unmittelbarer oder mittelbarer Unterstützung der Gleichaltrigengruppe begangen („Co-offending"); dauernde Mitgliedschaft in einer gut organisierten Jugendbande ist aber ebenso selten wie ständige Einzeltäterschaft (Albert J . Reiss 1988). Delinquente Jugendsubkultur und Gruppenunterstützung sind nicht gleichbedeutend mit Jugendbande. Der delinquente Einfluß der Gleichaltrigengruppe macht sich regelmäßig in losen, instabilen, kurzlebigen, flexiblen und durchlässigen Gesellungsformen bemerkbar. Solche Gruppierungen (Cliquen, Haufen, Rotten, Meuten, Horden oder Scharen) besitzen keine feste Führerschaft und keine Struktur; sie sind nur von kurzer Dauer, und ihre Mitglieder wechseln ständig. Die meisten delinquenten Kinder und Jugendlichen verüben ihre Straftaten in ständigem Wechsel zwischen Täterschaft innerhalb und außerhalb solcher lockerer Zusammenschlüsse. Erst nachdem die Jugendlichen 15 bis 16 Jahre alt geworden sind, beginnt die Einzeltäterschaft zu überwiegen.

In ihrer Studie über Bandentrends haben Cheryl Maxson und Malcolm Klein (1995) herausgearbeitet, daß Banden nach ihrer Größe, ihrer Altersstruktur, ihrer Existenzdauer, ihrem Gebiet und ihrem delinquenten Verhalten in fünf Typen eingeteilt werden können: -

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Die traditionelle Bande besteht seit mehr als 20 Jahren und umfaßt Alters-Unterbanden. Manchmal teilen sich die Unterbanden auch nach Nachbarschaften auf. Sie besitzt eine große Variationsbreite des Alters (Mitglieder von 10 bis 30 Jahren), ist sehr groß und hat Hunderte von Mitgliedern. Die traditionelle Bande ist eine Gebietsbande; ihr Aktionsradius ist gut abgegrenzt. Die neo-traditionelle Bande ist kleiner als die traditionelle Bande, zu der sie sich mit der Zeit entwickelt. Die verdichtete Bande ist eine kleine Bande mit weniger als 50 Mitgliedern. Sie hat eine kurze Geschichte, keine Unterbanden, eine enge Altersverteilung und ein weniger deutlich abgegrenztes Gebiet. Die Kollektivbande ist eine größere Gruppe, die einer „gestaltlosen Masse" von Jugendlichen und Heranwachsenden gleicht. Sie verfügt nicht über die unterscheidenden Merkmale anderer Banden. Die Spezialitäts-Bande hat sich ganz auf die Delinquenzbegehung konzentriert. Sie ist kleiner im

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Kinder- und Jugenddelinquenz Umfang und enger in der Altersverteilung als die anderen Bandentypen. Sie nennt ein gut abgegrenztes Gebiet ihr eigen. Weniger als die Hälfte dieser Banden handelt mit Drogen. Am weitesten verbreitet ist die verdichtete Bande, am wenigsten die Kollektivbande; ihr folgt die Spezialitäts-Bande.

4.

Erscheinungsformen

Es gibt Schulbanden, Jugendstrafanstalts-Banden, Neo-Nazi-Banden und Motorradbanden. Der größte Teil der Banden setzt sich aus den Jugendlichen der ethnischen Minderheiten zusammen. In der Großstadt kommt Bandendelinquenz häufiger vor als auf dem Land. Jüngere Delinquenten begehen ihre Straftaten mehr in Banden als ältere heranwachsende Rechtsbrecher. Da die Jugendbande vor allem psychische Erwerbsziele verfolgt (mangelndes ökonomisches Prinzip), bezeichnet man Zusammenschlüsse erwachsener Rechtsbrecher als Verbrecherorganisationen (-• Organisiertes Verbrechen, V, 562-578). Die Teilung zwischen Jugendbande und Verbrecherorganisation verschwindet freilich immer mehr. Jugendbanden übernehmen die Drogenverteilung auf lokaler Ebene (auf Straßenbasis). Es entwikkeln sich enge Beziehungen zwischen Verbrecherorganisationen und Jugendbanden, die im Auftrag und unter Aufsicht der organisierten Verbrecher in ihrem Bandengebiet die Geschäftsleute erpressen (Schutzgelderpressung) (Ko-lin Chin 1996). Gewaltdelinquenz wird häufiger in Banden verübt als Vermögensdelinquenz. Bandendelinquenz ist sozial sichtbarer als Individualdelinquenz, die deshalb in höherem Maße als Bandendelinquenz im Dunkelfeld verbleibt. Die Mitgliederzahl der Jugendbanden ist unterschiedlich; im Durchschnitt hat eine „Gang" 3 bis 20 Mitglieder, die zumeist zwischen 10 und 21 Jahre alt sind. Die Bandenmitglieder kommen zwar aus allen sozialen Schichten. Am meisten verbreitet sind Jugendbanden allerdings in der Unterschicht. Die „Gangs" haben Kernmitglieder (Bandenführer und deren Stellvertreter), reguläre Mitglieder, Mitläufer und Randmitglieder. Sie bilden sich hauptsächlich in den Elendsvierteln, den Slums und Gettos, in zentralen Großstadtvierteln, neuerdings freilich auch in Trabantenstädten und Großwohnanlagen an der Peripherie der Großstädte, in sogenannten Stadtrandsiedlungen. Sie breiten sich immer mehr in Städten mittlerer Größe (10.000 bis 100.000 Einwohner) und in den Vorstädten der Großstädte aus (Daniel J. Monti 1994). Bandennamen, Aufnahmezeremonien, festgelegte Vorgehensweisen (Rituale), bestimmte Schlupfwinkel, Bandensprache, Graffiti, Tätowierung, Handzeichen und einheitliche Kleidung besitzen die Jugendbanden nicht nur, um ihren Bandenzusammenhalt zu festigen. Da die Bandenmitglieder in ihrem Status

und Selbstwertgefühl zutiefst verunsichert sind, brauchen die Banden feste Regeln und Definitionen zu ihrem eigenen Selbst Verständnis. Sie benötigen die Symbole ihrer Kleidung, ihres Namens, ihres Verhaltens, um sich selbst und anderen klarzumachen, wie sie sich selbst verstehen, wie sie verstanden werden wollen und wie man auf sie reagieren soll. Die kleine Zahl der Kernmitglieder der Jugendbanden ist in der Gefahr, sich zu erwachsenen Intensivtätern („Career Criminals") zu entwickeln (Irving A. Spergel 1990, 207; Jerzy Sarnecki 1990). Mädchen und junge Frauen gehören Jugendbanden nach wie vor selten an (Anne Campbell 1991, 1995). Sie machen weniger als 10% der Bandenmitglieder aus und verüben etwa 5% der Straftaten der Jugendbande. Obgleich sich die Mehrheit der Jugendbanden aus männlichen Mitgliedern zusammensetzt, wachsen die selbständigen weiblichen Jugendbanden schneller als die männlichen.

5.

Ursachen

Zur Entstehung der Bandendelinquenz sind sechs verschiedene Theorien entwickelt worden: -

Nach dem anthropologischen Ansatz (Herbert A. Bloch, Arthur Niederhoffer 1958) ähneln die Bandenprozesse in modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften den Pubertätsriten primitiver Gesellschaften, mit denen der Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter (der männliche Reifungsprozeß) markiert wird: Viele Bandenmitglieder tätowieren sich oder kennzeichnen ihre Kleidung. Banden tragen Uniform, Lederjacken und Stiefel. - Die Anomie-Theorie (Irving A. Spergel 1995) geht davon aus, daß Jugendliche in gesellschaftlichen Krisenzeiten ermutigt werden, Banden zu bilden. Wenn traditionelle Werte nicht mehr binden, neue Normen aber noch nicht verbindlich geworden sind, kann es zur Anomie (zum Wertezerfall) kommen, der die Bildung von Jugendbanden begünstigt. Während der russischen Revolution im Jahre 1917 und während des Zusammenbruchs der Sowjetunion im Jahre 1990 entstanden viele Jugendbanden. Die deutsche Wiedervereinigung war mit der Entwicklung zahlreicher rechtsradikaler Jugendbanden verbunden. - Aufgrund der Theorie der sozialen Desorganisation ist die Bandenbildung das Ergebnis mehrfacher Randständigkeit („Multiple Marginality") (James Diego Vigil 1988, 1995). Den Bandenmitgliedern mangelt es an sozialen Fähigkeiten. Sie fühlen sich ethnisch minderwertig. Ihre Familie ist zusammengebrochen. Sie haben keine Wohnung und keine Arbeitsstelle. Ihre Ausbildung und ihre soziale Mobilität sind so schlecht, daß sie keine Beschäftigung finden können. Die Bande wird zur Institution, die teilweise die emotionale und soziale Unterstützung der Familie ersetzt.

486 -

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Kinder- und Jugenddelinquenz

Ökonomisch und schichtspezifisch versuchen die Subkulturtheorien von Albert K. Cohen (1955), von Richard A. Cloward und Lloyd E. Ohlin (1960) sowie von Walter B. Miller (1968) die Bandendelinquenz zu erklären. Die Subkulturtheorien von Cohen, Cloward und Ohlin betonen im Rahmen der Verursachung der Bandendelinquenz den Konflikt zwischen den Werten und Zielen der vorherrschenden Mittelschicht und den Möglichkeiten der Unterschichtsjungen, diese Werte zu befolgen und diese Ziele zu erreichen. Nach Walter B. Miller beruht die Bandendelinquenz auf dem Wertsystem der Unterschicht, auf einer „lange etablierten, strukturspezifischen Tradition mit ihrer ganz eigenen Geschlossenheit". Der psychologische Ansatz macht Persönlichkeitszüge der Bandenmitglieder für die Bandenbildung und -delinquenz verantwortlich. Nach Lewis Yablonsky (1997, 191 - 1 9 4 ) ist die Jugendbande eine Nahgruppe („Near-Group") von soziopathischen Persönlichkeiten, die Macho-Syndrom-Verhalten an den Tag legen. Ihre Hauptmotivation ist ihr ständiges Streben nach Respekt, nach Ansehen und nach persönlicher Macht, die sie wegen ihres niedrigen Selbstwertgefühls entbehren. Martin Sanchez Jankowski (1991, 23-28) fand bei den von ihm untersuchten Bandenmitgliedern einen herausfordernden individualistischen Charakter. Sein „Syndrom von Persönlichkeitszügen" der Bandenmitglieder setzt sich aus sieben Merkmalen zusammen: Wettbewerbssinn, Mißtrauen und Wachsamkeit, Selbstsicherheit, soziale Isoliertheit, Überlebensinstinkt, eine Weltsicht des Kampfs ums Dasein und ein trotziges Gehabe. Die Bandenmitglieder, die Malcolm W. Klein (1995, 76) untersucht hat, charakterisiert er folgendermaßen: persönliche Mängel, niedriges Selbstwertgefühl, unzulängliche Impulskontrolle, unzureichende soziale Fähigkeiten, eine Tendenz zur Trotzigkeit, Aggressivität, ein unverhältnismäßig großes Streben nach Status, Identität und Kameraderie, ein langweiliger, unengagierter Lebensstil. Nach der rationalen Wahltheorie ist die Beteiligung an einer Jugendbande eine Entscheidung, die nach reiflicher Überlegung und Abwägung aller legalen Möglichkeiten getroffen wird. Die Jugendbande stellt ein Mittel zur Erreichung von Bestrebungen dar, die auf legalem Wege nicht erfüllt werden können. Die Jugendlichen streben nach Beachtung, Status, Sicherheit, Macht und neuen Erlebnissen; sie suchen Identität und Selbstwertgefühl, die sie auf andere Weise nicht erreichen können (Irving A. Spergel 1990, 223/ 224; 1995, 92-103). Jugendliche ethnischer Minderheiten schließen sich einer Bande zu ihrem persönlichen Schutz an. Für viele ist die Bande ein Familienersatz. Das Zusammenwirken mit Gleichaltrigen beim Stehlen, bei Bandenkämpfen und bei vandalistischen Handlungen macht ihnen

Spaß und befriedigt Sato 1991; Arnold M. Padilla 1993). Sie um sich psychisch Theory").

ihre Abenteuerlust (Ikuja P.Goldstein 1991; Felix gehen bewußt Risiken ein, zu erregen („Attraction

6. Bandendelinquenz

als

Prozeß

Am besten kann die Bandendelinquenz mit einer Kombination aus der Theorie der sozialen Desorganisation und den sozialen Lern-, Kontroll- und Gruppen-Interaktions-Theorien erklärt werden. Jugendbanden befinden sich in einem ständigen Prozeß zu- und abnehmender, fortschreitender, nachlassender und zerfallender Organisation und Strukturierung: -

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Sie bilden sich immer dann, wenn Sozialstrukturen, wenn Gemeinschaften, wenn soziale Gruppen wie Familie, Schule, Nachbarschaft, Ausbildungs-, Berufs- und Freizeitgruppen, zerfallen. Die zerrüttete Gemeinschaft hat die Fähigkeit zu informeller sozialer Kontrolle weitgehend eingebüßt; sie duldet Jugendbanden (Ruth Horowitz 1987). Das Individuum besitzt zu wenig Möglichkeiten, persönliche Beziehungen aufzubauen; es sucht in der Bande Ansehen, Prestige und Zugehörigkeit (Daniel R. Wolf 1991). Die sozialen Fähigkeiten der Bandenjungen sind innerhalb ihrer Familie nicht genügend entwikkelt worden. Unbefriedigende Schul- und Berufsausbildungserfahrungen engen den Spielraum der Rollendynamik für die Bandenjungen weiter ein. Sie lernen den Umgang mit ihren Lehrern und Mitschülern nicht; sie vermögen sich in neuen sozialen Situationen nur schwer zurechtzufinden. Sie suchen in der Bande Identität, Selbstachtung und Anerkennung. Um ihren sozialen Status aufzubessern, wenden sie sich der Jugendbande zu. Die Gewaltanwendung nach außen stärkt den Zusammenhalt der Bandenmitglieder nach innen im Bandenbildungs- und -erhaltungsprozeß. Die Reaktion der Massenmedien auf Bandendelinquenz, nämlich ihre Romantisierung und Dramatisierung, befriedigt das Geltungsstreben der Bandenmitglieder und verschlimmert so das Problem (Marjorie S. Zatz 1987; Malcolm W. Klein, Cheryl L. Maxson 1989). Je mehr sich die Öffentlichkeit über das Bandenunwesen entrüstet und je härter das Kriminaljustizsystem auf Jugendbanden reagiert, desto enger schließen sie sich zusammen. Je größer der Druck und die Bedrohung von außen werden, desto unkritischer bestätigt die Jugendbande ihre Führerschaft. Die Bandenmitglieder rechtfertigen ihr delinquentes Verhalten gegenseitig. Keiner fühlt sich im Interaktionsprozeß der Bande für Straftaten persönlich verantwortlich (kollektive Verantwortungslosigkeit).

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Kinder- und Jugenddelinquenz B. Jugendkrawalle Von der Jugendbande sind lockere, vorübergehende Zusammenrottungen, spontane Zufalls- und Augenblicksansammlungen von Jugendlichen und Heranwachsenden zu unterscheiden, die in Krawallen Gewalt gegen Personen und Sachen anwenden. Die gewaltsamen Jugendrudel oder -schwärme sind kurzlebige nichtorganisierte Gesellungsformen, die so plötzlich wieder zerfallen, wie sie entstanden sind. Die Übergänge zur Jugendbande sind freilich fließend. Häufig nutzen Jugendbanden Krawallsituationen aus. In den 50er Jahren kam es im Rahmen von sogenannten Halbstarkenkrawallen in Verbindung mit Rock'n'Roll-Musikveranstaltungen zu Tumulten, bei denen Jugendliche nicht mehr nur Lärm und Unfug machten, sondern Mobiliar zerschlugen und Menschen verletzten. Waren die Halbstarkenkrawalle der 50er Jahre relativ unorganisiert, so nutzten die Rocker die Jugendunruhen der 60er Jahre schon wesentlich systematischer aus. Äußerer Anlaß für die Jugendkrawalle in Zürich im Jahre 1980 war die Schließung und der Abriß eines autonomen Jugendzentrums. Für die Entstehung der Krawalle machte man indessen die Zukunftsangst der Jugend, ihren Mangel an Zuwendung und Geborgenheit und die Unglaubwürdigkeit der Politiker verantwortlich, die in Korruptionsaffaren und alle möglichen Skandale verwickelt sind. Den jugendlichen Hausbesetzern in West-Berlin in den 70er und 80er Jahren ging es im wesentlichen um ihren Protest gegen eine materialistische Konsumhaltung der Bevölkerung, die auf die Dauer die natürlichen Ressourcen der Gesellschaft zerstört, und um die Entwicklung alternativer Lebensformen. Ihre Protesthaltung wurde durch gewaltorientierte Horden und Meuten ausgenutzt. Die „Kahlköpfe" („Skin Heads") der Gegenwart führen gewaltsame Ausschreitungen mit ethnischen Minderheiten (z. B. Türken) bewußt und systematisch herbei, weil sie sich — unter Vorgabe einer nationalistischen Gesinnung - den ethnischen Minoritäten gegenüber benachteiligt fühlen. Alle Jugendkrawalle entstehen aus Ansammlungen oder Zusammenrottungen von Jugendlichen, die mehr oder weniger zufallig zustande gekommen sind oder bei denen Gelegenheiten (z. B. Antiatomkraft-Demonstrationen) ausgenutzt werden (-• Krawalle, V, 382—391).

C. Jugendvandalismus 1.

Definition

Unter Vandalismus versteht man eine vorsätzliche, zerstörerische, schädigende Handlung, die sinnund zwecklos, nihilistisch und irrational erscheint oder deren Motiv von der Gesellschaft im Verhältnis zum angerichteten Schaden als trivial und absurd (uneinfühlbar) angesehen wird, die für den Täter hingegen durchaus Sinn haben kann. Es können

Menschen angegriffen und körperlich und seelisch verletzt werden. Man kann Tiere scheinbar sinnlos quälen und töten. Am häufigsten kommt allerdings das Beschädigen und Zerstören von Sachen vor. Vandalismus wird vorwiegend, aber keineswegs ausschließlich von jungen Menschen (Teenagern) aller sozialen Schichten verübt. Wesentlich für die vandalistische Handlung ist, daß sie von der Gesellschaft als Vandalismus definiert wird. In den materialistischen Gesellschaften der Gegenwart bringt man zwar ein begrenztes Einfühlungsvermögen für Delikte wie Betrug und Diebstahl auf. Wenn Sachen allerdings ohne jeden erkennbaren materiellen Nutzen für irgend jemanden beschädigt oder vernichtet werden, verletzt der Täter ein Tabu. Vandalismus ist als Bezeichnung für das barbarisch grausame Vernichten alles Schönen und Ehrwürdigen gefühlsmäßig besetzt. Seine stereotype Benennung als rücksichtslos, ignorant, erbarmungslos, unmotiviert, böswillig, gnaden- und witzlos, mutwillig und heimtükkisch bedeutet deshalb, daß man die Motive des Rechtsbrechers nicht erkennt oder nicht wahrhaben will oder daß man ihnen mit Abscheu jeden Sinn abspricht.

2.

Erscheinungsformen

Der Umfang des Jugendvandalismus ist konkret nicht feststellbar, da das Dunkelfeld des nicht angezeigten, verborgen gebliebenen Jugendvandalismus sehr hoch ist. Seine Erscheinungsformen sind äußerst vielfältig (Hans Joachim Schneider 1987, 622/3). Der Vandalismus beschränkt sich nicht nur auf die Beschädigung und Zerstörung von Sachen. In Schulen werden beispielsweise Lehrer körperlich von Schülern angegriffen, ohne daß man sich den Angriff auf den ersten Blick zu erklären vermag. Vandalistische Handlungen begehen z. B. auch die „Schreckanrufer", die Frauen mit sexuellen Zumutungen beleidigen oder die — wahrheitswidrig - behaupten, Angehörige des Angerufenen seien plötzlich verstorben oder nach einem schweren Verkehrsunfall mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden (Hans von Hentig 1967, 83—87). Vor, während und nach Fußballspielen kommt es zu Schlägereien und Verwüstungen mannigfaltiger Art (Fußballvandalismus) (Jeffrey H. Goldstein 1986). Die Fanausschreitungen sind in jüngster Zeit zu einem ernsten Sozialproblem geworden (Kurt Weis, Christian Alt, Frank Gingeleit 1990).

3.

Schulvandalismus

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es drei Untersuchungen zum Schulvandalismus: - In Düsseldorf und Duisburg wurden Schüler des 7. bis 9. Jahrgangs befragt (Heinz Günther Holt-

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Kinder- und Jugenddelinquenz

appels 1985). 11,6% gaben an, Sachen im Schulgebäude (z. B. auf den Toiletten, im Flur, im Unterrichtsraum) abmontiert zu haben. Sachen von Mitschülern hatten 10,4% absichtlich zerstört. Im Schulgebäude etwas absichtlich beschädigt oder zerstört (z. B. Wände beschmiert, Türen, Stühle, Toiletten und Geräte beschädigt) hatten 17,3% der befragten Schüler. - Eine Erhebung im Bundesland Rheinland-Pfalz kam auf der Grundlage von Lehrereinschätzungen zu dem Ergebnis, daß nur 1,4% der Schüler vandalistische Handlungen begangen hatten (Heinz Bach, Rolf Knöbel, Angelika ArenzMorch, Anton Rosner 1984). - In Nürnberg wurden die Schüler (nur) solcher Lehranstalten befragt, die über Vandalismus offiziell berichtet hatten. Für 1983 ergab sich, daß lediglich 13% der Befragten noch nie Objekte der eigenen schulischen Umgebung in irgendeiner Form beschädigt hatten. Zumindest geringfügigen Vandalismus berichteten 85% der Schüler, schwerwiegenderen immerhin 55%. 1984 gaben 5% nichts an, 95% nannten die leichtere und 70% die schwerere Form. Jungen sollen mehr Vandalismus begehen, insbesondere der schwerwiegenderen Form (Ruth Klockhaus, Brigitte Habermann-Morbey 1986; Klockhaus, Anneliese Trapp-Michel 1988).

4. Ursachen Ebenso vielfältig verschieden wie die Erscheinungsformen des Vandalismus sind auch die Verursachungstheorien zum Vandalismus (Arnold P.Goldstein 1996, 31-45). D a der Jugendvandalismus vor allem ein Gruppenproblem ist (Jens-Jörg Koch 1986, 69), kommt der Gruppeninteraktionstheorie eine besondere Bedeutung zu. Sie hält viele Eigentumszerstörungen für versehentliche oder zufällige Auswüchse von Gruppeninteraktionen, die man in fünf Phasen beschreiben kann: -

Viel Zeit von Jugendlichen wird in unstrukturierten Situationen verbracht („vergammelt"). Man langweilt sich. Eine Gelegenheit für vandalistisches Verhalten bietet sich häufig in solchen Situationen an. - Ein Jugendlicher macht einen Vorschlag für eine vandalistische Handlung, um seine Position und sein Ansehen in der Gruppe zu stärken. Die unstrukturierte Situation verwandelt sich, wenn seine Anregung keinem Widerstand begegnet. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn sein Plan Elemente des Wagnisses und der Erregung enthält. Ein gegenseitiger Anregungs- und Aufregungsprozeß schaukelt sich hoch. - Die Jugendlichen überzeugen in diesem Prozeß ihre Gruppe und sich selbst. Ihre überwiegende Mehrheit hält es für außerordentlich wichtig, so

zu handeln, wie Gleichaltrige das erwarten. Keiner will als „Feigling" erscheinen, besonders wenn es um „Mutproben" geht. - Im Widerstreit zwischen verinnerlichten Normen der Gesellschaft und den Anforderungen an die Loyalität einer Gleichaltrigengruppe siegt die Freundschaftsclique (Subkultur). Das Individuum verliert zeitweilig seine Identität; seine Gefühle der Furcht, Schuld und Verantwortlichkeit verringern sich. In der vorherrschenden Gruppeninteraktion treten an ihre Stelle Solidarität mit der Gruppe, Anonymität und Sicherheitsgefühl in der Gruppe. - Die Mitglieder der Gruppe (Subkultur) unterstützen den Vandalismus, indem sie ihn nicht als delinquent definieren: Es handelt sich bloß um einen „Scherz", einen „Streich"; es wird kein Opfer geschädigt; die Versicherung bezahlt sowieso alles; die Gruppe ist verantwortlich, nicht aber der einzelne. Die Tatsache, daß keine Einzelperson einen materiellen Nutzen hat, verstärkt die Rechtfertigung und das Selbstbild des einzelnen, der sich selbst nur als „Lausbub", als „Schelm", nicht aber als delinquent definiert. D a Jugendvandalismus vorwiegend Schulvandalismus ist, bietet sich die Raumgestaltungstheorie (H. J. Schneider 1987, 626/7 m. w. N.) als Ergänzung zur Gruppeninteraktionstheorie an. Sie unterstreicht die situativen Aspekte der Verursachung: Ungepflegtheiten von Schulen, insbesondere Vorbeschädigungen, geben einen Anreiz zu vandalistischem Verhalten. Unübersichtliche Gebäudestruktur und ebenso auch unübersichtliche innere Organisation von schulischen Abläufen begünstigen Schulvandalismus, weil sie normunsichere Bereiche schaffen und die Kontrolle von Handlungen der Schüler erschweren. Wenn die Schule ungepflegt und in schlechtem baulichen Zustand ist, kommt vandalistisches Verhalten häufiger vor. Dieselbe Wirkung haben unwohnliche Klassenräume und monotone Architektur. Nach der Raumgestaltungstheorie, die eine delinquenzökologische Theorie ist, sollen Schulen so baulich unterhalten und verschönert werden, daß jeder Schüler und jeder Lehrer stolz auf ihre Schule sein können. Schulen sind besonders dann Ziele des Vandalismus, wenn ihre Schüler und Lehrer sich mit ihnen nicht identifizieren können, wenn den Schülern ihre Schule fremd ist, wenn sie sie nicht als i h r e Schule definieren können und wenn die Lehrer die Schule häufig wechseln.

D. Drogendelinquenz Droge ist jeder natürliche und künstliche Stoff, der die körperliche und seelische Befindlichkeit des Menschen beeinträchtigen kann (Arthur Kreuzer 1987, 3). Wesentlich ist, ob die Droge in der Gesellschaft als illegal definiert wird. Das schwerste Dro-

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Kinder- und Jugenddelinquenz genproblem der Jugend ist rein quantitativ ihr Alkoholkonsum. Von der Gesellschaft werden indessen die Rauschgiftdelikte, die im Handel und im Konsum von Cannabis, Heroin, Kokain und Amphetamin oder in der Beschaffungsdelinquenz der Rauschgiftabhängigen bestehen, für bedrohlicher erachtet. Rauschgiftdelikte spielen in den neuen Ländern im Vergleich zu den alten Ländern — nach der offziellen Kriminalstatistik — noch keine größere Rolle. Die Beschaffungsdelinquenz ist in den neuen Bundesländern noch unbedeutend. Die Cannabis- und Heroinfalle sind im Bundesgebiet am weitesten verbreitet. Im Jahre 1995 sind die Cannabisfälle stark, die Heroinfälle - nach Rückgang in den Vorjahren leicht angestiegen; eine starke Zunahme gab es bei den Kokain- und Amphetaminfällen (Bundeskriminalamt 1996,234). Das Dunkelfeld der Drogendelinquenz ist freilich sehr groß. Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß die Drogendelinquenz abnimmt. Allerdings dramatisieren die Massenmedien — nach wie vor - das Drogenproblem und tragen auf diese Weise nicht zu seiner Lösung bei. In den USA spricht man von einer „Drogenpanik" (Robert M. Regoli, John D. Hewitt 1991, 273). Die Massenmedien berücksichtigen zu wenig, daß für die meisten Jugendlichen eine gelegentliche Drogenerfahrung Episode bleibt. Eine realitätsgerechte Informationspolitik würde sich für eine angemessene Kontrolle der Drogendelinquenz günstig auswirken. Die Ursachen der Drogendelinquenz bestehen in Gesellschafts-, Gruppen- und Individualeinflüssen. Drogen aller Art (Beruhigungs-, Schlaf-, Schmerz-, Weck- und Rauschmittel) werden in der heutigen Gesellschaft extensiv benutzt, um zwischenmenschliche und innerpsychische Konflikte zu lösen und um aus der langweiligen und drückenden Realität des Alltags zu flüchten (Regoli, Hewitt 1991, 271). Die Familie schrumpft zum Kleinstverband, aus dem sich Jugendliche immer früher lösen, um sich elterlicher Kontrolle zu entziehen. Autorität und Vorbild werden von der Elterngeneration in ständig schwindendem Maße realisiert. Sie werden von der jüngeren Generation kaum noch akzeptiert, selbst wenn die Eltern sich redlich bemühen. Familiäre Sozialisationsmängel werden in der Schule nicht ausgeglichen, sondern eher noch verschärft. Man zieht sich auf intellektuelle Ausbildung zurück. Aufgrund ständiger Mißerfolge in Familie, Schule und Berufsausbildung wird der junge Mensch in seiner Selbstachtung schwer getroffen (Robert C. Trojanowicz, Merry Morash 1992, 404-411). Er wendet sich seiner Gleichaltrigengruppe zu, in der er in delinquenter Subkultur und mit Gruppenunterstützung von Freunden den Drogenkonsum und seine Rechtfertigung lernt (Arnold Binder, Gilbert Geis, Dickson Bruce 1988, 520; Richard E. Johnson, Anastasios C. Marcos, Stephen J. Bahr 1987). In Interaktion mit Mitgliedern der delinquenten Subkultur, aber auch mit Angehörigen sozialkonformer Gruppen und mit Vertretern der Kriminaljustiz ändert der

Drogengefahrdete schrittweise seine Identität, und er ordnet sein Leben allmählich um die allesbeherrschende Rolle des Drogenabhängigen herum (Drogenkarriere).

E. Straßenkinder 1. Begriff und

Erscheinungsformen

In den Entwicklungsländern sind Straßenkinder, die ständig, tagsüber und nachts, allein oder in Gruppen zu fünft oder sechst auf der Straße leben, ein großes Problem (Arif Gosita 1992; Yves Brillon 1980, 214-236; Stefan Roggenbuck 1993; Barindra Nath Chattoraj 1994; Edmundo Oliveira 1993); sie werden freilich zunehmend auch zum Problem in den Industrieländern (Marlene Webber 1991). Sie sind meist über zehn Jahre alt; der größte Teil von ihnen ist zwischen 15 und 17 Jahre alt. Sie fristen ihr Leben durch Arbeit, Betteln und Delinquenz. Sie führen Gelegenheitsarbeiten durch; sie putzen beispielsweise Schuhe, machen Botengänge, verkaufen Zeitungen, waschen und bewachen Autos, tragen Werbeplakate; sie suchen nach Essensabfallen in Hinterhöfen von Restaurants und Hotels; sie handeln aber auch mit gestohlenen Waren und Drogen, oder sie leben sogar von Prostitution, Diebstählen und Raubüberfallen. Sie reißen z. B. Straßenpassanten schnell Handtaschen, Geldbörsen oder Armbanduhren weg. Sie baden zusammen in öffentlichen Brunnen. Nachts schlafen sie - meist in ihrer Gruppe — auf Bürgersteigen, in verlassenen Häuserruinen, unter Brücken oder auf dem Friedhof. Straßenleben bedeutet stete Jagd nach Geld für Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Drogen, Jagd nach etwas, das sich in diese Güter umwandeln läßt. Die Straßenkinder haben ein niedriges Selbstwertgefühl, und ihre Erwartungen an das Leben sind bescheiden. Auf der Straße gelten Drogen nicht als Problem, sondern sie helfen, der täglichen Aussichtslosigkeit zu entfliehen. Auch AIDS ist nicht so wichtig. Wenn man nämlich kein menschenwürdiges Leben führt, hängt man nicht allzu sehr am Leben. Außerdem kommen Vergewaltigungen häufig vor, so daß wirksamer Schutz gegen AIDS kaum möglich ist.

2.

Ursachen

Aufgrund empirischer Untersuchungen, z. B. teilnehmender Beobachtung, Interviews, versuchen drei unterschiedliche kriminologische Theorien die Verursachung des Problems der Straßenkinder zu erklären: -

Nach der Familientraditionstheorie (Lewis Aptekar 1988), die für Lateinamerika entwickelt worden ist, entsteht das Problem durch den schichtspezifischen Konflikt zweier unterschiedlicher Fa-

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Kinder- und Jugenddelinquenz

milientraditionen. Die vaterzentrierte Familie europäisch-spanischer Herkunft besitzt ein autoritäres, patriarchalisches Konzept der Familienstruktur. Die in den lateinamerikanischen Mittelund Oberschichten dominante vaterzentrierte Form der Kindererziehung verlangt, daß die Kinder lange Zeit in ihren Familien bleiben und patriarchalisch kontrolliert werden. Nach dem mutterzentrierten Familienkonzept, das aus Afrika und von den lateinamerikanischen Eingeborenen (Indios) stammt und das in den unteren sozialen Schichten Südamerikas vorherrscht, bildet die Mutter mit ihren Kindern den Kern der Familie; der Mann (der Vater) ist lediglich eine Randfigur, dem Unabhängigkeit zugestanden wird und der die Familie regelmäßig verläßt. Der Junge in der mutterzentrierten Familie wird dadurch sozialisiert, daß man ihm erlaubt, in der Nachbarschaft umherzustreifen, vor seiner Pubertät seine Familie ganz zu verlassen und von seiner Mutter unabhängig zu werden. Die mutterzentrierte Familie bringt also — nach dieser Theorie - absichtlich Straßenkinder hervor. Die Mutter ermutigt ihren Sohn - nachdem sie seine unmittelbaren kleinkindlichen Abhängigkeitsbedürfnisse befriedigt hat - , sein Heim zu verlassen und ein unabhängiger Mann zu werden. Dieser Theorie zufolge entsteht das Problem der Straßenkinder nur dadurch, daß die lateinamerikanischen Mittel- und Oberschichten die mutterzentrierte Unterschichtsform der Kindererziehung als eine Bedrohung für den Bestand ihrer vaterzentrierten Familienstruktur wahrnehmen. Sie sehen nämlich ihre Rechte als Eltern gefährdet, von ihren Kindern Unterordnung und Gehorsam zu verlangen. -

Nach der Modernisierungstheorie (Jose Arthur Rios 1990; Marcos F. Granados Tellez 1976), die ebenfalls vor allem für die Entwicklungsländer gilt, wird das Problem durch den Mangel an sozioökonomischem Fortschritt hervorgebracht: durch die große Kluft zwischen Arm und Reich, durch Arbeitslosigkeit der Eltern und mangelnde Berufsausbildung der Jugendlichen, durch den sozioökonomischen Druck, der auf den Familien lastet und zur familiären Desorganisation führt. Insbesondere die unkontrollierte Wanderung armer Familien aus dem ländlichen Raum und aus kleineren Städten in die Großstädte ist für die Entstehung des Problems verantwortlich. Die Zuwanderer erhofften sich einen höheren Lebensstandard in den Großstädten. Ihre Erwartungen wurden enttäuscht. Sie hausen in Barrios und Favelas, Elendsquartieren, Slums ohne Wasserleitung, Elektrizität, Straßennetz und Kanalisation, in äußerster Armut und schlechtesten hygienischen Verhältnissen. Ihre durch sozioökonomischen Streß entstehenden Konflikte reagieren sie gewaltsam in ihren Familien ab. Deshalb ziehen die Straßenkinder die Straße ihren Familien als Aufenthaltsort vor.

- Nach der Traumatisierungstheorie (Marlene Webber 1991), die man für die Industrieländer herausgefunden hat, leiden Straßenkinder darunter, daß sie keine Liebe und Zuneigung erfahren haben. Sie sind im Gegenteil durch Menschen, denen sie Vertrauen entgegengebracht haben, in ihrer Kindheit psychisch schwer verletzt worden. Sie sind z. B. von ihren Eltern als unerwünscht abgelehnt worden. Man hat sie vernachlässigt, körperlich mißhandelt und sexuell mißbraucht, sogar vergewaltigt. Sie haben miterleben müssen, wie ihre Mutter und ihre Geschwister mißhandelt worden sind. In der Schule haben sie versagt; sie waren dort isoliert. Häufig haben die Straßenkinder als Teenager schon selbst Kinder. Die Gefahr, daß sie die Erziehungsfehler und Gewalttaten ihrer Eltern wiederholen, ist enorm groß, so daß sich der Teufelskreis schließt.

3. Soziale

Reaktion

Die Massenmedien behandeln das Problem der Straßenkinder unterschiedlich. Zum Teil skizzieren sie sie als heroische, romantische Charaktere, die das Abenteuer suchen. Zum Teil stellen sie sie als mitleidserregende Opfer dar. Die öffentliche Meinung nimmt ihnen gegenüber eine ambivalente Haltung ein: eine Mischung zwischen Neid und Bewunderung auf der einen Seite und Mitleid und Verachtung auf der anderen Seite. Mehr als 400 Straßenkinder sind im Jahre 1991 in Brasilien von „Todesschwadronen" ermordet worden. In den 60er Jahren hat man in Südamerika eine Politik der Institutionalisierung verfolgt. Die Jugendanstalten vermögen die Menge der Straßenkinder jedoch nicht aufzunehmen. Außerdem hat sich Institutionalisierung als zu teuer und zu unwirksam erwiesen. Seit den 80er Jahren befürwortet man eine Politik der Entinstitutionalisierung, der auf die Gemeinschaft gegründeten Alternativprogramme. Teams von Erziehern und Sozialarbeitern versuchen, kleinen Gruppen von Straßenkindern (bis zu 30) unmittelbar oder mittelbar zu helfen. Das geschieht z. B. durch Tagesbetreuungsstätten, in denen die Kinder und Jugendlichen Mahlzeiten umsonst oder zu niedrigen Preisen erhalten. Dort können sie auch duschen und baden und am Unterricht teilnehmen. Man schenkt ihnen Kleidung. Wenn sie es wünschen, können sie auch in Heimen übernachten.

F. Haßverbrechen 1. Definition

und

Charakterisierung

Haßverbrechen sind Gewalttaten, die gegen eine Person oder gegen eine Sache allein oder vorwiegend wegen der Rasse, der Religion, der ethnischen Zugehörigkeit, des Geschlechts, der politischen oder sexu-

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Kinder- und Jugenddelinquenz eilen Orientierung, des Alters oder der geistigen oder körperlichen Behinderung dieser Person oder des Eigentümers oder Besitzers dieser Sache begangen werden. Es sind Angriffe auf die Menschen- und Verfassungsrechte des Opfers. Der körperlichen Gewalt gehen meist psychische Gewalt und verbale Gewaltäußerungen voraus. Haßverbrechen sind Prozesse, die man folgendermaßen charakterisieren kann: -

-

-

-

-

Sie sind Gruppendelikte. Sie streben nach der Domination einer Innengruppe durch die Degradierung einer Außengruppe. Sie werden im Namen einer Bevölkerungsgruppe verübt und richten sich gegen eine andere Bevölkerungsgruppe (Opfergruppe). Durch seine Zugehörigkeit zu einer solchen identifizierbaren Gruppe besitzt das Opfer, das für den Täter austauschbar ist, einen symbolischen Status. Haßverbrechen verfolgen den Zweck der Verletzung einer Person oder der Zerstörung einer Sache und gleichzeitig der Verbreitung der Botschaft, daß die Bevölkerungsgruppe, der das Opfer angehört, in dem Gebiet oder in der Gesellschaft unerwünscht ist. Die Opfer, die sich für gewöhnlich schlecht zu verteidigen vermögen, gehören verletzbaren, machtlosen, sozial isolierten, marginalisierten Gruppen an. Haßverbrechen beruhen stets auf einer Ideologie, auf gesellschaftlichen Vorurteilen, die die Täter zur Neutralisation ihrer Straftaten benutzen. Für sie ist die Opfergruppe, die ihnen als minderwertig (Untermenschen, Parasiten des Wohlfahrtsstaates) gilt, eine Bedrohung der Macht, des Prestiges und der Privilegien der Bevölkerungsgruppe, in deren Namen sie handeln („Verschwörungstheorie"). Gegen diese Bedrohung glauben sie sich verteidigen zu müssen. Sie rechtfertigen deshalb alle von ihnen verübten Gewalttaten als Selbstverteidigung. Die Opfer verdienen - ihrer Meinung nach — ihre Viktimisierung. Haßverbrechen sind schließlich Delikte zwischen Fremden. Wegen der gesellschaftlichen Distanz zum Opfer lassen sich die sozialen Vorurteile der Tater am besten aufrechterhalten (Richard A. Berk 1990).

Haßverbrechen werden mit besonderer Brutalität und Gefühllosigkeit begangen. Häufig kann man sich in ihre Motivation nicht einfühlen. Man hält sie deshalb für irrational. Sie werden indessen durchaus rational verübt. Denn sie beruhen auf einer Ideologie. Tater der Haßverbrechen sind meist junge Männer im Alter bis zu 30 Jahren (97,3%), die zu mehreren ihnen fremde und völlig unschuldige Opfer angreifen (Alexis A. Aronowitz 1994). 2.

Erscheinungsformen

Die Variationsbreite der Erscheinungsformen von Haßverbrechen ist groß. Sie reicht von Alltagsdelikten, Drohanrufen und Spray-Graffiti, bis zu brutal-

sten Schwerverbrechen, Brandanschlägen und Serien· und Massenmorden. Man beleidigt durch verbale Äußerungen. Man verübt Hakenkreuzschmierereien. Man versendet volksverhetzende Schriften. Man begeht Sachbeschädigungen durch Sprüh-, Schmier- und Klebeaktionen. Man zerkratzt Autolack und schlägt Scheiben an Fahrzeugen ein. Man zersticht Auto-, Motorrad- und Fahrradreifen. Man wirft Fensterscheiben mit Steinen ein. Man zerstört jüdische Friedhöfe. Man jagt Ausländer durch die Straßen und bewirft sie mit Steinen. Man schlägt Ausländer („Nigger-Bashing"), Homosexuelle („Gay-Bashing") und alte Menschen („GrannyBashing"). Man wirft Ausländer aus U- und S- Bahnen. Man dringt in ihre Unterkünfte ein und zerstört die Inneneinrichtung. Man wirft Brandsätze und Molotowcocktails in Ausländer-Unterkünfte. Man legt Brände im Gebäudeinnern. Man verschießt Silvesterraketen und Signalmunition auf Unterkünfte von Asylbewerbern. Man setzt Synagogen und Kirchen in Brand und zerstört jüdische Gedenkstätten an den Holocaust. Man versendet Briefbomben an Menschen, die sich für eine multikulturelle Gesellschaft einsetzen. Weltweite Publizität haben die „ethnischen Säuberungen" in Bosnien, die Brandanschläge auf Asylbewerberheime in Deutschland und die Angriffe auf Immigranten in den Gettos von OstLondon hervorgerufen (vgl. zu Umfang, Ursachen und Kontrolle der Haßverbrechen: Hans Joachim Schneider 1996a).

3.

Typologie

Man unterscheidet vier Typen von Haßverbrechen (Jack Levin, Jack McDevitt 1993): Sensations-, Reaktions-, Missions- und Organisationshaßverbrechen. Sensationshaßverbrechen begeht man aus Freude am Zufügen von Leiden. Mitglieder fast jeder verwundbaren Bevölkerungsgruppe sind als Opfer willkommen. Jugendbanden mögen keine Fremden, keine Menschen, die anders als sie sind. Sie verwenden rassistische Slogans und Symbole, um Prestige, Zustimmung, Lob und Unterstützung anderer junger Leute und zahlreicher Erwachsener zu erlangen. Sie begehen spektakuläre Gewalttaten gegen Fremde, um Schlagzeilen in der Presse zu machen. Das ist ihnen Motiv genug. Aus einem NiemandHaufen wird plötzlich etwas: gefährliche Rassisten und Neonazis für die einen, lokale Helden und Patrioten für die anderen. Die Täter von Reaktionshaßverbrechen rechtfertigen ihre Rechtsbrüche damit, daß Eindringlinge in ihr Gebiet ihre Gemeinschaft und ihren Lebensstil bedrohen. Sie sehen die Verwirklichung ihrer Lebensart durch die bloße Anwesenheit von Menschen einer anderen Bevölkerungsgruppe als gefährdet an. Nach der Ansicht der Täter gehört ihnen und ihrer Bevölkerungsgruppe „ihre" Nachbarschaft, „ihre"

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Kinder- und Jugenddelinquenz

Schule, „ihr" Arbeitsplatz. Sie glauben, Eindringlinge machten ihnen ihr Recht auf „ihre" Nachbarschaft, „ihre" Schule und „ihren" Arbeitsplatz streitig; sie müßten ihre Nachbarschaft vor der Invasion von Außenseitern „schützen". Die Opfer von Reaktionshaßverbrechen werden einfach deshalb angegriffen, weil sie von ihren Verfassungsrechten Gebrauch machen. Eine farbige Familie, die in ein Gebiet einzieht, das nur von Weißen bewohnt wird, erhält zunächst eine „Warnung". Wenn dies nichts nützt, werden ihr die Scheiben ihrer Wohnung eingeworfen. Fruchtet auch das nichts, macht man einen Brandanschlag. Die Welt von einem Übel zu befreien, sehen die Tater von Missionshaßverbrechen als ihre Pflicht an. Sie möchten aus „Sendungsbewußtsein" alle Menschen eliminieren, die — nach ihrer Ansicht — ihren Glauben oder ihre Rasse bedrohen. Alle Mitglieder der Außengruppe sind für sie Untermenschen, Tiere oder Dämonen, die nur darauf erpicht sind, die Kultur, die Wirtschaft oder das rassische Erbe ihrer Innengruppe zu zerstören. Die Täter handeln in höherem Auftrag. Gott, der Führer oder der Guru haben ihnen befohlen, die Welt dadurch zu reinigen, daß sie eine ganze Menschenkategorie vernichten. Denn sie sind davon überzeugt, daß sie für alle ihre Frustrationen verantwortlich ist. Die meisten Haßverbrechen werden zwar von mehreren Tätern und im Namen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe verübt. Es sind aber keine Delikte, die von strukturierten Gruppierungen geplant und ausgeführt werden. Obgleich sich die Zahl der Haßgruppen in den letzten Jahren enorm vermehrt hat, stellen Organisationshaßverbrechen, also Delikte, die von Haßgruppen verübt werden, immer noch zahlenmäßig eine Minderheit dar. Es handelt sich allerdings in der Regel um sehr schwere Verbrechen, durch die Haßgruppen eine „Mission" zu erfüllen trachten. Solche Haßgruppen haben einen Führer, und sie verfügen über ein Glaubenssystem, das auf Haß und Gewalt aufbaut. Ihre Mitglieder, die sich für längere Zeit zusammengeschlossen haben, entwickeln ein Wir-Gefühl. Sie werden in der Haßgruppe ideologisch in eine bestimmte Richtung gedrängt; sie lernen in der Subkultur Haßeinstellungen, einen gewaltsamen Verhaltensstil und Haßgruppennormen. Zur Verteidigung des eigenen subkulturellen Wertsystems halten sie die Anwendung von Gewalt für erforderlich. Die Gruppe unterstützt den gewaltsamen Verhaltensstil ihrer Mitglieder und die Haßgruppennormen. Organisierte Haßgruppen unterhalten paramilitärische Trainingslager; sie verbreiten ihre Haßbotschaft über Computer-Netzwerke, Telefonservice und Kabelfernsehen. Haßaktivisten predigen rassischen und religiösen Haß.

4. Die

Skinheads

Eine Haßgruppe, die organisierte Haßverbrechen begeht, sind die Skinheads, die durch Tätowierungen, geschorene Köpfe, schwarze englische Arbeits-

stiefel und Bomberjacken erkennbar sind. Neben gewaltorientierten rechtsradikalen Gruppen gibt es auch unpolitische Skinheads. Die Skinhead-Bewegung ist in den 60er Jahren in London entstanden (Mark S. Hamm 1994). Sie besteht aus jungen Männern der Arbeiterschicht, die in der Schule und in ihrem Beruf nicht erfolgreich waren und die mit ihren Familien nicht zurechtkamen. In ihrer Skinheadgruppe fühlen sie sich angenommen und geborgen. Mitte der 70er Jahre wandte sich ein Teil der Skinheads in London der rechtsextremen Ideologie zu. In die USA und nach Deutschland kamen die Skinheads erst Mitte der 80er Jahre. Sie hören „HeavyMetal"-Musik, sehen sich Porno- und Horror-Videos an, greifen Ausländer, Homosexuelle und politisch links orientierte Gruppen an und trinken Bier, um ihre Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Sie vertreten eine rechtsextremistische Ideologie: Die Regierungen halten sie für zionistisch unterwandert. Sie betrachten ihre weiße Rasse als allen anderen Rassen überlegen. Sie sind der Meinung, sie müßten sich gegen die Zerstörung der arischen Rasse durch Rassenmischung zur Wehr setzen.

V. INTERNATIONALER VERGLEICH Die Jugenddelinquenz steigt weltweit an. Die Delinquenz der weiblichen Jugend ist zwar wesentlich niedriger als die der männlichen. Sie wächst aber stärker als die der männlichen Jugend. Industrialisierung, Verstädterung und Mobilisierung der Gesellschaft haben wesentlich zum Anstieg der Jugenddelinquenz in den Industrieländern beigetragen (Knut Sveri 1986). Durch die wirtschaftliche Entwicklung haben sich Sozialstruktur, Wertvorstellungen und Verhaltensstile in der Gesellschaft geändert. Der soziale Wandel hat die Konflikte vermehrt. Der Druck auf die sozialen Gruppen, auf Familie und Nachbarschaft, hat zugenommen. Die sozialen Gruppen zeigen Auflösungstendenzen. Familienzerrüttung und mangelhafte Sozialisation sind Probleme in allen Industrie- und Dienstleistungs-Gesellschaften (Adam Krukowski 1987). Ein Teil der Jugend in den Industrieländern ist durch die lange Ausbildungs- und Vorbereitungszeit für das berufliche Leben in der Erwachsenengesellschaft entmutigt. Sie flüchtet vor der Bürde des Berufs, der Elternschaft und der Familie in die für sie reiche, zufriedenstellende Nische der Jugendsubkultur mit eigener Sprache, Kleidung und Musik, mit eigenen Verhaltensstilen und Wertvorstellungen. Die Mühen um eine Erwachsenenkarriere erscheinen ihr zu groß (Theodore N. Ferdinand 1980). Der vorzeitige Abbruch der Schule und der Berufsausbildung nimmt in den Industrieländern zu. Das bürokratisch-soziale Wohlfahrtsmodell der Gesellschaft, die Permissivität gegenüber sozialabweichenden Randgruppen und die reaktive Behandlungsstrategie haben in Schweden und in den Niederlanden die Probleme der Jugenddelinquenz eher

Kinder- und Jugenddelinquenz noch verschärft (Hugh D. Barlow, Theodore N. Ferdinand 1992, 179-185). Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist die Jugenddelinquenz Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre in Rußland stark angestiegen. Das gilt insbesondere für die Vermögensdelikte und in geringerem Umfang für die Gewaltstraftaten der männlichen Jugend (James O. Finckenauer 1995, 65-86). Man führt das Wachsen der Jugenddelinquenz auf eine Schwächung der sozialen Institutionen, der Familie, der Schule, der Gemeinschaft, zurück. Elterliche Erziehungspraktiken und Aufsicht sind mangelhaft. Die Jugend, die zu viel unbeaufsichtigte Freizeit hat, schließt sich delinquenten Gleichaltrigengruppen an. In den Entwicklungsländern ist die Jugenddelinquenz noch ein geringeres Problem. Während in den westlichen Industrieländern ungefähr 20% bis 30% der Straftaten von der Jugend begangen werden, macht Jugenddelinquenz in den Entwicklungsländern nur etwa 2% bis 8% der Kriminalität aus, obgleich in den Entwicklungsländern der Anteil der Jugend an der Bevölkerung wesentlich höher ist als in den Industrieländern (Binder, Geis, Bruce 1988, 378). In den ländlichen Gebieten der Entwicklungsländer ist die Familie unzerstört; sie übt eine wirksame informelle Kontrolle aus (Sankar Sen 1993; Harjit Sandhu 1987). Die Jugend ist noch gut in die Erwachsenengesellschaft eingeordnet; eine Jugendsubkultur hat sich bisher noch nicht gebildet (Clayton Α. Hartjen, Sesha Kethineni 1996a, 1996b; Hartjen 1991; Hartjen, S. Priyadarsini 1984). Allerdings lassen die negativen Nebenfolgen der Wirtschaftsentwicklung (ζ. B. Gemeinschaftszerfall, Schwächung der informellen Kontrolle in den sozialen Gruppen) die Jugenddelinquenz in den Entwicklungsländern ebenfalls wachsen. Das gilt vor allem für die sogenannten Schwellenländer, ζ. B. für Südkorea. Hier wiederholen sich die negativen Nebenfolgen der Wirtschaftsentwicklung, die die Industrieländer bereits erleiden mußten und denen sie zum größten Teil bis heute nicht wirksam entgegenzutreten vermochten (vgl. zu speziellen Ursachen der Delinquenz in Indien: Betty David 1994). Das Wachsen der Jugenddelinquenz als schädliche Nebenfolge der sozioökonomischen Entwicklung ist allerdings nicht unausweichlich. Das zeigen die Beispiele der Schweiz (Marshall B. Clinard 1978; Walter T. Haesler 1981; kritisch Flemming Balvig 1988) und Japans (H. J. Schneider 1992), die beide ein vergleichsweise geringeres Problem der Jugenddelinquenz haben. In beiden Ländern ist es gelungen, traditionelle Wertvorstellungen und Verhaltensstile mit den Anforderungen einer modernen Industriegesellschaft zu verbinden. Die informelle Kontrolle in Familie und Nachbarschaft ist noch weitgehend wirksam. Sozial desorganisierte Gebiete und Jugendsubkulturen haben sich kaum gebildet. Die Bevölkerung fühlt sich dem Fleiß, der Selbstdisziplin und der Eigenverantwortlichkeit verpflichtet. In Japan erkennt sie vor allem Gruppenmeinung und Gruppen-

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gefühl an. Die Familien, die Verwandten, die Nachbarn und Bekannten vermitteln den jugendlichen Delinquenten ein Gefühl der Scham für ihre Missetaten. Eltern und Schulen arbeiten eng mit der Polizei zusammen. Nur 54 kleine Jugenderziehungsanstalten, in denen im Durchschnitt 40 bis 90 Insassen leben, sind über die japanischen Inseln verteilt (Barlow, Ferdinand 1992, 153, 178/9).

VI. VERHÜTUNG UND KONTROLLE Die traditionellen Delinquenzverhütungs-Programme (Übersicht bei H.J. Schneider 1987, 6 5 3 665) haben sich als unwirksam erwiesen, weil sie die Ursachen der Kinder- und Jugenddelinquenz nicht langfristig und nicht grundlegend genug angegangen haben. Kinder- und Jugenddelinquenz entsteht in gesellschaftlichen und in Gruppen-Prozessen, die nur mittel- und langfristig zu beeinflussen sind. Wertvorstellungen und Verhaltensstile müssen ζ. B. geändert werden. Für die Delinquenzverhütung haben Familie und Schule Schlüsselpositionen inne. Die sozioökonomisch schlecht gestellte Familie ist nicht nur finanziell zu unterstützen. Der Familie mit unzureichenden Erziehungsmethoden, insbesondere der Familie, in der Kinder mißhandelt und sexuell mißbraucht werden, muß man durch staatliche Betreuungs-, Kontroll- und Beratungsdienste zur Hilfe kommen. Kindererziehung muß durch Weiterbildung der Eltern, durch die Darstellung von friedlichen, konfliktlösenden Familieninteraktionen im Fernsehen und in Videos und durch ein entsprechendes Fach in der Schule gelehrt werden. Schülerinnen, Schüler und ihre Eltern müssen gegenüber der Schule positivere Einstellungen entwickeln; darauf muß hingewirkt werden. Die Lehrerausbildung muß sich auch mit den Problemen der Delinquenzverhütung befassen. Lehrer und Eltern sind Rollenmodelle; das muß ihnen klar vor Augen geführt werden. Das Schulklima ist zu verbessern. Soziale Bindungen an die Schule sind zu stärken. Bei Lehrern, Schülern und Eltern muß ein Zugehörigkeitsgefühl zur Schule entwickelt werden. Es muß ein Klima der gegenseitigen Achtung und der demokratischen Zusammenarbeit herrschen. Schüler und Eltern sind an Entscheidungsprozessen der Schule zu beteiligen. Ein entsprechendes, auf die Schule gestütztes Delinquenzverhütungsprogramm hat sich in den USA als erfolgreich erwiesen (Denise C. Gottfredson 1986, 1990). Auf Kinder- und Jugenddelinquenz sollte möglichst informell reagiert werden (-»Diversion) (Richard J. Lundman 1993,247). Ein Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren ist einem formellen Jugendstrafverfahren vorzuschalten. Jugendrechtliche und sogar jugendstrafrechtliche Maßnahmen sind allerletzte Mittel. Wenn sie notwendig werden, sind die Verfassungs- und Verfahrensrechte des jugendlichen und heranwachsenden Angeklagten genauso zu beachten wie beim erwachsenen Angeklagten. Die Er-

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Kinder- und Jugenddelinquenz

Ziehungsbedürftigkeit des jungen Menschen darf nicht als Vorwand dienen, ihm seine Rechte zu schmälern. Die Freiheitsstrafe in Jugendstrafanstalten, die sich zur Verhütung des Rückfalls als ungeeignet erwiesen hat ( D o n C. Gibbons, Marvin D. K r o h n 1991, 299/300), ist weitgehend durch auf die Gemeinschaft gegründete Behandlungsmaßnahmen in Freiheit zu ersetzen. Seit der Schließung der Jugenderziehungs- und -Strafanstalten im Staat Massachusetts (USA) zu Anfang der 70er Jahre (Jerome G. Miller 1991) haben sich die Entinstitutionalisierungs-Bewegung und die auf die Gemeinschaft gestützten Alternativprogramme zur Freiheitsstrafe in den U S A erheblich erweitert (Clemens Bartollas 1997, 4 5 5 - 4 8 5 ) . Die Staaten U t a h , Pennsylvania, Maryland und Florida haben in ähnlicher Weise wie Massachusetts ihre Jugendstrafvollzugs-Systeme reformiert. Intensivüberwachung in Freiheit und Wiedergutmachungsprogramme werden besonders bevorzugt. Die Wirksamkeit der Wiedergutmachung, der Strafaussetzung zur Bewährung und der Einweisung in eine Jugenderziehungsanstalt hat Anne L. Schneider (1986, 1990) miteinander verglichen. Sie hat 876 delinquente Jugendliche, die von sechs verschiedenen Jugendgerichten verurteilt worden waren, zwei bis drei Jahre lang beobachtet. Wiedergutmachungsprogramme waren wirksamer als Strafaussetzung zur Bewährung und Jugendstrafe; sie verringerten den Rückfall in größerem Umfang. Allerdings hatten die G ü t e der Verwirklichung der Programme und die Geschicklichkeit des Personals eine gewisse Bedeutung für den Erfolg. Anne L. Schneider (1986, 1990) k a m zu dem Ergebnis, delinquente Jugendliche sollten ihren Opfern und der Gemeinschaft gegenüber für ihre Missetaten verantwortlich gemacht werden, aber in einer nichtstrafenden, positiven Art und Weise, die es dem Täter erlaubt, seine Selbstachtung wiederzuerlangen. Aus dieser Perspektive heraus sollten jugendliche Täter nicht so behandelt werden, als ob sie an einer grundlegenden Persönlichkeitsstörung litten, sondern als Personen, die Fehler gemacht haben, die berichtigt werden können und die sich nicht wiederholen werden. Die Bewahrung eines Selbstbildes als guter, ehrlicher, gesetzestreuer Bürger und ein hohes M a ß an Reue und Scham waren mit einer niedrigen Rückfallrate verbunden. Dagegen hatten Schwere und Sicherheit der erwarteten Strafverfolgung keine günstige, sondern eher eine ungünstige Wirkung auf die Rückfallneigung. Wiedergutmachungsprogramme stärken das Selbstbild eines gesetzestreuen Bürgers und rufen Reue und Scham hervor, ohne ein solches Selbstbild zu schädigen. Es zeigte sich, daß negative Generalprävention, die fremdbestimmte Verhaltenssteuerung (Zwang durch Strafandrohung) bezweckt, wenig erfolgreich ist. Demgegenüber wird die Wirksamkeit der positiven Generalprävention, die auf selbstbestimmte Verhaltenssteuerung (Gesetzesnorm als Verhaltensmodell) gerichtet ist, erheblich unterschätzt.

Einige Delinquenzverhütungs-Programme, die mehr als einen Risikofaktor ansprechen, die relativ lange andauern und die vor der Adoleszenz durchgeführt werden, haben sich in jüngster Zeit in den U S A als erfolgreich erwiesen (vgl. den Überblick bei Richard E. Tremblay, Wendy Μ. Craig 1995). Es geht im wesentlichen u m drei Vorgehensweisen: Vorschulprogramme, die die Kinder geistig und seelisch bereichern, Elternschulung (in Verbindung mit einem Verhaltens-Training der Kinder) zur Verbesserung ihrer Erziehungsmethoden und Familieninteraktionen sowie Schulprogramme, die Lehrer-, Eltern- und Schülertraining miteinander kombinieren (David P. Farrington 1996b; Peter W. Greenwood 1995). Die Vorschulprogramme sollen durch geistige und seelische Bereicherung die kognitiven Fähigkeiten der Kinder entwickeln, damit sie den späteren Anforderungen durch Schule und Berufsausbildung besser gerechtzuwerden vermögen. Sie sollen sie insbesondere zu positiven zwischenmenschlichen Interaktionen befähigen (Edward Zigler, C a r a Taussig, K a t h r y n Black 1992). D a s interpersonelle kognitive Verhaltenstraining der Kinder in ihrem frühen Grundschulalter oder in ihrer späteren Entwicklung zielt darauf ab, sie prosoziale Methoden der Problemlösung zu lehren und hierdurch ihre Selbstkontrolle zu verbessern. Eltern- und Lehrertraining verfolgen die Aufgaben, ihre Erziehungsmethoden und ihre Interaktionen mit ihren Kindern und Schülern wirksamer zu gestalten, um dadurch der Delinquenz der Kinder und Schüler vorzubeugen. Z u m besseren Verständnis der erfolgreichen Delinquenzverhütungs-Programme werden die drei verschiedenen Methoden (Vorschulprogramme, Elternschulung mit Verhaltenstraining der Kinder und Schulprojekte) a n h a n d von Beispielen etwas näher erläutert: Die „Perry Preschool Study", ein „Preschool Intellectual Enrichment P r o g r a m " (David P. Weikart, Lawrence J. Schweinhart 1992), wandte sich an 3bis 4jährige Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien. Ihre Eltern besaßen einen niedrigen Ausbildungs- und Berufsstatus. Die Kinder erhielten an jedem Werktag morgens zweieinhalb Stunden Unterricht. M a n besuchte Mutter und Kind jede Woche 90 Minuten lang, u m mit der Mutter die Entwicklungsfortschritte des Kindes zu erörtern und um sie emotional zu stützen. Der Unterricht der Kinder hatte den Sinn, ihre Kontrolle über sich selbst und ihre U m g e b u n g zu entwickeln. D a s Programm erlaubte den Kindern, ihre Absichten kundzutun, ihre Handlungen selbst zu bestimmen und ihre Gedanken frei zu äußern (kindorientiertes Lernen). Durch den frühen geistigen und seelischen Auftrieb hatten die Kinder der Interventionsgruppe — gegenüber Kindern einer Kontrollgruppe - einen größeren Schulerfolg, insbesondere bessere Fähigkeiten beim Lesen und Schreiben, bessere Beziehungen zur Schule und ihren Lehrern, mit 27 Jahren eine niedrigere Arbeitslosen- und Sozialhilferate, schließlich

Kinder- und Jugenddelinquenz weniger schweres Fehlverhalten und eine geringere Verhaftungsrate. Die drei folgenden Programme, die zu einer Verminderung der Jugenddelinquenz führten, hatten eine Elternschulung („Parent Management Training") allein oder in Verbindung mit einem Verhaltenstraining der Kinder zum Gegenstand. Die Verbindung beider Methoden war am erfolgreichsten. Theoretische Grundlage aller drei Programme war die kognitive Verhaltensperspektive. Man lehrte die Eltern, ihren Kindern Verhaltensgrenzen zu setzen, das Benehmen ihrer Kinder zu beobachten und richtig zu definieren, ihr prosoziales Verhalten zu verstärken und ihr antisoziales Benehmen wirksam, aber verhältnismäßig zu bestrafen und Familienkrisen zu meistern. Man bemühte sich, die KonfliktLösungs-Fähigkeiten der Eltern zu entwickeln. Um die Eltern-Kind-Interaktionen zu verbessern, ergänzte man teilweise das Eltern-Erziehungs-Training (die „Parent Training Intervention") durch ein Verhaltenstraining der Kinder. Man verstärkte ihre prosoziale Kompetenz und verbesserte ihre Selbstregulierung. Man entwickelte ihre Fähigkeiten, Konflikte mit Eltern und Gleichaltrigen angemessen und friedlich zu lösen. Man lehrte sie, sich prosoziale Ziele zu setzen. Man unterwies sie darin, sich ein Gleichaltrigen-Umfeld aufzubauen, das prosoziales Verhalten unterstützt. Ihnen wurden Eltern-Kind-InteraktionsMuster vorgeführt, die die Eltern-Kind-Bindung entscheidend verbesserten: -

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Die „Montreal Longitudinal-Experimental Study" (Richard E. Tremblay, Frank Vitaro, Lucie Bertrand, Marc LeBlanc, Helene Beauchesne, Helene Boileau, Lucille David 1992) trainierte Eltern aus Gebieten Montreals mit niedrigem sozioökonomischen Status. Ihre Kinder waren im Kindergarten durch Hyperaktivität, Widerspenstigkeit, Streitsüchtigkeit, Angst, Unaufmerksamkeit und mangelndes prosoziales Verhalten aufgefallen. Im Alter von 7 bis 9 Jahren wurden die Kinder zusammen mit ihren Eltern erzieherisch betreut. Die Kinder wurden drei Jahre lang nachuntersucht und zeigten weniger Schulanpassungsprobleme und geringere Delinquenz als eine Kontrollgruppe. In der „Universität Pittsburgh Studie" (Alan E. Kazdin, Todd C. Siegel, Debra Bass 1992) versuchte man, die Problem-Lösungs-Fähigkeiten der Eltern und teilweise auch ihrer Kinder zu verbessern. Das Training dieser Fähigkeiten und der Erziehungspraktiken der Eltern hatte signifikante Fortschritte in der prosozialen Kompetenz der Kinder und eine Verminderung ihres aggressiven, antisozialen und delinquenten Verhaltens zur Folge. Die Verbesserungen zeigten sich im Verhalten zu Hause, in der Schule und in der Gemeinschaft unmittelbar nach dem Training und in einer Nachuntersuchung ein Jahr nach Beendigung des Trainings.

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— Das „Adolescent Transitions-Program" (Thomas J . Dishion, Gerald R . Patterson, Kathryn A. Kavenagh 1992; Dishion, David Andrews 1995) widmete sich ebenfalls der Eltern-Trainings-Intervention, die durch ein Verhaltenstraining der Kinder (Teenager) vervollständigt wurde. Die Eltern besaßen ein niedriges Einkommen und eine mittelmäßige Ausbildung. Sie wurden zu acht Elternpaaren in zwölf wöchentlichen Sitzungen von 90 Minuten Dauer geschult. Drei individuelle Sitzungen für jedes Elternpaar ergänzten die Gruppensitzungen. Die Trainingsgruppe der Kinder bestand aus 6 bis 8 Teenagern. Das Training der Eltern in ihren Erziehungspraktiken verminderte das antisoziale Verhalten schwer delinquenter Jugendlicher. Das „Seattle Social Development Project" (J. David Hawkins, Richard F. Catalano, Diane M. Morrison, Julie O'Donnell, Robert D . Abbott, L. Edward Day 1992) war ein Schulprogramm, das sich theoretisch auf das soziale Entwicklungs-Modell stützte. Dieses Modell vereinigte in sich die kognitiv-soziale Lerntheorie und die Kontrolltheorie. Es verstand die Bindungen zur Familie und zur Schule als Schutzfaktoren gegen Delinquenz und Drogenmißbrauch. Während der ersten Grundschuljahre wurden bei den Schülerinnen und Schülern starke Bindungen zur Familie und Schule entwickelt, so daß die Kinder motiviert wurden, die Verhaltensmaßstäbe dieser Institutionen anzunehmen. Das Projekt besaß drei Dimensionen: ein Schulprogramm, ein Schüler- und ein Elterntraining. Das Schulprogramm gründete sich auf folgende drei Konzepte: — Zu Beginn des Schuljahres sprachen die Lehrer klare Erwartungen und ausdrückliche Belehrungen über Anwesenheit und Verhalten in der Klasse aus (proaktive Klassenleitung). Sie erkannten und belohnten alle Versuche, diese Vorschriften zu befolgen. Sie lobten und ermutigten beständig prosoziales Verhalten. — Das zweite Konzept, das interaktive Lehren, basierte auf dem Versprechen, daß praktisch alle Schüler die Fähigkeiten entwickeln könnten, die notwendig waren, um unter angemessenen Bedingungen in der Klasse erfolgreich zu sein. — Das kooperative Lernen bot allen Schülern mit unterschiedlichen Fähigkeiten und verschiedenem sozialen Hintergrund die Möglichkeit, als Team zusammenzuarbeiten und die Vorgaben des Lehrplans zu erfüllen. Das Team erhielt die Anerkennung für die akademische Leistung der Gruppe. Alle drei Konzepte sollten die positive Einstellung der Schüler zur Schule und ihre soziale Bindung an die Schule verstärken. Das Schülertraining, ein auf Kognition gegründetes Training sozialer Kompetenz, versuchte, die Konflikt-Lösungs-Fähigkeiten der Schüler zu entwickeln. Sie lernten, ihre Ziele friedlich und einvernehmlich zu erreichen, ohne zu

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Problem-Verhalten Zuflucht nehmen zu müssen, das ihre Interaktionspartner schädigte. Beim Elterntraining lernten die Eltern, das Verhalten ihrer Kinder zu beobachten, zwischen erwünschtem und unerwünschtem Benehmen genau zu unterscheiden, wünschbares Verhalten positiv zu verstärken und nicht-wünschbares Benehmen in maßvoller Weise konsequent und beständig zu bestrafen. Man brachte den Eltern bei, Erwartungshaltungen für das Verhalten ihrer Kinder einzunehmen. Man lehrte sie, ein positives Lern-Umfeld zu Hause zu schaffen, das ihren Kindern half, ihre Lese- und Mathematik-Fähigkeiten zu entwickeln. Man befähigte sie schließlich, sich mit den Lehrern ihrer Kinder wirksam zu verständigen und Lernfortschritte ihrer Kinder zu unterstützen. Nach vier Trainingsjahren stellte man signifikante Unterschiede zwischen der Interventionsgruppe und einer nicht-trainierten Kontrollgruppe fest. Die Kinder der Interventionsgruppe hatten eine bessere Bindung zu ihrer Familie und zur Schule. Sie beurteilten ihre Schule positiver; sie waren engagierter, eine Ausbildung zu erhalten. Sie hatten signifikant niedrigere Delinquenzraten und waren am Drogenmißbrauch signifikant geringer beteiligt.

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SCHNEIDER

Opfern erheblich und nicht selten langandauernd. Opferbehandlung ist deshalb notwendig. Sexualstraftäter sind gefährlich und rückfallgeneigt. Ihre Behandlung ist schwierig. Denn sie müssen ihre sozialabweichende sexuelle Neigung verlernen. Dazu sind keineswegs alle bereit und in der Lage. Behandlungserfolge (Lerngewinne) müssen durch einen ebenfalls gelernten Selbststeuerungsprozeß erhalten und durch intensive äußere Kontrolle sichergestellt werden. Dieses wissenschaftlich gewandelte Erscheinungsbild nutzten Ideologen und clevere Journalisten zu Dramatisierungen, zu aufgeregten Übertreibungen und emotionalen Empörungen aus. Stellenweise kam es in einzelnen Landesteilen zu panikartigen Entwicklungen (Karel Pyck 1994), zu vorschnellen Beschuldigungen, die nüchterner Überprüfung nicht standhielten.

B. Definition

SEXUELLER MISSBRAUCH AN KINDERN Α. Altes und neues Erscheinungsbild Durch die moderne empirisch-kriminologische und -viktimologische Forschung (-• Viktimologie) hat sich das Erscheinungsbild des sexuellen Mißbrauche an Kindern grundlegend geändert. Die traditionelle Kriminologie sah diese Straftat als ein eher seltenes Delikt an. Die Psychoanalyse entdeckte die kindliche Sexualität und sexuelle Phantasie. Aufgrund angeblich suggestiver Empfänglichkeit des Kindes nahm man eine große Zahl von Falschbeschuldigungen an (Erna Olafson, David L. Corwin, Roland C. Summit 1993). l a t e r waren zumeist Fremde mit geistigen Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen. Das Delikt kam im übrigen vor allem in der Unterschicht vor. Beziehungen zwischen Täter und Opfer waren nicht häufig. Die psychischen Schäden beim Opfer wurden wegen der kindlichen „psychischen Flexibilität" als unbedeutend beurteilt, so daß Opferbehandlung als nicht erforderlich erschien. Die Rückfallneigung des Sexualstraftäters galt als gering (Benjamin Karpman 1954, 277/278; Donald J. West 1983, 195/196). Dieses Erscheinungsbild hat sich durch moderne kriminalpsychologische und Dunkelfeld-Forschungen völlig gewandelt. Der sexuelle Mißbrauch an Kindern ist ein häufiges, unterberichtetes, schlecht kontrolliertes Delikt, das sich vor allem im sozialen Nahraum ereignet. Die Täter sind in den seltensten Fällen psychisch abnorm (Entpathologisierung). Die Ursachen liegen vielmehr in der Sozialstruktur und in Sozialprozessen (kognitiv soziale Lerntheorie). Nicht alle Kinder sind in gleicher Weise opferanfällig. Der regelmäßig entstehende psychische und soziale Opferschaden ist bei den meisten kindlichen

Den sexuellen Mißbrauch eines Kindes (Pädophilie) definiert man als Interaktion zwischen einem Kind (bis 14 Jahre) und einem Erwachsenen, bei der das Kind als Objekt zur Befriedigung sexueller oder sexualisierter Bedürfnisse des Erwachsenen dient. Das Kind kann den sexuellen Aktivitäten nicht eigenverantwortlich zustimmen, weil es noch nicht in der Lage ist, sie in ihrer vollen Tragweite zu erfassen. Es wird zum Sexualobjekt erniedrigt. Der Täter nutzt seine dominante, bestimmende Position (Machtmißbrauch) aus; das Kind, das wegen seiner kindlichen Ohnmacht von ihm abhängig ist und dem gegenüber er Vertrauensbruch begeht, ist zur Ausführung der sexuellen Handlung weder körperlich noch emotional noch kognitiv ausreichend entwikkelt. Inzest (Blutschande) ist in diesem Zusammenhang jede Form sexueller Aktivität zwischen einem Kind und einem Eltern- oder Stiefelternteil oder anderen Familienangehörigen (Großeltern, Onkel, Tanten) oder Elternersatzpersonen (Lebensgefährten eines Elternteils, Pflegeeltern). Inzest ist nicht instinktgebunden; das Inzest-Tabu muß vielmehr gelernt werden, und es wird von Generation zu Generation weiter übertragen, weil sich der Inzest zerstörend auf die Familie, das Verwandtschaftssystem und die soziale Ordnung auswirkt. Zahlreiche Inzesttäter begehen auch sexuellen Mißbrauch an Kindern außerhalb ihrer Familie (Jon R. Conte 1991a, 26).

C. Kriminalphänomenologische Aspekte 1.

Häufigkeit

Im Hellfeld der offiziell registrierten Kriminalität wurden im Jahre 1995 von 16.013 Fällen (Gesamtkriminalitätsvolumen 6,7 Millionen Fälle) 67,2%

503

Sexueller Mißbrauch an Kindern aufgeklärt. Dabei wurden 8.038 Tatverdächtige (96,4% Männer, 3,6% Frauen) ermittelt (Bundeskriminalamt 1996a, 139-142). Von 18.044 Opfern des vollendeten sexuellen Mißbrauchs an Kindern im Jahre 1995 waren 91,2% zwischen 6 und 14 Jahre alt; 75,8% waren weiblich, 24,2% männlich. Bei 16.013 bekanntgewordenen Fällen wurden im Jahre 1995 nur 1.648 Angeklagte verurteilt (Statistisches Bundesamt 1997, 20/21). Der Sanktionsverzicht ist also außergewöhnlich hoch und unterschreitet den Durchschnitt der Deliktsausfilterung (Renate Volbert, Detlef Busse 1995, 152). Der größte Teil des sexuellen Mißbrauchs an Kindern bleibt im Dunkelfeld der nichtangezeigten, verborgen gebliebenen Kriminalität. Die Bevölkerung sieht sexuelle Handlungen an Kindern - falls sie sich im sozialen Nahraum ereignen — weitgehend als Privatsache an. Auf den kindlichen Opfern lastet ein beträchtlicher gesellschaftlicher Druck zur Nichtenthüllung und Nichtanzeige. Außerdem fürchten sie die Drohungen und Einschüchterungen des Täters, die er mit Erwachsenenautorität ausspricht. Weniger als die Hälfte der Opfer erzählt irgendjemandem etwas während der Zeit des Mißbrauchs. Selbst wenn der sexuelle Kindesmißbrauch aufgedeckt worden ist, werden nur 6% bis 12% der Fälle der Polizei angezeigt (Lucy Berliner, Diana M. Elliott 1996, 54). Zumeist berichtet das kindliche Opfer zufällig und unbeabsichtigt über sein „Geheimnis". Es vertraut sich beispielsweise einem Freund oder einer Freundin an. Mitunter sagt es auch seinen Eltern, speziell seiner Mutter, etwas. Fast drei Viertel der sexuell mißbrauchten Kinder streiten ihre Viktimisierung ab, wenn sie danach gefragt werden. Zwischen 8% und 22% der kindlichen Opfer widerrufen wahre Beschuldigungen, weil sie vom Täter oder ihren eigenen Familienangehörigen unter Druck gesetzt worden sind oder weil ihr Bericht für sie selbst oder andere negative Folgen mit sich gebracht hat (Diana M. Elliott, John Briere 1994). Viele Kinder bedauern die Aufdeckung ihrer Viktimisierung wegen der negativen Reaktionen der Personen ihres sozialen Nahraums und der Kriminaljustiz. Selbst wenn Kinder ihren sexuellen Mißbrauch berichten, der später tatsächlich bestätigt wird, bemängelt man ihre Aussagen als widersprüchlich und ungereimt. Die kindlichen Opfer, die sich hilflos und gefangen fühlen, halten den Mißbrauch geheim, weil sie - nicht unberechtigt — die dramatisierenden emotionalen Reaktionen der Erwachsenen fürchten. Der Täter, der in seinem Berufs- und Bekanntenkreis nach der Aufdeckung stark stigmatisiert wird, kämpft mit allen Mitteln gegen die Glaubwürdigkeit des Kindes. Der Zusammenhalt seiner Familie steht häufig auf dem Spiel. Der Verteidiger des Angeklagten widersteht oft nicht der Versuchung, mit einer Strategie der Opferbeschuldigung gegen die kindliche Zeugin oder den kindlichen Zeugen vorzugehen. Die soziale Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf den sexuellen Kindesmißbrauch durch Fremde.

Es fällt dem Anzeigeerstatter wesentlich leichter, ein Strafverfahren gegen einen Fremden in Gang zu setzen, als jemandem empfindliche Schwierigkeiten zu bereiten, von dem er abhängig oder mit dem er verwandtschaftlich oder freundschaftlich verbunden ist. Aufgrund von Dunkelfeldforschungen, zumeist retrospektiven Befragungen von Erwachsenen in ihr sexuelles Opferwerden als Kinder, steht fest, daß der sexuelle Mißbrauch an Kindern wesentlich häufiger ist, als die bekanntgewordenen Straftaten erkennen lassen. Hierbei ist nicht der Überbericht, das wahrheitswidrige Vortäuschen des Mißbrauchs, sondern der Unterbericht, sein Verleugnen, Vergessen und Verdrängen, das Problem. Während der vorsätzliche Falschbericht bei 2% bis 9% liegt (Graham Anthony, Jane Watkeys 1991), hatten 38% der Frauen, die einem sexuellen Mißbrauch vor 17 Jahren zum Opfer gefallen waren, diese Viktimisierung völlig vergessen oder verdrängt (Linda Meyer Williams 1994). Inzwischen gibt es zahlreiche Dunkelfeldforschungen über sexuelle Viktimisierung von Kindern. Nach 19 Dunkelfeldstudien in den USA geht man von einem sexuellen Opferwerden von Kindern bei mindestens 20% der nordamerikanischen Frauen und bei 5% bis 10% der nordamerikanischen Männer aus (David Finkelhor 1994a). Auf der Grundlage eines internationalen Vergleichs von Dunkelfelduntersuchungen über den sexuellen Mißbrauch an Kindern in 21 Ländern (David Finkelhor 1994b) äußert man Zweifel, ob das Problem in den USA besonders schwerwiegend ist. Je nach Begriffsdefinition und methodischem Vorgehen, z. B. Erhebungszeitraum, -methode und -auswertung, stellte man nämlich im internationalen Vergleich, an dem auch Deutschland beteiligt war, ein sexuelles Opferwerden als Kinder bei 7% bis 36% der Frauen und bei 3% bis 29% der Männer fest. Bei behutsamer Beurteilung liegt die Viktimisierungsquote (bezogen auf sexuellen Mißbrauch an Kindern) im deutschsprachigen Raum bei etwa 10% bis 20% der Frauen und bei etwa 5% bis 10% der Männer (Berl Kutchinsky 1991; Franz Moggi 1991; Josef Lachmann 1988). Hierbei sind die Altersgrenze (bis 14 Jahre) und die Erscheinungsform: sexuelle Handlungen mit Körperkontakt berücksichtigt.

2.

Entwicklung

Im Hellfeld ist das Delikt in den Jahren 1955 bis 1995 zurückgegangen: Einer Häufigkeitszahl (Zahl der bekanntgewordenen Fälle auf 100.000 Einwohner) von 31,9 im Jahre 1955 steht eine Häufigkeitszahl von 19,6 im Jahre 1995 gegenüber (Bundeskriminalamt 1996b, 16). Bei dieser Abnahme handelt es sich freilich nur um einen Scheinrückgang. Denn die schlechte Strafverfolgungsintensität wirkt sich nachteilig auf die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung aus. Der potentielle Anzeigeerstatter berücksichtigt bei seiner Entscheidung, ob die Staatsanwaltschaft mit großer Wahrscheinlichkeit Anklage erheben und

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Sexueller Mißbrauch an Kindern

ob das Gericht den Angeklagten verurteilen wird. Obgleich in den USA die Zahl der Enthüllungen in den letzten zehn Jahren beträchtlich gestiegen ist, nimmt man kein Anwachsen des sexuellen Mißbrauchs an Kindern in den letzten vierzig Jahren an (William Feldman, Eva Feldman, John T. Goodman, Patrick J. McGrath, Robert P. Pless, Linda Corsini, Susan Bennett 1991). Man führt das stärkere Bekanntwerden der Pädophilie vielmehr auf ein gewandeltes soziales Klima, auf ein wachsendes professionelles und öffentliches Problembewußtsein zurück.

3.

Erscheinungsformen

Ausführungshandlungen umfassen die gesamte Bandbreite sexueller Aktivitäten. Man unterscheidet Sexualhandlungen innerhalb und außerhalb der Familie und mit und ohne Körperkontakt. Alle pädosexuellen Handlungen sind erzwungen; in einer substantiellen Minderheit der Fälle wird übermäßige Gewalt angewandt (Ronald Blackburn 1994, 302/ 303). Häufig genügt auch schon das Ausspielen der Autorität des Erwachsenen. Obszöne Reden, Zeigen pornographischer Bilder, Entblößen der Genitalien des Erwachsenen und Masturbation vor dem Kind sind am einen Ende des Kontinuums leichtere Begehungsformen ohne Körperkontakt. Mittelschwere Ausführungshandlungen mit Körperkontakt bestehen darin, daß der Täter die Genitalien des Kindes berührt, betastet und streichelt. Oral-genitale Kontakte, simulierter Geschlechtsverkehr und Geschlechtsverkehr sind am anderen Ende des Kontinuums schwere Verfehlungen, die mit ungefähr 25% der Fälle (Edith Burger, Karoline Reiter 1994, 104) nicht so selten sind. Pädophilie in Tagesbetreuungsstätten kommt in den USA weit seltener vor als sexueller Mißbrauch an Kindern in der Familie (David Finkelhor, Linda Meyer Williams, Nanci Bums 1988). In steigendem Maße organisiert sich die Sexualität mit Kindern in Sex-Zirkeln („Sex-Ringen"), in gering-, halb- und hochorganisierten Gruppen. Die Kinder werden durch Kinder, die bereits im SexRing tätig sind, durch ihre Eltern oder Pflegeeltern, die ihre Kinder verkaufen, oder in seltenen Fällen durch Entführungen rekrutiert (Daniel S. Campagna, Donald L. Poffenberger 1988). Auf Sex-Zirkel entfielen in einer englischen Großstadt (710.000 Einwohner) 4,6% des bekanntgewordenen sexuellen Mißbrauchs an Kindern (N. J. Wild 1989). Mit etwa 90% Anteil an der Pädophilie sind die Männer als Tater weitaus überrepräsentiert. Jedoch sind Frauen mehr Taterinnen, als im Hellfeld in Erscheinung treten. Die Täter gehören vorwiegend der Altersgruppe der 26- bis 40jährigen an; immerhin machen Jugendliche und Heranwachsende 11,6% der Rechtsbrecher aus (Edith Burger, Karoline Reiter 1994, 105). Zur Abgrenzung sexueller Handlungen unter Gleichaltrigen sollte der Täter allerdings min-

destens fünf Jahre älter als sein kindliches Opfer sein. Der sexuelle Mißbrauch besteht in einem Teil der Fälle (30%) in einem einmaligen Übergriff. Etwa 15% bis 20% der Mißbrauchsverhältnisse dauern länger als ein Jahr (Thomas Wilmer 1996, 305). Sexueller Mißbrauch an Kindern wird in allen Schichten begangen. Wenn im Hellfeld die Täter aus der Unterschicht überwiegen, so ist dies darauf zurückzuführen, daß die Täter aus der Mittel- und Oberschicht wegen ihrer besseren sozialen Ressourcen ihre Straftaten in höherem Maße verbergen können (David Finkelhor, Larry Baron 1986a, 69). Die Mehrzahl der Tater und Opfer (zirka 70% bis 90%) sind einander vor der Tat bekannt (Beziehungsstraftaten). Täter sind zumeist Familienmitglieder (Väter, Großväter, Pflege- und Stiefväter, Lebensgefährten der Mutter), Verwandte (Onkel), Hausmitbewohner, Nachbarn, Freunde der Familie, Babysitter oder Erziehungs- und Autoritätspersonen (Lehrer, Pfarrer, Ärzte) (Donald J. West 1987, 55). Geschwisterinzest, insbesondere der Inzest zwischen älterem Bruder und jüngerer Schwester, ist die am weitesten verbreitete Form des sexuellen Mißbrauchs an Kindern in der Familie. Gegenüber den Beziehungstätern sind die later, die dem Kind fremd sind und die ihm auf dem Spielplatz, im Park oder im Personenkraftwagen auflauern, mit etwa 10% bis 30% Kriminalitätsanteil in der Minderheit (David Finkelhor, Gerald Hotaling, I. A. Lewis, Christine Smith 1990). Kinder im Alter zwischen 7 und 13 Jahren werden am häufigsten Opfer des sexuellen Mißbrauchs. Dabei ist die Zahl der sexuellen Übergriffe auf Jungen größer, als man bisher aufgrund der Kriminalstatistiken angenommen hatte (Bill Watkins, Arnon Bentovim 1992). Die Jungen pflegen ihr Schweigen noch seltener zu brechen als die Mädchen. Denn sie fürchten, daß man ihnen nicht glaubt und daß man sie für homosexuell hält.

D. Tätertypologie Es gibt kein einheitliches Täterprofil des Pädosexuellen. Die klinisch erprobte Klassifikation des „Massachusetts Treatment Center" (des Massachusetts Behandlungs-Zentrums) ist vielmehr weitgehend international anerkannt und wird häufig praktisch angewandt (Curt R. Bartol 1995, 305-307). Der fixierte, unreife Pädophile besitzt eine seit langem bestehende, ausschließliche Vorliebe für Kinder sowohl als sexuelle wie auch als soziale Gefährten. Er identifiziert sich mit Kindern, träumt und phantasiert von ihnen. Er ist unfähig, sexuelle Befriedigung mit Partnerinnen und Partnern zu finden, die das Pubertätsalter überschritten haben. An sexuellen Beziehungen mit Erwachsenen ist er deshalb uninteressiert; sie bilden für ihn allenfalls einen ärmlichen Ersatz für Beziehungen mit Kindern. Er schätzt an Kindern ihr kindliches Aussehen, ihre Unschuld und ihre Offenheit. Er fühlt sich wohl im

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Sexueller Mißbrauch an Kindern Kreis von Kindern, die er sich als Gefährten aussucht. Sexueller Kontakt ereignet sich nur, wenn er sich in ausreichender Weise mit dem Kind bekanntgemacht hat. Fixierte Pädophile heiraten selten, und in ihrem sozialen Hintergrund sind keine Anzeichen für Liebesverhältnisse zu Gleichaltrigen oder auch nur für langandauernde, ununterbrochene Freundschaften mit Erwachsenen außerhalb ihrer Verwandtschaft erkennbar. Dieser Pädophilentyp möchte das Kind berühren, betasten, streicheln und liebkosen. Er erwartet selten Geschlechtsverkehr, und er wendet sehr vereinzelt physische Gewalt an. Der fixierte Pädophile hat im allgemeinen eine durchschnittliche Intelligenz. Seine Berufsarbeit ist stetig, obwohl er häufig Arbeiten verrichtet, die unter seinen Fähigkeiten liegen. Am befremdlichsten ist am fixierten Pädophilen, daß ihn seine ausschließliche Vorliebe für Kinder als Kontaktpersonen nicht stört und daß er darüber verwundert ist, daß sie andere irritiert. Er ist deshalb schwierig zu behandeln und äußerst rückfallgeneigt. Der regressive Pädosexuelle hatte eine ziemlich normale Kindheit und Jugend; er besaß ursprünglich gute Beziehungen zu Gleichaltrigen und machte heterosexuelle Erfahrungen. Er entwickelte im Laufe seiner Lebensspanne indessen Gefühle männlicher Unzulänglichkeit und Selbstzweifel. Seit dieser Zeit leidet er darunter, daß er die männlichen Dominationsnormen der Gesellschaft nicht zu erfüllen vermag. Hieraus ergeben sich für ihn Probleme in seinem Berufs-, Privat- und Sexualleben. Der soziale Hintergrund des regressiven Pädophilen ist allgemein gekennzeichnet durch Alkoholmißbrauch, Scheidung und schlechte Berufsgewohnheiten. Jeder pädosexuellen Verfehlung geht für gewöhnlich ein erheblicher Angriff auf seine sexuelle Befähigung von Seiten weiblicher oder männlicher Gleichaltriger voraus. Er nimmt an, daß andere Männer erfolgreicher bei Frauen sind. Im Gegensatz zum fixierten Pädophilen bevorzugt der regressive Täter Opfer, die ihm fremd sind und die nicht in seiner Nachbarschaft wohnen. Seine kindlichen Opfer sind fast stets weiblich. Er geht auf Geschlechtsverkehr mit seinem Opfer aus. Weil er Reue empfindet und seine Verfehlungen im nachhinein gar nicht begreifen kann, geben ihm klinische Psychologen eine gute Prognose für seine Behandlung. Wenn sich seine Belastungen in Grenzen halten und wenn er gelernt hat, mit ihnen angemessen umzugehen, wird er wahrscheinlich nicht rückfällig. Der Ausbeutungstäter benutzt Kinder hauptsächlich, um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Er nutzt die kindliche Ohnmacht in jeder nur denkbaren Weise aus. Er versucht unterschiedliche Strategien und Tricks, um das Kind zur Zustimmung zu bewegen. Er bemüht sich ferner darum, es von seiner familiären Umgebung zu isolieren. Wenn nötig, wendet er Gewalt an. Er kümmert sich nicht um das emotionale oder körperliche Wohlergehen seines kindlichen Opfers. Er sieht es ausschließlich als Se-

xualobjekt. Er besitzt häufig eine lange Vorstrafenliste. Seine Beziehungen zu Gleichaltrigen sind unsicher. Man sieht ihn nicht gern, und Menschen, die ihn kennen, gehen ihm aus dem Weg. Er besitzt eine Neigung zur Impulsivität, zur Reizbarkeit und zur Launenhaftigkeit. Seine ausgesprochen mangelhaften zwischenmenschlichen Fähigkeiten sind wahrscheinlich der Hauptgrund, warum er Kinder als Opfer wählt. Klinische Psychologen halten ihn für schwer therapierbar, weil sich seine Unzulänglichkeiten auf alle Bereiche des täglichen Lebens beziehen. Der aggressive, sadistische Pädophile wird von Kindern aus sexuellen und aggressiven Gründen angezogen. Dieser Pädophilentyp besitzt eine lange Geschichte antisozialen Verhaltens und schlechter Anpassung an seine Umgebung. Da das vorwiegende Ziel dieses Pädophilen aggressiv-sexuelle Stimulation ist, greift er die Kinder in bösartiger, sadistischer Weise an. Er kommt allein zu seiner sexuellen Erregung und Befriedigung, wenn er seine kindlichen Opfer völlig beherrscht und wenn er ihnen Schmerz und Leid zufügt. Je mehr er seine Opfer peinigt und foltert, desto größer wird seine sexuelle Erregung. Aggressive und sadistische Pädophile sind verantwortlich für die Entführung und den Sexualmord von Kindern. Klinische Psychologen halten diesen Typ nicht nur für sehr gefährlich, sondern auch für äußerst schwer therapierbar und für ausgesprochen rückfallgeneigt. Glücklicherweise ist dieser Typ selten.

E. Kriminalätiologische Theorien Die Pädosexuellen sind eine heterogene Population. Es ist deshalb nur zu verständlich, daß allein ein flexibles, mehrstufiges, integriertes Modell mehrerer Theorien mittlerer Reichweite die Verursachung der Pädophilie zu erklären vermag.

1. Biologische

und tiefenpsychologische Ursachen

Das immer noch vorfindbare Stereotyp, daß Pädophile senil und geistig zurückgeblieben sind, findet in der modernen empirischen Forschung keinerlei Bestätigung. Psychopathologische Erklärungen („schwere Persönlichkeitsstörung") sind formelhaft nichtssagend und werden nur noch selten vorgebracht. Die meisten Pädophilen sind psychisch normal und mittleren oder jüngeren Alters. Die empirischen Beweise für biologische Ursachen, z. B. hormonale und chromosomale Abnormitäten, sind schwach; auch Psychosen und hirnorganische Schäden sind selten ursächlich (Robert J. Kelly, Rob Lusk 1992, 181/182). Der am meisten zitierte „biologische" Faktor ist der Alkoholkonsum, der allerdings nur enthemmend (tatauslösend) auf die Impulskontrolle wirkt und der als Tatbeitrag von den

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Sexueller Mißbrauch an Kindern

Tätern nur allzu oft rechtfertigend übertrieben wird (Leif C. Crowe, William H. George 1989). In der modernen kriminalpsychologischen Literatur beruft man sich häufig auf die Argumentation, nach der Pädosexuelle meist selbst als Kinder sexuell mißbraucht worden sind (transgenerationale Übertragung) (Kevin R. Graham 1996). Als Erklärung wendet man das von Anna Freud stammende Konzept der „Identifikation mit dem Aggressor" an. Der Pädophile benutzt diesen Abwehrmechanismus, um das traumatische Erlebnis seiner kindlichen Ohnmacht psychisch zu verarbeiten. Er nimmt symbolische Rache für das, was man ihm angetan hat. Die empirischen Beweise für diese Theorie sind dürftig und unzuverlässig (William D. Murphy, Timothy A. Smith 1996, 181). Es spricht viel dafür, daß ein großer Teil der Pädophilen (zwei Drittel), die behaupten, als Kinder sexuell viktimisiert worden zu sein, diese (falsche) Behauptung aufstellen, um ihre Tat besser entschuldigen zu können und um eine mildere Beurteilung zu erfahren (Kurt Freund, Robin Watson, Robert Dickey 1990).

2. Soziokulturelle

Ursachen

Nach der sozialstrukturellen Theorie ist der sexuelle Mißbrauch an Kindern auf die politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse in der Gesellschaft zurückzuführen. Erwachsene, insbesondere Männer, beherrschen die Gesellschaft. Kinder sind von ihnen abhängig und ohnmächtig. Während die Hilflosigkeit der Kinder und das Machtgefälle zwischen den Erwachsenen und ihnen durch die Zuneigung und Fürsorglichkeit der Mehrheit der Erwachsenen ausgeglichen wird, nutzt eine Minderheit der Erwachsenen, insbesondere der Männer, die Machtund Hilflosigkeit der Kinder aus. Nach der kulturellen Theorie kommt es auf die sozialen Normen, Verhaltensstile und Leitbilder in der Gesellschaft an. Eine Minderheit der Erwachsenen entwertet die Kinder und versagt ihnen ihre menschliche Würde und ihren Persönlichkeitsschutz. Sie behandelt Kinder wie Objekte, wie ihr Eigentum. Manche Eltern meinen, mit ihren Kindern nach Belieben verfahren zu können.

3. Sozialprozessuale

Ursachen

Die Theorie der familiären Desorganisation stellt es auf die gestörten Beziehungen zwischen Eltern und Kindern ab. Die Eltern, die zurückweisend und uneinfühlsam sind und die es an emotionaler Wärme fehlen lassen, sind schlechte Rollenmodelle. Sie beaufsichtigen, kontrollieren und versorgen ihre Kinder nur unzureichend. Die Kinder lernen kein menschliches Einfühlungsvermögen und keine sozialen Fähigkeiten (soziale Inkompetenz) (William L. Marshall, Stephen M. Hudson, Sharon Hodkinson

1993). Die Jungen können sich mit ihrem schwachen Vater, der sie körperlich, seelisch und mitunter auch sexuell mißhandelt, nicht identifizieren. Sie entwikkeln auf diese Weise kein Selbstvertrauen und kein männliches Selbstwertgefühl (Linda Meyer Williams, David Finkelhor 1990; R. A. Lang, R. Langevin 1991). Sie sind emotional einsam (Bonnie Τ. Seidman, W. L. Marshall, Stephen M. Hudson, Paul J. Robertson 1994) und haben nicht gelernt, sich in zwischenmenschlichen Kontakten selbst zu behaupten. Eine zufriedenstellende Beziehung zu ihrer Mutter, die ihnen übermächtig vorkommt, entfaltet sich nicht. Zwischen Mutter und Sohn herrschen vielmehr Feindseligkeit und Mißtrauen. Der Junge überträgt seine Bindungsstörung zu seiner Mutter auf alle erwachsenen Frauen, die ihm bedrohlich erscheinen. Die kognitiv-soziale Lerntheorie (Sozialisationstheorie) erklärt den sexuellen Mißbrauch an Kindern aus folgenden fehllaufenden Sozialisationsprozessen: - Aufgrund der gestörten Beziehungen in ihrer Herkunftsfamilie ziehen sich die späteren l a t e r mit pädophilen Neigungen in ihrer Jugend (unter Verwendung von Kinderpornographie) in masturbatorische Phantasien zurück, die den sexuellen Kontakt mit Kindern zum Gegenstand haben (masturbatorisches Konditionieren, pädophile Vorzugshypothese) (Kathy Smiljanich, John Briere 1996). - Frühe befriedigende sexuelle Erfahrungen mit kindlichen Altersgenossen (Sexualspiel) und spätere nicht zufriedenstellende Beziehungen mit erwachsenen Partnerinnen und Partnern haben die Ausbildung pädophiler Neigungen zur Folge (John Briere, Marsha Runtz 1989). - In der „männlichen Sozialisation" wird die Bedeutung des sexuellen Erfolgs für die Erlangung männlicher Identität betont. Männer sollen in ihren sexuellen Beziehungen dominant, mächtig und initiativ sein. Anders als Frauen lernen sie, ihre Sexualität außerhalb romantischer, emotionaler Beziehungen zu erleben. Die Neutralisationstheorie geht davon aus, daß Straftäter Rationalisierungs- und Verleugnungsmechanismen, kognitive (erkenntnismäßige) Verzerrungen und Glaubenssysteme erlernen, die sie in die Lage versetzen, sozialkonforme Werte und Einstellungen v o r ihren Rechtsbrüchen zu neutralisieren, sie unwirksam zu machen. Pädophile lernen (in pädosexuellen Subkulturen) folgende Rechtfertigungen, Entschuldigungen, Beschönigungen und Rationalisierungen (pädophile Ideologie) (Günther Deegener 1995, 123/124; Nathan L. Pollock, Judith M. Hashmall 1991): Sexualität mit Kindern ist normal; sie ist für Kinder unschädlich. Das Kind hat der Tat zugestimmt; es hat die Tat provoziert; es war selbst an Sexualität äußerst interessiert. Pädophile leugnen ihre Taten, ihre Phantasien, ihre Tatplanungen und ihre eigene Verantwortlichkeit (Dennis Howitt 1995,

507

Sexueller Mißbrauch an Kindern 237 - 244): Sie hatten keinen Zugang zu erwachsenen Frauen. Sie wollten ihrem kindlichen Opfer helfen. Sie waren betrunken. Sie sind selbst in ihrer Kindheit sexuell viktimisiert worden.

— Entwicklungsbedingte Persönlichkeitsprobleme (z. B. emotionale Schwierigkeiten, unzureichende soziale Fähigkeiten) entstehen durch Pathologie in der Herkunftsfamilie des pädophilen Täters.

4. Integrierte kognitive Verhaltens-Modelle

F. Viktimologische Perspektiven

Die Theorien mittlerer Reichweite, die sich empirisch bewährt haben, sind in zwei Vier-Faktoren-Modellen zusammengefaßt worden. Die folgenden vier Dimensionen sind für David Finkelhor (1984, 3 8 - 5 2 ) wesentlich:

1. Opferanfälligkeit

-

Unter emotionaler Kongruenz (Übereinstimmung) versteht er den Umstand, daß Pädophile kindliche emotionale Bedürfnisse verfolgen, daß sie sich von Kindern angezogen fühlen. Diese Kongruenz führt er auf die Unreife, das niedrige Selbstwertgefühl und den Narzißmus (die Ichbezogenheit) der Pädophilen zurück, die durch ihre Taten ihren emotionalen Entzug (Deprivation) ausgleichen und ihre männlichen Dominationswünsche verwirklichen wollen. - Die pädosexuelle Neigung beruht entweder auf befriedigendem kindlichem Sexualspiel oder auf der ständigen Wiederholung masturbatorischer pädophiler Phantasien. Es handelt sich um einen sozialen Konditionierungsprozeß, in dem Kinderpornographie eine Rolle spielen kann. - Seinen dritten Faktor nennt Finkelhor Blockade. Die Pädophilen erweisen sich als unfähig, zu Erwachsenen angemessene Beziehungen herzustellen und aufrechtzuerhalten. Denn sie haben nur ärmliche soziale Fähigkeiten gelernt und empfinden erwachsene Frauen als Bedrohung. - Der vierte Faktor: Enthemmung bezieht sich auf die schlechte Impulskontrolle der Pädophilen, die z. B. durch Alkoholkonsum verursacht sein kann und die im Vier-Faktoren-Modell von Finkelhor die geringste Bedeutung besitzt. Ein zweites verbessertes kognitives VerhaltensModell haben Gordon C. Nagayama Hall und Richard Hirschman (1992) entworfen. Für sie sind physische, kognitive, affektive und PersönlichkeitsFaktoren für den sexuellen Mißbrauch an Kindern ursächlich: -

Vorläufer pädosexueller Taten sind pädophile Sexualphantasien, bei denen Sexualität mit Kindern mit sexueller Erregung (Masturbation) verbunden wird. - Deviante sexuelle Erregung ist freilich für die Verursachung der Pädophilie nicht ausreichend. Es müssen kognitive Verzerrungen hinzukommen, die dem Sexualstraftäter sein kriminelles Vorgehen erlauben. - Mangelnde affektive Kontrolle wird durch Depression und als Reaktion auf Streß-Situationen hervorgerufen.

Das Risiko Kindern nicht Täter wählen Mädchen und ausgesprochen der 1992):

des sexuellen Opferwerdens ist unter gleichmäßig verteilt. Die pädophilen ihre kindlichen Opfer aus. Es gibt Jungen, die für sexuellen Mißbrauch verwundbar sind (Pamela C. Alexan-

— Kinder aus einem emotionalen Mangelmilieu neigen mehr dazu, sexuell mißbraucht zu werden (Ulrike Brockhaus, Maren Kolshorn 1993, 6 4 - 6 6 ; Patricia J. Long, Joan L. Jackson 1991). Die Quantität und Qualität der Beaufsichtigung und Kontrolle durch ihre Eltern sind mangelhaft. Ihre Eltern lassen es an emotionaler Zuwendung fehlen. Ihre Kinder fühlen sich ungeliebt und ungewollt; sie hungern nach Zuneigung, Beachtung, Sorge, Wertschätzung und Anerkennung. — Kinder, deren Eltern abwesend oder wegen Krankheit oder Drogen- und Alkoholabhängigkeit für sie unzugänglich sind, Kinder mit geistigen Behinderungen (Deborah Tharinger, Connie Burrows Horton, Susan Millea 1990) oder Kinder, deren Eltern in ehelichem Konflikt miteinander leben, sowie Mädchen, die einen Stiefvater haben oder deren Mütter mit Lebensgefährten zusammenleben, sind besonders gefährdet. Das Tabu gegen Stiefvater-Stieftochter-Sexualkontakte ist gesellschaftlich weniger ausgeprägt. — Sexuelle Viktimisierung eines Kindes macht es für Rückfallviktimisierung risikobereiter. Das kindliche Opfer wird vom Täter durch seine sexuelle Viktimisierung psychisch geschädigt. Es entwikkelt nach dem Modell der erlernten Hilflosigkeit (Martin E. P. Seligman) ein negatives Selbstwertgefühl, ein Unwerturteil über sein Selbst und einen passiven Reaktionsstil; es beschuldigt sich selbst; seine psychischen Selbstschutzmechanismen sind geschwächt (David A. Wolfe, Vicky V. Wolfe, Connie L. Best 1988, 168). Der Täter hat die Hilflosigkeit des Kindes hervorgerufen; durch sein sexuelles Opferwerden hat das kindliche Opfer die Zwecklosigkeit zielgerichteten Widerstandes verinnerlicht.

2. Opferschäden Es gibt kein einheitliches Syndrom des sexuellen Kindesmißbrauchs. Vielmehr sind die körperlichen, psychischen und sozialen Opferschäden höchst ver-

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Sexueller Mißbrauch an Kindern

schiedenartig. Es ist methodisch schwierig, die traumatischen Tatfolgen aus dem Netz schädigender Faktoren vor, während und nach der Tat herauszulösen. Ausmaß und Art des Schadens richten sich nach unterschiedlichen Einflüssen. Das Alter des Opfers und des Täters zur Tatzeit, die Nähe der Täter-Opfer-Beziehung, die Art, die Häufigkeit und die Länge des sexuellen Mißbrauchs und die Reaktion der Eltern, Lehrer, Freundinnen und Freunde auf die Straftat nach deren Bekanntwerden spielen wesentliche Rollen. Es ist ferner von erheblicher Bedeutung, ob der Täter Gewalt angewandt hat, um die Gegenwehr seines Opfers zu brechen, oder ob das Opfer widerstrebend an der Tat beteiligt war. Nicht zuletzt kommt es darauf an, ob das kindliche Opfer nach Tataufdeckung in seiner Familie, bei Verwandten, Nachbarn, Freundinnen und Freunden verständnisvollen Halt und psychische Unterstützung findet (Kelle Chandler Ray, Joan L. Jackson 1997). Man unterscheidet zwischen Primärschäden, die durch den sexuellen Mißbrauch selbst entstehen, und Sekundärschäden, die durch die fehlende oder die verfehlte informelle oder formelle Reaktion auf die sexuelle Viktimisierung hervorgerufen werden. Körperliche Verletzungen wurden nur bei 7% der kindlichen Opfer festgestellt. Psychische Opferschäden durch die Tat sind schwerwiegend (Kathleen A. Kendall-Tackett, Linda Meyer Williams, David Finkelhor 1993). Freilich entwickeln bis zu 40% der kindlichen Opfer nur wenig Symptome. Man nimmt indessen Schläfer-Effekte („Sleeper-Effects") an, die erst nach vielen Jahren in Symptomen erkennbar werden (John N. Briere 1992). Die psychischen Opferschäden können in vier Dimensionen eingeteilt werden (John Briere, Marsha Runtz 1993): -

In psychodiagnostischen Testverfahren hat man bei sexuell mißbrauchten Kindern erhöhte Werte an Depression und Angst gefunden. Emotionale Beeinträchtigungen äußern sich ferner in Schlafstörungen und Konzentrationsschwächen. - Kindliche Opfer sexueller Viktimisierung haben in vermehrtem Umfang Verhaltensprobleme. Traumatische Sexualisierung (William N. Friedrich 1993) ist ein Prozeß, durch den die Sexualität des kindlichen Opfers entwicklungsmäßig unangemessen und zwischenmenschlich dysfunktional geformt wird. Sexuelle Störungen, ζ. B. wahllose sexuelle Aktivitäten oder sexuelle Angst, können die schädlichen Folgen eines solchen Prozesses sein. Aufgrund seines Opferwerdens kann sich das Kind auch in regressives Betragen (ζ. B. Einnässen, Einkoten, Weglaufen) oder selbstschädigendes Verhalten (ζ. B. Eßstörungen, Alkoholmißbrauch, Drogensucht) zurückziehen. - Kognitive Verzerrungen, ζ. B. Selbstvorwürfe, Vertrauensverlust, Verinnerlichung seiner Stigmatisierung, negative Selbstzuschreibungen, entstehen deshalb beim kindlichen Opfer, weil sich der sexuelle Mißbrauch ereignete, als es noch phy-

sisch und psychisch unfähig war, sich gegen seinen Täter angemessen zu verteidigen. Kinder nehmen an, daß die Mißbrauchshandlung eine gerechte Strafe für irgendeine Missetat gewesen ist. — Sexueller Mißbrauch an Kindern greift in den Entwicklungsprozeß ihres Selbstkonzepts ein, das die verschiedenen Elemente ihrer Persönlichkeit koordiniert und integriert (Pamela M. Cole, Frank W. Putnam 1992). Durch die Schädigung ihres Selbstkonzepts werden psychische Spannungen hervorgerufen, die zu Selbstverstümmelungen führen können. Solche Selbstschädigungen stellen (vergebliche) Versuche des Opfers dar, seine psychischen Konflikte zu lösen, seine überwältigenden Leiden zu lindern und sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen. Seine Flucht vor seinen psychischen Schmerzen kann sogar seinen Selbstmord verursachen. Psychische und soziale Schäden werden nicht nur für die kindlichen Opfer selbst herbeigeführt, sondern auch für ihre Mitopfer (ihnen nahestehende Personen); insbesondere sind ihre Mütter betroffen (Ute Gerwert, Claudia Thum, Jörg Fegert 1993; Carolyn Moore Newberger, Isabelle M. Gremy, Christine M. Waternaux, Eli H. Newberger 1993). Wird die Opferverletzung nicht behandelt, setzt sie sich im Erwachsenenalter fort. Sekundäre Traumatisierungen können durch fehlende oder verfehlte Reaktionen auf den sexuellen Kindesmißbrauch bewirkt werden. Die traditionelle Kriminalpsychologie hat freilich die schädlichen Folgen der Reaktion auf die sexuelle Viktimisierung überbetont, indem sie herausarbeitete, daß durch die Reaktion auf die Tat schwerwiegendere Konsequenzen eintreten könnten als durch die Tat selbst. Wird das Kind in behutsamer, respektvoller Weise vernommen, entstehen keine zusätzlichen Opferschäden (Lucy Berliner, Jon R. Conte 1995). Allerdings muß vor Mehrfachinterviews durch verschiedene Vernehmungspersonen gewarnt werden. Die folgenden beiden Verhaltensweisen können den psychischen Opferschaden vertiefen: — Übertriebene emotionale Reaktionen der Familienmitglieder des Opfers sowie der Personen seines sozialen Nahraums und dramatisierende Reaktionen der Instanzen der Sozialkontrolle, ζ. B. der Polizei und der Gerichte, auf die sexuelle Viktimisierung können die soziale Fehlverarbeitung begünstigen und den Opferschaden erhöhen. — Eine Sekundärviktimisierung kann ferner dadurch eintreten, daß man dem Kind weder in der Öffentlichkeit noch im Strafverfahren glaubt. Das formelle Strafverfahren ist auf den Schutz des Angeklagten ausgerichtet. Deshalb verkehren sich mitunter die Rollen zwischen Zeugen und Angeklagten: Der Angeklagte wird zum Opfer; das Opfer wird zum Angeklagten. Der Freispruch des Täters mangels Beweises wird vom Opfer häufig als zusätzliche Traumatisierung erlebt.

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Sexueller Mißbrauch an Kindern 3.

Opferbehandlung

Leugnung, Vermeidung, emotionale Verdrängung haben sich zur Bewältigung der psychischen Opferschäden als nicht heilsam erwiesen; sie haben vielmehr eine schlechte psychische Anpassung im Erwachsenenalter zur Folge (Harold Leitenberg, Evan Greenwald, Suzanna Cado 1992). Spontanrückbildung tritt selten ein. Aus der Fülle der Behandlungsarten (z. B. Musik-, Spiel-, Familientherapie) hat bisher die kognitive Verhaltenstherapie den größten Erfolg gehabt; sie wird am meisten angewandt und hat - in der klinischen Erfahrung - die Erholung der sexuell mißbrauchten Kinder erleichtert (David Finkelhor, Lucy Berliner 1995). Die mißbrauchszentrierte Therapie hat folgende Ziele (Esther Deblinger, Anne Hope Heflin 1996): — Durch eine systematische Desensibilisierung werden die kindlichen Opfer ermutigt, sich in einem schrittweisen Enthüllungsprozeß mit ihren Erinnerungen (Gedanken, Gefühlen) an die sexuelle Viktimisierung auseinanderzusetzen. - Aufgrund einer kognitiven Umstrukturierung werden erkenntnismäßige Verzerrungen, irrtümliche Annahmen bei ihnen klargestellt, die zu ihren negativen Selbstzuschreibungen beigetragen haben. — Schließlich unterstützt man die Eltern, die Mitopfer der sexuellen Viktimisierung ihrer Kinder geworden sind, ihre eigenen emotionalen Reaktionen psychisch zu verarbeiten und ihren Kindern in deren Heilungsprozeß bessere Helfer zu sein. Die kognitive und affektive Verarbeitung der sexuellen Mißbrauchserfahrungen in einem sicheren therapeutischen Milieu soll es den kindlichen Opfern ermöglichen, sich an ihre sexuellen Mißbrauchserlebnisse ohne emotionale Schwierigkeiten zu erinnern. Durch die allmähliche, wiederholte Auseinandersetzung mit dem Mißbrauchsgeschehen werden die emotionalen Reaktionen in einem Gewöhnungsprozeß vermindert. Die Kinder lernen, angsthervorrufende Gedanken und Gefühle zu ertragen und — ohne Vermeidung — so lange zu erdulden, bis ihre Angst nachläßt. Ihre dysfunktionalen Gedankensysteme über ihren sexuellen Mißbrauch werden erforscht, geklärt und durch symptomvermindernde Gedanken ersetzt. Therapietechniken sind Entspannungs-Training, Individual- oder Gruppentherapie, Rollenspiele, Zeichnen oder Geschichten-Schreiben. Die Behandlung dauert drei Monate bis zu einem Jahr. Bei manchen Kindern bilden sich ihre Symptome schnell zurück. Für manche ist ihre Heilung ein schwieriger, langdauernder Prozeß (Cheryl Β. Lanktree, John Briere 1995). Bei manchen verbessern sich ihre Symptome durch die Therapie überhaupt nicht. Die Gruppentherapie mit Frauen (Pamela C. Alexander, Robert A. Neimeyer, Victoria M. Follette

1991), die als Kinder sexuell mißbraucht worden sind, hat dieselben Ziele wie die Kindertherapie und besitzt ähnliche Heilungschancen.

G. Reaktions-Probleme 1.

Aufdeckung

Obwohl die heutige Gesellschaft ein freieres, unverkrampfteres Verhältnis zur Sexualität zu haben meint, ist der sexuelle Mißbrauch an Kindern auch heute noch tabuisiert. Sexuelle Übergriffe in der Familie und durch Personen des sozialen Nahraums werden als Privatsache und nicht als Kriminalität betrachtet. Nach der Enthüllung eines sexuellen Mißbrauchs entsteht nicht nur eine Familienkrise. Die behördlichen Reaktionssysteme, Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendamt, Beratungsdienste, Kliniken, lassen es häufig auch an professioneller Souveränität und Gelassenheit mangeln. Sie überreagieren und erschöpfen sich in gefühlsmäßigem Aktionismus. Das angeblich sexuell mißbrauchte Kind wird überstürzt aus seiner Familie genommen, was mit Recht als Opferbestrafung empfunden wird. Wenn jemand die Familie verlassen muß, so sollte es der potentielle Täter sein. Die Reaktionssysteme streben einerseits die Bestrafung des Täters, andererseits die Hilfe und Behandlung des Opfers an. Ihr Verhalten ist häufig zu wenig koordiniert, und sie behindern sich gegenseitig. Der Täter kämpft mit allen Mitteln, um seiner Stigmatisation zu entgehen. Er fürchtet nicht nur seine Bestrafung, sondern das Unverständnis und die Empörung der Personen seines sozialen Nahraums, seiner Nachbarn und Freunde. Täter und Opfer werden durch die soziale Überreaktion (emotionale Dramatisierung) zu gesellschaftlichen Außenseitern, zu randständigen Personen. Der Täter wird gehaßt; das Opfer wird verachtet und als „verdorben" angesehen. Kein Krimineller wird stärker gebrandmarkt als der „Kinderschänder". Sogar in der Strafanstalt begegnet man ihm mit äußerster Geringschätzung. Er ist mannigfaltigen Degradierungen durch Mitgefangene und das Strafvollzugspersonal ausgesetzt. Selbst nach Eröffnung des Ermittlungsverfahrens versucht der Tater, das Delikt zu unterdrücken und den Vorfall vergessen zu machen. Bei intrafamiliärem sexuellem Mißbrauch nutzt er seine Machtposition aus, um alle Familienmitglieder einzuschüchtern und das mißbrauchte Kind durch Drohungen dazu zu bewegen, seine Beschuldigungen als Lügen und Phantasiegebilde zurückzunehmen. Manchmal setzt die gesamte Familie das mißbrauchte Kind unter Druck. Die Strafverfolgungsbehörden sollten sich vergegenwärtigen, daß eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens und ein gerichtlicher Freispruch mangels Beweises vom Täter als Rechtfertigung seines sexuellen Mißbrauchs fehlinterpretiert werden

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Sexueller Mißbrauch an Kindern

kann (Tilman Furniss 1991, 98-100). Der Täter setzt dann seinen sexuellen Mißbrauch an dem Kind unverändert fort.

2. Glaubhaftigkeit der Aussage kindlichen Opfers

des

Der Täter läßt nichts unversucht, um die Glaubhaftigkeit der Aussage des kindlichen Opfers zu erschüttern, das regelmäßig die einzige Zeugin oder der einzige Zeuge des heimlichen Geschehens ist. Falschbeschuldigungen können zwar nicht ausgeschlossen werden. Sie sind indessen selten. Man geht in der psychologischen Forschung von etwa 2% Falschbehauptungen bei Kindern, die bis zu 6 Jahre alt sind, und von ungefähr 8% Falschaussagen bei Kindern zwischen 6 und 14 Jahren aus (Graham Da-' vies 1991, 108). Auch vorsätzliche Falschbeschuldigungen bei Ehescheidungen kommen nicht häufig vor (Kathleen Coulborn Faller 1990, 238). Der erste unbeeinflußte spontane Bericht eines Kindes über seinen sexuellen Mißbrauch ist die zuverlässigste Informationsquelle. Während sich Länge und Reichtum dieses ersten freien Berichts mit dem Älterwerden verbessern, bleibt der Anteil der irrtümlich angenommenen Einzelheiten von Jahr zu Jahr erstaunlich niedrig und konstant. Viele spontane Berichte von Kindern über ihren sexuellen Mißbrauch werden allerdings von übereifrigen, emotionalisierten Eltern und ihren „Beratern" durch Befragungen verdorben. Nach dem Beginn solcher Befragungen verschlechtert sich die Situation: Nun erinnert sich das befragte Kind zwar an mehr Einzelheiten, aber auf Kosten einer höheren Irrtumswahrscheinlichkeit. Hierbei bezieht sich sein Irrtum mehr auf Personen als Ereignisse. Die Idee, daß Suggestibilität und Einbildungskraft generelle Persönlichkeitszüge aller Kinder sind, findet freilich in der psychologischen Forschung wenig bis keine Unterstützung. Selbst kleine Kinder sind durchaus in der Lage, an ihnen verübten sexuellen Mißbrauch richtig wiederzugeben (Graham Davies 1991, 104). Das Kerngeschehen des Ereignisses erwies sich auch bei Suggestivbefragungen erstaunlich widerstandsfähig. Kinder können insbesondere dann glaubhafte Zeugen sein, wenn sie über zentrale Aspekte bedeutungsvoller Ereignisse des wirklichen Lebens befragt werden, die sie selbst erlebt haben (Gail S. Goodman, Vicki S. Helgeson 1988, 118). Die Aussageanalyse, die bestimmte Glaubhaftigkeitskriterien entwikkelt hat, ist hierbei eine zuverlässige Methode der psychologischen Aussagebeurteilung. Falsche Anschuldigungen sind am Aussageverhalten und -inhalt, z. B. an der Wirklichkeitsnähe der Schilderung, an ihrer Spontaneität, ihrer Anschaulichkeit, ihrer Stimmigkeit und Folgerichtigkeit — wenn auch nicht mit untrüglicher Sicherheit - erkennbar (Thomas Fabian, Luise Greuel, Michael Stadler 1996).

3. Kriminalpolitische

Vorschläge

Die Strafrechtsvorschrift gegen den sexuellen Mißbrauch an Kindern muß wegen ihrer werteschaffenden und -erhaltenden Kraft bestehen bleiben. Das Strafverfahren ist aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlich. Gleichwohl darf es nicht sofort und uneingeschränkt angewandt werden, weil es in seiner letzten Konsequenz die Familie zerschlägt, sie ihrer ökonomischen Grundlagen beraubt (Freiheitsstrafe für den Ernährer) und weil es die Kinder benachteiligt (Heimaufenthalte, Pflegefamilie). In geeigneten Fällen ist dem formellen Strafverfahren deshalb ein informelles Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren vorzuschalten, das mit Zustimmung aller Beteiligten, des Angeklagten, des Opfers, des Staatsanwalts, des Richters, am runden Tisch stattfinden und dessen Schlichtungsspruch für alle Beteiligten verbindlich sein sollte. Diese Schlichtungsvereinbarung kann Behandlungsauflagen und Kontrollen für den Angeklagten und die mannigfaltigsten Hilfen für die Familie vorsehen. Kommt der Angeklagte seinen Verpflichtungen aus dem Schlichtungsspruch nicht nach, findet das Strafverfahren statt. Nach israelischem Vorbild sollte freilich für alle Vernehmungen des kindlichen Opfers im vorgerichtlichen Ermittlungsverfahren anstelle der Polizei ein Jugenduntersuchungsführer zuständig sein, der für seine Aufgabe besonders psychologisch und pädagogisch ausgebildet ist. Er befragt das sexuell mißbrauchte Kind in seiner gewohnten Umgebung und in kindgemäßer, undramatischer Weise. Wenn es zum Strafverfahren kommt, sagt er anstelle des Kindes vor Gericht aus. Wenn das Kind sozial reif und emotional stabil genug ist, seine Aussage vor Gericht zu machen, ohne psychische Schäden davonzutragen, gibt er seine Aussageerlaubnis für das Kind.

H. Vorbeugung und Kontrolle 1.

Verhütung

Im deutschsprachigen Raum ist man gegenüber Vorbeugungsprogrammen eher skeptisch (Natascha Wehnert-Franke, Hertha Richter-Appelt, Christine Gaenslen-Jordan 1992). In den USA werden 67% aller Kinder in der Schule über sexuellen Mißbrauch informiert (David Finkelhor 1994c, 5). Es ist eine wesentliche Aufgabe der Verhütungsprogramme, Kinder in kindgemäßer Weise in Kindergarten und Grundschule über ihre Gefährdung durch sexuelle Viktimisierung wirklichkeitsnah aufzuklären, sie bei der Entfaltung selbstbewußter Verhaltensweisen („Nein-Sagen") zu unterstützen und ihnen den Unterschied zwischen angemessenen und unangemessenen Körperkontakten klarzumachen (Arnold Lohaus, Hanns M. Trautner 1997; Sandy K. Wurtele, Laura C. Kast, Anastasia M. Melzer 1992). Die Vorbeugung darf freilich nicht zum ausschließlichen

Sexueller Mißbrauch an Kindern Problem des potentiellen Opfers gemacht werden. Die Verhinderung sexuellen Mißbrauchs ist vielmehr die Aufgabe Erwachsener. Deshalb ist es ganz wesentlich, daß die Unterrichtung der Kinder durch eine Information der Eltern und Lehrer ergänzt wird. Der sexuelle Mißbrauch an Kindern muß ferner in der Ausbildung sozialer Berufe, die mit solchem Mißbrauch konfrontiert werden, z. B. in der Ausbildung von Kindergärtnerinnen, von Lehrern, Sozialarbeitern und Ärzten, eine viel größere Rolle spielen. Man bemüht sich gegenwärtig, durch Filme, Rollenspiele, Vorträge, Malbücher, Lieder und Puppentheater das Problembewußtsein zu wecken (David Finkelhor, Nancy Strapko 1994). Man kann hier jedoch leicht zu viel tun und Probleme nicht nur lösen, sondern schaffen. Die Informationsbemühungen konzentrieren sich auf die drei Fragen, was sexueller Mißbrauch ist, wer als potentieller Täter in Frage kommt und was man gegen solchen Mißbrauch tun kann. Den Eltern sollte ferner noch nahegebracht werden, daß Kinder für sexuellen Mißbrauch anfälliger sind, wenn sie vernachlässigt werden und emotional isoliert sind. Die Eltern sollten schließlich wissen, in welcher Weise sie auf die Enthüllung sexuellen Mißbrauchs reagieren sollten. Der sexuelle Mißbrauch an Kindern ist überwiegend ein Beziehungsdelikt. Deshalb sollte von einer übertriebenen Warnung vor fremden Tätern abgesehen werden. Regelmäßig geht der sexuellen Viktimisierung ein Annäherungs- und Gewöhnungsprozeß (Lucy Berliner, Jon R. Conte 1990) voraus, in dem der Täter versucht, Körperkontakte allmählich zu sexualisieren und das Kind durch Drohungen und Überredungen willfährig und gefügig zu machen. Die Tater suchen sich besonders verwundbare, opfergeneigte Kinder aus (Jon R. Conte, Steven Wolf, Tim Smith 1989). Sie gewöhnen sie schrittweise und unter falschen Vorspiegelungen (Sexualität als Spiel) an sexuelle Berührungen. Die Täter sagen oder tun also vor ihrem sexuellen Mißbrauch Dinge, die als Gefährdungs- und Warnsignale erkannt werden können. Die Kinder müssen auf diesen Viktimisierungsprozeß und auf die Gefährdungsund Warnsignale aufmerksam gemacht werden. Sie müssen in die Lage versetzt werden, Risikosituationen zu erkennen. Diese Verhütungsbemühungen bergen allerdings auch Gefahren in sich: Übertriebenes Mißtrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen kann geschürt werden. Negative Einstellungen zur Sexualität können aufgebaut werden. Kinder können sich nicht nur gegen negative sexuelle Berührungen, sondern auch gegen positive, emotionale Körperkontakte wenden.

2.

Täterbehandlung

Pädophile Rechtsbrecher sind eine heterogene Population. Sie haben nicht nur sexuelle, sondern häufig auch emotionale und Kontakt-Probleme. Ihre

511

Phantasien sind nicht einfach nur Phantasien der Sexualität mit Kindern (pädophile Vorzugshypothese). Sie befassen sich vielmehr bisweilen auch mit Gegenständen der Macht und Kontrolle und drücken Aggression und einen Wunsch nach Domination, Demütigung und Erniedrigung aus. Pädosexuelle Straftäter glauben an kognitive Verzerrungen und Verdrehungen (Neutralisationsmechanismen, Stereotype), die sexuelles Verhalten mit Kindern rechtfertigen. Ihre Impulskontrolle ist mitunter mangelhaft. Sie haben oft unzureichende soziale Fähigkeiten, insbesondere Kontaktprobleme (Interaktionsstörungen) mit erwachsenen Frauen. Es mangelt ihnen regelmäßig an Einfühlungsvermögen in ihre kindlichen Opfer. Ihr niedriges männliches Selbstwertgefühl und ihre schwache Selbstbehauptungsfahigkeit versuchen sie, durch männliche Domination auszugleichen. Pädophile Rechtsbrecher haben unterschiedliche Behandlungsbedürfnisse, die bei ihrer Behandlungsplanung mit spezifischen psychodiagnostischen Testverfahren festzustellen und bei ihrer Behandlungsdurchführung zu überprüfen sind (William D. Murphy, Timothy A. Smith 1996, 183/184). Organische Behandlung, z. B. Kastration, geht von der (falschen) Annahme aus, daß sexuelle Devianz eine Funktion eines überstarken Sexual-"Triebs" ist. Pädosexuelle begehen ihre Delikte noch aus überwiegend anderen Motiven als nur ihrem Wunsch nach sexueller Befriedigung. Triebdämpfung, z. B. durch Kastration, reicht deshalb zur Rückfallverhinderung nicht aus. Die kognitive Verhaltenstherapie ist die modernste und die am meisten angewandte Behandlungsart bei pädophilen Sexualstraftätern. Sie ist ein mehrstufiger Verhaltens-Änderungs- und Erhaltungs-Prozeß, der sich aus drei verschiedenenen Therapieformen zusammensetzt. Mit der Verhaltenstherapie versucht man, deviante sexuelle Vorlieben auszulöschen und sozialadäquate Muster sexueller Erregung aufzubauen. Bei der Aversionstherapie wird z. B. eine deviante sexuelle Stimulation in Dias, Bildern, Filmen und Geschichten mit aversiven Konsequenzen, z. B. ekelerregendem Geruch oder Geschmack, Elektroschock, gepaart (Vernon L. Quinsey, Christopher M. Earls 1990). Kognitive Umstrukturierungs-Techniken verfolgen das Ziel, gedankliche Verzerrungen und Verdrehungen, z. B. pädophile Neutralisationen und Stereotype, in Frage zu stellen und umzuformen, die es pädosexuellen Tatern bisher erlaubt haben, ihr kriminelles Verhalten zu rechtfertigen und zu beschönigen (William D. Murphy 1990). Neue sozialadäquate Denkmuster werden mit ihnen eingeübt. Ihre Selbstkontrolle und ihr Umgang mit dem weiblichen Geschlecht werden verbessert. Im Rahmen der kognitiven Umstrukturierung ist das Opfer-EinfühlungsTraining, speziell die Entwicklung des Mitgefühls der Tater für sexuell mißbrauchte Kinder, von wesentlicher Bedeutung. 94% der 1.500 Behandlungsprogramme für Sexualstraftäter in den Vereinigten

512

Sexueller Mißbrauch an Kindern

Staaten sehen die Entwicklung des Einfühlungsvermögens des Täters in das Opfer als zentralen Gesichtspunkt ihrer Behandlung an (W. L. Marshall 1996, 173). Die Rückfall-Verhütung („Relapse Prevention") ist ein Selbst-Steuerungs-Modell zur Erhaltung des therapeutischen Gewinns und zur Verbesserung der äußeren Überwachung des pädophilen Täters (William D. Pithers 1990). Das Erlernen von Rückfallverhütungs-Strategien und -Konzepten ist zu einem integrierten Bestandteil der kognitiven Verhaltenstherapie geworden. Allerdings setzt es voraus, daß der Rechtsbrecher seine Tat nicht leugnet, sondern daß er die volle Verantwortung für sein kriminelles Verhalten übernimmt (Danya Glaser 1991, 776). Bei der Rückfallverhütung wird dem pädophilen Straftäter ein Problem-Lösungs-Ansatz nahegebracht. Man stattet ihn mit Methoden aus, die es ihm erlauben, Warnzeichen und Risikosituationen zu erkennen und zu analysieren sowie Strategien zu entwickeln, solche Situationen entweder zu vermeiden oder mit ihnen fertig zu werden. Sein Rückfall-Prozeß besteht aus einer RückfallEreignis-Kette: Zunächst fühlen sich die Täter „einsam" und „verwirrt". Ein innerer Drang, ein flüchtiger Gedanke oder ein Traum quälen sie, eine pädophile Handlung zu begehen. Sie können diesen emotionalen Zustand psychisch nicht verarbeiten. In der zweiten Phase führen sie Masturbations-Phantasien herbei, in denen sie sich durch die Vorstellung einer pädophilen Handlung sexuell erregen. Im dritten Schritt gehen die Phantasien in verzerrte Gedanken über. Die Täter stellen sich häufig Rechtfertigungen für ihre Sexualstraftaten vor, die sie zu begehen gedenken. Verzerrte Gedanken schreiben potentiellen Opfern unzutreffende Eigenschaften zu. In der vierten Phase entwickeln die Täter einen Plan, wie ihr phantasiertes Verhalten in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann. Im fünften und letzten Schritt des Rückfall-Prozesses wird ihr Plan ausgeführt. Die Rückfall-Verhütung ist ein kognitiver, individualisierter Therapie-Ansatz, der fünf Aufgaben verfolgt (Katurah D. Jenkins-Hall, Candice A. Osborn, Carmen S. Anderson, Kenneth Α. Anderson, Carol Shockley-Smith 1989). -

Zunächst werden anfällig machende, beschleunigende und fortdauernde Risiko-Faktoren, frühe Vorläufer („Warnzeichen") des Rückfall-Prozesses mit dem Täter zusammen ermittelt. Er wird über die Ereignis-Abfolge seines Rückfall-Prozesses (Emotion, Phantasie, kognitive Verzerrung, Plan, Handlung) informiert. Es wird ihm gesagt, daß seine Behandlung sein deviantes Sexualverhalten ändern wird, daß aber gleichwohl in Zukunft - mindestens vorübergehend - seine pädophilen Phantasien zurückkehren können. - Als zweite Aufgabe werden mit ihm zusammen Bewältigungsstrategien erarbeitet, die in Risikosituationen benutzt werden können, um die Wahr-

scheinlichkeit seines Rückfalls zu mindern. Jeder Tater zeigt Einzelheiten auf, wie er jedem Risikofaktor begegnen wird, den er in seiner Verhaltensabfolge vor seiner Tatbegehung erkannt hat. Er muß sich Mittel und Wege einfallen lassen, wie er solche Risikosituationen vermeiden wird. Er muß sich ferner einige Strategien überlegen, wie er mit jedem Faktor fertig wird, sollte er unvermeidbar auftauchen. - Drittens werden Fehltritte, ζ. B. pädophile Gedanken, Gefühle und Phantasien, nicht als Zeichen absoluten Versagens, sondern als Gelegenheiten definiert, die die Selbststeuerung des Täters verbessern, indem er aus Irrtümern lernt. Man will auf diese Weise einer negativen AbstinenzVerletzungs-Wirkung, einer Sich-selbst-erfüllenden Prophezeiung entgegenwirken. Ein Lapsus, ein Abgleiten in alte deviante sexuelle Denk- und Phantasie-Gewohnheiten, kann zum unumkehrbaren Verlust an Selbstkontrolle und zum Rückfall führen. Er kann aber auch eine wertvolle Lernerfahrung, ein Übergangsstadium zur Verbesserung der Selbststeuerung des Taters sein und damit ein vereinzeltes Ereignis bleiben. - Als vierte Aufgabe werden pädophile Täter daran gewöhnt, ihre Ausrutscher (pädophile Gedanken, Gefühle und Phantasien) als Irrtümer zu betrachten, die ihnen Gelegenheiten eröffnen, neue Bewältigungs-Fähigkeiten herauszubilden und ihre Selbstkontrolle zu verbessern. Wenn man Fehltritte als persönliches Versagen beurteilt, entwikkelt man die Erwartungshaltung fortgesetzten ständigen Versagens, die in einer möglichen endgültigen Niederlage, dem Rückfall, endet. Wenn dagegen ein Täter einen Lapsus, ein Straucheln, eine Fehlleistung als ein erwartetes Ereignis, als Herausforderung betrachtet, das ihm die Gelegenheit eröffnet, neue Selbststeuerungs-Fähigkeiten durch die Analyse umkehrbarer Irrtümer (Versehen) herauszubilden, können Fehltritte, pädophile Gedanken und Phantasien, produktive Ergebnisse hervorbringen. -

Fünftens werden mit dem Rechtsbrecher zusammen Interventionen entworfen, die ihn lehren, Fehltritte zu vermeiden und darauf hinzuwirken, daß sich aus Fehltritten keine Rückfälle entwikkeln. Dem Täter wird beigebracht, wie man eine Rückfall-Ereignis-Kette erkennt und unterbricht, damit sie nicht zum Rückfall führt.

Neben dem Selbst-Steuerungs-Ansatz zur Erhaltung des therapeutischen Gewinns besteht die Rückfall-Verhütung aus einer zweiten Dimension: aus der Schaffung eines ausgedehnten informellen Überwachungs-Netzwerks für eine erhebliche Zeit nach Abschluß der kognitiven Verhaltenstherapie und nach Entlassung aus dem Programm. Innere Selbststeuerung muß durch äußere Überwachung ergänzt werden. Die Therapeuten arbeiten mit vier oder fünf Personen (ζ. B. mit der Ehefrau, dem Arbeitgeber,

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Sexueller Mißbrauch an Kindern mit Berufskollegen, mit Freunden, mit dem Bewährungshelfer) zusammen, die in regelmäßigem Kontakt mit dem Entlassenen stehen und die sein Verhalten ständig beobachten. Entdecken sie Rückfall-Vorläufer (Warnzeichen), so informieren sie die Therapeuten, die Nachbehandlungs-Interventionen veranlassen.

3.

Täterrückfall

Die ältere psychiatrisch orientierte Kriminologie ist von zwei maßgeblichen Fehlkonzepten ausgegangen: — Sie nahm an, die Verantwortlichkeit für die Tat und für die Behandlung des Rechtsbrechers liege außerhalb des Täters in dessen „Krankheit" oder „Abnormität" (Externalisation der BehandlungsVerantwortung). Die Dichotomie (Zweiteilung) zwischen Heilung und Rückfall vermittelte ein völlig falsches Bild. In der Institution war der Therapeut für die Behandlung des Sexualstraftäters zuständig. Nach seiner Entlassung galt der Täter als „geheilt". Dieses psychiatrische Krankheitsmodell hat sich als völliger Fehlschlag erwiesen (Lita Furby, Mark R. Weinrott, Lyn Blackshaw 1989). Die dauerhafte Wandlung der Persönlichkeit des Sexualstraftäters in der Institution ist nicht möglich. Er ist vielmehr sowohl für seine Behandlung wie für seine Rückfallverhütung selbst verantwortlich. — Die Rückfallraten für Sexualstraftäter, insbesondere für pädophile Rechtsbrecher, wurden für niedrig gehalten (Benjamin Karpman 1954, 277/ 278; Donald J. West 1983, 195/196). Dies war ein Fehler. Denn das Dunkelfeld krimineller Karrieren ist bei Sexualstraftätern besonders hoch. Die niedrigen Rückfallraten der traditionellen Kriminologie sind darauf zurückzuführen, daß nur Rückfallkriterien des Hellfeldes, also der bekanntgewordenen Sexualkriminalität, berücksichtigt wurden. Pädophile Straftäter gaben indessen an, daß sie durchschnittlich zwei- bis fünfmal mehr pädosexuelle Straftaten verüben, als polizeilich registiert werden (Mark R. Weinrott, Maureen Saylor 1991; A. Nicholas Groth, Robert E. Longo, J. Bradley McFadin 1982). Obgleich der pädophile Rechtsbrecher mehrfach rückfällig wird, bleiben seine Rückfalltaten zum größten Teil unentdeckt im Dunkelfeld. Denn die Pädophilie ist ein häufiges, unterberichtetes, schlecht kontrolliertes Delikt. Pädophile Straftäter müssen grundsätzlich als rückfallgeneigt angesehen werden. Chronische sexuelle Deviation ist nämlich ein robuster Hang, eine Neigung, die sich jahrelang eingelernt hat und die jeder Behandlung gegenüber resistent ist. Der mit der kognitiven Verhaltenstherapie (mit integrierter Rückfallverhütung) kürzlich eingeschla-

gene Weg führt grundsätzlich in die richtige Richtung. Denn er bietet dem Täter einerseits wirksame Hilfen an; spricht ihn aber andererseits von seiner Verantwortlichkeit für seine Behandlung und seine Rückfallverhütung keineswegs frei. Wenn der pädophile Rechtsbrecher die angebotenen Hilfen allerdings nicht ergreift, wenn er seine Taten leugnet, seine Behandlung verweigert oder seine Therapie nicht erfolgreich abschließt, bleibt er für die Gesellschaft wegen seiner Rückfallneigung gefährlich. In diesem Fall muß kriminalpolitisch über geeignete Sicherungsmaßnahmen nachgedacht werden. Es ist derzeit schwierig, eine verbindliche Rückfallrate für Rechtsbrecher anzugeben, die mit kognitiver Verhaltenstherapie (unter Einschluß der Rückfallverhütung) behandelt worden sind. Diese Behandlungsform ist noch zu neu. Erste Evaluationsstudien kommen zwar zu günstigen Ergebnissen (Barry M. Maletzky, Kevin B. McGovern 1991, 257; Janice K. Marques, David M. Day, Craig Nelson, Mary Ann West 1994; W. L. Marshall 1993; W. L. Marshall, H. E. Barbaree 1990; skeptisch: Vernon L. Quinsey, Grant Τ. Harris, Mamie Ε. Rice, Martin L. Lalumiere 1993). So berichtet man beispielsweise über nur 4% Rückfalle bei 147 Pädophilen, die nach ihrer Entlassung sechs Jahre lang beobachtet worden sind (William D. Pithers, Georgia F. Cumming 1989). Gleichwohl muß das Dunkelfeld der pädophilen Rückfalltaten noch eingehender erforscht werden. Außerdem sind häufig keine Kontrollgruppen gebildet worden. Trotz dieser methodischen Einwände stellt die kognitive Verhaltenstherapie (mit integrierter Rückfallverhütung) eine aussichtsreiche Behandlungsform dar, die den Rückfall mit großer Wahrscheinlichkeit senken wird und bei der sich rückfallgeneigte pädophile Rechtsbrecher selbst aussondern.

M o n o g r a p h i e n und

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Vergewaltigung

VERGEWALTIGUNG I. BEGRIFF, UMFANG UND ENTWICKLUNG A. Begriff der Vergewaltigung und Abgrenzung gegenüber den Begriffen der sexuellen Gewaltanwendung und der sexuellen Belästigung an Frauen Vergewaltigung ist der gewaltsame oder erzwungene vaginale, anale oder orale Geschlechtsverkehr („Penetration") (Nancy A. Cromwell, Ann W. Burgess 1996, 13). Zur Vergewaltigung gehören auch oral-genitale Sexualkontakte (Cunnilingus, Fellatio). Eine sexuelle Gewaltanwendung besteht in jeder gewaltsamen, körperlich-sexuellen Einwirkung auf das Opfer. Sie führt in der Regel zu seiner physischen, psychischen und/oder sozialen Schädigung. Sexuelle Gewalthandlungen bilden ein Kontinuum; sie reichen von sexuellen Belästigungen (z. B. unerwünschten Berührungen der Genitalien, Küssen) bis zum gewaltsamen Geschlechtsverkehr. Sexuelle Gewalt kann auch gegenüber Männern angewandt werden. Hier wird allerdings nur die Vergewaltigung an Frauen erörtert, die auch innerhalb der Ehe verübt werden kann. Anstelle des (veralteten) Begriffs der Notzucht wird der Begriff Vergewaltigung benutzt, weil in ihm der für seine Charakterisierung wesentliche Begriff Gewalt enthalten ist. Im Mittelpunkt dieses Artikels steht die Vergewaltigung; sexuelle Gewalthandlungen und Belästigungen an Frauen sowie der Sexualmord werden freilich am Rande mitbehandelt, weil sie in enger Verbindung mit der Vergewaltigung stehen. Ob eine Frau vergewaltigt worden ist, hängt von der Gewaltanwendung oder -drohung durch den Täter ab. Er ist für seine Tat (für die Nicht-Kontrolle seines Sexualverhaltens) verantwortlich. Er kann allerdings einwenden, daß er keine Gewalt angewandt habe und daß ein friedlicher, einvernehmlicher Sexualakt vorliege. Es ist nicht erforderlich, daß das Opfer Widerstand geleistet hat (Dieter Rössner 1983). Seine durch Tätergewalt oder -drohung erzwungene, widerstrebende Unterwerfung kann nicht als Einwilligung gewertet werden. Die Frau muß ihre Zustimmung vielmehr freiwillig und in angemessener Weise (verbal oder nichtverbal) zum Ausdruck gebracht haben. Die Täterinterpretation des Opferverhaltens ist für die Beurteilung der Frage unerheblich, ob eine Vergewaltigung begangen worden ist. Der Täter kann sich nicht darauf berufen, er habe das Opferverhalten als Zustimmung mißverstanden. Bewußtlose, geisteskranke und -schwache Frauen können keine wirksame Einwilligung erteilen. Frauen, deren freie Willensbestimmung durch Alkohol- oder Drogenkonsum stark beeinträchtigt ist, können dem Sexualakt ebenfalls nicht rechtswirksam zustimmen. Auch heute besteht noch eine Diskrepanz zwischen der juristischen und der gesell-

schaftlichen Definition der Vergewaltigung (Charlene L. Muehlenhard, Irene G. Powch, Joi L. Phelps, Laura M. Giusti 1992). Das gesellschaftliche Stereotyp, nach dem ein geistig gestörter Fremder einer Widerstand leistenden Frau mit einer Waffe überfallartig in einer dunklen Allee sexuelle Gewalt antut, ist wesentlich enger als die juristische Definition. Es bestimmt immer noch nachhaltig die Kontrolle der Vergewaltigung durch Verbrechensopfer, soziale Gruppen (z. B. Familie, Nachbarschaft) und das Kriminaljustizsystem.

B. Umfang und Entwicklung der Vergewaltigung 1. Methodische Probleme Häufigkeitsmessung

bei der

Die Vergewaltigung ist ein weitverbreitetes, unterberichtetes Delikt, das durch die gesellschaftlichen Gruppen und das Kriminaljustizsystem nur mangelhaft kontrolliert wird. Es handelt sich um ein erhebliches soziales Problem mit geringer gesellschaftlicher Sichtbarkeit. Die Vergewaltigung wird zwar von der Bevölkerung als schweres Verbrechen beurteilt. Ihre wahre Bedeutung wird aber immer noch gesellschaftlich verkannt (Mary P. Koss 1996, 66). Wegen seiner unzulänglichen gesellschaftlichen Kontrolle weitet sich das Delikt langfristig immer mehr aus (Ciaran McCullagh 1996, 112). Um den Umfang der Vergewaltigung zu ermitteln, stützt sich die Kriminologie auf zwei Datenquellen, die sich gegenseitig ergänzen und berichtigen. Die offizielle Kriminalstatistik gibt das Hellfeld, die bekanntgewordene, angezeigte Kriminalität, wieder. Es ist indessen abhängig vom Anzeigeverhalten der Bevölkerung, das von ihrem Problembewußtsein und ihrer Empfindlichkeit gegenüber den verschiedenen Formen der Kriminalität bestimmt wird. Die Dunkelfelduntersuchungen, die Studien zum Opferwerden („Victimization Surveys"), informieren über tatsächlich begangene, den Strafverfolgungsbehörden aber verborgen gebliebene Kriminalität. Gleichwohl erheben sie keineswegs die kriminelle Wirklichkeit, sondern vielmehr die Wahrnehmung der Bevölkerung über Verbrechen. Sie gründen sich auf Angaben von Verbrechensopfern, die ihr Opferwerden wahrheitswidrig behaupten oder verschweigen können (Über- oder Unterbericht). Die Vergewaltigung zählt zu den Straftaten, deren Häufigkeit unterschätzt wird, weil sie zum großen Teil im doppelten Dunkelfeld verborgen bleibt. Unter dieser Form des Dunkelfeldes versteht man die Rechtsbrüche, die weder der Polizei noch dem Interviewer der Viktimisierungsstudie mitgeteilt werden. Vergewaltigte Frauen zeigen ihre Viktimisierung der Polizei nicht an, weil gesellschaftlicher Druck zur Nichtanzeige auf ihnen lastet. Als Vergewaltigungsopfer werden sie bei Aufdeckung der Vergewaltigung

Vergewaltigung sozial gebrandmarkt (Stigma: „beschädigtes Gut"). Sie haben die Hauptbürde des Strafverfahrens zu tragen („Opferbeschuldigung"). Die Kriminaljustiz hat sich bei der Kontrolle der Vergewaltigung als weitgehend erfolglos erwiesen. Das beweisen die niedrigen Anklage- und Verurteilungsraten. So wurden beispielsweise nur etwa 4% der angezeigten Vergewaltigungstäter in Neuseeland angeklagt (Jane und James Ritchie 1993, 50). Von den in den USA bekanntgewordenen Vergewaltigungen kamen weniger als 3% (Curt R. Bartol 1995, 286; Duncan Chappell 1989, 94), von den im Vereinigten Königreich polizeilich registrierten Vergewaltigungen lediglich 10% (Charles Lloyd, Roy Walmsley 1989, 1) zur Verurteilung. Die mangelhafte Kontrolle der Vergewaltigung durch das Kriminaljustizsystem wirkt sich auf die Anzeigebereitschaft der Vergewaltigungsopfer negativ aus. Die Neigung der vergewaltigten Frauen ist darüber hinaus gering, gegenüber dem Interviewer einer Dunkelfeldstudie in der Befragungssituation Angaben über heikle Probleme wie Vergewaltigung in der Ehe oder zwischen Bekannten zu machen. Die Vergewaltigung im sozialen Nahraum wird von den Opfern häufig als Privatsache betrachtet und bleibt in Befragungen unerwähnt, weil sie vom Täter abhängig und auf ihn angewiesen sind und weil sie ihm gegenüber Rücksicht nehmen wollen oder müssen. Den befragten Frauen mangelt es an Vertraulichkeit, und sie können daher nicht über Vergewaltigungen berichten, in die Verwandte, Freunde, Bekannte, Berufskollegen, Arbeitgeber oder Familienmitglieder verwickelt sind. Die Befragung in überfüllten Großstadtwohnungen bietet vergewaltigten Frauen keine ausreichende Geheimhaltung, die zur Erörterung intimer Fragen notwendig ist.

2. Umfang der Vergewaltigung und der sexuellen Gewaltanwendung an Frauen in Deutschland, Osterreich und der Schweiz Wenn die Häufigkeit der Vergewaltigung in Deutschland festgestellt werden soll, so ist sie in den internationalen Zusammenhang der offiziellen Kriminalstatistik und der Dunkelfeldforschung einzuordnen. Im Jahre 1990 betrugen die Häufigkeitszahlen (Zahlen der bekanntgewordenen Fälle auf 100.000 Einwohner) für Vergewaltigung in den USA 41.2 (U.S. Department of Justice 1995a, 305), in Japan 1.25 und in Indien 1.22 (UNAFEI und AIC o.J., 23), während die Häufigkeitszahl in der Bundesrepublik Deutschland 8.2 ausmachte (Bundeskriminalamt 1991, 117). Das Dunkelfeld der nichtangezeigten Vergewaltigungen ist allerdings in Japan (John Dussich, Yoshiko Fujiwara, Asami Sagisaka 1996) und in Indien (K. Chockalingam 1992, 1994) außerordentlich hoch. Nach einer in den Jahren 1989 und 1992 in zwanzig Industrieländern durchgeführten Dunkelfeldstudie (Jan J. M. van Dijk, Patricia Mayhew 1993, 21 ; Jan J. M. van Dijk, Patricia Mayhew,

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Martin Killias 1990, 125) waren sexuelle Gewalthandlungen (Vergewaltigungen einschließlich Versuchen und sexuellen Angriffen) am weitesten in Australien, Kanada, den USA, der Bundesrepublik Deutschland und in Polen verbreitet. Aufgrund einer im Jahre 1992 in dreizehn Entwicklungsländern unternommenen Viktimisierungsstudie (Ugljesa Zvekic, Anna Alvazzi del Frate 1995, 36—42) waren sexuelle Gewalthandlungen an Frauen in den Ländern am häufigsten, in denen die Frauen einen niedrigen Status besitzen. In Nordafrika hatten 33% der Frauen sexuelle Angriffe während eines Zeitraums von fünf Jahren zu ertragen. Es folgten Lateinamerika, das südliche Afrika und der Ferne Osten mit 15% der Frauen. Am wenigsten wurden die Frauen in Asien viktimisiert (10%). Nur einen kleinen Teil der sexuellen Gewalthandlungen zeigten die Frauen der Polizei an. Sie hatten zu negative Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Die Furcht der Frauen vor sexuellen Gewalthandlungen war sehr verbreitet. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (Bundeskriminalamt 1996a, 139/140) sind in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995 6.175 Fälle von Vergewaltigung (davon 32,7% Versuche) bekanntgeworden (Häufigkeitszahl: 7.6). Bei 6,7 Millionen Straftaten im Jahr 1995 bildeten sie bloß einen Anteil von 0,1% an der Gesamtkriminalität. Im Jahre 1995 wurden 73,5% der Fälle aufgeklärt. Zwar wurden im Jahre 1994 6.095 Fälle der Polizei gemeldet, aber nur 1.124 wegen Vergewaltigung Angeklagte (18,44% der angezeigten Fälle) wurden verurteilt (Statistisches Bundesamt 1996, 17). Aus diesen Zahlen geht hervor, daß das Hellfeld der bekanntgewordenen Vergewaltigung äußerst niedrig ist und daß die Strafverfolgungsintensität bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht zu wünschen übrig läßt. Die Beweislage wird oft als unzureichend angesehen, und das Opfer weigert sich auch, so häufig vor Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht über intime Einzelheiten auszusagen, weil es große Nachteile befürchten muß. Im Jahre 1995 wurden in Osterreich 514 Vergewaltigungsfälle (davon 149 Versuche) bekannt (Bundesministerium für Inneres 1996, 12). Die Häufigkeitszahl machte 6.4, die Aufklärungsquote 72,6% aus. Lediglich 130 Vergewaltigungstäter wurden verurteilt (Österreichisches Statistisches Zentralamt 1996, 25). In der Schweiz sind im Jahre 1992 316 Fälle von Vergewaltigung polizeilich registriert worden; von 209 ermittelten Tätern wurden nur 72 verurteilt (Bundeamt für Statistik 1996, 401/402). Ein besseres Bild über die sexuelle Gewalt an Frauen ist aus einer repräsentativen mündlichen und zum Teil schriftlichen Befragung von 5.832 Frauen ab 16 Jahren zu entnehmen, die das „Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen" in Hannover im Jahre 1992 durchgeführt hat (Peter Wetzeis, Christian Pfeiffer 1995). Über sexuelle Gewalterfahrungen berichteten 8,6% der befragten Frauen. Hierbei ereigneten sich 66% aller Vergewaltigungsdelikte im sozialen Nahbereich. Die Anzeigequote betrug

526

Vergewaltigung

nur 18,9%. Sie lag damit außergewöhnlich niedrig. Denn die durchschnittliche Anzeigerate für zehn berichtete Delikte machte in Deutschland 48% aus (Jan J.M. van Dijk, Patricia Mayhew 1993, 33). Die Anzeigequote für Vergewaltigung war abhängig von der Tater-Opfer-Beziehung. Während sie für dem Opfer unbekannte Täter bei 57,6% lag, verminderte sie sich bei Sichtbekanntschaften oder Freunden auf 26,7% und reduzierte sich ein weiteres Mal bei Familienangehörigen auf 17,9%. Die Frauen zeigten die sexuelle Gewaltanwendung, der sie zum Opfer gefallen waren, nicht an, weil sie den Vorfall als eine private Familienangelegenheit ansahen (60,7%), weil es ihnen peinlich war, darüber gegenüber fremden Menschen zu sprechen (50%), weil sie glaubten, die Polizei könne ohnehin nichts bewirken (35,7%), und weil sie befürchteten, im Falle einer Anzeige werde das Zusammenleben mit dem Tater in Zukunft noch schwieriger (28,6%). Wenn man sexuelle und körperliche Gewalt in der Familie miteinander vergleicht, so zeigt sich, daß die Mehrheit der Vergewaltigungsopfer auch Opfer körperlicher Gewaltanwendung wurde. Darunter waren Frauen, die über sehr schwerwiegende Gewalthandlungen wie Schläge mit Gegenständen, über Verbrennungen oder über Gewalt mit Waffen berichteten.

3. Häufigkeit

der Vergewaltigung

in den

USA

Stellt man die deutsche Situation der in den USA gegenüber, so erweist sich die Vergewaltigung in den Vereinigten Staaten als schwerwiegender. Im Jahre 1994 sind 102.100 Fälle bekanntgeworden; die Häufigkeitszahl betrug 39.2 (die deutsche Häufigkeitszahl: 7.5) (U.S. Department of Justice 1996c, 324). Nach der Dunkelfelduntersuchung, die das Bundesjustizministerium in Washington D.C. seit dem Jahre 1973 jährlich unternimmt, machte die Zahl der Vergewaltigungsfälle im Jahre 1993 160.380 aus. Hinzu kamen noch 152.200 versuchte Vergewaltigungen und 172.700 sexuelle Angriffe (U.S. Department of Justice 1996a, 9, 33 und 94). Die Vergewaltigungen zwischen Bekannten beliefen sich auf 78,8%. Der Polizei wurden 34,7% der Vergewaltigungen angezeigt. In einer Befragung einer für die USA repräsentativen Stichprobe von 3.187 Studentinnen, die in ihrer Mehrheit 18 bis 24 Jahre alt waren, wurde ermittelt (Mary P. Koss 1995; Mary P. Koss, Christine A. Gidycz, Nadine Wisniewski 1987), daß 12,1% der Stichprobe über eine versuchte und 15,4% über eine vollendete Vergewaltigung berichteten. Bei 84% handelte es sich um Vergewaltigung unter Bekannten und nur bei 16% um Vergewaltigung unter Fremden. Die Gruppenvergewaltigung belief sich immerhin auf 5%. Nur 5% der Studentinnen zeigten die Vergewaltigung der Polizei an, und bloß 5% der vergewaltigten jungen Frauen suchten um Hilfe in einem Vergewaltigungs-Krisenzentrum nach. Lediglich eine Minderheit der Studentinnen (27%) beurteilte das

gewaltsame sexuelle Ereignis als Vergewaltigung. Dieser Umstand löste eine Diskussion in den USA zu der Frage aus, ob man eine sexuelle Gewalthandlung als Vergewaltigung beurteilen dürfe, die das Opfer einer solchen Handlung selbst nicht als Vergewaltigung bewertet (dafür: Mary P. Koss, Sarah L. Cook 1993; dagegen: Neil Gilbert 1993). In einer Wiederholungsstudie zur Befragung der 3.187 Studentinnen (G. David Johnson, Gloria J. Palileo, Norma Β. Gray 1992) wurde festgestellt, daß die Häufigkeit der Vergewaltigung an nordamerikanischen Universitäten mit der Ursprungsstudie übereinstimmte, daß aber eine Mehrheit der Studentinnen ihre gewaltsame sexuelle Erfahrung nicht als Vergewaltigung einstufte und daß eine Studentin von sechs den Sexualakt äußerlich ablehnte, obgleich sie im stillen mit ihm einverstanden war (Scheinwiderstand). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Vergewaltigung begangen worden ist, kann nicht die Bewertung des Vergewaltigungsopfers, sondern nur die strafgesetzliche Definition maßgeblich sein. Das Vergewaltigungsopfer steht unter dem starken Druck des gesellschaftlichen Stereotyps des „fremden Täters in der dunklen Allee" (Mittie D. Southerland 1995, 195). Je nach Vergewaltigungsdefinition und Untersuchungsmethode kommen verschiedene Viktimisierungsstudien zu unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. die Übersicht bei Mary P. Koss 1993b): Ein Teil berichtet über 8% bis 14% Vergewaltigungsopfer. Nach einem anderen Teil liegt die Viktimisierungsrate vergewaltigter Frauen bei über 20% der Stichproben. Die höchste Wahrscheinlichkeit wird einem Untersuchungsergebnis zugemessen, das das „Nationale Zentrum für Verbrechensopfer" in Washington D.C. im Jahre 1992 erzielt hat (National Victim Center 1992): 14% der befragten Frauen waren während ihrer bisherigen Lebenszeit Vergewaltigungsopfer geworden. Die Zahl der vergewaltigten Frauen machte pro Jahr 683.000 aus, lag gegenüber den amtlichen Erhebungen also um viermal höher. Mit 16% war die Anzeigequote wesentlich niedriger als die Anzeigerate, die in der Dunkelfelduntersuchung des Bundesjustizministeriums in Washington D.C. ermittelt worden war. 61% aller Vergewaltigungen ereigneten sich zwischen Intimpartnern und Bekannten (Albert J. Reiss, Jeffrey A. Roth 1993, 79). Die hohe Kriminalitätsfurcht der Frauen ist vor allem eine Angst vor der Vergewaltigung, die als schweres Verbrechen beurteilt wird (Nancy A. Crowell, Ann W. Burgess 1996, 86; Kenneth F. Ferraro 1995; Mark Warr 1985).

4. Entwicklung

der

Vergewaltigung

Während in Deutschland eine gleichbleibende oder sogar rückläufige Entwicklung der bekanntgewordenen Vergewaltigungen im Zeitraum zwischen 1975 und 1995 zu beobachten ist (Bundeskriminal-

Vergewaltigung amt 1996b, 14), sind die angezeigten Vergewaltigungen in den USA in den letzten dreißig Jahren kontinuierlich gewachsen: von 17.190 Fällen (Häufigkeitszahl 9.6) im Jahr 1960 auf 102.100 (Häufigkeitszahl 39.2) im Jahr 1994 (U.S. Department of Justice 1996c, 324). Man führt einen großen Teil dieses Anstiegs freilich auf das zunehmende Problembewußtsein in der Gesellschaft (Linda Brookover Bourque 1989), auf die wachsende Anzeigebereitschaft der Opfer (Albert J. Reiss, Jeffrey A. Roth 1993, 85) und auf Organisationsänderungen in der Kriminaljustiz (Gary F. Jensen, Maryaltani Karpos 1993) zurück. Die Polizeibehörden der USA haben spezialisierte Einheiten für Vergewaltigungsopfer geschaffen; sie haben in diesen Einheiten mehr weibliche Beamte eingestellt, und sie haben das Anzeigeverfahren viktimologischen Erkenntnissen angepaßt (William G. Doerner, Steven P. Lab 1995, 90/91; Jay Livingston 1996, 189). Das Anwachsen der bekanntgewordenen Vergewaltigungen beruht zum großen Teil auf einer erhöhten Anzeigebereitschaft der Vergewaltigungsopfer. Diese Annahme wird dadurch nahegelegt, daß in den Dunkelfelduntersuchungen der USA während der Jahre 1973 bis 1992 weder zu- noch abnehmende Trends der Vergewaltigungsdaten festzustellen sind (U.S. Department of Justice 1994a, 19). Mit den erhöhten Anzeigeraten hat sich allerdings an der Strafverfolgungsintensität nichts Wesentliches geändert. Die Verurteilungsraten der bekanntgewordenen Vergewaltigungsfälle sind nämlich in den USA niedriger als in Deutschland. In den USA hat sich das zunehmende Problembewußtsein der Bevölkerung bisher nur teilweise in der Kriminaljustiz ausgewirkt. In Deutschland scheint das viktimologische Problembewußtsein bisher keinerlei Geltung in der Kriminaljustiz erlangt zu haben.

II. TYPOLOGIE DER VERGEWALTIGUNGSTÄTER UND ERSCHEINUNGSFORMEN DER VERGEWALTIGUNG A. Typologie der Vergewaltigungstäter Die Vergewaltigung ist vor allem der sexuelle Ausdruck von Aggression, weniger die aggressive Äußerung von Sexualität (so aber Richard B. Felson, Marvin Krohn 1990). Die kriminologische Forschung hat herausgefunden, daß Tätermotive der Macht und der Domination über Frauen, der Feindseligkeit gegenüber Frauen sowie ihrer Erniedrigung bei der Vergewaltigung vorherrschender sind als sexuelle Bestrebungen (Nancy A. Crowell, Ann W. Burgess 1996, 59; David Lisak 1994; David Lisak, Susan Roth 1990, 1988). Frauen sollen mit Wort und Tat degradiert werden; die meisten Vergewaltigungstäter wenden mehr Gewalt an, als sie zur Erreichung bloßer sexueller Ziele benötigen (W. L. Marshall, H. E. Barbaree 1989). Sie beurteilen selbst ihre Gewalt-

527

motivation als entscheidend; für sie sind sexuelle Motive von zweitrangiger Bedeutung (Juliet L. Darke 1990, 61). Vergewaltigungstäter sind eine heterogene Population (Robert A. Prentky, Raymond A. Knight 1991). Gleichwohl sind sie durch drei Merkmale gekennzeichnet: Sie werden selbst durch Vergewaltigungsszenen sexuell erregt, bei denen das Opfer Abscheu zeigt und Schmerz erleidet. Rechte und Gefühle der Vergewaltigungsopfer sind ihnen gleichgültig. Es mangelt ihnen an Fähigkeiten, mit Frauen angemessen umzugehen; sie haben Informations-Verarbeitungs-Defizite, die bei ihnen die Neigung hervorrufen, das Verhalten von Frauen zu mißdeuten (David N. Lipton, Elizabeth C. McDonel, Richard M. McFall 1987; James C. Overholser, Steven Beck 1986). Vergewaltigungen sind nicht selten reine Haßverbrechen, die die Frau als Symbol treffen sollen (Hans Joachim Schneider 1996c). Man kann sechs Typen von Vergewaltigungstätern unterscheiden (vgl. zu den vier ersten Typen: Curt A. Bartol 1995, 290-293): -

Der Ärger-Vergeltungstäter benutzt die Vergewaltigung, um seinem Opfer Leid zuzufügen, um es zu erniedrigen und zu demütigen. Er fühlt sich durch Frauen geschädigt und hält sie für feindselig, anspruchsvoll und treulos. Er wählt als Ziele seines sexuellen Angriffs Frauen aus, die er als aktiv, durchsetzungsfahig und unabhängig beurteilt. Die Kindheit dieses Tätertyps war häufig chaotisch und instabil. Viele sind körperlich und emotional vernachlässigt worden. - Die Grundmotivation des kompensatorischen Vergewaltigungstäters besteht darin, seine sexuelle Potenz und Manneskraft sich selbst und anderen unter Beweis zu stellen. Im Alltagsleben verhält er sich äußerst passiv, zurückgezogen und sozial ungeschickt. Er wird als scheuer, unterwürfiger, einsamer Mann beschrieben, dem es an Selbstwertgefühl mangelt. Er will sein Minderwertigkeitsgefühl ausgleichen. - Der sexuell aggressive und sadistische Vergewaltigungstäter erlebt sexuelle Erregung und Befriedigung nur durch die Mißhandlung seines Opfers, seine Folterung und Marterung, seine Hilflosigkeit und sein Leiden. U m zum sexuellen Höhepunkt zu gelangen, wendet er Gewalt an, die ihn stimuliert. Er ist davon überzeugt, daß Frauen gewaltsam genommen und von Männern beherrscht und kontrolliert werden wollen. Sein Phantasieleben kreist um Grausamkeiten. Die Vergewaltigung ist der Höhepunkt einer Folge sadistischer, masturbatorischer Phantasien (Ronald Blackburn 1993, 300/301). - Der impulsive, ausbeuterische Typ nimmt jede Gelegenheit zur Vergewaltigung wahr, die sich ihm bietet. Das Opfer wird in der Regel im Zusammenhang mit einem anderen Verbrechen, ζ. B. Raub oder Einbruch, vergewaltigt. Der Täter besitzt für gewöhnlich eine lange Vorstrafenliste anderer Delikte als der Vergewaltigung.

528

Vergewaltigung

-

Der Vergewaltigungs-Gruppentäter versteckt sich hinter kollektiver Verantwortungslosigkeit. Als einzelner hätte er niemals eine Vergewaltigung begangen; er hat sich angeblich dem „Gruppendruck" gebeugt. Ob die Gruppen-Vergewaltigung von männlichen Jugendbanden in Parks (Wilfried Rasch 1968), von Studentengruppen auf dem Universitäts-Campus (Peggy Reeves Sanday 1990; Patricia Yancey Martin, Robert Α. Hummer 1995; Chris S. O'Sullivan 1991), von Soldaten im Krieg (Shana Swiss, Joan Ε. Giller 1993) oder von Mannschaftssportgruppen verübt wird, stets stehen die männliche Kameraderie, das Zusammenhalten in Recht und Unrecht, die Überschätzung der Männlichkeit und die Unterschätzung der Weiblichkeit sowie der Beweis heterosexueller Potenz im Mittelpunkt. Alkohol wird zur Rechtfertigung und als Waffe benutzt. Man versucht, männliche Verbundenheit auf Kosten von Frauen zu demonstrieren, die als Sexualobjekte, als männliches Eigentum ausgebeutet werden.

-

Etwa 20% aller Vergewaltigungen werden von jugendlichen und heranwachsenden Tätern verübt (vgl. die Beiträge in Gail D. Ryan, Sandy L. Lane 1991). Viele erwachsene Vergewaltigungstäter beginnen mit ihren Rechtsbrüchen in früher Jugend; sie experimentieren mit ihrer sexuellen Gewalt. Wenn sie nicht aufgehalten werden, kann sich ein festes sexuell-aggressives Verhaltensmuster herausbilden. Jugendliche und heranwachsende Vergewaltigungstäter zweifeln an ihrer Männlichkeit, fürchten sich vor ihrem Versagen beim Sexualakt und haben Angst vor der Zurückweisung durch junge Frauen. Sie haben ein niedriges Selbstwertgefühl und eine schlechte Impulskontrolle. Sie sind häufig Opfer sexuellen Kindesmißbrauchs geworden. Sie halten sich für machtlos und entwickeln Gefühle der Feindseligkeit gegenüber Frauen. Sie glauben an Vergewaltigungs-Stereotype und flüchten sich in gewaltsame, sexuelle Masturbations-Phantasien (Judith V. Becker, Bradley R. Johnson, John A. Hunter 1996; Howard E. Barbaree, Stephen M. Hudson, Michael C. Seto 1993; Reinhard Wille, Wolfgang Kröhn 1990; Glen E. Davis, Harold Leitenberg 1987).

B. Erscheinungsformen der Vergewaltigung 1. Demographische Variablen der Täter und Opfer, Tatort- und Tatsituationsgesichtspunkte Die Mehrheit der Vergewaltigungsopfer ist unter 30 Jahre alt und unverheiratet. Die Vergewaltigungstäter sind zumeist junge Männer, die nur wenig älter als ihre Opfer und die fast zur Hälfte unverheiratet sind. Der größte Teil der Vergewaltigungen wird von Einzeltätern begangen. Tatorte sind in der Regel

Wohnungen, speziell die Wohnung des Opfers. Vergewaltigungen werden allerdings auch häufig in parkenden Autos verübt. Alkohol ist oft beim Täter, sehr viel seltener beim Opfer im Spiel. Alkoholkonsum gilt beim Täter — unberechtigterweise — als Entlastung von seiner Verantwortung. Das Opfer wird durch seinen Alkoholkonsum für sexuelle Angriffe verwundbar, worauf es die Täter nicht selten anlegen. Die meisten Vergewaltigungen werden geplant (Menachem Amir 1971, 142). Sie werden in allen Schichten der Bevölkerung verübt; Täter und Opfer gehören allerdings vermehrt der Unterschicht an. In der Überzahl der Fälle wird die Vergewaltigung mittels Gewaltandrohung ausgeführt. Überraschung, Überrumpelung und körperliche Überlegenheit des Mannes spielen eine Rolle. Das Opfer leistet Widerstand oder kämpft nur in einer Minderheit der Fälle, weil es zur Passivität erzogen ist, seine „Hilflosigkeit" gelernt hat, und weil es Schäden für Leib und Leben befürchtet (Ian McDermid Gomme 1993, 244).

2. Vergewaltigung durch Fremde In der Vergangenheit kam fast ausschließlich die Vergewaltigung durch Fremde zur Anzeige. Ein großer Teil dieser Fälle wurde nicht aufgeklärt. Denn der Tater war unbekannt. Da man allein von den wenigen bekanntgewordenen und noch weniger aufgeklärten Fällen unter Fremden Kenntnis nahm, wurde das Problem als relativ unwichtig beurteilt. Es bildete sich ein gesellschaftliches Stereotyp, das bis heute nachwirkt: „Wirkliche" Vergewaltigung (Susan Estrich 1995) besteht darin, daß ein psychisch-abnormer, bewaffneter Fremder eine Frau aus dem Hinterhalt sexuell angreift und ihr erheblichen körperlichen Schaden zufügt. Das weibliche Opfer leistet vergeblich verzweifelten Widerstand. Nach der Vergewaltigung sucht es sofort das Krankenhaus auf, um seine schweren körperlichen Verletzungen behandeln zu lassen. Es zeigt die Tat unverzüglich der Polizei an (Laurie Bechhofer, Andrea Parrot 1991). Eine Vergewaltigung unter Bekannten wurde nicht als Problem wahrgenommen. „Ein wenig sexuelle Gewaltanwendung" unter Liebespaaren durch den Mann wurde von vielen akzeptiert. Man nahm ferner an, daß in der Familie, unter Verwandten und Bekannten der Gebrauch von Gewalt gering ist und daß es bei allen sexuellen Fragen zwischen Personen im sozialen Nahraum um Privatangelegenheiten geht. Die Ehefrau wurde als Eigentum des Ehemanns betrachtet (Hugh D. Barlow 1996, 116); sie hatte mit der Eheschließung der Sexualität innerhalb der Ehe bedingungslos zugestimmt. Unabhängig vom Geschlecht der Beurteiler werden auch heute noch überfallartige Vergewaltigungen am eindeutigsten als Straftaten bewertet (Luise Greuel, O. Berndt Scholz 1990). Mit zunehmendem Bekanntheitsgrad zwischen Täter und Opfer nimmt die Tendenz in der

529

Vergewaltigung Bevölkerung zu, die Vergewaltigung nicht eindeutig als Rechtsbruch zu definieren und die Verantwortlichkeit für die Kontrolle der männlichen Sexualität dem Opfer zuzuschieben. Gleichzeitig werden die Täter einer Vergewaltigung unter Fremden als Psychopathen angesehen, während man die Täter einer Vergewaltigung in der Ehe als psychisch völlig normal einschätzt (Candice M. Monson, Gary R. Byrd, Jennifer Langhinrichsen-Rohling 1996, 420/421).

3. Vergewaltigung

durch

Bekannte

Unter dem Eindruck viktimologischer Erkenntnisse wandelt sich das soziale Stereotyp des fremden, psychopathischen Vergewaltigungstäters (Entpathologisierung). Vergewaltigung unter Fremden macht nur eine Minderheit der Fälle aus; die Mehrheit der Vergewaltigungen ereignet sich zwischen Bekannten (Harvey Wallace 1996, 263; Julie A. Allison, Lawrence S. Wrightsman 1993, 63), zwischen Freund und Freundin, zwischen verliebten jungen Menschen, Eheleuten, Familienmitgliedern, Verwandten, Nachbarn sowie unter Männern und Frauen in Beruf und Studium, die sich kennen („Acquaintance Rape"). Das Problembewußtsein für solche sexuellen Viktimisierungen nimmt seit den 80er Jahren zu, obgleich immer noch die Mehrheit der Vergewaltigungsopfer, die durch ihnen bekannte l a t e r viktimisiert worden sind, ihre gewaltsame sexuelle Erfahrung nicht als Vergewaltigung definiert (Vernon R. Wiehe, Anne L. Richards 1995, 29). Zwar spricht man bei Vergewaltigungen unter Bekannten, bei denen das weibliche Opfer keinen starken körperlichen Widerstand leistet und bei denen es keine körperlichen Schäden davonträgt, lediglich von „einfacher" Vergewaltigung „im rechtstechnischen Sinne". Auch begegnet man einem Opfer, das eine solche Tat anzeigt, mit Mißtrauen. Die viktimologische Einsicht setzt sich aber immer mehr durch, daß das Vergewaltigungsopfer bei sexuellen Viktimisierungen unter Bekannten größere psychische und soziale Schäden davonträgt als bei Vergewaltigungen unter Fremden. Es hat nämlich nicht nur unter einem Kontrollverlust, einem verminderten Selbstwertgefühl, unter Verwirrung, Schock, Hilflosigkeit, Angst und Depression zu leiden. Viel mehr schmerzt bei Vergewaltigungen unter Bekannten der Zusammenbruch des menschlichen Vertrauens und der interpersonalen Sicherheit (Christine A. Gidycz, Mary P. Koss 1991). Diese psychischen und sozialen Schädigungen sind deshalb so alarmierend, weil in Befragungen vergewaltigter Frauen, die ihren Täter kannten, festgestellt worden ist, daß nur sehr wenige die Tat der Polizei melden und ein Vergewaltigungs-Krisenzentrum aufsuchen und daß nahezu die Hälfte der weiblichen Opfer mit niemandem darüber redet, was ihnen zugestoßen ist (Mary P. Koss, Sarah L. Cook 1993, 108). Auf diese Weise können die psychischen und

sozialen Leiden, die durch Vergewaltigungen unter Bekannten entstehen, seelisch nicht aufgearbeitet werden.

4. Vergewaltigung

in

Liebesbeziehungen

Sexuelle Viktimisierungen bei Liebespaaren („Date Rapes") werden nicht nur durch den Umstand, daß sich Täter und Opfer kennen, sondern auch durch den sozialen Zusammenhang bestimmt, in dem sie sich zutragen. Das persönliche Verhältnis von Liebespaaren ist durch Vertrauen und Sicherheit im zwischenmenschlichen Bereich geprägt. Durch Gewaltanwendung werden Vertrauen und Sicherheit zerstört. Folgende drei Merkmale der Machtungleichheit bilden Risikofaktoren der Vergewaltigung (Charlene L. Muehlenhard, Melaney A. Linton 1987): -

Im Prozeß des „Miteinander-Gehens" entsteht ein symbolischer und praktischer Machtunterschied. Der Mann kontrolliert das Liebesverhältnis und seine Partnerin. Er lädt zum Treffen ein. Er bestimmt die gemeinsame Aktivität. Er bezahlt für die Frau. Er steuert das Auto. Er bringt sie nach Hause. - In Liebesbeziehungen gilt auch heute bisweilen noch das traditionelle sexuelle Rollenskript. Ein Aspekt dieses Skripts besteht darin, daß es für den Mann, nicht aber für die Frau annehmbar ist, die sexuelle Initiative zu ergreifen. Es ist vielmehr die Rolle der Frau, Widerstand zu leisten. Die Rolle des Mannes besteht demgegenüber darin, die „Scheinproteste" der Frau zu mißachten. Wie man in einer empirischen Studie ermittelt hat (Charlene L. Muehlenhard, Lisa C. Hollabaugh 1988), lehnen 39% der nordamerikanischen Psychologiestudentinnen auch heute noch den Geschlechtsverkehr offen ab, während sie ihm im stillen zustimmen. Die jungen Frauen legen solches ambivalentes Verhalten an den Tag, um nicht als promiskuitiv zu gelten. Ihr „Scheinwiderstand" ist eine rationale Reaktion auf den doppelten Standard männlichen und weiblichen Benehmens im traditionellen sexuellen Rollenskript. Der Mann kann sich auf seine illusionäre Situationsverkennung nicht berufen; er trägt das volle Risiko seines gewaltsamen Sexualverhaltens. -

Bei einer Befragung junger Leute (Laurie Bechhofer, Andrea Parrot 1991, 22) antwortete die Mehrheit, es sei in Ordnung, wenn der junge Mann in einer Liebesbeziehung etwas Gewalt anwende, um seine Partnerin zur Sexualität zu bewegen. Als Beispiele gaben die jungen Leute folgende Situationen an: Die Partnerin ist sexuell aufreizend gekleidet. Das Paar geht schon mehr als sechs Monate miteinander. Fast ein Drittel antwortete, Gewaltanwendung sei akzeptabel,

530

Vergewaltigung

wenn der Mann für seine Partnerin „viel Geld" ausgegeben habe. Unter „viel Geld" verstanden die Teenager zehn Dollar.

5. Vergewaltigung

in der Ehe

Sie ist die am weitesten verbreitete Form der Vergewaltigung (Patricia Lynn Peacock 1995, 63). 10% (Kersti Yllo, David Finkelhor 1985, 148) und 14% (Diana E. H. Russell 1990, 57) der befragten verheirateten Frauen in den USA berichteten, daß sie von ihrem Ehemann vergewaltigt worden seien. Bei der Vergewaltigung in der Ehe entsteht ein mindestens genauso großes Trauma beim Opfer wie bei der sexuellen Viktimisierung unter Fremden (Dean G. Kilpatrick, Connie L. Best, Benjamin E. Saunders, Lois J. Veronen 1988; Heidi S. Resnick, Dean G. Kilpatrick, Catherine Walsh, Lois J. Veronen 1991). Das Sicherheitsgefühl der Ehefrau wird im Kern getroffen. Sie fühlt sich zu Hause nicht mehr unverletzbar. Während die Opfer einer Vergewaltigung unter Fremden mit ihrer Erinnerung leben müssen, sind die Opfer der Vergewaltigung in der Ehe gezwungen, mit ihrem Täter weiterhin zusammen zu leben. Die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe ist gerechtfertigt, weil sie einen schweren Bruch einer Liebes· und Vertrauensbeziehung darstellt. Vergewaltigte Ehefrauen fühlen sich zutiefst erniedrigt und gedemütigt. Die Kriminalisierung der Vergewaltigung in der Ehe setzt ein Signal für die Unantastbarkeit der körperlichen und sexuellen Integrität der Frau in der Familie. Obgleich Vergewaltigung in der Ehe sehr häufig und nicht selten extrem brutal ist, bleibt ihre Strafbarkeit auch heute noch umstritten (Nancy A. Crowell, Ann W. Burgess 1996, 127). Folgende Argumente macht man für und gegen ihre Strafbarkeit geltend: -

Der Staatsanwalt hat in der sexuellen Privatsphäre der Eheleute nichts zu suchen. Diese Auffassung ist veraltet, weil durch empirische Studien klar herausgearbeitet worden ist, daß Gewalt in der Familie weit verbreitet ist. Der Staat ist in dieser Lage verpflichtet, die Gewalt in Ehe und Familie einzudämmen, weil Gewaltanwendung innerhalb der Familie gelernt wird. Wenn die Selbstregulierungs-Mechanismen der Ehe und Familie versagen, muß der Staat eingreifen, um Dauerschäden durch Gewaltanwendung zu vermeiden. — Die Ehepartner haben innerhalb der Ehe ein Recht und eine Pflicht zum Geschlechtsverkehr; mit der Eheschließung haben sie in den Geschlechtsverkehr eingewilligt. Diese Ansicht ist im Grundsatz richtig, trifft aber das Problem nicht. Wenn die Ehepartner sich mit der Sexualität innerhalb der Ehe einverstanden erklärt haben, so haben sie nicht gleichzeitig die Gewaltanwendung, die eigene Schädigung und Herabwürdi-

gung gebilligt. Die Ehepartner erlangen mit der Heirat kein gegenseitiges Eigentum an ihren Körpern; sie werden füreinander nicht zu Objekten. Sie bleiben auch nach der Eheschließung eigenständige Personen, die zu gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung sowie zu Übereinstimmung im sexuellen Bereich verpflichtet sind. Niemand ist befugt, sein Recht mit Gewalt durchzusetzen. - Mit der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe kommt es zu einer Flut von Falschanzeigen rachsüchtiger Ehefrauen. Dieses Argument hat sich in den Staaten, die die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe eingeführt haben, als falsch herausgestellt. Die Ehefrauen sind eher zurückhaltend mit ihren Anzeigen; die Falschanzeigen sind nicht häufiger als bei anderen Gewaltdelikten. Die Fälle, die zur Anzeige gebracht wurden, haben sich fast vollständig als gut dokumentiert und als brutale Verbrechen erwiesen; ihre Verurteilungsrate lag höher als bei Vergewaltigungen unter Fremden (Mildred Daley Pagelow 1988, 227).

6. Sexuelle Belästigung an Frauen Sie sind degradierend und furchterregend; sie bestätigen die untergeordnete Rolle der Frauen in der Gesellschaft; Frauen werden wie Objekte behandelt (Louise F. Fitzgerald 1993). Sexuelle Belästigungen an Frauen an ihrem Arbeitsplatz sind erst in jüngster Zeit zum gesellschaftlichen Problem geworden, obgleich es sie auch in der Vergangenheit gegeben hat. Nicht alle diese sexuellen Beeinträchtigungen, die nur zu weniger als 5% der Fälle angezeigt werden, stellen körperliche sexuelle Angriffe dar. Bei einer Befragung von 23.964 Bundesbediensteten in den USA gaben 42% der Frauen an, daß sie sexuell belästigt worden seien (Mary P. Koss, Lisa A. Goodman, Angela Browne, Louise F. Fitzgerald, Gwendolyn Puryear Keita, Nancy Felipe Russo 1994, 124). Nicht weniger als 26% klagten über vorsätzliche sexuelle Berührungen. Viele Frauen wurden über längere Zeit unter der Drohung wiederholt viktimisiert, sie verlören bei Nichtduldung ihren Arbeitsplatz. Nach einer Untersuchung des „Nationalen Zentrums für Verbrechensopfer" in Washington D.C. berichteten allerdings nur etwa 17,5% der Frauen über sexuelle Zumutungen durch ihre Vorgesetzten. In den Universitäten der USA werden 30% bis 35% der Studentinnen von ihren Professoren sexuell belästigt (Joanne Belknap, Edna Erez 1995, 164). Die meisten Opfer ignorieren die sexuellen Angriffe am Arbeitsplatz und tun nichts, weil man ihnen nicht glaubt und weil sie sich schämen und herabgewürdigt fühlen. In den Unternehmen kommt es zu höheren Fehlzeiten der belästigten Frauen und zu einem Nachlassen ihrer Arbeitsproduktivität. Die Frauen verlassen ihre Arbeitsplätze. Sie klagen über ein niedriges

Vergewaltigung Selbstwertgefühl und über einen Verlust an Selbstvertrauen. Sie leiden unter psychosomatischen Symptomen: unter Kopfschmerzen, Eß- und Gewichtsstörungen, Schlaflosigkeit und unter emotionalen Reaktionen: unter Angst, Depression, einem Gefühl der Hilflosigkeit und der Verwundbarkeit. Das Organisationsklima eines Betriebes oder einer Behörde trägt zur Entstehung sexueller Zumutungen gegenüber Frauen bei. In den Unternehmen oder Behörden, in denen solche Angriffe häufig vorkommen, herrscht Toleranz gegenüber sexueller Belästigung, und das Management ignoriert das Problem. Bei den Tätern handelt es sich häufig um autoritäre Persönlichkeiten, denen es an Einfühlungsvermögen mangelt und die traditionelle Sexualrollen-Einstellungen besitzen.

III. URSACHEN DER VERGEWALTIGUNG A. Biologische Ursachen Die ältere psychiatrisch orientierte Kriminologie hat versucht, die Vergewaltigung auf vier Ursachen zurückzuführen (Curt R. Bartol 1995, 287-289): - auf unkontrollierbare Triebe und Impulse des Täters (z. B. auf seinen angeborenen, überwältigenden Sexualtrieb, „Triebtäter"), - auf Geisteskrankheit, Psycho- oder Soziopathie des Rechtsbrechers, - auf vorübergehenden Kontrollverlust aufgrund ungewöhnlicher Umstände (z. B. aufgrund hochgradiger sexueller Entbehrung, Alkohol- und Drogenkonsum) und - auf Opferveranlassung (z. B. auf den unbewußten Wunsch mancher Frauen, sexuell erobert zu werden). Diese vier Gründe haben sich empirisch nicht nachweisen lassen. Sexualstraftäter sind in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit nicht geisteskrank; ihr Verhalten steht nicht außerhalb ihrer Kontrolle (W. L. Marshall, D. R. Laws, Η. Ε. Barbaree 1990, 391; D. J. West 1987, 175). Psychologische Studien an unentdeckten Vergewaltigungstätern haben vielmehr zu einer Entpathologisierung des Delikts der Vergewaltigung geführt (Ronald Blackburn 1993, 280, 298). Täteruntersuchungen zu hormonalen Dysfunktionen haben keine zufriedenstellenden Ergebnisse erbracht (S. J. Hücker, J. Bain 1990, 100/101). Sexualstraftäter sind keine abnormen psychopathischen Persönlichkeiten. Die evolutionär-biologische Theorie erklärt die Vergewaltigung im Zusammenhang mit dem männlichen Sexualtrieb. Vergewaltigung ist ein Instinkt, der sich über die Jahrtausende zur Arterhaltung herausgebildet hat. Männer und Frauen haben entwickelte Tendenzen, im Hinblick auf ihre FortpflanzungsAufgabe ihre Zeit und ihre Energie in unterschiedli-

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cher Weise zu verwenden. Weil sie nur über eine begrenzte Fruchtbarkeit verfügen, wenden sich Frauen ganz der Versorgung ihrer Nachkommenschaft zu. Im Gegensatz dazu streben Männer danach, mit sovielen wie möglichen Sexualpartnerinnen Geschlechtsverkehr zu haben, um eine möglichst große Zahl von Frauen zu befruchten und dadurch die Spezies zu erhalten. Evolutionstheoretiker (ζ. B. Lee Ellis 1991, 1989) sind der Meinung, daß Vergewaltigung durch zwei im wesentlichen ungelernte Triebe motiviert wird: durch den männlichen Sexualtrieb und den männlichen Besitz- und Kontrolltrieb. Im Rahmen der natürlichen Selektion lernen Männer gewaltsame Paarungstechniken, während Frauen mehr dazu neigen, sich solchen Paarungstechniken zu entziehen und zu widersetzen (James T. Tedeschi, Richard B. Felson 1994, 311). Denn sie benötigen zur Aufzucht ihrer Nachkommenschaft die Hilfe des Vaters. Die evolutionär-biologische Erklärung überzeugt nicht. Sie dient mehr der Rechtfertigung als der Beantwortung der Frage nach der Verursachung der Vergewaltigung. Es geht hier nicht um das Problem, warum es überhaupt die Vergewaltigung gibt, sondern darum, warum sie in einer Gesellschaft oder einer Gruppe häufig vorkommt, während man sie in einer anderen Gesellschaft oder Gruppe so gut wie überhaupt nicht findet. Die evolutionär-biologische Erklärung bestärkt die Meinung, daß alle Männer potentielle Vergewaltiger sind. Diese Ansicht ist indessen unzutreffend. Männer haben genauso wie Frauen Vor- und Fürsorgeaufgaben für ihre Nachkommenschaft. Sie sind nicht nur „Erzeuger".

B. Psychoanalytische Ursachentheorien Nach einer älteren psychoanalytischen Theorie (Helene Deutsch 1944; Karen Homey 1973) haben Frauen den heimlichen Wunsch, durch Männer sexuell überwunden zu werden; sie befriedigen ihre masochistischen Bedürfnisse durch VergewaltigungsPhantasien; sie streben insgeheim an vergewaltigt zu werden. Diese Theorie, die noch in einem gesellschaftlichen Vorurteil gegen vergewaltigte Frauen nachwirkt, hat sich als völlig unhaltbar erwiesen. Die psychoanalytische Theorie der „Identifikation mit dem Aggressor" (Anna Freud 1936) ist auf der Grundlage der Beobachtung einer Opfer-TaterAbfolge entwickelt worden. Ein Kind, das von einer Person in seinem sozialen Nahraum körperlich mißhandelt oder sexuell mißbraucht wird, nimmt nicht die Opferrolle an, sondern identifiziert sich mit seinem Angreifer. Denn es muß bei der Person Schutz und Obhut suchen, die ihm Schmerz zufügt und die es fürchtet. Es löst seinen angstbesetzten innerpsychischen Konflikt durch den Einsatz des Abwehrmechanismus der „Identifikation mit dem Aggressor". Bei rund einem Drittel der von ihm untersuchten Vergewaltigungstäter hat A. Nicholas Groth (1979,

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Vergewaltigung

98-103; 1983, 1355) herausgefunden, daß man ihnen als Kinder ein sexuelles Trauma zugefügt hat. Bei 56% von 41 Vergewaltigungs-Serientätern hat man mindestens eine gewaltsame sexuelle Erfahrung in ihrer Kindheit entdeckt im Vergleich zu 7,3% von 2.972 Studenten, die eine Kontrollgruppe bildeten (Ann W. Burgess, Robert R. Hazelwood, Frances Ε. Rokous, Carol R. Hartman, Allen G. Burgess 1988, 293).

C. Gesellschaftliche Ursachen 1. Sozialstrukturelle

Männer, sie gelten als Objekte. Durch die Vergewaltigung versuchen Männer, ihre männliche Überlegenheit zu beweisen. Eine vergewaltigungsfreie Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der die Vergewaltigung selten ist oder überhaupt nicht vorkommt. In solchen Gesellschaften, für die die Gleichheit der Geschlechter typisch ist, werden Frauen mit beachtlichem Respekt behandelt. Männer und Frauen haben ungefähr die gleichen Stellungen. Frauen spielen bedeutsame Rollen in religiösen Ritualen, und sie nehmen an Entscheidungen in Familie und Gesellschaft teil. Zwischenmenschliche Gewalt ist ungewöhnlich in vergewaltigungsfreien Gesellschaften.

Theorie

a. Ungleichheit der Geschlechter

b. Soziale Desorganisation

Die Vergewaltigung beruht auf langen und tiefverwurzelten sozialen Traditionen, durch die Männer nahezu alle wichtigen politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten in der Gesellschaft beherrschen (Julia R. und Herman Schwendinger 1983). Die Ungleichheit der Geschlechter trägt zu einem sozialen Klima bei, das Gewalt gegen Frauen fördert (Larry Baron, Murray A. Straus 1989, 185; 1987). In einer männerbeherrschten Gesellschaft spiegelt die Vergewaltigung die Machtlosigkeit der Frauen, ihre niedrige Wertschätzung und ihre Ausbeutung wider. In Geschlechtsrollen-Stereotypen drücken sich der Glaube an die männliche Überlegenheit und die untergeordnete Stellung der Frau in der Gesellschaft aus (Lana E. Stermac, Zindel V. Segal, Roy Gillis 1990; Nathaniel J. Pallone, James J. Hennessy 1992, 346/347). Frauen sind sexuelle und FortpflanzungsBesitztümer, um die sich Männer streiten. In einer sexuell permissiven, gewährenlassenden Gesellschaft ist Vergewaltigung sogar noch stärker verbreitet als in einer sexuell einschränkenden, nicht alles erlaubenden Gesellschaft. Denn in einer sexuell permissiven Gesellschaft gilt die sexuelle Verweigerung der Frau als ein noch schwererer Schlag gegen das männliche Selbstbewußtsein als in einer sexuell restriktiven Gesellschaft (Gilbert Geis, Robley Geis 1979; Duncan Chappell, Gilbert Geis, Stephen Schafer, Larry Siegel 1977).

Soziale Organisation und soziale Desorganisation sind Endpunkte eines Kontinuums, das sich auf soziale Netzwerke und soziale Kontrolle bezieht. Ein soziales System, eine Gemeinschaft, ein Subsystem einer Gesellschaft nennt man dann sozial organisiert oder integriert, wenn seine Mitglieder in ihren Normen und Werten übereinstimmen, wenn zwischen ihnen ein enger Zusammenhalt herrscht und wenn sie in geordneter Weise miteinander interagieren. Eine Gemeinschaft ist sozial desorganisiert, wenn ihr sozialer Zusammenhalt zerfallt, wenn ihre soziale Kontrolle zusammenbricht und wenn sich unter ihren Mitgliedern eine zwischenmenschliche Desorientierung breitmacht. Soziale Desorganisation ist ein Zerfallsprozeß, der in der Gesellschaft teils massiv, teils mäßig oder teils leicht ausgeprägt ist. Er entfaltet eine Eigendynamik. Die Negativ-Spirale treibt die Gemeinschaft immer tiefer in den Niedergang. Unter sozialer Desorganisation versteht man negative Bedingungen, die die Fähigkeit traditioneller Institutionen, ζ. B. der Familie, Nachbarschaft, untergraben, soziales Verhalten zu steuern. Ein niedriger Grad sozialen Zusammenhalts und sozialer Kontrolle trägt zur Entstehung der Vergewaltigung bei (Larry Baron, Murray A. Straus 1989, 187). Ethnisch ungleichartige Bevölkerung, hohe Wohnmobilität und Ehe- und Familienzerrüttung sind für sozial desorganisierte Gebiete charakteristisch. Es herrschen lockere sexuelle Normen, und man ist gegenüber Gewalt tolerant.

Die ethnologische Anthropologin Peggy Reeves Sanday (1981) hat 156 Stammesgesellschaften auf das Vorkommen der Vergewaltigung untersucht und vergewaltigungsgeneigte und vergewaltigungsfreie Gesellschaften gefunden. Eine vergewaltigungsanfällige Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der Vergewaltigung sich häufig ereignet, in der sie einen zeremoniellen Akt darstellt oder in der sie eine Handlung bildet, durch die Männer ihre Frauen bestrafen oder bedrohen. In solchen Gesellschaften ist die Vergewaltigung Ausdruck der sozialen Ideologie männlicher Domination. Frauen nehmen an der öffentlichen Entscheidungsfindung nicht teil, und Männer drücken ihre Verachtung für Frauen als Entscheidungsträgerinnen aus. Frauen sind Eigentum der

Die Familienpathologie übt einen Haupteinfluß aus. Gewaltorientierte Familien sind in der Gemeinschaft sozial isoliert; innerhalb der Familien sind die sozialen Bindungen zerstört. Die Eltern sind schlechte Rollenmodelle für ihre Kinder, die sich mit ihnen nicht identifizieren können. Ihr Erziehungsstil („Poor Parental Childrearing") wird bestimmt durch Unbeständigkeit, Mangel an Wärme und Zuneigung, Teilnahmslosigkeit, Gleichgültigkeit und Zurückweisung (William L. Marshall, Stephen M. Hudson, Sharon Hodkinson 1993). Die Eltern lösen ihre Konflikte gewaltsam; ihre Aufsicht über ihre Kinder ist mangelhaft. Sie halten Eigenschaften wie Macht-

Vergewaltigung Orientierung, Brutalität, Überheblichkeit, Aggressivität und Streitsüchtigkeit für „männlich" (Neil M. Malamuth, Robert J. Sockloskie, Mary P. Koss, J. S. Tanaka 1991). Der Sohn, der spätere Vergewaltigungstäter, wird häufig körperlich mißhandelt und sexuell mißbraucht (Kevin R. Graham 1996). Einfühlungsvermögen für seine Mitmenschen, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl vermögen sich bei ihm nicht herauszubilden. Die belastete Eltern-Kind-Interaktion begründet seine Bindungslosigkeit und seine Vereinsamung, die Mängel in seinen sozialen Fähigkeiten, sein Gefühl männlicher Unzulänglichkeit, Feindseligkeit und Gewaltneigung gegenüber Frauen zur Folge haben (Bonnie Τ. Seidman, W. L. Marshall, Stephen M. Hudson, Paul J. Robertson 1994). Er zieht sich in soziale Isolation, in masturbatorische Phantasien zurück, in denen ihn sexuelle Gewalt gegenüber Frauen stimuliert (W. L. Marshall, Η. E. Barbaree 1990a, 262). Öfter findet man die Familienkonstellation eines schwachen Vaters und einer dominierenden, zurückweisenden Mutter. Da der Vater für den Sohn kein lebendiges Modell der Männlichkeit bildet, mit dem er sich identifizieren könnte, mißlingt sein Sozialisationsprozeß der Maskulinisierung; diesen Mangel gleicht er durch eine defensive Männlichkeit und eine hypermaskuline Neigung aus (David Lisak 1994; David Lisak, Carol Ivan 1995). Gegenüber seiner ihn zurückweisenden, beherrschenden Mutter hegt er ambivalente Gefühle (Ronald Blackburn 1993, 288). Er möchte sich einerseits aus ihrer Abhängigkeit gewaltsam befreien, und er fürchtet andererseits ihre Macht (David Lisak, Susan Roth 1990, 278). Seine Einstellung seiner Mutter gegenüber überträgt er auf alle Frauen.

2. Kulturelle

Theorie

a. Billigung der Gewalt In den Gesellschaften ist Vergewaltigung am häufigsten vertreten, die zwischenmenschliche Gewaltanwendung als Konfliktlösungsmittel, zur Beilegung von Streitigkeiten anerkennen. Legale Gewalt ist indirekt mit Vergewaltigung verbunden. Der Status von Frauen ist niedriger und der Glaube an die männliche Überlegenheit verbreiteter in Gesellschaften mit hohen Graden legaler Gewalt. Frauen werden in solchen Gesellschaften, die an die Ordnungsmacht der Repression glauben, minder geachtet (Larry Baron, Murray A. Straus 1989, 187). Sehr viel spricht für die Theorie des fließenden Übergangs („Cultural Spillover Theory"): Der Gebrauch von Gewalt für sozial legale Zwecke neigt dazu, in Gewaltanwendung für kriminelle Ziele fließend überzugehen. In diesem Prozeß des fließenden Übergangs verschwimmen Grenzen zwischen legaler und krimineller Gewaltanwendung. Je häufiger sich eine Gesellschaft legaler Gewalt bedient, um gesellschaftlich erstrebenswerte Ziele zu erreichen, desto größer wird

533

die Neigung ihrer potentiellen Rechtsbrecher, Gewalt zur Erreichung ihrer illegalen Ziele zu verwenden. Vergewaltigung wird beeinflußt durch die ausgesprochene oder unausgesprochene Billigung der Gewalt in verschiedenen Lebensbereichen, beispielsweise in der Erziehung (ζ. B. durch körperliche Strafen), in den Massenmedien (ζ. B. durch Darstellungen verschönter Gewalt) und im Sport (ζ. B. durch die Rechtfertigung spielerischer Gewalt). Die Theorie des fließenden Übergangs sagt die Übertragung und Verbreitung der Gewalt aus sozialen Verknüpfungen, in denen ihr Gebrauch sozial gebilligt wird, in gesellschaftliche Zusammenhänge voraus, in denen ihre Anwendung als illegal oder kriminell beurteilt wird (Larry Baron, Murray A. Straus 1989, 9, 175; Larry Baron, Murray A. Straus, David Jaffee 1988). Pornographische Darstellungen, ζ. B. audiovisuelle Materialien, Bilder, Druckerzeugnisse, die zum Zwecke sexueller Erregung hergestellt werden und die einen gewaltsamen sexuellen Inhalt haben, verstärken und vermehren aggressives Verhalten gegenüber Frauen (Larry Baron, Murray A. Straus 1989, 192), die zu Objekten männlicher sexueller Befriedigung gemacht werden. Aufgrund des Pornographie· Vergewaltigungs-Modells vertritt man die Meinung, daß der Pornographie-Konsum eine Hauptquelle zur Hervorrufung sozialabweichender sexueller Interessen ist und auf diese Weise zur Verursachung von Sexualstraftaten beiträgt. Das KulturVergewaltigungs-Modell stellt demgegenüber die These auf, daß die vorherrschenden aggressiven kulturellen Einstellungen sowohl die Entstehung von Sexualstraftaten als auch den Pornographie-Konsum beeinflussen. Weder das eine noch das andere Modell ist aus sich selbst heraus gültig. Beide Modelle haben eine gewisse Berechtigung und üben wechselseitige Einflüsse aufeinander aus (Mary R. Murrin, D. R. Laws 1990, 82). Pornographie, die nicht nur in den herkömmlichen Massenmedien, sondern verstärkt im Kabelfernsehen, durch Videokassetten-Recorder und im Internet verbreitet wird, ermutigt und begünstigt die Objektivation, die Vergegenständlichung von Frauen und rechtfertigt sexuelle Aggression gegenüber Frauen. Die Darstellung sexueller Gewalt gegen Frauen führt zur Gleichgültigkeit gegenüber Vergewaltigungsopfern und zur Billigung von Gewalt gegenüber Frauen (Nancy A. Crowell, Ann W. Burgess 1996, 63). Vergewaltigungsdarstellungen, in denen gezeigt wird, daß Frauen die männliche sexuelle Gewaltanwendung als angenehm und vergnüglich empfinden, erhöhen die Gewalteinstellung gegenüber Frauen. Wenn veranschaulicht wird, daß Frauen während der Vergewaltigung orgastische Befriedigung erleben, so hat dies eine größere Gewaltneigung gegenüber Frauen zur Folge, als wenn dargestellt wird, wie sie durch die Vergewaltigung Schmerz und Leid erfahren (Albert Bandura 1986, 295, 385). Es besteht eine Kausalbeziehung zwischen der Darstellung se-

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Vergewaltigung

xuell gewaltsamen Materials und aggressivem Verhalten gegenüber Frauen; hierbei ist nicht die Darstellung der Sexualität, sondern die Veranschaulichung der sexuellen Gewalt entscheidend (Attorney General's Commission on Pornography 1986, 3 2 3 329). Im Leben von Sexualstraftätern spielt Pornographie eine wesentliche Rolle; das Anschauen aggressiver Pornographie legt die Grundlage für fortdauernde, häufige sexuell aggressive Phantasien (Philip Feldman 1993, 309); sexuelle und aggressive Reize werden miteinander verbunden, und die Paarung lernt sich ein. Die Darstellung sexueller Gewalt gegenüber Frauen in den Massenmedien setzt das Einfühlungsvermögen von Männern gegenüber Vergewaltigungsopfern herab (Daniel Linz 1989). Das Anschauen sexuell aggressiver Filme hat einen negativen Einfluß auf die Einstellungen der Männer gegenüber Frauen. Sie sind der Meinung, daß Frauen ihre Vergewaltigung verdienen und daß sie insgeheim wünschen vergewaltigt zu werden (Monica G. Weisz, Christopher M. Earls 1995; Dano Demare, John Briere, Hilary Μ. Lips 1988).

daß etwa zwei Drittel der Studenten antworteten, sie würden keine Vergewaltigung verüben, selbst wenn sie wüßten, daß sie nicht bestraft werden könnten (Lorna J. F. Smith 1989, 35). Immerhin herrscht in einer starken Minderheit der männlichen Bevölkerung ein feindliches Klima gegen Frauen und Vergewaltigungsopfer. Man ist mißtrauisch gegenüber dem weiblichen Geschlecht; man versucht, es sexuell auszubeuten; man verhält sich Frauen gegenüber hinterlistig, betrügerisch und undurchsichtig; Gewalt und Zwang sind willkommene Mittel, um weibliche Willfährigkeit zu erreichen (Martha R. Burt 1980, 1991). Männer beschützen ihre Frauen gegenüber anderen Männern. Man lehrt Frauen, ihrer eigenen Sexualität zu mißtrauen. Vergewaltigung ist der Bruch der Persönlichkeit der Frau (Susan Griffin 1991, 134; Hans Joachim Schneider 1996a). Folgende Vergewaltigungsunterstützende Stereotype werden in starken gesellschaftlichen Minderheiten vertreten (Hans Joachim Schneider 1985, 346, 347): -

Nur Frauen mit „gutem R u f ' , mit sexuell einwandfreier Vergangenheit können vergewaltigt werden. Diese Ansicht ist falsch: Es kommt auf die sexuelle Gewaltanwendung des Täters, nicht auf die sexuelle Vergangenheit des Opfers an. Frauen sind erwachsene Menschen, die in ihrer Entscheidung frei sind, einen oder keinen Sexualpartner oder mehrere Sexualpartner nacheinander oder gleichzeitig zu wählen. Die Wertvorstellungen über die „Keuschheit" der Frau vor der Ehe und über ihre Treue während der Ehe haben sich grundlegend gewandelt (Adelyn L. Bowland 1994, 263).

-

Jede gesunde Frau kann ihrem Vergewaltigungstäter widerstehen, wenn sie es nur wirklich will. Hat sie sich nicht gewehrt, so war sie mit der Vergewaltigung einverstanden. Diese Meinung ist abzulehnen: Die körperliche Stärke des Angreifers, Überraschung, lähmender Schreck, Todesfurcht und mannigfaltige soziale und psychische Zwänge spielen eine große Rolle. Das Opfer kämpft nur in einer Minderheit der Fälle, weil es zur Passivität erzogen ist, weil es seine „Hilflosigkeit" gelernt hat und weil es Schäden für Leib und Leben befürchtet.

-

Frauen wollen sexuell erobert werden; sie genießen die sexuelle Gewalt der Männer. Sie werden so sozialisiert, daß sie vor- und außereheliche Sexualität nur mit Schuldgefühlen erleben können; deshalb ziehen sie es vor, gewaltsam genommen zu werden, um keine Schuldgefühle bei sich entstehen zu lassen. Dieser Meinung kann nicht gefolgt werden: Der traditionelle doppelte Standard sexueller Moral und das überlieferte sexuelle Rollenskript, nach dem die Frau „Scheinwiderstand" zu leisten hat, sind heute weitgehend überwunden. Wenn eine Frau ihre Zustimmung verweigert, so hat der Mann diese Entscheidung hinzunehmen.

b. Vergewaltigungsstereotype In Gesellschaften, in denen Frauen einen niedrigen Status haben, sind auch die Einstellungen gegenüber Frauen und gegenüber Vergewaltigungsopfern negativ. Einstellungen werden durch eine Vielzahl sozialer Einflüsse gelernt. Eltern, Gleichaltrige, Massenmedien, Schulen und andere Institutionen haben ein starkes Gewicht bei der Bildung von Haltungen. Während Einstellungen erlernte Urteile über Handlungen sind, die bestimmten Menschen oder Fragestellungen gegenüber angemessen erscheinen, sind Stereotype Vorurteile, vorgefaßte Ansichten, die oberflächlich und spontan auf ersten Eindrücken beruhen. Gleichwohl hängen Stereotype mit Einstellungen eng zusammen; sie erwachsen aus Haltungen. Vergewaltigungsstereotype bestimmen nicht nur die Verursachung der Vergewaltigung, sondern auch ihre Kontrolle; sie haben Wirkungen auf die Polizeipraxis (Christine Nixon 1992), auf die Anzeige, Aufklärung, Verurteilung der Vergewaltigung, sogar auf die Glaubhaftigkeits-Begutachtung von Vergewaltigungsopfern (O. Berndt Scholz, Luise Greuel 1992, 325) und auf psychotherapeutische Interventionen (Colleen A. Ward 1995, 134). Vergewaltigungsunterstützende Stereotype sind soziokulturell verankert und als persönliche Glaubenssysteme in verschiedenen Bevölkerungs-Gruppierungen unterschiedlich verbreitet (Patricia Weiser Easteal 1993; Efrat Shoham 1996). Sie sind ζ. B. in einer Minderheit der männlichen Bevölkerung lebendig, die einen Hang zur Vergewaltigung besitzt. Bei einer Befragung von Studenten antwortete etwa ein Drittel, sie würden Vergewaltigung begehen, wenn sie ohne Bestrafung davonkämen (Neil M. Malamuth 1981). Wichtiger noch als diese Feststellung ist freilich die Tatsache,

535

Vergewaltigung -

-

Viele Vergewaltigungsanzeigen sind vorgeschoben; Frauen wollen mit solchen Anzeigen einverständliche Sexualerlebnisse verschleiern und verdecken. Diese Auffassung entspricht nicht den Tatsachen: Falschbeschuldigungen sind bei der Vergewaltigung nicht häufiger als bei jedem anderen Gewaltdelikt (Sabine Sczesny, Kerstin Krauel 1996, 344). Frauen neigen eher dazu, eine Vergewaltigung zu verschweigen. Die Vergewaltigung ist ein unterberichtetes, schlecht kontrolliertes Delikt. Eine „wirkliche" Vergewaltigung besteht darin, daß ein fremder Psychopath eine Frau mit einer Waffe — aus dem Hinterhalt kommend - sexuell angreift. Alle Vergewaltigungstäter sind psychisch und geistig abnorm; sie werden von ihrer Sexualität überwältigt („Triebtäter"), wenn Frauen sie — etwa durch ihre Kleidung und ihr provokatives Verhalten - sexuell aufreizen. Diese Ansicht hat sich empirisch nicht bestätigt: Die überwiegende Mehrheit der Vergewaltigungen sind Beziehungsdelikte; nur ganz wenige l a t e r sind psychisch abnorm. Frauen sind nicht für die Kontrolle der männlichen Sexualität verantwortlich; sie werden unabhängig davon vergewaltigt, ob sie sexuell attraktiv sind oder nicht.

Die Massenmedien unterstützen die Vergewaltigungsstereotype; sie verzerren die Wirklichkeit. Nur eine Minderheit von Fällen wird ausgewählt, über die in allen Einzelheiten berichtet wird. Hierbei richten die Massenmedien ihre besondere Aufmerksamkeit auf Serien-Vergewaltigungs-Täter, auf Sexualmörder und auf Vergewaltigungen zwischen Fremden (Keith Soothill 1995, 1991; Keith Soothill, Sylvia Walby 1991; Hans Joachim Schneider 1996b, 63/ 64). Die sexuelle Vergangenheit des Vergewaltigungsopfers wird in allen Einzelheiten geschildert; es wird für sein Opferwerden verantwortlich gemacht (Helen Benedict 1992). Die Opferbeschuldigung („Blaming the Victim") führt man auf zwei Theorien zurück: -

Nach dem Konzept des Glaubens an eine gerechte Welt nimmt man an, daß Individuen das bekommen, was sie verdienen, und daß sie das verdienen, was sie bekommen. Die Beobachter(innen) fühlen sich weniger verwundbar, wenn sie zwischen sich selbst und denjenigen unterscheiden können, die für ihr Opferwerden verantwortlich sind (Colleen A. Ward 1995, 71). - Mit dem Konzept des Glaubens an eine gerechte Welt hängt die defensive Attributions-Hypothese zusammen: Man schreibt dem Opfer die Schuld an seinem Opferwerden zu, weil es eine andere Persönlichkeit als der (die) Beobachter(in) besitzt. Auch hier fühlt sich der (die) Beobachter(in) sicherer, wenn er (sie) einen Unterschied zwischen sich und dem Opfer machen kann (Kevin D. McCaul, Lois G. Veltum, Vivian Boyechko, Jacqueline J. Crawford 1990).

D. Sozialprozessuale Ursachen 1. Kognitiv-soziale

Lerntheorie

a. Sozialisationstheorie Die meisten Machtpositionen, die juristische, finanzielle und wirtschaftliche Institutionen gestalten und aufrechterhalten, sind von Männern besetzt, und der männlichen Art und Weise des Denkens und Verhaltens wird hoher Wert beigemessen. Das sozialstrukturelle Machtungleichgewicht der Geschlechter bestimmt das asymmetrische Muster männlicher und weiblicher Geschlechtsrollen-Sozialisation. Sexuelle Gewalttäter bilden ihre devianten sexuellen Interessen bereits in einem frühen Jugendalter heraus (Gene G. Abel, Joanne-L. Rouleau 1990, 14). Deshalb kommt der Sozialisationstheorie eine große Bedeutung zu. Junge Männer, die sich zu Vergewaltigungstätern entwickeln, werden in Familien erzogen, in denen weibliche Familienmitglieder Ziele männlicher Aggression sind und in denen abwertende Einstellungen gegenüber Frauen vorherrschen (Jacquelyn W. White, Mary P. Koss 1993, 188). Gewalt gegen Frauen wird belohnt; Männer setzen sich gewaltsam gegenüber Frauen durch. Die traditionelle Sozialisation bestärkt Jungen und junge Männer darin, Männlichkeit mit Macht, Domination, Stärke, Überlegenheit, Mannhaftigkeit und Unabhängigkeit, Weiblichkeit dagegen mit Unterordnung, Passivität, Schwäche, Emotionalität und Abhängigkeit zu verbinden (Duncan Chappell 1989, 84; Juliet L. Darke 1990, 58). Die männlichen Werte schätzt man sozial höher ein, obgleich die Gesellschaft ohne weibliche Werte wie Gefühlswärme, nährende, hegende und pflegende Fürsorglichkeit, Hilfsbereitschaft, Milde, Sanftmut, Geduld und Selbstaufopferung nicht zu bestehen vermag. Der Vergewaltigungstäter erwirbt in seiner Kindheit und Jugend folgende Persönlichkeitsmerkmale: -

Er ist weitgehend beziehungslos und sozial isoliert. Er kann zu seinen Eltern, deren Erziehungsstil durch Mangel an Wärme und Zuneigung gekennzeichnet ist, keine zufriedenstellenden zwischenmenschlichen Bindungen anknüpfen und aufrechterhalten. Er hat kein Einfühlungsvermögen in Frauen und keine sozialen Fähigkeiten gelernt, die es ihm ermöglichen, mit dem weiblichen Geschlecht angemessen zu interagieren (Ronald Blackburn 1993, 300). Er fühlt sich männlich unzulänglich und entwickelt Zorn Frauen gegenüber, die er als Quelle aller seiner Probleme ansieht (W. L. Marshall, Η. E. Barbaree 1990a, 262). — Durch ständig wiederkehrende masturbatorische sexuelle Gewaltphantasien ist in seiner Persönlichkeit sexuelle Erregung mit Gewaltanwendung verschmolzen. Seine sexuellen Gewaltphantasien sind darauf gerichtet, Macht über Frauen zu ha-

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Vergewaltigung

ben und sie völlig zu kontrollieren (Neil M. Malamuth, James V. P. Check, John Briere 1986). Sie sind unbewußte Wiederholungen seiner eigenen sexuellen Traumatisierung: Lediglich die Rollen werden vertauscht; das Opfer wird zum Täter. Sie bilden für ihn einen Ersatz für menschliche Begegnungen und Beziehungen. - Seine physiologische sexuelle Erregung interagiert mit kognitiven Verzerrungen und Verdrehungen (z. B. „Frauen sind Männern feindlich gesonnen und verdienen ihre Vergewaltigung"). Durch solche Verzerrungen versucht er, seine sexuelle Gewaltanwendung und sein Dominationsstreben gegenüber Frauen zu rechtfertigen. Seine Vergewaltigungsneigung ist mit vergewaltigungsunterstützenden Einstellungen verbunden (Gordon C. Nagayama Hall, Richard Hirschman 1991). Zur Realisierung seiner Vergewaltigungsneigung wählt er Situationen aus, in denen er seine sexuelle Aggression durch angebliche Opferprovokation rechtfertigen kann (z. B. durch das Einverständnis des Opfers, das Auto an einsamer Stelle zu parken).

b. Theorie der Selbstkontrolle Nach dieser Theorie (Michael R. Gottfredson, Travis Hirschi 1990, 36-38) entsteht die Vergewaltigung nicht dadurch, daß junge Männer in die Rollen von Vergewaltigern hineinsozialisiert werden; sie werden vielmehr dahingehend erzogen, keine Vergewaltigung zu begehen. Niedrige Selbstkontrolle ist nicht das Ergebnis einer fehlgeleiteten Sozialisation, sondern die Folge des Scheiterns einer sozialadäquaten Sozialisation (Victor Larragoite 1994, 167). Vergewaltigungstäter haben eine konkrete „Hier- und Jetzt"-Orientierung. Sie wollen ihre sexuellen Wünsche einfach und schnell befriedigen. Sie haben nicht gelernt, die Erfüllung ihrer sexuellen Bedürfnisse aufzuschieben. Vergewaltigungen sind für sie aufregend, riskant und spannend. Vergewaltigungstäter sind abenteuerlustig, umtriebig und körperorientiert. Sie sind ichbezogen, gleichgültig und gefühllos für die Bedürfnisse und Leiden ihrer Opfer. Niedrige Selbstkontrolle ist das Resultat einer unwirksamen und unangemessenen Sozialisation. Eine wirksame Sozialisation und eine starke Selbstkontrolle haben drei Voraussetzungen: -

Eine Person, die sich um den Jugendlichen kümmert, muß ihn aufmerksam überwachen. - Eine Person, die den Jugendlichen beaufsichtigt, muß erkennen, wenn er sich sexuell abweichend verhält. - Eine Person, die die sexuelle Sozialabweichung des Jugendlichen wahrnimmt, muß sein Verhalten bestrafen.

Die Theorie der Selbstkontrolle erfaßt die Komplexität der Tatsachen nur unvollständig. Bei einem

jugendlichen Vergewaltigungstäter ist es insbesondere sehr schwierig, seine ersten sexuellen Sozialabweichungen zu erkennen. Denn sexuelle Gewaltphantasien sind unauffällig und nicht wahrnehmbar. Viele Vergewaltigungen jugendlicher Sexualdelinquenten fallen zudem ins Dunkelfeld, werden also von der Kontrollperson nicht bemerkt.

2.

Neutralisationstheorie

Diese Theorie geht davon aus, daß Straftäter Techniken erlernen, die sie in die Lage versetzen, sozialkonforme Werte und Einstellungen vor ihren Rechtsbrüchen zu neutralisieren, sie psychisch unwirksam zu machen. Diana Scully und Joseph Maroila (1989) haben die Neutralisationstheorie auf Vergewaltigungstäter angewandt. In ihrer empirischen Untersuchung haben sie herausgefunden, daß es zwei verschiedene Typen von Vergewaltigungstätern gibt, die sie Leugner („Deniers") und Zugeber („Admitters") genannt haben. Die Leugner streiten die Vergewaltigung ab; sie haben die Selbstrechtfertigungen gelernt, daß Frauen „Verführerinnen" sind, daß sie nur zum Schein Widerstand leisten und daß sie gewaltsam erobert werden wollen. Die Zugeber räumen zwar ein, daß sie einen ernsthaften, schädigenden Angriff auf ihre Opfer begangen haben. Sie versuchen aber, ihre Schuld dadurch abzumildern, daß sie behaupten, sie seien durch Kräfte gezwungen worden, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen, z. B. durch Alkohol- oder Drogenkonsum, durch eine unglückliche Kindheit oder eine instabile Ehesituation. Diana Scully (1990) fand bei den von ihr untersuchten 114 Vergewaltigungstätern drei vorherrschende Merkmale: -

besonders strenge, harte Anforderungen an die weibliche Tugend, - Überidentifikation mit ihrer Männlichkeit (Hypermaskulinität) und - Glaube an Vergewaltigungsstereotype (z. B. Opferteilhabe, Falschbeschuldigung des Täters durch das Opfer).

3.

Subkulturtheorie

Nach der älteren Kriminologie betrachtete diese Theorie sozial desorganisierte, großstädtische Armengettos und Slums als Brutstätten der Vergewaltigung, die als „Delikt der unteren Unterschicht mit asozialen und kriminellen Tendenzen" (Eberhard Schorsch 1971, 200) angesehen wurde. In sozial desorganisierten Gebieten, in denen Täter und Opfer häufig in derselben Nachbarschaft leben und miteinander bekannt sind, wird nämlich Gewalt gegen Frauen in hohem Maße gebilligt und unterstützt. Mit Hilfe und unter dem Druck der UnterschichtsGewalt-Subkultur lernen männliche Jugendliche und unverheiratete junge Männer, die zwischen 15 und

Vergewaltigung 24 Jahre alt sind, frauenfeindliche „Männlichkeit" und Vergewaltigungsneigung (Menachem Amir 1971, 319-333). Tater und Opfer gehören nicht selten derselben Unterschichts-Gewalt-Subkultur an; das Opfer ist oft durch promiskuitives Verhalten gekennzeichnet. Die jungen Männer, die an der sexuellen Aggression und Ausbeutung von Frauen Freude haben, benutzen ihre Sexualität, um Status und Ansehen in der Subkultur zu gewinnen. Ohne sexuelle Erfahrung machen sie sich nämlich in ihrer Gleichaltrigengruppe lächerlich. Denn man zweifelt an ihrer Männlichkeit. Diese Forschungsergebnisse der älteren Kriminologie beruhen auf empirischen Untersuchungen von offiziell bekanntgewordenen Fällen der Vergewaltigung. Sie sind durch die Interventionen des Kriminaljustizsystems zu Lasten der Unterschichts-Täter wirklichkeitsverzerrt. Aufgrund von Dunkelfeld(Selbstbericht-)Studien über (unentdeckt gebliebene) Vergewaltigungstäter hat man vielmehr herausgefunden (Christine Aider 1985), daß sexuell aggressives Verhalten nicht auf die niedrige sozioökonomische Schicht begrenzt ist, daß vielmehr die Subkultur sexueller Gewalt in jeder Schicht und unter jungen Männern jeder Bildungsstufe und Intelligenz vertreten ist. In der Subkultur gleichaltriger sexuell-aggressiver Freunde lernt der Vergewaltigungstäter die Rechtfertigung sexueller Viktimisierung von Frauen (z. B. „Eine Frau, die nachts allein in eine Bar oder Disko geht, verdient vergewaltigt zu werden"). Die Subkultur wird zum Forum der Bestätigung männlicher Identität. Etwa 15% bis 25% der nordamerikanischen College-Studenten praktizieren sexuelle Aggression gegen Studentinnen (Neil M. Malamuth, Robert J. Sockloskie, Mary P. Koss, J. S. Tanaka 1991). In der Subkultur hält man Macht, Härte, Grobheit und Domination für männlich; die gewaltsame sexuelle Eroberung von Frauen wird zur Quelle von Status und männlichem Selbstwertgefühl. Die jungen Männer, die keine zwischenmenschliche Bindungsfähigkeit besitzen, verhalten sich promiskuitiv; es befriedigt sie sexuell, möglichst viele Frauen völlig zu kontrollieren und zu dominieren (Neil M. Malamuth, Daniel Linz, Christopher L. Heavey, Gordon Barnes, Michele Acker 1995).

4. Theorie der symbolischen

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Art der Interaktion, wie sie sich zwischen Menschen zuträgt. Diese Eigenart besteht darin, daß Menschen die Handlungen anderer Menschen interpretieren oder „definieren", daß sie nicht nur auf die Handlungen anderer reagieren. Ihre Reaktionen gründen sich vielmehr auf die „Bedeutung", die sie ihren Reaktionen zumessen. Auf diese Weise wird menschliche Interaktion durch den Gebrauch von Symbolen, durch Interpretation, durch die Feststellung der Bedeutung der Handlungen anderer vermittelt. Diese Vermittlung ist gleichbedeutend mit der Einfügung und Einschaltung eines Interpretationsprozesses zwischen Reiz und Reaktion im Falle menschlichen Verhaltens. Die Befürworter der Theorie sehen in der illusionären Situationsverkennung des Täters aufgrund Opferverhaltens (Else Michaelis-Arntzen 1994) lediglich eine Konkretisierung der vergewaltigungsunterstützenden Stereotype in der Vergewaltigungssituation. Insofern ist die Theorie der symbolischen Interaktion nur die Anwendung der sozialstrukturellen Theorie und der kognitiv-sozialen Lerntheorie in der Vergewaltigungssituation. Frauen werden vom Täter als sozial abgewertete Teilnehmerinnen in der zwischenmenschlichen alltäglichen Interaktion definiert. Die Kritiker der Theorie (Barbara Krähe 1989; Piers Beirne, James Messerschmidt 1995, 120) sehen das anders. Sie sprechen von „Verantwortungszuschreibung an das Opfer". Sie verkennen indessen, daß sie mit ihrer Leugnung einer Täter-Opfer-Interaktion in der Vergewaltigungssituation und einer möglichen Opfermitverursachung der bedenklichen These Vorschub leisten, die Vergewaltigung sei ein unkontrollierbares Ereignis, und das Opfer könne nichts zu ihrer Vorbeugung tun (Linda Heath, Lynn Davidson 1988). Auf diese Weise fördert man die „erlernte Hilflosigkeit" (Martin E. P. Seligman 1992) des potentiellen Vergewaltigungsopfers. Frauen, die glaubten, sie könnten von jedem Mann, zu jeder Zeit und an jedem Ort vergewaltigt werden, waren furchtsamer und opfergeneigter als Frauen, die die Vergewaltigung als kontrollierbares Verbrechen verstanden. Die angenommene Unkontrollierbarkeit der Vergewaltigungs-Viktimisierung führt dazu, daß Frauen das Risiko ihrer Viktimisierung überschätzen, Selbstschutzmaßnahmen unterlassen und ihrer furchtsamen, selbstdefinitorischen Opfereinstellung erliegen.

Interaktion

Sie konzentriert sich beim Problem der Verursachung auf situative Aspekte und ist bei der Vergewaltigung umstritten. Denn der Gesichtspunkt der Opfermitverursachung, der Opferpräzipitation („Victim Precipitation"), wird von vielen (u. a. von Kurt Weis 1982) als Opfermitverantwortung, Verantwortungszuschreibung, Opferbeschuldigung („Blaming the Victim") mißverstanden. Davon kann bei der Verursachung durch situative Faktoren keine Rede sein. Der Begriff der „symbolischen Interaktion" bezieht sich auf die eigentümliche und kennzeichnende

In der Vergewaltigungssituation wird das Verhalten des Opfers vom Täter häufig fehlinterpretiert. Männer sehen die Welt viel stärker aus der sexuellen Perspektive als Frauen. Nach dem traditionellen Sexualskript dürfen Frauen ihr Sexualinteresse nicht zeigen; Männer müssen sich um Sexualität selbst dann bemühen, nachdem Frauen ihr Desinteresse bereits zum Ausdruck gebracht haben. In den heterosexuellen Beziehungen kommt es nicht selten zu Mißverständnissen. Ein Mann deutet die Freundlichkeit einer Frau als sexuelle Zugänglichkeit, eine Vorstellung, die von ihr völlig unbeabsichtigt war. Er

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Vergewaltigung

nimmt ihre Widerstände gegen weiteren sexuellen Kontakt nicht ernst. Vielleicht hatte das potentielle Opfer seine NichtZustimmung „nicht so völlig klar dargetan" (Jacquelyn W. White, Mary P. Koss 1993, 191). Bisweilen wirft man dem Opfer „Unvorsichtigkeit" (Paul Pollard 1992, 322) vor; bedenkt dabei aber nicht, daß man die Kontrolle der männlichen Sexualität auf diese Weise den Frauen zuschiebt. Das Reisen von Frauen per Anhalter gilt - nach einem vergewaltigungsunterstützenden Stereotyp - als Signal sexueller Verfügbarkeit. Hemmungen gegen sexuelle Aggression werden durch Alkoholkonsum geschwächt, der einen bereits vorhandenen Hang zur Vergewaltigung aktivieren kann (Modell einer alkoholveranlaßten Enthemmung) (Leif C. Crowe, William H. George 1989). Täter konsumieren viel häufiger Alkohol als Opfer (Lome Gibson, Rick Linden, Stuart Johnson 1980). Der Täter benutzt seine Alkoholisierung zur Selbstrechtfertigung und den Alkoholkonsum seines Opfers zur Verminderung seines Widerstands. Wenn das Opfer Alkohol getrunken hat, so kann er die Situation zu Lasten des Opfers ausnutzen. Denn nach einem vergewaltigungsunterstützenden Stereotyp gelten alkoholisierte Frauen als willfährige Vergewaltigungsopfer. Unter Alkoholeinfluß sind Tater eher geneigt, doppeldeutige und neutrale Signale des Opfers als Interesse an Sexualität zu mißdeuten und den Opferwiderstand unbeachtet zu lassen (Nancy A. Crowell, Ann W. Burgess 1996, 55/56). Alle diese illusionären Situationsverkennungen vermögen das aggressive Täterverhalten nicht zu rechtfertigen und zu entschuldigen. Die Situationstheorie hat eine gewisse ergänzende Bedeutung; aus sich allein heraus erklärt sie freilich die Verursachung der Vergewaltigung nicht (W. L. Marshall, H. E. Barbaree 1989, 207/208). Der Theorie ist in der viktimologischen Diskussion zu viel Bedeutung beigemessen worden. Hierdurch hat man sich die Erkenntnis verstellt, daß die wesentlichen Theorien zur Erklärung der Verursachung der Vergewaltigung die sozialstrukturelle Theorie und die kognitiv-soziale Lerntheorie sind (Andrew Karmen 1990, 148).

5. Konzept der Opferverwundbarkeit Auf der Grundlage sozialstruktureller Bedingungen wird die Vergewaltigung vom Täter verursacht. Gleichwohl kann der Opferaspekt in einer Minderheit von Fällen bei der Frage der Mitverursachung (nicht Mitschuld) nicht völlig außer Acht gelassen werden. Das Vergewaltigungsopfer spielt im Interaktionsprozeß der Vergewaltigung mitunter eine erhebliche Rolle. Zur Erklärung des wiederholten Opferwerdens (Graham Farrell 1992) ist das Konzept der Opferneigung, der Opferverwundbarkeit entwickelt worden. Die Vergewaltigungs-Verwundbarkeit („Rape Vulnerability") beruht auf Einstellungen und Verhaltensstilen, die zum Teil aufgrund traumati-

scher Erlebnisse entstanden sind. Das hohe Risikoprofil, das für die Minderheit von etwa 10% der Frauen gilt, die doppelt so häufig Vergewaltigungsopfer als die Mehrheit von etwa 90% der Frauen werden, besteht aus vier Variablen: sexuelle Viktimisierung in der Kindheit, liberale sexuelle Einstellungen, überdurchschnittliche sexuelle Aktivität und hoher Alkoholkonsum (Nancy A. Crowell, Ann W. Burgess 1996, 71). Die Minderheit der Frauen, die durch dieses Viktimisierungs-Risikoprofil charakterisiert werden kann, wird zu 37% Vergewaltigungsopfer, während dieser Prozentsatz bei der Mehrheit der Frauen nur bei 14% liegt (Mary P. Koss, Thomas E. Dinero 1989, 249). Frauen, die wiederholt zu Vergewaltigungsopfern wurden, hatten zu 18% traumatische Inzesterlebnisse, während Frauen, die nur einmal vergewaltigt worden waren, lediglich zu 4 % unter traumatischen Inzesterlebnissen litten. Traumatische Sexualisierung („Traumatic Sexualization") in der Kindheit ist ein Prozeß, durch den die kindliche Sexualität entwicklungsmäßig unangemessen und zwischenmenschlich dysfunktional geformt wird (David Finkelhor, Angela Browne 1988, 62/63). Frauen, die als Kinder sexuell mißbraucht worden sind, haben in ihrem Leben als Erwachsene ein hohes Viktimisierungsrisiko, weil sie durch ihre sexuelle Viktimisierung ein schwaches Selbstwertgefühl entwickelt haben (Vernon R . Wiehe, Ann L. Richards 1995, 84). Die Wahrscheinlichkeit der Vergewaltigung wächst ferner mit der Anzahl an Kontakten, die Frauen unter Bedingungen, die eine sexuelle Aggression begünstigen (z. B. Alkoholkonsum), mit potentiellen Tätern haben (Mary P. Koss, Thomas E. Dinero 1989, 243). Das Konzept der Opferverwundbarkeit stimmt mit dem Lebensstil-, Routine-, Gelegenheits-Modell (Michael J. Hindelang, Michael R . Gottfredson, James Garofalo 1978, 251) überein, das es für die Viktimogenese auf die Wahrscheinlichkeit abstellt, mit der sich Individuen zu bestimmten Zeiten und unter bestimmten Umständen an bestimmten Orten aufhalten, um mit bestimmten Arten von Menschen zu interagieren. Verschiedenheiten im Lebensstil sind viktimogenetisch bedeutsam, weil sich durch sie Personen in unterschiedlicher Weise gefährlichen Plätzen und Zeiten sowie potentiellen Tätern aussetzen (Robert F. Meier, Terence D. Miethe 1993).

E. Integrierte Lebenslauftheorie 1. Karrieretheorie Sie integriert mehrere Verursachungstheorien und bettet sie in den Täter-Lebenslauf (in verschiedene Lebensabschnitte) ein. Ein Mann wird in einem progredienten Prozeß mit fünf Phasen zum Vergewaltiger. Es geht um einen kognitiv-sozialen Lernprozeß, der sich über zwei bis drei Jahrzehnte hinzieht. In diesem Lernprozeß spielen wechselseitige Kausalein-

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Vergewaltigung flüsse, der Anfang, die Fortsetzung, die Beharrlichkeit, die Steigerung und das Abstand-Nehmen, das Absehen von Vergewaltigung mächtige Rollen. Der l a t e r verschafft sich Zugang zu pornographischem Material in Form von Videobändern und Magazinen, in denen dargestellt wird, wie erwachsene Frauen sexuell herabgewürdigt werden (D. R. Laws, W. L. Marshall 1990, 222). Der Vergewaltiger wird (wegen des hohen Dunkelfeldes) in der Regel erst entdeckt, wenn sich bei ihm eine relativ stabile und feste Orientierung in seinem Verhaltensrepertoire soziosexueller Fertigkeiten ausgebildet hat. In den beiden ersten Phasen seiner psychosozialen Entwicklung erkennt man ihn für gewöhnlich nicht (Judith Lewis Herman 1995, 86). -

In der ersten Phase wächst er in einer gewaltorientierten Familie auf, in der die zwischenmenschlichen Bindungen zerstört sind, in der weibliche Familienmitglieder Ziele männlicher Aggression bilden und in der abwertende Einstellungen gegenüber Frauen vorherrschen. Sein Vater ist für ihn ein unzulängliches Rollenmodell, mit dem er sich nicht identifizieren kann. Er wird häufig körperlich mißhandelt und sexuell mißbraucht. Die belastete Eltern-Kind-Interaktion verursacht seine Bindungslosigkeit und seine Vereinsamung. Einfühlungsvermögen für Frauen, männliches Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl vermögen sich bei ihm nicht herauszubilden. Er entwickelt vielmehr Feindseligkeit und Gewaltneigung gegenüber Frauen. - In der zweiten Phase lernt er in der Subkultur gleichaltriger sexuell-aggressiver Freunde die Rechtfertigung sexueller Viktimisierung von Frauen. Die Subkultur wird zum Forum der Bestätigung männlicher Identität. Die gewaltsame sexuelle Eroberung von Frauen entwickelt sich zur Quelle von Status und männlichem Selbstwertgefühl. Vergewaltigungsunterstützende Einstellungen und Stereotype werden in der Subkultur Gleichaltriger befürwortet. Man vermittelt sich wechselseitig in Gesprächen deviante sexuelle Skripte. Sexuell gewaltsame Bilder werden in Masturbationsphantasien aufgenommen und mit selbst herbeigeführter sexueller Erregung im masturbatorischen Konditionierungsprozeß gepaart (Curt R. Bartol 1995, 298). Im psychosozialen Lernprozeß entsteht eine Vorliebe für sexuelle Gewaltanwendung (William L. Marshall, Anthony Eccles 1993, 136). In ständig zwanghaft wiederkehrenden masturbatorischen Gewaltphantasien werden Vergewaltigung und sexuelle Erregung miteinander eng verknüpft (W. L. Marshall, H. E. Barbaree 1989, 211). Durch masturbatorische Gewaltphantasien, die unauffällig und für die Umgebung des Vergewaltigungstäters nicht wahrnehmbar sind, verschmelzen Sexualität und Gewalt (sexuell gewaltsame Vorzugs-Hypothese) (H. E. Barbaree 1990, 115). Aggressive Pornographie wird bei den Masturbationsphan-

tasien zu Hilfe genommen: Bilder, Dias, Videokassetten. — In der dritten Phase erreicht der psychosoziale Lernprozeß seinen Höhepunkt. Der Vergewaltiger zieht gewaltsame sexuelle Interaktionen einverständlichen vor. Die Vergewaltigung wird für ihn zum aufregenden, weil gefahrlichen Abenteuer (Erich Goode 1997, 288). Er versteht sich als eine Person, die sexuelle Gewalt anwendet, und die sich deshalb von anderen Männern unterscheidet. Es hat sich bei ihm eine stabile und feste Orientierung in seinem Verhaltensrepertoire soziosexueller Fertigkeiten ausgebildet. Vergewaltigungen werden zur zentralen Befriedigung, zu einem wichtigen Lebensinhalt (Judith Lewis Herman 1995, 89); um sie herum ordnet er sein Dasein. Sie werden für ihn zur wesentlichen Sache. Er ändert seine Identität und definiert sich selbst als Vergewaltigungstäter. — In der vierten Phase der sich-selbst-erfüllenden Prophezeiung erlebt er sexuelle Gewalt als bei weitem erregender und befriedigender als einverständliche. Jede gelungene Vergewaltigung wertet er vor sich selbst als Erfolg, der seine sexuelle Gewaltneigung und seine vergewaltigungsunterstützenden Einstellungen vertieft. In diesem Erhaltungsprozeß sexueller Gewaltanwendung führen nicht alle Vergewaltigungsversuche zu dem von ihm erwünschten Ergebnis. Häufig liegen lange und veränderliche Zeitabstände zwischen den Vergewaltigungen. Durch eine solche intermittierende Verstärkung wird seine Vergewaltigungsneigung gegenüber einer Verhaltensänderung resistenter als bei fortwährendem, beständigem Gelingen (D. R. Laws, W. L. Marshall 1990, 225/ 226). Nur während einer Vergewaltigung fühlt er sich gegenüber Frauen mächtig und leistungsstark. Der Brennpunkt seiner sexuellen Phantasien wird mehr und mehr auf gewaltsame Bilder eingeschränkt, die er in verstärktem Maße als sexuell erregend erlebt. — In der fünften und letzten Phase der Neutralisationsmechanismen definiert er durch beschönigende Umschreibungen (Euphemismen) gewaltsames Sexualverhalten in sozial annehmbares Benehmen um. Schädliche Auswirkungen auf das Vergewaltigungsopfer werden geleugnet oder verharmlost. Durch kognitive Verzerrungen und Verdrehungen wird die Täterverantwortung vernebelt, oder die Schuld wird dem Vergewaltigungsopfer zugeschrieben (Albert Bandura 1979, 159).

2. Karrieren

von Serienvergewaltigern Sexualmördern

und

Die Karrieren von Serienvergewaltigern und Sexualmördern verlaufen — wie beschrieben — in ähnlicher Weise; sie sind freilich in ihrem Ablauf etwas abgewandelt.

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Vergewaltigung

Unter einem Serienvergewaltiger versteht man einen Mann, der mindestens zehn Vergewaltigungen verübt hat. Man hat 41 Serienvergewaltiger empirisch untersucht, die 837 Vergewaltigungen und mehr als 400 versuchte Vergewaltigungen begangen hatten (Robert R. Hazelwood, Roland Reboussin, Janet Warren 1989). Bei allen Serienvergewaltigern führte Opferwiderstand dazu, daß sich ihr Vergnügen an ihrer Tat erhöhte und daß sie mehr Zeit mit ihrem Opfer zusammen verbrachten. Es schälten sich zwei Typen heraus: der opportunistische, situative Wiederholungstäter und der Neigungs-Vergewaltigungstäter. Die Serienvergewaltiger ziehen alle gewaltsame Sexualität dem einverständlichen Sexualakt vor. Sie nutzen in ihrer Mehrheit indessen lediglich sich ihnen bietende Gelegenheiten aus, ohne ihre Gewaltanwendung zu verschärfen und ohne die Verletzungen ihres Opfers zu verschlimmern. Etwa ein Viertel der Serienvergewaltiger erwiesen sich als besonders gefährliche Hangtäter. Diese Minderheit vergewaltigte im Durchschnitt mehr Opfer in kürzerer Zeit als die Mehrheit. Ihre Gewaltanwendung steigerte sich von Fall zu Fall; sie weitete sich ständig aus und nahm erheblich zu. Gegen Ende ihrer Vergewaltigerkarriere fügten sie ihren Opfern mittelschwere bis tödliche Verletzungen zu. Tötungen im Laufe einer Vergewaltigung (z. B. bei unerwartet heftigem Widerstand des Opfers) oder Tötungen des Vergewaltigungsopfers, um die Beweise für die Vergewaltigung zu beseitigen und ihre Entdeckung zu vereiteln, gelten nicht als Sexualmorde. Der Sexualmord ist dadurch gekennzeichnet, daß sich der l a t e r durch die qualvolle Tötung seines Opfers sexuelle Befriedigung verschafft. Sexualmörder sind in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit nicht geisteskrank (Entpathologisierung des Sexualmordes) (Carl P. Malmquist 1996, 310). Man hat die Lebensläufe von 36 Seriensexualmördern überprüft, die 118 Opfer umgebracht hatten (Robert K. Ressler, Ann W. Burgess, John E. Douglas 1988): Die Seriensexualmörder wuchsen häufig in gewaltorientierten Familien auf. In ihrer Kindheit fehlte ihnen regelmäßig ein Erwachsener als Rollenmodell. Relativ oft entwickelten sie eine ambivalente Liebe-Haß-Beziehung zu ihrer übermächtigen Mutter; mit ihrem schwachen Vater konnten sie sich nicht identifizieren. Diese Familienkonstellation verarbeiteten sie psychisch zu einem Bedrohtheitsgefühl ihrer männlichen Identität und zu Zweifeln an ihrer maskulinen Sexualpotenz. In ihrer Kindheit fielen sie durch Grausamkeiten gegenüber Tieren, durch Gewaltanwendung gegenüber anderen Kindern, durch zerstörerische Spiele, durch Feuerlegen und durch Eigentumsdelikte auf. Nicht selten wurden sie körperlich und seelisch mißhandelt. Die physischen und sexuellen Traumatisierungen, die sie zu erleiden hatten, vermochten sie nicht angemessen psychisch zu handhaben. Ihre verwirrenden, beunruhigenden Erlebnisse versuchten sie, durch sich ständig wiederholende Tagträume, Phantasien und Alpträume

zwanghaft zu bewältigen. Aus ihrer Hilflosigkeit, ihrem Gefühl der Macht- und Wertlosigkeit erwuchs ein übermächtiger Dominationswunsch, ein Streben nach Überlegenheit und ein Eroberungswunsch durch Zerstörung. Sie zogen sich in MasturbationsPhantasien zurück, die in ihrer psychosozialen Entwicklung eine ganz beherrschende Bedeutung erlangten (Robert Alan Prentky, Ann Wolbert Burgess, Frances Rokous, Austin Lee, Carol Hartman, Robert K. Ressler, John E. Douglas 1989). Die Phantasien, die für sie einen Ersatz für menschliche Begegnungen und Beziehungen bildeten, waren unbewußte Wiederholungen ihrer eigenen Traumatisierung: Lediglich die Rollen wurden vertauscht; das Opfer wurde selbst zum Täter. Themen dieser Phantasien waren Domination, Machtausübung über andere Menschen, meist Frauen, Degradierung, Folterung und Erniedrigung von Frauen, Zufügung von Schmerzen und Leiden, Tötung des Opfers. Sexuelle Erregung wird mit Bildern der Schmerz- und Leidzufügung sowie Tötung des Opfers eng verbunden, psychisch verschmolzen. Sexualmörder trachten danach, ihr Opfer völlig zu unterwerfen und unter ihre Kontrolle zu bringen. Wahrscheinlich haben zahlreiche Männer solche Phantasien. Der Sexualmörder unterscheidet sich von ihnen dadurch, daß er seine Tötungshemmungen überwindet und Menschen, meist Frauen, sexuell foltert, körperlich mißhandelt und tötet, um sie zu demütigen und zu entwürdigen (Carl P. Malmquist 1996, 295/296). In seinen Taten realisiert er seinen übermächtigen Dominationswunsch.

IV. SCHÄDEN DER VERGEWALTIGUNG A. Primäre Viktimisierung 1. Schäden für das

Opfer

Unter primärer Viktimisierung versteht man das Opferwerden durch die Tat selbst. Körperliche Verletzungen sind nicht das Hauptproblem der Vergewaltigungsopfer. Bei etwa 4% bis 5% der Opfer bleiben schwere physische Schäden zurück. Über leichte bis mittelschwere körperliche Verletzungen wird in rund 39% der Fälle berichtet; und 23% der Frauen leiden unter einer Vielzahl von Wunden und Quetschungen (Curt Bartol 1995, 285). Etwa 5% bis 15% der vergewaltigten Frauen infizieren sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten, und 5% der Frauen werden schwanger. Psychische Traumen, die man in der Gesellschaft nicht wahrnimmt oder unterschätzt, sind schwerwiegender und heilen langsamer. Sie bestehen in Schock, Verneinung des traumatisierenden Erlebnisses, in Zweifeln, Furcht, Verwirrung und Rückzug. Für viele Opfer erreichen die Schwierigkeiten ihren Höhepunkt drei Wochen nach dem Angriff. Sie setzen sich auf einem hohen Niveau ein hal-

Vergewaltigung bes Jahr lang fort. Ein Erholungsprozeß beginnt in der Regel nach zwei bis drei weiteren Monaten. Nahezu ein Viertel der Frauen hat mehrere Jahre lang Probleme (Nancy A. Crowell, Ann W. Burgess 1996, 79). Die psychischen Schäden haben bei überfallartiger Vergewaltigung („Blitz Rape") und bei Vertrauensbruch-Vergewaltigung („Confidence Rape") unterschiedliche Schwerpunkte (Daniel C. Silverman, Michael Kalick, Sally I. Bowie, Susan D. Edbril 1988). Unter überfallartiger Vergewaltigung versteht man einen plötzlichen Überraschungsangriff, der nicht selten unter offener Lebensbedrohung mit einer Waffe begangen wird. Bei der VertrauensbruchVergewaltigung kennen sich Täter und Opfer vor der Tat; sie hatten ein friedliches Interaktionsverhältnis vor der Viktimisierung und haben bisweilen Alkohol und Drogen gemeinsam konsumiert. Überfallartige Vergewaltigung verursacht vor allem Alpträume, Panik· und Schreckreaktionen sowie Angst und zwanghafte Rückblenden. Bei der Vertrauensbruch-Vergewaltigung ist die Selbstbeschuldigung des Opfers der zentrale Aspekt. Das Opfer entwickelt Gefühle der Scham, der unrealistischen Schuld und der Depression. Es verlangt zumeist nicht nach professioneller Hilfe. Die Herausarbeitung des „Vergewaltigungstrauma Syndroms" (Ann Wolbert Burgess, Lynda Lytle Holmstrom 1974, 1977, 1985) war ein wesentlicher Fortschritt für die Entwicklung eines Problembewußtseins der psychischen Opferschädigung: Gedanken an die Viktimisierung kehren ständig zwanghaft zurück. Schlafstörungen und Alpträume sind Versuche des Unbewußten, mit dem traumatisierenden Problem fertig zu werden. Das Opfer hat furchtbare, entsetzliche Angst. Es will nicht mehr allein im Zimmer schlafen und nicht mehr allein ausgehen. Anhaltende nervöse Spannungen quälen es. Sein Verhältnis zum männlichen Geschlecht ist gestört. Die sozialen Schäden für Ehe und Freundschaft sind häufig unübersehbar. Unter Vergewaltigungsopfern findet man eine hohe Rate an Selbstbeschuldigungen (C. Buf Meyer, Shelley E. Taylor 1986). Frauen werden in eine Opferrolle hineinsozialisiert, die dazu führt, daß sie die Verantwortlichkeit für Viktimisierungen übernehmen, die ihnen zugefügt worden sind. Selbstbeschuldigungen können in Persönlichkeits· und Verhaltens-Selbstbeschuldigungen bestehen. Bei der Persönlichkeits-Selbstbeschuldigung nimmt das Opfer an, es habe einen zweifelhaften Charakter. Sie verursacht hohe Grade an Furcht und Depression. Die Verhaltens-Selbstbeschuldigung besteht in dem Selbstvorwurf des Opfers, es habe sich fehlerhaft benommen. Sie ist mit sexueller Unzufriedenheit und mit Rückzugssymptomen verbunden. Die Vergewaltigungsopfer bleiben zu Hause oder halten sich von ihren Mitmenschen fern. Nicht weniger als 74% der Opfer, die um Beratung nachsuchen, machen sich selbst zum Vorwurf, ihr Opferwerden mitverursacht zu haben (Julie A. Allison, Lawrence S. Wrightsman 1993, 167). Die meisten beschuldigen

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sich eines verfehlten Verhaltens; nur wenige machen ihren angeblich unzulänglichen Charakter für die Tat mitverantwortlich. Zu den Ursachen der psychischen und sozialen Schädigungen durch die Vergewaltigung sind verschiedene Theorien entwickelt worden: -

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Nach der Krisentheorie verursacht die Vergewaltigung beim Opfer eine persönliche und soziale Krise. Es kann zwar nicht bezweifelt werden, daß eine solche Krise entsteht. Die Theorie ist allerdings zu allgemein und sagt nichts darüber aus, worin die Krise in concreto besteht. Die Verhaltenstheorie stellt es darauf ab, daß durch die Vergewaltigung Furcht und Angst konditioniert (eingelernt) werden. Sie erklärt zwar die Entstehung von Furcht und Angst. Sie vermag aber nicht, die Fülle der anderen Symptome psychischer und sozialer Schädigung durch die Vergewaltigung zu deuten. Aufgrund der Attributionstheorie werden dem Vergewaltigungsopfer von Personen seines sozialen Nah- und Fernbereichs negative Merkmale zugeschrieben. Nach der Vergewaltigungsanzeige heftet man dem Opfer das Stigma des Beschädigtseins an. Durch das Strafverfahren bekommt es das Brandmal der Verliererin, durch die psychische Behandlung das Etikett der psychischen Abnormität zugefügt. Die Attributionstheorie erläutert wichtige Momente der Erschwerung psychischer und sozialer Erholung. Die Informations-Verarbeitungstheorie hebt hervor, daß das Vergewaltigungsopfer das traumatisierende Erlebnis nicht in seine früheren Überzeugungen und Erfahrungen einzuordnen vermag. Diese Theorie setzt sich mit dem Vermeidungsverhalten des Vergewaltigungsopfers auseinander. Es verdrängt die Vergewaltigung, die nicht in sein Bewußtsein zu treten vermag. Der Traumatisierungstheorie zufolge werden der Glaube des Opfers an eine gerechte vorhersagbare, kontrollierbare, bedeutungsvolle Welt und die Illusion seiner Unverletzbarkeit durch die Vergewaltigung schwer erschüttert (Carol R. Hartman, Ann Wolbert Burgess 1988). Die Traumatisierung beeinträchtigt fünf Bereiche: seine Sicherheit, sein Vertrauen, seine Macht und Kompetenz, sein Selbstwertgefühl und seine Intimität (Vertraulichkeit, seinen vertrauten Umgang) (Patricia A. Resick 1993, 248). Das traumatische Erlebnis zerstört vorhandene positive Überzeugungen und bestätigt negative Einstellungen, die sich im bisherigen Lebenslauf des Opfers gebildet haben. Nach der Selbstkonzept-Zerstörungstheorie wirkt der Täter auf die Selbstverwirklichung und das Selbstwertgefühl seines Opfers destruktiv ein, indem er es zum Objekt macht und es als Mittel zur Verwirklichung seiner eigenen verwerflichen Ziele mißbraucht (Hans Joachim Schneider 1996a). Er

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Vergewaltigung

verletzt die feminine Identität seines Opfers und den Kern seiner Persönlichkeit, die im sozialen Kontext ein lebenslanger Lern- und Interaktionsprozeß ist (Martha R. Burt, Bonnie L. Katz 1987). Die Vergewaltigung zerstört den Sinn des Opfers für Unverletzlichkeit, die Vorhersagbarkeit seines Umfeldes und seinen Sinn für den eigenen Selbstwert.

2. Schäden für die

Mitopfer

Indirekte, mittelbare Opfer (Mitopfer), Intimund Ehepartner, Familienmitglieder des Opfers, haben ähnliche Persönlichkeitsschäden wie das Opfer selbst (David S. Riggs, Dean G. Kilpatrick 1990). Der Täter verletzt auch die soziale Interaktion seines Opfers, die mit zu dessen Persönlichkeitssphäre gehört. Ehemänner und Intimpartner von Frauen, die von einem anderen Mann vergewaltigt worden sind, reagieren mit Ärger oder leiden an Gefühlen der Machtlosigkeit, der Verwundbarkeit oder der Schuld. Sie sind in ihrem Selbstwertgefühl schwer getroffen. Sie werfen sich vor, darin versagt zu haben, ihre Partnerin zu beschützen. Diese Schuld über ihr persönliches Versagen führt nicht selten dazu, daß sie sich von ihrer viktimisierten Partnerin zurückziehen. Ihre Furcht, daß sie ihre Partnerin an den Vergewaltiger erinnern, verursacht oft Schwierigkeiten im Ausdruck ihrer Zuneigung und in ihrer sexuellen Interaktion. Nahezu 60% der Intimpartner haben mittelschwere bis sehr schwere Anpassungsprobleme im Verfolg der Vergewaltigung ihrer Partnerin. In dem psychischen und sozialen Erholungsprozeß ihrer Partnerin ist persönliche Unterstützung notwendig und hilfreich. Solche Hilfe lassen sie ihr freilich nicht zuteil werden (Rob Davis, Bruce Taylor, Sarah Bench 1995), da sie mit Ärger, Schuldund Rachegefühlen auf die Vergewaltigung reagieren. Sie enthalten ihrer Partnerin die emotionale Hilfe vor, die sie benötigt, um das traumatisierende Erlebnis seelisch zu verarbeiten. Das unmittelbare Opfer hat jetzt auch noch unter den psychischen Verletzungen zu leiden, die ihrem Intimpartner oder Ehemann vom l a t e r zugefügt worden sind. Für die Opferhilfspersonen ist es eine grundlegende Erkenntnis, daß der Vergewaltiger auch mittelbaren, indirekten Opfern psychische Schäden zufügt, die der Behandlung bedürfen.

B. Sekundäre Viktimisierung Unter sekundärer Viktimisierung versteht man das erneute Opferwerden aufgrund verfehlten Verhaltens auf die primäre Viktimisierung. Durch eine falsche Reaktion auf die Tat kann das Opfer ein zweites Mal geschädigt werden. Es soll psychisch belastende, erniedrigende und demütigende Erlebnisse in einem Kriminaljustizsystem in allen Einzelheiten

beschreiben, das immer noch von Männern beherrscht wird (Gary D. LaFree 1989; Maria Henriette Abel 1988). Man dringt in sein Privatleben ein, breitet sein sexuelles Vorleben aus und greift seine Glaubwürdigkeit an (Freda Adler, Gerhard O. W. Mueller, William S. Laufer 1995, 246). Nicht selten wird das Opfer durch die formalistische Routine und Gleichgültigkeit großer Bürokratien, durch Polizei und Krankenhaus, erneut entpersonalisiert (William G. Doerner, Steven P. Lab 1995, 102-105). Die Opfer fühlen sich verloren und vernachlässigt. Ärzte und Polizisten stellen verletzende Fragen von zweifelhafter Bedeutsamkeit. Skepsis und Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit sind für das Opfer schwer zu ertragen. Psychische Schäden, die das Vergewaltigungserlebnis gesetzt hat, können durch belastende Vernehmungen noch vertieft werden. Da die Vergewaltigung im Intimbereich begangen wird, pflegt das Opfer die einzige Zeugin zu sein. Die Versuchung ist deshalb für die Verteidigung sehr groß, die Strategie der Opferbeschuldigung anzuwenden, um seine Aussagen unglaubhaft erscheinen zu lassen. Falls ernsthafte Zweifel an der Aussage der Zeugin bestehen, sollte ein psychologischer Gutachter zu Rate gezogen werden. Die Verwendung von Realkennzeichen der Aussage sind ein taugliches Instrumentarium zur Differenzierung zwischen wahren und falschen Aussagen (Barbara Krähe, Silva Kundrotas 1992, 617). Zu weit ausgedehnte Befragungen des Gerichts, die die Tat nicht unmittelbar betreffen, sollten nicht zugelassen werden. Im Gerichtssaal herrscht eine Atmosphäre des Mißtrauens, die dem Opfer die seelische Verarbeitung des Delikts erschwert. Durch seine Konfrontation mit dem l a t e r muß es das traumatisierende Ereignis oft erneut durchleben.

V. VERHÜTUNG DER VERGEWALTIGUNG Durch sozialstrukturelle Verbesserungen sollte der Vergewaltigung vorgebeugt werden. Die Machtungleichheit der Geschlechter muß beseitigt werden. Die Frauen sollten nicht minder geachtet werden; ihr Status sollte vielmehr dem der Männer angeglichen werden. Männliche Werte dürfen nicht über- und weibliche nicht unterbewertet werden. Das asymmetrische Muster männlicher und weiblicher Geschlechtsrollen-Sozialisation sollte verschwinden. Männliche Geschlechtsrollen müssen — in sexuellen und nichtsexuellen Beziehungen - umstrukturiert werden: Wärme, Gleichheit, Hilfsbereitschaft sollten anstelle von Zurückhaltung, Domination und Gewalt treten. Frauen dürfen keine untergeordneten Rollen mehr spielen (Larry Baron, Murray A. Straus 1989, 194). Dem Gruppenzerfall, der Gemeinschaftszerrüttung und der Gewalt in der Familie sollte entgegengewirkt werden. Sexueller Mißbrauch an Kindern und ihre körperliche Mißhandlung müssen entschiedener und wirkungsvoller kontrolliert werden

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Vergewaltigung (-> Kindesmißhandlung, -» Sexueller Mißbrauch an Kindern). Körperliche Strafen dürfen kein anerkanntes Erziehungsmittel mehr sein. In Familien, Schulen und Freizeitgruppen sollten junge Menschen friedliche Konfliktregulierung, die einvernehmliche Beilegung von Streitigkeiten lernen. Das staatliche Gewaltmonopol darf nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Von den Vergewaltigungsopfern sollte der gesellschaftliche Druck zur Nichtanzeige genommen werden. Sie dürfen nicht mehr als „beschädigtes G u t " stigmatisiert und nicht mehr mit vergewaltigungsunterstützenden Stereotypen beschuldigt werden. Ihre psychologische Behandlung und ihre psychische Heilung sollten nicht dadurch erschwert werden, daß sie als „psychisch abnorm" gelten. Durch die gesellschaftliche Verdrängung der Vergewaltigung kann sie weder sozial noch vom Opfer psychisch verarbeitet werden (R. G. Broadhurst, R . A. Maller 1992, 74). Zum Zwecke der besseren Abschreckung müssen Vergewaltigungsanzeige, -anklage und -Verurteilung vielmehr erleichtert werden; das Verurteilungsrisiko für den l a t e r muß steigen (George J . McCall 1993, 382). Durch Vergewaltigungs-Vorbeugungs-Programme in Schulen und Universitäten (Nancy A. Crowell, Ann W. Burgess 1996, 94/95) sollte die Unwirklichkeit der Vergewaltigungsdarstellung in den Massenmedien aufgedeckt werden. Diese Irrealität besteht darin, daß sexuelle Gewalt gegen Frauen verschönt wird, daß man sexuelle Gewaltanwendung mit sexueller Erregung verbindet und daß Frauen durch vergewaltigungsunterstützende Stereotype degradiert werden. Wenn in Erziehungsprogrammen die psychisch-verletzenden Folgen sexueller Angriffe auf Frauen deutlich gemacht und vergewaltigungsunterstützende Stereotype richtiggestellt werden, so hat dies positive Wirkungen auf die Einfühlung in das Vergewaltigungsopfer und auf die Verminderung der Vergewaltigungsneigung bei jungen Männern (Daniel Linz, Barbara J. Wilson, Edward Donnerstein 1992). Durch die Veranschaulichung der Leiden der Opfer tritt eine Einstellungsänderung gegenüber der Vergewaltigung bei ihnen ein. Potentiellen Tätern werden auf diese Weise ihre Neutralisationstechniken (Vorabrechtfertigungen) genommen. Die Bildung von Subkulturen sexueller Gewalt junger Männer darf nicht geduldet werden. Die Vergewaltigung sollte als kein unkontrollierbares Ereignis dargestellt werden. Hierdurch wird der „erlernten Hilflosigkeit" (Martin E. P. Seligman 1992) potentieller Opfer Vorschub geleistet. Frauen müssen lernen, sich zu behaupten (Richard M. Ryckman, Linda M . Kaczor, Bill Thornton 1992). Sie dürfen keine unklaren, unbewußten (nichtverbalen) Signale setzen; sie müssen vielmehr klar und entschlossen ihre sexuellen Absichten deutlich machen (Vernon R . Wiehe, Ann L. Richards 1995, 159). Sie sollten in direkter und ehrlicher Weise über ihre sexuellen Wünsche reden (Megan J. Jenkins, Faye H. Dambrot 1987, 893).

VI. KONTROLLE DER VERGEWALTIGUNG A. Das Verbrechensopfer in der Vergewaltigungssituation Das Opfer steht in der Vergewaltigungssituation vor einem Dilemma: Einerseits vermindert Widerstand, insbesondere sofortige körperliche Gegenwehr, die Wahrscheinlichkeit der Vollendung der Vergewaltigung. Andererseits kann sich für das Opfer durch seinen Widerstand die Möglichkeit erhöhen, körperliche Verletzungen erleiden zu müssen, die über das Maß hinausgehen, das ein Vergewaltigungsopfer in der Regel zu ertragen hat. Bis heute kann man freilich nicht mit Gewißheit sagen, ob die Gegenwehr des Opfers zu einer verstärkten Gewaltanwendung des Täters führt oder ob eine solche Gewaltanwendung den Widerstand des Opfers hervorruft. Zur Widerstandsleistung des Opfers werden drei Meinungen vertreten: Die erste Auffassung befürwortet körperliche Gegenwehr. Die zweite Ansicht rät zur Unterwerfung. Die dritte Meinung empfiehlt dem potentiellen Opfer, zwischen ihm und dem l a t e r eine persönliche Beziehung herzustellen. Die Vertreterinnen) der ersten Meinung argumentieren folgendermaßen: — Von den Verteidigungsstrategien in der Vergewaltigungssituation waren - nach empirischen Forschungsergebnissen - Flucht, Schreien, Treten, Schlagen, körperlicher Widerstand erfolgreich; Argumentieren, Bitten um Schonung, Weinen, Passivität waren wirkungslos (Nancy A. Crowell, Ann W. Burgess 1996, 72; Lorna J. F. Smith 1989, 29; Pauline B. Bart, Patricia H. O'Brien 1985). -

Das Risiko einer körperlichen Verletzung ist für Frauen, die Gegenwehr leisten, nicht höher als für Frauen, die sich unterwerfen. Zudem bildet Unterwerfung keinen absoluten Schutz gegen körperliche Verletzungen (Sarah E. Ullman, Raymond A. Knight 1991, 1992, 1995).

Eine etwas abgewandelte Einschränkung zur ersten Meinung räumt zwar ein, daß durch gewaltsamen Opferwiderstand zusätzliche körperliche Schädigungen entstehen können. Sie äußert aber die Ansicht, daß Frauen zusätzliche körperliche Verletzungen, z. B. ausgeschlagene Zähne, Knochenbrüche, eher in Kauf nehmen als eine vollendete Vergewaltigung. Sie macht indessen eine Ausnahme: Die Tötung des Opfers wiegt schwerer als eine vollendete Vergewaltigung (Gary Kleck, Susan Sayles 1990; Carolyn F. Swift 1985, 418). Ein weiterer Einwand besteht darin, daß auch schon eine versuchte Vergewaltigung psychische Schäden beim Opfer hinterläßt (Jennie J . Mclntyre, Thelma Myint, Lynn A. Curtis 1982, 241).

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Vergewaltigung

Die Meinung, die von körperlicher Gegenwehr abrät, macht folgende Argumente geltend: -

Da die Vergewaltigung ein Gewaltdelikt ist, ruft Gewalt Gegengewalt hervor. Der Vergewaltigungs-Interaktionsprozeß wird zum Gewalt-Aufschaukelungs-Prozeß. Da der Vergewaltigungstäter sein Opfer beherrschen und schädigen will, kommt ihm der körperliche Widerstand seines potentiellen Opfers sehr gelegen. Das gilt insbesondere für den sexuell aggressiven und sadistischen Vergewaltigungstäter (R. Block, W. C. Skogan 1986; R. B. Ruback, D. L. Ivie 1988). - Bis heute hat man keine wissenschaftliche Erkenntnis darüber, ob körperlicher Widerstand in der Vergewaltigungssituation die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Ausgangs für das Opfer erhöht oder vermindert (Gresham M. Sykes, Francis T. Cullen 1992, 186).

Die dritte Meinung macht geltend, daß die Vergewaltigung ein Entpersonalisierungsprozeß ist (Sarah Ben-David 1982). Während seiner Tat besitzt das Opfer für den Vergewaltigungstäter nicht die Qualität einer Person. Die Vergewaltigung kann abgewendet werden, wenn es dem Opfer gelingt, zwischen ihm und dem Täter eine persönliche Beziehung herzustellen. Es darf nicht die Rolle eines Objekts oder eines Symbols spielen. Wenn die Frau sich als Person definiert und verhält, erfüllt sie für den Sexualstraftäter nicht sein Bedürfnis nach einem Symbol für seine Entwürdigung. Die Vergewaltigung wird für ihn sinnlos. Aufgrund der gegenwärtigen Erkenntnislage bieten sich folgende Empfehlungen für das Opferverhalten in der Vergewaltigungssituation an: -

-

-

-

Das potentielle Opfer sollte - wenn eben möglich - einen „kühlen K o p f ' bewahren (O. Berndt Scholz 1995, 208). Es sollte nicht emotional Überoder unterreagieren; sein Widerstand sollte angemessen und verhältnismäßig sein (Nyla R. Branscombe, Julie A. Weir 1992). Das potentielle Opfer sollte zunächst zu flüchten versuchen. Wenn sein Fluchtversuch mißlingt, muß es durch entschlossene, unmißverständliche verbale Verneinung (Nichteinwilligung) Klarheit schaffen. Durch solchen verbalen Widerstand können bereits kompensatorische Vergewaltigungstäter abgeschreckt werden. Das Verbrechensopfer sollte sich nicht unterwerfen und sich selbst nicht als Vergewaltigungsopfer definieren. Seine Nachgiebigkeit kann als Einwilligung und Kooperation mißverstanden werden. Sie kann nach der Viktimisierung Selbstvorwürfe auslösen. Das potentielle Opfer darf keine Ausflüchte verwenden (z. B. „Ich bin geschlechtskrank"). Denn solche Ausflüchte können in der abnormen Phantasie des Täters Mißverständnisse hervorrufen (z. B. „Das Opfer ist promiskuitiv"). Das potenti-

elle Opfer sollte auch jede unnötige Konfrontation (z. B. „Sie werden gefaßt und gehen ins Gefängnis") vermeiden. - Das Opfer sollte in der Vergewaltigungssituation an die Humanität des Täters appellieren; es sollte seinen Narzißmus (seine Ichbezogenheit) ausnutzen. Es darf nicht die Rolle eines Objekts oder eines Symbols spielen. Es sollte vielmehr versuchen, eine reale persönliche Beziehung zum Täter aufzubauen (Daniel L. Carter, Robert Alan Prentky, Ann Wolbert Burgess 1988, 127). — Wenn alle diese Versuche nicht zum Ziel führen, sollte das potentielle Opfer seine Selbstbehauptung nicht aufgeben. Es sollte kämpfen, schreien, treten, schlagen, beißen. Im äußersten Fall muß es durch Einwirkung auf die Augen und andere empfindliche Körperstellen seinen Angreifer kampfunfähig zu machen suchen (D. L. Carter, R. A. Prentky, A. W. Burgess 1988, 127). Frauen, deren Fähigkeiten, persönliche Hintergründe und deren Zartgefühl es ihnen verbieten, sich in der Vergewaltigungssituation entschlossen und selbstbehauptend zu verhalten, sollten dafür nicht beschuldigt werden. Sie sollten sich nicht schuldig fühlen, keinen aktiven Widerstand geleistet zu haben.

B. Vergewaltigte Frauen im Kriminaljustizsystem 1. Opferschutz-,

Mitsprache-

und

Hilfsrechte

Da das Strafverfahren eine erneute schwere psychische und soziale Belastung des Verbrechensopfers darstellt (z. B. erneute Konfrontation mit dem Tatgeschehen und dem Täter, Angriffe des Verteidigers), müssen dem Opfer Schutz-, Mitsprache- und Hilfsrechte im Strafverfahren gesetzlich eingeräumt werden. Wenn das Opfer nur ein Mittel der Wahrheitsfindung bleibt, wird es zum zweiten Mal zum Objekt gemacht und erneut psychisch und sozial geschädigt. Gegenüber der Opferbeschuldigungs-Strategie der Verteidigung und der Gleichgültigkeit großer Organisationen, z. B. von Krankenhäusern, Polizeistationen, muß es Abwehr- und Schutzrechte erhalten. Ihm müssen darüber hinaus Beteiligungs-, Mitspräche·, Kontroll- und Beeinflussungsrechte, zumindest Anhörungsrechte gewährt werden. Seine Meinungen und Sorgen sollten in den dafür geeigneten Verfahrensabschnitten vom Gericht erwogen und bedacht werden (United Nations 1988, 203). Schließlich muß man sein Auftreten vor Gericht durch Hilfsrechte erleichtern. Folgende Opferschutzrechte stehen vergewaltigten Frauen bereits zur Verfügung oder sollten in Zukunft zugelassen werden: -

Bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft sollten Spezialeinheiten für vergewaltigte Frauen ge-

Vergewaltigung schaffen werden, in denen Beamtinnen und Beamte Dienst tun sollten, die in der behutsamen Vernehmung von Verbrechensopfern geschult worden sind (Council of Europe 1985; Luise Greuel 1993; Luise Greuel, O. Berndt Scholz 1991). Für solche Spezialeinheiten sollten vermehrt Frauen eingestellt werden. - Im Strafverfahren sollten Fragen nach dem sexuellen Vorleben vergewaltigter Frauen eingeschränkt werden. Solche Fragen sind zumeist für die Beweisführung und die Strafzumessung unerheblich. Sie sind in den meisten Staaten der USA durch Schutzgesetze für Vergewaltigungsopfer („Rape Shield Laws") grundsätzlich verboten, die als die wichtigsten Normen bei der Strafprozeßreform zum Schutze der Vergewaltigungsopfer angesehen werden (U.S. Department of Justice 1994b, 9). Ist die Glaubhaftigkeit der Aussage einer Zeugin dem Gericht zweifelhaft, so müssen psychologische Sachverständige dazu Stellung nehmen. - Bei gerichtlichen oder polizeilichen Vernehmungen kann sich die verletzte Frau als Zeugin des Beistands eines Rechtsanwalts bedienen, der verletzende oder unerhebliche Fragen abwehren kann (§406f StPO). Allerdings steht die Zulassung eines Beistands im pflichtgemäßen Ermessen des Vernehmenden. - Die vergewaltigte Frau sollte im Strafverfahren durch gerichtliche Einschränkungs- und Schutzanordnungen vor Einschüchterungs- und Belästigungsversuchen (Racheakten) bewahrt werden, wie dies im Opferschutzgesetz der USA vorgesehen ist. Folgende Mitspracherechte können von vergewaltigten Frauen in Anspruch genommen oder sollten neu eingeführt werden: -

Durch die Nebenklage (§§ 395 bis 402 StPO) kann die vergewaltigte Frau ihre Rechte wahren, Genugtuung erhalten und die Staatsanwaltschaft kontrollieren. Ihr stehen Beweisantrags- und Rechtsmitteleinlegungsrechte zur Verfügung. - Für Fälle der Vergewaltigung zwischen Bekannten (z. B. bei Vergewaltigungen in der Ehe) sollte ein Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren (Vernon R. Wiehe, Ann L. Richards 1995, 105/106; Thomas Weigend 1989, 343-376) als Vorschaltverfahren vor dem formellen Strafverfahren vorgesehen werden. Ein solches Verfahren soll den am Konflikt Beteiligten die psychische und soziale Aufarbeitung ihrer Interaktionsstörung unter Mithilfe und Vermittlung des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung ermöglichen. Es bildet eine Lernerfahrung und soll die informelle Kontrolle durch die Gruppen im sozialen Nahraum stärken. Die Schuldfrage muß allerdings außer Zweifel stehen, und die Verfahrensbeteiligten müssen mit dem Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren einverstanden sein. Es en-

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det mit einem Schiedsspruch oder Vergleich, Entscheidungen, in denen man versucht, mittels Betreuung und Beaufsichtigung der Familie und der Personen im sozialen Nahraum durch Sozialdienste ihre zwischenmenschlichen Beziehungen wiederherzustellen. Schließlich soll durch Hilfsrechte die Beteiligung der vergewaltigten Frau am Strafverfahren erleichtert werden: -

Nach der Anzeige der Vergewaltigung bei der Polizei müssen die vergewaltigten Frauen über alle wichtigen Entscheidungen im Strafverfahren informiert werden. - Ein Ermittlungsbericht („Victim Impact Statement") (Chris J. Sumner 1987), der dem Gericht vorgelegt wird, sollte Angaben darüber enthalten, welche Folgen die sexuelle Gewaltanwendung für das Verbrechensopfer gehabt hat, insbesondere welche psychischen, sozialen, körperlichen und finanziellen Schäden es durch die Vergewaltigung erlitten hat.

2. Reform der gesetzlichen Vorschriften gegen Vergewaltigung In den letzten zwanzig Jahren sind die Gesetzesbestimmungen zur Vergewaltigung in vielen Industriestaaten reformiert worden. Durch die Reform der Gesetzeslage wollte man erreichen, daß das Vergewaltigungsopfer im Kriminaljustizsystem besser behandelt wird und daß sich die Anzeige-, Verhaftungs-, Anklage- und Verurteilungsraten erhöhen. Die Reform sollte zu einer besseren Kontrolle des Delikts führen. Im wesentlichen reformierte man die Gesetzesbestimmungen zur Vergewaltigung in folgender Weise: — Die gesetzliche Definition der Vergewaltigung wurde erweitert. — Für den Vergewaltigungsbeweis stellte man es nicht mehr auf den körperlichen Widerstand des Opfers, sondern auf die Gewaltanwendung des Täters ab. Ein zusätzlicher Beweis zur Zeugenaussage des Opfers wurde nicht mehr für notwendig erachtet. — Die sexuellen Vorerfahrungen des Vergewaltigungsopfers wurden der Beweisführung unzugänglich gemacht („Rape Shield Laws"). Seine Einwilligung sollte wegen sexueller Vorerfahrungen nicht mehr unterstellt, seine Glaubhaftigkeit wegen solcher Erfahrungen nicht mehr erschüttert werden können. — Der Ausschluß der Vergewaltigung in der Ehe wurde gestrichen. Mit den Reformen wurde eine verständnisvollere Behandlung der Vergewaltigungsopfer im Kriminaljustizsystem erreicht. Demzufolge stiegen die Anzeigequoten (Cassia C. Spohn, Julie Horney 1993). Der

546

Vergewaltigung

Einfluß der Reformen auf eine Verbesserung der Kontrolle des Delikts ist indessen äußerst begrenzt geblieben. Die Reformen haben kein bedeutsames Anwachsen der Verhaftungs-, Anklage- und Verurteilungsquoten bewirkt (Nancy A. Crowell, Ann W. Burgess 1996, 127; Carole Goldberg-Ambrose 1992). Der Sanktionsverzicht (Einstellung des Verfahrens, Freispruch) ist im Rechtsstaat für alle Delikte hoch; die Ausfilterung ist freilich bei der Vergewaltigung besonders ausgeprägt und für das Opfer schmerzlich. Denn dieses Delikt hinterläßt lang anhaltende emotionale und psychische Traumen, die noch dadurch verschärft werden, daß der Täter ohne Bestrafung davonkommt (Jeanne Gregory, Sue Lees 1996). Bei der Vergewaltigung durch Bekannte ist der Täter zwar zumeist greifbar, die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage des Opfers wird aber häufig in Zweifel gezogen. Bei der Vergewaltigung durch Fremde bleibt der Täter in rund zwei Dritteln der Fälle unentdeckt. Die Richter legen immer noch mehr Wert auf Informationen über den Lebensstil und das Vorverhalten des Vergewaltigungsopfers, z. B. seinen Alkoholkonsum, seine sexuelle Aktivität außerhalb der Ehe, als auf Beweise für die Vergewaltigung. Der traditionelle doppelte Standard moralischen Verhaltens ist weiterhin im Kriminaljustizsystem gültig geblieben. Wenn junge Frauen sich dieselben sozialen und sexuellen Freiheiten in ihrem Freizeitverhalten und in ihren persönlichen Beziehungen herausnehmen wie die jungen Männer, setzen sie sich dem Risiko aus, alle ihre Rechte auf Schutz durch die Kriminaljustiz gegen sexuelle Ausbeutung und sexuellen Zwang durch Männer zu verlieren (Anne Edwards, Melanie Heenan 1994). Die Nichteinwilligung des Opfers und sein einwandfreies sexuelles Vorverhalten bleiben nach wie vor die beiden wichtigsten Faktoren einer erfolgreichen Anklage (U.S. Department of Justice 1994b, 8). Hierbei wird die gewaltsame Unterwerfung des Opfers häufig von den Richtern als Zustimmung mißverstanden. Obgleich sich die meisten Vergewaltigungen in der Ehe als äußerst brutal erwiesen haben, ist die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe umstritten geblieben. Die Reformbestrebungen haben nur subtile, minimale Wirkungen auf die Strafgesetzanwendung gehabt. Vergewaltigung durch Bekannte wird vom Opfer und von der Kriminaljustiz in steigendem Maße als „wirkliche" Vergewaltigung angesehen (Cassia C. Spohn, Julie Homey 1996). Vergewaltigungstäter werden zunehmend zu Freiheitsstrafen verurteilt (Ronet Bachman, Raymond Paternoster 1993; Charles Lloyd, Roy Walmsley 1989, 46). Wenn sich die Gesetzeslage ändert, so bedeutet das nicht notwendigerweise, daß sich auch die Einstellung der Gesellschaft und die Praxis der Strafgesetzanwendung wandeln (Julian V. Roberts, Michelle G. Grossman 1994; Renate M. Mohr, Julian V. Roberts 1994). Es ist naiv zu glauben, daß eine Strafrechtsreform das soziale Problem der Vergewaltigung in bedeutungsvoller Weise lösen kann (Renate M. Mohr 1994). Die

Reformgesetzgebung muß als erster Schritt in einem langen gesellschaftlichen Lernprozeß gesehen werden (Julian V. Roberts, Renate M. Mohr 1994). Die Änderung gesetzlicher Bestimmungen bildet nur einen Teil bei der Lösung der Probleme des Vergewaltigungsopfers in diesem Lernprozeß (Susan Caringella-MacDonald 1991).

C. Opferhilfs- und -behandlungsprogramme für vergewaltigte Frauen 1.

Vergewaltigungs-Krisenzentren

Seit dem Jahre 1970 sind in Nordamerika und Westeuropa Vergewaltigungs-Krisenzentren („Rape Crisis Centers") zur Behandlung von körperlichen, psychischen und sozialen Schäden aus der Primärviktimisierung und zur Verhütung solcher Nachteile aus der Sekundärviktimisierung gegründet worden (Nancy A. Crowell, Ann W. Burgess 1996, 107/108). Die Grundlage der Arbeit solcher Zentren liegt in der Erkenntnis, daß die Vergewaltigungssituation ein extremes Macht-Ohnmacht-Gefälle bildet und daß die Tat vom Opfer als ein massiver Angriff auf seine körperliche, psychische und soziale Unversehrtheit empfunden wird, der häufig schwere Schockreaktionen verursacht. Die von vielen Frauen berichtete Todesangst während der Tat weicht nicht selten im Anschluß an die Viktimisierung einem Gefühl tiefer Verzweiflung und hoffnungsloser Sinnlosigkeit der eigenen Existenz. Hinzu kommen in der Situation des Vergewaltigungsopfers nach der Tat noch Verständnislosigkeit und Mißtrauen der Personen seines sozialen Nahraums, die ihm häufig mit offenen oder verdeckten Vorwürfen entgegentreten. In dieser schwierigen Lage soll es schließlich weiterhin mit den Problemen fertig werden, die ihm - nach seiner Anzeige - ein Kriminaljustizsystem schafft, das ganz an den Interessen des Täters orientiert ist und das das Opfer zum bloßen Objekt der Wahrheitsfindung abwertet. Das Opfer ist durch die Vergewaltigung hochsensibilisiert. Die Gleichgültigkeit großer Bürokratien, z. B. der Polizei oder des Krankenhauses, seinem psychischen und sozialen Trauma gegenüber kann dazu führen, daß die Heilung seiner psychischen und sozialen Schäden aus der Viktimisierung arg verzögert oder gar unmöglich gemacht wird. Die Vergewaltigungs-Krisenzentren halten sich mit einem 24-Stunden-Notruf für vergewaltigte Frauen bereit, um unmittelbar nach der Viktimisierung zu helfen (U.S. Department of Justice 1994b, 4 5 - 5 1 ) . Telefonische und persönliche Beratungsgespräche ermöglichen es den Opfern, ihre Gefühle und Reaktionen auf die Vergewaltigung auszusprechen und fürs erste seelisch zu verarbeiten. Die Vergewaltigungs-Krisenzentren stellen Kontakte zum Krankenhaus, zu Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, zur Polizei und zur Staatsanwaltschaft sowie

Vergewaltigung zu Therapeuten her. Auf Wunsch begleiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Zentren die Frauen zum Krankenhaus und zur Polizei. Im Krankenhaus müssen körperliche Verletzungen behandelt, die Folgen der Vergewaltigung, z. B. Infektion mit AIDS oder mit einer Geschlechtskrankheit, diagnostiziert und Beweise für das Strafverfahren gesichert werden. Die Krisenzentren informieren das Opfer über das Kriminaljustizsystem und insbesondere über die Bedeutung und die Folgen einer Strafanzeige. Sie versuchen indessen nicht, die vergewaltigte Frau zur Strafanzeige zu drängen oder zu überreden. Sie setzen das Opfer über die Möglichkeit einer Nebenklage in Kenntnis. Sie stellen Krisenintervention, Individual- oder Gruppentherapie für Opfer und mittelbare Opfer (Mitopfer) zur Verfügung. Auch die Intimpartner, die Familie und andere Bezugspersonen der Frau werden beraten und unterstützt. Wenn die vergewaltigte Frau ein halbes Jahr oder eineinhalb Jahre nach der Tat zur Gerichtsverhandlung als Zeugin geladen wird, reagiert sie oft mit Panik, Angst, Wut und Depression. Denn sie hat gerade wieder mit einem halbwegs normalen Leben begonnen, wenn die Krisensituation für sie bedrohlich aktualisiert wird. Das Opfer wird vor Gericht mit dem Täter konfrontiert. Es muß das Tatgeschehen in einer ihr gleichgültig bis feindlich gegenüberstehenden Umgebung erneut psychisch durchleben. Mitarbeiterinnen der Krisenzentren versuchen, durch ihre Anwesenheit während der Gerichtsverhandlung das Opfer psychisch zu stützen. Schließlich leisten die Krisenzentren Öffentlichkeitsarbeit. Sie machen nicht nur auf ihre eigene Existenz aufmerksam. Sie versuchen auch, die gesellschaftlichen Vorurteile gegen Vergewaltigungsopfer abzubauen, das Thema der sexuellen Gewalt gegenüber Frauen zu enttabuisieren und über das wahre Ausmaß sexueller Gewalt in unserer heutigen Gesellschaft zu unterrichten. Die Reaktionen von Menschen, mit denen das Opfer unmittelbar nach der Tat in Berührung kommt, sind für seine psychische Wiederherstellung von großer Bedeutung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krisenzentren müssen dem Opfer zuhören können. Sie müssen ihm „psychologische erste Hilfe" leisten. Sie müssen sich in seine Lage einfühlen und es voll menschlich akzeptieren. Für Beurteilungen oder gar Verurteilungen des Opferverhaltens vor, während und nach der Tat ist kein Raum. Das ist Sache der Gerichte, nicht der VergewaltigungsKrisenzentren, die dem Opfer mit Verständnis und mit dem verbalen und nichtverbalen Ausdruck begegnen sollten, daß es an Wert durch seine Viktimisierung nicht eingebüßt hat. Die Leiden des Opfers sollten bedingungslos anerkannt werden.

2.

Opferbehandlung

Krisenintervention ist für viele Frauen zur Behebung ihrer durch die Vergewaltigung entstandenen psychischen und sozialen Schäden nicht ausreichend.

547

Spontanrückbildung solcher Schäden tritt durch Zeitablauf keineswegs in der Mehrheit der Fälle ein (Ellen Frank, Barbara Anderson, Barbara Duffy Stewart, Constance Dancu, Carol Hughes, Deborah West 1988). Die Vergewaltigung zerstört die feminine Identität. Sie greift tiefgründig in den laufenden Prozeß des Funktionierens und der Entwicklung der Erwachsenenpersönlichkeit ein. In einem Prozeß des Trauerns über erlittene Einbußen müssen die Frauen bemüht sein, ihre Unabhängigkeit, ihr Selbstvertrauen, ihre Selbstachtung und ihr Selbstwertgefühl wiederzuerlangen, ihre gestörten zwischenmenschlichen Beziehungen wiederherzustellen und ihren selbstzerstörerischen Tendenzen zu begegnen (Martha R. Burt, Bonnie L. Katz 1987). Sie müssen ihre leidvollen Erfahrungen seelisch bewältigen, die sich u. a. in folgenden Symptomen ausdrücken: Erschöpfung, Ruhelosigkeit, Schlafstörungen, Alpträume, Rückblenden, Phobien (Phobophobie), Depression, übertriebene Schreckhaftigkeit, unangenehme Zwangsphantasien, Beeinträchtigungen der Konzentration und des Gedächtnisses sowie sexuelle Dysfunktionen. Viele Frauen verarbeiten ihre psychischen Störungen in somatischen Beschwerden: Herzklopfen, Kopfschmerzen, Übelkeit. Durch den psychischen Stress, den die Vergewaltigung verursacht hat, tritt eine Schwächung ihres Immunsystems ein; sie suchen vermehrt Ärzte auf, die ihnen in ihren psychischen Problemen indessen nur in sehr begrenztem Maße helfen können. Mehr als die Hälfte der vergewaltigten Frauen fragt keine psychologische Hilfe nach. Denn die Frauen fürchten, daß ihnen das Stigma der psychischen Abnormität zugeschrieben wird (Rachel Kimerling, Karen S. Calhoun 1994). Sie sind indessen nicht psychisch krank. Sie haben lediglich durch die Vergewaltigung psychische Verletzungen erfahren, die eine psychologische Behandlung erforderlich machen. Verdrängungs-, Ausweich- und Vermeidungsverhalten tragen nichts zur Heilung der psychischen Traumen bei. Problem-Vermeidung und sozialer Rückzug erschweren im Gegenteil die Genesung. Vermeidungsstrategien wie „Zu-Hause-Bleiben" und „Sich-Zurückziehen" haben negative Wirkungen (Mark D. Santello, Harold Leitenberg 1993). Psycho- und Organneurosen sind Ergebnisse einer unangemessenen emotionalen Verarbeitung des Vergewaltigungs-Traumas. Durch seine Viktimisierung hat das Opfer seinen Kontrollverlust, seine elementare Hilflosigkeit und seine soziale Isolation erlebt. In dieser widerwilligen Situation hat es erfahren müssen, daß all seine Bemühungen keine Wirkung auf die Leiden hatten, die der Täter ihm zufügte. Durch verschiedene Behandlungsmethoden muß sich das Opfer systematisch der traumatischen Erinnerung in einer sicheren und verständnisvollen Umgebung aussetzen und Gefühle der Selbstbeschuldigung und der Stigmatisierung mit der Methode der kognitiven Umstrukturierung überwinden. Keine der bisher angewandten Interventionen hat sich hierbei den ande-

548

Vergewaltigung

ren überlegen gezeigt. Keine der Therapien war bis heute unterschiedslos für alle Vergewaltigungsopfer wirksam. Alle Therapien vermeiden opferbeschuldigende Einstellungen. Allen Therapien ist gemeinsam, daß sie weibliche und männliche Kotherapeuten einsetzen. Denn man will allen Teilnehmerinnen helfen, den Umgang mit Männern nicht zu umgehen und in dem männlichen Therapeuten einen gefühlswarmen und einfühlsamen Menschen kennenzulernen. Die meisten Behandlungsformen bemühen sich um eine „heilende Partnerschaft". Das Vergewaltigungsopfer wird aktiv an seiner eigenen Heilung beteiligt. Die Beziehungen zwischen Therapeuten und Vergewaltigungsopfern sind durch gegenseitiges Vertrauen und wechselseitigen Respekt gekennzeichnet (Vernon R. Wiehe, Ann L. Richards 1995, 109). Folgende Therapiearten sind Beispiele für die Behandlung von Vergewaltigungsopfern: -

-

Selbstbehauptungs-Training, unterstützende Gruppentherapie und Rollenspiel gehören zu den traditionellen Behandlungsformen. Im Selbstbehauptungstraining werden die Durchsetzungsfahigkeit und der Selbstbehauptungswille der Vergewaltigungsopfer gestärkt. Die Gruppentherapie trägt dazu bei, daß sich die vergewaltigten Frauen durch die Mitteilung ihrer Erfahrungen wechselseitig unterstützen. Die Gruppe strebt danach, die Vergewaltigungserfahrung und die verfehlten Reaktionen auf sie seelisch zu verarbeiten. Die Erinnerung an das Vergewaltigungstrauma wird wachgerufen und eine wirksame, erkenntnismäßige Verbesserung wird in die Erinnerungsstruktur eingefügt. Die Therapeuten spielen dabei indirekte, unbedingt unterstützende Rollen. Die Gruppe wirkt den Selbstbeschuldigungen entgegen, und sie fördert innerhalb der Selbstbetroffenheits- und der Gleichheitsstruktur das Selbstwertgefühl ihrer Mitglieder (Mary R Koss 1993a, 1066). Im Rollenspiel übernimmt die Therapeutin oder der Therapeut zunächst die Rolle der Patientin, um angemessenes Verhalten zu modellieren. Die Rollen werden sodann vertauscht, um auf diese Weise der Patientin die Möglichkeit einzuräumen, neues Verhalten zu praktizieren. Die systematische Desensibilisierung dient der emotionalen Verarbeitung der Vergewaltigung. In sicherer, entspannter Atmosphäre müssen die Opfer in ihrer Vorstellung die Tat mit all ihren Emotionen und Befürchtungen erneut durchleben, die sie während ihrer Viktimisierung gehabt haben. Die Patientin erhält die Unterweisung, sich die Angriffsszene so lebensnah wie möglich vorzustellen, sie laut in der Gegenwartszeitform zu beschreiben und ihre Gefühle und Ängste auszudrücken. Sie wiederholt das Vergewaltigungsszenario auf diese Weise einige Male während einer Sitzung von 60 Minuten. Die Schilderungen der Patientin werden auf Band aufgenommen, und es wird ihr aufgegeben, das Tonband wenigstens ein-

mal täglich zu Hause zu hören. Die Vermeidung vergewaltigungsbezogener Gedanken kann zur Verschlimmerung des Vergewaltigungs-TraumaSyndroms führen. Die Vergewaltigungsopfer werden deshalb gebeten, sich ihrer Viktimisierung täglich zu stellen und die Konfrontation mit ihrer Viktimisierung täglich zu üben (Edna Β. Foa, Barbara Olasov Rothbaum, Gail S. Steketee 1993; Patricia A. Resick, Monica Κ. Schnicke 1992). — Zweck des Streß-Impfungs-Trainings ist es, mit Zwangserinnerungen und mit Angst umzugehen. Es besteht aus drei Phasen. Die erste Phase dient der Information über die Entwicklung der Furcht, über die Erregung des Zentralnervensystems, über das klassische Konditionieren, über die Bedeutung der Kognitionen und über die Rolle der konditionierten Stimuli bei automatischen Furchtreaktionen, bei der Entstehung von Zwangserinnerungen und beim Vermeidungsverhalten. Die vergewaltigungsbezogene Furcht wird als Phänomen der klassischen Konditionierung erklärt. In der zweiten Phase erwirbt die Patientin durch tiefes Muskelentspannungs-Training und durch Atem-Kontrolle Bewältigungsfähigkeiten. Sie lernt ζ. B., sich in kurzer Zeit in verschiedenen Situationen zu entspannen. In der dritten Phase werden die neuen Fähigkeiten angewandt. Man stellt eine Hierarchie leichterer, schwererer und schwerster Furchtsituationen auf, die in handhabbare Einheiten unterteilt werden. Die Bewältigungsstrategien werden eingesetzt, um jede Stufe in der Furchthierarchie anzugehen. Die Patientin stellt sich jede Szene in der Furchthierarchie vor, während sie sich in einem entspannten Zustand befindet. Sie beginnt mit der am wenigsten furchterzeugenden Szene. Sie ruft sich jede Szene der Furchthierarchie so lange ins Gedächtnis, bis sie keine Angst mehr fühlt (Patricia A. Resick, Barbara E. Gerth Markaway 1991, 273). — Die kognitive Verhaltenstherapie (die kognitive Umstrukturierung) hilft vergewaltigten Frauen, kognitive Verzerrungen zu erkennen und psychisch zu verarbeiten. Bestimmte beharrliche Vorstellungen können für Angst und Depression anfällig machen. Die Grundannahme dieser Behandlungsform besteht darin, daß es individuelle Erkenntnisse gibt, die durch vorhandene Glaubenssätze über die Welt gefiltert werden. Das Vergewaltigungsopfer kann sich ζ. B. auf verzerrte Wahrnehmungen über seine Unzulänglichkeit, über seine Unfähigkeit und über seine Hilflosigkeit stützen. Es kann den Gedanken haben, daß es für die Vergewaltigung verantwortlich ist, und es kann sich als Ergebnis des Angriffs wertlos vorkommen. Kognitive Techniken helfen der Patientin, solche verzerrten Glaubenssätze zu erkennen und sie an der Realität zu messen. Die Behandlung geht in drei Phasen vor sich. In der ersten Phase werden negative Gedanken in Zweifel

Vergewaltigung gezogen, und neues positives Denken wird ermutigt. Die zweite Phase konzentriert sich auf kognitive Verzerrungen und konstruiert rationale, sozialangepaßte Antworten. In der dritten Phase erforscht man Grundannahmen über die Welt. Um Zwangsgedanken zu kontrollieren, wird Gedankenunterbrechung geübt. Zunächst wird die Patientin aufgefordert, 30 bis 45 Sekunden lang lästige Gedanken hervorzurufen. Dann ruft der Therapeut: „Stopp!" Dieser Verlauf wird einige Male wiederholt, um quälende Gedanken anzuhalten. Dann wird die Patientin gebeten, selbst „Stopp" zu rufen, nachdem sie lästige Gedanken erzeugt hatte. Schließlich wird sie aufgefordert, schweigend das Wort „Stopp" zu verbalisieren. Im gelenkten, geleiteten Selbst-Dialog wird geübt, wie man irrationale, fehlerhafte oder negative Selbstaussagen erkennt. Rationale und positive Aussagen werden hervorgerufen, und die negativen werden durch sie ersetzt (Edna Β. Foa, Barbara Olasov Rothbaum, Gail S. Steketee 1993, 262/263). — Mit der sexuellen Dysfunktions-Therapie werden zufriedenstellende sexuelle Phantasien und Aktivitäten festgestellt, sexuelle Erregung und die Fähigkeit, einen Orgasmus zu erleben, werden gefördert, und die sexuelle Kommunikation und Behauptungsfahigkeit werden entwickelt (Edna Β. Foa, Barbara Olasov Rothbaum, Gail S. Steketee 1993, 265/266). Gruppenbehandlung ist hierbei erfolgreicher als Individualbehandlung. Alle dargestellten Therapieformen waren in einer großen Zahl von Fällen wirksam. Es mangelt jedoch bisher an systematischen Evaluationen.

D. Behandlung des Vergewaltigungstäters 1. Behandlung

und

Rückfallverhinderung

Viele Vergewaltigungstäter leugnen oder rechtfertigen ihr kriminelles Verhalten, um es beizubehalten (Curt R. Bartol 1995, 316). Sie streiten ab, überhaupt ein Delikt verübt zu haben, selbst wenn sie rechtskräftig verurteilt worden sind. 54% aller Vergewaltigungstäter stellen ihre Tat vollständig in Abrede, und weitere 42% bagatellisieren zahlreiche Aspekte ihres kriminellen Verhaltens (W. L. Marshall 1996, 173). Die einen behaupten, das Opfer habe keinen Schaden erlitten; die anderen beschönigen Häufigkeit, Schwere und Planung ihrer Delikte. Ganz typisch versuchen Sexualverbrecher, ihre Verantwortlichkeit von sich selbst abzuschieben, indem sie andere Menschen beschuldigen. Sie spielen ihre Schuld herunter. Wenn ein Täter sich nicht voll verantwortlich zu seiner Tat bekennt, kann er schwerlich an einem Behandlungsprogramm teilnehmen. Es mangelt ihm dann an ausreichender Motivation. Ebenso schließt Opferbeschuldigung Opfereinfüh-

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lung aus; jedenfalls verhindert sie die Entwicklung des Mitgefühls mit dem Opfer. Die Überwindung der Leugnung und Bagatellisierung seiner Tat sowie die Opfereinfühlung bilden erste Schritte zur Motivation des Täters für Behandlung und Verhaltensänderung. Hierbei wird Behandlung als mehrstufiger aktiver Problem-Lösungs-Prozeß verstanden, bei dem der Vergewaltiger sein eigener Kotherapeut ist. Dem medizinischen Krankheitsmodell, das noch viel zu viele Behandlungsprogramme für Sexualstraftäter beherrscht, kann nicht gefolgt werden. Nach ihm liegt die Verantwortlichkeit für die Tat und für die Behandlung des Täters außerhalb des Rechtsbrechers (Externalisation der Beschuldigung und der Behandlungs-Verantwortung). Es geht von einer Dichotomie (Zweiteilung) zwischen Heilung und Rückfall aus. Der Vergewaltiger kann indessen nicht geheilt werden; er muß vielmehr seinen Rückfall in einem Selbststeuerungs-Prozeß verhindern, den er erlernen muß. Die dauerhafte Wandlung der Persönlichkeit des Sexualstraftäters in der Institution war ein Fehlschlag (Lita Furby, Mark R. Weinrott, Lyn Blackshaw 1989). Die allermeisten Vergewaltigungstäter sind nicht geistesgestört (Derek Perkins 1991, 152). Chronische sexuelle Deviation (Sozialabweichung) ist vielmehr ein robuster Hang, eine resistente (widerstandsfähige) Neigung, die hoch flexibel ist und die durch Lernirrtümer verursacht wird, die durch fehlerhafte Erfahrungen in kritischen Phasen sexueller Entwicklung erworben worden sind. Sie kann nur durch Training und Erziehung verlernt werden. Der Behandlungserfolg muß in einem nachfolgenden Selbststeuerungs-Prozeß aufrecht erhalten werden, der ebenfalls vom l a t e r gelernt werden muß. Der Vergewaltigungstäter muß sich Strategien aneignen, und er muß sie einüben, die ihn befähigen, Risikosituationen zu vermeiden oder - falls sie unvermeidbar sind - mit ihnen aktiv fertig zu werden. Die Verantwortlichkeit liegt vollständig bei ihm (W. L. Marshall, D. R. Laws, Η. Ε. Barbaree 1990). Einsperrung in der Strafanstalt zwingt zwar den Tater, mit seinen Straftaten aufzuhören. Sie verlangt aber von ihm nicht, seine Motivation für Vergewaltigungen freiwillig zu ändern. Der Strafgefangene kann vielmehr durch Masturbations-Phantasien an seiner Tatmotivation festhalten. Vertrauensbildung und Stärkung der Selbstachtung des Strafgefangenen sind indessen für seine erfolgreiche Verhaltensänderung erforderlich. Ein personaler, sozialer und juristischer Degradierungsprozeß hat das Selbstwertgefühl des Rechtsbrechers zerstört. Er hat Herabwürdigung, Schimpf und Schande erfahren müssen. Niedrige Selbstachtung ist freilich ein Hauptfaktor bei der Verursachung der Vergewaltigung. Um das Verhalten von Menschen zu ändern, müssen sie sich für fähig halten, ihr Verhalten umzuformen. Hierfür ist es notwendig, das Selbstwertgefühl des Täters zu stärken und sein Vertrauen zu gewinnen. Vertrauen muß allerdings nicht nur in den ersten Phasen der Behandlung hergestellt, sondern in allen Abschnitten

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Vergewaltigung

des Behandlungs- und Erhaltungsprozesses aufrechterhalten werden. Durch seine nichtbewertende Art des Umgangs mit dem Straftäter vermittelt der Therapeut ihm das Gefühl der Akzeptanz und die Botschaft, daß er nicht minderwertig ist, weil er sich kriminell verhalten hat (Barry M. Maletzky 1991, 145). Vergewaltiger haben nicht nur sexuelle, sondern eine Fülle nichtsexueller Probleme. Ihre Phantasien sind nicht einfach Vergewaltigungs-Phantasien, sondern sie befassen sich auch mit Gegenständen der Macht und Kontrolle und drücken Aggression und einen Wunsch nach Demütigung und Erniedrigung aus. Vergewaltigungstäter glauben an kognitive Verzerrungen und Verdrehungen (Neutralisationstechniken, Stereotype), die sexuell aggressives Verhalten rechtfertigen. Ihre affektive Kontrolle ist mangelhaft. Affektive Zustände, z. B. Ärger, Feindseligkeit, werden bei ihnen so zwingend, daß sie Hemmungen, z. B. Schuldgefühle, moralische Überzeugungen, Angst, überwinden. Vergewaltiger haben unzureichende soziale Fähigkeiten. Sie haben Kontaktprobleme (Interaktionsstörungen) mit Frauen. Sie haben kein Einfühlungsvermögen in ihre weiblichen Opfer. Ihr niedriges Selbstwertgefühl und ihre männliche Unzulänglichkeit versuchen sie, durch Hypermaskulinität zu kompensieren (Gordon C. Nagayama Hall, Richard Hirschman 1991). Ihre Behandlung muß deshalb multidimensional ansetzen. Folgende Behandlungsformen sollen als Beispiele genannt werden. Organische Behandlung schließt die Neurochirurgie, die Kastration und die Medikation mit Antiandrogenen in sich. Diese Behandlungsform geht von der (falschen) Annahme aus, daß sexuelle Devianz eine Funktion eines überstarken Sexual-'Triebs" ist. Vergewaltigungstäter begehen ihre Delikte aus noch überwiegend anderen Motiven als nur ihrem Wunsch nach sexueller Befriedigung. Sexualität ist nicht nur ein körperliches, sondern ein geistig-seelisches, zwischenmenschliches Problem. Triebdämpfung reicht deshalb notwendigerweise allein nicht zur Rückfallverhinderung aus (Derek Perkins 1991, 164/165). Legalisierte Kastration ist vielmehr eine ideologisch begründete Strafe, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt (Ronald Blackburn 1993, 370). In den meisten westlichen Ländern bestehen deshalb gegen die Kastration als „Behandlung" ethische Einwände. Hormonale und Antiandrogen-Behandlung werden als „Ergänzungstherapie" bisweilen für erfolgreich gehalten (John M. W. Bradford 1993, 1990). Psychotherapie wird meist in Form der Gruppentherapie durchgeführt. Ihre Grundlage ist die psychodynamische Theorie, die voraussetzt, daß die Vergewaltigung ein Symptom innerpsychischer Probleme ist und daß sie im wesentlichen auf frühkindliche Traumen zurückgeführt werden muß. Die Gruppe Gleichbetroffener wird hierbei als Mittel wechselseitiger psychischer und sozialer Unterstützung eingesetzt. Das Hauptziel der Psychotherapie besteht darin, die Ursachen der Straftaten der Grup-

penmitglieder aufzudecken und zu analysieren. Man geht davon aus, daß mit dieser Aufdeckung und Analyse die Einsicht in die eigenen innerpsychischen Probleme wächst, so daß die deviante sexuelle Erregung als Symptom verschwindet. Es ist zweifelhaft, ob der Vergewaltigungstäter mit der Einsicht in seine eigenen innerpsychischen Probleme von seinem Rückfall abläßt. Er kann die Erkenntnis seiner „unerledigten psychodynamischen Probleme" auch zur Rechtfertigung seiner Tat und zur Verleugnung seiner eigenen Verantwortlichkeit benutzen. Das gilt insbesondere für die eigene Viktimisierung des Täters, die er nicht selten wahrheitswidrig behauptet, um Beachtung zu bekommen und Sympathie zu erzielen. Die Vergewaltiger müssen sich mit ihrer eigenen Tat psychisch auseinandersetzen, sie müssen sich zu ihr bekennen und dürfen sie nicht als unvermeidbare Folge ihrer eigenen Viktimisierung sehen. Die kognitive Verhaltenstherapie ist die modernste und die am meisten angewandte Behandlungsform bei Vergewaltigungstätern. Sie ist ein mehrstufiger Verhaltens-Änderungs- und Erhaltungs-Prozeß, der sich aus drei verschiedenen Therapiearten zusammensetzt. Mit der Verhaltenstherapie versucht man, deviante sexuelle Vorlieben („Sexual Preference Hypothesis") auszulöschen und sozialadäquate Muster sexueller Erregung aufzubauen. Die kognitive Umstrukturierung zieht gedankliche Verzerrungen, vergewaltigungsunterstützende Stereotype und verfehlte Annahmen über Geschlechtsrollen, an denen der Vergewaltigungstäter festhalten möchte, in fester, aber unterstützender Weise in Zweifel. Neue sozialadäquate Denkmuster werden mit ihm eingeübt. Seine Selbstkontrolle und sein Umgang mit dem weiblichen Geschlecht werden verbessert. Verhaltenstherapie und kognitive Umstrukturierung sind darauf ausgerichtet, daß der Vergewaltigungstäter mit seinem kriminellen Verhalten aufhört. Ist dieser Behandlungserfolg erreicht, so muß in einem Erhaltungsprozeß dieser Erfolg gesichert und der Rückfall verhindert werden. Das Erlernen von Rückfallsverhütungs-Strategien und -Konzepten ist zu einem integrierten Bestandteil der kognitiven Verhaltenstherapie geworden. Bei der Rückfallverhütung („Relapse Prevention") wird dem Vergewaltigungstäter ein Problem-Lösungs-Ansatz nahegebracht. Man lehrt ihn, durch Selbstbeobachtung Rückfall-Vorboten (Warnzeichen) zu erkennen und Situationen mit hohem Risiko zu vermeiden, in denen er leicht rückfallig werden kann. Therapeut und Täter entwickeln zusammen Techniken, die verhindern, daß sich aus unerwarteten Fehltritten, z. B. devianten Sexualphantasien, Rückfälle entwickeln. Durch kognitive Umstrukturierung wird ein Fehltritt als ein Ausrutscher, als ein Versehen definiert und nicht als unwiderruflicher Verlust an Selbstkontrolle verstanden. Im folgenden werden die drei Therapiearten noch etwas näher beschrieben, aus denen sich die kognitive Verhaltenstherapie zusammensetzt.

Vergewaltigung Aversive Konditionierungstechniken haben bisher bei der Verhaltenstherapie die besten Ergebnisse erzielt (Barry M. Maletzky 1991,113). In Zukunft werden in zunehmendem Maße positive mit negativen Konditionierungsmethoden verbunden werden. Ein Beispiel bietet das Überblenden, das Aus- und Einblenden. Ein Vergewaltigungstäter bekommt eine deviante sexuelle Aktivität, z. B. einen sexuellen Angriff auf eine Frau, gezeigt, die dann nach und nach ausgeblendet und durch eine sozialadäquate Handlung, z. B. ein einverständliches Sexualverhalten, ersetzt wird, die man einblendet, um so lustvolle sexuelle Gefühle, die mit der devianten sexuellen Aktivität verbunden werden, mit der sozialadäquaten Sexualhandlung zu konditionieren. Bei der Aversionstherapie wird eine deviante sexuelle Stimulation in Dias, Bildern, Filmen und Geschichten mit aversiven Konsequenzen, z. B. ekelerregendem Geruch oder Geschmack, Elektroschock, gepaart (Vernon L. Quinsey, Christopher M. Earls 1990). Kognitive Umstrukturierungs-Techniken verfolgen das Ziel, gedankliche Verzerrungen und Verdrehungen, z. B. Vergewaltigungs- und Geschlechtsrollenstereotype, in Frage zu stellen und umzuformen, die es dem Vergewaltigungstäter bisher erlaubt haben, sein kriminelles Verhalten zu rechtfertigen und zu beschönigen. Der Straftäter wird über die Rolle informiert, die kognitive Verzerrungen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung kriminellen Verhaltens spielen. Er wird mit seinen eigenen gedanklichen Verzerrungen konfrontiert. Im Rahmen der kognitiven Umstrukturierung ist das Opfer-Einfühlungs-Training, speziell die Entwicklung des Mitgefühls des Taters für vergewaltigte Frauen (einschließlich der Täter-Opfer-Begegnung), von wesentlicher Bedeutung. 94% der 1.500 Behandlungsprogramme für Sexualstraftäter in den Vereinigten Staaten sehen die Entwicklung des Einfühlungsvermögens des Täters in das Opfer als zentralen Gesichtspunkt der Behandlung an (W. L. Marshall 1996, 173). Es wird dem Vergewaltiger klar gemacht, daß sein Opfer kein gesichtsloses, unpersönliches Symbol, sondern eine denkende, fühlende Person ist (William D. Pithers, Gary R. Martin, Georgia F. Cumming 1989, 296). In Gruppengesprächen mit Opferanwälten, -beratern oder Vergewaltigungsopfern selbst werden den Tätern die psychischen und sozialen Verletzungen veranschaulicht, die Vergewaltigungstäter ihren Opfern zufügen (William D. Murphy 1990; Mamie Ε. Rice, Terry C. Chaplin, Grant Τ. Harris, Joanne Coutts 1994). Die Rückfall-Verhütung („Relapse Prevention") ist ein Selbst-Steuerungs-Modell zur Erhaltung des therapeutischen Gewinns und zur Verbesserung der äußeren Überwachung des Vergewaltigungstäters (William D. Pithers 1990; William H. George, G. Alan Marlatt 1989). Seine Selbst-Steuerungs-Fähigkeiten werden entwickelt, um seine Verhaltensänderung aufrechtzuerhalten. Man stattet ihn mit Methoden aus, die es ihm erlauben, Risikosituationen zu

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erkennen und zu analysieren und Strategien zu entwickeln, solche Situationen entweder zu vermeiden oder mit ihnen fertig zu werden. Sein Rückfall-Prozeß besteht aus einer Rückfall-Ereignis-Kette: Zunächst fühlen sich die later „einsam" und „verwirrt". Ein innerer Drang, ein flüchtiger Gedanke oder ein Traum quälen sie, eine Vergewaltigung zu begehen. Sie können diesen emotionalen Zustand psychisch nicht verarbeiten. In der zweiten Phase führen sie Masturbations-Phantasien herbei, in denen sie sich durch die Vorstellung einer Vergewaltigung sexuell erregen. Im dritten Schritt gehen die Phantasien in verzerrte Gedanken über. Die Täter stellen sich häufig Rechtfertigungen für ihre Sexualstraftaten vor, die sie zu begehen gedenken. Verzerrte Gedanken schreiben potientiellen Opfern unzutreffende Eigenschaften zu. In der vierten Phase entwickeln sie einen Plan, wie ihr phantasiertes Verhalten in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann. Häufig kommt ihnen ein solcher Plan während ihrer Masturbations-Phantasien in den Sinn. Ein wesentliches Element ihres Vorhabens besteht darin, ihre Vergewaltigung so erscheinen zu lassen, als sei sie ohne Vorbedacht geschehen („geplante Impulsivität"). Im fünften und letzten Schritt des RückfallProzesses wird ihr Plan ausgeführt. Die Rückfall-Verhinderung ist ein kognitiver, individualisierter Therapie-Ansatz, der fünf Aufgaben verfolgt (William D. Pithers, Gary R. Martin, Georgia F. Cumming 1989; William D. Pithers, Georgia F. Cumming 1989): — Zunächst werden anfällig machende, beschleunigende und fortdauernde Risiko-Faktoren, frühe Vorläufer („Warnzeichen") des Rückfall-Prozesses mit dem Täter zusammen ermittelt. Er wird über die Ereignis-Abfolge seines Rückfall-Prozesses (Emotion, Phantasie, kognitive Verzerrung, Plan, Handlung) informiert. Es wird ihm gesagt, daß seine Behandlung sein deviantes Sexualverhalten ändern wird, daß aber gleichwohl in Zukunft — mindestens vorübergehend — seine Vergewaltigungs-Phantasien zurückkehren werden. — Als zweite Aufgabe werden mit ihm zusammen Bewältigungsstrategien erarbeitet, die in Risikosituationen benutzt werden können, um die Wahrscheinlichkeit seines Rückfalls zu mindern. Jeder Täter zeigt Einzelheiten auf, wie er jedem Risikofaktor begegnen wird, den er in seiner Verhaltensabfolge vor seiner Tatbegehung erkannt hat. Er muß sich Mittel und Wege einfallen lassen, wie er solche Risikosituation vermeiden wird. Er muß sich ferner einige Strategien ausdenken, wie er mit jedem Faktor fertig wird, sollte er unvermeidbar auftauchen. — Drittens werden Fehltritte, ζ. B. Vergewaltigungsgedanken, -gefühle und -phantasien, nicht als Zeichen absoluten Versagens, sondern als Gelegenheiten definiert, die die Selbststeuerung des Täters verbessern, indem er aus Irrtümern lernt.

552

Vergewaltigung

Man will auf diese Weise einer negativen Abstinenz-Verletzungs-Wirkung, einer Sich-selbst-erfüllenden Prophezeiung entgegenwirken. Ein Lapsus, ein Abgleiten in alte deviante sexuelle Denk- und Phantasie-Gewohnheiten, kann zum unumkehrbaren Verlust an Selbstkontrolle und zum Rückfall führen. Er kann aber auch eine wertvolle Lernerfahrung, ein Ubergangsstadium zur Verbesserung der Selbststeuerung des Täters sein und damit ein vereinzeltes Ereignis bleiben. — Als vierte Aufgabe werden Vergewaltigungstäter daran gewöhnt, ihre Ausrutscher als Irrtümer zu betrachten, die ihnen Gelegenheiten eröffnen, neue Bewältigungs-Fähigkeiten herauszubilden und ihre Selbstkontrolle zu verbessern. Wenn man Fehltritte als persönliches Versagen beurteilt, entwickelt man die Erwartungshaltung fortgesetzten ständigen Versagens, die in einer möglichen endgültigen Niederlage, dem Rückfall, endet. Wenn dagegen ein l a t e r einen Lapsus, ein Straucheln, eine Fehlleistung als ein erwartetes Ereignis, als Herausforderung betrachtet, das ihm die Gelegenheit eröffnet, neue Selbststeuerungs-Fähigkeiten durch die Analyse umkehrbarer Irrtümer (Versehen) herauszubilden, können Fehltritte, Vergewaltigungsgedanken und -phantasien, produktive Ergebnisse hervorbringen. — Fünftens werden mit dem Rechtsbrecher zusammen Interventionen entworfen, die ihn lehren, Fehltritte zu vermeiden und darauf hinzuwirken, daß sich aus Fehltritten keine Rückfälle entwikkeln. Dem Täter wird beigebracht, wie man eine Rückfall-Ereignis-Kette erkennt und unterbricht, damit sie nicht zum Rückfall führt (Janice K. Marques, David M. Day, Craig Nelson, Michael H. Miner 1989). Neben dem Selbst-Steuerungs-Ansatz zur Erhaltung des therapeutischen Gewinns besteht die Rückfall· Verhütung aus einer zweiten Dimension: aus der Schaffung eines ausgedehnten informellen Überwachungs-Netzwerks für eine erhebliche Zeit nach Abschluß der kognitiven Verhaltenstherapie und nach Entlassung aus dem Programm. Innere Selbststeuerung muß durch äußere Überwachung ergänzt werden. Die Therapeuten arbeiten mit vier oder fünf Personen (z. B. mit der Ehefrau, dem Arbeitgeber, mit Berufskollegen, mit Freunden, mit dem Bewährungshelfer) zusammen, die in regelmäßigem Kontakt mit dem Entlassenen stehen und die sein Verhalten ständig beobachten. Entdecken sie Rückfall-Vorläufer (Warnzeichen), so informieren sie die Therapeuten, die Nachbehandlungs-Interventionen veranlassen. Der Erfolg dieser Rückfallverhütungsüberwachung in den USA ist sehr ermutigend (W. L. Marshall, D. R. Laws, Η. Ε. Barbaree 1990, 392). Als letztes Beispiel für eine Behandlungsform wird kurz auf die Gruppentherapie jugendlicher Vergewaltigungstäter eingegangen. 20% aller Vergewaltigungen werden von Jugendlichen verübt (Howard E. Barbaree, Franca A. Cortoni 1993, 243). 53,6%

der Sexualstraftäter berichteten über den Beginn ihrer devianten sexuellen Interessen vor ihrem 18. Lebensjahr (Alison Stickrod Gray, William D. Pithers 1993, 290). Die Jugendlichen experimentieren mit ihrer sexuellen Gewaltanwendung. Wenn dieses Verhalten nicht unterbunden wird, entwickelt sich ein festetabliertes deviantes Verhaltensmuster (W. L. Marshall, D. R. Laws, Η. Ε. Barbaree 1990, 393). Das Argument, daß sexuelles Experimentieren zur normalen Jugendentwicklung gehört, darf nicht dazu dienen, gegenüber sexuellen Deviationen von Jugendlichen eine beschönigende, permissive Haltung einzunehmen. Nachdem sie selbst und ihre Eltern der Gruppentherapie (der kognitiven Verhaltenstherapie mit Rückfall-Verhütung) zugestimmt haben, müssen sie sich mit ihren Straftaten auseinandersetzen. Das muß in einer kontrollierten, unterstützenden Art und Weise geschehen. Auseinandersetzung darf nicht mit Erniedrigung, Demütigung und beleidigenden Angriffen verwechselt werden. Ein weiblicher und ein männlicher Therapeut treffen sich mit einer Gruppe von 7 bis 8 Jugendlichen. Die gelenkte, geleitete Gruppeninteraktion wird mit Respekt für jeden Teilnehmer und in strenger Vertraulichkeit durchgeführt. Demütigungen, Schreien und körperliche Angriffe sind nicht erlaubt (Judith V. Becker, Meg S. Kaplan 1993).

2. Rückfall

und

Prognose

Nach den bisherigen Forschungsergebnissen ist davon auszugehen, daß ein Vergewaltigungstäter nach mehrjährigem bloßen Freiheitsentzug ohne Behandlung die Strafanstalt ungebessert verläßt. Es ist aber auch kontrovers, ob eine Behandlung innerhalb oder außerhalb der Strafanstalt daran etwas ändert (Nancy A. Crowell, Ann W. Burgess 1996, 134/135). Die Behandlung nach dem medizinischen Krankheitsmodell muß als gescheitert gelten (Lita Furby, Mark R. Weinrott, Lyn Blackshaw 1989). Aber auch die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie mit Rückfall-Verhütung wird für Vergewaltigungstäter überwiegend skeptisch beurteilt (W. L. Marshall, Η. E. Barbaree 1990b, 382; W. L. Marshall, Robin Jones, Tony Ward, Peter Johnston, Η. E. Barbaree 1991, 480/481; Vernon L. Quinsey, Marnie E. Rice, Grant Τ. Harris 1995, 86; Gordon C. Nagayama Hall 1990, 232). Es muß freilich berücksichtigt werden, daß diese Behandlungsform noch nicht lange genug praktiziert wird und daß zuverlässige Evaluationsstudien erst in den nächsten Jahren veröffentlicht werden. Immerhin ist eine vorläufige Evaluationsstudie zu einem Behandlungsprogramm, das kognitive Verhaltenstherapie mit Rückfall-Verhütung verbunden hat, für Vergewaltigungstäter zu günstigen Ergebnissen gekommen (Janice K. Marques, David M. Day, Craig Nelson, Mary Ann West 1994): 9% der Vergewaltigungstäter der Behandlungsgruppe begingen — im Vergleich zu 28% der

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Vergewaltigung Vergewaltigungstäter der Kontrollgruppe - erneut ein Sexualdelikt. Rückfallzeitraum war durchschnittlich fünf Jahre nach ihrer Entlassung; Rückfallkriterium war die Wiederverhaftung. Die Vergewaltigungstäter der Behandlungsgruppe, die das Programm nicht erfolgreich zu beendigen vermochten („In-Programme Failures"), wurden zu hundert Prozent rückfallig. Es ist derzeit schwierig, eine einheitliche Rückfallrate für behandelte Vergewaltigungstäter anzugeben. Denn die Behandlungsform, ihre Anwendung, die Fähigkeiten der Therapeuten sowie die Rückfallzeiträume und -kriterien sind von Behandlungsprogramm zu Behandlungsprogramm höchst unterschiedlich. Außerdem wird meist keine Kontrollgruppe gebildet (Vernon L. Quinsey, Grant Τ. Harris, Marnie E. Rice, Martin L. Lalumiere 1993). Die Rückfallraten für Sexualstraftäter, insbesondere Vergewaltigungstäter, wurden in der älteren psychiatrisch orientierten Kriminologie als niedrig angegeben (Donald J. West 1983, 195/196; Benjamin Karpman 1954, 2 7 6 - 2 7 8 ) . Daran kann nicht mehr festgehalten werden. Denn das Dunkelfeld krimineller Karrieren ist bei Sexualstraftätern besonders hoch. Die niedrigen Rückfallraten der älteren Kriminologie sind darauf zurückzuführen, daß nur Rückfallkriterien des Hellfeldes, also der bekanntgewordenen Sexualkriminalität, berücksichtigt wurden. Vergewaltigungstäter gaben indessen an, daß sie zwei- bis fünfmal mehr Vergewaltigungen begingen, als polizeilich registriert worden sind (A. Nicholas Groth, Robert E. Longo, J . Bradley McFadin 1982). Obgleich der Vergewaltigungstäter mehrfach rückfallig wird, bleiben seine Rückfalltaten zum größten Teil unentdeckt im Dunkelfeld (Derek Perkins 1991, 173; William Η. George, G . Alan Marlatt 1989, 13). Denn die Vergewaltigung ist ein unterberichtetes, schlecht kontrolliertes Delikt. Vergewaltigungstäter müssen als rückfallgeneigte Rechtsbrecher angesehen werden. Chronische sexuelle Deviation ist nämlich ein robuster Hang, eine Neigung, die sich jahrelang eingelernt hat und die jeder Behandlung gegenüber resistent ist. Die Länge und der Grad der Behandlung des Vergewaltigungstäters sowie der Zeitpunkt seiner Entlassung und das Ausmaß und die Intensität seiner Überwachung nach seiner Entlassung aus dem Behandlungsprogramm werden nach seiner Gefährlichkeit und seinem Rückfallrisiko bestimmt, die aufgrund der klinischen oder statistischen Kriminalprognose festgestellt werden (-»Rückfall und Prognose (III, 3 8 - 9 3 ) , Kriminalprognose (IV, 273338)). Eine neuere Forschungsarbeit spricht sich für die Anwendung der statistischen Kriminalprognose aus (Vernon L. Quinsey, Marnie E. Rice, Grant Τ. Harries 1995). Die Ermittlung der Psychopathie und der Vorstrafenbelastung sowie die phallometrische Messung der devianten sexuellen Erregung sollen zur Prognose der Gefährlichkeit und des Rückfallrisikos wesentlich sein. Eine andere neuere Studie setzt mehr

auf eine Kombination zwischen statistischer und klinischer Prognose (Gordon C. Nagayama Hall 1990). Nach dieser Untersuchung sollen sexuelle Viktimisierung und Erfahrung, Domination als Motiv für Sexualstraftaten, deviante sexuelle Erregung (gemessen mit dem Penis-Plethysmograph), feindselige Einstellung gegenüber Frauen, Impulsivität, Mangel an Respekt vor gesellschaftlichen Normen, Defizite an sozialen Fähigkeiten und Tendenzen, unter dem Einfluß von Alkohol die Kontrolle zu verlieren, Prognosefaktoren sein, die in zuverlässiger Weise die Gefährlichkeit und die Rückfallneigung vorhersagen. Der Wert phallometrischer Messungen (der Verfahren zur Bestimmung der Penisreaktion, der konditionierten sexuellen Vorlieben) ist indessen bestenfalls zweifelhaft (W. L. Marshall 1996, 167) und die Diagnose Psychopathie ist viel zu unbestimmt, um die Zuverlässigkeit der Prognose zu gewährleisten (Ronald Blackburn 1988, 511). Nur eine ganzheitliche Kriminalprognose (Hans Joachim Schneider 1987, 320) kann Prognoseentscheidungen in zuverlässiger Weise tragen, die auf die Prozeßhaftigkeit krimineller Karrieren ebenso wie auf Opfergesichtspunkte und den Wandel gesellschaftlicher Rahmenbedingung Bedacht nehmen.

M o n o g r a p h i e n und

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Organisiertes Verbrechen

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SCHNEIDER

ORGANISIERTES VERBRECHEN Α. Einleitung Dieses Handwörterbuch hat auf das Organisierte Verbrechen besonderes Gewicht gelegt. Es hat es bereits in drei Artikeln aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet (siehe II, 279-284, III, 464-473 und 473-487). Es hat schon im Jahre 1975 festgestellt, daß das Organisierte Verbrechen zum bedeutsamen und schwierigen Problem unserer Zeit werden wird. So ist es eingetreten. Allerdings befassen sich nicht nur die Strafgesetzgebung und -anwendung und die kriminologische Forschung verstärkt mit diesem Fragenkreis. Zahllose Filme, Romane, FernsehTalkshows, Zeitungs- und Magazinberichte sowie Sachbücher erwecken die Gangster-Charaktere so anschaulich zum Leben, daß die Öffentlichkeit glaubt, es handele sich um Fakten. Das Problemund Gefährdungsbewußtsein der Öffentlichkeit, die im Jahre 1975 nicht vorhanden waren, haben sich seitdem durch die Fülle der phantasievollen, romantisierenden journalistischen Darstellungen nicht verbessert. Es mangelt an einer nüchternen, sachgerechten Information mit Ursachenanalyse, mit der sich freilich kein Geld machen und auf der sich keine journalistische Karriere aufbauen läßt. In den letzten Jahren hat die Kriminaljustiz durch die Gesetzgebung (siehe Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 1 S.Juli 1992, BGBl. I, 1302-1312, und Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.Oktober 1994, BGBl. I., 3186-3198) neue Instrumente zur Kontrolle des Organisierten Verbrechens erhalten. Der Fehler einer Individualisierung und Personalisierung des Organisierten Verbrechens, auf den schon 1975 hingewiesen worden ist, wurde bei dieser Gesetzgebung allerdings nicht vermieden. Verbrecherorganisationen können nur organisations-, nicht täterorientiert bekämpft werden. So sind die Hauptprobleme, die die Artikel vor mehr als zwanzig Jahren durchzogen, bis heute

erhalten geblieben. Die folgenden Ausführungen setzen die Erkenntnisse voraus, die in den drei genannten Artikeln vermittelt worden sind. Sie konzentrieren sich auf die Information über die kriminologische Forschung und die kriminalpolizeiliche Praxis der letzten zwanzig Jahre.

B. Internationale Verflechtung Das Organisierte Verbrechen zieht weltweit seine Netze. Das ist auch in Deutschland spürbar. Zwei Drittel aller Ermittlungsverfahren gegen Verbrecherbanden in Deutschland besitzen internationale Bezüge. Der Anteil ausländischer Tatverdächtiger ist im Bereich der Organisierten Kriminalität besonders hoch. Die Vereinten Nationen haben vom 21. bis 23. November 1994 in Neapel eine Welt-MinisterKonferenz über das Organisierte Verbrechen veranstaltet und in einer Resolution ihrer Vollversammlung am 23. Dezember 1994 (United Nations 1995a, 1995b) auf die Notwendigkeit internationaler Forschungen und weltweiter Anstrengungen zur Vorbeugung und Kontrolle des Organisierten Verbrechens aufmerksam gemacht. Sie haben deutlich werden lassen, daß die Organisierte Kriminalität ein globales Problem ist, das weder allein national zu erforschen noch lediglich national zu kontrollieren ist. Die moderne Entwicklung des Organisierten Verbrechens ist vielmehr durch die folgenden beiden Merkmale gekennzeichnet: - Nationale Verbrecherorganisationen werden in verstärktem Maße weltumspannend tätig. Die kriminellen Organisationen in Nordamerika und Westeuropa gleichen sich an (Cyrille Fijnaut 1990). Südamerikanische Drogenkartelle (Medellin, Cali) (Rensselaer W.Lee 1991), chinesische Triaden (Hongkong, Taiwan) (Ko-lin Chin 1990; U.S. Department of Justice 1987), vietnamesische Verbrechergruppen, japanische Yakuza (Osaka) (Hans-Dieter Schwind 1995, 476) und italienische Verbrecherorganisationen (Palermo, Neapel, Kalabrien) (Dick Hobbs 1994, 458) erweitern ihre illegalen Aktivitäten in vermehrtem Umfang auf Westeuropa und Nordamerika. Neuerdings wirken osteuropäische kriminelle Organisationen vermehrt nach Westeuropa und Nordamerika hinein. Das Organisierte Verbrechen in den Entwicklungsländern breitet sich immer mehr aus. - Die international kooperierenden Verbrecherbanden gehen zunehmend dazu über, ihre überstaatlichen Beziehungen zu nutzen, um legale politische Systeme anzugreifen, den globalen Finanz- und Wirtschaftsmarkt zu unterwandern und sich in die internationale politische Machtausübung einzumischen. Die Weltwährung, der USDollar, wird beispielsweise im Libanon und in Rußland in großem Umfang gefälscht (William McLucas, Patrick Leahy, Robert Rasor 1994). Mit dem

563

Organisiertes Verbrechen Falschgeld werden zwischenstaatliche Gewaltausübung und Kriege finanziert. Mit Nuklearmaterial wird international gehandelt.

Gruppen. In den verschiedenen Weltregionen, Ländern und Landesteilen besitzt es in der Wirklichkeit unterschiedliche Ausprägungen. Der Idealtyp ist nur modifiziert vorhanden.

C. Definition 1.

Konstrukt

Über die Definition des Organisierten Verbrechens hat man sich lange Zeit gestritten, weil die Experten keine einheitliche Erscheinungsform und Organisationsstruktur ausmachen konnten. Denn das Organisierte Verbrechen paßt seine vielfaltigen illegalen Aktivitäten dem Wandel der Wirtschafts- und Sozialstruktur einer Gesellschaft flexibel an und reagiert auf gesellschaftliche Kontrollmaßnahmen mit großer Beweglichkeit ausweichend. Eine Definition ist gleichwohl für die Strafverfolgungspraxis und für die kriminologische Wissenschaft notwendig. Denn man muß wissen, wonach man sucht, worauf und wie man reagieren muß und was man erforschen will. Die kriminalpolizeilichen und strafgerichtlichen Reaktionsinstrumentarien, die man bei der Aufklärung und Verfolgung traditioneller Kriminalität benutzt, versagen nämlich beim Organisierten Verbrechen völlig. Hier müssen andersartige Mittel angewandt werden. Eine ausformulierte nationale Definition des Organisierten Verbrechens zu erarbeiten, erscheint wegen ihrer mangelnden Flexibilität nicht sehr nützlich. Es ist vielmehr erfolgversprechender, zunächst ein Konstrukt und danach dynamisch zusammensetzbare Kriterien des Organisierten Verbrechens zu entwickeln, die auf seine unterschiedlichen Erscheinungsformen weltumspannend anwendbar sind. Hierbei hat sich der alte kriminologische Streit inzwischen erledigt, ob es das Organisierte Verbrechen überhaupt gibt oder ob es nicht vielmehr nur eine verbrecherische Methode ist. Im Organisierten Verbrechen sind nicht allein seine Aktivitäten, sondern auch seine Täter organisiert (Diego Gambetta 1993, 102). Seine Strukturen und Erscheinungsformen sind indessen weltweit höchst unterschiedlich. Das Konstrukt des „Organisierten Verbrechens" ist ein Idealtyp (Max Weber), eine Verallgemeinerung, die in reiner Form nicht vorkommt, die aber nichtsdestoweniger ein nützliches heuristisches Hilfsmittel zum Zweck der Analyse darstellt (Frank E.Hagan 1994, 4 4 3 - 4 9 6 ) . Die Probleme liegen sowohl im Begriff „Verbrechen" als auch im Begriff „Organisation". Denn es ist in der Realität schwierig, den Grad der Illegalität und der Legalität und das Ausmaß der Organisiertheit und der Organisierung festzustellen. Die Aktivitäten des Organisierten Verbrechens bilden ein Kontinuum; sie reichen von illegalen Handlungen über halblegale Tätigkeiten (Grauzone) bis hin zu legalen Leistungen. Die Organisation der Verbrechervereinigungen ist ein Spektrum: Es gibt gering-, halb- und hochorganisierte

2.

Kriterien

Aufgrund in- und ausländischer kriminologischer Forschungen werden im folgenden Kriterien herausgearbeitet, die für das Organisierte Verbrechen charakteristisch und eng sowie in dynamischer, sich wechselseitig beeinflussender Weise miteinander verbunden sind. Das Organisierte Verbrechen ist ein Prozeß, der innerhalb der gesellschaftlichen Entwicklung abläuft. Die Kriminologie spricht von der „sich organisierenden Kriminalität": Verbrechervereinigungen befinden sich stets im Auf- und im Abbau. Nach dem jeweiligen Stand des gesellschaftlichen Prozesses gibt es — neben vollentwickelten Verbrecherbanden — vorbereitende Vor- und auslaufende Nachformen krimineller Organisationen. Die Verbrechervereinigung ist ein Strukturierungs- und Lernprozeß, an dem nicht nur die kriminellen Gruppen teilnehmen. Auch die Gesellschaft und insbesondere die Kriminaljustiz stellen sich mit der Zeit auf das Organisierte Verbrechen ein. Da seine Taten und seine Täter organisiert sind, wird im folgenden zwischen Kriterien unterschieden, die sich auf die Organisation der Tat und auf die der Täter beziehen. Fünf Merkmale kennzeichnen die Aktivitäten der Organisierten Kriminalität (Michael D. Maitz 1994): -

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Die Verbrechensindustrie („Crime Industry") richtet ihre Handlungen nach der Bedürfnisstruktur der Gesellschaft aus, die ihrerseits in ihre Wirtschafts-, Sozial- und Legalstruktur eingebettet ist. Sie befriedigt die Bedürfnisse eines Teils der Bevölkerung nach illegalen Gütern und Dienstleistungen, die durch Gesetze verboten sind, die eine Minderheit der Gesellschaft nicht akzeptiert (Jay S. Albanese 1995b, 232). Deshalb besteht in der Bevölkerung eine Nachfrage nach solchen illegalen Gütern und Dienstleistungen, die das Organisierte Verbrechen anbietet. Es bestimmt seine kriminellen Aktivitäten nach den Gesichtspunkten des niedrigsten Entdekkungs- und Verurteilungsrisikos, des kärglichsten Aufwandes und der geringsten Kosten sowie des höchsten schnell- und leichterzielbaren Gewinns. Deshalb blüht es in den Gesellschaften, die extrem materiell orientiert sind und die wenig danach fragen, in welcher Weise — illegal oder legal — der materielle Gewinn erwirtschaftet worden ist. Zum Zwecke seiner Risikoverminderung wählt es Straftaten aus, die scheinbar kein Opfer haben, an denen das Opfer heimlich mitwirkt, bei denen es leicht eingeschüchtert werden kann oder bei denen das Opfer anonym bleibt. Beim Rausch-

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gifthandel ist beispielsweise ein Opfer nur schwer auszumachen. Beim verbotenen Glückspiel, bei der organisierten Prostitution, bei der Darlehnsgewährung zu Wucherzinsen und beim Pornographiehandel wirken die Opfer heimlich mit. Bei der Schutzgelderpressung sind sie für gewöhnlich leicht einzuschüchtern, so daß sie aus Furcht vor Repressalien keine Anzeige erstatten. Beim Handel mit unverzollten Zigaretten ist das Opfer (die staatliche Finanzverwaltung) unpersönlich und anonym, so daß die kriminelle Aktivität, von der Zigarettenkonsumenten profitieren, bei der Bevölkerung wenig Ablehnung findet. -

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Alle kriminellen Aktivitäten des Organisierten Verbrechens sind sorgfältig geplant. Sie werden systematisch, diszipliniert und koordiniert begangen. Verbrechergruppen verüben keine Straftaten wahllos und aufs Geratewohl. Alle Rechtsbrüche sind wohlüberlegt. Sie werden weder impulsiv noch im Affekt noch aus Sensationslust noch aus Freude am Verbrechen verübt. Ein eng miteinander verknüpftes Netz illegaler und legaler Aktivitäten strebt das Organisierte Verbrechen an, das auch und gerade auf den legalen Markt setzt, um ein „zweites Standbein" zu haben. Durch seine legalen Unternehmen will es seine illegalen Geschäfte tarnen und verschleiern; es will die wirtschaftliche „Grauzone" voll ausnutzen; es will gegenüber staatlichen Maßnahmen widerstandsfähig werden. Denn - nicht ohne Berechtigung — geht es davon aus, daß im Falle der Zerschlagung seiner kriminellen Organisation an seine legalen Betriebe staatlicherseits schwer heranzukommen ist. Deshalb kann es seine legalen Unternehmen dazu benutzen, zerschlagene kriminelle Organisationen wieder aufzubauen. Aus diesen Gründen ist es das Bestreben des Organisierten Verbrechens, möglichst große Mengen illegal erworbenen Bargeldes in legalen Geldinstituten zu waschen („Money Laundering") oder auf legalen Bankkonten zu verbergen, um sie bei günstiger Gelegenheit in legale Unternehmen zu investieren. Die Geldwäsche wird auch aus Sicherheitsgründen praktiziert. Denn die Verbrecherorganisation wird häufig durch die Zoll- und Steuerfahndung überführt.

Fünf Anzeichen charakterisieren die Tätergruppen (Dennis J. Kenney, James O. Finckenauer 1995, 3-7): -

Die kriminellen Vereinigungen haben sich zum Zwecke illegaler Dienstleistungen und der Herstellung, des Transports und der Verteilung illegaler Waren zusammengeschlossen. Sie bilden solidarische Interessengemeinschaften (Strukturen), deren Mitglieder wegen ihres Bestrebens nach gegenseitigem Nutzen und wechselseitiger Hilfe voneinander abhängig sind. Innerhalb jeder kriminellen Gruppe herrscht strategisches und taktisches Planen, rationales Handeln und Rollenver-

teilung (Arbeitsteilung) vor. Die Verbrecherbande ist mehr als nur ein Zusammenschluß einzelner Mitglieder. Sie hat eigene Gruppeninteressen. Sie ist auf Dauer angelegt und verfolgt ihre Ziele über eine Zeitspanne hinweg, die über die Lebenszeit einzelner Mitglieder hinausgeht und die den Wechsel in der Führung überdauert (Kontinuität) (Jay S. Albanese 1996, 2 - 5 ) . — Es handelt sich um Zusammenschlüsse von Berufsverbrechern, also von Personen, die aus ihrer kriminellen Tätigkeit auf Dauer ihren Lebensunterhalt bestreiten und die kriminelle Techniken, mitunter Spezialtechniken, meisterhaft beherrschen. Sie haben ausgeprägte kriminelle Karrieren hinter sich und kriminelle Selbstbilder und Wertvorstellungen sowie die Fähigkeit entwickelt, die Entdeckung ihrer Straftaten zu vermeiden und so dem Zugriff der Instanzen formeller Sozialkontrolle, z. B. der Kriminalpolizei, zu entgehen. — Die kriminellen Gruppen folgen subkulturellen Normen, „ungeschriebenen Gesetzbüchern" (Hugh D. Barlow 1996, 245/246). Eines der wichtigsten Ziele dieser subkulturellen Normen ist die mehr oder weniger ausgeprägte Einschränkung der sozialen Sichtbarkeit des Organisierten Verbrechens. Es wird eine „Ganovenehre-Atmosphäre" verbreitet. Jedes Mitglied schuldet dem Syndikat unbedingte Loyalität und Gehorsamkeit. Es ist keinem Mitglied erlaubt, in irgendeiner Angelegenheit die Polizei oder sonstige Amter zu informieren oder gar Schutz und Rat bei den Behörden zu suchen. Kein Mitglied darf Aufsehen bei den Behörden oder beim Publikum erregen. — Gewalt ist das letzte Mittel, um kriminelle Gruppennormen aufrechtzuerhalten. Meist versucht man, mit der Gewaltandrohung auszukommen, um möglichst wenig sozial sichtbar zu werden (Menachem Amir 1995). Gleichwohl sind Gewaltanwendung und hauptsächlich ihre ausgesprochene oder meist unausgesprochene Androhung wesentliche Bestandteile der kriminellen Gruppen. Gewalt wird sorgfaltig begrenzt und rationell eingesetzt, wenn es unbedingt notwendig erscheint. Denn ein Ubermaß an Gewalt, das ein Zeichen der Schwäche ist, fordert gesellschaftliche und staatliche Reaktionen heraus, die zum Zerfall der kriminellen Organisation führen können. Gewaltanwendung und -androhung werden als Mittel zur Kontrolle und zum Schutz sowohl gegen die Mitglieder der Gruppe, die ihre Verpflichtungen verletzen, als auch gegen Außenstehende angewandt, um die Gruppe zu schützen und ihre Macht zu vergrößern. Gewalt kann benutzt werden als direkte Kontrollmethode, um z. B. einen potentiellen Zeugen zum Schweigen zu bringen, oder als indirekte Kontrollmaßnahme, um jemanden für die Übertretung von Gruppennormen exemplarisch zu bestrafen und um potentielle Verletzer auf diese Weise abzuschrecken.

Organisiertes Verbrechen -

Beschützer, Berater und Förderer in Polizei, Justiz, Politik und Wirtschaft bilden einen Puffer um die kriminelle Gruppe herum (Geheimhaltung, Abschirmung, Infiltration) (Duncan Chappell 1986, 286). Ohne sie könnte das Organisierte Verbrechen nicht existieren. Sie benutzen den Einfluß und das Ansehen ihres Amtes und ihrer Stellung, um Mitglieder der kriminellen Gruppe vor wirkungsvoller Strafverfolgung zu schützen. Polizeibeamte versorgen die Verbrechervereinigung z. B. mit Informationen über geplante Strafverfolgungsmaßnahmen. Rechtsanwälte schüchtern Belastungszeugen ein, damit sie ihre Zeugenaussage ändern. Förderer in der Wirtschaft waschen illegale Gewinne in Banken, Spielkasinos und legalen Geschäften. Sie verbergen solche Gewinne auf ihren legalen Bankkonten. Öffentliche Funktionsträger werden vom Organisierten Verbrechen systematisch überredet, eingeschüchtert und bestochen. Die gesamte Bandbreite rechtsstaatlicher, liberaler Vorschriften wird voll ausgenutzt, um den Rechtsstaat zu unterminieren. Viele datenschutzrechtliche Bestimmungen kommen ihm gelegen.

D. Empirische Erforschung Es gibt Kriminologen, die behaupten, all unser Wissen über das Organisierte Verbrechen beruhe nur auf Spekulation. Eine solche Meinungsäußerung ist nicht unbedenklich, weil sie Einstellungen unterstützt, die von Vorbeugungs- und Kontrollmaßnahmen gegen das Organisierte Verbrechen völlig absehen wollen. Richtig ist, daß die empirisch-kriminologische Forschung über das Organisierte Verbrechen, die wissenschaftlichen Gütekriterien (z. B. Reliabilität und Validität) gerecht wird, kärglich erscheint und daß es auch theoretisch nicht sehr sorgfältig und zuverlässig genug durchdacht worden ist. Gründe für diesen unbefriedigenden Forschungsstand liegen darin, daß sich das Organisierte Verbrechen systematisch seiner kriminologischen Erforschung entzieht, weil es sich mehr davon verspricht, in sozialer Unsichtbarkeit zu wirken. Die romantischen Beschreibungen oder phantasievollen Desinformationen, mit denen clevere Journalisten ein unstillbares Unterhaltungs- und Sensationsinteresse des Publikums befriedigen, überwuchern die spärlichen empirisch-kriminologischen Forschungsergebnisse. Gewinn· und Karrierestreben, die sich mit der unterhaltsamen, übertriebenen Darstellung des Organisierten Verbrechens verwirklichen lassen, erschweren die kriminologische Klärung und eine nüchterne, sachgerechte Information. Wegen dürftiger, oberflächlicher Recherchen und wegen utopischer Ausmalung erweisen sich fast alle journalistischen Veröffentlichungen zum Zwecke wissenschaftlicher Quellenstudien als unbrauchbar. Verlautbarungen ehemaliger organisierter Verbrecher (z. B. Autobiogra-

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phien, Memoiren, Aussagen vor Parlaments- und Expertenausschüssen sowie vor Kriminalpolizei und Gericht) sind mit größter Vorsicht zu verwenden. Denn die Versuchung der Schönfärberei und der Rechtfertigung ist sehr groß, so daß am Wahrheitsgehalt solcher Informationen Zweifel angemeldet werden können. Das Organisierte Verbrechen hat man mit folgenden Methoden empirisch-kriminologisch zu erforschen gesucht: -

Man hat öffentliche und nichtöffentliche Anhörungen vor Parlamentsausschüssen und Expertenkommissionen sowie Regierungsberichte als Quellen benutzt (Estes Kefauver 1951; John L. McClellan 1962; President's Commission 1967; National Advisory Committee 1976; President's Commission 1986a, 1986b). Diese Quellen dürfen freilich nur mit äußerster Behutsamkeit verwandt werden. Denn aus politischer Rücksichtnahme wird häufig nicht die volle Wahrheit veröffentlicht. Falls die Kommissionssitzungen öffentlich sind und im Fernsehen übertragen werden, stellt man nicht selten die Fragen nach Publikumswirksamkeit und gibt man oft die Antworten nach gesellschaftlicher Erwünschtheit.

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Man hat Informationen auf indirektem Wege, unter Einschaltung der Kriminalpolizei, anderer öffentlicher Stellen und der Wirtschaft zu sammeln versucht. Man hat Kriminalbeamten mündlich und schriftlich befragt, die mit konkreten Ermittlungsvorgängen gegen das Organisierte Verbrechen befaßt waren (Donald R. Cressey 1969; Hans-Jürgen Kerner 1973; John A. Mack 1975; Erich Rebscher, Werner Vahlenkamp 1988). Man hat die Befragung auf Vertreter der Justiz, der Verwaltung, der Rechtsanwaltschaft und der Wirtschaft ausgedehnt (Ulrich Sieber, Marion Bogel 1993; Sieber 1995; Bogel 1994; Petrus C. van Duyne 1993). Man hat das Organisierte Verbrechen zusammen mit einer Spezialeinheit der Kriminalpolizei observiert (Hans Joachim Schneider 1973). Man hat Akten der Kriminalpolizei und des Gerichts, Nachschriften telefonischer und elektronischer Abhörmaßnahmen und Dokumente ausgewertet, die man bei polizeilichen Razzien beschlagnahmt hatte. Alle diese Forschungen erfassen nicht das Dunkelfeld des Organisierten Verbrechens, das sehr hoch ist. Sie sehen die Organisierte Kriminalität zudem unter dem Blickwinkel der Strafverfolgungsinteressen der Kriminaljustiz, deren Aufgabe die Ermittlung und Verurteilung konkreter Fälle und nicht die kriminologische Forschung ist.

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Man hat archivierte Polizeiberichte und Prozeßakten als Quellenmaterial herangezogen (Henner Hess 1993; Florike Egmond 1993; B. G. Martin 1996). Die historische Kriminologie kann wesentliche Forschungsergebnisse über das Organisierte Verbrechen zutage fördern, wenn es als Bestandteil eines sozialen Systems der Vergangenheit ge-

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sehen wird. Es ist allerdings nicht leicht, Schlüsse aus der Vergangenheit auf das Organisierte Verbrechen der Gegenwart zu ziehen. Da archivierte historische Dokumente ausgewertet werden, sind nur Aussagen über das Organisierte Verbrechen im Hellfeld möglich. - Man hat Feldstudien unternommen. Das kriminelle Netzwerk einer Großstadt wurde jahrelang beobachtet (John A. Gardiner 1970; William J. Chambliss 1978; Gary W. Potter 1994). Man versuchte, das Organisierte Verbrechen als Teil der Sozialstruktur einer Großstadt zu verstehen. Man besuchte Vergnügungsviertel und führte Gespräche mit Drogenhändlern, Zuhältern, Prostituierten, Spielern, Besitzern von Bars, Restaurants, Kabaretts und Bordellen. Man sprach mit Polizisten, Politikern, Staatsanwälten, Richtern, Geschäftsleuten und Gewerkschaftlern. Feldstudien über das Organisierte Verbrechen sind wertvolle empirische Erkenntnisquellen. Die Verhältnisse, die man in einer Großstadt gefunden hat, lassen sich allerdings nur schwer auf andere Großstädte übertragen. Man kann an der Verallgemeinerungsfähigkeit der Forschungsergebnisse Zweifel äußern. -

In zwei Untersuchungen wurde die Methode der teilnehmenden Beobachtung angewandt (Francis A. J. Ianni, Elizabeth Reuss-Ianni 1972; Patricia A. Adler 1985). Man studierte zwei Syndikate jahrelang „von innen", um ihre Struktur und Dynamik zu erkennen. Der Forscher und die Forscherin schlossen Freundschaft mit Mitgliedern der Subkultur; sie gewannen deren Vertrauen und nahmen während ihrer täglichen teilnehmenden Beobachtung eine „periphere Mitgliedschaftsrolle" ein. Zuverlässigkeit (Reliabilität) und Gültigkeit (Validität) ihrer Informationen sahen sie dadurch als gewährleistet an, daß sie die kriminellen Gruppen über längere Zeit unmittelbar beobachteten und daß sie zahlreiche Mitglieder und deren Freunde mehrfach über dieselben Vorgänge befragten.

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Schließlich wurden in zwei Untersuchungen mehrere Methoden miteinander verbunden. In der einen Studie (Anton Blok 1974) beobachtete man ein westsizilianisches Dorf zweieinhalb Jahre lang, um die Mafia in dieser dörflichen Gemeinschaft als „strukturierten Prozeß" zu erforschen. Mit Interviews versuchte man, die sozialen Beziehungen innerhalb des Dorfes zu erhellen. Anhand archivierter Dokumente wurden die sozialen Bezüge in der Vergangenheit aufgearbeitet. In der zweiten Studie (Peter Reuter 1983) hat man die illegale Buchmacherei („Bookmaking"), die geschäftsmäßige Vermittlung von Rennwetten, das illegale Spiel („Numbers Running") und die Gewährung von Darlehen zu Wucherzinsen („Loansharking") in den Jahren 1965 bis 1977 in New York City empirisch untersucht. Man hat vier Informanten beständig über zwei bis drei

Jahre befragt, die selbst keine bedeutenden Figuren im Organisierten Verbrechen waren, die aber alle persönliche Kontakte mit solchen Figuren hatten. Darüber hinaus hat man Dokumente ausgewertet, die bei Polizeirazzien beschlagnahmt worden waren, und Kriminalbeamte und Staatsanwälte um Stellungnahmen gebeten.

E. Aktivitäten Das Organisierte Verbrechen entfaltet eine Fülle krimineller Aktivitäten (Howard Abadinsky 1990, 267-347), die es flexibel an der illegalen Bedürfnislage im gesellschaftlichen Prozeß ausrichtet und von denen im folgenden nur einige wenige Beispiele genannt werden können. Durch die Öffnung der Grenzen im Osten der Bundesrepublik hat man für die international organisierte Kraftfahrzeugverschiebung neue Absatzmärkte in Osteuropa, speziell in Polen und Rußland, erschlossen (Stefan Rokicki 1992). Polnische Tätergruppen haben mit deutscher Beteiligung Beschaffungsorganisationen aufgebaut und Absatzwege gebahnt. Mit Spezialwerkzeugen ausgerüstete Berufsdiebe schaffen die gewünschten und bestellten Personenkraftwagen herbei, die von Kraftfahrzeughandwerkern mit Hilfe von Schrottfahrzeugen illegal umfrisiert werden. Die Formulare und Stempel für die Herstellung der falschen Kraftfahrzeugpapiere werden von Berufsdieben gestohlen. Berufsfälscher stellen die falschen Papiere her. Für den Transport benötigt man ein Netz von Kurieren. In den Bestimmungsländern werden die gestohlenen Fahrzeuge — vor allem hochwertige Mercedes, BMW oder Audi — durch ein Händlernetz im Gebrauchtwagenmarkt abgesetzt. Tatschwerpunkte sind u. a. Berlin und Hamburg. Für die Überführung wird der Landweg durch die ostdeutschen Länder oder durch die tschechische oder slowakische Republik sowie der Seeweg über Skandinavien gewählt (Dieter Küster 1991). Im Rauschgifthandel und -Schmuggel ist das Heroin in Europa bisher die größte Bedrohung geblieben. 75% aller Drogentoten haben Heroin konsumiert. Es wird aus den Ländern des „Goldenen Halbmondes" (Afghanistan, Pakistan, Indien) und aus dem „Goldenen Dreieck" (Thailand, Laos, Burma) auf dem Luftweg über afrikanische Länder oder auf dem Landweg über die Türkei und die Balkanroute oder über die Länder der Gemeinschaft unabhängiger Staaten nach Europa geschmuggelt. Seit Mitte der 80er Jahre hat das Kokain wachsende Bedeutung erlangt. Denn der nordamerikanische Rauschgiftmarkt ist gesättigt; die Bekämpfungsmaßnahmen in den USA sind zudem rigoros. In Europa lassen sich noch höhere Gewinne erzielen. Drehscheibe für den Schmuggel von Haschisch, Heroin und Kokain sind die Niederlande. Der Handel mit Heroin liegt hierbei in den Händen von Türken, der mit Kokain in den Händen von Kolumbianern. Spa-

Organisiertes Verbrechen nien und Portugal sind wichtige Durchgangsländer für den illegalen Kokainhandel von Südamerika nach Europa. Der schwer kontrollierbare Containerverkehr per Schiff spielt hier eine große Rolle. Kokain wird freilich auch per Luftfrachtsendungen geschmuggelt. Es wird schließlich drei- bis vierhundert Seemeilen vor der spanischen oder portugiesischen Küste von Seeschiffen auf Fischkutter umgeladen, die das Rauschgift - unbemerkt - an Land bringen, weil sie wegen ihrer großen Zahl unkontrollierbar sind (Hagen Saberschinsky 1991). Die kolumbianischen Kokainkartelle haben in den letzten Jahren allerdings auch ihre Verbindungen zur italienischen Mafia ausgebaut und auf dem japanischen Markt Fuß gefaßt (National Police Agency 1992, 24). In den USA ist das Organisierte Verbrechen maßgeblich an der illegalen Giftmüll-Beseitigung beteiligt (Donald J. Rebovich 1992, 5 9 - 7 6 ; Alan A. Block 1991; 79-115; Frank R. Scarpitti, Alan A. Block 1987); in Europa sind erste warnende Stimmen laut geworden (Wojciech Radecki 1992), die auf die Gefahr hinweisen, daß das Organisierte Verbrechen die Giftmüllindustrie in seine Hände bringen könnte. Ende der 70er Jahre machte der Staat die Entsorgung des Giftmülls von der Einhaltung von Mindeststandards und -Vorschriften abhängig. Abfalle, die Gifte enthalten, die explosionsgefährlich, selbstentzündlich oder gar radioaktiv sind, dürfen nicht außerhalb einer dafür zugelassenen Anlage und nicht unter Abweichung von einem vorgeschriebenen Verfahren gelagert werden. Aufgrund dieser staatlichen Entsorgungsvorschriften wurde einem Teil der Industrie in den USA die Ablagerung ihres Giftmülls zu teuer. Da der Staat seine Regelungen nicht wirksam kontrolliert, beauftragen einige Unternehmen illegale Giftmüll-Transport-Firmen mit der Entsorgung. Kommunalpolitiker werden bestochen. Die „Mitternachtsschuttablader" kippen den giftigen Sondermüll in Flußläufe, auf Felder, in Wälder und in die Kanalisation. Sie vergiften damit die Umwelt und gefährden die öffentliche Gesundheit. Illegale Giftmüll-Transportunternehmen und illegale Giftmüll-Deponien gehören - unmittelbar oder mittelbar - dem Organisierten Verbrechen. Großangelegter Versicherungsbetrug durch organisierte Brandstiftungen ist in den USA zum Betätigungsfeld des Organisierten Verbrechens geworden (James Brady 1983). Da hauptsächlich verlassene Gebäude in großstädtischen Slumbezirken betroffen sind, besteht die Möglichkeit, daß diese Aktivität des Organisierten Verbrechens - angesichts verfallener Bausubstanz in zentralen deutschen Großstadtbezirken, besonders in den neuen Bundesländern, - auf Europa übergreift. In Boston, wo über ein Dutzend Brandstiftersyndikate tätig sind, wurde z. B. ein Brandstifterring mit 32 Mitgliedern - darunter Makler, Versicherungsmanager, Bankangestellte und leitende Feuerwehrleute - angeklagt und verurteilt. Er hatte seine Brandstiftungen auf Großstadtbezirke konzentriert, in denen arme Leute aus den farbigen

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Minderheiten leben. Die Banken verweigern den Menschen in diesen Gebieten ihre Kredite. Die Hauseigentümer lassen ihre Gebäude verfallen; viele Bewohner verlassen ihre Häuser. Kleinhändler müssen ihre Geschäfte schließen. Für Menschen mit kleinem oder mittlerem Einkommen entwickelt sich ein empfindlicher Wohnraummangel. Viele Hauseigentümer zahlen ihre Hypotheken nicht mehr zurück. Die Banken übernehmen die verfallenen Gebäude. Organisierte Verbrecher kaufen sie von den Banken, indem sie den Kaufpreis durch die Aufnahme einer Hypothek bei der Bank zahlen, die fast den vollen Kaufpreis ausmacht. Auf diese Weise erwerben sie eine Vielzahl von Gebäuden ohne große Investition von Eigenkapital. Sie nehmen so viele weitere Hypotheken auf, daß ihr Gesamtwert den Gebäudewert bei weitem übersteigt. Auf dem Hintergrund der überhöhten Bankhypotheken überversichern sie dann die verfallenen Gebäude. Sie beauftragen schließlich berufsmäßige Brandstifter, die überbelasteten und überversicherten Gebäude niederzubrennen, um die überhöhten Versicherungssummen zu kassieren. Durch diese Brandstiftungen entstehen nicht nur bedeutende Sachschäden, sondern in den Jahren 1981/82 wurden in Boston durch sie nicht weniger als sechzig Menschen getötet, meist Kinder und alte Menschen, die den Flammen nicht schnell genug entkommen konnten. Das Organisierte Verbrechen hat erkannt, daß man mit der Kinderpornographie und -prostitution sowie mit dem Sex-Tourismus äußerst gewinnbringende Geschäfte machen kann. Hintergrund dieser Erkenntnis ist die gesellschaftliche Entwicklung, die alle traditionellen sexuellen Tabus (z. B. vor- und außerehelichen Geschlechtsverkehr, Homosexualität, Prostitution) abzubauen trachtet. Aus einem der letzten Tabuthemen - Sexualität mit Kindern sind kriminelle Sex-Ringe bestrebt, Profit zu schlagen. Denn mit dem Verschwinden aller anderen sexuellen Verbote und Hemmnisse wird die Sexualität mit Kindern für immer mehr Menschen, hauptsächlich Männer, reizvoll und „amüsant". Es ist ein illegales Bedürfnis einer gesellschaftlichen Minderheit entstanden, das sich das Organisierte Verbrechen nunmehr zunutze macht. Denn das Dunkelfeld des verborgen gebliebenen sexuellen Mißbrauchs an Kindern ist groß. Von Personen mit pädophiler Neigung können die kriminellen Banden erwarten, daß sie mit ihnen zusammenarbeiten. Menschen im sozialen Nahraum der Pädophilen sind nur in geringem Maße bereit, Anzeige bei der Kriminalpolizei zu erstatten. Sexuelle Handlungen mit Kindern sind das Phänomen, um das herum Pädosexuelle im Laufe ihrer kriminellen Karriere ihr ganzes Leben ordnen. Es wird für sie zur wichtigsten Sache. Ganz gleich, wie groß ihre kinderpornographische Sammlung ist, sie wenden erhebliche finanzielle Mittel auf, um durch immer neue Fotografien, Filme, Magazine, Videokassetten und Dias mit kinderpornographischem Inhalt ihre Sammlung zu vergrößern. Für ihre sexuel-

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len Phantasien, für die Rechtfertigung ihrer pädophilen Bestrebungen vor sich selbst und für ihr Gruppengefühl der Kameraderie mit anderen Pädosexuellen ist die ständige Erneuerung des Materials lebenswichtig, das ihnen Verbrecherorganisationen zur Verfügung stellen (Peter Schnieders, Monika Lenzen 1995). Je perverser die Darstellungen sind (Sexualität zwischen Kindern, zwischen Erwachsenen und Kindern, zwischen Kindern und Tieren), desto höhere Preise werden gezahlt. Der sexuelle Mißbrauch an Kindern organisiert sich in Sex-Zirkeln („Sex-Rings"), in gering-, halb- und hochorganisierten Gruppen. An diesen Organisationen sind neben den pädophilen Tätern und den kindlichen Opfern Händler und Förderer beteiligt (Daniel S. Campagna, Donald L. Poffenberger 1988). Die professionellen Händler, kühl kalkulierende, skrupellose Geschäftsleute ohne perverse Neigungen, vertreiben kinderpornographische Magazine, Bilder und Filme im Versandhandel über ausländische Briefkastenfirmen und über Chiffre-Anzeigen in Tageszeitungen und Magazinen. Sie bauen einen Kundenstamm, ein Sammler- und Abnehmernetz auf. Sie veranstalten Reisen in Länder mit hoher Kinderprostitution: nach Thailand, nach den Philippinen, nach Brasilien und nach Osteuropa. Die Förderer rekrutieren Kinder: durch Kinder, die bereits im Sex-Ring tätig sind, durch ihre Eltern und Pflegeeltern, die ihre Kinder verkaufen, oder in seltenen Fällen (Vermeidung der sozialen Sichtbarkeit!) durch Entführungen. Sie finanzieren Foto- und Filmstudios und Foto- und Filmlaboratorien. Sie vervielfältigen Bilder, Filme und Videokassetten in großem Stil. Kriminalbeamte und Politiker mit pädophilen Neigungen schützen die Sex-Ringe vor wirksamer Strafverfolgung. Die psychischen Schäden (z. B. Angst-, Schuld- und Schamgefühle, Depressionen, Opferneigung) der kindlichen Opfer sind den Tätern und ihren Organisatoren gleichgültig.

F. Das Organisierte Verbrechen in drei Industrieländern 1. Organisiertes Verbrechen in den USA Die Verbrechervereinigungen entwickelten sich in den USA im 18. und 19. Jahrhundert. In den entstehenden großstädtischen Zentren bestand ein enormer Bedarf nach illegalen G ü t e r n und Diensten, nach Alkohol, illegalem Spiel und nach Prostitution. D a die Neueinwanderer in den Großstadtgettos in Armut lebten und die Verwaltung der Großstädte dieser Armut gegenüber gleichgültig sowie korrupt war, sahen viele im Organisierten Verbrechen den einzigen Ausweg, u m dem Elend und der Machtlosigkeit der Slums zu entgehen. Auf der einen Seite machten - unter starkem puritanischen Einfluß strenge moralische Gesetze die Inanspruchnahme vieler Güter und Dienste für die Öffentlichkeit ille-

gal. Auf der anderen Seite fühlten sich viele Einwanderer dem puritanischen Geist nicht verpflichtet. D a s Eigentum an materiellen Dingen wurde ein legitimes Symbol f ü r Erfolg und Ansehen, die man Neuankömmlingen verweigerte. Iren, osteuropäische Juden, Italiener, Sizilianer, Chinesen, Kubaner, Puertoricaner und Afrikaner beteiligten sich in gleicher Weise am Organisierten Verbrechen. Eine besondere Rolle spielten allerdings die Süditaliener, obgleich m a n nicht behaupten kann, d a ß das Organisierte Verbrechen aus Sizilien in die U S A importiert worden ist. Gleichwohl übernahmen die italienischen Einwanderer mit der Zeit im Organisierten Verbrechen eine beherrschende Position. Sie brachten ihre sizilianischen Wertvorstellungen und Traditionen in die U S A mit. Ihr „kulturelles Erbe" half ihnen, die erste Not der Einwanderung zu überstehen. Die schwache staatliche Verwaltung Siziliens machte es notwendig, sich privaten Schutz und private Sicherheit zu erkaufen. In den U S A fanden die Italiener im 18. und 19. Jahrhundert ähnliche politische Verhältnisse vor. Durch die starken ethnischen Bindungen der Italiener entstanden symbiotische Beziehungen zwischen Politik und Polizei auf der einen Seite und dem Organisierten Verbrechen auf der anderen Seite. Die Prohibition (1920 bis 1933), die den Import, die Herstellung und den Verkauf alkoholischer Getränke verbot, schaffte geradezu ideale gesellschaftliche Bedingungen für die Ausbreitung und die Erstarkung des Organisierten Verbrechens in den USA. Die kriminellen Syndikate wuchsen zu großen Organisationen, weil sich die staatliche Seite mit dem Alkoholverbot übernommen hatte. Sie war nämlich nicht in der Lage, dieses Verbot wirksam durchzusetzen. Nach dem Ende der Prohibition (1933) wandten sich die erstarkten überregionalen und regionalen kriminellen Organisationen neuen Aktivitäten zu. Heute sind viele ethnische G r u p p e n im Organisierten Verbrechen der U S A tätig (President's Commission 1986a, 75—128): Chinesen, Schwarze, Mexikaner, Italiener, Vietnamesen, Japaner, Kubaner, Kolumbianer, Iren, Russen und Kanadier. Sie betätigen sich im illegalen Spiel, bei der Darlehnsgewährung zu Wucherzinsen, im Import, G r o ß - und Einzelhandel von Rauschmitteln, insbesondere im Heroin· und Kokainhandel, im Schmuggel unverzollten Alkohols und unverzollter Zigaretten, im Pornographiehandel, beim Diebstahl von Kreditkarten und Reiseschecks und in der organisierten Prostitution. Verbrecherbanden lassen Bankeinbrüche, Autodiebstähle und -Verschiebungen sowie Entführungen von Lastkraftwagen mit wertvollen Waren, z. B. Fernsehapparaten und Pelzmänteln, durchführen. Sie beauftragen Berufskriminelle mit dem R a u b von Juwelen. Sie lassen Wertpapiere, Aktien, Pfandbriefe, Schuldverschreibungen aus Maklergeschäften, Banken und bei der Post stehlen und verwerten die Wertpapiere dann mit Hilfe ihrer internationalen Beziehungen. Sie haben schließlich die Gewerkschaften

Organisiertes Verbrechen unterwandert (President's Commission 1986b, 9), um Wirtschaftsunternehmen mit Streiks unter Druck zu setzen. Die Betriebe, insbesondere Transport- und Bauunternehmen, zahlen dem Organisierten Verbrechen hohe Summen, um den Arbeitsfrieden aufrechtzuerhalten. Das heutige Organiserte Verbrechen in den USA kann man - wie folgt - charakterisieren: -

Es betätigt sich weitgehend in sozialer Unsichtbarkeit. Man kann von einer „heimlichen, weitgehend unsichtbaren Verbrecherindustrie" reden. - Es teilt sich in überregionale und regionale kriminelle Netzwerke. Die verbrecherischen Unternehmens· und Machtsyndikate sind flexibel; sie besitzen in der Regel keine rigide formelle, hierarchische Struktur. - Es hat die legale Wirtschaft, die Gewerkschaften und die Politik, besonders auf örtlicher und einzelstaatlicher Ebene, nicht unerheblich unterwandert (Piers Beirne, James Messerschmidt 1995, 272-282). - Die Öffentlichkeit besitzt kein sachgerechtes Problembewußtsein (Hugh D. Barlow 1996, 263/ 264). Viele Menschen haben nur eine vage Idee über das Organisierte Verbrechen. Das Mysterium, mit dem Hollywood das Organisierte Verbrechen umgibt, verleiht ihm Charme und Anziehungskraft.

2. Organisiertes

Verbrechen in Japan

Die Verbrechervereinigungen haben in Japan eine jahrhundertelange Tradition. Die Yakuza, die japanischen organisierten Verbrecher, führen ihren historischen Ursprung auf das „edle Banditentum" während der Shogunatszeit im 17. Jahrhundert zurück (Koichi Miyazawa 1993, 155). Sie füllten traditionsgemäß und füllen teilweise auch gegenwärtig noch staatliche Organisationslücken aus. Sie schätzen sich selbst als Kämpfer im Sinne der Samuraimoral ein, die für Recht und Ordnung sorgen. Sie verstehen sich als „staatsfreie Ordnungsgewalt", bekennen sich zur ursprünglichen japanischen Volksreligion, dem Shintoismus, und wissen sich konservativen Politikern ideologisch verbunden. Ende 1994 gab es in Japan über 3.000 Verbrecherorganisationen mit etwa 81.000 Mitgliedern (National Police Agency 1996, 93). Von 307.965 festgenommenen Personen waren im Jahre 1994 12.922 organisierte Verbrecher. Das sind 4,2% der Festgenommenen, während der Anteil der Yakuza an der Gesamtbevölkerung 0,1% beträgt. In japanischen Strafanstalten sind etwa 29,8% der Insassen Mitglieder des Organisierten Verbrechens, die überdurchschnittlich viele Kapital- und Gewaltverbrechen begehen. Die Aktivitäten des Organisierten Verbrechens in Japan sind vollständig der gesellschaftlichen Struktur nach illegalen Gütern und Dienstleistungen angepaßt: Die Yakuza betätigen sich im Handel mit

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Stimulanzien, im illegalen Glückspiel, in der Schutzgelderpressung, in der Zuhälterei, im Waffenhandel und in der gewaltsamen Schuldeneintreibung. Bei unzureichender Beweislage in Zivilprozessen werden „Beweishilfen" geleistet, oder Zeugen werden eingeschüchtert. Viele Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften fühlen sich durch öffentliche Aktionärsversammlungen bedroht. Die Unternehmen verpflichten organisierte Verbrecher, die die Aufgabe haben, die Aktionäre unter Druck zu setzen, damit sie keine unangenehmen Fragen stellen und keine kritischen Bemerkungen machen. Die Yakuza handeln mit Prostituierten. Sie bringen sie unter falschen Versprechungen aus Thailand, den Philippinen, Vietnam, Taiwan und Korea nach Japan. Bei Grundstückskäufen, bei Geschäftseröffnungen, sogar bei Autokäufen fordern die Yakuza ihren Anteil. Sie sind in das Transportgewerbe, vor allem in den Häfen, eingedrungen. Grundstücksmakler und zahlreiche Banken zahlen Geldbeträge an die Yakuza, die Spenden und Schweigegelder erzwingen. Etliche Banken sind auch an der Geldwäscherei beteiligt. Die Yakuza sind fest in die japanische Gesellschaft eingebettet, die sie weitgehend akzeptiert. Sie haben traditionell ein gutes Ansehen als Schützer der Armen und Rächer der Entrechteten. Der normale Bürger fühlt sich durch die Yakuza nicht belästigt. Denn in seinen Augen sind illegales Glückspiel, Drogenhandel, Prostitution und Schutzgelderpressungen in Rotlichtbezirken Aktivitäten, die ihn nichts angehen. Auch mit Erpressungen von Vorständen der Aktiengesellschaften hat er - so meint er — nichts zu tun. Nur knapp 10% der japanischen Bevölkerung erleben die Yakuza als störend (Hans-Heiner Kühne, Koichi Miyazawa 1991, 189). Die japanischen Massenmedien stellen das Organisierte Verbrechen in romantischer Weise dar. Deshalb sind 80% der Bürger der Ansicht, die Yakuza stünden außerhalb der Gesellschaft, sie seien Feinde der Gesellschaft, die ihr die Kriminalität von außen antun. Die Bevölkerung erkennt nicht, daß die gesellschaftliche Bedürfnislage die illegalen Aktivitäten und die Kriminalität der Verbrecherbanden verursacht. Selbst wenn nur gesellschaftliche Minderheiten die illegalen Güter und Dienste in Anspruch nehmen, so ist deren illegale Nachfrage gleichwohl gesellschaftlich bedingt. Die japanischen Verbrecherorganisationen werden durch die Bedürfnisstruktur der japanischen Gesellschaft am Leben gehalten. Periodisch unternimmt die japanische Polizei intensive Medien- und Public-Relations-Kampagnen, die die Bürger über die materiellen und immateriellen Schäden des illegalen Glückspiels, der Prostitution und des Drogenmißbrauchs aufzuklären suchen (Frank F. Y. Huang, Michael S. Vaughn 1992, 47). Diese Informationskampagnen haben sich aber als ziemlich wirkungslos erwiesen. Obgleich die Polizei hin und wieder gegen das Organisierte Verbrechen scharf vorgeht, weil es zu mächtig zu werden droht und weil es Aktivitäten unternimmt, die nicht gedul-

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Organisiertes Verbrechen

det werden können, z. B. Drogen- und Waffenschmuggel und Verletzung unbeteiligter Bürger, ist es ihr bisher nicht gelungen, die Verbrecherorganisationen aufzulösen. Denn sie spielen in der japanischen Gesellschaft eine funktionale Rolle. Die Öffentlichkeit und die Polizei dulden die kriminellen Aktivitäten, solange keine kulturellen Tabus verletzt werden. Das heutige Organisierte Verbrechen in Japan kann folgendermaßen gekennzeichnet werden: -

Es besitzt militaristische, hierarchische Strukturen, die sich auf mehrere Führungsebenen erstrekken. Für die sozial Chancenlosen ist es eine willkommene Karrieremöglichkeit. - Es nennt ungeschriebene Verhaltensgesetze sein eigen. Seine Mitglieder sind zu Loyalität, Solidarität, Geheimhaltung und unbedingter Gehorsamkeit verpflichtet. Im Gegensatz zum Organisierten Verbrechen der USA ist seine soziale Sichtbarkeit aber nicht so stark eingeschränkt (Hiroaki Iwai 1986, 209). - Zwischen der japanischen Gesellschaft und ihrer Polizei auf der einen Seite und dem japanischen Organisierten Verbrechen auf der anderen Seite bestehen symbiotische Beziehungen. Im Unterschied zum Organisierten Verbrechen der USA folgen die Yakuza freilich einer politischen Ideologie, die sich traditionell japanischen Werten wie Nationalstolz und Kaisertreue verpflichtet fühlt. - Über die Yakuza herrscht in der japanischen Gesellschaft ein Robin-Hood Mythos, der aufgrund der Massenmediendarstellung ständig erneuert und aufrechterhalten wird. Er bestärkt die Bevölkerung und die organisierten Verbrecher selbst (Neutralisationsmechanismus) in ihrer Auffassung, daß das Organisierte Verbrechen in der japanischen Gesellschaft eine Aufgabe erfüllt.

3. Organisiertes

Verbrechen in

vermochte sich in Deutschland bis in die 60er Jahre unseres Jahrhunderts keine Organisierte Kriminalität zu bilden. Unter nordamerikanischem Einfluß, aber nicht als alleiniger Import aus dem Ausland entwickelte sich das Problem in den 70er und 80er Jahren auf der Grundlage der deutschen Sozialstruktur (Hans Joachim Schneider 1983). In dieser Zeit haben sich in der Bundesrepublik, insbesondere in ihren Ballungsgebieten, flexible deutsche Straftäterverflechtungen (dynamisch funktionierende Beziehungsgeflechte) mit lockerer, wechselnder Struktur gebildet (Erich Rebscher, Werner Vahlenkamp 1988). Sie werden ergänzt durch eigenständige ausländische Gruppierungen mit einer mehr oder weniger festen hierarchisch-personellen Struktur, die vom Ausland, neuerdings insbesondere von Rußland und anderen osteuropäischen Ländern, in die Bundesrepublik hineinwirken. Die kriminellen Vereinigungen bilden solidarische Interessengemeinschaften, die hauptsächlich aufgrund gemeinsamer Interessenlage und aufgrund wechselseitigen Nutzens zusammengehalten werden. Sie werden von dominierenden, zentralen Personen mit lockerem Führungsstil geleitet, die von einem Stab von Beratern unterstützt werden. Die Führungspersonen wählen aus einem „Straftäterpool" (einem Reservoir ausführender Rechtsbrecher) Straftäter mit speziellem Tater-"know-how" für bestimmte von ihnen geplante „kriminelle Projekte" aus. Sie stellen sie - den Besonderheiten der kriminellen Projekte entsprechend - in flexiblen, ständig fluktuierenden Gruppen und in immer neuen Konstellationen zusammen. Zwischen Führungs-, Ausführungs- und Beratungsebenen sind Kommunikationsebenen, Isolierschichten, Pufferzonen geschaltet. Finanzkraft und kriminell nutzbare Verbindungen („Connections") sind die Machtbasis der Führungspersonen (Hintermänner). Marktwirtschaftliche Überlegungen und Sicherheitsinteressen bestimmen die Delikts- und Opferauswahl.

Deutschland

Ob die Räuberbanden des frühen Mittelalters Vorläufer des Organisierten Verbrechens im heutigen Sinne waren (-• Verbrechertum, Organisiertes III, 406), kann mit Recht bestritten werden. Es handelte sich wohl eher um unstrukturierte Haufen, Rotten, Meuten und Horden, die mit ihren wahllosen Überfallen zur Landplage wurden (B. Becker 1804). Die Unterweltvereine, die sich auch „Ringvereine" nannten und die sich in deutschen Groß- und Mittelstädten seit den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts bis zum Anfang der dreißiger Jahre bildeten, können ebenfalls nicht als Organisiertes Verbrechen angesehen werden. Denn sie dienten in erster Linie einem Bedürfnis nach Geselligkeit (-• Organisiertes Verbrechertum II, 283) und weniger der Organisierung illegaler Aktivitäten. Wegen der übermäßigen staatlichen Präsenz, wegen der Homogenität der Sozialstruktur und - nicht zuletzt - wegen der Unbestechlichkeit des deutschen Beamtentums

Das Organisierte Verbrechen befaßt sich in der Bundesrepublik mit dem Rauschgift- und Waffenhandel, mit der Falschgeldherstellung und dem Falschgeldvertrieb, mit der Schutzgelderpressung, mit dem illegalen Glückspiel, der Prostitution und Zuhälterei sowie mit dem Menschenhandel. Asylbewerber und Personen für den illegalen Arbeitsmarkt werden in die Bundesrepublik eingeschleust. Hochwertige Kraftfahrzeuge werden systematisch gestohlen und ins Ausland verschoben. Verbrecherorganisationen führen Einbruchsdiebstähle mit zentraler Beuteverwertung und Diebstähle von Antiquitäten, Kunst- und Kulturgütern durch. Kreditkarten werden mißbraucht, mit nuklearem Material wird gehandelt, und der Giftmüll wird illegal beseitigt. Bis zum Jahr 2000 wird der Anteil der Organisierten Kriminalität am Gesamtverbrechensaufkommen auf 37% steigen (Uwe Dörmann, Karl-Friedrich Koch, Hedwig Risch, Werner Vahlenkamp 1990). Das Organisierte Verbrechen wird sich nicht nur ver-

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Organisiertes Verbrechen mehren. Es wird auch seine Deliktsplanung, -Vorbereitung und -begehung erheblich qualitativ steigern. Polizei, Justiz, Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Finanzbehörden werden in zunehmender Weise vom Organisierten Verbrechen infiltriert und korrumpiert (Hans-Ludwig Zachert 1995, 292). Die strukturell lockeren und flexiblen Taterverbindungen werden sich verfestigen und bis zum Jahr 2000 ihre Strukturen straffen. Osteuropäische Tätergruppierungen werden in wachsendem Maße Einfluß in Westeuropa erlangen. Die demographische Entwicklung ist für das Organisierte Verbrechen günstig: Die Ausländeranteile an der Bevölkerung werden zunehmen, und die Gesellschaft der Bundesrepublik wird verstärkt ethnisch heterogen werden. Die zentrale Lage der Bundesrepublik in Europa wirkt anziehend auf die kriminellen Banden. Auf bundesrepublikanischem Gebiet liegen Knotenpunkte für den Straßen-, Schienen- und Luftverkehr. Eine für die Syndikate günstige Basis stellt die Verwilderung der politischen und der Geschäfts-Moral im öffentlichen und Wirtschafts-Leben der Bundesrepublik dar. Die Straftaten im Staats- und Wirtschaftsbereich haben zumeist kein unmittelbares Opfer. Hohe Schäden sind nicht direkt erkennbar. Schädigungen des Staates durch Steuerhinterziehung und Subventionserschleichung werden z. B. von großen Teilen der Bevölkerung und der Wirtschaft als Kavaliersdelikte angesehen. Mit der Zeit gewöhnt man sich an politische und wirtschaftliche Skandale. Für das Organisierte Verbrechen in der Bundesrepublik sind folgende Merkmale typisch: -

Die Verbrecherorganisationen befinden sich im Aufbau. Sowohl die deutschen wie die ausländischen Straftätervereinigungen werden sich stärker strukturieren und schlagkräftiger werden. Das Organisierte Verbrechen in Deutschland wird — wie sein Vorbild in den USA — in sozialer Unsichtbarkeit tätig. Allerdings ist die Russen-Mafia dreister; sie wendet gnadenlos Gewalt an. - Zwischen Polizei und Gesellschaft auf der einen und dem Organisierten Verbrechen auf der anderen Seite bestehen in Deutschland noch keine symbiotischen Beziehungen in einem Umfang wie in Japan und in den USA. Wirtschaft, Gewerkschaften, Politik und Justiz werden freilich in verstärktem Maße unterwandert und korrumpiert werden. — Der Grad der sozialen Desorganisation in den Ballungsgebieten der Bundesrepublik wird durch den Zuzug von Immigranten größer werden. Die Verwilderung der Geschäfts- und Politikmoral bildet einen günstigen Nährboden für das Organisierte Verbrechen. Es wird durch die herrschende Ideologie gefördert, nach der Besitz und Konsum die maßgeblichen gesellschaftlichen Leitwerte darstellen. Illegales Vorwärtsstreben wird in zunehmendem Maße geduldet. Im Geschäftsleben wächst die Rücksichtslosigkeit. — Unter Organisiertem Verbrechen kann sich der Bürger nichts Konkretes vorstellen. Das öffentli-

che Bewußtsein von der Bedrohung und das Gefahrdungsgefühl sind in der Bevölkerung unterentwickelt. Das ist insbesondere deshalb so, weil es an einer realitätsnahen Medienberichterstattung mit Ursachenanalyse mangelt. Die Medien behandeln das Organisierte Verbrechen wie eine exotische Erscheinung; sie stellen es fiktiv zum Zwecke der spannenden Unterhaltung dar.

G. Ursachen 1. Gesellschaftliche

Ursachen

Aufgrund ihrer empirischen Forschungen hat die Kriminologie zu den Ursachen des Organisierten Verbrechens sozialstrukturelle, subkulturelle und individuelle Theorien entwickelt. Folgende vier gesellschaftliche Theorien werden in der internationalen kriminologischen Diskussion vertreten (Michael D. Lyman, Gary W. Potter 1997, 59-92): -

Nach der Fremden-Verschwörungs-Theorie („Alien Conspiracy Theory") entsteht das Organisierte Verbrechen nicht aus gesellschaftlichen Bedingungen heraus; es wird der Gesellschaft vielmehr von außen angetan. Ausländer dringen in eine Gesellschaft ein, die gesetzestreu und sozialkonform ist, und gründen eine kriminelle Organisation. Die Fremden-Verschwörungs-Theorie überzeugt nicht (Dennis J. Kenney, James O. Finckenauer 1995, 32). Das Organisierte Verbrechen ist Teil des sozialen Systems, in dem es tätig wird. Seine Beziehungen zur Gesellschaft sind nicht parasitär, sondern symbiotisch (Michael Bersten 1990, 49). - Die Anomie-Theorie argumentiert folgendermaßen: Wenn die Kanäle der vertikalen Mobilität in einer Gesellschaft, die großen Wert auf wirtschaftlichen Wohlstand und soziales Fortkommen legt, geschlossen oder eingeengt sind, so ist das Organisierte Verbrechen der einzige beschreitbare Ausweg (Daniel Bell 1953). Es entsteht aus der Frustration und dem Ärger von Menschen, die legalen sozialen und finanziellen Erfolg nicht erzielen können, weil ihre legalen Wege zum Erfolg gesellschaftlich blockiert sind. Die Anomie-Theorie trägt mehr zur Rechtfertigung als zur Erklärung des Organisierten Verbrechens bei; sie hat sich bisher nicht empirisch nachweisen lassen. - Nach der kulturellen Übermittlungs-Theorie („Cultural Transmission Theory") wird Jugenddelinquenz in sozial desorganisierten Gebieten verursacht, die auch den Nährboden für eine spätere Verwicklung im Organisierten Verbrechen bilden. Die-Jugend nimmt die Werte der Gangster an, wenn sie keinen legalen Ausweg aus ihrer Misere sieht. Die Unterschichts-Nachbarschaften eröffnen Wege, auf illegale Weise erfolgreich zu sein. Das Organisierte Verbrechen ist ein solcher

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Organisiertes Verbrechen

Weg. Dieser Theorie kann nicht gefolgt werden, weil die Organisierte Kriminalität nicht nur ein Unterschichtsproblem ist. - Aufgrund der ethnischen Nachfolge-Theorie („Ethnic Succession Theory") (Francis A. J. Ianni 1974; James M. O'Kane 1992) benutzen verschiedene ethnische Einwanderergruppen das Organisierte Verbrechen zum Zwecke der vertikalen sozialen Mobilität. Da man ihnen die legalen Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg verweigert, sehen sie im Organisierten Verbrechen eine Chance, aus der Unterschicht in die Mittelschicht emporzukommen, um sich dann sozialkonform zu verhalten. Die Theorie hat sich nicht empirisch bestätigt. Denn die ethnischen Einwanderergruppen, die durch das Organisierte Verbrechen wirtschaftlich aufgestiegen sind, haben sich von ihren Verbrecherorganisationen nicht getrennt (Peter A. Lupsha 1981, 1983, 1986). Zu den alten ethnischen Einwanderergruppen sind neue hinzugekommen, so daß man von einer Vielfalt ethnischer Gruppen im Organisierten Verbrechen reden kann. Nach einer fünften gesellschaftlichen Theorie (Peter Reuter 1987, 1994), die im folgenden modifiziert und erweitert wird, entsteht das Organisierte Verbrechen, wenn in einer sozialen Lage fünf Komponenten zusammenkommen: -

-

Es entwickelt sich in einem gesellschaftlichen Interaktionsprozeß, der durch soziale Desorganisation, Zerstörung mitmenschlicher Beziehungen, charakterisiert ist (John Landesco 1929). Es verbreitet sich in einer Gesellschaft, in der der materielle Gewinn überbetont wird, in der indessen wenig darauf geachtet wird, ob er mit legalen Mitteln erreicht worden ist, und in der es weiterhin viele Zugänge zu illegalen Möglichkeiten und Gelegenheiten gibt (Howard Abadinsky 1990, 46, 47). Die Einstellung ist weit verbreitet: Nur Spießbürger arbeiten, nur sie nutzen die legale Gelegenheitsstruktur. Der moderne Mann und die moderne Frau machen das leichte, schnelle Geld, ohne eine Arbeitsleistung zu erbringen.

Es besteht eine Bedürfnisstruktur nach illegalen Gütern und Diensten. Minderheiten, die diese illegalen Güter und Dienste in Anspruch nehmen, akzeptieren das Organisierte Verbrechen, mit dem sie - bewußt oder unbewußt - zusammenarbeiten. Die Mehrheit der Bevölkerung ignoriert es; sie nimmt es nur als Stoff für Unterhaltung wahr. - Es eröffnen sich Möglichkeiten, die Bedürfnisse nach illegalen Gütern und Diensten zu befriedigen. In einer Marktwirtschaft richtet sich das Angebot nach der Nachfrage. So ist es auch im illegalen Bereich. Menschen, die aufgrund ihres Lebenslaufs kriminell anfällig sind, erkennen, daß die Befriedigung der Bedürfnisse nach illegalen Gütern und Dienstleistungen über die Kraft eines

einzelnen hinausgeht. Sie organisieren die illegale Bedürfnisbefriedigung und bilden Verbrecherorganisationen. - Neben der Schwäche der informellen Kontrolle durch die sozialen Gruppen ist auch die formelle Kontrolle durch den staatlichen und großstädtischen Machtapparat schwach ausgeprägt (Machtvakuum) (Annelise Anderson 1995), so daß die Verbrecherorganisationen vor staatlichen Eingriffen relativ sicher sein können. Staatliche und großstädtische Verwaltungen können ihre Anordnungen nicht mehr angemessen durchsetzen. Die legale Kontrolle, ζ. B. die Kriminaljustiz, wird für Machtmißbrauch (Korruption) anfallig. Das Organisierte Verbrechen nutzt das Machtvakuum und sorgt auf seine Weise (durch systematischen Gebrauch privater Gewalt) für „Sicherheit", wenn der Staat sich dazu als unfähig oder unwillig erweist. — Zwischen Gesellschaft und Organisiertem Verbrechen entwickeln sich symbiotische Beziehungen. Die Minderheiten, die seine illegalen Güter und Dienste beanspruchen, sind der Meinung, Nutzen von ihm zu haben. Die Mehrheit der Bevölkerung sieht nicht, daß die illegalen Bedürfnisse der Minderheiten gesellschaftlich verursacht sind. Sie verdrängt das Organisierte Verbrechen aus ihrem gesellschaftlichen Bewußtsein, indem sie der massenmedialen Darstellung folgt, nach der eine kriminelle Gruppe, die es zu bekämpfen gilt, in die völlig gesetzestreue und sozialkonforme Gesellschaft eingedrungen ist. Sie erkennt nicht, daß ihre illegale Bedürfnisstruktur das Organisierte Verbrechen am Leben erhält.

2. Subkulturelle

Ursachen

Aufgrund der Strukturmängel in der Gesellschaft entstehen Subkulturen, in denen kriminelle Wertvorstellungen, Leitbilder und Verhaltensstile geduldet, sogar unterstützt werden. Mit der Zeit bilden sich alternative kriminelle Strukturen, subkulturelle Systeme heraus. Hierbei sind die Gebiete (Großstädte) besonders gefährdet und anfallig, die eine Tradition im illegalen Verhalten haben (ζ. B. Palermo, New York, Chikago, Medellin). Darüber, wie die subkulturellen Systeme aussehen, gibt es drei unterschiedliche Theorien: Die erste Theorie (Donald R. Cressey 1972; 1969) befürwortet ein bürokratisches, körperschaftliches Modell. Das Organisierte Verbrechen ist ein zentralisiertes, geheimes, monolithisches Sozialsystem, ein lebendiger sozialer Organismus mit festem bürokratischem Aufbau. Es besitzt ein hierarchisches Gefüge mit autoritärem Führungsstil; seine Entstehung geht rational geplant und durchstrukturiert vor sich. Diese Theorie hat sich als Übervereinfachung erwiesen. Es gibt wahrscheinlich überregionale Organisationen, ζ. B. für den Import und den Großhandel

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Organisiertes Verbrechen von Rauschgift sowie für die Streitschlichtung zwischen den regionalen Organisationen. Ob diese Vereinigungen allerdings straff organisiert sind, ist eher zweifelhaft. Eine flexible Organisationsstruktur liegt näher. Nach der zweiten Theorie (Frank Costigan 1984; Menachem Amir 1986; Hiroaki Iwai 1986) besteht das Organisierte Verbrechen aus zahlreichen kleineren bis mittelgroßen, regionalen und weitgehend selbständigen kriminellen Gruppen. Über die Organisationsstruktur dieser Gruppen gibt es wiederum verschiedene Vorstellungen und Erfahrungen: — Nach einer Meinung (Joseph L. Albini 1971, 1981, 1988) handelt es sich um informelle Netze von Beziehungen zwischen Schutzherren und Klienten; innerhalb dieser Netze sind „Connections" (Verbindungen) die alles bestimmenden Faktoren. — Eine andere Ansicht (Francis A. J. Ianni, Elizabeth Reuss-Ianni 1972) bevorzugt das Modell einer eng miteinander verknüpften, sozial und wirtschaftlich integrierten Großfamilie. Die kriminellen Gruppen sind Verbrecherfamilien süditalienischer und sizilianischer Tradition, die nicht nur Verwandtschafts-, sondern auch Geschäftseinheiten bilden, Gesetze ignorieren und an kriminellen Aktivitäten teilnehmen. — Nach einer weiteren Denkrichtung (William J. Chambliss 1978) wird das Organisierte Verbrechen aus lockeren Zusammenschlüssen von Geschäftsleuten, Politikern, Gewerkschaftlern und Polizisten gebildet, die zusammenarbeiten, um die Herstellung und Verteilung illegaler Güter und Dienste zu koordinieren, für die substantielle Nachfrage besteht. — Einer davon abweichenden Auffassung (Mary Mcintosh 1975; John A. Mack 1975; Hans-Jürgen Kerner 1973, 1993) zufolge ist das Organisierte Verbrechen eine Unterweltberufsgemeinschaft. Vom Berufskriminellen, der - unmittelbar handelnd — Straftaten begeht, unterscheiden sich Berufskriminelle, die im Hintergrund diesen unmittelbar Handelnden eine Fülle von Diensten gegen Beteiligung am kriminellen Gewinn zur Verfügung stellen. Organisierte Verbrecher sind Hintergrundunternehmer, die das Risiko der kriminalpolizeilichen Entdeckung berechenbar machen. Die Rechtsbrecher benötigen Berater, Beschützer, Planer, die ihnen ihre Verbrechen erleichtern. Eine dritte Theorie (Dwight C. Smith 1975, 1978, 1980; Pino Arlacchi 1989), die sowohl von der überregionalen wie von der regionalen Theorie abweicht, vertritt ein Unternehmensmodell. Sie geht von einem Spektrum der Legalität von Wirtschaftsunternehmen aus: Am einen Ende des Spektrums befinden sich legale Unternehmen, am anderen Ende kriminelle. Organisierte Verbrecher sind kriminelle Unternehmer. Das Organisierte Verbrechen ist eine Aus-

weitung und Ausdehnung der Prinzipien des legalen Geschäfts auf illegale Gebiete. Alle diese unterschiedlichen Theorien und Modelle haben ihre Berechtigung. Denn das Organisierte Verbrechen hat weltweit verschiedene Organisationsformen. Die verschiedenen Modelle konzentrieren sich zudem auf unterschiedliche Fragestellungen. Während das überregionale und das regionale Modell der Frage nachgehen, wie sich die Verbrechergruppen organisiert haben, widmet sich das Unternehmensmodell dem Problem, wie die Verbrecherorganisationen ihre Aktivitäten planen und ausführen (Jay S.Albanese 1994, 88). Da es sowohl überregionale wie regionale Verbrecherorganisationen gibt und sich das Unternehmensmodell auf die „Arbeitsweise" beider Typen bezieht, stehen die drei unterschiedlichen Theorien in keinem Konflikt zueinander.

3. Individuelle

Ursachen

Neben den gesellschaftlichen und den subkulturellen Ursachen sind im Verursachungsmodell des organisierten Verbrechers auch Tätergesichtspunkte zu berücksichtigen. Die täterorientierten Ursachen kommen am besten im Karriere-Modell des organisierten Verbrechers, einer Führungsperson einer Verbrecherorganisation, zum Ausdruck. Das KarriereModell ordnet sich in die gesellschaftlichen und subkulturellen Ursachen zusammenstimmend ein: -

In seiner Kindheit und Jugend mangelt es dem späteren organisierten Verbrecher an psychischer Verbundenheit mit seinen Eltern und seinen Lehrern. Er empfindet keine Zuneigung zu ihnen und entwickelt kein Gewissen. In seiner Nachbarschaft und unter Gleichaltrigen lernt er, die Lebensweise der Gangster zu bewundern (Modellernen). Er eignet sich keinen Respekt vor dem Kriminaljustizsystem an und steht den Aktivitäten des Organisierten Verbrechens tolerant gegenüber. - Im subkulturellen System, in der Verbrecherorganisation, der er sich anschließt, lernt er die kriminellen Aktivitäten, Einstellungen und Wertvorstellungen des Organisierten Verbrechens. Mit subkultureller Unterstützung führt er Hilfstätigkeiten aus, und er hat dabei Erfolg. Er schafft sich eine von ihm abhängige Klientel, die für ihn Gewalt anwendet. Er baut sich ein Netz von Beziehungen zu Trägern institutionalisierter, legaler Macht auf. - In der dritten Phase kommt es zu einem Identitätswandel (Henner Hess 1986, 1993). Während seiner kriminellen Tätigkeit stößt er unweigerlich mit der Kriminaljustiz zusammen. Es laufen Ermittlungen gegen ihn, und er wird angeklagt. Er erweist sich indessen als der Stärkere; der Rechtsapparat ist unfähig, ihn wegen eines Gesetzesverstoßes zu belangen. Ein Freispruch mangels Be-

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weises läßt einerseits seine Fähigkeit offenkundig werden, Zeugen zum Schweigen zu bringen, und zeigt andererseits, daß er einflußreiche Freunde und Beschützer besitzt. Er entwickelt das Eigenund Fremdbild eines organisierten Verbrechers. - In der Phase der sich-selbst-erfüllenden Prophezeiung sieht sich der Täter als organisierter Verbrecher, und er wird als organisierter Verbrecher angesehen. Er erfüllt die Funktionen eines Gangsters und gewinnt innerhalb der Verbrecherorganisation den Kampf mit seinen Wettbewerbern. Er lernt, eine kriminelle Organisation zu leiten. Er hat einerseits die Aufgaben, die auch ein legaler Unternehmer hat, z. B. Herstellung und Verteilung seiner illegalen Ware, Personal- und Finanzierungsprobleme. Zusätzlich muß er seine Verbrecherorganisation gegenüber Interventionen des Kriminaljustizsystems abschirmen, z. B. durch den Aufbau einer Privatarmee. -

In Übereinstimmung mit seinen subkulturellen Werten sieht der l a t e r in der fünften und letzten Phase seine Aktivitäten als legitim an (Neutralisationsmechanismus) (Stergios Skaperdas, Constantinos Syropoulos 1995, 75). Er identifiziert sich mit seiner kriminellen Organisation. Er wird zum Überzeugungstäter. Er glaubt daran, daß seine kriminelle Organisation und er selbst nützliche Aufgaben für die Gesellschaft erfüllen.

H. Der Gangster als heroischer Krimineller Die Massenmedien personalisieren das Organisierte Verbrechen. Denn die Öffentlichkeit kann sich die Begehung von Straftaten nur im Zusammenhang mit Personen vorstellen. Presse, Film, Funk und Fernsehen stellen das Organisierte Verbrechen anekdotisch dar, indem sie an einzelnen spektakulären Ereignissen haften bleiben und nicht bis zu einer Ursachenanalyse vordringen. Unausgesprochen folgt man der Fremden-Verschwörungs-Theorie, nach der Ausländer in eine gesetzestreue, sozialkonforme Gesellschaft eingedrungen sind und eine verbrecherische Organisation gegründet haben. Die Verbrechensdarstellung ist keine Widerspiegelung der Realität, sondern eine Konstruktion der Wirklichkeit, mit der die Massenmedien in den gesellschaftlichen Lernprozeß eingreifen, um ihn nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Sie verwenden das Organisierte Verbrechen, um aus seiner Darstellung Gewinn zu erzielen. Der Kriminelle als Held ist ein soziales Produkt, das die Massenkommunikationsmittel konstruieren. Er verkörpert das, was die Menschen über ihn glauben wollen, und nicht das, was er tatsächlich ist und tut. Hollywood erteilt einerseits zweifelhafte moralische Lektionen, nach denen sich Verbrechen nicht lohnt und nach denen Tugendhaftigkeit am Ende siegt. Andererseits bewundert es in seiner Interpretation des Organisierten Verbrechens seine Allmächtigkeit und glorifiziert die Ungewöhnlichkeit

seiner Taten und Täter. Damit trifft es das Bild, das die öffentliche Meinung vom Organisierten Verbrechen sehen will. Heroische Kriminelle sind Symbolfiguren; sie repräsentieren die Gerechtigkeit außerhalb des Rechtssystems. Soziale Banditen sind Rechtsbrecher, die gesellschaftlich geschätzte Werte verkörpern: Geschicklichkeit, Mut, Beherztheit, Schlauheit, Mitgefühl Unterdrückten gegenüber, Loyalität Freunden gegenüber, Mut im Angesicht der Gefahr. Robin-Hood-Kriminelle verletzen die breite Masse niemals (Neutralisationsmechanismus: Verneinung der Verletzung). Deshalb werden die Schäden nicht zur Anschauung gebracht, die die Verbrecherorganisationen für die Allgemeinheit anrichten. Im Konzept des heroischen Kriminellen werden die kollektiven Phantasien einer enttäuschten Bevölkerung zur konstruierten Wirklichkeit. Der heroische Kriminelle wird von den Massenmedien „erfunden", wenn die Öffentlichkeit für ihn empfänglich ist (Rezeptivität der Öffentlichkeit). Sozialstrukturelle Bedingungen sind z. B. weitverbreitete ökonomische Depression und Legitimationskrise der Mächtigen. In Zeiten, in denen das Gesetz die öffentlichen Vorstellungen über Gerechtigkeit nicht mehr wiedergibt, in denen große Teile der Bevölkerung mit den Repräsentanten des politischen und wirtschaftlichen Systems unzufrieden sind, wird die Richtigkeit der gesetzlichen und politischen Ordnung durch bedeutende Teile der Bevölkerung in Frage gestellt (Paul Kooistra 1989, 33, 142, 177). Plötzlich werden der Öffentlichkeit politische Korruption und soziale Mißstände (Skandale) sichtbarer und verhaßter. Das politische System und seine Repräsentanten (Polizei) werden äußerst kritisch betrachtet (Neutralisationsmechanismus: Verdammung der Verurteiler). Der heroische Kriminelle wird zum Anwalt der Unterdrückten (Neutralisationsmechanismus: Berufung auf höhere Loyalität). Die Polizei wird als ineffektiv dargestellt.

I. Kriminalpolitische Maßnahmen Die besten kriminalpolitischen Vorkehrungen gegen das Organisierte Verbrechen sind sozialpolitische Wegweiser und informatorische Richtlinien, die einer sozialen Desorganisation der Gesellschaft entgegenwirken. Der materielle Gewinn darf nicht überbewertet werden. Es muß streng darauf geachtet werden, ob er mit legalen Mitteln erreicht wird. Die politische und die Geschäfts-Moral im öffentlichen und im Wirtschafts-Leben müssen verbessert und gepflegt werden. Die Sozialpolitik muß darauf hinarbeiten, die Bedürfnisse eines Teils der Bevölkerung nach illegalen Gütern und Dienstleistungen zu beseitigen. Die Informationspolitik der Regierung muß sich darum bemühen, die soziale Unsichtbarkeit der Verbrecherbanden, den Robin-Hood-Mythos der Massenmedien und die Gleichgültigkeit der Bevölkerung gegenüber der Organisierten Kriminalität

Organisiertes Verbrechen durch nüchterne, wirklichkeitsgetreue, sachliche Information aufzuheben. Es muß klargestellt werden, daß das Organisierte Verbrechen innerhalb der Gesellschaft entsteht und ihr nicht von außen durch Fremde angetan wird. Um dem internationalen Charakter des Organisierten Verbrechens Rechnung zu tragen, müssen die kriminalpolitischen Maßnahmen der verschiedenen Staaten aufeinander abgestimmt werden. Geschieht dies nicht, wird sich das Organisierte Verbrechen in den Ländern ausbreiten, die die liberalste Gesetzgebung und -anwendung haben. Eine wirksame Kontrolle der Verbrecherorganisationen macht einen starken Rechtsstaat erforderlich. Trifft der Rechtsstaat keine einschneidenden Maßnahmen gegen das Organisierte Verbrechen, wird die Unterwanderung seiner legalen Wirtschaft durch Verbrecherbanden die Folge sein. Sie werden dann aus legalen Wirtschaftspositionen heraus auf den Staat Einfluß nehmen und ihn durch Korrumpierung von Politikern zerstören. Man darf dem demokratisch legitimierten Rechtsstaat nicht die Instrumente verweigern, die er zu seiner Verteidigung benötigt. Sonst setzt man ihn mit dem Obrigkeitsstaat vergangener Epochen der deutschen Geschichte gleich. Der Korruption in Verwaltung und Wirtschaft muß vorgebeugt werden. Da der Staat wegen der Gefährlichkeit des Organisierten Verbrechens schon Informationen über die Syndikate in ihrer Entstehungsphase benötigt, ist eine Vorfeldbeobachtung unerläßlich. Die Kontrolle des Rauschgifthandels muß in die Anbau-, Produktions- und Transitländer vorverlegt werden. Durch die Entsendung von Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamtes muß die Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden der Anbau-, Produktions- und Transitländer verbessert werden. Da legale Spielkasinos häufig zur Geldwäsche mißbraucht werden, müssen vorbeugende Maßnahmen gegen die Unterwanderung der Spielkasinos durch Verbrecherorganisationen ergriffen werden. Eine solche Maßnahme kann z. B. in der Führung einer „Schwarzen Liste" mit den Namen der organisierten Verbrecher bestehen, die von jedem Kontakt mit den Spielkasinos ausgeschlossen werden (Ronald A. Farrell, Carole Case 1995). Die USA haben die bisher wirksamsten Maßnahmen gegen das Organisierte Verbrechen getroffen, die auch rechtsstaatlichen Erfordernissen gerecht werden. Deshalb soll im folgenden etwas näher auf die Rechtslage in den USA eingegangen werden. Die zentralen Figuren des Organisierten Verbrechens anzuklagen und zu Freiheitsstrafen zu verurteilen, hat sich in den USA zum Zwecke der Kontrolle der Verbrecherbanden als erfolglos erwiesen. Denn ihre ökonomische Infrastruktur (Logistik) blieb intakt. Die organisierten Verbrecher waren im Strafvollzug nicht zu resozialisieren, weil sie Uberzeugungstäter sind. Die kriminellen Organisationen arbeiteten mit neuen Zentralfiguren weiter. Wegen dieser Mißerfolge gab man die täterorientierte Er-

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mittlungs- und Kontrollstrategie auf. Bei der Ermittlung konzentriert man sich jetzt auf die Verbrecherorganisation und die Identifikation ihrer ökonomischen Infrastruktur. Man arbeitet auf zwei Ziele hin: — Zerschlagung der kriminellen Organisation und ihrer Verflechtung mit der legalen Wirtschaft, — rechtliche Trennung der Zentralfiguren des Organisierten Verbrechens von ihrer ökonomischen Infrastruktur. Als Mittel zur Erreichung dieser beiden Ziele dient das Gesetz: „Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Statute" (RICO) (Gesetz über verbrecherisch beeinflußte und korrupte Organisationen) von 1970, das seit dem Jahre 1982 voll angewandt wird und das seit Ende der 80er Jahre Erfolge zeitigt (Rudolph W. Giuliani 1987; Howard Abadinsky 1990, 422—428). In einem einzigen Verfahren werden die gesamten unmittelbaren und mittelbaren kriminellen Aktivitäten einer Verbrecherorganisation und deren Unterstützung durch Berater und Helfer angeklagt und verurteilt. Das RICO-Statut macht die Verurteilung von drei Voraussetzungen abhängig: — Es muß ein verbrecherisches Unternehmen, eine kriminelle Organisation festgestellt werden. — Im Zusammenhang mit dieser kriminellen Organisation müssen zwei verbrecherische Handlungen begangen worden sein. Die erste Straftat muß nach 1970 verübt worden sein. Den zweiten Rechtsbruch muß man zehn Jahre nach der ersten Straftat begangen haben. — Das kriminelle Unternehmen muß eine weitere Bedrohung durch fortgesetzte kriminelle Aktivität darstellen. Beispiele für verbrecherische Handlungen nach dem RICO-Statut sind: Entführung, verbotenes Glücksspiel, Brandstiftung, Raub, Bestechung, Erpressung, Pornographie- und Rauschgifthandel, Falschgeldherstellung. Liegen die drei Voraussetzungen des RICO-Statuts vor, so können alle identifizierten Mitglieder der kriminellen Organisation und deren Helfer und Berater bestraft werden. Beim Vorliegen der drei Voraussetzungen kommen die folgenden drei Sanktionen als Reaktionen in Frage: — Ersatz des dreifachen Wertes des Schadens, den das Organisierte Verbrechen seinen Opfern zugefügt hat, — Vermögensstrafe: Verlust (Einzug) des gesamten übriggebliebenen Vermögens der kriminellen Organisation und ihrer Mitglieder, — Freiheitsstrafe bis zu 20 Jahren für organisierte Verbrecher. Bereits vor dem Strafgerichtsverfahren können gerichtliche „Restraining Orders" (Einschränkungsanordnungen: Vermögenssperrung) strafrechtlicher und hauptsächlich zivilrechtlicher Art (wegen gerin-

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Organisiertes Verbrechen

gerer Beweisanforderungen) erlassen werden, damit Vermögensverschiebungen durch das Organisierte Verbrechen vermieden werden. Während des Strafgerichtsverfahrens gegen die Verbrecherorganisation sind Richter, Staatsanwälte und Belastungszeugen in Gefahr. Deshalb sind Zeugenschutzprogramme aufgebaut worden, die den Zeugen durch Umsiedlung in geheime Rückzugsgebiete und Gewährung einer neuen Identität Sicherheit zuerkennen. Für Richter, Staatsanwälte und ihre Familien müssen — erforderlichenfalls - geschützte Zufluchtsstätten errichtet werden. Aufgrund des „Money Laundering Control Act" (des Kontrollgesetzes gegen Geldwäscherei) von 1986 kann Geldwäsche mit einer Geldstrafe in Höhe von 500.000 USDollar oder in Höhe des doppelten Wertes des betroffenen (gewaschenen) Betrages und Freiheitsstrafe bis zu zwanzig Jahren geahndet werden. Der gewaschene Geldbetrag kann gesperrt, eingefroren und beschlagnahmt werden. Nach dem „Omnibus Crime Control and Safe Streets Act" (dem „Umfassenden Kriminalitätskontroll- und Sichere Straßen Gesetz") von 1968 ist die elektronische Überwachung der Gespräche der organisierten Verbrecher möglich. Zusammen mit dem Einsatz Verdeckter Ermittler („Undercover Agents") (Gary Τ. Marx 1988) ist zwar die elektronische Gesprächsüberwachung ein wirksames Mittel der Infiltration in die Verbrecherorganisation. Sie kann indessen durch verhältnismäßig einfache Gegenmaßnahmen, ζ. B. Verschlüsselung der Gespräche, unwirksam gemacht werden. Schließlich sichert die Staatsanwaltschaft bei der Kronzeugenregelung einem Tatbeteiligten Straffreiheit oder eine mildere Bestrafung zu, um ihn als Hauptbelastungszeugen gegen seine Komplizen zu gewinnen. Die Kronzeugenregelung, die in Italien wirksam angewandt worden ist (Michele Polo 1995), muß allerdings mit einem effektiven Zeugenschutzprogramm verbunden werden. Monographien und

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Zeitschriften- und

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SCHNEIDER

AUSLÄNDERKRIMINALITÄT 1.

Einführung

Die wissenschaftliche Befassung mit der Kriminalität von Ausländern bedeutet immer die Betrachtung einer gesellschaftlichen Minderheit unter einem besonders emotionsanfalligen und deshalb sehr sensiblen Aspekt. Sie reicht mehr als viele andere Gegenstände der Kriminologie in den unmittelbaren Bereich der Innenpolitik und kann nicht zuletzt die gesellschaftlichen Einstellungen gegenüber dieser Minderheit beeinflussen. Vor allem statistische Kriminalitätsanalysen, die zumindest vordergründig eine gegenüber der einheimischen Bevölkerung höhere Belastung von Ausländern mit Straftaten ergeben, beinhalten die Gefahr einer Fehlinterpretation

bis hin zur mißbräuchlichen Verwendung in der Öffentlichkeit. Darauf wird auch in einschlägigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen der letzten Jahre verstärkt hingewiesen (Peter-Alexis Albrecht 1990; Jürgen Mansel 1990; Monika Trauisen 1991; Michael Kubink 1993, 136 ff., 297 ff.; Michael Walter und Michael Kubink 1993; Michael Walter und Angelika Pitsela 1993; Stefan R. Kerner 1994a; Rainer Geißler 1995; Christian Pfeiffer 1995, 58). Stigmatisierungen der „Ausländer" und Bedrohungsgefühle in der Bevölkerung werden gerade durch eine generalisierende Problematisierung von „Ausländerkriminalität" gefördert. Die damit verbundenen Gefahren werden nachdrücklich verdeutlicht, wenn man wahrnimmt, daß „die Ausländerkriminalität" nicht selten zum Selbstrechtfertigungsrepertoire fremdenfeindlicher Ausschreitungen und Gewalttaten gehört, die die Bundesrepublik Deutschland seit Anfang der neunziger Jahre erschüttert haben (Helmut Willems, Stefanie Würtz und Roland Eckert 1993, 85; Stefan R. Kerner 1994b). Hinzu kommt, daß der hier in der Überschrift ebenfalls verwendete Begriff „Ausländerkriminalität" auch in der Sache mehr verschleiert, als der Aufklärung dient. Denn er suggeriert ein einheitliches Phänomen, das es - wie zu zeigen sein wird - jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland sowohl hinsichtlich der Erscheinung als auch hinsichtlich der Ursachen zunehmend weniger gibt. Andererseits kann die kriminologische Wissenschaft durch eine differenzierte Untersuchung und Darlegung der Kriminalitätsentwicklung unter Berücksichtigung der unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen für die jeweiligen Bevölkerungsgruppen und nicht zuletzt unter Verdeutlichung statistischer Beschränkungen und Verzerrungen auch gängigen Vorurteilen entgegenwirken. Gleichzeitig ermöglicht sie, über interne Vergleiche zu erkennen, bei welchen eventuellen Problemgruppen ein besonderer gesellschafts- und nicht nur kriminalpolitischer Handlungsbedarf besteht. Die wissenschaftliche Untersuchung der Kriminalität von Ausländern setzte verstärkt vor allem in Staaten mit hohen Einwanderungsraten ein, in den USA schon in den 20er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts, in Israel Anfang der 60er Jahre. Keineswegs wurde dabei durchgängig eine höhere kriminelle Belastung der Einwanderer festgestellt, zum Teil sogar eine niedrigere als bei der einheimischen Bevölkerung (z. B. Thorsten Sellin 1938). Im Rahmen dieser Studien wurde insbesondere die Theorie des Kulturkonflikts herangezogen, nach der durch das Zusammentreffen unterschiedlicher Werte- und Normensysteme bei den Einwanderern eine Konfliktlage bis hin zu einer anomischen Situation entsteht, die ihrerseits zu einer verstärkten Straftatenbegehung führen könne. Weniger bedeutsam wurden einschlägige deutsche Untersuchungen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, die vielfach versuchten, Kriminalität von Ausländern durch ethnische oder „rassische" Besonderheiten zu erklären.

Ausländerkriminalität 2.

Überblick für die Bundesrepublik Deutschland

Die kriminologische Forschung in der Bundesrepublik Deutschland begann im wesentlichen erst in den 60er Jahren, die Kriminalität von Ausländern zu thematisieren (Überblick über empirische Untersuchungen bei Anthozoe Chaidou 1984, 41 ff. und Angelika Pitsela 1986, 92 ff.). Dies geschah parallel zu der wachsenden zahlenmäßigen Bedeutung des nichtdeutschen Bevölkerungsanteils, der in den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg noch sehr gering war. 1951 betrug der Ausländeranteil mit rund einer halben Million Personen gerade 1% der Gesamtbevölkerung. Zu einem raschen Anwachsen führte im folgenden Jahrzehnt die von der Bundesregierung betriebene gezielte Anwerbepolitik von Arbeitnehmern vor allem aus süd- und südosteuropäischen Staaten, so daß der Anteil der Nichtdeutschen 1967 immerhin schon 3% (1,8 Mio.) und 1973 über 6% (4 Mio.) betrug. Trotz des Anwerbestopps von 1973 und der späteren Politik der Rückkehrförderung erfolgte seitdem, wenn auch gebremst und mit Schwankungen, ein weiterer Anstieg, der neben dem Nachzug von Familienangehörigen sowie einem deutlichen Geburtenüberschuß bei der nichtdeutschen Bevölkerung auch auf der verstärkten Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern beruht. 1990 erreichte der Anteil von Nichtdeutschen an der registrierten Wohnbevölkerung im alten Bundesgebiet mit über 5,3 Mio. Personen bereits 8,4% (Bundesrepublik insgesamt 1993: 6,9 Mio. = 8,5%). Frühe kriminalstatistische Untersuchungen kamen, soweit sie Verzerrungsfaktoren und Einschränkungen der Vergleichbarkeit noch außer acht ließen, zu einer gegenüber der einheimischen Bevölkerung höheren Kriminalitätsbelastung der Ausländer insgesamt. Differenziertere Vergleiche unter Berücksichtigung der unterschiedlichen demographischen Zusammensetzung ergaben dagegen, insbesondere bei der Fokussierung auf die „Gastarbeiter", sogar eine geringere Belastung als bei der entsprechenden deutschen Population (vgl. Günther Kaiser 1974; Uwe Dörmann 1975; zur neueren Entwicklung: Christian Pfeiffer 1995, 63). Auch wenn zum Teil eine Überrepräsentierung der Ausländer bei einzelnen Delikten, wie dem verbotenen Glücksspiel, oder Deliktsgruppen, insbesondere den Gewalt- und Sexualdelikten, festgestellt wurde, sah man dabei in der Kriminalität der „ersten Generation" kaum ein gravierendes Problem. Zum Teil erhebliche Bedenken rief dann aber die Kriminalitätsentwicklung bei der sogenannten „zweiten Generation" hervor, die seit Ende der 70er Jahre empirisch untersucht wird und bis heute im Mittelpunkt der einschlägigen Forschung steht. Vergleichende Analysen, die meist die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik heranzogen, ergaben fast durchweg eine erheblich höhere Belastung der jungen Ausländer als der gleichaltrigen Deutschen. Mit-

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unter wurde anfangs wegen dieser Befunde gar von einer „sozialen Zeitbombe" gesprochen (z. B. HansDieter Schwind 1983). Angesichts einer zwischenzeitlichen Stabilisierung der Kriminalitätsbelastung der jugendlichen und heranwachsenden Nichtdeutschen wurde aber dargelegt, daß diese Befürchtung zu relativieren ist (Michael Walter 1987, 71 f.; Heinz Schöch, Michael Gebauer 1991, 50f.; Christian Pfeiffer 1995, 63 f.). Allerdings läßt sich anhand der Polizeilichen Kriminalstatistik in der Tat in den 80er Jahren und auch noch danach eine erhebliche Steigerung der Höherbelastung gerade der jungerwachsenen Nichtdeutschen im Alter von 21 bis 30 Jahren errechnen. Diese Steigerung dürfte zwar nicht unwesentlich auf der umfangreichen Neuzuwanderung von Personen dieser Altersgruppe beruhen, die überproportional häufig wegen Straftaten registriert werden, eventuell außerdem auf einer starken Zunahme durchreisender ausländischer Tatverdächtiger entsprechenden Alters. Daneben liegt aber die Vermutung nahe, daß eine Ursache auch in dem Nachwachsen der stärker belasteten zweiten Generation liegt. Wegen der zunehmenden Heterogenität der Gruppe der Tatverdächtigen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die keineswegs mehr ausschließlich von „Gastarbeitern" und ihren Nachkommen geprägt ist, erscheint allerdings die ungeprüfte Umschreibung der jüngeren Altersgruppen als „zweite" oder „dritte Generation" mehr und mehr zweifelhaft. Vor allem erweisen sich deswegen auch die Berechnung genereller Belastungszahlen und allgemeine statistische Belastungsvergleiche von Deutschen und „Ausländern" inzwischen kaum noch als legitimierbar. Die Polizeiliche Kriminalstatistik verzichtet deshalb bereits seit mehreren Jahren darauf, Kriminalitätsbelastungszahlen für die Nichtdeutschen auszuweisen. Auch wenn sich inzwischen bei den jungen nichtdeutschen Tatverdächtigen hinsichtlich der registrierten Delinquenz insgesamt eine gewisse Stabilisierung ergeben hat und sich insoweit sogar leicht rückläufige Tendenzen abzuzeichnen scheinen (Christian Pfeiffer 1995, 63 f.), werden sie gleichwohl schon wegen des hohen Niveaus der absoluten Kriminalitätszahlen weiterhin Gegenstand der kriminologischen Wissenschaft und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung sein. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen dabei Deliktsbereiche, vornehmlich die Gewaltdelinquenz, in denen noch immer Anstiege registriert werden. Es liegt aber nahe, diese weniger als einen speziellen Bereich der „Ausländerkriminalität" zu behandeln, als unter dem Blickwinkel eines besonderen Ausschnitts der Jugendkriminalität zu untersuchen. Auf die Relevanz allgemeiner Problemlagen, die nicht von der Nationalität abhängen, wohl aber bei jungen Nichtdeutschen besonders häufig anzutreffen sein dürften, weisen nicht zuletzt gewisse Parallelentwicklungen der Delinquenz junger Deutscher in den neuen Bundesländern hin.

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Ausländerkriminalität

Eingehenderer Untersuchungen bedarf in Zukunft schließlich die Kriminalität von sog. „durchreisenden" Ausländern und Asylbewerbern, deren absolute Tatverdächtigenzahl, aber auch deren Anteil an allen nichtdeutschen Tatverdächtigen in der zweiten Hälfte der 80er und der ersten Hälfte der 90er Jahre in besonders starkem Maße angestiegen ist (Monika Trauisen 1990b, 1990c, 200 ff. und 1993a; Heinz Schöch, Michael Gebauer 1991, 46f.; Christian Pfeiffer 1995, 61 f.).

3. Demographischer

und sozialer

Hintergrund

Zur verständigen Würdigung der nachfolgend näher zu beschreibenden Entwicklung der registrierten Kriminalität von Ausländern und der einzelnen Belastungsvergleiche erweist es sich zunächst als notwendig, die Zusammensetzung der nichtdeutschen Population in der Bundesrepublik und deren Veränderung sowie ihre soziale bzw. sozialstrukturelle Situation in Grundzügen zu betrachten. In der Bevölkerungsstatistik des vereinigten Deutschlands wurden Ende 1993 über 6,8 Mio. Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit registriert. Während es sich in den 50er und 60er Jahren bei der nichtdeutschen Bevölkerungsgruppe vornehmlich um eine Arbeitnehmergesellschaft handelte, geprägt durch Personen männlichen Geschlechts und mittleren Alters, wandelte sie sich in der Folgezeit, insbesondere durch den verstärkten Nachzug von Familienangehörigen, zunehmend hin zu einer „echten" Wohnbevölkerung. Der Anteil weiblicher Personen, der 1961 erst 31% betrug, belief sich Ende 1988 immerhin auf 45%. Allerdings lag und liegt der entsprechende Anteil bei der deutschen Bevölkerung noch deutlich höher (Ende 1988: 52,4%). Außerdem sind bei den deutschen Frauen intern ältere Jahrgangsgruppen erheblich überrepräsentiert. Aber auch insgesamt unterscheidet sich die ausländische Wohnbevölkerung von der deutschen noch immer durch ein deutliches Überwiegen jüngerer Jahrgänge. Während 1961 noch fast 42% der in der Bundesrepublik gemeldeten Ausländer zwischen 20 und 35 Jahren alt waren, betrug der Anteil dieser Altersgruppe in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zwar nur noch rund ein Drittel, am Stichtag der Volkszählung 1987 lediglich 28%. Dagegen wuchs in diesem Zeitraum der Anteil der unter 20-jährigen Nichtdeutschen - 1961 weniger als ein Viertel - auf rund 32% im Jahre 1987 an. Bei den Deutschen lag der Anteil der unter 20jährigen 1987 nur bei 21%, der Anteil der 20- bis 35jährigen bei 23,5%. Die Altersstruktur der ausländischen Wohnbevölkerung erweist sich bei einer Differenzierung nach Nationalitäten allerdings nicht als homogen. Insbesondere findet sich bei den Personen aus Staaten der sog. „Dritten Welt" und auch aus den ehemaligen Ostblockstaaten, deren Anzahl durch Zuwanderungen ab der zweiten Hälfte der 80er Jahre erheblich angestiegen ist (1987 stammten

z.B. schon rund 11% der registrierten nichtdeutschen Wohnbevölkerung aus Afrika und Asien), noch intern eine beachtliche Überrepräsentierung der 21- bis 35jährigen. Die „typischen" Gastarbeiternationalitäten stellen im vereinigten Deutschland nicht einmal mehr zwei Drittel der zunehmend heterogenen nichtdeutschen Wohnbevölkerung. Ihr Anteil ist, außer für die Türken, seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre beständig zurückgegangen. Ein deutlicher Anstieg bei den Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien in den letzten Jahren ist nicht der „Gastarbeiter"-Population zuzurechnen, da es sich hier hauptsächlich um Flüchtlinge und Asylbewerber handeln dürfte. Die insgesamt stärkste Gruppe bilden seit über zwei Jahrzehnten die türkischen Staatsangehörigen, deren Anteil an der registrierten nichtdeutschen Bevölkerung Ende 1993 mit über 1,9 Mio. Personen 27,9% betrug, erst mit Abstand gefolgt von Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien (18,0%). Italienische Staatsangehörige stellten 1993 nur noch 8,2%, griechische 5,1%, spanische 1,9% und portugiesische 1,5% der nichtdeutschen Bevölkerung. Die deutliche Zunahme anderer Nationalitäten in den letzten zehn Jahren geht wesentlich auf Flüchtlinge und Asylbewerber aus Staaten des ehemaligen Ostblocks, vor allem Rumänien und Bulgarien, sowie mehreren Staaten Afrikas und Asiens zurück. Während 1988 rund 103.000 Asylbewerber registriert wurden, erreichte ihre Zahl 1992 mit 438.000 Personen ihren absoluten bisherigen Höhepunkt. Nach der Asylrechtsänderung wurden 1994 noch 127.000 Asylbewerber gezählt, wobei allerdings erstmalig nur noch Erstanträge registriert wurden. Der abgesehen von diesen besonderen Zuwanderungen der letzten Jahre allmählich erfolgte Wandel der Ausländerpopulation zur Wohnbevölkerung läßt sich auch an der Entwicklung des Anteils der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an den in der Bundesrepublik registrierten Nichtdeutschen ablesen. Während er 1961 noch rund 74% betrug, belief er sich 1988 lediglich noch auf 36,2%. Die berufliche Qualifikation der ausländischen Arbeitnehmer liegt im Vergleich zu derjenigen der deutschen eher niedrig. Nach einer Repräsentativuntersuchung aus dem Jahr 1985 handelte es sich nur zu rund 10% um Angestellte und zu 86% um Arbeiter, darunter 29% ungelernte, 36% angelernte und lediglich 18% Facharbeiter (Peter Fendrich 1987; zur neueren Entwicklung, auch im folgenden: Dietrich Thränhardt 1995; Bericht der Ausländerbeauftragten 1993 und 1994). Besonders deutlich wird eine sozialstrukturelle Benachteiligung aber durch das zunehmende Auseinanderlaufen der Arbeitslosenquote von Ausländern und Deutschen. Sie betrug 1988 für die Ausländer schon 14,4% gegenüber einer Gesamtarbeitslosenquote von 8,7%. Für die jungen Ausländer läßt sich eine solche Benachteiligung bereits im Ausbildungssektor erkennen. So besuchte 1988 nicht einmal jeder fünfte der

Ausländerkriminalität nichtdeutschen Schüler die Realschule (8,7%) oder das Gymnasium (9,5%), aber mehr als jeder dritte der deutschen Schüler (13,6 und 25,0%). Nach der genannten Repräsentativuntersuchung 1985 hatte zwar jeder vierte der 15 bis 24 Jahre alten Ausländer eine deutsche Schule besucht, aber nur die Hälfte davon hatte einen Schulabschluß erreicht, davon wiederum die Hälfte als höchsten den Hauptschulabschluß. Auf besondere Schwierigkeiten stoßen die jungen Ausländer bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Nur die Hälfte der (1985) 15- bis 24jährigen Nichtdeutschen, die sich um eine betriebliche Ausbildung beworben hatten, hatte einen solchen Platz auch erlangt. Erwartungsgemäß mündet die defizitäre Ausbildung in eine deutlich überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit gerade der jungen Ausländer. Bemerkenswert ist schließlich, daß mehr als die Hälfte der in der Bundesrepublik gemeldeten Ausländer in Großstädten lebt. Dabei kommt es häufig zu Konzentrationen insbesondere in Altbau- und Sanierungsgebieten. Die Wohnverhältnisse sind vielfach schlecht und angesichts großer Familien sehr beengt, was nicht zuletzt auf erhebliche Probleme der Ausländer bei der Wohnungssuche zurückzuführen ist. Anders als zu Beginn der Anwerbepolitik kommt Gemeinschaftsunterkünften für die Gesamtheit der Nichtdeutschen heute zwar kaum noch Bedeutung zu. Eine Ausnahme betrifft aber die Asylbewerber, die neuerdings verstärkt in Sammelunterkünften - meist eine Vielzahl von Personen auf verhältnismäßig wenig Raum - untergebracht werden. Zudem ist ihr zulässiger Aufenthaltsbereich auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde beschränkt, und schon die wiederholte Verletzung dieser Restriktion erfüllt einen Straftatbestand. Eine besondere Benachteiligung für die Asylbewerber bilden außerdem Restriktionen hinsichtlich Erteilbarkeit einer Arbeitserlaubnis und Erwerbstätigkeit. Sie sind deshalb und ohnehin wegen der Arbeitsmarktlage vielfach auf den Bezug — u.U. beschränkter — Sozialhilfeleistungen angewiesen und können häufig über längere Zeit keiner sinnvollen Beschäftigung nachgehen. Diese Lebensumstände zeichnen in noch stärkerem Maße als bei den meisten anderen Teilgruppen der nichtdeutschen Bevölkerung mögliche kriminogene Faktoren ab.

4. Allgemeine

Entwicklung Kriminalität

der

registrierten

Die absolute Zahl der in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfaßten nichtdeutschen Tatverdächtigen weist für die letzten vier Jahrzehnte einen Anstieg um ein Vielfaches auf. Während sie 1953 nicht einmal 19.000 betrug und auch 1962 noch weniger als 50.000, waren es 1972 bereits rund 120.000, 1982 über 250.000 und 1994 sogar über 531.000 (alte Bundesländer einschließlich Gesamt-Berlin; Bundesge-

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biet insgesamt: rund 613.000). Diese Zahlen für sich besitzen aber schon angesichts des gleichzeitigen starken Anwachsens der ausländischen Wohnbevölkerung seit den 50er Jahren — das aber jedenfalls nicht die mehr als vierfache Zunahme der Tatverdächtigen seit Anfang der 70er Jahre erklären kann - kaum Aussagekraft. Entsprechendes gilt hinsichtlich der erheblichen Zunahme des Anteils der Nichtdeutschen an allen registrierten Tatverdächtigen: 1,7% im Jahr 1953, 3,6% 1962, 11,5% 1972, 16,6% 1984 und 32,4% 1994 (Bundesgebiet insgesamt: 30,1%). Festzustellen bleibt aber, daß sich die Schere zwischen diesem Anteil an der statistisch erfaßten Kriminalität und dem Anteil der (registrierten) Nichtdeutschen an der Wohnbevölkerung zusehends weiter geöffnet hat. Dementsprechend ergeben die aus den Tatverdächtigen- und Bevölkerungszahlen für die Gesamtpopulationen ohne Berücksichtigung von Verzerrungsfaktoren und sozialstrukturellen Unterschieden berechneten Kriminalitätsbelastungsziffern in den Jahren 1984 bis 1987 schon eine statistische Höherbelastung der Nichtdeutschen um etwa das Doppelte wie bei den Deutschen. In den letzten Jahren wird die Aussagekraft nicht differenzierender Zeitreihen und Belastungsvergleiche allerdings zusätzlich zu den nachfolgend behandelten Verzerrungsfaktoren beeinträchtigt durch erhebliche Veränderungen im Bereich der Zuwanderungen von Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie durchreisender Täter. So ist etwa die Erklärung für den deutlichen Rückgang der bisher höchsten absoluten Zahl von über 608.000 (Bundesgebiet insgesamt: fast 690.000) nichtdeutschen Tatverdächtigen des Jahres 1993 im darauf folgenden Jahr vornehmlich im Rückgang der Asylbewerberzahlen aufgrund der neuen rechtlichen Restriktionen zu suchen (Pfeiffer 1995, 62).

5. Beschränkungen kriminalstatistischer Analysen Pauschale Vergleiche vermitteln nicht nur deshalb ein stark verfälschtes Bild. Zu berücksichtigen sind, insbesondere bei Belastungsvergleichen, eine ganze Reihe von Verzerrungsfaktoren und sonstigen Umständen, auf die zum Teil seit einigen Jahren in der Polizeilichen Kriminalstatistik selbst hingewiesen wird. Eine der bedeutsamsten Verzerrungen ergibt sich aus dem „Dunkelfeld der Bevölkerungsstatistik". Bei rund einem Viertel der nichtdeutschen Tatverdächtigen handelt es sich nämlich um Durchreisende bzw. Touristen, um Angehörige der Stationierungsstreitkräfte und um sog. „Illegale", also Personen ohne Berechtigung zum Aufenthalt in der Bundesrepublik. Diese Personengruppen werden in der Bevölkerungsstatistik nicht erfaßt. Bei der Berechnung von Kriminalitätsbelastungsziffern (Tatverdächtigenhäufigkeit) und ebenso von Verurteiltenziffern auf der Grundlage der registrierten Wohnbevöl-

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Ausländerkriminalität

kerung kommt es also zwangsläufig zu deutlich überhöhten Werten für die Nichtdeutschen. Allerdings bleibt auch nach einer diesbezüglichen Bereinigung, die für die Gesamtbelastung, nicht aber für einzelne Altersgruppen oder Nationalitäten möglich ist, eine zwar geringere, aber doch noch erhebliche Höherbelastung der Nichtdeutschen bestehen. Eine Bereinigung hinsichtlich des Dunkelfeldes der Kriminalität kann demgegenüber nicht erfolgen. Die Vermutung liegt nahe, daß Ausländer vielfach schon aufgrund eines „fremdländischen" Aussehens und besonderer Verhaltensweisen oder aufgrund vorhandener Vorurteile einer verschärften Beobachtung durch die einheimische Bevölkerung und die staatlichen Kontrollinstanzen unterliegen und daß verstärkt durch eine latente Fremdenangst oder auch Ausländerfeindlichkeit (vgl. bereits Bernhard Villmow 1983) - ihnen gegenüber eine erhöhte Bereitschaft zur Anzeige vermeintlicher oder wirklicher Straftaten besteht. Daraus würde für die Deutschen ein größeres Dunkelfeld der nicht registrierten Kriminalität resultieren. Ein gewisser Ausgleich könnte sich aber aus einer herabgesetzten Anzeigebereitschaft der Nichtdeutschen selbst bei Straftaten unter Landsleuten ergeben. Freilich ist zu vermuten, daß nichtdeutsche Opfer auch Straftaten deutscher l a t e r wegen Vorbehalten oder aus Angst vor dem Kontakt mit Behörden und Gerichten seltener zur Anzeige bringen. Eine Aufhellung dieser Verzerrungen kann nur durch eingehendere Dunkelfelduntersuchungen erfolgen. Anhaltspunkte für ein erhöhtes Anzeige- und Verfolgungsrisiko Nichtdeutscher finden sich aber auch, wenn man statt auf die polizeilich registrierten Tatverdächtigen auf die letztlich Verurteilten abstellt. Zwar ergibt sich hierbei ebenfalls noch eine deutliche Höherbelastung der Nichtdeutschen. Es fallt aber auf, daß ein erheblich geringerer Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen schließlich auch verurteilt wird, als es bei den deutschen Tatverdächtigen der Fall ist (siehe bereits Autorengruppe Ausländerforschung 1981, 89 ff.; Horst Schüler-Springorum 1983; Jürgen Mansel 1986 und 1988b; Ulrich Eisenberg 1990, 817 f.; Rainer Geißler, Norbert Marißen 1990; noch weitaus geringere Höherbelastung nach der selbstberichteten Delinquenz: Jürgen Mansel 1990 und 1994). Ein neuerer Erklärungsansatz geht allerdings dahin, daß bei nichtdeutschen Tatverdächtigen vielfach besondere Ermittlungs- und Beweisschwierigkeiten bestehen, die zu einer überproportionalen Quote von Verfahrenseinstellungen führen (Jo Reichertz und Norbert Schröer 1993; Jo Reichertz 1994; dagegen Jürgen Mansel 1994). Eine - nicht quantifizierbare - Rolle dürften auch Einstellungen wegen Flucht ins Ausland und wegen vor einer Verurteilung erfolgter Abschiebungen spielen. Deliktspezifische Vergleiche stützen andererseits die Hypothese, daß eine erhöhte Anzeige- und eventuell eine erhöhte primäre Verfolgungsbereitschaft gegenüber Ausländern zu einer erhöhten polizeilichen Registrie-

rung auch im Bagatellbereich führe und sich dies in einer erhöhten Quote späterer Geringfügigkeitseinstellungen niederschlage (Jürgen Mansel 1994; vgl. auch Alexander Pick 1994). Es läßt sich kaum zuverlässig einschätzen, welches Gewicht diesen Ursachen insgesamt zukommt. Eine monokausale Erklärung der Differenz zwischen Tatverdächtigen- und Verurteiltenstatistik dürfte jedoch ausscheiden. Die unterschiedliche Häufigkeit von Mehrfachtätern bei Deutschen und Ausländern führt, nachdem seit 1984 auch die Polizeiliche Kriminalstatistik auf die „echte" Tatverdächtigenzählung umgestellt worden ist, nicht mehr zu Verfälschungen. Sie ist aber bei der Bewertung früherer statistischer Analysen und bei Zeitreihenvergleichen zu berücksichtigen. Nach neueren Untersuchungen finden sich Mehrfachtäter in höherem Maße unter den deutschen Tatverdächtigen (Antje Oppermann 1987; Edwin Kube, Karl-Friedrich Koch 1990; Monika Trauisen 1988; abweichend Thomas Karger, Peter Sutterer 1990). Die Plausibilität dieses Befundes wird erhöht durch die bestehende Möglichkeit der Ausweisung straffälliger Ausländer, die dann nicht mehr als Mehrfachtäter registriert werden können, und statistisch durch den Umstand, daß mit der Ausschaltung der Mehrfachzählung in der Polizeilichen Kriminalstatistik Tatverdächtigenzahlen und dementsprechend Belastungsziffern bei den Deutschen deutlich stärker sanken als bei den Nichtdeutschen. Dies zeigt gleichzeitig, daß ein Teil der zunehmenden Höherbelastung der Nichtdeutschen allein durch die Umstellung der statistischen Erfassungsweise erklärt werden kann. Eine weitere Verzerrung des Vergleichs ergibt sich schließlich aus der Einbeziehung von Straftaten gegen das Ausländergesetz und das Asylverfahrensgesetz, die schon tatbestandlich ganz überwiegend nur von Ausländern begangen werden können. Derartige Delikte werden mittlerweile, wenn auch nicht zwingend ausschließlich, deutlich mehr als einem Viertel aller nichtdeutschen Tatverdächtigen vorgeworfen. Abgesehen von diesen (statistischen) Verzerrungsfaktoren wird die Vergleichbarkeit der Gesamtpopulationen von Deutschen und Ausländern aber auch erheblich durch die unterschiedliche Bevölkerungsund Sozialstruktur beeinträchtigt. Trotz der Veränderungen hinsichtlich Alters- und Geschlechtsverteilung seit den 50er und 60er Jahren bei den Nichtdeutschen sind Personen männlichen Geschlechts und jüngere Altersgruppen, also Bevölkerungsteile mit auch bei den Deutschen regelmäßig höherer Kriminalitätsprävalenz, noch immer deutlich überrepräsentiert. Als Beispiel für die noch bestehende demographische Verschiedenheit sei angeführt, daß Ende der 80er Jahre Frauen im Alter von 50 Jahren und mehr rund ein Fünftel der gesamten deutschen Bevölkerung stellten, aber nur etwa ein Zwanzigstel der nichtdeutschen. Die daraus resultierenden Verzerrungen lassen sich allerdings durch Vergleiche jeweils entsprechender Alters- und Geschlechtsgruppen ohne größere

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Ausländerkriminalität Schwierigkeiten vermeiden. Demgegenüber können schichtbezogene Unterschiede, soziale Benachteiligungen, z. B. hinsichtlich schulischer und beruflicher Ausbildung und Arbeitslosigkeit, oder auch die starke Konzentration von Nichtdeutschen auf urbane Ballungsräume, in denen auch bei den Deutschen eine erhöhte Kriminalitätsbelastung besteht, regelmäßig nur bei der Interpretation der kriminalstatistischen Befunde berücksichtigt werden. Zum Teil wird allerdings versucht, eine hypothetische deutsche Vergleichspopulation mit entsprechender Sozialschichtverteilung wie in der nichtdeutschen Bevölkerung zu konstruieren. So berechnet Jürgen Mansel (1985, 1986, 1988b) unter Heranziehung des Anteils der Unterschichtsangehörigen an allen Tatverdächtigen und Verurteilten sowie der Anteile der Unterschichtsangehörigen an der deutschen und an der nichtdeutschen Bevölkerung einen Multiplikationsfaktor für die Belastungsziffern der Deutschen, mit dem er überwiegend zu einer deutlich niedrigeren Belastung der Nichtdeutschen gegenüber der (hypothetischen) deutschen Vergleichspopulation kommt. Bei einem derartigen Verfahren besteht jedoch die Gefahr, daß statistische Verzerrungen und mögliche Erklärungsansätze für Kriminalität (oder Kriminalisierung) vermischt werden. Vor allem erheben sich angesichts der zunehmenden Heterogenität des nichtdeutschen Bevölkerungsteils Zweifel an der Zulässigkeit des Einsatzes pauschaler Schichtausgleichsfaktoren (vgl. Thomas Karger, Peter Sutterer 1990). Methodisch noch problematischer erscheint der Weg von Rainer Geißler und Norbert Marißen (1990), die gleichfalls zu einer durchweg höheren Belastung der von ihnen gebildeten hypothetischen deutschen Vergleichsgrupppen kommen. Während Mansel (1986) für seinen Multiplikationsfaktor unmittelbar auf die unterschiedliche Schichtstruktur abstellt, die er für die Nichtdeutschen insgesamt durch Verallgemeinerung der Unterschichtsquote bei den ausländischen Arbeitnehmern ermittelt, legen sie lediglich die unterschiedlichen Anteile fehlender Hauptschulabschlüsse bei jungen Deutschen und Ausländern zugrunde. Nun erscheint es zwar wohl plausibel, daß bei Deutschen und Nichtdeutschen ein vergleichbarer Zusammenhang zwischen Schichtzugehörigkeit und dem Vorliegen kriminogener Umstände besteht. Unter Vernachlässigung der methodischen Bedenken gegen das Vorgehen Jürgen Mansels kommt deshalb eine Korrektur im Hinblick auf die Schichtzugehörigkeit, ähnlich wie bei der Berücksichtigung von Alter und Geschlecht, grundsätzlich durchaus in Betracht. Dagegen kann aber kaum unterstellt werden, daß ein bei Deutschen und Ausländern gleichermaßen bestehender Zusammenhang auch zwischen Kriminalität und fehlendem Hauptschulabschluß existiert, da mit dem schulischen (Miß-)Erfolg bei den jungen Nichtdeutschen ganz andere Umstände, und seien es lediglich Sprachschwierigkeiten, verbunden sein können als bei den deutschen Schülern. Auch wenn jedoch die sozial-

strukturellen Benachteiligungen nach der hier vertretenen Auffassung nicht rechnerisch exakt im Belastungsvergleich ausgeglichen werden können, wird man jedenfalls grundsätzlich nicht bezweifeln dürfen, daß deutsche Vergleichsgruppen mit entsprechenden sozialen Bedingungen ebenfalls eine wesentlich höhere Kriminalitätsrate aufweisen würden und daß der Belastungsunterschied von Deutschen und Nichtdeutschen dann zumindest erheblich schrumpfen würde.

6.

Differenzierungen

Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik für 1994 waren 23,6% der deutschen, aber „nur" 17,1% der nichtdeutschen Tatverdächtigen weiblichen Geschlechts. Der geringere Frauenanteil verwundert angesichts der Bevölkerungsstruktur nicht, eher umgekehrt seine verbleibende Höhe. Zwar beläuft sich die Belastungsziflfer der weiblichen Nichtdeutschen nur auf etwa ein Drittel der Belastungsziffer für die männlichen Nichtdeutschen. Gleichzeitig liegt sie aber rund dreimal so hoch wie bei der weiblichen deutschen Population (Heinz Schöch, Michael Gebauer 1991, 44). Untersuchungen zur Kriminalität der Ausländerinnen haben ihre Höherbelastung für alle Altersgruppen, wenn auch mit teilweise erheblichen Unterschieden im einzelnen, bestätigt (Monika Trauisen 1990a; Jürgen Mansel 1988a; vgl. auch Heinz Schöch, Michael Gebauer 1991, 50). Die überdurchschnittlichen Anteile von Ausländerinnen bei bestimmten Delikten, insbesondere einfachem Diebstahl, aber z. B. auch Körperverletzung, können dabei als Hinweis auf die besondere Ursächlichkeit der minderprivilegierten Lebenssituation gewertet werden. Daneben gewinnt Jürgen Mansel z. B. aus der von ihm festgestellten überdurchschnittlichen Höherbelastung in Bundesländern mit allgemein restriktiverer Ausländerpolitik (vgl. auch Jürgen Mansel 1990 und Rainer Geißler, Norbert Marißen 1990), aber auch aus weiteren Erwägungen Argumente für seine kontrolltheoretische Begründung der Belastungsunterschiede. Bei dem Vergleich nach Altersgruppen findet sich durchweg bei männlichen und - wenn auch überwiegend schwächer — bei weiblichen Nichtdeutschen eine deutliche statistische Höherbelastung gegenüber den entsprechenden deutschen Bevölkerungsgruppen (Heinz Schöch, Michael Gebauer 1991, 50; Monika Trauisen 1988, 1990c und 1991; Christian Pfeiffer 1995, 64, 69). Gemessen am Anteil der einzelnen Altersgruppen an der registrierten nichtdeutschen Wohnbevölkerung ergibt sich mit wechselnder Rangfolge in den letzten Jahren im Bereich der Gesamtkriminalität die stärkste Überrepräsentierung für die Heranwachsenden, Jugendlichen und Jungerwachsenen bis 25 Jahre. Die absoluten Tatverdächtigenzahlen stiegen von 1984 bis 1993 mit Abstand am stärk-

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Ausländerkriminalität

sten bei den Jungerwachsenen und den Heranwachsenden. Der statistische Belastungsanstieg kann jedoch keineswegs ohne weiteres mit einer entsprechend erhöhten Kriminalität der seit längerem in der Bundesrepublik lebenden Ausländer, insbesondere der Gastarbeiter und ihrer Nachkommen, gleichgesetzt werden. Zwar dürfte gerade die starke Belastungszunahme bei den Jungerwachsenen zu einem nicht unerheblichen Teil auf das Nachwachsen der höher belasteten zweiten und dritten Generation zurückgehen. Vor allem die Zusammensetzung der jüngeren nichtdeutschen Population hat sich aber durch die seit den 80er Jahren erfolgten Neuzuwanderungen deutlich verändert. Zudem läßt sich nicht ausschließen, daß auch eine spezifische Altersstruktur der durchreisenden l a t e r neben der Gesamtverzerrung einen besonderen Einfluß auf die statistisch errechenbare Belastung der unter 30jährigen Nichtdeutschen hat. Aus diesen Gründen verbietet es sich zunehmend, bei Gesamtbetrachtungen der jungen Nichtdeutschen von der Kriminalität der zweiten und dritten Generation zu sprechen, wie es auch allgemein gilt, nach den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zu differenzieren statt generalisierend die „Ausländer-" oder gar - soweit sie nicht eben spezifisch untersucht wird - die „Gastarbeiterkriminalität" zu behandeln. Die „typischen" Gastarbeiternationalitäten stellen Mitte der 90er Jahre nicht einmal mehr die Hälfte der nichtdeutschen Tatverdächtigen, obwohl allein von 1991 bis 1994 die Zahl der türkischen Tatverdächtigen - parallel zu einem ähnlichen Anstieg der Bevölkerungszahl — um gut ein Fünftel angewachsen ist und sich die Zahl der Tatverdächtigen aus dem ehemaligen Jugoslawien sogar mehr als verdoppelt hat. Es läßt sich kaum bezweifeln, daß die letztgenannten Anstiege wesentlich mehr mit demographischen Veränderungen und „reisenden" Tätern zusammenhängen, als Rückschlüsse auf die Kriminalitätsentwicklung der ursprünglichen Wohnbevölkerung erlauben. Hinsichtlich der absoluten Zahlen bilden zwar türkische Staatsangehörige nach wie vor die insgesamt stärkste Gruppe. Mit 19,4% (1994, alte Bundesländer einschließlich Gesamt-Berlin) liegt ihr Anteil an allen nichtdeutschen Tatverdächtigen in den alten Bundesländern aber erheblich unter ihrem Anteil an der gesamten nichtdeutschen Bevölkerung. Faßt man die Tatverdächtigen aus dem ehemaligen Jugoslawien zusammen, die sich inzwischen auf unterschiedliche Staatsangehörigkeiten verteilen, so stehen sie mit über 21% der nichtdeutschen Tatverdächtigen noch vor den Türken an erster Stelle. Italiener stellen nur 4,2%, Griechen 1,8%, Spanier und Portugiesen jeweils weniger als 1% der nichtdeutschen Tatverdächtigen in den alten Bundesländern. Erheblich zugenommen hat dagegen in den letzten Jahren die Relevanz von Tatverdächtigen aus Polen (1994: 8,0%), deren absolute Zahl und Anteil allerdings 1990 ein Maximum (14,0%) erreicht hatte, aus

Rumänien (5,7%), Algerien (2,1%), der Russischen Föderation (2,1%, wegen statistischer Fehlerfassungen liegt der wirkliche Anteil noch höher) und anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks sowie aus außereuropäischen Staaten. Diese Zahlen können angesichts der starken Veränderungen allerdings nur als Momentaufnahme angesehen werden. Zudem lassen sich ihnen die Entwicklung in den neuen Bundesländern und eventuelle Verlagerungen dorthin - etwa hinsichtlich Tatverdächtiger aus Osteuropa - nicht entnehmen, da die Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts eine nationalitätenspezifische Differenzierung bisher nur für das alte Bundesgebiet einschließlich Gesamt-Berlin vornimmt. Zugleich ist die Aussagekraft der mitgeteilten Zahlen beschränkt, weil Unterschiede in der Deliktsstruktur bei der Gesamtbetrachtung nicht berücksichtigt werden. So ergeben sich bereits etwas andere Verteilungen auf die einzelnen Nationalitäten, wenn man die Straftaten gegen Ausländergesetz und Asylverfahrensgesetz außer acht läßt. Derartige Delikte wurden 1994 nur 10% der türkischen Tatverdächtigen vorgeworfen, aber 31%) der polnischen, 47% der rumänischen und z. B. sogar 63% der bulgarischen und 67% der vietnamesischen Tatverdächtigen. Insgesamt wird aber auch hiermit deutlich belegt, daß von einer einheitlich zu bewertenden und zu behandelnden „Ausländerkriminalität" nicht mehr die Rede sein kann. Besonders sichtbar wird dies bei der Differenzierung nach der Art des Aufenthalts. Während 1984 noch ein Drittel der nichtdeutschen Tatverdächtigen Arbeitnehmer waren, stellten diese - trotz eines deutlichen Anstiegs ihrer absoluten Zahl seit Anfang der 90er Jahre — 1994 nur noch weniger als ein Fünftel und damit kaum mehr als die „Illegalen". Die größte Gruppe bildeten 1994 mit einem Viertel der nichtdeutschen Tatverdächtigen Asylbewerber, deren Anteil von 8% im Jahre 1984 sogar auf 37% im Jahr 1993 gestiegen war. Auf „Touristen/Durchreisende" und „Studenten/Schüler" entfielen jeweils weniger als 10%. Die absoluten Tatverdächtigenzahlen sind allerdings seit 1984 nicht nur bei den Asylbewerbern, sondern bei allen Gruppen außer den Stationierungsstreitkräften angestiegen; bei „Illegalen" und „Touristen/Durchreisenden" haben sie sich sogar mehr als verdreifacht. Nach dem Aufenthaltsstatus differenzierte Belastungsvergleiche lassen sich wegen des Fehlens entsprechender Bevölkerungsbzw. Grunddaten nicht vornehmen. Lediglich für die Arbeitnehmer kann auf dem Hintergrund aller nichtdeutschen Beschäftigten weiterhin eine deutlich unterdurchschnittliche Belastung festgestellt werden, die bei Berücksichtigung der Alters- und Geschlechtsstruktur kaum höher, eventuell sogar niedriger liegt als bei den deutschen Arbeitnehmern (Hans Göppinger 1980, 532; Günther Kaiser 1988, 587; Heinz Schöch, Michael Gebauer 1991, 38; Christian Pfeiffer 1995, 63). Hinsichtlich der nicht zur legalen Wohnbevölkerung zählenden Gruppen er-

Ausländerkriminalität scheinen - jedenfalls für die Kriminalpolitik — aber ohnehin die absoluten Zahlen wichtiger als Aussagen zu einer wie auch immer bestimmten Belastung. Eine Bewertung kann auch hier nicht ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Deliktsstrukturen erfolgen. So ist bei den tatverdächtigen Asylbewerbern nicht nur der drastische Anstieg der allgemeinen Asylbewerberzahlen bis 1993 zu berücksichtigen, sondern etwa auch der Umstand, daß fast einem Drittel von ihnen ausländerrechtliche Delikte vorgeworfen werden. Sie sind im übrigen vor allem bei einfachen Diebstahlsdelikten, Betrugsdelikten davon zur Hälfte Leistungserschieichung — und Urkundenfälschung überrepräsentiert, stellen allerdings auch bei den Gewaltdelikten einen erheblichen, wenngleich nicht überdurchschnittlichen Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen (wobei von allen tatverdächtigen Asylbewerbern aber nur ein kleiner Teil wegen Gewaltdelikten registriert wird). Eine Ursächlichkeit der besonderen sozialen Minderprivilegierung und ungünstigen Lebens- und Aufenthaltsbedingungen liegt gerade insoweit nahe (vgl. Monika Trauisen 1990b und 1993a; Heinz Schöch, Michael Gebauer 1991, 20, 53). Differenzierterer Betrachtung bedürfen wie die Asylbewerber auch die weiteren Gruppen, insbesondere die durchreisenden und illegalen Tatverdächtigen. Hinsichtlich der Deliktsverteilung haben bisherige Untersuchungen zumeist eine besonders starke Höherbelastung der Nichtdeutschen gegenüber den Deutschen im Bereich der schwereren Gewalt- und der Sexualdelikte, daneben aber auch bei den leichten Vermögens- und Eigentumsdelikten ergeben. Hierbei finden sich jedoch mitunter deutliche Unterschiede bei den einzelnen Teilgruppen (z. B. nach Alter oder Aufenthaltsart), die wie die vielfaltigen Besonderheiten bezüglich Lebensbedingungen etc. einer generalisierenden Interpretation entgegenstehen. Eine spezifische Ausländerdelinquenz läßt sich im übrigen kaum feststellen. Allenfalls dürften einzelne Delikte oder Erscheinungsformen der Delinquenz (z. B. illegales Glücksspiel, Messerstechereien) auf die kulturelle oder landsmannschaftliche Herkunft zurückzuführen sein. Die in letzter Zeit häufig beklagte Zunahme der organisierten Kriminalität von Nichtdeutschen in der Bundesrepublik erscheint statistisch bisher kaum ausreichend sicher belegbar. Für die Gesamtbetrachtung der Kriminalität von Ausländern in der Bundesrepublik, insbesondere der hier nicht nur kurzfristig lebenden, kommt ihr trotz möglicherweise meinungsbildender Kraft in der Öffentlichkeit - allenfalls eine untergeordnete Bedeutung zu.

7.

Erklärungsansätze

Eine nach den verschiedenen Ausländergruppen, getrennt nach Alter, Aufenthaltsarten und Nationalitäten differenzierende Behandlung möglicher Krimi-

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nalitätsursachen oder anderer Erklärungsansätze ist im Rahmen dieser knappen Gesamtdarstellung nicht möglich. Es lassen sich aber in groben Zügen einige herausragende Theorien und ihre Plausibilität in verschiedenen Bereichen darlegen. Eine einheitliche Erklärung für die Kriminalität von Nichtdeutschen in der Bundesrepublik kann auch die bereits eingangs erwähnte speziell auf Ausländer bezogene Kulturkonflikttheorie nicht liefern. Vor allem wegen der geringeren kriminellen Belastung der ersten „Einwanderer"generation, bei der es doch am unmittelbarsten zum Aufeinandertreffen verschiedener Werte- und Normensysteme komme, wurde dieser Ansatz über längere Zeit von wohl der Mehrheit der deutschsprachigen Kriminologen abgelehnt (vgl. Günther Kaiser 1974 und 1988, 590 f., 597; Horst Schüler-Springorum 1983; Arno Pilgram 1984). In modifizierter Form wird der Gedanke des Kulturkonflikts in letzter Zeit aber mehrfach wieder ergänzend fruchtbar gemacht (Hans Joachim Schneider 1987, 306f.; Michael Walter 1987). Tatsächlich kann er nicht schon aufgrund der niedrigen Kriminalität der ersten und der weitaus höheren Belastung erst der nachfolgenden Generation(en) als widerlegt betrachtet werden. Wie teilweise auch von den Gegnern des Ansatzes dargelegt, läßt sich die geringe Belastung der überwiegend aus Arbeitnehmern bestehenden nichtdeutschen Population in den 60er Jahren auch durch eine Reihe besonderer Umstände erklären: insbesondere die strenge Auslese durch die Anwerbungskommissionen in den Herkunftsländern, verschärft durch eine damals wohl noch extensivere Ausweisungspraxis gegenüber Straftätern; den bei noch relativ ungesichertem Aufenthaltsstatus besonders intensiven generalpräventiven Druck durch drohenden Verlust des Arbeitsplatzes und drohende Ausweisung; schließlich eine wahrscheinlich verbreitete freiwillige Senkung des Aspirationsniveaus (Orientierung am Lebensstandard in den Herkunftsländern; Bereitschaft bei zunächst allenfalls mittelfristiger Bleibeabsicht, schlechtere Lebensbedingungen als die einheimische Bevölkerung hinzunehmen, um Geld für ein besseres Leben in der Heimat zu verdienen). Der letztgenannte Gesichtspunkt verweist freilich bereits auf einen anderen Bezugsrahmen für die Kriminalitätsentstehung als den Kulturkonflikt. Mit der später festgestellten hohen Belastung der zweiten Generation läßt sich die Kulturkonflikttheorie vor allem durch die Unterscheidung zwischen äußerem und innerem Konflikt in Einklang bringen. Der äußere Konflikt realisiert sich, wenn der Migrant nach bestimmten Normen seiner Herkunftskultur handelt, die im Widerspruch zu den Normen des Aufnahmelandes stehen. Auch wenn es dabei nicht nur um - häufig gar nicht bestehende - Unterschiede in der gesetzlich festgelegten Strafbarkeit geht, sondern sogar eher um nicht kodifizierte Wertvorstellungen (z. B. bei den „Ehrdelikten"), dürften davon allenfalls einzelne Erscheinungsformen der

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Ausländerkriminalität

Kriminalität betroffen sein. Mehr Gewicht besitzt die Annahme auch eines inneren Konflikts über die letztlich gültigen Werte und Normen, der bis hin zu einer anomischen Situation führen kann. Während die erste Generation noch fest in ihrem heimischen Wertesystem stabilisiert war, erscheint es plausibel, daß ein derartiger Konflikt vor allem bei den Angehörigen der zweiten Generation entstehen kann, die beständig zwischen den traditionellen Wertvorstellungen im Elternhaus und denen der deutschen Umwelt hin- und hergerissen sind. Eine gewisse Stütze scheint die Kulturkonflikttheorie durch die überdurchschnittlich hohe Kriminalität der Ausländer mit besonders stark von dem deutschen abweichendem kulturellen Hintergrund zu erfahren. Es handelt sich dabei um eine neue „erste Generation", für die viele bei der ursprünglichen Gastarbeiterpopulation wirksame kriminalitätshemmende Faktoren fehlen. Gleichzeitig weist sie aber, insbesondere soweit es um Asylbewerber geht, besonders nachteilige Lebensbedingungen in der Bundesrepublik auf, die zu überzeugenderen Erklärungen für eine erhöhte Kriminalitätsbelastung führen können. Zudem findet sich eine auffallig hohe registrierte Kriminalität nicht nur bei den aus der „Dritten Welt" Stammenden, sondern auch bei denjenigen aus den kulturell weniger verschiedenen ehemaligen Ostblockstaaten. Ein anderes Konzept zur Erklärung zwar nicht der Ursachen der Kriminalität von Ausländern, aber ihrer (überhöhten) Registrierung als Tatverdächtige und ihrer weiteren Strafverfolgung bildet der Labeling-Ansatz, der die „Kriminalisierung" von Ausländern aufgrund ihrer Fremdheit als Folge eines Zuschreibungsprozesses durch die einheimische Gesellschaft und ihre staatlichen Kontrollinstanzen sieht und der heute im wesentlichen in einer kontrolltheoretischen Version vertreten wird (Jürgen Mansel 1985, 1986, 1988, 1990, 1994; Helmut Richter 1981; Franz Hamburger u. a. 1981, 168; Rainer Geißler, Norbert Marißen 1990). Auf die Plausibilität einer erhöhten sozialen Kontrolle, Anzeige- und Verfolgungsbereitschaft gegenüber Ausländern sowie auf die Diskrepanz zwischen Tatverdächtigen- und Verurteiltenstatistik wurde bereits im Zusammenhang mit den kriminalstatistischen Beschränkungen hingewiesen. Ein gewisses Argument für den KontrollAnsatz ergibt sich auch aus der anscheinend extensiveren U-Haftpraxis gegenüber Ausländern (vgl. Michael Gebauer 1987, 125 f., 272 f., 311, 362 f. und 1993; Michael Walter 1993). Vor allem hinsichtlich der Zunahme der registrierten außereuropäischen Tatverdächtigen, verstärkt bei Asylbewerbern, dürfen kontrolltheoretische Überlegungen nicht vernachlässigt werden. Zum Teil wird aber deutlich über kontrolltheoretische Erwägungen und Befunde hinausgegangen und eine mehr oder weniger bewußte Kriminalisierung von Ausländern aus ökonomischen, bevölkerungspolitischen, kriminalpolitischen oder allgemeinpolitischen Gründen behauptet (vgl. insbesondere Jürgen

Mansel 1990). Eingehend untersucht wurden derartige Zusammenhänge von Michael Kubink und Michael Walter (Veröffentlichungen jeweils einzeln und gemeinsam 1993; vgl. aber z. B. auch Arno Pilgram 1984 und 1993). Sie zeigen verschiedene Interessenfelder und Wirkungsmechanismen auf, die die Konstitution von „Ausländerkriminalität" als gesellschaftliches Problem und dessen Politisierung beeinflussen können und behandeln dabei insbesondere auch Parallelen zwischen ökonomischen Veränderungen (Arbeitsmarkt) und der Entwicklung der registrierten Kriminalität. Letzteres weist freilich über Kriminalisierungsfaktoren im Sinne des LabelingAnsatzes hinaus auch auf Bedingungen für die tatsächliche Kriminalitätsentstehung hin. Trotz eines in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich ausgeprägten - Erklärungswerts des Labeling-Ansatzes für eine überhöhte öffentliche Wahrnehmung und kriminalstatistische Registrierung von Nichtdeutschen kann er als solcher die Ursachen vorhandener Kriminalität nicht aufzeigen. Beispielsweise kann allein kontrolltheoretisch kaum erklärt werden, warum die äußerlich eher angepaßten jungen Ausländer, vor allem der Nachfolgegenerationen, noch immer eine deutlich höhere Belastung aufweisen als die Erwachsenen. Die weiterhin niedrige Belastung der nichtdeutschen Arbeitnehmer fügt sich demgegenüber problemlos in das Konzept der Anomietheorie ein, das zumindest Ausgangspunkt für weitere Erklärungsversuche sein kann (Peter-Alexis Albrecht, Christian Pfeiffer 1979, 53; Michael Gebauer 1981; Michael Walter 1987; Rainer Geißler, Norbert Marißen 1990). Nach dem Grundgedanken dieser Theorie resultiert strafbares Verhalten auf einem Mißverhältnis zwischen den allgemeinen gesellschaftlich gesetzten Zielen (z. B. hohes Einkommen, gute berufliche Stellung, soziale Anerkennung) und den sozialstrukturellen Mitteln, die dem einzelnen zur Erreichung dieser von ihm jedenfalls zunächst anerkannten Ziele zur Verfügung stehen. Dieser Gedanke kann im Hinblick auf die vielfältigen Benachteiligungen, denen in geringerem Maße die beschäftigten nichtdeutschen Arbeitnehmer, besonders stark aber die schon im Ausbildungsbereich schlechter gestellten jungen Ausländer und noch gravierender z. B. die Asylbewerber ausgesetzt sind, primär vor allem zur Deutung einer erhöhten Vermögenskriminalität herangezogen werden. Problematischer erscheint die Anwendung auf Gewalt- und Sexualdelinquenz. Insbesondere die Gewaltkriminalität läßt sich aber anomietheoretisch auch als „Rebellion" gegen die allgemeinen gesellschaftlichen Werte aufgrund der erlebten „relativen Deprivation" interpretieren. Nicht zuletzt kann die Anomietheorie wenigstens in einzelnen Bereichen einen erheblichen Beitrag zur Erklärung des Belastungsanstiegs seit den 60er Jahren liefern, wenn man auf die zwischenzeitliche Zunahme der im Vergleich zu der ursprünglichen vollbeschäftigten Arbeitnehmerpopulation sozialstrukturell besonders

Ausländerkriminalität benachteiligten nichtdeutschen Bevölkerungsgruppen sieht. Für die zweite und weitere Generationen der schon seit längerem zur Wohnbevölkerung zählenden Nichtdeutschen dürfte - insbesondere hinsichtlich der mit der Anomietheorie nur sekundär begründbaren Deliktsbereiche - einem sozialisationstheoretischen Ansatz (Peter-Alexis Albrecht, Christian Pfeiffer 1979, 45ff.; Franz Hamburger u . a . 1981, 169 f.; Günther Kaiser 1988, 599; Michael Gebauer 1981; grundlegend Achim Schräder u. a. 1979, 87 f., 166 ff.) größere Relevanz zukommen, der gewisse Parallelen zur Theorie des inneren Kulturkonflikts aufweist. Danach wird durch die fehlende Enkulturation in ein festes Werte- und Normensystem eine kriminalitätshindernde Sozialisation beeinträchtigt. Der Sozialisationsprozeß findet vielfach unter Lebensbedingungen statt, die das Entstehen von Aggressionen und deren kriminelle Entladung begünstigen: Spannungen im Verhältnis zu den Eltern, die häufig einem traditionell autoritären Erziehungsstil verhaftet sind, verstärkt durch beengte Wohnverhältnisse, außerdem mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit zur Kompensation der erlebten Benachteiligungen, da die Orientierung an der Situation der gleichaltrigen Deutschen und nicht an den Bedingungen im Heimatland erfolgt. Es kommt zu Zusammenschlüssen subkultureller Gruppen („peer groups") mit eigenständigem Wertgefüge, in denen eventuell kriminelles Verhalten aufgrund der als ungerecht empfundenen Benachteiligung moralisch gerechtfertigt wird. Aggressives Verhalten gegenüber Außenstehenden kann dabei auch vorkommen, um sich die im übrigen versagte soziale Anerkennung in der Gruppe zu verschaffen. Derartige Wertersetzungen kongruieren freilich auch mit anomietheoretischen Kategorien. Als wesentliche Bedingung, um Subkulturbildungen und Wertsubstitutionen entgegenzuwirken, erscheint es notwendig, die Integration der jungen Nichtdeutschen, die soziologisch weniger Ausländer als Inländer ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind, verstärkt zu fördern. Dazu gehört auch die Einräumung verbesserten Zugangs zu und verbesserter Teilhabe an der Mehrheitsgesellschaft, um eine Identifikation mit deren Werte- und Normensystem zu ermöglichen (vgl. auch Franz Streng 1993). Im Bereich der Sexualdelinquenz ist zwar auch an eine qualitativ frühere und generell größere Anzeigebereitschaft gegenüber (mutmaßlichen) nichtdeutschen Tätern zu denken. Eine erhöhte Belastung bezüglich einschlägiger Delikte könnte aber wesentlich auf anderen Umständen beruhen (vgl. Dagmar Koenigs 1989, 94 ff.; Autorengruppe Ausländerforschung 1981, 65). Hier kann etwa wiederum das Zusammentreffen besonders strenger traditioneller Moralvorstellungen mit einer vergleichsweise freizügigen deutschen Umwelt zu einer Anomie bezüglich des im zwischengeschlechtlichen Bereich Zulässigen führen. Dies gilt umso mehr, wenn in der Herkunftskultur

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eine Trennung der Geschlechter bestand, die in der deutschen Umwelt in ungewohnter Weise aufgehoben ist. Vorstellbar ist auch, daß Bekleidung oder Verhalten deutscher Frauen aufgrund des eigenen kulturellen Erfahrungshintergrundes mitunter falsch interpretiert werden und diese primäre Fehlinterpretation letztlich in sexuelle Übergriffe mündet. Fraglich ist allerdings, inwieweit derartige Überlegungen auch zur Erklärung einer überhöhten Sexualdelinquenz der in der Bundesrepublik aufgewachsenen jungen Nichtdeutschen beitragen können. Hier vermag die Anomietheorie eine überzeugendere Begründung zu liefern. Die jungen „Ausländer" erleben in ihrer Umwelt ständig feste und lockere Beziehungen der gleichaltrigen Deutschen. Werbung und Medien verstärken häufig das Bedürfnis, eine Freundin zu „besitzen". Kontakte zu Mädchen der eigenen Nationalität außerhalb eines Verlöbnisses oder vor einer Heirat sind vielfach tabuisiert und werden insbesondere von den Familien streng überwacht. Von deutschen Mädchen erfolgt nicht selten eine Zurückweisung, oder der Kontakt zu ihnen wird erschwert, etwa durch deutsche Begleiter oder den Nichteinlaß in Diskotheken etc. Auf diesem Hintergrund kann Sexualdelinquenz sowohl als unerlaubtes Mittel zur Zweckerreichung erscheinen als auch als „Rebellion" gegen die Freizügigkeit, an der man selbst nicht teilhat. Derartige Hypothesen lassen sich freilich durch lediglich statistische Analysen nicht überprüfen. Notwendig ist hier und in anderen Bereichen eine ergänzende „qualitative" Ursachenforschung, wie sie bisher für die Kriminalität von Nichtdeutschen kaum vorliegt (vgl. etwa die Untersuchung von Franz Hamburger u. a. 1981). Im Ergebnis verdeutlicht der kurze Theorienüberblick, daß selbst bei Betrachtung einzelner Gruppen der nichtdeutschen Bevölkerung oder einzelner Deliktsarten eine monokausale Erklärung jeweils kaum möglich ist, sondern die Entstehung von Kriminalität regelmäßig nur multifaktoriell begründet werden kann. Die nach hier vertretener Ansicht insgesamt wohl bedeutsamste Anomietheorie ergänzt durch sozialisationstheorethische Aspekte zeigt aber, daß der Weg zu einer Prophylaxe weniger im Bereich der Kriminalpolitik als in dem der Gesellschaftspolitik zu suchen ist, wobei es vornehmlich um den Abbau sozialstruktureller Benachteiligungen und eine Förderung der Integration insbesondere der jungen Ausländer geht. Eine Sonderrolle kommt allerdings auch hinsichtlich der Gegenmaßnahmen den in jüngster Zeit bedeutsamer gewordenen „durchreisenden" Tätern ohne festen Aufenthalt und Verbleibsabsichten in der Bundesrepublik zu. Festzuhalten bleibt aber, daß es die Kriminalität „der" Ausländer nicht gibt, sondern nur die Kriminalität „von" Ausländern, die sich bei den einzelnen Untergruppen sowohl in der quantitativen und qualitativen Erscheinung als auch in den Entstehungsbedingungen sehr stark unterscheiden kann. Die notwendige Differenzierung sollte jedoch nicht zu einer Aufteilung in „gute" und

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Ausländerkriminalität

„weniger gute" Ausländergruppen verleiten, sondern zu einer spezifischen Ursachen- und Prävalenzforschung und der Suche nach gezielten Präventionsstrategien veranlassen. Monographien, Sammelwerke,

Lehrbücher

P.-A. Albrecht, C. Pfeiffer: Die Kriminalisierung junger Ausländer. Bef u n d e und Reaktionen sozialer Kontrollinstanzen. München 1979. Autorengruppe Ausländerforschung: Zwischen G e t t o und Knast. Jugendliche Ausländer in der Bundesrepublik. Reinbek 1981. A. Chaidou: Junge Ausländer a u s Gastarbeiterfamilien in der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Kriminalität nach offizieller Registrierung und nach ihrer Selbstdarstellung. F r a n k f u r t / M . u. a. 1984. U. Eisenberg: Kriminologie. 3. Aufl. Köln u. a. 1990. M . Gebauer: Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland. Eine empirische Untersuchung zur Praxis der H a f t a n o r d n u n g und des Haftverfahrens. München 1987. H. GÖppinger: Kriminologie. 4. Aufl. M ü n c h e n 1980. F. Hamburger, L. Seus, O. Wolter: Z u r Delinquenz ausländischer Jugendlicher. Bedingungen der Entstehung und Prozesse der Verfestigung. Wiesbaden 1981. G . Kaiser: Kriminologie. Ein Lehrbuch. 2. Aufl. Heidelberg 1988. D. Koenigs: Notzuchtkriminalität von Ausländern in Berlin. Kriminologische, viktimologische und gynäkologische Aspekte. Medizinische Dissertation. Berlin 1989. M . Kubink: Verständnis und Bedeutung von Ausländerkriminalität. Eine Analyse der Konstitution sozialer Probleme. Pfaffenweiler 1993. A. Pitsela: Straffälligkeit und Viktimisierung ausländischer Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland. Dargestellt a m Beispiel der griechischen Bevölkerungsgruppe. Freiburg 1986. C. Pfeiffer: Kriminalität junger Menschen im vereinigten Deutschland. Eine Analyse auf der Basis der Polizeilichen Kriminalstatistik 1 9 8 4 1994. Vorabdruck der D V J J zum 23. Deutschen Jugendgerichtstag. Hannover 1995. H . J. Schneider: Kriminologie. Berlin, New York 1987. H . Schöch, M . Gebauer: Ausländerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland. Kriminologische, rechtliche und soziale Aspekte eines gesellschaftlichen Problems. Baden-Baden 1991. A. Schräder, B. Nikles, H . Griese: Die zweite Generation. Sozialisation und Akkulturation ausländischer Kinder in der Bundesrepublik. 2. Aufl. Königstein 1979. Th. Sellin: Culture Conflict and Crime. New York 1938. H . Willems, S. Würtz, R . Eckert: Fremdenfeindliche Gewalt: Eine Analyse von Taterstrukturen und Eskalationsprozessen. Forschungsbericht. Bonn 1993.

Zeitschriften- und

Sammelwerksaufsätze

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Politische Kriminalität Β. Villmow: Kriminalität der jungen Ausländer. Ausmaß und Struktur des abweichenden Verhaltens und gesellschaftliche Reaktion. H.-J. Kemer u. a. (Hrsg.): Festschrift für Leferenz. Heidelberg 1983, 3 2 3 343. M. Walter: Die Kriminalität junger Ausländer. Forschungsstand und offene Fragen. Bewährungshilfe 1987, 6 0 - 8 2 . M. Walter: Über die Bedeutung der Kriminalität junger Ausländer für das Kriminalrechtssystem. DVJJ-Journal 1993, 347-359. M. Walter, M. Kubink: Ausländerkriminalität - Phänomen oder Phantom der (Kriminal-)Politik? MschrKrim 76 (1993), 306-319. M. Walter, A. Pitsela: Ausländerkriminalität in der statistischen (Re-) Konstruktion. KrimPäd 1993, 6 - 1 9 ) .

logie sind mannigfaltig. Einige Ursachen sollen beispielhaft genannt werden: -

Statistische Veröffentlichungen Bundeskriminalamt, Kriminalistisches Institut (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik. Wiesbaden (jährlich). Bundeskriminalamt (Hrsg.): PKS-Zeitreihen. Tatverdächtige ohne deutsche Staatsangehörigkeit bis 1994. Aufenthaltsstatus und Staatsangehörigkeit. Wiesbaden 1995. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Ausländer. Fachserie 1. Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Reihe 2. (jährlich). Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Strafverfolgung. Fachserie 10. Rechtspflege. Reihe 3. (jährlich). Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, (jährlich). MICHAEL

GEBAUER

POLITISCHE KRIMINALITÄT I. KRIMINOLOGISCHE ERFORSCHUNG In der kriminologischen Forschung und Lehre wird die politische Kriminalität vernachlässigt. Zwar wird über den Terrorismus so häufig und so dramatisch in den Massenmedien berichtet, daß der Terrorist in der Bevölkerung fast schon zum Prototyp, zum Urbild, zum Inbegriff des Rechtsbrechers geworden ist. Die journalistische und politikwissenschaftliche Literatur über Terrorismus im In- und Ausland sind nahezu unübersehbar. Auch haben Wissenschaftler der Vereinigten Staaten den Völkermord ausführlich und sorgfältig bearbeitet. In die kriminologische Forschung und Lehre haben alle diese Bemühungen aber kaum Eingang gefunden. Es mangelt insbesondere an einem kriminologischen Konzept über das politische Verbrechen und an einer Systematik der politischen Kriminalität. Sehr wenig diskutiert werden die politischen Straftaten, die innerhalb demokratisch rechtsstaatlicher Systeme von politischen Amtsträgern, aber auch gegen das demokratisch rechtsstaatliche System begangen werden. Die seltene Behandlung der politischen Kriminalität in der Kriminologie steht in scharfem Gegensatz zur Bedeutung und zur Schwere politischer Verbrechen. Sie verursachen wesentlich schwerere persönliche, materielle und immaterielle Schäden als die Straßenkriminalität, die so hohe Aufmerksamkeit in der Kriminologie genießt. Die Gründe für die Seltenheit der Behandlung politischer Kriminalität in der Krimino-

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Politische Verbrechen werden in ideologischem Zusammenhang verübt. Unter einer Ideologie versteht man ein begrenztes Glaubenssystem, Ideen, abstrakte Ideale, die als der wahre Sinn des Lebens wahrgenommen werden und die Verhalten steuern (Frank E. Hagan 1997, 1). Die Realität wird nach der Ideologie konstruiert. Ideologen setzen ihr Glaubenssystem absolut. Mit ihnen kann man keine Kompromisse machen. Viele Wissenschaftler, die sich mit politischer Kriminalität befassen, sind Ideologen, die das Streben nach Wertfreiheit gering achten (Kenneth D. Tunnell 1993, XVII). Deshalb gibt es bei der Erforschung der politischen Kriminalität viel Spekulation, wenig empirische Daten, viel Polemik, wenig Analyse.

Das Konzept der politischen Kriminalität ist systemabhängig. Der Terrorist eines Systems ist der Freiheitskämpfer eines anderen. Zahlreiche Politiker, die zunächst als Terroristen benannt und in Strafanstalten eingesperrt worden sind, wurden — nach einem politischen Umbruch geachtete Staatsmänner. - Politische Straftäter sind häufig mächtig, oder sie haben mächtige politische Sympathisanten. Sie verhindern den empirischen Zugang zu politischen Delikten und versuchen, politische Straftaten zu verdecken. Sie benutzen nicht selten ihre politische Macht, um die kriminologische Erforschung der politischen Kriminalität zu verhindern. Entdecker politischer Delikte werden eher bestraft als belohnt. - Von Kindheit an wird der Mensch zum Vertrauen in die politische Autorität erzogen, deren Träger als Symbole anerkannter Werte gelten. Es kann nicht sein, daß derjenige, der die Definitionsmacht darüber besitzt, was kriminell und was nicht-kriminell ist, selbst Straftaten begeht. So ist jedenfalls die Grundannahme der Gesellschaft, die durch den Erforscher politischer Kriminalität bezweifelt wird. - Zahlreiche politische Straftaten besitzen internationalen Charakter. Sie stellen Verletzungen der Menschenrechte dar. Aber die Universalität der Menschenrechte ist umstritten. Das kommunistische China sieht sie als westliche kulturelle Normen an, die nicht für Asien gelten. Der internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen hat keine Macht, seine Entscheidungen durchzusetzen. Er ist lediglich eine moralische Instanz, die auf die Zustimmung aller beteiligter Staaten angewiesen ist (Freda Adler, Gerhard O.W. Mueller, William S. Laufer 1995, 448). Viele mächtige politische Rechtsbrecher besitzen die Sympathie anderer mächtiger Politiker und die Unterstützung verhetzter Massen, deren kriminelles Verhalten man fürchtet, falls man gegen mächtige politische Straftäter legal vorgeht.

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Politische Kriminalität

Trotz dieser gewichtigen Gründe, die Beschäftigung mit der politischen Kriminalität zu umgehen, nimmt die Diskussion politischer Delikte zu. Das beruht auf dem Zivilisationsprozeß (Norbert Elias 1976), in dem sich die westlichen Gesellschaften befinden. Der Legitimationsdruck, der auf den Politikern lastet, wird immer stärker. Das Vertrauen des Bürgers in die Integrität des Staates, seiner Institutionen und Funktionsträger nimmt durch die Veröffentlichung zahlreicher politischer Skandale ab.

II. DIMENSIONEN A. Definition Politische Kriminalität ist jedes illegale oder sozialschädliche Verhalten, das aufgrund des Gebrauchs oder der Manipulation politischer Macht verübt wird oder das politische Macht entweder zu erlangen oder aufrechtzuerhalten trachtet (Raymond J. Michalowski 1985, 379). U n t e r p a c h t versteht man „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht" (Max Weber 1976, 28). Der politische Straftäter versucht, die vorhandene Struktur politischer Macht mit kriminellen Mitteln zu ändern (krimineller Machterwerb), oder er strebt danach, seine Macht und seine Privilegien mit kriminellen Mitteln zu erhalten (krimineller Machterhalt). Er verweigert dem Gesetz seinen Gehorsam, oder er setzt das Gesetz für seine privaten Belange oder zur rassischen, ethnischen oder politischen Diskriminierung anderer ein (krimineller Machtmißbrauch). Was politische Kriminalität ist, kann in dreifacher Weise definiert werden: -

Die strafgesetzliche Definition ist die engste. Sie versteht unter politischer Kriminalität alle die Delikte, die im Strafgesetzbuch als politische Straftaten ausgewiesen sind, also z. B. Friedensverrat, Hochverrat, Gefahrdung des demokratischen Rechtsstaats, Landesverrat, Gefährdung der äußeren Sicherheit, Straftaten gegen ausländische Staaten, Delikte gegen Verfassungsorgane und bei Wahlen und Abstimmungen, schließlich Straftaten gegen die Landesverteidigung (Law Reform Commission of Canada 1986a). Diese Delikte gehören zwar in der Regel zur politischen Kriminalität. Sie erfassen indessen die Rechtsbrüche, die durch staatliche Funktionsträger verübt werden, nur sehr unzulänglich. — Gemäß der psychologischen Definition kommt es auf die politische Natur der latermotivation an. Der politische Rechtsbrecher sieht die Kriminalität als ein notwendiges Mittel zur Erreichung höherer ideologischer Ziele an (Hagan 1997, 2). „Politische Motive können unterstellt, geleugnet, simuliert oder vorgegeben werden, und damit

werden sie zu einem Spielball der politischen Auseinandersetzung" (Fritz Sack 1993, 384). - Nach der dritten psycho- und soziodynamischen, realistischen Definition ist die soziale Bedeutung maßgebend, die das Verhalten für das unbeteiligte Publikum („Social Audience") hat (Paul G. Kooistra 1985, 110-114). Wie die Beteiligten, Täter und Opfer, das Verhalten verstehen, ist ebenso unbedeutend wie die Auffassung der Funktionsträger des Staates im Rahmen der formellen Sozialkontrolle (Klaus Laubenthal 1989, 332). Nach Austin T. Turk (1982, 1984) besteht politische Kriminalität in der Herausforderung, in der Infragestellung der Autorität und der dominierenden Stellung der Herrschaftsgruppe in einer Gesellschaft. Wenn sie ihre Macht bedroht sieht, liegt politische Kriminalität vor. Legale und illegale Aktivitäten staatlicher Funktionsträger sind - nach Austin T. Turk - politische Polizeiarbeit („Political Policing"). Hier wird die Herrschaftsgruppe nicht nur einseitig definitorisch geschützt, sondern sie besitzt auch die alleinige Definitionsmacht in eigener Sache. Politische Polizeiarbeit wird lediglich als Reaktion auf politisches Fehlverhalten politisch Machtloser angewandt. Aber die staatlichen Funktionsträger reagieren nicht nur legal oder illegal, nachdem sie durch das illegale Verhalten untergeordneter Gruppen herausgefordert worden sind. Sie begehen auch illegale Handlungen ohne die Herausforderung durch untergeordnete Gruppen. Im übrigen bezeichnet Turk durch die Definition der Reaktion des Staates als politische Polizeiarbeit diese Reaktion nicht als möglicherweise schädlich und illegal. Er verdeckt auf diese Weise die potentiell reale Natur solcher Handlungen (Piers Beirne, James Messerschmidt 1995, 286-325; Don C. Gibbons 1992, 395-397). Neben dem Begriff politische Kriminalität werden noch folgende Unterbegriffe verwandt, durch die Teile politischer Kriminalität umschrieben werden: Mit den Ausdrücken Staatsverbrechen (Gregg Barak 1991b, 1993) oder staatlich organisierte Verbrechen (William J. Chambliss 1989) beschreibt man Delikte, die von staatlichen Funktionsträgern verübt werden. Regierungskriminalität (Otto Triffterer 1994, 155) ist die Kriminalität, die von Regierungsmitgliedern begangen oder erleichtert wird. Zu ihr gehören auch Straftaten von natürlichen Personen, die „stellvertretend für die Regierung hoheitliche Aufgaben wahrnehmen oder sonst für diese oder in Übereinstimmung mit ihr tätig werden". Die Khaki-Kragen-Kriminalität (Clifton D. Bryant 1979) schließt alle Straftaten innerhalb des militärischen Bereichs in sich. Unter Gehorsamkeitsstraftaten (Herbert C. Kelman, V. Lee Hamilton 1989) versteht man Delikte, die innerhalb militärischer oder sonstiger staatlicher Organisationen auf Befehl oder Anordnung ausgeführt werden. Hierbei weiß der l a t e r oder er muß vernünftigerweise in seiner Position annehmen, daß der Befehl oder die Anordnung illegal ist. Das Begriffspaar „Makrokriminalität" (z. B. Genozid,

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Politische Kriminalität Kriegsverbrechen, Staatsterrorismus, nukleare Massenvernichtung) und „Mikrokriminalität" (z. B. Alltagsdelikte) verdeutlicht die kriminalpolitische Forderung nach Entkriminalisierung der „Mikrokriminalität" und nach stärkerer Beachtung, intensiverer Verfolgung und härterer Bestrafung der „Makrokriminalität" (Herbert Jäger 1988, 1989). Diese Forderung ist allerdings schwer zu erfüllen. Denn der Kriminalitätsschwund „nach oben" beruht zum Teil auf der schwereren strafrechtlichen Erfaßbarkeit und Nachweisbarkeit der „Makrokriminalität" und zum Teil darauf, daß die Bevölkerung (und die Massenmedien) die Kriminalität als Phänomen betrachten, das der Gesellschaft „von außen", durch Fremde angetan wird (Michael Walter 1993).

B. Geschichte Die Historie der politischen Delikte, die hier nur skizziert werden kann, hat Günther Kaiser (1996, 337—345) umfassend dargestellt. Im Mittelalter wurde politische Kriminalität als Vertrauensbruch gegenüber dem Lehnsherrn, z. B. dem König gegenüber, verstanden. Sie war in die Nähe der religiösen Straftaten, der Blasphemie (Gotteslästerung) und der Häresie (Ketzerei), gerückt (Majestätsverbrechen). Meist wollte eine Clique ehrgeiziger Adeliger den einen Monarchen, der ihnen nicht genehm war, durch einen anderen ersetzen, der ihnen mehr Vorteile versprach. In der Aufklärung und in der liberalen politischen Tradition, zu Ende des 18. und im 19. Jahrhundert, änderte sich das Bild des politischen Straftäters grundlegend. Er blieb zwar ein fehlgeleiteter Rechtsbrecher, aber er war dennoch ein Mann, der aus ehrenhaften Motiven handelte und dem man seine Würde nicht absprechen und dem man seine Achtung nicht versagen konnte. Er wurde anders, meist milder bestraft, da man politisch Andersdenkende mit dem Strafrecht zu bekämpfen pflegte und da man legale und illegale Mittel im politischen Machtkampf noch nicht so klar voneinander zu trennen vermochte (Einführung der nichtentehrenden Festungshaft). Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schwankte das Bild des politischen Kriminellen zwischen einem Idealisten, einem „noblen" Rechtsbrecher mit einer fast „heiligen" Persönlichkeit einerseits und einem geistig und seelisch abnormen Psychopathen andererseits unsicher hin und her. Cesare Lombroso und R. Laschi zählten (1891/1892) den politischen Kriminellen zu den Leidenschaftsverbrechern. Nach Raffaele Garofalo (1914, 45, 127, 401) waren politische Straftäter keine „natürlichen" Verbrecher. Für Willem Adriaan Bonger (1905) hatte der politische Straftäter - mit Ausnahme seiner Bezeichnung — mit dem „gewöhnlichen" Kriminellen nichts gemein; er war für ihn ein „homo nobilis"; denn er riskierte seine eigenen Interessen, seine Freiheit und sein Leben zum Nutzen der Gesellschaft, insbesondere für die unterdrückten

Klassen. Bonger hatte hier einen bestimmten Typ eines politischen Straftäters im Auge, der im Sinne der politischen Richtungen des Liberalismus und des Sozialismus gegen einen tyrannischen Staat kämpfte. Aus dem liberalen Verständnis der politischen Kriminalität schlug Adolf Hitler seinen Nutzen. Nach seinem erfolglosen Putsch in München im Jahre 1923 wurde er zu Festungshaft in Landsberg am Lech verurteilt. Dort konnte er nicht nur unter günstigen Bedingungen seine politische Hetzschrift „Mein K a m p f ' (eine Anleitung zu politischer Kriminalität) verfassen; sein Prestige und sein Ansehen erhöhten sich auch noch durch die Verbüßung der Festungshaft. Charakteristischerweise vermochte sich in den Vereinigten Staaten ein Konzept der politischen Kriminalität nicht zu entwickeln, das den politischen Rechtsbrecher als ehrenhaften Menschen beurteilte (Francis A. Allen 1974, 31/2). In einem demokratischen Rechtsstaat mußte der politische Straftäter ein geistig und seelisch abnormer Psychopath sein (Maurice Parmelee 1922, 462 - 4 6 4 ) . Während der Zeit des Nationalsozialismus (1933—1945) wurde kein ehrenhafter politischer Krimineller anerkannt. Da man das Volksinteresse mit der nationalsozialistischen Parteiideologie und dem Führerwillen gleichsetzte - der alles beherrschende nationalsozialistische Slogan lautete: Ein Volk, ein Reich, ein Führer! - , wurde jeder politisch Andersdenkende zum „gemeinen" Straftäter, der automatisch seine Ehre verlor und der sozial, psychisch und auch physisch vernichtet wurde (Barton L. Ingraham 1979, 286). Als einer der ersten hatte Louis Proal (1898) herausgearbeitet, daß sich der politische Kriminelle nicht nur gegen den Staat wendet, sondern daß auch Politiker in staatlichen Machtpositionen schwere Straftaten zu begehen vermögen. Unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen wandelte sich das Bild des politischen Kriminellen erneut (Mabel A. Elliott 1952, 180/1). Die Führer totalitärer politischer Regime wurden nun als kriminell anfällig beurteilt.

C. Fünf theoretische Modelle Die Fülle der Erscheinungsformen politischer Kriminalität läßt die Entwicklung einiger weniger Ursachentheorien nicht zu. Jede Erscheinungsform muß für sich mit einer Integration einer Reihe von Theorien mittlerer Reichweite erklärt werden. Die fünf folgenden theoretischen Modelle können deshalb die politische Kriminalität nur etwas näher charakterisieren. Sie können die Rahmenbedingungen ihrer Verursachung etwas konkreter umreißen (Lydia Voigt, William E. Thornton, Leo Barrile, Jerrol M. Seaman 1994, 383-388): — Das kapitalistische Staatsmodell geht davon aus, daß der Staat in kapitalistischen Gesellschaften die Interessen der kapitalistischen Klasse schützt,

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deren Bestreben nach Erwerb und Ausbeutung unweigerlich zu kriminellem Verhalten führt (vgl. auch Gerlinda Smaus 1991). - Das dysfunktionale Staatsmodell gründet sich auf Konzepte der Anomie und der sozialen Desorganisation (-> Kriminalitätstheorien, V, 6 4 5 668). Nach diesem Modell wird sich politische Kriminalität wahrscheinlich in Perioden ereignen, in denen das soziale System der Bevölkerung keine angemessenen Möglichkeiten, Organisationen und Werte zur Verfügung stellt. - Nach dem oligarchischen Staatsmodell konzentriert der Staat — selbst in einer Demokratie — seine Entscheidungsbefugnisse auf einige wenige, ziemlich unabhängige Funktionsträger, die sich von den unorganisierten Massen abheben. Der moderne Staat ist eine massive hierarchische Bürokratie, die die Interessen der formlosen Massen unberücksichtigt läßt. Sie ist schwerfällig und obskur, so daß die Entscheidungen, die an der Spitze getroffen werden, die öffentliche Verantwortlichkeit nicht berühren. Je oligarchischer das politische System wird, desto größer wächst die Möglichkeit zur politischen Kriminalität. - Der vierte Ansatz ist das Staats-Konflikt-Modell, das politische Kriminalität als Streit zwischen Staaten betrachtet und nach dem sie eine Form der Kriegsführung ist, um die Sicherheits- und ökonomischen Interessen einer Gesellschaft gegenüber einer anderen Gesellschaft zu schützen oder zu verbessern, mit der sie in Wettbewerb steht. Nach diesem Modell ist politische Kriminalität eine unabwendbare Folge für Staaten, die andere Staaten zu beherrschen und aus dem Wettbewerb zu drängen trachten. - Nach dem Legitimations-Modell ist politische Kriminalität ein Symptom für den Niedergang oder die völlige Abwesenheit einer legitimen Autorität. Staaten können nicht sehr lang durch Zwang regiert werden. Legitimation und Akzeptanz durch die Bevölkerung sind erforderlich. Manchmal leitet sich Legitimation aus Tradition oder Brauchtum ab; manchmal beruht sie auf vernünftig verabschiedeten Gesetzen. Aber es gibt Zeiten, in denen das Autoritätssystem veraltet ist und bröckelt. Neue charismatische Figuren füllen das Autoritätsvakuum aus und bedrohen das politische System. Politische Kriminalität ereignet sich dann auf beiden Seiten: auf der Seite der etablierten Macht und auf der Seite der Revolutionäre. Sie hält so lange an, bis sich eine neue Autorität legitimiert hat.

III. PROBLEME A. Unsicheres Konstrukt Die häufigen historischen Wandlungen im Bild des politischen Straftäters haben dazu beigetragen, daß sich kein einigermaßen sicheres und festes Kon-

strukt der politischen Kriminalität in der Gesellschaft zu bilden vermochte. Die Verwirrung wurde noch größer, als in den sechziger Jahren in den Vereinigten Staaten Massenprotestbewegungen, z. B. Bürgerrechts·, Antikriegsbewegungen, entstanden, die einerseits friedliche politische Demonstrationen durchführten und zum öffentlichen Ungehorsam aufriefen, in deren Verfolg es aber auch andererseits zu gewaltsamen Ausschreitungen und zu Konfrontationen mit der Staatsmacht kam (Ted Robert Gurr 1979). Rassenkrawalle ereigneten sich z. B. in den Schwarzengettos von Los Angeles 1965 und von Detroit und Newark 1967. Der Parteikonvent der demokratischen Partei in Chikago im Jahre 1968 war von einer gewaltsamen Ausschreitung begleitet. Die Verwicklung der Vereinigten Staaten in den Vietnam-Krieg (1965—1975) rief Studentenunruhen an zahlreichen Universitäten hervor. Die Unruhe griff auch auf einige Universitäten in der Bundesrepublik, z. B. auf die „Freie Universität Berlin", über. Es trug nicht zur Klärung des Begriffs der politischen Kriminalität bei, daß man alle Straftaten zu politischen Delikten und alle Strafgefangenen zu politischen Gefangenen erklärte (vgl. z. B. Charles E. Reasons 1973). Politische Kriminalität entsteht immer dann, wenn man den politischen Wandel, der zum demokratischen Rechtsstaat dazu gehört, mit kriminellen Mitteln (außerhalb der demokratisch rechtsstaatlichen Spielregeln) zu verhindern oder herbeizuführen versucht. Ob es ehrenvolle politische Straftaten gibt, ist auch heute noch umstritten. Über eines muß indessen unter Demokraten Einigkeit herrschen: Gewaltanwendung (gegen Personen oder Sachen) ist — auch aus politischen Gründen — gegen den demokratischen Rechtsstaat nicht gerechtfertigt. Der Staat besitzt das Gewaltmonopol, das er unter strengen rechtsstaatlichen Bedingungen auszuüben hat.

B. Meinungsfreiheit und Haßpropaganda Im demokratischen Rechtsstaat herrscht Meinungsfreiheit (Art. 5 GG). Deshalb kann die Äußerung einer von der Mehrheitsansicht abweichenden politischen Meinung (Minderheits-Auffassung) keine politische Straftat sein. Freilich ist die Meinungsfreiheit kein absolutes Recht; ihre Grenzen ändern sich im Sozialprozeß, und sie muß - auch in der Demokratie - immer wieder von neuem errungen und verteidigt werden (Gresham M. Sykes, Francis T. Cullen 1992, 269/270). So gewann Anfang der fünfziger Jahre in den USA eine politische Bewegung unter Führung von Senator Joseph McCarthy großen Einfluß, die die Äußerung kommunistischer Auffassungen für gefahrlich hielt und insofern die Meinungsfreiheit einschränken wollte, deren Spielraum nicht ein für allemal festgelegt ist. Feinde des demokratischen Rechtsstaats versuchen, sie zu unterhöhlen und zu beseitigen. Beispielsweise rühmte sich Adolf Hitler, der ein kriminelles politisches System errich-

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Politische Kriminalität tete, in vielen seiner Reden, die Weimarer Republik auf ganz legalem Wege unterwandert zu haben. Er benutzte die Meinungsfreiheit, um sie abzuschaffen. Die Diskussion der politischen Kriminalität leidet unter einer Verwischung zwischen legalem politischen Protest und kriminellem Verhalten. Einerseits versucht man, legale politische Demonstrationen mit Hilfe ihrer Kriminalisierung zu unterdrücken. Andererseits will man seine abweichende politische Auffassung durch Straftaten, durch Gewalt gegen Personen und Sachen, durch Nötigung der Regierung, die rechtmäßig zustandegekommene Parlamentsbeschlüsse ausführt, zum Ausdruck bringen. Die Öffentlichkeit ist mit Recht für politische Straftaten sensibilisiert, empfindlich geworden. Legaler Protest und Straftaten gehen indessen häufig ineinander über. Demonstrationen und politische Proteste beruhen auf sozialen und ökonomischen Krisen und politischer Frustration (Versagung). Forderungen nach sozialem und politischem Wandel werden von Minderheiten erhoben, aber - nach deren Auffassung nur unzulänglich erfüllt (Jerome Η. Skolnick 1969). Krawalle sind in der Regel nicht geplant; sie entstehen in einem Interaktionsprozeß zwischen Demonstranten und Polizei, in dem beide Seiten die Situation illusionär verkennen (objektiv falsch definieren) und in dem es auf beiden Seiten zu Überreaktionen und zu einer Emotionalisierung der Situation kommt (-• Krawalle, V, 382-391). Die Meinungsfreiheit stößt an Grenzen, wenn sie dazu benutzt wird, politische Straftaten vorzubereiten, zu planen, vom Schreibtisch aus zu leiten und im nachhinein öffentlich zu leugnen (Auschwitzlüge): - Verbrechen aus politischen Gründen müssen vom Täter nicht notwendigerweise eigenhändig begangen werden. Schreibtischtäter, Täter hinter dem Täter, spielen bei der Verursachung der politischen Kriminalität eine große Rolle. Das wird am Fall von Adolf Eichmann deutlich, der den Völkermord an Millionen Juden während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft von seinem Schreibtisch aus vorbereitete und leitete (Hannah Arendt 1976; Peter Papadatos 1964). - In der Strafrechtsnorm der Volksverhetzung ist der strafrechtliche Schutz vor politischen Straftaten durch die Kriminalisierung verbaler Angriffe in der Bundesrepublik weit vorverlegt. Andere Länder wie zum Beispiel Kanada, Dänemark und Norwegen haben ähnliche Strafvorschriften, die die Befürwortung des Völkermords, das Anstacheln von Haß in der Öffentlichkeit und die vorsätzliche Förderung des Rassenhasses unter Strafe stellen. Diese Strafbestimmungen, die sich gegen ideologische Hintermänner und Planer politischer Straftaten richten, sollen solche Delikte im Keime ersticken (Law Reform Commission of Canada 1986b; vgl. auch die Beiträge in: Rita Kirk Whillock, David Slayden 1995).

IV. TYPOLOGIE POLITISCHER STRAFTATEN A. Vier Deliktskategorien Die Fülle der Erscheinungsformen politischer Kriminalität kann man in die folgenden vier Typen einteilen: -

Straftaten, die sich gegen den Staat richten und ihn schädigen, sind zumeist im Strafgesetzbuch als besondere Straftatbestände ausgewiesen. Es geht ζ. B. um Verschwörungen, die Entführung von Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern, Spionage und Sabotage. - Kriminelle Handlungen, die von Regierenden verübt werden, die ein autoritäres, totalitäres oder theokratisches politisches System aufgerichtet haben, verletzen häufig die Verfassungs- und Menschenrechte ihrer Staatsbürger oder richten sich gegen andere Staaten. In totalitären Regimen werden ζ. B. politisch Andersdenkende (Dissidenten) ermordet, verbannt oder gefangen gesetzt, ζ. B. lange Zeit in Untersuchungshaft oder sogar in der Strafanstalt eingesperrt. Politische Gegner werden in Konzentrationslagern physisch vernichtet. In Lateinamerika beauftragen etliche Regierungen „Todesschwadrone" damit, politisch Mißliebige, die ihnen gefahrlich werden könnten, umzubringen oder einfach „verschwinden" zu lassen (vgl. die Beiträge in: Hans Werner Tobler, Peter Waldmann 1991). Staatliche Funktionsträger des Iran (ein „Komitee für Sonderangelegenheiten") ließen im Berliner Lokal Mykonos am 17. September 1992 vier iranisch-kurdische Oppositionelle ermorden. - Delikte, die von Regierenden innerhalb eines demokratischen rechtsstaatlichen Systems begangen werden, richten sich entweder gegen den eigenen Staat und seine Bürger oder gegen ausländische Staaten und deren Bürger (unter Verletzung internationalen Rechts). Ferner werden die Geheimdienste, die den Staat schützen sollen, dazu mißbraucht, innenpolitische Gegner zu bespitzeln, um ihnen im politischen Wettbewerb zu schaden. Das Kriminaljustizsystem wird schließlich als Waffe gegen den politischen Mitbewerber eingesetzt (Walter S. DeKeseredy, Martin D. Schwartz 1996, 100). Straftaten, ζ. B. Einbrüche, werden innerhalb des Kriminaljustizsystems geplant, um im politischen Wettbewerb, ζ. B. bei Wahlen, einen Vorsprung dem innenpolitischen Gegner gegenüber zu erlangen. Ein Beispiel für diesen Typ der politischen Kriminalität ist die Versenkung des Flaggschiffs „Rainbow Warrior" der Umweltschutz-Organisation „Greenpeace" im Hafen von Auckland in Neuseeland durch Geheimagenten der französischen Regierung im Juli 1985, um die „Rainbow Warrior" daran zu hindern, in die französischen Atomtests im Südpazifik einzugrei-

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fen (Don C. Gibbons 1992, 392). Ein Greenpeace-Mitglied kam dabei ums Leben. - Das Staatsamt eines Politikers oder eines sonstigen staatlichen Amtsträgers kann schließlich für eigene private Belange ausgenutzt werden: Korruption, Steuerhinterziehung. Diese Form der politischen Kriminalität wird mitunter auch in die Berufskriminalität eingeordnet, weil sie in Verbindung mit einem legalen Beruf ausgeführt wird. Es handelt sich indessen um politische Kriminalität, weil die Berufe des Politikers, des Richters oder des Polizisten mit einem außergewöhnlichen Vertrauen ausgestattet sind. Denn bei der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben unterliegen sie fast keiner Kontrolle (außer dem Moralbewußtsein der Bevölkerung, das sich im Journalismus manifestieren kann). Es ist ungewöhnlich, aber eben nicht ausgeschlossen, daß diejenigen zu Rechtsbrechern werden, denen man eigentlich die Kontrolle über die Kriminalität anvertraut hat (Marshall B. Clinard, Richard Quinney, John Wildeman 1994, 145).

B. Drei Merkmale des MachtMißbrauchs-Täters In der mehr als zweihundertjährigen Geschichte der Kriminologie ging man davon aus, daß alles, was die Regierung tat, oder alles, was im Namen des Staates zur Bekämpfung des Verbrechens getan wurde, rechtmäßig ist. Daß auch staatlich organisierte Kriminalitätskontrolle der Kontrolle bedarf, ist eine neue Erkenntnis der Kriminologie der Gegenwart. Lange Zeit hielt man den politischen Straftäter für einen Menschen mit abnormer Persönlichkeit. Diese überholte Erkenntnis verstellte den Blick dafür, daß jeder Politiker, Richter oder Polizist — auch im demokratischen Rechtsstaat - politische Straftaten in seinem Amt zu begehen vermag, wenn ihm die Gelegenheit dafür günstig erscheint. Politiker, die die ihnen im demokratischen Rechtsstaat auf Zeit übertragene Macht mißbrauchen, kann man mit folgenden drei Merkmalen charakterisieren: — Sie verüben Rechtsbrüche im Namen von Recht und Gesetz. Sie nehmen ihre Definitionsmacht zu kriminellen Zwecken in Anspruch. Deshalb ist politischer Machtmißbrauch so schwer zu erkennen und zu bekämpfen. — Sie nutzen die öffentliche Meinung aus, die den verantwortlichen Politikern, Richtern oder Polizisten Vertrauen entgegenbringt, weil sonst der Staat unregierbar wird. Es herrscht die Meinung vor, daß der Staat und seine Einrichtungen legal handeln und strafrechtlich geschützt werden müssen. Deshalb ist der kriminelle Machtmißbrauch von Politikern so verwerflich. — Sie bedienen sich zur Begehung ihrer Straftaten nicht selten des staatlichen Machtapparates zur Bekämpfung der Kriminalität. Deshalb ist krimineller Machtmißbrauch so gefährlich.

C. Machtmißbrauch im demokratischen Rechtsstaat „Machtmißbrauch ist jede positivrechtlich bzw. sozialethisch unvertretbare Ausübung oder zweckgerichtete Nichtausübung einer herausragenden sozialen Machtposition" (Otto Triffterer 1991, 209/210). Typisch für den Machtmißbrauch ist eine Unausgewogenheit der Stärke-Beziehungen, die zu Interaktionen der Über-Unter-Ordnung und zum Mißbrauch der Machtunterworfenen durch den Machtinhaber führt. Es gibt subtile Wege, um politisch Andersdenkende in der öffentlichen Meinung herabzusetzen oder als kriminell zu etikettieren. Politisch Unerwünschte werden z. B. gemeiner Verbrechen verdächtigt. Ihnen wird ein Strafverfahren angehängt. Einzelne Politiker benutzen die Geheimdienste, die dem Schutz des Staates dienen, oder die Kriminalämter ihrer Länder, die Kriminalität bekämpfen, um sich durch geheime Abhörmaßnahmen, durch Informanden oder sogar durch kriminelle Handlungen (z. B. Einbrüche) Informationen zu verschaffen, die ihnen vor ihren Mitbewerbern im demokratischen Wettbewerbsprozeß, z. B. bei Wahlen, einen Informationsvorsprung verschaffen oder die geeignet sind, ihre politischen Gegner persönlich herabzusetzen (vgl. zur Watergate-Aflare: H. J. Schneider 1987, 874; zur Barschel-Affäre: SchleswigHolsteinischer Landtag 1988; Herbert Wessels 1988; Armand Mergen 1988; Norbert F. Pötzl 1989; Herbert Schäfer 1991). Es werden Informationen über das Privatleben, z. B. das Sexualverhalten, die persönliche Vergangenheit und den Lebensstil von Politikern des eigenen Landes gesammelt, die bei übertriebener und einseitiger Darstellung geeignet sind, Mitbewerber um die politische Macht systematisch in Mißkredit zu bringen. Den Massenmedien wird das Material zugespielt. Zum Machtmißbrauch gehören ferner kriminelle Übergriffe der Polizei gegenüber Beschuldigten, z. B. körperliche Mißhandlungen, oder des Strafvollzugs gegenüber Strafgefangenen, die die Verfassungs- und Menschenrechte der Betroffenen verletzen (vgl. hierzu: Joel H. Henderson, David R. Simon 1994).

D. Gehorsamkeitsdelikte Sie werden innerhalb einer militärischen oder sonstigen staatlichen Organisation (z. B. innerhalb der Polizei) auf Befehl oder Anordnung begangen. Der Täter weiß, oder er muß in seiner Position vernünftigerweise annehmen, daß der Befehl oder die Anordnung illegal ist (Herbert C. Kelman, V. Lee Hamilton 1989, 46/47). Folgende beiden Beispiele sollen diese Definition konkretisieren: -

Am 16. März 1968 hatte der Leutnant William Calley in dem Dorf My Lai in Vietnam ein Massaker angerichtet, für das er sich vor einem Ge-

Politische Kriminalität rieht in den USA verantworten mußte. Im Vietnam-Krieg hatte Calley beim Auskämmen eines Dorfes 102 wehrlose Dorfbewohner, darunter viele Frauen und Kinder, teils töten lassen, überwiegend aber selbst mit einer Maschinenpistole erschossen, und zwar in einer Grube, in die die Opfer vorher zusammengetrieben worden waren (Kelman, Hamilton 1996). - Am 3. März 1991 wurde der farbige Autofahrer Rodney King nach einer Verfolgungsjagd wegen Geschwindigkeits-Übertretung von vier weißen Polizisten in Los Angeles bei seiner Festnahme mit Schlagstöcken (mit 56 Schlägen) und Fußtritten so schwer verletzt, daß der Mann ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Die Polizisten traten ihn und schlugen mit Gummiknüppeln auf ihn ein, als er bereits wehrlos am Boden lag. Zehn Polizisten standen dabei und beobachteten den Vorgang, der von einem Film-Amateur mit seiner Videokamera aufgezeichnet wurde. Das Video wurde im US Fernsehen mehrfach gesendet (Jerome Η. Skolnick, James J. Fyfe 1996, 1993). Am 29. April 1992 sprach ein Straf-Gericht des Staates Kalifornien, dessen Jury vorwiegend mit weißen Juroren besetzt war, die Polizisten frei, worauf es zu schweren Rassenkrawallen in den von Farbigen bewohnten Stadtvierteln von Los Angeles kam. Am 17. April 1993 verurteilte eine mit farbigen und weißen Juroren besetzte Jury eines Bundesgerichts zwei der vier Polizisten wegen der Verletzung von Verfassungsrechten des Rodney King (Hiroshi Fukurai, Richard Krooth, Edgar W. Butler 1994). Für die Verursachung von Gehorsamkeitsdelikten spielen die folgenden drei sozialpsychologischen Mechanismen eine wesentliche Rolle (Herbert C. Kelman, V. Lee Hamilton 1989, 16-20, 2 9 - 3 1 ) : Die Autorisierung bestimmt — nach Kelman und Hamilton - die Struktur der staatlichen AutoritätsSituation: Wenn Gewalthandlungen durch legitimierte Autoritäten ausdrücklich angeordnet, stillschweigend ermutigt, insgeheim gebilligt oder wenigstens erlaubt werden, erhöht sich die Bereitschaft der Menschen, sie zu begehen und zu entschuldigen. Solange sie die Legitimität der Befehle der Autorität nicht in Frage stellen, glauben sie, keine andere Wahl zu haben, als sie zu befolgen. Die Täter halten sich für die schädlichen Folgen ihres Handelns nicht für persönlich verantwortlich. Sie begreifen sich nicht als persönlich Handelnde, sondern als bloße Ausdehnung, Erweiterung und Verlängerung der befehlenden Autorität. Sie glauben, Grund für ihre Annahme zu haben, kriminelle Handlungen würden von ihren Vorgesetzten gewünscht. Krieg und rassische Auseinandersetzungen nähren diese Erwartung. Gehorsam wird durch die militärische und polizeiliche Ausbildung begünstigt. Den zweiten Mechanismus nennen Kelman und Hamilton (1989, 1996) Routinisierung. Sie führen dazu aus: Wenn die Menschen den devianten Le-

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bensstil einer hoheitlichen Organisation einmal angenommen haben, geraten sie in eine neue psychische und soziale Situation, in der die Druckphänomene zur Fortsetzung übermächtig werden. Ihre Handlungen werden zur Routine, zu mechanischen, automatischen, hoch programmierten Operationen umgeformt. Zunächst vermindert dieser Umstand die Notwendigkeit der Entscheidungsfindung und verkürzt auf diese Weise die Gelegenheiten, in denen sich moralische Fragen stellen. Sodann erlaubt er, sich nicht näher mit der devianten Handlung zu befassen, weil sich der Täter auf die Einzelheiten seiner Aufgabe konzentrieren muß und nicht über deren grundsätzliche Bedeutung nachdenken kann. Seine Obliegenheit wird in eine Serie voneinander getrennter Schritte zerlegt, die er automatisch und regelmäßig ausführt. Innerhalb der Organisation wird die Aufgabe auf verschiedene Stellen verteilt, die nur für die Realisierung kleiner Portionen der Aufgabe zuständig und verantwortlich sind. Diese Anordnung verschleiert die Verantwortlichkeit des einzelnen und begrenzt das Ausmaß der Entscheidung, die notwendig ist. Durch ihr routinemäßiges Vorgehen, ζ. B. durch die Weitergabe von Papieren, durch den Austausch von Memos, bestärken sich die verschiedenen Einheiten der hoheitlichen Organisation in ihrer Annahme, daß alle ihre Handlungen perfekt normal, korrekt und legitim sind. Die Effizienz der Leistung, die Produktivität der Einheit, der Zusammenhalt der Gruppe stehen im Vordergrund (im Vietnam-Krieg: der „Body Count", die Zählung der toten Feinde). Sprachregelungen, „Code-Namen für Lügen" (Hannah Arendt), sorgen dafür, daß der Prozeß der Normalisierung der Devianz nicht gestört wird. So nannte man im Vietnam-Krieg die völlige Zerstörung eines Gebietes und die Ermordnung seiner Bewohner „Befriedung" („Pacification"). Autorisierungs-Prozesse überspielen regelmäßig moralische Skrupel. Routinisierungs-Prozesse vermindern die Wahrscheinlichkeit, daß solche Gewissensbisse entstehen. Sie sind freilich - nach Kelman und Hamilton - nicht ausreichend, um den Schaden zu rechtfertigen, den der Täter seinem Opfer zufügt. Hierfür bedarf es des dritten Mechanismus, der Enthumanisierung, die dem Opfer seinen menschlichen Status nimmt, so daß die Grundsätze der Moral und der Humanität nicht mehr gelten. Das Opfer wird zweier Eigenschaften beraubt: einmal seiner Identität als unabhängiges Individuum, das Entscheidungen trifft und sich in seinem eigenen Leben behauptet, und zum anderen seiner Gemeinschaftsfahigkeit als Mitmensch, der in einem Netz zwischenmenschlicher Beziehungen lebt, das seine Individualität und seine Rechte sichert. Das Opfer gehört einer Kategorie von Wesen an, die aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen ist („Ungeziefer", „Untermenschen"). Es kommt nicht darauf an, was das Opfer getan hat, sondern darauf, was es ist und zu welcher Kategorie von Wesen es zufällig gehört. Es handelt sich um Opfer einer Politik, die die systematische Zerstörung als wünschbares Ziel und annehmbares

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Mittel anerkennt. Das Opfer wird als Wesen erkannt, das einer identifizierbaren, abgesonderten Kategorie angehört, die in der Geschichte schon stigmatisiert und aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen worden ist. Es zählt zu einer abgesonderten rassischen, religiösen, ethnischen oder politischen Gruppe, die als minderwertig und schädlich angesehen wird. Die Traditionen, die Gewohnheiten und die Sprachregelungen für die Enthumanisierung solcher Gruppen haben sich wohl etabliert. Die Opfer sind gesichtslose Figuren, die ihre Ausrottung verdienen. Innerhalb devianter Organisationen, die einen eindimensionalen Charakter haben, der lediglich Produktionsziele unterstreicht, wird die Devianz normalisiert, indem Gefahrensignale übersehen werden (Diane Vaughan 1996, 406, 410, 415).

den (Klaus Lüderssen 1992). Anhand konkreter Fälle werden Strukturen, Methoden und Mechanismen der DDR-Diktatur anschaulich und greifbar. Im gesellschaftlichen Lernprozeß haben die heutigen Strafurteile über politische Straftaten in der ehemaligen D D R einen unschätzbaren Wert. Im Sinne der positiven Generalprävention können sie wertvolle Richtlinien für politisch erlaubtes und verbotenes Verhalten zukünftiger Generationen entwickeln (Jutta Limbach 1994; vgl. auch die Beiträge in: Jürgen Weber, Michael Piazolo 1995).

V. KARRIERE POLITISCHER STRAFTÄTER A. Überzeugungs- und PseudoÜberzeugungs-Täter

E. Machtmißbrauch in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR)

(1949-1990) Im 20. Jahrhundert entfalteten zwei totalitäre Herrschaftssysteme ihre Macht in Deutschland. Der soziale und demokratische Rechtsstaat hat sich seit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus am Ende des 2. Weltkriegs im Jahre 1945 im Westen Deutschlands in einem mühevollen, jahrzehntelangen gesellschaftlichen Lernprozeß entwickelt, in dem zahlreiche Rückschläge und Mißerfolge verarbeitet werden mußten. Das Beispiel des totalitären kommunistischen Regimes in der ehemaligen D D R (1949-1990) macht deutlich, daß Unrecht nicht dadurch zum Recht werden kann, daß staatliche Institutionen es in Rechtsnormen kleiden (Gustav Radbruch). Das Unrecht des DDR-Regimes harrt seiner Aufarbeitung: 45 Menschen wurden durch Minen und Selbstschußanlagen an der innerdeutschen Grenze getötet. Durch Schußwaffengebrauch an der Mauer kamen etwa zweihundert Menschen ums Leben. Viele wurden schwer verletzt. Aus beschlagnahmten Postsendungen entnahm man Geld und Wertsachen. Geständnisse wurden durch massiven physischen und psychischen Druck während der Vernehmungen erzwungen. Eine ideologisierte Justiz diente dem Unterdrückungsapparat der D D R . Politische Gegner wurden als „Klassenfeinde", als „imperialistische Agenten", „Saboteure", „Abwerber", „Boykott-Hetzer", „Schädlinge" verfolgt und ohne ausreichende rechtliche Grundlage zu Freiheitsstrafen verurteilt. Wahlergebnisse fälschte man. Gefangene wurden in den Strafanstalten mißhandelt. Die „sozialistische Gesetzlichkeit" bestand im wesentlichen darin, alle die als Rechtsbrecher zu definieren, die die kommunistische Ideologie ablehnten. Bei der Wiedervereinigung hat die Politik entschieden, nur solche Rechtsbrüche zu ahnden, die auch nach dem Strafrecht der D D R bestraft werden konnten. Die Systemkriminalität muß seitdem in kriminelle Einzeltaten zerlegt und das individuelle kriminelle Fehlverhalten muß in jedem Einzelfall nachgewiesen wer-

Es gibt keinen Persönlichkeitstyp des politischen Rechtsbrechers. Dafür sind die Formen politischer Kriminalität zu verschieden. Insbesondere ist der politische Straftäter, der sein privates finanzielles Interesse verfolgt, von dem Rechtsbrecher mit politischen Motiven zu trennen. Diese Täter können allerdings mit einigen Merkmalen umschrieben werden, die ihnen in vielen Fällen mehr oder weniger zu eigen sind und die in gleicher Weise für Straftäter zutreffen, die gegen den Staat handeln oder die in amtlichen Positionen ihre Macht mißbrauchen. Der politische Rechtsbrecher ist ein Überzeugungs- oder ein Pseudo-Überzeugungs-Täter (Stephen Schafer 1974, 145-158). Nach der Meinung des Überzeugungs-Täters sind seine Straftaten zum besten der Gesellschaft und des Staates erforderlich oder wenigstens gerechtfertigt. Er hält sich nicht für kriminell; er macht einen entschiedenen Unterschied zwischen sich und „gemeinen" Kriminellen, mit denen er sich nicht auf eine Stufe stellen lassen will. Er entwickelt das Selbstbild eines Idealisten, eines politischen Propheten. Er hat altruistische Motive und will nichts für sich selbst. Er ist von der Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit seines politischen Glaubens fest überzeugt; er dient seiner Ideologie mit Hingabe. Im Unterschied zum politischen Überzeugungstäter verfolgt der politische Pseudo-Überzeugungs-Täter in Wirklichkeit eigensüchtige persönliche Ziele; er gibt eine politische Motivation lediglich zu seiner Rechtfertigung vor. Er begeht Straftaten aus Geltungssucht, aus Abenteuerlust oder zur Förderung seiner persönlichen Karriere. Er wird für besonders gefährlich angesehen, weil er unter dem Deckmantel des Idealisten eine erhebliche kriminelle Energie verbergen und voll zur Geltung bringen kann.

B. Persönlichkeit des politischen Kriminellen Es wird die Meinung vertreten, daß politische Straftäter Psychopathen sind, die in sozialen Konfliktsituationen Rechtsbrüche verüben (Austin T.

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Politische Kriminalität Turk 1982, 1983, 1984). Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Vielmehr ist der politische Straftäter durch Sozialisationsmängel (psychische und soziale Belastungen in seinem Lebenslauf) geprägt, die unter starkem ideologischen Einfluß (Indoktrination) und in einer instabilen politischen Situation wirksam werden. Bereits Hans von Hentig (1970) hat darauf hingewiesen, daß politische Straftäter unerbittliche Fanatiker und ideologische Menschheitsbeglücker sind, die während ihres Lebens zahlreiche psychische Mängel erworben haben und die die Desorganisation der Gesellschaft geschickt ausnutzen. Der politische Tater handelt im Verfolg einer politisch kriminellen Karriere, in der er sich Geltungssucht, mangelnde Ertragungsfähigkeit und Selbstüberheblichkeit im Interaktionsprozeß angeeignet hat. In einem kognitiv-sozialen Lernprozeß hat er die Selbst-Konzeption, den Selbstregulierungs-Mechanismus des politischen Kriminellen für sich entwickelt (Charles S. Carver, Michael F. Scheier 1996, 495-525; Albert Bandura 1986, 356). Der spätere autoritäre Gehorsamstäter, der nationalsozialistische Gewaltverbrecher, lernt z. B. im Elternhaus bedingungslose Untertänigkeit, Fügsamkeit, Gefolgschaftstreue und Pflichterfüllung. Der potentielle Terrorist stolpert von einem Autoritätskonflikt in den anderen; er haßt jede Autorität. Der politische Rechtsbrecher schließt sich einer ideologischen Gruppe an, mit der er sich persönlich identifizieren kann und in der seine erlernte Aggressivität auf bestimmte Objekte (Opfer) gerichtet wird (Feindbild). In ideologischen Gruppenprozessen erwirbt er Elitebewußtsein, Intoleranz gegenüber politisch Andersdenkenden und politisches Sendungsbewußtsein.

C. Neutralisationsmechanismen Der politische Straftäter lernt, sein kriminelles Verhalten im voraus zu rechtfertigen (Gresham M. Sykes, David Matza 1968): Er bereichert sich nicht persönlich. Er tut es für die Allgemeinheit. Er hat nichts Persönliches gegen die Opfer. Aber sie sind Haßsymbole für ihn; sie haben sich gegen das Ideal verschworen, für das er kämpft; sie bedrohen es. Ihnen wird die Qualität als Menschen abgesprochen („Schweine", „Bullen", „Untermenschen"). Gleichwohl will er sie eigentlich nicht schädigen. Aber er muß es tun, weil sonst sein eigenes Ideal vernichtet wird (Verschwörungs- und Notwehrargument). Das deutsche Volk geht sonst unter (nationalsozialistische Gewaltverbrecher). Die Revolution kann sonst nicht verwirklicht werden (Sozialrevolutionäre Terroristen). Seine ideologische Gruppe teilt die Straftaten mit ihm (kollektive Verantwortungslosigkeit). Er geht auf Distanz zu den Opfern, die er nicht persönlich kennt und zu denen er keinerlei menschliche Beziehungen entwickelt. Sie sind vielmehr bloße Feinde, entpersonalisierte, „gesichtslose" Haßobjekte für ihn. Aufgrund seiner völligen Identifikation

mit seiner ideologischen Gruppe und aufgrund der mangelnden geistigen Auseinandersetzung mit anderen politischen Richtungen ist die Welt für ihn in Freund und Feind geteilt. Der Bezug zur Realität geht ihm verloren, weil er alles nur noch durch die Brille seiner Ideologie sieht. Er erhält volle Unterstützung für seine Straftaten durch seine Gruppe, auf deren Urteil er allein etwas gibt. Durch diese weltanschauliche Unterstützung und durch seine völlige Distanzierung von den potentiellen Opfern werden ihm seine Taten wesentlich erleichtert.

VI. KRIMINELLE VERHALTENSSYSTEME A. Attentat Es ist ein klassisches Delikt gegen den Staat (-> Attentat, IV, 157-169).

1.

Definition

Ein Attentat kann man mit folgenden vier Merkmalen (Austin T. Turk 1983, 82/3) kennzeichnen: -

Das Opfer ist eine prominente Persönlichkeit des politischen Lebens. — Das Attentat wird meist, aber nicht immer aus einem politischen Motiv heraus verübt. — Die vollendete oder fehlgeschlagene Tat hat potentiell eine politische Wirkung. - Ein Attentat richtet sich weniger gegen eine Person als gegen eine Position und ein Symbol. Ein Attentat ist demnach eine in der Regel politisch motivierte Tötung oder eine Körperverletzung eines politisch prominenten Opfers, das wegen der erwarteten politischen Wirkung seines Todes oder seiner Körperverletzung ausgewählt worden ist und mit dem man ein politisches Symbol treffen will.

2. Typologie

des

Attentäters

In einer neueren empirisch-kriminologischen Untersuchung (James W. Clarke 1989) sind die persönlichen und sozialen Daten von 16 Attentätern erhoben worden, die Attentate und versuchte Attentate auf Präsidenten, Präsidentschaftskandidaten und führende Politiker in den USA unternommen haben. Aufgrund dieser Studie kann man die folgenden fünf Typen von Attentätern unterscheiden (vgl. auch Frank E. Hagan 1994, 232-235): -

Für den politischen Überzeugungstäter ist das Attentat ein Mittel zu einem politischen Zweck; für ihn ist das Attentat instrumenteil. — Der pseudopolitische, egozentrische Attentäter versucht, durch das Attentat ein überwältigendes Bedürfnis nach Geltung, Anerkennung und Sta-

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Politische Kriminalität

tus zu verwirklichen. Er handelt zwar aus persönlichen Gründen, gibt aber vor, politische Motive zu verfolgen. - Der in seiner persönlichen Entwicklung gestörte Attentäter besitzt emotionale und Kontakt-Probleme. Für ihn ist das Attentat expressiv. Er besitzt Selbstmordwünsche. In seiner Kindheit und Jugend hat er emotionale Zuwendung entbehren müssen. Er ist erfolglos und haßt die Gesellschaft. - Der geisteskranke Attentäter leidet unter einer Psychose. Die meisten Attentäter sind jedoch nicht geisteskrank (Entpathologisierung). - Der gedungene Attentäter handelt zum Zweck seiner finanziellen und beruflichen Belohnung. Der 2. und 3. Attentätertyp bilden das größte Sicherheitsrisiko. Sie sehen keinen anderen Weg mehr aus ihren persönlichen Schwierigkeiten, haben sich der Gesellschaft und ihren Gruppen, insbesondere ihrer Familie, völlig entfremdet, und für sie bildet das Opfer ein Symbol für die verhaßte Gesellschaft oder für eine ihrer Gruppen, gegen die sich ihr Zorn richtet.

3. Persönliche, Faktoren

soziale und situative bei Attentätern

Die bereits genannte empirisch-kriminologische Studie über Attentäter (James W. Clarke 1982, 1989) hat festgestellt, daß folgende persönlichen, sozialen und situativen Faktoren bei Attentätern gehäuft vorkommen: -

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-

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Die meisten Attentäter hätten den Personenschutz- und Staatsschutzbehörden bereits vor ihrem Attentat auffallen müssen. Denn sie legten längere Zeit vor ihrer Tat ein verdächtiges Verhalten in der Nähe ihres potentiellen Opfers an den Tag. Sie „umschlichen" gleichsam ihr in Aussicht genommenes Opfer längere Zeit vor ihrem Attentat. Die emotional-gestörten, soziale Sichtbarkeit suchenden Attentäter hatten schon vor ihrem Attentat zahlreiche diffuse Drohungen öffentlich ausgesprochen, die man jedoch ignorierte und nicht ernst nahm. Sie hatten sich ständig bemüht, Medien-, insbesondere Fernsehaufmerksamkeit auf sich zu lenken. Zahlreiche Attentäter zeigten vor ihrem Attentat ein außergewöhnliches Interesse an der Person und am bisherigen Leben ihres in Aussicht genommenen Opfers. Viele Attentäter waren auch ungewöhnlich neugierig im Hinblick auf die Personen und die persönlichen Karrieren früherer Attentäter. Die meisten Attentäter lebten sozial isoliert und waren aus sozialkonformen Zwängen ausgestiegen. Sie hatten durch Selbstmorddrohungen Aufmerksamkeit zu erregen versucht.

— Viele Attentäter zeigten sich einer extremen politischen Ideologie überaus stark verhaftet. — Ruheloses Umherschweifen, persönliche Unbeständigkeit, ständige Wohnsitzänderungen waren mit ihren beruflichen und familiären Schwierigkeiten, mit ihrer extremen Suche nach Publizität und mit ihrer emotionalen Unsicherheit und Wechselhaftigkeit eng verbunden. Keiner der aufgezeigten Faktoren spricht - für sich allein genommen - für die Gefährlichkeit der potentiellen Attentäter, sondern nur die Kombination vieler genannter Faktoren.

4.

Ursachen

Politische Gewalt wird in ihrem Wesen als abnorm und irrational betrachtet. Man konzentriert sich auf die Psychopathologie individueller Täter. Man berücksichtigt zu wenig den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang von Attentaten, die häufig auf ethnische und nationalistische Konflikte zurückgeführt werden müssen. Attentate sind weniger Instrumente als Symptome politischer Instabilität, eines hohen Grades an relativer Entbehrung (Deprivation) und eines hohen Maßes an sozioökonomischem Wandel. Ein Verantwortlicher wird für die bedrohlichen ökonomischen und politischen Schwierigkeiten gesucht. Ein „Feind" wird ausgemacht; ein Attentäter wird - meist ungewollt - mobilisiert. Attentate haben nicht nur häufig sozialstrukturelle Ursachen, sondern sie sind oft auch ein Zeichen für einen Verfall an politischer Kultur. Am Beispiel des Attentats auf den israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin, einer Persönlichkeit mit charismatischer Ausstrahlungskraft, sollen die Ursachen von Attentaten durch die Integration einiger Theorien mittlerer Reichweite verdeutlicht werden. Am Samstag abend, am 4. November 1995, erschoß der 27jährige Jurastudent Yigal Amir von der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv den 73jährigen Regierungschef Yitzhak Rabin nach einer Friedensdemonstration mit rund 100.000 Teilnehmern in Tel Aviv. Drei Dumdum-Geschosse aus einem 9-Millimeter-Revolver trafen Rabin, ein Symbol des Friedensprozesses im Nahen Osten, aus nächster Nähe in Brust, Milz und Rückgrat. Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Sein Attentäter war ein Gegner der Aussöhnung mit den Arabern. Es war beabsichtigt, den Friedensprozeß im Nahen Osten zum Stillstand zu bringen. Attentate werden durch eine Kombination gesellschaftlicher, gruppen-, täter- und opferorientierter Theorien erklärt: — Die sozialstrukturelle (eine kriminalsoziologische) Theorie stellt es auf zugrundeliegende ethnische und nationalistische Konflikte sowie einen schnellen sozioökonomischen Wandel ab. Die Kluft in der israelischen Gesellschaft zwischen

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Politische Kriminalität

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Gegnern und Befürwortern des Friedensprozesses war sehr groß. Auf der einen Seite standen die Siedler im Westjordanland und ihre Sympathisanten, die einen jüdischen Gottesstaat befürworteten. Die andere Seite bildeten die westlich orientierten Israelis, die sich mit den Arabern aussöhnen wollten. Für die kulturelle (ebenfalls eine kriminalsoziologische) Theorie sind Attentate Symptome politischer Instabilität, Zeichen für einen Verfall politischer Kultur. Leah Rabin, die Frau des Regierungschefs, beklagte sich darüber, daß die politische Opposition die Diffamierung ihres Mannes zugelassen habe. Der Oppositionsführer habe ein Haßklima verbreitet. Für die sozialpsychologische Marginalisationstheorie spielt die Frustration der „Tätergruppe" eine große Rolle. Die Gruppe der Friedensgegner fühlte sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Sie wartete auf einen „Befreiungsschlag". Der unmittelbare Täter war lediglich Symptomträger. Nach der Deprivationstheorie (ebenfalls einer Gruppentheorie) war die „Tätergruppe" von ihrer Benachteiligung überzeugt. Sie glaubten, die Palästinenser nähmen ihnen ihr Land (das Westjordanland und den Gazastreifen) weg. Dieses Land gehöre von Rechts wegen, „von Gottes wegen" ihnen. Aufgrund der Gruppenidentitätstheorie (der dritten Sozialprozeßtheorie) beruht das Attentat auf einem Konflikt zwischen Innen- und Außengruppe. Die Innengruppe („Tätergruppe") erweist sich als unfähig, ein positives Image für sich zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Sie leidet an einem Verlust an Selbstwertgefühl. Durch ihre schwache Gruppenidentität fühlt sie sich bedroht. Sie strebt nach Gruppenbestätigung durch Gewalt in einer gewaltorientierten Gesellschaft. Die Gewaltanwendung soll ihr eigenes unzulängliches Selbstwertgefühl, ihren Gruppenzusammenhalt und ihre Gruppensolidarität auf Kosten der Opfergruppe stärken. Nach dieser Theorie wollte die Gruppe der Friedensgegner - bewußt oder unbewußt - durch das Attentat ihr Gruppenimage auf Kosten der Gruppe der Friedensbefürworter aufbessern. Die kognitiv-soziale Lerntheorie ist ein täterorientierter Ansatz. Sie betont das Erfolgs-, das Modell-Lernen und das Lernen aufgrund von Erkenntnis sowie eines eigenen Maßstabs, eines Selbstregulierungsmechanismus. In der Talmudschule hat der Täter seine Vorurteile gegen die Opfergruppe und seinen Haß auf westliche Wertvorstellungen gelernt. In der rechtsextremen Organisation Eyal, der er angehörte, wurde er indoktriniert, in die Richtung der Befürwortung eines „jüdischen Gottesstaates" gedrängt. Der Täter wurde zum politischen Überzeugungstäter, selbst wenn die Talmudschule und die Organisa-

tion Eyal dies nicht ausdrücklich beabsichtigten. Nach seiner Tat sagte der Attentäter, der bereits zweimal ein Attentat auf Rabin versucht hatte und der polizeiaufFällig geworden war: „Ich habe auf Befehl Gottes gehandelt. Ich bereue nicht, was ich getan habe. Ich bin zufrieden." — Die Theorie der symbolischen Interaktion ist schließlich ein opferorientierter Ansatz. Für den gesellschaftlichen Gruppenkonflikt wird das Opfer verantwortlich gemacht, das zum Symbol dieses Konflikts aufgebaut wird. Das Opfer wird zum „Feind" erklärt, nach dessen Beseitigung sich der Konflikt auflöst. Rabin wurde als „Verräter, Mörder, Nazi" persönlich angegriffen. Er wurde als Puppe in SS-Uniform verbrannt. Auf Plakaten wurde er mit palästinensischem Kopftuch dargestellt.

5. Konsequenzen

von

Attentaten

Obwohl behauptet wird, daß Attentate - außer einigen personellen Änderungen — in der Regel keine grundsätzlichen politischen Folgen haben, bewirkte z. B. das Attentat auf Rabin - trotz massiver internationaler moralischer Unterstützung der Gruppe der Friedensbefürworter - eine empfindliche Störung des Friedensprozesses im Nahen Osten. Selbst wenn langfristig die vom Attentäter angestrebten politischen Wirkungen nicht eintreten sollten, haben Attentate grundsätzlich nichtsdestoweniger negative Folgen für das gesamte demokratischrechtsstaatliche System, das nur bei friedlicher Konfliktregulierung voll zur Entfaltung kommen kann. Seine Institutionen werden durch Attentate untergraben (Austin T. Turk 1983, 87). Denn das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wird vermindert, und die staatliche Repression nimmt zu. Attentate erschweren häufig kreative gesellschaftliche Entwicklungen und die politische Zusammenarbeit. Sie verringern die Fähigkeit zu gesellschaftlicher Anpassung an sozioökonomische Wandlungen. Sie machen es weniger wahrscheinlich, daß sich fähige Menschen für politische Aufgaben zur Verfügung stellen und daß sie genügend Zeit haben, um die sozioökonomische und politische Situation zu verbessern.

6.

Vorbeugung

Es bestehen nur begrenzte Möglichkeiten, Attentate zu verhindern. Die folgenden drei Prinzipien sollten beachtet werden: -

Panikreaktionen wie das hermetische Abschirmen politischer Repräsentanten gegenüber der Öffentlichkeit sind keine adäquaten Reaktionen auf Attentate. Denn die Isolation von Politikern gegenüber der Öffentlichkeit hat langfristig zerstörerische Auswirkungen auf das politische Klima. Allerdings ist es fraglich, ob Wahlkampagnen tra-

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Politische Kriminalität

ditionellen Stils mit persönlichen Auftritten von Kandidaten für hohe politische Ämter in Massenveranstaltungen mit kurzen oberflächlichen Reden wirklich notwendig sind. Durch Streitgespräche der Kandidaten im Fernsehen kann sich die Bevölkerung ihre Meinung über die Persönlichkeiten und die politischen Ziele der Kandidaten bilden. Zwar benötigen die Politiker den persönlichen Kontakt mit ihren Wahlern allein schon als Rückmeldung für die öffentliche Stimmung. Dieser Aufgabe der persönlichen Kontaktnahme der Politiker mit ihren Wählern in einer Demokratie kann allerdings in der ruhigeren und übersichtlicheren Atmosphäre eines geschlossenen Raumes mit begrenzter Teilnehmerzahl besser Rechnung getragen werden. Die Personen in einem solchen Raum können durch Sicherheitskontrollen leichter überprüft werden. - Für die Vermeidung von Attentaten sind ferner der Stil des politischen Umgangs miteinander und die Darstellung der Politiker in den Massenmedien von Bedeutung (H. J. Schneider 1990, 194 und 225). Die Verteufelung von Individuen und Institutionen ist eine rhetorische Voraussetzung für die Freisetzung von Gewalt gegenüber prominenten Politikern. Es ist weiterhin problematisch, die Unersetzbarkeit und die exponierte Stellung einzelner Politiker in den Massenmedien allzu sehr zu betonen. Die Öffentlichkeit sollte vielmehr besser über das Funktionieren des Regierungs- und Gesetzgebungssystems und der an ihm beteiligten Organe unterrichtet werden. Man sollte ihr in den Massenmedien deutlich machen, daß einzelne Politiker - so exponiert ihre Stellung im gegenwärtigen Augenblick auch sein mag — in einem demokratisch-rechtsstaatlichen System nur eine relativ begrenzte Bedeutung besitzen. - Da Attentäter vor ihren Taten auf sich aufmerksam zu machen pflegen (z. B. durch „Umschleichen" des in Aussicht genommenen Opfers, durch außergewöhnliches Interesse an seiner Person, durch diffuse Drohungen, auch Selbstmorddrohungen), sollten die Personenschutz- und Staatsschutzbehörden ihre Aufmerksamkeit auf solche Personen richten. Sie sollten jedem verdächtigen Verhalten von Personen sorgfaltig nachgehen, die sich ständig in die Nähe des potentiellen Opfers drängen.

B. Terrorismus 1.

Definition

Politischer Terrorismus kann als Gewaltanwendung oder als Drohung mit Gewalt gegen Personen oder Sachen zu politischen Zwecken verstanden werden, die von einer Einzelperson oder einer Gruppe angewandt werden, die im Auftrag einer oder gegen eine Regierung handelt. Die Terroristen wollen

durch die schädigende Einwirkung auf ihre unmittelbaren Opfer eine Zielgruppe (ihr mittelbares oder eigentliches Opfer) treffen, die sie zu Handlungen zwingen wollen, die in ihrem Interesse liegen und die sie durchsetzen möchten (Grant Wardlaw 1984, 16; Sue Titus Reid 1997, 386/387; Jack P. Gibbs 1989)! Ein Terrorakt ist also stets ein Ereignis, an dem mindestens drei Parteien beteiligt sind: die Täter, die Opfer und die eigentliche Zielgruppe, die unter psychischen Druck gesetzt werden soll. Es handelt sich bei dieser Zielgruppe meist um eine Regierung, die mittelbar durch die öffentliche Meinung in der Welt und in ihrem eigenen Land dazu veranlaßt werden soll, im Interesse der Terroristen tätig zu werden. Es wird versucht, die Weltmeinung und die öffentliche Meinung in einem Land durch die Massenmedien im Sinne der Terroristen zu beeinflussen (Gabriel Weimann, Conrad Winn 1994; Ronald D. Crelinsten 1989). Ohne die modernen Massenmedien und die weltweiten Kommunikationsmittel ist also der heutige Terrorismus nicht vorstellbar (-»Massenmedien, V, 308/309). Der Öffentlichkeit werden in der Regel allerdings nur die „Kommandounternehmen" der Terroristen sichtbar, die zwar sensationell und dramatisch aufgemacht werden, aber nur die „Spitze des Eisbergs" bilden. Solche Unternehmen werden erst durch die ideologische und die logistische Unterstützung der Terroristen durch Sympathisanten möglich, die durch Kampagnen (Vorwurf der „Isolationsfolter", Agitation mit Hungerstreiks inhaftierter Terroristen) um Verständnis für die Terroristen werben und die sie mit „Nachschub" (gestohlenen Autos, falschen Ausweispapieren) und Unterschlupf (konspirativer Wohnung) versorgen.

2.

Organisationsstruktur

Eine typische terroristische Organisation ist wie eine Pyramide (Jonathan R. White 1991, 122-129) aufgebaut. Die kleinste Gruppe an der Spitze nennt sich die Kommandoebene. Sie bestimmt die Politik der Organisation, plant die einzelnen Unternehmen und gibt die allgemeinen Anweisungen. Die zweite Ebene besteht aus dem aktiven Kader, der sich aus Mitgliedern zusammensetzt, die gemeinhin als „Terroristen" bekannt sind. Sie führen die Kommandounternehmen, die Missionen der Organisation durch. Der aktive Kader ist der schlagende Arm der Organisation. Die nun folgende dritte Ebene ist die nächstgrößte und bei weitem wichtigste. Sie setzt sich aus aktiven Helfern zusammen, die die terroristischen Kampagnen ausführen, die die Kommunikationskanäle aufrechterhalten und die die Organisation mit den notwendigen Informationen versorgen (ideologische und logistische Unterstützung). Die letzte und größte Gruppe wird aus den passiven Helfern gebildet. Diese Gruppe ist sehr schwierig festzustellen und zu kennzeichnen. Denn ihre Mitglieder gehören - streng genommen - der Organi-

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Politische Kriminalität sation nicht an. Sie werden häufig ohne ihr Wissen benutzt. Sie stellen ein der Organisation gewogenes Element der Gesellschaft aufgrund des herrschenden politischen Klimas dar. Passive Unterstützung ergänzt die aktive Hilfe. Die terroristische Organisation wird schließlich durch ein Netz finanzieller Hilfen aufrechterhalten.

3. Typologie

des

Terroristen

Im wesentlichen gibt es drei unterschiedliche Formen des Terrorismus (vgl. auch Larry J. Siegel 1995, 321-323, der allerdings fünf Formen annimmt): Der nationalistische Terrorismus ist auf die Unabhängigkeit eines Volkes, die Trennung oder die Vereinigung einer Volksgruppe von oder mit einer anderen gerichtet. Die „Irisch Republikanische Armee" (IRA) kämpft z. B. für eine Vereinigung Nordirlands mit Irland. Die baskischen Terroristen ringen um die Unabhängigkeit des Baskenlandes, um seine Trennung von Spanien (Michel Wieviorka 1993, 149211). Die kurdischen Terroristen wollen mit ihren illegalen Aktionen die Gründung eines eigenen Kurdenstaates erreichen. Es handelt sich stets um ethnische Minderheiten, die sich sozial, politisch, sprachlich und religiös benachteiligt, ja sogar unterdrückt fühlen und die deshalb nach kultureller und politischer Autonomie streben. Der ideologische Terrorismus ist in seiner sozialrevolutionären Form in Südamerika entstanden (George A. Lopez 1988). Er will die soziale und die politische Revolution (den Machtwechsel) von heute auf morgen „aus dem Nichts" erreichen. Er möchte den unterdrückten unteren sozialen Schichten zu ihrem Recht verhelfen. Das 1969 erschienene „MiniHandbuch der Stadtguerillas" des Brasilianers Carlos Marighella, der im selben Jahr bei einem Schußwechsel mit der Polizei in Sao Paulo getötet wurde, ist als Anleitung in der terroristischen Taktik auch für italienische, japanische und deutsche Terroristen bedeutsam geworden. Die terroristischen Aktivitäten der Tupamaros (der Stadtguerilleros) in Uruguay haben den westeuropäischen Terroristen als Vorbild gedient. Neben dem Sozialrevolutionären (linksextremen) Terrorismus gehört der rechtsextreme (faschistische, neonazistische) zur Gruppe des ideologischen Terrorismus. Er ist in Italien und in der Bundesrepublik eine ernste Gefahr (vgl. hierzu auch Hans Göppinger, Michael Bock, Alexander Böhm 1997, 560-563). Der staatlich geförderte Terrorismus ist die gefahrlichste und schädlichste Form des Terrorismus (Jonathan Glover 1991). Er wird von einem repressiven Regime selbst organisiert oder wohlwollend geduldet (z. B. die Todesschwadronen in Lateinamerika). Auf Machterhalt gerichtet, will er seine Untergebenen zum Gehorsam zwingen und die politische Opposition ersticken. Er wird als Gegenmaßnahme gegen Sozialrevolutionären Terrorismus gerechtfer-

tigt und getarnt. Menschen verschwinden einfach. Nach Folter werden sie getötet und in Massengräbern beerdigt. Vom Flugzeug aus werden sie — lebendig oder tot - ins Meer geworfen. Es wird einfach behauptet, es bleibe der Regierung zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung nichts anderes als illegale Gewaltanwendung übrig. Der staatlich geförderte Terrorismus meidet die Massenmedien; hierin unterscheidet er sich von den anderen Formen des Terrorismus; er blüht im verborgenen. Er wird dadurch ermöglicht, daß das Regime Distanz zum Leiden der Opfer schafft, daß es die Opfer enthumanisiert und nicht als Mitmenschen, sondern als Symbole des Bösen etikettiert. Hierdurch erreicht das Regime den kriminellen Gehorsam seiner Untergebenen.

4. Formen terroristischer

Aktivitäten

Seit der Mitte der sechziger Jahre bis heute hat der Terrorismus durch spektakuläre Ereignisse erhebliche weltweite Aufmerksamkeit gefunden (Freda Adler, Gerhard O. W. Mueller, William S. Laufer 1995, 250-252). Er hat Sprengstoffanschläge auf Flugplätze, Bahnanlagen, auf Volksfeste, gegen militärische Anlagen, Strafanstalten oder auf Gebäude multinationaler Unternehmen durchgeführt. Er hat prominente Persönlichkeiten ermordet, Flugzeuge und Schiffe entführt. Er hat Brandstiftungen, erpresserischen Menschenraub und Geiselnahmen verübt. Seine ausgedehnte „Beschaffungskriminalität", z. B. Banküberfalle, Waffen-, Ausweis- und Autodiebstähle, erhält seltenere Publizität, ist aber nicht weniger gefährlich. Einige terroristische Aktivitäten werden im folgenden als Beispiele genannt: -

Im September 1972 wird die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen in München durch palästinensische Terroristen überfallen. Bei einem Befreiungsversuch auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck werden elf Israelis und ein Polizeibeamter getötet, zwei Polizeibeamte werden schwer verletzt, 5 Terroristen getötet und 3 Attentäter festgenommen. - Am 5. September 1977 wird Hanns Martin Schleyer, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, in Köln entführt. Die Terroristen fordern, ihn gegen die Häftlinge Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan Carl Raspe und sieben weitere inhaftierte Terroristen auszutauschen. Da dies scheitert, wird Schleyer Mitte Oktober 1977 ermordet. - Im November 1979 werden 60 Bürger der Vereinigten Staaten in der US-Botschaft in Teheran durch iranische Terroristen als Geiseln genommen und 14'/2 Monate lang gefangengehalten. - Am 7. Oktober 1985 wird das italienische Kreuzfahrtschiff Achille Lauro mit 400 Passagieren an Bord im Mittelmeer entführt. Die Terroristen verlangen, daß fünfzig palästinensische Häftlinge

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Politische Kriminalität

aus israelischen Strafanstalten entlassen werden sollen. Die Geiselnahme durch die Terroristen mißlingt zwar. Aber ein Tourist aus New York City wird getötet und ins Meer geworfen. A m 21. Dezember 1988 explodiert eine Zeitzünderbombe im Pan-Am-Flugzeug auf dem Flug 103 von L o n d o n nach New York City in 9.500 Meter H ö h e über dem kleinen schottischen Ort Lockerbie. Alle 259 Flugzeugpassagiere - überwiegend US-Bürger - , die Crew und elf Dorfbewohner kommen bei dem Flugzeugabsturz ums Leben. A m 26. Februar 1993 wird ein Sprengstoffanschlag auf das Welthandelszentrum in New York City verübt. Sechs Menschen werden getötet, über eintausend verletzt. Es entsteht schwerer Sachschaden. D a s riesige G e b ä u d e muß evakuiert werden.

5. Terroristische

Ideologie

und

Strategie

Der Terrorismus teilt die Welt nach einem primitiven Schwarz-Weiß-Muster in Freund und Feind, G u t und Böse ein. Er will durch Gewaltakte, Attentate, Sprengstoffanschläge, Schrecken unter der Bevölkerung verbreiten. Nach der Ideologie des Sozialrevolutionären Terrorismus (der „Rote Armee Fraktion", R A F z. B.) soll die kapitalistische Gesellschaft durch Terrorakte in eine sozialistische verwandelt werden. Das Problem, auf das sich der Sozialrevolutionäre Terrorist konzentriert, lautet: Wie mache ich eine Revolution? Er unterstellt, d a ß das „Proletariat", die Industriearbeiterschaft, an einer Revolution interessiert ist. Diese latente Revolutionsbereitschaft, die Gewaltbereitschaft der Massen, will er durch terroristische Gewaltakte wecken, mobilisieren (Irving Fetscher, Günter Rohrmoser 1981). Mit seinen Terrorakten will er folgende Ziele erreichen: -

-

-

Imperialismus" h a t sich zusammen mit dem U S Geheimdienst (CIA) gegen das deutsche Volk verschworen. Liberalität beurteilt der Terrorist verächtlich als „repressive Toleranz". Der Terror hat für ihn die strategische Aufgabe, den „latenten Faschismus" des Staates deutlich werden zu lassen, den Klassenkampf voranzutreiben und die Revolution auszulösen. Die kapitalistische Gesellschaft ist für ihn voller Elend. Wenn er es nicht sieht, erfindet er es („geborgtes Elend"). Die Ursachen für alle Drangsal und Kümmernis sieht er im „monopolkapitalistischen Imperialismus". Reformen will er nicht; sie stabilisieren lediglich das Unrechtssystem („Reformismus"). Die Revolution will er gewaltsam (durch Terrorakte) herbeiführen. Er meint, ein „Widerstandsrecht" gegen den „faschistischen" Staat zu haben. In seiner Strategie nimmt sein symbiotisches Verhältnis zu den Massenmedien eine bedeutsame Stellung ein. Sie sollen sein Spiel ungewollt spielen (-»Massenmedien, V, 3 0 8 - 3 0 9 ) .

Er will den Staat als schwach erscheinen lassen, um das Vertrauen der Bevölkerung in ihn zu erschüttern. Er will die staatlichen Organe zu Überreaktionen provozieren, um die Massen auf seine Seite zu bringen. Der Staat soll sein „wahres" Gesicht („Faschismusverdacht") zeigen, damit dadurch die Revolution ausgelöst wird. Er will mit seinen Gewalthandlungen eine Propagandawirkung erzielen, um neue Terroristen zu rekrutieren.

Zur Begründung seiner Strategie vertritt er eine vulgärmarxistische Meinung: D a s machtlose Proletariat produziert die Güter und erbringt die Dienstleistungen. Der Staat ist lediglich ein Herrschaftsinstrument in der H a n d der Kapitalisten, die die Massen ausbeuten. Hinter dem Staat steht in der Bundesrepublik — nach Meinung der Terroristen — das imperialistische Kapital der U S A und der multinationalen Konzerne: Der „monopolkapitalistische

6.

Ursachen

Die Plötzlichkeit terroristischer Gewaltakte legt den weitverbreiteten Irrtum nahe, Terrorismus komme gleichsam über Nacht zustande. Er entsteht vielmehr in langen sozialen und persönlichen Prozessen. Den typischen Terroristen gibt es nicht. Die Ursachen für den Terrorismus liegen in Gesellschaftsprozessen, in Gruppenverläufen, in individuellen Karrieren (Lebensläufen) und in situativen G r ü n den.

a. Sozialstrukturelle U r s a c h e n Der Sozialrevolutionäre Terrorismus der Bundesrepublik findet zuvorderst in sozialer und politischer Desorganisation seine Erklärung, die allerdings auch die Grundlage f ü r terroristische Gruppenprozesse und individuelle Terroristenkarrieren bildet. Der Staat hat durch mangelndes demokratisches Engagement, durch eine maßlose Kritik, die man an ihm und seinen Institutionen geübt hat, und durch Affären und Skandale an Akzeptanz, Macht und Ansehen in der Bevölkerung eingebüßt (Peter R. Knauss, D. A. Strickland 1988). Ein zynischer Materialismus hat traditionelle, idealistische Wertvorstellungen unterhöhlt; die Erwachsenen sind hauptsächlich durch einen rücksichtslosen materiellen Verteilungskampf bis zum äußersten in Anspruch genommen; der Jugend fehlt es an persönlichen und ideellen Orientierungs- und Identifikationsmodellen (Herbert A. Kampf 1980). D e n Politikern geht es vor allem um die Machterringung und -erhaltung um jeden Preis. Die vielbeschworene Gemeinsamkeit der Demokraten bleibt auf der Strecke. D a s politische System hat seine Fähigkeit z u m friedlichen Wandel weitgehend verloren. Die Jugend sieht zu einseitig die Fehler und

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Politische Kriminalität Mängel des demokratischen Systems; sie versteht nicht, daß seine Stärke gerade in der Offenlegung von politischen und sozialen Mißbräuchen und Mißständen besteht, die in totalitären Regimen verborgen bleiben.

b. Subkulturelle Ursachen In der linksradikalen Studenten-"Scene", einer Subkultur mit eigenen Wertvorstellungen, lernen die potentiellen Terroristen durch das Studium ausgewählter Literatur und intensive gruppeninterne Kommunikation („Diskussionseuphorie") ein eigenartiges schematisches, ideologisches Denken, das in ihrer formelhaften Sprache Ausdruck findet (Wanda von Baeyer-Katte, Dieter Ciaessens, Hubert Feger, Friedhelm Neidhardt 1982). Sie entwickeln das Bewußtsein, zu einer „Elite" zu gehören. Sie bleiben in ihrer Subkultur sich alleine überlassen; sie isolieren sich (romantische Weltflucht) und werden isoliert. Sie entfremden sich ihrer bürgerlichen Welt immer mehr und brechen ihre Kontakte zu ihr schließlich ganz ab; Studium und Ausbildung geben sie auf. Dadurch erwerben sie nur eine Halbbildung. Sie werden von ihrer Gruppe völlig abhängig; die Kommune wird zum Familienersatz. Tiefere menschliche Partnerbeziehungen können sie nicht aufbauen oder nicht aufrechterhalten (Hisao Katoh 1993). Ihr persönliches und berufliches Scheitern lasten sie der Gesellschaft an. Nicht sie selbst müssen sich verändern, die gesellschaftlichen Verhältnisse müssen geändert werden. Durch mangelnden Kontakt mit politisch Andersdenkenden verlieren sie jeden Sinn für soziale Realität, für Kompromisse, Selbstkritik und Humor. Sie identifizieren sich mit den (wirklich oder vermeintlich) Unterdrückten und entwickeln für deren Belange eine außergewöhnliche Sensibilität, die in ihrem äußerst empfindlichen Gerechtigkeitssinn wurzelt. In scharfem Widerspruch zu ihren humanen Anliegen steht ihre Menschenverachtung, die sie dem Klassenfeind entgegenbringen und in die sie sich hineinsteigern. Aus der linksradikalen Studenten-Subkultur entwickelt sich die terroristische Subkultur der Gewalt. Die terroristische Organisation befürwortet und unterstützt die Gewalt (Franco Ferracuti 1982; Pierre Papadatos 1989), die als einzig mögliche Reaktion auf ein angebliches Unrechtsregime gerechtfertigt wird. Die Möglichkeit friedlicher Mittel zur Herbeiführung sozialen Wandels wird verworfen. Die Terroristen meinen, sie seien zur Gewaltanwendung gezwungen. Sie sehen keine friedliche Alternative, um die angeblichen Ungerechtigkeiten der Gesellschaft zu beseitigen. In ihrer Subkultur erwerben sie eine fanatische Lebenseinstellung. Sie überzeugen sich gegenseitig von der äußersten Richtigkeit und Rechtmäßigkeit ihrer Sache. Sie sind bereit, alles zu opfern, um ihr Ziel zu erreichen. Sie haben die „Wahrheit" erfahren und sind geneigt, für sie zu töten und zu sterben.

c. Sozialisationsdefekte der Terroristen Linksextremistische Terroristen kommen zumeist aus mittleren bis oberen sozialen Schichten (Herbert Jäger, Gerhard Schmidtchen, Lieselotte Süllwold 1981). In ihren Familien sind sie — aufgrund des Wohlstandsideals ihrer Eltern — verwöhnt worden; sie haben dort ein hohes intellektuelles Anspruchsniveau kennengelernt, dem sie leistungsmäßig nicht zu genügen vermochten. Mit ihren Eltern und den Instanzen formeller Sozialkontrolle sind sie häufig in Konflikt geraten. Durch mangelnde Identifikation mit ihren Eltern haben sie keine Persönlichkeit aufbauen und keine dynamische zwischenmenschliche Beziehungsfahigkeit entwickeln können. An Großstadtuniversitäten schließen sie sich Kommunen und Wohngemeinschaften an, deren linksextremistische Ideologie ihre „leere" Persönlichkeit ausfüllt. Gruppenprozesse kommen in Bewegung.

d. Situative Ursachen Die Gesellschaft setzt sich mit den potentiellen Terroristen nicht angemessen geistig auseinander. Man versucht, die „Störenfriede, Wirrköpfe, Radaubrüder und Randalierer" durch polizeiliche Maßnahmen in Schach zu halten. Ein Aufschaukelungsprozeß zwischen linksextremen Studenten und der Polizei setzt sich in Gang (Ulrich Matz, Gerhard Schmidtchen 1983). Einer Überreaktion der Presse und der Polizei steht eine unzureichende Ertragungsfahigkeit der Studierenden gegenüber (Fritz Sack, Heinz Steinert 1984). Tragische Ereignisse, wie die Erschießung von Benno Ohnesorg durch einen Polizisten anläßlich einer Studentendemonstration gegen den Berlin-Besuch des Schahs von Persien am 2. Juni 1967 oder das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke am 11. April 1968, werden zu „Schlüsselerlebnissen" hochstilisiert. Am Ende dieser Fehlentwicklung, die zu keinem vernünftigen Ergebnis führen kann, ist die studentische Massenbewegung enttäuscht und erbittert. In ihrer überwiegenden Mehrheit tritt sie - resigniert — den „langen Marsch durch die Institutionen" an, um gesellschaftlich doch noch etwas zu verändern. Kleine Gruppen spalten sich ab, die - unter Billigung oder stillschweigender Duldung eines größeren Umfeldes von Sympathisanten - den terroristischen Weg gehen, auf dem wiederum in Gruppenprozessen die terroristische Ideologie und Strategie entwickelt wird.

7.

Terrorismus-Opfer

Terrorismus ist ein Prozeß der Entmenschlichung. Für den Terroristen ist sein Opfer ein Symbol der Unterdrückung oder eine bloße Nummer, einfach ein Pfand im erbarmungs- und rücksichtslosen Machtkampf (H. J. Schneider 1982). Einfühlung in

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Politische Kriminalität

die Situation seines Opfers kann er sich nicht leisten. Er betrachtet sich selbst und seine Ideale als Opfer. Unterdrückte, mit denen er sich identifiziert und für die er kämpft, sind für ihn die wahren „Opfer". Terroristen wählen ihre Opfer nach deren sozialer Sichtbarkeit aus. Sie weichen allerdings mitunter auf leichter erreichbare Ziele, z. B. Botschafter, Industrielle, aus, weil ihre bevorzugten „Objekte", z. B. Staats- und Regierungschefs, zu streng bewacht werden. Sie machen sich gefühllos für die Leiden ihrer Opfer, distanzieren sich von ihnen und rationalisieren im voraus ihr opferschädigendes kriminelles Verhalten. Opfer sind bestenfalls Handelsobjekte, Instrumente zur Zielerreichung für sie. Ihre unmittelbaren Opfer sind ihnen meist gleichgültig; hierin zeigt sich ihre menschenverachtende Haltung.

a. Reaktion der Opfer auf ihre Geiselnahme Auf eine terroristische Geiselnahme reagiert das Opfer zunächst mit einem Schock und mit Bestürzung. Es ist alarmiert, verneint seine Situation, die es einfach nicht glauben will. Wenn der Überfall einige Zeit andauert und ihm seine wirkliche Lage bewußt wird, fühlt es sich aufs äußerste seelisch belastet. Es hat Angst vor dem Unbekannten, Unerkennbaren und Unentrinnbaren. Es fühlt sich hilf- und machtlos. Es verliert sein Selbstwertgefühl. Der Vorfall kommt unerwartet. Der Lauf der Ereignisse ist unvorhersehbar. Es kann seinen Zustand, die Realität nicht mehr kontrollieren. Es realisiert, daß es in einem Käfig gefangen ist, der keinen Ausgang besitzt. Es wird von einer „blanken, eiskalten Furcht" („Frozen Fright") erfaßt. In dieser Situation ist es für das Opfer wichtig, daß es Ruhe bewahrt, den Terroristen gegenüber keine Haßgefühle oder offene Ablehnung zeigt, daß es sich auf keine Streitgespräche mit ihnen einläßt, daß es seine l a t e r ernst nimmt, mit einem Wort: daß es sich unter Kontrolle behält (Jared Tinklenberg 1982). Den Geiseln wird empfohlen, ihren Humor, ihre Selbstachtung und ihr Gefühl zu bewahren, für andere Menschen, z. B. ihre Familie, wertvoll zu sein, Beziehungen zu einigen Mitopfern anzuknüpfen und sich den Terroristen als menschliche Persönlichkeiten mit allen ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten zu erkennen zu geben (Frank M. Ochberg 1982). Das Opfer muß voll akzeptieren, für einige Zeit sein Verhalten nicht mehr selbst bestimmen zu können, sondern unter der Kontrolle von Terroristen zu stehen. Unter dem sozialen und psychischen Druck der Geiselnahme haben Menschen Überlebensstrategien entwickelt. Die Sozialarbeiterin Sylvia R. Jacobson (1973) war z. B. im September 1970 einige Tage in der Hand der „Befreiungsfront für Palästina", die einige Flugzeuge in eine Wüste Jordaniens entführt hatte. Sie versuchte, ihrem Gefühl der Entmenschlichung und der Degradierung mit einer zur Schau getragenen stolzen Gleichgültigkeit zu begegnen. Neu-

gierige Blicke strafte sie mit Verachtung. Sie litt unter dem schlechten Gruppenzusammenhalt der Geiseln. Sie äußerte nach ihrer Befreiung die Meinung, eine Verbesserung des Zusammengehörigkeitsgefühls der Geiseln hätte zu einer Verminderung der Angst bei allen, zu einer Entwicklung warmer, herzlicher und vertrauensvoller Beziehungen unter den Geiseln und zu ihrer Bereitschaft geführt, in freier, ungezwungener Weise an konstruktiven Gruppenschutzmaßnahmen teilzunehmen. Der britische Botschafter Geoffrey Jackson (1974) war im Jahre 1971 in Uruguay 244 Tage in der Hand der Tupamaros. Er führte sein Überleben darauf zurück, daß er durch einigermaßen sinnvolle Beschäftigung seine seelische Belastung zu vermindern in der Lage war, daß er seinen Geiselnehmern kein Zugeständnis einräumte und dadurch keine Befriedigung verschaffte, daß er die Wertvorstellungen der Tupamaros nicht anerkannte und vor allem daß er sein Selbstwertgefühl, die Würde seiner Person und seines Landes bewahrte. Ungebrochener Lebenswille, sein sicheres Gefühl, von seiner Familie gebraucht zu werden, und sein religiöser Glaube halfen ihm, die Situation als Opfer des Terrorismus zu meistern.

b. Das Stockholm Syndrom In einigen Fällen von Geiselnahme ist beobachtet worden, daß das Opfer nicht negativ, sondern mit einem positiven Gefühl auf seine Täter reagierte. Es zeigte während der Geiselnahme und nach seiner Befreiung große Sympathie für die Geiselnehmer und Verständnis für ihre Motivation und ihre Leiden. Es konzentrierte sich in seinem Bericht nach der Geiselnahme auf ihre Freundlichkeiten, ihre Brutalitäten versuchte es zu verschweigen (Harold J. Vetter, Gary P. Perlstein 1991, 73-77). Während der Geiselnahme werden die Täter als Beschützer erlebt, während die Behörden das Leben der Geiseln dadurch — in der Sicht der Opfer - zu bedrohen scheinen, daß sie sich weigern, den Forderungen der Geiselnehmer nachzukommen. Bei einem Bankraub in Stockholm hielten zwei Bankräuber einige Bankangestellte in der Stahlkammer der Bank vom 23. bis 28. August 1973 als Geiseln fest. Zwischen einer weiblichen Geisel und einem Geiselnehmer entwickelte sich eine enge gefühlsmäßige Beziehung. Die Gründe für die überraschend positiven Gefühle, die Opfer mitunter ihren Tätern gegenüber empfinden, werden seit diesem Ereignis unter der Bezeichnung „Stockholm Syndrom" zusammengefaßt. Patty Hearst, die Tochter eines nordamerikanischen Zeitungsmillionärs, die am 4. Februar 1974 in Kalifornien entführt wurde, ist ein weiteres Beispiel dafür, daß sich zwischen Opfer und Geiselnehmer enge persönliche Beziehungen entwickeln können. Sie knüpfte Liebes- und Sexualbeziehungen zu einem ihrer Täter an. Man beurteilt das „Stockholm Syndrom" als eine Regression (einen Rückfall) in eine frühere psychische Ent-

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Politische Kriminalität wicklungsstufe (Thomas Strentz 1982). Unter dem seelischen Druck einer extremen Lebensbedrohung kommt es zu einem traumatischen psychischen Infantilismus, einem Rückfall in eine kindliche Entwicklungsstufe aufgrund psychischer Verletzungen (Martin Symonds 1982). D a der Geiselnehmer das Leben des Opfers in seiner Hand hält und es nicht tötet, ist es ihm überaus dankbar. Es identifiziert sich mit seinem Aggressor und sieht in ihm einen guten Menschen (pathologische Übertragung). Nach ihrer Befreiung müssen die Geiseln diese seelisch verletzende Erfahrung in ihre Persönlichkeit einordnen.

c. Psychische Opferschäden Die psychischen Schäden von Terrorismus-Opfern hängen von der Art ihrer Erlebnisse, der Dauer der Geiselnahme und dem Ausmaß der von den Geiselnehmern angewandten Gewalt ab. Während viele Opfer das traumatische Geschehen alleine und ohne psychiatrische Behandlung oder psychologische Betreuung psychisch verarbeiten können, finden sich bei anderen nach der Geiselnahme Symptome psychosomatischer Störungen: Alpträume, Angstschweiß, Schreckreaktionen auf laute Geräusche, Konzentrationsschwäche, Schlaflosigkeit, Gewichtsabnahme (Ezzat A. Fattah 1979). Das hohe Maß an unkontrollierter Emotionalität, das - psychisch unverarbeitet - zurückbleibt, kann zu Medikamenten-, Rauschmittel- oder Alkoholmißbrauch führen. Depression, Unlust, Verdrossenheit, eine alle Lebensbereiche durchziehende Freudlosigkeit sind klinisch beobachtet worden, die jahrelang andauerten, jeder Therapie unzugänglich waren und durch Erfolge in jeder beliebigen Lebenssphäre unbeeinflußbar blieben. Schließlich findet sich das paranoische Erscheinungsbild. Die Terroropfer fühlen sich ständig beobachtet, bedroht und verfolgt. Bei manchen Opfern und bei manchen Familienmitgliedern von Terrorismus-Opfern steht die Furcht außer jedem Verhältnis zur Realität; sie nimmt die Merkmale eines Wahns an (Frank Ochberg 1978). Radikale Nichtintervention ist bisweilen eine Möglichkeit, die Opfer von Geiselnahmen das traumatisierende Ereignis durch Spontanheilung einfach vergessen zu lassen. Man darf auf jeden Fall keine übertriebenen Hoffnungen auf Therapie bei ihnen wecken, die aus finanziellen oder personellen Gründen dann doch nicht geleistet werden kann. Viele Terroropfer möchten zudem die zusätzlichen Belastungen eines psychiatrischen Etiketts nicht aufgebürdet bekommen, das ihnen die Wiedereingliederung an ihrer Arbeitsstelle und in ihrer Familie nur noch erschwert. Gleichwohl gibt es durchaus Terroropfer, die in hohem Maße unter ihrem Opferwerden leiden und die der Therapie bedürfen (Vetter, Perlstein 1991, 83).

8. Kontrolle Zwei unterschiedliche Strategien zur Kontrolle des Terrorismus stehen sich gegenüber: -

Nach der konservativen Strategie kann sich der Terrorismus allein in der liberalen Demokratie, in der offenen Gesellschaft entfalten. Unter einer repressiven Regierung können Terroristen besser beobachtet, verfolgt und kontrolliert werden. Nach konservativer Ansicht ist der demokratische Rechtsstaat zu tolerant geworden. Deshalb will die konservative Richtung den „demokratischen Exzeß" beseitigen und die Permissivität (das freie Gewährenlassen) des demokratischen Rechtsstaats gesetzlich einschränken.

-

Nach liberaler Auffassung ist nicht die rechtsstaatliche Demokratie als solche, sondern ihre Mißstände und Mißbräuche sind Ursache des Terrorismus. Da es dem ideologischen Terrorismus an Rückhalt in der Bevölkerung mangelt, ist er keine ernste Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat selbst. Die Gefahr besteht vielmehr in der staatlichen Überreaktion, in der repressiven Einschränkung der demokratischen Freiheitsrechte. Die liberale Reaktion verfolgt deshalb zwei Ziele: Sie will die rechtsstaatlichen Reaktionsmöglichkeiten der Kriminaljustiz, die ihr ausreichend erscheinen, konsequent anwenden. Sie will darüber hinaus sozialstrukturelle Maßnahmen ergreifen, die z. B. in der Beseitigung sozialer Ungerechtigkeiten und in einer besseren demokratischen Teilhabe am politischen System bestehen sollen. Die liberale Ansicht verdient den Vorzug:

-

Die staatliche Repression löst das Problem nicht. Der Teufelskreis Gewalt - Gegengewalt führt auf die Dauer zur Aggressionsausweitung im Wege eines Aufschaukelungsprozesses. - Die gesetzliche Niederschlagung legt ferner die falsche Annahme nahe, das Problem des Terrorismus sei damit gelöst. Da politischer Terrorismus ein Symptom für soziale und politische Probleme ist, müssen diese dem Terrorismus zugrundeliegenden Probleme angegangen und gelöst werden. Die politische Kultur muß in der Bundesrepublik z. B. ständig verbessert werden. Kandidaten für politische Ämter müssen rigoroser auf ihre persönlichen Fähigkeiten und ihre moralischen Handlungsweisen überprüft werden. - Auf Terrorismus muß schließlich mit demokratisch-rechtsstaatlichen Mitteln reagiert werden. Denn diese Mittel sind zum einen angesichts der Bedrohung verhältnismäßig und ausreichend. Zum anderen kann nur der Terrorist rechtsstaatlich-demokratische Verhaltensweisen lernen, auf dessen terroristisches, antidemokratisches Verhalten rechtsstaatlich reagiert worden ist.

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Politische Kriminalität

C. Korruption Sie besteht in einem Amtsmißbrauch zugunsten von Privatbelangen (David R. Simon 1996, 199). Ein persönlicher Vorteil wird gesucht. Es entsteht ein Schaden für die Allgemeinheit. An der Korruption sind zwei Täter beteiligt, der Korrumpierte und der Korrumpierer; das Opfer ist die Allgemeinheit; es handelt sich um kein „opferloses" Delikt. Da in der Regel beide Partner (mindestens einer) einen hohen Status haben und einflußreiche Personen sind, bleibt die Korruption zumeist im Dunkelfeld (mangelhafte Sichtbarkeit); sie wird selten angezeigt; die bekanntgewordene Korruption wird nur ausnahmsweise angeklagt und verurteilt. So mußte z. B. der Vizepräsident der Vereinigten Staaten Spiro T. Agnew im Jahre 1973 wegen Steuerhinterziehung und Annahme von Bestechungsgeldern von seinem Amt zurücktreten. Der frühere japanische Ministerpräsident Takuei Tanaka wurde wegen Korruption gerichtlich belangt. Die nordamerikanische Flugzeugfirma Lockheed hatte Politikern aus Ländern, denen sie ihre Erzeugnisse verkaufen wollte, Bestechungsgelder dafür gezahlt, daß sie den Kauf der Produkte dieses Unternehmens bei ihren eigenen Regierungen und Parlamenten befürworteten. Die Bestechungsgelder wurden über die Preisgestaltung wieder hereingeholt, so daß der Steuerzahler sie letztlich bezahlen mußte. Korruption wird in entwickelten wie in Entwicklungs-Ländern begangen, um zwei Ziele zu erreichen: materiellen Gewinn und Macht. Materieller Gewinn kann in persönlicher Bereicherung oder in illegalen Wahlkampfspenden bestehen. Funktionäre politischer Parteien nehmen Spenden für Wahlkampagnen in dem Bewußtsein entgegen, daß der Zuwendende nach der Wahl eine bestimmte Gegenleistung vom Gewählten (dem späteren Amtsinhaber) erwartet. In Korruption sind häufig Amtsträger in der Bauverwaltung verwickelt. Sie entsteht nicht selten dann, wenn der Staat Alleinabnehmer für bestimmte Produkte ist (z. B. Polizei- und Armeeausrüstung) und Aufträge in Millionenhöhe zu vergeben hat. Die „Finanzierungskosten der Korruption" werden im nachhinein als Mehrkosten auf Steuern, Abgaben, Prämien, Kaufpreise umgelegt (Edwin Kube, Werner Vahlenkamp 1994, 436). Amtsträger sind besonders korruptionsgefahrdet, wenn sie z. B. Aufenthaltsgenehmigungen auszustellen oder behördliche Erlaubnisse oder Konzessionen (insbesondere für die „Vergnügungsindustrie") zu erteilen oder zu entziehen haben. Das Kriminaljustizsystem ist korruptionsanfällig, weil es Beschuldigte vor Bestrafung bewahren und Schutz vor Strafverfolgung „verkaufen" kann (Joel H. Henderson, David R. Simon 1994). In der Polizei bilden sich mitunter Korruptions-Subkulturen. Das kann an zwei Untersuchungsberichten über Polizeikorruption verdeutlicht werden: am Untersuchungsbericht der Knapp-Kommission über die Polizei in New York City 1972 und am Untersu-

chungsbericht der Fitzgerald-Kommission über die Polizei in Queensland/Australien 1989. -

Die Knapp-Kommission stellte im Jahre 1972 über die Polizeiabteilung in New York City fest, daß die Annahme kleiner Trinkgelder (bis zu 20 US$), spezieller Preisnachlässe und ähnlicher Gefallen allgemein verbreitet war. Im Einzelfall erschienen diese Zuwendungen zwar bedeutungslos zu sein; in ihrer zahlreichen Gesamtheit machten sie aber einen erheblichen Beitrag zum Einkommen jedes einzelnen Polizisten aus. Bestechungsgelder wurden systematisch von nichtkonzessionierten Spielbanken eingesammelt und dann auf die Polizisten verteilt. Auch Drogenhändler mußten illegale Zuwendungen an die Polizei entrichten, um nicht stafrechtlich verfolgt zu werden. Der Polizist, der sich weigerte, illegale Beträge anzunehmen, wurde mit Mißtrauen verfolgt. Man verübelte ihm seine „Kritik" an seinen Kollegen. Als ehrlicher Polizist stellte er eine Bedrohung für die „Korruptions-Subkultur" dar. Weibliche Drogenabhängige und Prostituierte wurden zum Geschlechtsverkehr mit Polizisten gezwungen. Beschlagnahmte Drogen wurden auf dem Schwarzmarkt verkauft (Whitman Knapp, Joseph Monserrat, John E. Sprizzo, Franklin A. Thomas, Cyrus R. Vance 1972; vgl. auch James William Coleman 1994, 44-50). - Die Fitzgerald-Kommission ermittelte über die Polizei des Staates Queensland/Australien im Jahre 1989, daß die Abteilung, die für die Vergabe von Lizenzen zum Ausschank von Alkohol und zur Veranstaltung von Glückspielen zuständig war, Bestechungsgelder entgegennahm. In den Bereichen der polizeilichen Bekämpfung von Drogenhandel, Prostitution, Pornographie und illegalem Glückspiel war die Korruption weit verbreitet. Illegale Buchmacher wurden gegen Geldzahlungen vor polizeilicher Verfolgung geschützt. Lizenzen zum Betreiben von Spielkasinos wurden nur nach Zahlung von Bestechungsgeldern erteilt. Schmier- und Schweigegelder teilten sich höhere Polizeibeamte und Angehörige der regierenden Partei. Korrupte Polizisten wurden befördert. Ehrliche Polizisten wurden mit gefälschten Unterlagen über angebliche Unterschlagungen und durch erzwungene oder gekaufte Falschaussagen strafrechtlich verfolgt. Falls ein ehrlicher Polizist einen korrupten Polizisten beschuldigte, verschwanden die belastenden Dokumente, und der „Verpfeifer" („Whistleblower") wurde strafversetzt (Commission of Inquiry into Possible Illegal Activities and Associated Police Misconduct 1989). Folgende Ursachen rufen die Korruption hervor: -

Sie gedeiht in einer materialistischen Gesellschaft, die einen unzulänglich organisierten, schlecht bezahlten öffentlichen Dienst besitzt, in der allein

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Politische Kriminalität der monetäre Erfolg zählt und die korrupte Praktiken toleriert. In einer solchen Gesellschaft hat die wetteifernde, individualistische Zielsetzung monetären Erfolgs Vorrang. Sie ist der ausschlaggebende Richtungspunkt. Die Bedeutung normativer Mittel, dieses Ziel zu erreichen, wird unterschätzt. Nichtökonomische Funktionen und Rollen sind im Vergleich zu ökonomischen entwertet (Steven F. Messner, Richard Rosenfeld 1997; Manuel Löpez-Rey 1970, 194/196). - Korruption wird in der Korruptions-Subkultur am Korruptions-Erfolg und am Korruptions-Modell gelernt. Sie wird mit Billigung und Unterstützung der Korruptions-Subkultur ausgeführt, die den Korruptions-Täter schützt. - Dem Täter fehlt die Erkenntnis, daß es neben dem privaten noch ein öffentliches Interesse gibt, daß das Amt von seinem, gegenwärtigen Amtsinhaber zu trennen ist und daß nicht Menschen, sondern Gesetze die Regierungs- und Verwaltungsarbeit bestimmen. Es ist dem Korruptionstäter unverständlich, daß er für seine staatliche und behördliche Machtausübung vom Staat nur ein Gehalt bekommt und sonst nichts. - Der Korruptions-Tater rechtfertigt seine Rechtsbrüche durch Neutralisations-Mechanismen. Er verneint seine Verantwortlichkeit. Es ist kein Schaden eingetreten. Er hat in höherem Interesse gehandelt. Korruption ist - auch in der rechtsstaatlichen Demokratie - schwer zu kontrollieren, da sie von „Kontrolleuren" verübt wird. Rechnungshöfe können wenigstens erkanntes Fehlverhalten abmahnen. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse haben einen zweifelhaften Wert. Denn der Kampf gegen die Korruption kann dazu mißbraucht werden, den politischen Gegner mundtot zu machen. Mehrheits- und Minderheitsvotum stellen immerhin eine Kompromißlösung dar. Daß die Experten des „9. Kongresses der Vereinten Nationen zur Verbrechensverhütung und Behandlung des Rechtsbrechers" (Kairo, 29. April bis 8. Mai 1995) zur Kontrolle einen „unabhängigen" Ombudsman (Korruptions-Kontroll-Beauftragten) vorgeschlagen haben, läßt die ganze Tragweite der Problematik erkennbar werden (United Nations Crime Prevention and Criminal Justice Newsletter 1995, 15).

D. Völkermord 1.

mittelbar physisch zu vernichten; Genozid kann auch durch ein Verbot der biologischen und sozialen Fortpflanzung von Gruppenmitgliedern begangen werden, gleichgültig ob sich das Opfer ergibt oder ob es an einer Bedrohung mangelt (Helen Fein 1993, 24). - Genozid ist eine Form einseitiger Massentötung, durch die ein Staat oder eine andere Autorität die Vernichtung einer Gruppe beabsichtigt; der Tater definiert hierbei die Gruppe und die Mitgliedschaft in ihr (Frank Chalk 1994, 52). - Genozid im Gattungssinn ist die Massentötung einer beträchtlichen Zahl von Menschen unter den Bedingungen der wesentlichen Wehr- und Hilflosigkeit der Opfer; zum Genozid gehört nicht die Tötung von Feinden im Laufe von Militäraktionen gegen militärische Kräfte (Israel W. Charny 1994), 75). Völkermord kann auch durch die Zerstörung der sozioökonomischen Grundlagen, der Kultur und Sprache eines Volkes verübt werden. Massenmord oder Massaker ist die Massentötung von Menschen in kleinerem Maßstab; eine kleinere Menge von Menschen wird getötet (Charny 1994, 77). Völkermord (Genozid, Genocidium, Holocaust) (-• Genozidium (Völkermord), I, 268-274; Verbrechen unter totalitärer Herrschaft, III, 453-464) ist ein krimineller Prozeß der symbolischen Interaktion, ein Entmenschlichungs- und Selbstzersetzungsprozeß einer Gesellschaft. Er setzt die Überordnung einer täteranfälligen, mächtigen, mit formeller Autorität versehenen Mehrheitsgruppe und die Unterordnung einer opferanfälligen, machtlosen Minderheitsgruppe voraus. Es entwickelt sich ein Uberordnungs-Unterordnungs-Syndrom (Vahakn N. Dadrian 1974, 1975, 1976, 1980, 1989). Nach der Konvention der Vereinten Nationen gegen den Völkermord vom 12. Januar 1951 kann er durch folgende Ausführungshandlungen begangen werden: das Töten von Mitgliedern der Minderheitsgruppe wegen ihrer bloßen Gruppenzugehörigkeit, ihre schwere körperliche und geistige Schädigung, die vorsätzliche Schaffung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die sie — ganz oder teilweise - physisch zu zerstören bestimmt sind, Maßnahmen, die zum Ziele haben, Geburten in der Minderheitsgruppe zu verhüten und zwangsweise Eingliederung von Kindern der Gruppe in die Mehrheits- oder eine andere Gruppe. Vom Genozid zu unterscheiden ist der Demozid, die vorsätzliche Tötung wehrloser Menschen durch die Regierung (R. J. Rummel 1996, 36).

Dimensionen

a. Definition

b. Geschichte

Der Völkermord wird in unterschiedlicher Weise definiert. Als Beispiele werden drei Definitionen vorgeschlagen:

Bereits im Altertum gab es Völkermorde (-> Genozidium, I, 268-274). Sie wurden im christlichen Mittelalter und in der Kolonialzeit fortgesetzt (Bruno M. Cormier 1966): Während des ersten Kreuzzugs (1096—1099) kam es z. B. zu schweren

- Genozid ist eine anhaltende vorsätzliche Täterhandlung, um eine Kollektivität unmittelbar oder

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Politische Kriminalität

Judenpogromen in Speyer, Worms, Trier, Köln, Neuß und Xanten. Im Pestjahr 1349 wurden die Juden der Brunnenvergiftung beschuldigt. Man lastete ihnen die Verursachung des „Schwarzen Todes" an. Während der Kolonialzeit wurden z. B. die Inkas, die Azteken und Tolteken weitgehend von spanischen Konquistadoren ausgerottet. In der Zeit zwischen 1800 und 1850 dezimierte man die nordamerikanischen Indianer von etwa 600.000 auf 250.000 durch Kriege und die Übertragung von Infektionskrankheiten. Sie unterlagen den weißen nordamerikanischen Siedlern, weil sie stammesmäßig zersplittert und uneinig, weil sie zahlen- und waffenmäßig und in ihrer Entwicklung (Jagd und Fischfang) den Weißen unterlegen waren und weil die weißen Siedler sie „erfolgreich" als unchristliche, unzivilisierte, primitive Wilde definierten, die für die Weißen angeblich eine Gefahr darstellten, deren Land man sich aber in Wirklichkeit aneignen wollte; die Vertragspolitik der weißen Siedler wurde als Mittel benutzt, die Indianer völlig zu entmachten (Dadrian 1976). Ahnlich erging es den Aborigines in Australien (Kayleen M. Hazlehurst 1991). Die beiden schwersten Völkermorde wurden im 1. Weltkrieg (1914-1918) von den Türken an den Armeniern (Richard G. Hovannisian 1994) und im 2. Weltkrieg (1939-1945) von nationalsozialistischen Deutschen an zahlreichen europäischen Volksgruppen, insbesondere an den Juden, begangen. Die Zahl der getöteten Armenier wird auf mindestens 800 000 geschätzt (Leo Kuper 1981, 105). Der nationalsozialistischen Ausrottungspolitik fielen in Europa mindestens elf Millionen Menschen verschiedener Volksgruppen, darunter 5,5 bis 6 Millionen Juden, zum Opfer (Wolfgang Benz 1991, 17; Bruno Bettelheim 1980, 55; Irving Louis Horowitz 1976, 25; Raul Hilberg 1982a, 93). Die Zahl der Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager wird auf höchstens 530.000 Personen veranschlagt. Die jüdische Bevölkerung in der Welt betrug im Jahre 1933 18 Millionen und im Jahre 1980 14 Millionen. Während nahezu alle Völker einen Bevölkerungszuwachs im 20. Jahrhundert erlebten, ist der Bevölkerungsrückgang des jüdischen Volkes aufgrund des nationalsozialistischen Völkermords erheblich, insbesondere deshalb, weil unter den etwa sechs Millionen jüdischen Opfern eineinhalb Millionen Kinder waren (Morris U. Schappes 1980, 65). Nach dem Ende des 2. Weltkriegs (1945) wurden zahlreiche Völkermorde, u. a. an den Kurden im Irak (Martin van Bruinessen 1994; Vera Beaudin Saeedpour 1992) und durch die roten Khmer in Kambodscha (Ben Kiernan 1994), begangen.

c. Konstrukt Macht tötet, absolute Macht tötet absolut (R. J. Rummel 1996). Absolute Macht ist organisierte Macht, ist absolute Etikettierungsmacht (Wolfgang Sofsky 1993, 29/30). Aufgrund menschlich geschaffener, abnormer sozialer Situationen, in denen Macht

und Ohnmacht einseitig verteilt worden sind, werden aggressive Rollen einerseits und hilflose, selbstablehnende Einstellungen andererseits schnell gelernt (H. J. Schneider 1996). Durch Zuteilung des Machtmonopols kann man abnorme Interaktionen mit psychischen und physischen Schädigungen der Opfer hervorrufen. Voraussetzungen für den Völkermord sind autoritäre Macht, die unbedingten Gehorsam verlangt, und die Herstellung sozialer Distanz zu den Opfern. In einem von einer autoritären Macht beherrschten totalen sozialen System verstehen sich Menschen allzu leicht als reine Vollstrecker des autoritären Machtwillens; sie verlagern ihre persönliche Verantwortlichkeit auf die autoritäre Macht (H. J. Schneider 1987, 6 3 - 6 5 ; 524-527). Folgende Merkmale kennzeichnen den Völkermord: -

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Eine übergeordnete mächtige täteranfällige Mehrheitsgruppe steht einer untergeordneten machtlosen opferanfälligen Minderheitsgruppe gegenüber, die mitunter trotz ihrer Machtlosigkeit verhältnismäßig wohlhabend ist. Beide Gruppen sind für gewöhnlich kulturell, religiös und rassisch verschieden. Die Täter definieren sich selbst als wertvolle Menschen, die zum Herrschen berufen sind. Sie degradieren die Opfer als minderwertig, untermenschlich, nicht lebensfähig und -würdig. Sie schieben ihnen gesellschaftliche Positionen (Berufe) zu, die einerseits für das Funktionieren der Wirtschaft lebensnotwendig, auf der anderen Seite von der Mehrheitsgruppe verachtet sind: Trödler, Viehhändler, Geldverleiher. Durch Isolierungs-(Gettobildung), Degradierungs-(Pogrome, Boykotthetze) und Ausbeutungs-Prozesse wird die Opfergruppe systematisch und in langen historischen Sozialprozessen an ihr Opferwerden gewöhnt. Sie wird gezwungen, eine Sündenbockrolle anzunehmen. Recht und Gesetz werden gegen sie als Waffe benutzt. Die Mehrheitsgruppe macht die Minderheitsgruppe nicht nur für mannigfaltiges Unglück verantwortlich. Sie beschuldigt sie auch (Strategie der Opferbeschuldigung), sie stelle eine ernste Gefahr für die Mehrheitsgruppe dar, sie wolle sie vernichten und strebe nach der Weltherrschaft. Durch diese Opferbeschuldigungs-Strategie wird die Mehrheitsgruppe geeint. Für die Ausführung des Völkermords werden gesellschaftliche Not- und Krisenzeiten (Weltkriege, Revolutionen, Bürger- und Guerilla-Kriege) benutzt.

Völkermord wird fast ausschließlich in totalitären Regimen begangen; rechtsstaatliche Demokratien sind an ihm nahezu unbeteiligt. Denn in der rechtsstaatlichen Demokratie sind die Machtpositionen zeitlich begrenzt und durch ein Sicherungssystem („System of Checks and Balances") beschränkt. Die Macht wird berechenbar. Interessen, Fähigkeiten, Absichten verschiedener Individuen und Gruppen

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Politische Kriminalität werden in einem behutsamen Gleichgewicht gehalten. Nicht nur die unterschiedlichen sozialstrukturellen Machtpositionen sind relativ ausgeglichen. Bedeutungen, Werte und Normen sind gleichfalls auf Machtausgleich gerichtet. Die demokratische Kultur schließt Debatten, Demonstrationen, Proteste, Verhandlungen, Kompromisse und Toleranz ein. Sie umfaßt die Kunst der Konfliktlösung ebenso wie die Akzeptanz demokratischer Verfahren auf allen Gesellschaftsebenen (R. J. Rummel 1996, 1 - 2 7 ) .

2. Gesetzliche

und administrative

Vorbereitung

Die tatsächliche, gesetzliche und administrative Judenverfolgung begann mit der nationalsozialistischen „Machtergreifung" (Richard Lawrence Miller 1995; Martin Broszat, Hans Adolf Jacobsen, Helmut Krausnick 1965). Am 10. Mai 1933 wurden auf dem Opernplatz in Berlin und auf vielen öffentlichen Plätzen der „Gauhaupt"- und Universitätsstädte des Reiches Scheiterhaufen errichtet und die Bücher deutsch-jüdischer Dichter und Schriftsteller, z. B. die von Lion Feuchtwanger, Franz Kafka, Thomas Mann, Arthur Schnitzler, Kurt Tucholsky und Franz Werfel, verbrannt. Kunstwerke jüdischer Künstler wurden zur „entarteten Kunst" erklärt; alle führenden deutsch-jüdischen Intellektuellen wurden „ausgebürgert" (Sybil Milton 1982). Zum Boykott jüdischer Geschäfte wurde aufgerufen. Die Zeitungen, insbesondere das Parteiorgan der Nationalsozialisten, der „Völkische Beobachter", und die Wochenzeitung der „Stürmer", der von dem erklärten Antisemiten Julius Streicher herausgegeben wurde, hetzten mit Schlagworten wie „Deutschland erwache, Juda verrecke!" oder „Die Juden sind unser Unglück" gegen die Juden, die aus allen öffentlichen Ämtern im Reichsgebiet entfernt wurden. Jüdischen Ärzten und Rechtsanwälten entzog man ihre Zulassung. Juden wurden nicht mehr im Staatsexamen geprüft. Die „Nürnberger Gesetze", insbesondere das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" vom 15.9.1935 (RGBl. I, 1146), bereiteten den Völkermord vor. Neben der deutschen Staatsangehörigkeit wurde eine „Reichsbürgerschaft" geschaffen, die nur Deutschen „arischer Abstammung" vorbehalten blieb. Die Eheschließung zwischen Juden und Deutschen wurde verboten. Geschlechtsverkehr zwischen Juden und „Staatsangehörigen deutschen und artverwandten Blutes" („Rassenschande") wurde unter Strafe gestellt. In der „Reichskristallnacht" vom 9. zum 10. November 1938 setzte man Synagogen in Brand und plünderte jüdische Geschäfte. Etwa 30.000 (insbesondere wohlhabende) Juden wurden verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Die Pässe aller Juden im Reichsgebiet erhielten den Aufdruck „J", und sie mußten einen gelben „Judenstern" tragen, um sie zu brandmarken und herabzusetzen. Ihrem ersten Vornamen mußten die Männer einen zweiten, nämlich „Israel",

und die Frauen ebenfalls einen zweiten, nämlich „Sara", hinzusetzen. Durch Sondersteuern, z. B. die „Reichsfluchtsteuer" oder eine Einkommenssteuer zum Zwecke der „jüdischen Sühneleistung", wurden sie ihrer Ersparnisse und ihres Vermögens beraubt. Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs am 1. September 1939 erhielten die Juden erheblich spärlichere Lebensmittelrationen als die Deutschen; sie mußten bestimmte Einkaufszeiten einhalten; am Abend erhielten sie Ausgehverbot. Deutsche durften mit Juden keine persönlichen Beziehungen mehr pflegen, sonst setzten sie sich schwerer Sanktionen aus, u. a. der Einweisung in ein Konzentrationslager. Auf diese Weise versuchten die Nationalsozialisten, die Juden zu isolieren. Propagandafilme wie „Der ewige Jude" sollten die deutsche Bevölkerung gegen die Juden einnehmen und aufhetzen. Zu Beginn des Jahres 1941 hatte Adolf Hitler dem Reichsführer der SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler den Befehl gegeben, die „Endlösung der Judenfrage" durch die physische Vernichtung aller Juden im deutschen Einflußbereich Europas vorzubereiten. Im Juli 1941 richtete Hermann Göring einen Erlaß an den Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes Reinhard Heydrich, in dem er ihn beauftragte, alle erforderlichen Maßnahmen in organisatorischer und materieller Hinsicht zu treffen. Auf der sogenannten Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 erläuterte Heydrich im Gebäude der „Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission" („Interpol") am Großen Wannsee Nr. 56/58 in Berlin die Pläne zur „Endlösung der europäischen Judenfrage". Der Sektionschef für Judenfragen im Sicherheitshauptamt, das Heydrich leitete, war Adolf Eichmann, der von seinem Schreibtisch aus den Völkermord an den Juden organisierte.

3. Der

Vernichtungsprozeß

Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (1933-1945) gab es in Deutschland und im deutschen Einflußbereich Europas eine wechselnde Zahl von Konzentrationslagern, die im wesentlichen drei Aufgaben verfolgten: -

die Inhaftierung und Folterung politischer Gegner, - die Ausnutzung der Arbeitskraft von Kriegsgefangenen und verschleppten Personen aus allen Teilen Europas (Zwangsarbeit) und - die physische Vernichtung von Juden und von Angehörigen anderer europäischer Volksgruppen. Konzentrationslager wurden — je nach „Bedarf' - eröffnet und geschlossen. Vor dem Krieg gab es 59 frühe Konzentrationslager. Während des Krieges wurden 23 Stammlager mit rund 1.200 Nebenlagern unterschiedlicher Größe betrieben. Hinzu kamen noch 500 Zwangsgettos und über 900 Zwangsarbeitslager (Wolfgang Sofsky 1993, 22). Auch die Satellitenstaaten Deutschlands besaßen Konzentrati-

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Politische Kriminalität

onslager. So wurden in Kroatien z. B. Juden und Serben in dem Konzentrationslager Jasenovac getötet. Die Inhaftierten der nationalsozialistischen Konzentrationslager starben an Hunger, Kälte, Seuchen, Foltern, medizinischen Versuchen (Jack S. Boozer 1980) und an Vernichtungsmaßnahmen, z. B. in Gaskammern. Der eigentliche Vernichtungsprozeß konzentrierte sich auf Juden aus allen Teilen Europas, auf die Gebiete des damaligen Generalgouvernements (des heutigen Polen) und des von deutschen Truppen besetzten Raumes der ehemaligen Sowjetunion sowie auf die Zeit zwischen dem militärischen Überfall auf die ehemalige Sowjetunion 1941 und dem Kriegsende 1945. Den nach Rußland vorrückenden Truppen folgten sogenannte Einsatzgruppen, mobile Tötungskommandos der SS, die die großen jüdischen Bevölkerungszentren abriegelten, die Männer, Frauen und Kinder zusammentrieben und ermordeten. Die Opfer mußten sich am Rande von Massengräbern aufstellen; sie wurden dann mit Maschinenpistolen oder anderen Handfeuerwaffen erschossen, so daß die tödlich Getroffenen in die Massengräber fielen. Eine zweite Tötungsart bestand darin, daß sich die Opfer auf den Boden der Massengräber legen mußten. Das Feuer wurde dann vom Grabesrand auf sie eröffnet. Die nächste Gruppe der Opfer mußte sich auf die Leichen legen, um durch Maschinenpistolen ermordet zu werden. Die Zahl der durch die „Einsatzgruppen" getöteten Juden wird mit mindestens 900.000 angegeben (Raul Hilberg 1982, 277). Nach der „Wannseekonferenz" am 20. Januar 1942 wurde die „Endlösung der Judenfrage" unter der Tarnbezeichnung „Aktion Reinhard" durch die industriemäßig betriebene Tötung von Menschen mit Giftgas fortgesetzt. Die Todeslager befanden sich im Gebiet des heutigen Polen. Die großen Lagerkomplexe Auschwitz und Majdanek (in der Nähe von Lublin) hatten eine Doppelfunktion; sie waren sowohl Konzentrations- wie Vernichtungslager. Im Vergleich dazu waren die Lager Treblinka, Belzec, Sobibor und Chelmno reine Vernichtungslager, die auf relativ kleiner Fläche und mit einem verhältnismäßig geringen Personalaufwand ausschließlich zur Tötung einer Vielzahl jüdischer Menschen durch Giftgas (Motorabgase oder Zyklon B) und Verbrennung ihrer Leichen in Krematorien bestimmt waren. Insgesamt wurden in den sechs genannten Lagern mindestens 2.750.000 Menschen ermordet (Hilberg 1982, 604). Das größte Konzentrations- und Vernichtungslager war Auschwitz, in dem nicht nur Juden, sondern auch Angehörige anderer europäischer Volksgruppen, z. B. Polen (Anna Pawelczynska 1979), in Gaskammern getötet worden sind, die als Dusch- und Baderäume getarnt waren. Das nächstgrößte Vernichtungslager - gemessen an der Zahl der getöteten Opfer - war Treblinka. Die Nationalsozialisten unternahmen mannigfaltige Anstrengungen, um den Völkermord vor der Weltöffentlichkeit, vor den Kriegsgegnern, vor ihren wichtigsten Verbündeten (z. B. Italien, Japan), vor

dem deutschen Volk und vor den Opfern selbst geheimzuhalten (Hilberg 1961, 1964, 1982a); Nur die am Massenmord beteiligten Täter wurden unterrichtet. Innerhalb dieser Komplizenschaft unterdrückte man allerdings jede Kritik am Völkermord und jede offene Erwähnung anläßlich alltäglicher Unterhaltungen. In der Korrespondenz, die den Völkermord betraf, sprach man innerhalb der Mordbürokratie nicht von „Tötung" oder „Tötungsanlagen", sondern man umschrieb diese klaren Bezeichnungen. Man nannte den Völkermord „Endlösung der Judenfrage", „Säuberungsaktion", „Sonderbehandlung", „Evakuierung", „Aus- oder Umsiedlung" und „Durchschleusen". Die Tötungsanlagen waren in der Tatersprache „Spezialeinrichtungen". Diese Tarnbezeichnungen dienten nicht nur der Geheimhaltung, sondern auch der Taterrechtfertigung. Der Mord wurde nicht deutlich beim Namen genannt, um ihn vor sich selbst zu bagatellisieren. In der nationalsozialistischen Propaganda hetzte man freilich gegen die „jüdische Plutokratie" (Geldherrschaft) oder den „jüdischen Finanzbolschewismus". Mit Androhungen wie „Ausradierung", „Ausrottung" oder „Ausmerzung" wurden die Opfer und das deutsche Volk eingeschüchtert (Henry Friedlander 1982), dem die Deportation der Juden nicht verborgen bleiben konnte und das aus den Drohgebärden Hitlers, z. B. in seinen Reden am 30. Januar 1939 und am 30. September 1942, wußte, daß den Juden nichts Gutes bevorstand. Hitler hatte nämlich in den genannten Reden, die vom „Großdeutschen Rundfunk" und im Jahre 1942 außerdem noch von den Rundfunkanstalten der besetzten europäischen Gebiete ausgestrahlt wurden, die „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa" „prophezeit".

4. Das Vernichtungslager

Treblinka

Es lag etwa 120 km nordöstlich von Warschau. In ihm sind mindestens 900.000 Menschen, vorwiegend Juden und in geringerem Umfang Zigeuner, industriemäßig getötet worden (Wolfgang Benz 1991, 17). Es war Bestandteil eines Systems von Vernichtungslagern, zu dem auch die weitaus größeren Lagerkomplexe Auschwitz in Oberschlesien und Majdanek in der Nähe von Lublin gehörten und die unter der Tarnbezeichnung „Aktion Reinhard" und unter der Leitung des SS-Brigadeführers Odilo Globocnik die von Adolf Hitler befohlene „Endlösung der Judenfrage", die Tötung aller Juden im deutschen Einflußbereich, betrieben. Treblinka war insbesondere für die Vernichtung der Juden des Warschauer Gettos zuständig. Das Lager war ab Juli 1942 betriebsbereit; es wurde bereits Ende November 1943 geschlossen. Es war etwa 600 m lang und 400 m breit und lag auf einer länglichen, mit Wald bewachsenen Anhöhe. Es war mit einem etwa 3 bis 4 m hohen Stacheldrahtzaun umgeben, in den aus Tarnungsgründen Reisig eingeflochten war. Es war ferner durch einen etwa 3 m breiten Graben und durch Sta-

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Politische Kriminalität cheldraht und spanische Reiter nach Art einer Panzersperre nach außen gesichert. An allen vier Ecken des Lagers standen etwa 8 m hohe, zum Teil mit Scheinwerfern ausgerüstete Wachtürme, die Tag und Nacht mit ukrainischen Wachtposten besetzt waren. Das Lager teilte sich in drei Komplexe: in das Wohnlager, das Auffanglager und das Totenlager. Im Wohnlager befanden sich die Baracken für das deutsche Lagerpersonal, Verwaltungs- und Wirtschaftsbaracken, Unterkünfte für die ukrainischen Wachmannschaften und - durch einen Stacheldrahtzaun nochmals abgetrennt - das sogenannte Getto mit den Wohnbaracken und dem Appellplatz der sogenannten Arbeitsjuden. Von der Eisenbahnstrecke, die westlich am Lager entlanglief, führte ein Nebengleis durch ein besonderes Tor in das Auffanglager. Das Gleis endete an einer langen Rampe, die zu einem Bahnsteig ausgebaut worden war. Im Auffanglager gab es einen Auffangplatz, eine Frauenauskleidebaracke und eine Sortierbaracke, die die Kleider und Schuhe der ankommenden Opfer aufnahm und die mit Bahnhofsuhr, Fahrkartenschaltern und ausgehängten Fahrplänen zur Täuschung der Opfer das Aussehen eines Bahnhofsgebäudes erhalten hatte. Von der Frauenauskleidebaracke und dem Auffangplatz führte ein etwa 80 bis 90 m langer und 5 m breiter Weg, der vielfach als „Schlauch", „Weg ohne Rückkehr" oder als „Himmelfahrtsallee" bezeichnet wurde, in den oberen Teil des Lagers, in das Totenlager. Dieser Weg endete genau vor dem Mittelgang des Gaskammergebäudes, in dem die Juden durch die Auspuffgase eines Dieselmotors getötet wurden. An den Decken der einzelnen Gaskammern befanden sich einige Rohrleitungen und Brausköpfe, die den Eindruck von Duschräumen hervorrufen sollten. In Wirklichkeit waren sie zum Einführen der Abgase des Dieselmotors bestimmt. Zur Aufnahme der Leichen, die aus den Gaskammern kamen, dienten zunächst riesige Leichengruben, in die nicht weniger als 80.000 Leichen gelegt wurden. Später verbrannte man die Leichen zu 2.000 bis 3.000 auf Verbrennungsrosten. Im Vernichtungslager Treblinka gab es auch eine als Lazarett getarnte Genickschußanlage, in der drei jüdische Häftlinge mit Armbinden des Roten Kreuzes und ein jüdischer Häftling im weißen Arztkittel Dienst tun mußten. Das Lagerpersonal bestand aus etwa 35 bis 40 Deutschen, die alle die feldgraue Uniform der Waffen-SS trugen und mit Pistolen, bei besonderen Anlässen mit Maschinenpistolen, und mit langen, schweren Lederpeitschen ausgerüstet waren, und aus 90 bis 120 ukrainischen Hilfswilligen, die Wachdienst taten. Sie waren mit Maschinengewehren und Handgranaten bewaffnet. Die „Arbeit" im Lager mußten sogenannte Arbeitsjuden tun, von denen sich im Durchschnitt 500 bis 1.000 im Lager befanden. Unter der Vorspiegelung der „Umsiedlung" wurden die Juden aus Ost- und Westeuropa - in Eisenbahnzügen mit 50 bis 60 Waggons (meist in Güterwagen ohne sanitäre Einrichtungen) - nach Treblinka gebracht. Ein solcher Transport bestand

aus drei- bis sechstausend Juden. Bei ihrer Ankunft im Vernichtungslager wurde ihnen vorgetäuscht, sie befanden sich in einem Umsteigebahnhof für den Weitertransport zum Arbeitseinsatz im Osten. Alte, Gebrechliche und Kranke mußten sich zur „Sonderbehandlung" (Tötung durch Genickschuß) im „Lazarett" melden, damit sie den Massen-VernichtungsVorgang nicht behinderten. Die anderen Opfer mußten sich entkleiden, um aus „Gründen der Hygiene" angeblich ein Brausebad zu nehmen. Die kräftigsten und stärksten Männer wurden zum Arbeitseinsatz im Lager ausgesucht, nach Erledigung dieser Arbeiten aber alsbald ebenfalls getötet. U m ihnen keine Zeit zur Überlegung und zum eventuellen Widerstand zu lassen, wurden die völlig entkleideten Menschen mit Stock- und Peitschenschlägen und mit Kolbenhieben durch den „Schlauch" gejagt. Sie mußten ihn mit erhobenen Händen durchlaufen. Das Fassungsvermögen der einzelnen Gaskammern wurde bis zum letzten Quadratzentimeter ausgenutzt. Der Vernichtungsvorgang selbst dauerte 30 bis 40 Minuten. Bei den Häftlingen, die im Vernichtungslager arbeiten mußten, war besonders der Abendappell gefürchtet, der häufig mehrere Stunden lang dauerte und der nicht nur in einem umständlichen Zählappell bestand. Die Kranken und Schwachen und die tagsüber mit der Lederpeitsche „Gestempelten" wurden vielmehr aussortiert und zur Liquidierung ins „Lazarett" geschickt. Ferner wurden Prügelstrafen, die aus nichtigen Anlässen verhängt wurden, auf einer eigens dafür hergestellten Holzbank, dem sogenannten Bock, vollzogen. Am 2. August 1943 gelang 400 jüdischen Häftlingen ein Aufstand, der jedoch schnell niedergeschlagen wurde. Ein großer Teil der Ukrainer badete wegen der an diesem Tag herrschenden großen Hitze im Bug außerhalb des Lagers. Die Häftlinge, die sich bewaffnet hatten, setzten zahlreiche Lagergebäude mit Benzin in Brand. Etwa 40 Häftlingen gelang die Flucht. Nach Schließung des Lagers Ende November 1943 wurde das Gelände eingeebnet und mit Lupinen besät. Zur Tarnung wurde auf dem Lagergelände ein Bauernhaus errichtet.

5. Ursachen a. Abgelehnte Theorien Zur Verursachung des Völkermords sind zwei Theorien aufgestellt worden, die nicht überzeugen: Die erste Theorie führt die Entstehung des Völkermords auf die psychisch abnormen Persönlichkeiten der Hauptkriegsverbrecher (z. B. Hermann Goring, Ernst Kaltenbrunner) und der am Völkermord unmittelbar Beteiligten zurück (Florence Miale, R. Michael Selzer 1975). Die Hauptkriegsverbrecher glichen sich in drei (banalen) Merkmalen: Sie besaßen einen anmaßenden, arroganten Ehrgeiz, niedrige ethische Maßstäbe und einen stark entwickelten Nationalismus, mit dem sie alle ihre Handlungen zu

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Politische Kriminalität

rechtfertigen versuchten (Israel W. Charny 1982, 11). Auch Adolf Eichmann soll eine psychisch abnorme Persönlichkeit gehabt haben; er wird als „gemütloser Psychopath" eingeschätzt (Peter Papadatos 1964, 28/29). An den psychopathologischen Untersuchungen sind methodologische Mängel kritisiert worden (Gerald L. Borofsky, Don J. Brand 1980). Andere empirische Studien zu Kriegsverbrechern (Nils Christie 1952) und zu dänischen Kollaborateuren (Karl O. Christiansen 1950; Gunnar Mortensson 1954; Thomas Sigsgaard 1954) haben keinerlei psychische Abnormitäten feststellen können. Das Konzept der Psychopathie ist zu vage und nichtssagend. Es ist völlig unrealistisch, daß eine relativ kleine Gruppe von Psychopathen eben wegen ihrer psychischen Abnormität Millionen von Menschen umgebracht haben kann (Raul Hilberg 1982b). Mit der zweiten Theorie versucht man eine psychoanalytische Erklärung (Bruno Bettelheim 1980, 113-115): Sein Tötungswahn habe Hitler selbst im Wege gestanden. Er sei dem Todestrieb verfallen gewesen, der seine Lebenstriebe überwältigt und der ihn am Ende selbst zerstört habe. Die „TotenkopfEinheiten" der SS, die nicht umsonst durch den Totenschädel auf ihrer Uniform gekennzeichnet gewesen seien, hätten systematisch die Lebenstriebe der jüdischen Opfer zerstört. Letztlich sei allerdings die „Teilnahmslosigkeit der Welt" dafür verantwortlich, daß die Todestendenzen bei den jüdischen Opfern Oberhand gewonnen hätten. Diese Theorie berücksichtigt ebenfalls nicht die sozialstrukturellen, ideologischen und Gruppen-Ursachen des Völkermords. Die individuellen Entstehungsgründe werden aus einem nur sehr engen Blickwinkel gesehen.

b. Gesellschaftliche Ursachen Der Völkermord ist aus sozialstrukturellen Gründen (Isolation der Opfer, Zuteilung einer Sündenbockrolle, Aufbau einer Mordmaschinerie), aus ideologischen Entstehungsbedingungen (Hetzpropaganda, Rassenlehre, Sozialdarwinismus, germanische Pseudo-Mythologie), aufgrund von Gruppenprozessen (Lernen des SS-Elitebewußtseins, Brechung jeder eigenständigen Persönlichkeit, Lernprozeß der Brutalität), aufgrund individueller krimineller Karrieren (Sozialisation autoritärer Gehorsamstäter) und aufgrund von Neutralisationsmechanismen (durch gelernte kognitive Verzerrungen) verursacht worden, durch die die Täter sich eingeredet haben, der Völkermord sei unabwendbar. Folgende vier gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen spielten eine wesentliche Rolle: -

Die Konzentrationslager waren nicht nur ein Instrument zur Unterdrückung ihrer Häftlinge, sondern auch der Beherrschung der gesamten deutschen Bevölkerung und darüber hinaus der Bevölkerung im deutschen Einflußbereich Europas. Die Nationalsozialisten wollten mit ihrer

Hilfe eine totale Kontrolle über das Denken und Tun der Bevölkerung ausüben (Bruno Bettelheim 1980, 49). - Neben dieser Einschüchterungsfunktion hatten Rassendiskriminierung und Judenverfolgung die Aufgabe, von innen- und wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten der Nationalsozialisten abzulenken und die Bevölkerung, deren Unterstützung sie sich nicht sicher waren, auf Kosten von Sündenböcken zu einen. Mit dem Konzentrationslager Dachau wurde politisch Andersdenkenden offen gedroht, um jeden politischen Widerstand im Keim zu ersticken. Die Ausrottungs- und Vernichtungslager in Polen (z. B. Auschwitz, Treblinka) waren „ein schlecht gehütetes Geheimnis" (Bruno Bettelheim 1980, 97). - In einem historischen Sozialprozeß wurden die Juden isoliert und an ihr Opferwerden gewöhnt. Sie wohnten in abgeteilten Vierteln, in Gettos und „Judengassen". Die Männer mußten im Mittelalter einen großen, gelben, oben spitz zulaufenden Judenhut tragen. Aus den Kaufmannsgilden und Handwerkszünften wurden sie ausgeschlossen. Ihnen blieben nur die Berufe der Trödler und Viehhändler übrig, und ihnen wurde der Geldverleih als Betätigungsfeld zugewiesen, der den Deutschen wegen ihrer christlichen Religion verwehrt war. Aufgrund ihrer Tüchtigkeit wurden die Juden wohlhabend, aber gleichzeitig auch opferanfallig. Die nationalsozialistische Gesetzgebung und -anwendung spitzte diesen Isolationsprozeß zum Völkermord zu. - Die Organisierung und Technisierung des Völkermords verfremdete die Opfer den unmittelbaren Tätern. Die Opfer wurden anonymisiert und durch Degradierung zu bloßen Objekten gemacht. Die Organisation einer Vernichtungsmaschinerie und -bürokratie schaffte Distanz zu den Massen der Opfer und damit kollektive Verantwortungslosigkeit auf Seiten der Täter (John P. Sabini, Maury Silver 1980). Innerhalb der kollektiven Mordbürokratie war die „hygienische" Massenvernichtung die ausgesprochene „Idealvorstellung". Man verstand darunter die mit einem Mindestmaß an individueller Gefühlsbeteiligung fabrikmäßig betriebene Massenausrottung: „Rassisch-biologischen Fremdkörpern" und „Volksschädlingen" wurde im Rahmen der „völkisch-nationalen Schädlingsbekämpfung" der „Gnadentod" gewährt. Mitleid war ebenso eine Schwäche und fehl am Platze wie persönliche Lust am Quälen.

c. Ideologische Ursachen Der Völkermord wurde ideologisch und propagandistisch in Presse und Rundfunk in Deutschland und im deutschen Einflußbereich Europas so vorbereitet, daß ein Meinungsklima entstand, das den potentiellen Tätern des Völkermords das Gefühl geben

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Politische Kriminalität konnte, sich nicht kriminell zu verhalten und sich nicht außerhalb der Grundnormen der Gesellschaft zu stellen. Freilich konnten sie bei nüchterner, selbstund gesellschaftskritischer Betrachtungsweise das Unrecht ihres Handelns leicht erkennen. Der Nationalsozialismus baute ideologisch bereits auf einem Antisemitismus auf, der schon im Mittelalter entstanden war und der sich im 18. und 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa ausgebreitet hatte (Patrick Girard 1980; Claude R. Foster 1980; Yehuda Bauer 1980). Der Völkermord hatte folgende drei ideologische Wurzeln: -

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Die nationalsozialistische Rassenlehre stützte sich auf Veröffentlichungen von Arthur Gobineau (1816-1882) und Houston Stewart Chamberlain (1855-1927), die die „nordisch-arische" Rasse als alleinigen Kulturträger mit schöpferischer Kraft ansahen. Diese Veröffentlichungen vergröberten die Nationalsozialisten. Kulturleistungen wurden allein dem Germanentum zugeschrieben, während das Judentum als ein „Krankheitsstoff" im gesunden Volkskörper dargestellt wurde. Sie definierten sich selbst als Angehörige der schöpferischen arischen „Herrenrasse". Die Juden und andere europäische Volksgruppen (z. B. die Polen), ihre Opfer, etikettierten sie als „Träger der Verwesung", als „Fremdkörper" in jedem Staat, als „Ungeziefer, Bakterien, Parasiten". Mit dieser inhumanen Rassenideologie hing der Sozialdarwinismus zusammen, der den Völkermord ideologisch vorbereitete. Charles Darwin (1809-1882) hat seine naturwissenschaftliche Lehre von der ständigen Wandlung und Höherentwicklung der Arten entwickelt. Diese von ihnen vulgarisierte Lehre wandten die Nationalsozialisten auf soziale und politische Verhältnisse an. Sie propagierten die Züchtung des Menschen durch „Auslese" nach biologischen Maßstäben. Gemäß der nationalsozialistischen Ideologie vom ewigen Lebenskampf, vom Kampf ums Dasein war das lebenstüchtige Element, das gesunde, starke, biologisch wertvolle Element, die „Herrenrasse" berechtigt, zur Hebung der Rasse das lebensuntüchtige, das kranke, schwache, biologisch minderwertige Element, die „Sklavenrasse", zu vernichten. Rassenideologie und Sozialdarwinismus wurden ergänzt durch eine germanische Pseudo-Mythologie, die als Religionsersatz diente, und durch eine „Blut- und Boden-Weltanschauung". Alles Christliche galt als schwach und jüdisch. Ideale waren die germanischen Götter, die „germanischen Übermenschen", die sich über Menschenleben hinwegsetzten und die über menschliche Schuld erhaben waren. Wenn man Mythen als Realität definiert, werden sie in ihren Folgen zur Wirklichkeit und führen in die nationale Katastrophe (S. Giora Shoham 1995, 1988). Die Nationalsozialisten erzeugten eine Weltuntergangs-

stimmung, ein geistiges Klima der „Götterdämmerung", das den erneuten Untergang der Nibelungen beschwor, den es abzuwenden galt.

d. Gruppenindoktrination Rassenideologie, Sozialdarwinismus und germanische Pseudo-Mythologie verbanden sich mit einer SS-Mentalität (Subkulturbildung), die Eigenliebe und Selbstheroisierung ansprach: — Die SS (Schutzstaffel, die kriminelle Terrororganisation der Nationalsozialisten) beurteilte sich selbst als Eliteorden, der die künftige Oberschicht zu stellen bestimmt war. In ihr konnten auch provinzielle Spießbürger und kleinbürgerliche Halbgebildete Karriere machen, wenn sie nur fanatische Nationalsozialisten waren. Die Ideale der SS waren Kadavergehorsam (Befehlserfüllung ohne Überlegung), Härte gegenüber sich selbst und anderen (Verhärtung gegenüber allen mitmenschlichen Gefühlsregungen), Verachtung der „Minderwertigen" und Hochmut gegenüber allen, die nicht dem Orden angehörten, Kameradschaft und Kameraderie (also auch Zusammenstehen im kriminellen Unrecht) (Hans Buchheim 1965, 277). — Der SS-Mann wurde systematisch zur bedingungslosen Befolgung dieser „Ideale" erzogen. Wenn er noch einen Funken Selbstbestimmung und Selbstkritik in sich hatte, wurde seine eigenständige Persönlichkeit durch rücksichtslosen Drill bis zum physischen Kollaps gebrochen. Sie wurde für die bedingungslose nationalsozialistische Gefolgschaft gefügig gemacht. Fanatischen Gruppenzusammenhalt erreichte man u. a. auch durch totemistische SS-Rituale, z. B. durch gefährliche Mutproben, nach deren Bestehen der Anwärter erst in die SS aufgenommen wurde. Die Ich-Schwäche der SS-Männer war bemerkenswert; sie waren „außengeleitete Menschen" (David Riesman, Reuel Denney, Nathan Glazer 1958), deren persönliche Überich- und Gewissensinstanz völlig von einer kriminellen Autorität, nämlich den nationalsozialistischen Machthabern, abhängig war. — Die SS-Angehörigen wurden in Lernprozessen zur Brutalität angehalten. Aufgrund systematischer Gruppenindoktrination nahmen sie die nationalsozialistischen Gruppennormen an. Für ihre „Aufgabe" wurden sie von den nationalsozialistischen Machthabern ausgesucht. Sie wählten sich aber auch selbst aus, indem sie sich freiwillig meldeten, für ihr kriminelles „Handwerk" „bewährten" und in ihrer Stellung verblieben, obwohl sie sich zur Front hätten melden können. Niemand wurde zum Massenmord gezwungen. Im kriminellen nationalsozialistischen System war seine Ausführung ein Privileg. Man nötigte niemanden, Karriere zu machen und Machtpositionen auszuüben. Aufstiegs- und Beförderungs-

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aussichten waren die Tatmotive der SS-Bürokraten in der Mordmaschinerie der Konzentrationslager-Kommandanten und ihrer Helfershelfer, die persönliche Karrieren nur auf dem Hintergrund der kriminellen Ausnahmesituation des nationalsozialistischen Systems machen konnten.

e. Karriere nationalsozialistischer Gewalttäter Der autoritäre Gehorsamstäter, der durch äußerste Oberflächlichkeit und innere Leere gekennzeichnet war (Hannah Arendt 1976; Henry V. Dicks 1972), entwickelte sich in einer kriminellen Karriere: -

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In seiner Kindheit wurde er zu unbedingtem Gehorsam erzogen. Er erhielt wenig emotionale Zuwendung. Aus Mangel an Identifizierungs-Möglichkeiten mit seinen Eltern, speziell seinem Vater, entwickelte er keine soziale Bindungsfahigkeit, keine Ich-Stärke und keine Gewissensinstanz. Im Krieg lernte er aggressive Einstellungen und Techniken. Nachdem er sich den Nationalsozialisten angeschlossen hatte, änderte er seine Identität; er nahm ein kriminelles Selbstkonzept an, das ihn zur bedingungslosen Willfährigkeit gegenüber den nationalsozialistischen Machthabern verpflichtete. Allmählich und systematisch wurde er an den Völkermord gewöhnt und zu ihm angeleitet. Zunächst wurde er z. B. bei der Euthanasie-Aktion zur Tötung von Geisteskranken, zur Vernichtung sogenannten lebensunwerten Lebens, eingesetzt. Dann gehörte er zu den Wachmannschaften in Konzentrationslagern im Reichsgebiet, z. B. in Buchenwald oder Dachau. Erst wenn er sich im Laufe der Zeit „bewährt" hatte, erhielt er Führungsaufgaben in der Mordbürokratie oder in den Vernichtungslagern im Osten. Durch Neutralisations-Techniken, kognitive Verzerrungen, die er aufgrund der nationalsozialistischen Ideologie gelernt hatte, versuchte er, den Völkermord von vornherein zu rechtfertigen. Die Opfer wurden degradiert („Untermenschen"). Sie wurden beschuldigt (Notwehr- und Verschwörungsargument). Eine persönliche Verantwortung lehnte der autoritäre Gehorsamstäter ab (kollektive Verantwortungslosigkeit).

f. Kommandant in Auschwitz Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz bestand in Oberschlesien vom Sommer 1940 bis zum Januar 1945. In ihm wurde etwa eine Million Menschen getötet. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer Rudolf H ö ß leitete das Lager dreieinhalb Jahre lang. Im Jahre 1900 geboren, wuchs er in Baden-Baden und Mannheim auf. Sein Vater war Kaufmann. Er wollte, daß sein Sohn katholischer

Missionar werden sollte. Nach seinen eigenen Bekundungen hatte H ö ß in seiner Kindheit keine Spielkameraden; er interessierte sich besonders für Tiere. Seine Eltern erzogen ihn zu unbedingtem Gehorsam, zu peinlichster Ordnung und Sauberkeit und zur strengsten Pflichterfüllung. Er hatte niemals ein wirklich vertrautes Verhältnis zu seinen Eltern und zu seinen Schwestern oder ein wärmeres Gefühl für sie. Daß seine Eltern zärtlich zueinander waren, erlebte er — nach seinen eigenen Angaben - niemals. Er achtete und verehrte seine Eltern, er liebte sie aber nicht. Nachdem sein Vater gestorben war, meldete er sich im Jahre 1916 als Kriegsfreiwilliger. Er kämpfte im Ersten Weltkrieg (1916-1918) in einer türkischen Division an der Irak- und Palästinafront. Er wurde zum Unteroffizier befördert und mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Nach Beendigung des 1. Weltkrieges kämpfte er in Freiwilligen-Korps im Baltikum, in Schlesien und an der Ruhr. Ihm gefiel der „Korpsgeist", und er fühlte sich in der Kameradschaft der Kameraden geborgen. Während französische Besatzungstruppen im Ruhrgebiet standen, verriet ein Lehrer namens Walter Kadow einen Nationalsozialisten mit Namen Leo Schlageter, der Terroranschläge gegen die Besatzungsmacht unternommen hatte. Höß ermordete Kadow im Wege der Selbstjustiz („Femegericht") und wurde zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Sechs Jahre dieser Freiheitsstrafe verbüßte er im Zuchthaus Brandenburg. Er fügte sich ins Zuchthausleben ein; er leistete mehr Arbeit, als man von ihm verlangte; er hielt seine Zelle musterhaft in Ordnung. Im Jahre 1922 hatte er sich von der katholischen Kirche abgewandt und war der nationalsozialistischen Partei beigetreten. Im Juni 1934 wurde er von Heinrich Himmler aufgefordert, Mitglied der SS zu werden. Er gehörte in den Jahren 1934 bis 1938 als Block- und Rapportführer zur Wachmannschaft des Konzentrationslagers Dachau in Bayern. Da er Strafgefangener gewesen war, hielt man ihn als Blockführer im Konzentrationslager für besonders geeignet. Im Jahre 1938 wurde Höß Adjutant des Kommandanten des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Dort blieb er, bis er 1940 selbst Kommandant des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz wurde. Von November 1943 bis Mai 1945 war er Amtschef bei der Inspektion der Konzentrationslager. Im März 1946 wurde er in der Nähe von Flensburg in Schleswig-Holstein von der britischen Militärpolizei verhaftet. Er hielt sich dort unter falschem Namen verborgen. Er spielte im Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher als Zeuge eine bedeutsame Rolle. In apathischem, sachlichem Ton schilderte er die Massenvernichtungen in Auschwitz. „Die Angeklagten hörten in bedrücktem Schweigen zu" (Gustave M. Gilbert 1977, 257). Höß wurde nach Polen ausgeliefert. Von Mai 1946 bis zum April 1947 war er in Krakau in Untersuchungshaft. Unter dem Titel: „Meine Psyche, Werden, Leben und Erleben" schrieb er dort seine Erinnerungen

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Politische Kriminalität auf. Er wurde im April 1947 vom polnischen Obersten Volksgericht in Warschau zum Tode verurteilt. Die Strafe wurde 14 Tage später in Auschwitz durch den Strang vollstreckt. In seinen Erinnerungen (Martin Broszat 1978) schildert er im Ton der Alltäglichkeit, in schamloser Sachlichkeit und ohne Einfühlungsvermögen die Massenvernichtungen in Auschwitz, die er leitete und für die er verantwortlich war. Er fühlt sich in diesem Bericht als „Unbetroffener"; er gibt sich den Anschein, er habe unter einer nach außen „steinernen Maske" sein Mitleid und seine „innerliche" Verbundenheit mit den Häftlingen verborgen. Mit dem Konzentrationslager Auschwitz, das er als „die größte Menschenvernichtungsanlage aller Zeiten" bezeichnet, identifiziert er sich gleichwohl. Denn er spricht von einer „schmerzlichen Losreißung" bei seiner Abberufung aus Auschwitz im November 1943, da er zu sehr „mit Auschwitz verwachsen" gewesen sei. Er meint, die Konzentrationslager hätten „für das Volksganze wertvolle Arbeit" geleistet. Höß war ein provinziell-ehrgeiziger, durchschnittlich-kleinbürgerlicher Mensch, der sich willfährig und selbstunkritisch in den Dienst äußerlich mächtiger Menschen stellte, die er für Autoritäten hielt. Sein Mangel an mitmenschlicher Beziehungsfähigkeit versuchte er vergeblich durch seine Flucht in Tierliebe und oberflächliche Kameradschaftlichkeit wettzumachen. Im Krieg, im Freikorps, im Konzentrationslager lernte er die Tötungstechniken und die Einstellung, die Menschenleben gering schätzt und sogar verachtet. Seine „autoritäre Persönlichkeit" (T. W. Adorno, Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson, R. Nevitt Sanford 1950) fügte sich mit Kadavergehorsam in die Bürokratie des fabrikähnlichen, anonymen Völkermordes ein, den ihm eine Halbbildung und eine antisemitische Ideologie nahebrachten. Er lehnte die Fremdgruppe der Juden als angeblich „gefahrlich" und „machtgierig" ab. Seine Eigengruppe, die Nationalsozialisten und speziell die SS, hielt er für moralisch überlegen, lebenskräftig und in jeder Beziehung fähiger und entwickelter, so daß sie - seiner Meinung nach - eine hervorragende Machtposition verdiente. Die auf Gewaltausübung gestützte Machtposition der Nationalsozialisten erweckte bei ihm Verehrung und die Bereitschaft zu Untertänigkeit. Die Machtlosigkeit der Juden reizte ihn zu Aggression und Erniedrigung. Mit einem unerschütterlichen Gefühl der Rechtschaffenheit und mit dem Pathos der Selbstgerechtigkeit verachtete er „Berufsverbrecher", „gefahrliche Staatsfeinde", „typische Asoziale", „Homosexuelle", und er brandmarkte sie teilweise als „böswillige, bösartige, grundschlechte, rohe, niederträchtige, gemeine Naturen", ohne das Selbstbild eines Massenmörders zu entwickeln. Er beschwerte sich über die „Greuelpropaganda gegen die Konzentrationslager" und nannte die „Kriminellen" unter den weiblichen Häftlingen „widerliche Weiber", „Bestien" und die Zeugen Jehovas „arme Irre". Er kommentierte die „unauffällige" (heimtückische) Tötung

zutraulicher und nichtsahnender Kinder mit einer unerträglich betulichen Sentimentalität: „Nichts ist wohl schwerer, als über dieses kalt, mitleidlos, ohne Erbarmen hinwegschreiten zu müssen" (Broszat 1978, 111). Aus dem Leiden der Opfer machte er eine Tragik der later. Sein kriminelles Verhalten rechtfertigte er mit folgenden Neutralisationsmechanismen: -

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Er sei überzeugter Nationalsozialist gewesen und habe nur das ausgeführt, was Adolf Hitler in seinem Buch „Mein K a m p f ' und Alfred Rosenberg in seinem Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts" propagiert hätten. Er sei Offizier gewesen und habe seine Pflicht als Soldat erfüllen müssen. Er habe lediglich die Befehle des Führers Adolf Hitler und des Reichsführers SS Heinrich Himmler befolgt, die die allein Verantwortlichen seien. Er habe sich nicht persönlich bereichert, und er habe auch nicht aus persönlichem Haß den Juden gegenüber gehandelt. Er habe die Juden vernichten müssen, weil sie das deutsche Volk ausrotten wollten. Er habe die Opfer nicht persönlich mißhandelt oder getötet. In dem riesigen Konzentrationslager habe er aber nicht alle Mißhandlungen verhindern können. Er sei lediglich „ein Rad in der großen Vernichtungsmaschine des Dritten Reiches" gewesen. Wenn er es nicht getan hätte, sei ein anderer Lagerkommandant von Auschwitz geworden.

g. Die Rolle der Opfer Nach Auffassung von Georg Simmel (1983, 102) besteht selbst in den drückendsten und grausamsten Unterworfenheits-Verhältnissen noch immer ein erhebliches Maß an persönlicher Freiheit. In Überund Unterordnungs-Verhältnissen ist der Unterdrükker auf ein Mindestmaß an Mitwirkung der Opfer angewiesen, die er sich unterjocht hat. Gegen Simmeis Meinung ist zwar grundsätzlich nichts einzuwenden. Für den Völkermord gilt sie aber nur in äußerst begrenztem Maße. Denn die Opfer sahen sich — völlig unvorbereitet — einer absoluten, organisierten Macht gegenüber (R. J. Rummel 1996; Wolfgang Sofsky 1993). Man hat geltend gemacht, daß der Zerstörungsprozeß an den Juden ohne deren Mitwirkung (nicht deren Mitverschulden) gar nicht verständlich wird. Darauf muß erwidert werden, daß es nicht ganz richtig ist, daß sich die Opfer ganz ohne Widerstand wie „Lämmer zur Schlachtbank" haben führen lassen. -

Am 19. April 1943 begann im Warschauer Getto ein Aufstand, den Mordecai Anieliwicz befehligte und der erst nach vierwöchigem heldenhaften Widerstand unterdrückt werden konnte (Helen Fein 1979, 257-261).

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Raul Hilberg (1964, 306) hat daraufhingewiesen, daß man den Zerstörungsprozeß des Völkermords nur als Interaktionsprozeß zwischen Täter und Opfer verstehen kann, wenn man sich die zwei verschiedenen Maßnahmen-Kategorien klarmacht, die zur Durchführung des Völkermords notwendig waren: -

Anordnungen wie z. B. die Herausgabe von Erlassen oder der Betrieb von Deportationszügen konnten nur von den Tätern allein getroffen werden. - Es gab allerdings auch Verfügungen, zu deren wirksamer Ausführung die aktive Mitwirkung der Opfer notwendig war, z. B. Registrieren des Eigentums, Sich-Melden an einem bestimmten Platz zur Arbeitsleistung, zur Deportation oder zur Erschießung, Graben des eigenen Grabes oder Anstellen zur Vergasung.

Die Opfer reagierten in folgender Weise auf den ihnen drohenden Völkermord (Raul Hilberg 1961, 1964, 1980, 1982a, 1982b, 1985): -

In verschiedenen mehr oder weniger redegewandten Formen reichten sie Bittschriften ein, wann immer und wo immer Deportation oder Konzentrationslagerhaft bevorstand. Gewalthandlungen setzten sie Formulierungen entgegen, und sie verloren überall. Willfahrigkeit und Zusammenarbeit mit der SS zahlten sich nicht aus. Im nachhinein muß man sagen, daß nur die totale Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit eine winzige Chance für die Opfer bedeutet hätte. „Diese Schlußfolgerung ist kein Urteilsspruch, der sich gegen lebende oder tote Juden richtet, sondern ein aus der Geschichte gewonnener empirischer Befund. Diesen Befund abzuleugnen oder zu ignorieren, hieße die Möglichkeit eines Genozids an anderen Rassen oder Minderheiten in Kauf nehmen" (Bettelheim 1980, 279).

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Die Opfer versuchten, ihre Tater zu beschwichtigen und Widerstand zu vermeiden. Die Judenräte der Gettos unternahmen den Versuch, durch die Opferung einiger, die sie herausgaben, die Masse der Juden zu retten. Die Täter begegneten ihnen mit der flexiblen Taktik, ihre Opfer in Etappen zu deportieren. Die Hoffnung der Juden, durch die Befolgung von Erlassen und Befehlen ihre Täter zu besänftigen, gründete sich auf eine jahrhundertelange Erfahrung. Im Exil waren sie stets in der Minderheit; sie waren immer in Gefahr; aber sie hatten gelernt, sie abzuwenden und ihre Zerstörung zu überleben, indem sie ihre Feinde versöhnlich stimmten. Über viele Jahrhunderte hinweg hatten sie gelernt, daß sie nur dann überleben könnten, wenn sie sich jedes Widerstandes enthielten.

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rechtfertigung: das Argument nämlich, mit Unterwürfigkeit angesichts des doch unabwendbaren Schicksals unnötiges Leiden, überflüssige Schmerzen und entbehrliche Folter zu vermeiden. Solche Rechtfertigungen, die den Opfern nicht zum Vorwurf gemacht werden, sind menschlich nur zu verständlich; sie erklären aber auch das reibungslose Funktionieren der Mordmaschinerie, die teuflisch geplant und organisiert war.

Am 2. August 1943 gelang im Vernichtungslager Treblinka eine Revolte, die zwar schnell niedergeschlagen wurde, bei der aber immerhin vierzig Häftlinge fliehen konnten.

Angesichts des unmittelbar bevorstehenden Todes, angesichts des Massengrabes und der Gaskammern, gab es immer noch eine letzte Opfer-

Für ihre „Mitwirkung" hatten die Opfer triftige Gründe: — Durch jahrhundertelange Täter-Opfer-Interaktionen waren sie zu einer Opferhaltung erzogen worden. Durch ihr Eigentum-Registrieren, Selbst-Registrieren, Sich-zur-Deportation-Melden, das-Eigene-Grab-Graben, Sich-zur-Erschießung-Anstellen wurden sie systematisch und langsam auf ihr eigenes Opferwerden vorbereitet und an ihr eigenes Opferwerden gewöhnt. - Mit Vorspiegelungen wie „Umsiedlung", „Umsteigebahnhof', „Brausebad", „Lazarett" wurden sie systematisch getäuscht. Die Mordmaschinerie ließ ihnen keine Zeit zum Widerstand. In einem durch die Nationalsozialisten verdorbenen sozialen Klima, das durch Hetzpropaganda und durch gesetzliche Maßnahmen gegen sie bestimmt war, glaubten sie mit Recht, ihr Opferwerden nicht verhindern zu können. - Das deutsche Volk und die Weltmeinung hatten sie im Stich gelassen. Die Gleichgültigkeit ihrer Mitmenschen beraubte sie jeder Hoffnung. Für ihren Kampf gegen ihre Täter hätten sie das Bewußtsein benötigt, „daß sich die Menschen in der freien Welt um sie Sorgen machten und sie wirklich am Leben erhalten wollten ..." (Bettelheim 1980, 115). — Zum Widerstand und zur Abwehr des Völkermords hätten sie Zeit benötigt, die ihnen die Mordmaschinerie nicht ließ (Eugen Kogon 1974, 381/2). Die SS-Täter nutzten die massenpsychologische Erkenntnis aus, daß der einzelne in der Masse zum Nichts, zur bloßen Nummer wird, der willfährig der Masse in den Abgrund folgt. Die Panik, die in der Masse regelmäßig dann entstand, wenn eine konkrete Vernichtungsmaßnahme bekannt wurde, wirkte auf das einzelne Opfer Verstandes- und willenslähmend. Deshalb war es möglich, Menschenmassen widerstandslos in die Gaskammern zur Vernichtung zu treiben.

h. Neutralisationstechniken Aufgrund von Neutralisationsmechanismen rechtfertigten die Täter ihr kriminelles Verhalten vor ihren Taten (Raul Hilberg 1961, 1964, 1980, 1982a, 1982b, 1985): -

Die Juden - sagten sie sich — sind „Untermenschen", sind „eine zu einem Scheinvolk zusam-

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mengeschlossene Erbkriminalität" (Opferdegradierung). Die Erschießungen der „Einsatzgruppen" im besetzten Gebiet der ehemaligen Sowjetunion wurden z. B. als „Selbstreinigungs"-, als „Judensäuberungsaktionen" definiert. Man sprach von „Entjudung" und davon, man wolle ein Gebiet „judenrein" machen. Die Opfer waren - in der Sicht der Täter - erbitterte Feinde des deutschen Volkes, das sie mit allen erdenklichen Mitteln ausrotten wollten (Notwehr- und Verschwörungsargument): „Wenn wir die Juden in unserem Rücken haben, können wir die Front nicht halten; unsere Feinde werden uns vernichten." „Der Bombenterror ist alles in allem und in letzter Konsequenz von den Juden angezettelt." Zur Selbstrechtfertigung beriefen sich die Täter darauf, daß sie nur Befehlen folgten, daß sie zu Gehorsam verpflichtet seien und daß sie nur ihre Pflicht täten. Sie definierten ihre Handlungen nicht als kriminell. Der Bürokrat, der an seinem Schreibtisch Korrespondenz unterzeichnete, beruhigte sich mit dem Gedanken, daß er die in der Korrespondenz angeordnete Erschießung oder Vergasung nicht selbst vornehme. Der Täter, der diese Erschießung oder Vergasung ausführte, berief sich darauf, daß er nur auf Befehl handele. Die Täter versuchten ferner, ihr kriminelles Verhalten dadurch zu rechtfertigen, daß sie sich darauf beriefen, sie hätten nichts Persönliches gegen die Opfer, sie verfolgten keine eigenen Vorteilsabsichten oder Rachegefühle. Die kollektive Verantwortungslosigkeit spielte weiterhin eine große Rolle. Man „kämpfte" in einer Truppe, einer Mannschaft. Man war nur ein Tropfen in einer Flut. Die SS-Mannschaft und — angeblich — das deutsche Volk erwarteten von den Tätern - in deren Sicht — ihr kriminelles Verhalten. Unter ihren Vorgesetzten konnten sie immer jemanden finden, der noch mehr tat. Unter ihren Untergebenen konnten sie stets jemanden ausmachen, der gerne ihre eigene Stellung ausgefüllt hätte. Sie sagten sich: „Wenn ich es nicht mache, tut es ein anderer." Schließlich argumentierte man damit, die Opfer seien im Lebenskampf sowieso nicht lebenstüchtig genug. „Man darf kein Mitleid mit Leuten haben, die das Schicksal ohnehin dazu bestimmt hat, zugrundezugehen. Im Lebenskampf siegt eben nur der Starke." Das sagten sich die Täter.

Angesichts eines schrecklichen Todes versuchten die Opfer, ihr mögliches Bewußtsein von der Katastrophe zu unterdrücken und ihr mögliches Wissen um ihren bevorstehenden Tod durch Illusionen zu ersetzen (Hilberg 1964, 308). In Auschwitz entwikkelten sie eine Spezialsprache für alles, was mit ihrer Tötung zu tun hatte. Das Krematorium wurde „Bäkkerei", ein Mann, der nicht länger arbeiten konnte und deshalb für die Gaskammer bestimmt war, wurde „Muselmann" genannt, und die Baracken, die

das persönliche Eigentum der vergasten Opfer enthielten, hießen in der Sprache der Opfer „Kanada". Dies waren keine Ausdrücke, die von den SS-Tätern stammten, sondern es waren Begriffe, die die Häftlinge gebildet hatten, um die Schrecken des Todes im eigenen Bewußtsein zu neutralisieren.

6. Überlebensstrategien

der

Opfer

Der nationalsozialistische Völkermord an den Juden und anderen europäischen Volksgruppen war ein Degradierungs-, Entpersonalisierungs- und Entmenschlichungsprozeß. Die Täter wollten die Fülle der menschlichen Existenz ihrer Opfer auf bloße Häftlingsnummern reduzieren und ihre Opfer namenlos machen. Die Häftlinge der Konzentrationslager erhielten eine Nummer auf den Arm in die Haut gebrannt; sie wurden als Nummern benannt und mußten sich als Nummern melden. Der Häftling wurde buchstäblich so behandelt, als ob er ein Niemand, ein Nichts wäre. Er sollte durch unmenschliche Lebens- und Arbeitsbedingungen in seiner Persönlichkeit gebrochen und zum „lebenden Leichnam" werden. Seine persönliche Autonomie, seine Selbstbestimmung und Selbstbehauptung sollten zerstört werden. Die Häftlinge sollten ihre Individualität verlieren und in der Anonymität der amorphen Masse untergehen. Sie sollten ihre Persönlichkeiten aufgeben und zu bloßen Objekten werden, die keinen eigenen Willen mehr besaßen. Durch Erzeugung eines unerträglichen sozialen und psychischen Drucks wollte man bei den Inhaftierten eine Regression, einen Rückfall in eine frühere psychische Entwicklungsstufe, hervorrufen. Sie sollten kindliches Verhalten annehmen (Bettelheim 1971,1980, 86-94). Hunger ist ein wirksames Mittel zur Degradierung. Ohne Bade- und Duschräume, ohne Toiletten ist es unmöglich, auf die Dauer die äußere Erscheinung eines selbstbewußten, wertvollen Mitglieds der menschlichen Gesellschaft aufrechtzuerhalten (John P. Sabini, Maury Silver 1980, 347). Indem man sie hungern ließ und ihnen die einfachsten Möglichkeiten der Hygiene nahm, wollte man die KZ.-Häftlinge als „Untermenschen" erscheinen lassen. Sie sollten sich letztendlich selbst so verstehen. Gegenüber diesen Absichten der SS-Mannschaften gab es Überlebensstrategien (Joel E. Dimsdale 1974, 1980): -

Die Häftlinge bewahrten ihre Lebensziele, wenn sie weiterhin einen Sinn in ihrem Dasein, in ihrem Leiden und Sterben erblickten und wenn sie sich nicht selbst aufgaben. Leiden und Durchhalten waren psychische Leistungen, die ein Überleben überhaupt erst ermöglichten. — Leiden und Durchhalten wurden den Opfern erleichtert, wenn sie dem äußeren Terror der SSLeute mit Galgenhumor, mit Kameradschaftlichkeit gegenüber ihren Mitopfern, mit ihren Gedanken an ihre Familien, mit religiösem Glauben,

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mit Lebenswille oder mit Intellektualisierung der furchtbaren Ereignisse begegneten (Viktor E. Frankl 1977). - Die Opfer durften sich selbst nicht als „Ungeziefer" definieren; sie mußten sich - auch unter den unmenschlichen Bedingungen des Konzentrationslagers — weiterhin für wertvolle Menschen halten, um überleben zu können. Jede Gruppenbeziehung und bereits eine Zwei-PersonenFreundschaft konnten die extremen physischen und psychischen Belastungen mildern. - Die Inhaftierten mußten sich weitgehend unempfindlich machen gegenüber dem täglichen, ja stündlichen Geschlagenwerden (Frankl 1977). Die radikale Wertlosigkeit des einzelnen Menschenlebens im Konzentrations- und Vernichtungslager durfte sie nicht dazu verführen, ihre Kräfte zu lähmen und vor ihrer unmenschlichen Umwelt fatalistisch zu kapitulieren. Wenn sie den Absichten der SS nachgaben und keine dieser Überlebensstrategien mehr verfolgten, waren die KZ.-Häftlinge auf die Dauer dem Untergang geweiht. „Muselmänner" wurden diejenigen Mitopfer genannt, die jedes Gefühls, jeder Selbstachtung und jedes Antriebs beraubt waren, die so vollständig physisch und psychisch erschöpft waren, daß sie in tiefster Gleichgültigkeit zum Sterben bereit waren (Kogon 1974, 380). Die SS-Mannschaften hatten ihren Lebenswillen gebrochen. Die „Muselmänner" werden als Jammergestalten geschildert, die kränklich aussahen, völlig abgemagert waren und nicht mehr arbeiten konnten. Sie waren nur noch Schatten ihrer selbst. Ihre Mithäftlinge hielten Distanz zu ihnen, weil sie gebrandmarkt waren und weil jeder weitere Kontakt mit ihnen nur zur eigenen Zerstörung führen konnte. Solange ein Häftling mit Lebenswille für sein Überleben kämpfte, und zwar durch Selbstbehauptung gegen seine übermächtige unmenschliche Umwelt, konnte er nicht zum „Muselmann" werden.

7. Schäden und Behandlung der überlebenden Opfer und ihrer Kinder Nach der Freude der Befreiung zeigte sich, daß die wenigen Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager durch ihre entsetzlichen Erfahrungen körperlich, seelisch und sozial geschädigt sind. Paul Matussek (1971), der in den Jahren 1958 bis 1962 245 ehemalige KZ.-Häftlinge in Bayern, in Israel und in New York untersucht hat, fand heraus, daß sie neben körperlichen Erkrankungen hauptsächlich an einer „sozialen Krankheit" leiden, die man mit den Merkmalen Mißtrauen, Gefühl der Isoliertheit und Verfolgungswahn kennzeichnen kann. Matussek arbeitete drei unterschiedliche Grundstörungen heraus: - Mit der Diagnose „Resignation und Verzweiflung" wird der Zustand eines sinn- und ziellos ge-

wordenen Lebens erfaßt. Jeder emotionalen Teilhabe an den Mitmenschen wird ausgewichen. Ein lebendiger Zukunftsbezug besteht nicht mehr. - Die Störung „Apathie und Hemmung" umschreibt eine allgemeine Passivität, die sich in einem antriebslosen, selbstunsicheren Verhalten ausdrückt. Hier steht das Gefühl eigener Wertlosigkeit im Vordergrund. - Die „aggressiv-gereizte Verstimmung" bezeichnet eine psychische Störung, bei der sich unverarbeitete Aggressivität in unkontrollierten Ausbrüchen an Personen oder Sachen des sozialen Nahraums entlädt oder gegen den eigenen Körper richtet. Im Rahmen seiner Untersuchung von mehr als 2.500 überlebenden, norwegischen ehemaligen Konzentrationslager-Häftlingen hat Leo Eitinger (1972, 1980) ein KZ.-Überlebenssyndrom aus folgenden Merkmalen ermittelt: Gedächtnisschwäche und Konzentrations-Schwierigkeiten, Nervosität, Irritierbarkeit, rastlose Unruhe, leichte Ermüdbarkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, emotionale Instabilität, nervöse Verstimmbarkeit, Schwindelanfalle, Verlust an Initiative, vegetative Labilität und Unzulänglichkeitsgefühle. Amerikanische Untersucher fanden häufig Schuldgefühle bei ehemaligen KZ.Häftlingen, weil sie so viele Kameraden hatten sterben sehen und allein überlebt hatten. Die Anfälligkeit ehemaliger KZ.-Häftlinge für körperliche und seelische Leiden, für frühes Altern und ihre frühe Sterblichkeit sind überdurchschnittlich hoch. Sie sind nicht zukunftsorientiert; sie können mit ihrer Vergangenheit nicht fertig werden (Jacob Lomranz, Dov Shmotkin, Amnon Zechovoy, Eliot Rosenberg 1985). Man führt alle diese psychischen Störungen, die zahlreiche soziale Schwierigkeiten, z. B. Ehezerrüttungen und Berufsversagen, mit sich brachten, auf die extremen körperlichen, psychischen und sozialen Belastungen des Konzentrationslagers zurück, u. a. auf die erlittene Todesangst, auf körperliche Zermürbung, Schläge, Hunger, Kälte und die Vergiftung mitmenschlicher Beziehungen. Die Konzentrationslagerhaft hat nicht nur schädliche Auswirkungen auf die überlebenden Opfer, sondern es besteht auch die ernste Gefahr, daß psychische und soziale Schädigungen auf nachwachsende Generationen übertragen werden (Axel Russell 1974, 1980): Eltern, die das Konzentrationslager überlebt haben, hegen die Wahnvorstellung, jemand werde ihre Kinder schädigen. Die Mütter entwickeln überbeschützende, verwöhnende Einstellungen, und sie warnen ihre Kinder beständig vor verborgenen (eingebildeten) Gefahren. Sie belästigen ihre Kinder mit quälenden Erinnerungen; sie durchleben ihre schrecklichen Erfahrungen von neuem; die Vergangenheit nimmt so sehr von ihnen Besitz, daß sie ständig mit ihr beschäftigt sind. Die Familien ehemaliger KZ.-Häftlinge leben ein isoliertes Leben ohne engere Beziehungen zur realen Umwelt. Niedergeschlagenheit, Gleichgültigkeit, Trübsinn und Leere bestim-

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Politische Kriminalität men die Familienatmosphäre. Die Eltern, die das Konzentrationslager überlebt haben, leiden unter Schuldgefühlen, weil sie ihren Kindern keine Zuneigung zeigen können. Diese Schuldgefühle führen dazu, daß sie ihren Kindern gegenüber übermäßig nachsichtig sind. Jede alltägliche Lebenskrise - Entscheidungen über Berufskarrieren, Eheschließungen der Kinder, über Umzug oder sogar schon über die Feriengestaltung - beschwört schwere Konflikte herauf und lähmt die ganze Familie. Ihre Kinder ersetzen den ehemaligen KZ.-Häftlingen häufig symbolisch die vielen ermordeten Angehörigen und Freunde. Sie idealisieren die Toten, und sie ziehen sich auf die Toten in ihren Hoffnungen und Träumen zurück. Die ehemaligen KZ.-Häftlinge erwarten von ihren Kindern, daß sie ihrem leeren Leben wieder Sinn geben und daß sie alle die ermordeten Angehörigen und Freunde ersetzen. Solche hohen Erwartungen sind unerfüllbar und zerstören die Familien. In New York City versucht man, durch Gruppentherapie mit überlebenden KZ.-Häftlingen und ihren Kindern ihrer sozialen Isolation, ihrer Einsamkeit, ihrem Mißtrauen und ihrer Verfremdung entgegenzuarbeiten (Yael Danieli 1981a, 1981b, 1981c, 1985a, 1985b). Die Patienten sollen ein Gefühl für Geborgenheit in einer großen Familie von Freunden und einer Gemeinschaft bekommen. Ihre körperlichen Schäden werden von ihnen nicht so drückend empfunden wie ihre seelischen Qualen. Durch die Gleichgültigkeit der Menschen ihres sozialen Nahraums und der Gesellschaft gegenüber ihrem seelischen Schmerz und gegenüber dem Völkermord fühlen sie sich ein zweites Mal psychisch verwundet und geopfert. In der Gruppenarbeit sollen auf schonende Weise die Erfahrungen der Überlebenden mit dem Völkermord in ihre Persönlichkeit und in das Leben ihrer Kinder eingeordnet werden, so daß die schrecklichen Erlebnisse als sinnvolles Leiden empfunden und angenommen werden. Heilung und Genesung werden erst möglich, wenn die überlebenden KZ.-Häftlinge und ihre Kinder die Realität des Völkermords in ihrem wahren Ausmaß akzeptieren und dieser entsetzlichen Wirklichkeit für sich und ihre Kinder einen Sinn verleihen. Gefühle der Wertlosigkeit und der Schuld dürfen nicht von einer Generation auf die nächste „sozial vererbt" werden. Akzeptanz und Sinngebung der traumatischen Erlebnisse befreien.

8.

Trauerarbeit

Mit Worten allein kann man nicht trauern. Zur Trauerarbeit bedarf es des Gefühls, des Erbarmens und des Mitleids. Die schrecklichen Erlebnisse und die Qualen der Opfer des Völkermords können mit Worten nicht annähernd ausgedrückt werden (Chester W. Feuerstein 1980). Die kriminologische Darstellung muß notwendigerweise sachlich-analytisch sein, obgleich die Opfer des Völkermords unsere

volle Sympathie und mitmenschliche Zuwendung verdienen. Der wissenschaftliche Ansatz, so notwendig er auch sein mag, genügt nicht, um die Trauerarbeit zu leisten, die den Opfern gebührt, aber auch in unserem eigenen deutschen Interesse notwendig ist. Angesichts der unaussprechlichen Schrecken und Qualen der Opfer kann man die Auffassung vertreten, daß nur der Rückzug ins Schweigen etwas nutzt. Elie Wiesel (1975) schreibt: „Die Vergangenheit gehört den Toten, und der Überlebende erkennt sich nicht in den Bildern und Vorstellungen, die seiner Person zugeschrieben werden. Auschwitz bedeutet den Tod, den totalen, absoluten Tod - den Tod des Menschen, den Tod aller Menschen, den Tod der Sprache und Phantasie, den Tod der Zeit und des Geistes ... Der Überlebende weiß. Er und niemand anderer. Und er wird verfolgt von Gefühlen der Schuld und der Hilflosigkeit...". So unzulänglich unsere Vorstellungskraft und unsere Sprache auch sein mögen, Schweigen bedeutet eine zweite Verletzung der Opfer. Mit Recht hat Yael Danieli (1980, 1984) die „Verschwörung des Schweigens" beklagt, das die Opfer ein zweites Mal verwundet. Wir müssen die Trauerarbeit leisten für die Überlebenden und ihre Kinder, für das jüdische Volk, für das deutsche Volk und für alle Menschen dieser Erde. Wir Deutschen können uns nicht darauf berufen, daß nur die Täter strafrechtliche Schuld tragen und daß auch die übrige Welt dem Völkermord tatenlos zugesehen hat (Henry L. Feingold 1980; Fein 1979, 165-194). Vor der Geschichte trägt das deutsche Volk die politische Verantwortung, daß es die Errichtung eines kriminellen Systems zugelassen und daß es dieses System nicht rechtzeitig beseitigt hat. Eine Kollektivscham steht uns deshalb wohl an. Mit der moralischen, metaphysischen Schuld muß jeder einzelne Deutsche allein fertig werden. Darüber hinaus gibt es so etwas wie menschliche Solidarität. Der kanadische Psychiater Bruno M. Cormier (1966, 7) schreibt: „Die historische Verantwortlichkeit für den Völkermord an den Juden durch Hitler Deutschland trifft alle Gruppen in unserer Zivilisation; wir sind alle ausnahmslos schuldig am Antisemitismus, ob er nun brutal, abgeschwächt oder zeitweise latent, aber stets vorhanden gewesen ist, bereit, mobilisiert zu werden, um aus dem jüdischen Volk einen Sündenbock und ein Objekt der Drangsalierung zu machen."

E. Folter Folter (auch Tortur, lateinisch: torquere, „peinliche Frage" nach deutschem Recht) besteht in der Zufügung körperlicher oder seelischer Qualen durch einen Träger staatlicher Gewalt oder durch dessen Gehilfen, um den Gefolterten zu einem Geständnis oder zum Verrat „Mitschuldiger" zu nötigen oder um einen Zeugen zu einer belastenden Aussage oder zur Preisgabe eines Geheimnisses zu zwingen. Ur-

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Politische Kriminalität

sprünglich wurde sie im griechischen und römischen Recht allein gegen Unfreie (Sklaven) verhängt, deren Aussage man in der Regel nur dann Glauben schenkte, wenn sie durch die Anwendung der Folter erhärtet worden war. Im Inquisitionsprozeß des Mittelalters, in dem das Gericht verpflichtet war, von Amts wegen die objektive Wahrheit zu erforschen, kam die Folter vom 13. Jahrhundert an gegen Beschuldigte und Zeugen in Gebrauch (John H. Langbein 1983). Denn man legte besonderes Gewicht auf ein Geständnis (confessio est regina probationum; das Geständnis ist die Königin des Beweises). Man glaubte oder gab vor, zu glauben, Gott werde es nicht zulassen, daß ein Unschuldiger unter heftigsten Schmerzen ein falsches Geständnis ablege. Zu den Foltermitteln gehörten u. a.: das Auspeitschen, die Anwendung von Daumen- und Beinschrauben (von sogenannten „spanischen Stiefeln"), das Festschnallen auf einem mit spitzen Stiften versehenen Folterstuhl, die Anwendung des Feuers durch Brennen an den Füßen oder an den Seiten des Körpers und das Zusammenpressen des Kopfes mittels der „pommerschen Mütze", eines durch Knebel verstellbaren Eisenreifens. Unter dem Einfluß der Aufklärung wurde die Folter abgeschafft. Cesare Beccaria sprach sich gegen sie aus, und Friedrich II. verbot sie in Preußen im Jahre 1740. An ihre Stelle traten aber nicht selten Ungehorsamsstrafen für Lügen oder Verwicklungen in Widersprüche vor Gericht, die nichts anderes als eine verschleierte Folter darstellten. Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden auch diese Ungebührlichkeitsstrafen, z. B. Hunger- oder Dunkelarrest, aufgehoben. Obwohl die Folter gesetzlich verboten war, kam es während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (1933-1945) in den Kellern der Geheimen Staatspolizei (vgl. die Beiträge in Gerhard Paul, Klaus-Michael Mallmann 1995) und in den Konzentrationslagern zu grausamen Folterungen. Trotz der Konvention der Vereinten Nationen vom 11.12.1984 gegen die Folter und trotz der Europäischen Anti-Folter Konvention (Ulrich Eisenberg 1995, 798) wird sie auch heute noch von totalitären Regimen links- oder rechtsextremer Prägung angewandt, um Menschen zur Preisgabe von Informationen zu zwingen, die sie nicht offenbaren wollen. Sie ist ein kriminelles Instrument zur politischen Machterringung oder -erhaltung. Sie dient der Schädigung des politischen Gegners. Foltermethoden sind z. B. die Amputation von Gliedmaßen, das Ausreißen von Fingernägeln, das Versetzen in Todesangst (z. B. durch Scheinhinrichtungen oder durch Eintauchen in Wasser bis kurz vor Eintritt des Erstickungstodes). Man wendet Psychopharmaka an, foltert Angehörige oder vor Angehörigen, quält die Kinder des Gefolterten oder führt die völlige Entkräftung und Erschöpfung des Gefolterten durch Vorenthaltung von Nahrung, Getränken oder Schlaf herbei. Obgleich die Verfassungen von 55 Staaten sie als Verletzung der Menschenrechte ansehen, wird sie ge-

genwärtig noch häufig, wenn auch verdeckt angewendet, um das Ansehen des Täters nicht aufs Spiel zu setzen (Marvin Ε. Wolfgang 1985, 70-74). Menschen werden deshalb verhältnismäßig leicht gefoltert, weil fast jeder Mensch dazu neigt, einem anderen Schaden zuzufügen, wenn ihm dies nur durch eine Autorität befohlen wird (Stanley Milgram 1963, 1965). In totalitären politischen Systemen entwikkeln Menschen relativ leicht zynische „Arbeitspersönlichkeiten", wenn man ihnen ihr Handeln als für das Gemeinwohl notwendig und für die Erhaltung des Staates unausweichlich erforderlich darstellt (Jerome Η. Skolnick 1966, 1994; Craig Haney, Curtis Banks, Philip Zimbardo 1973). Folterungen, die in zunehmendem Maße in psychischen Qualen und Marterungen bestehen, um Spuren am Körper der Gefolterten und damit den Nachweis der Folter zu vermeiden (Haim H. Cohn 1969), gehören zur politischen Kriminalität der Mächtigen. Die Gefolterten haben als Verbrechensopfer unter schweren körperlichen und insbesondere psychischen Schäden zu leiden, die sie häufig verheimlichen, um keine Vergeltungsmaßnahmen der mächtigen Täter herauszufordern. Der Europäische Antifolterausschuß leistet wertvolle Arbeit, um die Folter in Europa zu verhindern (Günther Kaiser 1996, 428-430). M o n o g r a p h i e n und

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SCHNEIDER

625

Frauenkriminalität

FRAUENKRIMINALITÄT Α. Anteil an der Gesamtkriminalität Das Geschlecht ist für die Unterscheidung von Straftätern und Nichtstraftätern wahrscheinlich von größerer statistischer Bedeutung als jedes andere Merkmal (so Sutherland, Cressey 1978, 130; Conklin 1995, 103). In allen Ländern und zu allen Zeiten, für die brauchbare Kriminalstatistiken vorliegen, ist der Anteil der Täterinnen in allen Altersgruppen und für nahezu alle Delikte geringer als derjenige der männlichen Täter. Eine Ausnahme bilden nur die typischen Frauendelikte, wie Kindestötung und -aussetzung oder Eigenabtreibung, die teilweise bereits nach ihrer gesetzlichen Definition täterschaftlich nur von Frauen begangen werden können (vgl. im deutschen Strafgesetzbuch § 217 und § 218 III).

1.

Hellfeld

Im Jahre 1995 betrug der Anteil der Frauen und Mädchen an der Gesamtzahl der polizeilich ermittelten Tatverdächtigen lediglich 22,1% (vgl. PKS für 1995, 95). Verkehrsdelikte sind dabei nicht berücksichtigt. Gut 11% aller wegen Straftaten im Straßenverkehr und knapp 18% aller wegen sonstiger Straftaten Verurteilten waren 1994 im alten Bundesgebiet Frauen (vgl. Stat. BA 1996, 17). Ein ähnliches Bild ergibt sich für Österreich und die Schweiz. In Österreich machte der Anteil der Frauen und Mädchen an der Gesamtzahl aller wegen einer strafbaren Handlung Tatverdächtigen 1994 rund 19% aus (PKS Österreich für 1994); in der Schweiz belief sich der Anteil der Täterinnen 1995 auf 15,6% der Tatverdächtigen (PKS Schweiz für 1995, Anhang D). In den USA waren im Jahre 1992 19% aller wegen Straftaten festgenommenen Personen weiblich (U.S. Department of Justice 1993,430). Dabei war der Anteil der Frauen und Mädchen an den Festgenommenen in Städten (19,3%) und städtischen Vororten (19%) höher als in ländlichen Bezirken (17,5%) (U.S. Department of Justice 1993, 435, 439, 443). Überschlägig ist in den Industrieländern insgesamt mit einem Frauenanteil von 10% bis 20% unter den polizeilich ermittelten Tatverdächtigen zu rechnen (vgl. die Übersicht bei Kaiser 1988, 435; H. J. Schneider 1986, 268; für die Niederlande Bruinsma, Dessaur, van Hezewijk 1981). Unter den Verurteilten ist der Frauenanteil allgemein niedriger (vgl. für Großbritannien Gibbens 1981, 104). Es wird davon ausgegangen, daß in den Entwicklungsländern Frauen und Mädchen in noch geringerem Umfang an der offiziell registrierten Kriminalität beteiligt sind (vgl. H. J. Schneider 1986, 268; Feest 1993, 144; für Nigeria: Oloruntimehin 1981, 160; für Indien: Bhanot, Misra 1981, 230). Diese niedrigere Kriminalitätsbelastung wird auf die abhängigere so-

ziale Stellung der Frau zurückgeführt (Sutherland, Cressey 1978, 131 f.). Alle Gegenüberstellungen von Tatverdächtigenund Verurteiltenzahlen und ihre Interpretation leiden an der mangelnden internationalen Vergleichbarkeit der jeweiligen Länderstatistiken. Nicht nur die Unterschiede in der Strafgesetzgebung und das unterschiedliche Maß der Zuverlässigkeit der Statistiken lassen Vergleiche zweifelhaft erscheinen. Offizielle Kriminalstatistiken stehen immer unter dem Vorbehalt eines mehr oder minder großen Dunkelfeldes, dessen Ausmaß nicht nur von der Leistungsfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden, sondern auch von ihrer Verfolgungsbereitschaft sowie von der Anzeigebereitschaft der Opfer und damit letztlich von den gesellschaftlich geprägten Einstellungen der reagierenden Personen abhängt. Es ist zu erwarten, daß die Bereitschaft zur Anzeige und zur Verfolgung weiblicher Straftäter in verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich ist. So mag eine von starker Abhängigkeit geprägte Stellung der Frauen dazu führen, daß ihre Kriminalität weniger ernst genommen und eher informell erledigt wird, indem die Sanktionierung und weitere Kontrolle der Rechtsbrecherin der Familie oder der Gemeinschaft überlassen wird.

2.

Dunkelfeld

Die in den offiziellen Kriminalstatistiken aufscheinende relativ geringe kriminelle Belastung von Frauen und Mädchen wird teilweise unter Hinweis auf die Existenz eines „geschlechtsspezifischen Dunkelfeldes" angezweifelt. Es wird angenommen, daß das weibliche Geschlecht in Wirklichkeit kaum weniger kriminell aktiv sei als das männliche (Pollak 1950, 44ff.; Leder 1984; 1988). Straftaten von Frauen sollen jedoch in weit höherem Maße unentdeckt bleiben als Straftaten von Männern. Frauen werden angeblich weniger häufig angezeigt, überführt und verurteilt. Tatsächlich ist in zahlreichen Dunkelfelduntersuchungen ein wesentlich höherer Anteil an weiblicher Kriminalität und Jugenddelinquenz ermittelt worden, als aufgrund offizieller Daten zu erwarten war (Short, Nye 1958, 300; Williams, Gold 1972; Jensen, Eve 1976; Hindelang 1979, 525 f.; Smith, Visher 1980; Canter 1982b; Kreuzer 1986; Siegel 1995, 69; vgl. auch die Übersichten über Dunkelfelduntersuchungen in den USA bei Hindelang, Hirschi, Weis 1979, 998 und für die Niederlande bei Bruinsma, Dessaur, van Hezewijk 1981, 26 ff.). Jedoch gelangen auch diese Untersuchungen übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß Frauen und Mädchen insgesamt seltener eigene kriminelle Taten berichten als männliche Probanden und daß die eingeräumten Taten im Durchschnitt weniger schwer sind als diejenigen der männlichen Vergleichspersonen. Das Delikt, das in der Selbstberichtsstudie von Jensen und Eve (1976)

626

Frauenkriminalität

am häufigsten angegeben wurde, war Bagatelldiebstahl von Gegenständen mit einem Wert von weniger als zwei US-Dollar. Es wurde von 53% der weißen männlichen Heranwachsenden gegenüber 31% der weißen weiblichen Probanden eingeräumt. 6% der jungen Männer, aber nur 1% der jungen Frauen gaben demgegenüber Diebstähle von Gegenständen mit einem Wert über fünfzig US-Dollar zu. In ihren Selbstberichtsstudien an Jugendlichen erfragten Short und Nye (1958) und Canter (1982b) zahlreiche verschiedene delinquente Verhaltensweisen. Ubereinstimmend fanden sie, daß fast alle Delikte nach den eigenen Angaben der Befragten zu einem größeren Teil von Jungen als von Mädchen begangen wurden und diese Abweichungen meist statistisch signifikant waren. Keine signifikanten Geschlechtsunterschiede ergaben sich bei Canter insbesondere hinsichtlich des Gebrauchs harter Drogen. Gleichwohl waren Mädchen in ihrer Stichprobe an keiner der erfragten delinquenten Handlungen häufiger beteiligt als Jungen. Dies gilt selbst für „typisch" weibliche Delikte wie Prostitution. Am größten waren die Geschlechtsunterschiede bei den schweren Straftaten. Die signifikant höhere berichtete männliche Beteiligung an zahlreichen delinquenten Handlungen drückte sich in zweifacher Weise aus: in der höheren durchschnittlichen Häufigkeit der angegebenen Straftaten männlicher Jugendlicher und in der höheren Anzahl männlicher Jugendlicher, die von eigenen Straftaten berichteten, gegenüber weiblichen. Aufgrund der vorliegenden Untersuchungsergebnisse kann überschlägig ein Geschlechtsverhältnis von 1 : 2 zu Lasten der Männer und Jungen im Dun-

kelfeld der Kriminalität angenommen werden (vgl. Canter 1982b, 382; Hindelang, Hirschi, Weis 1979, 999; Bruinsma, Dessaur, van Hezewijk 1981, 27; Anttila 1981, 79) gegenüber einem Verhältnis von 1 : 7 bis wenigstens 1 : 3 im Hellfeld der Tatverdächtigen. Es ist demnach zwar von der Existenz eines geschlechtsspezifischen Dunkelfeldes auszugehen. Jedoch ebnen sich die Geschlechterunterschiede in der Kriminalitätsbelastung im Dunkelfeld - soweit es durch Selbstberichtstudien erfaßbar ist - keineswegs ein.

3.

Ausfilterungsprozesse

Folgt man dem Prozeß des Bekanntwerdens und der Reaktion auf weibliche Kriminalität, so wird deutlich, daß sich der Anteil der Frauen und Mädchen an den strafrechtlich verfolgten Personen von Reaktionsebene zu Reaktionsebene immer weiter vermindert. Der „Trichtereffekt fortschreitender Aussortierung von Kriminalität" (H. J. Schneider 1987, 167) bezeichnet den allgemein zu beobachtenden Prozeß der Auslese von den begangenen über die entdeckten, polizeilich, staatsanwaltschaftlich und gerichtlich verfolgten Straftaten bis hin zum Vollzug der Freiheitsstrafe in Justizvollzugsanstalten. Auf jeder Ebene der Reaktion werden durch die Instanzen formeller Sozialkontrolle weitere Straftaten und -täter aus der Verfolgung ausgeschieden. Dieser „Trichtereffekt" kommt weiblichen Straftätern in besonderem Maße zugute (vgl. Abbildung 1). Während im Dunkelfeld mit etwa einem Drittel

Abbildung 1 Trichter der fortschreitenden Aussortierung von Kriminalität Frauenanteil

627

Frauenkriminalität Tabelle 1: Strafverfolgung und Strafvollzug in der Bundesrepublik Deutschland 1991. Strafmündige Tatverdächtige*

davon männlich

davon weiblich

1 531205

1 192256

338949 ~ 22,1%

461 500

105453 ~ 18,6%

350441

82221 = 19,0%

Abgeurteilte* 566953 Verurteilte* 432662 Strafgefangene** (am 31. 03. 1991) 37281

1494 «

35787

4,0%

Sicherungsverwahrte (am 31. 03. 1991) 187

187

-

* Jeweils ohne Straftaten im Straßenverkehr; Abgeurteilten- und Verurteiltenzahlen, bezogen auf das frühere Bundesgebiet und West-Berlin. ** Jugendstrafe und Freiheitsstrafe, bezogen auf das frühere Bundesgebiet und West-Berlin. Quellen: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Ausgewählte Zahlen zur Rechtspflege 1991, Stuttgart 1995a; - Strafvollzug 1991, Stuttgart 1993.

weiblicher Kriminalität gerechnet werden muß, beträgt in der Bundesrepublik der Frauen- und Mädchenanteil an den polizeilich Tatverdächtigen nur zwischen einem Viertel und einem Fünftel. Unter den Abgeurteilten und Verurteilten sind knapp ein Fünftel Frauen, und unter den Strafgefangenen verringert sich der Frauenanteil auf weniger als ein Fünfundzwanzigstel (vgl. Tabelle 1, die die Anzahlen der Tatverdächtigen, Abgeurteilten, Verurteilten, Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten für die Bundesrepublik aufgeschlüsselt nach Geschlecht, bezogen auf das Jahr 1991, wiedergibt). Die Ursache dieser überproportionalen Ausfilterung von Frauen und Mädchen aus dem Strafverfolgungsprozeß ist in erster Linie in der geringeren Häufigkeit und Schwere weiblicher Kriminalität zu suchen (Kreuzer 1986, 302). Die Häufigkeit, mit der eine tatverdächtige Person bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, und die Schwere der verfolgten Tat sind nicht nur die Gesichtspunkte, die bei den Entschließungen von Staatsanwaltschaft und Gericht über Einstellung oder Fortführung des Strafverfahrens und gegebenenfalls bei der Bestimmung von Strafe und Strafmaß die schlechthin bedeutendste Rolle spielen und oft sogar die einzigen Entscheidungskriterien sind (vgl. auch Hindelang, Hirschi, Weis 1979, 999). Häufigkeit und Schwere krimineller Handlungen haben auch bereits Einfluß auf die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Straftat überhaupt entdeckt wird. Je häufiger eine Person delinquent handelt, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung. Je schwerer eine Straftat ist, desto eher wird das Opfer sie im allgemeinen anzeigen und desto intensiver wird die Polizei nach dem l a t e r oder der Täterin suchen. Die Häufigkeit

kriminellen Handelns steht dabei allerdings wohl in noch engerer Beziehung zum Entdeckungsrisiko als die Schwere der Tat (vgl. die Ergebnisse von Williams, Gold 1972, 219 f.).

B. Struktur 1.

Deliktsgruppen

Abgesehen von dem „Frauendelikt" der Kindestötung (§217 StGB), einem mit Rücksicht auf die besondere seelische Situation der nichtehelich Gebärenden gesetzgeberisch privilegierten Fall des Totschlags (1995: 21 Tatverdächtige, davon 2 Männer), werden nach der Tatverdächtigenstatistik in der Bundesrepublik nur Abtreibungen (16 von 26 Tatverdächtigen in 1995 waren Frauen) und Verletzungen der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (rund 67% weibliche Tatverdächtige) häufiger von Frauen als von Männern begangen (vgl. PKS für 1995, Tabelle 1). Bei der Mißhandlung von Kindern richtet sich der Tatverdacht in gut 38% der Fälle gegen Frauen (vgl. PKS für 1995, 160). Diese Delikte machen einen verschwindend geringen Anteil an der Gesamtzahl aller polizeilich registrierten Straftaten aus. Zumindest bei der Verletzung der Fürsorgeoder Erziehungspflicht und der Kindesmißhandlung ist allerdings mit einem großen Dunkelfeld zu rechnen, während das früher wahrscheinlich enorme Dunkelfeld bei den Abtreibungen (vgl. Pollak 1951, 45 ff.) infolge der Liberalisierung der Strafgesetzgebung und der freien Zugänglichkeit und gesellschaftlichen Billigung zuverlässiger empfängnisverhütender Mittel erheblich geschrumpft sein dürfte.

628

Frauenkriminalität

Der Schwerpunkt der Frauenkriminalität liegt auf den Eigentums- und Vermögensdelikten. Einfache Diebstähle machen in der Bundesrepublik knapp die Hälfte und Betrugsdelikte knapp ein Sechstel der von Frauen oder Mädchen begangenen polizeilich bekannt gewordenen Delikte aus (vgl. PKS für 1995, 103). Gleichzeitig ist der Frauenanteil an den wegen Eigentums- und Vermögensdelikten Tatverdächtigen überdurchschnittlich hoch: Er liegt beim einfachen Diebstahl bei knapp 34% und beim Betrug bei rund 24% (PKS für 1995, 95). Besonders häufig treten Frauen und Mädchen mit Ladendiebstählen in Erscheinung. Hier stellen sie rund 38% der Tatverdächtigen (PKS für 1995, 172). Relativ hohe Frauenanteile von immerhin um 20% finden sich auch unter den wegen Veruntreuung und Unterschlagung Verdächtigen sowie unter den Beleidigungstätern. Gleichwohl erscheint die Beleidigung entgegen einem verbreiteten Vorurteil demnach nicht als „typisches Frauendelikt", sondern wird weit häufiger von Männern als von Frauen begangen. Weit unterdurchschnittlich gering ist demgegenüber die Beteiligung von Frauen und Mädchen an der Gewaltkriminalität. 1995 waren in der Bundesrepublik nur knapp 11% aller polizeilich registrierten Gewaltstraftäter Frauen (PKS für 1995, 236). Noch wesentlich geringer ist der Frauenanteil beim Diebstahl unter erschwerenden Umständen und bei der Sachbeschädigung, die bei der männlichen Kriminalität eine erhebliche Rolle spielen. Politische und Organisierte Kriminalität sind nahezu ausschließlich „Männersache" (vgl. Beirne, Messerschmidt 1995, 77 ff.). Eine ähnliche Strukturierung der Frauenkriminalität mit einer überdurchschnittlich hohen Belastung von Frauen und Mädchen mit (gewaltlosen) Eigentums- und Vermögensdelikten, insbesondere Ladendiebstählen, und einer unterdurchschnittlich geringen Belastung mit Gewaltkriminalität läßt sich auch in anderen Ländern beobachten (vgl. für die USA: U.S. Department of Justice 1993, 430 und unten Tabelle 2; Simon 1978, 55 f.; Österreich: Schima 1978, 561 ff.; Niederlande: Bruinsma, Dessaur, van Hezewijk 1981, 36; Finnland: Anttila 1981, 68; Norwegen: Jensen 1981, 89 ff.; Nigeria: Oloruntimehin 1981, 161). Trotz der größeren männlichen Beteiligung an fast allen Delikten einerseits und der aufgezeigten deliktsspezifischen Unterschiede weiblicher Tatbeteiligung andererseits sind die Strukturen von Männerund Frauenkriminalität einander durchaus ähnlich. Männer wie Frauen treten am häufigsten mit einfachem Diebstahl und Betrug polizeilich in Erscheinung, während vorsätzliche Tötungen am Ende der Deliktsrangfolge stehen. Eine Ähnlichkeit männlicher und weiblicher Kriminalitätsmuster findet sich auch im Dunkelfeld der Jugenddelinquenz (vgl. Canter 1982b). Die statistische Polarisierung zwischen Eigentums- und Vermögensdelikten einerseits und Gewaltdelikten andererseits ist allerdings bei der weiblichen Kriminalität besonders ausgeprägt.

Frauen verüben eher Delikte, die ohne Einsatz von Gewalt oder Zwang begangen werden können und nur ein geringes Maß an Planung und wenig an besonderen kriminellen Fertigkeiten voraussetzen. Sie sind vor allem an denjenigen Delikten überdurchschnittlich häufig beteiligt, die in Ausübung der traditionellen weiblichen Rolle begangen werden. Die schwangere Frau ist auch diejenige, die abtreibt, die Mutter diejenige, die Kindestötung, Kindesmißhandlung und -Vernachlässigung begeht. Die Kundinnen, die für ihre Familien einkaufen und Dienstleistungen in Auftrag geben, werden zu Ladendiebinnen. Sie treten auch mit Warenkredit-, Leistungsund Leistungskreditbetrug in Erscheinung. Frauen, die für sich und ihre Kinder Leistungen der Sozialversicherungen in Anspruch nehmen, begehen Betrug zum Nachteil der Sozialversicherungsträger (vgl. PKS für 1995, 204).

2.

Tatbegehungsmuster

In der Tatbegehung und den Umständen der Tat spiegelt sich die einerseits abhängige und unterlegene, andererseits familienbezogene Rolle, die Frauen trotz unverkennbar fortschreitender sozialer Gleichstellung auch heute vielfach noch spielen. Wenn Frauen Eigentums- oder Vermögensdelikte begehen, sind die materiellen Vorteile, die sie aus ihren Taten erlangen, und dementsprechend auch die Schäden, die sie hervorrufen, vergleichsweise gering. Bei ihrer Untersuchung zu geschlechtsspezifischen Mustern von Weiße-Kragen-Kriminalität fand Daly (1989) insgesamt nur einen geringen Anteil weiblicher Täter. Dies galt insbesondere für den Bereich der Unternehmenskriminalität (corporate crime). Lediglich veruntreuende Unterschlagungen zum Nachteil von Banken wurden häufig von Frauen begangen. Etwa 90% der Täterinnen waren dabei Schalterangestellte oder Kassiererinnen. Nur wenige waren in höheren Stellungen der Unternehmensverwaltung tätig, während mehr als 50% der männlichen Täter diese Positionen innehatten. Entsprechend war der erstrebte ökonomische Gewinn für Männer höher als für Frauen (vgl. auch Beirne, Messerschmidt 1995, 74). Dies galt auch für andere Weiße-Kragen-Delikte. Daly faßt ihre Ergebnisse dahingehend zusammen, daß in der untersuchten Gruppe von Weiße-Kragen-Kriminellen einige Männer „große", die meisten aber „kleine Fische" waren, während fast alle Frauen zu den „kleinen Fischen" gehörten. Zu ähnlichen Ergebnissen führte eine Studie an verurteilten Weiße-Kragen-Kriminellen in den USA (Weisburd, Wheeler, Waring, Bode 1991, 69 ff.). Zwar war der Anteil von Frauen mit 20% überraschend hoch. Bei den von ihnen begangenen Taten handelte es sich allerdings typischerweise um solche von geringerer Komplexität und Schädlichkeit als bei denjenigen männlicher Täter. Befanden sich

629

Frauenkriminalität Frauen freilich in derselben Position wie Männer, so verursachten sie auch ebensohohe Schäden. Der Grund für die insgesamt geringere Schädlichkeit der weiblichen Weiße-Kragen-Kriminalität scheint also im schlechten Zugang der Arbeitnehmerinnen zu den Positionen zu liegen, die die Ressourcen zur Begehung schwerwiegender Delikte gewähren (Weisburd, Wheeler, Waring, Bode 1991, 84). Die Motive für die Begehung von Unterschlagungen bei Männern und Frauen scheinen unterschiedlich zu sein. Während im Hintergrund männlicher Unterschlagungstaten oft ein unteilbares finanzielles Problem steht, das der Täter etwa durch Glücksspiel oder unüberlegte Geldausgaben selbst geschaffen hat, opfern Frauen häufig mit der Unterschlagung ihre berufliche Vertrauensposition, um Verantwortlichkeiten gegenüber ihrer Familie zu erfüllen und dort Notlagen auszugleichen (vgl. Beirne, Messerschmidt 1995, 74 f. m. w. N.). Soweit sich Frauen an Raubüberfallen oder Einbrüchen beteiligen, sind sie häufig Gehilfinnen oder Partnerinnen männlicher l a t e r (Ward, Jackson, Ward 1969, 867 f.). Kriminelle Straßenbanden werden üblicherweise von Männern oder männlichen Jugendlichen beherrscht, die Frauen oder Mädchen als zu gefühlsbetont, unzuverlässig, unvernünftig und wenig vertrauenswürdig erachten, um sie bei einem bewaffneten Raubüberfall an der eigenen Seite haben zu wollen (vgl. Beirne, Messerschmidt 1995, 78 f. m. w. N.). Mädchen spielen daher in Jugendbanden eher die Rolle von Lockvögeln für die Verbrechensopfer und Sexualpartnerinnen der Bandenmitglieder. Wenn Frauen töten, so geschieht dies typischerweise ungeplant und spontan. Die Täterinnen benutzen diejenigen Instrumente, die im Haushalt gerade zur Hand sind: Messer und andere Küchen- und Haushaltsgegenstände. Die Frau ist mithin nicht die typische „Giftmörderin" (anders aber immer noch Mergen 1995, 234). Gewalttaten von Frauen ereignen sich vornehmlich innerhalb der Familie oder anderer Intimbeziehungen: Frauen verletzen und töten die Personen, die ihnen physisch und psychisch am nächsten stehen, nämlich ihre Partner und ihre Kinder (Totman 1978, 15; Rasko 1981). Hintergrund der Tötung des Mannes sind oft langdauernde häusliche Konflikte, die mit immer schwereren und unkontrollierteren körperlichen und sexuellen Mißhandlungen und Bedrohungen der Frau und teilweise auch ihrer Kinder durch den Mann verbunden sind. Die Tat erscheint hier als letzter Ausweg aus einer für die Frau immer untragbarer werdenden und zunehmend sogar als lebensbedrohlich wahrgenommenen Situation (Burgheim 1994, 234; Browne 1988, 278 ff.). Die „geschlechtsspezifischen Muster" der Gewalttätigkeit, die im Bereich der allgemeinen Gewaltkriminalität bestehen, sind bei Gewalthandlungen in der Familie wesentlich weniger ausgeprägt (vgl. die Untersuchung von Straus, Gelles, Steinmetz 1980;

U.Schneider 1990, 525ff.). Gleichzeitig erleiden weibliche Opfer von Gewalttaten weit häufiger als männliche Opfer ihre Verletzungen innerhalb der Familie (vgl. Bowker 1978, 123; 1981, 166). Frauen und Mädchen erleben demnach gewaltbegünstigende und gewaltsame zwischenmenschliche Konflikte in stärkerem Maße als Männer und Jungen vor allem in der Familie.

3.

Rückfall

Die Rückfallhäufigkeit und -gefahrdung scheint bei weiblichen Kriminellen geringer zu sein als bei männlichen. Von den weiblichen Tatverdächtigen waren im Jahre 1995 nur 21,7% bereits als Tatverdächtige in Erscheinung getreten gegenüber 37% der männlichen (PKS für 1995, 132). Unter den Strafgefangenen waren 1991 41% der Frauen und nur 27% der Männer nicht vorbestraft (Stat.BA 1993, 14). Rund 31% der Männer, aber nur rund 18% der Frauen hatten fünf oder mehr Vorstrafen.

4.

Altersbelastung

Die Altersverteilung weiblicher Kriminalität unterscheidet sich von der der männlichen. Die Alterskurve der Tatverdächtigen verläuft bei den Frauen und Mädchen wesentlich flacher als bei den Männern und Jungen (vgl. Abbildung 2). Sie erreicht einen frühen, wenig hervortretenden Höhepunkt bei den 14- bis unter 16jährigen und sinkt danach allmählich ab. Die männliche Alterskurve steigt demgegenüber steil an und hat ihren deutlichen Gipfel bei den 18- bis unter 21jährigen Heranwachsenden. Danach fällt sie rasch ab. Auffällig ist die starke Annäherung der Altersbelastung bei den älteren Menschen, die auf eine im Vergleich zu den Männern relativ hohe Belastung von Frauen mit Alterskriminalität hinweist (vgl. auch Fattah „Alterskriminalität" in diesem Band). Dabei handelt es sich vornehmlich um Diebstahlskriminalität. Rund drei Viertel aller in 1995 ermittelten weiblichen Tatverdächtigen über 60 Jahre wurden verdächtigt, einen einfachen Diebstahl begangen zu haben (PKS für 1995, 107). Die Gründe der relativ starken Altersbelastung von Frauen sind bisher nicht erforscht. Es wird die These vertreten, daß jüngere Frauen aufgrund ihrer Rolle als Hausfrauen und Mütter weniger Neigung und Möglichkeit zu außerfamiliärer Kriminalität haben (Feest 1993, 145), während mit zunehmenden Alter diese Hindernisse wegfallen. Diese „Gelegenheitshypothese" vermag nicht zu überzeugen, da sie lediglich einen Einzelfaktor im Prozeß der Kriminalitätsentstehung herausgreift. Auch bei Männern steigt im übrigen im Alter mit dem Fortfall beruflicher Verpflichtungen und einem Überhandnehmen

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Frauenkriminalität Abbildung 2

Tatverdächtigenbelastung bei Straftaten insgesamt B e r e i c h : Bundesgebiet

insgesamt

Zeitraum:

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1934 weiblich

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716

Vergleichende Kriminologie: Polen

4. Der Beginn der

Strafrechtsreform

Im Oktober 1987 begann die aufgrund der Verordnung des Premierministers einberufene Kommission zur Reform des Strafrechts ihre Arbeiten, die 1988 zur Veröffentlichung der „Grundvoraussetzungen der Reform" beitrugen. Wichtige Änderungen der sozial-politischen Verhältnisse Polens und die Einführung einer umfangreichen Amnestie im Jahr 1989 sowie das Novellierungsgesetz vom 17. Juni 1988, das die Möglichkeiten der bedingten vorzeitigen Entlassung auflockerte, schufen die Grundlagen zu allmählichen Reformen im Wesen der Strafanstalten. Das Gesetz von 1988 hat die Möglichkeit einer vorzeitigen Haftentlassung durch eine Herabsetzung von zwei Dritteln auf die Hälfte der verbüßten Strafe und bei privilegierten Personen - wie den Frauen, minderjährigen Tätern, Personen, die für Minderjährige zu sorgen haben sowie fahrlässigen Straftätern - durch eine Herabsetzung auf ein Drittel der verhängten Strafe erweitert. Auch die vom Generalstaatsanwalt herausgegebenen Weisungen für die Staatsanwaltschaften, die die vorläufigen Festnahmen einschränkten, trugen dazu bei, daß sich die Haftanstalt- und Gefangnispopulation wesentlich verringert hat. Demzufolge betrug die Zahl der Inhaftierten am 31. Dezember 1990 nur 45.633 Personen. Somit hat sich auch der Koeffizient der Inhaftierten, berechnet auf 100.000 Einwohner, verringert, der 1987 255 Personen und Ende 1990 nur ca. 120 Personen betrug. Zwar war das noch immer ein Zustand, der über dem Durchschnittswert der westeuropäischen Staaten lag, jedoch ist zu betonen, daß er bereits günstiger als in einigen anderen, auch europäischen Staaten war. Leider hat sich die Kriminalpolitik in den Jahren 1990—1992 aufgrund des Anstiegs der registrierten Straftaten, insbesondere der Gewaltdelikte, wieder verschärft. Demzufolge betrug die Haftanstalt- und Gefängnispopulation Ende 1992 61.289, womit der Koeffizient der Inhaftierten wieder auf 160 anstieg. Ob diese Verschärfung eine konstante Tendenz ist, läßt sich noch nicht sagen. Jedenfalls steht sie im Gegensatz zu den Prinzipien der rationalen Kriminalpolitik, die im Entwurf des neuen Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1991 festgelegt sind (Entwurf des Strafgesetzbuches mit Begründung 1991, S. 1 ff.).

5. Die Bedeutung der Freiheitsstrafe und alternative Mittel Im Hinblick auf die geplanten Reformen wäre nun die Rolle der Freiheitsstrafe im System der strafrechtlichen Sanktionen zu erörtern. Diese Strafe ist nämlich, wie jede Sanktion, ein finales Produkt des Systems. Somit bestimmen ihre Rolle und ihr Anwendungsbereich die Voraussetzungen der Strafkodifizierung. Die bisherige Strafrechtspolitik wird als allzu streng beurteilt. Ferner verursacht sie infolge

der großen Zahl der Inhaftierten zu große soziale und wirtschaftliche Kosten. Man sieht daher eine wesentliche Einschränkung der Freiheitsstrafen voraus. Diese Richtung entspricht den seit langem gestellten Forderungen und schließt sich an die nicht verwirklichten Reformentwürfe von 1981 an. In Anknüpfung an die Welttendenzen (Andrzej Marek 1986a, 8 7 - 8 8 ) wird die Einschränkung der Anwendung des rücksichtslosen Freiheitsentzuges, insbesondere im Hinblick auf kleine und mittlere Kriminalitätsarten, verlangt. An ihrer Stelle werden Geldstrafen und Probationsmaßnahmen gefordert, die mit einer intensiveren resozialisierenden Wirkung als bisher verbunden wären. Damit wird auch die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, die von der Erfahrung vieler Länder bestätigt wird, daß man nämlich auf diesem Wege eine Erweiterung der Effektivität der Kriminalpolitik bei bedeutender Verringerung ihrer ökonomischen und sozialen Kosten erlangen kann (vgl. Günther Kaiser 1986; Hans Joachim Schneider 1987a). Die Kritik an der Freiheitsstrafe, die nicht nur ein aufwendiges Strafmittel ist, sondern auch viele andere negative Konsequenzen, wie z. B. Familienzerrüttung, Desozialisierung, Prisonisierung, Verbreitung von negativen Gefängnissubkulturen, hervorruft, ist eine weltbekannte Erscheinung (Jerzy Sliwowski 1981; Hans H. Jescheck 1984). Das Resultat dieser Kritik - wie der Bericht zum 6. UNO-Kongreß über die Kriminalitätsvorbeugung und die Behandlung der Rechtsbrecher 1980 in Caracas dokumentiert - führte zur radikalen Einschränkung der Zumessung der Freiheitsentzugsstrafe als allerletztes Mittel, das gegen Schwerverbrecher und demoralisierte Straftäter anzuwenden sei (report to Sixth U N Congress on the Prevention of Crime and the Treatment of Offenders 87/7). In der Bundesrepublik Deutschland verringerte sich infolge der Kritik die Freiheitsstrafe unter den gesamten verhängten Strafen von 19% im Jahre 1960 bis auf 6,1% 1981. Es ist dabei zu betonen, daß die Bundesrepublik neben Japan, Österreich und Skandinavien zu den Ländern zählt, in denen die Geldstrafe, die in etwa 80—85% aller Fälle verhängt wird, absolut vorherrschend ist. In den angelsächsischen und teilweise in den romanischen Staaten des französischen Systems dagegen wird der Akzent auf verschiedene Formen strafrechtlicher Reaktionen, wie die Strafaussetzung zur Bewährung, bedingte Einstellung des Verfahrens mit Arbeitspflicht, Restitution, Schadensersatz und dergleichen gelegt (vgl. Günther Kaiser 1983, 967-974). Alle Vorzeichen deuten darauf hin, daß die jetzt in Polen begonnene Strafrechtsreform gerade diesen Weg beschreiten wird. Dafür sprechen die Traditionen des polnischen Rechts und seine Entwicklungstendenzen. Die vieljährige Durchschnittsproportion der von polnischen Gerichten verhängten Strafen gestaltet sich wie folgt: 31% Freiheitsstrafe, 40% Strafaussetzung zur Bewährung, 12% Freiheitsbeschränkungs-

Vergleichende Kriminologie: Polen strafe, 16% Geldstrafe; die übrigen 1% stellen die Zusatzstrafen dar (Tabelle 4). Nach den teilweise bereits realisierten Voraussetzungen der Reform soll sich der Anteil der Freiheitsstrafe bis auf 15% verringern. Hierbei wird der Anteil der alternativen Mittel ansteigen. Was die Strafaussetzung zur Bewährung anbelangt, verbindet die Kommission zur Strafrechtsreform ernste Hoffnungen mit der erzieherischen und resozialisierenden Einwirkung im Rahmen der beaufsichtigten Freiheit. Die Entwicklung dieses Strafmittels wird aber eine bedeutende Vergrößerung des sog. Kuratorenkaders (Bewährungshelfer) erfordern. Wenn es dagegen um die Geldstrafe geht, schlägt die Kommission, dem Vorbild der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs, Skandinaviens und Ungarns entsprechend, vor, das sog. Tagessatzsystem einzuführen, das als gerechter und weniger inflationsempfindlich als die traditionelle, nach Summen zugemessene Geldstrafe beurteilt wird (Kazimierz Buchala 1988).

6. Die

Todesstrafe

Ein sehr heftig diskutiertes Problem in Polen ist die Todesstrafe. Nach den Angaben der UNO wenden nur ein Drittel aller Mitgliedsländer, darunter alle Staaten Westeuropas, die Todesstrafe nicht an (Krzysztof Poklewski-Koziell 1988). Im polnischen Strafgesetzbuch von 1969 ist die Todesstrafe zwar für einige Delikte wie Hochverrat, Spionage, terroristisches Attentat, Totschlag, Raub mit Waffengebrauch im Strafgesetzbuch vorgesehen, jedoch wurde sie in der Praxis nur in den schwersten Fällen des Totschlags verhängt und vollstreckt. In Polen werden jährlich 300—400 Personen schuldig gesprochen, doch zum Tode verurteilte man 1975 lediglich 18 Personen, 1981 4 Personen, 1986 3 Personen, 1987 7 Personen und seit 1988 keine einzige Person. Das Schwinden der Todesstrafe ist mit den Postulaten vieler Mitglieder der Kommission zur Strafrechtsreform verbunden, diese Strafe abzuschaffen. Die Abschaffung der Todesstrafe würde die Einführung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe als eine Ausnahmestrafe für die schwersten Verbrechen erforderlich machen (zur Zeit ist die strengste Strafe Freiheitsstrafe von 25 Jahren).

7. Die Festigung der

Legalgarantien

Das polnische Strafrechtssystem wird grundlegenden demokratischen Wandlungen unterzogen. Sie beziehen sich auch auf die Strafprozeßordnung (SPO) und die Strafrechtspflege. Am 29. Mai 1989 hat das polnische Parlament ein Gesetz beschlossen, das die seit langem vorgeschlagene gerichtliche Kontrolle aller Festnahmen der Bürger durch die Polizei und andere zuständige Behörden eingeführt hat. Der

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Festgenommene erhielt das Recht, Beschwerde gegen die Festnahme beim zuständigen Kreisgericht einzulegen und den Beistand eines Rechtsanwaltes zu verlangen. Bei ungerechtfertigter Festnahme erhielt er im weiteren das Recht auf Entschädigung und Genugtuung. Es wurden ferner sehr wichtige Veränderungen in der Organisation und Funktion der Rechtspflegeorgane vorgenommen. Das Gesetz vom 20. Dezember 1989 hat mit dem Landesjustizrat eine neue Institution gebildet, die die höchste Vertretung der Richter im Lande darstellt. Seine Hauptaufgabe ist es, die Unabhängigkeit der Richter und die Selbständigkeit der Gerichte zu gewährleisten. Der Rat prüft alle Bewerbungen um ein Richteramt und legt dem Präsidenten Polens Aufträge für die Ernennung von Richtern vor. Des weiteren wurde die Selbstverwaltung des Gerichtswesens eingeführt, was sicherlich eine wichtige Garantie der Unabhängigkeit der Richter bedeutet. Schließlich ist durch das angesprochene Gesetz jede politische Aktivität der Richter in den politischen Parteien untersagt. Eine weitere, sehr wichtige Änderung brachte das Gesetz vom 22. März 1990, das die Staatsanwaltschaft ins Justizministerium eingegliedert hat. Damit ist das Leninsche Modell der Staatsanwaltschaft als formell getrenntes Staatsorgan, das aber immer unter der Leitung der politischen Führung fungierte, endgültig abgeschafft worden. Diese wichtigen Änderungen wurden durch die neuen Polizeigesetze vom 6. April 1990 vervollständigt. Anstelle der Miliz und des Sicherheitsdienstes, die einen schlechten Ruf in der Bevölkerung hatten, wurden die Polizei und das Amt für Staatsschutz ins Leben gerufen. Diese Behörden sind entpolitisiert und der Regierung untergeordnet worden. Soweit es um die Strafverfolgung geht, wurden die Polizei und die anderen Organe dem zuständigen Staatsanwalt und dem Gericht unterstellt. Diese kurz dargestellten Veränderungen haben das Wesen der Strafverfolgung und der Rechtspflege nach den Grundsätzen der demokratischen Rechtsstaatlichkeit umgebildet. Sie sollen dem polnischen Straf- und Strafprozeßrecht die volle Übereinstimmung mit dem System der Rechtsgarantien der westeuropäischen Länder sichern. Es ist ein sehr wichtiger Schritt in Richtung auf ein gemeinsames Europa, in welches das demokratische Polen nach seiner langen Tradition gehört. (Stand: Februar 1994) Am 6. Juni 1997 wurde eine neue Kodifizierung des Strafrechts der Republik Polen verabschiedet. Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1998 in Kraft. Es enthält eine Vielzahl der in Polen seit Jahren diskutierten Forderungen: die endgültige Abschaffung der Todesstrafe, Einschränkungen bei den Anwendungsmöglichkeiten der Freiheitsstrafe sowie die Einführung der Geldstrafe nach dem Tagessatzmodell.

718

Vergleichende Kriminologie: Polen

Lehrbücher, Monographien und

Sammelwerke

M. Antoniszyn, A. Marek: Prostitution im Lichte kriminologischer Untersuchung. Warschau 1985 (Polnisch). T. Bojarski (Hrsg.): Die Anwendung erzieherischer und korrigierender Maßnahmen in Sachen der Jugendlichen. Lublin 1990 (Polnisch). E. Buchholz, R. Hartmann, J. Lekschas, G. Stiller: Sozialistische Kriminologie. Ihre theoretische und methodologische Grundlegung. Berlin 1971. A. Gaberle: Sozialpathologie. Warschau 1993 (Polnisch). B. Holyst: Kriminologie. 4. Aufl., Warschau 1989 (Polnisch). B. Holyst: Selbstmord - Zufall oder Notwendigkeit. Warschau 1983 (Polnisch). B. Holyst: Rauschgiftsucht und die Kriminalität. Warschau 1993 (Polnisch). J. Jasinski (Hrsg.): Fragen der Kriminalität und Sozialpathologie. Wroclaw-Warschau 1978 (Polnisch). H. H. Jescheck (Hrsg.): Die Freiheitsstrafe und ihre Surrogate im deutschen und ausländischen Recht III. Baden Baden 1984. G. Kaiser: Kriminologie — Eine Einführung in die Grundlagen. 6. Aufl., Heidelberg 1983. L. Lernell: Grundriß der allgemeinen Kriminologie. Warschau 1978 (Polnisch). A. Marek: Kriminologie. Torun 1986a (Polnisch). A. Marek: Strafrecht - Allgemeiner Teil. 2. Aufl., Bydgoszcz 1993 (Polnisch). J. Nezkusil: Tschechoslowakische Kriminologie. Prag 1978 (Tschechisch). H. J. Schneider: Kriminologie. Berlin-New York 1987. H. J. Schneider: Jugendstrafrecht - Wirtschaftsstrafrecht - Strafvollzug. 3. Aufl., München 1992. J. Sliwowski: Die Freiheitsstrafe in der Welt der Gegenwart. Warschau 1981 (Polnisch). J. Sliwowski: Das Strafvollzugsrecht und Strafvollzugspolitik. Warschau 1978 (Polnisch). W. Swida (Hrsg.): Kriminologie. Warschau 1977 (Polnisch). T. Szymanowski: Rückkehr der Verurteilten in die Gesellschaft. Warschau 1989 (Polnisch). T. Tyszkiewicz: Kriminologie. Katowice 1986 (Polnisch).

Z e i t s c h r i f t e n - und

Sammelwerkaufsätze

A. Adamski: Interpretation der Kriminalstatistiken. Prezeglad Policyjny 2 - 3 (1992), 158-171 (Polnisch). J. Blachut: Einige kriminologische Gedanken und die Kriminalität von Frauen. Archivum Kriminologie XVI (1989), 211-244. K. Buchala: Geldstrafe - Probleme ihrer Bemessung und die Novellierung des Strafgesetzbuches. Palestra 6 (1988), 28 ff. (Polnisch). K. Buchala: Strategien der Kriminalitätsbekämpfung in Polen. In: Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann. Berlin-New York 1986, 1 0 1 111.

A. Gaberle, E. Weigend: Kriminologie und Kriminalitätsentwicklung in Polen. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 2 (1980), 8 2 - 9 7 .

H. H. Jescheck: Die Beziehungen des Freiburger Max-Planck-Instituts zur polnischen Strafrechtswissenschaft. Studia Juridica der Universität Warschau XVI (1988), 71 ff. G. Kaiser: Strafvollzug im internationalen Vergleich. In: Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann. Berlin-New York 1986, 599 ff. E. Kurleto, J. Blachut: Dunkelzahl bei Diebstahl privaten Eigentums. Kriminologische, kriminalistische und strafvollzugswissenschaftliche Studien 6 (1977), 8 5 - 1 0 9 (Polnisch). A. Marek: Die Haupttendenzen der Kriminalpolitik der U N O und die Reform des polnischen Strafrechts. Panstwo i Prawo 1 (1983), 83 ff. (Polnisch). A. Marek: Resozialisierung und wechselnde Strategien der Bestrafung - einige Anmerkungen in Bezug auf Polen. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 3 (1986b), 141-142. A. Marek: Die Behandlung delinquenter Jugendlicher im polnischen Recht - vom Strafrecht zum Jugendrecht. In: J. Wolff, Α. Marek (Hrsg): Erziehung und Strafe - Jugendstrafrecht in der Bundesrepublik Deutschland und Polen - Grundlagen und Zustandsbeschreibung, Bonn 1990. A. Marek: Organisierte Kriminalität - Grundriß der Problematik. In: A. Marek, W. Plywaczewski (Hrsg.): Kriminologische und Strafrechtliche Fragen der Organisierten Kriminalität. Szczytno 1992, 1 - 3 6 (Polnisch). A. Murzynowski: Zu den Arbeiten an der Reform der polnischen Strafprozeßordnung. Panstwo i Prawo 7 (1989), 23 ff. (Polnisch). K. Poklewski-Koziell: Zu dem Vorschlag der Abschaffung der Todesstrafe in Polen. Panstwo i Prawo 2 (1988) (Polnisch). A. Rarajczak: Bemerkungen zu dem Gesetz über besondere strafrechtliche Verantwortung. Panstwo i Prawo 8 (1987), 35ff. (Polnisch). H. J. Schneider: Behandlung in der Freiheit als Alternative der Inhaftierung. In: B. Holyst (Hrsg.): Probleme des gegenwärtigen Strafvollzuges in der Welt. Warschau 1987a, 65 ff. (Polnisch). A. Siemaszko: Dimension und Bedingungsgefüge des abweichenden Verhaltens der Schüler der Warschauer Ober- und Fachschulen. In: Kriminologische, kriminalistische und strafvollzugswissenschaftliche Studien 14 (1983), 116 (Polnisch). E. Weigend: Die Reform des polnischen Strafrechts. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 101 (1989), 421-442. B. Wojtycka: Faktoren, die Diebstahlsopfer von einer Anzeige abhalten. Kriminologische, kriminalistische und strafvollzugswissenschaftliche Studien 10 (1979), 314 (Polnisch).

Materialien Α Report to the 6th UN Congress on the Prevention of Crime and the Treatment of Offenders. Caracas 1980, A/CONF. 87/7. Entwurf des Strafgesetzbuches mit Begründung. Die Kommission zur Reform des materiellen und des militärischen Strafrechts. Warschau 1991 (Polnisch). ANDRZEJ

MAREK

Pioniere der Kriminologie

PIONIERE DER KRIMINOLOGIE (zusammengestellt von Hans Joachim Schneider) Freda Adler, geboren 1934 in Philadelphia. University of Pennsylvania M.A. 1968, Ph. D. 1971. Professorin für Kriminaljustiz ab 1979 an der Rutgers Universität/New Jersey. Präsidentin der „Amerikanischen Gesellschaft für Kriminologie" 1994/ 95. Beccaria-Medaille 1979. Hauptwerke: Sisters in Crime. New York 1975; Nations Not Obsessed With Crime. Colorado 1983; Criminology, 2. Aufl. New York 1995 (zusammen mit Gerhard O. W. Mueller und William S. Laufer). Mitherausgeberin der Jahrbuchreihe: „Advances in Criminological Theory" seit 1989. August Aichhorn, geboren 1878 in Wien, gestorben 1949 in Wien. Nach seiner Tätigkeit als Lehrer leitete er ab 1918 die Jugenderziehungsanstalt Ober-Hollabrunn und ab 1920 eine Reformschule in St. Andrä/Österreich. Er wandte psychoanalytische Theorien und Erziehungsmethoden auf jugendliche Delinquente an. Ab 1932 arbeitete er in privater Praxis. 1946 gründete er die „Wiener Psychoanalytische Gesellschaft" neu. Aus Anlaß seines 70. Geburtstags wurde er 1948 mit einer Festschrift geehrt, die K. R. Eissler unter dem Titel „Searchlights on Delinquency" (Scheinwerfer auf die Delinquenz) herausgegeben hat, an der namhafte psychoanalytisch ausgerichtete Kriminologen mitgearbeitet haben und die zu einem der erfolgreichsten kriminologischen Bücher in den USA wurde. Hauptwerk: Verwahrloste Jugend 1925 (Amerikanisch: Wayward Youth 1955). Franz Alexander, geboren 1891 in Budapest, gestorben 1964 in Palm Springs (USA). Bedeutender Psychoanalytiker. Er emigrierte 1932 in die USA und war von 1932 bis 1956 Leiter des Psychoanalytischen Instituts in Chikago. 1952—1956 Professor für Psychiatrie an der Universität von Illinois. Ab 1956 Direktor der Psychiatrischen Klinik des „Mount-Sinai-Hospitals" in Los Angeles. Er veröffentlichte grundlegende Arbeiten zur Kriminalpsychologie und entwickelte die psychoanalytische Kriminalitätstheorie weiter. Hauptwerke·. Der Verbrecher und seine Richter (zusammen mit Hugo Staub) 1929; Roots of Crime (zusammen mit William Healy) 1935. Gustav Aschaffenburg, geboren 1866 in Zweibrücken, gestorben 1944 in Baltimore. Schüler von Emil Kraepelin in Heidelberg. Er lehrte Psychiatrie seit 1904 an der Universität Köln und gründete die „Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform" im selben Jahr. Er versuchte, die sozialen und psychischen Ursachen

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der Kriminalität zu analysieren, und emigrierte 1938 in die USA. Hauptwerk·. Das Verbrechen und seine Bekämpfung 1903 (Amerikanisch: Crime and its Repression 1913), 3. Auflage 1933. Howard S. Becker, geboren 1928 in Chikago. Studierte Soziologie an der Universität Chikago. Arbeitete auch als Jazz-Musiker (Klavier). Ph. D. 1951. War am „Institute for Juvenile Research" in Chikago und am „Institute for the Study of Human Problems" der Stanford Universität tätig. Ab 1965 Professor an der Northwestern University. Herausgeber der Zeitschrift „Social Problems" 1961 bis 1964. Präsident der „Society for the Study of Social Problems". Hauptwerk·. Outsiders: Studies in the Sociology of Deviance 1963. Jeremy Bentham (1748-1832). Britischer Strafrechtsreformer. Vertreter der Klassischen Schule. Er erklärte die Entstehung des Verbrechens und die Wirksamkeit der Strafe daraus, daß Menschen nach Vergnügen streben und Leiden möglichst vermeiden wollen. Er war von der Willensfreiheit des Menschen überzeugt und übersah jede Individualität des Rechtsbrechers und jede unbewußte und gefühlsmäßige Motivation zum Verbrechen. Bentham erfand das panoptische Strafanstaltsgebäude, bei dem die Zellen strahlenförmig angeordnet waren und von einem zentralen Punkt aus überwacht werden konnten. Der panoptische Gelangnisbau erwies sich als unpraktisch und wurde aufgegeben. Hauptwerk: The Rationale of Punishment 1830. Gotthold Bohne, geboren 1890 in Burgstädt bei Chemnitz, gestorben 1958 in Bensberg bei Köln. Ab 1923 Professor an der Universität Köln. Er versuchte, psychoanalytisches und individualpsychologisches Denken für die Kriminologie fruchtbar zu machen. Hauptarbeitsgebiete: Strafvollzugsgeschichte, Richterpsychologie, Kriminalistik, Erforschung der Sexualdelikte. Cesare Bonesana, Graf von Beccaria, geboren 1738 in Mailand, gestorben 1794 in Mailand (noch nicht 57jährig). Er wurde in der Jesuitenschule in Parma erzogen und studierte Rechtswissenschaft an der Universität Pavia. Dort machte er 1758 seinen Doktor. 1766 unternahm er eine Reise nach Paris. Er lehrte als Professor für Volkswirtschaft an der Hochschule in Mailand und war in seinem Denken von der Aufklärung und insbesondere von den französischen Philosophen Voltaire und Montesquieu beeinflußt. Mit seinem Buch „Dei delitti e delle pene" (über Verbrechen und Strafen) legte er 1764 die Grundlage für die Kriminologie als Wissenschaft. Er setzte sich für die Verwirklichung der Menschenrechte der Rechtsbrecher ein, kämpfte gegen Folter und To-

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desstrafe und forderte eine rationale, auf die Verbrechensvorbeugung abzielende Strafgesetzgebung. Ihm verdankt die Kriminologie ihre Ausrichtung auf Vernunft, Humanität und Rechtsstaatlichkeit. Willem Adriaan Bonger, geboren 1876 in Amsterdam, gestorben 1940 in Amsterdam. Ab 1922 Professor an der dortigen Universität. Er sah die Ursachen des Verbrechens in den wirtschaftlichen Verhältnissen und kritisierte als Marxist den Kapitalismus scharf, dem er einen unbegrenzten Egoismus vorwarf. Er vertrat die Milieutheorie der Kriminalitätsentstehung und beschäftigte sich nur mit der Kriminalität als Massenphänomen, nicht mit dem Verbrechen als Individualerscheinung. Er beging Selbstmord, als die deutschen Truppen die holländische Grenze überschritten. Hauptwerke: Criminality and Economic Conditions 1916; Introduction to Criminology 1936; Race and Crime 1943. Ernest Watson Burgess wurde 1886 in Tilbury, Ontario, Kanada geboren; er starb 1966 in Chikago. Seine soziologische Ausbildung erhielt er am „Department of Sociology" der Universität Chikago. Dort erlangte er auch den Grad des Ph. D. im Jahre 1913. Er lehrte an der „University of Kansas" und an der „Ohio State University" (1913-1916), kehrte aber 1916 an die „University of Chicago" zurück, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1952 blieb. Er war 1927 Professor geworden und leitete die soziologische Abteilung der Universität von 1946 bis 1951. Mit Robert E. Park zusammen gab er die berühmte Essaysammlung „The City" heraus. Ihn interessierte das Wachstum der Großstadt, und er entwarf die Theorie der konzentrischen (auf einen gemeinsamen Mittelpunkt angeordneten) Kreise. Er regte die kriminalökologischen Forschungen von Clifford R. Shaw und Henry D. McKay an. Er trug zu den biographischen Studien dieser beiden Kriminologen erheblich bei. Er forschte schließlich auf dem Gebiet der individuellen Kriminalprognose. Ruth Shonle Cavan (1896-1993). M.A. 1923, Ph. D. 1926 in Soziologie, Universität Chikago. Von 1947 bis 1962 Professor am Rockford College, von 1967 bis 1977 an der „Northern Illinois University". Fellow der „Amerikanischen Gesellschaft für Kriminologie" 1965. Hauptwerke: Criminology. 2. Aufl. 1960; Juvenile Delinquency 1962. Karl Otto Christiansen, geboren 1908 in Silkeborg (Dänemark), gestorben 1976 in Minneapolis (USA). Professor an der Universität Kopenhagen. Er wurde von Emile Dürkheim und Franz Exner wesentlich beeinflußt und versuchte, soziologische, biologische, psychologische und psy-

chiatrische Perspektiven in der Kriminologie zu vereinigen. Er arbeitete insbesondere auf dem Gebiet der Zwillingsforschung. Hauptwerk: Kriminologie (Dänisch), 2 Bände 1968, 1971 (zusammen mit Stephan Hurwitz). Albert K. Cohen, geboren 1918 in Boston. Studium an der Harvard Universität. Magister 1942 an der Universität von Indiana in Bloomington. Schüler von Edwin H. Sutherland. Armeedienst von 1942 bis 1946 (2. Weltkrieg). Doktor an der Harvard Universität 1951. Professor und Gastprofessor an verschiedenen Universitäten. Zuletzt Professor an der Universität von Connecticut in Storrs. Herausgeber der „American Sociological Review" 1967 und Präsident der „Society for the Study of Social Problems" 1970/71. Hauptwerk: Delinquent Boys: The Culture of the Gang 1955. Bruno Cormier, geboren 1920, gestorben 1991. Studierte Medizin an der Universität Montreal. Spezialisierte sich in Psychiatrie an der Universität in London und an der McGill Universität in Montreal. Gründete die McGill Forensische Klinik und leitete das Diagnostische und Behandlungs-Zentrum der Dannemora Strafanstalt im Staate New York. War 30 Jahre lang Professor an der McGill Universität Montreal. Hauptwerk: The Watcher and the Watched 1975. Pedro Dorado Montero, spanischer Kriminologe, geboren 1861, gestorben 1919. War skeptisch gegenüber den kausal-explikativen Ausrichtungen in der Kriminologie. Anhänger der Kriminalisierungstheorien. Vertrat die Auffassung, sozialabweichendes Verhalten sei eine soziale Realität, die durch Definition und Reaktion festgelegt wird. Hauptwerke: Grundlagen für ein neues Strafrecht (Spanisch) 1902; Kriminologie und Pönologie (Spanisch) 1906. August Drähms, geboren 1849 in Pommern, gestorben 1927 in Kalifornien. Er wanderte mit seinen Eltern in die USA aus, als er 6 Jahre alt war. Er wuchs in Illinois auf und kämpfte im Bürgerkrieg auf der Seite der Nordstaaten. Er war von 1891 bis 1909 Gefängnispfarrer der San Quentin Strafanstalt in Kalifornien. Hauptwerk: The Criminal, his Personnel and Environment. New York 1900. Israel Drapkin, geboren 1906 in Rosaria/Argentinien, gestorben 1990 in Jerusalem. Doktor der Medizin 1929 an der Universität von Chile. Professor an derselben Universität von 1950 bis 1959, an der Hebräischen Universität Jerusalem 1959—1974. Kriminologe am „Institut der Vereinten Nationen für Asien und den Fernen Osten für Verbrechensverhütung und Behandlung des Rechtsbrechers" in Fuchu bei Tokio von 1965 bis

Pioniere der Kriminologie 1968. Vorstandsmitglied der „Internationalen Gesellschaft für Kriminologie" von 1950 bis 1971, Vizepräsident dieser Gesellschaft von 1966 bis 1971. Organisator und Präsident des „1. Internationalen Symposiums für Viktimologie" in Jerusalem 1973. Hauptwerke: Handbuch der Kriminologie (Spanisch) 1949, Selbstmorde in Israel (Hebräisch) 1974. Richard L. Dugdale, geboren 1841, gestorben 1883. Er war Mitglied des Vorstandes der „New York Prison Association" und gehörte einem Komitee an, das die Gefängnisse im Staate New York inspizierte. Aus dieser Erfahrung heraus schrieb er das Buch über die „Juke" Familie. Hauptwerk: The Jukes, a Study in Crime, Pauperism and Heredity. New York 1877. Emile Dürkheim, geboren 1858 in Epinal, in den Vogesen, gestorben 1917 in Paris. Seit 1902 Professor an der dortigen Universität. Begründer der Kriminalsoziologie. Er entwickelte die Anomietheorie, für die soziale Abweichung als normales, notwendiges Verhalten Teil der Gesellschaft ist und die Verbrechen aus Normlosigkeit, aus sozialer und persönlicher Desorganisation erklärt. Strafe beeinflußt in seinem Verständnis das Kollektivbewußtsein und sichert die soziale Solidarität. Er setzte sich für die Versöhnung zwischen Täter und Opfer und für Opferwiedergutmachung ein. Hauptwerk: Le Suicide - Etude de Sociologie 1897. Karl von Eckartshausen, geboren 1752 in Heimhausen bei München, gestorben 1803 in München. Studierte Rechtswissenschaft in Ingolstadt. War als Hofrat in der Justiz in München tätig. Stellte als einer der ersten empirische Befunde der Kriminalpsychologie dar. Wandte sich gegen eine Dämonisierung des Verbrechers. Vertrat die Auffassung, unterschiedliche Verbrechen besäßen die verschiedensten Ursachen. Unterschied äußere und innere Verbrechensursachen. Zu den äußeren Ursachen zählte er schlechte Erziehung, Umgang mit lasterhaften Menschen, das Lesen böser Schriften. Besondere Bedeutung für die Verbrechensentstehung maß er dem Temperament zu. Äußerte die Meinung, Kriminalität könne durch gute Gesetze und durch die Religion verhütet werden. Hauptwerke'. Rede von den Quellen der Verbrechen 1783; Über die Notwendigkeit physiologischer Kenntnisse bei der Beurteilung der Verbrechen 1791. Herausgeber: Handbuch für Kriminalrichter 1792. Henri Ellenberger (1905-1993). Geboren in Südafrika, schweizerischer Abstammung. Gestorben in Kanada. Studium in Strasbourg. Medizinischer Doktor 1934 an der Universität Paris. Menninger Schule für Psychiatrie in Topeka/Kansas 1953—

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1959. McGill Universität Montreal 1959-1962. Professor für Kriminologie an der Universität Montreal 1962-1977. Beccaria-Medaille 1970; Hermann Mannheim Preis des „Centre International de Criminologie Comparee" in Montreal 1982. Wichtigste kriminologische Veröffentlichungen'. Psychologische Beziehungen zwischen Verbrecher und Opfer. In: Zeitschrift für Psychotherapie und medizinische Psychologie. 4 (1954), 261—280; Criminologie du Passe et du Present, Montreal 1969; Mutilations Corporelies Infligees Aux Femmes: Etude Victimologique. In: Criminologie: Regards sur la Victime. 1980, 80—93; Les Origines Biologiques de la Victimologie. In: Revue Internationale de Criminologie et de Police Technique. 1985, 371-373. Friedrich Engels wurde 1820 als Sohn eines Fabrikanten in Barmen/Wuppertal geboren; er starb 1895 in London. Er besuchte die Barmer Realschule und das Städtische Gymnasium, das er ein Jahr vor dem Abitur verließ, um eine kaufmännische Lehre im Betrieb seines Vaters zu machen. Engels arbeitete zwanzig Jahre im Zweigbetrieb seines Vaters in Manchester. Er war seit 1844 eng mit Karl Marx befreundet, mit dem er zusammen 1848 das „Manifest der Kommunistischen Partei" veröffentlichte. Engels schrieb für die von Marx herausgegebene „Rheinische Zeitung" (Köln). Nach Übernahme des elterlichen Betriebs zahlte er Marx eine Jahresrente. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in London. Hauptwerk: Die Lage der arbeitenden Klasse in England 1845. Franz Exner, 1881 in Wien geboren, 1947 in München gestorben. Professor an den Universitäten Tübingen, Leipzig und München. Er unternahm eine kriminologische Forschungsreise in die Vereinigten Staaten, über die er 1935 berichtete. Herausgeber der Schriftenreihe „Kriminalistische Abhandlungen". Er legte statistische Untersuchungen zur Kriminalitätsprognoseforschung und zur Wirkung der Todesstrafe vor. Er unternahm es, die Kriminologie an Hand der Grundbegriffe „Anlage, Umwelt und Persönlichkeit" zu entwikkeln. Hauptwerke'. Krieg und Kriminalität in Österreich 1927; Kriminalbiologie 1939; Kriminologie 1949. Ezzat A. Fattah, geboren 1929 in Ägypten. Jurastudium an der Universität Kairo. Drei Jahre Studienaufenthalt an der Universität Wien. Promotion an der Universität Montreal bei Henri Ellenberger. Professor an der Universität Montreal (1968-1974) und seit 1974 an der Simon Fräser Universität in Vancouver. Gastprofessor an zahlreichen Universitäten, insbesondere in Leuven/ Belgien, Münster, Abidjan/Elfenbeinküste, Helsinki, Keio-Universität Tokyo, Universität für öf-

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fentliche Sicherheit in Peking. Ehrendoktor der Universität Liege/Belgien. Engagierter Gegner der Todesstrafe, Pionier der Viktimologie. Hauptwerke: Understanding Criminal Victimization (1991); Criminology: Past, Present and Future A Critical Overview (1997). Enrico Ferri, geboren 1856 in San Benedetto Po, in der Provinz Mantua, gestorben 1929 in Rom. Seit 1880 Strafrechtsprofessor an der Universität Bologna, ab 1906 an der Universität Rom. Ab 1886 Parlamentsabgeordneter in Rom. Er wurde elfmal wiedergewählt. Er war Marxist und setzte sich für die Anwendung empirischer Methoden in der kriminologischen Forschung ein. Er empfahl in der Kriminalpolitik die Resozialisierung des Rechtsbrechers und vertrat in der Kriminalätiologie den Mehrfaktorenansatz, der die Entstehung des Verbrechens auf zahlreiche, verschiedene Gründe zurückführt. Er war einer der Führer der „Positiven Schule", der die soziale Verursachung der Kriminalität stark betonte. Hauptwerk: Kriminalsoziologie (Italienisch), 2 Bände, 1929/1930. Paul Johann Anselm von Feuerbach, geboren 1775 in Hainichen bei Jena, gestorben 1833 in Frankfurt/ Main. Verlebte seine Jugendjahre und erhielt seine Schulausbildung in Frankfurt/Main, wo sein Vater Rechtsanwalt war. Studierte und promovierte in Jena in Philosophie und Jurisprudenz. Arbeitete als Juraprofessor von 1801 bis 1805 an den Universitäten Jena, Kiel und Landshut/Bayern. Von 1805 bis 1814 arbeitete er im Justiz- und Polizeiministerium in München. Dort entwarf er das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813. Von 1814 bis zu seinem Tode war er zunächst Zweiter Präsident des Appellationsgerichts in Bamberg bis 1817 und danach Erster Präsident des Appellationsgerichts in Ansbach. Hauptwerk: Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen. Zwei Bände 1828/1829. Sigmund Freud wurde im Jahre 1856 als Sohn eines Wollhändlers in Freiberg, im damaligen österreichischen Kronland Mähren, geboren; er starb 1939 im Exil in London. Als er vier Jahre alt war, zog die Familie nach Wien. Freud wollte ursprünglich Jura studieren, sattelte aber im letzten Moment auf Medizin um. Im Jahre 1885 studierte er bei Charcot in Paris. Dessen Untersuchungen über die Hysterie hinterließen einen nachhaltigen Eindruck auf ihn. Der 30jährige Freud ließ sich in Wien als Nervenarzt nieder. Den Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Laufbahn erlebte er um die Jahrhundertwende. Im Jahre 1900 erschien seine „Traumdeutung", im Jahre 1904 kam sein Buch „Zur Psychopathologie des Alltagslebens" heraus, und im Jahre 1905 veröffentlichte er seine „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie". Seine Entdeckung des „Ödipuskomplexes", der inze-

stuösen Gefühlsbindung an den gegengeschlechtlichen und der Todes- und Mordwünsche gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, bildet den Kern- und auch hauptsächlichen Kritikpunkt seiner Lehre. Sein entschiedener Gegner war der Psychiater und Kriminologe Gustav Aschaffenburg, der 1906 auf einem Kongreß sagte, daß „Freuds Methode in den meisten Fällen falsch, in vielen Fällen nicht einwandfrei und in allen überflüssig sei". Freud wurde viel angefeindet; er erlebte auch eine Fülle von Streit innerhalb des Kreises seiner Freunde und Schüler, die sich regelmäßig von ihm trennten. Im Jahre 1923 wurde er erstmalig wegen Kiefer- und Gaumenkrebs operiert. Im Laufe von 16 Jahren mußte er sich noch 32 Operationen unterziehen. Er arbeitete gleichwohl wissenschaftlich produktiv weiter. Im Jahre 1926 war er mit Albert Einstein in Berlin zusammengetroffen, mit dem er 1932 zusammen einen Aufsatz „Warum Krieg?" veröffentlichte. Zu seinem 80. Geburtstag im Jahre 1936 hielt Thomas Mann die Festrede. Im Juni 1938 verließ Freud Wien. Er reiste ins Exil nach London, wo er 1939 starb. Er hat nur in einer kurzen Bemerkung über den „Verbrecher aus Schuldbewußtsein" (1915) zu seiner kriminologischen Lehre unmittelbar etwas geschrieben. Die von ihm entwickelte Psychoanalyse beeinflußte die Kriminologie freilich nachhaltig· Berthold Freudenthal, geboren 1872 in Breslau, gestorben 1929 in Frankfurt/Main. Er war ab 1905 Professor an der Universität Frankfurt/Main und setzte sich in seiner berühmten Rektoratsrede über die „staatsrechtliche Stellung des Strafgefangenen" 1909 für die Verfassungs- und Menschenrechte der Strafgefangenen ein. Nach einer kriminologischen Studienreise in die USA wurden auf seine Initiative die ersten Jugendgerichte 1908 in Frankfurt/Main, Köln und Berlin und die erste Jugendstrafanstalt 1912 in Wittlich an der Mosel nach nordamerikanischem Vorbild errichtet. Wichtige Veröffentlichung·. Amerikanische Kriminalpolitik, Berlin 1907. Raflaele Garofalo, geboren 1852 in Neapel, gestorben 1934 in Neapel. Staatsanwalt, Richter und Professor. Er veröffentlichte 1885 das erste Buch unter der Bezeichnung „Kriminologie", das in englischer und französischer Übersetzung weite Verbreitung erfuhr. Er ging von einem „natürlichen Verbrechen" aus, das er unabhängig von den Bedingungen und Erfordernissen einer bestimmten Epoche und den besonderen Auffassungen eines konkreten Gesetzgebers definieren zu können glaubte. Er verstand darunter ein Verhalten, das grundlegende moralische Empfindungen des Mitleids und der Redlichkeit verletzt. Der „wirkliche" Kriminelle, der das „natürliche" Verbrechen begeht, ist - nach Garofalo - ein bestimmter anthropologischer Typ, der unter einer psychischen

Pioniere der Kriminologie und moralischen Anomalie, nämlich einem Mangel an uneigennützigem Empfindungsvermögen leidet, der nicht nur Produkt der Umwelt ist, sondern der organische Erbanlagen besitzt. Garofalo setzte sich für einen Ausschluß des „wirklichen" Kriminellen aus der Gesellschaft, für die Freiheitsstrafe von unbestimmter Dauer und für die Schadenswiedergutmachung an das Verbrechensopfer ein. Hauptwerk'. Kriminologie (Italienisch). 1885. Edward George Glover, geboren 1888 in Lesmahagow (Schottland), gestorben 1972 in London. Er studierte Medizin an der Universität Glasgow von 1907 bis 1909, erhielt eine psychoanalytische Ausbildung bei Karl Abraham in Berlin 1920 und vertrat psychoanalytische Auffassungen in der angloamerikanischen Kriminologie. Mitbegründer der „British Society of Criminology" und des „British Journal of Criminology". Hauptwerk'. Roots of Crime 1960. Eleanor Touroff Glueck, geboren 1898 in New York City, gestorben 1972 in Cambridge/Massachusetts/USA: Sie erwarb 1925 den Doktorgrad der „Harvard Graduate School of Education". Sie führte mit ihrem Ehemann Sheldon Glueck zusammen großangelegte empirische Untersuchungen an Kriminellen mit dem Mehrfaktorenansatz durch und entwickelte zahlreiche Kriminalitätsprognosetafeln. Hauptwerk·. Unraveling Juvenile Delinquency 1950 (zusammen mit Sheldon Glueck). Sheldon Glueck, geboren 1896 in Warschau, gestorben 1980 in Cambridge/Massachusetts/USA. Inhaber des Roscoe Pound Lehrstuhls für Kriminologie und Strafrecht an der „Law School" der „Harvard" Universität. Seit 1922 verheiratet mit Eleanor Touroff. Er leitete mit seiner Frau zusammen ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern, die empirische Untersuchungen großen Stils an Kriminellen mit dem Mehrfaktorenansatz durchführten. Er entwickelte zahlreiche Kriminalprognosetafeln und war Berater des Chefanklägers der USA beim Kriegsverbrecherprozeß in Nürnberg. Er kam mit 6 Jahren in die USA, studierte an der „National University Law School" in Washington, promovierte an der „Harvard University" 1924 und veröffentlichte zusammen mit seiner Frau über 300 Aufsätze und 26 Bücher. Hauptwerk'. Unraveling Juvenile Delinquency 1950 (zusammen mit Eleanor Touroff Glueck). Henry H. Goddard, geboren 1866 in Vassalboro/ Maine, gestorben 1957 (im Alter von 90 Jahren). Er studierte Psychologie an der Clark Universität und erwarb den Doktorgrad in Psychologie 1899. Leiter der psychologischen Forschungsabteilung der „Vineland Training School" (Jugendstrafan-

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stalt). Später Professor für klinische Psychologie an der „Ohio State University". Er schrieb drei Bücher über Kriminalität und Schwachsinn: The Kallikak Family 1912, Feeble-Mindedness 1914 and the Criminal Imbecile 1915. Seine These war: Jeder Schwachsinnige ist ein potentieller Krimineller, da er lebensuntüchtig ist und das Unrecht nicht erkennen kann. Diese These wurde durch die spätere Forschung widerlegt. Hans Göppinger, geboren 1919 in Stuttgart, gestorben 1996 in Tübingen. 1941 im 2. Weltkrieg schwer verwundet. Studien der Rechtswissenschaft und der Medizin an den Universitäten Tübingen, Freiburg i.Br., Göttingen und Heidelberg. Durch Kurt Schneider stark beeinflußt. Juristisches Staatsexamen Stuttgart 1945. Promotion zum Dr. jur. 1946 in Tübingen. Medizinisches Staatsexamen 1948 in Heidelberg. Promotion zum Dr. med. 1948 in Heidelberg. Habilitation in Psychiatrie und Neurologie 1960 in Bonn. Ab 1962 Professor für Kriminologie an der Universität Tübingen. Ehrendoktor der Universität Gent/ Belgien 1986. Mannheim-Preis des „Centre International de Criminologie Comparee" der Universität Montreal. Bundesverdienstkreuz. Er entwikkelte anhand seiner „Tübinger Jungtäter-Vergleichs-Untersuchung" sein Konzept des „Täters in seinen sozialen Bezügen". Hauptwerk: Kriminologie, 4. Aufl. 1980. Erving Goffman, geboren 1922 in Manville/Alberta (Kanada), gestorben 1982. Studium der Anthropologie und Soziologie an den Universitäten Toronto und Chikago. Ph. D. 1953 in Chikago. Von 1954 bis 1957 empirische Forschung an den psychiatrischen Krankenhäusern Bethesda/Maryland und St. Elizabeth in Washington D.C. Professor für Anthropologie und Soziologie an den Universitäten von Kalifornien (Berkeley) und Pennsylvanien. Hauptwerk: Asylums 1961. Hans Groß, 1847 in Graz geboren, 1915 dort gestorben. Er arbeitete als Untersuchungsrichter und Staatsanwalt und gründete das „Archiv für Kriminologie" 1898. Ab 1905 Professor an der Universität Graz. Er entwickelte die Kriminalistik, die sich mit der naturwissenschaftlichen und technischen Aufklärung des Verbrechens befaßt, und die Kriminalpsychologie, die er als Zusammenstellung aller Lehren der Psychologie verstand, die der Kriminalist bei seiner Arbeit benötigt. Hauptwerke: Handbuch für Untersuchungsrichter 1893; Kriminalpsychologie 1905 (Amerikanisch: Criminal Psychology 1911). Max Grünhut, geboren 1893 in Magdeburg, gestorben 1964 in Oxford. Schüler von Moritz Liepmann. Ab 1923 Professor an der Universität Jena, ab 1928 an der Universität Bonn. Er emigrierte

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1939 nach England und war dort „Lecturer" und „Reader" für Kriminologie an der Universität Oxford. Hauptwerk: Penal Reform 1948. William Healy, Psychiater, geboren 1869 in Buckinghamshire, gestorben 1939 in Boston. Forschungen mit seiner Frau Augusta F. Bronner. 1909 Direktor des „Juvenile Psychopathic Institute" in Chikago. Ab 1917 Leiter des „Judge Baker Guidance Center" (Judge Baker Foundation) in Boston. Hauptwerk: The Individual Delinquent 1915. Joachim Hellmer, geboren 1925 in Cranz/Ostpreußen, gestorben 1990 in Bad Harzburg. Studierte Rechtswissenschaft in Greifswald und Berlin. Promovierte 1952 in Köln; habilitierte sich 1961 an der Universität Kiel. War Direktor des Kriminologischen Seminars an der Universität Kiel von 1971 bis 1984. Leistete Richtungsweisendes in der Kriminalgeographie. Engagierter Vertreter einer „geisteswissenschaftlichen Kriminologie". Trat kriminalpolitisch für Wiedergutmachung ein. Hauptwerke·. Der Gewohnheitsverbrecher und die Sicherungsverwahrung 1934-1945. 1961; Jugendkriminalität 4. Aufl. 1978. Hans von Hentig, geboren 1887 in Berlin, gestorben 1974 in Bad Tölz. Er nahm am 1. Weltkrieg als Offizier teil. Privatgelehrter von 1919 bis 1929. Ab 1930 Professor an der Universität Kiel und ab 1933 an der Universität Bonn. Adolf Hitler bemühte sich persönlich darum, ihn für seine Partei zu gewinnen. Da er jedoch ein erbitterter Gegner der Nationalsozialisten war, mußte er 1935 den deutschen Staatsdienst verlassen und in die USA emigrieren. Dort lehrte er an der Universität Yale, an den Universitäten von Kalifornien, Iowa, Colorado und Kansas City. Er war Forschungsassistent des Generalbundesanwaltes in Washington D.C. und Direktor der „Colorado Crime Survey". Bei einem Tischgespräch in Hitlers Führerhauptquartier während des 2. Weltkriegs bedauerte man seinen Weggang. Er kehrte 1951 nach Deutschland zurück, lehrte erneut an der Universität Bonn und lebte nach seiner Emeritierung als „freier Schriftsteller" in Bad Tölz. Er hat die Entwicklung der Kriminologie umfassend gefördert und insbesondere über das Verbrechensopfer wissenschaftlich gearbeitet. Hauptwerke·. Die Strafe 1932 (Amerikanisch: Punishment 1937); Crime, Causes and Conditions 1947; The Criminal and his Victim 1948; Zur Psychologie der Einzeldelikte, 4 Bände, 1954-1958; Der Desperado 1956; Der Gangster 1959; Das Verbrechen, 3 Bände, 1961-1963. Albert G. Hess, geboren 1909 in Pirna an der Elbe, gestorben 1993 in Winter Park/Florida. Abitur 1928 in Dresden. Jurastudium an den Universitäten in Hamburg, London, Bonn und Berlin. Dis-

sertation über „Die Kinderschändung" (1934) als Schüler von Franz Exner (Leipzig). Flucht aus Deutschland über Brüssel/Belgien nach USA in den Jahren 1937 bis 1940. Im 2. Weltkrieg in der US-Army. Nach dem Krieg (1945): Professor an der Universität von Minnesota in Duluth (fünf Jahre lang). Dann für die Vereinten Nationen tätig. Ab 1970 Professor an der Staatsuniversität New York in Brockport. Gastprofessor an den Universitäten in Sri Lanka, Tokyo, Manila, Hong Kong, Singapur, Tahiti, Wien, in Australien und Neuseeland. Verleihung der Beccaria-Medaille 1986. Hauptwerk·. Chasing the Dragon: Drug Addiction in Hong Kong 1965. Franz von Holtzendorff, geboren 1829 in der Uckermarck, gestorben 1889 in München. Richter am Kammergericht, Professor an der Universität Berlin seit 1861 und an der Universität München seit 1872. Er entwickelte eine Vorliebe für die durch Geschichte und Erfahrung erprobten Einrichtungen Englands und Irlands. Er war mit Kaiser Friedrich III. und seiner Gattin Viktoria, einer früheren englischen Prinzessin, befreundet. Gegenspieler von Reichskanzler Otto von Bismarck. Er setzte sich z. B. im Gegensatz zu Bismarck für die Abschaffung der Todesstrafe ein. Nach einer Irlandreise 1861 machte er das irische Strafvollzugssystem, einen Stufenstrafvollzug, in Deutschland bekannt. Er befürwortete die „Kürzungsfähigkeit der Freiheitsstrafen und die bedingte Freilassung der Sträflinge". Hauptwerke·. Die Deportation als Strafmittel in alter und neuer Zeit und die Verbrecherkolonien der Engländer und Franzosen 1856; Psychologie des Mordes 1875. Brunen Holyst, geboren 1930 in Rogöw bei Lodz in Polen. Jurastudium an der Universität Lodz 1948 bis 1952. Dr.jur. 1962, Habilitation 1969. Seit 1978 ordentlicher Professor für Kriminologie, Kriminalistik, Viktimologie und Rechtspsychologie an der Universität Lodz. 1974 bis 1990 Direktor des Forschungsinstituts für Kriminalitätsprobleme in Warschau. Drei mehrmonatige Lehrund Forschungsaufenthalte an der Universität Münster. Herausgeber des Jahrbuchs: EuroCriminology (bis 1997: 11 Bände). Führender polnischer Kriminologe. Hauptwerke·. Kriminalistik, 8. Aufl., Warschau 1996; Kriminologie, 5. Aufl., Warschau 1994; Viktimologie, Warschau 1997. John Howard, geboren 1726 in Lower Clapton, Hackney, in der Nähe Londons, gestorben 1790 an Typhus in Cherson, in der Ukraine, in der Nähe der Halbinsel Krim. Er besuchte auf fünf beschwerlichen und kostspieligen Reisen, die er aus eigenen Mitteln finanzierte und die ihn letztendlich sein Leben kosteten, mehr als 300 euro-

Pioniere der Kriminologie päische Gefängnisse. 1777 veröffentlichte er seinen Reisebericht „The State of Prisons" (Der Zustand der Strafanstalten), der sorgfaltig zusammengetragene Fakten und Verbesserungsvorschläge zur Strafvollzugsreform enthielt, die er der Öffentlichkeit in einer nüchternen Sprache vortrug. Das Buch atmet den Geist des Humanismus und der Aufklärung. Es hinterließ einen bleibenden Eindruck auf die europäische und nordamerikanische Öffentlichkeit. Luis Jimenez de Asua, spanischer Kriminologe, geboren 1889, gestorben 1970. Bemühte sich darum, die Lehren der Psychoanalyse, insbesondere der Individualpsychologie, für die Kriminologie nutzbar zu machen. Die Resozialisierung des Delinquenten mittels erzieherischer Maßnahmen sollte die Strafe ersetzen. Strafanstalten sollten verschwinden und durch Besserungsanstalten und pädagogische Einrichtungen ersetzt werden. Hauptwerk: Kriminalpsychoanalyse (Spanisch). Buenos Aires 1946, 6. Auflage 1982. Nikolaus Heinrich Julius, geboren 1783 in Altona, gestorben 1862 in Hamburg. Er studierte an den Universitäten Heidelberg und Würzburg 1805 bis 1809 Medizin. Studienreisen in Strafanstalten nach England, Irland und Schottland 1825 und in Gefangnisse der Vereinigten Staaten 1834 bis 1836. Er gab 1828 bis 1833 zehn Bände „Jahrbücher der Straf- und Besserungsanstalten" und 1842 bis 1848 elf Bände „Jahrbücher der Gefängniskunde und Besserungsanstalten" heraus. Er übersetzte Gustave de Beaumonts und Alexis de Tocquevilles Buch „Amerikas Besserungssystem und dessen Anwendung auf Europa" aus dem Französischen und veröffentlichte dieses Buch 1833. Friedrich Wilhelm IV. berief ihn 1840 als Gefangnisexperten nach Berlin, wo er bis 1849 im preußischen Staatsdienst tätig war. Hauptwerk: Nordamerikas sittliche Zustände 1839. Günther Kaiser, geboren 1928. Jurastudium in Tübingen und Göttingen. 1962 Promotion in Tübingen, 1969 Habilitation. Seit 1973 Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i.Br. Honorarprofessor an den Universitäten Freiburg i.Br. und Zürich. Ehrendoktor der Universitäten Miskolc/ Ungarn, Breslau/Polen und San Sebastian/Spanien. Tätigkeit in der Antifolter-Kommission des Europarats. Hauptwerke: Kriminologie - Einführung (9. Aufl. 1993; in zahlreiche Sprachen übersetzt); Kriminologie 3. Aufl. Heidelberg 1996. Hilde Kaufmann, geboren 1920 in Werne, gestorben 1981 in Köln. Ab 1966 Professorin an der Universität Kiel, ab 1970 an der Universität Köln. Engagierte Vertreterin einer juristischen Kriminologie". Sie wollte das Strafrecht und seine Sanktio-

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nen von den kriminologischen Grundlagen her kritisch überprüfen. Hauptwerk: 1977.

Kriminologie I 1971; Kriminologie III

Edwin M . Lemert (1912-1996). B.A. in Soziologie 1934 Miami Universität in Oxford/Ohio. PhD. 1939 Ohio Staats-Universität. Professor an der Universität von Kalifornien in Los Angeles in 1943. Ab 1953 vierzig Jahre lang Professor an der Universität von Kalifornien in Davis. Entwickelte in seinem Werk „Social Pathology" (1951) die Labelling Theorie, die er gesellschaftliche Reaktionstheorie nannte. Präsident der „Society for the Study of Social Problems" 1972. Hauptwerk·. Human Deviance, Social Problems, and Social Control 1967. Moritz Liepmann, geboren 1868 in Danzig, gestorben 1928 in Hamburg. Ab 1919 Professor an der Universität Hamburg. Er setzte sich in seinem Gutachten über die Todesstrafe für den „Deutschen Juristentag" 1912 für deren Abschaffung ein, unternahm 1926 eine kriminologische Forschungsreise in die USA, über die er 1927 berichtete, und sprach sich in seinem Gutachten über die „Kommunistenprozesse" 1928 gegen die Kriminalisierung bloßer politischer Meinungsäußerung aus. Hauptwerk·. Krieg und Kriminalität in Deutschland 1930. Franz von Liszt, 1851 in Wien geboren, 1919 in Seeheim an der Bergstraße gestorben. Vetter des berühmten Pianisten und Komponisten. Er setzte sich in seiner Marburger Programmschrift „Der Zweckgedanke im Strafrecht" 1882 für die kriminalpolitischen Ziele der italienischen Positivisten (Cesare Lombroso, Enrico Ferri, Raffaele Garofalo) ein, die die Resozialisierung des Täters in den Mittelpunkt ihres Denkens stellten. Er löste den sogenannten „Schulenstreit" mit der klassischen Strafrechtsschule aus, deren Wortführer Karl Binding (Leipzig) und Karl Birkmeyer (München) am Schuldprinzip und an der Tatvergeltung festhalten wollten. Er gründete 1881 die „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft". Mitbegründer der „Internationalen Kriminalistischen Vereinigung" 1889 (mit van Hamel und Prins), einer Vorläuferin der „Internationalen Gesellschaft für Kriminologie". Ab 1899 Professor an der Universität Berlin. Cesare Lombroso, geboren 1835 in Verona, gestorben 1909 in Turin. Seit 1896 Professor für Psychiatrie und Kriminalanthropologie an der Universität Turin. Er entwickelte das Konzept des „geborenen Verbrechers" und verstand darunter einen besonderen Menschentyp, der durch körperliche Anomalien erkennbar ist, der einen Rückschlag auf frühere Entwicklungsstufen der

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Pioniere der Kriminologie

Menschheit darstellt und dessen Kriminalität sich vererbt. Er war in seinem Denken durch das allgemeine intellektuelle Klima in Europa gegen Ende des 19. Jahrhunderts beeinflußt. Besonderen Einfluß übten Darwin und Virchow auf ihn aus. Lombroso untersuchte als Gefängnisarzt in Turin Tausende von Strafgefangenen und nahm viele Leichenöffnungen an verstorbenen Gefangenen vor. Waren seine Forschungsmethoden - nach heutigen Maßstäben - auch mangelhaft, so bleibt es gleichwohl sein Verdienst, die kriminologische Forschung auf die Untersuchung des Rechtsbrechers ausgerichtet und auf empirische Grundlagen gestellt zu haben. Sein Konzept wurde in Italien durch Benigno di Tullios klinische Kriminologie weiterentwickelt. In keinem Land außerhalb Italiens ist Lombrosos Gedankengut so stark angenommen worden wie in Deutschland. Die gesamte Zwillingsforschung (Johannes Lange, Friedrich Stumpfl) stützte sich auf ihn. Ernst Kretschmers Werk „Körperbau und Charakter" (1921) ist durch ihn beeinflußt. Kurt Schneiders „Psychopath" ist ein ebenso unbestimmter und unklarer Begriff wie Lombrosos „geborener Verbrecher". Hauptwerke·. Der geborene Verbrecher (Italienisch) 1876; Crime: Its Causes and Remedies 1913. Arthur MacDonald, geboren 1856 in Caledonia, New York, gestorben 1936 in Washington D.C. Er studierte Theologie, Philosophie, Medizin, Psychiatrie, Psychologie und Psychoanalyse an den Universitäten Rochester, Princeton, Harvard, John Hopkins, Leipzig, Paris, Berlin, Zürich und Wien. Er war Dozent für Kriminologie an der Clark University 1889 bis 1891. Er war ab 1892 im „U.S. Bureau of Education" Spezialist für die Erziehung „abnormer und schwächlicher Schichten". Ehrenpräsident während des 3. Internationalen Kongresses für Kriminalanthropologie in Brüssel 1892. Hauptwerk: Criminology 1892. Hermann Mannheim, geboren 1889 in Libau, im Memelland, gestorben 1974 in London. Ab 1924 Professor an der Universität Berlin und Richter am Kammergericht. Er emigrierte 1934 nach England und lehrte an der „London School of Economics and Political Science" Kriminologie ab 1935. Mitbegründer und Präsident der „British Society of Criminology". Mitbegründer und Mitherausgeber des „British Journal of Criminology" und der „International Library of Criminology". Er erhielt den juristischen Ehrendoktor der Universität Utrecht 1957. Er arbeitete empirisch-kriminologisch über die Jugendkriminalität in der englischen Universitätsstadt Cambridge während des 2. Weltkriegs und über Kriminalprognose (zusammen mit Leslie Τ. Wilkins). Hauptwerk: Comparative Criminology 1965 (Deutsch: Vergleichende Kriminologie 1974).

Heinrich Karl Marx wurde 1818 als Kind des Justizrats Heinrich Marx in Trier geboren; er starb 1883 in London. Nach dem Besuch des Trierer Gymnasiums studierte er seit 1835 in Bonn und Berlin zunächst Rechtswissenschaft, später Philosophie. Er promovierte zum Dr. phil. in Jena im Jahre 1841. Nachdem er einen Versuch der Habilitation an der Universität Bonn aufgegeben hatte, redigierte er 1842/1843 die „Rheinische Zeitung", die in Köln erschien. Nach der Untersagung des Weitererscheinens dieser Zeitung 1843 ging er nach Paris. Anfang 1845 siedelte er nach Brüssel über, weil er auf Betreiben der preußischen Regierung aus Frankreich ausgewiesen worden war. Mit Engels zusammen veröffentlichte er 1848 das „Manifest der kommunistischen Partei". Nachdem er auch aus Belgien vertrieben worden war, ging er wieder nach Paris und anschließend nach Köln, wo im Jahre 1849 die von ihm herausgegebene „Neue Rheinische Zeitung" veröffentlicht wurde. Ihr Erscheinen mußte jedoch ebenfalls eingestellt werden. Über Paris gelangte Marx schließlich nach London, wo er als Korrespondent der „New York Tribune" ab 1852 arbeitete. Zu einem kriminologischen Problem hat sich Marx unmittelbar nur geäußert, als er 1842 in der „Rheinischen Zeitung" zu den Landtagsberatungen über das Holzdiebstahlsgesetz Stellung nahm. Seine Lehre hat freilich mittelbar großen Einfluß auf die Kriminologie gehabt. Hauptwerk·. 1894.

Das Kapital (3 Bände), 1867, 1885,

Frederick Hemming McCIintock, geboren 1926, gestorben 1994. 25 Jahre am Institut für Kriminologie der Universität Cambridge/England tätig. Ab 1974 Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Edinburgh/Schottland. Experte für den Europarat, die Weltgesundheitsorganisation und die Vereinten Nationen. Hauptwerke·. Robbery in London, 1961: Crimes of Violence, 1963. Beniamin Mendelsohn, geboren 1901 in Bukarest. Rechtsanwalt in Bukarest und ab 1951 in Jerusalem. Er hielt am 29. März 1947 einen vielbeachteten Vortrag vor der „Rumänischen Psychiatrischen Gesellschaft" über „Neue bio-psycho-soziale Horizonte: Viktimologie", in dem er die Bezeichnung „Viktimologie" (Wissenschaft vom Verbrechensopfer") prägte. Edmund Mezger, geboren 1883 in Basel, gestorben 1962 in München. Er war als Staatsanwalt und Richter tätig. Professor an der Universität Tübingen ab 1922, an der Universität Marburg ab 1925 und an der Universität München ab 1932. Er befürwortete die Einführung geisteswissenschaftlicher Methoden in der kriminologischen Forschung und wollte die Kriminologie an der philosophischen Anthropologie orientieren. Er stellte

Pioniere der Kriminologie die Persönlichkeit des Rechtsbrechers in den Mittelpunkt seines Denkens. Wiederbegründer und Präsident der „Kriminalbiologischen Gesellschaft" nach dem 2. Weltkrieg. Hauptwerke: Kriminalpolitik und ihre kriminologischen Grundlagen 1944; Kriminologie 1951. Koichi Miyazawa, geboren 1930 in Tokyo. 1948 bis 1953 Jurastudium an der Keio-Universität Tokyo. 1957 bis 1959 Gastaufenthalt an der Universität Heidelberg. Seit 1966 Professor für Strafrecht, Kriminologie, Viktimologie und Rechtsphilosophie an der Keio-Universität. Gastprofessor an der Universität Münster 1975. Ehrendoktor der Universitäten Tübingen und Saarbrücken. 1989 Bundesverdienstkreuz. Seit 1988 Vizepräsident der „Internationalen Gesellschaft für Kriminologie". 1988 bis 1991 Präsident der „Weltgesellschaft für Viktimologie". Führender Viktimologe in der Welt. Verleihung der Beccaria-Medaille 1995. Hauptwerk (in deutscher Sprache): Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung in Japan, 2. Aufl. Wiesbaden 1991 (zusammen mit Hans-Heiner Kühne). Gerhard O. W. Mueller. Jurastudium an der Universität Kiel 1947-1949, an der Universität von Chikago 1950-1953. Promotion 1953. Master of Law, Columbia University 1954-1955. Rechtsprofessor New York University 1960-1977. Leiter des „United Nations Crime Prevention and Criminal Justice Branch" 1974-1982. Seit 1974 Professor für Kriminaljustiz an der Rutgers-Universität/New Jersey. Gastprofessuren an den Universitäten Freiburg i.Br. 1959, Berlin 1968, Köln 1969, 1970, 1971, Jerusalem 1972, Münster 1987. Präsident der „Amerikanischen Gesellschaft für Kriminologie" (1967/1968). Ehrendoktor der Universität Uppsala/Schweden 1971. Verleihung der Beccaria-Medaille 1979. Hauptwerke·. Outlaws of the Ocean 1985 (zusammen mit Freda Adler) und Criminology, 2. Aufl. 1995 (zusammen mit Freda Adler und William S. Laufer). Willem Hendrik Nagel, geboren 1910 in Zwolle, gestorben 1983 in Oegstgeest/Holland. Er arbeitete als Staatsanwalt, Richter und ab 1953 als Professor an der Universität Leiden. Er wurde 1941 wegen „antideutscher Einstellung" aus dem Staatsdienst entlassen und schloß sich während des 2. Weltkriegs der holländischen Widerstandsbewegung an. Berater der „Vereinten Nationen" in Indonesien und Thailand. Gründer der Zeitschriften: „Abstracts on Criminology and Penology" und „International Journal of Criminology and Penology". Er beteiligte sich maßgeblich an der Entwicklung der Viktimologie, der Wissenschaft vom Verbrechensopfer. Elias Neuman. Juristischer Doktor der Universität Buenos Aires 1962. Professor für Kriminologie,

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Viktimologie und Sozialkontrolle an der Universität Buenos Aires. Gastprofessor an den Universitäten San Sebastian/Spanien, Madrid, Mexiko und Tel Aviv/Israel, in Brasilien und Peru. Hauptwerk·. Victimologia. 2. Aufl. 1994. Adolphe Jacques Quetelet, geboren 1796 in Gent, gestorben 1874 in Brüssel. Mathematikprofessor in Brüssel. Gründer der Kriminalstatistik. Hauptwerk·. Sur l'Homme et le Developpement de ses Facultes. 2 Bände. 1835 (Deutsch: 1838). Walter Cade Reckless, geboren 1898 in Chikago, gestorben 1988 in Columbus/Ohio. Studierte als Schüler von Robert Park an der Universität von Chikago. Seine erste empirische Arbeit schrieb er über Prostitution (Vice in Chicago 1933). Er spielte Violine in Bordellen in Chikago, um die Prostitution besser studieren zu können. Von 1924 bis 1940 Professor an der Vanderbilt Universität. Bücher über Jugenddelinquenz (1931), Sozialpsychologie (1931) und kriminelles Verhalten (1940). Von 1940 bis 1969 Professor an der Ohio State University. Empirische Forschung über „gute" und „schlechte" Jungen in hoch mit Delinquenz belasteten Gebieten. Forschungsbericht (zusammen mit seinem Schüler Simon Dinitz: „Prevention of Juvenile Delinquency, an Experiment" (1972)). Entwicklung der Selbst-Konzeptund Halt-Theorie. Gastprofessor an der Universität Münster im Sommersemester 1960 (Vorlesungen in deutscher Sprache veröffentlicht: Die Kriminalität in den USA und ihre Behandlung. Berlin 1964). Berater der Vereinten Nationen. Präsident der „Amerikanischen Gesellschaft für Kriminologie" Anfang der 60er Jahre. Hauptwerke: The Crime Problem 1950 mit 6 Auflagen. American Criminology: New Directions 1973. Deutsch: Halttheorie. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 44 (1961), 1-14. Theodor Reik, geboren 1888 in Wien, gestorben 1969 in New York City. Schüler Freuds. Er arbeitete an den Psychoanalytischen Instituten in Wien und Berlin. 1934 emigrierte er nach Holland, 1938 in die USA. Er arbeitete dort als psychoanalytischer Praktiker und beeinflußte durch seine Veröffentlichungen die psychoanalytische Kriminalitätstheorie. Hauptwerke: Geständniszwang und Strafbedürfnis 1925; Der unbekannte Mörder 1925; Myth und Guilt. The Crime and Punishment of Mankind 1957. Luis Rodriguez Manzanera, geboren 1939 in Durango/Mexiko: Jurastudium an der National-Universität in Mexiko 1957 bis 1964; Psychologiestudium an derselben Universität 1958 bis 1965. Berater der Vereinten Nationen 1978. Professor für Kriminologie an der National-Universität in Me-

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Pioniere der Kriminologie

xiko seit 1972. Ehrendoktor der Universität San Martin de Porres in Lima/Peru 1983. Hauptwerke·. Criminologia, Mexico 1989; Victimologia, Mexico 1988. Fritz Sack, geboren 1931 in Neumark in Pommern. Studium an den Universitäten Kiel und Köln (1954—1958): Wirtschaftswissenschaften und Soziologie. 1963 Promotion. Assistent bei Rene König. 1965 Forschungsaufenthalte an der Ohio State University in Columbus und an der University of California in Berkeley. 1970 Habilitation: „Strukturen und Prozesse in einem Delinquenzviertel Kölns". Professor an den Universitäten Regensburg (1970) und Hannover (1974). Ab 1984 Professor an der Universität Hamburg. Hauptwerk: „Probleme der Kriminalsoziologie". In: Handbuch der empirischen Sozialforschung. Band 12. Stuttgart 1968, 192-492. Rafael Salillas, geboren 1854, gestorben 1923. Arzt. Seine beiden Hauptwerke sind die ersten in Spanien, in denen der Versuch unternommen wird, eine kriminologische Theorie des kriminellen und sozialabweichenden Verhaltens zu entwickeln. Nach seiner Ansicht personifiziert der Rechtsbrecher die kriminellen Tendenzen der Gesellschaft. Untersuchungen zur Sprache von Straftätern. Hauptwerke: Das kriminelle Leben in Spanien (Spanisch), Madrid 1888; Der spanische Straftäter (Spanisch), Madrid 1898. Wilhelm Sauer, geboren 1879 in Frankfurt/Oder, gestorben 1962 in Münster. Ab 1921 Professor an der Universität Königsberg und ab 1935 an der Universität Münster. Er unternahm den Versuch, Strafrecht und Kriminologie miteinander zu verbinden. Hauptwerk: Kriminologie 1950. Stephen Schafer, geboren 1911 in Budapest, gestorben 1976 in Boston. Er habilitierte sich 1947 an der Universität Budapest, verließ während des ungarischen Aufstandes 1956 das Land und arbeitete in verschiedenen praktischen Berufen in England. Er war ab 1961 Professor an der Universität von Florida, ab 1965 an der Universität von Ohio und ab 1966 an der „North-Eastern University" in Boston. Er förderte die Kriminologie vielseitig, insbesondere die Viktimologie, die theoretische Kriminologie und die Erforschung des politischen Verbrechens. Er organisierte das „2. Internationale Symposium für Viktimologie" in Boston 1976. Hauptwerke: Theories in Criminology 1969; The Political Criminal 1974; Introduction to Criminology 1976; Victimology 1977. Horst Schüler-Springorum, geboren 1928 in Teheran/ Iran. Jugendzeit in Berlin. Studium der politischen Wissenschaften in Baltimore/USA 1950/51.

Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Frankfurt/Main und Marburg/Lahn. 1956 Promotion in Marburg. Habilitation 1967 an der Universität Hamburg bei Rudolf Sieverts. Professor an der Universität Göttingen 1967 bis 1971, an der Universität Hamburg 1971 bis 1975 und an der Universität München seit 1975. Vorsitzender der „Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen" 1968 bis 1986. Mitglied des Kreises der Alternativprofessoren seit Mitte der sechziger Jahre. Seit Anfang der siebziger Jahre Mitherausgeber und Schriftleiter der „Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform" und Mitherausgeber der „Kriminologischen Studien". Präsident der „Internationalen Vereinigung der Jugend- und Familienrichter" von 1978 bis 1982. Gutachter für den Europarat und die Vereinten Nationen. Bundesverdienstkreuz 1991. Hauptwerk: Kriminalpolitik für Menschen 1991. Hans-Dieter Schwind, geboren 1936 in TokyoOmori/Japan. Jurastudium in Hamburg und München 1958-1962. Promotion 1966 bei Rudolf Sieverts, Hamburg. Wiss. Assistent an der Universität Göttingen 1968-1973. Seit 1974 Professor für Kriminologie, Strafvollzug und Kriminalpolitik an der Ruhr-Universität Bochum. 1978 bis 1982 niedersächsischer Minister der Justiz. 1987-1991 Vorsitzender der Anti-Gewalt-Kommission der Bundesregierung. Wissenschaftliche Auslandsaufenthalte in USA (1977/1981), in Japan (1982), in China (1985/1993), in Brasilien (1996). Bundesverdienstkreuz 1981; Beccaria-Medaille 1982. Hauptwerk: Kriminologie, 7. Aufl. 1996. Thorsten Sellin, geboren 1896 in Schweden, gestorben 1994 in den USA. Seine Familie emigrierte nach Kanada, als er 17 Jahre alt war. Er studierte am Schwedisch-Amerikanischen Augustana College in Rock Island, Illinois; danach an der Universität von Pennsylvanien in Philadelphia Soziologie. Dozent an dieser Universität seit 1921, Doktor der Soziologie 1922, ordentlicher Professor für Soziologie und Kriminologie seit 1930 bis 1967. Direktor der Soziologischen Abteilung der Universität von Pennsylvanien 1945 bis 1959. Herausgeber der „Annais of the American Academy of Political and Social Sciences" von 1929 bis 1968. Gastprofessor an den Universitäten Uppsala, Stockholm, Lund, Cambridge/England, Paris und Brüssel. Ehrendoktor seiner eigenen Universität und der Universitäten Leiden, Kopenhagen und Brüssel. Träger der Beccaria Medaille der „Deutschen Gesellschaft für Kriminologie". Von 1956 bis 1965 Präsident der „Internationalen Gesellschaft für Kriminologie" (Paris). Vizepräsident der „Internationalen Gesellschaft für Soziale Verteidigung" und der „Internationalen Strafrechts-

Pioniere der Kriminologie Vereinigung". Berater der Vereinten Nationen. Entwickelte die Kulturkonflikttheorie (1938). Maßgebliche Arbeiten auf dem Gebiet der Kriminalstatistik (auch zusammen mit seinem Schüler Marvin Wolfgang) (1931, 1964). Entschiedener Gegner der Todesstrafe (1959). Arbeiten über Kriminalität und wirtschaftliche Depression (1937) und über Sklaverei und das Strafrechtssystem (1976). Hauptwerke'. Research Memorandum on Crime in the Depression 1937; Culture Conflict and Crime 1938; Pioneering in Penology 1944; Slavery and the Penal System 1976 und The Penalty of Death 1980. Veröffentlichung in deutscher Sprache: Die Grundlagen eines Kriminalitätsindex. Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 22 (1931), 577-597. Clifford R. Shaw, geboren 1895 in Luray, Indiana, gestorben 1957 in Chikago. Er führte zusammen mit Henry D. McKay am „Sociology Department" der Universität Chikago Forschungen zu folgenden Problemkreisen durch: Autobiographien jugendlicher Delinquenter, Kriminalgeographie und Kriminalitätsvorbeugung (Chicago Area Project). Hauptwerke: Delinquency Areas 1929; The JackRoller: Α Delinquent Boy's own Story 1930; Social Factors in Juvenile Delinquency (zusammen mit McKay) 1931; The Natural History of a Delinquent Career 1931; Brothers in Crime (zusammen mit McKay and James F. McDonald) 1938; Juvenile Delinquency and Urban Areas (zusammen mit McKay) 1942. Rudolf Sieverts, geboren 1903 in Meißen, gestorben 1980 in Heidelberg. Professor an der Universität Hamburg ab 1934. Er arbeitete insbesondere auf den Gebieten der Jugendkriminalität und des Strafvollzugs. Er leitete 16 Jahre lang die „Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen", war von 1967 bis 1971 Präsident der Strafvollzugskommission des Bundesjustizministeriums, die das Strafvollzugsgesetz 1976 vorbereitete. Mitherausgeber der „Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform" und des „Handwörterbuchs der Kriminologie", 2. Auflage (5 Bände). Hauptwerk: Die Wirkungen der Freiheitsstrafe und Untersuchungshaft auf die Psyche der Gefangenen 1929. Friedrich von Spee, geboren 1591 in Kaiserswerth, gestorben 1635 in Trier. Jesuit. Arbeitete als Lehrer in Gymnasien in Speyer, Worms, Mainz und Köln und als Professor an der Universität Paderborn. Verfaßte die Schrift „Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse", in der er sich gegen die Hexenprozesse wandte. Nach Spees Urteil waren Dummheit und Aberglaube im Verein mit Neid und Mißgunst die

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wirklichen Beweggründe des Unwesens der Hexenprozesse. Er stützt sich in seinem Buch nicht auf die Meinung von Autoritäten. Er unternahm vielmehr eigene empirische Forschung. Er ist in Kerkern und Gerichtsstuben ein- und ausgegangen. Er hat Gefangene befragt und mit Richtern und Inquisitoren gesprochen. Er zeichnet die Psychologie der Angeber und Hetzer sowie die der unglücklichen Opfer. Hauptwerk: Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse. Frankfurt 1632. Edwin H. Sutherland, geboren 1883 in Gibbon/Nebraska, gestorben 1950 in Bloomington/Indiana. Er war ab 1919 als Professor für Soziologie an der Universität von Illinois tätig, 1925 bis 1929 an der Universität von Minnesota, 1929 bis 1935 an der Universität Chikago und ab 1935 an der Universität von Indiana. Er ging 1929 für ein Jahr zu einem Forschungsaufenthalt nach England und veröffentlichte 1924 erstmalig sein KriminologieLehrbuch, das jahrzehntelang in Nordamerika und der Welt maßgebend war und das nach seinem Tod von seinem Schüler Donald R. Cressey betreut wurde. Er entwickelte die „Theorie der differentiellen Assoziation", die kriminelles Verhalten als erlernt ansieht, veröffentlichte 1937 die klassisch gewordene Studie über den Berufsdieb und hielt 1939 den berühmten Vortrag über die „Weiße-Kragen-Kriminalität". Hauptwerke: Principles of Criminology 1947; The Professional Thief 1937; White-Collar-Crime 1949. Gresham M. Sykes, geboren 1922 in Plainfield/New Jersey. Nach dem Militärdienst Studium der Soziologie an der Princeton Universität. Doktor in Soziologie an der Northwestern Universität in Evanston/Illinois 1954. Professor an verschiedenen Universitäten. Zuletzt an der Universität von Virginia in Charlottesville. Hauptwerk: The Society of Captives 1958. Denis Szabo, geboren 1929. Studien an den Universitäten Budapest, Louvain und Sorbonne (Paris). Doktor der Sozialwissenschaften der Universität Louvain/Belgien 1956. Professor an der Universität Montreal ab 1958. Gründer der „Schule für Kriminologie" (1960) und des „Internationalen Zentrums für Vergleichende Kriminologie" (1969) in Montreal. Präsident und Ehrenpräsident der „Internationalen Gesellschaft für Kriminologie" (Paris) seit 1978. Ehrendoktor der Universitäten Sienna (1983), Budapest (1985), Aix-Marseille (1992) und Athen (1996). Mitglied der „Ungarischen Akademie der Wissenschaften". Sutherland-Preis der „Amerikanischen Gesellschaft für Kriminologie" (1968), Beccaria-Medaille (1970). Gastprofessor an der Universität Münster 1990.

730

Pioniere der Kriminologie

Hauptwerke: Crimes et Villes (1960), Criminologie et Politique Criminelle (1978). George Bryan Void (1895-1967). Soziologe. Geboren in South Dakota (USA) als Sohn norwegischer Einwanderer. Studium an der Universität Chikago. Doktor an der Universität von Minnesota. Dort Professor von 1937 bis 1964. Studium des Strafanstaltssystems des Staates Massachusetts 1931. Berater der „Minnesota Crime Commission" 1936. Edwin Sutherland Preis der „American Society of Criminology" 1966. Hauptwerk: Theoretical Criminology 1958. Marvin Ε. Wolfgang, geboren 1924. Soziologie-Studium an der Staatsuniversität von Pennsylvanien 1942/43. Militärdienst im 2. Weltkrieg. Fortsetzung seines Studiums an der Universität Oslo 1948 und an der Universität von Pennsylvanien 1948 bis 1950. M.A. 1950, Ph. D. 1955. Seit 1973 Professor für Soziologie und Recht an der Universität von Pennsylvanien. Forschungsdirektor der „National Commission on the Causes and Prevention of Violence" (1968/1969). Ab 1972 Präsident der „American Academy of Political and Social Science". Ehrendoktor der „City University of New York" 1978. Präsident der „American Society of Criminology" 1966/1967. Kriminologischer Herausgeber des „Journal of Criminal Law and Criminology" 1966 bis 1990. Gastprofessor an der Universität Cambridge/England

1968/69 und an der „Hebrew University", Jerusalem/Israel 1978/79. Hans von Hentig Preis der „World Society of Victimology" 1988, Edwin Sutherland Preis der „American Society of Criminology" 1989. Empirische Forschungen zu den Tötungsdelikten, zur Kriminalstatistik, insbesondere zur internationalen Kriminalstatistik, und zur Jugenddelinquenz (Kohortenstudien). Entwicklung der Theorie der Subkultur der Gewalt (zusammen mit Franco Ferracuti). Beccaria-Medaille 1997. Hauptwerke: Patterns of Criminal Homicide 1958; The Measurement of Delinquency 1964 (zusammen mit Thorsten Sellin); Delinquency in a Birth Cohort 1972 (zusammen mit Robert M. Figlio und Thorsten Sellin); From Boy to Man, from Delinquency to Crime 1987 (zusammen mit Terence P. Thornberry and Robert M. Figlio). Shufu Yoshimasu, geboren 1899 in Tokyo, gestorben 1974 in Tokyo. Psychiater, führender Kriminologe Japans. Medizinisches Examen 1924 (Universität Tokyo). Dozent 1936, außerordentlicher Professor 1945, ordentlicher Professor 1956. Direktor des Instituts für Kriminalpsychologie und forensische Psychiatrie, Universität Tokyo, 1960. Herausgeber der Zeitschrift „Acta Criminologiae et Medicinae Legalis Japonica" 1960 -1965. Kriminologische Forschungen auf den Gebieten der Rückfallkriminalität (Typen krimineller Lebenskurven) und der Zwillingsforschung.

Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände 1 bis 5

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GESAMTINHALTSVERZEICHNIS DER BÄNDE 1 BIS 5 (nach Artikelüberschriften geordnet) Band

Seiten

1 5 2 4 1 1 4 2 1 5 1 1 5 2 1 4

1-5 287-301 1-19 404-445 5-29 30-42 495-522 515-564 42-55 239-265 364-368 56-62 453-467 63-91 62-75 157-169

5 5 1

589-624 578-589 205-231

1 5 1 1 4 2 1 3 1

401 - 4 3 6 467-502 364-368 373-383 495-522 515-564 75-81 38-93 81-95

5

151-200

1 4

95-106 80-121

1 5

106-117 265-275

1 5

117-147 275-287

A Aberglaube (1966) Abolitionismus (1991) Abschreckung Abtreibung (1966) Alkoholismus (1966) Alternativen zum Strafverfahren und zum Strafvollzug Alterskriminalität I. (1966) Alterskriminalität II. (1991) Amnestie Amtsdelikte (1966) Anzeigeverhalten Arbeitslosigkeit Asozialität (1966) Attentat (1979)

Ausländerkriminalität (1997) Aussagepsychologie

Dr. Hennings, Elsa Prof. Dr. Scheerer, Sebastian Kriminalpolitik Vorbeugung des Verbrechens Prof. Dr. Dotzauer, Günther Prof. Dr. Jahrreiss, Walter -» Kriminaltherapie Kriminologie (Grundlagen) II. Dr. Lewrenz, Herbert Prof. Dr. Fattah, Ezzat Abdel Gnadenerweis Prof. Dr. von Weber, Hellmuth Dunkelfeldforschung -» Kriminalsoziologie Prof. Dr. Stumpfl, Friedrich Prof. Dr. MiddendorfT, Wolf, Richter am Amtsgericht a.D. Politische Kriminalität Dr. Gebauer, Michael Forensische Psychologie Β

Bandendelinquenz Begnadigung Begünstigung Behandlungsforschung Beleidigung und falsche Anschuldigung (1966) Berufsverbrecher Betrug (1966) Bewährung, Bewährungshilfe

Brandstiftung (1966)

-»Jugendkriminalität Kinder- und Jugenddelinquenz -»Gnadenerweis Hehlerei und Begünstigung -» Kriminaltherapie Kriminologie (Grundlagen) II. Prof. Dr. Kaufmann, Hilde Rückfall und Prognose Kriminalrat a.D. Dr. Zirpins, Walter Strafaussetzung zur Bewährung, Bewährungshilfe und Führungsaufsicht Prof. Dr. Grassberger, Roland Gewaltkriminalität C

Chemische Untersuchungsmethoden (1966) Computerkriminalität (1991)

Prof. Dr. Specht, Walter Landesverwaltungsrätin Dr. Uthemann, Christiane D

Diebstahl (1966) Diversion (1988)

Dr. Suttinger, Günter Prof. Dr. Dölling, Dieter

732

Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände 1 bis 5

Dunkelfeldforschung (1997)

Prof. Dr. Schwind, Hans-Dieter, Niedersächsischer Justizminister a.D.

5

453-467

Ε Ehe und Familie (1966)

Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim

1

147·-179

Eigentumskriminalität

-»Diebstahl -»Hehlerei Ladendiebstahl -»Gewaltkriminalität -»Straffälligenhilfe Strafvollzug: Grundlagen Prof. Dr. Geerds, Friedrich Dr. Wolf, Siegmund A. Prof. Dr. Schott, Rüdiger -»Verbrechen unter totalitärer Herrschaft

1 1 5 4 4 3 1 1 1 3

117 -147 373·-383 347 - 3 6 2 8 0 - 121 553 -561 268 -303 179 -188 188 -191 191 -205 453 -464

4

248 -259

5 1

8 9 - 103 7 5 - 81

1 1 4 5 2 1 5

350 -364 147--179 259 -272 589 -624 344--415 205 -231 625 -645

3

608 -656

5 3

524--562 608 -656

1

231 -236

5 5

15- 40 151 -200

1

236--249

5 1 4 1

578 -589 249 -254 8 0 - 121 254 -268

Entführung Entlassenenfürsorge Erpressung (1966) Ethnische Minderheiten (1966) Ethnologische Forschungen (1966) Euthanasie

F Fahndung (1979) Fahrlässige Tötungsdelikte Falsche Anschuldigung Falschspiel Familie Fehlurteil (1979) Folter Forensische Psychiatrie Forensische Psychologie (1966) Frauenkriminalität (1997)

Frauenmißhandlung Frauenstrafvollzug Freiheitsdelikte (1966) Freiheitsstrafe Führungsaufsicht

Fürsorge (1966)

Ltd. Kriminaldirektor a.D. Bauer, Günther -»Tötungsdelikte, fahrlässige -• Beleidigung und falsche Anschuldigung Glücks- und Falschspiel -»Ehe und Familie Prof. Dr. Dr. h.c. Peters, Karl -»Politische Kriminalität -»Psychiatrie Prof. Dr. Undeutsch, Udo Reg.Direktorin Dipl.-Psych. Dr. Schneider, Ursula Weibliche Kriminalität und Frauenstrafvollzug -• Vergewaltigung -»Weibliche Kriminalität und Frauenstrafvollzug Bundesrichterin a.D. Dr. Kofika, Else - Sexueller Mißbrauch an Kindern Reg. Direktorin Dipl.-Psych. Dr. Schneider, Ursula -• Kriminologie (Grundlagen) II. Prof. Dr. Klein, Hans -»Amtsdelikte Politische Kriminalität Prof. Dr. Bochnik, Hans-Joachim Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim -» Kriminalsoziologie -»Politische Kriminalität Prof. Dr. Stumpfl, Friedrich Prof. Dr. Schwind, Hans-Dieter, Niedersächsischer Justizminister a.D. Ltd. Kriminaldirektor a.D. Bauer, Günther Politische Kriminalität -> Umweltkriminalität Wirtschaftskriminalität Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim -»Kriminologie (Grundlagen) II. Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung -»Natürliche Umwelt -»Städteplanung und Baugestaltung -»Kriminaltherapie Prof. Dr. Sieverts, Rudolf Ltd. Reg.Kriminaldirektor a.D. Dr. Niggemeyer, Bernhard Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim -»Rückfall und Prognose -»Psychiatrie -»Sozialpsychiatrie -> Psychologie des Verbrechens Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim Prof. Dr. von Weber, Hellmuth -»Dunkelfeldforschung -»Statistik und Kriminalität Landeskriminaldirektor a.D. Prof. Dr. Wenzky, Oskar Ltd. Kriminaldirektor a.D. Huelke, Hans-Heinrich Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim -»Kriminologie (Grundlagen) II. Prof. Dr. Christiansen, Karl O.

502-523 324 - 347 515-564 472-481 56-62 589-624 482-496 382-391 63-91 589-624 496-519 169-181

118-151 589-624 104-118 656-668 645-668 515-564 307-326 240-254 181-197 495-522 1-19 19-47 273-338 38-93 344-415 186-199 415-458 47-63 63-91 453-467 199-225 92-138 138-187 495-522 515-564 187-220

735

Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände 1 bis S Kriminologie (Grundlagen) II. (1977) Kritische, radikale Kriminologie Kunstwerkfälschung (1968)

Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim -> Kriminalitätstheorien Kriminologie (Grundlagen) II. Prof. Dr. Würtenberger, Thomas

2

515 -564

5 2 2

645 -668 515 -564 221·- 2 2 6

5 2

347·- 3 6 2 227-- 2 3 2

5 5 2 2 4

589 -624 645 -668 515 -564 232 -240 338 -393

5

301 -324

5 2 2 4 3 1

1 5 - 40 187 -220 515 -564 8 0 - 121 353--398 254--268

L Ladendiebstahl (1988) Lebensmittelverfälschung (1968)

Prof. Dr. Geerds, Friedrich Kriminaloberrat a.D. Eigenbrodt, Otto

Machtmißbrauch Marxistische Kriminologie

-»Politische Kriminalität -»Kriminalitätstheorien Kriminologie (Grundlagen) II. Prof. Dr. Wasem, Erich Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim Strafen und Maßregeln -» Kriminologie (Grundlagen ) I. -»Kriminologie (Grundlagen) II.

Μ

Massenmedien I. (1968) Massenmedien II. (1979) Massenmedien III. (1991) Maßregeln Methoden der Kriminologie Mord Münzdelikte

-»Gewaltkriminalität -»Tötungsdelikte, nichtfahrlässige -»Geldfälschung Ν

Natürliche Umwelt (1968)

Prof. Dr. Middendorff, Wolf, Richter am Amtsgericht a.D.

2

240 -254

NichtSeßhaftigkeit Normgenese

-»Asozialität (Sozialpathologie) -»Strafgesetzgebung

1 4

6 2 - 75 393 -404

Obdachlosigkeit Öffentliche Meinung Ordnungswidrigkeiten (1968)

-»Asozialität (Sozialpathologie) Massenmedien

1 5

6 2 - 75 301 -324

Ministerialdirigent a.D. Dr. Gossrau, Eberhard Prof. Dr. Würtenberger, Thomas Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim

2

254--258

2 5

259 - 2 7 9 562 -578

Organisiertes Verbrechertum I. (1968)

Kriminaloberrat a.D. Hoberg, Ludwig

2

279 - 2 8 4

Organisiertes Verbrechertum II. Organisiertes Verbrechertum III.

-»Verbrechertum, organisiertes I. Verbrechertum, organisiertes II.

3 3

464 - 4 7 3

5

502 - 5 2 3

1 2 2

1-5 415 -458 284 -295

Ο

Organisationen und Institute (1968) Organisiertes Verbrechen (1997)

473 - 4 8 7

Ρ Pädophilie Parapsychologie Persönlichkeitsforschung (1968)

Sexueller Mißbrauch an Kindern -> Aberglaube -»Psychologie des Verbrechens Dr. Hoeck-Gradenwitz, Erik

736

Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände 1 bis 5

Persönlichkeitsschutz Pönologie Politische Kriminalität (1997) Politischer Mord Polizei (1968) Pornographie Prisonisierung Prognose Prostitution I. (1968) Prostitution II. (1983) Psychopathologie Psychiatrie (1971) Psychoanalyse Psychologie des Verbrechens (1971)

-»Psychologie des Verbrechens -»Strafen und Maßregeln Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim -•Attentat Politische Kriminalität -» Tötungsdelikte, nichtfahrlässige Ltd. Kriminaldirektor a.D. Sangmeister, Wolfram -•Massenmedien -•Kriminaltherapie -•Kriminalprognose -»Rückfall und Prognose Prof. Dr. Redhardt, Reinhard Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim -•Psychiatrie Prof. Dr. Dr. Ehrhardt, Helmut -• Psychologie des Verbrechens Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim

2 5 5

415-458 15-40 589-624

4 5 3 2

157-169 589-624 353-398 295-306

5 4 4 3 2 5

301-324 495-522 273-338 38-93 307-344 1-15

2 2 2 2

344-415 344-415 415-458 415-458

R Raub (1970)

Rauschmittelmißbrauch: Medizinischer Beitrag (1977) Rauschmittelmißbrauch: Juristisch-Kriminologischer Beitrag (1977) Rauschmittelmißbrauch: Soziologisch-psychologischer Beitrag (1977) Rechtfriedensdelikte (1969) Rechtspflegedelikte (1969) Rechtspsychologie Reform des Strafrechts Reform des Strafverfahrensrechts (1975) Religion (1969) Resozialisierung Rückfall und Prognose (1969)

Sachbeschädigung (1988) Schriftvergleichung (1969) Schuldfähigkeit Schule I (1969) Schule II (1997)

Prof. Dr. Bschor, Friedrich und Penshorn, Carsten-Peter, Richter am Amtsgericht -•Gewaltkriminalität Prof. Dr. Rommeney, Gerhard

2

459-472

4 2

80-121 472-480

Prof. Dr. Scheerer, Sebastian

2

480-494

Dipl.-Psych. Dirnagl, Beate und Dipl.-Psych. Dr. Stein-Hilbers, Marlene Prof. Dr. Geerds, Friedrich Prof. Dr. Geerds, Friedrich -• Forensische Psychologie -• Strafrechtsreform Prof. Dr. Zipf, Heinz Prof. Dr. Nagel, Willem Hendrik -•Kriminaltherapie -»Strafvollzug (Grundlagen) Prof. Dr. Dr. h.c. Mannheim, Hermann

2

4 9 4 - 514

3 3 1 5 4 3 4 3 3

1-10 11-30 205—231 40-76 121-132 30-38 495-522 268-303 38-93

5 3 2 3

362-376 93-105 344-415 106-125

5

668-676

Prof. Dr. Geerds, Friedrich Prof. Dr. Michel, Lothar -•Psychiatrie Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c (PL) Schneider, Hans Joachim

73

Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände 1 bis 5 See- und Schiflahrtskriminalität (1991)

Prof. Dr. Dr. h.c. Mueller, Gerhard O. W. und Prof. Dr. Adler, Freda

5

376 - 3 8 2

Selbstmord (1969)

Prof. Dr. Ringel, Erwin

3

125 - 1 6 1

Sexualdelikte: Spurenkundlicher und gerichtsmedizinischer Beitrag (1975)

Prof. Dr. Dotzauer, Günther, Prof. Dr. Jarosch, Klaus und Dipl.-Math. Berghaus, Günter

3

161 - 1 6 8

Sexualdelikte: Kriminologischer Beitrag

Sexueller Mißbrauch an Kindern -»Vergewaltigung

5

502 - 5 2 3

5

524 - 5 6 2

Sexueller Mißbrauch an Kindern (1997)

Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim

5

502 - 5 2 3

Sicherungsverwahrung (1975)

Ministerialrat a.D. Prof. Dr. Dr. h.c. Krebs, Albert

3

168 - 1 7 7

Sozialabweichendes Verhalten

Alkoholismus Prostitution -» Rauschmittelmißbrauch -* Selbstmord

1 5 2 3

3 0 - 42 1-15 472 - 5 1 4 125 - 1 6 1

Sozialhygiene (1975)

Prof. Dr. Gerfeldt, Ewald

3

177·- 1 8 6

Sozialpathologie

-»Alkoholismus -»Asozialität Prostitution -» Rauschmittelmißbrauch -» Selbstmord

1 1 5 2 3

3 0 - 42 6 2 - 75 1-15 472 - 5 1 4 125 - 1 6 1

Sozialprozeß

- • Vergleichende Kriminologie

5

676 - 6 9 3

Sozialpsychiatrie (1975)

Prof. Dr. Mohr, Johannes W.

3

186 - 1 9 9

Sozialstruktur

-»Vergleichende Kriminologie

5

676 - 6 9 3

Sozialtherapie

-» Heilbehandlung -* Kriminaltherapie

1 4

383 - 3 9 1 495 - 5 2 2

Staatsdelikte

-»Politische Kriminalität

5

589 - 6 2 4

Staatsstreich (1991)

Prof. Dr. Middendorff, Wolf, Richter am Amtsgericht a.D.

5

425 - 4 3 7

Städteplanung und Baugestaltung (1979)

Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim

4

181 - 1 9 7

Statistik und Kriminalität (1975)

Dipl.-Psych. Dr. Stein-Hilbers, Marlene

3

199 - 2 2 5

Strafaussetzung zur Bewährung, Bewährungshilfe und Führungsaufsicht (1983)

Prof. Dr. Walter, Michael

5

151 - 2 0 0

Strafen und Maßregeln (1983)

Prof. Dr. Eisenberg, Ulrich

5

1 5 - 40

Straffälligenhilfe (1979)

Dr. Haesler, Walter T.

4

553 - 5 6 1

Strafgesetzgebung (1979)

Prof. Dr. Scheerer, Sebastian

4

393 - 4 0 4

Strafrechtsreform (1983)

Prof. Dr. Weber, Ulrich

5

4 0 - 76

Strafverfahrensrecht (1975)

Prof. Dr. Hanack, Ernst-Walter

3

225 - 2 5 3

Strafverfolgung

Kriminalistik -»Strafvollzug (Grundlagen)

5 3

118 - 1 5 1 268 - 3 0 3

Strafvollzug: Erwachsenenbildung (1983)

Prof. Dr. Dr. h.c. Müller-Dietz, Heinz

5

222 - 2 3 8

Strafvollzug: Frauenstrafvollzug

-»Weibliche Kriminalität und Frauenstrafvollzug

3

608 - 6 5 6

Strafvollzug: Geschichte (1975)

Dr. Dr. Frede, Lothar

3

253 - 2 6 8

Strafvollzug: Grundlagen (1975)

Ltd. Regierungsdirektor a.D. Dr. Grunau, Theodor

3

268 - 3 0 3

738

Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände 1 bis 5 4

522·-353

4

535 -553

4 4

445--455 495--522

-> Jugendstrafvollzug: Kriminologischer Beitrag -»Strafvollzugsrecht Gefängnispfarrer a.D. Dr. Kühler, Hans

4

522--535

4

455--495

3

303 -306

Strafvollzugsrecht (1979)

Prof. Dr. Dr. h.c. Müller-Dietz, Heinz

4

455--495

Strafvollzug: Untersuchungshaft (1983)

Prof. Dr. Dr. h.c. Müller-Dietz, Heinz

5

200 -222

Strafzumessung (1977)

Prof. Dr. Dr. h.c. Peters, Karl

4

132--142

Subkultur

Kriminalsoziologie -• Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung

2 3

6 3 - 91 307--326

Suizid

-• Selbstmord

3

125 -161

Strafvollzug: Jugendstrafvollzug

Strafvollzug: Psychologie und Soziologie Strafvollzug: Reform

Strafvollzug: Seelsorge (1975)

-»Jugendstrafvollzug: Kriminologischer Beitrag Jugendstrafvollzug: Übersicht über die internationale Praxis Haftpsychologie Kriminaltherapie

Τ Täterpersönlichkeit

-» Persönlichkeitsforschung

2

284--295

Terrorismus

-»Gewaltkriminalität Politische Kriminalität

4 5

Theoretische Kriminologie

-»Kriminalitätstheorien -»Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung

5 3

8 0 - 121 589--624 645--668 307--326

Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung (1975)

Prof. Dr. Hess, Albert G.

3

307--326

Tierquälerei (1983)

Rechtsanwalt Dr. Wiegand, Klaus

5

7 6 - 88

Todesstrafe (1970)

Prof. Dr. Helfer, Christian

3

326--353

Tötungsdelikte, fahrlässige (1983)

Prof. Dr. Middendorff, Wolf, Richter am Amtsgericht a.D.

5

8 9 - 103

Tötungsdelikte, nichtfahrlässige: Forensischpsychiatrischer Beitrag (1975)

Prof. Dr. Rasch, Wilfried

3

353--398

Tötungsdelikte: Spurenkundlich-gerichtsmedizinischer Beitrag (1975)

Prof. Dr. Dotzauer, Günther, Prof. Dr. Jarosch, Klaus und Dipl.-Math. Berghaus, Günter

3

398--420

Tötung und Psychose (1975)

Prof. Dr. Schipkowensky, Nikola

3

420--444

U Umweltkriminalität (1983)

Ltd. Kriminaldirektor a.D. Bauer, Günther

5

104--118

Unternehmenskriminalität

Umweltkriminalität Wirtschaftskriminalität

5 3

104 -118 656 -668

Unterschlagung (1979)

Prof. Dr. Geerds, Friedrich

4

197--205

Urkundendelikte (1979) Ursachen der Kriminalität

Prof. Dr. Geerds, Friedrich

4

205 -222

-»Kriminalitätstheorien Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung

5 3

645 -668 307--326

739

Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände 1 bis 5

Vandalismus Verbrechensbegriff Verbrechensbekämpfung, internationale Verbrechensfurcht Verbrechensverursachung

Verbrechen und Schwachsinn (1975)

Verbrechen unter totalitärer Herrschaft (1975) Verbrechensopfer Verbrechertum, internationales Verbrechertum, organisiertes I. (1975) Verbrechertum, organisiertes II. (1975) Vergewaltigung (1997) Vergiftung Vergleichende Kriminologie (1997) Vergleichende Kriminologie: Deutsche Demokratische Republik 1949-1990 (1997) Vergleichende Kriminologie: Japan (1977)

Vergleichende Kriminologie: Polen (1994) Verkehrsdelikte I. (1968) Verkehrsdelikte II. (1991) Vermögenskriminalität Verwahrlosung (1975) Viktimologie I. (1975) Viktimologie II. (1991) Völkermord

Vorbeugung des Verbrechens (1979)

-•Sachbeschädigung -• Kriminologie (Grundlagen) I. -»Kriminologie (Grundlagen) II. -• Internationale Verbrechensbekämpfung -»Massenmedien II. Viktimologie I. -»Kriminalitätstheorien -• Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung Prof. Dr. Schwind, Hans-Dieter, Niedersächsischer Justizminister a.D. Prof. Dr. Jäger, Herbert -»Viktimologie I. Viktimologie II. -• Organisiertes Verbrechen Landeskriminaldirektor a.D. Boettcher, Otto Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim -• Gift und Vergiftung Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim Prof. Dr. Kräupl, Günter Prof. Dr. Dr. h.c. muh. Miyazawa, Koichi und Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim Prof. Dr. Marek, Andrzej Prof. Dr. Schultz, Hans Prof. Dr. Middendorff, Wolf, Richter am Amtsgericht a.D. -•Betrug -•Erpressung Medizinaldirektor a.D. Dr. Munkwitz, Werner Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim -•Genocidium -• Politische Kriminalität -• Verbrechen unter totalitärer Herrschaft Prof. Dr. Hess, Albert G. und Brückner, Jürgen

5 2 2 4

362-376 187-220 515-564 46—80

5 3 5 3

301-324 532-607 645-668 307-326

3

445-453

3 3 5 5 3

453-464 532-607 405-425 562-578 464-473

3

473-487

5

524-562

1 5

333-350 676-693

5

693-703

4

1 -46

5 3 5

704-718 488-515 437-452

1 1 3

81-95 179-188 516-532

3

532-607

5

405-425

1 5 3

268-274 589-624 453-464

4

404-445

3

608-656

W Weibliche Kriminalität und Frauenstrafvollzug (1973)

Dr. Einsele, Helga

740 Wiedergutmachung (1988) Wilderei (1979) Wirtschaftskriminalität (1975) Wirtschaftsstrafrecht (1975)

Zwillingsforschung (1975)

Gesamtinhaltsverzeichnis der Bände 1 bis 5 Prof. Dr. Frehsee, Detlev Kriminaldirektor a.D. Kierstein, Günter Prof. Dipl.-Psych. Dr. Dr. h.c. (PL) Schneider, Hans Joachim Dr. Jubelius, Werner, Kanzler der Fachhochschule Münster

Prof. Dr. Yoshimasu, Shufu

391-405 222-248 656-668 668-691

3

691-712

Sachregister

741

SACHREGISTER (römische Zahlen = Bände; arabische Zahlen = Seiten) Aberglaube I, 1 ff.; III, 31 - Arten des — I, 3 ff. - Begriff des - I, 1 ff. - krimineller - I, 2 ff. Abolitionismus V, 287 ff. - Abolitionsbewegungen V, 289 ff. - Begriff des - V, 287 f. - Geschichte des - V, 288 f. - Kritik des - V, 299 f. - Strategie der Negation V, 292 f. - und Diversion V, 293 f. - und Kriminalitätstheorien V, 298 f. - und Kriminalpolitik V, 292 ff. - und Strafrecht V, 297 - und Straftheorien V, 294 ff. Abschreckung (-» Kriminalpolitik) II, 1 ff.; (-» Vorbeugung des Verbrechens) IV, 404 ff. Abtreibung I, 5 ff., 416 f.; V, 68 f. - Dunkelzahl der — I, 5 f. - Folgen der - I, 22 f. - Fremd-1, 19 - Häufigkeit der - I, 5 f. - Handlung I, 21 f. - in der Bundesrepublik Deutschland I, 10 ff. - Indikationen I, 8 ff. - konfessioneller Einfluß I, 7 - kriminologische Fakten I, 13 ff. - Mentalität gegenüber - I, 8 - Milieueinfluß I, 17 - Mittel I, 21 f. - Motivation I, 18 f. - Selbst- I, 19 - statistische Daten I, 11 ff. - Straftatbestand I, 5 - Strafverfolgungsintensität I, 11, 13 - Täter I, 20 f. - Täterin I, 15 ff. - Umwelteinflüsse I, 7 Abweichung (-• Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung) - Begriff III, 310 ff. Alkohol (-»Alkoholismus) I, 30 ff. - Blutalkoholbestimmung I, 113 - Blutalkoholgehalt I, 297 f. - Fahrtüchtigkeit I, 297 f. - und Straftaten im Alter V, 261 f. - Verkehrsstraftat I, 296 - Wirkung I, 30 Alkoholiker (-• Alkoholismus) I, 30 ff. - Anonyme - I, 35 f. - Begriff I, 30 - Psychosen I, 38 f. - Schuldfähigkeit I, 40 f. - Typus I, 32 Alkoholismus I, 30 ff.; III, 179 - Asozialität und — I, 64 f. - Behandlung I, 34 ff.

- chronischer Alkoholmißbrauch I, 37 f. - Dipsomanie I, 37 - Frauen und — I, 34 - Heilanstalten I, 36 - Klinik des - I, 36 ff. - Kriminogenität I, 39 f. - Straftaten und - III, 179 - Umwelteinfluß I, 33 - Ursachen I, 31 ff. - Wohlstands-1, 33 Alkoholkriminalität (-» Psychiatrie) II, 365 Alternativen zum Strafverfahren und zum Strafvollzug (-• Kriminaltherapie) IV, 495 ff.; (-• Kriminologie: Grundlagen II) II, 515 ff Alterskriminalität I, 42 ff, 510; II, 353; V, 239 ff. - Alkohol und - V, 261 - Alter als kriminologische Variable V, 241 - Alterskategorisierung V, 239 - Alterungsprozeß der Bevölkerung V, 239 - Berufsverbrechertum V, 261 - peliktstypen I, 45; V, 254 ff. - Dunkelfeld der - V, 245 f. - Eigentumsdelikte V, 260 - Entwicklung der - V, 246 ff. - Erklärungsansätze für — V, 241 f., 257 - Geschlecht der Täter V, 248 f. - im Straßenverkehr I, 46 ff. - Ladendiebstahl V, 260 - Lebenssituation alter Menschen V, 240 - Leistungsabbau beim Täter I, 46 ff. - Mord und Totschlag V, 258 f. - Motivation I, 43 ff. - Organisiertes Verbrechen V, 261 - Persönlichkeitsdynamik älterer Menschen V, 253 f. - Rolle geistiger Störungen V, 254 - Schuldfähigkeit I, 45 f., 53 f. - Sexualdelikte I, 49 ff.; V, 254 ff. - Statistik der - V, 245 f. - Struktur der älteren Bevölkerungsgruppen V, 240 - Struktur der - V, 248 ff. - Suizid V, 259 f. - Täterpersönlichkeit I, 45 - Ursachen I, 46 ff; V, 251 ff. - Vergewaltigung V, 254 - vorsätzliche Körperverletzung I, 49 - Weiße-Kragen-Kriminalität V, 261 Amnestie (-» Gnadenerweis) I, 364 ff. Amtsdelikte I, 56 ff.; II, 76; V, 75 f. - Bestechung I, 59 f. - Entwicklung I, 61 - Kriminalität und Berufszugehörigkeit II, 76 - Statistik I, 57 ff. - Straftatbestände I, 57 ff. - Täter I, 60 - Verteilung auf Behörden I, 60 f. Anklageerhebung (-• Strafverfahrensrecht) III, 232

742

Sachregister

Anlage und Umwelt (-• Kriminalsoziologie) II, 63 ff. Antisozialität (-> Sozialhygiene) III, 178 f. Anzeigeverhalten (-• Dunkelfeldforschung) V, 462 Arbeitslosigkeit (-• Kriminalsoziologie) II, 63 ff. Asozialität I, 62 ff.; III, 178 ff. - Begriff I, 62 - Erscheinungsformen I, 63 f. - Geschichte der — I, 67 - Jugendverwahrlosung und - I, 68 f. - Kriminalität und — I, 62 f. - physische Verfassung Asozialer I, 64 - psychische Verfassung Asozialer I, 65 ff. - Psychopathie und - I, 66, 72 f. - Resozialisierung I, 73 f. - soziale Vorbedingungen der - I, 70 f. - Verwahrlosung und — I, 68 Astheniker (-• Asozialität) I, 73 Attentat IV, 157 ff.; (-» Politische Kriminalität) V, 597 ff. - Auswirkungen IV, 168 - Definition V, 597 - Begriffsbestimmung IV, 157 - Einzel-/Gruppen- IV, 158 ff. - Konsequenzen V, 599 - persönliche, soziale und situative Faktoren bei Attentätern V, 598 - Selbstmord/Mord IV, 164 f. - statistische Übersicht IV, 158 ff. - strafrechtliche Sanktionen IV, 165 ff. - Täter-Opfer-Beziehung IV, 165 - Täterpersönlichkeit IV, 161 ff. - Tatausführung IV, 160 f. - Typologie des Attentäters - Ursachen V, 598 f. - Verschwörertheorie IV, 167 - Vorbeugung V, 599 f. Aufklärung von Straftaten (-» Kriminaltaktik) - Hilfsmittel II, 93 f. Ausländerkriminalität V, 578 ff. - demographischer Hintergrund V, 580 f. - Entwicklung des Ausländeranteils in der Bundesrepublik V, 580 f. - Kriminalitätsbelastung V, 581 - Kriminalitätsentwicklung V, 583 f. - kriminalstatistische Verzerrungsfaktoren V, 581 f. - theoretische Erklärungsansätze V, 585 ff. - Verschiedenheit der Ausländergruppen V, 583 ff. Aussagedelikte (-» Rechtspflegedelikte) III, 12 ff. - Bedeutung III, 14 - Entwicklung III, 14 - Erscheinungsformen III, 14 f. - Kriminalistik III, 16 f. - Tätertypologie III, 15 f. - Ursachen III, 15 Aussagepsychologie (-» Forensische Psychologie) I, 205 ff. Bagatellkriminalität (-» Strafrechtsreform) V, 48 ff. - Antragsdelikte V, 50 f. - Betriebsjustiz V, 50

- Kontrolle der - V, 48 ff. - Ladendiebstahlsgesetz V, 50 - Legalitätsprinzip V, 50 f. - materiellrechtliche Lösungsversuche V, 49 f. - Ordnungswidrigkeitenrecht V, 48 f. Banden (-» Kinder- und Jugenddelinquenz) V, 484 ff. Bandendelinquenz (-»Jugendkriminalität) I, 401 ff.; (-• Kinder- und Jugenddelinquenz) V, 484 ff. Begnadigung (-»Gnadenerweis) I, 364 ff. Begünstigung (-» Hehlerei und Begünstigung) I, 373 fT. Behandlung (-» Heilbehandlung) I, 383 ff. - Eingewöhnungsphase I, 386 f. - Methoden I, 384 f., 388 f. - Milieu I, 385 ff. - Nach- 1, 389 f. - Plan I, 386 Behandlungsforschung (-• Kriminaltherapie) IV, 495 ff.; (-• Kriminologie: Grundlagen II) II, 515 fT. Behandlung in Freiheit (-» Kriminaltherapie) IV, 510 fif. - Ausgleichs- und Schlichtungsprozeß IV, 510 f. - Gemeinschaftsbehandlungsprogramme IV, 512 f. - Gemeinschaftsbehandlungsprojekt IV, 512 - GruppenWohnheime IV, 512 - modifizierte Bewährungshilfe IV, 511 f. - Pflegefamilien IV, 512 - Tagesbetreuungsstätten IV, 512 - und Anstaltsstrafvollzug IV, 514 - Wiedergutmachung IV, 513 f. Behandlungsmethoden (-»Kriminaltherapie) IV, 500 ff. - Gruppentherapie IV, 502 ff. - Realitätstherapie IV, 502 - therapeutische Gemeinschaft IV, 501 - transaktionale Analyse IV, 505 - Verhaltensmodifikation IV, 504 f. Behandlungsprognose (-• Kriminalprognose) IV, 318 ff. - Behandlungsprognosetafel IV, 318, 322 f. - Funktion IV, 321 - Prognoseverfahren IV, 319 fT., 324 f. Behandlungsstrafvollzug (-> Kriminaltherapie) IV, 507ff. - Anstaltsmilieu IV, 508 - Anstaltsstruktur IV, 509 - Auswirkungen IV, 507 f. - Behandlungsexperimente IV, 508 - Behandlungsideologie IV, 507 f. - Justizmodell IV, 509 f. - Prisonisierungsprozeß IV, 509 Beleidigungsdelikte (-> Beleidigung und falsche Anschuldigung) I, 75 ff. - Dunkelzahl I, 76 f. - Erscheinungsformen I, 77 - Statistik I, 76, 78 - Täter I, 77 f. - Tatbestände I, 75 f.

Sachregister Beleidigung und falsche Anschuldigung I, 75 ff. Berufsverbot (-» Strafen und Maßregeln) V, 34 f. - Aussetzung zur Bewährung V, 35 - Funktion V, 34 f. - Statistik V, 35 Berufsverbrechertum II, 282; III, 45 f., 65, 70 f.; V, 261 Betäubungsmittelgesetz (-> Rauschmittelmißbrauch) II, 482 ff. - Kritik II, 485 ff. - Tatbestände II, 484 f. Betriebsjustiz (-• Strafrechtsreform) V, 50 Betrug I, 81 ff. - Arten I, 86 f. - Begehungsweisen I, 85 ff. - Begriff I, 81 f. - Beteiligungs-1, 88 - Erscheinungsformen I, 83 ff. - Fälschungs- I, 89 - Kautions-1, 88 - Korruptions-1, 89 - Kredit-1, 87 - Provisions- I, 89 - Schäden I, 92 f. - Schiffahrts- V, 379 - Täter I, 85 ff., 93 - Tatbestand I, 82 ff. - Veranstaltungs-1, 88 - Vermittlungs-1, 88 - Versicherungs-1, 89, 101 Bewährungshilfe (-> Strafaussetzung zur Bewährung) II, 12; III, 115 f.; IV, 39 ff.; V, 177ff, 184 ff. - Aufgaben der - V, 188 f. - ehrenamtliche - V, 185 - Einzelfallhilfe V, 189 - Familientherapie V, 190 - Gemeinwesenarbeit V, 190 - Gruppenarbeit V, 189 f. - Hilfs- und Kontrollfunktionen V, 187 - in Japan IV, 39 ff. - Organisation V, 184 - Rahmenbedingungen V, 185 ff. - Rollenkonflikt V, 188 - Rückfall III, 60 f. - statistische Erhebungen V, 177 ff. Beweismittel (-> Strafverfahrensrecht) III, 236 ff. Blasphemie (-• Religion) III, 31 f. Brandstiftung I, 95 ff. - Bekämpfung I, 105 - Brandermittlung I, 102 ff. - Brandursache I, 103 f. - durch Kinder I, 100 - Eigen-1, 98 ff. - Entzündungsmöglichkeiten I, 99 - fahrlässige - I, 102 - Fremd-1, 98 ff. - Geisteskrankheit und - IV, 121 - Motivation IV, 116 ff. - Motive I, 100 ff.

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- politische Motivation IV, 116 f. - Schäden I, 96 f. - Selbstentzündung II, 107 - Statistik I, 95ff., 100 - Täterpersönlichkeit I, 101 f. - Tatbestände der - I, 95 - zur Verdeckung einer Straftat IV, 120 f. Bundesgrenzschutz (-> Polizei) II, 304 Bundeskriminalamt II, 37 ff., 271, 304; IV, 54 Chemische Untersuchungsmethoden I, 106 ff. - Chromatographie I, 108 f. - Gift I, 106 - Kriminaltechnik I, 106 - Spuren I 106 - Vergiftungsverdacht I, 109 ff. Computerkriminalität V, 265 ff. - Begriff der - V, 265 f. - Bekämpfung von - V, 273 f. - Computersabotage V, 269 - Computerspionage V, 268 f. - Computerviren V, 269 - Dunkelfeld V, 271 - Erscheinungsformen der - V, 266 ff. - Gebrauchsdiebstahl V, 269 f. - Geldautomatenmißbrauch V, 267 f. - Manipulationsformen V, 266 ff. - Schäden durch - V, 271 f. - Softwarediebstahl V, 268 - strafrechtliche Erfassung V, 273 - Tätertypologie V, 272 f. - Umfang der - V, 270 ff. Daktyloskopie (-» Kriminalpolizei) II, 22 Demonstrationsrecht (-+ Strafrechtsreform) V, 71 f. Detektivgeschichte (-> Kriminalroman) II, 49 ff. - Gangstergeschichte II, 51 f. - historische Wurzeln der - II, 49 - humorige - II, 52 - Jugend- II, 52 f. - klassische — II, 49 f. - Sonderformen der - II, 50 f. Diebstahl I, 117ff.; II, 112ff.; V, 347ff„ 359f„ 380 f. - Automaten-1, 122 - Banden-1, 138 f. - Begriff I, 117 ff. - Behandlung I, 145 - Beischlaf - I, 123 - Boots-/Bootszubehör- V, 380 f. - Dunkelzahl I, 121 - Eisenbahn-1, 123 - Erscheinungsformen I, 122 ff.; II, 115 - Fahrrad-1, 131 f. - Feld-/Forst-1, 123 - Fetischismus und - I, 124 - geschichtliche Entwicklung V, 348 f. - gesellschaftlicher Stellenwert I, 142 - gesetzliche Regelung V, 348 - Hotel-1, 127

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Sachregister

- Kfz-1, 128ff.; II, 116f. - kriminaltaktisches Vorgehen II, 112 ff.; V, 359 ff. - kriminelle Karriere I, 142 f. - Kunstwerk- I, 132 - Laden- 1, 128, 132; V, 347 f. - Motivation I, 140 ff. - Pubertät und - I, 144 - Rückfall-1, 137 f. - Spuren II, 113 ff. - Statistik I, 118 ff., 128 - Strafen I, 144 f. - Taschen-1, 133 - Transportgüter-1, 136 - Tresoranlagen II, 113 - Trick-1, 135 - Umwelteinfluß und - I, 140 f. - Ursachen I, 139 ff. - Vieh-1, 123 f. Diversion V, 275 ff. - Auswirkungen V, 283 f. - Begriff V, 275 - im Ausland V, 279 f. - im Erwachsenenstrafrecht V, 282 f. - im Jugendstrafrecht V, 280 ff. - in den USA V, 277 ff. - kriminalpolitische Beurteilung V, 285 - Kritik V, 276 f., 284 - Modelle für Jugendliche V, 280 f. - Rechtsgrundlagen V, 280, 282 - Struktur V, 281 ff. - Verbreitung V, 281 fT. - Ziele V, 275 f. Drogenabhängigkeit (-> Rauschmittelmißbrauch) II, 477 ff., 508 ff. - Rehabilitation II, 509 ff. - Sucht II, 477 ff. - Therapie II, 508 fT. Drogenkonsum (-> Rauschmittelmißbrauch) II, 495 ff. - als Prozeß II, 502 ff. - gesellschaftliche Reaktion II, 506 ff. - Gruppenbildung II, 504 ff. - im Ausland II, 497 ff. - in der Bundesrepublik Deutschland II, 495 ff. - Motive II, 502 - Persönlichkeit und - II, 500 ff. - Ursachen II, 499 ff. Drogenkriminalität II, 364 f., 488 ff. - Bekämpfung der - II, 490 ff. Dunkelfeldforschung V, 453 ff. - Anzeigeverhalten V, 462 - Begriff des Dunkelfeldes V, 453 - Befragung in das Opferwerden V, 457 ff. - Befragung in das Täterwerden V, 456 f. - Dunkelziffer V, 453 - Dunkelzifferrelation V, 454 - Ertrag V, 459 ff. - Geschichte V, 454 - Informantenbefragung V, 459 - kriminalpolitische Bedeutung V, 461 ff.

- Methoden V, 454 ff. - Verhältnis zur Polizeilichen Kriminalstatistik V, 461 f. Dunkelzahl (-» Kriminalstatistik, Kriminalpolitik) I, 6, 97, 121; II, 7, 10, 212 ff.; III, 53, 193 f., 217, 538 f. - bei der Brandstiftung I, 97 f. - bei Straftaten II, 7 - beim Diebstahl I, 121 - der kriminellen Abtreibung I, 6 Ehe (-• Ehe und Familie) I, 147 ff. - Entwicklung I, 148 f. - Kriminalitätsursachen in der — I, 154 ff. - Kriminalität und — I, 155 ff. - Straftaten gegen die - I, 175 ff. - Ursprung I, 148 f. Eigentumsdelikte III, 467ff., 556; V, 260f. - im Alter V, 260 f. - Organisiertes Verbrechen III, 467 ff. - viktimogene Situationen III, 556 Einbruch (->· Diebstahl) I, 124 ff. - Geldschrank-1, 124 ff. - Geschäfts-1, 126 f. - Kfz-1, 129 - Technik des - I, 125 f. - Wohnungs-1, 136 f. Einzelhaft (-«· Haftpsychologie) IV, 447 ff. - Affektspannung IV, 450 - depressive Haftgefühle IV, 449 - Folgen der - IV, 451 f. - Konzentrationsunfähigkeit in der - IV, 448 - Sexualität und - IV, 450 f. - Wahrnehmungsstörungen in der - IV, 447 f. - Zellengrübelei IV, 448 Entführung (-> Gewaltkriminalität) IV, 94 f. Entlassenenfürsorge (-» Straffälligenhilfe) IV, 553 ff.; (-» Strafvollzug: Grundlagen) III, 268 ff. Entziehung der Fahrerlaubnis (-> Strafen und Maßregeln) V, 34 Erkennungsdienst (-» Kriminaltechnik) II, 139 ff., 150 - Schreibmaschinen- II, 181 Erkennungsdienstliche Behandlung (-»Kriminaltechnik) II, 152 ff. - gesetzliche Grundlage II, 153 Ermittlungsverfahren (-*• Strafverfahrensrecht) III, 230 ff. Erpressung I, 179 ff. - Aufklärung I, 186 ff.; II, 112 - Erscheinungsformen I, 181 ff. - Fälle von - IV, 105 ff. - Kriminalitätsentwicklung I, 181 - Kriminaltaktik bei der - II, 112 - Motivation I, 184 - Rückfall I, 184 - Täter I, 183 f. - Tätertechnik I, 185 f. - Tatbestand I, 179 f. - Tatbestandsentwicklung I, 180 f.

Sachregister Ersatzfreiheitsstrafe (-» Strafrechtsreform) V, 60 - Statistik V, 33 - Voraussetzungen der Aussetzung der - V, 32 f. Erwachsenenbildung im Strafvollzug V, 222 ff. - als Kriminalitätsprophylaxe V, 226 f. - als soziales Training V, 227, 234 f. - als Vollzugs- und Behandlungsmaßnahme V, 228 f. - Ausbildungsförderungsgesetz V, 232 f. - Bedeutung der - V, 223 f. - Begriff V, 222 f. - berufliche Bildung V, 225 f. - berufliche Förderung V, 233 f. - Berufsbildungsgesetz V, 232 f. - Durchführungsprobleme V, 229 f. - Entwicklung der — V, 224 f. - Entwicklungschancen V, 235 f. - Erfolgsgrenzen V, 236 - Erwachsenenbildungsgesetz V, 233 - Grundsatzvorstellungen der - V, 228 - inhaltliche Ausgestaltung V, 230 f. - institutionelle Voraussetzungen V, 231 f. - organisatorische Voraussetzungen V, 232 - pädagogische Konzeptionen V, 224 - rechtliche Regelung der - V, 230 ff. - soziale Kompetenz V, 228 - Unterrichtsangebote V, 234 - Vollzugspädagogik V, 227 f. Ethnische Minderheiten I, 188 ff. - Geschichte I, 189 - Kriminalisierung I, 189 ff. - Vorurteile gegen - I, 189 f. Ethnologische Forschungen I, 191 ff. - Naturvölker und Recht I, 195 ff. - Strafrechtspflege der Naturvölker I, 197 ff. Etikettierungstheorie (-• Kriminologie: Grundlagen) II, 538 Euthanasie (-» Verbrechen unter totalitärer Herrschaft) III, 453 ff. Exhibitionismus I, 415; III 575 f. Exhumierung (-• Gerichtliche Medizin) I, 274 ff. Fahndung IV, 248 ff. - Alarm- IV, 252 - Auslands- IV, 251 - Begriffsbestimmung IV, 248 - EDV IV, 253 ff. - Fahndungsbeamte IV, 249 f. - Fahndungsbuch IV, 253 - Fahndungshilfen IV, 256 - Fahndungskartei IV, 252 ff. - Fahndungsmaßnahmen II, 127; IV 258 - Fingerabdrücke IV, 254 f. - gesetzliche Grundlagen IV, 249 - Grenz- IV, 251 - Groß- II, 132; IV, 252 - Inlands- IV, 251 - Kfz- II, 129 f. - kriminalgeographische Grundlagen IV, 250 - Nachrichtenblätter und - IV, 255 f.

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- Öffentlichkeits- II, 127 f.; IV, 252, 256 fT. - Personen- II, 21 f., 126f., 130; IV, 251 - Sach- 1, 382f.; II, 21 f., 128 ff.; IV, 251 - Vorrang- IV, 252 Fahrlässige Tötungsdelikte V, 89 ff. - ärztliche Kunstfehler V, 94, 100 - Eisenbahnunglücke V, 91 f., 99 - Fahrlässigkeit V, 98 - Flugzeugunfälle V, 92 f., 99 - historische rechtliche Beurteilung V, 97 - in der öffentlichen Meinung V, 102 - Militärunfälle V, 93 f., 100 - Reformen V, 102 - Schiffsunglücke V, 90 f., 99 - Spielunfälle V, 93, 99 - Sportunfälle V, 93, 99 - Strafverfahren bei - V, 98 ff. - Strafzumessung V, 100 ff. - Straßenverkehr V, 89 f., 99 - Tätertypologien V, 95 ff. - Ursachen für - V, 96 f. Fahrlässigkeit (-• Fahrlässige Tötungsdelikte) - Begriff der - V, 98 Fahrverbot (-» Strafen und Maßregeln) - Anwendung V, 21 - Zeitraum V, 21 - Zweck V, 21 Falschbeurkundung (-> Urkundendelikte) IV, 206 f., 213ff. - Erscheinungsformen IV, 214, 216 - Kriminalstatistik IV, 213 f., 216 - Kriminaltaktik IV, 215, 217 - Kriminaltechnik IV, 215, 217 - mittelbare - IV, 216 ff. - Tätertypologie IV, 215, 217 - unmittelbare - IV, 213 ff. - Ursachen IV, 214f., 216f. - Verbrechenstechnik IV, 215, 217 Falsche Anschuldigung I, 78 ff.; (-» Rechtspflegedelikte) III, 17 ff. - Bedeutung III, 18 - Entwicklung III, 18 - Erscheinungsformen I, 78; III, 18 f. - Statistik I, 79 f. - Täter I, 80; III, 20 - Tätermotivation I, 79 f. - Tatbestand I, 78 - Ursachen III, 19 Falsche Anschuldigung (-» Beleidigung und falsche Anschuldigung) I, 75 ff. Falschspiel (-» Glücks- und Falschspiel) I, 350 ff. Familie I, 147 ff.; III, 114; IV, 19 ff. - Einstellung zur Straffalligkeit in der - I, 165 - Entwicklung der - I, 148 ff. - Groß- I, 149 - Jugenddelinquenz und - III, 114 - Kern- I, 149 f. - Klein-1, 149 - Kriminalitätsursachen in der - I, 154 ff. - kriminologische Forschung zur — I, 178 f.

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Sachregister

- Sozialisationsprozeß I, 150 ff. - Straftaten gegen die - I, 175 ff. - Struktur I, 149 f. - Struktur der - in Japan IV, 19 ff. - Ursprung I, 148 f. Fehlurteil IV, 259 ff. - Auswirkungen des - IV, 262 - Beurteilung sich widersprechender Urteile IV, 261 f. - Definition IV, 259 - fehlerhafte Sachverhaltsfeststellungen IV, 261 - Fehler in der Beweisführung IV, 263 f. - Geständnis IV, 264 - Personalbeweis IV, 263 - Sachbeweis IV, 269 - Sachverständigenbeweis IV, 267 f. - Verfahrensfehler IV, 269 f. - Vermeidung von - IV, 270 - Wahrheitsfindung IV, 262 f. - Wiederaufnahmeverfahren IV, 260 - Zeugenbeweis IV, 265 f. Fernsehen (-• Massenmedien) IV, 363 ff. - Adaptationsanalyse IV, 365 - „Aktenzeichen XY ungelöst" IV, 380 ff. - Enkulturationsaufgabe IV, 364 - konstruierte Fernsehrealität IV, 364 - Kriminalfernsehspiel IV, 364 - Kriminalitätsdarstellung im — IV, 363 - Normvorstellungen der Rezipienten IV, 365 - Sozialisationsaufgabe IV, 364 Fetischismus (-• Diebstahl) I, 124 Fingerabdrücke (-» Kriminaltaktik) II, 96 ff; (-» Kriminaltechnik) 150 ff. - Abdrucksammlungen II, 156 - Auswertung II, 156 f. - Einzelfingerabdruck II, 97 f. - Fälschung II, 99f., 157 - Herstellung II, 152 - Sichtbarmachung II, 155 - Zehnfingerabdruck II, 98 f., 152 f. Folter (-»Politische Kriminalität) V, 619 f. Forensische Psychiatrie II, 344 ff. - Abhandlungen zur - II, 348 f. - Abnorme Reaktionen II, 359 ff. - Begriffsbildung II, 346 f. - Epilepsie I, 392 f. - Gefährdetenhilfe II, 361 f. - Gesundheitsstörung II, 358 f. - Hysterie I, 397 f. - Jurisprudenz und - II, 347 f. - Neurosen I, 394 f.; II, 359 ff. - organische Hirnschädigungen I, 393 f. - Problematik von Gesetzesreformen II, 403 f. - Psychopathien I, 396 f.; II, 359 ff. - Psychosen I, 398 f.; II, 356 ff. - Schwachsinn I, 391 f. - Störungen des Sexualverhaltens II, 366 ff., 369 ff., 389 ff. - Sucht II, 363 ff.

Forensische Psychologie I, 205 ff. - Aufgabe I, 207 - Aussagepsychologie I, 210 ff. - Begriff I, 207 - Glaubwürdigkeitsuntersuchung von Aussagen I, 208 ff. - Lügendetektor I, 209 f. - Primitivreaktion I, 221 ff. - Sachverständiger I, 207 ff. Frauenkriminalität - Altersbelastung V, 629 f. - Ausfilterungsprozesse V, 626 f. - Dunkelfeld V, 625 f. - Entwicklung V, 631 ff. - Hellfeld V, 625 - Reaktion auf - V, 641 ff. - Rückfall V, 629 - Struktur V, 627 fT. - Tatbegehungsmuster V, 628 f. - und Gesamtkriminalaufkommen V, 625 - und Kriminalitätsbelastung V, 625 - und Kriminalitätsstruktur V, 627 ff. - und Trichtereffekt V, 626 - Ursachen V, 634 ff. - Wandlung der - V, 638 ff. Frauenkriminalität (-> Weibliche Kriminalität) III, 608 ff. FrauenmiBhandlung (-> Vergewaltigung) V, 526 Frauenstrafvollzug III, 608 ff., 640 ff.; IV, 490 f. - Arbeit im - III, 647 - Behandlung III, 643 ff. - Entlassung III, 651 f. - Erkrankungen III, 648 - Freizeit III, 647 f. - Mutterschaft III, 650 - ofTener - III, 646 f. - Organisation III, 641 - Personal III, 641 f. - Prognose III, 650 f. - Rückfall III, 652 f. - Sexualität und - III, 649 Freiheitsberaubung ("-> Freiheitsdelikt) I, 232 f. Freiheitsdelikte I, 231 fT.; V, 69 f. - Hausfriedensbruch I, 236 - Nötigung I, 235 f. - Statistik I, 232 - Tatbestände I, 233 ff. Freiheitsentzug (-» Kriminologie: Grundlagen) II, 549 ff. Freiheitsstrafe II, 549 ff.; V, 58 ff. - Alternativen zur - II, 552 f. - Aussetzung zur Bewährung V, 30 ff. - Bewährungsauflagen V, 31 f. - einheitliche - V, 58 ff. - historische Entwicklung III, 255 ff. - Klassifikation V, 26 - kurzzeitige - V, 26, 58 f. - lebenslange - V, 26 f., 59 f. - persönliche Konsequenzen II, 551 - Rückfall II, 550 ff.

Sachregister - Therapie in der - II, 550 ff. - Verhältnis der - zur Geldstrafe V, 26 - Vollzug V, 27 fT. - Widerruf der Bewährung V, 32 Führungsaufsicht V, 33 f., 181 ff. - Aufgaben V, 187 - Organisation V, 184 f. - rechtliche Stellung V, 187 f. - Statistik V, 34, 181 ff. - Voraussetzungen V, 33 - Weisungen V, 33 f. - Weisungsverstoß V, 33 f. Fürsorge I, 236 ff. - Anstaltsunterbringung I, 244 f. - freie Wohlfahrtspflege I, 247 - Geschichte der - I, 236 ff. - Gesetze und Verordnungen I, 237 f. - Jugend-1, 246 - NichtSeßhaftigkeit I, 242 f., 245 ff.

- Seuchenbekämpfung I, 245 - Zwangsmaßnahmen I, 244 ff. Fürsorgeerziehung (-»Verwahrlosung) III, 529 f. Gangstergeschichte (-• Detektivgeschichte, Kriminalroman) II, 47 ff. Gaunersprache I, 249 ff. - graphische Zeichen I, 253 f. - Rotwelsch I, 250 ff. Geheimschrift (-• Kriminaltechnik) II, 185 ff. Geiselnahme (-• Gewaltkriminalität) IV, 89 f., 91 ff. - Entwicklung IV, 91 f. - in Flugzeugen IV, 100 ff. - in Gefangnissen IV, 96 ff. Geiselnehmer (-»Gewaltkriminalität) - Täterpersönlichkeit IV, 103 ff. Geisteskrankheit (-• Forensische Psychiatrie) II, 344 ff. Geldfälschung I, 254 ff.; V, 72 f. - Begriff I, 254 - Bekämpfung I, 263 ff. - Ermittlung I, 266 f. - Falschgeldaufkommen I, 263 - Geschichte I, 254 ff. - Herstellungsverfahren I, 257 ff. - Motivation I, 261 ff. - Statistik I, 260 ff. - Täter I, 260 ff. - Tatbestände I, 256 f. - Verbreitung von Falschgeld I, 259 - Vorbeugung I, 267 Geldstrafe (-> Strafen und Maßregeln) V, 19f., 60 - Ersatzfreiheitsstrafe V, 20 - Leistungsobjekt V, 20 - Tagessätze V, 19 f. Gemeinschaftshaft (-• Haftpsychologie) IV, 452 f. - defensive Massenmoral IV, 453 - psychische Wirkungen der — IV, 452 f. Generalprävention (-• Kriminalpolitik) II, 3 ff. - Strafrechtskenntnis II, 6 f. Genetik (-+ Psychiatrie) II, 349 f.

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Genocidium (-• Völkermord) I, 268 ff; (-» Politische Kriminalität) V, 607 ff. Gerichtliche Medizin I, 110 ff., 274 ff. - Aufgabe I, 274 - Blutgruppenbestimmung I, 275 f. - Erdrosseln I, 286 f. - Erhängen I, 286 f. - Erstickungstod I, 285 ff. - Ertrinken I, 288 f. - Erwürgen I, 286 f. - Hungertod I, 289 - Kältetod I, 289 f. - Leichenuntersuchung I, 279 ff. - Leichenzersetzung I, 278 f. - Schußverletzungen I, 293 ff. - Selbstmord I, 287, 295 - Tod durch elektrische Energie I, 291 f. - Todesarten I, 282 ff. - Todesursache I, 281 f. - Todeszeit I, 277 ff. - Vaterschaftsausschluß I, 303 ff. - Verbrennungen I, 290 f. - Verbrühungen I, 290 - Verkehrsmedizin und - I, 296 ff. - Verletzungsarten I, 282 ff. Gerichtsorganisation (-» Reform des Strafverfahrensrechts) IV, 127 f. - in Japan IV, 28 ff. Gerichtsverfassung I, 307 ff. - Amtsgericht I, 313 f. - Bundesgerichtshof!, 315 - Bundesverfassungsgericht I, 315 f. - Einteilung des Rechts I, 307 - Gerichtsaufbau I, 312 ff. - Gerichtshoheit I, 308 - Jugendgericht I, 313 f. - Landgericht I, 314 f. - Öffentlichkeit des Verfahrens I, 310 - Oberlandesgericht I, 315 - ordentliche Gerichtsbarkeit I, 313 f. - Rechtsprechungseinheit und - I, 310 f. - Richterstellung I, 309 f. Geschichte der Kriminologie (-» Kriminologie: Grundlagen) II, 187 ff. Geschichte der Strafrechtspflege I, 317 ff. - Aufklärungszeitalter I, 327 ff. - Constitutio Criminalis Bambergensis, I, 323 ff. - Constitutio Criminalis Carolina I, 323 ff. - Folter I, 322ff., 325 - gemeines Recht I, 325 ff. - germanisches Rechtsdenken I, 317 ff. - Handhaftverfahren I, 319, 321 - Hexenprozesse I, 327 - Inquisitionsprozesse I, 322 ff., 326 - Land- und Gottesfrieden I, 320 f. - Mittelalter I, 319 ff. - Reformen I, 328 f. - Strafgesetzbuch I, 331 ff. - Strafgesetze I, 331 ff. - Sühneleistungen I, 318

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Sachregister

Geschichte und Kriminologie (-> Historische Kriminologie) IV, 143 ff. - Aufgaben IV, 144 f. - Forscherpersönlichkeit IV, 146 - Problemfelder IV, 145 Gewaltenteilung (-• Gerichtsverfassung) I, 307 f. Gewaltkriminalität IV, 80 ff. - erpresserischer Kindesraub IV, 92 ff. - Fluchtgeisel IV, 98 ff. Gewohnheitsverbrecher (-» Rückfall und Prognose) III, 45 f. - strafrechtliche Behandlung im Ausland III, 49 f. Gift (-> Gift und Vergiftung) I, 333 ff. - Abbau I, 346 - Arten I, 339, 342 ff. - Aufnahme I, 345 - Beibringung von — I, 336 f. - Giftempfindlichkeit I, 343 f. - Nachweis I, 349 - tödliche Dosen wichtiger Gifte I, 344 - Wirkung I, 339, 342 ff. Glücksspiel (-» Glücks- und Falschspiel) I, 350 ff. - Falschspieler I, 357 ff. - Falschspielerbanden I, 359 ff. - Falschspielertaktik I, 358 ff. - gewerberechtliche Zulassung I, 355 f. - Rechtslage I, 351 ff. - Spielbetrug auf Jahrmärkten I, 362 f. - Spielerpersönlichkeit I, 357 f. - Spielkartenbetrug I, 360 - Straftatbestände I, 351 ff. Gnadenerweis I, 364 ff. - Gnadenbestimmungen in der Bundesrepublik Deutschland I, 365 ff. - Gnadenbestimmungen in der D D R I, 367 - Gnadenbestimmungen in der Schweiz I, 367 - Gnadenbestimmungen in Frankreich I, 367 - Gnadenbestimmungen in Österreich I, 367 - Rechtsnatur I, 364 f. - Rechtsvorschriften I, 365 ff. Graphologie (-» Psychologie des Verbrechens) II, 443 ff. - Kriminalpsychologie II, 443 ff. - Verbrechensaufklärung und - I, 370 f. Haftpsychologie IV, 445 ff. - Begriffsbestimmung IV, 445 f. - Einzelhaft IV, 447 ff. - Gemeinschaftshaft IV, 452 f. - Haftbedingungen IV, 446 - Strafanstaltsmilieu IV, 446 f. Handschrift I, 368 ff. - Begriff I, 368 f. - Geheimschriften I, 372 f. - Identifizierung nachgeahmter — III, 103 f. - Identifizierung verstellter - III, 101 ff. - Individualität I, 369 f. - Schriftgutachten I, 371 f. - Untersuchung der — I, 372 Hangtäter (-• Rückfall und Prognose) III, 45

Haßverbrechen (-• Kinder- und Jugenddelinquenz) V, 490 fr. Hausfriedensbruch (-• Freiheitsdelikte) I, 236 Hehlerei I, 373 ff. - Begehungsweise I, 379 - Bekämpfung I, 380 fT. - Entwicklungsgeschichte I, 373 f. - Erscheinungsformen I, 380 - Motivation I, 379 - Objekte I, 379 f. - statistische Daten I, 375 ff. - Strafzumessung I, 381 f. - Täterpersönlichkeit I, 376 ff. - Tatbestand I, 374 Heilbehandlung I, 383 ff. - Pädagogik und — I, 387 - Therapie I, 388 f. - Umerziehung I, 387 HeUpädagogik I, 391 ff. - Begriff I, 391 - bei Geisteskrankheiten I, 391 ff. - bei neuropathischen Kindern I, 395 f. - bei Reifungsanomalien I, 399 f. Heranwachsende (-» Forensische Psychologie) I, 227 fr. Historische Kriminologie IV, 142 ff. - Aufgaben IV, 150 ff. - Quellen IV, 147 ff. Holocaust (-» Politische Kriminalität) V, 607 ff. Homosexualität (-• Psychiatrie) II, 368 f. Identitätsfeststellung (-» Kriminaltechnik) II, 138 f., 152 - Geschichte II, 149 f. - Personenidentifizierung II, 148 f. Individualprävention (-»Kriminalpolitik) II, 1 ff. Individualprognose (-» Kriminalprognose) IV, 274 f. - klinische - IV, 274 - statistische - IV, 274 - typologische - IV, 274 - Ziel der - IV, 275 - Zweck der - IV, 275 f. Individualpsychologie (-• Kriminalpsychologie) II, 415 ff. INPOL-System (-«· Kriminalistik) V, 143 ff. - Dokumentationssysteme V, 145 f. - Fahndungsdateien V, 144 - Informationssysteme V, 145 f. - Kriminalaktennachweis V, 143 f. - PlOS-Verfahren V, 144 f. Institute (-• Organisationen und Institute) II, 259 ff. Intensivtäter (-» Rückfall und Prognose) III, 38 ff. Interaktionismus (-> Kriminologie: Grundlagen) II, 536 ff. - empirische Erforschung II, 546 ff. - gemäßigter - II, 540 f. - primäre Sozialabweichung II, 537 - sekundäre Sozialabweichung II, 537 Internationale Organisationen (-> Organisationen und Institute) II, 262 ff., 267

Sachregister - Internationale Kriminalistische Vereinigung II, 262 f. - Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission II, 267; IV, 60 ff. - Internationale Kriminologische Gesellschaft II, 263 f. Internationale Verbrechensbekämpfung IV, 46 ff. - Abkommen IV, 54 ff. - Auslieferungsgesetz IV, 52 ff. - Effizienz IV, 77 ff. - Entwicklung IV, 58 f. - internationale Zusammenarbeit IV, 76 f. - Rechtsvorschriften IV, 49 ff. Interpol (-• Organisationen und Institute) II, 267 ff. - Arbeitsweise IV, 68 ff. - Aufgaben IV, 68 ff. - Entwicklung IV, 63 ff. - in der Bundesrepublik Deutschland IV, 75 f. - Instrumentarien IV, 68 ff. - internationale Ausschreibung IV, 70 ff. - Mitgliedsstaaten, IV, 64 f. - nationale Zentralbüros IV, 74 ff. - Organisation IV, 66 ff. - Publikationen IV, 72 - Status IV, 65 f. - Statuten IV, 56 f. Jagd (-> Wilderei) IV, 222 ff. Jagdwilderei (->· Wilderei) IV, 222 ff. - Aufklärungsquote IV, 225 - Dunkelfeld IV, 225 f., 235 - Erscheinungsformen IV, 224 ff. - Spurenauswertung IV, 242 ff. - Statistik IV, 231, 240 f. Japan (-• Vergleichende Kriminologie: Japan) IV, Iff. - Ausländerkriminalität IV, 13 f. - Industrialisierung IV, 23 ff. - Jugendkriminalität IV, 14, 16 ff. - Jugendrecht IV, 8 - Rechtsgeschichte IV, 1 ff. - Schulsystem und Kriminalität in - IV, 21 ff. - Sozialgeschichte IV, 1 ff. - Sozialstruktur und Kriminalität in — IV, 26 ff. - Strafrecht IV, 5 ff. - Urbanisierung IV, 25 f. - Vergeltungsideologie in - IV, 41 f. - weibliche Kriminalität IV, 14 f. Jugenddelinquenz I, 401 ff.; II, 90; III, 183 ff.; V, 467 ff. - Alkoholgenuß und - I, 423 f. - Asozialität und - I, 69 - Bandendelinquenz III, 114 f. - Berufstätigkeit der Mutter und - I, 167 - Brandstiftung I, 419 - Dunkelzahl III, 106 - Erscheinungsformen I, 402 ff. - Familie und - I, 158 ff, 161 ff, 170, 426, 428 - Film und - II, 234 ff. - Homosexualität I, 412 f.

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- in Japan IV, 14 - Kinderdelinquenz und - III, 106 ff., 115 - Körperverletzung I, 417 - Kollektivdelikte I, 419 f. - Mutter-Kind-Beziehung I, 164 ff. - Persönlichkeit und - I, 427f., 430 - Reifungsstörung und - II, 351 f. - Schichtzugehörigkeit und - I, 160 f. - Schule und - III, 106ff„ 110f„ 116f. - Sexualdelikte I, 403 ff. - Statistik I, 402 ff. - Straßenverkehrsdelikte I, 421 ff. - Tötungsdelikte I, 416 f. - Umwelt und - I, 426 ff. - Ursachen I, 399 f., 424 ff., 504,; III, 109 f. - Vatereinfluß I, 168 f. - Vergewaltigung I, 413 ff. - Vermögensdelikte I, 417 ff. Jugenddelinquenz (-» Kinder- und Jugenddelinquenz) V, 467 ff. Jugendgerichtsverfahren (-»Jugendstrafrecht) I, 455 ff. Jugendgerichtsverfassung (-• Jugendstrafrecht) I, 465 ff. - Entwicklung I, 465 f. - Verfahrensbeteiligte I, 466 f. Jugendschutz I, 436 ff. - Alkoholkonsum und - I, 449 - Arbeitswelt und - I, 439, 453 - Begriff I, 437 - Familie und - I, 438 - Film und - I, 449 f. - Freizeit und - I, 439 - Gesetze I, 442, 447 ff. - Glücksspiel und — I, 356 - in der Öffentlichkeit I, 447 ff. - jugendgefährdende Schriften I, 451 ff. - Jugendpflege I, 453 f. - Konsum und - I, 439 - Schule und - I, 438 - Strafrecht und - I, 440 ff. - Strafverfahren und - I, 444 f. Jugendstrafanstalt (-»Jugendstrafvollzug) IV, 524 f. - Anstaltsarten IV, 546 f. - in Japan IV, 33 Jugendstrafe (-»Jugendstrafrecht) I, 463 f.; V, 21 ff. - Aussetzung der Verhängung der — V, 24 - Aussetzung der Vollstreckung der - V, 24 f. - Aussetzung zur Bewährung V, 24 ff. - Bewährungsauflagen V, 25 f. - Bewährungshilfe I, 465 - Dauer V, 22 f. - Funktion V, 22, 23 f. - Statistik V, 22 - Vollzug V, 23 f. - Zulässigkeit V, 21 f. Jugendstrafrecht I, 455 ff; IV, 8; V, 280 ff. - Altersgruppen I, 459 f. - Aussetzungsmöglichkeiten im — I, 464 f. - B e g r i f f I, 455 f.

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Sachregister

- Borstalsystem I, 470 - Diversion im - V, 280 ff. - Entwicklung I, 456 ff. - Erziehungsmaßregeln I, 461 f. - Erziehung und — I, 457 f. - Fürsorgeerziehung und — I, 458, 462 f. - in Japan IV, 8 - Jugendstrafe I, 463 f. - Maßnahmen gegen Jugendliche I, 460 ff. - Probationssystem I, 470 - Rehabilitation I, 470 - strafrechtliche Verantwortlichkeit I, 461 - Subsidiaritätsprinzip im - I, 458 f. - Täterpersönlichkeit und - I, 457 f. - Verfahren I, 467 f. - Verhältnis zum allgemeinen Strafrecht I, 459 - Zuchtmittel I, 463 Jugendstrafvollzug I, 469f.; III, 117 ff; IV, 522 ff. - Aufgabe IV, 526 f. - Außenweltkontakt IV, 550 - Behandlung III, 120 ff. - bei Frauen und Mädchen IV, 523 - berufliche Förderung IV, 548 f. - Betreuung IV, 550 ff. - Entlassungsmaßnahmen IV, 529, 551 f. - Erfolg IV, 531 f. - Erziehungsaufgabe III, 118 ff. - Erziehungsziele IV, 527 ff. - Freizeitgestaltung III, 119 ff; IV, 528, 549 f. - Geschichte des - IV, 535 ff. - Gruppentherapie III, 120 f. - in Afrika IV, 541 - in Amerika IV, 541 f. - in Asien IV, 542 - in Europa IV, 543 ff. - Klassifikation IV, 548 - Kosten IV, 547 - Lockerung des - IV, 528 f. - Organisation IV, 524 f. - Personal IV, 530, 547 - Persönlichkeitserforschung IV, 547 f. - Problematik des - IV, 526 f., 535, 540, 546 ff. - rechtliche Regelung IV, 523 f. - Rechtsvergleichung IV, 538 f. - Reformbestrebungen IV, 532 f. - Reformentwicklung IV, 537 ff., 552 f. - schulische Weiterbildung III, 117 f.; IV, 549 - Seelsorge IV, 528 - Sicherheit und Ordnung im — IV, 548 - Sicherungsmaßnahmen IV, 529 f. - Sonderregelung für Erwachsene IV, 522 f. - Statistik IV, 522 - Verhaltenstherapie III, 121 - Vollzugsanstalten IV, 524 f. - Zwangsmaßnahmen IV, 530 Jugendwohlfahrt (-» Sozialhygiene) III, 185 f. Karriere (->· Grundlagen der Kriminologie) II, 515 ff. - kriminelle II, 541 f.

Kastration (-> Psychiatrie) II, 389 ff. - gesetzliche Regelungen II, 389 ff - medikamentöse — II, 391 Kinderdelinquenz (-» Schule) III, 106 f. Kinderpomographie (-»Organisiertes Verbrechen) V, 567 f. Kinder- und Jugenddelinquenz - Arbeitslosigkeit V, 480 - Bandendelinquenz V, 484 ff. - Bandendelinquenz als Prozeß V, 486 - Banden-Typologie V, 484 f. - Baustruktur V, 483 f. - Begriff der Jugendbande V, 484 - Charakteristik V, 470 f. - Definition der Delinquenz V, 467 f. - Delinquenz junger Ausländer V, 474 f. - Delinquenz weiblicher Jugendlicher und Heranwachsender V, 473 f. - Drogendelinquenz V, 488 f. - empirische Erforschung V, 476 ff. - Entstehung der Bandendelinquenz V, 485 f. - Entwicklung V, 471 - Erscheinungsformen der Jugendbande V, 485 - Familie V, 480 ff. - Gleichaltrigengruppe V, 484 - Häufigkeit V, 469 f. - historische Entwicklung des Konstrukts der Delinquenz V, 468 f. - Haßverbrechen V, 490 ff. - internationaler Vergleich V, 492 f. - Jugendkrawalle V, 487 - Jugendvandalismus V, 487 f. - Jugendvandalismus - Ursachen V, 488 - Konstrukt der Delinquenz V, 467 f. - Kontrolle V, 493 - Längsschnittuntersuchungen V, 477 ff. - Mädchendelinquenz V, 473 f. - Massenmedien V, 482 f. - Querschnittuntersuchungen V, 476 f. - Religion V, 483 - Schicht V, 480 - Schule V, 482 - Schulvandalismus V, 487 f. - Schulvandalismus - Ursachen V, 488 - Skinheads V, 492 - Straßenkinder V, 489 f. - Struktur der Delinquenz der Jugendlichen und Heranwachsenden V, 473 - Struktur der Kinderdelinquenz V, 471 ff. - Theorien zur Verursachung des Problems der Straßenkinder V, 489 f. - Ursachen V, 475 ff. - Ursachentheorien mittlerer Reichweite V, 475 f. - Verhütung V, 493 ff. - Verteilung V, 473 ff. Kindesmißbrauch (sexueller) (-» Sexueller Mißbrauch an Kindern) V, 502 ff. Kindesmißhandlung (körperliche) I, 479ff.; III 547ff.;V, 324 ff. - Begriff V, 324 ff.

Sachregister - Bekämpfung V, 338 ff. - individuelle und soziale Auswirkungen V, 336 ff. - Phänomenologie V, 329 f. - Umfang V, 327 f. - Ursachen V, 330 ff. - viktimologische Analyse der - III, 547 ff. - Vorbeugung V, 341 ff. Kindestötung (-» Gerichtliche Medizin) I, 300 ff. - Begehungsweisen I, 302 f. - Geburt und - I, 300 ff. - Psychologie der — I, 301 ff. Kleptomanie (-» Diebstahl) I, 142 fT. Klinische Kriminologie (-* Kriminologie: Grundlagen II.) II, 515 ff. Körperverletzung I, 472 ff. - ärztlicher Eingriff I, 477 f. - Art der Verletzung I, 476 f. - Beweissicherung I, 479 - Häufigkeit I, 472 f.; II, 247 - Motivation I, 475 - Opfer I, 474 - Selbstverletzung I, 478 - Sport und - I, 478 - Täter I, 475 - Tatbestände I, 472, 475 f. - Unterlassungstat I, 477 - Ursachen I, 473 f. Konfession (-» Religion) III, 30 ff. - Kriminalität und - III, 35 Konzentrationslager (-»Verbrechen unter totalitärer Herrschaft) III, 453 ff. - Verbrechen im - III, 454 ff. Korruption (-• Politische Kriminalität) V, 606 f. Korruptionsstraftaten (-» Kriminaltaktik) II, 92 ff. - kriminaltaktisches Vorgehen II, 119 Krankheit I, 482 fT. - Begriff I, 482 f. - Dimensionen I, 485 - Kriminalität und - I, 492 fT. - Modell des kranken Menschen I, 483 ff. - Normalitätsbegriff I, 485 ff. - psychologische Tests I, 491 f. Krawalle V, 382 ff. - BegrifT V, 382 - Beispiele von — V, 383 f. - Erforschung V, 382 f. - Erscheinungsformen V, 383 f. - Geschichte der Erforschung V, 384 f. - in den Massenmedien V, 387 - Kontrolle von - V, 388 f. - Typologien von — V, 384 - Ursachen V, 384 ff. - Vorbeugung V, 387 Kriegsverbrechen (-» Kriminalsoziologie) II, 63 ff. Kriminalbiologie I, 496 ff. - Affekthandlungen I, 510 ff. - Anlage I, 498 f.; II, 435fT., 346 - Begriff 1,496 ff. - geborener Verbrecher II, 192 ff. - Genetik I, 498 ff., 508; II, 435 ff.

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- Hirnforschungen I, 512 f. - Konstitution I, 501 f. - Kriminalitätsauslöser I, 507 - kriminogene Dispositionen I, 505 ff. - Kurzschlußhandlungen I, 508 ff. - Pubertät und - I, 502 f. - Rückfall und Psychopathie I, 514ff. - Schwachsinn I, 511 - Täterpersönlichkeit II, 345 f. - Triebhandlungen I, 508 ff. - Zwillingsforschung I, 515; II, 434f.; III, 691 ff. Kriminalbiologische Gesellschaft (-»Organisationen und Institute) II, 265 f. Kriminalgeographie IV, 169 ff. - Aufgaben IV, 174 f. - Begriffsbestimmung IV, 170 - Forschungsarbeiten zur — IV, 171 ff. - Forschungsergebnisse IV, 175 ff. - Forschungsstand in der Bundesrepublik Deutschland IV, 173 - geschichtliche Entwicklung IV, 170 ff. - Probleme IV, 175 - Verbrechensverhütung durch - IV, 425 Kriminalistik V, 118 - Arbeitsgebiete V, 118 - Grundlagen der - V, 118 Kriminalität I, 156ff., 169 ff., 424; II, 68 ff., 387 ff.; III, 205 ff.; IV, 9 ff. - Anlage und - II, 288 - Behandlungsmethoden I, 169 ff., 171 f.; II, 387 ff. - Familienstand und - I, 156 ff. - Freizeit- II, 89 - Früh- III, 696 ff. - Geisteskrankheiten und - II, 353; III, 446 ff. - gesellschaftliche Reaktionen auf - II, 81 - Häufigkeit nach Tageszeiten II, 251 ff. - Häufigkeit nach Wochentagen II, 349 ff. - im geschichtlichen Wandel II, 68 f. - im Kraftverkehr II, 78 ff. - in Japan IV, 9 ff., 26 - Nord-Süd-Verschiedenheit II, 243 - persönliche Desintegration IV, 515 f. - Psychosen und — II, 356 ff. - Religion und - II, 88; III, 33 ff. - Sozialaufsicht und - II, 73 - soziale Desintegration IV, 514 ff. - Spät- III, 696 ff. - Stadt-/Land- II, 72 ff. - Statistik der — in der Bundesrepublik Deutschland III, 205 ff. - und Berufszugehörigkeit II, 74 ff. - und politische Spannungen II, 82 ff. - und Siedlungsgebilde II, 71 ff. - und Subkulturen II, 87 f. - und Wirtschaftslage II, 70 - Ursachen I, 424 ff. - von Minderheiten II, 87 f. Kriminalität der Mächtigen (-»Politische Kriminalität) V, 594 ff.; (-• Umweltkriminalität) V, 104ff.; (-»Wirtschaftskriminalität) III, 656 ff.

752

Sachregister

Kriminalitätsbegriff (-> Kriminologie: Grundlagen) II, 196 ff. - eingeengter - II, 199 - erweiterter — II, 197 ff. - Kritik II, 199 f., 521 - legaler - II, 196, 200 - und Gesetzesübertretungen II, 201 f. Kriminalitätsfaktoren (-* Kriminologie: Grundlagen) II, 189 f., 210fT. Kriminalitätsindizes (-» Statistik und Kriminalität) III, 207 ff. Kriminalitätsrate (-» Statistik und Kriminalität) III, 211

Kriminalitätstheorien I, 429 f.; II, 421 ff., 435 ff; III, 307 ff; V, 645 ff. - Abweichungstheorie III, 322 f. - anarchistische — V, 660 - Anlage und Umwelt II, 435 ff. - Anomie III, 316f.; V, 651 f. - Begriffsbestimmung III, 307 ff. - biosoziale - V, 649 - differentielle Assoziation III, 313 f. - differentielle Identifikation III, 314 - differentielle Kontrolle III, 315 f. - Drucktheorie V, 651 f. - Entwicklungskriminologie V, 656 f. - ererbte kriminelle Tendenzen V, 649 - feministische — V, 660 f. - „Geborener Verbrecher" II, 421 ff. - Geisteskrankheit und Verbrechen V, 647 f. - Halt-Theorie III, 314 f. - institutionelle Anomietheorie V, 651 - Integration V, 662 - Interaktionstherorie III, 322 ff; V, 655 f. - Kognitiv-soziale Lerntheorie V, 652 f. - konstitutionelle Prädisposition V, 646 f. - Kontroll-Gleichgewichts-Theorie V, 654 f. - Kontrolltheorien V, 653 ff. - kriminalbiologische - V, 646 ff. - kriminalsoziologische — V, 649 ff. - kriminelle Persönlichkeit V, 648 f. - kritische, radikale - V, 659 f. - Kulturkonflikt III, 316 - Labeling-Ansatz V, 655 f. - Lebenslauftheorien V, 656 f. - Lebensstil-Verwundbarkeits-Modell V, 658 - Linker Realismus V, 660 - Machtkontrolltheorien V, 662 f. - marxistische - V, 659 f. - Neutralisation III, 321 f. - postmodernistische - V, 661 f. - psychopathologische — V, 648 - rationale Wahl-Theorie V, 646 - Routine-Aktivitäts-Theorie V, 658 f. - Selbstkontrolle V, 654 - soziale Bindung V, 654 - soziale Desorganisation V, 649 f. - soziale Wirklichkeit III, 323 ff. - sozialpsychologische — V, 652 ff. - Sozialstruktur III, 316 ff.

- Stigmatisierung II, 437 - Struktur der Zugangschancen III, 320 f. - Subkultur III, 317 ff. - täterorientierte — III, 312 ff. - theoretische Methoden V, 645 f. - Verbrechens-Verführungs-Theorie V, 653 - Vererblichkeit II, 435 - viktimologische — V, 658 f. Kriminalökologie (-» Natürliche Umwelt) II, 240 ff; (-» Städteplanung und Baugestaltung) IV, 181 ff. Kriminalpädagogik (-» Kriminaltherapie) IV, 495 ff. Kriminalpolitik II, 1 ff. - Aufgabe II, 1 ff. - Begriff II, 1 - Bewährungshilfe II, 12 f. - Ergebnisse für die — V, 413 f. - Funktion des Strafrechts II, 9 - Generalprävention II, 3 ff., 11 f. - Individualprävention II, 3 ff. - sozialpädagogische Maßnahmen II, 13 f. - Spezialprävention II, 12 - Strafrechtsreform II, 13 ff. - Strafvollzugsreform II, 14 ff. - Strafzumessung II, 11 - und Dunkelzahl II, 7, 10 f. - und Prävention II, 2 ff. - und Strafgesetzgebung II, 8 ff. - Verhältnis der - zum Strafrecht II, 1 ff. Kriminalpolizei I, 446; II, 19 ff; V, 119 ff. - Aufgaben II, 21; V, 119 f. - Ausbildung II, 43 ff. - geschichtliche Entwicklung der - II, 19 ff. - in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland II, 30 ff. - internationale Zusammenarbeit der - II, 39 ff. - Jugendschutzdienststellen II, 43 - Jugendschutzorganisationen der - II, 41 ff. - Neuorganisation nach 1945 II, 28 ff. - Organisation der - bis 1945 II, 25 ff. - Reformbestrebungen II, 45 ff. - Verbrechensbekämpfung durch die - II, 21 ff. - Verbrechensvorbeugung II, 24 f. - weibliche - I, 446; II, 41 ff.; V, 121 Kriminalprognose IV, 273 ff. - Arten der - IV, 273 f. - ausländische Forschungseinflüsse IV, 327 ff. - Begriffsbestimmung IV, 273 - Behandlungsprognose IV, 318 ff. - Burgess-Methode IV, 278 - Einstellungstest IV, 303 f. - Experimentaltabellen IV, 294 f. - Familieneinflüsse I, 170; IV, 283 - „Follow-up"-Studie IV, 296 f. - Forschungsprobleme IV, 329 f. - funktionelle - IV, 306 ff. - Glueck-Methode IV, 278 ff, 282 ff. - historische Entwicklung IV, 277 ff. - individuelle Frühprognosen IV, 305 - Klassifikationsprognose IV, 318 f. - klinische - IV, 302 ff.

Sachregister - Konstitutionstypen IV, 283 f. - Methoden IV, 274 ff. - Methodenkritik IV, 323 ff. - Ohlin-Methode IV, 281 - Persönlichkeitsfragebogen IV, 297 ff. - Persönlichkeitsmerkmale IV, 284 - Probleme der - IV, 276 f. - Prognosefaktoren IV, 292 ff. - Prognosetafel IV, 291 f., 296 - Prognoseverfahren IV, 299 ff. - Rückfallprognoseverfahren IV, 301 ff. - „Social Prediction Table" IV, 290 f. - Strukturvoraussagetafel IV, 316 - Under-the-Roof-Culture IV, 283 - Validitätsbestimmung IV, 293 - Validitätsstudien IV, 289 f. - Voraussagetafel IV, 290ff., 300 - Wahrscheinlichkeitsgrad IV, 273 Kriminalpsychiatrie (-> Psychiatrie) II, 344 ff. Kriminalpsychologie (-• Psychologie des Verbrechens), II, 415 ff. - als empirische Wissenschaft II, 451 - als Intuition II, 450 f. - Begriffll, 415, 417 - biographische Methoden II, 441 ff. - Delinquentenbeobachtung II, 440 f. - des Diebstahls I, 143 - deskriptive - II, 420 f. - Einfühlungsvermögen II, 445 f. - experimentelle — II, 425 - Forschungsstand II, 452 ff. - Fragestellungen II, 416 - geschichtliche Entwicklung der - II, 417 ff. - Graphologie und - I, 371; II 443 ff. - in der Strafrechtspflege II, 418 f. - in Lehre und Praxis II, 452 - Individualpsychologie II, 429 - Kompetenzstreit II, 448 f. - Kriminalbiologie II, 433 ff. - Kritik II, 452 ff. - Mehrfaktorenansatz II, 426, 525 f. - Methodenproblematik II, 446 ff. - Psychoanalyse II, 426 ff. - Selbstverständnis II, 449 f. - Strafrecht und - II, 452 - Theorienkritik II, 438 ff. - Verbrecherpersönlichkeit II, 432 f. - Verhaltensbeobachtung II, 439 f. Kriminalroman II, 47 ff. - Begriff des - II, 48 - ethisch-methaphysischer - II, 55 - gesellschaftskritischer - II, 56 f. - justizkritischer - II, 56 - kriminalpolitische Aufgabe II, 62 - kriminologische Bedeutung des - II, 59 ff. - pädagogische Aufgabe II, 62 - politischer — II, 57 f. - psychologischer - II, 53 f. - realistischer — II, 53 - Typologie II, 49 ff.

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- Verbreitung des - II, 48 f. - Wirkung des - II, 61 f. Kriminalsoziologie II, 63 ff. - Anlage und Umwelt II, 64 f. - geschichtliche Entwicklung II, 191 ff. - Normenordnung II, 69 - Umwelt II, 63 ff., 69 Kriminalstatistik I, 43ff.; II, 65ff., 191 f., 216f.; III, 199 ff.; V, 461 - Aufgabe III, 199 - Aufklärungsquote III, 202 - Bedeutung III, 223 f. - Bewährungshilfestatistik III, 204 ff. - Definition III, 199 f. - der Alterskriminalität I, 43, 45 ff. - Dunkelfeld und - II, 66 f.; III, 218 f. - Fehlermöglichkeiten III, 215 f. - geschichtliche Entwicklung III, 200 f. - Häufigkeitszahl III, 202 - Indexbildung III, 207 f. - internationale - III, 214 f. - Klassifikation III, 216 f. - Opferbefragung III, 221 ff. - polizeiliche - II, 66; III, 201 f., 209 ff. - Selbstberichtuntersuchung III, 219 fF. - soziologisch orientierte — II, 191 f. - Strafverfolgungsstatistik II, 66; III, 202f„ 212ff. - Strafvollzugsstatistik III, 203 f. - Täterzahl III, 202 Kriminaltaktik II, 92 ff.; V, 122 ff. - Auswertungsverfahren V, 139 ff. - Begriff II, 92 - bei Brandstiftung V, 130 f. - bei Diebstahl V, 133 ff. - bei erpresserischer Bedrohung V, 129 f. - bei Geiselnahmen V, 127 ff.2 - beim Raub V, 126 f. - bei Rauschgiftkriminalität V, 135 ff. - bei Serienstraftaten II, 121 f. - bei Triebverbrechern V, 131 ff. - bei vorsätzlichen Tötungsdelikten V, 125 f. - Ermittlungsregeln V, 123 - „erster Angriff" II, 92 f. - Grundlagen der - V, 123 ff. - Kriminalstrukturermittlung V, 122 f. - Methoden der - V, 125 ff. - modus-operandi-System II, 120 ff., 124f. - Tatablauf V, 123 - Tatsituationen V, 123 ff. - Zusammenarbeit mit Vertrauenspersonen II, 135 ff. Kriimnaltechnik II, 22, 138 ff.; V, 141 ff. - Aufgaben II, 138 f. - Begriffll, 138 - Einrichtungen II, 141 - erkennungsdienstliche Verfahren V, 142 f. - Geschichte II, 139 ff. - Handschrift I, 368 ff.; III, 94 f. - Massenspektrometrie V, 141 f. - Rasterelektronenmikroskop V, 141

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Sachregister

- Sachbeweiserhebung V, 141 - Spurensicherung V, 141 Kriminaltherapie IV, 495 ff. - Behandlung IV, 499 ff. - Behandlung in Freiheit IV, 510 ff. - Behandlungsmethoden IV, 500 ff. - behandlungsorientierter Strafvollzug IV, 497 - Behandlungsstrafvollzug IV, 507 ff. - Differenzierung IV, 498 - Gruppentherapie IV, 502 ff. - Klassifikation IV, 498 - Klassifikationsmethoden IV, 498 ff. - Realitätstherapie IV, 502 - Sozialisation IV, 496 - sozialtherapeutische Anstalt IV, 505 ff. - Strafziel IV, 495 f. - therapeutische Gemeinschaft IV, 501 f. - transaktionale Analyse IV, 505 - Verhaltensmodifikation IV, 504 f. - Vollzugsziel IV, 495 f. Kriminelle Karriere (-> Kriminologie: Grundlagen) II, 515 ff. Kriminelle Vereinigung (-> Organisiertes Verbrechen) V, 562 ff. Kriminologie II, 187ff., 515ff.; IV, 142ff.; V, 381 - Abgrenzungen IV, 142 f. - anekdotische - II, 524 - Aufgabe II, 189, 520 f. - autonome interdisziplinäre Wissenschaft II, 522, 549 - Begriff II, 187 f., 344 f. - deutschsprachige - II, 553 ff. - empirische Wissenschaft II, 188 ff., 209 f., 549 - Etikettierungstheorie II, 538, 543 f. - Forschungsgegenstand II, 523 - Forschungsprobleme der - II, 210 ff. - Forschungsstand II, 415 f. - Gegenstand der - II, 195ff., 260, 519ff. - Geschichte der - II, 190ff„ 205f., 516ff. - Geschichte und - IV, 143 ff. - historische — II, 67 - individualistische Methode II, 218 - Institute II, 261 f. - Interaktionismus II, 536 ff., 542 ff., 546 ff. - klinische - II, 527 - Kriminologen II, 190f., 259 - Labeling-Ansatz II, 539 f., 543 f. - maritime - V, 381 - marxistische - II, 528 ff. - Mehrfaktorenansatz II, 525 f. - Methoden II, 217 ff. - Methodenkritik II, 524 f. - neue, kritische und radikale — II, 532 ff. - nordamerikanische - II, 553 ff. - Organisationen II, 261 ff. - Reihenuntersuchungen II, 218 f. - statistische Analyse II, 217 f. - Strafrechtsordnung II, 548 f. - Theorien mittlerer Reichweite II, 527 f. - und Kriminalpolitik II, 207 f.

-

und Kriminalrecht II, 207 und Kriminalwissenschaft II, 205 ff. und Rechtssoziologie II, 208 f. vergleichende - Japan IV, 1 ff. Verhältnis der — zu anderen empirischen Wissenschaften II, 202 ff. Kritische, radikale Kriminologie (-» Kriminalitätstheorien) V, 659 f.; (-> Kriminologie: Grundlagen) II, 515 ff. Kunstwerkfälschung II, 221 ff. - als Betrug II, 223 - als Urkundendelikt II, 224 - Einziehung von Falschwerken II, 224 - Erscheinungsform II, 222 ff. - geschichtliche Entwicklung der - II, 221 f. - Kriminalistik II, 225 - Täter II, 224 f. Labeling-Ansatz (-• Kriminologie: Grundlagen) II, 539 ff. - Gegenstand des - III, 312 - Kritik II, 542 ff. - Positionen II, 542 ff. - Unterschied zum Interaktionismus II, 544 Ladendiebstahl V, 347 ff. - Dunkelzahl V, 351 - Erscheinungsformen V, 347f., 351 f. - geschichtliche Entwicklung V, 348 f. - gesetzliche Regelung V, 348 - im Alter V, 260 f. - Kriminaltaktik V, 359 ff. - Kriminaltechnik V, 358 f. - Statistik V, 349 f. - Tätertypologie V, 261, 355 f. - Ursachen V, 352 ff. - Verbrechenstechnik V, 356 ff. Lebensmittelverfälschung II, 227 ff. - Begehungsform II, 229 f. - Bekämpfung II, 230 f. - geschichtliche Entwicklung der — II, 227 f. - Lebensmittelrecht II, 228 f. - Täter II, 230 Machtmißbrauch (-> Politische Kriminalität) V, 594 f. Mafia (-• Organisiertes Verbrechen) II, 283; III, 474 f. Makrokriminalität (-* Politische Kriminalität) V, 590 f. Manie (-» Tötung und Psychose) - Kriminogenität der - III, 440 ff. Marxistische Kriminologie (-» Kriminalitätstheorien) V, 659 f. (-• Kriminologie: Grundlagen II.) II, 515 ff. Massendeiikt (-> Rechtsfriedensdelikte) III, 1 ff. Massenkommunikation (-> Massenmedien) IV, 338 ff. Massenmedien II, 232 ff.; IV, 338 ff.; V, 301 ff. - Arbeitsweise der Kommunikatoren V, 304 ff. - Aufgaben der - IV, 356 ff.

Sachregister - Bedeutung V, 301 f. - Berichterstattung über Bankraub mit Geiselnahme V, 309 f. - Beteiligung der — an Interaktionsprozessen IV, 370 ff., 372 ff.; V, 302 ff. - Darstellung der Kriminaljustiz V, 306 f. - Dokumentarsendungen IV, 373, 375 f. - Dramatisierungseffekt IV, 342 - Einstellung der Rezipienten V, 310 f. - Empfehlungen zur Kriminalitätsdarstellung V, 319 f. - Etikettierungs- und Stigmatisierungsprozesse in - IV, 360 - Fernsehdokumentation IV, 376 - Fernsehkriminalität IV, 340 f., 379 f. - Folgen medialer Kriminalitätsdarstellung V, 310 - Freizeit und - II, 89 f. - Funktion der - IV, 356 - Gerichtsberichterstattung IV, 360 ff. - Gewalt in - IV, 339, 341 ff., 349 ff. - Gewaltklima V, 312 f. - Glaubhaftigkeit der - IV, 357 f. - Information in - II, 237; IV, 356, 372 - Informationsmängel IV, 384 f. - konstruierte Wirklichkeit IV, 357 f. - Krawalle in den - V, 387 - Kriminalfernsehfilm IV, 340 f. - Kriminalitätsberichte in Zeitungen V, 308 - Kriminalitätsbewältigung IV, 341 - Kriminalitätsdarstellung in - II, 232 ff.; IV, 356, 358 ff., 363 f., 366 f., 377 f., 385 f.; V, 301 f., 307ff. - Kriminalitätsdokumentation IV, 376 - Kriminalitätsfurcht IV, 386 f.; V, 312 - Kriminalitätsnachrichten IV, 359 ff., 373 ff.; V, 307 - Kriminalitätssorge IV, 387 - Kriminalitätsstruktur in - IV, 379 - Kriminalitätsverursachung IV, 386 - kriminalpolitische Fehleinstellung IV, 387 - Live-Sendungen IV, 370 - Medienkriminalitätswelle V, 302 f. - Medienverhalten von Kindern IV, 349 ff., 352 - Mehrheitsprogramme IV, 369 - Meinungsbildnerhypothese IV, 343 - Minderheitsprogramme IV, 369 f. - Nichtinformation IV, 382 f. - öffentliche Fahndung durch - IV, 371, 380ff; V, 308 - Opferdarstellung IV, 378 - Persönlichkeitsdarstellung IV, 378 - Pornographie in - IV, 367 ff; V, 313 - Rezeptionseffekte IV, 342 f. - Selbstmord V, 312 - selektive Darstellung IV, 359 - Sexualität in - IV, 368 f.; V, 313 - Täterdarstellung IV, 378 - Terrorismusdokumentation IV, 376; V, 308 f. - Uberinformation IV, 383 f. - und Bandendelinquenz V, 313 - und Delinquenz IV, 350 ff.

-

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und Interaktion IV, 347; V, 302 ff. und Jugenddelinquenz II, 234 ff. und Jugendschutz II, 239 und Krawalle V, 313 f. und öffentliche Meinung IV, 338 f., 359 ff., 386ff.; V, 302 ff., 310f. - und offizielle Kriminalpolitik IV, 388 - und Organisiertes Verbrechen V, 574 - und Strafgesetzgebung IV, 387f.; V, 314 - Unterhaltung IV, 356, 377 f.; V, 308 - Verbrechen in - IV, 339; V, 306 f. - Verbrechensfurcht V, 312, 314 ff. - vermittelte Erfahrung IV, 357 - Verstärkerhypothese IV, 342, 348 - Wirkung der - IV, 341 ff. Massenmedien (-» Kinder- und Jugenddelinquenz) V, 482 f. Maßregeln V, 15 ff. - Berufsverbot V, 34 f. - Entziehung der Fahrerlaubnis V, 34 - im Jugendstrafrecht V, 18 - Sicherungsverwahrung V, 38 f. - sozialtherapeutische Anstalt V, 37 f. - Täterprognose V, 18 - und Strafen V, 18 f. - Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus V, 3 5 f. - Unterbringung in einer Entziehungsanstalt V, 36 - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz V, 17 f. - Voraussetzungen V, 17 Maßregelvollzug (-» Strafvollzugsrecht) IV, 491 Mediengewalt (-» Massenmedien) IV, 341 ff.; V, 306 f., 311 f., 317 ff. - Aggressionstheorien IV, 354 - Darstellung von - IV, 349 f.; V, 306f. - Einwände gegen negative Einflüsse von - V, 317ff. - empirsche Forschung IV, 348 f. - Experimentalforschung IV, 343 ff. - Frustrations-Aggressions-Hypothese IV, 346 f. - Gewöhnungs- und Entsensibilisierungsprozeß IV, 351 f. - Habitualisierungshypothese IV, 347 f., 352 - Inhaltsanalyse V, 306 f. - Inhibitionshypothese IV, 344 f. - Katharsishypothese IV, 344 f. - Kurzzeitwirkung IV, 353 - Langzeitwirkung IV, 353 - Lerntheorie IV, 355 - Methodenkritik der Forschung IV, 353 f. - Stimulationshypothese IV, 346 - theoretische Grundsatzkritik der Forschung IV, 354 ff. - und aggressives Verhalten IV, 352 f. - verfremdete — IV, 355 f. - Wirkungen IV, 341 ff; V, 311 f. Mehrfaktorenansatz (-»Kriminologie: Grundlagen) II, 525 f. Melancholie (-• Tötung und Psychose) III, 434 ff. - Kriminogenität III, 435 f.

756

Sachregister

- Prophylaxe von Tötungsdelikten III, 439 f. Methoden der Kriminologie (-» Kriminologie: Grundlagen I) II, 187 ff.; (-» Kriminologie: Grundlagen II.) II, 515 ff. Mord I, 416; III, 383 ff.; IV, 81 ff. - bei Naturvölkern I, 200 - Deckungs- IV, 83 f. - Gewinn- IV, 84 f. - Gift- 1, 334 ff. - Konflikt- IV, 81 ff. - Motiv IV, 86 f. - Sexual- IV, 85 f. Münzdelikte (-» Geldfalschung) I, 254 ff. Nachkriegskriminalität (-> Kriminalsoziologie) II, 86 f. Nationalsozialismus (-»Verbrechen unter totalitärer Herrschaft) III, 453 ff. - Massenverbrechen III, 456 - Vernichtungsaktionen III, 457 f. Nationalsozialistische Verbrechen (-• Verbrechen unter totalitärer Herrschaft) III, 453 ff. - Befehlsnotstand III, 460 f. - Tätermotivation III, 459 f. - Tätertypen III, 454 ff. - Unrechtsbewußtsein III, 461 ff. Natürliche Umwelt II, 240 ff. Neurose (-• Krankheit) I, 489 NichtSeßhaftigkeit (-»Asozialität) I, 62 ff. Nötigung (-• Freiheitsdelikte) I, 235 f. Normen (-»Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung) - Begriff III, 309 f. Normgenese (-» Strafgesetzgebung) IV, 393 ff. Obdachlosigkeit (-» Asozialität) I, 62 ff. Öffentliche Meinung (-• Massenmedien) V, 301 ff. Opfer (-> Viktimologie) III, 532ff.; V, 391 ff., 405f., 408 ff. - Begriff III, 532 - Begriffe des - V, 405 f. - Behandlung vergewaltigter Frauen V, 547 ff. - Gesellschaft als - III, 598 - Haltung der Gesellschaft gegenüber dem — III, 572 f. - im Reaktionsprozeß auf seine Viktimisierung V, 410 f. - in Literatur und Religion III, 536 f. - Ombudsmann III, 593 - politische Straftat III, 597 f. - Primärviktimisierung V, 409 - Schädigung III, 573 ff. - Selektionsfaktor III, 537 f. - Strafverfahren und - III, 586f., 589 - Täter als - III, 595 f. - Taterhaltung gegenüber dem - III, 571 f. - Tatimpuls III, 558 f. - Tötungsdelikte III, 560 f. - Vergewaltigungs-Krisenzentren V, 546 f. - Viktimisierungsprozesse V, 408 f.

- Wiedergutmachung II, 13; III 578 f.; V, 391 ff. - Wirtschaftskriminalität III, 597 Opferentschädigung (-» Viktimologie) III, 579 ff., 583 Opferschutzgesetz (-• Viktimologie) - der USA V, 415 f. - der BRD V, 416 f. Opferstudien (-> Viktimologie) III, 541 f. Ordnungswidrigkeit (-»Ordnungswidrigkeiten) II, 254 ff. - Begriff II, 254 f. - geschichtliche Entwicklung II, 255 f. Ordnungswidrigkeitengesetz (-> Ordnungswidrigkeiten) II, 256 - Entstehung V, 48 f. Ordnungswidrigkeitsverfahren (-> Ordnungswidrigkeiten) II, 256 ff. Organisationen und Institute II, 259 ff. Organisiertes Verbrechen II, 279ff.; III, 47, 464ff.; V, 261; 562 ff. - Aktivitäten V, 566 ff. - Begriff II, 279 f.; III, 464 f., 473 f. - Bekämpfung III, 472 f., 480, 483 f., 485f. - empirische Erforschung V, 565 f. - Erscheinungsformen II, 280 ff.; III, 469 ff., 479 f., 481 f. - Geschichte III, 466f., 474f. - Gesellschaft und - III, 475 ff. - gesellschaftliche Ursachen V, 571 f. - gesetzliche Bestimmungen III, 464 f. - im Alter V, 261 - in den Massenmedien V, 574 - in den USA III, 477 ff.; V, 568 f. - in der Bundesrepublik Deutschland III, 467 ff, 484 f.; V, 570 f. - individuelle Ursachen V, 573 f. - in Europa III, 484 f. - in Japan V, 569 f. - internationale Verflechtung V, 562 f. - Konstrukt V, 563 - kriminalpolitische Maßnahmen V, 574 ff. - kriminelle Organisation III, 477 ff. - Kriterien V, 563 ff. - Ringvereine I, 139 - subkulturelle Ursachen V, 572 f. - und Jugendbanden V, 485 Pädophilie (-> Sexueller Mißbrauch an Kindern) V, 502 ff. Parapsychologie (-»Aberglaube) I, 1 ff.; (-» Psychologie des Verbrechens) II, 415 ff. „Parole" (->· Kriminalprognose) IV, 276 Persönlichkeitsentwicklung (-» Sozialhygiene) III, 182 Persönlichkeitsforschung II, 284 ff. - Assoziationstest II, 294 - Begriff II, 284 ff. - dynamische - II, 289 - erbbiologische - II, 288 f. - Geschichte II, 284 ff.

Sachregister - Intelligenztest II, 292 f. - projektive Tests II, 293 f. - Psychodiagnostik II, 291 ff. - Rorschachtest II, 293 - sozialpsychiatrische - II, 289 - sozialpsychologische - II, 289 ff. - Thematic Apperception Test II, 293 f. - tiefenpsychologische - II, 286 ff. Persönlichkeitsveränderung (-+ Krankheit) I, 488 f. Photographie (-» Kriminaltechnik) II, 144 ff. - Bedeutung der - für die Kriminalistik II, 144 ff. - Infrarotstrahlen II, 147 - Luminiszenz - II, 146 f. - Makro-Mikro - II, 146 - Personen- II, 145 - Röntgen- II, 147 - Tatort- II, 145 f. Piraterie (-• See- und Schiffahrtskriminalität) V, 379 Pönologie (-» Strafen und Maßregeln) V, 15 ff. Polen (-• Vergleichende Kriminologie: Polen) V, 704 ff. Politische Kriminalität III, 470 ff. - Attentat V, 597 ff. - ausländische Extremistengruppen III, 472 - Definition V, 590 f. - Deliktskategorien V, 593 f. - Folter V, 619 f. - Gehorsamkeitsdelikte V, 594 ff. - Geschichte V, 591 - Haßpropaganda V, 592 f. - Karriere politischer Straftäter V, 596 f. - Korruption V, 606 f. - kriminologische Erforschung V, 589 - linksextreme kriminelle Gruppen III, 471 - Machtmißbrauch im demokratischen Rechtsstaat V, 594 - Machtmißbrauch in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik V, 596 - Macht-Mißbrauchs-Täter V, 594 - Neutralisationsmechanismus V, 597 - Persönlichkeit des politischen Kriminellen V, 596 f. - politische Verdächtigung I, 234 - Pseudo-Überzeugungs-Täter V, 596 - rechtsextreme kriminelle Gruppen III, 471 - Terrorismus V, 600 ff. - theoretische Modelle V, 591 f. - Typologie politischer Straftaten V, 593 ff. - Überzeugungstäter V, 596 - unsicheres Konstrukt V, 592 - Verschleppung I, 233 - Völkermord I, 268 ff.; V, 607 ff. Politischer Mord (-»Attentat) IV, 157 ff.; (-• Politische Kriminalität) V, 597ff.; (-»Tötungsdelikte, nichtfahrlässige) III, 353 ff. Polizei II, 295 ff.; V, 118 ff. - Begriff II, 295 - Besoldung II, 304 f. - Funktion II, 295 f.

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- Gefahrenabwehr II, 296 - historische Entwicklung II, 295 f. - Institutionalisierungsformen II, 297 ff. - Laufbahn II, 304 f.; V, 120 f. - Machtkontrolle II, 296 f. - Schulen der - II, 305 f. - Sicherheitsprogramm V, 118 f. Polizeiorganisation (-» Kriminalistik) V, 118 ff. - Ausbildung V, 120 f. - Integrationsebenen V, 120 - internationale Zusammenarbeit V, 121 f. - Jugendschutz V, 121 - Kriminalpolizei V, 119 f. Polizeirecht (-> Polizei) II, 300 ff. - deutsches - II, 300 - formelles - II, 302 - Generalklausel im — II, 301 f. - landesrechtliche Unterschiede II, 303 f. Pornographie (-» Massenmedien) V, 301 ff. Prävention II, 2 f f ; III, 185f.; V, 151 ff. - bei Verbrechen von Schwachsinnigen III, 451 ff. - durch kriminalrechtliche Maßnahmen V, 152 f. - durch kriminalrechtliche Strategien V, 153 ff. - durch Schuldausgleich V, 151 f. Prisonisierungsprozeß (-» Rückfall und Prognose) III, 74 Probation (-> Kriminalprognose) IV, 276 Prognose ( - Rückfall und Prognose) III, 38 f., 77 ff. - der Erstkriminalität III, 90 - Probation III, 80, 84 f. - Studien III, 80 ff. Prognoseforschung (-• Rückfall und Prognose) III, 78 ff. - amerikanische — III, 79 - Borstal Studie III, 87 f. - deutsche - III, 81 - englische - III, 84 ff. - Frühprognose III, 83 - geschichtliche Entwicklung III, 78 ff. - intuitive Methode III, 82 ff. - Kritik III, 86 ff. - Methoden III, 79 ff. - Nachprognose III, 83 - Prognosefaktoren IV, 279 ff. - Punktwert-Verfahren III, 82 ff. - schweizerische - III, 83 f. - statistische Methode III, 88 ff. Prognosetafel (-• Kriminalprognose) IV, 282 ff. - Forschung zur Entwicklung von - IV, 282 ff. - Konstruktion IV, 285 ff. - Reliabilität IV, 287 ff. - Validität IV, 287 ff. - Voraussagekriterien IV, 286 f. Prostituierte (-» Prostitution) II, 322 ff.; V, 4ff. - Alkohol- und Drogenmißbrauch V, 9 - als Opfer V, 4 f. - Charaktertypologie II, 325 ff. - Geschlechtskrankheiten V, 9 - gesellschaftliche Stellung II, 333 ff. - Karriere II 322ff.; V, 7 f.

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Sachregister

- Kennzeichnung II, 334 f. - Kinder der - V, 10 f. - Kindheit V, 6 - Kunden V, 9 f. - Persönlichkeitsstruktur II, 326ff.; V, 4, 9 - soziologische Schichtung II, 335 - Zuhälter V, 10 Prostitution II, 307 ff.; III, 180; V, 1 ff. - Altertum II, 314 ff. - Anlagetheorie V, 5 - außereuropäischer Kulturkreis II, 318 - Begriff II, 307 f., 336; V, 1 - Bordell V, 8 - Call-Girl-System II, 310 - Entwicklungstendenzen der — II, 312 f. - Erscheinungsformen II, 308 ff.; V, 1 ff. - Frühchristentum II, 317 - Geschichte der - II, 313ff.; V, 1 - gesellschaftliche Stellung der - II, 333 ff. - gesellschaftliche Voraussetzungen II, 330 ff. - griechischer Kulturkreis II, 315 - heimliche - II, 309 f. - homosexuelle - V, 13 f. - hygienische - V, 2 - Industrialisierung und — II, 331 f. - Klassifizierung II, 308 ff. - Kontrolle der - V, 12 f. - Kriminalität und - II, 337 ff. - Kunden II, 328; V, 9 f. - Kuppler II, 329 - Lerntheorie V, 6 - Machtstrukturen II, 330 - Mädchenhandel II, 312 - männliche - II, 311 - Marxismus und - II, 333 - Massagesalons V, 3 - Maßnahmen zur Bekämpfung der — II, 339 ff. - Menschenhandel V, 12 - Mittelalter II, 318 f. - Neuzeit II, 321 - öffentliche - II, 309 - Populationsdichte II, 331 - psychoanalytische Verursachungstheorie V, 6 - römischer Kulturkreis II, 316 - Schichtzugehörigkeit II, 332 - sexuelle Liberalisierung V, 13 - soziale Hierarchie V, 3 f. - soziale Wertung V, 12 f. - sozialpsychologische Verursachungstheorie V, 7 f. - sozioökonomische Verursachungstheorie V, 5 f. - Spätmittelalter II, 319 f. - Straflosigkeit der - II, 342 - Strafverfolgung II, 342 f.; V, 11 f. - Straßen- V, 4 - Striptease V, 8 - Tötungsdelikte und - III, 393 f. - unhygienische — V, 2 f. - Ursachen II, 322 ff.; V, 5 ff. - Zuhälter und - II, 312; V, 4, 10 ff. Psychiatrie II, 344 ff.

Psychoanalyse (-» Psychologie des Verbrechens) II, 415 ff. Psychologie (-> Forensische Psychologie) I, 205 ff. - Gruppen-1, 271 f. - im Strafverfahren I, 208 ff. - Individual- II, 287 f. - Recht und - I, 205 ff. - Richter- IV, 137 - Tiefen- II, 286 f. Psychologie des Verbrechens II, 415 ff. Psychopathie I, 396f., 489, 514ff.; II, 359ff. - Psychopathen I, 489 - Rückfallkriminalität und - I, 514 ff. Psychopathologie (-» Kriminalitätstheorien) V, 648 Psychose II, 356 ff.; III, 420 f. - Alkohol-1, 38 f. - endogene - I, 487 f.; II, 356 ff. - exogene - I, 488 f. - Kriminogenität III, 430 f. - Rückfall und - III, 72 - Schizophrenie II, 356ff.; III, 425 ff. - Tötung und - III, 420 ff. - Zyklophrenie III, 433 f. - Zyklothymie II, 356 ff. Pubertät (-» Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung) - Kriminalität und - III, 319 Pyromanie (->· Brandstiftung) I, 101; IV, 118 f. Raub II, 459 ff.; IV, 87 ff. - Geschichte II, 459 ff. - Kindes- IV, 92 ff. - Kriminologie des - II, 462 ff. - Täter II, 465 ff. - Tatsituation II, 469 ff. - Serientaten IV, 90 f. Raubkriminalität (->· Raub) II, 463 f.; IV, 87 ff. Raubstraftaten (->· Raub) II, 461 ff. - Aufklärung von — II, 110 ff. - Bekämpfung II, 470 f. - gesetzliche Regelung II, 461 f. - Klassifizierung II, 464 f. - Statistik II, 463 f.; IV, 87 ff. Raubtäter (-• Raub) II, 465 ff. - Alter II, 466 - Charakterstruktur II, 467 f. - Geschlecht II, 466 - Intelligenz II, 466 f. - Psyche II, 468 f. Rauschgiftkriminalität (-> Rauschmittelmißbrauch) II, 472 ff. Rauschmittel (->• Rauschmittelmißbrauch) II, 472 ff. - Arten II, 473 - Betäubungsmittelgesetz II, 482 ff. - Gesetzgebung II, 480 ff. - Haschisch II, 474 f. - Kokain II, 475 - Konsum II, 479, 495 ff. - LSD II, 476 - Mescalin II, 475 f.

Sachregister - Naturstoffe II, 476 f. - Opium II, 473 f. - Produktion II, 479 - schädliche Nebenwirkungen II, 477 ff. - synthetische Stoffe II, 477 - Wirkung II, 472 ff. Rauschmittelmißbrauch II, 472 ff. - aus juristisch-kriminologischer Sicht II, 480 ff. - aus medizinischer Sicht II, 472 ff. - aus soziologisch-psychologischer Sicht II, 494 ff. - Betäubungsmittelgesetz II, 482 ff. - Entkriminalisierung II, 492 f. - Kriminalisierung II, 491 ff. - Straftaten und - II, 488 ff.; III, 179 f. RauschmittelmiBbrauch (-> Kinder- und Jugenddelinquenz) V, 488 f. Rechtsfriedensdelikte III, 1 ff. - Äußerungsdelikte III, 7 f. - Bedeutung III, 2 f., 6, 9 - Entwicklung III, 2 f., 6, 9 - Erscheinungsformen III, 3 f., 6, 8 f. - Tätertypologie III, 5 f., 8, 10 - Tatbestände III, 1 f., 5 ff., 7 f. - Ursachen III, 4 f., 6, 8, 10 - Verbindungsdelikte III, 8 f. Rechtspflege (-• Gerichtsverfassung) I, 307 ff. - Aufgabe I, 307 - im Strafrecht I, 317 ff. - Justizverwaltung I, 311 f. Rechtspflegedelikte III, 11 ff. - Aussagedelikte III, 12 ff. - Begriff III, 11 - falsche Anschuldigung III, 17 ff. - Gefangenenbefreiung und -meuterei III, 25 ff. - Strafvereitelung III, 21 ff. - verwandte Delikte III, 27 ff. - Vortäuschen einer Straftat III, 20 f. Rechtspsychologie (-» Forensische Psychologie) I, 205 ff. Reform des Strafrechts (-• Strafrechtsreform) V, 40 ff. Reform des Strafverfahrensrechts IV, 121 ff. Regierungskriminalität (-» Politische Kriminalität) V, 590 Reifestörungen (-» Psychiatrie) II, 350 ff. Religion III, 30 ff. - Funktion III, 36 f. - Kriminalität und - III, 33 f. - kriminogene Wirkung III, 37 - Strafrecht und - III, 31 ff. - und Jugenddelinquenz V, 483 Religionsdelikte (-» Religion) III, 31 ff. Resozialisierung I, 73 f., 384f.; III, 185, 295ff. Resozialisierung (-» Kriminaltherapie) IV, 495 ff.; (-+ Strafvollzug: Grundlagen) III, 268 ff. Rückfälliger (-» Rückfall und Prognose) III, 73 ff. - pönologische Sonderbehandlung III, 74 f. - strafrechtliche Behandlung III, 75 ff. - Typologie des — III, 73 f.

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Rückfälligkeit (-> Ehe und Familie) - gestörte Familienverhältnisse und — I, 163 Rückfall III, 38 ff.; V, 61 f. - Begriff III, 40 ff., 51 - beim Betrug I, 93 f. - Fallgeschichten III, 67 ff. - gesetzliche Regelungen III, 42 f. - gleichartiger — III, 64 - Intervalle III, 61 ff. - „Preventive Detention" in England III, 48 ff. - Rechtsfolgen III, 44 f. - Straftilgung und - III, 65 - Tätertypologie III, 73 f. - ungleichartiger - III, 64 - Ursachen III, 69 ff., 72 Rückfallprognose (-» Kriminalprognose) IV, 301 ff. - bei der bedingten Entlassung IV, 310 f. - Einstellungstests IV, 302 ff. - klinische Kriminalprognose IV, 302 ff. - Methodenkritik IV, 326 f. - Prognoseforschungen und -verfahren IV, 311 ff. - Rückfallvorhersage IV, 314 - Strukturvoraussagetafeln IV, 314 ff. - über die Strafaussetzung zur Bewährung IV, 309 f. - Verfahren IV, 301 f. - Voraussagetafel IV, 313 - Voraussagewahrscheinlichkeit IV, 312 Rückfallsbegriff (-• Rückfall und Prognose) III, 40 ff. - kriminologischer - 40 ff. - pönologischer — III, 40 - strafrechtlicher - III, 41 ff. Rückfallstatistik (-» Rückfall und Prognose) III, 51 ff. - Belgien III, 57 - Bundesrepublik Deutschland III, 54 - England, Wales III, 54 ff. - Frankreich III, 56 f. - Holland III, 57 - Israel III, 59 f. - Italien III, 57 - Japan III, 60 - Österreich III, 57 f. - USA III, 58 Rückfall und Prognose III, 38 ff. Sachbeschädigung V, 362 ff. - Dunkelzahl V, 367 - Einzelaktion V, 373 - Erscheinungsformen V, 367 ff. - geschichtliche Entwicklung V, 363 f. - gesetzliche Regelung V, 362 f. - Kriminaltaktik V, 374 f. - Kriminaltechnik V, 373 f. - Statistik V, 364 ff. - Tätertypologie V, 371 - Ursachen V, 369 ff. - Vandalismus V, 371 ff.

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Sachregister

Schizophrenie II, 356 ff.; III, 425 ff. - Kriminogenität III, 426 f., 432 - Wahnmord III, 429 f. Schmuggel (-• See- und Schiffahrtskriminalität) - Drogen- V, 377 f. - High-Technologie- V, 378 - Menschen- V, 378 - Waffen- V, 378 Schriftsachverständiger (-»Schriftvergleichung) III, 96 Schriftvergleichung III, 93 ff. - Schriftproben III, 96 f. - wissenschaftliche Grundlagen III, 95 Schuldfähigkeit I, 217ff.; II, 371 ff. - Affekthandlung I, 219 ff., 222 ff.; II, 382 - anomale Zustände und - I, 490 f. - aufgehobene — II, 375 ff. - BegriffI, 223 f.; II, 376 - bei Jugendlichen I, 218 - bei Kindern I, 218 - Bestimmungsmethoden der — I, 224ff.; II, 376 ff. - Beurteilungsproblematik II, 386 f. - Einsichtsfahigkeit II, 383 f. - Gesetzesterminologie II, 377, 379 ff. - gesetzliche Regelung I, 223 - Irrtum und - I, 226 f. - krankhafte seelische Störung II, 380 - Rechtsfrage II, 378 - Schuldstrafrecht II, 371 f. - Schwachsinn II, 384; III, 451 - seelische Abartigkeit II, 384 ff. - Selbstbestimmung II, 373 ff. - Steuerungsfähigkeit I, 218 f. - Tatfrage II, 378 - tiefgreifende Bewußtseinsstörung II, 381 - Unrechtseinsicht I, 218 - verminderte — II, 375 ff. - vorwerfbares Verhalten II, 372 Schuldprinzip (-» Strafen und Maßregeln) V, 15 ff. - gesellschaftliche Funktion V, 16 - individualisierendes — V, 15 ff. - strafverschärfender Rückfall V, 16 f. - Strafzweck V, 16 Schuldunfähigkeit (-* Psychiatrie) II, 375, 379 Schule III, 106 ff. - Erziehungsaufgabe III, 108 - Gewalt in der - V, 668 ff. - Kriminalitätsverhütung III, 112 ff. - Tyrannisieren in der - V, 668 ff. - und Vandalismus V, 487 f. Schule (-» Kinder- und Jugenddelinquenz) V, 482 SchuBwaffen (-> Kriminaltechnik) II, 165 ff. - Begriff II, 165 - Faustfeuerwaffen II, 165 f. - Gaswaffen II, 168 f. - Gewehrarten II, 166 f. - Handfeuerwaffen II, 165 f. - Luftgewehre und -pistolen II, 169 - Schreck- II, 168 - Wildererwaffen II, 167

Schwachsinn (-• Verbrechen und Schwachsinn) III, 445 ff. - Begriff III, 445 f. - Intelligenzquotient III, 446 - Kriminogenität III, 449 ff. Schwangerschaftsabbruch (-• Abtreibung) I, 5 ff. See- und Schiffahrtskriminalität V, 376 ff. - Binnenschiffahrtskriminalität V, 381 - Erscheinungsformen V, 377 - gemeine — V, 381 - Geschichte der - V, 376 f. Seeräuberei (-• See- und Schiffahrtskriminalität) V, 378 f. - Bekämpfung V, 379 - moderne Form von - V, 378 - Verbreitung V, 379 Selbstmörder (-• Selbstmord) III, 142 f. - Behandlung potentieller - III, 143 - Betreuung potentieller — III, 142 Selbstmord I, 281 ff.; III, 125ff, 180; V, 259f., 312 - Aggression und — III, 136 f. - Alkoholiker III, 138 - Alters- III, 138f., 154f.; V, 259f. - Ankündigung III, 145 f. - Begriff III, 129 - Depression und — III, 132 ff. - Doppel- III, 385 f. - Dunkelzahl III, 127 - Einstellung gegenüber - III, 128 f. - Erklärungsansätze V, 259 f. - erweiterter - III, 133, 386f., 436 - „Freitod" III, 136 - Gift- 1, 334 f. - Jugend- III, 139 - Kinder- III, 139 f. - Kindheit und - III, 135 - Melancholie III, 438 - Nachahmung III, 157 - Naturvölker I, 200 - Neurose und - III, 134 ff., 137 - Psychopathie III, 138 - und Massenmedien V, 312 - Ursachen III, 128, 130ff. Selbstmordanfälligkeit (-»Selbstmord) III, 147ff. Selbstmordgedanken (-» Selbstmord) III, 137 Selbstmordgefahr (->• Selbstmord) III, 140 - Armut und - III, 157 - Ehekrise III, 155 f. - Flüchtlinge III, 150 f. - Häftlinge III, 148 f. - Kranke III, 152 f. - Landflucht und - III, 157 - Süchtige III, 151 f. - Verfolgte III, 150 - Verkehrsunfall III, 158 Selbstmordhinweise (-» Selbstmord) III, 159 f. Selbstmordprophylaxe (-• Selbstmord) III, 140ff., 150 ff., 158 f., 160 f. Selbstmordversuch (-• Selbstmord) III, 127, 131 f., 141 f.; V, 259 f.

Sachregister Selbstmordzahlen (-» Selbstmord) III, 126 f. Sexualdelikte III, 546 f., 564 ff.; V, 70, 254 ff. - Asservatuntersuchung I, 276; III, 165 ff. - Aufklärung von - I, 276 - bei Jugendlichen I, 403 ff. - Dunkelzahl III, 539 f. - Erhebungen über Opfer III, 161 ff. - Häufigkeit nach Jahreszeit II, 247 f. - im Alter I, 49 f.; V, 254 ff. - Jugendschutz I, 443 ff. - kriminaltaktisches Vorgehen II, 108 f. - Opferschädigung bei Kindern III, 574 f. - Opferuntersuchung III, 164 - psychotherapeutische Behandlung II, 392 - Rolle des Opfers V, 256 - Rückfall III, 65 f. - Spurenidentifizierung II, 109 f. - Täter-Opfer-Beziehung III, 564 ff. - Täteruntersuchung III, 165f.; V, 256f. - Vergewaltigungsopfer III, 555 f., 567 f. - Verurteilung des Täters III, 592 f. - Viktimisierung von Kindern V, 256 Sexualdelikte (-• Sexueller Mißbrauch an Kindern) V, 502 ff.; ( - Vergewaltigung) V, 524 ff. Sexualforschung (-• Psychiatrie) II, 367 ff. Sexualmord (-» Vergewaltigung) V, 539 f. Sexualverhalten (-• Psychiatrie) - Behandlung abnormen - II, 389 ff. Sexuelle Belästigung an Frauen (-»Vergewaltigung) V, 530 f. Sexuelle Gewalthandlungen an Frauen (-* Vergewaltigung) V, 525 f. Sexueller Mißbrauch an Kindern - altes Erscheinungsbild V, 502 - Aufdeckung V, 509 f. - biologische Ursachen V, 505 f. - Definition V, 502 - Entwicklung V, 503 f. - Erscheinungsformen V, 504 - Glaubhaftigkeit der Opferaussage V, 510 - Häufigkeit V, 502 f. - integrierte kognitive Verhaltens-Modelle V, 507 - Kriminalpolitik V, 510 ff. - neues Erscheinungsbild V, 502 - Opferanfälligkeit V, 507 - Opferbehandlung V, 509 - Opferschäden V, 507 f. - sozialprozessuale Ursachen V, 506 f. - soziokulturelle Ursachen V, 506 - Taterbehandlung V, 511 ff. - Täterrückfall V, 513 - Tätertypologie V, 504 f. - tiefenpsychologische Ursachen V, 505 f. - Vorbeugung V, 510 f. Sicherungsverwahrung III, 47 ff., 168 ff., 300; IV, 491 f.; V, 38 f. - Anstalten III, 172 - Ausland III, 175 f. - Bedienstete III, 170 f. - Bundesrepublik Deutschland III, 171 f., 176

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- Durchführung III, 170, 172f., 174 - Entlassung III, 174 - gesetzliche Regelung III, 169 f., 173 - Statistik V, 39 - Strafvollzug und - III, 173 - Verwahrter III, 171 - Vollzug V, 39 - Voraussetzungen V, 38 f. - Zweck III, 169 Sozialabweichung (-» Alkoholismus) I, 30 ff.; (-» Prostitution) V, 1 ff.; (-» Rauschmittelmißbrauch) II, 472ff.; (-» Selbstmord) III, 125 ff. Sozialaufsicht (-• Kriminalsoziologie) II, 73 Sozialhilfe (-» Fürsorge) I, 238 ff. - Bundessozialhilfegesetz I, 238 ff. - Intention I, 243 f. - Lebensunterhalt I, 239 ff. - Träger I, 248 f. - Zuständigkeit I, 248 Sozialhygiene III, 177 ff. - Asozialität I, 71 ff.; III, 178 f. - Begriffsentwicklung III, 177 - Kriminalität und - III, 180 ff. Sozialpathologie (-»Alkoholismus) I, 30ff; (-»Asozialität) I, 62ff; (-* Prostitution) V, 1 ff.; (-» Rauschmittelmißbrauch) II, 472 ff.; (-• Selbstmord) III, 125 ff. SozialprozeO (—> Vergleichende Kriminologie) V, 676 ff. Sozialpsychiatrie III, 186 ff. - Diagnose III, 195 - Geisteskrankheit und Klassenzugehörigkeit III, 191 - Geistesstörungen III, 192 f. - Gemeinschaftsbehandlung III, 196 f. - Gruppentherapie III, 195 - historischer Überblick III, 187 ff. - Kriminalität und Klassenzugehörigkeit III, 192 - Kriminelle und Geisteskranke III, 194 f. - kriminologische Forschung III, 193 - Methodik III, 190 f. - Milieu-Therapie III, 196 - Normalität III, 192 - Statistik III, 189 f. - Vorbeugung in der — III, 197 f. Sozialstruktur (-»Vergleichende Kriminologie) V, 676 ff. Sozialtherapeutische Anstalt II, 397f., 400ff.; IV, 472f., 491, 505ff.; V, 37f. - ausländische Vorbilder IV, 506 - Effizienz V, 38 - Gesetzesreform II, 400 f. - gesetzliche Grundlagen IV, 505 - kriminologische Kritik IV, 505 ff. - Rückfallquoten IV, 506 f. - Vollzug V, 38 - Voraussetzung der Unterbringung II, 401; V, 37 f. Sozialtherapie (-• Heilbehandlung) I, 383 ff.; (-> Kriminaltherapie) IV, 495 ff.

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Sachregister

Soziologie (-»Kriminalsoziologie) - Richter- IV, 137 Spionage (-» Kriminalsoziologie) II, 84 Sprengstoffdelikte (-• Chemische Untersuchungsmethoden) I, 115 f. Spuren (-» Kriminaltaktik) II, 96 ff., 138 f. - Analyseverfahren I, 106 ff. - Asservatuntersuchung III, 412 ff. - Auswertung bei der Wilderei IV, 242 ff. - Begriff II, 96 - Blutspuren I, 113, 275f.; III, 404f. - Blutuntersuchung III, 413 f. - Brandstiftung II, 106 ff. - Fährtenhund II, 101 - Fußspuren II, 100 ff., 159 - Geschoß II, 173 ff. - Haaruntersuchung I, 276; III, 414 f. - Handflächenabdrücke II, 99 - Hautuntersuchung III, 415 - medizinische Spurenkunde I, 275 f. - Nageluntersuchung III, 415 f. - Öffnung von Briefen II, 183 - Patronenhülsen II, 172 ff. - Radspuren II, 160 f. - Schußentfernung II, 104, 172 - Schußspuren I, 114; II, 1 0 2 f f , 170ff.; III, 408 - Sexualdelikte I, 114, 276; III, 163 f., 407 - Sprengstoff- II, 104 ff. - Tötungsdelikte III, 402ff., 405 ff., 409f. - Urkundenfälschung II, 176 ff. - Vergiftung I, 348 f.; III, 417 - Werkzeugspuren II, 161 ff. Staatsanwaltschaft (-»Gerichtsverfassung) I, 316 f. Staatsschutzgesetze (-• Kriminalsoziologie) II, 82 ff. Staatsschutzstrafrecht (-* Strafrechtsreform) V, 75 f. Staatsstreich V, 425 ff. - Ausland und — V, 434 - Bestrafung V, 434 ff. - Bevölkerung und — V, 433 f. - Charakteristiken V, 426 - Chronologie V, 427 - Durchführung V, 430 - Erscheinungsformen V, 426 ff. - Mitwisser V, 433 - Motive V, 430 - Opferverhalten V, 434 - Planung V, 429 f. - Statistik V, 426 - Täterpersönlichkeit V, 430 ff. Staatsverbrechen (-• Politische Kriminalität) V, 590 Städteplanung und Baugestaltung IV, 181 ff. - area approach IV, 183 ff. - environmental design approach IV, 183 ff. - Großstadtkriminalität IV, 185 f. - Kriminalgeographie IV, 182 - Kriminalitätsabwehr durch - IV, 190 ff. - Kriminalitätsverursachung durch — IV, 186 ff. - Kriminalökologie IV, 182 ff. - Lebensbedingungen der Großstadt IV, 181 f. - und Jugenddelinquenz V, 483 f. - Verbrechensvorbeugung durch - IV, 194 ff.

Statistik und Kriminalität III, 199 ff. Sterilisierung (-» Gerichtliche Medizin) I, 305 f. Stigmatisierung (-» Kriminologie: Grundlagen) II, 539 f. Strafanstalt (-• Strafvollzug: Grundlagen) III, 268 ff. Strafaussetzung zur Bewährung II, 392 ff.; III, 50 f.; V, 30ff., 155 ff. - Auflagen II, 393; V, 31, 162 - Aussetzungspraxis V, 175 ff. - bei befristeter Freiheitsstrafe V, 160 ff. - bei Jugendstrafe V, 165 f. - Beugearrest V, 163 - Bewährungshelfer V, 163 f. - Bewährungshilfe II, 394; V, 158 f., 177 ff. - Bewährungsplan V, 164 - Bewährungszeit V, 162 - Erfolgskriterien V, 191 - Erfolgsmessung V, 190 f. - Erfolgsuntersuchungen V, 191 ff. - Freiheitsstrafenrückgang V, 173 ff. - Führungsaufsicht V, 168 ff., 181 ff. - historische Entwicklung V, 155 ff. - im Ausland III, 50 f. - rechtliche Entwicklung V, 159 f. - rechtliche Regelungen V, 160 ff. - Rückfallquoten V, 194 - Spezialprävention V, 157 - statistische Erhebungen V, 171 ff. - Strafrestaussetzung V, 166 ff. - Vollstreckungsmodifikation V, 159 f. - Vorbewährung V, 166 - Weisungen II, 393; V, 31 f., 162 f. - Weiterentwicklung der — V, 158 f. - Widerruf V, 32, 163 - Widerrufsgründe V, 164 f. - Widerrufspraxis V, 192 f. - Zielsetzung V, 159 Strafe (-«· Strafrechtsreform) V, 57 ff., 393 f. - Bemessung der — V, 61 f. - Erschwerung V, 62 - Funktion II, 194 f. - Funktionsgrenzen V, 393 f. - Haupt- V, 57 ff. - historische Entwicklung I, 191 ff. - Milderung V, 62 - Naturvölker und - I, 194ff., 197ff. - Neben- V, 60 f. - Reform der - V, 57 ff. - Sinn der - II, 419 - und Verbrechen I, 191 ff. Strafen und Maßregeln V, 15 ff. Straffälligenhilfe IV, 553 ff. - Aufgaben der - IV, 557 ff. - Begriff IV, 553 - Entlassung IV, 560 f. - Geschichte der - IV, 553 f. - im Ausland IV, 555 ff. - in der Bundesrepublik Deutschland IV, 554 - Verhaftung IV, 557 f.

Sachregister - Verurteilung IV, 558 - während der Strafzeit IV, 558 ff. - Wiedereingliederung IV, 560 f. Strafgefangener III, 279 ff.; IV, 467 ff.; V, 28 ff. - Aufnahme des - IV, 469 - Außenweltkontakte des - IV, 474; V, 30 - Mitverantwortung des — V, 30 - Persönlichkeit des - III, 297; IV, 469 f. - Rechtsschutz des - IV, 485 f. - Rechtsstellung III, 279ff.; IV, 467f.; V, 28 - Unterbringung des — IV, 474 - Verlegung des — IV, 472 - weibliche - IV, 642 f. Strafgesetzgebung IV, 393 ff. - Effektivität IV, 401 f. - Entwicklung der - IV, 395 f. - Evaluation IV, 401 f. - Forschungsansätze zur - IV, 395 f. - Funktionen der — IV, 397 f. - Gesetzeskonstruktion IV, 396 - Gesetzgebungskompetenz IV, 396 - Gesetzgebungsverfahren IV, 396 f. - Integrationsfunktion IV, 398 f. - Interessengegensätze IV, 399 ff. - Konflikttheorien zur - IV, 399 f. - Konsenstheorie zur - IV, 400 - Kontrollinstanzen und - IV, 397 - kriminalisierbares Verhalten IV, 397 ff. - kriminologische Forschung und — IV, 393 f. - Massenmedien und - IV, 387 f., 400 f. - Mittel der - IV, 400 f. - Normgenese IV, 393 f. - Renaissance der — IV, 394 f. - Schutzfunktion IV, 399 - soziale Folgen IV, 402 f. - Strukturveränderungen in der - IV, 397 - wissenschaftliche Implikationen IV, 400 f. - wissenschaftstheoretische Stellung der - IV, 394 Strafprozeß (-> Strafverfahrensrecht) III, 225 ff. - Berufung III, 244 - Beteiligte III, 228 - Beweisaufnahme III, 238 f. - Beweiswürdigung III, 242 f. - Eid III, 237 - Hauptverhandlung III, 234; IV, 128 f., 139 f. - in dubio pro reo III, 243 - Kosten III, 248 - Rechtskraft III, 247 - Rechtsmittel III, 244, 246f.; IV, 130f. - Reformbestrebungen III, 235 f. - Revision III, 245 f. - Sachverständige III, 237 ff. - Staatsanwalt III, 240 - Urteil III, 241 ff. - Verfahrensmaximen III, 228 ff. - Verteidiger III, 240 f. - Wiederaufnahme des Verfahrens III, 248 ff. Strafprozeßordnung (-• Strafverfahrensrecht) III, 226 - Nebengesetze III, 226

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Strafprozeßrecht (-» Strafverfahrensrecht) III, 225 ff. Strafrecht I, 175 ff, 321 f.; V, 15ff., 411 ff. - als Schutz von Ehe/Familie I, 175 ff. - Peinliches - I, 321 f. - Schuldbegriff V, 16 f. - Schuldprinzip V, 15 f. - viktimologische Gesichtspunkte bei der Reform des - V, 411 ff. Strafrechtsfolgen ( - Viktimologie) V, 418 ff. - zukünftige Umgestaltung V, 418 ff. Strafrechtspflege (-» Rechtspflegedelikte) III, 17 ff. - Gefährdung der - III, 17 ff. - Störung der - III, 17 ff. Strafrechtsreform V, 40 ff. - Antragsdelikte V, 50 f. - Bagatellkriminalität V, 48 ff. - Begriffsdefinitionen V, 47 f. - Betriebsjustiz V, 50 - dogmatische Grundlagen der Strafbarkeit V, 51 ff. - einzelne Regelungen im Allgemeinen Teil des StGB V, 52 ff. - Geltungsbereich des Strafgesetzes V, 47 - Generalprävention V, 45 f. - Grundentscheidungen der deutschen - V, 43 ff. - im Besonderen Teil des StGB V, 67 ff. - im Nebenstrafrecht V, 73 ff. - Ladendiebstahlsgesetz V, 50 - Legalitätsprinzip V, 50 f. - Maßregeln der Besserung und Sicherung V, 63 ff. - materiell-rechtliche Entkriminalisierungsversuche V, 49 f. - Opferentschädigungsrecht V, 65 ff. - Ordnungswidrigkeitenrecht V, 48 f. - prozessuale Reformen V, 50 f. - Rechtsfolgen V, 45 - Reformbestrebungen nach 1945 V, 42 f. - Reformbestrebungen vor 1945 V, 41 f. - Registerrecht V, 65 f. - Resozialisierung V, 43 f. - Rückwirkungsverbot V, 47 - Schuldprinzip V, 44 f., 57 ff. - Strafaussetzung zur Bewährung V, 62 f. - Strafrechtseinschränkung V, 44 - Strafzumessung V, 46 - Strafzweck V, 46 - Territorialitätsprinzip V, 47 - Überblick V, 40 f. - Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt V, 64 f. - Zweiteilung der Straftaten V, 48 Straftat III, 45; V, 73 - Gemeingefährliche - V, 73 - Gewerbsmäßigkeit III, 45 Straftatenzahl (-• Tötungsdelikte, nichtfahrlässige) III, 357 Strafvereitelung (-> Rechtspflegedelikte) III, 21 ff. - Bedeutung III, 23 - Entwicklung III, 23

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Sachregister

— Erscheinungsformen III, 23 f. — Tätertypologie III, 24 f. — Ursachen III, 24 Strafverfahren I, 211 ff.; III, 233, 589f.; V, 281 f., 41 Iff., 418ff. — Ablauf des - in Japan IV, 3 7 ff. — Eröffnung des Hauptverfahrens III, 233 — Glaubwürdigkeit von Kinderaussagen I, 214 f. — Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen I, 211 ff., 215 ff. — informelle Verfahrenserledigung V, 281 f. — Kinder als Zeugen im - III, 590 ff. — Rechtsvergleichung IV, 125 f. — Rolle des Opfers im - III, 589 ff. — Sachverständiger I, 213 — viktimologische Gesichtspunkte bei der Reform des - V, 41 Iff. — zukünftige Umgestaltung V, 418 ff. Strafverfahrensrecht III, 225 ff. — Adhäsionsverfahren III, 251 — Bedeutung III, 226 — Begriff III, 225 — beschleunigtes Verfahren III, 251 f. — Einziehungsverfahren III, 251 — empirische Forschung und — IV, 126 f. — Geschichte I, 332 — in der Bundesrepublik Deutschland III, 227 ff. — Nebenklage III, 251 — Privatklage III, 250 — Reformbestrebungen III, 227; IV, 121 ff.; V, 50 f. — Sicherungsverfahren III, 251 — Sonderverfahren III, 250 ff. — Strafbefehl III, 252 — Strafverfügungsverfahren III, 252 — Verhältnis des - zum Strafrecht IV, 124 f. Strafverfolgung IV, 127; V, 275 ff. — Diversion V, 275 ff. — Effektivität IV, 127 Strafverfolgung (->· Kriminalistik) V, 118 ff.; (-• Strafvollzug: Grundlagen) III, 268 ff. StrafverfolgungsmaBnahmen (-> Psychiatrie) II, 393 ff — Bewährungshilfe II, 394 — Maßregeln der Besserung und Sicherung II, 394 ff. — Unterbringung in psychiatrischer Anstalt II, 396 ff. — Verwarnung II, 394 — Weisungen II, 393 f. Strafverfolgungsstatistik (-»Tötungsdelikte, nichtfahrlässige) III, 358 f. Strafvollstreckung (-• Strafverfahrensrecht) III, 248 Strafvollzug III, 253 ff.; IV, 464ff; V, 27 ff., 411 ff, 418 ff. — Angleichungsgrundsatz IV, 466 f., 474 — Antike III, 253 f. — Arbeit III, 287ff; IV, 477 f. — Arbeitslohn III, 289 f., 478 — Arbeitslosenversicherung im — IV, 479 f. — Aufgaben des - IV, 464 ff. — Aufsichtsbehörde IV, 486 f.

- Aus- und Weiterbildung IV, 477 ff; V, 27, 222 ff. - Behandlungsmaßnahmen IV, 465 f. - Besuch III, 290; IV, 476 - Briefverkehr III, 290; IV, 476 f. - Differenzierung IV, 487 - Eingliederungshilfe IV, 467, 481 - Entlassung III, 291 f.; IV, 473 f. - Entscheidungsstruktur im - IV, 488 f. - Freigänger III, 290 - Freizeit III, 287 ff; IV, 479 - Fürsorge III, 291 f. - Gefängnisbeiräte III, 300; IV, 489 f. - Gefangnispopulation III, 292 ff. - Gegenstand III, 268; IV, 455 f., - Gegensteuerungsgrundsatz IV, 467 - geschlossener - IV, 470 f. - Gestaltung des - IV, 466 ff, 474 f. - Gesundheitsfürsorge IV, 480 f. - Grundsätze des - IV, 464 - Haftformen III, 285 f. - Hafturlaub IV, 471 f. - Hausgeld IV, 475 - im 18. Jahrhundert III, 257 f. - im 19./20. Jahrhundert III, 264 f. - in Japan IV, 34 ff. - internationale Empfehlungen III, 282 f. - Klassifizierung V, 29 f. - Kommunikationsstruktur im - IV, 488 - kriminologische Forschung zum - IV, 489 - lebenslanger - III, 293 f. - Lockerungen III, 298 f.; IV, 471 - Mittelalter III, 254 f. - offener - IV, 470 f.; V, 27 - Opferentschädigung und - III, 581 f. - Organisation des - IV, 486 ff. - Personal I, 390; III, 270ff., 295; IV, 489; V, 27 - Rechtsschutz III, 278 f. - Reform II, 14ff; III, 265ff. - Religionsausübung IV, 480 - Resozialisierung III, 295 ff.; IV, 464 ff. - Rückfall III, 40 - Schadensersatz im — III, 277 -Seelsorgelll, 291 f., 303 ff. - Sicherheit und Ordnung im - IV, 482 ff.; V, 29 - Sicherung im - IV, 464 ff. - Sozialversicherung im — III, 277 f.; IV, 479 f. - Strafregister und - III, 301 - Stufenvollzug V, 30 - viktimologische Gesichtspunkte bei der Reform des - V, 41 Iff. - Vollzugsplanung IV, 468 ff.; V, 29 f. - Ziele des - V, 28 f. - Zielkonflikte IV, 465 - zukünftige Umgestaltung V, 418 ff. Strafvollzugsanstalt III, 268 ff.; IV, 487 f., 500 ff, 516 f. - Aufnahme in die - III, 283 ff. - Behandlungsmethoden in der — IV, 500 ff. - Betrieb III, 286 f. - Hausstrafen III, 281 f. - in Japan IV, 32 f.

Sachregister - Kritik IV, 516 f. - Leiter der - III, 272ff., 274f. - offene - III, 299 f. - Organisation III, 275 f. - Struktur der - IV, 487 f. Strafvollzugsgeschichte III, 253 ff. - Besserungsvollzug III, 262 f. - Disziplinarsystem III, 263 f. - Einzelhaft III, 262 f. - Progressivsystem III, 263 f. - Reformbestrebungen III, 258 ff. - Reformmodelle in Preußen III, 261 ff. - Reformvorbilder III, 260 f. Strafvollzugsgesetz (-» Strafvollzugsrecht) IV, 463 f. - Anwendungsbereich IV, 463 - Inkrafttreten IV, 463 f. - Systematik IV, 463 Strafvollzugsrecht IV, 455 ff. - Alternativ-Entwurf IV, 462 f. - Bundesstaatlichkeit IV, 459 - empirische Grundlagen IV, 460 f. - Gegenstand IV, 455 f. - Kommissionsentwurf IV, 461 f. - kriminalpolitische Aspekte IV, 459 f. - normative Grundlagen IV, 457 ff. - Rechtsgrundlage IV, 456 - Rechtsstaatsprinzip IV, 458 - Reformentwürfe IV, 461 ff. - Regierungsentwurf IV, 462 - Sozialstaatsprinzip IV, 458 f. - systematische Stellung IV, 456 f. Strafzumessung IV, 132 ff. - Bewertungsaspekte IV, 136 f. - Gegenstand IV, 132 f. - gesetzliche Grundlagen IV, 135 f. - Kontrolle der - IV, 138 f. - Richterpersönlichkeit und - IV, 137 f. - Uneinheitlichkeit IV, 133 - Vereinheitlichung IV, 133 ff. Stra&enkinder (-• Kinder- und Jugenddelinquenz) V, 489 f. Straßenverkehrskriminalität (-» Verkehrsdelikte) III, 488 ff.; V, 437 ff. Strukturprognosetafel (-> Kriminalprognose) IV, 314 ff. - Methoden IV, 314 f. - Nullhypothese IV, 317 - Prognosemerkmalskombinationen IV, 315 f. Subkultur (-• Kriminalsoziologie) II, 63 ff.; (-• Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung) III, 307 ff. Sucht (-• Psychiatrie) - Bekämpfung II, 365 f. - Entziehungsanstalt II, 398 Suizid (-» Selbstmord) III, 125 ff. Täterpersönlichkeit (-»Persönlichkeitsforschung) II, 284 ff. Telepathie (-• Aberglaube) I, 3 Terror (-> Gewaltkriminalität) IV, 107 ff. - Begriff IV, 107

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- durch Chaoten IV, 114 Terrorismus IV, 107 ff.; V, 72, 379 f. - arabischer - IV, 114 ff. - Definition V, 600 - Erscheinungsformen V, 601 f. - Geiselnahme V, 604 - Guerilla IV, 108 f. - Ideologie V, 602 - in der Bundesrepublik Deutschland IV, 109 ff. - internationale Zusammenarbeit IV, 113 f. - Kontrolle V, 605 - maritimer - V, 379 f. - Opfer V, 603 ff. - Opferschäden V, 605 - Organisationsstruktur V, 600 f. - Stockholm Syndrom V, 604 f. - Strategie V, 602 - Typologie des Terroristen V, 601 - Ursachen V, 602 f. Terrorismus (-» Politische Kriminalität) V, 600 ff. Theoretische Kriminologie (-»Kriminalitätstheorien) V, 645 ff.; (-»Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung) III, 307 ff. Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung III, 307 ff. Tierquälerei V, 76 ff. - als Straftat V, 76 ff, 88 - bei der Tierhaltung V, 83 f. - Dunkelzahl V, 81 - durch Kinder und Jugendliche V, 86 - Erscheinungsbild der - V, 81 ff. - Hahnenkampf V, 84 f. - im sportlichen Bereich V, 84 f. - in der Landwirtschaft V, 81 f. - in der Stadt V, 81 - Kriminalitätsentwicklung V, 80 f. - Kriminalstatistik V, 80 - Pferdesport V, 85 - Rechtfertigungsgründe V, 79 - Stierkampf V, 84 - Tathandlungen V, 78 ff. - Tierschutzgesetz V, 78 ff. - Tiertransport V, 82 f. - Tierversuche V, 85 f. - Ursachen der - V, 86 ff. - Versuchstiere V, 82 - Vorsatz V, 79 Todesstrafe III, 326 ff. - Abschreckungswirkung III, 343 ff. - Constitutio Criminalis Carolina und - III, 329 - generalpräventive Wirkung II, 5 f. - Geschichte III, 326 ff. - Grundgesetz III, 339 - im Ausland III, 340 ff. - im 19. Jahrhundert III, 333 ff. - im Mittelalter III, 327 f. - in der Aufklärungszeit III, 329 ff. - in der Gegenwart III, 339 ff. - in der NS-Zeit III, 337 ff. - in der Weimarer Republik III, 336 ff.

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Sachregister

- in Japan IV, 34 - Justizirrtum und — III, 349 f. - kriminologische Argumente gegen die - III, 350 f. - Menschenwürde und — III, 351 f. - Sicherungswirkung III, 348 f. - Umfrageergebnisse III, 339 f. Todesursachen (-• Gift und Vergiftung) - Statistik I, 340 Todesurteile (-» Todesstrafe) III, 334ff., 337ff. Tötungsdelikte III, 353 ff.; V, 67 f., 258 f. - Alkoholeinfluß III, 378 f., 391 f. - Altersverteilung der Täter von — III, 374 ff.; V, 258 - Aufklärung III, 361 ff. - Fundort III, 399 f. - Gerichtsmedizin III, 398 ff. - Geschlecht der Täter III, 373 f. - gesetzliche Regelungen III, 354 ff. - Häufigkeit in der Bundesrepublik Deutschland III, 357 ff. - im Alter V, 258 f. - internationaler Vergleich III, 356 f. - Kindestötung I, 300ff„ 416f., 511; III, 370, 392 f., 436 - Krankheit und - III, 376 fT. - kriminaltaktisches Vorgehen II, 94 ff. - Latenz III, 362 f. - Melancholie und III, 437 ff. - Mord I, 416; III, 383 ff., 424; IV, 81 ff. - Motiv III, 387 ff. - O b d u k t i o n III, 410ff., 416 - Opfer III, 367 ff. - politischer Mord III, 394 fif. - Psychosen und - III, 377f., 392 - Schizophrenie und - III, 377, 427 ff. - Schuldfähigkeit III, 379 ff., 422fif. - Selbstmord III, 383 fif., 424; V, 259 - Tatablauf III, 418 - Tatbereitschaft III, 387 ff. - Täter-Opfer-Beziehung III, 381 fif., 561 ff. - Täterpersönlichkeit III, 371 ff., 376, - Tatinstrumente III, 407 ff. - Tatort III, 366f., 399 f. - Tatsituationen III, 391 ff. - Tatzeit II, 246 f., 249; III, 363 ff. - Todesursache III, 419 - Todeszeitpunkt III, 400 ff., 418 f. - Untersuchung der - in Hamburg III, 359 fif. - Verurteiltenzahlen III, 344 - Vortäuschung eines Verkehrsunfalls III, 409 Tyrannisieren in der Schule - Definition V, 668 f. - Erscheinungsformen V, 670 f. - Häufigkeit in Australien V, 669 f. - Häufigkeit in den Niederlanden V, 669 f. - Häufigkeit in Deutschland V, 670 - Häufigkeit in England V, 670 - Häufigkeit in Irland V, 670 - Häufigkeit in Japan V, 669

-

Häufigkeit in Norwegen V, 669 Häufigkeit in den USA V, 669 institutionelle Ursachen V, 672 internationales Problembewußtsein V, 668 Kontrolle V, 674 f. Opferursachen V, 672 f. Persönlichkeitsprofil der Opfer V, 671 Persönlichkeitsprofil der Täter V, 671 Problem V, 668 f. situative Ursachen V, 673 sozialstrukturelle Ursachen V, 671 f. Schäden für Opfer V, 673 f. Schäden für Täter V, 673 f. Täterursachen V, 672 Verhütung V, 674 f.

Umwelt (-• Kriminalsoziologie) II, 63 ff., 240 ff. - als Tatort II, 253 f. - Jahreszeit und Kriminalität II, 244 ff. - Klima und Kriminalität II, 242 - Umweltfaktoren als Kriminalitätsursachen II, 63 fif. - Wetter und Kriminalität II, 244 Umweltbelastungen (-»Umweltkriminalität) V, 105 fif. - Abfallbeseitigung V, 106, 112 f. - Lärmbelästigung V, 105, 111 f. - Luftverunreinigung V, 105, 111 f. - Strahlenbelastung V, 106 - Wasserverunreinigung V, 105 f., 113 Umweltkriminalität V, 104 ff., 380 - Erscheinungsformen der - V, 110 - gefahrdungschutzbedürftige Gebiete V, 113 f. - Gewässerverunreinigung V, 113 - Häufigkeit der Umweltdelikte V, 110 f. - Lärm V, l l l f . - Luftverunreinigung V, l l l f . - Meeresverunreinigung V, 380 - schwere Umweltgefahrdung V, 114 f. - umweltgefährdende Abfallbeseitigung V, 112 f. - Umweltpolitik V, 104 Umweltschutz (-• Umweltkriminalität) V, 106, 115 fr. - Landschaftspflege V, 106 - Naturschutz V, 106 - Überwachung des - V, 115 fif. Umweltschutzkontrolle (-• Umweltkriminalität) V, 115 fif. - Beweissicherung V, 116 f. - Überwachungsbehörden V, 115 fif. Umweltrecht (-» Strafrechtsreform) V, 73 f., 106 ff. - Abfallbeseitigung V, 109 - Immissionsschutz V, 106 f. - Landschaftspflege V, 110 - Naturschutzrecht V, 110 - Strahlenschutz V, 109 f. - Wasserschutz V, 108 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus II, 396ff., 399f.; V, 35 f. - ausländische Vorbilder II, 399 f.

Sachregister - Aussetzung zur Bewährung II, 397; V, 35 - Gefährlichkeitsproblem II, 396 - Prognoseproblem II, 396 f. - Statistik V, 36 - Vollzug V, 35 - Voraussetzungen V, 35 - Zweck V, 35 f. Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (-» Strafen und Maßregeln) V, 36 f. - Aussetzung zur Bewährung V, 37 - Statistik V, 37 - Vollzug V, 36 f. - Voraussetzung V, 36 - Zweck V, 36 Unternehmenskriminalität (-* Umweltkriminalität) V, 104 ff.; (->· Wirtschaftskriminalität) III, 656 ff. Unterschlagung IV, 197 ff. - Erscheinungsformen der - IV, 200 ff. - historische Entwicklung IV, 198 f. - Kriminaltaktik IV, 203 f. - Kriminaltechnik IV, 203 - quantitative Entwicklung IV, 199 f. - Tätertypologie IV, 202 f. - Ursachen der - IV, 202 - Verbrechenstechnik IV, 203 Untersuchungshaft V, 200 ff. - Alternativen zur — V, 218 f. - Begriff V, 200 - bei Jugendlichen und Heranwachsenden V, 215 f. - Disziplinarmaßnahmen V, 212 - formelle Voraussetzungen V, 205 - Funktion V, 200 f. - gerichtlicher Rechtsschutz V, 212 f. - Haftbefehlsaufhebung V, 206 f. - Haftgründe V, 201 - Haftprüfung V, 207 - Haftrichter V, 208 f. - Haftverschonung V, 206 - Haftzweck V, 207 f. - materielle Voraussetzungen V, 203 f. - rechtliche Abgrenzung V, 201 f. - rechtliche Regelung der - V, 207 ff. - Rechtsquellen V, 202 f. - rechtsstaatliche Begrenzungen V, 204 - Reformen V, 216 ff. - Sicherungsmaßnahmen V, 211 - soziale Hilfe und Therapie in der - V, 218 - statistische Untersuchungen V, 213 ff. - Trennungsgrundsatz V, 208 - Überhaft V, 209 - Verfahrensgrundsätze V, 204 f. - Vollzugsgesetz V, 216 ff. - Vollzugsregelungen V, 209 ff. - vorläufige Festnahme V, 205 - vorläufige Verhaftung V, 205 f. - Zwangsmaßnahmen V, 211 f. Urkundendelikte IV, 205 ff. - Deliktstypen IV, 206 f. - gesetzliche Regelung IV, 205

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- Grundtypen der - IV, 205 - historische Entwicklung IV, 207 f. Urkundenfälschung (-» Urkundendelikte) IV, 205 ff. - Erscheinungsformen der - IV, 209 f. - Kriminalstatistik IV, 208 f. - Kriminaltaktik IV, 213 - Kriminaltechnik IV, 212 f. - Nachweis von - I, 116 f. - Tätertypologie IV, 210 f. - Ursachen der - IV, 210 - Verbrechenstechnik IV, 211 f. Urkundenunterdrückung (-• Urkundendelikte) IV, 207, 217 ff. - Erscheinungsformen IV, 218 - Grenzverrückung IV, 219 - Kriminalstatistik IV, 218 - Kriminaltaktik IV, 218 - Kriminaltechnik IV, 218 - Verbrechenstechnik IV, 218 Urkundenuntersuchung II, 176 ff.; III, 97 ff.; IV, 212f. - Altersbestimmung II, 178 f. - Druckschrift II, 182 f. - Gegenstand II, 176 - handschriftliche Urkunde III, 101 - Lesbarmachung des Originals II, 179 f. - Maschinenschrift II, 180 ff. - Paßvordrucke II, 183 - Schreibstoffe II, 178 - Schriftträger II, 177 f. - Testament III, 99 ff. - Unterschriftsidentifizierung III, 97 f. - Voruntersuchung II, 176 f. Ursachen der Kriminalität (-» Kriminalitätstheorien) V, 645 ff.; (-• Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung) III, 307 ff. Vandalismus (-» Sachbeschädigung) V, 362 ff. Verbrechen - Definition III, 310 - historische Entwicklung I, 191 ff. - im Krieg II, 84 ff. - in der Kunst II, 47 f. - internationales — II, 39 f. - Klassifikation II, 216 - Naturvölker und - I, 194 ff., 197 ff. - Schwachsinn und - III, 445 ff. Verbrechensbegriff (-» Kriminologie: Grundlagen I.) II, 187 ff; (-» Kriminologie: Grundlagen II.) II, 515 ff. Verbrechensbekämpfung (-» Kriminalpolizei) II, 21 ff. Verbrechensbekämpfung, internationale (-»Internationale Verbrechensbekämpfung) IV, 46 ff. Verbrechensfurcht (-• Massenmedien) V, 301 ff. Verbrechensverhütung IV, 404ff., 515 f. - Abschreckungseffizienz IV, 428 - auslösende Bedingungen IV, 407 ff. - Begriffsbestimmung IV, 405 f. - Begründung der — IV, 404 f.

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Sachregister

Behandlungsarten IV, 420 Behandlungsprogramme IV, 437 Bestrafungspolitik IV, 427 f. Bewährungshilfe IV, 436 f. Computereinsatz in der — IV, 417 direkte - IV, 412, 423 ff., 433 f. durch Abschreckung IV, 426 f. durch architektonische Planung IV, 424 f. durch Belohnung IV, 412, 432 ff., 437 f. durch Entkriminalisierung IV, 429 durch Kriminalisierung IV, 428 Entlassenenfürsorge IV, 442 f. Entwicklung organisierter - in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland IV, 414f. Entziehung der Fahrerlaubnis IV, 430 f. Evaluierungsprobleme IV, 418 ff. Freiheitsentzug IV, 435 f. Geldstrafe IV, 430 Generalprävention IV, 425 Hindernisdelikte IV, 424 Hinrichtung IV, 434 indirekte - IV, 412, 425 ff., 432 f. Informationssysteme IV, 417 Jussim Modell IV, 417 Kontrollgruppenerhebung IV, 421 f. korrektive - IV, 432 Kriminalgeographie IV, 425 Maßnahmen der - IV, 411 f. mittelbare - IV, 441 ff. nach dem Verbrechen IV, 434 ff. negative Bestrafung IV, 427, 438 negative punitive - IV, 430 f. persönliche Integration als - IV, 515 f. Planung IV, 410 f. Planungsprozeß IV, 415 f. Polizeiaufsicht IV, 443 polizeiliche Maßnahmen der - IV, 429 f. positive Bestrafung IV, 427 präventive Einschließung IV, 433 primäre - IV, 411, 423 ff. Programme zur - IV, 413 f. punitive - IV, 425 ff, 429 ff. Resozialisierung IV, 434 f. sekundäre - IV, 411, 433 f. Sicherheitsmaßnahmen IV, 433 soziale Integration als - IV, 515 f. Spezialprävention IV, 434 Stigmatisierung IV, 443 Strafandrohung IV, 425 ff. strafprozessuale Probleme der - IV, 438 ff. Strafregister IV, 443 Strukturanalyse IV, 416 Systemoperationalisierung IV, 416 systemtheoretische Planung der - IV, 412 ff. tertiäre - IV, 411, 434f., 437f., 441 ff. Typologie der Ansätze der - IV, 406 ff. Untersuchungshaft und - IV, 430 f. Verbrechensverlagerung IV, 424 Vergleichsuntersuchungen IV, 422 f. Verhütungsmittel der direkten - IV, 483 f.

Verbrechensverursachung (-» Kriminalitätstheorien) V, 645 ff.; (-»Theorien des Verbrechens und der sozialen Abweichung) III, 307 ff. Verbrechen und Schwachsinn III, 445 ff. Verbrechen unter totalitärer Herrschaft III, 453 ff. Verbrechensopfer (-• Viktimologie I.) III, 532 ff.; (-«· Viktimologie II.) V, 405 ff. Verbrecher - internationaler - II, 39 f. - Komplizenschaft II, 2 - Persönlichkeit des - II, 432 f. - Verbrecherperseveranz II, 125 f. Vereinte Nationen (UNO) II, 267 f. Vergewaltigung - Begriff und Abgrenzung V, 524 - biologische Ursachen V, 531 - durch Bekannte V, 529 - durch Fremde V, 528 f. - Entwicklung V, 526 f. - Erscheinungsformen V, 528 ff. - Häufigkeit V, 524 ff. - in den USA V, 526 - in der Schweiz V, 525 - in Deutschland V, 525 f. - in Österreich V, 525 - in der Ehe V, 530 - in Liebesbeziehungen V, 529 f. - integrierte Lebenslauftheorie V, 528 ff. - kulturelle Ursachentheorie V, 533 ff. - Mitopferschäden V, 542 - Opferbehandlung V, 547 ff. - Opferhilfs- und -behandlungsprogramme V, 546 ff. - Opferschäden V, 540 ff. - Opferstellung im Kriminaljustizsystem V, 544 ff. - Opferwiderstand V, 543 f. - Prognose V, 552 f. - psychoanalytische Ursachentheorien V, 531 f. - Reform der Gesetzesbestimmungen V, 545 f. - Rückfall V, 552 f. - Serienvergewaltiger V, 539 f. - Sexualmörder V, 539 f. - sozialprozessuale Ursachen V, 535 ff. - sozialstrukturelle Ursachen V, 532 f. - Täterbehandlung V, 549 ff. - Typologie der Vergewaltigungstäter V, 527 f. - Ursachen V, 531 ff. - Vergewaltigungsstereotype V, 534 f. - Verhütung V, 542 f. Vergiftung (- Vorbeugung des Verbrechens) IV, 404 ff. Verkehrsdelikte III, 488 ff.; V, 74, 95 f.; V, 437 ff. - Ahndung von - III, 509 ff.; V, 448 - Bekämpfung der - III, 511 f.; V, 447 f. - Definition V, 437 - kriminalpolitische Besonderheiten III, 490 - kriminologische Besonderheiten III, 490 ff. - Statistik V, 438 f. - Tätertypologie III, 498 ff., 503 f.; V, 440ff. - Trunkenheitsfahrt III, 505 ff. - unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen III, 504 ff. - und Kriminologie V, 437 f. - Unfall III, 493 ff. - Unfallflucht III, 507 ff. - Unfallhäufigkeit III, 495 - Unfallursachen III, 493 ff.; V, 96; V, 439 f. - Verurteiltenstatistik III, 496 f., 501 Verkehrsdelinquent III, 495 ff.; V, 95 ff., 440 ff. - Alter III, 500 ff. - Beruf III, 502 f. - Geschlecht III, 499 f. - im Strafvollzug III, 511 - Tätertypologie III, 498 ff., 503 f.; V, 96f.; V, 440 ff. Vermißtenwesen (-• Kriminaltaktik) II, 132 ff. - Aufenthaltsermittlung II, 134 f. - Begriff II, 132 - Identifizierung von Toten II, 134 - kriminalpolizeiliches Vermißtenverfahren II, 132 - polizeitaktisches Vorgehen II, 133 f. - Vermißtenfahndung II, 135 - Vermißtenmeldung II, 133 Vermögenskriminalität (-• Betrug) I, 81 ff.; (-» Erpressung) I, 179 ff. Verurteiltenzahl (-» Tötungsdelikte, nicht-fahrlässige) III, 358 f. Verwahrlosung III, 516 ff. - Begriff III, 516, 518 ff. - Behandlung III, 528 f. - endogene Ursachen III, 523 ff. - exogene Ursachen I, 400 f.; III, 522 f. - Geschichte III, 516 ff. - Jugend- 1, 395, 400, 446 f. - Kindheit und - III, 526 f. - Prognose III, 527 f. - Prozeß der - I, 71 - Ursachen III, 521 ff. - Verhütung III, 529 ff. Viktimisierung (-» Viktimologie) V, 408 ff. Viktimisierungsprozeß (- Rückfall und Prognose) III, 45 Vorbeugung II, 24f., 387 ff.; III, 197, 583 ff. - bei Selbstmord III, 140ff„ 150ff, 158f., 160f. - bei Serienstraftaten II, 122 ff. - von Jugend- und Kinderdelinquenz I, 445 ff.; III, 108 f., 111 ff. Vorbeugung des Verbrechens IV, 404 ff. Wahrsagerei (-+ Aberglaube) I, 3 f. Weibliche Kriminalität III, 608 ff. - Abtreibung und - III, 632 - Alkoholismus III, 632, 636 f. - Art der Tatbegehung III, 627 ff. - Beteiligung an einzelnen Delikten III, 616 ff. - Bildungsstand III, 634 f. - Emanzipation und - III, 632 f.

Sachregister - Familienstruktur III, 635 f. - Forschungsstand III, 608 f. - geographische Verteilung III, 625 f. - kriminelle Karriere III, 633 ff. - Krisenzeiten III, 623 ff. - Lebensalter III, 626 f. - Merkmale der - III, 629 ff. - Minderjährige III, 620 f. - Prostitution und - III, 631 f. - Rauschgiftsucht und - III, 637 - Situation der Frau III, 609 f., 632 f. - soziale Herkunft III, 633 f. - Statistik III, 610ff., 616ff., 628 - Straftaten III, 613 ff., 621 ff. - Taterinnenpersönlichkeit III, 637 ff. - Taterinnentypologie III, 639 f. - Verurteilungen III, 629 f. Weibliche Kriminalität (-• Frauenkriminalität) V, 625 ff. ( - Wirtschaftskriminalität) III, 656 ff. Widerstand gegen die Staatsgewalt (-> Strafrechtsreform) V, 71 f. Wiedergutmachung V, 391 ff. - Akzeptanz in der Bevölkerung V, 394 f. - Anwendungsfelder V, 399 ff. - Bedeutung in der Praxis V, 397 f. - Begriff V, 391 - Entwicklungsperspektiven V, 401 - Funktionsgrenzen von Schadensersatz und Strafe V, 393 f. - historische Entwicklung V, 392 f. - in der Strafanstalt V, 420 f. - Kritik V, 402 f. - Leistungsfähigkeit der Täter V, 401 f. - praktische Erfahrungen V, 402 - rechtliche Einbindungsmöglichkeiten V, 396 f. - Statistik V, 397 - und Strafe V, 391 f. - Voraussetzungen V, 398 f. - zur Bewältigung strafrechtsrelevanter Konflikte V, 395 f. Wilderei IV, 222 ff. - Anzeigeverhalten IV, 235 ff. - Auto- IV, 231 - Bekämpfung IV, 238 f., 247 f. - Beweisführung IV, 240 ff. - Dunkelfeld IV, 235 - historische Entwicklung IV, 223 - mit Fallen IV, 229 f. - mit Schlingen IV, 228 f. - mit Schußwaffen IV, 226 ff. - mit Tieren IV, 230 - soziale Beurteilung der — IV, 223 f. - Spurenauswertung IV, 242 ff. - Statistik der - IV, 231 ff. - Täterbegegnung IV, 245 ff. - Tätertypologie IV, 231 ff. - Tatbestand der - IV, 222 f.

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- Tatort IV, 239 f. - zeitliche Verteilung IV, 234 f. Wirtschaftskriminalität III, 656 ff. - Anzeigebereitschaft III, 686 f. - Begriff III, 658 ff. - Bekämpfung III, 665 f. - Computerkriminalität V, 265 ff. - Erscheinungsformen III, 660 f. - Geschichte III, 656 ff. - Sanktionen III, 688 f. - Schaden III, 682 - soziale Reaktion auf - III, 663 f. - Statistik III, 680 f. - Täter III, 661 ff., 680 f. - Tatort III, 681 f. - Umfang III, 660 - Unrechtsbewußtsein III, 688 - Ursachen III, 661 ff. - Vorbeugung III, 664 f. Wirtschaftsstrafgesetz III, 674; V, 71 Wirtschaftsstrafrecht III, 668 ff. - Bank- und Börsenrecht III, 678 f. - Begriff III, 668 ff. - Computerstraf recht V, 273 - Dunkelfeld III, 679 f. - Effektivität III, 682 ff. - Erscheinungsformen III, 674 ff. - Funktion des - III, 671 ff. - Geschichte III, 671 ff. - Gesellschaftsrecht III, 677 f. - Gesetzgebung III, 687 f. - gewerblicher Rechtsschutz III, 675 ff. - Kartellstrafrecht III, 672, 677 - Lebensmittelstrafrecht III, 671 f. - Reform III, 685 ff. - Steuerstrafrecht III, 674 f. - systematische Stellung des - III, 668 f. - Versicherungsrecht III, 678 - Wirtschaftsstrafgesetz III, 674; V, 71 - Wucherstrafrecht III, 672 Wohlstandskriminalität I, 428; II, 71 Zeugenaussage (-» Strafverfahrensrecht) III, 236 f. Zuchthaus (-» Strafvollzug: Geschichte) III, 255 Zuhälter II, 283, 312, 329; III, 470; V, 10 f. Zwillingsforschung III, 691 ff. - Fallstudien III, 704 ff. - Geschichte III, 691 f. - jugendliche Delinquenten III, 708 f. - Konkordanzbegriff III, 695 ff. - Kriminalitätskonkordanz III, 694 f. - Kriminalpsychologie II, 434 f. - kriminelle Lebenskurven III, 699 ff. - kriminelles Verhalten III, 709 - Methoden III, 692 ff. - Persönlichkeit III, 709 ff.