Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation: Band 1 und 2 zusammen 9783666461866, 9783525461860, 9783647461861, 3525461720


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Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation: Band 1 und 2 zusammen
 9783666461866, 9783525461860, 9783647461861, 3525461720

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© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Alexander Thomas Eva-Ulrike Kinast Sylvia Schroll-Machl (Hg.)

Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation Band 1: Grundlagen und Praxisfelder Band 2: Länder, Kulturen und interkulturelle Berufstätigkeit

Mit 23 Abbildungen und 14 Tabellen

2., überarbeitete Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-46172-0

© 2005, 2003 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Satzspiegel, Nörten-Hardenberg Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt

Inhalt

Inhalt

Einführung (Alexander Thomas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

I.

Grundlagen

1.

Theoretische Grundlagen interkultureller Kommunikation und Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Kultur und Kulturstandards (Alexander Thomas) . . . . . . . . . . . National- und Organisationskulturen (Alexander Thomas) . . . . . Das Eigene, das Fremde, das Interkulturelle (Alexander Thomas) . . . Kulturdimensionen (Gabriel Layes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fremdsprachenkompetenz in der interkulturellen Zusammenarbeit (Evelyne Glaser) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Interkulturelle Wahrnehmung, Kommunikation und Kooperation (Alexander Thomas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Interkulturelles Identitätsmanagement (Gabriel Layes) . . . . . . . . 1.8 Interkulturelles Lernen und Akkulturation (Gabriel Layes) . . . . . 1.9 Interkulturelle Handlungskompetenz (Barbara Hatzer/ Gabriel Layes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10 Ethische Leitlinien für interkulturelles Handeln (Gerhard Winter)

19 32 44 60 74 94 117 126 138 149

2.

Diagnose – Training – Evaluation – Coaching . . . . . . . . . . . . . 167

2.1 2.2 2.3 2.4

Diagnose interkultureller Handlungskompetenz (Eva-Ulrike Kinast) Interkulturelles Training (Eva-Ulrike Kinast) . . . . . . . . . . . . . Evaluation interkultureller Trainings (Eva-Ulrike Kinast) . . . . . . Interkulturelles Coaching (Eva-Ulrike Kinast) . . . . . . . . . . . . .

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167 181 204 217

6

Inhalt

II. Praxisfelder 1.

Interkulturelle Kompetenz und Kooperation in Unternehmen . . . 229

1.1 Interkulturelles Management (Siegfried Stumpf) . . . . . . . . . . . 229 1.2 Interkulturelle Personalentwicklung in internationalen Unternehmen (Eva-Ulrike Kinast/Alexander Thomas) . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1.3 Interkulturelles Marketing (Georg Felser) . . . . . . . . . . . . . . . 257 2.

Zentrale Managementbereiche unter interkulturellen Gesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

2.1 Interkulturelle Rhetorik (Stefan Kammhuber) . . . . . . . . . . . . . 2.2 Interkulturelle Verhandlungsführung (Stefan Kammhuber) . . . . . 2.3 Interkulturelles Konfliktmanagement und Mediation (Stefan Kammhuber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Interkulturelles Projektmanagement (Ulrich Zeutschel) . . . . . . . 2.5 Interkulturelles Führen und Managen (Siegfried Stumpf) . . . . . . 2.6 Interkulturelle Arbeitsgruppen (Siegfried Stumpf) . . . . . . . . . . 2.7 Management interkultureller Aspekte bei Mergers und Acquisitions (Alexander Thomas/Detmar Grosse-Leege) . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Globale Unternehmenskommunikation (Alexander Thomas) . . . . 2.9 Auslandsentsendungen: Expatriates und ihre Familien (Alexander Thomas/Sylvia Schroll-Machl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10 Frauen im internationalen Management (Iris C. Fischlmayr/ Sylvia Schroll-Machl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.

274 287 297 307 324 340 354 372 390 416

Überlegungen zu einem strategischen Gesamtkonzept für Interkulturalität in Unternehmen (Eva-Ulrike Kinast/Sylvia Schroll-Machl) . . . . . . . . . . . . . . . 434

Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463

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Alexander Thomas: Einführung

Alexander Tho mas: Einführung

Alexander Thomas

Einführung

Internationalisierung und Globalisierung vieler Bereiche unserer Gesellschaft schreiten ständig voran. Im Berufsleben, in Schule, Studium sowie Aus- und Fortbildung und im privaten Leben nehmen Anzahl und Intensität der Kontakte zu Menschen aus anderen Kulturen immer mehr zu. Für viele ist die berufsbedingte Zusammenarbeit mit nichtdeutschen Partnern im Ausland oder an ihrem Arbeitsplatz in Deutschland schon eine Selbstverständlichkeit. In den Medien überwiegen nicht selten die täglichen Nachrichten über Ereignisse in Europa und den USA, aber auch in geographisch und kulturell fernen Ländern die berichtenswerten nationalen Ereignisse. Für den modernen Menschen reicht es nicht mehr aus, diese Informationen aus aller Welt einfach nur irgendwie aufzunehmen, sondern von ihm wird verlangt – und es gehört auch zu seinem Selbstverständnis –, sich darüber ein eigenes und sachlich fundiertes Urteil zu bilden. Wer über die globale Wirtschaftsentwicklung, die internationalen Bemühungen um den globalen Klima- und Umweltschutz, über den Stand der Sicherheitspolitik auf europäischer, transatlantischer und transkontinentaler Ebene, über die globale Armutsbekämpfung und die wirtschaftliche Stellung Deutschlands im globalen Wettbewerb so weit informiert sein will, dass er im Diskurs um Meinung und Gegenmeinung ernst genommen wird und bestehen kann, muss aktuell und qualifiziert informiert sein. Niemand, der zu den Fachund Führungskräften in unserer Gesellschaft, auf welchen Hierarchieebenen auch immer, gehören will, kann sich der Beschäftigung mit globalen und auf der internationalen politischen Bühne diskutierten Themen entziehen, auch wenn er selbst nicht direkt im globalen Geschäft handelnd tätig ist. Ein gewisses Maß an internationaler Handlungskompetenz wird auf jeden Fall verlangt. Zweifelsohne sind die mit der Globalisierung und Internationalisierung vieler gesellschaftlicher Bereiche zusammenhängenden Anforderungen sowie die Entwicklung einer Kompetenz zur Bewältigung dieser Anforderungen zentrale Themen des beginnenden 21. Jahrhunderts. Historisch betrachtet sind dies aber keineswegs neue Themen. In der Menschheitsge-

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Alexander Thomas: Einführung

schichte hat es immer schon Zeiten gegeben, in denen aus militärpolitischen, wirtschaftspolitischen, machtpolitischen, religiösen und anderen Gründen eine Intensivierung transkontinentaler und damit auch interkultureller Prozesse stattfand. Dabei ging es immer um die Erweiterung und Stabilisierung von Macht und Einfluss von einem Machtzentrum auf andere Machtzentren, auf Länder, Kulturen und Kontinente. Die jüngsten Forschungen über die Bedeutung von Fernhandelsstraßen zu Land (z. B. Seidenstraße, Weihrauchstraße, Gewürzstraße, Salzkarawanenwege) oder zur See (Nord-West-Passage, Straße von Malakka, Transatlantikroute, Beringstraße) haben anschaulich belegt, dass im Gefolge von Wirtschaftsund Handelsbeziehungen, aber auch Eroberungszügen, eine Ausbreitung religiöser Vorstellungen (z. B. Ausbreitung des Hinduismus, Buddhismus, Christentums und Islams) stattgefunden hat und dass dies noch bis in die Neuzeit hinein am Beispiel der weltumspannenden Verbreitung politischideologischer Systeme (Kolonialismus, Marxismus, Kapitalismus) zu beobachten ist. Der internationale und globale Güter- und Ideenaustausch vollzog sich allerdings in früheren Zeiten über Jahrzehnte, wenn nicht über Jahrhunderte hinweg. Oft konnte erst die spätere Geschichtsforschung die globalen Zusammenhänge, Ausbreitungsgebiete und Entwicklungszentren erschließen, wohingegen den beteiligten und betroffenen Menschen in deren Zeit diese Prozesse und Vernetzungen weitgehend verborgen blieben, da sie über kein so weit gespanntes Informationsnetz verfügten, das es ihnen erlaubt hätte, transkontinentale Prozesse dieser Art zu überblicken. Durch den rasanten Fortschritt der Verkehrs- und Nachrichtentechnologie des letzten Jahrhunderts erreichte die Internationalisierung und Globalisierung zweifelsohne eine neue Dimension und Qualität, aufbauend auf den Erkenntnissen moderner Wissenschaft und Technik. Informationen können ohne Zeitverzögerung weltweit verbreitet werden und stehen nahezu jedem Interessenten zu relativ geringen Kosten zur Verfügung. Der internationale Austausch von Personen, globales Reisen und weltweite Informationsbeschaffung sind schon lange kein Luxus mehr für Begüterte, sondern unterliegen dem Massenkonsum, zumindest in den Erste-WeltLändern. Ein Ende der Entwicklungen in der Verkehrs- und Nachrichtentechnologie, die dem modernen Menschen ungeahnte Möglichkeiten internationaler und globaler Mobilität verschaffen, ist nicht abzusehen, und ihr Entwicklungstempo ist auch nicht aufzuhalten. Es bleibt allerdings die Frage, ob die an dieser Entwicklung als Produzenten und Konsumenten beteiligten Personen von ihrer psychischen Grundstruktur her, das heißt von ihrer Fähigkeit, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten (Wahrnehmung), ihrer Fähigkeit, die gewonnenen Informationen zu analysieren und zu bewerten (Denken, Urteilen), in ihrer Fähigkeit, ein adäquates Emo© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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tionsmanagement zu betreiben (Gefühle und Empfindungen), und ihrer Fähigkeit, effiziente und die individuelle Bedürfnislage zufrieden stellende Handlungen zu planen und zu realisieren (Handlungsausführung), den gegebenen Anforderungen gerecht werden können. Hier sind durchaus Zweifel angebracht, wenn man bedenkt, dass in vielen Bereichen die technischen und sozialen Entwicklungen ein Gestaltungspotenzial für ein normales Leben und eine hohe Lebensqualität bereitstellen, dass aber die potenziellen Nutznießer aufgrund ihrer historischen, stammesgeschichtlichen und individuellen Entwicklungsgeschichte noch gar nicht in der Lage sind, den sich bietenden Reichtum auszuschöpfen. Dieses Phänomen ist im Bereich der Techniknutzung längst bekannt. So gibt es beispielsweise im Anlagenbau technologisch hochentwickelte Maschinen- und Systemkomponenten, die eine Fülle von unterschiedlichen Funktionen erfüllen können, von denen aber in der Praxis nur 50 Prozent ihrer Potenziale ausgeschöpft werden, weil die Systemnutzer die sich bietenden vielfältigen Einsatzmöglichkeiten entweder nicht kennen oder aufgrund von Gewohnheiten und Traditionen immer wieder ein spezifisches Problemlösungsverfahren favorisieren, das zwar den Systemeinsatz möglich und sinnvoll macht, das vorhandene Potenzial aber nur suboptimal ausschöpft. Im technischen Bereich begegnet man dieser suboptimalen Praxis mit einer Qualifizierungsinitiative der Systemnutzer, was nicht selten zu einem qualitativen Sprung des gesamten Problemlösungsverfahrens führt und eine komplette Neuorientierung aller beteiligten Personen erforderlich werden lässt. Nicht viel anders stellen sich die Probleme und möglichen Problemlösungen im hier diskutierten Bereich des Umgangs und der Nutzung der durch die Internationalisierung und Globalisierung der Welt sich ergebenden Entwicklungspotenziale auf makrosozialer, also gesellschaftlicher Ebene, wie auch auf mikrosozialer Ebene, also der individuellen Lebensplanung und Entwicklung im beruflichen und privaten Leben. Die folgenden Beispiele aus unterschiedlichen Jahrhunderten und unterschiedlichen Kulturregionen zeigen, um welche zu entwickelnden interkulturellen Kompetenzen es hierbei geht.

Bilanz interkultureller Erfahrungen In einem 1900 in Deutschland erschienenen, aus dem Englischen übersetzten Buch von Arthur H. Smith mit dem Titel »Chinesische Charakterzüge« findet sich im Vorwort eine Bemerkung über die enormen Schwierigkeiten, die Menschen aus westlichen Ländern im Umgang mit Chinesen erwarten: »Ganz genauso äußert sich auch Sir Robert Hart, der Generaldirektor des © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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chinesischen Zolldienstes, der länger als vier Jahrzehnte im Reich der Mitte gelebt hat. ›China ist wirklich ein schwer zu verstehendes Land. Vor ein paar Jahren glaubte ich endlich so weit gekommen zu sein, etwas von seinen Angelegenheiten zu wissen, und ich suchte, meine Ansichten darüber zu Papier zu bringen. Heute komme ich mir wieder wie ein vollkommener Neuling vor. Wenn ich jetzt aufgefordert würde, drei oder vier Seiten über China zu schreiben, würde ich nicht recht wissen, wie ich dies anfangen sollte. Nur eins habe ich gelernt. In meinem Vaterlande heißt es gewöhnlich: Lass dich nicht biegen, und wenn es dabei auch zum Bruche kommt. In China dagegen gerade umgekehrt: Lass dich biegen, aber lass es nicht zum Bruche kommen‹« (S. 1). Während es also in westlichen Ländern eine Tugend darstellt, an seinen einmal gefassten Überzeugungen und Wertvorstellungen festzuhalten, selbst dann, wenn man dadurch den Bruch mit seiner sozialen Umwelt riskiert, so gilt für Chinesen, wie Sir Robert Hart feststellt, genau das Umgekehrte. Das Festhalten an eigenen Überzeugungen, Werten und Normen ist zwar wichtig, aber nur so lange, wie es nicht zum Abbruch der viel wichtigeren sozialen Beziehungen zu den Menschen im engeren oder weiteren Umfeld führt. Dies zu verstehen und sein Verhalten in der interkulturellen Begegnung mit chinesischen Partnern darauf einzustellen oder auf solche kulturellen Unterschiede keine Rücksicht zu nehmen und einfach sein eigenes kulturelles Orientierungssystem gegenüber den Partnern durchzusetzen, hat nachhaltige Folgen für die Kommunikation und Kooperation sowohl im wirtschaftlichen wie auch im privaten Lebensbereich.

Fremdkulturelle Erfahrungen Der Manager eines großen deutschen Industrieunternehmens mit global orientierter Geschäftstätigkeit berichtet von seinen Erfahrungen in Ostasien und den USA. »Ich habe zunächst drei Jahre in Ostasien gearbeitet und wurde dann in die USA versetzt. In Asien überfällt einen die Fremdheit gleich am ersten Tag, man spürt sie wie einen Hammerschlag. Es dauert Monate, bis man beginnt, hinter der Fremdheit auch Vertrautes zu entdecken. In den USA habe ich es umgekehrt erlebt. Manche Äußerlichkeit mutet zwar zunächst auch fremd an, beispielsweise die Architektur der Städte, aber doch nicht so fremd wie in Asien. Ich habe das, was ich sah, auch ständig in Bezug zu Deutschland gesetzt. Ich habe mich mit Hoffnung, öfter aber auch mit Sorge gefragt: Wann wird es bei uns auch so sein wie hier? Schon in dieser Frage kommt ein gewisses Maß an Nähe zwischen Deutschland und den USA zum Ausdruck! Mit den Menschen kam ich in den USA zunächst sehr

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gut zurecht: ›Leute wie du und ich‹, dachte ich. Aber je länger ich da war, desto fremder wurden sie mir – und dies in vielen Bereichen. Aus der heutigen Distanz betrachtet, würde ich immer noch sagen, dass die Unterschiede insgesamt viel geringer sind als die zu meinen ostasiatischen Partnern, aber es gab in den USA Momente, da war ich mir dessen gar nicht mehr so sicher, und zwar deshalb, weil vieles nicht so verlief, wie ich das erwartet hatte. Aber ein großer Unterschied war wohl meine Herangehensweise an die beiden Kulturen: In Asien habe ich Fremdheit erwartet und dann manche Gemeinsamkeit gefunden, in Amerika habe ich Gemeinsamkeit erwartet und bin auf viel Fremdes gestoßen.« Ein US-amerikanischer Trainer, der Manager auf den Arbeitseinsatz in Deutschland vorbereitet, bemerkt: »Die meisten Deutschen unterschätzen die Unterschiede zwischen den USA und Deutschland. Umgekehrt ist es etwas anders: Deutschland ist bei uns in den Medien und überhaupt in unserem Alltag viel weniger präsent. Aber natürlich haben wir ein ganzes Bündel von Klischees im Kopf, wenn wir an Deutschland denken. Dabei sind wir auch nicht ganz frei von Misstrauen aufgrund der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg, der Nachkriegsgeschichte und den aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Unsere Manager, die nach Deutschland geschickt werden, fallen jedenfalls gelegentlich auf den Bauch, schon deshalb, weil sie denken, sie selbst seien schlicht und einfach besser als die Deutschen – technisch und natürlich erst recht moralisch. Weiterhin ist festzustellen, dass einige bedeutende deutsche Unternehmen in den letzten Jahren große Schwierigkeiten auf dem amerikanischen Markt hatten. Eine Weile haben sie die Ursache dafür vor allem in den Wechselkursschwankungen und ähnlichen ›Schicksalsschlägen‹ gesehen. Aber inzwischen hat man sich zu der Erkenntnis durchgerungen, dass falsches Auftreten ihrer Repräsentanten in den USA einen viel bedeutsameren Anteil an den Misserfolgen hatte. Man macht sich inzwischen Gedanken darüber, was es heißt, in den USA ›richtig‹ und ›angemessen‹ aufzutreten.« Erwartungen in Bezug auf den anderen, aber auch in Bezug auf die eigene Position gegenüber dem anderen, prägen offensichtlich die fremdkulturelle Wahrnehmung, das Erleben von Fremdartigkeit oder Gleichartigkeit, die Erfahrung von kultureller Distanz und daraus zu ziehenden Konsequenzen. Weiterhin wird deutlich, dass ein gewisses Maß an Bereitschaft und Fähigkeit zur Reflexion dessen, was man im Umgang mit ausländischen Partnern täglich erlebt, notwendig ist, um einen Prozess des interkulturellen Lernens und, darauf aufbauend, des Verstehens beziehungsweise des Erfassens von Bedingungen interkulturellen Handelns zu entwickeln, also interkulturelle Kompetenz zu realisieren.

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Alexander Thomas: Einführung

Kulturelle Inkompetenz Ein gar nicht so ungewöhnliches Fernschreiben von einem nigerianischen Kunden an einen deutschen Maschinenbauer lautet: »Sehr geehrter Herr X! Vielen Dank für Ihre geleistete Unterstützung. Wir haben beschlossen, dass Ihr Herr Y Nigeria morgen verlässt. Wir sind der Meinung, dass es für ihn keinen Sinn macht, seinen Aufenthalt hier weiterzuführen. Was die Frage seiner Rückkehr bezüglich der Erledigung des Auftrags betrifft, sind wir der Meinung, dass wir einen anderen Spezialisten aus Deutschland benötigen, der sich besser darstellen kann, toleranter ist und der mit Menschen einer anderen Kultur bei der Vermittlung seiner Fachkenntnisse wirklich zusammenarbeiten kann. Eine solche Person sollte nicht nur Kenntnisse über mechanische Vorgänge besitzen, sondern auch über angemessene Fähigkeiten zur Auftragserledigung verfügen. Wenn Ihre Firma über keine adäquate Ersatzkraft für Herrn Y verfügt, dann ist es auf keinen Fall sinnvoll, Herrn Y wieder zurückzuschicken. Wir werden dann mit unserem eigenen Personal die Produktionslinie anfahren. Ich möchte Sie bitten, mir die Vertragsbedingungen über den Besuch dieses Ersatzspezialisten zuzusenden. Vielen Dank.« Fachkenntnisse und technisches Spezialistentum reichen also offensichtlich nicht mehr aus, um im globalen Business erfolgreich zu sein. Die Kunden verlangen mehr, und hier insbesondere ein gewisses Maß an interkultureller Sensibilität, interkulturellem Verstehen und Bereitschaft, sich auf die besonderen kulturellen Regeln, Normen, Sitten und Gebräuche des Einsatzlandes einzustellen. Wer diese Anforderungen nicht erfüllt, wird im internationalen Wettbewerb ohne Erfolgschancen sein und Marktanteile einbüßen. Der Rückruf einer Fachkraft und ihr Ersatz erzeugen neben den nicht unerheblichen realen Kosten einen oft nur schwer zu objektivierenden, aber dennoch vorhandenen mittel- und langfristig wirkenden Imageschaden, indem Vertrauen verspielt wird und über das menschliche Versagen auch die fachliche Kompetenz in Zweifel gezogen wird. Trotz dieser überzeugenden Belege für die Beachtung und Behandlung kulturbedingter Unterschiede in der internationalen Kooperation und Kommunikation gibt es nicht wenige, die in der Beschäftigung mit kulturellen Einflussfaktoren eher eine akademische Spielerei als eine ernst zu nehmende Aufgabe sehen. Die Konfrontation mit kultureller Andersartigkeit und Fremdheit führt nicht gleichsam automatisch zur Analyse der kulturell bedingten Ursachen für erwartungswidriges und abweichendes Verhalten und zur Bereitschaft, die kulturellen Hintergründe zu verstehen. Dem steht zum Beispiel die Überlegung entgegen, dass mit zunehmender Internationalisierung und Globalisierung die Kulturen sich einander annähern und ähnlicher werden (McDonaldisierung) und auf diese Weise kul© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Alexander Thomas: Einführung

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turelle Unterschiede immer mehr an Bedeutung verlieren. Tatsächlich sind, bedingt durch Uniformierungs-, Modernisierungs-, Assimilations- und Anpassungstendenzen, im Bereich von Konsumgewohnheiten über die Art der Arbeitsgestaltung bis hin zu Managementstilen starke Konvergenztendenzen zu beobachten. Bei näherer Analyse wird aber deutlich, dass sich hierbei die Anpassungszwänge nicht gleichmäßig auf alle beteiligten Personen verteilen, sondern dass es sich um das Resultat von Anpassungsdiktaten und Anpassungszwängen mächtiger gegenüber weniger potenter Nationen, Gesellschaften, sozialer Gruppierungen mit globalem Einfluss handelt. Mit steigendem Druck zur Konvergenz zeigen sich aber gleichzeitig ebenso massive Tendenzen zur kulturellen Divergenz, das heißt der (Wieder-)Entdeckung und Betonung kultureller Andersartigkeit und Eigenständigkeit, verbunden mit dem Bewusstsein und einer gewissen Wertschätzung kultureller Vielfalt im Kontrast zu kultureller Vereinheitlichung und Vermassung. Mit dem Konvergenzargument lässt sich also die Auseinandersetzung mit kulturbedingten Unterschieden, die Notwendigkeit einer Qualifizierung der gesellschaftlich relevanten Fach- und Führungskräfte nicht umgehen. Ob die kulturellen Unterschiede aus individueller Sicht nun als Belastung oder als Bereicherung erfahren und behandelt werden, ändert nichts an der Tatsache, dass es sie gibt, dass sie auf das Wahrnehmen, Denken, Empfinden und Verhalten einwirken und die Kommunikation und Kooperation zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen nachhaltig beeinflussen. Wer versteht, was hier geschieht, sowohl beim fremdkulturellen Partner wie bei sich selbst, warum sich vieles so und nicht anders vollzieht und wie man mit kulturellen Differenzen so umgehen kann, dass sie die eigene und die gemeinsame Zielerreichung fördern und nicht behindern, und warum sich die internationale/interkulturelle Zusammenarbeit für beide Partner zufrieden stellend entwickelt, der erzielt einen produktiven Gewinn gegenüber anderen Formen des Umgangs mit interkultureller Fremdheit. Das bringt zweifelsohne einen Wettbewerbsvorteil. Damit sich dieser soziale, humane und materielle Gewinn, wo immer er auch möglich ist, tatsächlich einstellt, wurde dieses Handbuch geschaffen. Die diesem Handbuch zugrunde liegende Überzeugung bezüglich der Entwicklung einer erfolgreichen interkulturellen Kommunikation und Kooperation ist in dem einer über dreitausend Jahre alten chinesischen Weisheit entlehnten Satz enthalten: »Nur wer den fremdkulturellen Partner und sich selbst gut kennt, kann in allen Kommunikations- und Kooperationssituationen erfolgreich sein.« Das Erfassen, Studieren und Verstehen fremdkultureller Werte, Normen, Sitten, Gebräuche, Verhaltensregeln, Menschen- und Weltbilder, kurzum des fremdkulturellen Orientierungssystems, reicht also nicht aus. Hinzukom© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Alexander Thomas: Einführung

men muss ebenso das bewusste Erfassen, Reflektieren, Vergleichen und Verstehen des eigenkulturellen Orientierungssystems auf der Grundlage des alltäglichen beruflichen und privaten Lebens, das aber inzwischen so selbstverständlich geworden ist und so routinemäßig zum Einsatz kommt, dass es niemandem mehr bewusst ist. Zur Entwicklung der Schlüsselqualifikation »Interkulturelle Handlungskompetenz« sind das zwar die Grundvoraussetzungen, aber das anzustrebende Qualitätsniveau ist erst dann erreicht, wenn es gelingt, das Potenzial aus beiden kulturellen Orientierungssystemen für beide Partner gleichermaßen zur Zielerreichung (Effizienz) und zur Erhöhung der Lebensqualität (Zufriedenheit) zu optimieren. In diesem Handbuch werden dazu Anregungen gegeben, das theoretische und methodische Wissen vermittelt und Hilfsmittel zur eigenständigen Problemanalyse und Problembearbeitung angeboten. Im ersten Kapitel finden sich die theoretischen Grundlagen der interkulturellen Kommunikation und Kooperation. Dazu gehört zunächst einmal die Definition und Beschreibung von Kultur und des Kulturstandardkonzepts, das diesem Handbuch zugrunde liegt. Weiterhin werden die Beziehungen zwischen Nationalkulturen und Organisationskulturen dargestellt. Es wird das dynamische Dreieck interkulturellen Handelns besprochen, das durch Aspekte des Eigenen, des Fremden und des Interkulturellen determiniert ist. Anschließend folgen theoretische Grundlegungen zu den zentralen Begriffen Kulturdimension, Akkulturation, Interkulturelle Wahrnehmung, Kommunikation und Kooperation, Interkulturelles Identitätsmanagement, Interkulturelles Lernen, Interkulturelle Handlungskompetenz und Interkulturelle Forschung. Im zweiten Kapitel werden einige interkulturell relevante Praxisfelder in Unternehmen näher beleuchtet: interkulturelles Management, interkulturelle Personalentwicklung und interkulturelles Marketing. Im dritten Kapitel geht es um die komplexen Zusammenhänge zwischen der Diagnose interkultureller Handlungskompetenz, der Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz insbesondere durch interkulturelles Training und Coaching sowie die Evaluation dieser Fördermaßnahmen. Dabei wird ein Überblick und Einblick in die verschiedenen Formen interkultureller Trainings, Ausbildung und Beratung (Coaching) vermittelt. Es werden die Vor- und Nachteile behandelt und die Möglichkeiten und Grenzen der Entwicklung interkultureller Kompetenz auf hohem Leistungsniveau diskutiert. Im vierten Kapitel schließlich werden zentrale Managementfelder unter interkulturellen Gesichtspunkten behandelt. Dazu gehören Themen wie Rhetorik, Verhandlungsführung, Konfliktmanagement, Projektmanagement, Führungsverhalten, Teamentwicklung und Arbeitsgruppen sowie © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Alexander Thomas: Einführung

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die komplexen Probleme im Zusammenhang mit dem Management internationaler Unternehmenszusammenschlüsse und -akquisitionen sowie Formen der modernen Unternehmenskommunikation und schließlich Probleme in Verbindung mit Auslandsentsandten und mitausreisenden Familien sowie der Rolle und den Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen im internationalen Management. Im fünften Kapitel schließen Überlegungen zu einem strategischen Gesamtkonzept für Interkulturalität im Unternehmen die Darstellung ab. Wer sich einen Überblick verschaffen will über die vielfältigen Aspekte im Kontext interkultureller Kommunikation und Kooperation, wer sich als Personalverantwortlicher mit einem praktisch orientierten Erkenntnisinteresse oder als Wissenschaftler in die wichtigsten theoretischen Grundlagen und Methoden zur Analyse und Behandlung zentraler Aspekte der Interkulturalität vertiefend einarbeiten will oder wer Anregungen zur Entwicklung kulturallgemeiner und kulturspezifischer Trainings-, Ausbildungs- und Beratungskonzepte sucht, ist herzlich eingeladen, dieses Handbuch zu Rate zu ziehen. Wer sich so vorbereitet einen Überblick und Einblick in unterschiedliche interkulturelle Aufgabenfelder außerhalb der unternehmensrelevanten im engeren Sinn verschaffen möchte und dabei zugleich sein Wissen und seine Erkenntnisse über kulturbedingte Verhaltensunterschiede bei Menschen aus verschiedenen Nationen (Kulturstandards) vertiefen möchte, der sei auf den von Alexander Thomas, Stefan Kammhuber und Sylvia SchrollMachl herausgegebenen zweiten Band »Länder, Kulturen und interkulturelle Berufstätigkeit« verwiesen. In der Reihe »Handlungskompetenz im Ausland« erscheinen zudem Trainingsmaterialien zum Selbststudium und als Grundlage für interkulturelle Gruppentrainings.1 Anregungen zur Reflexion des eigenen kulturellen deutschen Orientierungssystems bietet das Buch von Sylvia Schroll-Machl »Die Deutschen – Wir Deutsche. Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben« (2002). Die Herausgeber und Autoren sind davon überzeugt, dass die Erwartungen nicht enttäuscht werden und auf der Basis der vermittelten Informationen und der angegebenen Literatur eine selbstständige vertiefende Einarbeitung in die angesprochenen Themen möglich ist.

1 Bisher: Schmid, S.; Thomas, A.: Beruflich in Großbritannien (2002); Foellbach, S.; Rottenaicher, K.; Thomas, A.: Beruflich in Argentinien (2002); Martin, M.; Thomas, A.: Beruflich in Indonesien (2002); Mayer, C.-H.; Boness, C.; Thomas, A.: Beruflich in Kenia und Tansania (2003); Schroll-Machl, S.; Nový, I.: Beruflich in Tschechien (2003); Yoosefi, T.; Thomas, A.: Beruflich in Russland (2003); Mayer, C.-H.; Boness, C.; Thomas, A.: Beruflich in Südafrika (2004); Thomas, A.; Schenk, E.: Beruflich in China, 2. Aulfage (2005).

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Grundlagen: Theoretische Grundlagen

I. Grundlagen

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Alexander Thomas: Kultur und Kulturstandards

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1. Theoretische Grundlagen interkultureller Kommunikation und Kooperation

Alexander Thomas

1.1 Kultur und Kulturstandards

1.1.1 Ein Gespräch unter vier Augen »Sag mal, Mark, was hältst du denn davon, dass mein Chef mir am Freitagmittag ein Buch in die Hand drückt mit der Bemerkung: ›Das lesen Sie bitte mal bis Montag durch, damit Sie gut vorbereitet sind!‹« »Was für ein Buch? Worum geht’s denn?« »Am Mittwoch soll ich eine hochrangige Delegation von Maschinenbauern aus Peking empfangen und mit unserem Unternehmen vertraut machen. Das Buch heißt: ›Umgang mit chinesischen Geschäftsleuten.‹ – Lachhaft. Was soll ich damit? Ich will hier doch kein China-Experte werden!« »Kann doch nichts schaden, ein paar Brocken Chinesisch zu lernen. Wenn du die Leute am Airport abholst, was meinst du, wie die sich darüber freuen werden.« »Quatsch, das ist kein Sprachbuch, sondern so eine Art Knigge, so was wie ein Rezeptbuch für richtiges Verhalten. Hat so ein Oberschlauer, der mal kurz in China war, geschrieben. Vielleicht ist das was für den Heinz, der drei Jahre nach China gehen soll in ein Joint Venture. Aber nicht für mich. – Mensch ist Mensch! Chinesen sind keine anderen Menschen als wir!« »Da sei mal nicht so sicher. Die haben sicher andere Arbeitsgewohnheiten, einen anderen Lebensstil und auf jeden Fall andere Essgewohnheiten als wir.« »Sollen sie auch! Aber wenn sie hier zur Betriebsbesichtigung einfliegen, sollen sie sich gefälligst anpassen. Wir sind ja keine Wilden! Und überhaupt, mit Freundlichkeit, ein wenig Lächeln und natürlich vor allen Dingen qualitativ hochwertigen Informationen über unsere Firma, multime-

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dial aufbereitet, werden die Chinesen schon zufrieden zu stellen sein. Ach ja, Mark, was ich dich noch fragen wollte, kennst du eigentlich unseren neuen Werbefilm ›Mobility-Global 2000‹? Toll, sag ich dir. Musik und Bildmaterial einfach umwerfend!« »Ist der denn auch für Chinesen geeignet? Die haben vielleicht völlig andere Sehgewohnheiten!« »Nun hör doch endlich deine Meckerei auf. Der Mensch ist überall auf der Welt gleich. Was gut und was schlecht ist, was Qualität und was Schrott ist, erkennt jeder sofort!« »Also jetzt pass du mal auf. Kein Mensch auf der Welt gleicht dem anderen. Es gab nie und es gibt nie und es wird auch nie eine komplette Kopie von dir geben. Du bist einmalig!« »Ach ja, das hast du ja richtig schön gesagt: Wie kommt es dann, dass ich mich mit dir eigentlich recht gut verständigen kann und mit anderen auch, wenn ich so einmalig bin, wie du sagst? Stell dir vor, im letzten Urlaub war ich in Thailand und bin mit dem Fahrrad einige Male aufs Land gefahren. Ich kann kein Thai, die Leute dort können kein Englisch und kein Deutsch, aber ich habe mich gut mit ihnen verständigen können. Alles ohne Sprache. Ich habe also wie sie ständig gelacht, mit den Händen Zeichen gemacht, und sie verstanden, dass ich was essen wollte, was trinken wollte, einkaufen gehen wollte, und den richtigen Weg haben sie mir auch gewiesen. Von wegen jeder Mensch ist anders. Es gibt so viele Gemeinsamkeiten, das glaubst du gar nicht!« »Irgendwie hast du Recht. Es gibt also beides. ›Alle Menschen sind gleich‹, und ›Jeder Mensch ein einmaliges Wesen‹.« »Nun hör mal auf zu philosophieren und sag mir, was du von meinem Chef mit dem Buch hältst. Nur wegen so ein paar Besuchern aus China, die vier Tage durchs Gelände laufen, werd ich doch kein Chinaexperte.« »Also entschuldige nochmal, aber du siehst, ich bin etwas anderer Meinung als du. Ich kann deinen Chef gut verstehen. Chinesen haben nicht nur andere Sitten und Gebräuche, sie haben auch eine andere Kultur entwickelt als wir.« »Was sagst du, Kultur? Pass mal auf, wir wollen mit den Chinesen hier kein Konzert veranstalten oder eine Ausstellung eröffnen. Und es kommt auch nicht der chinesische Staatszirkus mit einem Kulturprogramm. Es geht schlicht und einfach um eine simple Betriebsbesichtigung. So, wie sie jeden Tag bei uns stattfindet. Nur, dass die Besucher keine Deutschen sind, sondern Chinesen und nicht einen Tag bleiben, sondern vier. Was hat das denn mit Kultur zu tun? Auch in dem besagten Buch kommt alle paar Zeilen das Wort ›Kultur‹ vor, zum Beispiel Kulturunterschiede, Kulturvergleich, interkulturelles Lernen, Kulturverstehen, kulturelle Einflüsse und so weiter. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Ich werde dir mal was sagen: ’ne Betriebsführung macht mir gar nichts aus. Auf die Chinesen habe ich mich sogar gefreut. Mal was anderes als Preußen, Schwaben und Nordlichter mit ihren dummen Fragen. Asiaten sollen ja auch so höflich und bescheiden sein – hat mir mal einer berichtet. Als aber mein Chef mit dem Buch kam und nun du mit deiner Kultur daherkommst, fühle ich mich richtig verunsichert. Ich hab schon gar keine Lust mehr. Das alles macht doch nur Zusatzarbeit. Wenn ich schon das Kulturgeschwafel höre. Ich werde jetzt, glaube ich, mal meine Präsentationsfolien etwas überarbeiten und dafür sorgen, dass neben Kaffee auch Tee serviert wird. Und damit basta.«

1.1.2 Was ist Kultur? In zwei so unterschiedlichen Kulturen wie England und China gelten für zwischenmenschliche Beziehungen völlig andere Regeln. Wer die Regeln nicht kennt und anzuwenden versteht, muss im jeweils anderen Land scheitern. Diese Regeln sind keine Erfindungen einzelner Personen, so dass der eine sie anwendet, der andere nicht, und ihre Anwendung steht offensichtlich auch nicht im Belieben des Einzelnen. Es sind vielmehr allgemein verbindliche Verhaltensregeln, zumindest für alle, die in der jeweiligen Kultur aufgewachsen sind und sich ihr zugehörig fühlen. Es gibt unzählige Definitionen von Kultur. So haben Kroeber und Kluckhohn bereits 1952 über 150 gezählt und miteinander verglichen. Der amerikanische Psychologe Harry Triandis definiert beispielsweise Kultur so: »By culture I mean the human made part of the environment« (1989, S. 306). Er fasst also Kultur als den von Menschen gemachten Teil der Lebensumwelt auf. Der holländische Kulturpsychologe Hofstede (1991) definiert Kultur als »collective programming of the mind«. Für ihn ist also Kultur so etwas wie das kollektive Bewusstsein. Alle Forscher aber, die sich theoretisch mit dem Kulturbegriff beschäftigen, sind sich einig, dass Kultur einen sehr weiten Bereich umfasst, der von vom Menschen hergestellten Gegenständen, Werkzeugen und so weiter, über Werte, Ideen, Weltbilder, Sprache und Philosophien bis hin zur Art und Weise des Umgangs mit belebten und unbelebten Dingen, Subjekten wie Objekten, reicht. Wenn man sich nicht wissenschaftlich oder philosophisch mit Kultur beschäftigt, sondern unter dem Aspekt, wie man die Zusammenarbeit zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen verbessern kann und wie man sich auf eine solche Zusammenarbeit gut vorbereitet, dann ist folgende Definition von Kultur sehr praktisch, selbst wenn sie nicht alle Aspekte anderer Definitionen umfasst:

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Kultur ist ein universelles Phänomen. Alle Menschen leben in einer spezifischen Kultur und entwickeln sie weiter. Kultur strukturiert ein für die Bevölkerung spezifisches Handlungsfeld, das von geschaffenen und genutzten Objekten bis hin zu Institutionen, Ideen und Werten reicht. Kultur manifestiert sich immer in einem für eine Nation, Gesellschaft, Organisation oder Gruppe typischen Orientierungssystem. Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen (z. B. Sprache, Gestik, Mimik, Kleidung, Begrüßungsritualen) gebildet und in der jeweiligen Gesellschaft, Organisation oder Gruppe tradiert, das heißt an die nachfolgende Generation weitergegeben. Das Orientierungssystem definiert für alle Mitglieder ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft oder Gruppe und ermöglicht ihnen ihre ganz eigene Umweltbewältigung. Kultur beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft. Das kulturspezifische Orientierungssystem schafft einerseits Handlungsmöglichkeiten und Handlungsanreize, andererseits aber auch Handlungsbedingungen und setzt Handlungsgrenzen fest (Thomas 2003). Der zentrale Bestandteil dieser Definition ist der Begriff Orientierungssystem. Zweifelsohne ist es ein zentrales Bedürfnis des Menschen, sich in seiner Welt zurechtzufinden, also sich orientieren zu können. Dem Bedürfnis nach Orientierung wird dann entsprochen, wenn der Mensch über einen ausreichend großen Bestand an verlässlichem Wissen über seine gegenständliche und soziale Umwelt und über Erfahrungen darüber verfügt, wie mit diesem Wissen sachgerecht und effektiv umzugehen ist. Bei dem Versuch, Orientierung zu gewinnen, bietet das, was hier »Kultur« genannt wird, eine wertvolle Hilfe, da sie es ermöglicht, den uns umgebenden Dingen, Personen, Gegenständen, aber auch Ereignisfolgen und komplexen Prozessabläufen sowie Verhaltenskonsequenzen Bedeutung und Sinn zu verleihen. Dieser Vorgang der Sinnstiftung vollzieht sich im Prozess der Wahrnehmung respektive Informationsverarbeitung unter normalen Umständen gleichsam automatisch, also ohne besonderen psychischen Aufwand. Sie stellt in jedem Fall eine einmalige individuelle Leistung dar, die aber nicht willkürlich oder zufällig zustande kommt, sondern, vermittelt durch die Kultur, kollektiven, sozialverbindlichen Normen und Regeln folgt. Unter »normalen« Alltagsbedingungen kann sich jeder Mensch, der in einem ihm vertrauten Kulturkreis lebt, mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf verlassen, dass seine individuelle Sicht der Welt und der Menschen von seinen Mitmenschen verstanden und eventuell sogar akzeptiert und geteilt wird. In Sonderfällen bedarf es näherer Erläuterungen, um ein Verständnis herzustellen oder um selbst den anderen zu verstehen. Für die normale Alltagskommunikation und das alltägliche Interaktionsgeschehen reicht das gemeinsame kulturspezifische Hintergrundwissen zum gegenseitigen Ver© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ständnis aus, ohne dass noch eine zusätzliche Erklärung oder Nachfrage erforderlich wäre. Im Verlauf des individuellen Sozialisationsprozesses, also des Hineinwachsens des Einzelnen in die Gesellschaft respektive Kultur, hat jeder Mensch die Aufgabe, in Auseinandersetzung mit anderen Personen die ihm gemäßen Muster sozial relevanten Verhaltens und sozial relevanter Erfahrungen zu entwickeln. Auf diesem Weg wächst das Individuum in die soziale Gemeinschaft hinein. Diese Sozialisation findet nicht nur in der Kindheit oder in bestimmten Lebensabschnitten statt, sondern während der gesamten Lebensspanne eines Menschen. Dabei sind in den einzelnen Entwicklungsphasen jeweils spezifische sozial relevante Verhaltensweisen zu erlernen, damit die in der Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt sich stellenden Aufgaben gelöst werden können. Der Erfolg dieser im Zuge der Sozialisation stattfindenden Enkulturation besteht nun genau darin, die Welt so zu verstehen und mit ihr so umgehen zu können, wie es die Mitmenschen in der jeweiligen eigenen sozialen Gemeinschaft auch tun, verstehen und akzeptieren. Der so für alle gemeinsame Rahmen wird durch die Kultur bereitgestellt. Wer also in seiner Kultur längere Zeit einen solchen Sozialisationsprozess durchlaufen hat, der kennt sich aus, weiß über das, was zu tun und zu lassen ist, Bescheid. Er erfährt dann Bestätigung aus einer sozialen Umwelt, wenn er sich den bestehenden Normen und Regeln entsprechend verhält, und erlebt bei Abweichungen direkte oder indirekte Missbilligung und muss die Erfolglosigkeit seiner Anstrengungen leidvoll erfahren. Sind die sozialen Lernprozesse in einem bestimmten Tätigkeitsbereich erfolgreich verlaufen, dann sind Wahrnehmungs-, Denk-, Beurteilungs- und Verhaltensschemata so weit entwickelt und verinnerlicht, dass der Handelnde über ihre Funktionsweise, ihre Dynamik und ihre Folgen nicht mehr gesondert nachzudenken braucht. Sie sind so weit in die Handlungsroutine eingegangen, dass sie in der Regel nicht mehr bewusstseinspflichtig sind. Allenfalls bei unerwarteten Ereignissen und Reaktionen der sozialen Umwelt, besonders wenn sie gehäuft in ähnlichen Situationen auftreten, kommt es unter günstigen Umständen von selbst, oft aber auch erst mit Unterstützung durch andere, zum Überdenken. Der Vorgang wird gedanklich wiederholt, einer kritischen Kontrolle unterzogen. Es kommt dann eventuell zur Veränderung der eigenen Denk- und Handlungsroutine, was meist neue Prozesse sozialen Lernens erfordert. Über den Prozess der Sozialisation eignet sich das Individuum »Handwerkszeuge« (Theorien, Methoden, Normen, Regeln etc.) an, mit denen es sich in seiner Welt zurechtfinden und orientieren kann. Diese Werkzeuge können zur Anpassung an gegebene Verhältnisse der natürlichen sozialen Umwelt, aber auch zur Veränderung des Bestehenden eingesetzt werden. Das Individuum ist dann zu beidem fähig: einerseits zur Adaptation und andererseits zur Innovation. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Das kulturspezifische Orientierungssystem mit seiner Sinn stiftenden und Bedeutung schaffenden Funktion sowie die im Lauf des individuellen Sozialisationsprozesses erworbenen Werkzeuge zur Adaptation und zur Innovation versagen aber ihre Dienste, wenn die Interaktionspartner aus einer anderen Nation, Organisation oder Gruppe stammen, die eine andere Kultur entwickelt haben, deren Angehörige andere kulturelle Orientierungssysteme beachten, andere Werkzeuge der Adaptation und Innovation nutzen und anderen Normen, Werten und Verhaltensregeln folgen. Es kommt zu so genannten kritischen Begegnungen respektive Interaktionssituationen, in denen ein Partner, meist aber beide Partner auf unerwartetes Verhalten und Reaktionen stoßen, deren Bedeutung und Sinn sie nicht verstehen, da dieser sich ihnen allein aus ihren eigenen, gewohnten kulturellen Orientierungssystemen nicht erschließt.

1.1.3 Kulturstandards Fasst man Kultur als ein für die Angehörigen einer Nation, Sprach- respektive Kultureinheit gültiges und sinnstiftendes Orientierungssystem auf, dann kann man sich fragen, welche kulturspezifischen Orientierungsmerkmale von den Personen der einen Kultur oder der anderen Kultur in bestimmten Begegnungssituationen oder zur Lösung spezifischer Probleme aktiviert werden, zum Beispiel zur Behandlung von zwischenmenschlichen Konfliktsituationen oder zur Bewältigung spezifischer Aufgabenstellungen, etwa Arbeitsaufgaben. So wurde in deutsch-amerikanischen Arbeitsgruppen beobachtet und in einschlägigen Forschungsarbeiten (Zeutschel 1999) festgestellt: Bei der Bearbeitung von Aufgabenstellungen aus dem Bereich der Produktentwicklung tendieren amerikanische Mitarbeiter dazu, sich zunächst Gedanken darüber zu machen, wer dieses Produkt wohl kaufen und nutzen wird und wie der Nutzeffekt für den Konsumenten sichergestellt werden kann, um sich dann im Zuge eines sehr intensiven Diskussionsprozesses mit viel gegenseitigem Feedback an die technische Realisierung zu machen. Deutsche Techniker diskutieren hingegen zunächst einmal bis ins Detail die Frage, wie das zu erstellende Produkt technisch funktionieren kann und wie es unter Berücksichtigung des neuesten Stands der technischen Entwicklung funktional perfekt zu konstruieren ist, um sich erst dann, nach einer ausgiebigen und vertiefenden Diskussion dieser Themen, mit dem Ziel, eine klare Vorstellung von dem Kern des zu lösenden Problems zu bekommen, die Realisierung vorzunehmen. Dieses unterschiedliche Verhalten ist kein Zufall, sondern das Resultat unterschiedlicher © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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kulturspezifischer Orientierungen: auf der einen Seite Nutzer-/Kundenorientierung, auf der anderen Seite Sachorientierung in Verbindung mit technischer Perfektion. Zweifellos sind beide Arbeitsgruppen, die deutsche wie die amerikanische, gleich stark ziel- und leistungsorientiert. Beide sind aber fest davon überzeugt, dass nur ihre Problemlösungsstrategie erfolgreich ist. »Trial and error«, verbunden mit viel sozialem Feedback und gegenseitiger Unterstützung auf der einen Seite, und die »Suche nach der Wahrheit« und dem, was »die Welt im Innersten zusammenhält«, gepaart mit klarer Arbeitsverteilung und einem hohen Maß an individueller Eigenleistung und Eigenverantwortlichkeit, auf der anderen Seite. Da dieses unterschiedliche Verhalten nicht nur in einer spezifischen Arbeitsgruppe bei einer spezifischen Arbeitsaufgabe und unter spezifischen Arbeitsbedingungen zu beobachten ist, sondern ein auf der einen Seite typisch amerikanisches und auf der anderen Seite typisch deutsches Orientierungsmuster bei der Lösung komplexer Probleme festzustellen ist, werden hier offensichtlich unterschiedliche Kulturstandards handlungswirksam. Kulturstandards können allgemein durch folgende fünf Merkmale definiert werden: – Kulturstandards sind Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich und andere als normal, typisch und verbindlich angesehen werden. – Eigenes und fremdes Verhalten wird aufgrund dieser Kulturstandards gesteuert, reguliert und beurteilt. – Kulturstandards besitzen Regulationsfunktion in einem weiten Bereich der Situationsbewältigung und des Umgangs mit Personen. – Die individuelle und gruppenspezifische Art und Weise des Umgangs mit Kulturstandards zur Verhaltensregulation kann innerhalb eines gewissen Toleranzbereichs variieren. – Verhaltensweisen, die sich außerhalb der bereichsspezifischen Grenzen bewegen, werden von der sozialen Umwelt abgelehnt und sanktioniert. Man kann Menschen aus verschiedenen Nationen dazu befragen, was ihnen im Umgang mit Deutschen besonders auffällt, welche Schwierigkeiten sie immer wieder hatten, Deutsche in ihrem Verhalten und in ihren Reaktionen in bestimmten Situationen zu verstehen, und was für sie den Umgang mit Deutschen schwierig gemacht hat. Die so gewonnenen kritischen Interaktionssituationen lassen sich über verschiedene Nationen hinweg miteinander vergleichen und einer Auswertung und Ursachenanalyse für die Schwierigkeiten unterziehen. Im Resultat zeigt sich eine hohe Übereinstimmung in einer ganzen Reihe von verhaltensrelevanten Merkmalen, die man © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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als deutsche Kulturstandards bezeichnen kann. Es gibt andere Merkmale, in denen sich die kulturspezifischen Sichtweisen in Bezug auf Deutsche ausdrücken und die sich je nach Kulturvertreter unterscheiden. Diese deutschen Kulturstandards bestimmen aus der Sicht ausländischer Partner, wie beispielsweise aus so unterschiedlichen Nationen und Kulturen wie Frankreich, England, Spanien, Tschechien, USA, China, Japan, Korea und Indonesien, das Verhalten von Deutschen in allen Lebensbereichen (Thomas 2000a). Aufgrund dieser Forschungen lassen sich sieben deutsche Kulturstandards definieren: – Sachorientierung (Die Beschäftigung mit Sachverhalten ist wichtiger als die mit Personen.) – Regelorientierung (Wertschätzung von Strukturen und Regeln. Für alles wird eine Regel gesucht und erwartet.) – Direktheit/Wahrhaftigkeit (Schwacher Kontext als Kommunikationsstil. Es gilt ein Richtig oder Falsch, ein Ja oder Nein, aber nichts dazwischen. Der direkte Weg ist immer der zielführende und effektivste.) – Interpersonale Distanzdifferenzierung (Mische dich nicht ungefragt in die Angelegenheiten anderer Menschen ein: Halte Abstand und übe Zurückhaltung!) – Internalisierte Kontrolle – Zeitplanung (Zeit ist ein kostbares Gut, ist Geld wert: Sie darf nicht nutzlos vergeudet werden, sondern muss geplant, eingeplant werden.) – Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen. Wenn sich herausstellt, dass nicht nur aufgrund empirischer sozialwissenschaftlicher Forschungen und Analysen, sondern auch in kulturvergleichenden Studien und aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen, wie beispielsweise der Literaturwissenschaft, der Philosophie, der Soziologie, der Ethnologie, der Völkerkunde, der Religionswissenschaft, diese deutschen Kulturstandards Bestätigung finden, dann ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um zentrale deutsche Kulturstandards handelt. Sie lassen sich deshalb als zentrale Kulturstandards definieren, weil sie nicht nur bei eng begrenzten Problemstellungen und spezifischen Handlungsfeldern wirksam werden, sondern als bereichsübergreifende kulturspezifische Orientierungen. Solche zentralen Kulturstandards sind für das Handeln der Menschen in einer bestimmten Nation oder in einem bestimmten Kulturraum unverwechselbar und charakteristisch. In dem zu Beginn des Artikels berichteten Dialog über die Vorbereitung einer Betriebsbesichtigung wehrt der deutsche Gastgeber sich vehement dagegen, sich näher mit der chinesischen Kultur und den kulturellen Besonderheiten seiner chinesischen Gäste zu beschäftigen. Aus dem kontro© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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vers geführten Gespräch zieht er die Schlussfolgerung, sich nun auf eine Verbesserung seiner Folienpräsentation, also wieder auf ein Sachthema zu konzentrieren, um die ihm gestellte Aufgabe zu einem positiven Ergebnis zu führen. Hier wirkt der deutsche Kulturstandard »Sachorientierung«, denn der Deutsche ist fest davon überzeugt, Erfolg zu haben, wenn er sich »normal« verhält, also freundlich und lächelnd seine Gäste empfängt, und die sachbezogenen Teilaspekte des Delegationsbesuchs auf qualitativ hochwertigem Niveau bearbeitet. Die chinesischen Gäste werden von ihrem deutschen Gastgeber erwarten, dass er zunächst einmal, und gerade bei einem erstmaligen Delegationsbesuch, vorrangig alles daran setzt, die Begegnungssituation so zu organisieren, zu steuern und zu regeln, dass ein Maximum an sozialer Harmonie zustande kommt, gegenseitiger Respekt, Vertrauen und Achtung aufgebaut werden und insgesamt eine für alle Seiten positive Begegnungsatmosphäre entsteht. Sie selbst sind es gewohnt, und werden dieser Gewohnheit auch in Deutschland folgen, als Gäste bei der Erreichung dieses Ziels mitzuwirken. So werden sie großen Wert darauf legen, dass bei allen öffentlichen Anlässen, Sitzungen ebenso wie Essenseinladungen die soziale Hierarchie sichtbar dokumentiert wird, schon allein dadurch, dass die bedeutsamen Gäste als Erste genannt werden und genügend Lob und Anerkennung erfahren und nach ihrem Rangplatz platziert werden. Entsprechend dem in ihrer Kultur geltenden Kulturstandard »Gesicht wahren und Gesicht geben« werden sie versuchen, es dem Gastgeber leicht zu machen, indem sie selbst eher zurückhaltend bis hin zur Selbstverleugnung auftreten. Sie werden den Gastgeber mit wohlwollenden und anerkennenden Worten bedenken, sich mit entsprechenden Geschenken einführen und, wo es geht, ihre Dankbarkeit bekunden. Diese an den Tag gelegte Zurückhaltung und Bescheidenheit hat überhaupt nichts damit zu tun, dass sie nichts zu sagen hätten oder unfähig wären, Stellung zu nehmen. Die Dankbarkeitsbekundungen haben auch nichts damit zu tun, dass sie die Leistungen ihres deutschen Partners, beispielsweise die Organisation der Betriebsbesichtigung, so übermäßig wertschätzen, dass sie sich permanent dafür bedanken müssten. Alle diese Bemühungen haben allein damit zu tun, dem Partner Gesicht zu geben, um Harmonie und Vertrauen herzustellen. Aus chinesischer Sicht gehört all dies zur Etikette und zum guten Ton und ist gleichsam eine Selbstverständlichkeit gegenüber einem so hochrangigen Gastgeber, dass sie sich schuldig fühlen würden, sich schämen müssten und sich als sozial inkompetent betrachten würden, wenn sie sich anders verhielten. Vermutlich werden diese Gründe für das Verhalten der Chinesen dem deutschen Leiter der Delegation verborgen bleiben. Aus seiner rein sachorientierten Sicht der Ereignisse wird er nur einen Bruchteil der Bemühungen seiner chinesischen Partner um soziale Harmonie überhaupt wahrnehmen, und das, was er erfasst, wird er als unnötiges Getue, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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übertriebenes Gehabe und als wertloses, nichtssagendes Gerede bewerten und ablehnen, weil es nicht »zur Sache« passt und dem »übertriebenen« Lob keine adäquate so lobenswerte »Sach«-Leistung gegenüberstellt. Im Vergleich zu solchen zentralen Kulturstandards, wie auf deutscher Seite »Sachorientierung« und auf chinesischer Seite »Gesicht wahren und Gesicht geben«, können Menschen aus unterschiedlichen Nationen und Kulturen auch in identischen Handlungs- und Aufgabenfeldern beobachtet werden. Ihr Verhalten lässt sich erfassen und auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten hin untersuchen und prüfen, ob und in welcher Art und Weise sich das gezeigte Verhalten unterscheidet. Wie im geschilderten Beispiel unterschiedlicher Vorgehensweisen bei deutschen und amerikanischen Arbeitsgruppen hinsichtlich der Bearbeitung komplexer Problemstellungen, lassen sich in diesem Fall domänen- oder bereichsspezifische Kulturstandards definieren, die es erlauben, das unterschiedliche Verhalten der beobachteten Personen vorherzusagen und zu erklären. Im Unterschied zu zentralen Kulturstandards entfalten bereichsspezifische Kulturstandards ihre Wirksamkeit erst in Abhängigkeit von einem bestimmten Handlungsfeld, wie im genannten Beispiel komplexes Problemlösen in Arbeitsgruppen. Sie sind ziel-, aufgaben- und kontextgebunden und werden auch nur von Personen, die in den entsprechenden Aufgabenfeldern tätig sind, zur Orientierung eingesetzt. Einschlägige Untersuchungen (Thomas u. Schenk 1996) geben Hinweise darauf, dass neben zentralen und bereichsspezifischen Kulturstandards auch so etwas wie kontextuelle Kulturstandards wirksam werden können. Gemeint sind kulturspezifische Basisorientierungen, die den Vertretern der jeweiligen Kultur einen Handlungszwang auferlegen, der sie verpflichtet oder gar regelrecht zwingt, in einer bestimmten Situation eine sehr genau spezifizierte und umgrenzte Grundorientierung einzunehmen, die dann ganzheitlich, das heißt auf allen drei psychologisch relevanten Ebenen (Kognition, Emotion und Verhalten) wirksam wird. So ist es nach konfuzianischer Lehre nicht nur in der Familie, sondern auch im öffentlichen Leben geboten, älteren Menschen Verehrung und besonderen Respekt entgegenzubringen, und dies durchaus unabhängig von ihrem sozialen Status, vom Grad der interpersonalen Bekanntheit, von Sympathie und so weiter (Thomas u. Schenk 2001). Diese »Senioritätsorientierung« führt dazu, dass dann, wenn eine deutlich ältere Person in einen Kreis von nahezu gleichaltrigen Jüngeren eintritt und sich aktiv am sozialen Geschehen beteiligt, die gesamte Situation, die soziale Atmosphäre, das soziale Klima et cetera, eine völlige Veränderung erfahren. Nichts ist mehr so wie vorher, das soziale Handlungsfeld und die dynamischen Kräfte ändern sich mit der Konzentration auf die ältere Person. Ohne dass diese ältere Person etwas sagt oder etwas Spezifisches tut, müssen sich doch alle Anwesenden umorien© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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tieren. Durch diese Aktivierung des kontextuellen Kulturstandards »Senioritätsorientierung« werden für alle Anwesenden neue Handlungsanreize und neue Handlungsmöglichkeiten geschaffen, aber auch Handlungsgrenzen gesetzt. Vieles von dem, was nach Auftreten dieser älteren Person in der Gruppe passiert, ist nur zu verstehen, wenn man bei der Prozessanalyse die Wirksamkeit dieses Kulturstandards auf die gesamte soziale Atmosphäre berücksichtigt.

1.1.4 Identifikation von Kulturstandards Es gibt umfangreiche Forschungen zur Identifikation von Kulturstandards (Triandis 1995; Brislin et al. 1986; Landis u. Bhagat 1996; Thomas 2000b), die alle bezwecken, so genannte kritische Interaktionssituationen daraufhin zu analysieren, welche kulturellen Unterschiede und besonderen Merkmale in der interkulturellen Begegnungssituation handlungswirksam geworden sind. Die praktikabelste und gängigste Methode besteht darin,eine möglichst große Anzahl von Personen mit Erfahrungen in unterschiedlichen Begegnungssituationen, zum Beispiel Jugend- und Schüleraustausch, Studentenaustausch, Einsatz von Fachexperten im Ausland oder Fachpersonal mit Ausländererfahrung in Deutschland, darüber zu befragen, welche Schwierigkeiten und Probleme sie immer wieder im Umgang mit ausländischen Partnern beobachtet haben, welche andersartigen, unerwarteten, unerklärlichen Reaktionen sie bei ihren ausländischen Partnern häufig und typischerweise erfahren haben und wie sie sich aus ihrer Sicht dieses fremdartige und unerwartete Verhalten erklären. So werden beispielsweise deutsche Manager in Frankreich gebeten, Situationen in der Begegnung mit ihren französischen Partnern zu schildern, in denen sie ständig erfahren haben, dass Franzosen sich ganz anders verhalten, als sie das erwarteten. Dabei sollen die Situationskontexte, die eigenen Ziele und Erwartungen an den französischen Partner, die Beobachtungen, Überlegungen, Intentionen und Aktionen auf deutscher Seite sowie die Reaktionen auf französischer Seite und die Vermutungen über die Ursachen der Reaktionen geschildert werden. Es geht also nicht um irgendeine spezifische Situationsschilderung, sondern um einen prototypischen und für das Verhalten von Franzosen aus deutscher Sicht charakteristischen Interaktionsverlauf. Nach der Befragung einer größeren Anzahl von Personen lässt sich ein Satz sehr typischer kritischer Interaktionssituationen identifizieren, der dann von Experten, die in beiden Kulturen beheimatet sind, sich in beiden Kulturen gut auskennen und sich wissenschaftlich mit Problemstellungen kulturvergleichend beschäftigt haben, auf die in den In© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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teraktionssituationen handlungswirksam werdenden Kulturstandards hin analysiert wird. Aus der detaillierten Untersuchung dieser Analyseergebnisse im Vergleich und in Ergänzung mit dem, was in der Forschungsliteratur an Erkenntnissen über den Vergleich beispielsweise zwischen deutschen und französischen Verhaltenseigentümlichkeiten zu finden ist, lassen sich französische Kulturstandards identifizieren und deutsche Kulturstandards, wenn diese Analyse auch mit Deutschland erfahrenen Franzosen durchgeführt wird. Mit einer auf diesem Weg identifizierten spezifischen Anzahl von Standards, zum Beispiel acht bis zwölf zentrale Kulturstandards, lässt sich keineswegs die Gesamtheit einer Kultur beschreiben. Ein Netzwerk dieser Kulturstandards ergibt auch keine komplette Einsicht in das, was die jeweilige Kultur insgesamt ausmacht. Wohl aber lassen sich diese Kulturstandards als Orientierungshilfen verwenden, um sich einen Wissensfundus über das fremdkulturelle Orientierungssystem aufbauen zu können, um sich das unerwartete und fremdartig wirkende Verhalten des Interaktionspartners zu erklären und um auf diesem Hintergrund auf das eigenkulturelle Orientierungssystem aufmerksam zu werden und es reflektieren zu können. Zentrale Kulturstandards, ihre Vernetzung untereinander und ihre Einbindung in kulturhistorische Analysen und Entstehungskontexte lassen sich in Verbindung mit prototypischen kritischen Interaktionssituationen als Ausgangsmaterial zur Entwicklung interkultureller Trainings zur Sensibilisierung und Vorbereitung auf die Zusammenarbeit mit Personen einer fremden Kultur nutzen. Sie erschließen gleichzeitig ein Verständnis dafür, dass unterschiedliche Kulturen unterschiedliche Orientierungssysteme geschaffen haben, ermöglichen so die Entwicklung einer gegenseitigen interkulturellen Wertschätzung und legen damit die Basis zum Aufbau von interkultureller Handlungskompetenz. Eine alte chinesische Kriegstaktik lautet: »Nur wer den Gegner und sich selbst gut kennt, kann in tausend Schlachten siegreich sein.« Übertragen auf die Anforderungen in interkulturellen Begegnungssituationen kann diese Taktik lauten: »Nur wer sich selbst und den ausländischen Partner gut kennt, kann zu einer verständnisvollen und fruchtbaren Zusammenarbeit kommen.« Wissen und Kenntnisse über Kulturstandards, verbunden mit der Fähigkeit zum Umgang mit Kulturstandards, sowohl den eigenen wie den fremden, erhöhen die Chance zur realistischen Wahrnehmung fremdkulturellen Verhaltens, zum kulturadäquaten Verständnis für die charakteristischen Merkmale des eigenkulturellen und des fremdkulturellen Orientierungssystems und zur Initiierung, Steuerung und Kontrolle von interaktivem Verhalten. Auf der intentionalen Ebene ist ein solches Verhalten von kultureller Sensibilität und auf der reaktionalen Ebene von einem hohen Maß an interkulturellem Verstehen bestimmt. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Die daraus resultierende interkulturelle Begegnungspraxis zielt nicht darauf ab, sich möglichst präzise dem fremdkulturellen Orientierungssystem anzupassen oder das eigenkulturelle Orientierungssystem möglichst passgenau dem Partner aufzuzwingen, sondern ist bestimmt von der Absicht, bei aller Respektierung und Wertschätzung für die kulturellen Unterschiede, eine interpersonale Begegnung respektive Kooperation zu initiieren und auf Dauer zu praktizieren, die es beiden Partnern ermöglicht, ohne Anpassungszwang, einseitige Dominanz und Orientierungsverlust mit den kulturellen Unterschieden produktiv umzugehen.

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Grundlagen: Theoretische Grundlagen

Alexander Thomas: Na tional- und Organisationskulturen

Alexander Thomas

1.2 National- und Organisationskulturen

1.2.1 Das Problemfeld Unter der Überschrift »Herr Schrempp, verkaufen Sie den ganzen Schrott! – Reuters Entwurf ist passé/auch im Autokonzern DaimlerChrysler häufen sich die Probleme« schreibt Susanne Preuß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Angekreidet wurden Reuter mangelnde Markt- und Technologiekenntnis (MBB), Fehleinschätzung von Ertragsaussichten und Folgekosten (AEG), nicht miteinander zu vereinbarende Unternehmenskulturen und mangelnder Managementkonsens (Fokker), zu geringer Einfluss bei Minderheitsbeteiligungen (Dornier) und eine falsche Informationspolitik der Holding. Ersetzt man die Firmennamen durch Smart, Adtrans, Chrysler, Mitsubishi und Hyundai, könnte man Schrempp in genau den gleichen Punkten kritisieren. Ein Rückblick auf die Ära Reuter und auf die bisherigen Leistungen Schrempps zeigt, daß Schrempp und seine Mannschaft eine Mammutaufgabe zu lösen haben, will er nicht am Ende als der größere Verlierer dastehen« (2000, S. 21). Neben den »hard facts«, der Einschätzung von Markt- und Technologiefaktoren, Ertragskalkulation und Gewinnprognosen, spielten und spielen bei den sich häufenden Problemen nationaler und internationaler Fusionen und deren Management »miteinander unvereinbare Unternehmenskulturen« eine zentrale Rolle. Mehr als die Hälfte aller nationalen und internationalen Mergers, so die übereinstimmende Meinung von Wirtschaftsforschern, erfüllen nicht die in sie gesetzten Hoffnungen und Erwartungen, scheitern in den ersten vier Jahren und werden meist still begraben (Cartwright u. Cooper 1992; Gomez u. Weber 1989; Buono u. Bowditch 1989; Hofstede 1997). »The importance of the cultural dimension for the development and implementation of strategic goals in general, is also widely accepted and empirically tested. Somewhat less acknowledged, however, although hardly ever disputed, is the potential impact, both positive and negative, of cultural aspects on the success of M&A activity. Certainly, such dimensions are currently simply ignored in the pre-integration phases of acquisitions – during due diligence, for example – and hardly ever (consciously and

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specifically) enter into consideration in the integration phase« (Forstmann 1998, S. 57). Wenn hier von der Bedeutung »culture dimension« für ein erfolgreiches Management gesprochen wird, dann bezieht sich das auf mindestens zwei Ebenen von Kultur, zum einen die Unternehmenskultur und zum anderen die Nationalkultur sowie die Interdependenzen zwischen ihnen.

1.2.2 Nationalkultur Wenn man davon ausgeht, dass Kultur definiert werden kann als Orientierungssystem, das für die Mitglieder einer Nation sinnstiftend ist und deren Zugehörigkeit in erheblichem Maß definiert, und zwar in der Weise, dass jedes Mitglied der sozialen Gemeinschaft in Bezug auf die psychischen Grundlagen seines Erlebens und Verhaltens (Wahrnehmung, Denken, Empfinden und Handeln) von dem jeweils kulturspezifischen Orientierungssystem beeinflusst wird, aber auch an der Entwicklung und Weiterentwicklung dieses Orientierungssystems aktiv beteiligt ist, dann wird deutlich, welchen Einfluss die Nationalkultur darauf hat, was als Unternehmenskultur bezeichnet werden kann. Nationalkultur kann man definieren als die Kultur, die eine große Anzahl von Menschen, die einer Nation per Geburt angehören oder sich ihr zugehörig fühlen, im Verlauf ihrer Geschichte entwickelt haben und als für sie verbindlich und daseinsbestimmend definieren. Die Nationalkultur verkörpert so etwas wie das kollektive Bewusstsein der Bevölkerung, genauer: die tradierten Werte, Normen, Verhaltensregeln (Sitte, Gesetz, Brauch) und ethisch-moralischen Überzeugungssysteme (Religion) sowie die daraus abgeleiteten Welt- und Menschenbilder. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen über Wertentwicklungen und Wertewandel in unserer Gesellschaft weisen übereinstimmend nach, dass für den »modernen« Menschen die Selbstverwirklichung im privaten wie im beruflichen Leben ein zentrales, wertbehaftetes Ziel ist. Die Verwirklichung dieses Ziels ist aber nur möglich in einer Kultur, die selbstverwirklichungsrelevantes Denken und Tun zulässt, anregt und belohnt. In einer Nationalkultur, deren Mitglieder fest davon überzeugt sind, dass alles, was sie denken und tun, vorherbestimmt ist, in Gottes Hand liegt oder von Göttern und Geistern abhängt, ist an Selbstverwirklichung nicht zu denken. Wer in einer solchen Kultur Selbstverwirklichung als zentrales Lebensziel anstrebt, stellt sich außerhalb der Gemeinschaft oder arbeitet sogar gegen sie. Selbstverwirklichung hängt eng zusammen mit Chancengleichheit, Selbstverantwortlich-

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keit, Entscheidungsfreiheit, Eigenständigkeit, sozialer Gerechtigkeit, Sozialverträglichkeit. Ein ganzes Netzwerk von Werten, Normen, Einstellungen und Verhaltensregeln müssen in einer Nation und Gesellschaft vorhanden sein, akzeptiert, unterstützt und weiterentwickelt werden, wenn Selbstverwirklichung für jeden ein erstrebenswertes und prinzipiell auch erreichbares Ziel sein soll. Die Verwurzelung dieses Modernisierungsideals »Selbstverwirklichung« in der christlichen Religion liegt auf der Hand. »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« als zentrale Leitlinie christlichen Lebens erlaubt beziehungsweise verlangt eine Selbstverwirklichung, die aber zugleich sozialverträglich ist, wobei »der Nächste« jeder Mensch zu sein hat, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Religion, Herkunft und so weiter. Nationalkulturen sind keine starren und statischen Gebilde, sondern befinden sich in einem ständigen Entwicklungsfluss. Zu jeder Zeit sind in jeder Nation und Gesellschaft nicht nur eine Fülle von Problemen und Aufgaben zu bewältigen, sondern es werden auch immer wieder eine Vielzahl an Varianten zur Problemlösung entwickelt, vorgestellt, erprobt sowie durchzusetzen und beizubehalten versucht. Ein Beispiel für solche langfristigen Veränderungsprozesse in unserer Gesellschaft ist die in den letzten hundert Jahren zu beobachtende Veränderung der Verteilung von Rechten und Pflichten zwischen Männern und Frauen. Von einer geschlechtsrollenspezifischen hin zu einer geschlechtsrollenunspezifischen Aufteilung von Rechten und Pflichten und den damit verbundenen Normen und Rollen des Zusammenlebens hat sich ein dramatischer Wandel vollzogen, der keineswegs abgeschlossen, wohl aber in vollem Gang ist, und alle Lebensbereiche aller Mitglieder der Gesellschaft erfasst. In einer relativ offenen und dynamischen Gesellschaft, die der individuellen Lebensgestaltung die größtmögliche Gestaltungsfreiheit einräumt, entwickeln sich alle möglichen Formen der Geschlechtsrollendifferenzierung. Vieles wird ausprobiert, angepriesen, als verbindlich anempfohlen, aber ebenso vieles wird auch nach kurzer Zeit wieder aufgegeben. Nur einiges bleibt erhalten und wird von einer deutlichen Mehrzahl in der Gesellschaft oder einer mächtigen, Einfluss nehmenden Minderheit akzeptiert, wertgeschätzt, als verbindlich in das nationalkulturelle Orientierungssystem aufgenommen und an die nächsten Generationen als sozialrelevante Werte, Normen und Verhaltensregeln weitergegeben. Spricht man von einer deutschen Nationalkultur, dann klingt das sehr abstrakt und erscheint entfernt von dem, was das Alltagsleben der Menschen bestimmt. Wenn man dann konkreter von zentralen Merkmalen der deutschen Nationalkultur wie Selbstverwirklichung und Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern spricht, dann sind damit sehr weite Themenfelder angesprochen, die auch Menschen anderer Nationen beschäftigen. Überhaupt erscheint das Reden von einer Nationalkultur wenig – und © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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oft zu wenig – konkret, als dass es eine relevante Alltagsbedeutung erlangen könnte. Es gibt aber empirisch orientierte Forschungen (Thomas 2000; 2003), die versuchen, aus den Erfahrungen, die Menschen aus unterschiedlichen Nationalkulturen in der Begegnung und Zusammenarbeit miteinander gemacht haben, etwas über die typischen Merkmale von Nationalkulturen zu erfahren (siehe Kap. I, 1.1, S. 19 ff.). Wenn der Leiter der Repräsentanz einer großen deutschen Bank in China, der bereits acht Jahre diesen Posten inne hat und mit einer Chinesin verheiratet ist, im Interview bemerkt, dass er täglich im Umgang mit seiner Frau, die selbst ein eigenes Geschäft betreibt, kulturelle Unterschiede erfährt, ihm diese auch immer wieder bewusst werden, obwohl er sich inzwischen daran gewöhnt hat und darauf so zu reagieren versteht, dass es nicht zu ernsthaften Kommunikations- und Interaktionsproblemen kommt, wird deutlich, welche nachhaltigen Wirkungen nationalkulturell gebundene Orientierungssysteme auch noch nach Jahren des engen und vertrauten Zusammenlebens ausüben.

1.2.3 Unternehmenskultur Wenn im Geschäftsleben und in der Wissenschaft von Kulturunterschieden und kulturbedingten Kooperationsproblemen gesprochen wird, ist meist die nationalkulturelle Ebene der Betrachtung gemeint, nicht aber die unternehmenskulturelle, die branchenkulturelle, die abteilungs- und arbeitsgruppenkulturelle Ebene. Wenn Kultur sich in einem für »Nation, Gesellschaft, Organisation oder gruppenspezifischen Bedeutungs- und Orientierungssystem« manifestiert, dann ist es sinnvoll und zweckmäßig, diese verschiedenen Kulturebenen zu unterscheiden und deren Beziehungsgeflecht zu analysieren. Alles das, was weiter oben zur Nationalkultur, deren Entwicklung, Ausprägung und Wirkung dargestellt worden ist, gilt auch für die Ausbildung von Subkulturen. Wenn Menschen sich freiwillig oder gezwungen zu sozialen Gemeinschaften zusammenschließen, in sie hineinwachsen und als Mitglieder sozialer Gemeinschaften denken, empfinden und handeln und wenn solche Sozialgebilde für sie persönlich, ihre Lebensgestaltung und ihre berufliche Entwicklung von Bedeutung sind oder sein können, dann entwickeln sie innerhalb dieser Gemeinschaften spezifische Bedeutungs- und Orientierungssysteme, also prägen spezifische Kulturen aus. Es gibt zwar keine einheitliche systematische Abgrenzung und Benennung solcher Subkulturen, und deren Kategorisierung und Be-

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zeichnung sind relativ willkürlich, es lassen sich aber unterhalb dessen, was man Nationalkultur nennt, die beiden Extrempole von Subkulturen angeben, nämlich Unternehmens- beziehungsweise Organisationskultur und die dyadische Gruppenkultur. Unternehmen und Organisationen bilden unabhängig von ihrer Größe zweifelsohne Kulturen aus, die mehr oder weniger stark das Verhalten ihrer Mitglieder nach innen, also in der Interaktion mit anderen Organisationsmitgliedern, und nach außen, also gegenüber außenstehenden Personen, beeinflussen. Daneben gibt es auch Berufsgruppen (z. B. Techniker und Kaufleute) und Geschäfts- und Wirtschaftszweige, also Branchen (z. B. Automobilindustrie, Bauindustrie) oder noch weiter gefasste Geschäftszweige wie zum Beispiel Handwerk und Industrie, die sehr spezifische eigene Kulturen ausbilden, die das Denken und Verhalten der in ihnen aufgewachsenen und ihnen zugehörenden Personen in erheblichem Maß bestimmen. Die Tradition der deutschen Handwerkskultur ist eine völlig andere als die der deutschen Industriekultur, und die unterschiedlichen Werte, Normen und Verhaltensregeln werden bereits während der Lehrzeit in einem Industriebetrieb oder in einem Handwerksbetrieb so nachhaltig vermittelt, dass es für viele fachlich hochqualifiziert ausgebildete Mitarbeiter schwer ist, im Lauf ihres beruflichen Lebens von einer Handwerkskultur in eine Industriekultur und umgekehrt zu wechseln. Selbst innerhalb eines Betriebs und innerhalb einer Abteilung oder einer Arbeitsgruppe schlagen die berufsbedingten kulturspezifischen Unterschiede zwischen Technikern und Kaufleuten so nachhaltig durch, dass beide Gruppen nur schwer oder überhaupt nicht miteinander kommunizieren können, weil sie zwei unterschiedliche »Sprachen« sprechen, bei Problemstellungen völlig unterschiedliche Lösungswege favorisieren und in Leistungs- und Qualitätsbeurteilungen nicht miteinander übereinstimmen. Während die meisten Menschen in solche berufs- und arbeitsrelevante Kulturen hineinwachsen, deren Werte-, Norm- und Regelsystem im Verlauf der beruflichen Sozialisation erworben und verinnerlicht wird mit dem Ziel, eine möglichst komplette Anpassung an diese Vorgaben zu erreichen, beobachtet man im anderen Extrem der dyadischen Gruppenkultur ein hohes Maß an eigenständiger Kulturentwicklung. Die kleinste denkbare Gruppe ist die Zwei-Personen-Gruppe (Dyade). Zwei Menschen, die sich ineinander verlieben und im weiteren Verlauf eine auf Dauer angelegte, enge Paarbeziehung eingehen, sind im sozialpsychologischen Sinn eine Gruppe (Kleingruppe). Sie verständigen sich auf gemeinsame Normen und Werte, bestehen auf der Durchsetzung eigener Gewohnheiten, passen sich aber auch den Gewohnheiten des Partners an, schließen Kompromisse und entwickeln spezifische und oft neue Werte, Normen und Verhaltensregeln bis hin zu der völlig neuartigen Verwendung von sprachlichen und nichtsprachlichen Ausdrucksmitteln. Sie entwickeln eine eigenständige, auf die © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Interessen und Bedürfnisse dieser spezifischen Dyade bezogene Gruppenkultur. Die Unternehmenskultur hat in der Wirtschaftswissenschaft und in der betrieblichen Praxis eine wechselvolle und zugleich widersprüchliche Entwicklung durchgemacht (Höh 2000). Es gab immer wieder Zeiten, in denen dem, was man unter Unternehmenskultur verstand, große Bedeutung beigemessen wurde, und Zeiten, in denen besonders auf qualitative Merkmalsausprägungen unternehmensrelevanter Strukturen Wert gelegt wurde und prozessorientierte Wirtschaftswissenschaftler die Unternehmenskultur als Etikett für nicht erklärbare Restgrößen abqualifizierten. Nach wie vor wird die von Schein (1985) vorgeschlagene Definition von Unternehmenskultur und das darauf aufbauende Drei-Ebenen-Modell in der wissenschaftlichen Analyse von Unternehmenskultur zugrunde gelegt. Schein definiert Unternehmenskultur als »ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt, und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit diesen Problemen weiter-

Artefakte beeinflussen Werthaltungen

Abbildung 1: Das Drei-Ebenen-Modell der Unternehmenskultur (nach Höh 2000, S. 19)

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gegeben wird« (1985/1995, S. 25). Das Drei-Ebenen-Modell von Schein ist in Abbildung 1 dargestellt. Nach dem Drei-Ebenen-Modell von Schein lassen sich materielle und immaterielle Artefakte identifizieren, die sehr einfach zu beobachten, aber in ihrer Wirkung auf das Verhalten der Unternehmensmitglieder schwer zu entziffern und zu interpretieren sind. Auf einer darunter liegenden Ebene lassen sich für die Mitglieder einer Unternehmung gemeinsame Werte, Normen und Verhaltensregeln identifizieren, die in ihren Auswirkungen teilweise erfahrbar sind und den Mitgliedern zum Teil auch bewusst sind beziehungsweise bewusst gemacht werden können. Diese Werte, Normen und Verhaltensregeln beeinflussen das Erleben und Verhalten der Organisationsmitglieder in stärkerem Maß als die oben genannten Artefakte. Werte, die auf breite Akzeptanz stoßen und sich für die Erreichung der Unternehmensziele als erfolgreich ausweisen, verfestigen sich im Lauf der Zeit zu allgemein geteilten Grundannahmen (kollektives Bewusstsein). Diese Grundannahmen oder Grundprämissen sind so etwas wie zentrale Bausteine des unternehmenskulturellen Orientierungssystems. Sie sind nicht mehr bewusstseinspflichtig und werden nicht mehr zum Gegenstand der kritischen Analyse, beeinflussen aber in erheblichem Maß die Wahrnehmung, das Denken, Urteilen und Handeln der Mitglieder der Unternehmung. Die Identifikation dieser Grundprämissen erst ermöglicht ein handlungsrelevantes Verständnis für die Unternehmenskultur. Auf diesem Hintergrund kann man ein Unternehmen als eine Miniaturgesellschaft auffassen, an deren Entwicklung, Gestaltung und Tradierung alle Mitglieder beteiligt sind. Das in der täglichen Interaktion von allen Mitgliedern geschaffene, unternehmensspezifische Sinn-, Wissens- und Bedeutungssystem bildet die Kultur des Unternehmens und schafft so die Grundlage dafür, dass die Mitglieder der Unternehmung sich und ihre Umwelt übereinstimmend wahrnehmen und eine übereinstimmende Orientierung für ihr Verhalten gewinnen (Orientierungssicherheit). Nach dieser Auffassung ist das, was ein Unternehmen in der Realität darstellt, nicht einfach objektiv gegeben, sondern wird subjektiv konstruiert und aufgrund sozial geteilter Normen und Werte der Unternehmensmitglieder aktiv geschaffen. Nach Kasper (1987) lässt sich die Unternehmenskultur durch zehn charakteristische Merkmale definieren: Die Unternehmenskultur ist von Menschen geschaffen, sie ist das Resultat kollektiven Handelns, sie wirkt verhaltenssteuernd, und ihre grundlegenden Prämissen werden von den Unternehmensmitgliedern allgemein akzeptiert. Sie wird tradiert, ist erlernbar durch die Vermittlung von Symbolen und durch Modell-Lernen, sie ist anpassungsfähig in Bezug auf neue Gegebenheiten der Umwelt und Anforderungen an die Organisation. Alle Aspekte der Unternehmenskultur sind den Mitgliedern prinzipiell bewusst, doch im Alltag sind viele Merk© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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male nicht bewusst beziehungsweise nicht bewusstseinspflichtig und auch nicht direkt erfassbar. Sie können deshalb nur indirekt durch Entschlüsselung erfahren werden. Die Unternehmenskultur kann sowohl als Ergebnis wie auch als Prozess unternehmensspezifischer Entwicklungsverläufe aufgefasst werden. Geht man von diesem mehr interpretativen Verständnis der Unternehmenskultur (Unternehmen = Kultur) aus, dann wird sich die Existenz unterschiedlicher Subkulturen innerhalb einer gemeinsamen Unternehmenskultur dahingehend spezifizieren, dass ein System ineinander verschachtelter und ineinander greifender Subkulturen angenommen wird, bei dem das Unternehmen selbst wieder als Subsystem der Nationaloder Gesellschaftskultur definiert werden kann (siehe Abb. 2). Bei diesem Schachtelmodell sind einige charakteristische Merkmale zu beachten: 1. Das Hypersystem und die Subsysteme beeinflussen sich gegenseitig. So übt einerseits die National-/Gesellschaftskultur einen erheblichen Einfluss auf die Unternehmenskultur aus (Ogilvie 1992; Scholz u. Hofbauer 1990; Hofstede 1991), und andererseits findet ein Einfluss der Unternehmenskultur auf die Nationalkultur statt. Wie bereits oben angesprochen, wirkt auch die Branchen- beziehungsweise Industriekultur auf die Unternehmenskultur ein und umgekehrt (Schulz-Gambard et al. 1997). 2. Die jeweiligen Subsysteme stehen in interdependenten Beziehungen. So beeinflussen sich Geschäftsbereich 1 und Geschäftsbereich 2 gegenseitig. Die Subkulturen, repräsentiert durch Führungskräfte und Mitarbeiter, stehen ebenfalls in wechselseitiger Beziehung zueinander (Schwarz 1987).

Abbildung 2: Das kulturelle Schachtelmodell (nach Höh 2002, S. 30)

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3. Jedes Mitglied der Unternehmung gehört gleichzeitig mehreren Subkulturen an. So kann jemand zur Abteilung Marketing gehören und Mitglied dieser Subkultur sein, zugleich aber auch Führungskraft in einer entsprechenden Subkultur und der Berufskultur der Betriebswirtschaftler angehören, zugleich noch Mitglied in einer Projektgruppe sein, in der sich eine eigene und sehr spezifische Subkultur entwickelt hat. Darüber hinaus ist er noch Teil der Kultur des Unternehmens und Angehöriger einer bestimmten Nationalkultur (Berthoin et al. 1993). Veränderungsprozesse innerhalb und zwischen den Subkulturen sind möglich. Durch Übernahme neuer Funktionen und Posten innerhalb des Unternehmens verändern sich die Bedeutung der jeweiligen Subkulturen und das Verhältnis zwischen den Subkulturen sowie die Bedeutung von Nähe und Ähnlichkeit zwischen den Subkulturen für das einzelne Unternehmensmitglied.

1.2.4 Nationalkultur und Unternehmenskultur im Kontext der Internationalisierung Internationalisierung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, in Politik, Wirtschaft, Kunst, Wissenschaft, Entwicklungszusammenarbeit, Jugendarbeit und so weiter, hat im Kern immer Kulturbegegnung auf unterschiedlichen Ebenen zur Folge. Menschen aus unterschiedlichen Kulturen treffen aufeinander, Arbeitsgruppen, uninational oder multinational zusammengesetzt, müssen kooperieren, Abteilungen, Unternehmen, Verbände und Organisationen aus unterschiedlichen Nationalkulturen kooperieren, schließen Allianzen oder fusionieren über nationale respektive nationalkulturelle Grenzen hinweg (Abb. 3). In Abbildung 3 werden drei kulturelle Ebenen unterschieden: die Gruppenkultur, die Unternehmenskultur und die Nationalkultur. Das ist bereits eine deutliche Vereinfachung gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen, denn wie bereits ausgeführt spielen in der Arbeitswelt noch branchen-, berufs- und statusspezifische Kulturen innerhalb dessen, was hier als Unternehmens- und Gruppenkultur bezeichnet wird, eine nicht unerhebliche Rolle. Das Individuum ist mit diesen Ebenen in einer wechselseitigen Beziehung verflochten. Es beeinflusst und gestaltet diese Kulturen aktiv mit, ist im Verlauf der individuellen Sozialisation in sie hineingewachsen, hat ihre sozialrelevanten Werte, Normen und Verhaltensmuster verinnerlicht und

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Gruppenkultur

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Unternehmenskultur

Abbildung 3: Intranationalkulturelle Ebenen

nützt die entsprechenden kulturellen Orientierungssysteme zur eigenen Sinnbestimmung und Bedeutungszuschreibung. Zudem beeinflussen sich die verschiedenen intrakulturellen Ebenen gegenseitig. Werte, die seit Jahrzehnten in einem Unternehmen verhaltensbestimmend sind, die propagiert und gelebt werden, haben Einfluss auf die Gruppenkultur in Unternehmen und sind zugleich im nationalkulturellen Orientierungssystem verankert, zumindest so lange, wie das Unternehmen eine in Theorie (z. B. Führungsgrundsätze) und Praxis (z. B. Sozialverhalten der Mitarbeiter untereinander) nationalkulturelle Orientierung aufweist. Dies kann sich ändern, wenn Mitarbeiter und Führung international zusammengesetzt sind bzw. wenn Geschäftsaktivitäten sich international ausrichten. Ob eine grenzüberschreitende Firmenfusion oder Gruppenzusammenarbeit vorgenommen wird, in jedem Fall gibt es keinen neutralen, von allen bisherigen Entwicklungen und kulturellen Prägungen bereinigten Start, also so etwas wie einen Neubeginn beim Nullpunkt. Auch wenn in solchen Startphasen viel von visionärem Aufbruch, Neubeginn, Paradigmenwechsel, Vorstoß in neue Welten und so weiter die Rede ist und sich bei allen Mitarbeitern der neuen Unternehmung ein Gefühl und Bewusstsein von Zäsur und »Aufbruch zu neuen Ufern« breit machen sollte, was selten genug der Fall ist, steht jeder Beteiligte doch immer mitten in einem lebensgeschichtlich und unternehmensgeschichtlich mehr oder weniger kontinuierlich verlaufenden Ereignisstrom, aus dem er seine Werte, Orientierungen, Erfahrungen positiver und negativer Art sowie seine Überzeugungen, wie er und die Welt um ihn herum beschaffen sind, gewonnen hat und weiter gewinnen wird. Was die

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internationale Arbeitsgruppe, der internationale Unternehmenszusammenschluss oder das internationale Joint Venture für die beteiligten Mitarbeiter auf allen Ebenen an Neuem bringt, ist allenfalls eine Anreicherung durch bisher unbekannte Aufgaben, Anforderungen, Entwicklungschancen, aber auch Belastungen. Darüber hinaus bieten sich ihnen neue soziale Bezugsgruppen und Bewertungsmaßstäbe an, die ihnen weitere Möglichkeiten zum sozialen Vergleich in Bezug auf Leistung, Fähigkeit,Meinung, Norm und Verhaltensregeln und so weiter eröffnen und damit neue, bisher nicht gegebene Möglichkeiten der sozialen Identität verfügbar machen. So ist jedes internationale Joint Venture darauf angewiesen, dass sich unter den Mitgliedern eine Identifikation mit dem neuen Gemeinschaftsunternehmen entwickelt und durchsetzt, die für alle bedeutungsvoller und wirkmächtiger ist als die Identifikation mit dem Herkunftsunternehmen. Immer wieder zeigt sich, dass Joint Ventures und Mergers erfolglos bleiben, wenn die Bindungen an die Herkunftsunternehmen gegenüber der Identifikation mit dem neuen Unternehmen überwiegen und wenn die Führung keine aktive Identifikationsarbeit betreibt und vorlegt (Vogl 2000; Höh 2000). Für die Mitarbeiter muss erkennbar und erfahrbar sein, dass die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse nach Orientierungssicherheit, Handlungssicherheit, Handlungskontrolle sowie Selbstwerterhöhung und Selbstwertstabilisierung, die bislang in dem Herkunftsunternehmen erfolgte und schon zur Routine gehörte, im neuen Unternehmen genauso und besser, das heißt auf einem höheren Qualitätsniveau möglich und gewährleistet ist. Die zu entwickelnde neue Unternehmenskultur und Gruppenkultur muss viel Attraktivität bieten, damit ihre Werte, Normen und Regelsysteme von allen Mitarbeitern häufiger aktiviert und zur Verhaltenssteuerung eingesetzt werden als die ihnen bislang gewohnten. Dabei wird nicht alles neu sein. Vieles, was sich bisher bewährt hat, wie zum Beispiel die eng im nationalkulturellen Orientierungssystem verwurzelten Regeln und Normen, wird beibehalten und muss beibehalten werden, damit ein ausreichendes Maß an Verhaltenssicherheit gewährleistet ist. Die nicht zu unterschätzende Führungsaufgabe bei internationalen Unternehmenszusammenschlüssen besteht nun darin zu erkennen, was aus den Herkunftskulturen für die neue Unternehmenskultur sinnvollerweise übernommen werden soll, was zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben an neuen Werten, Normen und Verhaltensregeln akzeptiert, gelernt und entwickelt werden soll, wie beides zu einer neu gestalteten Unternehmenskultur zusammengeführt werden kann und wie diese Unternehmenskultur vermittelt werden muss, damit sie von allen verstanden, akzeptiert, gelernt und so erfahren werden kann, dass ihre Attraktivität gegenüber dem Herkömmlichen im Arbeitsalltag erlebt wird und so ein Identifikationsprozess mit dieser neuen Unternehmenskultur in Gang kommt. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Grundlagen: Theoretische Grundlagen

Alexander Thoma s: Das Eigene, das Fremde, das Interkulturelle

Alexander Thomas

1.3 Das Eigene, das Fremde, das Interkulturelle

1.3.1 Jeder aus seiner Perspektive Der amerikanische Psychologe Harry Triandis berichtet in seinem Buch »The Analysis of Subjective Culture« (1972) von einer missglückten Zusammenarbeit zwischen einem amerikanischen Manager und seinem griechischen Mitarbeiter in einem amerikanischen Tochterunternehmen in Griechenland. Den verbalen Dialog listet er unter der Rubrik »Verhalten« auf und die Gedanken, Absichten und Gefühle der Kommunikationspartner parallel dazu unter der Rubrik »Attribution«. Unter Attribution versteht man alles das, was Menschen ihrem Verhalten und dem ihrer Partner ursächlich an Merkmalen zuschreiben und unterstellen. So untergliedert ergibt sich der in Tabelle 1 dargestellte Aktionsverlauf. Wir haben es hier mit einer kulturellen Überschneidungssituation zu tun. Damit ist für beide Partner eine Situation bezeichnet, in der sie nicht allein aus einem kulturspezifischen Orientierungssystem heraus agieren können, sondern es mit zwei unterschiedlichen Orientierungssystemen zu tun haben, die mehr oder weniger deutlich wahrgenommen werden können. Die Begegnung zwischen dem Amerikaner und dem Griechen im Kontext einer Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung schafft eine kulturelle Überschneidungssituation mit Handlungsbedingungen und -anreizen, aber aufgrund der unterschiedlichen Kulturen auch mit Handlungsgrenzen. Beide Kulturmerkmale müssen in Verbindung mit der beginnenden Entwicklung einer neuen, durch die beginnende Kommunikation und Interaktion entstehende »dritte« Kultur im Denken und Verhalten der beteiligten Personen zur Wirksamkeit kommen (Breitenbach 1975). Der amerikanische Vorgesetzte, in den USA aufgewachsen, sozialisiert und ausgebildet, beruflich qualifiziert und erfolgreich, denn sonst wäre er nicht für einen Auslandseinsatz vorgesehen worden, kooperiert mit seinem griechischen Mitarbeiter, der in der griechischen Kultur aufgewachsen ist, ausgebildet wurde und beruflich ebenfalls erfolgreich ist, denn sonst wäre er nicht in einem amerikanischen Tochterunternehmen beschäftigt, und er wäre auch nicht fähig, einen so komplizierten Bericht in so kurzer Zeit zu erstellen. Vorurteile scheinen die Partner nicht gegeneinander zu hegen.

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Alexander Thomas: Das Eigene, das Fremde, das Interkulturelle

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Tabelle 1: Der amerikanische Vorgesetzte und sein griechischer Mitarbeiter Verhalten

Attribution

Amerikaner: Wie lange brauchst du, um Amerikaner: Ich bitte ihn, sich zu beteiligen. diesen Bericht zu beenden? Grieche: Ich weiß nicht. Wie lange sollte Grieche: Sein Verhalten ergibt keinen Sinn. Er ist ich brauchen? der Chef: Warum sagt er es mir nicht? Amerikaner: Er lehnt es ab, Verantwortung zu übernehmen. Grieche: Ich bat ihn um eine Anweisung. Amerikaner: Du kannst selbst am bes- Amerikaner: Ich zwinge ihn, Verantwortung für ten einschätzen, wie lange es dauert. seine Handlungen zu übernehmen. Grieche: Was für ein Unsinn! Ich gebe ihm wohl besser eine Antwort. Grieche: 10 Tage.

Amerikaner: Er ist unfähig, die Zeit richtig einzuschätzen; diese Schätzung ist völlig unrealistisch.

Amerikaner: Besser 15. Bist du damit Amerikaner: Ich biete ihm eine Abmachung an. einverstanden, es in 15 Tagen zu tun? Grieche: Das ist meine Anweisung: 15 Tage. In Wirklichkeit brauchte man für den Bericht 30 normale Arbeitstage. Also arbeitete der Grieche Tag und Nacht, benötigte aber am Ende des 15. Tages immer noch einen weiteren Tag. Amerikaner: Wo ist der Bericht?

Amerikaner: Ich vergewissere mich, dass er unsere Abmachung einhält. Grieche: Er will den Bericht haben.

Grieche: Er wird morgen fertig sein.

(Beide attribuieren, dass er noch nicht fertig ist.)

Amerikaner: Aber wir haben ausge- Amerikaner: Ich muss ihm beibringen, Abmamacht, er sollte heute fertig sein. chungen einzuhalten. Grieche: Dieser dumme, inkompetente Chef! Nicht nur, dass er mir falsche Anweisungen gegeben hat, er würdigt noch nicht einmal, dass ich einen 30-Tage-Job in 16 Tagen erledigt habe. Der Grieche reicht seine Kündigung Der Amerikaner ist überrascht. ein. Grieche: Ich kann für so einen Menschen nicht arbeiten. Aus: Triandis, H. C.; Vassiliou, V. (1972): A comparative analysis of subjective culture. In: Triandis, H. C. (HG.), The Analysis of Subjective Culture. New York, S. 299–335. (Übersetzung durch den Verfasser)

Das Hierarchieverhältnis, der Amerikaner ist der Boss und der Grieche sein Mitarbeiter, wird von beiden akzeptiert. Beide Partner sind keine aggressiven Menschen. Zwischen ihnen geht es freundlich und gesittet zu, sie sind gutwillig, zielorientiert und um eine gute Zusammenarbeit bemüht. Sprachprobleme scheint es offensichtlich auch nicht zu geben. Beide verstehen auch, um was es geht, nämlich darum, einen Bericht zu erstellen, und das bis zu einem bestimmten Zeitpunkt.

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Grundlagen: Theoretische Grundlagen

Das Eigene

Eigenkultur

Das Fremde

kulturelle Überschneidungssituation

Fremdkultur

Das Interkulturelle Abbildung 4: Die Dynamik kultureller Überschneidungssituationen

Alles dies sind optimale Voraussetzungen für eine produktive Zusammenarbeit. Und doch reicht der Grieche am Ende der geschilderten Interaktionsszene seine Kündigung ein: »Ich kann für so einen Menschen nicht arbeiten!«, und der Amerikaner ist von diesem Verhalten seines Mitarbeiters »völlig überrascht«. Was ist der Grund? Beide Partner denken und handeln aus ihrem eigenkulturellen Verständnis (monokulturell) heraus, obwohl sie sich tatsächlich in einer kulturellen Überschneidungssituation befinden. Beide Personen sind fest davon überzeugt, dass sie richtig und im Sinne des gesetzten Ziels produktiv handeln. Sie sind ebenso fest davon überzeugt, dass der jeweilige Partner im Irrtum ist, sich falsch verhält und sein Verhalten keinen Sinn macht. Weiterhin sind die Partner sich weder ihres eigenkulturellen Orientierungssystems bewusst noch kennen und wissen sie etwas über das des anderen. Sie haben auch kein Verständnis dafür, dass in der gegebenen kulturellen Überschneidungssituation ein interkulturelles Verhalten erforderlich ist, damit beide Seiten zu ihrem Recht kommen (Abb. 4). Wie aus Abbildung 4 ersichtlich, entstehen kulturelle Überschneidungssituationen dann, wenn Fremdes für das Eigene bedeutsam wird und wenn es zu wechselseitigen Beziehungen zwischen Eigenem und Fremdem kommt. Zwischen dem Eigenkulturellen und dem zunächst sehr fernen, dann aber immer näher rückenden Fremden entsteht ein Zwischenraum der Uneindeutigkeit, Vagheit und Neuartigkeit, der bedrohlich oder auch

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anregend wirken kann. Alltagssprachlich ausgedrückt, liegen hier die »Fettnäpfchen« bereit, in die man geraten kann, wenn man sich auf Fremdheit einlässt, aber zuwenig über sie weiß und nichts von ihren Merkmalen und Eigentümlichkeiten versteht. Das interaktive Verhalten kann unter günstigen Bedingungen mal mehr vom Eigenen und mal mehr vom Fremden her bestimmt sein (wechselseitige Anpassung) und im ungünstigsten Fall allein vom Fremden her (einseitiger Anpassungsdruck). Das oben angeführte Beispiel des Zusammenspiels zwischen dem amerikanischen Manager und seinem griechischen Mitarbeiter weist genau den Verlauf dieser Dynamik auf. Eigenes und Fremdes stehen in ständigem Wechsel miteinander, ohne aber zu so etwas wie einer Synthese zu finden und aus dem Interkulturellen etwas Neues zu schaffen (Thomas 2003b). Forschungen über die Dynamik im Feld kultureller Überschneidungssituationen (Bochner 1982) haben gezeigt, dass vier Typen der Verhaltensregulation unterscheidbar sind: – Dominanzkonzept: Die eigenkulturellen Werte und Normen werden fremden Kulturen gegenüber als überlegen angesehen. Eigenes soll sich gegen Fremdeinflüsse durchsetzen und das Interaktionsgeschehen dominieren. So soll im angeführten Beispiel das amerikanische Führungskonzept auch für den griechischen Mitarbeiter gelten und das griechische Hierarchiekonzept (Paternalismus) auch für die Zusammenarbeit mit einem amerikanischen Vorgesetzten. Deutsche Arbeitstugenden, westliche Methoden der Konfliktbehandlung, asiatisches Krisenmanagement, französische Problemlösungsstrategien und so weiter werden als die besten, bewährtesten und sachgerechtesten Lösungen angesehen und wie selbstverständlich gegenüber Lösungsformen durchgesetzt, die in anderen Kulturen entwickelt worden sind. Auf den Partner wird so lange Anpassungsdruck ausgeübt, bis er bereit ist und gelernt hat, sich in seinem Verhalten an den Kulturstandards des dominanten Partners zu orientieren. – Assimilationskonzept: Die fremdkulturellen Werte und Normen werden bereitwillig übernommen und in das eigene Handeln integriert. Die Anpassungstendenzen an die fremde Kultur können so stark werden, dass ein Verlust der eigenen kulturellen Identität erfolgt und ein völliges Aufgehen in der Fremdkultur versucht wird. Personen passen sich den nationalen und firmenspezifischen Normen und Werten der überlegenen und mächtigen Kultur an, um so der ständigen Kritik an ihrem Verhalten zu entgehen und den Anpassungsdruck seitens der Fremdkultur zu minimieren. Sie können auch von der Überlegenheit des fremdkulturellen Orientierungssystems überzeugt und bemüht sein, sich ihm anzupassen, wie das in Extremformen der Xenophilie (Fremdenliebe) in Er© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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scheinung tritt. Die Übernahme des fremdkulturellen Orientierungssystems und die Bereitschaft zur Assimilation geschehen nicht selten auch aus rein pragmatischen Gründen, um den Leidensdruck zu minimieren, der aus dem ständigen Erleben von Diskrepanzen zwischen Eigen- und Fremdkultur entsteht. – Divergenzkonzept: Werte und Normen beider Kulturen werden als bedeutsam und effektiv angesehen. Viele Elemente sind allerdings inkompatibel und führen in der Anwendung zu ständigen Widersprüchen. Da eine Integration nicht gelingt, kommt es zu unauflösbaren Divergenzen und ständigen Schwankungen zwischen dem eigenkulturellen und dem fremdkulturellen Orientierungssystem. Besonders in der Anfangsphase der Bildung interkultureller Formen der Zusammenarbeit sind solche Prozesse zu beobachten. Dies führt zu Verunsicherungen bezüglich der für die Zusammenarbeit gültigen Werte, Normen und Verhaltensweisen und langfristig zur Reduzierung der Arbeitsmotivation, der Gruppenkohäsion und der Bindung an den Partner. – Synthesekonzept: Den Partnern gelingt es, bedeutsame Elemente beider Kulturen zu einer neuen Qualität (Gesamtheit) zu verschmelzen. Das Resultat besteht dann nicht mehr in der Bevorzugung einer der beiden Kulturen, sondern in einer aus den Ressourcen beider Kulturen gewonnenen Neudefinition und Neuorganisation wichtiger Elemente, die dann für beide Partner normbildend werden. So können unter günstigen Bedingungen kulturelle Synergieeffekte entstehen. Im Beispiel der Zusammenarbeit zwischen dem amerikanischen Boss und dem griechischen Mitarbeiter ist offensichtlich das Synthesekonzept nicht wirksam geworden. Beide Partner handeln im Verlauf der Interaktionssituation völlig aneinander vorbei. Der amerikanische Vorgesetzte verfolgt einen mitarbeiterorientierten Führungsstil, indem er davon ausgeht, dass der griechische Mitarbeiter gewillt und qualifiziert ist, sich an der Planung seiner Arbeitsaufgaben zu beteiligen, seine Arbeit zu organisieren und Verantwortung zu übernehmen. Das entspricht modernen amerikanischen Managementmethoden und der amerikanischen Auffassung von einem wirklichen Mitarbeiter. Der griechische Mitarbeiter dagegen ist es gewohnt, dass der Vorgesetzte über ein hohes Maß an Übersicht und Einsicht in arbeitsrelevante Zusammenhänge verfügt, dass er aus diesem Wissen heraus realistische und sachkundige Anweisungen gibt und dass sich der Mitarbeiter auf diese Anweisungen verlassen kann und ihnen zu folgen hat. Er geht sicher auch davon aus, dass der Vorgesetzte gerade für diese Führungsleistungen speziell ausgebildet und qualifiziert ist und dafür auch höher bezahlt wird als er. Für ihn ist nicht einsehbar, warum er sich über die Arbeitsorganisation wie Zeiteinteilung, Belastbarkeit und Dauer der Arbeits© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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verrichtungen Gedanken machen und Eigenverantwortung übernehmen soll. Das gehört nach seiner Auffassung nicht zu seinen Pflichten. Das im Beispiel sichtbar werdende sehr unterschiedliche Verhalten der beiden Partner und die unterschiedlichen Interpretationen der Reaktionen des jeweiligen Gegenübers sind unter Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Auffassungen von Position und Rolle von Vorgesetztem und Mitarbeiter, die einerseits unternehmenskulturspezifisch und darüber hinaus nationalkulturspezifisch begründet sind, gut verständlich und nachvollziehbar. Diese national- und unternehmenskulturellen Verankerungen für das so unterschiedliche und unerwartete Partnerverhalten wird den handelnden Personen deshalb nicht bewusst, weil sie die Unterschiede als Fehlverhalten des jeweiligen Partners interpretieren. Einmal als Versagen und Inkompetenz der Führungskraft und zum anderen als mangelnde Organisationsfähigkeit und Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme. Auf die tiefer liegenden psychologischen Bedingungskonstellationen für dieses Verhalten wird im nächsten Abschnitt genauer eingegangen.

1.3.2 Spezielle Anforderungen an die Bewältigung interkultureller Zusammenarbeit Aus der Dynamik des Erlebens und Verhaltens in kulturellen Überschneidungssituationen ergeben sich drei verschiedene Anforderungskomplexe, deren Bewältigung mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist.

Anforderungen aus der eigenkulturellen Orientierung Menschen gehen normalerweise davon aus, dass so, wie sie sich verhalten, auch alle anderen Menschen auf dieser Welt sich verhalten. Sie fühlen sich zu dieser Annahme berechtigt, weil sie im Umgang mit ihren Mitmenschen, die in der Regel der eigenen Kultur angehören und oft innerhalb der eigenen Kultur Mitglieder der gleichen Subkultur sind, über ein hohes Maß an Gemeinsamkeit und Ähnlichkeit verfügen. Das ist der Grund, warum die Menschen sich unter normalen Umständen in der Interaktion und Kommunikation nicht permanent mit Konflikten, Missverständnissen und unerwarteten Reaktionen in der Interaktion mit ihren Partnern abgeben müssen, sondern relativ gut miteinander auskommen. Wenn jemand erfährt, dass sich einzelne Personen in seiner gewohnten Umgebung nicht so verhalten, wie er es erwartet, dann führt dies zur Beunruhigung und macht

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nachdenklich. In besonders wichtigen oder häufig auftretenden Fällen versucht der Betroffene dann herauszufinden, warum sich sein Partner oder seine Partner nicht so verhalten, wie er es erwartet hat und gewohnt ist. Eventuell versucht er zusätzliche Informationen über seinen Partner zu gewinnen, und er zieht Vertrauenspersonen mit in seine Ursachenanalyse ein. Menschen gehen zudem von der Überzeugung aus, dass so, wie sie die Welt wahrnehmen, wie sie sich und ihre Umgebung beurteilen, wie sie die Welt und ihre Mitmenschen zu beeinflussen und zu steuern versuchen, es richtig und angemessen ist. Andere Formen der Wahrnehmung, Beurteilung und Beeinflussung, die sie erleben und über die sie sich Gedanken machen, werden von ihnen als falsch, nicht ganz richtig, lückenhaft, primitiv, bewusst manipuliert und so weiter angesehen und beurteilt. Ein weiterer wichtiger Faktor kommt hinzu: Die dem eigenkulturellen Orientierungssystem folgende Art und Weise der Informationsaufnahme, der Informationsverarbeitung, der Beurteilung und der Reaktionsweisen auf fremdes Verhalten sind dem Individuum im Lauf seiner individuellen Entwicklung (Sozialisation) zur Gewohnheit geworden. Alles dies ist so selbstverständlich und in die alltägliche Verhaltensroutine eingegangen, dass es unter normalen Umständen nicht mehr als etwas Besonderes bemerkt wird. Nur dann, wenn nicht alles so gewohnheitsmäßig verläuft, wenn das Erwartete nicht eintritt und wenn die Routine unterbrochen wird, kommt es unter bestimmten Umständen dazu, dass solche Abweichungen thematisiert, als nachdenkenswert und bedenkenswert angesehen und eventuell zum Thema einer Diskussion mit vertrauten Personen gemacht werden. Oft werden solche Abweichungen vom Gewohnten aber auch in Richtung auf die eigenen Erwartungen und Gewohnheiten hin interpretiert (assimiliert) oder sie werden, als gleichsam zum Leben dazugehörig, in ihrer Bedeutung so weit minimiert, dass ein Reagieren nicht erforderlich ist, oder aber als unvermeidbares Ereignis mehr oder weniger bereitwillig ertragen. Von Personen, die in gemischtkulturellen Ehen und Partnerschaften leben, ist selbst nach Jahren des Zusammenlebens noch zu erfahren, dass sie täglich Fremdkulturelles an ihrem Partner wahrnehmen. Sie werden immer wieder stutzig und wundern sich über bestimmte Reaktionen, wissen sie aber zu interpretieren und zu verarbeiten. Im alltäglichen Verhalten der Menschen im Kontext eines relativ geschlossenen eigenkulturellen Milieus sind diese Wahrnehmungs-, Denk-, Urteils- und Verhaltensgewohnheiten nicht mehr bewusstseinspflichtig, obwohl sie zu bestimmten Zeitpunkten der individuellen Entwicklung durchaus bewusst vollzogen wurden und unter bestimmten Bedingungen auch zum jetzigen Zeitpunkt grundsätzlich noch bewusstseinsfähig sind. Beispielsweise können konflikthaft verlaufende Ereignisse und unerwartete Partnerreaktionen in besonders bedeutsamen Lebenssituationen durchaus © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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so hochgradig beunruhigend wirken, dass eine bewusste Verlaufsanalyse vollzogen wird. So wird das Eigene, das Gewohnte, das Selbstverständliche dann zum Thema, wenn man Kinder, alte Menschen, Behinderte oder Fremde beobachtet, die mit Gegenständen und Personen anders umgehen oder sich in Situationen anders verhalten, als man es selbst gewohnt ist. Bei Kindern, alten Menschen, Behinderten und Fremden sind dazu auch sofort entsprechende Erklärungen verfügbar wie beispielsweise, dass Kinder ein bestimmtes Verhalten noch nicht beherrschen, alte Menschen es nicht mehr beherrschen, Behinderte aufgrund ihrer spezifischen Behinderung zur Ausführung der »richtigen« Reaktionen nicht in der Lage sind und Fremde schon allein deshalb, weil sie im eigenen Kulturkontext fremd sind, nicht gelernt haben, wie man sich »richtig« zu verhalten hat. So ergibt sich aus der Tatsache, dass Menschen ihre eigenen, kulturspezifischen Denk- und Verhaltensgewohnheiten, die sie als unumstößlich richtig und sachgerecht ansehen, die zudem zur Gewohnheit und Routine geworden sind und die sie auf alle anderen Menschen hin generalisieren, im Zusammenhang mit dem Thema interkulturelles Lernen, Verstehen und Handeln eine spezifische Anforderung, die man so definieren kann: Die eigenkulturellen Bedingungen des Wahrnehmens, Denkens und Verhaltens müssen thematisiert, reflektiert, in ihren Bedingungskonstellationen erkannt und in ihren Verlaufsprozessen und Wertungen verstanden werden. Dies erfordert das Kennenlernen des eigenkulturellen Orientierungssystems und seiner handlungsregulierenden Funktionen (Thomas 2003a).

Anforderungen aus der fremdkulturellen Orientierung Jeder Deutsche, der sein bisheriges Leben in der eigenen Kultur verbracht hat und nun ins Ausland geht, dort als Ausländer, speziell als Deutscher, erkannt, angesprochen, mit stereotypisierenden Merkmalen des angeblich typisch Deutschen belegt oder der mit Vorurteilen gegenüber Deutschen konfrontiert wird, findet sich plötzlich, und meist unerwartet, in einer Situation wieder, die ihm höchst befremdlich erscheint. Er weiß natürlich im Prinzip, dass er Deutscher ist, hat sich aber nie Gedanken darüber gemacht, was dies im konkreten Umgang mit Menschen anderer Kulturen tatsächlich bedeutet. So kennt er zwar etwas von der deutschen Geschichte. Auf die Leistungen der eigenen Kultur ist er stolz, und über die Schattenseiten in der deutschen Geschichte ist er informiert, betroffen oder auch erschrocken. Aber alles dies hat eine andere Qualität als das, was er nun von den Menschen einer fremden Kultur erfährt, die ihn direkt als Deutscher auf seine Zugehörigkeit zur deutschen Kultur und ihre Geschichte ansprechen

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und ihn eventuell für all dies verantwortlich machen. Schon allein die Tatsache, dass Ausländer einen Deutschen nach bestimmten Ereignissen, Entwicklungen und Fakten der deutschen Geschichte oder Politik fragen oder von ihm Begründungen für spezifisches, aus ihrer Sicht ungewöhnliches Verhalten von Deutschen wissen wollen, führt nicht selten zu erheblichen Irritationen, weil der so Gefragte merkt, dass er dazu nichts sagen kann, und weil er sich selbst nie Rechenschaft über solche, aus der Sicht eines Ausländers durchaus interessante und befragenswerte Ereignisse abgelegt hat. Überspitzt formuliert kann man sagen, erst im Ausland wird dem Deutschen so richtig bewusst, dass er Deutscher ist und was dies konkret für andere Menschen bedeutet. Diese Erfahrung kann zu dem Bewusstsein führen, dass vieles von dem, was man glaubte zu kennen und zu wissen, was einem vertraut ist, nun aus der Perspektive des Partners einem selbst fremd vorkommt. Selbstverständlich haben Menschen aus anderen Kulturen, aus anderen kulturellen, religiösen und sozialen Traditionen, aus anderen Wert-, Rechtsund Wirtschaftstraditionen andere Formen des Wahrnehmens, Urteilens, Empfindens und Handelns entwickelt. Sie sind über viele Generationen hinweg unter anderen geographischen, klimatischen, wirtschaftlichen, politischen, sozialen, religiösen und geistig-kulturellen Bedingungen aufgewachsen. Sie haben andere Überlebensstrategien und andere Formen der Problembewältigung und des sozialen Umgangs entwickelt. Zwar bestehen gewisse Ähnlichkeiten zwischen der eigenen Kultur und der fremden Kultur, die aber historisch gesehen nicht unbedingt darauf zurückzuführen sind, dass die Kulturen sich gegenseitig beeinflusst haben, vielmehr kann es sich hierbei um Parallelentwicklungen ohne gegenseitige Beeinflussung handeln. So zeichnen sich beispielsweise sogar geographisch weit auseinander liegende Kulturen dadurch aus, dass sie ein hohes Maß an Individualismus oder kollektivistische Orientierungsmuster ausgebildet haben. Hofstede zum Beispiel hat in seinen umfangreichen empirischen Untersuchungen, in denen er mehr als 70 Kulturen hinsichtlich des Ausprägungsgrads in bestimmten Verhaltensdimensionen miteinander verglichen hat, Gruppierungen zwischen einander ähnlichen und einander sehr unähnlichen Kulturen vorgenommen (Hofstede 1980; 1991; 1993) (siehe Kap. I, 1.4, S. 60 ff.). Selbstverständlich gehen Menschen, die in anderen Kulturen sozialisiert wurden, auch davon aus, dass ihr Verhalten und die Art, wie sie auf Menschen und Gegenstände reagieren und mit ihnen umgehen, richtig und Erfolg versprechend ist, und dass alle anderen Menschen sich ebenso verhalten. Das geschilderte Beispiel vom amerikanischen Manager und dem griechischen Mitarbeiter zeigt, dass sich beide in vielerlei Hinsicht gut verständigen können. So hat der griechische Mitarbeiter verstanden, dass es darum geht, einen Arbeitsbericht zu erstellen, und dass die Erstellung die© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ses Arbeitsberichts in einer bestimmten Zeit zu erfolgen hat. Er weiß auch, was zur Erstellung des Arbeitsberichts an Informationen und Materialien notwendig ist und wie die Arbeitsabläufe zu vollziehen sind. Aber im Hinblick auf die Zeitvorgabe und insbesondere hinsichtlich der Rollen, Funktionen und Verantwortlichkeiten bei der Bestimmung der Zeitvorgabe, der Leistungskontrolle und der Akzeptanz der für das gezeigte Verhalten abgegebenen Begründungen zeigen sich so markante Abweichungen, dass sich Missverständnis- und Interaktionskonflikte bis hin zum Abbruch der Beziehungen aufschaukeln. Wer solche ineffektiven und psychisch belastenden Interaktionssituationen vermeiden will, muss in der Lage sein, die fremdkulturellen Bedingungen des Wahrnehmens, Denkens, Urteilens, Empfindens und Handelns zu erkennen. Daraus resultieren die Anforderungen: – die fremdkulturellen Bedingungen und Formen der Lebens- und Problembewältigung verstehen lernen und anerkennen, dass diese Formen durchaus ebenso vernünftig und sinnvoll sind wie die eigenen; – akzeptieren, dass ein fremdkulturelles Orientierungssystem ebenso wie das eigenkulturelle nur eine Variante einer großen Vielfalt möglicher kultureller Orientierungssysteme darstellt; – die Entwicklung eines Verständnisses zum Umgang mit diesem fremden Orientierungssystem und seinen Konsequenzen.

Anforderungen aus der interkulturellen Orientierung In vielen Fällen kommt es zu Begegnungen zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, in denen beide Partner zwar beobachten, dass ihr Denken, Urteilen und ihre Verhaltensweisen unterschiedlich sind, sie vergleichen sich miteinander, finden solche Vergleiche interessant, spannend und das vom Gewohnten abweichende Verhalten des Fremden exotisch, ohne aber von dieser Fremdheit in Bezug auf das eigene Denken und Verhalten merklich berührt zu werden. Wer zum Beispiel eine komplett organisierte Pauschalreise bucht und sich dann als Teilnehmer einer deutschen Reisegruppe unter Anleitung eines sachkundigen Reiseführers durch fremdes Land bewegt, kann vieles von der fremden Kultur beobachten und erleben, er kann Exotisches genießen und von krassen Unterschieden zum Gewohnten emotional berührt und angesprochen sein, ohne sich ernsthaft mit der fremden Kultur auseinander setzen zu müssen. Die eigene Betroffenheit setzt aber spätestens dann ein, wenn es darum geht, mit Menschen aus der anderen Kultur zusammenzuarbeiten und dies womöglich noch mit Blick auf das Erreichen eines gemeinsamen Ziels. Im Vergleich zum Pauschaltouristen ist beispielsweise eine Fach- und Führungskraft, die im

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Auftrag einer deutschen Firma ein Wirtschaftsunternehmen mit ausländischem und internationalem Personal im Ausland erfolgreich führen soll und deren Ansehen im Unternehmen und berufliche Zukunft vom Erfolg dieser Unternehmung abhängen, auf eine möglichst reibungslose und produktive Zusammenarbeit mit seinen fremden Partnern existenziell angewiesen. Erfolg haben kann sie nur zusammen mit den einheimischen Partnern. Ohne deren Interesse und Engagement ist jede noch so hoch qualifizierte deutsche Fach- und Führungskraft hilflos. In einem solchen Fall reicht es nicht mehr aus, das Eigene zu reflektieren und das Fremde nur zur Kenntnis zu nehmen. Die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit provoziert und erzwingt die Bewältigung der folgenden Anforderungen: Eigenes und Fremdes müssen unter den Bedingungen interkultureller Zusammenarbeit aufeinander abgestimmt werden. Dieser Abstimmungsprozess erfordert eine Distanzierung vom Gewohnten und Althergebrachten und einen Perspektivenwechsel in Bezug auf die Handlungsmöglichkeiten und Handlungsgrenzen des eigenen Orientierungssystems. Neue Möglichkeiten müssen erkannt und genutzt, aber neue Handlungsbarrieren auch anerkannt und geachtet werden. Auf die damit verbundenen Schwierigkeiten wird im nächsten Abschnitt näher eingegangen.

1.3.3 Folgerungen für die interkulturelle Kooperation »Nur wer das eigene und das fremde kulturelle Orientierungssystem gut kennt, kann in einer interkulturellen Kooperation erfolgreich sein!«, lautet die abgewandelte Formulierung einer chinesischen Kriegstaktik. Wenn beide Orientierungssysteme aber als sehr unterschiedlich erlebt werden, und das auch noch von beiden Partnern, stellt sich die Frage, wer passt sein Orientierungssystem wem wie und in welchem Ausmaß an. In vielen Fällen alltäglicher interkultureller Begegnung stellt sich meist ohne weitere Anstrengung und ohne weiteres Zutun seitens der Partner »wie von selbst« ein wechselseitiges Verständnis ein, schon allein aufgrund der äußeren Gegebenheiten. Wenn beispielsweise ein Franzose auf dem Flugplatz Charles de Gaulle in Paris einen deutschen Firmenvertreter abholt, dann ist ihm klar, was zu tun ist: Er muss ihn aus der Masse der Passagiere identifizieren, begrüßen, zum Konferenzort fahren und ihn auf dem Weg dorthin etwas unterhalten. Das erwartet auch der Deutsche. Kommt der Franzose aber deutlich zu spät zum Flughafen, überspielt er, nachdem ein langer Suchund Findeprozess stattgefunden hat, diese Peinlichkeit mit besonders höflichem Verhalten, ohne aber eine einleuchtende Begründung für sein »Fehl-

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verhalten« abzugeben, und besteht er dann noch darauf, erst einmal in Ruhe zum Essen zu gehen, statt so schnell wie möglich zum Konferenzort zu reisen, dann ist das für den Deutschen äußerst irritierend. Dieser wird währenddessen ständig von dem Gedanken geplagt, womöglich etwas zu verpassen und in seinen geschäftlichen Anliegen zu kurz zu kommen. Dadurch entstehen Erwartungs-, Bewertungs-, Entscheidungs- und Handlungsdifferenzen, die in der Regel nicht mit widrigen äußeren Umständen erklärt werden, sondern mit persönlichem Fehlverhalten, obwohl tatsächlich kulturell bedingte Unterschiede handlungswirksam sein konnten. Hier stellt sich die Frage, wer sollte sich wem und wie anpassen, damit nicht schon der Beginn einer solchen Begegnung im Desaster endet? Bereits in alltäglichen interkulturellen Begegnungen werden die unterschiedlichen Konsequenzen aus dem Zusammentreffen von eigenem und fremdem kulturellem Orientierungssystem deutlich:

Kulturelle Konvergenz und Divergenz Fasst man interkulturelle Begegnung als Prozessgeschehen auf, das von den Absichten, Erwartungen, Wünschen und Hoffnungen der beteiligten Partner gesteuert wird, dann lassen sich folgende Handlungsschritte unterscheiden: 1. Es wird zu prüfen sein oder es wird reflektierend erlebt oder es wird nur erahnt, inwieweit Eigenes und Fremdes miteinander übereinstimmen, ob kulturelle Konvergenz vorhanden ist. 2. Es wird zu prüfen sein, in welchem Ausmaß und mit welcher Beständigkeit Eigenes und Fremdes voneinander abweichen, also mit welcher Qualität von kultureller Divergenz zu rechnen ist. 3. Es wird zu prüfen sein, ob und inwieweit Eigenes und Fremdes nebeneinander bestehen können, ohne dass es zu ernsthaften Konflikten kommt, also ob kulturelle Kompatibilität hergestellt werden kann. 4. Es wird zu prüfen sein, ob Eigenes und Fremdes unvereinbar sind, also kulturelle Inkompatibilität besteht, die gewollt ist, unvermeidbar ist oder unveränderbar erscheint.

Kulturelle Veränderung Wenn zwischen eigenem und fremdem Orientierungssystem Divergenzen festgestellt werden, die den beteiligten Personen aber veränderbar erscheinen, dann hat dies mindestens drei Konsequenzen:

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1. Es muss geprüft werden, was vom Eigenen in Richtung auf das Fremde geändert werden kann, geändert werden muss oder geändert werden sollte. Der Deutsche am Flughafen Charles de Gaulle könnte diese französische Art der Problembewältigung genießen nach dem Motto »Endlich einmal leben wie Gott in Frankreich«, ohne Stress und doch irgendwie produktiv. Die zentrale Frage lautet dann: Wie weit kann und sollte eine solche Anpassung gehen? Keinerlei Anpassungsbereitschaft führt gewöhnlich zu erheblichen Problemen im Umgang mit Fremden. Ein solches Verhalten kann von den fremdkulturellen Partnern als arrogant, hochnäsig, dominant und abweichend empfunden werden. Auf der anderen Seite wäre eine völlige Anpassung des Eigenen an das Fremde schon deshalb unangemessen, weil der Partner ein gewisses Maß an kulturell authentischem Verhalten, aus seiner Sicht also fremdem Verhalten, erwartet. Ein Deutscher, der in seiner eigenen Kultur sozialisiert worden ist, kann sich um Anpassung an die chinesische oder französische Kultur bemühen, er kann einiges von diesen fremdkulturellen Orientierungssystemen übernehmen, sein eigenkulturelles Orientierungssystem damit anreichern und so flexibler und adäquater auf Fremdkulturelles reagieren. Er wird aber deshalb noch lange kein authentischer Chinese oder Franzose. Schon das Bemühen um eine völlige Anpassung an das Fremde kann allenfalls zur Karikatur werden und läuft Gefahr, ins Lächerliche abzugleiten. 2. Es muss geprüft werden, wie das Fremde in Richtung auf das Eigene geändert werden kann. Das kann in dem Bemühen bestehen, den Fremden auf die eigenen Gefühle und Verhaltensgewohnheiten so hinzuweisen, dass er bereit ist, sie zu erkennen, anzuerkennen und sich ihnen eventuell weitgehend anzunähern. Menschen werden, besonders wenn sie eine wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich schwache Minderheit in einer Fremdkultur darstellen, meist direkt gezwungen, sich den Lebensverhältnissen im Gastland anzupassen, ob sie das wollen oder nicht. Personengruppen, die wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich mächtige Minderheiten in einem Land darstellen, wie beispielsweise Experten aus Industrienationen in einem Entwicklungsland, werden zwar nicht auf direkte Weise zur Anpassung gezwungen, doch werden sie sich indirekt dem dortigen kulturellen Orientierungssystem in vielen Teilbereichen anpassen müssen, um erfolgreich kooperieren zu können. 3. Wenn man das Aufeinandertreffen von Eigenem und Fremdem als eine interkulturelle Begegnung auffasst und wenn beide Partner davon überzeugt sind, dass eine effektive und zufrieden stellende Zusammenarbeit nur möglich ist, wenn ein möglichst hohes Maß an gegenseitiger Wertschätzung und wechselseitiger Kontingenz das interaktive Geschehen bestim© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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men, dann muss geprüft werden, in welchem Ausmaß beide Partner wechselseitige Anpassungen vollziehen können und wollen, welche kulturspezifischen Merkmale der beiden Orientierungssysteme zu einem gegebenen Zeitpunkt und bei der Lösung einer bestimmten Aufgabenstellung ein Höchstmaß an Effizienz versprechen und inwieweit die Kombination beider Orientierungssysteme kulturelle Synergien erzeugen kann. Da kulturelle Orientierungssysteme keine statischen Gebilde sind, sondern ein Höchstmaß an Dynamik und Flexibilität aufweisen und da, wie der Anthropologe Arnold Gehlen (1958) richtig bemerkte, der Mensch »ein Spezialist für Nichtspezialisiertheit« ist, enthält jede interkulturelle Begegnungssituation das Potenzial zur Schaffung einer neuen Kultur und eines neuen kulturellen Orientierungssystems. Dies hat vielleicht zunächst nur für die beiden Partner Geltung, aber im weiteren Verlauf kann es darüber hinaus auch auf andere Personen, Gruppen und Organisationen Wirkung erzielen. So ist die hohe Misserfolgsrate bei internationalen Unternehmenszusammenschlüssen (Merger) möglicherweise darauf zurückzuführen, dass von einem der beiden Partner ein zu hohes Maß an einseitiger Anpassungsleistung erwartet und erzwungen wurde. Bei den Führungskräften und in der Organisation waren weder Zeit noch Kompetenz vorhanden, um aus zwei Organisationskulturen eine dritte, für beide Partner akzeptable, erträgliche und effiziente neue Kultur zu schaffen, die es erlaubt, eine gemeinsame Identifikation mit Werten und Normen herzustellen.

1.3.4 Gestaltung von Interkulturalität Das kulturell Eigene ist vertraut, zur Gewohnheit geworden, nicht mehr bewusstseinspflichtig und wird als gut und richtig wahrgenommen. Das kulturell Fremde wird als störend, grundsätzlich defizitär, eher falsch als richtig, eher unvernünftig als vernünftig sowie generell als verbesserungsbedürftig wahrgenommen. Das kulturell Fremde wird, da es meist an fremden Personen und in der Interaktion mit fremden Personen beobachtet und erfahren wird, in der Regel als personales Fehlverhalten wahrgenommen und gewertet. Dies entspricht dem in der Sozialpsychologie der Attribution gut untersuchten Phänomen der so genannten Korrespondenzneigung (Ross u. Nisbett 1991). Danach wird an Personen beobachtetes Verhalten nahezu ausschließlich auf personengebundene Eigenschaften des Handelnden zurückgeführt und situative Einflüsse auf das Verhalten werden übersehen, unterbewertet oder

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völlig vernachlässigt. Im hier vorliegenden Fall sind Personen, die nicht über kulturspezifisches Wissen, zum Beispiel Merkmale fremdkultureller Orientierungssysteme, verfügen und keinerlei Sensibilität für die Bedeutung von kulturellen Orientierungssystemen aufgebaut haben, von sich aus nicht in der Lage, die durch ihre Korrespondenzneigung entstehenden Fehlurteile gegenüber dem Fremden zu erkennen und zu beheben. Das Interkulturelle kann nur unter den Bedingungen einseitiger Dominanz und Unterlegenheit eines Partners gegenüber dem anderen mit bisher verfügbaren Mitteln (z. B. eigenkulturellem Orientierungssystem) organisiert werden. Unter allen anderen Bedingungen ist Neuartiges zu entdecken und zu entwickeln. Nun ist aber zu beobachten, dass alle Kulturen kulturspezifische Formen des Umgangs mit dem Fremden und mehr oder weniger kollektiv verankerte Einstellungen gegenüber dem Fremden entwickelt haben. In wirtschaftlich und militärisch mächtigen Staaten sowie bei denen, die eine ungebrochene Jahrhunderte oder Jahrtausende alte Identität besitzen, entwickeln sich Formen kultureller Orientierung, die eher von Überlegenheit, Dominanz und geringer Flexibilität in Bezug auf Fremdheit bestimmt sind als bei Nationen mit einer wechselvollen Geschichte von Eigenständigkeit, Abhängigkeit und Anpassungszwang. So gesehen sind die interagierenden Partner in einer kulturellen Überschneidungssituation in ihrem Anpassungsverhalten keineswegs frei in der Entwicklung einer eigenen Anpassungsdynamik, sondern gebunden an die eigenkulturellen Vorgaben. Unter diesen Bedingungen wird die Gestaltung von Interkulturalität in Richtung auf die Entwicklung kultureller Synergieeffekte erheblich erschwert. Wenn die Partner zuvor nicht ein gewisses Maß an Toleranz für Ambiguitäten, das heißt für das Aushalten und Akzeptieren von unklaren und widersprüchlichen Situationen und Verhaltensreaktionen entwickelt haben, ein gewisses Maß an Wertschätzung gegenüber fremden Spielarten der Lebensgestaltung, Lebensbewältigung und des sozialen Miteinanders als innere Grundhaltung aufgebaut haben und auch eine gewisse Offenheit, Neugier und Fähigkeit zur Innovation in die interkulturelle Begegnung mitbringen, dann werden sie zwangsläufig im eigenkulturellen Orientierungssystem verhaftet bleiben oder spätestens dann, wenn es zu kulturell bedingten Konflikten in bedeutsamen Interaktionssituationen kommt, dorthin zurückfallen (siehe Kap. I, 1.8, S. 126 ff.). In Gesellschaften und Kulturen, die in hohem Maß an dem Prozess der Internationalisierung und Globalisierung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens beteiligt sind, wird es darauf ankommen, über Fachund Führungspersonal zu verfügen, das in der Lage ist, in diesem Sinn Interkulturalität zu gestalten. Diese Führungspersonen müssen einerseits eine klare eigenkulturelle Orientierung besitzen, andererseits Kenntnisse © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Alexander Thomas: Das Eigene, das Fremde, das Interkulturelle

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und Verständnis für fremdkulturelle Orientierungssysteme erworben haben und die erforderlichen interkulturellen Kompetenzen besitzen, um das Synergiepotenzial in interkulturellen Begegnungs- und Handlungssituationen erkennen und auswerten zu können. Die hier geforderten Qualifikationen entwickeln sich nicht von selbst, beispielsweise durch »learning by doing«, sondern bedürfen spezifischer Lernangebote und Qualifizierungsmaßnahmen, zum Beispiel in Form kulturallgemeinen Trainings, kulturspezifischen Orientierungstrainings und interkulturellen Coachings (siehe Kap. I, 2.4, S. 217 ff.).

Literatur Bochner, S. (1982): The social psychology of cross-cultural relations. In: Bochner, S. (Hg.), Cultures in Contact. Oxford, S. 5–45. Breitenbach, D. (1975): Interkulturelles Lernen und internationale Verständigung in der Internationalen Jugendarbeit: Eine theoretische Einführung. Saarbrücken. Gehlen, A. (1958): Der Mensch. Bonn. Hofstede, G. (1980): Culture’s Consequences: International Differences in WorkRelated Values. Beverly Hills, Ca. Hofstede, G. (1991): Cultures and Organizations: Software of the Mind. London. Hofstede, G. (1993): Interkulturelle Zusammenarbeit. Kulturen – Organisationen – Management. Wiesbaden. Ross, N.; Nisbett, R. E. (1991): The Person and the Situation. New York. Thomas, A. (Hg.) (2003a): Psychologie interkulturellen Handelns. 2. Auflage. Göttingen. Thomas, A. (Hg.) (2003b): Kulturvergleichende Psychologie. Eine Einführung. 2. Auflage. Göttingen. Triandis, H. C. (1972): The Analysis of Subjective Culture. New York.

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Grundlagen: Theoretische Grundlagen

Gabriel Layes: Kulturdimensionen

Gabriel Layes

1.4 Kulturdimensionen

»Und wie sind die Leute da so?« – So oder ähnlich klingt die Frage, die jedem vertraut sein dürfte, der schon einmal länger im Ausland gelebt hat und aufgefordert wird, von seinen Erfahrungen mit den dort lebenden Menschen zu berichten. Wenn diese Frage beantwortet wird, fallen möglicherweise Aussagen wie: ». . . die sind wahnsinnig oberflächlich beim Umgang mit Menschen, selbst gegenüber ihren Freunden . . .« – ». . . die sind vor allem unheimlich distanzlos, reden immer total viel und laut und fassen einen dabei an . . .« – ». . . Frauen haben da gar nichts zu melden, die müssen da immer den Mund halten . . .« – ». . . die sind prüde und verklemmt . . .« – ». . . da sind immer alle total freundlich und hilfsbereit . . .«. Wer solche Aussagen trifft, verfolgt damit zweierlei Ziele: Er versucht erstens aus seinen Interaktionserfahrungen bestimmte Verhaltensmuster abzuleiten, die seines Erachtens für die meisten Menschen in einem bestimmten Land typisch sind, und er versucht zweitens, diese Verhaltensmuster in solche Begriffe zu kleiden, mit denen er selbst und seine Zuhörer etwas anfangen können. Wissenschaftler, die nach so genannten »Kulturstandards« suchen, machen im Grunde genommen nichts anderes. Wenn in der interkulturellen Forschung von Kulturstandards die Rede ist, wird der Versuch unternommen, ein bestimmtes Verhalten auf ein zugrunde liegendes kulturelles Muster zurückzuführen. Die Suche nach so genannten Kulturdimensionen geht nun noch einen Schritt weiter: Hier stellt man sich die Frage, ob bestimmte Kulturstandards auf bestimmte Grunddimensionen menschlichen Verhaltens zurückgeführt und dort lokalisiert werden können. Wir können uns dies anhand eines Beispiels illustrieren: Stellen wir uns vor, ein in Japan arbeitender deutscher Manager würde den Eindruck gewinnen, dass in der japanischen Geschäftswelt sehr starre Hierarchien und sehr autoritäre Beziehungsverhältnisse zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern vorherrschen. Er käme dann möglicherweise für sich zu der Schlussfolgerung, dass in der japanischen Geschäftswelt so etwas wie »autoritäre Hierarchie« ein Kulturstandard ist, während er sich selbst aufgrund dieser Erfahrung ein eher »kollegiales Hierarchieverständnis« zuschreibt. Stellen wir uns nun weiter vor, derselbe deutsche Manager würde in der Folge nun auch Erfahrungen mit

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dänischen und französischen Geschäftskollegen sammeln. Möglicherweise würde er im Lichte dieser Erfahrungen seine Urteile modifizieren, weil er nun den Eindruck hätte, dass im Vergleich zu den Franzosen die Japaner ein durchaus kollegiales Hierarchieverständnis besitzen, während er sich selbst im Vergleich zu den Dänen weitaus autoritärer einschätzt, als er zunächst über sich selbst dachte. Angesichts dieser neuen Erfahrungen könnte der deutsche Manager nun zu dem Schluss gelangen, dass der »Umgang mit hierarchischen Beziehungsverhältnissen« eine grundlegende Kulturdimension mit den Extrempolen »sehr autoritär« und »sehr kollegial« ist, entlang derer sich alle Kulturen lokalisieren lassen. Viele kulturvergleichende Forscher sind der Überzeugung, dass diese Erkenntnis des deutschen Managers prinzipiell richtig ist, das heißt, dass es möglich ist, grundlegende Kulturdimensionen zu identifizieren und alle Kulturen entlang dieser Dimensionen zu lokalisieren. Die Frage ist dann: Wie viele Kulturdimensionen gibt es und wie lassen sie sich benennen? Pionier solcher Überlegungen und entsprechender Forschungsarbeiten ist der Niederländer Geert Hofstede. Zur Durchführung einer Mammutstudie, die hinsichtlich ihres Umfangs bis heute einzigartig ist, entwickelte Hofstede (1980) einen Fragebogen, mit dem insgesamt 116.000 Mitarbeiter eines multinationalen Computerkonzerns befragt wurden. Dieser wurde in 20 Sprachen übersetzt und konnte dadurch in insgesamt 53 Ländern eingesetzt werden. Mit dem Fragebogen wurden »arbeitsbezogene Wertvorstellungen« erfasst, das heißt, es wurden Fragen gestellt zur Zufriedenheit mit bestimmten Arbeitsaspekten (z. B. »Wie gefällt Ihnen die Arbeit, die Sie gegenwärtig verrichten?«), zur Beurteilung von Arbeitsanforderungen (z. B. »Wie oft erwartet Ihr Vorgesetzter übermäßig viel Arbeit von Ihnen?«), zu persönlichen arbeitsbezogenen Zielen (z. B. »Wie wichtig ist es für Sie, viel zu verdienen?«) und andere mehr. Hofstede unterzog die Antworten korrelationsstatistischer und faktorenanalytischer Auswertungen und gelangte dadurch zu dem Ergebnis, dass sich vier grundlegenden Kulturdimensionen unterscheiden lassen: Machtdistanz. Auf dieser Dimension lässt sich abbilden, in welchem Ausmaß ungleiche Machtverhältnisse in einer Kultur akzeptiert werden. In Kulturen mit hoher Machtdistanz werden auch große Machtgefälle in Institutionen und Organisationen von den Mitgliedern als unproblematisch erlebt und daher erwartet. Entsprechend bilden sich hier nach Hofstede sehr vielschichtige und undurchlässige Hierarchiesysteme aus. In Kulturen mit niedriger Machtdistanz werden große Machtgefälle in Institutionen und Organisationen von den Mitgliedern als sehr problematisch erlebt und daher bekämpft. Entsprechend bilden sich hier nach Hofstede sehr flache und durchlässige Hierarchiesysteme aus.

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Individualismus/Kollektivismus. Auf dieser Dimension lässt sich abbilden, in welchem Ausmaß sich die Mitglieder einer Kultur als Teil eines sozialen Beziehungsgefüges definieren und sich diesem gegenüber verpflichtet fühlen. Die Mitglieder kollektivistischer Kulturen nehmen sich primär als Mitglied einer Gruppe von sozialen Bezugspersonen wahr und versuchen, persönliche Ziele im Einklang mit dieser Gruppe zu bilden und zu erreichen. Die Mitglieder individualistischer Kulturen nehmen sich primär als autonome Individuen wahr und versuchen, persönliche Ziele unabhängig von den Interessen sozialer Bezugsgruppen zu bilden und zu verfolgen. Unsicherheitsvermeidung. Auf dieser Dimension lässt sich abbilden, in welchem Ausmaß unklare und mehrdeutige Situationen in einer Kultur Verunsicherung und Ängstlichkeit hervorrufen. Für die Mitglieder von Kulturen mit starker Unsicherheitsvermeidung haben Regeln zur Regulierung des privaten und öffentlichen Lebens eine hohe Verbindlichkeit, und sie reagieren auf unklare Verhältnisse mit Desorientierung oder gar Aggression. Entsprechend bilden sich hier nach Hofstede sehr komplexe und rigide gesellschaftliche Regelsysteme aus, deren Verletzung sanktioniert wird. Für die Mitglieder von Kulturen mit schwacher Unsicherheitsvermeidung haben Regeln zur Regulierung des privaten und öffentlichen Lebens eine geringe Verbindlichkeit, und sie reagieren auf unklare oder gar chaotische Verhältnisse relativ gelassen. Entsprechend bilden sich hier nach Hofstede sehr flexible gesellschaftliche Regelsysteme aus. Maskulinität/Feminität. Auf dieser Dimension lässt sich abbilden, in welchem Ausmaß in einer Kultur die Geschlechterrollen voneinander abgegrenzt und festgelegt sind. In maskulinen Kulturen sind die gesellschaftlichen Rollen von Männern und Frauen klar getrennt, und die männliche Rolle ist durch Leistungsstreben, Durchsetzungsvermögen, Dominanz und materielles Streben gekennzeichnet, während die weibliche Rolle durch Fürsorglichkeit, Bescheidenheit, Unterordnung und Warmherzigkeit geprägt ist. In femininen Kulturen können fast alle gesellschaftlichen Rollen sowohl von Frauen als auch von Männern eingenommen werden, und die Geschlechterrollen werden nicht durch klar bestimmte Merkmale definiert. Hofstede ergänzte diese vier Dimensionen später um eine fünfte, nachdem ihm dies aufgrund der Ergebnisse einer Forschergruppe in China (Chinese Culture Connection 1987), die eine Replikationsstudie vorgenommen hatte, notwendig erschien: Langzeitorientierung. Auf dieser Dimension lässt sich abbilden, in welchem Ausmaß in einer Kultur langfristiges Denken wertgeschätzt wird. In Kultu© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ren mit hoher Langzeitorientierung wirken sehr alte Traditionen bis in die Gegenwart hinein und die Handlungen von heute haben für die Zukunft eine hohe Verbindlichkeit. In solchen Kulturen entstehen nach Hofstede sehr stabile und verbindliche soziale Gefüge über Generationen hinweg, die nur schwer zu verändern sind. In Kulturen mit geringer Langzeitorientierung besitzen Traditionen allenfalls einen nostalgischen Wert und das, was heute passiert, kann morgen schon »Schnee von gestern« sein. In solchen Kulturen vollziehen sich soziale Veränderungen nach Hofstede sehr leicht, die entstehenden sozialen Verhältnisse sind allerdings entsprechend instabil und unverbindlich. Die von Hofstede entwickelten Begriffe und das ihnen zugrunde liegende gedankliche Kulturmodell wirken beim ersten Lesen ungeheuer griffig und praktisch. Dies dürfte auch einer der Gründe dafür sein, dass Hofstedes Arbeiten bis über die Grenzen der Wissenschaft hinaus bekannt geworden sind und gerade auch unter beruflich international tätigen Praktikern große Resonanz gefunden haben. Ähnliches gilt für die Arbeiten des amerikanischen Forschers Edward T. Hall (1985, 1990). Er wählte in seinen Arbeiten zwar einen ganz anderen Ansatz als Hofstede, gelangte aber wie dieser zu bestimmten Kulturdimensionen. Hall verfolgte dabei einen eher anthropologischen Ansatz; er versuchte, grundlegende Dimensionen menschlichen Zusammenlebens zu identifizieren, mit denen sich Menschen in allen Kulturen auseinandersetzen müssen. Nach Halls Auffassung sind das die Dimensionen Raum, Zeit und Kommunikation. Jede Kultur ist somit gezwungen, hinsichtlich dieser Grunddimensionen bestimmte Handlungsstandards zu entwickeln. Bezüglich des Raums entstehen somit kulturelle Unterschiede beispielsweise hinsichtlich der körperlichen Distanz, die man im Gespräch mit Fremden, Geschäftspartnern oder Freunden freiwillig einnimmt. Bei der Dimension Zeit unterscheidet Hall Kulturen mit monochroner Zeitauffassung von solchen mit polychroner Zeitauffassung. In monochron orientierten Kulturen gibt die ablaufende Uhrzeit eine lineare Achse vor, auf der beabsichtigte Handlungen untergebracht werden müssen. Diese Handlungen werden nacheinander vollzogen. Diese Orientierung stellt hohe Anforderungen an die Planungsfähigkeit und Zuverlässigkeit nicht nur von einzelnen Personen, sondern auch an gesellschaftliche Systeme, wie zum Beispiel das öffentliche Verkehrswesen. Entsprechend gering ist in monochron orientierten Kulturen die Toleranz gegenüber zeitlichen/terminlichen Überlappungen und gegenüber Störungen und Unterbrechungen. Demgegenüber spannen in polychron orientierten Kulturen die eigenen Handlungsabsichten verschiedene Ebenen auf, von denen zu einem bestimmten Zeitpunkt immer mehrere gleichzeitig verfolgt werden kön© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nen. Diese Orientierung stellt hohe Anforderungen an die zeitliche Flexibilität, und entsprechend hoch ist die Toleranz gegenüber zeitlichen/terminlichen Überschneidungen und Störungen. Bei der Kommunikation unterscheidet Hall so genannte »Low-Context«Kommunikation von »High-Context«-Kommunikation. Die Adjektive »low« und »high« beziehen sich dabei auf das Ausmaß, in dem beim Kommunizieren der nichtsprachliche Kontext der jeweiligen Situation in ein Gespräch einbezogen wird. In Kulturen, in denen eine »Low-Context«Kommunikation dominiert, wird beim Kommunizieren der Versuch unternommen, möglichst alle relevante Information sprachlich zu explizieren, so dass für den Zuhörer wenig Raum für eigene Interpretationen bleibt. Demgegenüber wird in Kulturen, in denen eine »High-Context«Kommunikation dominiert, der Kontext einer Gesprächssituation, also die Atmosphäre, die nonverbalen Signale et cetera, als ein wesentlicher Bestandteil der Kommunikation wahrgenommen. Das, was sprachlich tatsächlich ausgesagt wird, ist voll von Andeutungen und vieldeutigen, bildhaften Vergleichen, deren Bedeutung sich nur über die Berücksichtigung des gesamten Gesprächskontextes erschließt. Der Niederländer Fons Trompenaars, ein international erfahrener Wirtschaftsmanager und Berater, hat die Modelle von Hofstede, Hall und anderen Autoren aufgegriffen und unter Berücksichtigung seiner eigenen beruflichen Erfahrungen in einem populärwissenschaftlichen Werk (Trompenaars 1993) ein eigenes Kulturdimensionen-Modell entwickelt. Demnach ergeben sich kulturelle Unterschiede in drei grundlegenden Lebensbereichen: (a) im Verhältnis der Menschen zur Zeit, (b) in ihrem Verhältnis zur Natur und (c) in ihrem Verhältnis zu anderen Menschen. Nach Trompenaars lassen sich aus dem Verhältnis zur Zeit und aus dem Verhältnis zur Natur je eine Kulturdimension ableiten, während sich seines Erachtens aus den möglichen Verhältnissen zu anderen Menschen insgesamt fünf Kulturdimensionen ableiten lassen. Trompenaars gelangt auf diese Weise zur Unterscheidung von insgesamt sieben Kulturdimensionen. Eine davon bezeichnet er wie Hofstede als »Individualismus/Kollektivismus«. Sie ist bei Trompenaars eine der fünf Kulturdimensionen, durch die sich die Verhältnisse der Menschen zueinander beschreiben lassen. Er erklärt sie nahezu identisch wie Hofstede, so dass hier nur die sechs weiteren Kulturdimensionen von Trompenaars etwas näher aufgeführt werden: Universalismus/Partikularismus. Auf dieser Dimension lässt sich abbilden, in welchem Ausmaß in einer Kultur davon ausgegangen wird, dass es möglich ist, allgemein gültige Regeln für das menschliche Zusammenleben festzulegen und ihre Einhaltung unter allen Umständen einzufordern und durchzusetzen. Während in universalistisch orientierten Kulturen diese © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Überzeugung weit verbreitet ist, fokussieren die Menschen in partikularistisch orientierten Kulturen viel stärker auf besondere und spezifische Umstände und lehnen in diesen Fällen das strikte Befolgen von Regeln ab. Neutral/affektiv. Auf dieser Dimension lässt sich abbilden, in welchem Ausmaß in einer Kultur der Ausdruck auch starker Gefühle in öffentlichen Situationen üblich ist. In neutralen Kulturen ist man bemüht, Gefühle in öffentlichen Situationen weitgehend unter Kontrolle zu halten und in Verhandlungen oder Diskussionen möglichst ausschließlich auf Sachargumente zurückzugreifen. In affektiven Kulturen ist der Ausdruck spontaner Gefühle sozial akzeptiert; auch in einer Verhandlung oder Diskussion wird es daher als normal empfunden, wenn »menschliche« Reaktionen wie lautes Lachen, zorniges »auf den Tisch schlagen« oder entsetztes Aufheulen gezeigt werden. Hier werden gewisse Parallelen deutlich zu dem Kulturstandard, den Thomas als »Sachorientierung« bezeichnet (siehe Kap. I, 1.1, S. 26 ff.). Spezifisch/diffus. Auf dieser Dimension lässt sich abbilden, in welcher Weise in einer Kultur anderen Menschen Zugang zur eigenen Person gewährt wird. In spezifisch orientierten Kulturen ist es üblich, dass sich Menschen nur und ausschließlich in bestimmten Lebensbereichen begegnen, zum Beispiel am Arbeitsplatz, im Sportverein, im Elternbeirat der Schule. Auch wenn die Begegnungen in diesen Lebensbereichen sehr häufig und herzlich sind, fördert das in spezifisch orientierten Kulturen nicht unbedingt den Wunsch, mit den jeweiligen Personen auch in anderen Lebensbereichen Umgang zu haben. In diffusen Kulturen gewährt man dagegen Menschen, die eine bestimmte Schwelle der Bekanntheit überschritten haben, einen umfassenden Zugang zu allen Lebensbereichen. So besteht in diffusen Kulturen beispielsweise der Wunsch, Geschäftspartner auch außerhalb des geschäftlichen Umfelds kennen zu lernen, zum Beispiel bei einer gemeinsamen sportlichen Aktivität. Mitunter wird ein solches umfassendes Kennenlernen sogar als Voraussetzung für die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen gesehen. Errungener Status/Zugeschriebener Status. Auf dieser Dimension lässt sich abbilden, wodurch man in einer Kultur gesellschaftlichen Status erhält. In einer Kultur, in der errungener Status als wertvoll gilt, erhält man gesellschaftlichen Status durch persönliche Leistungen, die man im Lauf seines Lebens durch Arbeit oder Training erzielt hat, wie zum Beispiel berufliche oder sportliche Erfolge. In einer Kultur, in der zugeschriebener Status als wertvoll gilt, erhält man gesellschaftlichen Status durch Merkmale, die ei-

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nem durch Geburt oder gesellschaftliche Umstände zu eigen sind, wie zum Beispiel Geschlecht, Alter, Titel, soziale Schichtzugehörigkeit. Naturorientierung. Im Hinblick auf das Verhältnis zur Natur unterscheidet Trompenaars Kulturen, in denen man versucht, die Natur zu kontrollieren, von solchen Kulturen, in denen man versucht, in Einklang mit der Natur zu leben. Im ersten Fall wird die Natur gewissermaßen als eine vom Menschen unabhängige Macht angesehen, mit der sich der Mensch ein immerwährendes Duell liefert. Die Aufgabe des Menschen besteht bei einer solchen Sichtweise darin, der Natur durch naturwissenschaftliche Forschung ihre Geheimnisse »abzuringen« und sie mit Hilfe von Technologie zu »zähmen«. Im umgekehrten Fall sieht sich der Mensch nicht als Kontrahent, sondern als Teil der Natur, der versuchen muss, sich der Natur anzupassen, um so im Einklang mit ihr leben zu können. Zeitorientierung. Im Hinblick auf das Verhältnis zur Zeit unterscheidet Trompenaars drei Orientierungsformen: In vergangenheitsorientierten Kulturen wird die Vergangenheit als der wichtigste Zeittypus angesehen. Man ist bemüht, die Vergangenheit zu bewahren, an neue Generationen weiterzugeben und in die Zukunft hinein wirken zu lassen. Dagegen wird in zukunftsorientierten Kulturen die Vergangenheit als etwas angesehen, das »abgehakt« und dann weitgehend bedeutungslos wird. Wichtig erscheint hier vor allem die Realisierung zukünftiger Ziele, die immer weiter gesteckt werden müssen, je mehr erreicht worden ist. In gegenwartsorientierten Kulturen wiederum hat weder die Vergangenheit noch die Zukunft große Bedeutung. Wichtig ist hier vor allem das Ausleben des gegenwärtigen Moments; Zeit hat hier insgesamt eine sehr untergeordnete Bedeutung gegenüber anderen Aspekten des Lebens. Welchen wissenschaftlichen und praktischen Wert besitzen solche Modelle? Zunächst muss man feststellen, dass es mit ihrer Hilfe offenbar gelingt, Begriffe und Kategorien zur Verfügung zu stellen, mit denen international tätige Menschen, die in ihrem beruflichen Alltag konkrete interkulturelle Erfahrungen machen, etwas anfangen können. Zudem sprechen die angedeuteten Überlappungen und Verwandtschaften zwischen einzelnen Modellen dafür, dass trotz unterschiedlicher Theorien und Begrifflichkeiten hier zumindest gleiche Phänomenbereiche beschrieben werden. Doch welchen Beitrag leisten diese Modelle zum Verständnis von kulturellen Unterschieden? Um diese Frage beantworten zu können, erinnern wir uns noch einmal an die Forschungsarbeiten von Hofstede: Dieser folgerte seine Ergebnisse aus einer Untersuchung, die ausschließlich mit Mitarbeitern eines multinationalen Computerkonzerns durchgeführt wurde, die zu arbeitsbe© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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zogenen Wertvorstellungen befragt wurden. Es ist deshalb zu fragen: Können die Ergebnisse tatsächlich auch auf Personen außerhalb dieses Computerkonzerns übertragen werden? Können die Ergebnisse auch auf diejenigen Lebensbereiche der befragten Personen übertragen werden, die außerhalb ihres Arbeitsumfelds liegen? Repräsentieren die Ergebnisse zeitlich überdauernde kulturelle Muster, oder handelt es sich um eine historische Momentaufnahme aus der Zeit, als die Untersuchung durchgeführt wurde? Dieser Ausschnitt aus der Menge an kritischen Fragen, die man selbst an eine so groß angelegte Untersuchung wie die von Hofstede stellen könnte, zeigt auf, wie gefährlich es sein kann, vorschnell anhand der ausschnittshaften Beobachtung von Verhaltensweisen Rückschlüsse auf eine Nationalkultur zu ziehen. Der französische Forscher Jacques Demorgon (1989; für einen Überblick in deutscher Sprache siehe Demorgon u. Molz 1996) hat ein Modell entwickelt, das ebenfalls Kulturdimensionen beinhaltet, diese allerdings in eine differenzierte Kulturtheorie einbettet und dadurch geeignet ist, einigen der oben genannten Gefahren zu begegnen. Dem international tätigen Praktiker bietet diese Theorie dadurch ein Raster, das ihn dabei unterstützen kann, über fremd erscheinende Formen des Handelns in differenzierter Weise nachzudenken und diese einzuordnen. Ähnlich wie Hall ermittelt Demorgon seine Kulturdimensionen mit Hilfe des Versuchs, das gesamte Spektrum möglicher menschlicher Handlungsweisen abzustecken. Dadurch kann für ihn nur das eine Kulturdimension sein, was durch zwei entgegengesetzte Extrempole gekennzeichnet werden kann. Das Beispiel des Handlungsmodus – also die Art zu handeln – illustriert, was damit gemeint ist: Man kann nur entweder maximal schnell oder maximal informiert handeln; beides gleichzeitig geht nicht. Insofern lassen sich zwischen diesen beiden Extrempolen alle theoretisch denkbaren Handlungsmodi abbilden. Der Handlungsmodus stellt somit eine erste Kulturdimension dar. Demorgon hat auf diese Weise eine lange Liste von Kulturdimensionen definiert, von denen hier die wichtigsten vorgestellt werden: Handlungsorganisation. Diese Kulturdimension spannt sich zwischen den beiden Extrempolen Simultanität und Konsekutivität auf und ist mit dem verwandt, was wir bei Hall als Unterscheidung zwischen monochroner und polychroner Zeitauffassung kennen gelernt haben: Bei konsekutiver Handlungsorganisation konzentriert man sich auf eine Aufgabe, erledigt sie Schritt für Schritt und beginnt einen neuen Schritt erst dann, wenn der vorangegangene komplett erledigt ist. Bei simultaner Handlungsorganisation wird versucht, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen, und akzeptiert deshalb Lücken, die in einzelnen Handlungsabläufen entstehen können.

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Aufmerksamkeit. Demorgon sieht einen engen Zusammenhang zwischen der Handlungsorganisation und der Steuerung der Aufmerksamkeit, die er allerdings als eine eigene Kulturdimension definiert. Ihre Extrempole sind zentrierte und gestreute Aufmerksamkeit. Zentriert ist die Aufmerksamkeit dann, wenn wenige Dinge in den Blick genommen werden, das allerdings sehr genau und intensiv. Entsprechend liegt eine gestreute Aufmerksamkeit dann vor, wenn ein Betrachter sehr viele Aspekte einer Situation wahrnimmt, jeden einzelnen Aspekt für sich genommen allerdings nicht sehr genau. Kommunikationsmodus. Speziell auf Kommunikationssituationen bezogen unterscheidet Demorgon zunächst zwischen den beiden Extrempolen explizite und implizite Kommunikation. Am einen Ende dieser Skala wird der Versuch unternommen, durch weitestgehende Explikation aller relevanten Informationen Kommunikation so eindeutig wie möglich zu gestalten. Dagegen bleibt am anderen Ende dieser Skala vieles verbal unausgesprochen und muss aus dem Gesprächskontext erschlossen werden, zu dem natürlich auch das Beziehungsverhältnis der Kommunizierenden gehört. Kommunikationsinhalt. Auf dieser zweiten Dimension, die Demorgon hinsichtlich der Kommunikation bildet, unterscheidet er objektives und subjektives Sprechen. Beim objektiven Sprechen abstrahiert der Sprecher sehr stark von sich selbst und trifft vor allem Aussagen über äußere Sachverhalte, die er versucht, möglichst korrekt darzustellen. Demgegenüber ist beim subjektiven Sprechen der Sprecher selbst der wesentliche Kommunikationsinhalt, und es wird versucht, die eigene, persönliche Sicht oder das eigene Empfinden möglichst umfassend und anschaulich zu vermitteln. Motivation. Diese Kulturdimension beschreibt nach Demorgon, durch was man zum Handeln motiviert wird. Bei einem Aufgabenbezug, der den einen Extrempol bildet, sind es die Sachverhalte selbst, die zum Handeln motivieren. Dies entspricht dem, was Thomas als Kulturstandard der Sachorientierung bezeichnet. Bei einem Personenbezug handelt man deshalb, weil beispielsweise die Erfüllung einer Aufgabe in einem bestimmten Zusammenhang zu wichtigen Personen steht; zum Beispiel weil man ihnen einen Gefallen tun will oder weil sie die Autorität haben, die Erledigung einer Aufgabe anzuordnen. Autorität. Mit dieser Kulturdimension stellt Demorgon einen Zusammenhang her zwischen der Handlungsmotivation und der Autorität von Personen. Er unterscheidet hier äußere und internalisierte Autorität. Im Fall von äußerer Autorität hängt die Aufgabenerledigung davon ab, ob es Personen gibt, die kraft ihrer Position in einer äußeren Hierarchiestruktur die Erfüllung bestimmter Aufgaben anordnen, überwachen, kontrollieren und

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beurteilen dürfen. Im Fall einer internalisierten Autorität werden Aufgaben auch dann ausgeführt, wenn keine äußerlich festgelegte Autoritätsperson existiert, die die Aufgabenerledigung überwacht. Im Gegenteil ist es dann nicht erwünscht, dass sich hierarchisch höher stehende Personen in Dinge »einmischen«, die auch ohne sie funktionieren. Verantwortlichkeit. Autorität wirft auch immer die Frage der Verantwortlichkeit auf. Demorgon unterscheidet hier die Extrempole Bestimmung und Mitbestimmung. Im ersten Fall lassen sich die Verantwortung tragenden Personen nicht hineinreden, sondern setzen ihre Meinungen durch beziehungsweise bilden sich welche, sofern sie noch keine dezidierten besitzen. Verantwortung wird somit bei einzelnen Personen gebündelt, die entsprechend auch alle Konsequenzen zu tragen haben. Bei der Mitbestimmung sind die Verantwortung tragenden Personen bemüht, in ihre Entscheidungen die Meinungen derer einfließen zu lassen, die davon betroffen sind. Verantwortung wird auf diese Weise auf viele Schultern verteilt. Entscheidungen. Wie bei dem Umgang mit Verantwortlichkeit deutlich wird, verweist dieses Thema unmittelbar auch auf die Frage des Entscheidungsverhaltens. Hier unterscheidet Demorgon die Extrempole Dissens und Konsens. Mit Dissens ist dabei das opponierende Entscheidungsverhalten gemeint, das eine Reaktion auf die hierarchisch starke Rolle einzelner Verantwortlicher sein kann. Dabei wird großer Wert auf die Formulierung von Gegenmeinungen und Gegenvorschlägen gelegt, um zu verhindern, dass sich eine herrschende Meinung zu schnell durchsetzen kann. Bei einem konsensorientierten Entscheidungsverhalten werden dagegen von vorneherein nur realistische, realisierbare und somit potenziell konsensfähige Gedanken vorgebracht. Hier ist man bemüht, die verschiedenen Ideen wie ein Mosaik zusammenzufügen, und der so erreichte Kompromiss wird als die beste Lösung für alle angesehen. Einstellung zu Organisationen. In Organisationen sind Entscheidungsverhalten, Verantwortlichkeit, Autorität, Kommunikationsmodus und vieles mehr, was wir bereits kennen gelernt haben, institutionalisiert. Daher stellt nach Demorgon das Verhältnis zwischen Individuum und Organisation eine weitere wichtige Kulturdimension dar. Er unterscheidet hier die Extrempole Abwertung und Aufwertung der Institution. Im Fall der Abwertung wird allen Organisationen zunächst mit Skepsis, Ablehnung oder sogar Widerstand begegnet, da von ihnen nichts Gutes für das einzelne Individuum erwartet wird. Demgegenüber werden im gegenteiligen Fall Institutionen und Organisationen durchaus als etwas Positives angesehen, das dem Einzelnen Identifikation, Sinn und Geborgenheit geben kann.

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Genauso wichtig wie die einzelnen Kulturdimensionen oder deren Beschreibung ist allerdings die Art und Weise, wie Demorgon diese Kulturdimensionen in eine allgemeine Kulturtheorie einbettet. Er entwickelt damit ein Raster, das auch dem Praktiker helfen kann, über fremd erscheinende Formen des Handelns in differenzierter Weise nachzudenken und diese einzuordnen. Wer dies tut, bewahrt sich selbst vor der Gefahr, fremdländische Personen als »kulturelle Maschinen« anzusehen, die sich entlang bestimmter Kulturdimensionen verhalten. Wer ungewöhnliche Formen des Handelns immer wieder beobachtet, sollte sich zunächst fragen, auf welcher Ebene er diese Verhaltensweisen beobachtet: Ist es das Verhalten einer einzelnen Person (Individualebene), einer kleinen Gruppe von Personen (Kleingruppenebene), einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht (subkulturelle Ebene) oder lässt es sich tatsächlich quer durch alle Gruppen und Subkulturen einer Nation beobachten (nationalkulturelle Ebene)? Verfügt man überhaupt über genügend Kontakte, um diese Frage beantworten zu können? Ein Wirtschaftsmanager, der sich zur Durchführung eines zeitlich befristeten Projekts für einige Monate im Ausland aufhält, kommt außerhalb seiner Geschäftsumgebung oft kaum mit anderen einheimischen Personen in Kontakt. Seine Geschäftspartner wiederum repräsentieren ihrerseits nur einen Ausschnitt der jeweiligen Bevölkerung. Selbst Trompenaars macht die Einschränkung, dass er von kulturellen Unterschieden »im Geschäftsleben« spricht, und wer sich vor Augen führt, welche spezifische Personengruppe von Hofstede untersucht worden ist, wird dort ähnliche Einschränkungen für angemessen halten. Die Frage der Ebene stellt somit nach Demorgon einen ersten Filter dar, durch den man seine Beobachtungen laufen lassen sollte, bevor man auf nationalkulturelle Eigenheiten schließt. Ein zweiter Filter ist die Frage, in welchen Lebensbereichen bestimmte Verhaltensweisen beobachtet werden. Der Manager, der seine ausländischen Geschäftspartner immer nur in einem Arbeitskontext erlebt, wird möglicherweise überrascht sein, wenn er erlebt, wie sich dieselben Personen bei einer privaten Feier oder einer religiösen Zeremonie verhalten. Jedem dürfte aus der eigenen Lebenserfahrung bekannt sein, wie viele Verhaltensweisen an einen bestimmten sozialen Kontext gebunden sind. Man sollte sich daher bei der Beurteilung immer fragen, ob es sich dabei um solche Verhaltensweisen handelt, die mit bestimmten Lebensbereichen verknüpft sind und nur dort gezeigt werden, oder ob sie viele Lebensbereiche übergreifen. Ein dritter Filter, den man nach Demorgon anlegen sollte, wenn man nationalkulturelle Zuschreibungen vornimmt, ist die Geschichte. Selbst wenn sich bestimmte Verhaltensweisen über alle Lebensbereiche und gesellschaftliche Gruppen hinweg beobachten lassen, so können sie historisch gesehen dennoch Momentaufnahmen sein, die sich aus einer bestimmten, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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situativ erzwungenen Notwendigkeit heraus ergeben, zum Beispiel im Zusammenhang mit Krieg oder wirtschaftlichem Kollaps. Wenn es in einem Land zu einer extremen Inflation und in der Folge zur Plünderung von Supermärkten kommt, wird man hier wohl kaum auf ein nationalkulturelles Muster schließen. Erst wenn sich bestimmte Verhaltensweisen gewissermaßen wie ein roter Faden durch die Geschichte einer Nation ziehen, lassen sich tatsächlich nationalkulturelle Kategorien anlegen. Mit der Vorsicht, die Demorgon hier gegenüber den von ihm selbst entwickelten Kulturdimensionen walten lässt, sollte man auch den Modellen von Hofstede, Hall, Trompenaars und anderen begegnen (zumal es die Autoren selbst in der Regel nicht tun). Denn neben den bereits erörterten Fragen wirft die Bestimmung von Kulturdimensionen noch zwei grundsätzliche Probleme auf, denen sich auch Demorgon gegenüber sieht und auf die wir nun zum Abschluss eingehen wollen. Fragen dieser Art stellen sich zwar insbesondere dann, wenn die dargestellten Modelle als wissenschaftliche Forschungsinstrumente eingesetzt werden, sie sind aber auch dann nicht irrelevant, wenn die Modelle als praktische Orientierungshilfe beim Nachdenken über fremde Formen des Handelns genutzt werden. Das Problem der Eindimensionalität. Wer beispielsweise wie Hofstede eine Achse mit den Extrempolen »niedrige Machtdistanz« und »hohe Machtdistanz« aufspannt und entlang dieser Achse alle Länder anordnet, der unterstellt implizit, dass sich hierarchische Konstellationen überall auf der Welt nur dadurch unterscheiden, wie sehr die bestehenden Machtgefälle akzeptiert werden. Der Manager aus unserem Beispiel, der Erfahrungen mit japanischen, französischen und dänischen Kollegen gemacht hat, würde allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit berichten, dass ihm das bei weitem nicht als der einzige Unterschied zwischen den jeweiligen Hierarchiesystemen erscheint, sondern das sich jedes der drei Hierarchiesysteme ganz unterschiedlich ausformt. In manchen Bereichen der Autoritätsausübung wird er möglicherweise finden, dass sich Japaner und Franzosen am ähnlichsten sind, während er in Fragen der Fürsorglichkeit innerhalb hierarchischer Systeme vielleicht den Eindruck gewinnt, dass die Franzosen den Japanern ganz unähnlich sind und viel mehr mit den Dänen gemeinsam haben. Die meisten Achsen, die innerhalb von KulturdimensionenModellen definiert werden, repräsentieren also keine eindimensionalen Merkmale, obwohl dies suggeriert wird, wenn beispielsweise Dänemark einen »Machtdistanz-Index« von 19 hat, Japan einen von 52 und Frankreich einen von 70. Das Problem der Perspektive. Bleiben wir bei unserem Beispiel: Unser Manager findet Japaner autoritär, weil der Führungsstil, den seine japani© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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schen Kollegen praktizieren, in Deutschland »autoritär« genannt würde, wenn er ihn selbst praktizierte. Die französischen Kollegen würden die Japaner vielleicht überhaupt nicht für autoritär halten und die Japaner selbst würden die in Frage stehenden Verhaltensweisen möglicherweise mit ganz anderen Begriffen und Konzepten in Verbindung bringen. Das heißt, man muss sich darüber klar werden, dass sämtliche Kulturdimensionen-Modelle keine absoluten Bestimmungen von Kulturen vornehmen, sondern Beschreibungen aus einer bestimmten kulturellen Perspektive. Entsprechend werden solche Dimensionen und Begriffe verwendet, mit denen man im eigenen Denken und Sprechen etwas anfangen kann. Ob beispielsweise für einen Mexikaner Begriffe wie »Machtdistanz«, »Unsicherheitsvermeidung«, »Individualismus« bedeutungshaltige Dimensionen in seinem Denken darstellen, ist zunächst einmal völlig offen. Wir können nur sagen, dass uns bestimmte mexikanische Verhaltensweisen in einer bestimmten Weise erscheinen und dass wir darin große Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit zu Personen aus anderen Ländern erkennen. Dieses Problem der Perspektive wird besonders dann evident, wenn in Kulturdimensionen-Modellen Begriffe auftauchen, die bestimmte Bewertungen nahe legen: Wenn beispielsweise von »diffusen«, »affektiven« oder »partikularen« Kulturen die Rede ist, dann ist man aus deutscher Perspektive froh, am anderen Ende der Skala angesiedelt zu werden. Wenn sich die meisten Autoren auch bemühen, solche wertenden Begriffe aus ihren Modellen herauszuhalten, so spiegelt sich hier doch das grundsätzliche Problem wider, das jede Beschreibung anderer Kulturen immer nur aus der eigenen Perspektive vorgenommen werden kann. Sollte man angesichts dieser vielfältigen Fragen und Probleme die in Kulturdimensionen-Modellen verwendeten Begriffe und Konzepte überhaupt verwenden? Sofern man sie in der beschriebenen vorsichtigen Weise verwendet, lautet die Antwort: Ja. Zweifellos handelt es sich bei den genannten Begriffen und Konzepten um griffige und nützliche Denkwerkzeuge, die helfen, das Nachdenken über fremd erscheinende Formen des Handelns zu strukturieren. Man darf nur nicht vergessen, dass es sich dabei um eine vorläufige Strukturierung aus eigenkultureller Perspektive handelt, die offen sein muss für feinere Ausdifferenzierungen, wenn man eine Kultur näher kennen lernt. Geschieht dies nicht, dann verwandelt sich die Griffigkeit der Begriffe und Konzepte schnell in eine intellektuelle Falle. Sie werden dann zu gut klingenden akademischen Etiketten, die auf platten Klischees kleben. Gerade wer durch seine Berufstätigkeit immer nur mit einer bestimmten, relativ homogenen Gruppe von Personen in einem fremden Land in Berührung kommt, sollte sich dieser Gefahr jederzeit bewusst sein.

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Literatur Chinese Culture Connection (1987): Chinese values and the search for culture-free dimensions of culture. Journal of Cross-Cultural Psychology 18: 143–164. Demorgon, J. (1989): L’exploration interculturelle. Pour une pédagogie internationale. Paris. Demorgon, J.; Molz, M. (1996): Bedingungen und Auswirkungen der Analyse von Kultur(en) und interkulturellen Interaktionen. In: Thomas, A. (Hg.), Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen, S. 43–86. Hall, E. T. (1985): Hidden Differences: Studies in International Communication. Hamburg. Hall, E. T. (1990): Understanding Cultural Differences. Yarmouth, ME. Hofstede, G. (1980): Culture’s Consequences. International Differences in WorkRelated Values. Beverly Hills. Trompenaars, F. (1993): Handbuch Globales Managen. Wie man kulturelle Unterschiede im Geschäftsleben versteht. München.

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Evelyne Glaser: Fremdsprachenkompetenz

Evelyne Glaser

1.5 Fremdsprachenkompetenz in der interkulturellen Zusammenarbeit 1.5.1 Sprache und kulturelle Identität Sprache hat zwei gegensätzliche Eigenschaften: Sie kann einerseits Missverständnisse herbeiführen, aber andererseits auch Missverständnisse aufklären. Somit nimmt sie in der menschlichen Kommunikation – sowohl innerhalb der eigenen Kultur als auch zwischen den Kulturen – eine Schlüsselrolle ein. Ting-Toomey (1999, S. 85) unterscheidet drei herausragende Merkmale von Sprache – ihre Willkürlichkeit, ihre vielschichtigen Regeln und ihre Sprachgemeinschaft – und definiert somit die menschliche Sprache als ein willkürliches, symbolisches System, das Ideen, Gefühle, Erfahrungen, Ereignisse, Menschen und andere Phänomene benennt und das durch die vielschichtigen Regeln regiert wird, die von den Mitgliedern einer spezifischen Sprachgemeinschaft entwickelt wurden. Die Willkürlichkeit einer Sprache ist durch ihre phonemische und grafische Darstellung gegeben. Die Laute und schriftlichen Symbole sind Teile der kulturellen und ethnischen Identität eines Individuums, die eine starke emotionale Bindung hervorrufen können und die dem Individuum auch in einer fremden Umgebung das Gefühl der Vertrautheit und Sicherheit vermitteln. Da wir die Sprache in unserer frühesten Kindheit mühelos erlernen, sind wir uns dieses starken Einflusses auf unsere Identität nicht bewusst. Erst im Kontakt mit den linguistischen Systemen anderer Kulturen erkennen wir, in welchem Ausmaß unsere eigene Identitätsbildung mit dem Benennen von Gegenständen, Beziehungen oder Gefühlen verbunden ist. Dies führte wohl dazu, dass die beiden linguistischen Anthropologen Edward Sapir (1921, 1929) und Benjamin Lee Whorf (1950, 1952) die Hypothese aufstellten, dass die Sprache ein Wegweiser zur kulturellen Realität ist (Sapir 1921). Sapir hält dazu folgende Einsichten fest: »The fact of the matter is that the ›real world‹ is to a large extent unconsciously built up on the language habits of the group. No two languages are ever sufficiently similar to be considered as representing the same social reality. The world in which societies live are distinct worlds, not merely the same world with different labels. Even comparatively simple acts of percep-

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tion are very much more at the mercy of the social patterns called words than we might suppose. . . . We see and hear and otherwise experience very largely as we do because the language habits of our community predispose certain choices of interpretation« (Sapir 1929, S. 209 f.). Seinem Mentor Sapir folgend, kommt Whorf zu dem Schluss, dass Sprache nicht nur ein Werkzeug ist, um Ideen auszudrücken, sondern Sprache »is the shaper of ideas« (Whorf 1952, S. 5). Whorf behauptet, dass die grammatikalischen Strukturen unsere Denkprozesse formen. Diese Grammatikstrukturen sind kulturspezifisch. Daher sind Sprache, Denken und Kultur integrale Bestandteile unseres Denksystems, und unsere Sprache definiert die Rahmenbedingungen, unter denen wir Erfahrungen machen. Wenn wir also eine andere Sprache benützen, betreten wir eine andere Realität. Da wir aber diese neue Realität durch die Schemata unseres eigenen, durch die Sprache geformten Denksystems betrachten, ergibt sich eine andere Interpretation dieser Realität. Steinfatt (1989) schwächte die linguistische Relativitätshypothese von Sapir und Whorf dahin gehend ab, dass Sprache zwar unsere Denkmuster formt, sie jedoch nicht bestimmt. Ting-Toomey führt in »Communicating Across Cultures« (1999) Beispiele an, in welcher Weise die Struktur eines Satzes von Angehörigen einer anderen Kultur zu Interpretationen und Reaktionen führt, die vom Sprecher nicht intendiert waren. So wird im Chinesischen zuerst eine Beschreibung der kausalen Zusammenhänge gegeben, bevor das Agens (die Person des Handelns) im Satzbau aufscheint. Ein chinesischer Satz würde zum Beispiel so konstruiert: »Da es sehr stark regnete und die Straßen überschwemmt waren und da außerdem auf dem Postamt vor dem Schalter eine lange Schlange von Menschen stand und da der Schalter geschlossen wurde, bevor die Reihe an mir war, deshalb konnte ich das Paket nicht abschicken.« Für einen englischsprachigen ›native speaker‹ entsteht der Eindruck, dass die Person nach Ausreden sucht, dass sie ausweicht, vielleicht sogar, dass sie etwas vortäuschen will. Die englische Version der gleichen Aussage, »I couldn’t mail the package because the window at the post office closed before it was my turn«, würde für einen Chinesen den Eindruck erwecken, dass die Person unhöflich ist und darauf bedacht, sich selbst in den Vordergrund zu rücken. Beide Sprecher sind in ihrem kommunikativen Verhalten daher von den Strukturen der eigenen Sprache geprägt. Diese beeinflussen auch die Interpretation von sprachlichen Äußerungen des Gegenübers. Es ist daher von größter Wichtigkeit, sich dieser strukturellen Unterschiede bewusst zu sein und spontane Einschätzungen und Werturteile über Gesprächspartner aus einer anderen Kultur absichtlich hinauszuzögern, bis man sich ein kompletteres Bild machen kann. Die westliche Welt sieht häufig das Konzept der »Scham« und des »Gesichtsverlusts« als bestimmendes Merkmal der ost- und südostasiatischen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Kulturen. Besonders in der interkulturellen Kommunikation wird es als besonders wichtig erachtet, dass Vertreter westlicher Kulturen ihr Sprachverhalten so wählen, dass sie weder bei den fernöstlichen noch bei einem der westlichen Gesprächspartner einen Gesichtsverlust bewirken, da dies unbedingt den Abbruch aller Beziehungen zur Folge haben muss. Gesteland (1999) weist jedoch darauf hin, dass eigentlich dieses Phänomen auch in den westlichen Kulturen anzutreffen ist und dass es sich dabei um ein universelles Konzept handelt. Er demonstriert das an den Begriffen onore im Italienischen, dignitad im Spanischen und self-respect im Englischen. Auch auf das für die französische Gesellschaft so bedeutende Konzept von honneur, treffend charakterisiert von Philippe d’Iribarne (1989), muss hier verwiesen werden. Warum wurden und werden zumeist noch immer »Scham« und »Gesicht« als kulturspezifisch für den asiatischen Raum gesehen? Frank et al. (2000) haben in einer Untersuchung nachgewiesen, dass die von Bedford (1994, zitiert nach Frank et al. 2000) differenzierten fünf Grundarten von »Scham« in der chinesischen Kultur emotionale Erfahrungen sind, die Amerikaner durchaus auch bei sich beobachten. Sie stellen aber in Anlehnung an Sapir und Whorf die Hypothese auf, dass diese Emotionen vielleicht unter den Amerikanern deshalb nicht so ausgeprägt sind, weil die englische/amerikanische Sprache nicht ausreichend zwischen ihnen begrifflich differenziert, also keine streng abgrenzenden lexikalischen Bezeichnungen dafür aufweist. Dies würde den Schluss zulassen, dass der Umfang der Lexik einer Sprache die Wichtigkeit oder Funktionalität eines Bereichs für eine bestimmte Kultur determiniert.

1.5.2 Englisch als lingua franca Da es eine Grundeigenschaft der Sprache ist, Missverständnisse nicht nur zu klären, sondern solche innerhalb der gleichen Kultur, vor allem aber auch zwischen den Kulturen herbeizuführen, wurde bereits vor langer Zeit die idealistische Idee einer einzigen Sprache geboren, die allen Kulturen als Verständigungsmittel dienen kann. Der Wunsch nach einer Universalsprache lässt sich bis ins Griechenland des ersten Jahrhunderts vor Christus zurückverfolgen. Bereits damals träumte man von einer Sprache, die frei von Mehrdeutigkeiten ist und in der man alle Dinge und Gedanken so beschreiben kann, wie sie wirklich sind. Auch Descartes (1596–1650) erkannte, dass die verschiedenen Sprachen der Welt wegen ihrer komplexen Entwicklung im Grunde unlogisch und mehrdeutig sind (vgl. Cherry 1980). Da jedoch seit jeher die empirische Überzeugung vorherrschte, dass Menschen ungeachtet aller Sprachbarrieren miteinander kommunizieren wol-

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len und dies auch tun, wurden seit dem 17. Jahrhundert einige Hundert künstliche Sprachen geschaffen, um die Kommunikation über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg zu ermöglichen und damit den »Unschuldszustand« der Völker vor dem Turmbau zu Babel wiederherzustellen. Die bekannteste unter ihnen war wohl Esperanto, das von mehr als zwei Millionen Menschen weltweit gesprochen wird. Es wurde allerdings als Zweitsprache und somit nicht mit der Absicht konzipiert, die jeweilige Muttersprache ihrer Sprecher zu ersetzen (vgl. Bailey 2002). Wie uns aber die Erfahrung gezeigt hat, ist die Idee einer Universalsprache eine Fiktion geblieben. In den vergangenen Jahrzehnten wird Englisch immer mehr als Lingua franca im Kontakt zwischen den Kulturen eingesetzt. Es gibt mehr als 6 000 Sprachen auf unserer Erde. Viele von ihnen haben keine Schriftform (Mallick 1997/2001, S. 102). Am Ende des zweiten Jahrtausends wurde Englisch von mehr als 235 Millionen Menschen als Muttersprache oder offizielle zweite Staatssprache gesprochen. Ist damit Englisch als globale Sprache anzusehen? Was macht eine Sprache zu einer globalen Sprache? Nach David Crystal (1997) kann man von einer globalen Sprachen reden, wenn sie erstens von einer großen Zahl von Menschen in mehreren Ländern als Muttersprache gesprochen wird. Sie muss zweitens von mehreren Ländern der Welt als offizielle Staatssprache angenommen werden, obwohl in diesen Ländern nur wenige oder gar keine Muttersprachler leben (derzeit trifft dies bei Englisch für über 70 Länder zu). Drittens, selbst wenn die Sprache nicht zur offiziellen Landessprache erklärt wird, kann sie den Status der ersten Fremdsprache bekommen. Für Englisch ist dies in mehr als 100 Ländern der Fall. (Sogar Algerien, eine ehemalige französische Kolonie, gab 1996 dem Englischen gegenüber dem Französischen als erster Fremdsprache an den Schulen den Vorrang.) Diese drei von Crystal (1997, S. 3 ff.) definierten Bedingungen treffen für Englisch zu und machen es damit zur meist gesprochenen Sprache der Welt. Fast ein Viertel der Weltbevölkerung, das heißt zwischen 1,2 und 1,5 Milliarden Menschen, verfügt über fließende oder mindestens gute Englischkenntnisse. Chinesisch mit seinen acht verschiedenen gesprochenen Formen und einer gemeinsamen Schrift wird von 1,1 Milliarden Menschen beherrscht. Damit hat Englisch sowohl geographisch als auch zahlenmäßig die breiteste Ausdehnung aller Sprachen dieser Erde. Die zahlenmäßige Verbreitung einer Sprache allein macht sie nicht zu einer globalen Sprache. In der Vergangenheit aufgestellte Theorien, dass Englisch besser als Weltsprache geeignet sei wegen seiner einfacheren Grammatikstrukturen, wegen der weniger vielfältigen Verbal- und Flexionsendungen, wegen des Fehlens von Genusunterschieden oder aufgrund der Tatsache, dass Englisch eine »klassenlose« und daher »demokratischere« Sprache ist, haben sich als haltlos erwiesen (Crystal 1997, S. 6). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Auch eine besonders bedeutende Literatur verleiht einer Sprache nicht den Status einer globalen Sprache. Es bedarf dazu vor allem einer politischen, militärischen und wirtschaftlichen Vormachtstellung der Länder, in denen diese Sprache als Muttersprache gesprochen wird. Crystal hebt hervor, dass Großbritannien zu Beginn des 19. Jahrhunderts die führende Industrie- und Handelsnation war und der politische Imperialismus Großbritanniens die englische Sprache über den ganzen Globus verbreitet hatte. Während des 20. Jahrhunderts errang dann die USA die wirtschaftliche und militärische Vormachtstellung in der Welt. »And the language behind the US dollar was English«, unterstreicht Crystal (1997, S. 8). In der Interaktion zwischen Kulturen spielt die Übersetzung eine zentrale Rolle. Wenn aber in einer Gesellschaft zu viele Sprachen vertreten sind, suchen die Individuen nach einer gemeinsamen Sprache, einer Lingua franca, um die Kommunikation unter den Mitgliedern aufrechtzuerhalten oder zu erleichtern. Die größte Sprachgruppe der Englisch Sprechenden ist die der non-native-speakers. Für sie ist Englisch die Lingua franca, in der sie ihre Geschäfte abwickeln, und zwar ebenfalls im Umgang mit nonnatives. Trotzdem gibt es nach wie vor kaum Forschungsarbeiten über Englisch als Lingua franca (Seidlhofer 2001, S. 141). Selbst »International Corpus of English« (ICE), das sich selbst als erstes umfangreiches Forschungsunterfangen über die Entwicklung des Englischen als Weltsprache versteht, inkludiert nur jene Länder und Regionen (mehr als 12 an der Zahl) in seine Untersuchungen, in denen Englisch von der Bevölkerungsmehrheit als erste Sprache gesprochen wird oder wo Englisch offizielle Landessprache ist. Das Projekt schließt somit explizit die größte Gruppe der Englisch Sprechenden aus, nämlich diejenigen, die diese Sprache hauptsächlich dafür gelernt haben, um sich ihrer im Umgang mit anderen non-natives als Lingua franca zu bedienen (Seidlhofer, S. 139). Auch die meisten Lehrbücher spiegeln diesen Zustand wider und orientieren sich nach wie vor an der Darstellung von britischen oder amerikanischen Lebensgewohnheiten. Sie akzeptieren demgemäß auch nur diese Standards als Parameter für die Sprachrichtigkeit. So gibt es bisher auch kaum Forschungsergebnisse zur Verwendung von Englisch als Lingua franca (ELF) in der interkulturellen Kommunikation. Eine sehr allgemeine Beobachtung, die jedoch immer wieder gemacht wurde, ist, dass in ELF-Interaktionen eine sehr konsensorientierte Haltung vorherrscht, in der die Sprecher sich gegenseitig unterstützen und generell sehr viele Fehler (gemessen an den Regeln der native speaker) »durchgehen lassen« (»let it pass«) (Firth 1996). Äußerungen, die gegebenenfalls Schwierigkeiten bereiten könnten, werden eher übergangen, was nach House (1999, zitiert nach Seidlhofer, S. 143) dazu führen kann, dass im Dialog die ELFVerwender eher als Initiatoren von Äußerungen agieren und kaum als aktive © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Rezipienten von Aussagen. Das bedeutet, dass die Interaktionen durch einen Mangel an Wechselrede und Themenwechsel gekennzeichnet sind und daher die Sprecher häufig nicht das natürliche Kommunikationsverhalten von Muttersprachlern aufweisen. Firth (1996) stellt anhand seiner Gesprächsanalysen bei ELF-Sprechern jedoch auch fest, dass diese »let it pass«-Haltung, also das Übergehen von grammatikalischen, phraseologischen oder phonetischen Fehlern, nur dann stattfindet, wenn die Aussage trotzdem verständlich ist oder wenn ein mangelndes Verständnis nicht zu fatalen Folgen in der Interaktion führt. Sobald dies der Fall ist, werden klärende Fragen gestellt. Wenn der eine Gesprächsteilnehmer beispielsweise einen Namen buchstabiert, versucht der andere durch Wiederholen des Gehörten sicherzustellen, dass er richtig verstanden hat. In Lingua-franca-Interaktionen legen die Sprecher verschiedene Verhaltensformen an den Tag, wenn sie mit einem Mangel an Sprachkompetenz zu kämpfen haben. Einige versuchen zu beschreiben, andere probieren eine Klärung des Sprachproblems durch so genanntes Code-switching, das heißt, sie verfallen in die Muttersprache und fragen den Gesprächspartner, wie der Begriff auf Englisch heißt. Insgesamt werden auch eher universell verstandene Verhaltensmuster wie Lachen, Zögern, Stille und dergleichen verwendet, um die verbale Unsicherheit auszudrücken. Es zeigt sich jedoch, dass es bei ELF-Sprechern weniger üblich ist, dass ein Gesprächspartner Formulierungen des anderen korrigiert, umschreibt oder dessen Sätze beendet, wie dies bei Muttersprachlern beim »aktiven Zuhören« häufig der Fall ist. Firth betont jedoch, wie flexibel und robust eine Lingua franca eigentlich ist und wie sehr die Sprecher es oft verstehen, das Gesagte aus der Situation heraus zu verstehen, obwohl die Äußerungen gegen die sprachlichen Regeln verstoßen. Es gab zwar bisher einige Versuche (vgl. Ogden 1930 oder Quirk 1982), den Fokus von Englisch als Muttersprache auf die Verwender von ELF zu verschieben. Die Tendenz war jedoch häufig, die Lingua franca als eine Art Pidginenglish zu betrachten. Im Hinblick auf die wachsende Zahl von Englisch Sprechenden in der globalen Wirtschaft, in der Politik, den Medien oder der Wissenschaft, deren Muttersprache zwar nicht Englisch ist, die aber dennoch ein hohes Maß an Sprachkompetenz besitzen, erscheint dieser Ansatz nicht gerechtfertigt. Trotzdem könnte sich bei derartigen Untersuchungen herausstellen, dass beispielsweise eine einseitige Annäherung an Native-speaker-Normen durch einen der Gesprächspartner in einer ELFInteraktion zu Kommunikationsproblemen führen kann und damit die gegenseitige Anpassung der Sprecher vielleicht zu einer höheren kommunikativen Effizienz führt als die Beachtung der Normen von Sprachrichtigkeit, idiomatischer Ausdrucksweise oder Aussprache. Wenn sich nämlich die Sprecher über den Gesprächskontext einig sind, besteht nur ein beschränktes Potenzial für Missverständnisse oder Konflikte (Seidlhofer © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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2001, S. 149). Nach Seidlhofer könnte daher die Frage von ELF-Lernenden und Lehrenden in Zukunft nicht mehr lauten, »Kann man das in Englisch (als Muttersprache) so sagen?«, sondern »Wurde das in Englisch (als Lingua franca) schon einmal so ausgedrückt und wurde es verstanden?« (S. 150). Die sprachliche Verständigung über Märkte bedarf nämlich keiner fein differenzierten Kommunikationsinhalte und -formen. Es geht dabei primär um Ein- und Verkaufspreise, Kosten und (häufig) standardisierte Qualitätsmerkmale von Waren und Dienstleistungen. Hierfür genügen meist »grob geschnitzte« und oft fachspezifische sprachliche Bezeichnungen. Stilistische Feinheiten und grammatikalische Richtigkeit treten daher stark in den Hintergrund. So kann in diesem speziellen Bereich die sprachliche Vereinfachung die Komplexität der menschlichen Kommunikation reduzieren und gleichzeitig nach Luhmann (2000) das Vertrauen zwischen (Geschäfts)Partnern aus verschiedenen Kulturen fördern. Ein wesentliches Grundproblem, das sowohl beim Gebrauch einer Lingua franca als auch beim Gebrauch einer Fremdsprache in der Kommunikation mit einem native speaker auftritt, ist der Umgang mit »conversational implicature« (Grice 1975). Darunter versteht Grice die Fähigkeit, Rückschlüsse auf nicht explizit erwähnte Teile einer Äußerung aufgrund der Gesprächszusammenhänge zu ziehen. Ein Beispiel zur Begriffsklärung: Eine Familie besucht eine fremde Stadt und wendet sich an einen Passanten: »Entschuldigen Sie, wir möchten gern Mittag essen.« Der Passant: »Ja, gleich 50 Meter von hier auf der anderen Straßenseite ist ein nettes Restaurant.« Obwohl die Frage nach dem Restaurant nicht explizit gestellt wurde, konnte der Passant erraten, dass dies eigentlich die Frage der Touristen war. Eine logische Implikation auf dieser Stufe ist natürlich auch in der Fremdsprache möglich. Schwieriger wird es bei ironischen Bemerkungen, bei indirekter Kritik oder bei so genannten POPE-Q-Antworten1 (Bouton 1999), die in die Kategorie der rhetorischen Fragen eingereiht werden könnten. Bei diesen stilistischen Konversationsstrategien ist selbst ein mehrjähriger Aufenthalt im fremdsprachigen Ausland keine Garantie dafür, dass die nicht explizit artikulierte Bedeutung von einem Nicht-Muttersprachler richtig interpretiert wird.

1 POPE-Q-Antworten sind eine Besonderheit der englischen Sprache und haben die Bedeutung »Ja, selbstverständlich« oder »Nein, natürlich nicht«. Die Bezeichnung kommt von der prototypischen Frage, »Is the Pope Catholic?«, die anstelle einer Antwort auf eine Frage kommt (z. B. Frage: »Do you think Pete will come home late tonight?« Antwort: »Does the sun come up in the east?«). Das Verständnis der Antwort auf diese Frage setzt voraus, dass der Gesprächspartner mit derartigen rhetorischen Fragen umgehen kann.

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1.5.3 Die Rolle von Übersetzern und Dolmetschern Sprachen unterscheiden sich formal durch ihre Syntax (Satzbau, Grammatik), Morphologie (Wortbildung), Lexik (Wortschatz) und Phonologie (Aussprache). Jeder, der eine Fremdsprache gelernt hat, weiß, welche Herausforderung es bedeutet, all diese Bereiche gleichzeitig zu meistern. Die Aufgabe eines Übersetzers oder Dolmetschers ist es, eine Botschaft in der Zielsprache so zu formulieren, dass sie in ihrer Bedeutung und in ihrem Stil möglichst nah an die Originalsprache herankommt. Dabei ergeben sich drei Hauptschwierigkeiten: 1. Zwei- oder Mehrdeutigkeit, 2. Interferenz, 3. Fehlen eines äquivalenten Begriffs in der Zielsprache. Unter Zwei- oder Mehrdeutigkeit versteht man, dass aus einem Text oder einer Botschaft nicht klar zu erkennen ist, welche Bedeutung eines Wortes gemeint ist. Interferenzen entstehen dann, wenn dasselbe Wort in zwei Sprachen, jedoch mit unterschiedlicher Bedeutung vorkommt. Ein Beispiel dafür ist das Wort »actual« in Englisch (mit der deutschen Bedeutung »tatsächlich«), das leicht mit dem deutschen Wort »aktuell« verwechselt wird. Ein weiteres Beispiel ist das englische »delay« (»Verspätung«) und das französische »délai« (»Frist«). Wenn ein äquivalenter Begriff in einer Sprache fehlt, ist der Übersetzer/Dolmetscher besonders gefordert, weil er diesen Begriff genau umschreiben muss, um beim Rezipienten eine Vorstellung über die Bedeutung zu schaffen. Wiederum sei als Beispiel auf die fünf unterschiedlichen Begriffe von »Scham« im Chinesischen verwiesen oder auf die zahlreichen Bezeichnungen für »Sand« im Arabischen. Die große Herausforderung für den Übersetzer oder Dolmetscher besteht also nicht darin, Begriffe einer Sprache in einer anderen wiederzugeben, also Termini einfach mit neuen Etiketten zu versehen. Ein guter Dolmetscher oder Übersetzer versteht es, auch die psychologischen und kulturspezifischen Hintergründe von Begriffen zu vermitteln (Holden 2002). Das englische Wort »interpreter« weist darauf hin, dass der Transfer einer Botschaft von einer Ausgangssprache in eine Zielsprache nach einer Interpretation der Zusammenhänge verlangt. Aus diesem Grund kommt es auch vor, dass das Dolmetschen einer kurzen Bemerkung von einer Sprache in eine andere Sprache eine Angelegenheit von mehreren Minuten sein kann. Gesteland (1999) weist darauf hin, dass dies vor allem bei Interaktionen zwischen Vertretern von »deal-focused cultures« (z. B. Deutschland) und »relationship-focused cultures« (z. B. China) vorkommt. Der Dolmetscher muss in einem solchen Fall sehr direkte Aussagen mit höflichen Floskeln umschreiben, welche die Beziehungsbildung zwischen den Gesprächspartnern fördern (Gesteland 1999, S. 40). Würde er dies unterlassen, hätte er zwar vielleicht vom linguistischen Standpunkt aus eine einwandfreie Übersetzung geliefert, er hätte aber gegen kulturelle Normen

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verstoßen und somit einen Geschäftsabschluss mit großer Wahrscheinlichkeit verhindert. Dies bestätigt einmal mehr den Ansatz von Sapir (1956), der meint: »No two languages are ever sufficiently similar to be considered as representing the same social reality. The worlds in which different societies live are distinct worlds, not merely the same world with different labels attached.« Verschiedene Aspekte zur Problematik des Übersetzens als Medium des Kulturverstehens und der sozialen Integration werden von Renn, Straub und Shimada (2000) differenziert behandelt. Beim Übersetzen und Dolmetschen zeigt es sich also besonders, dass es umso schwieriger ist, eine gemeinsame kognitive Basis zu finden, wenn die kulturelle, psychologische, wirtschaftliche, technologische und politische Distanz zwischen zwei Sprachen beziehungsweise Kulturen groß ist. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass diese Distanz nicht konstant ist, sondern von den jeweiligen Personen abhängt, die miteinander kommunizieren. Sie kann sich also im Lauf der Interaktion verkleinern oder vergrößern. Verhandlungspartner, insbesondere auch Politiker, wählen manchmal den Umweg über einen Dolmetscher, obwohl beide Partner jeweils die Sprache des Anderen sprechen. Dies erlaubt ihnen in heiklen Situationen sicher zu sein, die Äußerungen des Gesprächspartners tatsächlich verstanden zu haben. Andererseits kann es auch ein politisches beziehungsweise nationales Statement sein, um die Bedeutung und das Ansehen der eigenen Sprache hervorzukehren. Ein Überwechseln in die Sprache des Verhandlungspartners wäre dann auch ein politisches Signal, das den Gesprächspartner moralisch dazu zwingen würde, dasselbe zu tun, um beispielsweise Kooperationswillen zu zeigen. Manche Verhandlungsteams aus Unternehmen ziehen Dolmetscher aus anderen Gründen als zur Demonstration nationaler Differenziertheit zu Verhandlungen heran, obwohl sie eigentlich die Sprache der Verhandlungspartner sprechen, dies aber nicht kundtun. Sie rechnen sich dabei unter Umständen Vorteile aus, weil sie meinen, aus Gesprächen, die zwischen den Vertretern der anderen Seite nebenbei geführt werden, mehr Informationen entnehmen zu können als aus den offiziellen Verhandlungsgesprächen (Gallois u. Callan 1997). Man sollte allerdings die Gefahr hinter einer solchen Strategie nicht außer Acht lassen. Bemerkt nämlich der andere Verhandlungspartner, dass ihm mit Misstrauen begegnet wurde, werden vielleicht die Geschäftsbeziehungen nicht zustande kommen oder nicht von langer Dauer sein. Empfehlenswerter wäre es hier, die vorhandenen Sprachkenntnisse dafür zu nutzen, die Beziehungen auf persönlicher Ebene (z. B. bei einem gemeinsamen Essen im Restaurant) zu festigen und so die Geschäftsbeziehungen auf eine solide Vertrauensbasis zu stellen. Im Allgemeinen werden alle sprachlichen Anstrengungen von den jeweiligen Verhandlungspartnern meist sehr geschätzt, da mit dem Gebrauch der © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Evelyne Glaser: Fremdsprachenkompetenz

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Fremdsprache auch ein grundlegendes Interesse an der anderen Kultur bezeugt wird. Dies wiederum fördert nicht nur das Verständnis für das Verhalten des Geschäftspartners, sondern drückt auch eine Wertschätzung aus, die für die Beziehungen in vielen Kulturkreisen (Südeuropa, Mittelund Osteuropa, Afrika, arabische Länder, Asien, Lateinamerika) sehr förderlich sein kann.

1.5.4 Nonverbale interkulturelle Kommunikation Die Sprache ist zwar das wesentlichste Mittel für die zwischenmenschliche Verständigung. Im Lauf der letzten Jahrzehnte wurde jedoch auch der Körpersprache von der Forschung immer mehr Beachtung geschenkt. Während verbale Äußerungen Inhalte zu vermitteln suchen, überbringen nonverbale Botschaften Informationen über Identität, Emotionen und Beziehungen. Nonverbale Botschaften können absichtlich oder unabsichtlich übermittelt werden. Da sie schwerer zu kontrollieren und zu steuern sind als das verbale Sprachverhalten, nimmt man auch an, dass sie ehrlicher sind und damit dem aufmerksamen Gesprächspartner viel von den Gedanken oder der inneren Einstellung des Gegenübers verraten können. Sie können den Empfänger einerseits verwirren, stellen aber andererseits oft erst die notwendigen Zusammenhänge her, die es erlauben, eine verbale Botschaft zu interpretieren oder zu entschlüsseln. Genauso wie die Sprache ist auch die Körpersprache kulturspezifisch. Ihre Regeln werden im Sozialisierungsprozess gelernt. Ting-Toomey (1999, S. 116) unterscheidet zwischen folgenden Formen der nonverbalen Kommunikation: – Kinesics (Gesichts- und Körperbewegung) – Oculesics (Augenkontakt) – Vocalics/Paralinguistics (Tonfall, Lautstärke, Schweigen) – Proxemics (räumliche Distanz) – Haptics (Körperberührung) – Environment (z. B. Raumausstattung, Architektur) – Chronemics (Zeit) Allein diese lange Aufzählung lässt auf die Komplexität des nonverbalen Verhaltens schließen und erklärt, warum die Dekodierung über die eigene Kultur hinaus äußerst schwierig ist. Es ist auch nicht einfach, sich diese Elemente gemeinsam mit dem Erwerb einer Fremdsprache anzueignen, da die nonverbalen Ausdrucksformen der eigenen Kultur meist dominanter sind.

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Man kann allerdings beobachten, dass zum Beispiel Deutsche, die gut Italienisch sprechen, auch in der Verwendung dieser Fremdsprache mehr Gestik und Mimik anwenden als in ihrer Muttersprache oder dass Personen einen anderen Tonfall wählen, wenn sie in einer Fremdsprache kommunizieren. Da sich diese Elemente auch relativ gut beschreiben lassen, findet man sie häufig in den Do’s and Don’ts-Listen, die von Managern gern als Vorbereitung für Auslandsaufenthalte verwendet werden. Gesteland (1999) betont die Bedeutung von räumlicher Nähe, Körperkontakt, Augenkontakt und Körpersprache im Umgang mit anderen Kulturen. Vor allem kulturspezifische Informationen über körperliche Nähe und Berührung können helfen, Verhandlungspartner durch unhöfliches Zurückweichen nicht vor den Kopf zu stoßen oder freundliche Gesten nicht falsch zu interpretieren.

1.5.5 Kommunikationsstile unterschiedlicher Kulturen Für die verbale Kommunikation ist es hilfreich, mit den wesentlichen Kommunikationsstilen vertraut zu sein. Dabei unterscheidet Hall (1976) insbesondere zwischen »Low-Context«- und »High-Context«-Kommunikation. Low-Context Communication ist charakteristisch für den deutschen Sprachraum, die anglophone Welt und das westliche Skandinavien. Diese Kulturen werden geprägt durch individualistische Werte, lineares und logisches Denken, einen direkten Gesprächsstil, der sich stark am Sprecher orientiert, und vor allem durch eine Kommunikation, in der das Wort im Vordergrund steht. Der Sprecher ist bemüht, sich selbst gut darzustellen und durch die sprachliche Äußerung sein Gesicht nicht zu verlieren. In seiner Botschaft vermittelt er verbal persönliche Standpunkte, Gedanken und Gefühle. Er ist dafür verantwortlich, eine Botschaft so explizit zu formulieren, dass der Empfänger sie versteht, ohne eine Interpretation vornehmen zu müssen. High-Context Communication findet man vor allem im ostasiatischen Raum und in den arabischen Ländern. Auch der Süden Europas ist mehr von diesem Kommunikationsstil geprägt, der vor allem den Empfänger der Botschaft in den Mittelpunkt stellt. Dieser übernimmt die Aufgabe, die Botschaft selbst zu interpretieren und somit zwischen den Zeilen zu lesen. Der Sprecher nimmt sich eher zurück und sendet neben der verbalen Botschaft zahlreiche nonverbale Signale, die dem Empfänger bei der Entschlüsselung helfen. High-Context-Kommunikation bezieht sich auf vielschichtige Zusammenhänge (z. B. historische Hintergründe, soziale Nor-

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men, Rollen, Status, Beziehung zwischen den Sprechern), die aber nicht explizit erwähnt werden. Aus dem Gesprächskontext kann der Empfänger auf sie schließen. Der Gesprächsstil ist indirekt, die Botschaft muss nicht klar formuliert werden, der Sprecher »redet um den heißen Brei herum«, ohne »auf den Punkt zu kommen«. Für Vertreter vieler westlicher Kulturen ergibt sich daraus oft ein Gefühl der Frustration, da sie es in ihrer Sozialisierung nicht ausreichend gelernt haben, die nonverbalen Botschaften aufzufangen und als Teil einer Botschaft zu verstehen. Sie empfinden den Gesprächspartner als unehrlich und glauben, dass er etwas verschleiern will. Umgekehrt wird ein direkter Gesprächsstil zum Beispiel von Japanern als aufdringlich und einfältig empfunden. Der Sprecher unterstellt dem Gesprächspartner, dass er nicht in der Lage ist, die wesentlichen Informationen selbst herauszufiltern. Wenn man bedenkt, dass beispielsweise die finnische Sprache mit weniger als einem Viertel der Anzahl der Wörter des Englischen auskommt, kann man sich vorstellen, dass finnische Wörter und Sätze viel bedeutungsschwerer sind (Brock et al. 2000). Die Fähigkeit, sich vielschichtig und nuanciert auszudrücken, wird daher sehr geschätzt. Bei einer Kommunikation übernimmt dann auch das Schweigen eine wesentliche Funktion.

1.5.6 Sprache in multikulturellen Unternehmen In der Unternehmenswelt wird Sprache als wesentliches Werkzeug zum Transfer von Wissen, Werten, Erfahrungen und Unternehmenszielen gesehen. Holden prägt hier den Begriff der »Management-Sprache«, die für ihn drei differenzierte Ziele verfolgt. Sprache dient erstens dem Beschreiben von Management-Aufgaben, zweitens dem Herstellen von Netzwerken zur Förderung von organisationalem Lernen und drittens der Verbreitung des in der Organisation vorhandenen Wissens und der Unternehmensvision (Holden 2002, S. 232). Für transnationale Unternehmen stellen diese Aufgaben immense Herausforderungen in der Unternehmensführung dar, da der Empfänger einer Botschaft während der Kommunikation mit dem Sender alle Begriffe in das jeweils eigene Bezugssystem übersetzt und somit in der kommunikativen Interaktion diese individuellen Übersetzungen ständig mit den Übersetzungen anderer Individuen verschmelzen. Bereits innerhalb derselben Kultur kann dies zu massiven Veränderungen einer Botschaft führen. Umso mehr ist das der Fall, wenn Individuen verschiedener Kulturen und Sprachen miteinander kommunizieren. Holden unterstreicht daher die Wichtigkeit eines interaktiven Übersetzungsprozesses, in © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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dem der oder die Einzelne vor allem partizipative Kompetenz üben soll. Darunter versteht Holden die Fähigkeit, sich beispielsweise bei Gruppenprojekten auch in einer Fremdsprache aktiv an Diskussionen zu beteiligen, im gleichen Ausmaß wie die anderen zur Erfüllung der gemeinsamen Aufgaben beizutragen und Wissen und Erfahrungen mit der Gruppe zu teilen. Dafür ist es nötig, dass alle Gesprächsteilnehmer über soziale Kompetenz verfügen, dass sie wissen, wie Kommunikation aufgebaut ist, und zwischen zentralen und peripheren Fragen unterscheiden können, dass sie Botschaften erraten können oder zwischen den Zeilen lesen können, und schließlich, dass sie verstehen, dass Botschaften auf unterschiedliche Weise verschlüsselt sein können (nicht nur in Sprache), und die Bereitschaft besitzen, diese anderen Kodes zu erlernen. Nur dies führt nach Holden zu den angestrebten Synergieeffekten, die eine lernende Organisation auszeichnen, in der das Prinzip des Weitergebens von Wissen zur Tradition geworden ist (Holden 2002, S. 229, 243, 273). Holden sieht im Beschreiben von Management-Aufgaben (einschließlich der Formulierung von Unternehmensstrategien und dem Bekanntmachen von getroffenen Entscheidungen) die geringsten Schwierigkeiten, da dabei eine spezifische Fachsprache zur Anwendung kommt, deren Terminologie leicht übersetzbar ist und wenig Spielraum für individuelle Interpretationen lässt. Insbesondere die Übersetzung in alle westeuropäischen Sprachen sowie ins Amerikanische, Japanische und Koreanische bedeutet kein wesentliches Hindernis, da der Einfluss der USA vor allem in der Ausbildung der Manager in den Business Schools globale Wirkungen gezeigt hat. In diesem prägenden Training wurden die Führungskräfte mit Managementkonzepten (und Ausdrücken) weitgehend vertraut gemacht (Holden 2002, S. 233). Dies hat eine primäre Wirkung auf die Fachkompetenz; die kulturellen Unterschiede werden damit allerdings weniger beziehungsweise erst langfristiger beeinflusst (Reber u. Jago 1997). Größere Probleme ergeben sich für Übersetzungen in die Sprachen der ehemaligen sozialistischen Länder, deren Wortschatz nicht über die typische Management-Terminologie verfügt und deren Führungskräfte die westlichen Managementkonzepte nicht von Grund auf gelernt haben (Holden et al. 1998). Während die Kommunikation zwischen Unternehmen beim simplen Abwickeln von Geschäften (»market«) meist geringere Schwierigkeiten verursacht und sprachlich bedingte Missverständnisse leicht durch beiderseitige Anstrengungen aus dem Weg geräumt werden können, werden für die interkulturelle Kooperation innerhalb von globalen Unternehmen engere zwischenmenschliche, interaktive Berührungspunkte notwendig. Diese erfordern differenziertere und sensiblere Kommunikationsqualitäten. »Market« stellt also andere Anforderungen an eine gewählte Lingua franca als »hierarchy« in globalen Organisationen (Williamson 1975). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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1.5.7 Kommunikation in multikulturellen Arbeitsgruppen Die Arbeit in multikulturellen Teams wird in den meisten transnational tätigen Unternehmen derzeit als Potenzial angesehen, unterschiedliche Arbeitsweisen und Denkansätze dahingehend zu nutzen, für den Betrieb kreativere und innovativere Lösungen zu finden (Watson et al. 2002). Diesen Teams wird ein sehr hohes Kooperationsvermögen abverlangt, da die Mitglieder oft von den Führungskräften frei zusammengewürfelt werden und kaum Zeit für den Teambildungsprozess haben. Häufig müssen diese Gruppen auch virtuell über große geographische Distanzen mit Hilfe der neuen Medien kommunizieren, ohne sich je kennen gelernt zu haben. Es wird zwar in der Literatur (Glaser 1998, 2001, 2002; Kirkman et al. 2001; DiStefano u. Maznevski 2000) immer wieder darauf verwiesen, wie wichtig der Face-to-face-Kontakt für die Beziehungsbildung, für die Qualität der Zusammenarbeit und damit für das Resultat der Gruppenleistung ist, Firmen scheuen aber oft die damit verbundenen hohen Kosten und stellen dadurch psychologisch schier nicht zu bewältigende Anforderungen an diese Teams. Kommunikation wird von situationsbedingten und soziokulturellen Zusammenhängen beeinflusst (Gumperz 1992). Sie folgt gewissen kulturspezifischen Regeln (z. B. Wahl der Gesprächsthemen, Kommunikationsstil2, gesellschaftliche oder geschlechtsspezifische Rollen der Sprecher usw.), mit denen die Vertreter einer Kultur durch ihre Sozialisierung in dieser Kultur vertraut sind. Bei der Wahl einer Lingua franca für die Kommunikation in einer multikulturellen Arbeitsgruppe übertragen die Mitglieder meist intuitiv die jeweils für die eigene Kultur gültigen Regeln auf die fremdsprachige Kommunikation mit den Vertretern der anderen Kulturen (Wierzbicka 1994). Dies führt in den Augen der anderen immer wieder zu unbewussten Regelverletzungen und im schlimmsten Fall zum Zusammenbruch der Kommunikation. Selbst wenn also die Teammitglieder differenzierte sprachliche Kenntnisse in der gewählten Lingua franca aufweisen, ist dies keine Garantie für eine funktionierende Kommunikation. Im Gegenteil, hohe (nearnative-)Fremdsprachenkompetenz birgt verstärkt die Gefahr in sich, die kulturelle Bedeutung von Begriffen hinter der gemeinsamen Sprache falsch zu interpretieren. Zwei Sprecher verwenden beispielsweise denselben Ausdruck, besetzen ihn aber jeweils mit den Werten ihrer eigenen Kultur. Da aber der Gesprächsfluss nicht durch mangelnden Wortschatz oder linguistische 2 Unter dem Begriff »Kommunikationsstil« fassen Scheu-Lottgen und Hernández-Campoy (1998) Folgendes zusammen: »(i) when to talk, (ii) what to say, (iii) prosodic patterns, (iv) listenership, (v) formulaicity, (vi) politeness, (vii) organization of discourse, (viii) accent accommodation, and (ix) swearing, insults and irony« (S. 379).

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Regelverstöße des non-native speaker beeinträchtigt wird, nimmt der native speaker fälschlicherweise an, dass sein Gesprächspartner auch die kulturellen Implikationen der gewählten Begriffe kennt und ihnen die gleiche Bedeutung zumisst. Ist dies nicht der Fall, bauen sich zwischen den Sprechern Kommunikationsbarrieren auf, die mitunter nicht mehr zum Verschwinden gebracht werden können und zu einem Vertrauensschwund zwischen den Teammitgliedern führen können. Ist also eine multikulturelle Arbeitsgruppe teilweise aus native speakers und aus non-native speakers zusammengesetzt, kommt vor allem den natives eine ganz spezifische Funktion zu: Einerseits sollten sie sich in Selbstdisziplin üben und beim Sprechen auf idiomatische Redewendungen, lokale Akzente und kulturell gefärbte Anspielungen verzichten. Andererseits ist es wesentlich, den non-natives genügend Zeit zum Nachdenken und Formulieren von Äußerungen zu geben. Native speakers, die in interkultureller Teamkommunikation geübt sind, übernehmen oft die Aufgabe, Äußerungen von non-natives im Prozess des aktiven Zuhörens zu umschreiben und damit sicherzustellen, dass das Gesagte von allen richtig verstanden wurde. Derartige ermutigende Verhaltensweisen unterstützen die non-natives und verhindern somit, dass diese das Gefühl haben, durch ihre schwächeren Sprachkenntnisse eine weniger einflussreiche Position innerhalb der Gruppe zu bekleiden oder Beiträge zu liefern, die geringere Beachtung finden (vgl. Scheu-Lottgen u. Hernández-Campoy 1998). In der Kommunikation mit den Teammitgliedern möglicherweise nicht erfolgreich zu sein, erzeugt unter den Teilnehmern Ängste und Unsicherheit. Gudykunst (1993; Gudykunst u. Nishida 2001) weist in seiner »Anxiety/Uncertainty Management Theory« darauf hin, wie wichtig es für eine effektive interkulturelle Kommunikation ist, Ängste und Unsicherheiten in den Griff zu bekommen und damit produktiv zu nutzen: »When anxiety is very high, . . . individuals rely on simplistic information processing (e. g., stereotypes) and, therefore, cannot communicate effectively. When uncertainty is very high, individuals do not have the confidence necessary to predict or explain others’ attitudes, feelings, or behaviors. When anxiety is very low, individuals are not motivated to communicate, and when uncertainty is very low, individuals are overconfident in their predictions of others’ behaviors. When anxiety and uncertainty are either very high or very low, they do not predict effectiveness of communication« (Gudykunst u. Nishida 2001, S. 56; Hervorhebungen v. d. Verf.). Angst und Unsicherheit müssen also innerhalb der Maximal- und Minimalgrenzen liegen, um zu einer effektiven Kommunikation in einer multikulturellen Gruppe zu führen. Um die Kooperation in multikulturellen Arbeitsgruppen sicherzustellen, ist es außerordentlich wichtig, dass die Mitglieder wesentliche Aspekte über © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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die kulturellen Eigenheiten der im Team vertretenen Kommunikationsstile kennen. Sie müssen – auch in rein virtuellen Teams – streng darauf Bedacht nehmen, sich selbst Regeln über die Kommunikation in der Gruppe zu geben, und müssen vor allem im Rahmen von Teambildungsübungen die Kommunikation miteinander trainieren. Werden diese wesentlichen Schritte vernachlässigt, ist die Gefahr groß, dass sich Teammitglieder durch den Kommunikationsstil anderer angegriffen fühlen, sich in der Folge zurücknehmen und keine Beiträge mehr leisten oder die Teamarbeit stören.

1.5.8 Sprache als Machtfaktor in multinationalen Unternehmen Die Rolle der offiziellen Konzernsprache beziehungsweise der lokalen Landessprachen in multinationalen Unternehmen bei der Interaktion zwischen dem Firmenhauptsitz und den Tochtergesellschaften in den verschiedenen Ländern ist noch nicht erschöpfend untersucht. Es gibt aber einige interessante Studien (Marschan-Piekkari et al. 1997, 1999; Ferner et al. 1995; Park et al. 1996; Chikudate 1995), die aufzeigen, dass die meisten Unternehmen die vielschichtigen Einflüsse der (mangelnden) Sprachkompetenz ihrer Mitarbeiter noch weit unterschätzen. Vor weniger als zehn Jahren erachteten es nur 19 Prozent der amerikanischen Führungskräfte für die internationale Geschäftstätigkeit als sehr wichtig, eine Fremdsprache zu beherrschen (Dowling et al. 1994, zitiert nach Park et al. 1996). Von den Mitarbeitern in den Tochtergesellschaften wird hingegen erwartet, dass sie die Konzernsprache sprechen. Diese Erwartung wird allerdings bestenfalls von den höheren Führungskräften, kaum jedoch von den mittleren Führungskräften und Mitarbeitern der operativen Ebene erfüllt. Von diesen wird die mangelnde Sprachkompetenz als wesentliche Barriere in der innerbetrieblichen Kommunikation gesehen. Auch Schriftstücke, die von der Konzernmutter in der Unternehmenssprache verfasst und an die ausländischen Tochtergesellschaften verteilt werden, bleiben oft unverstanden und müssen vor Ort in die jeweilige Landessprache übersetzt werden, um Beachtung zu finden (Marschan-Piekkari et al. 1999). Es stellt sich aber auch heraus, dass die mangelnden Fremdsprachenkenntnisse die Möglichkeiten für einen horizontalen Wissenstransfer zwischen den einzelnen Teilen eines Konzerns verhindern. So bilden die Tochtergesellschaften oft isolierte Inseln, die weder durch informelle Kontrollmechanismen noch durch persönliche Netzwerke auf horizontaler Ebene zusammengehalten werden (Ferner et al. 1995). Marschan-Piekkari et al. (1999) orten einen weiteren wesentlichen As-

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pekt in dem von ihnen untersuchten multinationalen finnischen Unternehmen in der Schlüsselfunktion des Sprachmediators zwischen Mutterund Tochtergesellschaft. Sie konnten feststellen, dass ein Mitarbeiter der mittleren Führungsebene aufgrund seiner Sprachkenntnisse im Unternehmen Funktionen übernahm, die deutlich über seinem offiziellen Einflussbereich lagen. Durch seine Fähigkeit, Netzwerke aufzubauen, verschaffte er sich Informationen über Bereiche, die sonst niemandem zugänglich waren. Er hatte auch die Möglichkeit, diese Informationen zu horten, und verfügte dadurch über mehr Macht im Unternehmen als seiner eigentlichen Position entsprach. Ein Mitarbeiter, der die Sprache des Firmenhauptsitzes, die Unternehmenssprache und die Sprache der Tochtergesellschaft spricht, sitzt nach dieser Untersuchung im Zentrum der Macht, da er mit allen Ebenen in allen Teilen des Unternehmens kommunizieren kann. Bedingt durch diese Schlüsselrolle kann ein solcher Mitarbeiter die formalen Kommunikationsabläufe beeinflussen und sogar die formale Organisationsstruktur gefährden. Ein weiteres interessantes Untersuchungsergebnis betrifft die Diskrepanz zwischen der offiziellen Organisationsstruktur des multinationalen (finnischen) Konzerns und den Schattenstrukturen, die sich aufgrund der Sprachcluster bilden (Marschan-Piekkari 1999): Die Unternehmensleitung hatte das Unternehmen nach geographischen Gesichtspunkten gegliedert. Demnach gab es offiziell jeweils einen Bereich für Nordeuropa, Mitteleuropa, Südeuropa, Nordamerika und Asien/Pazifischer Raum. In der Realität entwickelte sich aber bedingt durch die sprachliche Nähe und die damit verbundene engere Kooperation zwischen den Unternehmen, die Englisch, Deutsch, Spanisch oder eine skandinavische Sprache als Landessprache hatten, eine Schattenstruktur des Unternehmens, die mächtiger war als die durch die Firmenleitung ursprünglich vorgegebene Organisationsstruktur. Basierend auf ihren Untersuchungen halten Marschan-Piekkari et al. (1999) fest, dass globale Unternehmen verstehen müssen, dass es nicht möglich ist, eine weltweite Organisation effizient zu führen, wenn nicht am Firmenhauptsitz Führungskräfte arbeiten, die mehrsprachig sind. Überraschenderweise findet die Sprache jedoch bisher kaum Eingang in die Literatur zum internationalen Management.

1.5.9 Schlussbemerkungen Sprache nimmt in der interkulturellen Kommunikation eine Schlüsselposition ein. Die Fremdsprachenkompetenz, und dabei vor allem die Fähigkeit, sich des Englischen als Lingua franca zu bedienen, ist in Bereichen wie

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Wirtschaft, Politik und Kultur schon lange zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Kenntnis von Fremdsprachen als linguistischem Werkzeug allein genügt jedoch nicht für die Erlangung der heute so wichtig gewordenen interkulturellen kommunikativen Kompetenz. Diese erfordert vor allem auch eine Vertrautheit mit den kulturspezifischen Regeln für die Interaktion. Daher sollte es für niemand eine Beruhigung sein zu wissen, dass der ausländische Verhandlungspartner der Muttersprache des Anderen mächtig ist. Sprachkenntnisse sind nämlich nicht unbedingt gleichzusetzen mit kommunikativer Kompetenz im Kontakt mit anderen Kulturen. Dies sei vor allem den englischsprachigen native speakers eine Warnung, die zum Teil davon ausgehen, dass alle non-natives wegen der weltweiten Wichtigkeit des Englischen ihre Sprache zu lernen hätten. Ein Startvorteil könnte sich für die englischsprachigen Kulturen leicht als Wettbewerbsnachteil herauskristallisieren, wenn sie nicht in ihrem Bildungssystem den Erwerb von Fremdsprachen festschreiben. Selbst wenn auch die Sprachkenntnisse allein nicht ausreichen, so ist das Erlernen einer Fremdsprache in der modernen Sprachpädagogik doch eng gekoppelt an die Konzepte der Kultursensibilisierung. Und diese sind eben ein wichtiger Schritt zur interkulturellen Kompetenz.

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Grundlagen: Theoretische Grundlagen

Alexander Tho mas: Interkulturelle Wah rnehmung

Alexander Thomas

1.6 Interkulturelle Wahrnehmung, Kommunikation und Kooperation

1.6.1 Phasenverläufe interkultureller Wahrnehmung Wenn Menschen freiwillig oder gezwungen ihre angestammte Heimat verlassen und sich in einem für sie fremden Land und damit einer für sie unbekannten fremden Kultur für kürzere oder längere Zeit niederlassen, dann ist anzunehmen, dass sie in der Anfangszeit erhebliche Schwierigkeiten haben werden, sich zurechtzufinden, ihre neue Umgebung zu verstehen und sich einzurichten. Das psychische und zum Teil physische Wohlbefinden wird gerade in dieser Anfangsphase besonders beeinträchtigt sein, aber mit zunehmender Aufenthaltsdauer, der Gewöhnung an die neue Umgebung und dem Ausbau der Fähigkeit, mit den Menschen des Gastlands allmählich immer besser zurechtzukommen, werden die psychischen und physischen Belastungen abnehmen und das Wohlbefinden kontinuierlich ansteigen und sich nach einiger Zeit auf einem als normal bewerteten Niveau stabilisieren (siehe Kap. I, 1.8, S. 126 ff.). Erlebnisberichte über die psychischen Befindlichkeitszustände zum Zeitpunkt der Ausreisevorbereitung, zum Zeitpunkt der Ankunft im Gastland, der Anfangsphase der Eingewöhnung und des weiteren Verlaufs sowie systematische wissenschaftliche Studien über die genannten Prozessverläufe zeigen aber übereinstimmend ein völlig anderes Verlaufsbild. Die Vorbereitungsphase ist zunächst bestimmt von Spannungen, aber auch Freude auf die Auslandsreise, besonders dann, wenn sie freiwillig und mit positiven Erfolgserwartungen angetreten wird. Es folgt eine Phase der Befürchtungen, besonders in Bezug auf die vielen verschiedenen Details, die zum Ausreisezeitpunkt beachtet werden müssen. Nach der Ankunft im Gastland zeigt sich, dass die Befürchtungen über die Schwierigkeiten beim Einleben im Gastland gar nicht so berechtigt sind, dass bei aller Unterschiedlichkeit doch vieles so ist wie zu Hause oder zumindest ein hohes Maß an Ähnlichkeit aufweist. So stellt sich eine gewisse Anfangsbegeisterung und ein Zustand des Wohlergehens und der Euphorie ein, verbunden mit einer deutlichen Abnahme der Akkulturationsbelastungen. Im Verlauf der Eingewöhnung und der zunehmend differenzierter werdenden Erfahrungen

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im Umgang mit den Gastlandbewohnern steigt die Verunsicherung allmählich an, vieles verläuft nicht so, wie es geplant ist und erwartet wurde. Es häufen sich die Fälle von erwartungswidrigem Verhalten der Kooperationspartner im Gastland, immer mehr Verhaltensreaktionen sind und bleiben unverständlich, nicht nachvollziehbar, erscheinen unsinnig und provozieren im harmlosesten Fall Erstaunen, Kopfschütteln und Ratlosigkeit; im schlimmsten Fall führen sie zu Verzweiflung, Wut, Aggression und Abbruch der Beziehungen, eventuell sogar zur Rückreise. In den meisten Fällen setzt nach dem Erreichen eines Tiefpunkts der Anpassungskrise eine Phase der Eingewöhnung beziehungsweise Neuanpassung auf einem höheren Niveau des interkulturellen Verstehens ein. Dadurch wird die Stressbelastung deutlich reduziert und das Wohlbefindlichkeitsgefühl wieder gesteigert, bis dann diese Phase wiederum von Rückreisebefürchtungen und nach erfolgter Rückreise von einer Rückkehrbegeisterung, einer Rückkehreingewöhnungskrise und schließlich einer Phase der Reintegrationskrisenbewältigung abgelöst wird. Das, was die Alltagserfahrung lehrt: »Aller Anfang ist schwer, aber mit zunehmender Eingewöhnung wird alles besser«, trifft für den Übergang von einer Kultur in eine andere so also nicht zu. Der Verlauf der Akkulturationsbelastung einerseits und der damit zusammenhängenden Wohlbefindlichkeit respektive Lebensqualität andererseits – beginnend mit der Phase der Ausreisevorbereitung und endend mit der Wiedereingewöhnung in die zwar vertraute, aber inzwischen möglicherweise sehr fremd gewordene eigene Kultur – stellt sich als ein hoch komplexes Phasenverlaufsgefüge dar. Die Ursache dafür ist unter anderem die spezifische Organisiertheit der menschlichen Wahrnehmung. Das zur Verfügung stehende Reizmaterial wird nämlich nicht einfach nur registriert, sondern in vielfacher Weise bearbeitet und auf der Basis bereits vorhandener Hypothesen, Erwartungen und Intentionen interpretiert. Dies trifft auch für die interkulturelle Wahrnehmung zu. So entsteht die genannte Anfangsbegeisterung zu Beginn eines Auslandsaufenthalts nicht einfach nur dadurch, dass sich eine Fülle positiv erwarteter Erfahrungen anhäufen, sondern sie entsteht auch auf dem Hintergrund der in der Phase der Ausreisebefürchtungen aufgebauten Unsicherheiten, der antizipierten Probleme der Eingewöhnung und Anpassung, der vorweggenommenen Schwierigkeiten, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden und sich mit den Menschen in einer Sprache verständigen zu müssen, die man nicht perfekt beherrscht, oder in einer Sprache, die für die Gastlandbewohner und einen selbst gleichermaßen Fremdsprache ist. Auf dem Hintergrund all dieser phantasievollen Vorstellungen über das, was einem alles passieren kann, wenn man sich auf den Weg in das Gastland macht, wirkt das, was der Ausreisende in der ersten Phase erlebt, schon viel weniger © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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bedrohlich und dramatisch als erwartet. Das hängt zweifelsohne auch mit dem Verhalten der Gastlandbewohner zusammen, die in der Regel zunächst einmal freundlich, höflich und mit gespannter Erwartung sowie der Bereitschaft zum Smalltalk und zur Schaffung einer angenehmen, sozialkommunikativen Atmosphäre dem Fremden entgegentreten. Sobald diese Anfangsphase vorbei ist und der berufliche Alltag beziehungsweise der Lebensalltag beginnt, erfährt der Neuankömmling schnell, dass erstaunlich vieles nicht so verläuft, wie er das aufgrund seiner Anfangserfahrungen erwartet hat. In immer mehr Situationen verhalten sich immer mehr Kooperationspartner anders als erwartet, was zu erheblichen Orientierungsdefiziten führt. Der Grund liegt darin, dass die Wahrnehmung des Einreisenden und seiner Partner im Gastland von unterschiedlichen kulturspezifischen Orientierungssystemen bestimmt ist. Die interpersonale Wahrnehmung, die Kommunikation und Kooperation werden in der nun beginnenden kulturellen Überschneidungssituation, also einer Situation, in der für beide Partner die kulturspezifischen Prägungen relevant werden, handlungs- und erlebnisbestimmend. Genau dies ist das spezifisch Interkulturelle im Interaktionsgefüge der beteiligten Personen. Hinzu kommt, dass in den meisten Phasen interkultureller Begegnung Wahrnehmung, Kommunikation und Kooperation eng miteinander verschränkt sind, denn Kommunikation setzt immer die Wahrnehmung des Partners voraus und Kommunikation und Wahrnehmung sind unabdingbare Grundlagen jeglicher Form von Kooperation. Diese Verschränkung erfährt unter den Bedingungen interkultureller Begegnung noch spezifische Formen der Merkmalsausprägung.

1.6.2 Interkulturelle Wahrnehmung Die den Ausführungen in diesem Handbuch zugrunde liegende Definition von Kultur lautet (siehe Kap. I, 1.1, S. 21 ff.): Unter Kultur wird der vom Menschen geschaffene Teil der Umwelt verstanden. Kultur manifestiert sich immer in einem für eine Nation, Gesellschaft, Organisation oder Gruppe typischen Bedeutungs-/Orientierungssystem. Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen (zum Beispiel Sprache) gebildet und in der jeweiligen Gesellschaft, Organisation, Gruppe und so weiter tradiert. Das Orientierungssystem beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten, Empfinden und Handeln aller Mitglieder der Gesellschaft. Kultur strukturiert ein für die Bevölkerung spezifisches Handlungsfeld, das von geschaffenen und genutzten Objekten bis hin zu Institutionen, Ideen und Werten reicht.

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Von zentraler Bedeutung ist hier die spezifische Definition von Kultur als Orientierungssystem, das für die Menschen der jeweiligen Kultur eine bedeutungsstiftende Funktion hat. Dieses Orientierungssystem und seine bedeutungshaltigen Funktionen sind nicht angeboren, sondern werden im Lauf der individuellen Sozialisationsprozesse gelernt. Wenn man Sozialisation definiert als das Erlernen der in einer Gesellschaft sozial relevanten Normen, Werte, Überzeugungen und Verhaltensregeln, und das so vertiefend, dass dies alles allmählich als etwas Eigenes erlebt, also verinnerlicht wird (Internalisierung), so wird klar, dass der zentrale Prozess der Persönlichkeitsentwicklung immer nur kulturspezifisch erfolgt. Entscheidend ist die Verinnerlichung des kulturspezifischen Orientierungssystems, das so sehr zum persönlichen Ich wird und gehört, dass seine verhaltenssteuernden Funktionen und Wirkungen im normalen, alltäglichen Strom der Lebensereignisse nicht mehr wahrgenommen, geschweige denn reflektiert werden müssen. »Nur wer beim Erlernen der sozial relevanten Normen Werte, Überzeugungen und Verhaltensregeln ein hohes Maß an sozialer Kompetenz entwickelt hat, kann auch relativ konfliktfrei in dieser eigenen Gesellschaft leben und produktiv mit ihr umgehen. Er beherrscht das Zeichen- und Symbolsystem zur interpersonalen Verständigung so gut, dass er sich anderen mitteilen, seine Gedanken und Gefühle anderen Menschen verständlich machen und auf sie überzeugend und zielorientiert einwirken kann sowie zur konfliktfreien, unmissverständlichen Kommunikation in der Lage ist. Dazu gehört auch, dass er aus dem Gesamtkontext heraus die Wünsche, Ziele, Hoffnungen und Intentionen sowie die emotionale Befindlichkeitslage seiner Kommunikationspartner erahnt, erfühlt, erkennt und sich in deren Lage so einfühlen kann (Empathie), dass er ihren Wünschen und Erwartungen entsprechend zu reagieren in der Lage ist. Probleme entstehen für den Handelnden erst dann, wenn er auf Personen trifft, die über ein verbindliches Symbol- und Zeichensystem verfügen, das von dem seinen so bedeutsam abweicht, dass es häufig zu erwartungswidrigen Reaktionen seiner Partner kommt oder dass er häufiger das Gefühl hat, von seinen Partnern nicht verstanden oder missverstanden worden zu sein. . . . In diesen Fällen kommt es häufig und auch zwangsläufig zu Fehlwahrnehmungen, Fehlinterpretationen, Missverständnissen und Konflikten bei der Beobachtung, Interpretation und Attribution des Partnerverhaltens sowie in der Kommunikation und Kooperation mit neuen Partnern« (Thomas 2000, S. 231 f.). Die Hauptschwierigkeit für die an diesem interpersonalen Interaktionsprozess beteiligten Personen besteht darin, dass sie zwar merken, dass etwas nicht stimmt, dass der jeweils andere Partner sich nicht so verhält, wie man dies gewohnt ist beziehungsweise erwartet hat, dass sie im Regelfall aber © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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keine Möglichkeit haben, die Ursachen für diese Fehlwahrnehmungen und Fehlinterpretationen zu erkunden und zu erkennen. Die kulturspezifischen Orientierungssysteme, aus denen heraus die beiden Partner das Geschehen beobachten und interpretieren, sind nicht bewusstseinspflichtig, ihre steuernden Funktionen sind automatisiert, ihre Wirkungsweise zur Routine geworden und ihre Auswirkungen gehören in den Bereich der Selbstverständlichkeiten. Beide Partner gehen selbstverständlich davon aus, dass so, wie sie die Welt wahrnehmen, wie sie die Welt interpretieren und wie sie in dieser Situation handeln, es richtig ist (Wahrheitspostulat), gut ist (Gerechtigkeitspostulat), vernünftig ist (Rationalitätspostulat) und von allen Menschen so gemacht wird (Universalitätspostulat). In einer solchen Situation liegt es für beide Partner nahe, zunächst einmal anzunehmen, dass der Partner sich so verhält, wie man das erwartet. Tut er das nicht, liegt die Vermutung nahe, dass er irgendetwas nicht verstanden hat (es besteht Aufklärungsbedarf), es falsch macht, weil er das Richtige noch nicht beherrscht (Erziehungs- und Ausbildungsbedarf) oder es absichtlich anders macht, als man es richtigerweise machen muss (Kontrollbedarf). Also wird die Ursache für das erwartungswidrige Verhalten in der Person des Partners liegend vermutet (intrapersonale Kausalattribution) und als Unwissenheit, Unfähigkeit, Unwilligkeit interpretiert. Wiederholte Beobachtungen solcher erwartungswidriger Verhaltensweisen führen einerseits zu entsprechenden Verhaltensreaktionen und andererseits zum Aufbau verfestigter Einstellungen (Stereotype und Vorurteile) gegenüber dem Partner als Individuum, aber auch als Repräsentant seiner Zugehörigkeitsgruppe, zum Beispiel Arbeitseinheit oder Berufsgruppe in Verbindung mit dessen nationalen/kulturellen Zugehörigkeit. Ein weiterer wichtiger Faktor in der Organisation interkultureller Wahrnehmung sind spezifische Reaktionstypen gegenüber Anforderungen, die sich aus der interkulturellen Begegnungssituation ergeben. Menschen reagieren auf interkulturelle Situationen nämlich nicht gleichförmig, sondern erstaunlich unterschiedlich, was sich in vier Reaktionstypen charakterisieren lässt: – Der Ignorant: Für ihn ist jeder, der nicht so denkt und handelt wie er selbst, wie er es gewohnt ist und wie es aus seiner Sicht richtig ist, entweder dumm, unwillig oder unfähig. Wer sich nach allen erdenklichen Bemühungen immer noch »falsch« verhält, dem ist nicht zu helfen und der kommt als Partner nicht in Betracht. Kulturell bedingten Verhaltensunterschieden wird keine Bedeutung zugemessen. – Der Universalist: Er geht davon aus, dass Menschen auf der ganzen Welt im Grunde gleich sind. Kulturelle Unterschiede haben für ihn, wenn überhaupt, nur geringe Bedeutung. Er ist überzeugt, dass sich mit Freundlichkeit, Toleranz und Durchsetzungsfähigkeit alle Probleme © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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meistern lassen, wobei im Zuge der kulturellen Konvergenz sowie im »global village« alle kulturbedingten Unterschiede rasch verschwinden. – Der Macher: Dass kulturelle Einflüsse das Denken oder Verhalten bestimmen, ist für ihn nicht so wichtig. Entscheidend ist nach seiner Auffassung, dass man weiß, was man will, dass man klare Ziele hat, sie überzeugend vermitteln kann und sie durchzusetzen versteht. Wer das eigene Potenzial und den eigenen Wettbewerbsvorteil erkennt, zu nutzen und durchzusetzen versteht, ist unabhängig von der Kultur, in der er lebt oder in der er tätig ist, erfolgreich. – Der Potenzierer: Er geht davon aus, dass jede Kultur eigene Arten des Denkens und Handelns ausbildet, die von den Mitgliedern der jeweiligen Kultur gelernt und als richtig erkannt werden. In der internationalen Zusammenarbeit geht es darum, unterschiedliche Denk- und Handlungsweisen als handlungsrelevante Potenziale zu erkennen und ernst zu nehmen. Kulturelle Unterschiede können aufeinander abgestimmt und miteinander verzahnt synergetische Effekte erzeugen und so einen für beide Partner wünschenswerten Mehrwert erbringen. Von diesen Reaktionstypen ist eigentlich nur der Potenzierer derjenige, der kulturellen Unterschieden überhaupt eine Bedeutung beimisst und sich bemüht, sie ernst zu nehmen und produktiv mit ihnen umzugehen. Für den Ignoranten, Universalisten und Macher sind kulturbedingte Einflussfaktoren zu vernachlässigende Marginalien. In der wissenschaftlichen Literatur zu dieser Thematik wird noch ein weiteres, ebenfalls vierstufiges Modell diskutiert, in dem unterschiedliche Formen der Regulation interkultureller Divergenzen behandelt werden. Dieses Modell geht davon aus, dass kulturelle Unterschiede ernst zu nehmende Variablen in kulturellen Überschneidungssituationen sind, dass Menschen aber unterschiedliche Formen der Bewältigung sich daraus ergebender Probleme aufweisen: – Dominanzkonzept: Die eigenkulturellen Werte und Normen werden fremden Kulturen gegenüber als überlegen angesehen. Die eigenen Methoden der Konfliktbehandlung, des Krisenmanagements, der Problemlösungen und dergleichen werden als die besten, bewährtesten und sachgerechtesten bewertet und gegenüber anderen Lösungsformen durchgesetzt. Auf fremdkulturelle Partner wird so lange Anpassungsdruck ausgeübt, bis sie gelernt haben und bereit sind, sich in ihrem Verhalten den eigenen kulturellen Standards anzupassen. – Assimilationskonzept: Die fremdkulturellen Werte und Normen werden bereitwillig übernommen und in das eigene Handeln integriert. Die Anpassungstendenzen an die fremde Kultur können so stark sein, dass ein

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Verlust der eigenkulturellen Identität und der Wunsch nach einem nahezu völligen Aufgehen in der Fremdkultur dominiert. – Divergenzkonzept: Werte und Normen der eigenen und der fremden Kultur werden als bedeutsam und effektiv angesehen. Da aber viele Elemente sich als inkompatibel herausstellen und gehäuft zu Widersprüchen führen, kommt es zu unauflösbaren Divergenzen und ständigen Schwankungen zwischen beiden Kulturen. Dies führt besonders in der Anfangsphase der Zusammenarbeit zu Verunsicherungen des eigenen Werte-, Normen- und Verhaltenssystems und langfristig zu einer Reduzierung der Lebensqualität und Arbeitsproduktivität. – Synthesekonzept: Die kulturspezifischen Unterschiede werden als gleichberechtigte und wichtige Entwicklungspotenziale angesehen. Es wird angestrebt, bedeutsame Elemente beider Kulturen zu einer neuen Qualität zu verschmelzen, und zwar so, dass es nicht mehr zur Bevorzugung einer der beiden Kulturen kommt, sondern zu einer aus den Ressourcen beider Kulturen gewonnenen Neudefinition wichtiger Elemente, die dann für beide in der zukünftigen Zusammenarbeit normgebend werden. Auf der Grundlage eines handlungstheoretischen Modells des Erlebens und Verarbeitens von Fremdheitserfahrungen in kulturellen Überschneidungssituationen konnte von Layes (2000) ein Modell entwickelt werden, in dem sich drei Grundformen des Fremderlebens unterscheiden lassen (siehe Kap. I, 1.9, S. 138 ff.): – Zielorientierung: Hier richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Erschließung der sachlichen Ziele des Interaktionspartners. – Klärungsorientierung: Hier richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Erschließung der handlungsleitenden Konzepte des Interaktionspartners. – Beziehungsorientierung: Hier richtet sich die Aufmerksamkeit auf die situationsspezifischen Gedanken, Gefühle und Absichten des Interaktionspartners. Ungeklärt ist, ob es sich bei diesen Typologien um personenspezifische Reaktions- und Verarbeitungsmuster handelt, die immer dann aktiviert werden, wenn sich Anforderungen aus der Bewältigung kultureller Überschneidungssituationen ergeben, oder ob es sich mehr um bereichsspezifische Reaktionstypen handelt. Es wäre durchaus denkbar, dass ein und dieselbe Person bei kulturellen Überschneidungssituationen im Alltagsleben andere Reaktions- und Verarbeitungsformen bevorzugt als im Zusammenhang mit berufsbedingten kulturellen Überschneidungssituationen. In jedem Fall aber werden Prozesse der Wahrnehmungssensibilisierung, Wahrnehmungs-

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steuerung, Auswahl und Interpretation wahrgenommener Ereignisse davon beeinflusst. Gegen die bisherigen Ausführungen lässt sich einwenden, dass sie weniger die interkulturelle Wahrnehmung als vielmehr die fremdkulturelle Wahrnehmung thematisieren. Es wird weitgehend der Blick vom Handelnden auf den Vertreter einer fremden Kultur gerichtet beziehungsweise werden die Ausgangsbedingungen beim Handelnden in Bezug auf die Konfrontation mit einer fremden Kultur thematisiert. Interkulturelle Wahrnehmung im eigentlichen Sinn muss aber darin bestehen, dass sowohl die kulturell bedingten Besonderheiten der eigenen Wahrnehmungsprozesse wie auch der des fremdkulturellen Partners thematisiert und reflektiert werden. Eine diesbezügliche Fähigkeit kann sich aber erst entwickeln, wenn eine Sensibilisierung und ein erstes Reflektieren und Kontrastieren der eigenkulturellen Besonderheiten des Orientierungssystems und des spezifischen Orientierungssystems des fremdkulturellen Partners potenziell möglich sind und die Bereitschaft besteht, dies auch in konkretes Handeln umzusetzen. Erst wenn diese Bedingungen gegeben sind, ist es möglich, neben der Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden auch die sehr spezifische neuartige, gleichsam dritte Ebene wahrnehmbarer Reizkonfigurationen zu bewältigen (Krewer 1996).

1.6.3 Interkulturelle Kommunikation Da Kommunikation die wichtigste Form der sozialen Interaktion darstellt, kommt der interkulturellen Kommunikation auch in der Kulturbegegnung eine zentrale Bedeutung zu. Die sozialpsychologischen Forschungen über Kommunikationsmittel (sprachlicher und nichtsprachlicher Art), über Kommunikationskanäle (akustische, optische, taktile, interpersonale und medienvermittelte), über Kommunikationsbeziehungen (symmetrisch oder asymmetrisch) und über Kommunikationsfunktionen (Mitteilungs-, Darstellungs, Einfluss-, Macht- und Beziehungsfunktion) sind eine Quelle wichtiger Erkenntnisse zur Prüfung der kulturellen Determinanten in der Regulation kommunikativer Prozesse. So spielen zum Beispiel taktile Kommunikationskanäle zur Übermittlung bedeutungshaltiger Informationen in vielen Kulturen (zum Beispiel in Südamerika, Nordafrika, im Nahen Osten) eine weitaus größere Rolle als beispielsweise in der deutschen oder englischen Kultur. Interkulturelle Kommunikation bedeutet Kommunikation (Formen, Vermittlungsmöglichkeiten und Störungen) unter kulturellen Überschneidungsbedingungen, wobei die kulturellen Unterschiede der Partner maß-

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geblich das Kommunikationsgeschehen sowohl hinsichtlich der Ablaufprozesse als auch der Resultate beeinflussen. Im Prozess der interkulturellen Kommunikation werden insbesondere folgende psychische Wirkungen angeregt und besonders verstärkt: – Eine Auseinandersetzung mit Gefühlen der Fremdheit und Vertrautheit. – Ein Gefühl der persönlichen Betroffenheit, von dessen Intensität die Nachhaltigkeit der Wirkung früherer Erfahrungen auf zukünftiges Handeln in kulturellen Überschneidungssituationen abhängt. – Anforderungen an kognitive und emotionale Umstrukturierungen in der Wahrnehmung und Bewertung von Personen, Ereignissen und Symbolen. – Bedarf an sozialer Unterstützung zur Orientierung und Identitätssicherung. – Bedürfnis nach interpersonaler Konsistenz, was sich in einer Zunahme von Tendenzen zur Festigung kultureller Identität, sozialer Sicherheit und raum-zeitlicher Stabilität niederschlägt (siehe dazu Thomas 1989). Die psychisch bedeutsamen Konsequenzen interkultureller Kommunikation zeigen sich in folgenden Vorgängen: – Grenzerfahrungen bezüglich sprachlicher Kompetenz, Verhaltensroutinen und Gewohnheiten sowie Bewertungs- und Attributionsmustern. – Differenzierungs- und Variabilitätserfahrungen, die sich in fremdkulturellen Arten und Weisen der Bewältigung kommunikativer Anforderungen zeigen. – Konfrontationserfahrungen durch ungewohnte und neuartige Kategorisierungen und Etikettierungen seitens der fremdkulturellen Partner, wie zum Beispiel eine erstmalige Konfrontation mit der eigenen Nationalität und kulturellen Identität und deren Bewertung durch fremdkulturelle Partner. – Reflexionserfahrungen durch das erzwungene Aufbrechen eigenkultureller Gewohnheiten im Wahrnehmen, Denken und Handeln durch den Umgang mit fremdkulturell geprägten Partnern im Gastland. Wenn Menschen miteinander kommunizieren, gibt es nicht selten Missverständnisse aufgrund bestehender Informationsdefizite, unterschiedlicher Ziele und Erwartungen, subjektiver Befindlichkeitslagen und Situationsinterpretationen, die nicht zusammenpassen oder die nicht aufeinander abgestimmt sind. Meist werden die Ursachen für solche Missverständnisse schnell geklärt und behoben. Es gibt auch Gespräche, bei denen trotz aller Bemühungen um ein reibungsloses gegenseitiges Verstehen immer wieder ein latentes Gefühl des Nicht-richtig-Verstehens oder Falsch-Verstehens erhalten bleibt. Die Ursache wird dann in der Person des Partners, in seinen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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unverrückbaren Eigenarten, Persönlichkeitszügen, Marotten und Ähnlichem gesehen. Die Ursache für das Missverstehen wird also internal attribuiert, als Schwäche beziehungsweise Besonderheit der Person betrachtet mit der Konsequenz, dass man entweder versucht, diese spezifische Art des Partners zu tolerieren, eventuell auch zu ertragen, oder indem man den Kontakt wegen unüberwindbarer und unerträglicher Dissonanzen abbricht. In einer interkulturellen Begegnungssituation, in der Menschen aus unterschiedlichen Kulturen füreinander bedeutsam werden, miteinander kommunizieren und interagieren, treten solche Missverständnisse in der Kommunikation und Interaktion nicht nur häufiger auf als unter monokulturellen Bedingungen, sondern die Ursachentypologie ist auch uneinheitlicher. Sehr unterschiedliche Personen zeigen in ähnlichen Situationen ein übereinstimmend erwartungswidriges, ungewohntes und unverständliches Reaktions- und Kommunikationsverhalten. Wenn man Gespräche mit Menschen führt, die über langjährige eigene Erfahrungen in der Kommunikation mit Menschen einer spezifischen Fremdkultur verfügen, und wenn man sie im Rahmen teilstrukturierter Interviews systematisch über ihre Beobachtungen erwartungswidrigen Verhaltens befragt, stellt man fest, dass sie dazu neigen, ihre Beobachtungen auf einem relativ hohen Abstraktionsniveau in Form typischer und charakteristischer allgemeiner Merkmale und Eigenschaften zu kategorisieren. Es fällt ihnen offensichtlich schwer, Situationsabläufe und konkret erlebte Interaktionsvorgänge detailliert zu beschreiben, ihre Gefühle, Erwartungen und Überlegungen zu schildern, sich über die Handlungskonsequenzen und die Reaktionen ihres Partners klar zu werden und die daraus zu ziehenden Konsequenzen darzulegen. Die in der alltäglichen Kommunikation und Interaktion mit spezifischen fremdkulturellen Partnern gesammelten, im Detail immer konkreten Erfahrungen werden offensichtlich als konglomeriertes Erfahrungswissen auf dem Niveau kulturtypischer Merkmale erinnert und somit kommunizierbar. Es bedarf einer sorgfältigen Interviewführung, um verhaltensnah interkulturelle Interaktionssituationen geschildert zu bekommen, die für den befragten Beobachter deshalb problematisch verlaufen sind, weil er das Verhalten seines Interaktionspartners nicht erwartet hat, nicht verstanden hat, in der gegebenen Situation verunsichert wurde und Schwierigkeiten hatte, sich in dem Gesamtgefüge von Aktion und Reaktion seinen Gewohnheiten gemäß zu orientieren. Diese Besonderheiten interkultureller Kommunikation sind zentrale Grundlagen interkulturellen Lernens und interkultureller Kooperation. Im Zusammenhang mit dem Thema interkulturelle Kommunikation wird oft allein die Bedeutung der Sprache des Partners im Gastland thematisiert (siehe Kap. I, 1.5, S. 74 ff.). Viele vertreten die These, dass nur die perfekte Beherrschung der jeweiligen Fremdsprache interkulturelles Verstehen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ermöglicht und damit die fundamentale Voraussetzung für erfolgreiche und zufrieden stellende interkulturelle Begegnung schafft. Nun ist zweifelsohne die Beherrschung der Sprache der Gastlandbewohner eine Grundvoraussetzung dafür, dass interkulturelle Kommunikation auf hohem Niveau überhaupt stattfinden kann. Oft findet die interkulturelle Kommunikation aber eben nicht in der Sprache des Gastlandes statt, sondern in einer für beide Partner fremden Drittsprache, zum Beispiel Englisch. Selbst wenn man unterstellt, dass beide Partner die Drittsprache ausgezeichnet beherrschen, muss man davon ausgehen, dass die interkulturelle Kommunikation in diesem Fall schon nicht mehr auf einem sehr hohen Niveau möglich ist, da vieles von dem, was jemand seinem Partner aufgrund seines spezifischen Kulturverständnisses an Feinheiten übermitteln möchte, durch den notwendigerweise über eine Fremdsprache erfolgenden Informationsaustausch und die daran beteiligten De- und Enkodierungsprozesse verloren geht. In den meisten Fällen verfügen aber beide Partner nicht über ein gleich hohes Niveau an Fremdsprachenkompetenz und Fremdsprachenperformanz. Wenn ein Partner dem Anderen überlegen ist, was die Beherrschung der Drittsprache anbetrifft, entsteht ohne weiteres Zutun eine asymmetrische Beziehungsstruktur, die den einen in eine überlegene, den anderen in eine unterlegene Position bringt. Wenn dann der sprachlich Überlegene sich noch bemüht, durch sprachliche Vereinfachung und bruchstückhafte Ausdrucksweise dem Partner entgegenzukommen, wird dieses asymmetrische Beziehungsverhältnis noch weiter verstärkt mit gravierenden Folgen für einen auf Gleichheit und Ebenbürtigkeit angelegten Kommunikationsprozess. Unter solchen Umständen ist bei wichtigen Kommunikationsprozessen, zum Beispiel Vertragsverhandlungen, Konfliktmanagement, Einstellungs- und Potenzialfördergesprächen, selbst dann auf Dolmetscher zurückzugreifen, wenn beide Partner sich im Arbeitsalltag durchaus über die Drittsprache verständigen können. Das hier skizzierte asymmetrische Beziehungsverhältnis entsteht noch ausgeprägter immer dann, wenn ein Fremder im Gastland sich in der Muttersprache der Gastlandbewohner verständigen muss, weil diese seiner Sprache nicht mächtig sind und es ist allenfalls in den Fällen aufgehoben, in denen sein Partner im Gastland überzeugt ist, dass er eigentlich Kenntnisse der Sprache seines fremden Partners besitzen sollte, aber tatsächlich nur die eigene Muttersprache beherrscht, und dies auch als bedauerliches kommunikatives Defizit äußert. In all den bisher besprochenen Fällen geht es immer nur um die verbale Kommunikation. Von entscheidender Bedeutung für einen verständnisvollen und zufrieden stellenden Kommunikationsprozess ist aber ebenso eine für die beiden Partner nachvollziehbare und verständliche Form der nonverbalen Kommunikation. Hier zeigen sich ebenfalls deutliche kulturelle Unterschiede, die nicht nur als angenehme oder unangenehme, aber © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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durchaus gut erträgliche Begleitung des Kommunikationsprozesses wahrgenommen werden, sondern durchaus als belastend und Missverständnisse geradezu provozierend. Trifft der Vertreter einer Kultur, in der es üblich ist, die verbale Informationsübermittlung durch besonders ausdrucksstarke Gestik und Mimik zu unterstreichen, auf einen Partner aus einer Kultur, in der nur Wert auf den Inhalt der sprachlichen Kommunikation gelegt wird und in der Mimik und Gestik als unnötig und unbedeutende Begleitelemente betrachtet werden, so kann von diesem der Einsatz überstarker gestischer und mimischer Ausdrucksmittel als Versuch suggestiver Meinungsbeeinflussung oder als Versuch, Unfähigkeit und Inkompetenz in der Sache geschickt zu überspielen, wahrgenommen und interpretiert werden. Die Verwendung paralingualer Ausdrucksmerkmale, wie zum Beispiel Sprechpausen von spezifischer Dauer, werden von Vertretern der einen Kultur als Zeichen für einen anstehenden Sprecherwechsel und von Vertretern einer anderen Kultur als normaler Übergang zwischen zwei Sätzen wahrgenommen und interpretiert. In diesem Fall führt eine Fehlinterpretation der Bedeutung von Sprechpausen dazu, dass ein Partner erlebt, dass ihm der andere ständig das Wort abschneidet und ihn nicht aussprechen lässt. Er wird darauf mit Ärger reagieren, nichts mehr sagen und sich abwenden, wobei beide Partner höchstwahrscheinlich keine Chance haben, von sich aus das Missverständnis aufzuklären. Im Zusammenhang mit interkultureller Kommunikation, insbesondere der sprachlichen Vermittlung von Informationen, ist auch darauf zu achten, dass Kulturen generell und in spezifischen Interaktionsbereichen unterschiedlich hohen Wert auf über Sprache vermittelte Kommunikation legen (siehe Kap. I, 1.4, S. 60 ff.). Wenn es sich beispielsweise für Vertreter asiatischer Kulturen aufgrund des kulturspezifischen hohen Harmoniebedürfnisses verbietet, über emotional belastende und das soziale Beziehungsgefüge störende konflikthafte Begebenheiten ausführlich und öffentlich zu sprechen, in der Sorge, dass damit die schon beschädigte soziale Harmonie noch weiter gestört wird, so ist es in einigen europäischen und nordamerikanischen Kulturen geradezu üblich, angebracht und gefordert, bei der Lösung zwischenmenschlicher Konflikte ausführliche und tief gehende Gespräche über Ursachen, Wirkungen und Kompromissmöglichkeiten zur Lösung der anstehenden Konflikte unter den beteiligten Partnern zu führen. Es ist damit zu rechnen, dass sich Kulturen deutlich darin unterscheiden, ob sie vorwiegend die sprachliche Kommunikation als Mittel der gegenseitigen Verständigung einsetzen oder ob sie mit der sprachlichen Kommunikation sparsam umgehen und stattdessen nichtsprachliche, symbolträchtige Ausdrucksmittel in großer Variation einsetzen bis hin zum Schweigen. Vertretern aus einer den sprachlichen Dialog betonenden Kultur wird es schwer fallen, die Bedeutungshaltigkeit des Schweigens in inter© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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personalen Interaktionsvorgängen oder den Einsatz nichtsprachlicher Symbole (zum Beispiel Geschenke, Einladungsrituale, Ehrerbietungsrituale) zu verstehen und nachzuvollziehen. Oft fehlt schon die Sensibilität für die weitgehende Symbol- und Ausdruckshaltigkeit solcher Ereignisse. Aufgrund der gegebenen situativen Bedingungen verbietet sich meist aus Höflichkeit, Vorsicht und Rücksichtnahme eine Metakommunikation über die beobachteten Ablaufprozesse, die eventuell eine Klärung herbeiführen könnte. Alles bisher Genannte ist in der Regel nicht Gegenstand des Erlernens einer Fremdsprache, und es ist allein schon deshalb zu bezweifeln, dass das Erlernen und die Beherrschung einer Fremdsprache eine hinreichende Voraussetzung zum Kulturverständnis sind.

1.6.4 Interkulturelle Kooperation Unter Kooperation versteht man gemeinhin ein spezifisches Verhalten, das dazu dient, die Handlungsergebnisse und das Wohlergehen einer Gruppe oder eines Kollektivs zu maximieren oder auf hohem Niveau gegen Störungen abzusichern. Es geht im Kern immer darum, dass individuelle Leistungs- und Befindlichkeitsziele nur dann erreicht werden können, wenn mehrere Personen ihre Ressourcen so aufeinander abstimmen, dass sie die gewünschten Ergebnisse erzielen. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass Menschen danach streben, die eigenen Handlungsergebnisse zu verbessern und auf hohem Niveau zu sichern, dass sie dabei ihre eigenen Interessen verfolgen, aber darüber hinaus anstreben, das Wohl anderer, beispielsweise ihnen bedeutsamer sozialer Gemeinschaften, zu verbessern oder Gleichheit beziehungsweise Gerechtigkeit bei den Handlungsergebnissen zu erreichen. Zum Verständnis der Entwicklung und des Verlaufs kooperativer Handlungen in Gruppen ist die Interdependenztheorie (Kelley u. Thibaut 1978) von besonderer Bedeutung, die davon ausgeht, dass individuelles Handeln teilweise oder vollständig durch das Handeln anderer Personen oder Gruppen bestimmt ist, und ebenso die Art und Weise, in der einzelne Personen soziale Situationen verändern und interpretieren. So liefert die Interdependenztheorie einen Hinweis darauf, welche Merkmale für die wechselseitige Abhängigkeit von Handlungen zwischen Personen und Personengruppen von Bedeutung sind: Das Ausmaß der wechselseitigen Abhängigkeit bezieht sich auf die Fähigkeit des Individuums, eigene angestrebte gute Leistungsergebnisse nur durch darauf abgestimmte Handlungen anderer Personen zu erreichen. Wenn die Interdependenz in starkem Maß ausgeprägt ist, kann dies zu negativ bewerte-

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ten Gefühlen der Abhängigkeit und der Verpflichtung zu Gegenleistungen führen. Solche Gefühle der Verpflichtung sind eine handlungswirksame Voraussetzung für prosoziales Verhalten, sowohl im Hinblick auf die interpersonalen wie auch die formal-organisatorischen Beziehungen. In Bezug auf den interkulturellen Aspekt dieses Themas ist zu erwarten, dass Personen aus individualistischen Kulturen einerseits ein positiv zu bewertendes, ausgeglichenes Verhältnis zwischen einem gewissen Maß an wechselseitiger Abhängigkeit und damit verbundener sozialer Verpflichtung und andererseits einem bestimmten Maß an Unabhängigkeit, Eigenständigkeit und Freiheit zur Entscheidung für Handlungsalternativen anstreben. Demgegenüber werden Personen aus mehr kollektivistisch orientierten Kulturen aufgrund ihres spezifischen kulturellen Orientierungssystems viel stärker Interdependenzen und Abhängigkeiten von primären sozialen Kollektiven (Familie, Arbeitsorganisation, Abteilung, Arbeitsgruppe) und damit verbundene langfristige Orientierungen in Beziehung auf Verpflichtungsgefühle akzeptieren und fördern. Das Bedürfnis nach Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und individueller Wahlmöglichkeit für Alternativen wird demgemäß deutlich geringer ausfallen, zumindest im Verhältnis zu ihren primären sozialen Kollektiven. Die Wechselseitigkeit der Abhängigkeit bezieht sich auf das Ausmaß, in dem zwei Personen wechselseitig oder einseitig in Bezug auf das Erreichen angestrebter Handlungsergebnisse voneinander abhängig sind. Besonders im Zusammenhang mit symmetrischen und asymmetrischen Kontingenzund Machtbeziehungen (Jones u. Gerard 1967 in Thomas 1992, S. 16–18) ist dieser Aspekt von großer Bedeutung. Im interkulturellen Kontext werden die Kooperationsprobleme zwischen Personen aus unterschiedlichen Kulturen in Bezug auf den Faktor wechselseitige Abhängigkeit in der Regel überhaupt nicht wahrgenommen oder aber überschätzt. Wenn beispielsweise ein deutscher Unternehmer aus Kostengründen eine Produktionsverlagerung in ein Entwicklungsland plant und dies mit der Überzeugung verbindet, durch die wirtschaftliche Kooperation zwischen seinem Unternehmen und seinem Partnerunternehmen für das Entwicklungsland etwas Gutes zu tun, indem er sein »gutes« Geld und sein hoch entwickeltes Know-how in das Entwicklungsunternehmen investiert, dann ergibt sich allein daraus für alle folgenden kooperativen Handlungen ein so fundamentales einseitiges Abhängigkeitsverhältnis und Machtgefälle, dass die Stabilität der Beziehung hochgradig gefährdet ist. Auf der einen Seite erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Mächtige die einseitige Beziehung zu seinen Gunsten ausnutzt, und auf der anderen Seite entsteht die Gefahr, dass der Partner, ob berechtigt oder unberechtigt, den Eindruck gewinnt, ausgenutzt, unterdrückt und ungerecht behandelt zu werden. Bei aller grundsätzlichen Bereitschaft zur Kooperation, zur Toleranz und Akzeptanz gegenüber unterschiedlichen Macht- und Ressourcenpotenzialen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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und bei allem Willen, etwas Gemeinsames zu schaffen, bleiben die asymmetrischen Kontingenzbeziehungen ein schwer zu beseitigendes Gefährdungspotenzial für eine dauerhafte, tragfähige und für beide Seiten zufrieden stellende Kooperation. Die Übereinstimmung der Handlungsergebnisse bezieht sich auf das Ausmaß, in dem die Resultate der gemeinsamen Bemühungen übereinstimmen. Werden die Ergebnisse übereinstimmend wahrgenommen, so verstärkt dies Kooperationsmotive und fördert Gefühle des Vertrauens und die Bereitschaft, auf längere Sicht zusammenzuarbeiten. Wenn die Handlungsergebnisse nicht übereinstimmen, führt dies zur Aktivierung von wettbewerbsorientierten Motiven, Gefühlen des Misstrauens und endet in nicht kooperativen und eher wettbewerbsorientierten Verhaltensreaktionen. In der interkulturellen Zusammenarbeit erfordert es in den meisten Fällen einen gesonderten Aufwand, bezüglich der Beurteilung der Personen über die erreichten Handlungsergebnisse ein zufrieden stellendes Maß an Übereinstimmung zu erzielen. Es ist grundsätzlich damit zu rechnen, dass die Beurteilung der erreichten Ergebnisse kulturspezifisch beeinflusst ist. Wenn beispielsweise ein deutsches Tochterunternehmen im Ausland einen Bilanzgewinn ausweist, der im Wesentlichen auf Rationalisierungsmaßnahmen im Personalbereich zurückzuführen ist, so wird dies von der deutschen Unternehmensleitung unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten als Erfolgsbilanz gewertet, von der Leitung des ausländischen Tochterunternehmens dagegen womöglich sehr negativ beurteilt, weil Entlassungen in dieser Größenordnung, zumal im Bereich der langjährigen älteren Mitarbeiter, den in jener Kultur üblichen Gerechtigkeitsnormen und Regeln des mitmenschlichen Umgangs, zu denen die Hochachtung lang gedienter älterer Mitarbeiter gehört, zuwiderläuft. Da im Bereich der Ökonomie und der modernen Unternehmensführung die Dominanz der führenden Industrienationen bezüglich der Festsetzung von Normen und Bewertungsmaßstäben weltweit sehr groß ist und zudem ein erheblicher Anpassungsdruck auf Tochterunternehmen, insbesondere in Ländern der »Dritten Welt«, ausgeübt wird, fällt es den Unternehmensleitungen schwer, überhaupt Differenzen hinsichtlich der Bewertung von Kooperationsergebnissen wahrzunehmen, geschweige denn hinsichtlich ihrer Wirksamkeit auf das Kooperationsgeschehen zu berücksichtigen. Die Grundlage für die Abhängigkeit bezieht sich auf das Ausmaß, in dem die Handlungsergebnisse einer Person allein und ausschließlich durch die Handlung anderer Personen beeinflusst werden. Eine Handlungsbeeinflussung kann einerseits durch den Handelnden selbst, allein durch eine andere Person oder gemeinsam mit einer anderen Person stattfinden. Einseitige Handlungsbeeinflussung durch einen Partner zeigt sich in der Modalität der so genannten Schicksalskontrolle, wohingegen Handlungsbeeinflussung © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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durch einen selbst in Verbindung mit der Einflussnahme des Partners in der Modalität der gemeinsamen Handlungskontrolle auftritt. In der interkulturellen Kooperation tritt eine Schicksalskontrolle oft unbemerkt dann auf, wenn einer der beiden Partner dem anderen einen großen Gefallen erweist, zum Beispiel die behördliche Genehmigung zur Ansiedlung des geplanten Tochterunternehmens an dem gewünschten Standort erwirkt, die deutsche Unternehmensleitung unter der Annahme kooperativer Zielorientierung dies als eine Selbstverständlichkeit ansieht, wohingegen aus der Sicht des Partners hiermit eine Bindung des Tochterunternehmens an das Wohlwollen und Wohlergehen des ausländischen Partners geschaffen worden ist mit all den daraus abzuleitenden Konsequenzen für die zukünftige Kooperation. Im Kontext interkultureller Kooperation ist besonders auch aufgrund der bisherigen Darlegung über interkulturelle Wahrnehmung und interkulturelle Kommunikation zu beachten, dass eine ausschließliche und kurzfristig orientierte Motivation, die allein aus dem unmittelbaren Eigennutz gespeist wird, nicht effektiv sein kann (siehe Kap. I, 1.10, S. 149 ff.). Gemeinsame Handlungsergebnisse sind anzustreben, soll die Kooperation von Dauer und gegen Rückschläge und Widerstände abgesichert sein. Die Interdependenztheorie (Kelley u. Thibaut 1978) führt in diesem Hoch

Bedeutung, die den Handlungsergebnissen des Anderen beigemessen wird

Altruismus

Kooperation

Unterlegenheit

Individualismus

Masochismus

Wettbewerb

Nihilismus

Aggression Niedrig

Bedeutung, die den eigenen Handlungsergebnissen beigemessen wird

Hoch

Abbildung 5: Typologie sozialer Wertvorstellungen (nach McClintock 1972; aus Stroebe et al. 2001, S. 392)

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Kontext das Konzept der Transformation ein, basierend auf einer Typologie sozialer Wertorientierungen (siehe Abb. 5). Nach diesem Modell steht Kooperation im Kontrast zum Nihilismus und stellt die Form der sozialen Wertorientierung dar, die positive Handlungsergebnisse für den Handelnden selbst und seinen Partner anstrebt. Die treibenden Kräfte für den Prozess der Transformation, also der Abkehr von der Präferenz des alleinigen Eigeninteresses hin zur Orientierung an positiven Handlungsergebnissen für den Partner, sind folgende: – Überzeugungen über das Verhalten des Partners, basierend auf Vorinformationen, Erwartungen, Beobachtung der Partnerreaktionen auf eigene Kooperationsangebote, einer angenommenen Zielerwartungslogik in der Art, wie verbal kommuniziert wird, dem Eindruck von der Persönlichkeit des Partners und vorhandenen Informationen über seine Gruppenmitgliedschaft. – Merkmale der Beziehung beruhen auf persönlicher Zufriedenheit mit der Partnerbeziehung, dem Ausmaß an Vertrauen und Bereitschaft zu wechselseitiger Bindung und Verpflichtung et cetera. – Interpersonale Disposition beruht auf individuellen Wertorientierungen (siehe Abb. 5) sowie Vertrauen, Ehrlichkeit, Antizipation zukünftiger Konsequenzen. – Soziale Normen, die in einer Gesellschaft/Kultur vorherrschen, wie Verteilungsgerechtigkeit, prozedurale Gerechtigkeit, Gleichheitsnormen, Beitragsnormen und Bedürftigkeitsnormen. In der interkulturellen Kooperation muss man bei all diesen Transformationsprozessen als Voraussetzung für effektive Kooperation mit zum Teil erheblichen kulturbedingten Varianten rechnen. Das, was der Handelnde an analytisch-diagnostischem Aufwand zur Feststellung der Partnerabsichten, Partnerbereitschaften und wahrscheinlichen Entscheidungen und Verhaltensreaktionen aufwenden muss, ist weitaus umfänglicher und komplizierter als im Fall eines monokulturellen Kooperationsgefüges. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es in der interkulturellen Kooperation oft nicht allein um Individuen und deren Zielerreichung geht, sondern dass die Partner als Repräsentanten von Großgruppen handeln. Auf dieser makrosozialen Ebene gilt, dass die Kooperationsbereitschaft mit zunehmender Gruppengröße abnimmt, was auf zunehmende Anonymität in Großgruppen, erlebte Unfähigkeit, eigene Anstrengungen zur Wirkung zu bringen, und zunehmende Verantwortungsdiffusion zurückzuführen ist. Eine Förderung von Kooperation in Großgruppen ist möglich durch die Stärkung kooperationsfördernder sozialer Normen, Kommunikation über gemeinsame Ziele und Verpflichtungen sowie die Verstärkung des Wir-Gefühls. Diese kooperationsfördernden Maßnahmen sind aber im Prozess interkul© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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tureller Kooperation schwer zu verwirklichen, erfordern einen langen Weg und viele Versuche des Sich-einander-Annäherns und ein hohes Maß an kultureller Wertschätzung. Wenn Individuen als Repräsentanten von Gruppen miteinander interagieren, es also primär um Intergruppenbeziehungen geht – was in der interkulturellen Kooperation meist der Fall ist, weil bei allen kooperativen Handlungen immer die Eigengruppe im Vergleich zur Fremdgruppe mit thematisiert wird –, ist mit einem Diskontinuitätseffekt zwischen interindividuellem Verhalten im Vergleich zum Intergruppenverhalten zu rechnen (siehe Kap. I, 1.7, S. 117 ff.), was im Wesentlichen auf drei unterschiedliche Merkmale zurückgeht: – In Intergruppenbeziehungen besteht ein geringeres Maß an Vertrauen als in der Intragruppenbeziehung, bedingt durch die Furcht, von anderen Gruppen ausgebeutet zu werden. – Innerhalb der eigenen Gruppe gibt es ein höheres Niveau wechselseitiger Unterstützung, wenn die Eigengruppe auf Kosten der Fremdgruppe gestärkt werden soll. – In Intergruppenbeziehungen besteht eine im Vergleich zu interpersonalen Beziehungen stärkere Tendenz, die Verantwortlichkeit für unmittelbar selbstbezogenes Verhalten auf andere Personen abzuschieben, was ein geringeres Niveau der Identifikation zur Folge hat (Pemberton et al. 1996). Im Fall interkultureller Kooperation auf Gruppenebene werden zudem alle die aus der Theorie der sozialen Identität (Tajfel u. Turner 1986) bekannten sozialpsychologischen Einflussfaktoren wirksam, wie zum Beispiel der Faktor der Eigengruppenverzerrung, der dazu führt, dass der eigenen Gruppe größere Ressourcen und Kompetenzen zugewiesen werden als der anderen Gruppe. Von entscheidender Bedeutung für eine effektive interkulturelle Kooperation ist zweifelsohne das gegenseitige Vertrauen, sowohl in der interpersonalen Kooperationssituation wie auch in kooperativen Intergruppenbeziehungen. Vertrauen kann sich aus den Interaktionsbeziehungen allmählich herausbilden, es kann aber auch bei Interaktionsaufnahme und während der Interaktionsdurchführung ein Vertrauensvorschuss als Vorleistung in soziale Beziehungen eingebracht werden. Inwieweit sich Vertrauen entwickelt, verfestigt und steigert, ist in jedem Fall von spezifischen Lernprozessen abhängig. In der interkulturellen Kooperation bestehen die wichtigsten Funktionen des Vertrauens einmal in der Reduktion von Komplexität und zum anderen in der Erleichterung der Interaktion. Weiterhin führt ein hohes Maß an entwickeltem Vertrauen zu Verringerung von Angst, zu Selbstöffnung, zu psychischem Wohlbefinden, zu einer verringerten Konfliktneigung, zu © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Delegationsbereitschaft, zu wachsender Selbstsicherheit und zu einem gesteigerten Grad der Reziprozität des Vertrauens, das heißt, Vertrauen ruft Vertrauen beim Partner hervor. Es ist allerdings davon auszugehen, dass vertrauensbildende, -stärkende und -erhöhende Maßnahmen auf der Ebene verbaler und nonverbaler Kommunikation sowie in Zeichen und Symbolen sich von Kultur zu Kultur erheblich unterscheiden. Wenn zum Beispiel in der einen Kultur nach dem Motto gehandelt wird, »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«, in einer anderen Kultur, »Vertraue keinem Freunde, du habest ihn denn erkannt in der Not!« (Jesus Sirach 6,7) und wenn in einer weiteren Kultur gilt, »Vertrauen ist der Schlüssel zum Nächsten«, dann hat das Auswirkungen auf die Wahrscheinlichkeit des Gelingens oder Misslingens interkultureller Kooperation.

1.6.5 Leistungserfordernisse Interkulturelle Wahrnehmung beginnt damit, dass Menschen, die aufeinander aufmerksam werden und in gewisser Weise füreinander Bedeutung erlangen, sich ihrer kulturellen Zugehörigkeit bewusst werden. Aus dieser spezifischen interpersonalen Interaktionssituation ergeben sich besondere Anforderungen an die Informationsaufnahme und die damit zusammenhängenden Informationsverarbeitungsprozesse: – Unterscheidung zwischen vorwiegend persönlichkeitsspezifisch und kulturspezifisch determinierten Verhaltensmerkmalen. – Berücksichtigung unterschiedlich ausgeprägter kultureller Orientierungsmuster bei sich selbst und beim Partner im Prozess der Erwartungsbildung. – Feststellung, inwieweit das an sich selbst und dem Partner beobachtbare Verhalten schon allein oder vorwiegend durch die spezifische Interkulturalität der interpersonalen Begegnung bestimmt ist oder dem jeweiligen kulturspezifischen Orientierungssystem folgt. – Reflexion über Konvergenzen und Divergenzen zwischen dem eigenen Selbstbild und dem Bild, das der Partner von mir entwickelt hat, sowie dem von mir beim Partner vermuteten Fremdbild (Selbstbild, Fremdbild und vermutetes Fremdbild) und der spiegelbildlichen Konstellation beim Partner. – Kontrolle der handlungsrelevanten Attributionsprozesse zur Vermeidung zentraler Attributionsfehler: • Fundamentale Attributionsfehler: Das vom Partner gezeigte Verhal-

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ten wird primär auf die in seiner Person liegenden Ursachen zurückgeführt und nicht auf externe Einflussfaktoren. Akteur-Beobachter-Beeinflussung: Als Beobachter neigt man dazu, eher personal, und als Handelnder, eher situational zu attribuieren. Fehlerhafter Konsensuseffekt: Das eigene Verhalten wird als weit verbreitet und normkonform angesehen, das Verhalten des Partners aber als seltener vorkommend und unangemessen bewertet. Selbstwertdienliche Attributionsfehler: Die eigenen Erfolge werden der eigenen Person zugeschrieben, Misserfolge dagegen äußeren Umständen.

Interkulturelle Kommunikation umfasst alle Arten von Kommunikation zwischen Personen aus unterschiedlichen Kulturen. Die in der Kommunikation zwischen Menschen einer Kultur auftretenden Probleme gegenseitigen Verstehens werden in der interkulturellen Kommunikation noch verstärkt durch den Einsatz wechselseitig unbekannter verbaler und nonverbaler Symbole (zum Beispiel Fremdsprache, Körpersprache) und divergierender Bedeutungszuschreibungen bereits aus der eigenen Kultur bekannter Symbole (zum Beispiel Geschenke, Einladungen, Gefälligkeiten). Ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Sensibilität ist geboten, wenn in der interpersonalen Kommunikation erwartungswidriges Verhalten auftritt, wenn also zum Beispiel auf eine verbale Aktion eine verbale Reaktion erwartet wird, diese aber beim Partner ausbleibt, und dies nicht nur einmal, sondern wiederholt. In diesem Fall muss die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass mit diesem unerwarteten Schweigen eine durchaus bedeutungshaltige »Aktion« zum Ausdruck gebracht wird. Eine Aufklärung des Sachverhalts ist aber für Menschen, die es gewöhnt sind, über Kommunikationsprobleme zu sprechen, Informationen einzuholen und Erklärungen zu erfragen, sehr schwer. »Beredtes« und informationshaltiges Schweigen sind für sie Leerstellen, unverständliche »schwarze Löcher«, da sie die Kontextbedingungen in ihrer Symbolhaftigkeit für den Kommunikationsprozess nicht zu deuten verstehen. Probleme und Missverständnisse in der interkulturellen Kommunikation können aber nicht ohne weiteres durch den Einsatz metakommunikativer Akte bereinigt werden. Es ist nicht in allen Kulturen üblich und schicklich, sondern widerspricht sogar oft den sozialen Normen und der Etikette, ein Kommunikationsproblem beim Partner offen anzusprechen und mit ihm zu diskutieren. Ein solcher Versuch kann unter Umständen den Partner in Verlegenheit bringen, bei ihm den Eindruck erwecken, er habe einen Fehler begangen, ohne dass dies vom Initiator des metakommunikativen Akts beabsichtigt wurde. Unabhängig vom Grad der fremdsprachlichen Performanz sind für eine effektive interkulturelle Kommuni© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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kation ein hohes Maß an grundlegender kommunikativer Kompetenz, sozialer Aufgeschlossenheit, kommunikativer Beweglichkeit und Flexibilität sowie kommunikativer Variantenreichtum, Expressivität, eine ausgesprochene Sensibilität für Zwischentöne sowie die Fähigkeit und Bereitschaft zum Zuhören wesentliche Voraussetzungen. Eine besondere Anforderung in der interkulturellen Kommunikation stellt sich für jeden, der nicht nur versucht, den Partner zu verstehen, sondern für den es gleichzeitig bedeutsam ist, die eigenen Ziele, Wünsche und Erwartungen dem Partner gegenüber so überzeugend zu kommunizieren, dass dieser sie versteht, akzeptiert und bereit ist, auf sie einzugehen. Dabei geht es nicht um eine irgendwie geartete Anpassung, sondern um die Bewältigung des jeweils spezifischen Stellenwertes des Eigenen und des Fremden im Kommunikationsprozess. Dies stellt Anforderungen auf mindestens vier verschiedenen Ebenen: – Es muss geprüft werden, inwieweit das Eigene und das Fremde einander ähnlich sind (kulturelle Konvergenz), in welchem Maß Eigenes und Fremdes voneinander abweichen (kulturelle Differenz) und inwieweit Elemente des Eigenen und des Fremden nebeneinander bestehen können (kulturelle Kompatibilität). – Es muss geprüft werden, was vom Eigenen in Richtung auf das Fremde geändert werden kann. Die Frage lautet: Wie weit kann und sollte man sich dem Fremden anpassen? Keinerlei Anpassung und Anpassungsbereitschaft führt in der Regel zu direkten Konflikten mit dem Fremden. Ein solches Verhalten kann vom fremdkulturellen Partner als arrogant, hochnäsig, dominant und als abweisend empfunden werden. Eine völlige Anpassung an die fremde Kultur kann zur Karikatur werden und ins Lächerliche abgleiten, unabhängig davon, dass ein völliges Aufgehen in der fremden Kultur allein schon aufgrund der eigenkulturellen Prägung ausgeschlossen ist. – Es muss geprüft werden, wie das Fremde in Richtung auf das Eigene geändert werden kann, welche Möglichkeiten bestehen, den Fremden auf die eigenen Ziele und Verhaltensgewohnheiten so hinzuweisen und aufmerksam zu machen, dass er bereit ist, sie zu erkennen, anzuerkennen und sich ihnen eventuell anzunähern. Oft wird der Fremde direkt zur Anpassung gezwungen oder die Lebensverhältnisse im Gastland erzwingen eine Anpassung an die dort herrschenden Verhaltensgewohnheiten. – Es muss geprüft werden, welche produktiven und destruktiven Konsequenzen solche Änderungsbemühungen in Richtung auf das Fremde und in Richtung auf das Eigene haben. – Formen der Anpassung einerseits und der kulturellen Eigenständigkeit andererseits können in unterschiedlichen Lebensbereichen und Verhandlungsfeldern durchaus unterschiedlich stark ausgeprägt sein und © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nebeneinander existieren, beispielsweise als ein striktes Einhalten eigenkultureller Orientierungen und Gewohnheiten im privaten Lebensbereich und eine weitgehende Anpassung an fremdkulturelle Orientierungssysteme im beruflichen Handlungsfeld. Dies erfordert ein hohes Maß an Kenntnis und Fertigkeit im Umgang mit dem fremdkulturellen Orientierungssystem. Interkulturelle Kooperation erfordert eine ausreichend hohe Leistungsfähigkeit im Bereich der interkulturellen Wahrnehmung und interkulturellen Kommunikation. Die Hauptleistungsanforderungen bestehen darin, neben den eigenen Zielen auch die des Partners mit in die Handlungsplanung einzubeziehen, um so langfristig ein belastbares Vertrauensverhältnis aufzubauen. Dazu sind gezielte Sozialinvestitionen (Geschenke, Einladungen, Dankbarkeitsbezeugungen, soziale Unterstützung und Hilfeleistung, Ehrerbietung, Lob und Anerkennung) erforderlich, die gleichzeitig immer wieder auf ihre Angemessenheit und Effektivität hin reflektiert und kontrolliert werden müssen. Die Platzierung solcher Sozialinvestitionen erfordert ein hohes Maß an interkultureller Sensibilität, da sie einerseits sozial angemessen und akzeptabel sein müssen und andererseits Unabhängigkeit, Leistungsfähigkeit und Selbstwertgefühl des Partners nicht beeinträchtigen dürfen. Optimieren lässt sich interkulturelle Kooperation nicht allein durch »learning by doing«, also durch Aneinanderreihung von Praxiserfahrungen, sondern nur in Verbindung mit Ausbildung, Training und reflexiver Kompetenz.

Literatur Kelley, H. H.; Thibaut, J. W. (1978): Interpersonal Relations: A Theory of Interdependence. New York. Krewer, B. (1996): Kulturstandards als Mittel der Selbst- und Fremdreflexion in interkulturellen Begegnungen. In: Thomas, A. (Hg.), Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen. Layes, G. (2000): Grundformen des Fremderlebens – eine Analyse von Handlungsorientierungen in der interkulturellen Interaktion. Münster. McClintock, C. G. (1972): Social motivation – a set of propositions. Behavioral Science 17: 438–454. Pemberton, M. J. et al. (1996): Memory for and experience of differential distrust of individuals and groups. Journal of Personality and Social Psychology 71: 953–966. Stroebe, W. et al. (2002): Sozialpsychologie. Berlin. Tajfel, H.; Turner, J. (1986): The social identity theory of intergroup behaviour. In:

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Worchel, S.; Austin, W. G. (Hg.), Psychology of Intergroup Relations. Chicago, S. 7–24. Thomas, A. (1989): Kulturelle Bedingungen. In: Roth, E. (Hg.), Enzyklopädie der Psychologie, Band 3: Organisationspsychologie. Göttingen, S. 186–201. Thomas, A. (1992): Grundriss der Sozialpsychologie. Band 2: Individuum – Gruppe – Gesellschaft. Göttingen. Thomas, A. (2000): Group Effectiveness: A Balance between Heterogeneity and Homogeneity. In: Stumpf, S.; Thomas, A. (Hg.), Diversity and Group Effectiveness. Lengerich.

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Gabriel Layes: Interkulturelles Identitätsmanagement

Gabriel Layes

1.7 Interkulturelles Identitätsmanagement

Der Begriff »Kultur«, wie er in den ersten Kapiteln eingeführt worden ist, verweist auf eine Gruppe von Menschen, die sich in bestimmten Aspekten ihres Denkens, Fühlens und Handelns sehr ähnlich ist und sich darin gleichzeitig von anderen Gruppen von Menschen unterscheidet. Wie bereits deutlich gemacht worden ist, kann sich die Größe solcher Gruppen durchaus unterscheiden. Wir haben gesehen, dass es sinnvoll ist, beispielsweise Nationalkulturen von Organisationskulturen zu unterscheiden (siehe Kap. I.1., S. 32 ff.). Man könnte an dieser Stelle noch weiter gehen und sagen, dass es auch sinnvoll sein kann, noch kleinere kulturelle Einheiten einzuführen, wie zum Beispiel Regionalkulturen oder Familienkulturen. So verstanden ist die Unterscheidung von Kulturen immer auch eine Unterscheidung von bestimmten Gruppen. In komplexen Gesellschaften gehört jeder Mensch sehr vielen solcher Gruppen gleichzeitig an: Jemand ist beispielsweise gleichzeitig »Deutscher«, »Wessi«, »Steuerzahler«, »Autofahrer«, »Kommunalpolitiker« et cetera und ist somit durch recht unterschiedliche soziale Merkmale identifizierbar. Als Autofahrer ärgert er sich zum Beispiel möglicherweise über eine Radarfalle in einer fremden Stadt und kämpft als Kommunalpolitiker für eine Tempo-30-Zone in seinem heimischen Wohngebiet. Dieselbe Person kann sich somit in verschiedenen Situationen ganz unterschiedlich definieren und sich in Abhängigkeit davon auch durchaus unterschiedlich beziehungsweise sogar widersprüchlich verhalten. Psychologisch ausgedrückt ist es bisweilen gar nicht so einfach, angesichts der vielen Gruppen, denen man angehört, die vielfältigen Interessen, Rollen und Einstellungen innerhalb der eigenen Person zu einer konsistenten Identität zu vereinen. Da in verschiedenen Situationen unterschiedliche Identitätsanteile aktiviert werden, ist jeder nahezu permanent gezwungen, zwischen diesen verschiedenen Identitätsanteilen zu vermitteln. Dieser Vermittlungsprozess lässt sich auch als Identitätsmanagement bezeichnen. Beschränkt man den Kulturbegriff nicht auf Großgruppen wie Nationen oder Organisationen, dann spiegeln sich in den Identitätsanteilen jeder einzelnen Person die Denk- und Handlungsschemata unterschiedlicher Kulturen wider, zwischen denen vermittelt werden muss. Insofern ist Identitätsmanagement auch als interkulturell zu bezeichnen.

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Erfolgreiches Identitätsmanagement führt zur Ausbildung eines Selbstbildes. Das Selbstbild umfasst nicht nur die Vorstellungen darüber, welchen Gruppen man angehört und welche Denk- und Handlungsschemata in diesen Gruppen vorherrschen, sondern alle Vorstellungen zur eigenen Person, wie zum Beispiel die eigenen Wünsche, Werte, Ziele, Motive, Fähigkeiten, Einstellungen. Wie jeder von sich weiß, bilden solche Vorstellungen über die eigene Person kein starres Gefüge, aus dem bestimmte Informationen jederzeit abrufbar sind. Die eigenen Wünsche, Werte, Ziele können sich im Lauf des Lebens zum einen teilweise dramatisch verändern und zum anderen ist es oftmals gar nicht so einfach anzugeben, welche Werte man hat, welche Ziele man verfolgt oder durch welche Motive das eigene Handeln bestimmt wird. Die Gründe für solche Schwierigkeiten sind darin zu sehen, dass der Aufbau eines Selbstbildes nicht in der Feststellung faktischer Gegebenheiten besteht, sondern dass es sich dabei um eine Konstruktionsleistung handelt, bei der der eigene Handlungsvollzug interpretiert und in einen übergeordneten Sinnzusammenhang gebracht wird. Der Aufbau eines Selbstbildes ist somit psychologisch gesehen eine anspruchsvolle Interpretations- und Konstruktionsleistung, die im Lauf des Lebens immer wieder neu erbracht werden muss. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass diese Leistung keine isolierte Angelegenheit jeder einzelnen Person ist, sondern dass sich die kulturelle Umwelt in hohem Maß an der Konstruktion des Selbst beteiligt. Sie tut dies, indem sie dem einzelnen bestimmte Wünsche, Werte, Ziele et cetera nahe legt. Besonders deutlich zeigt sich dies an den verschiedenen Phasen, die im Rahmen eines klassischen »westlichen« Lebenslaufs durchlaufen werden: Von der Geburt bis zum Schuleintritt werden dem Kind die kulturellen Vorstellungen der heimischen Familie nahe gebracht; deren Einfluss nimmt in der Folge ab bis hin zu einem Zeitpunkt, zu dem eine bestimmte Jugendkultur zum wichtigsten Einflussfaktor für das Selbstbild eines Heranwachsenden werden kann. Ein anderes Beispiel, an dem der starke Einfluss bestimmter kultureller Kontexte auf die Ausbildung des Selbstbildes sichtbar wird, ist die teilweise dramatische Veränderung von Einstellungen und Werten bei Personen, die längere Zeit im Ausland gelebt haben. In einem sehr bekannt gewordenen Artikel vertreten die beiden Wissenschaftler Hazel Rose Markus und Shinobu Kitayama (1991) die Auffassung, dass ein ganz grundlegender Unterschied der Selbstbilder von Personen in westlichen und nichtwestlichen Kulturen darin besteht, wie das Verhältnis von sich selbst zur sozialen Umwelt wahrgenommen wird. Nach Markus und Kitayama sehen westliche Menschen sich selbst als ein mit bestimmten Eigenschaften ausgestattetes autonomes Ganzes, das von dem umgebenden sozialen Kontext klar und eindeutig abgegrenzt ist. Eine solche Sicht der eigenen Person ist sehr eng mit dem verwandt, was Geert Hofstede in sei© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Gabriel Layes: Interkulturelles Identitätsmanagement

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nem Kulturdimensionen-Modell als »Individualismus« bezeichnet (siehe Kap. I, 1.4, S. 62). Das Selbstbild, das Personen aus individualistischen Kulturen besitzen, bezeichnen Markus und Kitayama als unabhängiges Selbst, und stellen ihm das so genannte verflochtene Selbst gegenüber, das ihrer Auffassung nach dem Selbstbild von Personen aus kollektivistischen Kulturen entspricht. Die Verflechtung des Selbst mit der sozialen Umwelt wird hier als wesentlich enger angesehen, als dies beim »unabhängigen Selbst« der Fall ist, wie auch Abbildung 6 verdeutlicht. Die einzelnen Identitätsanteile sind durch »x« gekennzeichnet und beim unabhängigen Selbst vom sozialen Kontext klar abgegrenzt. Demgegenüber sieht sich das verflochtene Selbst als Teil seines sozialen Kontextes und somit in diesen hineinverwoben. Dabei wird das Selbst nicht als abgeschlossenes psychisches Ganzes gesehen, das »immer schon« vorhanden ist und zu dem die soziale Umwelt einfach nur hinzutritt. Stattdessen wird das Selbst als ein Konstrukt angesehen, das aus der Interaktion mit dem sozialen Kontext gebildet wird. Eine konkrete Beschreibung einer solchen Sicht des Selbst findet sich bei Sugitani (1996), die das Hineinverwobensein des Selbst in soziale Beziehungsgefüge aus einer japanischen Perspektive beschreibt.

Abbildung 6: Konzeptionen des Selbst nach Markus und Kitayama (1991, S. 226)

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Grundlagen: Theoretische Grundlagen

Der Aufbau eines Selbstbildes und somit einer eigenen Identität bedeutet gleichzeitig immer auch die Abgrenzung der eigenen Person und der eigenen Gruppe gegenüber fremden Personen und fremden Gruppen. Entsprechend besitzt man nicht nur ein Selbstbild über die eigene Person, sondern auch Fremdbilder über andere Menschen. Je näher man einen anderen Menschen kennt, desto ausdifferenzierter ist in aller Regel dieses Fremdbild. So gehören beispielsweise die Fremdbilder über seine Eltern oder seinen Lebenspartner wahrscheinlich zu den ausdifferenziertesten, über die man überhaupt verfügt. Trotzdem decken sich diese Fremdbilder nie völlig mit den Bildern, die die anderen von sich selbst haben, und erreichen auch nie deren Differenzierungsgrad. Wenn es somit bereits bei nahe stehenden Personen nicht gelingt, ein Fremdbild auszubilden, das dem Differenzierungsgrad ihres eigenen Selbstbildes entspricht, so kann man ermessen,wieviel gröber unsere Fremdbilder von solchen Menschen sind, die wir nicht kennen beziehungsweise von denen wir nur eine sehr vage, schemenhafte Vorstellung besitzen, weil sie geographisch, politisch, wirtschaftlich et cetera unter völlig anderen Bedingungen leben als wir selbst. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass dann, wenn es zu Begegnungen zwischen Menschen kommt, die einander sehr fremd sind, die jeweiligen Selbst- und Fremdbilder aufeinanderprallen und zu interkulturellen Konflikten führen können. Hinzu kommt, dass bei solchen Begegnungen jede Seite Vermutungen darüber besitzt, wie sie von den jeweils anderen wahrgenommen wird; psychologisch spricht man hier vom vermuteten Fremdbild. Im Rahmen eines Forschungsprojekts, in dem die interkulturellen Aspekte von Auslandseinsätzen der deutschen Bundeswehr untersucht wurden, haben Thomas, Kammhuber und Layes die Selbst- und Fremdbilder sowie die vermuteten Fremdbilder von deutschen Soldaten und einheimischen Somalis analysiert. Der Ausschnitt aus den Untersuchungen macht das Auseinanderklaffen der jeweiligen Vorstellungen sehr deutlich (Thomas et al. 1997, S. 48 f.; s. Tab. 2). Das interkulturelle Konfliktpotenzial, das in so unterschiedlichen gegenseitigen Vorstellungen und daraus resultierenden Erwartungen steckt, ist offenkundig. Daneben zeigt dieses Beispiel aber auch noch andere Merkmale von Selbst- und Fremdbildern auf. So etwa die erstaunliche Tatsache, dass man Fremdbilder sogar von solchen Menschen besitzt, denen man noch nie begegnet ist oder über die man nur vage Kenntnisse vom Hörensagen besitzt. Auch wer noch nie etwas mit den entsprechenden Personen zu tun hatte, meint beispielsweise zu wissen, dass Schotten geizig sind, Japaner höflich und Südamerikaner emotional. Solche Fremdbilder, in denen große Personengruppen auf wenige Merkmale reduziert werden, bezeichnet man als Stereotype. Kaum jemand wird von sich behaupten, dass er völlig frei von solchen stereotypen Vorstellungen über bestimmte Personengruppen ist. Zunächst ist dies auch nicht zu verurteilen: Niemand hat © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Gabriel Layes: Interkulturelles Identitätsmanagement

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Tabelle 2: Selbstbild und Fremdbild Selbstbild der deutschen Soldaten

Fremdbild der Somalis

Die Vereinten Nationen, die Vertretung der Weltgemeinschaft, schicken uns hierher, um humanitäre Hilfe zu leisten und den Frieden zu sichern. Wir kommen mit viel Geld, technischem Gerät und Know-how. Wir mussten viele politische Hürden überwinden, um hier zu sein, und bringen zahlreiche materielle und immaterielle Opfer. Wir werden den Friedensauftrag erfüllen können.

Diese Soldaten kommen aus geographisch begünstigten Gebieten der Erde und haben deshalb Geld und Material im Überfluss. Man muss sich vor ihnen in Acht nehmen, denn dieser Einsatz bringt ihnen sicher irgendeinen Vorteil, den sie uns verheimlichen. Möglicherweise wollen sie uns wieder übers Ohr hauen, wie damals in der Kolonialzeit, oder uns mit irgendwelchen Verhaltensvorschriften aus der Bibel traktieren, an die wir uns halten sollen, sie selbst aber nicht.

Fremdbild der deutschen Soldaten

Selbstbild der Somalis

Die Somalis leben in einem wirtschaftlich und kulturell rückständigen Land. Sie sind daher im Grunde genommen nur zu bedauern, zumal sie sich jetzt auch noch in sinnlose kriegerische Auseinandersetzungen verstrickt haben, deren Folgen sie gar nicht absehen können. Sie sind daher auf unsere Hilfe dringend angewiesen.

Wir sind eine starke und zivilisierte Nation und insofern vielen anderen Nationen überlegen. Es gelingt uns in vorbildlicher Weise, die Pflege unserer traditionellen Werte mit einem fortschrittlichen kulturellen Wandel zu verbinden.

Vermutetes Fremdbild der deutschen Soldaten

Vermutetes Fremdbild der Somalis

Die Somalis werden wissen, dass wir aus einem technisch hoch entwickelten reichen Land kommen, so dass wir ausreichend qualifiziert sind, um hier den Frieden zu sichern. Sie werden uns große Dankbarkeit dafür entgegenbringen, dass wir bereit sind, diese Hilfe zu leisten.

Wahrscheinlich halten uns diese Soldaten wie die früheren Kolonialherren für arme, ungebildete und rückständige Menschen, die man zivilisieren und missionieren muss, weil ihre Kultur minderwertig ist und sie allein nicht klar kommen, sondern sich immer tiefer in Probleme verstricken.

die Kapazität, sich über jede fremde Nation, Gruppe oder gar Einzelperson ein Bild zu machen, das in seiner Komplexität dem Selbstbild der jeweiligen Personen oder Gruppen entspricht. Um nicht handlungsunfähig zu werden, kann es sich niemand leisten, alle Aspekte der Welt permanent mit maximaler Differenziertheit wahrzunehmen. Insofern ist die Neigung, unbekannte und vielschichtige Bereiche zunächst in grobe Kategorien einzuteilen, eine grundlegende Eigenschaft menschlicher Wahrnehmung. Äußerst problematisch ist allerdings, wenn man sich der Vorläufigkeit und Undifferenziertheit von Stereotypen nicht mehr bewusst ist. Dann kann es schnell passieren, dass aus Stereotypen Vorurteile werden. Bei Vorurteilen handelt es sich psychologisch gesehen um eine bestimmte Klasse sozialer Einstellungen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie – genau

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Grundlagen: Theoretische Grundlagen

wie Stereotype – sehr einfache Aussagen beinhalten, die auf einem Minimum an persönlicher Erfahrung basieren, darüber hinaus sehr negative Bewertungen beinhalten und auch durch differenzierte Zusatzinformationen kaum zu ändern sind. Wie der Psychologe Henri Tajfel (1982) gezeigt hat, bilden sich solche negativ bewerteten Stereotype über andere Menschen sehr schnell. Wie er in seiner »Theorie der sozialen Identität« darlegt, neigen Menschen dazu, fremden Personen und Gruppen negative Eigenschaften zuzuschreiben, um auf diese Weise bei sich selbst eine positive soziale Identität aufrechterhalten zu können. Insofern kann man die obige Gegenüberstellung auch als Beispiel für positives soziales Identitätsmanagement ansehen, bei der aus Sicht der deutschen Soldaten die Eigengruppe aufgewertet (selbstlos, kompetent etc.) und die Fremdgruppe im gleichen Zug abgewertet (rückständig, hilfsbedürftig etc.) wird. Der gleiche Prozess vollzieht sich auf der anderen Seite auch bei den Somalis, die sich selbst als souverän und fortschrittlich definieren und der deutschen Fremdgruppe negative Eigenschaften wie Hinterlist und Bigotterie zuschreiben. Wer also im Zuge seines Identitätsmanagements von der Richtigkeit und Angemessenheit seines eigenen Verhaltens überzeugt ist, der läuft Gefahr, fremdes Verhalten dementsprechend als unangemessen, lückenhaft und falsch anzusehen. Dies ist der erste Schritt in Richtung eines Vorurteils. Es kann sich dann durch so genannte selbst erfüllende Prophezeiungen noch weiter verfestigen: Wer zum Beispiel über das Stereotyp verfügt, dass Amerikaner oberflächlich sind, der wird vielleicht nie versuchen, mit einem Amerikaner ein persönliches, tiefgründiges Gespräch zu führen, und gibt ihm so nicht die Chance zu zeigen, dass er auch anders als »oberflächlich« kommunizieren könnte. Das eigene Stereotyp wird auf diese Weise gewissermaßen selbst bestätigt. Eine ehemalige Vermutung ist auf diese Weise zur persönlichen Überzeugung geworden und ist als solche nur noch schwer zu ändern, zumal man nun sogar von sich behaupten kann, dass das Urteil auf persönlicher Erfahrung beruht. Es wird deutlich, dass Stereotype und Vorurteile deshalb so verbreitet und so schwer zu verändern sind, weil sie eine ganze Reihe positiver Effekte für die eigene Identität besitzen: Sie ermöglichen Orientierung in einer komplexen sozialen Welt, sie verhindern eine Bedrohung des eigenen Selbstwerts durch fremde Personen und Gruppen, sie verschaffen ein Zugehörigkeitsgefühl zu positiv bewerteten sozialen Gruppen und sie legitimieren aversives Verhalten gegenüber den Mitgliedern einer Fremdgruppe. Wer aus beruflichen Gründen sehr viel mit Menschen aus anderen Kulturen in Kontakt kommt, hat möglicherweise das Gefühl, dass er dadurch © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Gabriel Layes: Interkulturelles Identitätsmanagement

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gegen den Aufbau von Vorurteilen gefeit ist. Die psychologische Forschung hat allerdings gezeigt, dass dies nicht richtig ist und im Gegenteil der bloße Kontakt zu anderskulturellen Menschen Vorurteile oftmals sogar verstärkt. Grund hierfür ist das bereits erwähnte Phänomen, dass Menschen dazu neigen, beim Beobachten anderer Menschen in besonderer Weise auf solche Verhaltensweisen zu achten, durch die sich vorgefasste Meinungen bestätigen lassen. Macht man die entsprechenden vorurteilskonformen Beobachtungen beim Kontakt mit fremden Personen dann tatsächlich, so fühlt man sich in seiner Meinung bestätigt und vertritt sie nach dem Motto »Ich habe es selbst erlebt!« von nun an noch überzeugter, als man dies vor dem tatsächlichen Kontakt getan hätte. Der erfolgreiche Abbau von Vorurteilen ist aber nicht unmöglich. Die wissenschaftliche Forschung hat bestimmte Bedingungen identifiziert, durch die bei interkulturellen Kontakten ein vorurteilsfreies Klima gefördert beziehungsweise behindert wird: – Kooperation statt Wettbewerb. Durch Kooperation zwischen den sich begegnenden Personen wird der Abbau von Vorurteilen begünstigt, durch Wettbewerb wird er behindert. Dies hat damit zu tun, dass eine Hauptursache für Vorurteilsentstehung die menschliche Neigung ist, alle Personen in Eigen- und Fremdgruppenmitglieder einzuteilen. Solche Unterscheidungen werden durch Wettbewerbssituationen noch weiter verschärft. Wen man zur Eigen- und wen man zur Fremdgruppe zählt, hängt von subjektiv gewählten Unterscheidungskriterien ab. Das Unterscheidungskriterium der Nationalität liegt oftmals schon aufgrund äußerlicher Auffälligkeiten wie zum Beispiel Hautfarbe nahe und wird deshalb häufig gewählt. Das gilt besonders dann, wenn wenig über den anderen bekannt ist. Findet dagegen eine Kooperation zwischen den Partnern statt, so fallen oft Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten auf, die dazu führen können, dass der Nationalitätsunterschied weit weniger schwer wiegt als die Gemeinsamkeiten in anderen Bereichen. Auf diese Art kann ein Fremder zu einem Eigengruppenmitglied werden. – Statusähnlichkeit. Der Abbau von Vorurteilen wird begünstigt, wenn die sich begegnenden Personen einen gleichen oder ähnlichen ökonomischen und sozialen Status aufweisen. Gerade diese Statusähnlichkeit ist oftmals von vornherein nicht gegeben, wenn Personen aus EU-Ländern oder Nordamerika in wirtschaftlich ärmere Länder reisen. So rät beispielsweise ein indonesischer Diplomat seinen deutschen Kollegen: »Wenn Deutsche nach Indonesien kommen, dann sollten sie sich der Tatsache bewusst sein, dass sie normalerweise größer, lauter, besser ausgebildet und reicher sind als vergleichbare Indonesier. Sie sollten sich dessen bewusst sein, dass schon diese Faktoren dazu führen können, dass sie als arrogant wahrgenommen werden, und dass dieser Eindruck © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sehr leicht durch entsprechendes Verhalten verschärft werden kann« (Thomas et al. 1998, S. 284). Enger statt oberflächlicher Kontakt. Je oberflächlicher der Kontakt zwischen den Personen aus den verschiedenen Kulturen ist, desto eher droht die Gefahr einer scheinbaren Bestätigung und somit Verfestigung von Vorurteilen. Je enger und intensiver der Kontakt ist, desto eher besteht die Chance zu einer unverzerrten und differenzierten Wahrnehmung des Partners. Positives soziales Klima. Der Abbau von Vorurteilen wird begünstigt, wenn die Kontakte in einem sozialen Klima stattfinden, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die relevanten Bezugsgruppen und die Gesellschaft interkulturelle Kontakte wünschen, forcieren und positiv bewerten. Kontaktförderliche Vorbilder. Vorurteilsabbau wird auch dadurch gefördert, dass kontaktfreudige und kontaktfähige Personen vorhanden sind, die in vorbildhafter Weise interkulturell handeln und somit über ein Modelllernen handlungswirksam werden. Überlappende Kategorisierungen. Da bei interkulturellen Begegnungen die Kategorisierung in »Wir« (z. B. die Deutschen) und »ihr« (die anderen) zunächst oftmals unvermeidbar ist und sich gleichsam automatisch vollzieht, wirkt es der Vorurteilsbildung entgegen, wenn die Möglichkeit besteht, so genannte Drittkategorien zu bilden. Dabei handelt es sich um solche Kategorien, zu denen Teile beider Gruppen gehören, wodurch eine einseitig nationalkulturelle Gruppenbildung durchbrochen werden kann. So ist beispielsweise denkbar, dass sich bei einem deutsch-französischen Jugendlager die Gruppe der »Tennisspieler« herausbildet, die für ihre Mitglieder stärker identitätsstiftend ist als die nationale Zugehörigkeit. Keine extrem negativen gegenseitigen Einstellungen. Wenn die gegenseitigen Einstellungen zu wichtigen Themenfeldern nicht zu negativ sind, wird der Abbau von Vorurteilen begünstigt. Der Abbau von Vorurteilen wird naheliegenderweise dann fast unmöglich, wenn vor der Begegnung bereits extrem negative gegenseitige Einstellungen vorhanden sind, wenn beispielsweise Rechtsextreme aus zwei verfeindeten Ländern aufeinandertreffen.

Wer beruflich viel mit Menschen aus anderen Kulturen in Kontakt kommt, kann anhand solcher Kriterien prüfen, inwieweit sich seine eigenen interkulturellen Kontakte in einem vorurteilsfreien Klima vollziehen beziehungsweise an welchen Stellen man aufpassen muss, nicht das Opfer der eigenen Vorurteile zu werden. Für Personen, die beruflich im Bereich der interkulturellen Pädagogik tätig sind, wird hierdurch aufgezeigt, welche © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Gabriel Layes: Interkulturelles Identitätsmanagement

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Bedingungen beispielsweise im Rahmen von internationalen Jugendbegegnungen realisiert werden sollten, um die stattfindenden Interaktionen zu solchen Begegnungen werden zu lassen, die Vorurteile nicht verstärken, sondern tatsächlich abzubauen helfen. Oft ist allerdings auch das Bewusstmachen der Präsenz und der Funktionsweise von Vorurteilen eine wichtige Lernerfahrung und der erste realistische Schritt zur Reduzierung der Handlungswirksamkeit von Vorurteilen.

Literatur Markus, H. R.; Kitayama, S. (1991): Culture and the self: Implications for cognition, emotion, and motivation. Psychological Review 98 (2): 224–253. Sugitani, M. (1996): Kontextualismus als Verhaltensprinzip: »Kritisch« erlebte Interaktionssituationen in der japanisch-deutschen Begegnung. In: Thomas, A. (Hg.), Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen, S. 227–245. Tajfel, H. (1982): Gruppenkonflikt und Vorurteil. Entstehung und Funktion sozialer Stereotypen. Bern. Thomas, A.; Kammhuber, S.; Layes, G. (1997): Interkulturelle Kompetenz. Ein Handbuch für internationale Einsätze der Bundeswehr. Untersuchungen des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr 32: 1–190. Thomas, A.; Layes, G.; Kammhuber, S. (1998): Sensibilisierungs- und Orientierungstraining für die kulturallgemeine und die kulturspezifische Vorbereitung von Soldaten auf internationale Einsätze. Untersuchungen des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr, 33: 1–289.

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Gabriel Layes: Interkulturelles Lernen und Akkulturation

Gabriel Layes

1.8 Interkulturelles Lernen und Akkulturation

In diesem Buch werden kulturelle Unterschiede und ihr teilweise erhebliches Konfliktpotenzial in den verschiedensten Bereichen anschaulich dargestellt und detailliert erläutert. Allerdings möchte man bei einer reinen Diagnose kultureller Unterschiede und der daraus resultierenden Problematiken natürlich nicht stehen bleiben. Gerade für praktisch tätige Personen, die beruflich oder privat häufig mit Menschen aus anderen Kulturen in Kontakt kommen, ist es äußerst wichtig zu wissen, wie interkulturelle Probleme verhindert oder konstruktiv bewältigt werden können. Klar ist, dass hierzu bestimmte Lernprozesse stattfinden müssen. Entsprechend wird in der interkulturellen Forschung versucht, verschiedene Formen interkulturellen Lernens zu unterscheiden, Kriterien für erfolgreiches und für nicht erfolgreiches interkulturelles Lernen zu entwickeln und die Bedingungen zu analysieren, unter denen erfolgreiches und nicht erfolgreiches interkulturelles Lernen stattfindet. Wer den Begriff »interkulturelles Lernen« hört, der denkt möglicherweise zunächst an interkulturelle Trainingsprogramme, bei denen im Rahmen mehrtägiger Seminare versucht wird, interkulturelle Lernprozesse gezielt zu initiieren. Da diese bewusst herbeigeführte und somit organisierte Form des interkulturellen Lernens tatsächlich eine sehr zentrale Form interkulturellen Lernens darstellt, ist dem Thema »interkulturelles Training« ein eigenes Kapitel gewidmet (siehe Kap. I, 2.2, S. 181 ff.); an dieser Stelle wird nicht näher darauf eingegangen. Die bewusst herbeigeführte Form interkulturellen Lernens im Rahmen interkultureller Trainings stellt allerdings keineswegs die einzige Form interkulturellen Lernens dar. Es findet statt, sobald ein Individuum gezwungen ist, sich mit einer fremdkulturellen Umgebung in irgendeiner Form auseinander zu setzen, da diese Auseinandersetzung früher oder später zu solchen Erfahrungen führt, die Stefan Kammhuber in seinem Buch über interkulturelles Lernen als »Dissonanz-Erfahrungen zwischen eigenen und fremden kulturellen Elementen« (2000, S. 51) bezeichnet. Auf den Umgang mit solchen Dissonanz-Erfahrungen werden die meisten Menschen nicht mit Hilfe eines interkulturellen Trainings vorbereitet. Das wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, wie vielfältig in unserer heutigen Welt die An-

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lässe sind, durch die es zu einer Auseinandersetzung mit einer fremdkulturellen Umgebung kommt. Das Spektrum reicht hier vom freiwilligen, zeitlich eng umgrenzten Kontakt eines Touristen mit Gastlandbewohnern bis hin zum unfreiwilligen, zeitlich unbefristeten Aufenthalt heimatvertriebener Flüchtlinge in einer ihnen fremden Region. Die dabei stattfindenden ungeplanten und oftmals nicht bewusst ablaufenden interkulturellen Lern- und Anpassungsprozesse werden unter dem Begriff der Akkulturation zusammengefasst. Der kanadische Psychologe John W. Berry, der intensiv über Akkulturationsprozesse geforscht hat, unterscheidet fünf Typen von akkulturierenden Personengruppen im Hinblick auf ihre Mobilität und die Freiwilligkeit ihres Kontakts mit der Fremdkultur (Berry 1997). Einer dieser fünf Typen, der so genannte »sojourner« (auf deutsch am ehesten: »Besucher«), ist dadurch gekennzeichnet, dass er freiwillig in die Fremdkultur eintritt und dort nicht sesshaft wird. Dieser Akkulturationstyp, zu dem zum Beispiel auch Manager oder Austauschstudenten zählen, ist in westlichen Kulturen wahrscheinlich der häufigste. Allen von Berry unterschiedenen Akkulturationstypen ist Folgendes gemeinsam: Ihre interkulturellen Kontakte finden auf dem Territorium der Fremdkultur statt und dort gehören sie einer Minderheit an. Nach Berry hängt die Art der Akkulturation vor allem vom kulturellen Selbst- und Fremdbild (siehe Kap. I, 1.7, S. 117 ff.) der ausreisenden Person ab: Je nachdem, welche Wertschätzung der Eigen- beziehungsweise Fremdkultur entgegengebracht wird, finden unterschiedliche Arten der Akkulturation statt. Wird die Eigenkultur wertgeschätzt, die Fremdkultur dagegen abgelehnt (Separation), so findet innerhalb der Fremdkultur eine lokale und soziale Abschottung von den Gastlandbewohnern statt; man lebt mit Personen der Eigenkultur in Bereichen, die man sich einrichtet »so wie zu Hause«, und meidet Kontakte mit Personen der Fremdkultur. Wird im umgekehrten Fall die Fremdkultur wertgeschätzt und die Eigenkultur abgelehnt (Assimilation), so wird der Versuch unternommen, das eigenkulturelle Orientierungssystem abzulegen und die Normen, Werte und Verhaltensweisen der fremdkulturellen Personen zu übernehmen. Der dahinter stehende Gedanke ist der des »kulturellen Schmelztiegels«, in dem die Unterschiedlichkeit in der Einheit aufgeht. Werden beide Kulturen wertgeschätzt (Integration), so findet das Bemühen statt, kompatible Elemente aus beiden Kulturen zu einer neuen Ganzheit zu verknüpfen, die beide Elemente enthält. Dahinter steht der Gedanke des »kulturellen Mosaiks«, in dem die Unterschiedlichkeit in der Einheit verbunden ist. Werden sowohl die Eigenkultur als auch die Fremdkultur abgelehnt (Marginalisierung), so findet eine generelle lokale und soziale Abschottung statt. Solche Akkulturationsprozesse gehen oft mit Angst, Vereinsamung © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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und Identitätsverlusten einher und können zu nachhaltigen Persönlichkeitsstörungen führen. Solche Akkulturationsstrategien sind natürlich keine ausschließliche Privatangelegenheit der einreisenden Person, vielmehr legen auch Gesellschaften dem Einreisenden bestimmte Akkulturationsstrategien nahe. Während eine offene, multikulturelle Gesellschaft den Einreisenden wertschätzt und ihm somit eine Integration oder Assimilation anbietet, versuchen geschlossene, fremdenfeindliche Gesellschaften eine Ausgrenzung von Einreisenden zu erreichen. Somit kann es in Abhängigkeit von Merkmalen der Gastkultur zu Konflikten zwischen Akkulturationsabsichten und Akkulturationsmöglichkeiten kommen, was das Auftreten eines »Kulturschocks« fördern kann. Von der Verarbeitung der Akkulturationserfahrungen und der allgemeinen Belastungsfaktoren hängt es ab, wie stark ein eventueller Akkulturationsstress empfunden wird. Wie gut oder schlecht diese Verarbeitung erfolgt, ist nach Berry vor allem von den Antworten auf diese Fragen abhängig: – Mit welcher Akkulturationsstrategie wird an die Fremdkultur herangegangen? – Inwieweit lässt sich die angestrebte Akkulturationsstrategie aufgrund der Merkmale der Fremdkultur realisieren? – Welchen Status und welches Ansehen genießt die Gruppe, zu der man gehört? – Inwieweit ist auf der individuellen Ebene eine interkulturelle Handlungskompetenz vorhanden? – In welcher Phase des Akkulturationsprozesses befindet man sich? Unabhängig von diesen Faktoren ist davon auszugehen, dass jeder, der regelmäßig mit Personen aus einer anderen Kultur interagiert, zumindest bisweilen irritierende oder belastende Erfahrungen macht. Die Frage, wie akkulturierende Personen mit diesen Erfahrungen umgehen, hat zur Entwicklung verschiedener theoretischer Modelle geführt, die sich grob in Stufen- und Phasenmodelle einteilen lassen. Stufenmodelle fokussieren in besonderer Weise auf die Lern- und Entwicklungschancen, die eine Akkulturationserfahrung bietet, und unterscheiden demzufolge unterschiedliche Qualitätsstufen interkulturellen Lernens. Ein gutes Beispiel stellt das klassische Stufenmodell von Hoopes (1981) dar (Tab. 3). Im Unterschied zu Stufenmodellen bemühen sich Phasenmodelle um die Identifikation prototypischer Phasen und Verläufe während des Akkulturationsprozesses. Nach Thomas (1993) verläuft ein prototypischer Akkulturationsprozess wie in Abbildung 7 dargestellt. Zum Zeitpunkt der Abreise sind gewisse Ausreisebefürchtungen vorhanden, die allerdings kurz nach der Ankunft einer Anfangsbegeisterung © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Tabelle 3: Stufenmodell interkulturellen Lernens nach Hoopes (1981) Name der Stufe

Merkmal

Selektive Aneignung

teilweise Integration fremder Weltsichten in die eigene Weltsicht

Bewusste Bewertung

Vergleich der eigenen und der fremden Weltsicht mit Hilfe kulturübergreifender, fairer Maßstäbe

Akzeptanz

Anerkennung fremder Weltsichten ohne Bewertung

Verständnis

Anerkennung der Rationalität fremder Weltsichten

Aufmerksamkeit für Fremdes

Realisierung anderer Weltsichten

Ethnozentrismus

die eigene Weltsicht als einzig mögliche Weltsicht

Abbildung 7: Prototypischer Akkulturationsprozess nach Thomas (1993)

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weichen, die sich auf viele neue, aufregende Erfahrungen gründet. Es findet dann eine Gewöhnung an diese positiv empfundene Neuartigkeit statt, so dass der Blick immer deutlicher auf kulturelle Divergenzen fällt, die als negativ empfunden werden. Dies führt allmählich zur Anpassungskrise beziehungsweise zum Kulturschock, bei dem die Akkulturationsbelastung am höchsten ist und somit der Heimreisewunsch am stärksten. Kann diese Anpassungskrise erfolgreich überwunden werden, so findet eine wertschätzende Anpassung an die Fremdkultur statt, die zur Folge hat, dass nun die negativen Aspekte der Eigenkultur stärker ins Blickfeld geraten. Dies führt dazu, dass die bevorstehende Rückreise durchaus mit Befürchtungen verbunden ist. Diese verschwinden kurzfristig bei der Rückkehr selbst, tauchen aber verstärkt wieder auf, wenn die unmittelbare Rückkehrbegeisterung vorüber ist, was zu einer Reintegrationskrise führt, das heißt zu einer erhöhten Akkulturationsbelastung in der Eigenkultur. Erst nach der erfolgreichen Überwindung dieser Reintegrationskrise erfolgt die vollständige Wiedereingewöhnung in die Eigenkultur. Zwei Phasen innerhalb dieses prototypischen Akkulturationsverlaufs verdienen besondere Beachtung: Der Kulturschock beim Eintritt in eine Fremdkultur und das Pendant, der Reintegrationsschock, beim Wiedereintritt in die Eigenkultur. Der inzwischen sogar in der Alltagssprache verwendete Begriff des »Kulturschocks« ist eine Sammelbezeichnung für alle negativ empfundenen psychischen Phänomene, die sich bei Ausreisenden aller Art beim Übertritt in eine andere Kultur einstellen. Der Begriff ist insofern irreführend, als er nahe legt, dass darunter massive Schockphänomene wie nach Unfällen fallen würden. Der Begriff des Kulturschocks umfasst tatsächlich aber auch leichtere Formen der Irritation und Konfusion beim Erleben von Fremdartigkeit in einer anderen Kultur, die zu einer Distanzierung von der Fremdkultur beziehungsweise zu ihrer Ablehnung führen. Nach Ward et al. (2001) tragen insgesamt sechs Faktoren zum Kulturschock bei. Die vier »Push«-Faktoren führen zur Abwendung von der Fremdkultur, die zwei »Pull«-Faktoren zur Hinwendung zur Heimatkultur. »Push«-Faktoren (stoßen von der Fremdkultur ab): – Anstrengung: Umgang mit Neuartigem ist anstrengend. Die gewohnten Handlungsstrategien funktionieren größtenteils nicht mehr, man muss daher aufmerksam sein, aufpassen, ausprobieren, vieles dauert länger als zu Hause und scheitert trotzdem oder führt zu geringerem Erfolg als gewohnt. – Hilflosigkeit: Wiederholtes Scheitern kann Zweifel aufkommen lassen, ob eine Anpassung überhaupt gelingen kann, und somit zu Gefühlen der Hilflosigkeit führen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Rollenkonfusion: Es herrscht Unklarheit darüber, welche Rolle man in den Augen der Einheimischen überhaupt spielt und welche Rollen sie selbst spielen. Es ist daher unklar, was von den anderen erwartet wird und was man selbst von den anderen erwarten kann. – Divergenzwahrnehmung: Es wird mehr und mehr deutlich, dass in der Fremdkultur andere Normen und Werte herrschen. Vieles davon wird als irritierend, unangenehm oder sogar abstoßend empfunden. Dies kann zum einen rassistische Einstellungen und diskriminierendes Verhalten fördern, zum andern aber auch (und gerade nach interkulturellem Training) zu verstärkter Selbstreflexion und in der Folge davon zu Schuldgefühlen führen, da man bei sich selbst die Schwierigkeit spürt, die fremdkulturellen Normen und Werte zu respektieren. »Pull«-Faktoren (ziehen zur Heimatkultur hin): – Heimweh: Man vermisst den Lebenspartner, die Familie, die Freunde, die gewohnten Freizeitmöglichkeiten. Man fürchtet, dass zu Hause ohne einen viele Dinge »schief gehen«. – Statusverlust: Bisweilen besitzen Ausreisende in der Heimatkultur einen höheren sozialen Status als in der Fremdkultur. Das gilt insbesondere für Personen, die in ihrer Heimatkultur in einem relativ stabilen sozialen Umfeld leben, innerhalb dessen sie sehr bekannt, geachtet und einflussreich sind. Werden solche Personen in der Fremdkultur zum »Nobody«, so kann das zu Enttäuschung und in der Folge zur Sehnsucht nach der Heimatkultur führen. Wie intensiv ein Kulturschock letztendlich empfunden wird, hängt nach Ward et al. (2001) von folgenden fünf Faktoren ab: – Kulturelle Distanz: Ein Kulturschock wird umso stärker empfunden, je weniger Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen der Eigen- und Fremdkultur existieren. – Distanz der Aufgaben: Ein Kulturschock wird umso stärker empfunden, je unterschiedlicher die zu erledigenden Aufgaben in der Eigen- und Fremdkultur sind. – Soziale Unterstützung: Ein Kulturschock wird umso stärker empfunden, je weniger soziale Unterstützung in der Fremdkultur vorhanden ist. – Dauer und zeitliche Klarheit: Tendenziell wird ein Kulturschock umso stärker empfunden, je länger der Aufenthalt in der Fremdkultur dauert. Allerdings steigen mit der Aufenthaltsdauer auch die Möglichkeiten, einen anfänglichen Kulturschock zu überwinden. Wichtiger ist daher noch die Sicherheit über die Dauer des Aufenthalts: Je klarer festgelegt ist, wie lange ein Auslandsengagement dauern wird, desto milder wird ein Kulturschock empfunden. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Freiwilligkeit: Ein Kulturschock wird umso stärker empfunden, je mehr der Ausreisende das Gefühl hat, dass er zu dem Auslandsaufenthalt direkt oder indirekt gezwungen worden ist. Während viele Menschen mit ausgeprägten Auslandserfahrungen das Kulturschock-Phänomen aus eigener Erfahrung kennen oder zumindest gut nachvollziehen können, wird die Rückkehr in die Heimatkultur von den meisten als ein vergleichsweise unbedeutendes Ereignis angesehen. Psychologisch gesehen ist ein Reintegrationsschock, also eine als belastend empfundene Wiedergewöhnung in die Heimatkultur, nichts anderes als ein Kulturschock in bezug auf die Heimatkultur, denn in der Fremdkultur haben Akkulturationsprozesse stattgefunden, die eine gewisse Entfremdung von der Eigenkultur zur Folge haben, so dass man, wie Gerhard Winter (1996) es ausdrückt, von einer »Heimkehr in die Fremde« sprechen kann. Mit diesem scheinbar paradoxen Phänomen rechnen die meisten Heimkehrenden nicht und stellen sich dementsprechend auch nicht darauf ein. Folgende Symptome eines Reintegrationsschockes können bei Personen beobachtet werden, die lange Zeit im Ausland gelebt haben: – Veränderung von Wertorientierungen und Lebenseinstellungen: Gerade beim Aufenthalt in wirtschaftlich schwachen Ländern können sich die eigenen Wertorientierungen und Lebenseinstellungen in einer Weise verändern, die die Bundesrepublik Deutschland als Heimatkultur in einem sehr negativen Licht erscheinen lassen. Hauptkritikpunkte sind dann meist die exzessive Konsumhaltung in allen Lebensbereichen, die materialistische Lebenseinstellung, die Bürokratie und die damit zusammenhängende unflexible Handhabung von Problemen sowie der verschwenderische Umgang mit Ressourcen und der damit einhergehende Raubbau an Natur und Umwelt. – Entfremdung von Familie und Freunden: Aus der Tatsache, dass die Veränderungen in den Wertorientierungen und Lebenseinstellungen vom Lebenspartner, den Kindern und Freunden in aller Regel nicht mitvollzogen werden, können Entfremdungserlebnisse resultieren, sofern der Ausreisende allein im Ausland war. – Verlust von beruflichen und privaten Kompetenzbereichen: Manche Ausreisende übernehmen während ihres Auslandsaufenthalts bisweilen Aufgaben, die oberhalb ihres normalen Zuständigkeitsbereichs in der heimischen Organisation liegen. Die Rückkehr in den deutschen Berufsalltag bedeutet diesbezüglich eine Einbuße. Man unterliegt wieder einem streng hierarchischen, bürokratischen System, verliert Weisungsbefugnisse und Kompetenzbereiche. Im privaten Bereich muss nach einer längeren Abwesenheit oftmals festgestellt werden, dass Lebenspartner und Kinder selbstständiger geworden sind, sich Kompetenzen und Rol© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Gabriel Layes: Interkulturelles Lernen und Akkulturation

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len angeeignet haben und nicht mehr abgeben, die vorher dem ausgereisten Familienmitglied vorbehalten waren. Wie stark ein Reintegrationsschock letzten Endes empfunden wird, hängt nach Winter (1996) von diesen Faktoren ab: – Auslandserfahrung: Wer bereits zum wiederholten Mal einen längeren Auslandsaufenthalt durchführt, erleidet in der Regel einen milderen Reintegrationsschock als jemand, der zum ersten Mal länger ins Ausland geht. – Persönlichkeitsfaktoren: Bestimmte persönliche Voraussetzungen wirken sich mildernd auf einen Reintegrationsschock aus, beispielsweise junges Lebensalter, Kontaktfreude, geringe Neigung zu Ängstlichkeit und Selbstbewusstsein. – Kontakt zur Heimatkultur: Wer einen regelmäßigen Kontakt zu seinen Angehörigen pflegt und auch über die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen in seiner Heimatkultur informiert ist, erleidet in der Regel einen milderen Reintegrationsschock. – Vorbereitung auf Rückkehr: Wer sich auf seine Rückkehr vorbereitet und sich dabei sowohl der eigenen Veränderungen als auch der Veränderungen in der Heimatkultur bewusst wird, den trifft ein Reintegrationsschock weniger stark als solche Personen, die davon ausgehen, dass nach der Rückkehr alles so sein wird wie vorher. – Pläne: Wer die Aktivitäten nach seiner Rückkehr gut plant und sich dabei nicht zuviel vornimmt, erleidet einen geringeren Reintegrationsschock als Personen mit unrealistischen Plänen. Daneben wirken sich ähnlich wie beim oben beschriebenen initialen Kulturschock auch die kulturelle Distanz des besuchten Landes und die Dauer des Auslandsaufenthalts auf die Stärke des Reintegrationsschocks aus. Sicherlich durchläuft nicht jede akkulturierende Person sämtliche Phasen eines Akkulturationsprozesses und sicherlich erlebt nicht jeder jede Phase in der gleichen Weise. Ein prototypischer Akkulturationsverlauf, wie er vorgestellt worden ist, lässt sich empirisch eher selten beobachten, weswegen solchen Phasenmodellen bisweilen vorgeworfen wird, dass sie den Akkulturationsprozess zu stark vereinfachen, indem sie ein sehr vages Kriterium, nämlich die generelle Befindlichkeit, zum einzigen Kriterium für die Beurteilung des stattfindenden Lern- und Anpassungsprozesses machen. Entsprechend existieren Versuche, die im Rahmen einer Akkulturation stattfindenden Prozesse feiner auszudifferenzieren. Ein sehr prominentes Modell dieser Art stammt von Grove und Torbiörn (1985). Das Besondere bei diesen Autoren ist, dass sie den Akkulturationsprozess nicht als eindimensionalen, globalen Verlauf konzeptualisieren, sondern ihn in © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Abbildung 8: Prototypischer Akkulturationsprozess nach Grove und Torbiörn (1985), S. 212)

drei Komponenten aufteilen: Verhaltensangemessenheit, Orientierungsklarheit und Mindestanspruchsniveau (nach Kühlmann 1995, S. 8). Verhaltensangemessenheit kann man als Grad der Übereinstimmung zwischen eigenem Verhalten und den üblichen Verhaltensweisen in der fremdkulturellen Umgebung auffassen; Orientierungsklarheit lässt sich als Grad der Eindeutigkeit bezeichnen, mit der sich bestimmte Verhaltensweisen aus dem sozialen Wissen einer Person folgern lassen, und das Mindestanspruchsniveau bezeichnet das individuelle Anspruchsniveau einer Person, ab dem sie ihre eigene Verhaltensangemessenheit und Orientierungsklarheit als ausreichend oder zufrieden stellend empfindet. Grove und Torbiörn haben das Zusammenwirken dieser drei Komponenten in einem Modell zusammengefasst (Abb. 8). Wie sich aus der Abbildung 8 ergibt, entwickeln sich die Verhaltensangemessenheit und die Orientierungsklarheit sehr unterschiedlich, teilweise sogar gegenläufig. Neuankömmlinge in einer fremden Kultur erkennen demnach zwar recht schnell, dass viele ihrer gewohnten Verhaltensweisen in der fremden Kultur unüblich sind, zweifeln deshalb aber nicht sofort an der prinzipiellen Richtigkeit ihrer eigenkulturellen Normen. Solche Zweifel setzen erst langsam ein, führen dann allerdings zu abnehmender Orientierungsklarheit, die ihre Talsohle zu einem Zeitpunkt erreicht, zu dem die Verhaltensangemessenheit bereits wieder in einen zufrieden stellenden Bereich gerät. Das Modell von Grove und Torbiörn zeigt, dass ein Akkulturationsprozess mehrere Lernherausforderungen stellt, deren Bewältigung für den Einzelnen unterschiedlich bedeutsam sein kann.Dies kann individuell ganz unterschied-

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liche interkulturelle Lernprozesse auslösen. So kann für den einen die hauptsächliche interkulturelle Lernherausforderung darin bestehen zu lernen, wie man sich gegenüber fremdkulturellen Personen verhalten muss,um bestimmte Ziele zu erreichen; für einen anderen darin, wie interpersonale Beziehungen mit fremdkulturellen Personen zu gestalten sind; und für einen dritten darin, die Denkkonzepte fremdkultureller Personen besser zu verstehen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass sich Akkulturationsprozesse nicht in jedem Lebensbereich in der gleichen Art und Weise und mit der gleichen Geschwindigkeit vollziehen. Das heißt, es ist durchaus möglich, dass beispielsweise innerhalb des beruflichen Umfelds gar kein Kulturschock stattfindet und bereits nach relativ kurzer Zeit ein hohes Maß an Orientierungsklarheit und Verhaltensangemessenheit erreicht wird, während zum gleichen Zeitpunkt die Gestaltung des Privatlebens im fremdkulturellen Umfeld als außerordentlich schwierig und unbefriedigend empfunden wird. Diese Ebenen, auf denen sich interkulturelle Lernherausforderungen stellen, sind nicht zufällig herausgegriffen, sondern repräsentieren diejenigen Ebenen, auf denen die meisten Forscher die entscheidenden Kriterien für interkulturellen Lern- und Anpassungserfolg sehen, nämlich: – »Subjektive Zufriedenheit mit den Arbeits- und Lebensbedingungen im Ausland, – Güte der sozialen Beziehungen zu den Vertretern des Gastlandes, – Grad der Aufgabenerfüllung« (Kühlmann 1995, S. 12). Zwar handelt es sich hierbei um so genannte Bilanzkriterien, das heißt um solche Kriterien, die letztlich erst zum Ende eines Auslandsaufenthalts mit Sicherheit beurteilt werden können, jedoch spiegeln sich die darin enthaltenen Ebenen auch in solchen Kriterien wider, die generell als zentral für das Zustandekommen interkultureller Lernprozesse anzusehen sind. Eines dieser Kriterien ist die Frage, inwieweit die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme vorhanden ist, die sich definieren lässt als die Fähigkeit, »psychische Zustände und Prozesse, wie etwa das Denken, Fühlen oder Wollen einer anderen Person zu verstehen, indem die Situationsgebundenheit des Handelns (bildlich also: ihre Perspektive) erkannt und entsprechende Schlussfolgerungen gezogen werden« (Silbereisen 1998, S. 831; Hervorhebung v. d. Verf.). Forschungen zeigen, dass auch dies kein eindimensionales Konzept ist, sondern dass sich verschiedene Formen der Perspektivenübernahme unterscheiden lassen, in denen sich die drei genannten Ebenen ebenfalls widerspiegeln (Layes 2000): Eine gegenständliche Perspektivenübernahme stellt den Versuch dar, die Perspektive des Interaktionspartners auf den Interaktionsgegenstand – also auf das Thema der Interaktion – zu verstehen, während eine emotionale Perspektivenüber© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nahme der Versuch ist, die Perspektive des Interaktionspartners auf die interpersonale Beziehung der Akteure zu verstehen. Demgegenüber stellt schließlich eine konzeptuelle Perspektivenübernahme den Versuch dar, die Perspektive des Interaktionspartners auf den soziokulturellen Kontext zu verstehen, in den die Interaktion eingebettet ist. Interkulturelle Lernherausforderungen stellen sich somit in drei Bereichen: In einem objektiven Bereich der Aufgaben und des beobachtbaren Verhaltens, in einem sozialen Bereich der gegenseitigen Beziehungen und Empfindungen und in einem subjektiven Bereich der Denkkonzepte, die von den Beteiligten in eine Interaktion hineingetragen werden. Das heißt, im Zuge interkultureller Lernprozesse muss man erstens lernen, für andere Situationsangebote rezeptiv zu werden als für die, auf die man üblicherweise fokussiert, man muss zweitens lernen, die auf diese Weise neu entstehenden Situationen auf eine neue Art zu konzeptualisieren und drittens diese neuen Konzepte wieder in ziel- und beziehungsorientiertes Handeln zu übersetzen. Das Beispiel einer von Thomas, Layes und Kammhuber (1998) geschilderten kritischen Interaktionssituation soll dies zum Abschluss illustrieren. Ein Oberstleutnant der deutschen Bundeswehr, der im Rahmen eines UN-Friedenseinsatzes in Kroatien war, berichtet aus dieser Zeit: »Als Zuständiger für Personalangelegenheiten mit kroatischen Arbeitnehmern hatte ich eine Dolmetscherin, mit der ich mich eigentlich gut verstand. Und die hat ganz schön geguckt, wie ich auf bestimmte Dinge reagiere. Eines Tages kam sie zum Beispiel mit einer Bitte zu mir und sagte: Ich kenn’ da ’ne Frau, und deren Mann ist im Krieg gefallen, und die hat fünf Kinder usw., und könnten Sie die denn nicht einstellen? Da hab’ ich gesagt: Tja, ich muss erst mal prüfen, ob wir denn überhaupt im Stellenplan ’ne Stelle freihaben, und außerdem müsse sie bestimmte Qualifikationen besitzen, zum Beispiel fließend Deutsch sprechen und schreiben können usw. Und da hab’ ich gemerkt, dass das für die ’ne ganz andere Welt ist, weil die in so einem System zu denken gar nicht gewohnt war. Ich glaub’ sogar, die hat mir das dann richtig übelgenommen« (zit. nach Thomas et al. 1998, S. 29). Diese kritische Interaktionssituation resultiert offenbar daraus, dass der deutsche Offizier während der Interaktion mit der kroatischen Dolmetscherin in zielorientierter Weise auf den sachlichen Gesprächsgegenstand fokussiert, während sie auf die sozialen Beziehungsaspekte fokussiert, die innerhalb und im Kontext dieser Interaktion bestehen. Im Hinblick auf den deutschen Offizier lässt sich die oben dargestellte dreifache interkulturelle Lernaufgabe veranschaulichen: Er müsste zunächst lernen, für die vielfältigen interpersonalen Beziehungsaspekte dieser spezifischen sozialen Interaktion sensibel zu werden. Er dürfte zweitens diese Aspekte nicht in der für ihn gewohnten Weise als »irrelevantes Beiwerk« konzeptualisieren, sondern er müsste verstehen lernen, wieso diese Beziehungsaspekte im © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Rahmen des Welterlebens der kroatischen Dolmetscherin zu wichtigen und sinnvollen Elementen dieser Interaktion werden. Drittens müsste er lernen, wie er sich auf der Basis dieses Wissens in zukünftigen vergleichbaren Situationen verhalten könnte, um ähnliche Missverständnisse zu vermeiden. Bereits dieses kleine Beispiel zeigt, dass interkulturelles Lernen ein höchst komplexes Geschehen darstellt, das zu Veränderungen auf mehreren Ebenen führen muss, um erfolgreich zu sein. Dies ist auch ein Grund dafür, dass in modernen interkulturellen Lernkonzeptionen wie der von Kammhuber (2000) die Simultanität des Zusammenwirkens von Wahrnehmungs-, Konzeptualisierungs- und Handlungsprozessen betont wird und die Einnahme multipler Perspektiven als ein zentrales Designkriterium interkultureller Trainingsprogramme angesehen wird (siehe folgendes Kapitel).

Literatur Berry, J. W. (1997): Immigration, acculturation, and adaptation. Applied Psychology: An International Review 46 (1): 5–34. Grove, C. L.; Torbiörn, I. (1985): A new conceptualization of intercultural adjustment and the goals of training. International Journal of Intercultural Relations 9: 205–233. Hoopes, D. S. (1981): Intercultural communication concepts and the psychology of intercultural experience. In: Pusch, M. D. (Hg.), Multicultural Education. A Cross-Cultural Training Approach. Chicago, S. 9–38. Kammhuber, S. (2000): Interkulturelles Lernen und Lehren. Wiesbaden. Kühlmann, T. M. (Hg.), (1995): Mitarbeiterentsendung ins Ausland. Auswahl, Vorbereitung, Betreuung und Wiedereingliederung. Göttingen. Layes, G. (2000): Grundformen des Fremderlebens. Eine Analyse von Handlungsorientierungen in der interkulturellen Interaktion. Münster. Silbereisen, R. K. (1998): Soziale Kognition: Entwicklung von sozialem Wissen und Verstehen. In: Oerter, R.; Montada, L. (Hg.), Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch. Weinheim, S. 823–861. Thomas, A. (1993): Psychologie interkulturellen Lernens und Handelns. In: Thomas, A. (Hg.), Kulturvergleichende Psychologie. Eine Einführung. Göttingen, S. 377–424. Thomas, A.; Layes, G.; Kammhuber, S. (1998): Sensibilisierungs- und Orientierungstraining für die kulturallgemeine und die kulturspezifische Vorbereitung von Soldaten auf internationale Einsätze. Untersuchungen des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr, 33: 1–289. Ward, C.; Bochner, S.; Furnham, A. (2001): The Psychology of Culture Shock. 2. Auflage. London. Winter, G. (1996): Reintegrationsproblematik: Vom Heimkehren in die Fremde und vom Wiedererlernen des Vertrauten. In: Thomas, A. (Hg.), Kulturvergleichende Psychologie. Eine Einführung. Göttingen, S. 365–381.

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1.9 Interkulturelle Handlungskompetenz

1.9.1 Vorbemerkung In der westlichen Welt herrscht weitgehender Konsens darüber, dass die Auswirkungen von Globalisierung, Mobilisierung und Technologisierung der letzten Jahrzehnte neue Fähigkeiten von den Menschen fordern, die sich in pluralisierten Gesellschaften einem immer größer werdenden Ausmaß an Fremdheitserlebnissen gegenüber sehen. Dies gilt für jugendliche Teilnehmer an Austauschprogrammen in gleichem Maß wie für Manager internationaler Unternehmen oder Soldaten, die für Auslandseinsätze ausgewählt werden. Entsprechend ist der Begriff »interkulturelle Handlungskompetenz« inzwischen in fast jedem Anforderungsprofil großer Unternehmen enthalten – in ihren Stellenanzeigen, wenn sie sich auf die Suche nach jungen Nachwuchstalenten begeben oder in unternehmensinternen Stellenbeschreibungen. Bei den jüngeren Generationen, die aufgewachsen sind mit jährlichen Fernreisen und Schüleraustauschprogrammen, mit Schulkameraden und Nachbarsfamilien ausländischer Herkunft, Satellitenfernsehen und Internet, wird sie meist vorschnell als vorhanden vorausgesetzt. Alle sind sich einig, dass interkulturelle Handlungskompetenz unabdingbar ist. Was dies aber eigentlich ist und wie sie erreicht werden kann, dazu gibt es oftmals nur vage und leider auch naive Vorstellungen. Das Interesse von Praktikern in Wirtschaft, Bildung und Politik an »interkultureller Handlungskompetenz« resultiert aus Fragen wie: Woran kann man erkennen, ob eine Führungskraft den Anforderungen eines Auslandsaufenthalts in Asien gewachsen ist? Wer eignet sich als Mitarbeiter in einer gemischt kulturellen Arbeitsgruppe? Welche Eigenschaften muss eine Person besitzen, die in internationalen Konflikten verhandeln soll? Der Begriff »Kompetenz« bezeichnet in diesem Zusammenhang also eine spezifische Fähigkeit, und zwar die Fähigkeit, in Situationen, in denen man mit Menschen aus anderen Kulturen interagiert, sensibel, reflektiert und produktiv handeln zu können. Wenn Psychologen an dieser Stelle bewusst vom Handeln, und nicht vom »Verhalten« sprechen, dann wird damit betont, dass nicht nur das von außen beobachtbare Verhalten gemeint ist, sondern

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dass in die Betrachtung auch und gerade alle Gedanken und Gefühle eingeschlossen werden, die einer konkreten Verhaltensweise vorausgehen, sie begleiten und sie auch rückblickend bewerten. Denn während eine »Verhaltensweise« auch rein reaktiv, reflexhaft oder unwillkürlich ablaufen kann, ist eine Handlung immer zumindest potenziell bewusstseinsfähig, willkürlich beeinflussbar, reflektierbar und somit auch diskutierbar. Oder, wie Jürgen Straub es ausdrückt: »Jedes Handeln ist ein Sich-Verhalten, keineswegs aber kann jedes Sich-Verhalten als Handeln bezeichnet werden« (Straub 1999, S. 12). Anstrengungen auf dem Gebiet der interkulturellen Forschung sind zahlreich und blicken auf eine lange Forschungstradition zurück. Die Palette reicht von theoretischen Definitionsversuchen über empirisch unterstützte Konzeptionen bis hin zu konkreten Trainingsprogrammen zur Förderung interkultureller Handlungskompetenz. Dabei hat sich gezeigt, dass man sich dem Begriff »interkulturelle Handlungskompetenz« am besten nähern kann, indem man versucht, interkulturellen Handlungserfolg möglichst genau zu beschreiben. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang eine sehr pragmatische Definition von Richard W. Brislin (1993), der schreibt, dass derjenige interkulturell erfolgreich handelt, – der viele Kontakte mit fremdkulturellen Personen hat, – mit dem fremdkulturelle Personen gern Kontakt haben, – der seine Aufgaben im fremdkulturellen Umfeld effizient erfüllt, – der weder den Umgang mit den Personen noch seine Aufgabenerledigung als Stress empfindet. Setzt man diese Liste fort beziehungsweise differenziert man sie aus, dann gelangt man vor dem Hintergrund des heutigen Forschungsstands etwa zu folgender Kriterienliste für interkulturellen Handlungserfolg: – effektive Aufgabenerfüllung und Arbeitszufriedenheit – persönliche Zufriedenheit und Anpassung – Wohlbefinden der Familienangehörigen – Fähigkeit zur effektiven Kommunikation (auch Güte der Sprachkenntnisse) – Güte der interkulturellen Interaktion: • zufrieden stellende sozialen Beziehungen zwischen Gast und Angehörigen der Gastkultur aus Sicht des Gastes • zufrieden stellende sozialen Beziehungen zwischen Gast und Angehörigen der Gastkultur aus Sicht der Gastkultur – Fähigkeit der psychologischen Stressbewältigung: • Fehlen von stressbezogenen Symptomen (psychosomatische Beschwerden) – Identifikation mit der Auslandsgesellschaft und dem Stammhaus © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Entsprechend charakterisieren Kealey und Ruben die Qualitäten einer interkulturell erfolgreichen Person: »The resulting profile is of an individual who is truly open to and interested in other people and their ideas, capable of building relationships of trust among people. He or she is sensitive to the feelings and thoughts of another, expresses respect and positive regard for others, and is nonjudgmental. Finally, he or she tends to be self-confident, is able to take initiative, is calm in situations of frustration of ambiguity, and is not rigid. The individual also is a technically or professionally competent person« (Kealey u. Ruben 1983, S. 165 f.). Die bloße Beschreibung solcher Fähigkeitsprofile kann allerdings den Eindruck schüren, dass nur vereinzelte »Supermänner und -frauen« interkulturell erfolgreich handeln können. Wie Thomas (2003) bemerkt, gilt dies insbesondere für solche Fähigkeitslisten, die aus wirtschaftswissenschaftlichen Analysen zur Interkulturalität hervorgehen und sich oft lesen »wie das Persönlichkeitsprofil des modernen Menschen, mit stark idealisierten, von allen angestrebten, aber von niemandem erreichten Leistungsmerkmalen. Führungsstärke, Dominanz und Durchsetzungskompetenz stehen da neben Empathie, Gelassenheit und Toleranz gegenüber Fremdheit, ohne dass dabei die Unvereinbarkeit der geforderten Kompetenzen bemerkt, geschweige denn diskutiert werden«. Wie ist etwa der interkulturelle Handlungserfolg eines Managers zu bewerten, der die vom Stammhaus geforderten Arbeitsergebnisse zwar liefert, aber aufgrund seines Arbeitsstils bei den Mitarbeitern der Auslandsgesellschaft sehr unbeliebt ist? Oder kann ein Mitarbeiter im Entwicklungsdienst als interkulturell erfolgreich bezeichnet werden, der aufopferungsvoll seine Aufgabe erfüllt, auch die Interessen und Wünsche der Einheimischen versteht und an ihnen sein Handeln ausrichtet – jedoch selbst unter so starken psychosomatischen Beschwerden leidet, dass seine Ehe in die Brüche geht? Die Forschung hat sich der Untersuchung von interkultureller Handlungskompetenz von drei Seiten genährt: Zum einen wurde untersucht, ob sich auf Seiten des Individuums bestimmte personale Faktoren identifizieren lassen, die die Ausbildung einer interkulturellen Handlungskompetenz fördern. Auf der anderen Seite wurde untersucht, ob sich situative Faktoren identifizieren lassen, die interkulturell kompetentes Handeln fördern beziehungsweise behindern. Da, wie man vorwegnehmen kann, beide Faktoren eine Rolle spielen, werden in modernen Konzeptionen die interaktiven Wechselbeziehungen zwischen Person- und Situationsfaktoren untersucht, die die Ausbildung einer interkulturellen Handlungskompetenz beeinflussen.

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1.9.2 Der personalistische Ansatz Zeitweise wurde die Auffassung vertreten, es gäbe Persönlichkeitstypen im Sinne eines »universal communicator« (Gardner 1962), deren Charaktermerkmale sie dazu befähigen, besonders erfolgreich in interkulturellen Situationen zu agieren. Eigenschaften wie ein ungewöhnlicher Grad an Integration beziehungsweise persönlicher Stabilität, Extraversion, der Besitz eines universellen Wertesystems, eine kulturuniverselle Sozialisation oder intuitive Sensitivität wurden ihnen zugeschrieben. Solche Merkmalslisten werfen allerdings eine ganze Reihe von Fragen und Bedenken auf: Ganz abgesehen von eher philosophischen Fragen wie der, worin ein »universelles Wertesystem« besteht, übersehen solche personalistischen Ansätze die Tatsache, dass sich bestimmte Persönlichkeitsmerkmale nur in entsprechenden situativen Kontexten positiv entfalten können. Besonders deutlich zeigt sich dies beispielsweise an dem Merkmal »Extraversion«: Es ist durchaus zweifelhaft, ob in Kulturen, in denen Zurückhaltung einen hohen Wert darstellt, extravertiertes Verhalten generell als interkulturell kompetent angesehen werden kann. Hier spiegelt sich möglicherweise auch ein Resultat dessen wider, dass die meisten Merkmalslisten dieser Art im Rahmen nordamerikanischer Forschungsarbeiten entstanden sind, so dass der Verdacht nahe liegt, dass hier kulturelle Verzerrungen vorliegen. Die Abwesenheit oder das Vorhandensein interkultureller Handlungskompetenz darf somit nicht ausschließlich auf personale Faktoren zurückgeführt werden. Gleichwohl sind personale Faktoren aber auch nicht irrelevant für die Ausbildung einer interkulturellen Handlungskompetenz. Wichtige personale Einflussfaktoren, die in der Literatur diskutiert werden, sind in Tabelle 4 zusammengestellt. Tabelle 4: Persönlichkeitsmerkmale interkultureller Handlungskompetenz Kontaktfreudigkeit Optimismus Offenheit und Non-Ethnozentrismus Toleranz Fähigkeit zur Perspektivenübernahme Einfühlungsvermögen Frustrationstoleranz Ambiguitätstoleranz Rollenflexibilität Geduld Bereitschaft, seine sozialen Wahrnehmungen zu hinterfragen positives Selbstkonzept soziale Problemlösungskompetenz Zielorientierung Veränderungsbereitschaft Lernfähigkeit

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Auf einen der zentralsten dieser Faktoren – die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme – wird im Kapitel zum interkulturellen Lernen näher eingegangen (vgl. Kap. I, 1.8, S. 126 ff.): Es handelt sich dabei um die Fähigkeit, so genannte multiple Perspektiven auf bestimmte Handlungsweisen einnehmen und für sein Handeln berücksichtigen zu können. Zur Veranschaulichung dieses Prinzips des »die Welt mit den Augen des Anderen zu betrachten« werden die Erfahrungen und Denkprozesse eines deutschen Austauschstudenten in den USA geschildert (Hatzer 2000): Ein deutscher Student trifft auf dem Weg über den Universitätscampus einen amerikanischen Mitstudenten, mit dem er sich am Abend zuvor bei einer Party länger sehr nett und teilweise auch etwas hitzig über das amerikanische Universitätssystem und die Basketball League unterhalten hat. Er begrüßt ihn erfreut und bleibt stehen, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Der amerikanische Bekannte jedoch erwidert zwar seinen Gruß mit einem freundlichen »Hello! How are you doing?« – geht dann aber ohne zu zögern weiter. Der deutsche Austauschstudent bleibt sprachlos zurück.

Mögliche Interpretationen, die die amerikanische Perspektive berücksichtigen: – Vielleicht trennen alle Amerikaner streng zwischen Privat- und Berufsleben? – Vielleicht ist für einen Amerikaner eine nette Partybekanntschaft einfach eine schöne Erfahrung, aber verpflichtet nicht zu mehr? – Vielleicht war der deutsche Student in der Diskussion um das Universitätssystem zu deutsch und hat den Amerikaner mit seiner direkten etwas hitzigen Art abgeschreckt? Wie deutlich wird, hält es der deutsche Student prinzipiell für möglich, dass sein amerikanischer Bekannter die Grenze zwischen Privat- und Berufsleben, die Bedeutung einer Partybekanntschaft oder die angemessene Form einer Diskussion anders sieht als er selbst. Er erkennt somit die Existenz unterschiedlicher Perspektiven auf dasselbe Erlebnis an und versucht, das Erlebte noch einmal neu zu betrachten. Interkulturelle Handlungskompetenz beschränkt sich allerdings nicht auf ein bloßes »Abrufen-Können« von Kulturwissen – etwa in Form gelernter Kulturstandards –, sondern beinhaltet auch die Fähigkeit, die Berücksichtigung einer fremden Perspektive in entsprechende Verhaltensweisen »übersetzen« zu können. Die beiden Autoren Adrian Furnham und Stephan Bochner (1986) unterscheiden daher in ihren Untersuchungen eine Wahrnehmungssensitivität (»perceptual sensitivity«) von einer Verhaltensflexibilität (»behavioral flexibility«): Wahrnehmungssensitivität meint die Fähigkeit, nicht nur für die Reaktionen des jeweiligen Interaktionspartners, sondern für das gesamte psychologische Geschehen in einer Interaktionssituation sensitiv zu sein. Verhaltensflexibilität ist darauf aufbauend

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die Fähigkeit, diejenigen Verhaltensweisen abrufen zu können, die aufgrund der gemachten Beobachtungen adäquat erscheinen. Eine weiterer, sehr häufig diskutierter personaler Faktor ist die Ambiguitätstoleranz. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit, mit neuen und scheinbar unstrukturierten Situationen, mit unverständlichen Informationen oder mit unberechenbarem Handeln und Kommunizieren von Interaktionspartnern umgehen zu können. Menschen mit hoher Ambiguitätstoleranz sind in der Lage, auch in unklaren und schwer kontrollierbaren Situationen »die Nerven zu bewahren« und handlungsfähig zu bleiben. Sie erleben uneindeutige und ungeordnete Situationen teilweise sogar als besondere Herausforderung an ihre Problemlösungskompetenzen. Sie sind nicht leicht durch mehrdeutige Mitteilungen zu verunsichern und haben weniger Schwierigkeiten damit, Abweichungen von gewohnter Normalität oder unerwartete Reaktionen und Handlungen zu akzeptieren, statt als Bedrohung zu empfinden. Demgegenüber empfinden Menschen mit niedriger Ambiguitätstoleranz neue und unklare Situationen als belastend und unangenehm. Sie erleben Stress und Unbehagen, wenn ihnen Menschen, Mitteilungen oder Arbeitsumfelder unberechenbar, ungeregelt oder unkontrollierbar erscheinen. Sie neigen dazu, durch neue oder einfach übertragbare Regelsysteme Ordnung und Struktur in ihre Umwelt zu bringen, und neigen in diesen Fällen zu Schwarzweiß-Lösungen. Einen Test zur Erfassung von Ambiguitätstoleranz hat Reis (1997) entwickelt.

1.9.3 Der situationistische Ansatz Situative Faktoren können den Aufbau einer interkulturellen Handlungskompetenz erleichtern oder erschweren. Mit Situationsfaktoren sind dabei die möglichen Kombinationen aus Personen, Orten und Ereignissen gemeint, welche üblicherweise während eines Auslandsaufenthalts angetroffen werden können. Nach Brislin (1981) wirken sich folgende Situationsfaktoren auf die Ausbildung einer interkulturellen Handlungskompetenz aus (siehe Tabelle 5). In allen einschlägigen Untersuchungen zeigt sich, dass Art und Intensität des Kontakts zur einheimischen Bevölkerung generell wichtige Erfolgsfaktoren darstellen, die aber zu bestimmten Zeiten des Auslandsaufenthalts unterschiedlich gewichtet sind. Interessant ist dabei, wie sich diese Faktoren im zeitlichen Verlauf eines Auslandsaufenthalts auswirken. Während zu Beginn ein intensiver Kontakt zu den Angehörigen des Gast-

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Tabelle 5: Situationsfaktoren interkulturellen Handelns (nach Brislin 1981) 1. Klimatische Bedingungen 2. Anzahl der anwesenden Personen in der jeweiligen Situation 3. Persönliche bzw. unpersönliche Interaktion 4. Status des Gegenüber 5. Benehmen des Gegenüber 6. Vertrautheit vs. Anonymität 7. Strukturiert vs. unstrukturierte Situation 8. Zeitliche Rahmenbedingungen 9. Überforderung vs. Unterforderung 10. Vorhandensein von Rückzugsmöglichkeiten 11. Abwesenheit vs. Anwesenheit eines Vorbilds 12. Machtverhältnisse 13. Konsequenzen für sich selbst bzw. für die anderen 14. Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 15. Bekanntheitsgrad

landes in erster Linie noch als zusätzlicher Stressfaktor wirkt, wandelt sich dieses Verhältnis im Lauf der Zeit um. In der langfristigen Perspektive zeigt sich, dass Personen, »die ein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen aufweisen, offen auf Einheimische zugehen und für neue Erfahrungen aufgeschlossen sind, . . . später . . . am erfolgreichsten waren« (Stahl 1998, S. 64). Der Kontakt zu Landsleuten scheint somit auf die Dauer ein soziales Netz zu liefern, das in schwierigen und anstrengenden Zeiten hilfreich ist. Es zeigt sich, wie Stahl weiter schreibt, dass »weniger die objektiven Umweltgegebenheiten als vielmehr deren individuelle Verarbeitung entscheidend sind« (Stahl 1998, S. 63). Insofern ist es sicherlich sinnvoll, sich mit den spezifischen situationalen Faktoren einer fremden Umgebung frühzeitig auseinander zu setzen, zum Beispiel im Rahmen eines interkulturellen Trainings, um auf der Basis dieses Wissens möglichst zahlreiche relevante Einflussfaktoren identifizieren zu können. Interkulturelle Handlungskompetenz besteht allerdings gerade auch darin, im Wissen um die eigene Persönlichkeit antizipieren zu können, mit welchen situativen Anforderungen man eher gut beziehungsweise eher schlecht zurechtkommen wird. Insofern ist eine gleichzeitige Betrachtung von personalen und situativen Faktoren immer die sinnvollste.

1.9.4 Der interaktionistische Ansatz Interkulturelles Handeln muss als ein Prozess verstanden werden, in dem persönliche und situationale Faktoren interaktiv zusammenwirken. Wer beispielsweise mit großer Kontaktfreudigkeit auf die Menschen in einer © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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fremden Kultur zugeht, der wird nur in solchen Umgebungen erfolgreich sein, in denen ihm dies nicht als Distanzlosigkeit ausgelegt wird, und seine interkulturelle Handlungskompetenz wird sich daran zeigen, ob er in der Lage ist, entsprechende Signale zu erkennen und sein Verhalten entsprechend zu modifizieren. So setzt beispielsweise Thomas »die Fähigkeit zur Person- und Situationswahrnehmung, zur Verhaltensbeurteilung und zum Situationserleben im Kontext des fremdkulturellen Orientierungssystems« (1996, S. 115) kulturadäquatem Handeln voraus. Nur eine angemessene Situationsinterpretation erlaubt darauf aufbauend auch eine angemessene Situationsgestaltung. Allerdings ist niemand in der Lage, jede neue interkulturelle Situation unmittelbar adäquat zu interpretieren. Insofern zeichnet sich eine interkulturelle Handlungskompetenz nicht zuletzt dadurch aus, sich diese Tatsache eingestehen zu können, um zunächst einmal die richtigen Fragen an eine neue Situation zu stellen, bevor man fertige Antworten abzurufen versucht. Einige Leitfragen, die einem bei der Interpretation einer neuen interkulturellen Interaktionssituation durch den Kopf gehen sollten, nennen beispielsweise Müller und Thomas (1995): – Was ist für mein fremdkulturelles Gegenüber in dieser Situation bedeutsam? – Worauf ist seine Aufmerksamkeit gerichtet? – Was muss ich tun, damit meine Absicht richtig interpretiert wird? – Welche Verhaltensweisen werden von mir erwartet? Interkulturelle Handlungskompetenz ist somit nicht das einfach vorhandene oder nicht vorhandene Fähigkeitsprofil einer interkulturellen »Lichtgestalt«, die man im realen Leben kaum antreffen wird, sondern interkulturelle Handlungskompetenz »entwickelt sich in und aus dem Verlauf eines hochgradig lernsensitiven interkulturellen Begegnungs- und Erfahrungsprozesses. Lernen, das Erkennen und Ergreifen von Lernchancen und Lernerfahrungen und der gezielte Einsatz von Reflexion und Kommunikation über das, was an situations- und zielangemessenem Verhalten zu planen, durchzuführen und als Ergebnis zu registrieren und zu bewerten ist, sind dabei zentrale Anforderungen« (Thomas 2003). Die zentrale Rolle, die somit interkulturellen Lernprozessen beim Aufbau einer interkulturellen Handlungskompetenz zukommt, arbeitet Thomas (2003) in einem komplexen handlungs- und lerntheoretischen Konzept interkultureller Handlungskompetenz heraus. Er definiert dabei interkulturelle Kompetenz als die »Fähigkeit, kulturelle Bedingungen und Einflussfaktoren im Wahrnehmen, Urteilen, Empfinden und Handeln bei sich selbst und bei anderen Personen zu erfassen, zu respektieren, zu würdigen und produktiv zu nutzen im Sinne einer wechselseitigen Anpassung, von Toleranz gegenüber Inkompatibilitäten und einer Entwicklung hin zu © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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synergieträchtigen Formen der Zusammenarbeit, des Zusammenlebens und handlungswirksamer Orientierungsmuster in Bezug auf Weltinterpretation und Weltgestaltung«. Fremdheit und Andersartigkeit müssen in ihrer kulturellen Bedingtheit wahrgenommen (Interkulturelle Wahrnehmung) und als bedeutsam für das interaktive Geschehen bewertet werden. Es müssen Kenntnisse über das fremdkulturelle Orientierungssystem und die Art und Weise seiner Handlungswirksamkeit erworben werden (Interkulturelles Lernen). Der Handelnde muss wissen und nachvollziehen können, warum die Partner so andersartig wahrnehmen, urteilen, empfinden und handeln. Er muss auch bereit sein, diese Denk- und Verhaltensgewohnheiten zu respektieren und im Kontext der fremden Kulturentwicklung zu würdigen (Interkulturelle Wertschätzung). Weiterhin muss er wissen, reflektieren und nachvollziehen können, wie sein eigenkulturelles Orientierungssystem beschaffen ist, wie es das eigene Denken und Verhalten bestimmt und welche Konsequenzen sich aus dem Aufeinandertreffen der eigenen und der fremden kulturspezifischen Orientierungssysteme für das interaktive und gegenseitige Verstehen ergeben (Interkulturelles Verstehen). Der Handelnde muss in der Lage sein, aus dem Vergleich des eigenen und fremden Orientierungssystems heraus sensibel auf den Partner zu reagieren, dessen kulturspezifischen Perspektiven partiell zu übernehmen (Interkulturelle Sensibilität). Zu dem mehr faktischen Wissen über die handlungswirksamen Merkmale des eigenen und fremden kulturspezifischen Orientierungssystems muss ein prozedurales Wissen über den kulturadäquaten Einsatz und Umgang mit kulturbedingten Unterschieden hinzukommen. Nur so ist es möglich, den interkulturellen Handlungsprozess so (mit)gestalten zu können, dass Missverständnisse vermieden oder aufgeklärt werden können und gemeinsame Problemlösungen kreiert werden, die von allen beteiligten Personen akzeptiert und produktiv genutzt werden können (Interkulturelle Kompetenz). Als weiteres Beispiel für eine moderne, interaktionistische Annäherung an das Konzept der interkulturellen Handlungskompetenz sei Stahl (1998) genannt, der interkulturelle Handlungskompetenz als Bewältigungskompetenz im Angesicht von Belastungen versteht. Im Rahmen seiner Studie an Führungskräften internationaler Unternehmen hat er versucht, verschiedene Belastungstypen, Bewältigungsformen und Bewältigungsressourcen zu unterscheiden und das Zusammenwirken dieser Faktoren zu untersuchen. In dem daraus resultierenden Modell werden oben genannte Personenmerkmale, aber auch die Umweltbedingungen gemeinsam als Bewältigungsressourcen betrachtet, die bei interkulturellen Interaktionssituationen ein erfolgreiches Handeln unterstützen. Dabei zeigt sich, dass sich interkulturell kompetentes Handeln in Abhängigkeit von bestimmten Belastungstypen in durchaus unterschiedlichen Verhaltensweisen äußern © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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kann. So kann zum Beispiel Konfrontation im Sinne von »Aggression, Selbstbehauptung, Kontrolle anderer« genauso eine kompetente Bewältigungsform darstellen wie Konfliktentschärfung (Konfliktprävention, Deeskalation, Kompromissbildung) oder Perspektivenwechsel (Einnehmen eines fremden Blickwinkels, Einfühlung). Abschließend ist festzustellen, dass interkulturelle Handlungskompetenz natürlich keine isolierte Fähigkeit darstellt, über die zunächst niemand verfügt und die jeder somit von Grund auf neu erlernen müsste. In der psychologischen Literatur existieren mehrere Versuche, die sehr engen Beziehungen zwischen einer allgemein sozialen Handlungskompetenz und einer interkulturellen Handlungskompetenz offen zu legen und zu analysieren (z. B. Eder 1996). Die engen Beziehungen zwischen diesen beiden Konstrukten werden allein schon dadurch deutlich, dass je nachdem, wie weit oder eng der Kulturbegriff gefasst wird, auch jede soziale Interaktion als interkulturelle Interaktion verstanden werden kann. Entsprechend können die Fähigkeiten, bestimmte Perspektiven auf eine interkulturelle Situation einzunehmen, als Partialkompetenzen einer umfassenderen Fähigkeit angesehen werden, die man als »soziale Handlungskompetenz in interkulturellen Kontexten« bezeichnen kann (Layes 2000). Diese kann in völliger Analogie zu einer sozialen Handlungskompetenz als die Fähigkeit definiert werden, eine interkulturelle Interaktion gleichzeitig aus einer Problembewältigungs-, Beziehungs- und Klärungsperspektive zu sehen und seine konkreten Handlungen auf jenen Ebenen zu vollziehen, die unter Berücksichtigung der Perspektiven des Interaktionspartners am situationsangemessensten erscheinen. Den Unterschied zwischen einer allgemein sozialen und einer spezifisch interkulturellen Interaktionsfähigkeit sieht Layes lediglich darin, dass im letzteren Fall die Fähigkeit zur Einnahme einer Klärungsperspektive an Bedeutung gewinnt, und zwar umso mehr, je unterschiedlicher die handlungsleitenden Konzepte der Interaktionspartner sind.

Literatur Brislin, R. W. (1981): Cross-cultural Encounters: Face-to-face Interaction. New York. Brislin, R. W. (1993): Understanding Culture’s Influence on Behavior. Forth Worth. Eder, G. (1996): »Soziale Handlungskompetenz« als Bedingung und Wirkung interkultureller Begegnung. In: Thomas, A. (Hg.), Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen, S. 411–422. Furnham, A.; Bochner, S. (1986): Culture Shock. Psychological Reactions to Unfamiliar Environments. London.

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Grundlagen: Theoretische Grundlagen

Gardner, G. H. (1962): Cross-cultural communication. The Journal of Social Psychology 58: 241–256. Hatzer, B. (2000): Erfassung interkultureller Handlungskompetenz unter Berücksichtigung der lernpsychologischen Basisannahmen des Situated Learning. (Unveröff. Dipl.-Arbeit, Universität Regensburg) Kealey, D. J.; Ruben, B. D. (1983): Cross-cultural personnel selection, criteria, issues, and methods. In: Landis, D.; Brislin, R. W. (Hg.), Handbook of Intercultural Training, Vol. I: Issues in Theory and Design. New York, S. 155–175. Layes, G. (2000): Grundformen des Fremderlebens. Eine Analyse von Handlungsorientierungen in der interkulturellen Interaktion. Münster. Müller, A.; Thomas, A. (1995): Studienhalber in den USA: Interkulturelles Orientierungstraining für deutsche Studenten, Schüler und Praktikanten. Heidelberg. Reis, J. (1997): Inventar zur Messung der Ambiguitätstoleranz. Bern. Stahl, G. K. (1998): Internationaler Einsatz von Führungskräften. München. Straub, J. (1999): Handlung, Interpretation, Kritik. Grundzüge einer textwissenschaftlichen Handlungs- und Kulturpsychologie. Berlin. Thomas, A. (Hg.) (1996): Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen. Thomas, A. (2003): Interkulturelle Kompetenz. Grundlagen, Probleme und Konzepte. 2. Auflage. Erwägen – Wissen – Ethik 14(1) Stuttgart.

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Grundlagen: Theoretische Grundlagen

Gerhard Winter: Ethische Leitlinien

Gerhard Winter

1.10 Ethische Leitlinien für interkulturelles Handeln

1.10.1 Vorbemerkungen Ethik im wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Handeln wird seit einigen Jahren nicht mehr als Gefühlsduselei, Nebensächlichkeit und Belanglosigkeit belächelt, sondern mehr und mehr als wichtiger Aspekt wirtschaftlich und gesellschaftlich verantwortungsvollen Handelns betrachtet. Viele skandalöse Ereignisse in Politik und Wirtschaft, aber auch wissenschaftliche und technische Entwicklungen in der Medizin, Biologie, Energiegewinnung, Umweltverträglichkeitsforschung haben Fragen nach ethisch vertretbarem Verhalten aufgeworfen und die Suche nach akzeptablen Problemlösungen forciert. Heute steht fest, dass die Entwicklung ethischer Wertorientierungen in Wirtschaft und Gesellschaft eine wesentliche Voraussetzung für unternehmerisches Handeln, Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und ökonomischer Effizienz unter den Bedingungen postindustrieller und globaler Bedingungen darstellt. Nach Kleinfeld (1999) lassen sich für die verstärkte Bedeutung wirtschaftsethischen Denkens mindestens drei Gründe nennen: 1. »Die wachsende Bedeutung des Menschen als ›ganzer Persönlichkeit‹ für eine gelingende Bewältigung der aktuellen Veränderungsprozesse und für einen nachhaltigen unternehmerischen Erfolg. 2. Ein Mangel an allgemein verbindlichen beziehungsweise global gültigen (ethischen) Wertorientierungen auf nationaler wie internationaler Ebene als Basis gesunder Unternehmenskulturen und eines erfolgreichen interkulturellen Managements. 3. Die Kompensation einer wirtschafts- und sozialpolitischen Rahmenordnung im Weltmaßstab durch Akte freiwilliger Selbstverpflichtung, um extreme Regulierungen zu vermeiden und damit unternehmerische Freiheit sicherzustellen« (S. 363). Ein Beispiel für ethisches Verhalten in grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeiten: Von einem bayerischen Unternehmen mit 1200 deutschen und 120 tschechischen Mitarbeitern, angesiedelt im deutsch-tschechischen Grenzgebiet, wird berichtet:

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Eine Firma hier bei uns im Grenzraum nützt nicht nur das Lohngefälle in Tschechien zum eigenen Gewinn aus, sondern auch zum Vorteil der Tschechen. Wie? Indem sie jedem Mitarbeiter des tschechischen Tochterunternehmens anbietet, auf Wunsch und bei Personalbedarf (der faktisch immer besteht und sonst durch Überstunden ausgeglichen werden kann) im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten auch in Bayern zu arbeiten, und zwar zu bayerischen Löhnen. Das ist für die Mitarbeiter eine gute Gelegenheit, mal am Stück in ihren Augen richtig schönes Geld zu verdienen. Vom Hilfsarbeiter bis zum Ingenieur bewerben sich die Tschechen dafür und werden nach einem betriebsinternen »Gerechtigkeitsverfahren« (d. h. jeder in etwa gleich oft und gleich lang) hier in Bayern eingesetzt. Der Unternehmer musste wegen der geringeren Überstunden für die Deutschen in einer Betriebsversammlung den deutschen Kollegen das erklären und in mehreren Versammlungen immer wieder begründen, und er liest jedem, der mit Neid und Diskriminierung reagiert, persönlich die Leviten. Das wirkt! Es herrscht nicht nur Ruhe diesbezüglich im Unternehmen, sondern es bildete sich inzwischen sogar eine richtige Kollegialität zwischen den Tschechen und Deutschen aus. Diese ist von grundsätzlicher Bedeutung und inzwischen auch Realität in offiziellen Status-quo-Besprechungen, denn dem Unternehmer ist Gleichheit ein erklärtes Anliegen. Wer nicht so leben will, hat, so betont er, in der Firma keinen Platz. Außerdem gilt vice versa dasselbe: Herrscht in Tschechien Not am Mann/an der Frau, müssen dort auch Deutsche rüber. Allerdings zu ihrem normalen deutschen Gehalt.

1.10.2 Ethisch relevante Problemfelder internationaler/ interkultureller Kommunikation Vertreter der Wirtschaftsethik gehen davon aus, dass, solange es noch keine global gültige wirtschafts- und sozialpolitische Rahmenordnung gibt, multinational operierenden Unternehmen eine wachsende moralische Verantwortung für die weltweite Durchsetzung von Sozial- und Umweltstandards zukommt. Macht korreliert stets mit Verantwortung, unternehmerische Freiheit mit der Pflicht, diese in einem sozialethischen Sinn wahrzunehmen. Denn: »Wo unternehmerische Freiheit missbraucht wird, gewinnt der Ruf nach Kontrolle und Überwachung an Attraktivität« (Leisinger 1997). Nur wenn sich große multinationale Konzerne dieses Zusammenhangs bewusst sind und entsprechend handeln, können sie elementare Bedingungen ihrer eigenen Existenz sicherstellen.

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Zu den bekanntesten Beispielen für ethische Dilemmasituationen transnational tätiger Unternehmen gehören der Umgang mit Bestechung, Rassendiskriminierung, Kinderarbeit sowie die Problematik von Investitionen in Ländern mit krassen Menschenrechtsverletzungen (Kleinfeld 1999, S. 367). Häufig genannt wird auch das Ausnutzen eines politischökonomisch bedingten Lohngefälles durch Auslagerung der Produktion in ein Billiglohnland – unter Inkaufnahme erhöhter Arbeitslosigkeit im eigenen Land und der Sozialisierung der dabei entstehenden Sozialkosten. Ethisches Handeln im hier angedeuteten Sinn ist zunächst einmal nicht gesetzlich oder ordnungspolitisch verankert und damit eine strafbewehrte Verpflichtung, sondern ein Akt freiwilliger Selbstverpflichtung und damit moralisches Handeln im eigentlichen Sinn (Kant 1785). Eine solche Selbstverpflichtung, verbunden mit vorausschauendem Handeln, stellt einen wichtigen Beitrag zur Entstehung und Stärkung von Corporate identity global agierender Unternehmen dar. Organisationen treten in diesem Sinne aber nicht als moralisch-ethische Instanzen auf, sondern letztlich können nur Personen moralisch verantwortlich handeln. Wenn diese Führungskräfte aber in einer Organisation agieren, die in ihrem Selbstverständnis keine ethischen Wertorientierungen im Sinne einer Corporate identity verankert hat, geraten sie leicht in einen schwer zu lösenden Zielkonflikt zwischen ihren persönlichen, moralisch-ethischen Werthaltungen und den dominanten wirtschaftlichen Maximen der Organisation. Es kann zu einer quasi erzwungenen Spaltung, zu einem tiefen Konflikt zwischen der moralisch-integeren Privatperson einerseits und dem vornehmlich den Gesetzen des Markts gehorchenden Geschäftsmann andererseits kommen. Wirklich produktiv entfalten kann sich moralisch-ethisches Handeln also nur in einem Unternehmenskontext, der moralische Selbstverpflichtungen als firmenspezifisches »commitment« in der Firmenpolitik verankert und das dementsprechend würdigt. Je mehr der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit auch unter den Bedingungen verschärften internationalen Wettbewerbs gefragt ist und je mehr von ihm Innovationskraft, Engagement, Kreativität, Leistungswille sowie Teamfähigkeit und interkulturelles Verstehen verlangt werden, umso mehr kommen auch spezifische Dimensionen ethischer Selbstverpflichtung zur Wirkung. Der Würde des Menschen als Mitarbeiter im Unternehmen, in welcher hierarchischen Ebene auch immer, kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Das von ihm eingebrachte Erfolgspotenzial kann nur dann optimal zur Wirkung kommen, wenn ein passender Umgangs- und Führungsstil im Unternehmen gepflegt wird. »An erster Stelle gehört dazu die Einhaltung der unbedingten ethischen Forderung nach wechselseitiger Anerkennung und Respektierung der Personenwürde. Für deren Umsetzung sind firmenintern die so genannten ›soft-factors‹ entscheidend: ein © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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gutes Betriebsklima, Partnerschaftlichkeit und Kooperationsbereitschaft statt Konkurrenzdenken und Konfrontation, eine Atmosphäre des Vertrauens, der Offenheit und Transparenz im Rahmen einer entsprechenden Kommunikationsstruktur« (Kleinfeld 1999, S. 368). Aus der Sicht der Arbeits- und Organisationspsychologie sind ethischnormative Überlegungen im Rahmen interkultureller Anforderungen von Fach- und Führungskräften in grenzüberschreitendem Einsatz zunächst unter der klassischen sozialpsychologischen Thematik »Vorurteile, Polarisierung von Eigenem und Fremdem sowie Rassismus« zu finden. Positiv besetzte Gegenbegriffe sind unter anderem Ambiguitätstoleranz, Sensibilisierung, Non-Ethnozentrismus und Verhaltensflexibilität (Eckensberger 1993; Kühlmann u. Stahl 2001). Bezogen auf solche in der Persönlichkeit der Auslandsmitarbeiter verankerten ethnofreundlichen Haltungen kommt den Auswahlprozeduren eine große Bedeutung zu. Die in eignungsdiagnostischen Merkmalslisten für »Erfolgstypen« beim Einsatz von Expatriates erfassten Eigenschaften lesen sich fast wie ethische Leitlinien. Sie ähneln in hohem Maß allgemeinen Kommunikationstugenden, erscheinen also situations- und partnerübergreifend anwendbar (Stahl 1995; Spieß u. Winterstein 1999). Hinzu kommen für den Auslandseinsatz lediglich einige Besonderheiten wie Offenheit für fremde Kulturen, Akzeptanz fremden Verhaltens, psychische und physische Belastbarkeit unter ungewohnten Bedingungen sowie Integrationskraft angesichts widerstreitender Interessen (Thomas 1995; Großschädl 1995). Allerdings ist zu bedenken, dass die Auswahlprozeduren für interkulturell tätige Manager in den verschiedenen Ländern – und schon allein innerhalb des westlichen Kulturkreises – sehr unterschiedlich sind, sowohl hinsichtlich der Inhalte wie auch der Präferenz bestimmter Kriterien und Auswahlmethoden (Smith et al. 2001). Im weiteren Verlauf der Beschäftigung mit Auslandseinsätzen wendet sich das Forschungsinteresse hauptsächlich interkulturellen Differenzen und deren Bewältigung zu: Differenzen in der Arbeitsmotivation, in Problemlösungs- und Verhandlungsstilen, im Zeitkonzept, im räumlichen Verhalten, in Gerechtigkeitsvorstellungen und der Mobilitätsbereitschaft (Eckensberger 1993; Korff et al. 2001). Weitere wichtige Vergleichsdimensionen sind Regeln für das Verschlüsseln und Entschlüsseln von Nachrichten, Vorstellungen über Ziele, Kooperation in internationalen Arbeitsgruppen sowie Engagement (commitment) für die eigene Firma und das eigene Land (Smith et al. 2001). Zur Vorbereitung auf interkulturelle Differenzen, vorzugsweise auf solche zwischen westlichen und asiatischen Ländern, werden die Trainingssituationen (z. B. Rollenspiele, Fallbeispiele, CultureAssimilator-Verfahren) so gewählt, dass sie den realen Anforderungssituationen und den Lehr- und Lerngewohnheiten der Trainingsteilnehmer © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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möglichst nahe kommen. Angestrebt wird eine kommunikative Effektivität, deren moralische Korrelate in der Vermeidung einer Verletzung kollektiver Regeln und persönlicher Empfindlichkeiten des fremdkulturellen Partners bestehen. Die verschiedenen Bereiche der Verantwortung eines interkulturell agierenden Managers lassen sich so zusammenfassen: organisatorische, soziale, religiöse, staatsbürgerliche und auf den Kooperationspartner bezogene Verantwortung (Dülfer 1991). Ein weiterer Schwerpunkt in der Diskussion ethischer Fragen bildet das Thema Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit im Zusammenhang mit dem Funktionieren kulturell gemischter Arbeitsgruppen.Sind Güter und soziale Anerkennung nach Gleichheitsgesichtspunkten, Bedürftigkeitsgesichtspunkten oder nach erbrachter Leistung zu verteilen? Sind Verfahrensregeln nach Kriterien der Neutralität, des kulturellen Wettbewerbs von Subgruppen, des Altruismus, der Solidarität, der Redlichkeit oder der sportlichen Fairness zu gestalten? (Organ 1990). Betont wird in den meisten Fällen ein Verfahren, das bestehende kulturelle Divergenzen überwindet, transzendiert, synthetisiert und auf diese Weise das kulturelle Differenzpotenzial kreativ zur Motivationssteigerung nutzt. Die dazu vorliegenden Forschungsergebnisse zur distributiven und prozeduralen Gerechtigkeit sind gegenwärtig allerdings recht uneinheitlich. Es bedarf weiterer Differenzierungen, zum Beispiel im Hinblick auf Länder- und Firmenzugehörigkeit. Diskussionen um Gerechtigkeitsfragen entfalten sich bevorzugt, wenn die kulturellen und politischen Verhältnisse in den Ländern der beteiligten Manager und Fachkräfte stark unterschiedlich sind; so zum Beispiel wenn die Beteiligten aus individualistischen oder kollektivistischen, machtorientierten oder machtdistanten, modernen oder traditionell eingestellten Ländern kommen. Wichtig erscheint auch, mit wem und aus welchen Gründen sich die Beteiligten jeweils in der Gerechtigkeitsdimension vergleichen, ob sie dabei nur sich selbst oder auch ihre sozialen Bezugs- und Mitgliedsgruppen sowie ihre Familie und Verwandtschaftsbeziehungen in den Vergleich einbeziehen (Volkmann 2001). Erörterungen über Leitlinien zur Führung kulturell inhomogener Arbeitsgruppen fehlen inzwischen in keinem Kompendium für Manager im Auslandseinsatz. Verhaltensdimensionen sind hier Lob und Tadel, Informationsweitergabe oder Informationszurückhaltung, Konfliktreduktion und Problemlösung, Verhandeln, Qualitätssicherung, Leistungserwartung und deren Kommunikation in der Gruppe. So unterscheidet beispielsweise Thomas (1992) auf der Modellebene zwischen einem Dominanz-, einem Kompromiss- und einem Synergiemodell. Heenan und Perlmutter (1979) definieren in diesem Zusammenhang vier Formen des Managements multinationaler Unternehmen und damit zugleich fundamentale Orientierungsweisen: ethnozentristisch, polyzentristisch, regiozentrisch © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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und biozentrisch. Nach Müller (1992) interagieren im japanischen Managementsystem – je nach Aufgabengebiet und der Entscheidungssituation – das Familien-, das Wohlfahrts- und das Humanprinzip mit dem Gruppenprinzip. Die typischen Charakteristika einer international tätigen Führungskraft und die damit verbundenen Leitlinien für eine erfolgreiche internationale Kommunikation lassen sich nach der vorliegenden Literatur folgendermaßen bestimmen: komplizierte Dialoge führen können, Einordnung von Spannungen als Entwicklungschancen und nicht als Bedrohung begreifen, Distanz zu sich selbst und zur eigenkulturellen Prägung gewinnen, eine feste ethische Grundhaltung aufrechterhalten, lebenslanges Lernen als Voraussetzung für das Erreichen eines globalen Horizonts, verbunden mit einer herausragenden Fähigkeit zur Anpassung, Durchsetzungs- und Kompromissfähigkeit, weiterhin Selbstständigkeit und Teamfähigkeit sowie Identifikation mit dem Unternehmen (Tichy u. Devanna 1986). Gerade unter den schwierigen Bedingungen interkultureller Kommunikation und Kooperation, bei denen es darum geht, Menschen einer fremden Kultur in ihrer spezifischen Eigenart und mit ihren spezifischen Orientierungssystemen zu verstehen, zu akzeptieren, ihren Werten, Normen und Verhaltensregeln Wertschätzung entgegenzubringen, werden Menschen benötigt, die ihre persönlichen, sozialen, emotionalen und intuitiven Potenziale voll zur Entfaltung bringen. Sie sollten das leisten können, was zugleich den elementarsten Akt moralischen Handelns ausmacht: Wertschätzung im eigentlichen Wortsinn. Gemeint ist damit ein vorübergehender mentaler Standpunktwechsel, ein Aufgeben der egoistischen Perspektive, um sich auf die Perspektive des Anderen einzulassen. Das impliziert nicht nur Toleranz, sondern auch Wohlwollen im Sinne einer affirmativen Grundhaltung und Bereitschaft zur Öffnung für das ganz Andere und Fremde. Erst wenn diese Bereitschaft gegeben ist, kann man sich in sein Gegenüber geistig wie emotional hineinversetzen. Eben dieses Einfühlungsvermögen – Empathie – ist in interkulturellen Zusammenhängen unverzichtbar. Interkulturelle Konfliktlösung setzt des Weiteren voraus, dass man überprüft, ob und inwiefern Werthaltungen und moralische Überzeugungen in der täglichen Arbeit zum Tragen kommen und wo diese gegebenenfalls differieren. Dazu müssen zunächst die eigene soziokulturelle Prägung und die damit verbundenen Einstellungen reflektiert werden. Für eine reibungslose, effektive Kooperation in multinationalen wie auch in interdisziplinären Teams gilt es nicht nur eine gemeinsame sprachliche und begriffliche, sondern auch eine gemeinsame normative Ebene zu finden, ein gemeinsames Ethos. Wertreflexion dieser Art und das Bemühen, sich auf konsensfähige Verhaltensnormen und moralische Standards zu verständigen, sind genuiner Gegenstand von Ethik. Corporate ethic kommt da© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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bei heute sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene eine integrative und identitätstiftende Funktion zu. Mit einer firmeneigenen Corporate ethic kann das Unternehmen den Mangel eines übergreifenden gesellschaftlichen beziehungsweise globalen moralischen Common sense wenigstens teilweise kompensieren. Zudem kann das Handeln der Unternehmensmitglieder in allen Bereichen und auf allen Ebenen an gemeinsame Werte rückgebunden werden, die Sinn, Halt und Orientierung stiften. Ethik und ethische Wertorientierungen, so lässt sich zusammenfassend festhalten, gehören zu den entscheidenden Erfolgsfaktoren eines gelingenden Wandels (Change-Management) und eines gelingenden interkulturellen Managements (Kleinfeld 1999, S. 369). Stärker und auch direkter auf ethische Werte und deren Umsetzung in der betrieblichen Praxis bezogen sind Überlegungen, die sich mit Bestechung, Korruption, der Qualität der Lieferanten, mit Lohndumping, ethnischer Diskriminierung oder der Unterschreitung von Mindeststandards der Arbeitsbedingungen beschäftigen, beispielsweise Verstöße gegen Bestimmungen des Natur- und Umweltschutzes, inhumane Regelung von Arbeitszeiten und -pausen. Moralischen Fehlentwicklungen werden aber nicht nur Prinzipien entgegengesetzt wie das Legalitätsprinzip, die Wettbewerbsneutralität und Selbstgovernance, sondern auch Kontrollen, die die tatsächliche Umsetzung ethischer Selbstverpflichtung überprüfen, zum Beispiel Ethik-Audits (Wieland 2001; Schroll-Machl 1996). Abstand genommen wird von einer Instrumentalisierung ethischer Prinzipien, ihrem Missbrauch als vordergründige Imagepflege, als Alibifunktion und als Bemäntelung eines Verfalls so genannter bürgerlicher Tugenden. Herausgestellt werden die situationsgerechte Umsetzung ethischer Leitlinien durch starke Persönlichkeiten, die Kontinuität und Nachhaltigkeit bei der Aufrechterhaltung übernommener Bindungen und Selbstverpflichtungen, die positive Funktion einer Unternehmensethik für eine korporative Identitätsbildung und für eine innergesellschaftliche und internationale Glaubwürdigkeit des Unternehmens.

1.10.3 Ethische Positionsbestimmung im Bereich interkultureller Kommunikation Äußerungen über Moral und Verantwortung im Wirtschaftsleben, also über ethische Grundlagen wirtschaftlichen Verhaltens, laufen immer Gefahr, als randständig, unverbindlich und allenfalls gut für Sonntagsreden geeignet zu erscheinen. Über ethisch-moralische Grundsätze lässt sich gut streiten, wenn es dem Unternehmen gut geht, wenn die Wirtschaft floriert,

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wenn alle zufrieden sind. In Zeiten harten Wettbewerbs, drohender Pleiten, Insolvenzen und heraufziehender konjunktureller Krisen scheinen sie zur Problemlösung nicht oder wenig geeignet. Dieser ethikschädlichen Argumentation kann man nur begegnen, wenn man die Frage nach der fundamentalen Positionsbestimmung ethischen Verhaltens beantwortet. Im Zusammenhang mit den hier diskutierten Aspekten sollte diese Frage auf der Basis der Anschlussfähigkeit des präferierten ethischen Konzepts für eine moderne allgemeinpsychologische Theorie mit Blick auf die interkulturellen Aspekte wirtschaftlichen Handelns erfolgen. Einen geeigneten Ansatz bietet ein handlungspsychologisches Konzept mit dem Zentralbegriff Verantwortung. Handlungs- und attributionstheoretische Beschreibungen von Arbeits- und Organisationsvorgängen sind durchaus üblich und werden auch zur Erfassung interkultureller Kommunikationsprozesse herangezogen (Volpert 1983; Lenk u. Maring 1992). Unter dem Stichwort Ist-Soll-Vergleich und Regulation/Kontrolle lassen sich normative Aspekte in die Handlungstheorie einbeziehen, und zwar explizit in Form eines gleichsam permanent mitgeführten »ethischen Speichers« (Kaminski 1970). Regulation und Kontrolle als konstituierende Momente der Handlungsplanung, -ausführung und -evaluation sind dabei keineswegs in erster Linie nur verneinend als Blockierung unsozialer, beziehungs- und gemeinschaftsschädlicher Motivationen »zur egozentrischen Gewinnmaximierung« aufzufassen, sondern dienen mit mindestens gleichem Gewicht der Entwicklung von Orientierungs- und Selbstüberprüfungsfähigkeiten in interpersonalen Konflikt- und Entscheidungssituationen. Bei der Anwendung von handlungspsychologischen Modellen empfiehlt sich im vorliegenden Zusammenhang eine Beschränkung auf dialogische Face-to-face-Kontakte mit den Kriterien gewaltfreie, friedfertige Interaktion, Bemühen um gegenseitiges Verstehen und Herstellen von gerechten und fairen Vereinbarungen, die im wohlverstandenen beiderseitigen Interesse liegen. Prototypen dieser Art interkultureller Kommunikation sind offene Verhandlungssituationen, in denen die Beteiligten als Manager, Unternehmen oder Fachkräfte auftretende oder sich anbahnende Divergenzen, Konflikte oder gar Krisen konsensorientiert zu lösen versuchen. Die Beantwortung der Frage nach einem grundlegenden Konzept für ethischmoralisches Verhalten im internationalen Wirtschaftskontext lässt sich inhaltlich nicht aus einer irgendwie kulturfreien Perspektive beantworten, sondern nur in Bezug auf kulturspezifische Merkmale der betreffenden Situation. Der Autor selbst nimmt in seinem Beitrag eine westlich-abendländische Perspektive als Ausgangspunkt und als nicht hintergehbaren Wahrnehmungs- und Interpretationshintergrund ein. Es wird ausgegangen von der Perspektive einer von der westlich-abendländischen Kultur geprägten © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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deutschen Fach- und Führungskraft, die in einem westlich-abendländischen Symbol- und Bedeutungskontext sozialisiert wurde, in ihrer relevanten persönlichen Moral, in und durch diese westliche Welt und deren Institutionen geprägt worden ist. Als zentrale Werte einer westlichen Welt gelten üblicherweise: Menschenwürde und individuelle Freiheit, Streben nach persönlichem Glück und Individualität, soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Partizipationsrechte, Gleichheit und eine christlich bestimmte Transzendenzbezogenheit (Hunold et al. 2000). Eine interkulturelle oder gar transkulturelle Ethik, etwa in Form allgemeiner Menschenrechte, als universell anerkannter Maßstab für die Beurteilung und Gestaltung internationaler und interkultureller Beziehungen gibt es gegenwärtig noch nicht und wird es möglicherweise nie geben. Die Weltgesellschaft und ihre Religionen haben ein Weltethos noch nicht erreicht, obwohl Ansätze dazu erkennbar sind (Küng 1990). Deshalb erscheint es für den Teilbereich Wirtschaftsethik realistischer, davon auszugehen – sofern nicht zentrale Wertschätzungen betroffen sind –, das Wie der Kommunikation, also die Umgangsformen, Entscheidungsregeln, Vereinbarungsmodalitäten bei Verträgen zur interkulturellen »Verhandlungssache« zu erklären. Das würde mehr für eine gewisse Formalisierung der Prozedur sprechen, wenn man so will, für eine vernunftbestimmte Situation und Verfahrensethik und weniger für eine interindividuelle und kulturell stark variierende Gesinnungs- und Gebotsethik. Freilich enthält der Vernunftbegriff selbst als Prinzip kultur- und zeitunabhängige Ansprüche und ist damit der Ethik Kants verwandt (Höffe 1997, S. 46 f.). Mit dem hier favorisierten Verantwortungsbegriff lassen sich – so scheint es – Aspekte einer Pflichtlehre, Güterlehre und Tugendlehre mehr oder weniger geschickt verbinden (Kerner 1990). Der Nachteil ist freilich eine zunächst weitgehende inhaltliche Unbestimmtheit der handlungsleitenden Motive und Maximen. Die Verantwortungsethik rekurriert primär auf die Folgen einer Handlung und kann diese dann sekundär mit moralisch bedeutsamen kollektiven Werten wie Gemeinwohl, Lust, Nutzen oder Glück in Verbindung bringen. In einer interkulturellen Überschneidungssituation ist es neben der eigenen Person zunächst der fremdkulturelle Interaktionspartner, dem gegenüber Verantwortung zu übernehmen ist. Mit dem Stichwort Kulturstandard sind wesentliche kulturelle Differenzen und damit potenzielle Konfliktzonen im Bereich von Arbeitsmotivation, Führungs- und Verhandlungsstil, Konfliktlösungsprozeduren, Teamkommunikation und Gerechtigkeitsvorstellungen angesprochen (Smith et al. 2001). Angesichts der empirisch vielfach ausgewiesenen, fundamentalen Differenzen in den genannten Dimensionen, zum Beispiel zwischen deutschen, amerikanischen, chinesischen oder indonesischen Managern, kann man sich wirklich © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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schwer vorstellen, wie ein genereller, interkulturell gültiger Kanon von Verhandlungsregeln, losgelöst von der konkreten Gruppenkonstellation und -situation, aussehen und handhabbar sein könnte. Vorstellbar sind wohl aber aktuelle Lösungen und Vereinbarungen durch Oszillation, Kompromissbildung oder Innovation (Thomas 2000; Thomas et al. 1997). Darüber hinaus gibt es vielleicht noch länderspezifische Versöhnungsstrategien, die sequenziell eingesetzt werden könnten, etwa in Form von Kommunikationen, die auf einem zuvor hergestellten Vertrauensverhältnis aufbauend, ehrlich offen und direkt geführt werden, oder Formen von Kommunikation, die durch Vermittlung eines sozial hochrangigen und als besonders vertrauens- und verantwortungswürdig angesehenen drittpersonalen Vermittlers zustande kommen. Als Abschluss und Übergang zum nächsten Abschnitt hier noch ein konkretes Beispiel stattgefundenen ethischen Verhaltens: Der deutsche Geschäftsführer eines mittelständischen Textilunternehmens, das eine seiner Produktionsstätten nach Ungarn verlagert hat, steht vor der Aufgabe, das halbe Werk in Ungarn schließen zu müssen. Die betriebswirtschaftlichen Zahlen sagen das. Er diskutiert diese Konsequenz zusammen mit der Geschäftsführung in München, aber es gibt keinen anderen Weg. Er fährt nach Ungarn, führt viele Gespräche und hält die Betriebsversammlung, in der er offiziell sagt, dass zum Monatsende die Hälfte der Leute gehen muss. Er selbst ist davon zutiefst betroffen und erschüttert, denn er weiß, was das bedeutet in dieser Gegend Ungarns: Entlassung in Arbeitslosigkeit, Armut und . . . Hunger! Die Männer sind schon Jahre ohne Job, die Frauen konnten mit ihrer Tätigkeit die Familie aufrechterhalten. Er steht da vorn und spricht und lässt seine Erschütterung auch zu. Er kann nur sagen, dass es keine Alternative gibt, dass er versteht, wenn jetzt alle ihn und die Firma hassen, dass es ihm aufrichtig Leid tut . . . Und das Einzige, was er positiv sagen kann, ist, sollten wieder bessere Zeiten kommen, verspricht er, diese Frauen vorrangig wieder einzustellen, so sie es wollen. Die Versammlung ist für alle schlimm und endet in Geheule und Geschrei . . . Die entlassenen Arbeiterinnen brechen aber den Kontakt zu ihm nicht ab. Sie besuchen ihn und die Kolleginnen immer wieder, die eine oder andere trinkt mit seiner Frau (er hat sich in dem Ort ein Häuschen gebaut) gelegentlich Kaffee, sie erzählen von ihren Problemen und von den angenehmen Seiten in der Fabrik. Er ist positiv erstaunt und zutiefst glücklich darüber. Man nahm ihm das als Mensch offensichtlich nicht übel! Auch die Firma wird im Ort nicht verrissen, es wird nur gejammert. Heute, zwei Jahre später, hat sich die Situation gewandelt. Die Produktion wird wieder erweitert und die Frauen betonen, sie lieben diesen Chef und werden wieder für ihn arbeiten. Er hat sich nicht gedrückt, er hielt zu ihnen, das fühlten sie. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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1.10.4 Verantwortungsethik für den Bereich interkulturelle Kommunikation Ausgehend von der europäischen und damit der deutschen Kulturtradition wird bei der Behandlung dieses Themas der Hauptakzent auf eine philosophisch-humanistische Verantwortungsethik gelegt. Zentrale moralische Aspekte einer solchen Ethik sind die Autonomie und Freiheit des Subjekts, die nicht delegierbare personale Beanspruchung durch andere, ein verbindlicher moralischer und rechtlicher Maßstab für bestimmte Handlungskonstellationen und -situationen, wodurch Rechtfertigung und Haftung begründet werden (Kaufmann 2000; Höffe 1997). An die Stelle von Gott rückt in einer philosophischen Ethik das Selbst, das autonome Gewissen, die zukünftige Generation beziehungsweise die Zukunft als solche (Körtner 1999). Als zentrale Güter, die in einer globalisierten Welt auf dem Spiel stehen und im Grundsatz nicht verhandelbar, sondern vielmehr zu festigen und zu stärken sind, können im westlichen Kulturkreis vor allem Identität und Wohlbefinden, Synergie und Gemeinschaft, Vernunft als regulative Idee, Erhaltung der Schöpfung, Kontrolle risikobehafteter technischer Innovationen und – im Sinne einer Verfahrensethik – ein demokratisch legitimierter Diskurs gelten. Die Form und der Stil, in dem eine solche moderne Ethik heute auftritt und auftreten sollte, ist die einer konziliaren Mitwirkung bei komplizierten menschlichen Entscheidungen und nicht eine präskriptive Bestimmtheit (Hockel 1994). Eine Verantwortungsethik ist vergleichsweise offen, breit gefächert angelegt und eröffnet auch Zugänge zu den allgemeinen Menschenrechten und zu einer protestantischen Sozialethik (Blickle 1998). Sie erlaubt Differenzierungen wirtschaftsrelevanter Aufgabenstellungen nach beteiligten Personen beziehungsweise Personengruppen wie Vorgesetzten, Kollegen, Kooperationspartnern, nach zwischenmenschlichen Beziehungsformen und involvierten gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen. Über eine rein deskriptive Kennzeichnung eines moralischen Tuns hinaus werden Leitlinien für die Bewältigung von Kooperations- und Konfliktsituationen formuliert. Aus einer Verantwortungsethik ergeben sich demgemäß nicht nur Aussagen über die Folgen und Auswirkungen des eigenen Tuns und Lassens, sondern auch Verfahrensweisen und Strategien für Mediation im sozialen und interkulturellen Bereich. Die strategische Linie, für die hier eingetreten wird, bewegt sich im Spannungsfeld zwischen einer stabilen, grundsatztreuen, normativen Ethik, wie sie beispielsweise in einer protestantischen Sozialethik und einer normativ-kritischen Vernunftethik (Immanuel Kant) vertreten wird, und © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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einer vergleichsweise flexiblen, informellen Verfahrensfairness. Auf der einen Seite steht eine normative Position, die in ihren Kernbestandteilen nicht verhandelbar ist, und auf der anderen Seite eine pragmatische Position, bestehend aus einer – im Kommunikationsprozess verhandelbaren – Verfahrensfairness, die sich jeweils aktuell der konkreten sozialen Situation und dem konkreten Zweck unter dem Vorbehalt eines gleichberechtigten Diskurses anpasst (Meran 1992). Eine normativ-kritische Ethik zeichnet sich dadurch aus, dass auf ihrer Basis eine vernunftgeleitete Argumentation und moralische Beurteilung menschlichen Handelns für möglich gehalten wird. Die intendierten Aussagen über das gute oder das schlechte Handeln der am Kontrakt unmittelbar Beteiligten beansprucht nicht nur intersubjektive Gültigkeit, sondern auch eine objektive Verbindlichkeit unter Verweis auf rationale Argumente. Es wird der Anspruch auf eine möglichst weitgehende gesellschaftliche Anerkennung erhoben, die über konkrete Situationen und die einzelnen Handelnden hinausgeht. In Zusammenhang mit ethischen Reflexionen im interkulturellen Kontakt ergeben sich vorrangig drei Problemfelder.

Rückwirkungen von Fremderfahrungen auf das Selbstsystem Die ethische Reflexion im interkulturellen Kontakt hat Rückwirkungen insbesondere auf das Selbstbild, die Selbstachtung und die Selbstkontrolle der an der interkulturellen Kommunikation und Kooperation beteiligten Personen. Zentral ist die Wahrnehmung einer Verantwortung sich selbst und seinen zentralen identitätsbildenden Wertvorstellungen gegenüber. Die Spannweite reicht hier von einer selbstzentrierten Zurückweisung, Ablehnung, Diskriminierung und Bekämpfung alles Fremden (Xenophobie und Ethnozentrismus) bis zu einer unkritischen, vorbehaltlosen Bewunderung und Adaptation alles Fremden als eine der eigenen Identität und Lebensweise überlegenen Daseinsform (Xenophilie). Eine mittlere Position zwischen diesen beiden Extremen wäre durch eine kritische Distanz nach beiden Seiten gekennzeichnet (Layes 2000). Sie ist auf der Verhaltensebene mit einer relativ großen Offenheit, Flexibilität, Anpassungsbereitschaft und emotionalen Toleranz verbunden. Für die Beurteilung des fremdkulturellen Verhaltens stehen mehr und nuanciertere Kategorien zur Verfügung. Die Partizipationschancen an der fremden Kultur steigen, wenn vielfältigere Anreiz- und Resonanzstrukturen im eigenen Selbstsystem zur Verfügung stehen. In und durch den interkulturellen Kontakt können ehemals abgetrennte und separate, unbewusste Teilsysteme der eigenen Persönlichkeit hervorgehoben, dem Erleben und der kognitiven Bearbeitung zugänglich gemacht werden, so dass in gewissen Grenzen

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durchaus von fremdkulturellen Entwicklungsanstößen gesprochen werden kann (Sundermeier 1996; Epstein 1991; Krewer 1992). Die Änderung der eigenen Persönlichkeit kann die Hineinnahme neuer Elemente in das eigene Wert- und Selbstsystem betreffen; vielfältigere, kontrastreichere Vergleichsmöglichkeiten und reichhaltigere Symbolisationen beinhalten. Statt rascher, vorschneller Urteile und Vorurteile, fixierter Erwartungen und überströmender Emotionen im Erstkontakt können bei höherer Selbst- und Fremddistanz genauere Beobachtungen und eine schrittweise Ordnung und Integration der zunächst verwirrenden, mosaikhaften Impressionen treten (Straub 1999).

Die kommunikative Perspektive und die Beziehungsebene Begegnung mit Fremden in einer interaktionistischen und kommunikativen Perspektive zu beschreiben bedeutet, die Partner als Kommunikator und Rezipient von Botschaften aufzufassen. Damit sind Botschaften gemeint über sich und für sich, über und für den Anderen, für externe Auftraggeber und deren Anliegen, Botschaften über offene und verborgene Zielsetzungen, Einstellungen und Gefühle. Im kommunikativen Prozess entwickeln die Partner im Wechsel der Rollen als Beobachter und aktiv Handelnder Bilder voneinander, korrigieren ursprüngliche Erwartungen, treten in Lern- und Anpassungsprogramme ein und erreichen womöglich beiderseits befriedigende Übereinkünfte in stillschweigenden oder offen geführten Verhandlungen. Als Verhandlungsdimensionen in einem kommunikativen Zusammenhang sind in diesem Kontext im einzelnen anzusehen: – Verantwortung gegenüber der Verstehbarkeit der eigenen Kommunikation in der innerlich übernommenen, als hypothetisch einzustufenden Perspektive des fremdkulturellen Partners. – Authentizität der eigenen Äußerungen im Sinne von Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Der andere Partner kann Hinweise erkennen, dass die mitgeteilten Absichten, Pläne, Bedürfnisse und Befindlichkeiten nicht mit Irreführung, Täuschung und Lügen behaftet sind. Das Ideal des ehrlichen und ehrbaren Kaufmanns steht hier Pate. – Zurückhaltung bei der Entschlüsselung von Nachrichten und Beobachtungen nonverbalen Verhaltens und mehrfache Rückkontrolle vorgenommener Interpretationen durch Verwendung jeweils neuer Informationen und neuer beziehungsweise andersartiger Auswertungsmethoden für die übermittelten Nachrichten. – Soziale und partnerbezogene Verantwortung gegenüber den möglichen Folgen der eigenen Mitteilungen im Hinblick auf die mögliche Ver-

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wundbarkeit des fremdkulturellen Partners, die dadurch entstehen kann, dass zum Beispiel zentrale Wertvorstellungen, Ängste, Tabus des Partners achtlos, rücksichtslos und willkürlich angesprochen werden. – Regelgebundenheit und Regeltreue in dem Sinne, dass die vorab oder im Verlauf des Kontaktes vereinbarten Regeln, zum Beispiel der Reziprozität, der Tagesordnung, der Redezeit und Pausenregulation, tatsächlich eingehalten werden. – Verantwortung und Loyalität gegenüber der eigenen Gruppe, der Geschäftspolitik, der Unternehmensphilosophie, in deren Namen die wirtschaftlichen Verhandlungen geführt und die interkulturellen Kontakte angebahnt werden. Im weiteren Sinn sind die Verhandlungspartner auch Repräsentanten des eigenen Wirtschaftssystems, des eigenen Landes und der eigenen Nation und dessen Verbindungen und Verpflichtungen im internationalen Kontext. Individuelle Verhandlungspartner benutzen die ihnen zugänglichen überpersonalen Ressourcen der beteiligten Sozial- und Gesellschaftssysteme, sind diesen gegenüber andererseits aber auch zu zieladäquaten und regelrechten Dienstleistungen verpflichtet (Mieg 1994).

Rationalität und Gerechtigkeit, Kooperation und Moral Das für die hier diskutierte Thematik richtige Verhältnis von Rationalität und Gerechtigkeit wird in der sozialpsychologischen Forschung mit der Unterscheidung zwischen kooperativen und nichtkooperativen Strategien relevant. Das grundlegende Dilemma, so zeigen die Forschungen, besteht zwischen einem kurzfristig, auf Gewinnmaximierung zielenden Eigeninteresse und einer langfristigen, für beide Seiten Gewinn bringenden kooperativen Strategie. Eine soziale Falle entsteht dann, wenn beide am Interaktionsgeschehen beteiligte Akteure auf egoistischen Gewinn hin orientiert sind und dadurch die Chance auf eine gewinnträchtigere kooperative Konfliktlösung verspielen. Die Gewinnchancen für einen der beiden Partner ist dann am größten, wenn der egoistisch agierende Partner den gutmütigen, einseitig kooperativ spielenden ausbeuten kann. So liegt es nahe, die »unmoralische« Strategie als rational zu bezeichnen, weil sie die eindeutig bessere Antwort auf jede beliebige Strategiewahl des jeweiligen Anderen ist. Die entscheidende Frage in diesem Interaktionsgeschehen lautet: Unter welchen Umständen sollte ein selbstinteressierter Akteur »irrational«, das heißt kooperativ spielen, im Wissen darum, dass er dadurch Gefahr läuft, am Ende der Dumme zu sein? Auf diese vielleicht etwas polemisch zugespitzte Frage gibt es eigentlich nur eine »rationale« Antwort: Wenn der kooperative Akteur darauf vertrauen, vielleicht sogar

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damit rechnen kann, dass der andere ebenfalls kooperativ spielt, vielleicht nicht sofort, aber doch spätestens nach einigen weiteren kooperativen Zügen eines unverdrossen wohlwollend, optimistisch und gutgläubig eingestellten Gegenübers. Ein derartiges Vertrauen muss sich keineswegs darauf gründen, dass man um die stabile moralische Position seines Partners, etwa eines Bruders oder eines guten Freundes, weiß und eine hohe Gesinnungsethik unterstellen kann. Vertrauen in diesem Sinn kann sich prozedural in der Interaktion, zum Beispiel einer Verhandlung, selbst ergeben, quasi automatisch einstellen, weil es in der Logik der Sache liegt, also einer höheren Rationalität folgt. Im Verlauf von Zug und Gegenzug erkennen beide Akteure über alle interindividuellen und interkulturellen Grenzen hinweg, dass der eigene Vorteil relativ am größten und auch am sichersten ist, wenn man dem Partner eine korrespondierende rationale Vorteilsstrategie unterstellt. In der allmählichen Einpendelung von defektiven und kooperativen Zügen ergibt sich sekundär eine Verfahrensmoral, wobei diese sich auf einem mittleren Befriedigungsniveau als die rationalere Strategie erweist. Moral und Ökonomie sind unter der Bedingung selbstinteressierter, egoistischer Präferenzen keine unauflöslichen Gegensätze, sondern Prozessqualitäten einer Konkurrenzkonstellation, die zu einem gemeinsamen Ziel tendiert. Mit der Interkulturalität haben solche strategischen Überlegungen insofern etwas zu tun, als man auch bei rationalem Egoismus konkurrierender Akteure – unter der Randbedingung wechselseitiger Abhängigkeit – auf eine einvernehmliche Lösung hoffen kann; vielleicht sogar mehr als bei Annahme einer guten, vorreflexiven Gesinnung der Beteiligten (Lenk u. Maring 1992). Rationaler Egoismus wird von einigen Forschern als »Klugheit« apostrophiert, wobei man hier vielleicht auch von »universeller Vernunft« sprechen könnte. Im Wirtschaftsleben ebenso wie in der alltäglichen Interaktion hat Ethik die größte Chance einer Verwirklichung, wenn sie menschliche Eigenschaften und Affekte, Egoismen und Machtstreben, Begierden und Leiden realistisch in Rechnung stellt und dennoch, trotz dieser Eintrübung und Behinderung, auf die Kräfte des Verstandes vertraut. Die beste soziale und interkulturelle Ethik wird demnach ein Programm zur Verstandesentwicklung sein (McIntyre 1995). Nach dieser Argumentation wäre Wirtschaftsethik nicht nur ein im Geben und Nehmen ausgewogener Tausch, sondern eine Chance zur Verstandes- und Persönlichkeitsentfaltung (Höffe 1992). Mit der Rückführung von Moral auf »rationale Entscheidungen in nicht optimalen, relativ aussichtslosen Situationen« ist Moral in einem ökonomischen Kontext nicht schlecht erfasst, aber für moralische Institutionen ist dies sicherlich nicht ausreichend. Jenseits des ökonomischen Nutzens eröffnet sich das weite Feld für andere Arten von zwischenmenschlichen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Beziehungen, für Sympathie, Mitempfinden, Freundschaft und Liebe. Damit wird auch eine andere Ethik konstituiert, nämlich eine, die herkömmliche Regeln eines zweckrationalen Umgangs auf geringem bis mittlerem Informationsniveau deutlich übertrifft. Freundschaft bedeutet, den Erwartungen des Partners möglichst weitgehend gerecht zu werden, selbst dann, wenn eine solche Neigung mit einem hohen Risiko belastet ist und keinerlei Garantie auf einen rational gerechten Ausgleich in der übersehbaren Zukunft besteht. Kooperation als Prinzip, als lustvolle Beziehung und Selbstverstärkung, als unbedingt dominante kommunikative Strategie, ist die eigentliche Alternative zu einem »vernünftigen« und »ehrbaren« Verhalten im Bereich nationaler und internationaler Wirtschaftskooperationen.

1.10.5 Schlussbemerkungen Ethische Dilemmasituationen, in denen sich unabweisbare Verpflichtungen mit den Gewinninteressen eines Unternehmers nicht oder nur sehr schwer in Einklang bringen lassen, sind oft durch das Einnehmen einer langfristigen Perspektive aufzulösen. Verhalten, das mit kurzfristigen Gewinneinbußen verbunden ist, lässt sich unter bestimmten Voraussetzungen und absehbaren situativen Veränderungen nicht nur nicht hinnehmen, sondern als die letztlich rationalere ökonomische Alternative begreifen: Verantwortungsethisches Handeln kann sich unter ökonomischen Gesichtspunkten durchaus lohnen und sich als vernünftig und klug erweisen: – Menschen sind nicht bereit, sich langfristig ausbeuten zu lassen und dann immer noch zu kooperieren. Ihr Widerstand wird sich formieren und sich dann beispielsweise als Effizienzeinbuße oder Illoyalität nachteilig auf das Unternehmen auswirken. – Ethisches Handeln ist ein Weg zum guten Ruf. Das können von außen Kunden honorieren; nach innen erhöht sich die Qualität der Betriebsbindung, was bei der Beschaffung und bei der Sicherung von Personal bedeutsam ist. Hohe Motivation kann eine deutliche Produktivitätssteigerung in Krisenzeiten nach sich ziehen. Reputationseinbußen sind kostspielig und nur in einem langwierigen vertrauensbildenden Prozess wieder gutzumachen – nach innen wie nach außen. – Ethisches Verhalten, das sich an unternehmensspezifischen ethischen Leitlinien (Corporate ethic) dauerhaft orientiert, aus dem sich so etwas wie eine Ethiktradition entwickeln könnte, kann zur Unternehmenssicherung und zum langfristigen Überleben einen erheblichen Beitrag leisten.

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Interkulturelle Konflikte verlangen Offenheit, Menschen, die ihre guten Seiten ausleben, ihre soziale, emotionale, intuitive Kompetenz zur Entfaltung bringen. Es geht um Wertschätzung, um einen Blick- und Standpunktwechsel, um das Aufgeben einer starren egoistischen Perspektive, um ein Sich-Einlassen auf den Anderen, den Fremden. Das impliziert nicht nur Toleranz, sondern Bereitschaft zur Öffnung.

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Grundlagen: Diagnose – Training – Evaluation – Coaching

Eva-Ulrike Kinast: Diagno se interkultureller Handlungskompeten z

2. Diagnose – Training – Evaluation – Coaching

Eva-Ulrike Kinast

2.1 Diagnose interkultureller Handlungskompetenz

Die zunehmende Globalisierung der Märkte bedingt eine zunehmende Internationalisierung im Leben von Personen. Im Rahmen von Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Schule, Entwicklungshilfe, Tourismus und Migration leben und arbeiten immer mehr Personen außerhalb ihres Heimatlandes unter fremdkulturellen Bedingungen. Daraus ergeben sich für diese Personen und auch für jene, die in ihrem Heimatland bleiben und mit zunehmend mehr Personen aus anderen Ländern mit unterschiedlicher Kulturzugehörigkeit zusammenleben und -arbeiten, spezifische Anforderungen. Um diese bewältigen zu können, ist interkulturelle Handlungskompetenz notwendig. Ob eine Person interkulturell handlungskompetent ist, kann mittels interkultureller Diagnostik festgestellt werden. In diesem Kapitel wird über das Thema Diagnose ein praxisnaher Überblick gegeben.

2.1.1 Aktuelle Situation Die Bedeutung der Diagnose interkultureller Handlungskompetenz nimmt aktuell ständig zu. Inzwischen hat sich daraus ein neues Forschungs- und Betätigungsfeld für interkulturelle Psychologen und Psychologinnen und andere Berufsgruppen entwickelt. In der Forschung wächst seit den 1990er Jahren die Anzahl der Publikationen zu diesem Thema. In Unternehmen und anderen Organisationen werden zunehmend mehr Instrumente eingesetzt, um die interkulturelle Handlungskompetenz von Fach- und Führungskräften zu diagnostizieren. Auf dem externen Beratermarkt in Deutschland nehmen die Anbieter interkultureller Diagnostik zahlenmäßig ebenfalls stark zu.

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Grundlagen: Diagnose – Training – Evaluation – Coaching

Von allen in diesem Zusammenhang diskutierten Instrumenten gilt heute das interkulturelle Assessment-Center aufgrund seiner hohen prognostischen Validität (Maß für den Grad der Vorhersagegenauigkeit) und Objektivität (Maß für die Unabhängigkeit der Beobachterurteile) als die zentrale Methode zur Diagnose interkultureller Handlungskompetenz. Bekannte Autoren, die in Deutschland zu diesem Thema arbeiten, sind Bolten (2001), Deller (2000) sowie Kühlmann und Stahl (1998). Zur Entwicklung interkultureller Assessment-Center werden die Erkenntnisse der Forschung zum seit den 1920er Jahren vor allem in Deutschland und den USA angewendeten intrakulturellen Assessment-Center (Jeserich 1981; Kitzmann 1990; Obermann 1992; Schuler u. Stehle 1992) und die Erkenntnisse der interkulturellen Forschung (Thomas 1993b; Thomas 1996) und der kulturvergleichenden Forschung (Thomas 1993a) herangezogen.

2.1.2 Interkulturelles Assessment-Center Begriff Assessment-Center wurden zum ersten Mal in den 1920er Jahren in der Weimarer Republik in Form so genannter Rundgespräche (heute würde man dazu Gruppendiskussionen sagen) zur Auswahl von Offizieren der Reichswehr eingesetzt. Der Begriff stammt noch aus dieser Zeit und hat sich der Kürze wegen eingebürgert, obwohl er nicht ganz richtig ist: Center bedeutet nämlich Zentrum und gibt damit den Ort der Durchführung wieder. Korrekterweise müsste man deshalb von Assessment-Center-Methode oder Assessment-Center-Technik sprechen, was aber eher selten geschieht. Der Begriff interkulturelles Assessment-Center weist auf den interkulturellen Inhalt und den internationalen Kontext des Assessment-Centers hin. Im Unterschied dazu sind Inhalt und Kontext von intrakulturellen Assessment-Centern monokulturell und national geprägt.

Definition Ein interkulturelles Assessment-Center ist eine Methode, mittels derer mehrere Teilnehmer von mehreren Beobachtern in mehreren interkulturellen Spielsituationen über einen längeren Zeitraum hinsichtlich vorher definierter Kriterien interkultureller Kompetenz nach festgelegten Regeln und einem programmierten Ablauf beobachtet und beurteilt werden (vgl. Sarges 2001, S. VII). Interkulturelle Assessment-Center greifen den inter-

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Eva-Ulrike Kinast: Diagnose interkultureller Handlungskompetenz

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aktionistischen Ansatz von interkultureller Handlungskompetenz auf. Die Kandidaten werden in interkulturelle Spielsituationen gebracht, zum Beispiel ein Rollenspiel oder eine Gruppendiskussion mit einer oder mehreren fremdkulturellen Personen. Dort meistern sie die Anforderungen der simulierten Situationen, und zwar kraft der Merkmale ihrer Person (z. B. Offenheit, Empathie, Ambiguitätstoleranz), die sich im Verhalten der Kandidaten manifestieren. Das Verhalten wird beobachtet und bewertet.

Funktionen Interkulturelle Assessment-Center werden vor allem in Unternehmen eingesetzt, und zwar – um bei Vakanz einer Fach- oder Führungsposition in einem spezifischen Land eine Entscheidung zu treffen, wer von den Fach- oder Führungskräften am ehesten geeignet ist, die Position im Ausland zu besetzen, und entsendet oder versetzt wird. Sie dienen damit der Selektion. – um bei Vakanz einer Fach- oder Führungsposition zur Bearbeitung des Marktes einer spezifischen Kulturregion (z. B. Asien, Europa) eine Entscheidung zu treffen, wer von den Fach- oder Führungskräften am ehesten geeignet ist, in der betreffenden Kulturregion zu arbeiten. Sie dienen damit der Platzierung. – um die aktuell vorhandene interkulturelle Handlungskompetenz von Fach- und Führungskräften festzustellen, die zwar im Heimatland leben, aber international tätig sind. Sie dienen damit der Diagnose interkultureller Handlungskompetenz (im engeren Sinn). – um das Potenzial junger Fach- und Führungsnachwuchskräfte mit Karriereambitionen für eine internationale Fach- oder Führungslaufbahn mit Blick auf die interkulturelle Handlungskompetenz festzustellen. Sie dienen damit der Prognose interkultureller Handlungskompetenz. – um im Anschluss an die Diagnose oder Prognose interkultureller Handlungskompetenz ein Stärken- und Schwächenprofil zu erstellen und auf dieser Grundlage bedarfsgerechte Trainings oder Coachings zur Entwicklung und Förderung interkultureller Handlungskompetenz konzipieren zu können. Sie dienen damit der Bedarfsermittlung. – um im Anschluss an die Bedarfsermittlung interkulturelle Handlungskompetenz mittels Training und Coaching aufzubauen und zu fördern. Sie dienen damit der Entwicklung und Förderung interkultureller Handlungskompetenz. – um den Lernerfolg von Trainingsteilnehmern im Anschluss an interkulturelle Trainings und interkulturelle Coachings zu überprüfen. Sie dienen damit der Evaluation.

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Grundlagen: Diagnose – Training – Evaluation – Coaching

Auch in interkulturellen Assessment-Centern, die nicht ausdrücklich der Entwicklung dienen, entwickeln Teilnehmer ihre interkulturelle Handlungskompetenz weiter, und auch den Beobachtern bietet es die Gelegenheit, die eigene interkulturelle Handlungskompetenz zu entwickeln.

Anforderungsprofil und Bewertungskriterien In Bezug auf das Anforderungsprofil und die Beobachtungskriterien gibt es grundsätzlich zwei Formen von interkulturellen Assessment-Centern. Beim kulturallgemeinen interkulturellen Assessment-Center werden die Merkmale der interkulturellen Handlungskompetenz als Anforderungskriterien genommen und als Beobachtungskriterien im Assessment-Center verwendet (z. B. Offenheit, Ambiguitätstoleranz, Fähigkeit zum Perspektivenwechsel). Beim kulturspezifischen interkulturellen Assessment-Center werden die zentralen Kulturstandards einer spezifischen Kultur als Anforderungskriterien genommen und als Beobachtungskriterien im Assessment-Center eingesetzt (z. B. Interpersonale Distanz, Soziale Harmonie). Je nach Funktion des interkulturellen Assessment-Centers wird es kulturallgemein gestaltet (z. B. Diagnose) oder kulturspezifisch (z. B. Platzierung). Interkulturelle Assessment-Center werden allerdings selten isoliert durchgeführt; dazu sind sie zu aufwendig. In Unternehmen und anderen Organisationen werden eher Assessment-Center konstruiert, die im Anforderungsprofil neben interkulturellen Kompetenzen allgemeine Managementkompetenzen fachlicher, sozialer, individueller und strategischer Natur enthalten (vgl. Bolten 2001). Solche Assessment-Center werden vor allem zur Einschätzung der internationalen Managementkompetenz von Führungs- und Führungsnachwuchskräften durchgeführt und deshalb häufig auch als internationale Assessment-Center bezeichnet. Soll in einem Unternehmen oder einer anderen Organisation eine spezifische Position in einem spezifischen Land besetzt werden (Selektion), dann ist neben den Merkmalen der interkulturellen Kompetenz und der spezifischen Kultur des betreffenden Landes das spezifische Anforderungsprofil der Position zu berücksichtigen.

Spielsituationen Die Spielsituationen im Assessment-Center sollen möglichst realitätsnah sein. Sie sollen deshalb eine typische Arbeitssituation der Kandidaten ab-

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bilden, wie sie in dem Unternehmen im internationalen/interkulturellen Kontext tatsächlich auftreten kann. Neben den üblichen Spielsituationen, die aus den intrakulturellen Assessment-Centern bekannt sind, wie Gruppendiskussionen, Präsentationen, Postkorbübungen, Fallstudien (vgl. Jeserich 1981), werden im interkulturellen Assessment-Center gern Critical Incidents mit fremdkulturellen Personen nachgestellt und in Form von Rollenspielen und Interaktionsübungen von den Kandidaten bearbeitet. Wissenschaftlich abgesicherte und realitätsnahe Critical Incidents können den im Buchhandel erhältlichen Culture Assimilators entnommen werden. Beispielsweise könnten die Kandidaten in einem kulturspezifischen interkulturellen Assessment-Center zu China im Rahmen eines Meetings eine Präsentation vor schlafenden Chinesen halten (vgl. Thomas u. Schenk 2001, S. 124 f.) oder ein Konfliktgespräch mit einem chinesischen Baustellenleiter führen, der in einem neu gebauten Bürogebäude einen Airconditioner nicht rechtzeitig eingebaut hat (vgl. Thomas u. Schenk 2001, S. 92 f.). Sie können aber auch eine typische Situation aus dem Arbeitsalltag in diesem ganz spezifischen Unternehmen im Ausland simulieren. Diese Situationen zu erheben erhöht natürlich den finanziellen und zeitlichen Aufwand enorm. Eine weitere spannende Spielsituation besteht darin, eine Videosequenz zu zeigen, in der ein Critical Incident dargestellt ist, das ein ethisch-moralisches Dilemma wiedergibt, und von den Kandidaten analysieren zu lassen (einzeln oder in der Gruppe). An der Universität Regensburg wurde beispielsweise eine Videosequenz mit dem Titel »Vaters Veto« gedreht, in der ein Vater somalischer Abstammung einem deutschen Arzt verbietet, das kranke Bein seines Sohnes zu amputieren, obwohl das den sicheren Tod des Sohnes bedeutet. Der Arzt kommt in dieser Situation mit dem von ihm abgelegten hippokratischen Eid in Konflikt. Der Kreativität bei der Konstruktion von Spielsituationen ist kaum eine Grenze gesetzt. Entscheidend ist im interkulturellen Assessment-Center einerseits die Verhaltensbeobachtung auf der Grundlage der Beobachtungskriterien und andererseits ein Gespräch mit jedem Kandidaten im Anschluss an jede Übung, in der die Gefühle, Gedanken, Erwartungen, Interpretationen und so weiter der fremdkulturellen Person(en) und des Kandidaten im Zusammenhang mit dem Critical Incident reflektiert werden. Wünschenswert ist, dass fremdkulturelle Personen mitspielen, die instruiert werden; dadurch gewinnt die simulierte interkulturelle Spielsituation an Authentizität. Das ist natürlich ein hoher Anspruch, der aus Kostengründen häufig nicht zu realisieren ist. Alternativ können hier Personen eingesetzt werden, die aus derselben Kultur wie die Teilnehmer des interkulturellen Assessment-Centers stammen und über eine hohe allgemeine interkulturelle Handlungskompetenz wie auch über kulturspezifische © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Kenntnisse verfügen. Beispielsweise eignen sich hierfür Studenten der Psychologie oder BWL, die den Unternehmensalltag schon einmal im Rahmen von Praktika erfahren haben, längere Zeit im Ausland studiert oder gearbeitet haben und aufgrund ihres Studiums über vertiefte Kenntnisse über die Theorien und Konzepte interkulturellen Lernens und Handelns verfügen. Interessant kann auch sein, einzelne Spielsituationen eines interkulturellen Assessment-Centers inhaltlich und organisatorisch so miteinander zu verknüpfen, dass zum Beispiel ein typischer Arbeitstag im Leben einer internationalen Fach- oder Führungskraft oder ein typisches Projekt in dem internationalen Unternehmen simuliert wird bis hin zu einem gesamten Unternehmensplanspiel. In diesem Fall spricht man von systemischen interkulturellen Assessment-Centern im Unterschied zu punktuellen interkulturellen Assessment-Centern (vgl. Bolten 2001). Diese gewinnen zunehmend an Bedeutung. Der Konstrukteur der Spielsituationen ist natürlich auch von seiner eigenen Kultur beeinflusst. Dementsprechend gestaltet er auch die Spielsituationen im interkulturellen Assessment-Center. Zu empfehlen ist deshalb, die Spielsituationen von mehreren Personen unterschiedlicher Kulturzugehörigkeit konstruieren zu lassen. Ein weiteres Kriterium für die Auswahl der Spielsituationen ist die Kulturzugehörigkeit der Teilnehmer. Amerikanische Kandidaten mögen zum Beispiel Rollenspiele aufgrund des in ihrer Kultur verankerten zentralen Kulturstandards »Handlungsorientierung« viel lieber als Deutsche, und es ist deshalb anzunehmen, dass sie in Rollenspielen mehr von sich zeigen, als Deutsche das in Rollenspielen jemals tun werden. Umstritten ist die Frage, ob interkulturelle Assessment-Center in einer Fremdsprache durchgeführt werden sollen, zumal die kulturspezifischen interkulturellen Assessment-Center (siehe Kap. I, 1.5, S. 74 ff.). Empfehlenswert ist hier, die eine oder andere Szene in der betreffenden Landessprache oder in englischer Sprache zu spielen. Nicht zu empfehlen ist, alle Spielsituationen in der Fremdsprache durchzuführen. Denn es hat sich gezeigt, dass manch einer ein Verhalten deshalb nicht gezeigt hat (z. B. Kontaktverhalten), weil er die Fremdsprache noch nicht ausreichend gut beherrschte. Als fremdsprachliche Übung bietet sich zum Beispiel der Postkorb an. Ansonsten ist zu empfehlen, am Rande des Assessment-Centers einen schriftlichen oder mündlichen Test durchzuführen, der die Fremdsprachenkompetenz auf einem höheren Objektivitätsniveau misst. Abschließend sei noch darauf hingewiesen,dass bei der Selektion von Fachoder Führungskräften für eine bestimmte Position im Unternehmen im Ausland neben der Diagnose interkultureller Kompetenz und allgemeiner Managementkompetenzen unbedingt solche Faktoren wie Mobilität, Fami© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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liensituation und andere abgefragt und in die Bewertung miteinbezogen werden sollten. Dazu können biografische Fragebögen oder strukturierte Auswahlinterviews unterstützend sein (vgl. Kühlmann u. Stahl 1998).

Urteilsfindung Um zu einem Urteil zu kommen, ob eine Person interkulturell handlungskompetent ist, beobachten die Beobachter das Verhalten der Teilnehmer in den Spielsituationen und beschreiben es. Im zweiten Schritt werden die Verhaltensbeschreibungen den Beobachtungskriterien zugeordnet, im dritten Schritt mit den Anforderungskriterien verglichen und auf einer vorher definierten Skala bewertet. Die zeitliche Trennung von Beobachtung und Bewertung ist sehr wichtig. Im Rahmen einer Beobachterkonferenz werden dann die einzelnen Beobachtungen und Bewertungen verglichen und diskutiert, bis ein gemeinsames Urteil gefunden ist. Daraus wird dann abschließend ein Stärken-Schwächen-Profil von jedem Teilnehmer erarbeitet.

Ablauf Der Ablauf eines interkulturellen Assessment-Centers ist in drei Phasen gegliedert (vgl. Jeserich 1981, S. 35): Im Rahmen der Vorbereitung des interkulturellen Assessment-Centers werden die Ziele und die Zielgruppen festgelegt und die Beobachter ausgewählt. Das Anforderungsprofil wird gegebenenfalls zusammen mit den Beobachtern festgelegt, um die Transparenz zu erhöhen. Die Übungen werden zusammengestellt oder konstruiert, und zwar mit konkretem Bezug zu den vorher definierten Anforderungen. Zum Abschluss der Vorbereitung werden die Teilnehmer informiert und organisatorische Vorbereitungen getroffen. Im Rahmen der Durchführung des interkulturellen Assessment-Centers werden den Beobachtern zunächst Inhalt und Ablauf des Assessment-Centers vorgestellt. Ein Beobachtertraining folgt (falls dies nicht schon einige Zeit vor dem Assessment-Center gemacht wurde), in dem den Beobachtern der Unterschied zwischen Beobachtung und Bewertung erklärt wird und sie noch einmal auf die zahlreichen Beobachtungsfehler hingewiesen werden. Sobald die Teilnehmer angereist sind, werden auch ihnen der Inhalt und Ablauf des Assessment-Centers erläutert, einschließlich der Beobachtungskriterien. Im weiteren Ablauf bearbeiten die Teilnehmer die

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Spielsituationen, und die Beobachter beobachten und bewerten die Verhaltensleistungen. Nach jeder Spielsituation werden die Beobachtungen und Bewertungen von jedem Beobachter ausgewertet. Im Rahmen des Abschlusses mit Feedback werden die Auswertungen in der Runde der Beobachter abgestimmt (Beobachterkonferenz), und ein endgültiges Urteil wird festgelegt. Die Gutachten werden angefertigt, die die Bewertungen und Empfehlungen für Förder- und Entwicklungsmaßnahmen enthalten. Im Fall der Selektion und Platzierung wird eine Endabstimmung über die Auswahl und Zuweisung von Kandidaten vorgenommen. Abschließend werden die Teilnehmer über ihre Ergebnisse informiert. Im Rahmen von unternehmensinternen interkulturellen Assessment-Centern werden mit den Teilnehmern Förder- und Entwicklungsmaßnahmen vereinbart. Ein interkulturelles Assessment-Center sollte mindestens drei Tage dauern, aufgrund der hohen Kosten werden heute häufig interkulturelle Assessment-Center von einem Tag durchgeführt. Die Genauigkeit der Ergebnisse wird dadurch vermutlich stark eingeschränkt.

Beobachter In der Regel nehmen an einem interkulturellen Assessment-Center 3 bis 6 Beobachter und 6 bis 12 Kandidaten teil. Das Verhältnis sollte 1: 2 sein. Die Anforderungen an die Beobachter im interkulturellen AssessmentCenter in Unternehmen sind noch höher als in intrakulturellen Assessment-Centern. Die Beobachter sollten unterschiedlicher Kulturzugehörigkeit sein, trotzdem die gewählte Sprache im Assessment-Center so gut sprechen und verstehen, dass es dadurch nicht zu Fehlern kommt. Sie sollten Führungskräfte sein, aber nicht die direkten Vorgesetzten der teilnehmenden Kandidaten, sondern mindestens zwei Hierarchiestufen über ihnen angesiedelt. Sie sollten international tätig sein und selbst über viele Erfahrungen in kulturellen Überschneidungssituationen verfügen. Die Beobachter durchlaufen vor Beginn des interkulturellen AssessmentCenters ein Beobachtertraining, im Rahmen dessen sie u. a. über Beobachtungsprozesse und -fehler sowie Theorien interkulturellen Handelns und Lernens unterrichtet werden. Die Genauigkeit der Ergebnisse steigt, wenn Psychologen als Beobachter eingesetzt werden, zu deren Grundprofession es gehört, Verhalten von Menschen zu beobachten und einzuschätzen. Im Fall von interkulturellen Assessment-Centern ist es wünschenswert, dass die eingesetzten Psychologen sich auf Aspekte der interkulturellen Psychologie spezialisiert haben. Die Anforderungen an die Beobachter, wie sie hier beschrieben wurden,

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sind sehr hoch und selten realisierbar. Aus Kostengründen wird häufig darauf verzichtet, Top-Führungskräfte aus fremden Ländern nur für das Assessment-Center einzufliegen. Alternativ kann eine Beobachtergruppe zusammengestellt werden, die bei einer Teilnehmerzahl von 12 aus wenigstens 2 Führungskräften aus 2 fremden Ländern und 2 Führungskräften aus dem Heimatland besteht, die alle vorher ein Beobachtertraining durchlaufen haben, sowie aus 2 Psychologen, die sich auf Aspekte der interkulturellen Psychologie spezialisiert haben. Fremdsprachenprobleme der Beobachter können unter Umständen durch eine Synchronübersetzung ausgeglichen werden. Welche Alternative gewählt wird und damit verbunden die Frage, was ein interkulturelles Assessment-Center kosten darf, hängt ganz entscheidend von dem Stellenwert und dem Verständnis für die Notwendigkeit der Diagnose interkultureller Handlungskompetenz in dem betreffenden Unternehmen ab.

Kritische Würdigung Bis heute liegen zur Validierung, das heißt zur Feststellung, wie zuverlässig und genau interkulturelle Assessment-Center messen, kaum Ergebnisse in der Forschung vor. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Forschung zu intrakulturellen Assessment-Centern (vgl. Sarges 2001) ist diese Methode im Vergleich zu anderen Methoden (z. B. Interview) mit gutem Gewissen zu empfehlen, wenn bestimmte Qualitätsaspekte berücksichtigt werden, insbesondere wenn kompetente Personen das Assessment-Center konstruieren und durchführen. Zur Validierung intrakultureller Assessment-Centers werden nun einige Überlegungen angestellt. Die beiden entscheidenden Maße für die Überprüfung von Assessment-Centern sind die Reliabilität und die Validität. Die Reliabilität ist die Zuverlässigkeit, das heißt, der Grad der Genauigkeit, mit der das interkulturelle Assessment-Center misst, und zwar unabhängig davon, ob es tatsächlich auch das misst, was es messen soll oder zu messen vorgibt. Es werden zwei Formen der Reliabilität unterschieden: die Interraterreliabilität (Objektivität) und die Paralleltest/Retestreliabilität (Obermann 1992). Die Interraterreliabilität ist der Grad der Übereinstimmung der Beobachter hinsichtlich ihrer Urteile. Die zentrale Frage ist hier, inwieweit das Gesamturteil über einen Kandidaten im interkulturellen Assessment-Center unabhängig von der Person des Beobachters ist. Methodisch gesehen, werden die Ergebnisse der einzelnen Beobachterurteile korreliert. Untersuchungen von intrakulturellen Assessment-Centern zeigen, dass die Inter© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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raterreliabilität insgesamt ausreichend ist. Entscheidend beeinflusst wird die Interraterreliabilität, wenn die Beobachter vor der Abgabe ihrer Urteile Informationen austauschen, sie vor dem Assessment-Center ein Beobachtertraining absolviert haben (weil sie dann das Verfahren besser kennen und Beobachtungsfehler vermeiden), bestimmte Spielsituationen (z. B. Postkorb, führerlose Gruppendiskussionen) durchgeführt werden, bestimmte Merkmale (z. B. Organisation, Planung) beobachtet werden und die Beobachtergruppe homogen zusammengesetzt ist. Wichtig ist zu wissen, dass die Höhe der Reliabilität – mathematisch gesehen – die Höhe der Validität beeinflusst. Übertragen auf interkulturelle Assessment-Center stellt sich die Frage, ob hier aufgrund der unterschiedlichen Kulturzugehörigkeit der Beobachter, die deren Wahrnehmung, Denken und Handeln beeinflusst, überhaupt hohe Interraterreliabilitäten zustande kommen können. Wenn das nicht der Fall ist, ergibt sich daraus, dass die Validität eines interkulturellen AssessmentCenters niemals an die Höhe der Validität von intrakulturellen AssessmentCentern heranreichen kann. Die Paralleltestreliabilität ist das Ergebnis der Korrelation zweier paralleler Formen von Assessment-Centern. Die Retestreliabilität ist das Ergebnis der Wiederholung ein und desselben Assessment-Centers. Eine parallele Form zu konstruieren, wird im Fall interkultureller Assessment-Center aufgrund des hohen finanziellen und zeitlichen Aufwands von vornherein ausgeschlossen. Auch ein und dasselbe interkulturelle Assessment-Center mit zeitlichem Abstand noch einmal durchzuführen, erscheint methodisch problematisch; denn auch im interkulturellen Assessment-Center werden ja keine stabilen Persönlichkeitseigenschaften beobachtet, sondern Verhaltensmerkmale, die durch Lernen veränderbar sind. Diese Lerneffekte machen es quasi unmöglich, eine Retestreliabilität zu berechnen. Deshalb können in der Zukunft eigentlich nur Aussagen zur Interraterreliabilität gemacht werden. Die Validität, das zweite entscheidende Maß, an dem Assessment-Center gemessen werden, ist die Gültigkeit, das heißt, der Grad der Genauigkeit, mit der das interkulturelle Assessment-Center misst, was es zu messen vorgibt. Es gibt viele Formen der Validität, von denen im Zusammenhang mit interkulturellen Assessment-Centern insbesondere die prognostische Validität diskutiert werden sollte. Die prognostische Validität ist der Grad der Vorhersagegenauigkeit in Bezug auf die Beobachtungskriterien. Die prognostische Validität besitzt im Zusammenhang mit Assessment-Centern die größte Bedeutung für die Beurteilung der Gültigkeit, weil das Vorhandensein oder die Ausprägung eines Merkmals eingeschätzt werden soll, das dann entscheidend ist für den späteren Handlungserfolg einer Person. Auch beim interkulturellen Assessment-Center soll gerade die interkulturelle Handlungskompetenz einge© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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schätzt werden, um dadurch zum Beispiel vorhersagen zu können, wie erfolgreich eine Person international arbeiten wird. Methodisch gesehen, wird beim intrakulturellen Assessment-Center die prognostische Validität mittels der Korrelation des Assessment-Center-Ergebnisses und einem quantifizierbaren Außenkriterium gemessen. Als Außenkriterium dient in vielen Fällen das Gehalt. Das heißt: Je mehr Gehalt eine Person bekommt, desto erfolgreicher ist sie. Ist eine Person aufgrund eines sehr guten Assessment-Center-Ergebnisses ausgewählt worden und ist ihr Gehalt seit diesem Zeitpunkt stark angewachsen, dann hat sich die Person in der Praxis bewährt, und das Assessment-Center gilt als prognostisch valide. Andere Außenkriterien sind das Punkteergebnis in der Vorgesetztenbeurteilung oder die »Anzahl der Sprossen auf der Karriereleiter«, die eine Person erklommen hat. Die genannten Außenkriterien sind allerdings problematisch. Die Gehaltsentwicklung hängt nicht nur von der Leistung einer Führungskraft ab, sondern zum Beispiel auch von ihrem Verhandlungsgeschick, von ihrer Akzeptanz beim Vorgesetzten oder auch von der betriebswirtschaftlichen Situation des Unternehmens. Das Punkteergebnis in der Vorgesetztenbeurteilung wird unter Umständen durch Beobachtungsfehler beeinflusst und die Karriereschritte auf der Karriereleiter werden neben der Leistung von der Dauer der Unternehmenszugehörigkeit, dem Alter der betreffenden Person oder dem Vorhandensein von Mentoren und Protegés im Unternehmen beeinflusst. Was schon bei der Beurteilung von intrakulturellen Assessment-Centern zu großer Kritik gereicht, dürfte sich im Fall von interkulturellen Assessment-Centern noch verschärfen. Vergleicht man die Gehälter, die Fach- und Führungskräfte in den 1980er und 1990er Jahren bekommen haben, die zum Beispiel für drei bis fünf Jahre nach China entsendet worden waren, mit den Gehältern, die vergleichbar erfolgreiche Fach- und Führungskräfte zum gleichen Zeitpunkt im Heimatland erhalten haben, dann fällt auf, dass darin ein großer Teil Auslandszulage enthalten ist, der die für Europäer schwierigen Lebensumstände im damaligen China ausgleichen sollte. Auch heute ist das oft noch so, auch wenn sich die Lebensumstände in vielen Ländern inzwischen in Richtung einer Verwestlichung stark angeglichen haben. Westliche Konsumgüter sind heute in fast allen Industrieländern, zumindest in den Metropolen, zu erschwinglichen Preisen erhältlich. Das Gehalt kann also nur eingeschränkt als Außenkriterium zur Beurteilung der prognostischen Validität herangezogen werden. Die Idee ist hier, als Außenkriterium die Kriterien interkulturellen Handlungserfolgs, zum Beispiel effektive Aufgabenerfüllung, befriedigende soziale Beziehungen zu Einheimischen und persönliches Wohlbefinden, zu nehmen, sie entsprechend zu operationalisieren und zu quantifizieren. Selbstaussagen von Assessment-Center-Teilnehmern sollten mit Aussagen von Einheimischen und Beobachtungen durch den Evaluator vor Ort gekoppelt werden. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Interkulturelle Assessment-Center sind in ihrer Konstruktion und Durchführung zeit- und kostenintensiv. Die hohen Kosten lassen sich nur rechtfertigen, wenn der Nutzen des Assessment-Centers ebenfalls hoch ist. Dieser wird entscheidend dadurch beeinflusst, wie viele Kandidaten grundsätzlich zur Verfügung stehen, die das Anforderungsprofil einer interkulturell handlungskompetenten Fach- oder Führungskraft erfüllen. Heutzutage ist der Kandidatenmarkt eher noch als eng zu bezeichnen, was sich aber sicher in absehbarer Zukunft verändern wird. Betrachtet man die hohen Kosten, die gescheiterte Auslandseinsätze verursachen, dann ist es überhaupt keine Überlegung mehr wert, ein interkulturelles AssessmentCenter zu konstruieren und anzuwenden. Zwei Einschränkungen bleiben im Zusammenhang mit interkulturellen Assessment-Centern bestehen: Erstens: Trotz zunehmender Globalisierung und Internationalisierung nimmt die Mobilität der Fach- und Führungskräfte immer stärker ab. Deshalb stehen häufig für eine internationale Tätigkeit nur wenige Fachund Führungskräfte zur Auswahl, die einerseits die Anforderungen der Arbeitsaufgabe erfüllen und andererseits international arbeiten wollen. Ein Unternehmen kann es sich häufig nicht leisten, auch noch die interkulturelle Handlungskompetenz als Entscheidungskriterium heranzuziehen, ohne zu riskieren, dann gar niemanden zur Verfügung zu haben, der eine Position im Ausland besetzen oder international im Einsatz sein könnte. Deshalb wird heute noch oft auf eine interkulturelle Diagnostik zur Selektion und Platzierung verzichtet, weshalb es auch heute noch oft zu Fehlbesetzungen kommt. Zweitens: Das Assessment-Center ist eine Methode, die ursprünglich in Deutschland entwickelt wurde, dann nach USA exportiert und nach dem Zweiten Weltkrieg wieder nach Deutschland reimportiert wurde. Sie ist also eine Methode aus dem westlichen Kulturkreis. Ihre Übertragbarkeit in andere Kulturkreise ist eingeschränkt. Zum Beispiel ist es in China aufgrund des Kulturstandards »Soziale Harmonie« schwierig, Konfliktsituationen in Form von Rollenspielen in interkulturellen Assessment-Centern zu simulieren. Auch gestaltet sich die Feedbackrunde am Ende eines Assessment-Centers schwierig, weil durch das Darstellen von Stärken und Schwächen die Person kritisiert und dadurch der Kulturstandard »Gesicht wahren« verletzt wird.

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2.1.3 Schluss Angesichts der Tatsache, dass es die Möglichkeit gibt, interkulturelle Handlungskompetenz durch interkulturelle Assessment-Center zu diagnostizieren, erschreckt es immer wieder zu sehen, wie viele interkulturell inkompetente Fach- und Führungskräfte international tätig sind. Dabei ist oft zu hören, dass die Möglichkeiten zur Diagnose interkultureller Handlungskompetenz in ihrer Konstruktion und Anwendung zu teuer sind und sich trotz ihrer Aussagegültigkeit nicht lohnen würden. Stellt man diesen Kosten jedoch die Kosten von gescheiterten Auslandsvorhaben gegenüber, dann wird deutlich, dass der finanzielle Aufwand für die Diagnose interkultureller Handlungskompetenz annähernd »Peanuts« ist. Fehlt die interkulturelle Handlungskompetenz der Fach- und Führungskräfte, scheitern Auslandsvorhaben und internationale Projekte. Mittels interkultureller Trainings kann die interkulturelle Handlungskompetenz entwickelt werden. Darauf geht das nächste Kapitel ein.

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2.2 Interkulturelles Training

2.2.1 Vorbemerkung Mittels interkultureller Diagnose kann sehr schnell festgestellt werden, ob jemand grundsätzlich über interkulturelle Handlungskompetenz verfügt und auf welchem Qualitätsniveau diese verfügbar ist. Was aber ist zu tun, wenn keine Sensibilität, keine Erfahrung im Umgang mit fremdkulturellen Personen und nur eine sehr marginale interkulturelle Handlungskompetenz existiert, wenn auf so niedrigem Niveau zu erwarten ist, dass die Fachoder Führungskraft im Auslandsgeschäft deutlich unter ihrem Leistungspotenzial arbeiten wird? Schließlich wird nicht jedem die interkulturelle Handlungskompetenz in die Wiege gelegt; sie muss entwickelt werden. Zu diesem Zweck gibt es interkulturelle Trainings.

2.2.2 Aktuelle Situation Die ersten interkulturellen Trainings entstanden in den 1960er Jahren in den USA. Bis heute ist eine Vielzahl von Varianten interkultureller Trainings entwickelt worden. Bhawuk und Brislin (2000) geben dazu einen Überblick. Die Bedeutung interkultureller Trainings nimmt ständig zu. Für interkulturelle Psychologen und Psychologinnen und andere Berufsgruppen hat sich daraus – wie auch aus der interkulturellen Diagnostik – in den letzten Jahren ein interessantes Forschungs- und Betätigungsfeld eröffnet. In der Forschung wächst die Anzahl der Publikationen zu diesem Thema. Das Standardwerk aus den USA ist nach wie vor das in englischer Sprache abgefasste »Handbook of Intercultural Training« in drei Bänden von Landis und Brislin (1983), das Landis und Bhagat im Jahr 1996 in zweiter, stark veränderter und erweiterter Auflage erneut herausgebracht haben. Viele Forschungsergebnisse zum interkulturellen Training werden im »Journal of Intercultural Relations« ebenfalls in englischer Sprache veröffentlicht. Unternehmen und andere Organisationen in Deutschland und ande-

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ren Ländern haben die Notwendigkeit von interkulturellen Trainings längst erkannt. In den letzten Jahren wurden dort interkulturelle Trainings insbesondere zur Vorbereitung von Fach- und Führungskräften auf einen längeren Arbeitseinsatz im Ausland eingesetzt. Das ändert sich zurzeit. Aktuell werden vor allem Fach- und Führungskräfte trainiert, die in ihren Heimatländern leben und international arbeiten. Diese treten mit Personen anderer Kulturzugehörigkeit über Brief, Telefon, Fax und E-Mail in Kontakt oder kommen mit ihnen im Rahmen kurzer Businesstrips in Berührung. Auch der Markt interkultureller Trainingsanbieter boomt. Vorsicht ist hier allerdings geboten, und zwar mehr noch als bei Anbietern anderer Trainings. Gute interkulturelle Trainer sind insbesondere daran zu erkennen, dass sie sich zum Beispiel im Rahmen eines Studiums der Psychologie auf Aspekte der interkulturellen Psychologie spezialisiert und viele Jahre mit den Theorien und Konzepten interkulturellen Handelns und den kulturspezifischen Besonderheiten unterschiedlicher Kulturen auseinander gesetzt haben. Das macht sie zu interkulturellen Experten. Weisen sie dann noch eine Trainerausbildung auf, haben vielleicht selbst einige Zeit im Ausland verbracht und waren in internationalen Unternehmen oder Organisationen tätig, dann erfüllen sie die hohen Anforderungen an eine solche Trainertätigkeit. Sicher reicht es nicht, wenn jemand mehrere Jahre im Ausland gelebt hat und sich dann als Trainer für dieses Land und diese Kultur anbietet. In diesem Fall liegen zweifellos viele persönliche Erfahrungen im Umgang mit fremdkulturellen Personen vor, die aber häufig völlig unreflektiert und didaktisch wenig aufbereitet an andere weitergegeben werden. Fehlende eigene Auslandserfahrungen können wesentlich leichter kompensiert werden, zum Beispiel durch die Bildung eines Trainertandems mit einem fremdkulturellen Co-Trainer, als eine mangelhafte Grundausbildung. Einen – allerdings unrezensierten – Überblick über interkulturelle Trainingsanbieter geben zum Beispiel Tschöcke und Kölling (2000) und die IHK Lübeck (1999). Auch die »Society of Intercultural Education, Training and Research« (SIETAR), die in Deutschland und Europa größte Vereinigung von Forschern, Trainern und anderer Berufsgruppen, die sich mit Themen des interkulturellen Lernens und Handelns beschäftigen, kann hier Auskunft geben (www.sietar.de). Die verschiedenen interkulturellen Trainings unterscheiden sich darin, welche Ziele, Inhalte und Methoden sie umfassen, wie lange sie jeweils dauern, zu welchem Zeitpunkt sie absolviert werden können, welchen didaktischen Ansatz sie verfolgen und inwieweit sie sich in einer Evaluation bewährt haben.

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2.2.3 Konzeption und inhaltliche Gestaltung interkultureller Trainings Definition Interkulturelle Trainings umfassen alle Maßnahmen, die eine Möglichkeit zum interkulturellen Lernen bieten und zum Erwerb interkultureller Handlungskompetenz beitragen (Thomas 1990). Zur Konzeption und inhaltlichen Gestaltung von interkulturellen Trainings werden die Erkenntnisse der allgemeinen Trainingsforschung (Frey et al. 1992), die Erkenntnisse der interkulturellen Forschung (Thomas 1993b; Thomas 1996a), insbesondere der interkulturellen Trainingsforschung (Landis u. Brislin 1983; Landis u. Bhagat 1996), und die Erkenntnisse der kulturvergleichenden Forschung (Thomas 1993a) herangezogen.

Trainingsziel Das Ziel interkultureller Trainings ist generell, interkulturelle Handlungskompetenz aufzubauen und zu fördern und dadurch den interkulturellen Handlungserfolg wahrscheinlicher zu machen. Je nach Trainingsziel sollen mittels interkultureller Trainings die affektiven, die kognitiven oder behavioralen Komponenten der interkulturellen Handlungskompetenz entwickelt und gefördert werden. Interkulturelle Trainings können zum Beispiel die Fähigkeit zur emotionalen Selbstkontrolle beim Umgang mit Personen aus fremden Kulturen fördern (affektives Trainingsziel), Wissen über fremdkulturelle Orientierungssysteme vermitteln (kognitives Trainingsziel) oder Verhaltensmuster, die den Verhaltensmustern in der fremden Kultur ähnlich sind, antrainieren (behaviorales Trainingsziel). Man unterscheidet deshalb affektive, kognitive und behaviorale interkulturelle Trainings.

Trainingsinhalt Je nach Trainingsinhalt werden kulturspezifische Trainings von kulturallgemeinen Trainings unterschieden (Gudykunst u. Hammer 1983). Kulturspezifische Trainings bereiten – wie ihr Name schon sagt – auf eine ganz spezifische Kultur (z. B. USA, China) vor. Trainingsinhalt sind hier die zentralen Kulturstandards der spezifischen Kultur. Kulturallgemeine Trainings schaffen ein Bewusstsein für kulturbedingte Unterschiede im Den-

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ken und Handeln von Personen aus unterschiedlichen Kulturen. Trainingsinhalt sind hier überwiegend Themen, die in jeder Kultur eine Rolle spielen, sich jedoch in jeder Kultur anders darstellen. Typische Beispiele hierfür sind die Themen Job, Zeit und Raum, Sprache, Geschlechterrollen, Bedeutung der Gruppe im Unterschied zum Individuum. Empfehlenswert ist außerdem, den Trainingsinhalt zielgruppenspezifisch (z. B. Führungskraft, Soldat, Student) und aufgabenspezifisch (z. B. Vertrieb, Sanitätsdienst, Vorlesung) zu gestalten.

Trainingsmethoden Je nach Trainingsziel werden wissensorientierte interkulturelle Trainings von erlebnisorientierten interkulturellen Trainings unterschieden (Gudykunst u. Hammer 1983). Wissensorientierte Trainingsmethoden gehen von der Annahme aus, dass allein die Vermittlung von Wissen über das fremdkulturelle Orientierungssystem zur erfolgreichen Bewältigung kultureller Überschneidungssituationen führt. Das primär kognitive Trainingsziel soll der Trainingsteilnehmer mittels Trainingsbausteinen wie zum Beispiel Vorträge, Bücher oder Filme erreichen. Erlebnisorientierte Trainingsmethoden dagegen gehen von der Annahme aus, dass allein die Vermittlung von Wissen über das fremdkulturelle Orientierungssystem eben nicht ausreicht, um kulturelle Überschneidungssituationen erfolgreich bewältigen zu können. Sie setzen zum Beispiel interkulturelle Spiele, Rollenspiele oder Fallstudien als Trainingsbausteine ein, die den Trainingsteilnehmer in eine Situation versetzen, wie er sie im Ausland erleben kann, und unterstellen damit, dass ein Trainingsteilnehmer vor allem affektive Erfahrungen im interkulturellen Training machen und Verhalten in einer Art Laborsituation ausprobieren muss, um im Ausland erfolgreich sein zu können. Eine Sammlung von erlebnisorientierten Trainingsbausteinen findet sich zum Beispiel bei Pedersen (1988), Rademacher (1991) und Losche (2000). Jede Trainingsmethode und jeder Trainingsbaustein haben Vorteile und Nachteile. Inzwischen werden kaum noch interkulturelle Trainings durchgeführt, die nur eine Methode anwenden. Empfohlen wird immer eine Kombination unterschiedlicher Methoden und Bausteine. Ganz wichtig ist, bei der Wahl der Methoden und Bausteine die Kultur der Trainingsteilnehmer zu berücksichtigen. US-Amerikaner zum Beispiel lieben aufgrund ihrer Handlungsorientierung Rollenspiele und sind deshalb sehr motiviert bei der Sache, Chinesen hingegen reagieren aufgrund des in ihrer Kultur verankerten Kulturstandards »Gesicht wahren« auf ausgeprägte Feedbackprozesse im Rollenspiel eher ablehnend.

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Trainingsdauer Je nach Dauer werden interkulturelle Trainings in Erziehung (education), Training im engeren Sinn (training), Orientierung (orientation) und Einweisung (briefing) eingeteilt. »Education is well-suited for relating large bodies of content knowledge and developing in-depth mastery of one or more subjects, whereas training usually focuses on ›process‹ and/or on developing competency in performing specific skills or meeting specified objectives in a cost-effective manner. Orientation prepares a person to understand and function effectively in a new or radically different environment, and to achieve this shift in the least traumatic manner. Briefing provides a broad overview, or it can focus on a particular part of a larger program, in the most time-effective way« (Kohls 1987, S. 91 f.). Die Dauer eines interkulturellen Trainings hat sehr wahrscheinlich einen Einfluss auf dessen Wirksamkeit. In der Literatur wird eine Trainingsdauer von drei Tagen empfohlen. Ein einziger Tag ist sehr wenig. Erfahrungsgemäß sinkt die Lernmotivation der Trainingsteilnehmer am Ende des zweiten Tages sehr stark ab, sodass eine Trainingsdauer von zwei Tagen als Optimum zu empfehlen ist.

Trainingszeitpunkt Die Frage, in welcher Phase des Auslandsaufenthalts, also zu welchem Zeitpunkt, ein interkulturelles Training besucht werden soll, ist ebenfalls interessant. Thomas (1996b) unterscheidet Orientierungstrainings vor dem Auslandsaufenthalt zur Vorbereitung auf die fremde Kultur und die ungewohnten, im Gastland herrschenden Arbeits- und Lebensverhältnisse, Verlaufstrainings während des Auslandaufenthalts zur Aufarbeitung kritischer Interaktionssituationen mit oder an fremdkulturellen Partnern und Reintegrationstrainings kurz vor oder kurz nach Beendigung des Auslandsaufenthalts zur Erleichterung der Wiedereingliederung in die Heimatkultur und in die inzwischen fremd gewordenen Arbeits- und Lebensverhältnisse im Heimatland. Bis heute werden vor allem Orientierungstrainings angeboten; Verlaufstrainings und Reintegrationstrainings sind in jüngster Zeit stark im Kommen. Der Zeitpunkt, an dem eine Person an einem interkulturellen Training teilnimmt, hat sehr wahrscheinlich auch einen Einfluss auf die Wirksamkeit interkultureller Trainings. Findet ein Orientierungstraining zu kurz vor der Ausreise statt, dann ist der Trainingsteilnehmer sehr stark mit den Ausreiseformalitäten, mit Kofferpacken, mit Verabschieden von Familie

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und Freunden und anderen solchen Dingen beschäftigt und kann sich auf die Inhalte des Trainings nur schwer konzentrieren (falls er mangels Zeit überhaupt zum Training erscheint). Findet das Training zu früh statt, also zeitlich zu weit vom Ausreisezeitpunkt entfernt, dann besteht die Gefahr, dass der Trainingsteilnehmer den »Ernst der Lage« noch gar nicht spürt und überhaupt noch keine Lust hat, sich über kulturbedingte Unterschiede im Denken und Handeln seiner zukünftigen Partner im Ausland Gedanken zu machen. Erfahrungsgemäß sollte deshalb ein interkulturelles Orientierungstraining 6 bis 8 Wochen vor der Ausreise ins Ausland stattfinden. Interessant ist auch, dass Personen, die schon einmal im Zielland waren, motivierter sind im Training und mehr daraus lernen. Deshalb ist auch zu empfehlen, den Zeitpunkt des Trainings so zu legen, dass die zu trainierenden Personen vorher wenigstens schon eine mehrere Wochen dauernde Stippvisite im Zielland gemacht haben. Verlaufstrainings sollten erfahrungsgemäß nach 8 bis 12 Wochen im Ausland durchgeführt werden, um die ersten kritischen Interaktionssituationen im Umgang mit fremdkulturellen Partnern aufzuarbeiten und das im Orientierungstraining erworbene Wissen über die Kulturstandards aufzufrischen. Reintegrationstrainings sollten erfahrungsgemäß spätestens vier Wochen nach der Rückkehr ins Heimatland stattfinden, um den Reentry-Schock zu mildern und die im Ausland gemachten Erfahrungen in das interkulturelle Handlungswissen des Trainingsteilnehmers zu integrieren.

Didaktischer Ansatz Die wichtigste Unterscheidung von interkulturellen Trainings ist die nach ihrem didaktischen Ansatz nach Thomas (1995).

Informationsorientierte Trainings vermitteln wichtige Daten und Fakten über die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhältnisse des Gastlands und geben Informationen über die vor Ort zu erwartenden persönlichen Lebensverhältnisse und die Arbeitssituation. Häufig werden Kollegen eingeladen, die schon einmal in dem betreffenden Land gelebt und gearbeitet haben, um praktische Tipps und Hinweise zu den klimatischen Bedingungen, der Wohnsituation, den Freizeitmöglichkeiten und zum Umgang mit den Gastlandangehörigen zu geben. Persönlich erlebte Fallbeispiele können reflektiert werden, was hilft, kulturelle Unterschiede in ausgewählten Bereichen zu veranschaulichen. Informationsorientierte Trainings setzen wissensorientierte Trainingsme-

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thoden ein und verwenden als Trainingsbausteine Vorträge, Filme, schriftliches Material, Grafiken, Erfahrungsberichte, Fallbeispiele. Der Vorteil informationsorientierter Trainings liegt darin, dass das Bedürfnis der Trainingsteilnehmer nach handfesten Informationen gestillt wird; dieses Bedürfnis wird in der Regel umso größer, je näher der Auslandsaufenthalt rückt. Je mehr Informationen gegeben werden, desto stärker wird das Gefühl der Unsicherheit, nicht genau zu wissen, was auf einen zukommt, reduziert. Die Nachteile liegen erstens darin, dass informationsorientierte Trainings überwiegend kognitive Lehr- und Lernmethoden verwenden und andere Wahrnehmungskanäle ungenutzt lassen. Zweitens kann auch eine zu große Fülle an Informationen kontraproduktiv wirken. Und drittens besteht die ernst zu nehmende Gefahr, dass im Training dargebotene Verhaltensregeln, insbesondere von ehemaligen Expatriates-Kollegen, vereinfacht als »Kochbuchrezepte« nach Art eines »Knigges« verstanden werden und ohne Diskussion, Reflexion und Verankerung im kulturellen Kontext Vorurteile und Stereotype eher aktivieren und verfestigen als abbauen.

Kulturorientierte Trainings wollen den Einfluss der eigenen Kultur auf das Fühlen, Denken und Handeln dem Trainingsteilnehmer bewusst machen und ihn für die kulturbedingten Unterschiede im Denken und Handeln von Personen unterschiedlicher Kulturzugehörigkeit sensibilisieren. Unter diesem Begriff sind alle diejenigen interkulturellen Trainingsmethoden einzuordnen, die in der amerikanischen Literatur als cultural(-self)-awareness trainings und experiental learning bezeichnet werden. Die Trainingsmethoden sind also im Unterschied zum informationsorientierten Training erlebnisorientiert. Als Trainingsbausteine werden bevorzugt interkulturelle Spiele eingesetzt, zum Beispiel die sehr bekannt gewordenen Kultursimulationsspiele BAFA BAFA (Shirts 1973) und ALBATROSS (Gochenour 1977), sowie später nach diesen Ideen konstruierte Simulationen, Selbsterfahrungsübungen, Rollenspiele und Fallbeispiele. Der Trainingsinhalt ist kulturallgemein. Der Vorteil kulturorientierter Trainings liegt darin, dass die Trainingsteilnehmer aufgrund der Reflexion über die eigenkulturelle Prägung umfassender aktiviert werden und sich im Unterschied zum informationsorientierten Training nicht nur kognitiv, sondern auch emotional mit der kulturellen Thematik auseinandersetzen. Außerdem steht bei dieser Art interkulturellen Trainings die Förderung der interkulturellen Handlungskompetenz stärker im Vordergrund als die Vermittlung kulturspezifischer Informationen, sodass sich ein kulturorientiertes Training auch zur Vorbereitung von Gruppen eignet, deren Mitglieder in verschiedene Länder entsandt werden (zum Beispiel im Rahmen eines Trainee-Programms). Allerdings stellt sich

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hier die Frage, ob der gelernte und erfahrene Inhalt später tatsächlich auf eine spezifische Zielkultur übertragen werden kann.

Interaktionsorientierte Trainings wollen ebenso den Einfluss von Kultur auf das Denken und Handeln von Personen unterschiedlicher Kulturzugehörigkeit bewusst machen, hier jedoch im direkten Kontakt mit Personen aus dem spezifischen Zielland, so genannten resource people. Der Trainingsinhalt ist im Unterschied zum kulturorientierten Training kulturspezifisch. Im Wesentlichen werden auch hier das persönliche Erleben und Verarbeiten kulturbedingter Unterschiede im Handeln thematisiert. Als Trainingsmethode werden wie im kulturorientierten Training auch hier erlebnisorientierte Methoden eingesetzt und als Trainingsbausteine bevorzugt Rollenspiele und Kommunikationsübungen durchgeführt, in denen in den ersten Wochen des Auslandsaufenthalts oder während eines »field trips« vor der Ausreise erlebte kritische Interaktionssituationen zwischen den Trainingsteilnehmern und den resource people simuliert werden. Die kritischen Interaktionssituationen werden anschließend auf Kulturstandards hin analysiert und aufgetretene Missverständnisse und Fehlinterpretationen geklärt. Eine Variante interaktionsorientierter Trainings sind bikulturelle Trainings, bei denen die Trainingsteilnehmer zu gleichen Teilen aus den betreffenden Kulturen stammen und im Training miteinander und aneinander lernen. Das geht allerdings nicht mit allen Kulturen. Mit chinesischen Trainingsteilnehmern zum Beispiel kann es aufgrund des zentralen Kulturstandards »Sozialer Harmonie« bei konfliktären Auseinandersetzungen über die Kulturstandards zu einem Gesichtsverlust auf chinesischer Seite kommen. Bei Anwesenheit von resource people ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg dieser Art interkulturellen Trainings die aktive Kontaktaufnahme und Kommunikation mit den fremdkulturellen Personen. Ohne Fremdsprachenkenntnisse geht es hier nicht. Als weitere Variante können interaktionsorientierte Trainings auch in den Fremdsprachenunterricht integriert werden. Problematisch ist die Auswahl geeigneter resource people. Diese sollten sich nämlich sowohl mit ihrer eigenen Kultur bereits intensiv auseinander gesetzt haben als auch über Wissen über die Kultur der Trainingsteilnehmer verfügen. Gut ist der Einsatz eines bikulturellen Trainertandems. In diesem Fall kann der eigenkulturelle Trainer den Inhalt und Ablauf des interkulturellen Trainings so gestalten, wie es der Kultur der Trainingsteilnehmer am ehesten entspricht, und der fremdkulturelle Trainer kann detailliert und vertieft auf die kulturspezifischen Inhalte eingehen. Außerdem wird durch den fremdkulturellen Co-Trainer die Authentizität des interkulturellen Trainings erhöht.

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Im Vergleich zu anderen Trainingsformen ist das interaktionsorientierte Training aufgrund des höheren Personalbedarfs und der Beschränkung der Teilnehmer auf Kleingruppen aufwendiger und kostenintensiver. Der entscheidende Vorteil ist darin zu sehen, dass die Teilnehmer durch die Methode zur direkten und aktiven Auseinandersetzung mit der fremden Kultur und zu situativem Handeln veranlasst werden. Verstehensorientierte Trainings gehen von der Annahme aus, dass Kognitionen handlungssteuernd wirken. Das Trainingsziel ist deshalb die Vermittlung von Wissen über eine spezifische Kultur. Nach Thomas (1995) soll der Trainingsteilnehmer aufgrund des interkulturellen Trainings dann wissen, – dass seine Partner sich in bestimmten Situationen anders verhalten werden, als er es von zuhause gewohnt ist (fremdkulturelles Handlungswissen), – warum sie sich so verhalten (kulturell isomorphe Attribution), – welches Verhalten sie von ihm erwarten, und welche Einstellungen, Bewertungen, Schemata und Skripts er bei seinen Partnern durch bestimmte Verhaltensweisen erzeugt und verstärkt (interkulturelles Antizipieren) und – welcher Nutzen sich aus den kulturdivergenten Orientierungssystemen, Verhaltensregeln und Situationsinterpretationen zur gemeinsamen Zielerreichung ziehen lässt (interkulturelle Wertschätzung) (S. 109). Trainingsinhalt sind deshalb zentrale Kulturstandards einer spezifischen Kultur. Bevorzugt werden hier wissensorientierte Trainingsmethoden eingesetzt. Ein typischer Trainingsbaustein verstehensorientierter Trainings ist der Culture Assimilator. Er gehört zu den mittels Evaluation am besten erforschten Trainingsmethoden und nimmt unter allen anderen eine herausragende Stellung ein. Ihm wird deshalb ein eigenes Kapitel gewidmet.

Culture Assimilator Der Culture Assimilator wurde in den 1960er Jahren in den USA erfunden. Er wird zum Beispiel bei Albert (1983) und Lange (1994) ausführlich beschrieben. Das Trainingsziel des Culture Assimilators besteht primär darin, kognitive Merkmale interkultureller Handlungskompetenz aufzubauen. Zentral ist dabei der Erwerb der Fähigkeit, das Verhalten eines fremdkulturellen Partners isomorph attribuieren zu können (siehe Kap. I, 1.7, S. 117 ff.).

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Dabei sollen die Trainingsteilnehmer aber nicht – wie die Bezeichnung Culture Assimilator irrtümlicherweise nahe legt – die eigene Kultur aufgeben, sondern eigen- und fremdkulturelles Orientierungssystem sollen integriert werden und dem Trainingsteilnehmer zur Verfügung stehen. Angenommen wird, dass durch den Einfluss des Culture Assimilators auf die Kognitionen von Trainingsteilnehmern sekundär auch emotionale und Verhaltensmerkmale interkultureller Handlungskompetenz aufgebaut werden. Tabelle 6: Veröffentlichte kulturspezifische Culture Assimilators Kultur

Zielgruppe

Autor(en)

China

Deutsche Manager, Fach- und Führungs- Thomas u. Schenk (2001) kräfte

Deutschland

Chinesische Manager, Fach- und Füh- Thomas et al. (in Vorb.) rungskräfte (in chinesischer Sprache)

Deutschland

Chinesische Manager, Fach- und Füh- Thomas et al. (in Vorb.) rungskräfte (in deutscher Sprache)

Indonesien

Deutsche Manager, Fach- und Führungs- Martin u. Thomas (2002) kräfte

Südkorea

Deutsche Manager, Fach- und Führungs- Brüch u. Thomas (1995) kräfte

Argentinien

Deutsche Manager, Fach- und Führungs- Foellbach et al. (2002) kräfte

Großbritannien Deutsche Manager, Fach- und Führungs- Schmid u. Thomas (2003) kräfte Deutschland

Engländer (in deutscher Sprache)

Bock u. Thomas (2001)

Russland

Deutsche Manager, Fach- und Führungs- Yoosefi u. Thomas (2003) kräfte

Tschechien

Deutsche Manager, Fach- und Führungs- Schroll-Machl u. Nový kräfte (2003)

Kenia und Tan- Deutsche Manager, Fach- und Führungs- Mayer u. Boness (2003) sania kräfte USA

Deutsche Studenten, Schüler und Prakti- Müller u. Thomas (1995) kanten

Deutschland

Amerikanische Studenten, Schüler und Markowsky u. Thomas Praktikanten (1995)

China

Deutsche Dozenten und Ausbildungsleiter Lindner et al. (2001)

China

Deutsche Studenten und Praktikanten

Deutschland

Internationale Fach- und Führungskräfte Schroll-Machl (2002) (in deutscher und englischer Sprache)

Schenk et al. (in Vorb.)

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Der Trainingsinhalt eines Culture Assimilators kann kulturspezifisch oder kulturallgemein sein. Kulturspezifische Culture Assimilator für spezifische Zielländer und spezifische Zielgruppen, Tätigkeitsfelder und Aufgaben liegen in den USA inzwischen in einer Vielzahl vor und kommen in den letzten Jahren auch in großer Zahl in Deutschland auf den Markt. Die Tabelle 6 gibt hierzu einen Überblick. Kulturallgemeine Culture Assimilators wurden in den USA in den 1970er Jahren hauptsächlich zum Training im Umgang mit Personen ethnischer Minderheitsgruppen konzipiert. Auch in Deutschland liegt inzwischen ein kulturallgemeiner Culture Assimilator vor, und zwar für deutsche Bundeswehrsoldaten zur Vorbereitung auf internationale Einsätze (Thomas et al. 1998). Der Culture Assimilator ist ein schriftliches Trainingsmaterial und versteht sich als wissensorientierte Trainingsmethode. Er kann grundsätzlich von jedem allein bearbeitet oder als Trainingsbaustein in einem umfassenderen interkulturellen Training verwendet werden. Der Culture Assimilator ist in einzelne Trainingsabschnitte gegliedert, in denen jeweils als Trainingsinhalt ein spezifischer zentraler Kulturstandard vermittelt wird. Jeder Trainingsabschnitt beinhaltet Fallbeispiele (Situationen), die kritische Interaktionssituationen zwischen Besuchern und Mitgliedern der fremden Kultur schildern. Zu jedem Fallbeispiel werden mehrere Erklärungsalternativen (Deutungen) für das Verhalten der beteiligten fremdkulturell geprägten Handlungspartner vorgeschlagen. Davon stellt eine Erklärungsalternative die aus der Sicht der Gastlandmitglieder kulturadäquate Interpretation dar, die anderen Erklärungsalternativen beinhalten Fehlinterpretationen, die typisch sind für Mitglieder der eigenen Kultur und auf Unkenntnis kultureller Einflussfaktoren, auf ethnozentrischem Denken oder Vorurteilen beruhen. Die Aufgabe des Trainingsteilnehmers besteht darin, die seiner Ansicht nach kulturadäquate Erklärungsalternative für das Verhalten des fremdkulturell geprägten Handlungspartners im geschilderten Fallbeispiel zu finden. Dazu liest sich der Trainingsteilnehmer erst einmal alle Erklärungsalternativen durch und schätzt diese auf ihre Adäquatheit hin ein. Einige Seiten weiter im Trainingsmaterial bekommt er dann eine Rückmeldung über die Angemessenheit aller Erklärungsalternativen sowie eine Begründung dafür, warum aus der Sicht der fremden Kultur die Interpretation kulturadäquat, plausibel oder kulturinadäquat ist. Diese Begründungen enthalten die wesentlichen Merkmale des jeweils betreffenden zentralen Kulturstandards und weisen auf bedeutsame kulturelle Unterschiede zwischen den unterschiedlich kulturell geprägten Handlungspartnern hin. Der Trainingsteilnehmer wird dann am Ende jedes Trainingsabschnitts über den diesen Fallbeispielen jeweils zugrunde liegenden zentralen Kulturstandard auf höherer Abstraktionsebene informiert. Er er© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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hält eine Erklärung für die Bedeutung des betreffenden zentralen Kulturstandards unter Berücksichtigung der kulturhistorischen Grundlagen (kulturelle Verankerung). Damit wird das Verständnis für die Verhaltenswirksamkeit des zentralen Kulturstandards zu vertiefen und die Akzeptanz zu verstärken versucht. In den in der letzten Zeit erscheinenden Culture Assimilators sind außerdem Lösungsstrategien der kritischen Interaktionssituation beinhaltet, und zwar vor der kulturellen Verankerung des zentralen Kulturstandards (Thomas 2000). Zur Veranschaulichung des Trainingsinhalts und der Trainingsmethode des Culture Assimilators wird hier das Fallbeispiel »Aircondition« aus dem Culture Assimilator für deutsche Manager, Fach- und Führungskräfte zur Vorbereitung ihres Arbeitseinsatzes in China von Thomas und Schenk (2001, S. 92–97 und 102 f.) abgedruckt. n Beispiel 11: Aircondition n Situation Auf Baustellen geht immer etwas schief, egal ob in Deutschland, China oder sonst irgendwo. Herr Praunges behauptet von sich, gute Nerven zu haben; beim kürzlich abgeschlossenen Umbau der Büroräume seiner Repräsentanz glaubte er aber doch gelegentlich, an seinem Verstand zweifeln zu müssen. »Die Renovierung unserer Büroräume war fast abgeschlossen, aber ich konnte in meinem Büro keinen Airconditioner erkennen. Also fragte ich einen Angestellten, einen Bauleiter oder so, der betreffenden Firma, warum der Airconditioner hier nicht eingebaut worden sei, oder was es damit auf sich habe. Daraufhin erzählt der mir freundlich lächelnd, aber ohne es als Witz zu meinen, dass der Wasserhahn in der Toilette noch tropft und morgen, morgen würden sie das dann klären! Ich nickte und fragte nochmal, ob da nicht der Airconditioner eingebaut werden müsste. Nun erzählte er nichts vom tropfenden Wasserhahn, sondern meinte, dass nächste Woche das Treppengeländer gestrichen werde und dass dann auch das Problem beseitigt sein werde. Als ich dann nochmal wiederholte, dass mich jetzt nicht das Treppengeländer interessieren würde, sondern meine Aircondition, dass das gestrichene Geländer mein Büro auch nicht kühlen würde, merkte er langsam, dass ich mich nicht auf seine Ablenkungsmanöver einlassen würde. Es war klar, die hatten den Airconditioner glatt vergessen! Aber statt dass der Mensch sich entschuldigt hätte oder gesagt hätte, dass dieses Versehen morgen sofort behoben würde, wand er sich in aberwitzigen Ausflüchten, biss sich fast in die Unterlippe vor Lächeln und flüchtete schließlich mit einem ›Darum kümmern . . .‹. Am nächsten Tag hatten sie das dann gemacht, aber wie . . .!?« Warum geht der chinesische Baustellenleiter nicht auf die Frage von Herrn Praunges ein? – Lesen Sie nun die Antwortalternativen nacheinander durch. – Bestimmen Sie den Erklärungswert jeder Antwortalternative für die gegebene Situation und kreuzen Sie ihn auf der darunter befindlichen Skala entsprechend an. Es ist möglich, dass mehrere Antwortalternativen den gleichen Erklärungswert besitzen.

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n Deutungen a) Der Baustellenleiter versucht, mit den Ausflüchten von der Frage abzulenken, weil es sich bei dem fehlenden Airconditioner um ein peinliches Versäumnis handelt, das er schon selbst bemerkt hatte und um das er sich auch kümmern wird. Aber dazu braucht der Deutsche ihn doch jetzt nicht derartig bloßzustellen!

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

b) Der chinesische Bauleiter hat Herrn Praunges nicht verstanden und versuchte, ihm eine Antwort zu geben, indem er ihm die nächsten anstehenden Arbeiten erläuterte.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

c) Der Chinese hält den Deutschen für einen arroganten Wichtigtuer, der sich wegen einer Lappalie wie diesem Airconditioner aufspielt und unverschämte Witze zu reißen versucht. Er lässt ihn durch seine sture Ignoranz abblitzen.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

d) Der Chinese versucht, durch die Antworten einen Konflikt zu vermeiden, bei dem durch Gesichtsverlust die Harmonie bedroht werden würde.

sehr zutreffend

eher zutreffend

eher nicht zutreffend

nicht zutreffend

Versuchen Sie, Ihre Einstufung zu jeder Antwortalternative zu begründen. Halten Sie die Begründung in schriftlicher Form stichpunktartig fest. – Lesen Sie nun die Erläuterungen zu jeder Antwortalternative durch und vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Begründungen. –

n Bedeutungen Erläuterung zu a): In Deutschland wäre das genau die richtige Antwort. Für die Erklärung aus chinesischer Sicht fehlt aber noch etwas sehr Entscheidendes, was auch die Bewertung der Antworten als Ausflüchte relativiert. Es geht hier nicht mehr um das Vermeiden einer peinlichen Situation, die ist bereits da (um die Peinlichkeit zu mildern, wird

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gelächelt). Schlimmer als das Bloßstellen ist der durch die Wiederholung der Frage drohende Gesichtsverlust. Dieses sture Nachbohren und Beharren läuft allen Grundprinzipien chinesischer Kommunikation zuwider. Der ironische Witz mit dem nicht kühlenden Treppengeländer ist eine glatte Beleidigung, hier kann von Humor aus chinesischer Sicht nicht die Rede sein . . . Und all das, obwohl der Baustellenleiter so geschickt mit dem Wasserhahn, um den man sich morgen kümmern werde, darauf hingewiesen hat, dass er verstanden habe, wo das Problem liegt. Aber auch den zweiten Hinweis, dass man das Problem dann morgen abgeschlossen haben werde, versteht Herr Praunges nicht. Die Antworten sind durchaus Antworten und nicht dumme Ausflüchte, nur müssen sie erst umständlich entschlüsselt werden, was Herrn Praunges nicht gelingt. Erläuterung zu b): Mit Nichtverstehen hat das aller Wahrscheinlichkeit nach gar nichts zu tun. Wer so viel zum Abschluss von Arbeiten am Treppengeländer und tropfenden Wasserhähnen sagen kann, der versteht auch »Aircondition«. Erläuterung zu c): Nein, das ist sicher falsch, auch wenn es nach unseren Sprachkonventionen ein Paradebeispiel für »Auflaufenlassen« oder sture Ignoranz darstellen würde. Zwar halten Chinesen westliche Ausländer mitunter für Wichtigtuer – und mancher führt sich auch so auf, wie hier Herr Praunges durch sein penetrantes Nachbohren und seinen schlecht platzierten ironischen Scherz. In diesem Fall ist aber der Anlass der Auseinandersetzung der fehlende Airconditioner, der durchaus keine Lappalie darstellt und ein solches Verhalten nicht rechtfertigen würde. Erläuterung zu d): Auseinandersetzungen, Streitgespräche, sachlich-argumentativer Schlagabtausch, klärende Gespräche, Richtigstellungen und dergleichen, das sind Gesprächsformen, die in China nicht gerade populär sind oder zum guten Umgangston gehören. Allein die deutsche Wortprägung »sich auseinander setzen« erscheint für chinesische Ohren paradox, geht es doch darum, gerade wenn es schwierig wird, sich zusammenzusetzen. Was Herr Praunges da macht, ist reichlich unsensibel. Er hört nicht die Antwort, die ihm längst gegeben wurde (vgl. a), sieht immer nur Ausflüchte. Das unsensible Verhalten gereicht natürlich nicht gerade zum Gesichtsgewinn für ihn; schwerer wiegt jedoch, dass er ernsthaft versucht, das Gesicht des chinesischen Baustellenleiters zu verletzen, eigentlich nur, um von diesem zu hören zu bekommen, dass er recht hat, der Chinese im Unrecht ist und eine große Dummheit begangen hat. Sein Airconditioner ist deshalb aber noch nicht eingebaut. – Beantworten Sie für sich folgende Frage: Wie würden Sie sich in einer vergleichbaren Situation verhalten? – Halten Sie Ihre Überlegungen stichpunktartig in schriftlicher Form fest. n Lösungsstrategie Nach chinesischer Ordnungsvorstellung steht es einem Untergebenen nicht zu, dem Vorgesetzten zu widersprechen. Ein Widerwort würde bereits als ein Verstoß gegen das Hierarchie- und Höflichkeitsprinzip gelten. Die ausweichenden Antworten und das Umschwenken auf andere Themen signalisieren, dass hier eine Situation vorliegt, die für den Kritisierten einen Gesichtsverlust zur Folge haben kann und die

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Harmonie stören würde. Wenn dem Kritikübenden daran gelegen ist, mit diesem Mitarbeiter auch weiterhin kooperieren zu können, sollte er tunlichst darauf achten, das sinnlose Nachfragen und Nachhaken zu beenden, und versuchen, das Problem auf harmonische Art zu lösen. Ausgetauschte Argumente nehmen im chinesischen Diskurs im allgemeinen nur dann aufeinander Bezug, wenn sie anknüpfen, überlappen oder gar übereinstimmen. Weicht man in der Meinung ab, wird ein neues Thema angeschnitten. Ziel und oberste Handlungsmaxime ist die Erhaltung der Harmonie. Harmonie wird dabei anders als im christlichen Abendland mehr im Sinne der Aufrechterhaltung der Ordnung verstanden. Wenn im chinesischen Kontext auch Konfliktvermeidungsstrategien eine nicht hoch genug einzuschätzende Rolle spielen, so wäre es doch falsch, davon auszugehen, dass jede Auseinandersetzung vermieden oder höflich harmonisierend umgangen werden würde. Bei Themen, die »wichtig« sind, beispielsweise entscheidende materielle Vorteile bringen, wird mit Sicherheit hart gestritten, wobei auch laute Töne und unzweideutig ausgedrückte Forderungen und Meinungen vorgetragen werden. Dabei schwindet für den Europäer mitunter der Eindruck, dass man sich sachlich und höflich auseinandersetzt. Das Problem liegt nun darin zu erkennen, was wichtig ist, denn nicht immer sind die heftig umkämpften Punkte auch die wichtigen. Je nach Situation kann es sich dabei durchaus um taktische Schaukämpfe handeln. Vermieden wird jedoch jedwede »unnütze« Diskussion, also eine, die keine konkreten Vorteile bringt. Außerdem wird jede Form einer Selbstdarstellung durch Präsentation einer elaborierten, differenzierten, ganz persönlichen Meinung mit dem Ziel des »Prestigegewinns« vermieden, denn das ist für den chinesischen Gesprächspartner nicht nachvollziehbar. Statt zu kritisieren und Schuldzuweisungen vorzunehmen, sollten Sie feststellen, wo Mängel sind, um welche es sich handelt und wie diese behoben werden können. Versuchen Sie, dies von Anfang an mit dem verantwortlichen Mitarbeiter zu tun, statt ihm eine Liste mit Mängeln und Aufgaben zu präsentieren. Schaffen Sie in ihm das Bewusstsein, ein kompetenter Mitarbeiter zu sein, der Sachverstand zeigt und die richtigen Maßnahmen ergreifen wird. Machen Sie sich immer wieder bewusst, dass Dinge, die Ihnen problematisch und unbegreiflich sind, Ihrem chinesischen Mitarbeiter nicht unbedingt auch so erscheinen müssen. Schaffen Sie eine gemeinsame Sprache durch gemeinsames Entdecken, Benennen und Analysieren des Problems. Knüpfen Sie Kritik an Lob oder die Hervorhebung bisher erbrachter positiver Leistungen an. Kritisches oder Problematisches kommt, wenn es sich nicht vermeiden lässt, zum Schluss eines Gesprächs, nicht zu Beginn, wie dies bei uns üblich ist. Fast immer lässt sich die nötige Kritik verschlüsseln und zwischen den Zeilen verstecken. n Kulturelle Verankerung von »sozialer Harmonie« Der Begriff »soziale Harmonie« rührt aus dem chinesischen Verständnis, dass die soziale Ordnung in gleicher Weise harmonisch wirken müsse wie die Natur. Ebenso wie es für die Naturgesetze nach chinesischer Auffassung keine logische Grundlage von Ursache und Wirkung gibt, sind auch die sozialen Gesetze, die Etikette, ein eher willkürlich zusammengestelltes Regelwerk, das aus sich heraus soziale Harmonie sicherstellt. Die gedankliche Grundlage hierfür ist das korrelative Denken, das bedeutet, dass man Aspekte des kosmischen oder sozialen Lebens zueinander in Beziehung stellt oder zuordnet, ohne eine logische Erklärung dafür anfügen zu müssen.

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Zum Beispiel werden stoffliche Materialien wie Holz, Eisen, Wasser den Jahreszeiten, Himmelsrichtungen und Farben zugeordnet, was als harmonischer Zustand definiert wird. Aus diesen Zuordnungen lassen sich wiederum politische Entscheidungen oder Verhaltensmaßregeln ablesen, denn diese fungieren in harmonischer Weise mit den natürlichen Dingen. Daraus folgt wiederum umgekehrt, dass sich auch die Natur, der Himmel und die Erde dementsprechend zum menschlichen Handeln verhalten. Die Aufrechterhaltung der sozialen Harmonie ist somit direkt mit der Aufrechterhaltung der natürlichen, kosmischen Ordnung verbunden. Durch Verstöße gegen die soziale Harmonie wird eine der größten Gefahren für die politische Herrschaft, das Chaos (luan) hervorgerufen. In der politischen Konzeption wird das Chaos in der Gesellschaft, das vor allem in zahlreichen Bauernaufständen und Rebellionen sichtbar wird, durch das Fehlverhalten des Kaisers hervorgerufen, der zentralen Verbindung zwischen der kosmischen »Herrschaft« des Himmels und der »Herrschaft« auf Erden. Die sozialen Unruhen werden als ein Zeichen des Himmels interpretiert, dass der derzeitige Himmelssohn nicht fähig ist, seinem Mandat entsprechend zu handeln, und dass ihm damit das Mandat entzogen wird, was in der politischen Praxis durch einen Dynastiewechsel geschieht. Hiermit wird praktisch eine Legitimation des Volkes zur Rebellion gegeben, da es vom Himmel dazu beauftragt ist, die soziale und kosmische Harmonie wiederherzustellen. In der chinesischen Geschichte sind fast sämtliche Dynastiewechsel in solcher Weise erfolgt; man nennt dies den dynastischen Zyklus. Entscheidend dabei ist, dass die Rebellion und Entmachtung des Kaisers nie zu einer neuen Gesellschaftsordnung führen soll, sondern das Ziel immer die Restauration der alten Ordnung, im Sinne des früheren harmonischen Zustands, ist. Die philosophische Grundlage für dieses Konzept wurde bereits durch Mengzi im 3. Jahrhundert v. d. Z. gelegt.

Die Bearbeitungszeit des schriftlichen Trainingsmaterials entspricht der Trainingsdauer. Und diese richtet sich nach der Anzahl der Fallbeispiele. Es gibt Culture Assimilator mit nur fünf Fallbeispielen und einer Bearbeitungszeit von circa 50 Minuten, und es gibt Culture Assimilator mit 100 Fallbeispielen und einer Bearbeitungszeit von rund 10 Stunden. Damit der Trainingsteilnehmer tatsächlich daraus etwas lernt, jedoch nicht überfordert wird, sollte ein Culture Assimilator zwischen 20 und 30 Fallbeispiele beinhalten und eine Bearbeitungszeit von rund fünf Stunden umfassen.

Konstruktion Einen Culture Assimilator zu konstruieren bedeutet, viel Zeit, Mühen, Wissen, Können und Geld aufzuwenden. Der Aufwand wird häufig auch noch unterschätzt. Für Personalentwickler, die unternehmens-, zielgruppen-, aufgaben- und kulturspezifische Culture Assimilators selbst erstellen wollen, wird das Verfahren nun ausführlich dargestellt. Aber auch Leser und Leserinnen, die es lieber Experten überlassen, solche Culture Assimilators herzustellen, sollten sich die Beschreibung durchlesen, um einen Eindruck

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zu gewinnen, wie die Entwicklungsschritte verlaufen und wie viel Aufwand in solch einem Produkt steckt. 1. Im ersten Arbeitsschritt erfolgt in Anlehnung an die »critical incident technique« von Flanagan (1954) die Sammlung von kritischen Interaktionssituationen. »An incident would be any activity that was sufficiently complete to permit inferences and predictions to be made about the person performing it. The act would need to have definite consequences and its purpose would need to be fairly clear to an observer« (Albert 1983, S. 190). Damit eine Interaktionssituation als kritische Interaktionssituation in einem Culture Assimilator aufgenommen wird, muss sie nach Fiedler et al. (1971) folgende Kriterien erfüllen: 1) Die Interaktionssituation muss eine alltägliche Interaktionssituation zwischen Besuchern und Mitgliedern des Gastlands sein. 2) Sie muss von den Besuchern des Gastlands als konflikthaft oder verwirrend erlebt werden. 3) Sie wird wahrscheinlich von den Besuchern des Gastlands kulturinadäquat interpretiert werden. 4) Bei ausreichender Kenntnis über die Gastkultur sollte sie aber kulturadäquat interpretierbar sein. 5) Die Interaktionssituation sollte für die Handlungsaufgaben und -anforderungen der Besucher relevant sein. Zur Gewinnung von kritischen Interaktionssituationen können zum Beispiel mittels Interview Personen befragt werden, die längere Zeit im Zielland verbracht haben. 2. Im zweiten Arbeitsschritt erfolgt die Identifizierung zentraler Kulturstandards. Dazu ist es notwendig, aus der Sicht von Mitgliedern der Gastkultur kulturadäquate und kulturinadäquate Erklärungen für das Verhalten der Besucher der Gastkultur zu gewinnen. Die Idee dabei ist, dass die aus der Sicht von Mitgliedern der Gastkultur kulturadäquaten Erklärungen für die in den kritischen Interaktionssituationen jeweils geschilderten, für die Gastkultur typischen Verhaltensnormen Konkretisierungen zentraler Kulturstandards darstellen. Um das zu erreichen, können zum Beispiel Mitglieder der Gastkultur zu einer Gruppendiskussion eingeladen werden. Darüber hinaus können auf diese Weise kritische Interaktionssituationen, bei denen sich die Diskussionsteilnehmer entweder nicht auf eine Interpretation einigen können oder die sie als nicht typisch für die Gastkultur beurteilen, als nichtkritische Interaktionssituationen aus dem Datenmaterial herausgenommen werden. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Gruppendiskussion wird dann zu jeder kritischen Interaktionssituation die als kulturadäquat beurteilte Erklärung formuliert. Zur Absicherung werden diese Ursachenzuschreibungen dann kommunikativ validiert. Zur Erfassung und Formulierung von plausiblen oder kulturinadäquaten Erklärungsalternativen werden Personen ohne Erfahrung im Umgang mit Mitgliedern des Gastlands alle verbleibenden kritischen Interaktionssituationen vorgelegt mit der Bitte, eine ihrer Ansicht nach treffende Erklärung für das Verhalten der Mitglieder des Gastlands abzugeben. Die ausgewählten kritischen Interaktionssituationen werden dann in einem schrittweisen Such- und Gruppierungsverfahren kategorisiert. Dann werden die den kritischen Interaktionssituationen zugrunde liegenden zentralen Kulturstandards identifiziert. Das endgültige Kategoriensystem entspricht den ermittelten zentralen Kulturstandards. Die Inhaltsvalidität des Kategoriensystems kann dadurch erhöht werden, dass die empirisch beziehungsweise induktiv hergeleiteten Kategorien, also die zentralen Kulturstandards, mit den in der entsprechenden Literatur häufig erwähnten Kulturmerkmalen des Gastlands verglichen und gegebenenfalls entsprechend korrigiert werden.

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3. Im dritten Arbeitsschritt wird zur Validierung der kritischen Interaktionssituationen und Erklärungsalternativen sowie zur Selektion der geeignetsten kritischen Interaktionssituationen für das endgültig zusammenzustellende Trainingsmaterial das Datenmaterial noch einmal mehreren ehemaligen Besuchern und Mitgliedern des Gastlands vorgelegt mit der Instruktion, die für jede kritische Interaktionssituation ihrer Meinung nach zutreffende Erklärungsalternative auszuwählen. Die Mitglieder des Gastlands sollen zudem auf einer Skala angeben, wie typisch, das heißt, wie wahrscheinlich und beispielhaft das jeweils geschilderte Verhalten des Gastlandmitglieds ist, die ehemaligen Besucher des Gastlands, wie relevant ihnen die Erklärung für die jeweils geschilderten Verhaltensweisen von Mitgliedern der Gastkultur für zukünftige Besucher der Gastkultur erscheint. Nach den Kriterien Antwortverteilung bei den Mitgliedern des Gastlands und Trennschärfe zwischen Besucher- und Mitgliederstichprobe, Antwortverteilung allgemein, Beurteilung der Wahrscheinlichkeit und Beispielhaftigkeit der Situationen aus der Sicht der Mitglieder des Gastlands sowie Beurteilung der Relevanz dieser Situationen aus der Sicht der ehemaligen Besucher des Gastlands werden die kritischen Interaktionssituationen einer statistischen Analyse unterzogen. Auf diese Weise werden dann diejenigen kritischen Interaktionssituationen selektiert, die als Fallbeispiele in das endgültige Trainingsmaterial eingehen. 4. Im vierten Arbeitsschritt erfolgt die Erstellung des Trainingsmaterials. Die kritischen Interaktionssituationen (Fallbeispiele) werden den ihnen zugrunde liegenden zentralen Kulturstandards zugeordnet und ihrer Schwierigkeit nach sortiert. Dann werden die zu den Erklärungsalternativen jeweils spezifischen Rückmeldungen formuliert, die neben der Mitteilung, ob die gewählte Antwort richtig oder falsch ist, eine Begründung liefern, warum das so ist. Damit sollen den Trainingsteilnehmern die wesentlichen Merkmale des betreffenden zentralen Kulturstandards vermittelt werden. Gegebenenfalls werden je Fallbeispiel Lösungsvorschläge formuliert. Zu jedem der zentralen Kulturstandards wird darüber hinaus in der Regel auf der Grundlage der bereits erwähnten Literaturquellen eine Hintergrundinformation zusammengestellt, die den zentralen Kulturstandard explizit benennt, differenziert beschreibt und über dessen historischen Ursprung sowie über dessen Auswirkungen informiert.

Trainingsablauf Der prototypische Ablauf eines interkulturellen Trainings, das Programm des interkulturellen Trainings, wird nun am Beispiel eines Orientierungstrainings zur Vorbereitung auf eine spezifische Kultur dargestellt. Die angegebenen Inhalte werden je nach Dauer des Trainings alternativ oder additiv eingesetzt. Zudem sind die Inhalte und Methoden bei fremd-, bi- oder multikulturellen Trainingsgruppen unter Berücksichtigung der kulturbedingten didaktischen Präferenzen der Teilnehmer auszuwählen. Welche Module die Schwerpunkte eines Trainings darstellen, entscheiden der Zeitpunkt und die Zielgruppe des Trainings.

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Erstes Modul: Start – Begrüßung und Vorstellung der Trainerin / des Trainertandems – Vorstellrunde mit einigen themenbezogenen Fragestellungen – Erwartungs- und Zielabklärung (Erwartungen und Ziele der Teilnehmer; Veranstaltungsüberblick durch Trainer/in; Aufnahme spezieller Wünsche ins Programm; Klarstellung, was Seminar nicht leisten kann und will; Klärung organisatorischer Fragen) – Erhebung zentraler Vorerfahrungen mit der Zielkultur (kulturspezifisch) oder mit Interkulturalität (kulturgenerell) 1) schlagwortartig (Stereotype, Zuschreibungen, durch eigene Erfahrung »bestätigte« Vorurteile etc.), 2) eigene Fallgeschichten (nach Leitfragestellungen aufzubereiten) Zweites Modul: Zentrale Kulturstandards der Zielkultur und der eigenen Kultur (kulturspezifisch) oder Zentrale Kulturdimensionen (kulturgenerell) – Definitionen: Was ist Kultur? Was hat Kultur mit dem Geschäftsleben zu tun? – Kulturstandards / Kulturdimensionen: 1) aufbereitet als Input (informationsorientiert), 2) Rollenspiele eigener Erfahrungen und Analyse (interaktionsorientiert; verstehensorientiert), 3) Culture Assimilator (verstehensorientiert) – Kontrastiv angelegte Simulationen / Rollenspiele von Kulturbegegnungen zu besonders bedeutsamen Kulturstandards / Kulturdimensionen (interaktionsorientiert / kulturorientiert) Drittes Modul: Kulturelle Skripts für wichtige Business-Situationen – z. B. für »Teamarbeit«, »Meetings«, »Verhandeln«, »Führungsverständnis«, »Präsentationen« – Fallstudien (verstehensorientiert) – Input (informationsorientiert) – Culture Assimilator mit themenbezogenen kritischen Interaktionssituationen (verstehensorientiert) – Reflexion eigener Erfahrungen (verstehensorientiert) – Rollenspiele oder Simulationen zu bestimmten Aufgabenstellungen mit detaillierten Rollenvorgaben (kulturorientiert; interaktionsorientiert) Viertes Modul: Erfolgreiche interkulturelle Kooperation – Input: Modelle und Bedingungen interkultureller Kompetenz (informationsorientiert) – Reflexion und Diskussion des fremdkulturellen Erlebens anhand von Leitfragen (verstehensorientiert) – Fallgeschichten aus zentralen Handlungsfeldern (verstehensorientiert) – Culture Assimilator Training – Kritische Interaktion samt ihrer positiven Bewältigung (verstehensorientiert) – Reflexion eigener »Erfolgsstories« und Analyse der Erfolgsfaktoren (kulturorientiert; verstehensorientiert) – Übungen zu Verhaltensänderung bei besonders zentralen Kulturstandards oder Skriptelementen (interaktionsorientiert) – Feedbackübungen (interaktionsorientiert)

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Weitere Beispiele von Trainingsprogrammen finden sich in Clement und Clement (2000, S. 221 f.) und Kinast (1998, S. 392 f.).

2.2.4 Schluss Im Rahmen dieses Kapitels wurden interkulturelle Trainings als Möglichkeit zur Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz vorgestellt. Abschließend werden in Tabelle 7 alle begrifflichen Unterscheidungen noch einmal im Überblick dargestellt. Angesichts der Tatsache, dass es interkulturelle Trainings gibt, verwundert es immer wieder, dass diese nicht stärker genutzt werden. Als Gründe werden einerseits die Kosten interkultureller Trainings genannt und andererseits wird deren Wirksamkeit in Frage gestellt. Stellt man den Trainingskosten jedoch die Kosten von gescheiterten Auslandsvorhaben gegenüber, dann wird deutlich, dass die Kosten für interkulturelle Trainings eher gering sind. Wie wirksam interkulturelle Trainings sind und wie dies überprüft werden kann, wird im nächsten Kapitel beschrieben.

Tabelle 7: Einteilung und Bezeichnung interkultureller Trainings Kriterium

Bezeichnung

Trainingsziel

Affektives interkulturelles Training Kognitives interkulturelles Training Behaviorales interkulturelles Training

Trainingsinhalt

Kulturspezifisches interkulturelles Training Kulturallgemeines interkulturelles Training

Trainingsmethode

Wissensorientiertes interkulturelles Training Erlebnisorientiertes interkulturelles Training

Trainingsdauer

Erziehung Training Orientierung Einweisung

Trainingszeitpunkt

Orientierungstraining Verlaufstraining Reintegrationstraining

Didaktischer Ansatz

Informationsorientiertes Training Kulturorientiertes Training Interaktionsorientiertes Training Verstehensorientiertes Training Culture Assimilator

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Grundlagen: Diagnose – Training – Evaluation – Coaching

Orientierungstraining für amerikanische Studenten, Schüler und Praktikanten. Heidelberg (Fassung in englischer Sprache; unveröffentlicht). Martin, M.; Thomas, A. (2002): Beruflich in Indonesien. Interkulturelles Orientierungstraining für Manager, Fach- und Führungskräfte. Regensburg. Mayer, C. H.; Boness, C. (2003): Beruflich in Kenia und Tansania. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte. Göttingen. Müller, A.; Thomas, A. (1995): Studienhalber in den USA. Interkulturelles Orientierungstraining für deutsche Studenten, Schüler und Praktikanten. Heidelberg. Pedersen, P. B. (1988): A Handbook for Developing Multicultural Awareness. Alexandria. Rademacher, H. (1991): Spiele und Übungen zum interkulturellen Lernen. Berlin. Schenk, E.; Bauer, S.; Schnabel, R.; Thomas, A. (in Vorb.). China Study and Culture Assimilator. Übungsmaterial zur Vorbereitung deutscher Studenten und Praktikanten auf den Chinaaufenthalt. Regensburg. Schmid, S.; Thomas, A. (2003): Beruflich in Großbritannien. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte. Göttingen. Schroll-Machl, S. (2002): Die Deutschen – Wir Deutsche. Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben. Göttingen. Schroll-Machl, S.; Nový, I. (2003): Beruflich in Tschechien. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte. Göttingen. Shirts, G. (1973): BAFA-BAFA: A Cross-Cultural Simulation. Del Mar, CA. Thomas, A. (1990): Interkulturelles Handlungstraining als Personalentwicklungsmaßnahme. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie 34 (3): 149– 154. Thomas, A. (1993a): Kulturvergleichende Psychologie. Eine Einführung. Göttingen. Thomas, A. (1993b): Psychologie interkulturellen Lernens und Handelns. In: Thomas, A. (Hg.), Kulturvergleichende Psychologie. Eine Einführung. Göttingen, S. 377–424. Thomas, A. (1995): Die Vorbereitung von Mitarbeitern für den Auslandseinsatz. Wissenschaftliche Grundlagen. In: Kühlmann, T. M. (Hg.), Mitarbeiterentsendung ins Ausland. Auswahl, Vorbereitung, Betreuung und Wiedereingliederung. Göttingen, S. 85–118. Thomas, A. (1996a): Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen. Thomas, A. (1996b): Psychologische Bedingungen und Wirkungen internationalen Managements – analysiert am Beispiel deutsch-chinesischer Zusammenarbeit. In: Engelhard, J. (Hg.), Interkulturelles Management. Theoretische Fundierung und funktionsspezifische Konzepte. Wiesbaden, S. 111–134. Thomas, A. (2000): Forschungen zur Handlungswirksamkeit von Kulturstandards. Handlung, Kultur und Interpretation. Zeitschrift für Sozial- und Kulturwissenschaften 9(2): 231–279. Thomas, A.; Schenk, E. (2001): Beruflich in China. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte. Göttingen. Thomas, A.; Schenk, E.; Lindner, W. (in Vorb.): Interkulturelles Training für chinesische Fach- und Führungskräfte zum Umgang mit deutschen Partnern (in chinesischer Sprache). Regensburg. Thomas, A.; Schenk, E.; Lindner, W. (in Vorb.): German Business and Culture Assimilator. Übungsmaterial zur Vorbereitung chinesischer Manager auf den Deutschlandaufenthalt. Regensburg.

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Thomas, A.; Layes, G.; Kammhuber, S. (1998): Sensibilisierungs- und Orientierungstraining für die kulturallgemeine und kulturspezifische Vorbereitung von Soldaten auf internationale Einsätze. Untersuchungen des psychologischen Dienstes der Bundeswehr 1998. München. Tschöcke, K.; Kölling, M. (2000): Asien lernen. Interkulturelles Training: Ziele, Konzepte, Anbieter. Hamburg. Yoosefi, T.; Thomas, A. (2003): Beruflich in Russland. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte. Göttingen.

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Grundlagen: Diagnose – Training – Evaluation – Coaching

Eva-Ulrike Kina st: Evaluation interkultureller Trainings

Eva-Ulrike Kinast

2.3 Evaluation interkultureller Trainings

Die Bedeutung interkultureller Trainings als Möglichkeit zum interkulturellen Lernen und zum Erwerb interkultureller Handlungskompetenz nimmt ständig zu. Was bewirken interkulturelle Trainings? Bewirken sie tatsächlich das, was von ihnen erwartet wird, zum Beispiel eine Veränderung im Fühlen, Denken und Verhalten? Diese Frage kann mittels Evaluation beantwortet werden.

2.3.1 Aktuelle Situation In der wissenschaftlichen Evaluationsforschung gibt es weltweit inzwischen rund 50 Untersuchungen, die die Wirksamkeit interkultureller Trainings grundsätzlich bestätigen. Sie nutzen die Erkenntnisse der Evaluationsforschung (z. B. Wottawa u. Thierau 1990), insbesondere die Erkenntnisse der Forschung zur Evaluation von Managementtrainings (z. B. Nork 1989) und von betrieblichen Verhaltenstrainings (z. B. Gülpen 1996; Kirkpatrick 1979), sowie die Erkenntnisse der Methodenforschung (z. B. Lamnek 1988; 1989) und entwickeln daraus spezifische Methoden zur Evaluation interkultureller Trainings. Den bisher umfangreichsten Überblick über die Untersuchungen und Methoden zur Evaluation interkultureller Trainings gibt Kinast (1998) in ihrem Buch »Evaluation interkultureller Trainings«. In Unternehmen und anderen Organisationen werden interkulturelle Trainings eher selten evaluiert. Die Gründe hierfür sind – die mangelnde methodische Kompetenz von im Unternehmen für das Bildungscontrolling zuständigen Personen, – die hohen Kosten von Evaluationsprojekten, – die knappen Personalkapazitäten in den Personalentwicklungsabteilungen, – die engen Zeitbudgets der trainierten Fach- und Führungskräfte zur Erledigung ihrer Aufgaben im operativen Tagesgeschäft,

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Eva-Ulrike Kinast: Evaluation interkultureller Trainings

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– die – damit verbundenen – häufig zu beobachtenden Widerstände gegen Evaluationsprojekte. Interkulturelle Trainings sollten aber unbedingt evaluiert werden – schließlich kosten sie Geld. Wenn Sie nicht die erwartete Wirkung zeigen, dann sollte geprüft werden, welche Ursachen das hat. Anschließend sollte alles an dem interkulturellen Training verändert werden, was bisher seiner Wirksamkeit entgegenstand (z. B. Methoden, Inhalte, Trainer), um eine optimale Wirkung zu erzielen. Um das zu prüfen, muss evaluiert werden.

2.3.2 Evaluationsmethodik Definition, Ziele, Funktionen Evaluation, in der Literatur auch mit Erfolgskontrolle, Effizienzforschung, Wirkungskontrolle, Qualitätskontrolle und anderen Begriffen umschrieben, ist eine Handlung (Wottawa u. Thierau 1990), deren Ziel es ist zu prüfen, welche Wirkungen ein interkulturelles Training hat und welcher Nutzen oder Wert sich daraus zum Beispiel für den Trainingsteilnehmer oder das Unternehmen ergibt, das das interkulturelle Training in Auftrag gegeben hat. Dabei kann Evaluation vier Funktionen erfüllen: – Legitimation und Durchsetzung: Mittels des Beweises der Wirkungen interkultureller Trainings durch die Evaluation lässt sich eine Trainingsmaßnahme im vorhinein leichter durchsetzen und deren Kosten im nachhinein rechtfertigen. – Entscheidung: Mittels Evaluation lässt sich eine zuverlässige Entscheidung zum Beispiel über die Neuentwicklung oder Modifikation eines interkulturellen Trainings oder eine Wahl zwischen alternativen Trainingsmethoden treffen. – Steuerung und Optimierung: Mittels Evaluation lässt sich zum Beispiel eine zuverlässige Aussage darüber machen, welche Trainingsbausteine in einem interkulturellen Training von den Trainingsteilnehmern gut angenommen werden und welche eher auf Ablehnung stoßen, und es kann dann entschieden werden, welche Trainingsbausteine aus dem Training herausgenommen oder verbessert werden. – Erkenntnis: Mittels Evaluation werden theoretische Erkenntnisse über die Gestaltung eines interkulturellen Trainings sowie dessen Wirkungen gewonnen und von professionellen Trainern in interkulturellen Trainings in der beruflichen Praxis umgesetzt.

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An der Evaluation interkultureller Trainings sind immer mehrere Personen beteiligt, was Evaluationen häufig sehr schwierig macht. Der Auftraggeber, zum Beispiel der Personalentwickler im Unternehmen, hat ein starkes Interesse daran, der Geschäftsführung die Qualität und den Nutzen des interkulturellen Trainings deutlich zu machen, um seinen Auftrag als »Lernarchitekt« zu erfüllen. Der Evaluator hingegen will seinen guten Ruf als Experte in Evaluationsfragen bewahren und ist nicht bereit, für den Personalentwickler die Ergebnisse maßgerecht zu interpretieren. Der Trainingsteilnehmer will vor allem etwas lernen, um mit seinen fremdkulturellen Kollegen im Ausland besser zusammenarbeiten zu können; ihn interessieren die Kosten für das interkulturelle Training und dessen Evaluation in der Regel nur wenig. Und die Trainingsteilnehmer im Unternehmen wollen es sich mit dem Trainingsleiter und dem Personalentwickler nicht verderben und beantworten dementsprechend den Evaluationsfragebogen. Evaluation ist immer ein Prozess und vollzieht sich in Phasen. Zunächst wägt man ein Evaluationsvorhaben ab, weil es hohe Kosten mit sich bringt. Dann wird geplant. Die Evaluation wird durchgeführt und abschließend bewertet. Die Ergebnisse der Evaluation fließen in die erneute Planung und Durchführung eines interkulturellen Trainings ein. Evaluation ist auf ein Objekt gerichtet. Ein interkulturelles Training ist ein solches Objekt. Auch die Trainingsteilnehmer sind Evaluationsobjekte; hier spricht man allerdings besser von Evaluationssubjekten. Evaluation ist Beschreibung und Bewertung. Ergebnisse der Evaluation haben nur Gültigkeit, wenn das interkulturelle Training, seine Ziele, Inhalte, Methoden sorgfältig beschrieben und dokumentiert und die Wirkungen und der Nutzen des interkulturellen Trainings auf dieser Grundlage beurteilt wurden. Evaluation sollte interdisziplinär stattfinden. Psychologen, Pädagogen, Wirtschaftswissenschaftler, Ingenieure und andere leisten wichtige Beiträge zur Evaluation. Evaluation bedient sich aktueller wissenschaftlicher Methoden und findet im Spannungsfeld zwischen Forschung und Praxis statt.

Vorgehen und Methoden In der Literatur gibt es eine Vielzahl von Modellen und Methoden für Evaluationen (Wottawa u. Thierau 1990). Sie alle helfen, ein Evaluationsprojekt zu strukturieren und zu gestalten sowie die Evaluationsergebnisse zu klassifizieren und darzustellen. Das Buch »Evaluation interkultureller Trainings« (Kinast 1998) gibt einen umfassenden Überblick über Modelle und Methoden und deren Bedeutung für die Anwendung zur Evaluation interkultureller Trainings. Daraus wird ein Modell vorgestellt, das die Evalua-

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Eva-Ulrike Kinast: Evaluation interkultureller Trainings

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tionsforschung interkultureller Trainings in letzter Zeit wesentlich beeinflusst hat (z. B. Bhawuk 1998; Bhawuk u. Brislin 2000). Es handelt sich um das ebenenorientierte Evaluationsmodell von Kirkpatrick (1979). Erfahrungsgemäß wird in Unternehmen und anderen Organisationen unmittelbar nach Beendigung eines interkulturellen Trainings ein Trainingsbewertungsbogen in Form eines Fragebogens an die Trainingsteilnehmer verteilt, um festzustellen, ob den Trainingsteilnehmern das interkulturelle Training gefallen hat und was die Trainingsteilnehmer glauben, mittels des interkulturellen Trainings gelernt zu haben. Damit wird die Akzeptanz des interkulturellen Trainings bei den Trainingsteilnehmern geprüft, und die Trainingsteilnehmer schätzen selbst ihren subjektiven Lernzuwachs ein. Kirkpatrick (1979) nennt diese Ebene der Evaluation reaction. Ein solcher Fragebogen findet sich zum Beispiel bei Thomas und Lulay (1999) und Bhawuk (1998). Diese Art von Evaluation ist wichtig und unbestritten. Allein durch solch eine Evaluation wird dem Trainingsteilnehmer signalisiert, dass seine Meinung über das interkulturelle Training wichtig ist und gehört wird. Auch wird ihm damit ein Stück Verantwortung für die Überprüfung seines eigenen Lernzuwachses zugesprochen. Allerdings wird mit dieser Art von Evaluation unterstellt, dass das interkulturelle Training, falls es von den Trainingsteilnehmern tatsächlich als gut bewertet wird, automatisch auch im Umgang mit fremdkulturellen Personen im Ausland oder Heimatland oder über Telefon, E-Mail, Fax oder Ähnliches wirkt. Das ist häufig ein Trugschluss! Es ist nämlich zweifelhaft, ob ein Zusammenhang zwischen der Akzeptanz eines interkulturellen Trainings und seiner tatsächlichen Wirkung im Umgang mit fremdkulturellen Partnern zu einem späteren Zeitpunkt nach dem interkulturellen Training überhaupt besteht. Erfahrungsgemäß wird ein interkulturelles Training dann akzeptiert, wenn der Trainer einen kompetenten Eindruck macht, das Training gut strukturiert und inhaltlich fundiert erscheint, der Trainingsablauf aktivierend erlebt wird, die Lernunterlagen gut aufbereitet erscheinen, das Training insgesamt gut organisiert wirkt, das Seminarhotel eine angenehme Atmosphäre hat und ein leckeres, wenigstens drei Gänge umfassendes Menü zur Mittagszeit anbietet, das womöglich auch noch kulinarische Spezialitäten aus dem im Training behandelten Land auftischt. Das heißt aber noch lange nicht, dass ein interkulturelles Training auch dann wirkt, wenn es wirken soll, nämlich wenn der Trainingsteilnehmer außerhalb des interkulturellen Trainings auf eine fremdkulturelle Person trifft. Es ist denkbar, aber nicht zwingend so. Es gibt viele Belege dafür, dass alle die oben genannten Bedingungen einen Einfluss auf die Akzeptanz des Trainings haben, und es gibt genügend Belege dafür, dass auch ein scheinbar schlechtes interkulturelles Training später im Umgang mit fremdkulturellen Personen seine Wirkung zeigt, dass © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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also zwischen der Akzeptanz und der späteren Wirkung nicht unbedingt ein linearer Zusammenhang besteht. Weiterhin reicht es im Endeffekt zur Evaluation eines interkulturellen Trainings auch nicht aus, nur die zweite von Kirkpatrick (1979) genannte Ebene, nämlich learning, zu evaluieren. Hier wird nach Art einer Schulklausur getestet, ob die Trainingsteilnehmer aufgrund des interkulturellen Trainings tatsächlich etwas gelernt haben. Zum Beispiel kann hier mittels der B-Version eines Culture Assimilators, bestehend aus Fallbeispiel und Antwortalternativen (ohne Rückmeldung zu den Antwortalternativen und Hintergrundinformation), geprüft werden, inwieweit ein Trainingsteilnehmer aufgrund des interkulturellen Trainings nun nach dessen Abschluss tatsächlich über kulturadäquates Wissen über eine spezifische Kultur verfügt. Oder es kann mittels eines Tests (z. B. »Intercultural Sensitivity Inventory« von Bhawuk und Brislin 1992) die interkulturelle Sensibilität gemessen werden. Aber auch hier gibt es noch keine Gewähr, dass der Trainingsteilnehmer, wenn er mittels des interkulturellen Trainings tatsächlich Wissen erworben hat oder aufgrund des interkulturellen Trainings sensibel geworden ist für kulturbedingte Unterschiede im Denken und Handeln, dieses Wissen oder diese Sensibilität dann auch tatsächlich im Umgang mit fremdkulturellen Personen anwendet. Um das zu überprüfen, muss schon die von Kirkpatrick (1979) genannte Ebene behavior evaluiert werden. Hier erst bekommt man eine Antwort auf die Frage, ob die aufgrund des interkulturellen Trainings erworbene interkulturelle Handlungskompetenz tatsächlich handlungssteuernd wirkt, ob also zum Beispiel das mittels des interkulturellen Trainings erworbene Wissen auch tatsächlich angewendet und in Verhalten umgesetzt wird und den Umgang mit dem fremdkulturellen Partner erleichtert. Ob zur Evaluation der »behavior«-Ebene simulierte interkulturelle Interaktionssituationen ausreichen, wie sie zum Beispiel Harrison (1992) beschreibt, ist zweifelhaft. Eine Methode aus Interview und Auswertungsschema (Kinast 1998), die angewendet wird, wenn ein Trainingsteilnehmer aus dem Ausland zurückkommt, funktioniert, hat aber sicher den Nachteil, dass alles, was der Befragte erzählt, seine subjektive Meinung ist und deren Wahrheitsgehalt im Sinne einer Objektivität nur schwer überprüft werden kann. Aus diesen Gründen ist eine Kombination verschiedener Methoden sicher der Königsweg, aber auch für die Beteiligten der aufwendigste Weg. Wenn man nun weiß, ob dem Trainingsteilnehmer das Training gefallen hat (reaction), ob er tatsächlich etwas gelernt hat (learning) und ob er das Gelernte auch angewendet hat (behavior), stellt sich die Frage, was das Ganze denn nun für den Trainingsteilnehmer insgesamt gebracht hat. Hat er sich zum Beispiel aufgrund des interkulturellen Trainings im Ausland wohl gefühlt? Hat er befriedigende soziale Kontakte zu Einheimischen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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aufgebaut? Hat er erfolgreich gearbeitet? – um die entscheidenden Kriterien der interkulturellen Anpassung zu nennen. Noch weiter gefragt: Was hat das interkulturelle Training dem Unternehmen (oder einer anderen Organisation) gebracht? Ist das Unternehmen zum Beispiel aufgrund des Trainings und seiner Wirkungen ein Stück internationaler geworden? Hat sich sein Umsatz erhöht? Hat es Kosten eingespart, weil weniger Auslandsaufenthalte abgebrochen wurden? Kirkpatrick (1979) nennt diese Ebene der Evaluation results. Leider ist hier in vielen Fällen die Grenze der Evaluation erreicht. Diese Ebene methodisch korrekt zu bearbeiten, ist kaum möglich; das Problem der Zurechenbarkeit der Wirkungen des interkulturellen Trainings auf die Ausprägungen solcher Erfolgskriterien ist nahezu ungelöst. Wie will man denn eindeutig beweisen, dass sich jemand im Ausland nur deshalb wohl gefühlt hat oder nur deshalb erfolgreich gearbeitet hat, weil er vor dem Auslandsaufenthalt ein interkulturelles Training besucht hat? Dazu ist ein Auslandsaufenthalt eine zu komplexe Situation, als dass hier nicht noch andere Einflussfaktoren eine Rolle gespielt haben könnten. Methodische Ansätze zur Bearbeitung der »results«-Ebene finden sich bei Blake und Heslin (1983), Layes (1995) sowie Thomas und Lulay (1999).

2.3.3 Ergebnisse der Evaluationsforschung Beschreibung der Studien In den meisten Studien ist das interkulturelle Training, das evaluiert wird, ein Culture Assimilator (siehe Kap. I, 2.2, S. 189 ff.). Darunter sind kulturallgemeine, kulturspezifische, aufgabenspezifische und aufgabenunspezifische Culture Assimilator, Culture Assimilator zur Vorbereitung auf einen Auslandsaufenthalt und Culture Assimilator zur Vorbereitung auf den Umgang mit Personen ethnischer Minderheiten. In einigen Studien werden interkulturelle Trainings evaluiert, die verschiedene Trainingsmethoden kombinieren, oder Trainings, die um Methoden aus der Psychotherapie erweitert werden. Daneben gibt es Studien, die einzelne Trainingsbausteine (z. B. Videosequenzen, Rollenspiele) evaluieren. Sämtliche evaluierte interkulturelle Trainings sind Orientierungstrainings; in keiner Studie wird ein Verlaufsoder Reintegrationstraining evaluiert. Die Trainingsteilnehmer sind Führungs- und Führungsnachwuchskräfte, Militärs, Lehrer, Schüler und Studenten, Ärzte und Krankenschwestern, Berater und Entwicklungshelfer. Die Anzahl der Personen, über die Evaluationsdaten verfügbar sind, variiert zwischen N = 1 bei qualitativen Einzel-

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fallanalysen und N = 1500 in quantitativen Evaluationsdesigns. Die Personen sind aus insgesamt rund 20 verschiedenen Nationen, zu 95 Prozent aus den USA. Unter den Personen sind Weiße und Schwarze. Die meisten Personen sind männlich; nur in einer einzigen Studie ist die gesamte Stichprobe weiblich. Über alle Studien hinweg werden sämtliche Komponenten interkultureller Handlungskompetenz als Kriterien der Zielerreichung herangezogen. Allerdings werden die einzelnen Komponenten meist unterschiedlich definiert. Außerdem liegen sie entsprechend Kirkpatrick (1979) auf unterschiedlichen Ebenen. Während Unternehmen häufig die Trainingsteilnehmer lediglich nach deren Akzeptanz des interkulturellen Trainings fragen, versucht die Mehrzahl der angeführten Studien immerhin zu evaluieren, was tatsächlich in einem interkulturellen Training gelernt wurde. Einige Studien evaluieren sogar die Ebene »behavior« oder gar »results«. Allerdings ist es nicht immer eindeutig, auf welcher Ebene die Kriterien liegen. Ein Laborexperiment zum Beispiel scheint zunächst nicht geeignet für eine »behavior«- oder gar »results«-Evaluation; es dürfte einen Unterschied ausmachen, ob ein Trainingsteilnehmer unmittelbar nach dem interkulturellen Training im Heimatland unter eigenkulturellen Bedingungen in einer simulierten Interaktionsaufgabe für 20 Minuten mit einem Handlungspartner des Ziellands interagiert oder ob er sechs Monate später im Gastland unter fremdkulturellen Bedingungen echte Arbeitsaufgaben in Kooperation mit mehreren fremdkulturellen Handlungspartnern bewältigt und dabei zum Beispiel sein im interkulturellen Training erworbenes Wissen anwendet. Wird allerdings zum Beispiel ein Culture Assimilator zur Schulung von weißen Amerikanern auf den Umgang mit schwarzen Amerikanern eingesetzt, dann könnte die Evaluation dieses Culture Assimilators im Laborexperiment durchaus die Ebenen »behavior« oder gar »results« berühren; denn der weiße Amerikaner interagiert mit einem schwarzen Amerikaner nach dem interkulturellen Training unter ähnlichen Bedingungen. Zur Evaluation interkultureller Trainings werden viele in der Forschung geläufige Methoden und Designs verwendet (z. B. Lamnek 1988; 1989). Datenquelle sind in den meisten Studien Selbsteinschätzungen der Trainingsteilnehmer. Die Objektivität der Ergebnisse ist deshalb häufig zu bemängeln. Es gibt aber auch Studien, die zusätzlich Fremdeinschätzungen durchführen. Eine Verhaltensbeobachtung im Ausland wurde in keiner der Studien gemacht, wohl aus Zeit- und Kostengründen. Unter den Studien sind Laborexperimente und Feldstudien. Gerade im interkulturellen Kontext sind Feldexperimente wünschenswert, weil die Bedingungen hier natürlicher sind. Die Daten werden entsprechend im Heimatund im Gastland erhoben, teilweise aber auch nach der Rückkehr ins Heimat© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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land. Der zeitliche Abstand zwischen dem interkulturellen Training und der Messung ist sehr unterschiedlich. Er reicht von unmittelbar nach dem interkulturellen Training bis maximal ein Jahr danach. Langfristige Wirkungen von interkulturellen Trainings wurden bisher äußerst selten erhoben. Während in qualitativen Studien zur Datenerhebung fast ausschließlich eine qualitative Form des Interviews verwendet wird, werden in quantitativen Studien überwiegend selbst konstruierte Fragebögen eingesetzt. Standardisierte Tests wie zum Beispiel der bereits genannte »Intercultural Sensitivity Inventory« von Bhawuk und Brislin (1992) zur Überprüfung der interkulturellen Sensibilität werden nur selten benutzt, was methodisch aber sehr wünschenswert wäre. Zur Überprüfung adäquaten Verhaltens werden gern simulierte Interaktionsaufgaben mit Handlungspartnern aus der betreffenden Zielkultur veranstaltet. Außerdem findet in einigen Studien die Tagebuchmethode Verwendung. Ausgewertet wird das Datenmaterial mit in der Forschung geläufigen Methoden, zum Beispiel mit der Qualitativen Inhaltsanalyse von Mayring (1993).

Ergebnisse zu den Wirkungen interkultureller Trainings Die Ergebnisse der Evaluationsstudien bestätigen die Wirksamkeit interkultureller Trainings. Die Ergebnisse der Evaluationsstudien zu den Wirkungen von interkulturellen Trainings auf die kognitiven Prozesse von Trainingsteilnehmern sind weitgehend konsistent (vgl. Albert 1983; Kinast 1998). Trainingsteilnehmer nehmen im Unterschied zu nichttrainierten Personen überhaupt erst einmal wahr, dass in einer Situation im Umgang mit einer fremdkulturellen Person sozusagen etwas nicht stimmt oder anders ist als gewöhnlich, und klassifizieren die Situation und das Verhalten der fremdkulturellen Person als kulturdivergent. Das ist an sich schon eine große Leistung; denn wenn jemand nicht einmal merkt, dass er gerade in den »Fettnapf« getreten ist, dann fühlt er sich gar nicht veranlasst, über eine Situation nachzudenken und sein Verhalten zu ändern (siehe Kap. I, 1.6, S. 94 ff.). Trainingsteilnehmer haben dann im Unterschied zu nichttrainierten Personen den großen Vorteil, dass sie in solchen Situationen auf den Inhalt des absolvierten interkulturellen Trainings zurückgreifen können. Sie erkennen häufig einzelne Bausteine des Trainings wieder, etwa ein Fallbeispiel aus einem Culture Assimilator, oder erinnern sich an Inhalte des Trainings, zum Beispiel an bearbeitete Kulturstandards. In Interviews mit Trainingsteilnehmern, die im Anschluss an das Training tatsächlich entsendet wurden, hört man dann häufig den Satz: »Ja, da in der Situation habe ich mich dann an das Training erinnert, in dem ist einmal ein Fallbeispiel vorgestellt worden. Das war die gleiche Situation. Und dann wusste ich schon, warum der andere

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sich jetzt so verhält und nicht anders.« Im Unterschied zu nichttrainierten Personen wissen Trainingsteilnehmer mehr über eine fremde Kultur, und sie rufen in kritischen Interaktionssituationen im Umgang mit fremdkulturellen Personen tatsächlich das im interkulturellen Training erworbene Wissen auf und wenden es an, um die Situation zu meistern. Trainingsteilnehmer sind deshalb eher in der Lage, das Verhalten fremdkultureller Personen aus der Perspektive der fremden Kultur zu interpretieren, das heißt, isomorph zu attribuieren. Sie sind gedanklich orientiert und können die Konsequenzen aus der Situation antizipieren. Die Ergebnisse der Evaluationsstudien zu den Wirkungen interkultureller Trainings auf die Emotionen und auf das Verhalten von Trainingsteilnehmern sind jedoch inkonsistent (vgl. Albert 1983; Kinast 1998). Auch wenn Trainingsteilnehmer eine kritische Interaktionssituation rechtzeitig wahrnehmen und sie als kulturdivergent klassifizieren, Trainingsbausteine wiedererkennen und Trainingsinhalte erinnern, wenn sie etwas über die Situation wissen und sich erklären können, wenn sie orientiert sind und Konsequenzen antizipieren können, dann hat das alles nicht immer einen Einfluss auf ihre Gefühle. So manch ein deutscher Student, der ein Studienjahr in den USA verbringt, ärgert sich trotzdem und ist frustriert über seinen amerikanischen Kommilitonen, der ihm nach einem kurzen Kennenlernen sofort seine Telefonnummer zusteckt und ihm sagt, dass er ihn einmal anrufen wird, dies dann aber nie tut. Bei Fach- und Führungskräften ist dies übrigens nicht anders. Und obwohl der deutsche Student aus dem interkulturellen Training weiß, dass viele Amerikaner aufgrund ihrer Kultur mit der interpersonalen Distanz anders umgehen, entwickelt der Deutsche dabei negative Gefühle. Es gibt auch viele Fälle, in denen ein interkulturelles Training bewirkte, dass sich jemand dann eben nicht ärgert, nicht frustriert ist oder Ähnliches, sondern zum Beispiel darüber lächelt. Und genau so verhält es sich auch mit dem Einfluss des interkulturellen Trainings auf das Verhalten. Es gibt viele Fälle, in denen das Training zu einem Verhalten geführt hat, das der fremden Kultur angemessen war, und in denen sich jemand ohne das Training sehr wahrscheinlich anders verhalten hätte. Betrachtet man den interkulturellen Handlungserfolg in einem fremden Land in einer umfassenden Perspektive, dann kann hier festgehalten werden, dass ein interkulturelles Training ganz sicher einen Einfluss auf das persönliche Wohlbefinden im Gastland, auf den Aufbau befriedigender sozialer Kontakte zu Einheimischen und auf die Aufgabenbewältigung im Ausland hat, auch wenn dies nicht in allen Studien konsistent nachgewiesen werden konnte. Wie wirkt ein interkulturelles Training? – Es sensibilisiert für kulturbedingte Einflüsse auf das Handeln von Personen mit dem Resultat, dass trainierte Personen noch nach Jahren des Auslandaufenthalts kritische Interak© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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tionssituationen wahrnehmen und erleben. Die Trainingsteilnehmer erhalten in einem interkulturellen Training Informationen, sie bekommen fremdkulturelle Orientierungsregeln an die Hand, aktivieren diese in kritischen Interaktionssituationen und wissen dann, was zu tun ist. Die Orientierungsregeln sind wie Stützen, die man irgendwann zum Laufen nicht mehr braucht. Das heißt, die fremdkulturellen Orientierungsregeln werden internalisiert und wirken dann automatisch (Transpositionseffekt). Der Trainingsteilnehmer ist kulturspezifisch kompetent. Das interkulturelle Training ermöglicht darüber hinaus beispielhaft den Aufbau eines Prozesswissens. Der Trainingsteilnehmer weiß dadurch, wie er sich in jedweder fremden Kultur zurechtfinden kann, nämlich indem er jedes Mal in einer fremden Kultur zunächst diagnostiziert, nach welchen Regeln diese Kultur »funktioniert«, diese Regeln jeweils in sein eigenes Orientierungssystem implementiert und sich anpasst oder danach richtet, wenn es notwendig ist. Das ist die höchste Stufe interkultureller Handlungskompetenz. Typ 1

Typ 2

Kinast (1998) entdeckte im Rahmen ihrer Untersuchung zwei Typen von Wirkungsmustern (s. Abb. 9).

Abbildung 9: Typen von Wirkungsmustern interkultureller Trainings (vgl. Kinast 1998)

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Beim ersten Typ wirkt das interkulturelle Training in einer kritischen Interaktionssituation sofort: Der Trainingsteilnehmer erwirbt in einem interkulturellen Training Wissen über einen zentralen Kulturstandard. Während seines Auslandsaufenthalts kommt es zu einer kritischen Interaktionssituation mit Einheimischen, in denen dieser zentrale Kulturstandard eine Rolle spielt. Der Trainingsteilnehmer nimmt das Verhalten der Einheimischen wahr und klassifiziert es als kulturdivergent. Er erkennt Bausteine aus dem interkulturellen Training wieder und erinnert sich an den im Training vermittelten Kulturstandard, der eben auch in der kritischen Interaktionssituation wirksam ist. Der Trainingsteilnehmer verfügt aufgrund des interkulturellen Trainings über kulturadäquates Wissen und attribuiert deshalb das Verhalten der Einheimischen isomorph. Er ist deshalb orientiert und kann die Konsequenzen aus der Situation vorwegnehmen, was wiederum – zumindest teilweise – einen Einfluss auf seine Gefühle hat. Der Trainingsteilnehmer verhält sich deshalb adäquat, und das Handlungsergebnis fällt positiv aus: Die kritische Interaktionssituation wurde aufgrund des im interkulturellen Training vermittelten Wissens erfolgreich gemeistert. Beim zweiten Typ wirkt das interkulturelle Training später: Der Trainingsteilnehmer erwirbt in einem interkulturellen Training Wissen über einen zentralen Kulturstandard. Während seines Auslandsaufenthalts kommt es zu einer kritischen Interaktionssituation mit Einheimischen, in denen der besagte zentrale Kulturstandard eine Rolle spielt. Der Trainingsteilnehmer nimmt die Situation zwar noch wahr, klassifiziert sie aber nicht als kulturdivergent. Er erkennt und erinnert keine Bausteine aus dem interkulturellen Training. Der Trainingsteilnehmer ruft sein im Training erworbenes Wissen nicht auf und interpretiert deshalb das Verhalten der Einheimischen kulturinadäquat. Er ist desorientiert und kann die Konsequenzen aus der Situation nicht antizipieren. Der Trainingsteilnehmer hat negative Gefühle und er verhält sich inadäquat. Das Handlungsergebnis fällt entsprechend negativ aus: Der Trainingsteilnehmer erreicht sein Handlungsziel nicht; die kritische Interaktionssituation läuft schief. Am Abend desselben Tages, an dem die kritische Interaktionssituation stattgefunden hat, sitzt der Trainingsteilnehmer bei sich zu Hause auf dem Sofa und macht sich Gedanken über die frustrierenden Erlebnisse des Tages. Dabei erinnert er sich dann plötzlich an ein Fallbeispiel aus einem Culture Assimilator, das im Rahmen des von ihm besuchten interkulturellen Trainings bearbeitet worden war. Der Trainingsteilnehmer weiß nun, warum sich die Einheimischen in der kritischen Interaktionssituation so und nicht anders verhalten haben und kann deren Verhalten im Nachhinein isomorph attribuieren. Dann war er orientiert und nahm sich vor, wenn solch eine Situation sich wiederholen würde, dass er dann gleich an den betreffenden Kulturstandard denken und sich entsprechend richtig verhalten © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Eva-Ulrike Kinast: Evaluation interkultureller Trainings

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würde. Und tatsächlich: Als diese Situation erneut auftrat, wusste er, »was Sache ist«, und konnte entsprechend reagieren. Handlungspsychologisch bedeutet das: Der Trainingsteilnehmer spielt gedanklich die erlebte Situation noch einmal durch, er reflektiert die Situation und aktiviert in dem Zusammenhang im Training erlebte Inhalte und erworbenes Wissen. Er entwickelt daraus einen Handlungsplan und eine Vorwegnahmehandlung, die dann für zukünftige kritische Interaktionssituationen abrufbar zur Verfügung steht.

2.3.4 Schluss Im Rahmen dieses Kapitels wurde die Wirksamkeit interkultureller Trainings bestätigt. Ferner wurde der Versuch unternommen zu zeigen, wie man sich das vorstellen kann, auf welche Weise interkulturelle Trainings wirken, das heißt, was dabei – aus handlungspsychologischer Sicht – im Menschen abläuft. Ein Ergebnis ist besonders interessant. Nach einer kritischen Interaktionssituation erinnert sich ein Trainingsteilnehmer ganz plötzlich von ganz allein an das interkulturelle Training, erkennt dabei Parallelen zu einer erlebten Situation und weiß dann, wie er sich beim nächsten Mal richtig verhalten soll. Es gibt andere Beispiele von kritischen Interaktionssituationen, in denen Trainingsteilnehmer jeweils von Einheimischen auf ihr kulturinadäquates Verhalten hingewiesen wurden und sich dann genau in diesem Moment an das interkulturelle Training erinnert haben. Aufgrund dieser Erinnerung wussten sie sofort, wie sie sich richtig hätten verhalten sollen. Das bedeutet zusammenfassend: Orientierungstrainings vor dem Auslandaufenthalt vermitteln Wissen über eine fremde Kultur. Verlaufstrainings festigen das Wissen. Im Umgang mit fremdkulturellen Personen treten Situationen auf, in denen das Wissen aufgerufen wird. Aber ebenso gibt es Situationen, in denen das Wissen nicht aufgerufen wird; der Trainingsteilnehmer benimmt sich dann entsprechend »daneben«. Häufen sich solche Erlebnisse, dann frustrieren sich die Personen, und so manch einer quält sich geradezu durch die Tage. Jedoch durch eigene Reflexion oder durch Hinweise anderer Personen kann das im Training erworbene Wissen aktiviert werden. Die hier angesprochene Transferproblematik – ein in einem Training erworbenes Wissen in ein konkretes Anwendungsfeld zu übertragen – kann erfolgreich durch interkulturelles Coaching gelöst werden. Im Rahmen eines interkulturellen Coachings im Ausland oder Heimatland kann ein Trainingsteilnehmer mit Unterstützung eines kompetenten © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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interkulturellen Coachs die erlebten kritischen Interaktionssituationen reflektieren und aufarbeiten. Insgesamt ist dies eine optimale Möglichkeit zum interkulturellen Lernen.

Literatur Albert, R. D. (1983): The intercultural sensitizer or culture assimilator. In: Landis, D.; Brislin, R. W. (Hg.), Handbook of Intercultural Training. Volume II: Issues in Training Methodology. New York, S. 186–217. Bhawuk, D. P. S. (1998): The role of culture theory in cross-cultural training: a multimethod study of culture-specific, culture-general and culture theory-based assimilators. Journal of Cross-Cultural Psychology 29 (5): 630–655. Bhawuk, D. P. S.; Brislin, R. W. (1992): The measurement of intercultural sensitivity using the concepts of individualism and collectivism. International Journal of Intercultural Relations 16: 413–436. Bhawuk, D. P. S.; Brislin, R. W. (2000): Cross-cultural training: a review. Applied Psychology: An International Review 49 (1): 162–191. Blake, B. F.; Heslin, R. (1983): Evaluating cross-cultural training. In: Landis, D.; Brislin, R. W. (Hg.), Handbook of Intercultural Training. Volume I: Issues in Theory and Design. New York, S. 203–22. Gülpen, B. (1996): Evaluation betrieblicher Verhaltenstrainings. München. Harrison, J. K. (1992): Individual and combined effects of behavior modeling and the culture assimilator in cross-cultural management training. Journal of Applied Psychology 77: 952–962. Kinast, E.-U. (1998): Evaluation interkultureller Trainings. Lengerich. Kirkpatrick, D. L. (1979): Techniques for evaluating training programs. Training and Development Journal 33 (6): 78–92. Lamnek, S. (1988): Qualitative Sozialforschung. Band 1: Methodologie. München. Lamnek, S. (1989): Qualitative Sozialforschung. Band 2: Methoden und Techniken. München. Layes, G. (1995): Quantitative Evaluation eines interkulturellen Managementtrainings für deutsche Manager zur Vorbereitung auf die Kooperation mit Chinesen. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Universität Regensburg. Mayring, P. (1993): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 4. Auflage. Neuausgabe. Weinheim. Nork, M. E. (1989): Management-Training. Evaluation, Probleme, Lösungsansätze. München. Thomas, A.; Lulay, G. (1999): Evaluation interkultureller Trainings zur Vorbereitung von Bundeswehrsoldaten auf internationale Einsätze. Untersuchungen des psychologischen Dienstes der Bundeswehr 1999. München. Wottawa, H.; Thierau, H. (1990): Lehrbuch Evaluation. Bern.

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Eva-Ulrike Kinast: Interkulturelles Coaching

Eva-Ulrike Kinast

2.4 Interkulturelles Coaching

In Unternehmen und anderen Organisationen wird immer dann von interkulturellem Coaching gesprochen, wenn eine Fach- oder Führungskraft einen Tag lang im Rahmen eines Einzeltrainings auf den Umgang mit fremdkulturellen Personen im Heimatland oder im Ausland vorbereitet wird und auf diese Art und Weise die Möglichkeit bekommt, in zeitlich komprimierter Form interkulturelle Handlungskompetenz zu erwerben. Das ist auch richtig. Interkulturelles Coaching setzt jedoch noch einen anderen Schwerpunkt: Es schließt die Persönlichkeit der gecoachten Person mit ein.

2.4.1 Aktuelle Situation Es gibt bis heute kaum Forschungsarbeiten zum interkulturellen Coaching. In der Literatur finden sich nur wenige Veröffentlichungen zu diesem Thema (Barmeyer 2002; Clement u. Clement 1999; Peuker et al. 2002). In Unternehmen und anderen Organisationen nimmt die Bedeutung interkultureller Coachings in letzter Zeit stark zu. Auch der Markt von Anbietern interkultureller Coachings wächst zunehmend. Allerdings ist auch hier größte Vorsicht bei der Wahl eines Coachs geboten. Ein professioneller interkultureller Coach verfügt über eine Basisausbildung mit Affinität zur interkulturellen Thematik und zum Coaching. Er hat zum Beispiel Psychologie studiert und sich auf Aspekte der interkulturellen Psychologie spezialisiert. Außerdem hat er sich zum Coach ausgebildet. Damit der interkulturelle Coach für Fach- und Führungskräfte dieselbe Sprache spricht wie seine Klienten, sollte er neben Auslandsaufenthalten eigene Erfahrungen als Führungskraft in einem internationalen Unternehmen haben. Außerdem sollte er über ein hohes Maß an menschlicher Wertschätzung und Akzeptanz verfügen, absolut verschwiegen und diskret sein und seine neutrale Haltung gegenüber Klienten und anderen Personen im Umfeld niemals aufgeben. Der Coach sollte in seiner Ausbildung möglichst intensive Selbsterfahrungen gemacht haben und sich regelmäßig von einem Kollegen oder

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Meister im Coaching supervidieren lassen. Die Professionalität eines interkulturellen Coachs ist an seiner Haltung als Coach und Mensch, an Umfang und Qualität seines methodischen Handwerkskoffers und natürlich am Ergebnis und Erfolg seiner Arbeit abzulesen.

2.4.2 Begriff und Definition Der Begriff Coaching wurde in den 1970er Jahren durch Singer (1974) im angelsächsischen Raum geprägt und zu Beginn der 1980er Jahre in Deutschland aufgegriffen. Der Begriff interkulturelles Coaching weist auf den interkulturellen Inhalt und Kontext dieser Art von Coaching hin. Interkulturelles Coaching ist eine neue und umfassende interkulturelle Personalentwicklungsmaßnahme für international tätige Fach- und Führungskräfte, die als Ergänzung zum interkulturellen Training eingesetzt werden sollte und eine Vielzahl von Methoden integriert. Interkulturelles Coaching stützt sich, wenn es professionell gemacht wird, auf die Erkenntnisse der Forschung zum Coaching (Rauen 2002; Schreyögg 2001), auf die Erkenntnisse der Forschung der Allgemeinen Psychologie (Zimbardo u. Gerrig 1999) und der Klinischen Psychologie (Davison u. Neale 1998) sowie auf die Erkenntnisse der interkulturellen Forschung (Thomas 1993b; Thomas 1996) und der kulturvergleichenden Forschung (Thomas 1993a). Interkulturelles Coaching bietet tatsächlich genauso wie interkulturelles Training die Möglichkeit zum interkulturellen Lernen und baut neben interkultureller Handlungskompetenz auch individuelle, soziale und strategische (Management-)Kompetenzen auf (siehe Kap. I, 1.9, S. 138 ff.). Interkulturelles Coaching schließt aber auch noch die Persönlichkeit der gecoachten Person mit ein. Unbestreitbar gibt es in uns immer Kräfte und Gegenkräfte, etwas zu tun oder etwas nicht zu tun (Satir 1988; 1989). Es ist zu beobachten, dass sich manch eine Person selbst daran hindert, etwas zu tun und es auch noch so zu tun, dass es im fremdkulturellen Kontext mit der fremden Kultur kompatibel ist. Ein Beispiel: Eine Fach- oder Führungskraft hat einen starken »Diktator« in sich, ist hochgradig machtmotiviert und nutzt jede Gelegenheit, anderen ihre eigene Macht zu demonstrieren und ihnen Anweisungen zu geben, wie etwas zu machen ist und wie sie sich verhalten sollen. Diese Menschen legen einen großen Teil ihrer Energie darein, andere verändern zu wollen, über andere bestimmen zu wollen. Dazu sagen sie ihnen ständig, dass sie so, wie sie sind, nicht in Ordnung sind. Bewegen sich diese Menschen zum Beispiel in einem asiatischen Kontext, stoßen sie aufgrund des dort geltenden zentralen Kulturstandards »Soziale Harmonie« sehr schnell auf Widerstand

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und Ablehnung. Interkulturelles Coaching unterstützt diese Fach- oder Führungskraft, sich selbst einen Spiegel vorzuhalten und ein Bewusstsein für diese Kraft in sich zu entwickeln. Wird das wiederholt getan, lernt sie, mit dieser Kraft in sich anders umzugehen: Sie spürt dann in kritischen Interaktionssituationen die Kraft, zum Beispiel den Diktator, und kann sich dann bewusst entscheiden, die Kraft zuzulassen oder sie im Zaum zu halten nach dem Motto »Wenn du weißt, was du tust, dann kannst du tun, was du willst«. Interkulturelles Coaching ist aber nicht Psychotherapie, wenngleich häufig Methoden aus der Psychotherapie entlehnt und angewendet werden. »Coaching erreicht eine geringere Tiefe und setzt den Fokus mehr auf die Entwicklung von Kompetenzen, während Therapie auf die Korrektur von Fehlentwicklungen abzielt, die sich in gestörtem Erleben und Verhalten manifestieren . . . Beim Coaching . . . steht primär erst einmal die inhaltsbezogene Arbeit an berufsbedingten Problemen im Vordergrund« (Roth et al. 1995, S. 212). Interkulturelles Coaching zeichnet sich dadurch aus, dass der Coach auf einer erwachsenen Ebene mit dem Klienten arbeitet und keine standardisierten Lösungen nach Art von »Kochbuchrezepten« vermittelt, sondern eher Katalysator ist, der dafür sorgt, dass Personen eigene Problemlösungen schneller entdecken und entwickeln und im Lauf der Zeit lernen, auch ohne Unterstützung eines interkulturellen Coachs in fremdkulturellen Situationen Informationen zu explorieren und eigene Problemlösungen zu entwerfen und umzusetzen. Im Unterschied zum interkulturellen Training stellt interkulturelles Coaching die aktuelle Befindlichkeit der Fach- oder Führungskraft bei der Erledigung ihrer Arbeitsaufgaben in den Mittelpunkt der Betrachtung. Gerade ins Ausland entsandte Fach- und Führungskräfte fühlen sich häufig »gesandwicht« zwischen den Anforderungen des Stammhauses im Heimatland und den Anforderungen der Tochtergesellschaft im Ausland. Kommen dann noch Probleme mit Mitarbeitern, Kollegen und Kunden aufgrund der kulturbedingten Unterschiede im Handeln hinzu, führt dies schnell zu einer Überforderung, die sich körperlich und psychisch Ausdruck verschaffen kann.

2.4.3 Zielgruppen Zielgruppen interkultureller Coachings sind in erster Linie Einzelpersonen, und zwar vor allem Fach- und Führungskräfte in Unternehmen und anderen Organisationen, die international und in verantwortungsvoller Position oder als Multiplikatoren tätig sind. Dabei ist es egal, ob sie vom Heimatland

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aus mit fremdkulturellen Personen kommunizieren oder im Rahmen kurzer Businesstrips oder tatsächlich ins Ausland entsendet oder versetzt wurden, wobei bei Expatriates die Anforderungen an die Akkulturation natürlich am höchsten sind, und interkulturelles Coaching hier sicher am ehesten indiziert ist. Wichtige Voraussetzung für den Erfolg interkulturellen Coachings ist, dass die Fach- und Führungskräfte von sich aus den Wunsch äußern, gecoacht zu werden. Interkulturelles Coaching bewirkt immer eine Veränderung, auch persönlicher Natur, und sollte deshalb immer nur freiwillig gemacht werden. Ein verordnetes Coaching stößt auf eine nichtvorhandene Bereitschaft zur Aufnahme neuer Ideen und bleibt in den meisten Fällen wirkungslos.

2.4.4 Methoden und Vorgehen Die in der Literatur beschriebenen Methoden des Coachings können grundsätzlich auch im interkulturellen Coaching angewendet werden. Einen Überblick geben zum Beispiel Rauen (2002) und Roth et al. (1995). Wichtig ist, egal welche Methode angewendet wird, dass jeweils alle Daseinsebenen, die das Handeln eines Menschen bestimmen, miteinbezogen werden: Gefühl, Geist und Körper. Wünschenswert ist eine Kombination aus erlebnisorientierten und wissensorientierten Methoden. Im Rahmen dieses Handbuchs soll erstmalig eine Methode interkulturellen Coachings dargestellt werden, die im interkulturellen Kontext augenscheinlich sehr gute Erfolge zeigt. Die Methode ist körperorientiert und fußt auf dem Analysemodell von Vermeulen (1998), das als Coachingmethode im nationalen Kontext entwickelt wurde und seit einiger Zeit von der Autorin im internationalen Kontext erfolgreich eingesetzt wird. Indiziert ist die Methode zur Reflexion und Aufarbeitung von kritischen Interaktionssituationen mit fremdkulturellen Personen, bei KulturschockSymptomen, Energieverlust und zur Konfliktbearbeitung. Der Grundgedanke ist der, dass alle Informationen, die auf einen Menschen treffen, in ihm gespeichert werden wie auf einer Festplatte in einem Computer. Die Informationen stammen aus unseren Genen und aus der Umwelt. Auch die Informationen über die Kultur, der wir angehören, sind dort gespeichert. Die Informationen auf unserer Festplatte sind uns zunächst nicht bewusst, sie können sich aber kognitiv in Form von Gedanken, emotional in Form von Gefühlen und körperlich in Form von Verhalten ausdrücken. Wollen wir uns verändern, dann müssen wir uns die Informationen, die in uns gespeichert sind, bewusst machen und sie anschließend

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verändern. Auch in fremdkulturellen Situationen fühlt, denkt und verhält sich eine Person entsprechend ihrer eigenkulturellen Informationen auf ihrer Festplatte. Will sich ein Deutscher in einer Interaktionssituation mit einem Chinesen zum Beispiel »chinesischer« verhalten, dann muss er sich zuerst die »deutschen« Informationen auf seiner Festplatte bewusst machen und sie anschließend in Richtung »chinesisch« verändern. Bei der hier vorgestellten interkulturellen Coachingmethode werden Methoden aus unterschiedlichen Schulen der Psychologie wie zum Beispiel der Transaktionsanalyse (Berne), der Bioenergetik (Lowen, Heysen), der Atemtherapie (Middendorf), der progressiven Muskelentspannung (Jacobsen), der Gestalttherapie (Perls) und andere kombiniert (zu den genannten Methoden siehe z. B. Kriz 2001). Zentraler Baustein der Methode ist die Analyse einer kritischen Beziehung. Eine kritische Beziehung liegt immer dann vor, wenn jemand mit einer anderen Person (oder auch mit einer Sache) einen inneren Dialog führt, das heißt, wenn er in Gedanken mit der Person oder Sache spricht, sie beschuldigt, vielleicht sogar beschimpft und dergleichen. Erfahrungsgemäß hakt sich die Person im inneren Dialog fest und ein ständiger Kreislauf von Gedanken, der sich stets in fast identischer Reihenfolge wiederholt, entsteht. Ein deutscher Manager, der mit seinem chinesischen Baustellenleiter in eine kritische Interaktionssituation gerät wie in dem Fallbeispiel »Aircondition« (Thomas u. Schenk 2001, S. 92–97 und 102–103), wird sich viele Gedanken darum machen, was da abgelaufen ist. Er bewegt sich dabei auf der kognitiven Ebene der Gedanken. Dieser Zustand des inneren Dialogs kann für die Person sehr quälend werden, das Problem nimmt im Bewusstsein des deutschen Managers breiten Raum ein und entzieht ihm damit viel Energie für seine beruflichen Aufgaben. Häufig ist bei ins Ausland entsandten Fach- und Führungskräften ein Leistungsabfall zu beobachten, der daraus resultiert, dass sie ihre Energie dafür einsetzen, um mit den kulturbedingten Unterschieden im Denken, Fühlen und Verhalten der fremdkulturellen Personen zurechtzukommen. Die Energie, die sie dafür einsetzen, steht ihnen für ihre eigentlichen Aufgaben nicht mehr zur Verfügung. Die immer wieder um dasselbe Problem kreisenden Gedanken können unterbrochen werden, indem der Raum, den das Problem im Bewusstsein einnimmt, reduziert wird. Das kann dadurch erreicht werden, dass der Coachee von der kognitiven Ebene auf andere Ebenen, zum Beispiel auf die sensorische oder kinetische Ebene wechselt. Dadurch verändert er die Perspektive und sieht das betreffende Problem aus einem anderen Blickwinkel. Sein Problem löst sich dadurch noch nicht, aber er ist wieder offen für alternative Problemlösungen. Nehmen wir das Fallbeispiel »Aircondition« aus dem Culture Assimilator (siehe Kap. I, 2.2, S. 192 ff.). Die dort geschilderte kritische Interaktionssituation zwischen dem deutschen Manager und dem chinesischen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Grundlagen: Diagnose – Training – Evaluation – Coaching

Baustellenleiter ist aus dem realen Leben gegriffen. Die Aussage von Herrn Praunges, beim kürzlich abgeschlossenen Umbau der Büroräume seiner Repräsentanz doch gelegentlich an seinem Verstand gezweifelt zu haben, weist darauf hin, dass er einfach nicht mehr wusste, was das jetzt soll, als der Chinese auf seine Frage nach dem Airconditioner den tropfenden Wasserhahn und das immer noch nicht gestrichene Treppengeländer ansprach. Er war desorientiert, und wir können ihm unterstellen, dass er sich verspottet fühlte, als der Chinese auch noch lächelte. Er hat sicher gegrübelt, warum der Chinese sich so verhalten hat, und sich aufgrund fehlender Erklärungen für das Verhalten des Chinesen gedanklich irgendwann im Kreis gedreht. Außerdem können wir unterstellen, dass er dem chinesischen Baustellenleiter seine Meinung gesagt und ihm konkrete Anweisungen erteilt hat. Herr Praunges hat also eine kritische Beziehung zu seinem chinesischen Partner. Auf der Grundlage des Analysemodells von Vermeulen (1998) wird diese kritische Beziehung bearbeitet. Nach Anleitung zur Methode des SiebenBriefe-Schreibens (deren Autor unbekannt ist) wird der deutsche Manager zunächst aufgefordert, Briefe an den chinesischen Baustellenleiter zu schreiben (»Ich nehme Ihnen übel, dass . . .«, »Ich bedauere, dass . . .«, »Ich wünsche mir, dass . . .« usw.). Das macht der Manager allein, ohne Coach, und bringt die Briefe in die erste Coachingsitzung mit. In der Sitzung malt der Manager als erstes ein Bild von sich und dem chinesischen Partner. Das Bild bekommt einen Titel, und den Personen auf dem Bild wird jeweils eine körperliche, eine emotionale und eine geistige Eigenschaft zugeschrieben. Das Malen ist eine Methode, um negativen Gedanken und Gefühlen an den kritischen Beziehungspartner Ausdruck zu verleihen. Im weiteren Verlauf wird mit Dyaden gearbeitet. Dyaden sind nach Vermeulen »Strukturierte Kommunikationsübungen, die zu zweit ausgeführt werden. Die Strukturen und die Regeln erlauben den Partnern, in die Tiefen des eigenen Geistes vorzudringen und an ihren Barrieren zu anderen zu arbeiten« (1998, S. 23). In einer Negativ-Runde könnte sich im Fall der geschilderten kritischen Interaktionssituation eine Erwartungsdyade, und zwar eine Dyade über nicht erfüllte Erwartungen des deutschen Managers anschließen. Herr Praunges hatte sich zum Beispiel eine Entschuldigung erwartet (»Aber statt dass der Mensch sich entschuldigt hätte . . .«) und auch eine Behebung des Versäumnisses (». . . oder gesagt hätte, dass dieses Versehen morgen sofort behoben würde . . .«). Sinnvoll wäre hier auch in Form einer Dyade nachzufassen, was der deutsche Manager an dem chinesischen Baustellenleiter auszusetzen hat oder welche Eigenschaften er an ihm nicht mag. Eine Positiv-Runde könnte in diesem Fall in Form einer Beziehungsdyade gestaltet werden, mittels derer sich der deutsche Manager © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Klarheit verschaffen kann, was er an dem chinesischen Baustellenleiter auch mag, worin sie übereinstimmen und was der chinesische Baustellenleiter von ihm persönlich wissen darf, was mit der geschilderten kritischen Interaktionssituation und der kritischen Beziehung zwischen den beiden gar nichts zu tun hat. Anschließend wird der Manager aufgefordert, seine Briefe an den chinesischen Baustellenleiter vorzulesen. Der Coach sitzt dabei und hört zu. An das Vorlesen der Briefe kann sich dann zur Entspannung eine Körperübung anschließen. Eine Auswahl dazu findet sich bei Brooks (1997). Zum Abschluss der Coachingsitzung malt der Manager noch einmal ein Bild von sich und dem chinesischen Baustellenleiter und bestimmt wieder Titel und Eigenschaften. Nach einem Feedback zur Sitzung bekommt er dann noch Hausaufgaben, zum Beispiel einen Bericht über die Analyse der kritischen Beziehung zu schreiben oder in weiteren Begegnungen mit dem chinesischen Partner zu beobachten, ob es Unterschiede zu den vorherigen Begegnungen gibt und was gleich geblieben ist. Erfahrungsgemäß tauchen in den Briefen viele Unterstellungen auf, die unter anderem durch die eigenkulturelle Prägung zustande kommen. In dem Fallbeispiel unterstellt der Manager dem chinesischen Baustellenleiter, dass dessen Hinweise auf den tropfenden Wasserhahn und das noch nicht gestrichene Treppengeländer ein Ablenkungsmanöver seien. In diesem Zusammenhang kann in der zweiten Coachingsitzung dann zunächst ganz allgemein das Thema »Unterstellungen« und deren Einfluss auf unsere Gefühle, Gedanken und unser Verhalten aufgegriffen werden. Dann kann sich der Coachee mittels einer Dyade Klarheit über das Thema seiner Unterstellungen verschaffen. Wenn es zum Beispiel um das Thema »Interpersonale Distanz« geht, kann die Dyade heißen »Sagen Sie mir etwas über sich und Nähe (oder Distanz)«. Betrifft das Thema die »Interkulturelle Führung« (siehe Kap. II, 2.5, S. 324 ff.), dann lautet die Dyade »Sagen Sie mir etwas über sich und Führung«. In den Antworten sind wiederum Unterstellungen enthalten, die es nun auf ihre eigenkulturelle (in diesem Fall deutsche) Prägung hin zu analysieren und mit Blick auf die fremde (in diesem Fall die chinesische) Kultur hin zu korrigieren gilt. Zu diesem Zweck greift der Coach spezifische zentrale Kulturstandards noch einmal auf und stellt sie in den Zusammenhang mit erlebten kritischen Interaktionssituationen. Eine Körperübung folgt. Diese richtet sich ebenfalls nach dem Thema. Geht es um interpersonale Distanz, dann kann zum Beispiel eine Übung gemacht werden, bei dem sich Coach und Coachee gegenübersitzen und ihre Handflächen aneinanderlegen und dann Hände und Arme kreisen lassen. Dabei macht der Coachee eine sensorische Erfahrung, welche Nähe oder Distanz er als angenehm oder unangenehm erlebt. Geht es um interkulturelle Führung, dann kann zum Beispiel ein Blind-Man-Walk gemacht wer© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Grundlagen: Diagnose – Training – Evaluation – Coaching

den, bei dem sich Coach und Coachee abwechselnd durch den Raum führen und den Raum erkunden und dabei der Geführte jeweils die Augen geschlossen hält. In diesem Beispiel macht der Coachee eine kinetische Erfahrung, die ihn sicher auch bei der Führung von Mitarbeitern im nationalen Kontext weiterbringt. Im Anschluss wird die Dyade wiederholt. Mit Lösungsstrategien wird – unter Umständen in einer dritten Coachingsitzung – ebenso verfahren. Durch das Wechseln auf die sensorische oder kinetische Ebene verändert der Coachee seine Perspektive und öffnet sich für alternative Problemlösungen.

2.4.5 Kritische Würdigung und Schluss Eine Coachingsitzung dauert in der Regel zwischen drei und vier Stunden und ist sehr kostenintensiv (Honorar, Flug, Hotel). Demgegenüber steht ein sehr hoher Nutzen. Zum interkulturellen Coaching liegen zwar noch keine Evaluationsergebnisse vor. Augenscheinlich wirkt diese Methode aber sehr gut. Gecoachte Fach- und Führungskräfte berichten zwei Wochen nach Beendigung des Coachings zum Beispiel immer wieder, dass ihre Beziehung zu dem betreffenden kritischen Beziehungspartner nicht mehr kritisch ist, dass sie den ehemals kritischen Beziehungspartner plötzlich anders wahrnehmen, dass sie wieder mit viel Freude und Elan an ihre Arbeit gehen. Das alles ist auf den Perspektivenwechsel zurückzuführen, der mittels Coaching erzeugt wird. Die Ergebnisse der Forschung zur Evaluation interkultureller Trainings zeigen, dass in einem interkulturellen Training zwar häufig Wissen erworben wird, das dann aber im Umgang mit fremdkulturellen Personen nicht aufgerufen und zur Anwendung gebracht wird. Die Personen verhalten sich in kritischen Interaktionssituationen falsch und fühlen sich anschließend schlecht. Mittels interkulturellen Coachings lernen Fach- und Führungskräfte, die Verantwortung für ihre Gefühle, Gedanken und ihr Verhalten zu übernehmen. Sie lernen, dass sie ihre Gefühle und Gedanken und ihr Verhalten selbst machen und dafür verantwortlich sind. Die automatisierte Verknüpfung von Wahrnehmung, Denken, Interpretation (Unterstellung), Gefühl und Verhalten wird mittels interkulturellen Coachings unterbrochen. Der Gecoachte lernt, dass er etwas wahrnimmt, dieses Wahrgenommene in der Regel sofort interpretiert und dem Wahrgenommenen etwas unterstellt, sich aufgrund dieser Unterstellung bestimmte Gefühle macht und sich aufgrund der Gefühle entsprechend verhält. Wenn er das gelernt hat, kann er sich bewusst entscheiden, ob er in einer kritischen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Interaktionssituation Wahrgenommenes negativ interpretiert, sich dadurch negative Gefühle (z. B. Ärger, Wut, Traurigsein) macht und sich negativ verhält oder ob er es einfach lässt. Der große Vorteil der Methode interkulturellen Coachings nach Vermeulen (1998) ist im Vergleich zu anderen Methoden (z. B. Teamentwicklungen), dass die Person für sich die kritische Beziehung klärt und nicht in Zusammenarbeit mit dem kritischen Beziehungspartner. Offene Konfliktbearbeitung im Beisein beider Konfliktpersonen ist nicht in allen Kulturen möglich (z. B. China). Aber auch in einer solchen Kultur wie der chinesischen kann zum Beispiel ein Deutscher Bedarf haben, seine kritischen Beziehungen zu Chinesen zu bearbeiten. Weil die betreffenden Chinesen nicht involviert sein müssen, ist diese Methode gerade in solch einem Kontext sehr vorteilhaft. Mittels interkulturellen Coachings wird das Bewusstsein des Gecoachten wesentlich erweitert. Der zwanghafte Kreislauf von Gedanken an fremdkulturelle kritische Beziehungspersonen wird durchbrochen. Entspannungsübungen sind dabei ein wesentliches Element. Erfahrungsgemäß funktioniert die Methode ohne Körperübungen nicht. Insgesamt wird das Bewusstsein des Coachees erweitert. Das ist die Basis, um aufnahmebereit für Wissen über fremde zentrale Kulturstandards zu sein oder kulturadäquates Verhalten in Rollenspielen zu lernen. Außerdem wird viel Energie frei, die der Coachee für seine beruflichen Aufgaben wieder produktiv nutzen kann.

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Grundlagen: Diagnose – Training – Evaluation – Coaching

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Praxisfelder: Interkulturelle Kompetenz und Kooperation in Unternehmen Siegfried Stumpf: Interkulturelles Man agement

II. Praxisfelder

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1. Interkulturelle Kompetenz und Kooperation in Unternehmen

Siegfried Stumpf

1.1 Interkulturelles Management

1.1.1 Tätigkeitsfelder interkulturellen Managements Das Tätigkeitsfeld eines Managers weist unterschiedliche Facetten auf. Manager haben in Organisationen eine Vielzahl verschiedener Rollen zu übernehmen. Nach Mintzberg (1991) ist das Rollenspektrum eines Managers wie folgt aufgebaut (Tab. 8): Tabelle 8: Rollenspektrum eines Managers nach Mintzberg (1991) Rolle

Kurzbeschreibung

1. Repräsentator

Erfüllung zeremonieller Verpflichtungen, z. B. bei Empfängen, Festanlässen, Besuchen

2. Mitarbeiterführung

Direkter Kontakt zu Mitarbeitern: Fördern, Fordern, Anerkennen . . .

3. Liaison

Kontakte nach oben, zur Seite und nach außen aufnehmen und pflegen

4. Beobachter

Informationen aus dem Umfeld suchen, aufnehmen und sammeln

5. Informationsverteiler

Informationen an andere weitergeben

6. Sprecher

Standpunkte der eigenen Organisationseinheit nach außen kommunizieren

7. Unternehmer

Maßnahmen zur Bestandssicherung und Weiterentwicklung der Organisation initiieren und begleiten

8. Störungsregler

Störungen regulieren und Konflikte managen

9. Ressourcenzuordner

Festlegung, wer was in der eigenen Organisationseinheit erhält (Arbeitsmittel, Budgets . . .)

10. Verhandler

Vereinbarungen im Sinne der Organisation aushandeln

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Praxisfelder: Interkulturelle Kompetenz und Kooperation in Unternehmen

Einzelne Managementpositionen unterscheiden sich darin, in welchem Ausmaß der Positionsinhaber im Hinblick auf diese verschiedenen Rollen von seiner sozialen Umwelt gefordert ist. Ausgehend von den Erwartungen, die andere und er selbst an seine Position stellen, legt sich jeder Manager eine eigene Rollendefinition zurecht, in der spezifische Rollenerwartungen hervorgehoben werden und andere in den Hintergrund treten. Empirische Untersuchungen zum Arbeitsalltag von Managern liefern folgendes Bild (vgl. Neuberger 1990): Der Arbeitsalltag eines Managers ist aus vielen kurzen Episoden zusammengesetzt. Es kommt zu häufigen Unterbrechungen und unvorhergesehenen Situationswechseln, auf die er sich einstellen muss. Managen bedeutet Kommunizieren und der Hauptteil der täglichen Arbeitszeit ist durch mündliche Kommunikation ausgefüllt. Aufgrund dieser Untersuchungen erscheint der Eindruck berechtigt, dass Manager nicht nur aktiv und vorausschauend führen und gestalten, sondern vielmehr einem Strom von schnell wechselnden und unvorhersehbaren Ereignissen ausgesetzt sind, auf den sie mit viel Improvisationsgeschick reagieren müssen. Eine veränderte Fassung der gern mit Management und Führung in Verbindung gebrachten Dirigentenmetapher bringt dies gut zum Ausdruck: »Der Manager ist wie der Dirigent eines Symphonieorchesters, der sich um die Aufrechterhaltung einer melodischen Leistung bemüht, bei der die verschiedenen Beiträge der unterschiedlichen Instrumente koordiniert und in eine Reihenfolge gebracht, zu einem Muster zusammengefügt und in eine rhythmisch ausgewogene Aufführung gebracht werden, während die Orchestermitglieder die unterschiedlichsten persönlichen Schwierigkeiten haben. Die Bühnenarbeiter verschieben die Notenständer, eine abwechselnd übermäßige Hitze und Kälte macht dem Publikum und den Instrumenten zu schaffen, und der Sponsor des Konzerts besteht auf irrationalen Veränderungen im Programm« (Leonard Saylor, zitiert nach Mintzberg 1991, S. 33 f.). Diese Ausführungen zeigen, dass Management grundsätzlich ein anspruchsvolles Tätigkeitsfeld ist. Manager müssen einer Vielzahl unterschiedlicher Erwartungen und Anforderungen gerecht werden; sie sind dabei nicht nur aktive Gestalter, sondern müssen sich oftmals mit externen und unkontrollierbaren Einflüssen auseinander setzen. All dies kann zu Dilemmasituationen (vgl. Neuberger 1990) und großen psychischen Belastungen führen. Interkulturelle Bedingungen stellen zusätzliche Anforderungen an das Management. Gehen die Interaktionspartner von unterschiedlichen kulturellen Orientierungssystemen aus, so ist dies im Rahmen jeder der von Mintzberg (1991) aufgeführten Managementrollen zu berücksichtigen. Wird dies von den Interaktionspartnern nicht getan, sind Missverständnissen und unproduktiven Austauschbeziehungen Tür und Tor geöffnet. In verschiedenen Kapiteln dieses Handbuches wird dies für unterschiedliche © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Managementrollen dargelegt (z. B. zur Repräsentation, zur Verhandlung, zur Störungsregelung). Interkulturelles Management betrifft insbesondere folgende Personengruppen und Tätigkeitsfelder: – Fach- und Führungskräfte, die als Entsandte ihrer Organisation längere Zeit, beispielsweise mehrere Jahre, im Ausland arbeiten (z. B. Expatriates von Unternehmen, Entwicklungshelfer); – Fach- und Führungskräfte, die als Repräsentanten einer global agierenden Organisation weltweite Kontakte initiieren und pflegen; – Fach- und Führungskräfte, die im Rahmen internationaler Projekte in gemischtkulturellen Projektteams arbeiten; – Fach- und Führungskräfte im Stammhaus einer Organisation, die ausländische Tochter- oder Partnerorganisationen (z. B. bei Joint Ventures) betreuen oder Kontakte zu Kunden im Ausland unterhalten; – Fach- und Führungskräfte in Organisationen, deren Belegschaft mehrkulturell zusammengesetzt ist.

1.1.2 Anforderungen an interkulturelles Management Die mit interkulturellem Management verbundenen Anforderungen variieren je nach Art der interkulturellen Managementaufgabe: Eine mehrjährige Tätigkeit als Expatriate in einer ausländischen Firmenniederlassung ist mit anderen Anforderungen und Belastungen verbunden als zum Beispiel die Leitung einer mehrkulturell zusammengesetzten Arbeitsgruppe im Heimatland (siehe Kap. II, 2.4, S. 307 ff.; siehe Kap. II, 2.6, S. 340 ff.). Insbesondere Auslandsentsendungen stellen hohe Anforderungen an die entsandten Manager. Die Studien zu Auslandsentsendungen von Managern zeigen eine getrübte Erfolgsbilanz: Black und Gregersen (1999) berichten als Ergebnis einer Feldstudie an Firmen aus den USA, dass zwischen 10 Prozent und 20 Prozent der ins Ausland entsandten Manager ihren Aufenthalt vorzeitig abbrechen, unzufrieden mit ihrer neuen Aufgabe oder mit der neuen Umgebung; fast ein Drittel der Manager erfüllt nicht die Erwartungen, und ein Viertel kündigt bald nach der Rückkehr, was einen immensen Know-howAbfluss für die betroffenen Unternehmen bedeutet. Nach Stahl (1998, S. 2) schwanken die Schätzungen der Quoten von vorzeitig abgebrochenen Entsendungen zwischen 10 Prozent und 40 Prozent, im Fall der Entsendung von Fach- und Führungskräften in Entwicklungsländer steigen die Quoten sogar bis 70 Prozent. Der Anteil der Mitarbeiter, die ihren Entsendungsver-

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Praxisfelder: Interkulturelle Kompetenz und Kooperation in Unternehmen

trag zwar erfüllen, sich aber im Gastland weder wohl fühlen noch die erwartete berufliche Leistung erbringen, wird deutlich höher eingeschätzt. In einer Interviewstudie an 116 deutschen Managern, die von ihren Unternehmen für mehrere Jahre in die USA oder nach Japan entsandt wurden, identifizierte Stahl (1998) die Problemklassen, mit denen diese Manager während ihres Auslandsaufenthalts konfrontiert werden. Ergebnisse hierzu sind in Tabelle 9 dargestellt. Tabelle 9: Problemklassen bei Auslandsentsendungen (vgl. Stahl 1998, S. 157) in Abhängigkeit von der bisherigen Entsendungsdauer. Je höher die Problemintensität, desto kleiner die Rangplatzkennziffer. Problemklasse (Beispiele)

Häufig- < 2 Jahre 2–6 Jahre 6 Jahre keit in % (N=24) (N=54) (N=38) (N=116)

Intensität Rang

Reintegration/Zukunft (berufliche, private Rückkehrprobleme, Zukunftsängste . . .)

65 %

46 %

76 %

61 %

5

Stammhausbeziehungen (Autonomiekonflikt, fehlende Unterstützung . . .)

60 %

50 %

61 %

63 %

8

Personal/Führung (Personalfüh- 48 % rung, -entwicklung, -beschaffung)

50 %

48 %

47 %

1

Sprache/Kommunikation (Verständigungs-, Orientierungsprobleme . . .)

47 %

58 %

54 %

32 %

4

Gastlandkontakte (fehlende, un- 44 % befriedigende Kontakte . . .)

46 %

50 %

34 %

9

Arbeitszeit/-menge (lange Arbeitszeiten, Termindruck, Geschäftsreisen . . .)

43 %

25 %

56 %

37 %

10

Entsandtenrolle (Interessen-, Loyalitätskonflikte, Vermittlerrolle . . .)

39 %

29 %

35 %

50 %

2

Partner (Fehlende Arbeitsmöglichkeiten, Isolation . . .)

38 %

58 %

44 %

16 %

3

Lebensqualität (Freizeit, Wohnverhältnisse, Klima . . .)

35 %

3%

37 %

34 %

7

Arbeitsinhalte/-abläufe (Aufgabenneuheit, Überforderung, interne Abläufe . . .)

29 %

33 %

30 %

26 %

6

Geschäftspraktiken (Kontaktaufbau, abweichende Geschäftsgepflogenheiten . . .)

23 %

22 %

22 %

26 %

11

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Siegfried Stumpf: Interkulturelles Management

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Bei den meisten dieser Probleme handelt es sich um chronische, also dauerhafte oder ständig wiederkehrende Belastungen (vgl. Stahl 1998, S. 156). Es berichten 48 Prozent der Manager von Personal- und Führungsproblemen (z. B. abweichende Führungsstilpräferenzen, Versagen von gewohnten Führungstechniken; siehe Kap. II, 2.5, S. 324 ff.), wobei etwa 80 Prozent dieser Manager diese Probleme als ernsthaft bis schwer wiegend einstufen (Intensität: Rangplatz 1). 47 Prozent der Manager, und hier vor allem die nach Japan entsandten, geben sprach- und kommunikationsbezogene Probleme an (z. B. Informationsdefizite aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse, Missverständnisse aufgrund von unterschiedlichen Kommunikationsstilen). Eine weitere Problemklasse bilden mit 44 Prozent die Kontakte mit Gastlandangehörigen, die nicht in ausreichender Quantität oder Qualität vorliegen. Als sehr beeinträchtigend werden Probleme des Ehepartners empfunden (siehe Kap. II, 2.9, S. 390 ff.), die 38 Prozent der Manager berichten (z. B. Eingewöhnungsschwierigkeiten, Verständigungs- und Orientierungsprobleme, Mangel an sozialen Kontakten). Zur Vorbereitung der Manager auf die mit einem Auslandseinsatz verbundenen Probleme, muss Stahl feststellen: »In Übereinstimmung mit Erhebungen zur Entsendungspraxis deutscher Unternehmen . . . belegen die Untersuchungsergebnisse, dass Mitarbeiter nur in Ausnahmefällen systematisch auf das Leben und Arbeiten im Gastland vorbereitet werden . . . Von einer gründlichen Vorbereitung auf den Auslandseinsatz kann daher bei der Mehrzahl der Entsandten keine Rede sein« (1998, S. 247). Die Problemhäufigkeit ist dabei auch von der bisherigen Aufenthaltsdauer abhängig: Mit der Entsandtenrolle zusammenhängende Probleme scheinen im Zeitverlauf zuzunehmen, Sprach- und Kommunikationsprobleme, aber auch mit dem Partner zusammenhängende Probleme nehmen über die Zeit ab, andere wie Personal- und Führungsprobleme bleiben eher konstant. Das Leben und Arbeiten im Ausland ist keine lineare Fortsetzung des Lebens und Arbeitens im Heimatland. Vielmehr sind mit einem längeren Auslandsaufenthalt wie einer Auslandsentsendung typischerweise spezifische Akkulturationsbelastungen verbunden, die sich aus dem Kontakt mit einer fremden und ungewohnten Kultur ergeben. Diese Belastungen äußern sich in Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit wie Depressionszuständen, Ängsten, Entfremdungsgefühlen und Identitätsproblemen. Zum Verlauf der Akkulturationsbelastungen und des Anpassungserfolgs während eines Auslandsaufenthalts gibt es unterschiedliche Modelle. Nach Berry (1985) tritt die Anpassungskrise nicht zu Anfang, sondern erst im Verlauf des Auslandsaufenthalts auf. Mit einer zweiten Krise ist bei der Rückkehr in die Heimatkultur zu rechnen (siehe Kap. I, 1.8, S. 126 ff.; siehe Kap. II, 2.9, S. 390 ff.): Die Person muss sich erst wieder an die Heimatkultur gewöhnen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Praxisfelder: Interkulturelle Kompetenz und Kooperation in Unternehmen

Diese Ergebnisse zeigen, dass der Wechsel von einem kulturellen Orientierungssystem in ein anderes für die betroffene Person spezifische Akkulturationsbelastungen und -anforderungen mit sich bringt, die produktiv bewältigt werden müssen. In seiner Untersuchung konnte Stahl (1998) weiterhin zeigen, dass sich erfolgreiche und nicht erfolgreiche Entsandte in ihren Strategien bei der Bewältigung dieser Probleme unterscheiden. Erfolgreiche Entsandte zeichnen sich durch folgende Problembewältigungsstrategien aus: – Problemlösungshandeln: Sorgfältige Handlungsplanung, Abwägen von Vor- und Nachteilen, Informationsrecherchen, schrittweise Problemlösung; – Kulturlernen: Lernen durch Beobachtung, Wissensaneignung, gezieltes Nachfragen bei Problemen, Veränderung eigenen Verhaltens; – Assimilation: Wertschätzung der Gastkultur, Vertreten lokaler Interessen, Übernahme von Gastlandnormen, Distanz zum Heimatland; – Beziehungsaufbau und -pflege: Signalisieren von Kontaktbereitschaft, gemeinsame Unternehmungen, Besuche, Kontaktpflege mit Stammhaus; – Leistung instrumenteller Hilfe: Weitergabe von Know-how, Rückmeldungen, Hilfeleistung bei Problemen, Informationsvermittlung zum Stammhaus; – Konfliktentschärfung: Abstimmen von Entscheidungen, Deeskalieren von Konflikten, Kompromisse, Vermeiden von »Gesichtsverlusten«; – Verstärkerbewahrung: Beibehalten alter Freizeitaktivitäten und Gewohnheiten, Rituale, Erhaltung von Kontakten im Heimatland; – Verstärkersuche und -substitution: Gezielte Suche nach neuen Hobbys, Umstellung auf landesübliche Freizeitaktivitäten; – Zukunftsorientiertes Denken: Schmieden von Zukunftsplänen, Vergegenwärtigen der begrenzten Dauer der Entsendung, Optimismus; Demgegenüber weisen nicht erfolgreiche Entsandte häufiger diese Problembewältigungsstrategien auf: – Vermeidung/Rückzug: Aus-dem-Weg-Gehen von schwierigen Situationen, Rückzug in die Ausländergemeinde, Inaktivität, Flucht aus Gastland; – Duldung/Akzeptanz: Schnelles Aufgeben bei Widerständen, Zurückstellen eigener Bedürfnisse, Akzeptieren aversiver Zustände, Fatalismus; – Identitätsbewahrung: Schaffung von Distanz zu Einheimischen, Abwertung vom und Kritik am Gastland, Durchsetzung von Stammhausinteressen; – Selbstentlastung: Schuldzuweisung an Gastlandangehörige, selbstwertdienliche Ursachenzuschreibungen, Rechtfertigen eigener Defizite;

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– Negativer Vergleich: Beneiden anderer Personen, Idealisierung deutscher Tugenden, Nostalgie, Zuschreibung negativer Gastlandmerkmale. Die von Stahl herausgearbeiteten Problemklassen von Auslandsentsandten sind nicht grundsätzlich auf alle international tätigen Manager zu übertragen. So kann es sein, dass Fach- und Führungskräfte, die als Repräsentanten einer global agierenden Organisation weltweite Geschäftskontakte initiieren und pflegen, fremdkulturellen Einflüssen weit weniger ausgesetzt sind. Innerhalb einer Branche oder für spezifische Geschäftsaktivitäten können sich beispielsweise länderübergreifende Konventionen herausgebildet haben, mit denen Geschäftspartner aus den unterschiedlichsten Ländern vertraut sind. Tiefer gehende und möglicherweise irritierende Kontakte mit fremden Kulturen können vielfach vermieden werden, zum Beispiel indem Manager die Kontakte auf einen eng umgrenzten geschäftlichen Bereich reduzieren. Aber ein vollkommenes Ausschalten kultureller Einflüsse und Unterschiede wird selbst in diesen Fällen nicht möglich sein, da landesspezifische kulturelle Orientierungen in den Akteuren aufgrund der von ihnen seit frühester Kindheit durchlaufenen Sozialisation tief verwurzelt sind und zudem weite Bereiche des privaten und beruflichen Lebens berühren. Interkulturelles Management ist nicht nur bei Auslandseinsätzen und -entsendungen gegeben, sondern kann auch in anderen Zusammenhängen unumgänglich sein. Das Management kultureller Verschiedenheit und Vielfalt ist beispielsweise gefordert im Zuge internationaler Unternehmenszusammenschlüsse (siehe Kap. II, 2.7, S. 354 ff.), der Betreuung ausländischer Niederlassungen durch das Stammhaus oder beim Leiten mehrkulturell zusammengesetzter Arbeitsgruppen (siehe Kap. II, 2.4, S. 307 ff.; Kap. II, 2.6, S. 340 ff.). Grundsätzlich sind beim Aufeinandertreffen kultureller Unterschiede zwischen der eigenen und der fremden Kultur verschiedene Reaktionsweisen möglich (Adler 1997): – Kulturelle Dominanz: Das eigene Handeln folgt den Vorgaben der eigenen Kultur; – Kulturelle Akkommodation: Das eigene Handeln erfolgt in Anpassung an die Vorgaben der fremden Kultur; – Kulturelle Vermeidung: Kulturelle Unterschiede werden ignoriert und überspielt; – Kultureller Kompromiss: Es kommt zu Kompromissen zwischen den Vorgaben der eigenen und der fremden Kultur; jede Seite rückt von ihren eigenen Vorstellungen ab und nähert sich der anderen Seite an; – Kulturelle Synergie: Es werden neue, innovative und produktive Lösungen und Vorgaben entwickelt, die sich weder aus der eigenen noch der fremden Kultur direkt ableiten lassen.

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Untersuchungen an mehrkulturell zusammengesetzten Arbeitsgruppen (siehe Kap. II, 2.6, S. 340 ff.) zeigen, dass kulturelle Unterschiede in Arbeitsgruppen oftmals durch Dominanz- und Anpassungsstrategien zu bewältigen versucht werden (Schroll-Machl 1996; Zeutschel 1999). Reibungsverluste und defizitäre Prozesse kennzeichnen mehrkulturelle Arbeitsgruppen zumindest im Anfangsstadium; erst im Zuge der Gruppenentwicklung und bei entsprechender Unterstützung und Förderung der Gruppenprozesse (z. B. durch Prozess- und Leistungsrückmeldungen) ist mit einem Ausschöpfen der Leistungspotenzials der Gruppe zu rechnen (Watson et al. 1993). Individuelle Versuche der Bewältigung kultureller Verschiedenheit erfolgen in internationalen Organisationen immer auf dem Hintergrund einer expliziten oder impliziten organisationalen Internationalisierungsoder Globalisierungsstrategie. Ethnozentrische Strategien (vgl. Adler 1997), die sich dadurch auszeichnen, dass das Stammhaus bestrebt ist, seine Werte- und Normsysteme und Entscheidungs- und Handlungsmuster auf die Tochtergesellschaften im Ausland zu übertragen, bergen ein erhebliches Konfliktpotenzial. Diese Strategie der kulturellen Dominanz kann dazu führen, dass sich die Auslandsgesellschaften gegen rigorose, die jeweiligen kulturellen Besonderheiten ignorierende Strategien offen oder versteckt zur Wehr setzen. Ein Personalbeurteilungs- und entwicklungsinstrument wie das 360°-Feedback, bei dem ein Mitarbeiter nicht nur durch den Vorgesetzten, sondern auch durch Untergebene und Kollegen beurteilt wird, ist heute in zahlreichen westlichen Unternehmen zu finden. Der soziokulturelle Kontext ist dort durch eine relativ niedrige Machtdistanz (siehe Kap. I, 1.4, S. 61 f.) zwischen Vorgesetzten und Untergebenen geprägt. Der Export solcher Systeme in einen durch hohe Machtdistanz geprägten soziokulturellen Kontext wie zum Beispiel nach Indonesien, China oder Südamerika kann in diesen Ländern als nicht vereinbar mit den jeweiligen kulturellen Orientierungen erlebt werden und Abwehrstrategien hervorrufen. Der verordnete, zwangsweise Einsatz dieser Systeme kann sich als ineffektiv erweisen (vgl. hierzu Fletcher u. Perry 2001).

1.1.3 Konsequenzen für die Gestaltung interkulturellen Managements Der Erfolg interkulturellen Managements hängt von mehreren Faktoren ab. Für interkulturelles Management im Rahmen von Auslandsentsendungen gibt Stahl (1998) die folgenden Erfolgsfaktoren an:

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– Person des Entsandten: Stammhauskenntnisse und -kontakte, Loyalität und Fähigkeit zur Ausbalancierung gegensätzlicher Interessen, Sprachkenntnisse, interkulturelle Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften wie Ambiguitätstoleranz oder Non-Ethnozentrismus. – Familie des Entsandten: Anpassungsfähiger und -bereiter Lebenspartner; Arbeitstätigkeit oder andere sinnvolle Beschäftigung des Lebenspartners. – Position und Organisation: Eindeutige und konfliktfreie Rolle, klare Kompetenzrichtlinien, Entscheidungsautonomie und Einflussmöglichkeiten, qualifizierte einheimische Mitarbeiter, Gastlandkenntnisse im Stammhaus. – Entsendungsgestaltung: Einheitliche und transparente Entsendungsrichtlinien, sorgfältige Personalauswahl, kulturbezogene Vorbereitung, kontinuierliche Betreuung, langfristige Rückkehrplanung. – Gastlandumwelt: Kulturelle Distanz zum Heimatland, Schwierigkeit der Landessprache, rechtliche-bürokratische Hürden, Lebens- und Freizeitqualität, unterstützendes Ausländernetzwerk. Diese Aufstellung zeigt, dass ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren den Entsendungserfolg von Managern bestimmt. Personenmerkmale wie Persönlichkeitseigenschaften oder fachliche und interkulturelle Fähigkeiten sind damit nur ein Ausschnitt der Faktoren, die den Entsendungserfolg beeinflussen. Auf diesem Hintergrund wird auch einsichtig, warum Studien, die den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Entsendungserfolg untersucht haben, zu eher inkonsistenten Ergebnissen geführt haben (vgl. Deller 2000). Ein Persönlichkeitsmerkmal wie beispielsweise eine hohe Ambiguitätstoleranz kann vermutlich nur noch wenig zum Entsendungserfolg beitragen, wenn dieser durch strukturelle Faktoren wie eine unzureichende Arbeitsplatzdefinition oder eine mangelhafte Entsendungsgestaltung beeinträchtigt wird. Will eine Organisation damit den Entsendungserfolg ihrer Manager optimieren, so muss sie an verschiedenen Angriffspunkten gleichzeitig ansetzen. Es muss eine gezielte Personalauswahl und -entwicklung betrieben werden, das soziale Umfeld der Entsendungskandidaten muss in diese Aktivitäten einbezogen werden, und geeignete personalpolitische und organisatorische Strategien müssen entwickelt und implementiert werden (Entsendungsgestaltung, Stellenbeschreibung im Sinne der Festlegung der Aufgaben, Rechte und Pflichten des Entsandten . . .). Interkulturelles Management stellt grundsätzlich spezifische Anforderungen an das Personal einer Organisation. Ein zentraler Bereich ist dabei die Diagnose und Förderung interkultureller Handlungskompetenz. Nach Thomas, Kammhuber und Layes (1997, S. 67 f.) ist interkulturelle Handlungskompetenz die Fähigkeit, kulturelle Bedingungen und Einflussfakto© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ren im Wahrnehmen, Urteilen, Empfinden und Handeln bei sich selbst und anderen Personen zu erfassen, zu würdigen, zu respektieren und produktiv einzusetzen im Sinne einer wechselseitigen Anpassung, Toleranz gegenüber Inkompatibilitäten sowie einer Entwicklung synergetischer Formen des Zusammenlebens und der Weltorientierung. Interkulturelle Handlungskompetenzen müssen bei der Personalauswahl und -entwicklung mit berücksichtigt werden. Folgende Punkte sind dabei zu beachten:

Definition interkultureller Managementanforderungen In der Literatur gibt es zahlreiche Eigenschaftslisten, die beschreiben, welchen Anforderungen interkulturelle Manager genügen sollen. So postulieren beispielsweise Black und Gregersen (1999) auf der Basis ihrer Feldstudie als entscheidende Wesensmerkmale zu entsendender Manager: Freude am Gedanken- und Meinungsaustausch, ausgeprägte Geselligkeit, kulturelle Aufgeschlossenheit, Weltoffenheit und einfühlsamer Verhandlungsstil. Weitere oftmals genannte Fähigkeiten sind Höflichkeit, Taktgefühl, Unbescholtenheit, Sensibilität, Wissbegierde, Empathie, Zuverlässigkeit, Toleranz, Selbstvertrauen, Disziplin, Pünktlichkeit, Ordentlichkeit, Offenheit für Neues, Sendungsbewusstsein, Begeisterungsfähigkeit, Organisationstalent, Fähigkeit zum Umgang mit Unsicherheit und schließlich soziale Beziehungs- und Handlungskompetenz. Solche Eigenschafts- und Fähigkeitslisten sind aber für eine gezielte Diagnostik und Entwicklung von Managern zu allgemein und unspezifisch. Sinnvoll sind Qualifikationsbeschreibungen, die sich eng an den jeweils spezifischen Anforderungen des internationalen Managements orientieren. Hierzu müssen die interkulturellen Handlungsanforderungen klar und präzise beschrieben werden. Dies erfordert, dass das spezifische Bedingungsgefüge, in dem die interkulturellen Handlungen stattfinden und das von Organisation zu Organisation und Aufgabenfeld zu Aufgabenfeld unterschiedlich beschaffen sein kann, einer differenzierten Analyse unterzogen wird. Um dieses Bedingungsgefüge zu erfassen und zu verstehen, sollten insbesondere die bereits in der Organisation vorliegenden interkulturellen Erfahrungen systematisch genutzt werden. So können zum Beispiel Manager mit Auslandserfahrung befragt werden, um realitätsnahe Einblicke in die spezifischen zentralen Handlungsanforderungen in interkulturellen Situationen zu erhalten. Qualitative Erhebungen, die beispielsweise auf der Methode der kritischen Ereignisse (Flanagan 1954) beruhen, ermöglichen eine differenzierte Erfassung interkultureller Erfahrungen. Aus dem sich ergebenden qualitativen Material sind zum einen die zentralen Anforderungsdimensionen für interkulturelles Handeln abzuleiten, zum anderen erhält man auf die

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Weise einen reichen Fundus an Fallbeschreibungen, die zum Beispiel in Trainingsmaterialien umgesetzt werden können. Auf diesem Weg erhobene organisationsspezifische interkulturelle Anforderungen stellen einen hervorragenden Ausgangspunkt für eine zielgerichtete Personalauswahl und -entwicklung dar. Dabei sind sowohl übergreifende Anforderungsbeschreibungen von Nutzen, die für eine Vielzahl von Positionen in der Organisation gelten, als auch spezifische Anforderungsprofile für einzelne Stellen im Unternehmen. Erstere können beispielsweise in bereichsübergreifenden Nachwuchsförderprojekten eingesetzt werden, während letztere zur gezielten Auswahl und Vorbereitung eines Kandidaten auf eine konkrete Stelle herangezogen werden können.

Identifikation interkulturellen Managementpotenzials Unter Einbezug der ermittelten interkulturellen Anforderungen kann systematisch versucht werden, die Potenziale der Mitarbeiter zur Bewältigung dieser Anforderungen einzuschätzen. Es ist davon auszugehen, dass nicht jeder Mitarbeiter hierfür die notwendigen Fähigkeiten mitbringt oder soweit ausbauen kann, dass er den Anforderungen gerecht wird und diese nicht nur als Belastung erlebt. Unternehmen sollten die Potenzialidentifikation nicht dem Zufall überlassen, sondern hierzu zuverlässige und aussagekräftige Verfahren verwenden. Insbesondere Assessment-Center-Verfahren, in denen erhobene interkulturelle Anforderungen verhaltensnah abgeprüft werden können, stellen eine vielversprechende Variante der Potenzialerkennung dar (Arbeitskreis Assessment Center 1992; Kühlmann u. Stahl 1996; Neubauer 1980).

Entwicklung interkultureller Kompetenz Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden, mit denen interkulturelle Handlungskompetenzen entwickelt werden können. Dabei reicht das Spektrum von einer auf Theorie verzichtenden Learning-by-doing-Herangehensweise, wie sie offenbar in der Praxis präferiert wird, bis hin zu einem rein seminarorientierten Lernen, dem häufig der praktische Erfahrungshintergrund fehlt. Wie so oft liegt auch hier die Wahrheit in der Mitte: Die unterschiedlichen Ansätze können sich sehr gut ergänzen. Im Einzelnen sind hier folgende Verfahren bedeutsam: On-the-job-Entwicklung: Auch im Hinblick auf interkulturelle Handlungskompetenzen kann man annehmen, dass Erfahrung ein wichtiger Lehrmeister ist (vgl. McCall et al. 1995; Yeung u. Ready 1995). Wenn je-

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mand interkulturelle Handlungskompetenzen aufbauen will, so bietet es sich zum Beispiel an, dass er in einer plurikulturellen Gruppe mitarbeitet und diese dann von einem späteren Zeitpunkt an leitet (vgl. Gregersen et al. 1998, S. 30). Die hierfür erforderlichen Kompetenzen kann man nur in Ansätzen in Kursen oder Seminaren erwerben; vielmehr ist hier ein »Learning-by-doing« gefordert. Im Rahmen solcher Praxiserfahrungen kann man versuchen, sensibel zu werden für kulturelle Unterschiede und sich diesen Unterschieden im Verhalten anzupassen, man kann ausprobieren, inwieweit man kulturadäquat kommunizieren kann, und man kann versuchen, die unterschiedlichen kulturell bedingten Stile zu integrieren und Konflikte so zu lösen, dass man den unterschiedlichen Kulturen der Kooperationspartner gerecht wird (vgl. Ayman et al. 1994). Dieser Learning-by-doing-Ansatz sollte mit Beratungs- und Trainingsaktivitäten flankiert werden, die auf diese Erfahrungen vorbereiten und die es insbesondere ermöglichen, die gemachten Erfahrungen auszuwerten und zu reflektieren (vgl. Boud et al. 1985; Kolb 1984). Beratung: Nicht alle Probleme in interkulturellen Situationen werden die betroffenen Personen alleine verstehen und lösen können. Berater von innerhalb oder außerhalb der Organisation können bei der Reflexion und Interpretation von Erfahrungen, dem Finden von Problemlösungen und der Entwicklung und dem Ausprobieren neuer Verhaltensvarianten unterstützen. Vertrauensvolle und stabile Beziehungen zu Coaches und Mentoren sind dabei hilfreich (z. B. Mendenhall u. Oddou 1988). Training: Um Manager auf ihre zukünftigen interkulturellen Aufgaben vorzubereiten oder sie bei der Bewältigung dieser Aufgaben zu begleiten, gibt es eine Fülle unterschiedlicher Trainingsverfahren (siehe Kap. I, 2.2, S. 181 ff.). Diese Verfahren kann man anhand der beiden Dimensionen »kulturallgemein vs. kulturspezifisch« und »didaktisch/vermittelnd vs. erfahrungs- und entdeckungsorientiert« kategorisieren (Gudykunst u. Hammer 1983). Interkulturellen Trainings sollten eine genaue Erhebung des spezifischen Trainingsbedarfs vorausgehen. Forschungsergebnisse zu adäquaten und inadäquaten Problembewältigungsstrategien beim interkulturellen Management können im Rahmen dieser Trainings genutzt werden. Eine Evaluation der Trainingseffekte sollte erfolgen (vgl. hierzu Thomas et al. 1999). Zunehmend wird erkannt, dass es bei Auslandsentsendungen wichtig ist, die Familie des Mitarbeiters in Trainings- und Vorbereitungsmaßnahmen einzubeziehen. Gerade der mitreisende Ehepartner ist im Ausland zahlreichen Belastungen ausgesetzt; fehlende Anpassung des Ehepartners an die Verhältnisse im Ausland ist nach Mendenhall und Oddou (1988) ein wesentlicher Grund für den Abbruch von Auslandsentsendungen.

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Systematische Pflege und Nutzung interkultureller Kompetenz Interkulturelle Erfahrungen und Kompetenzen, die Manager erworben haben, sind eine wichtige Ressource in Organisationen. Diese Ressource gilt es zu pflegen und für die zukünftige Bewältigung interkultureller Führungs- und Managementprobleme nutzbar zu machen. Manager müssen nach längeren Auslandseinsätzen oftmals feststellen, dass sich nach ihrer Rückkehr kaum jemand in der Organisation für ihre Erfahrungen und Kompetenzen interessiert. Die Manager sollten Gelegenheit haben, ihre Erfahrungen einzubringen, zum Beispiel indem diese Erfahrungen dazu genutzt werden, interkulturelle Anforderungsprofile zu überprüfen und fortzuschreiben sowie die vorhandenen Trainingsmaßnahmen zu optimieren. Auslandserfahrene Manager sollten als Mentor für Mitarbeiter gewonnen werden, die sich auf ein interkulturelles Handlungsfeld vorbereiten. Werden die interkulturellen Erfahrungen von Mitarbeitern auf diese Weise ernst genommen und wertgeschätzt, so könnten beispielsweise Fluktuationen aufgrund von Frustration im Zusammenhang mit der Rückkehr bei Auslandsentsendungen und der damit verbundene immense Know-howAbfluss für die Organisation reduziert werden.

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Praxisfelder: Praxis der interkulturellen Praxisfelder

Eva-Ulrike Kinast/Alexander Thoma s: Interkulturelle Personalentwicklung

Eva-Ulrike Kinast/Alexander Thomas

1.2 Interkulturelle Personalentwicklung in internationalen Unternehmen 1.2.1 Problemstellung und aktuelle Situation In der Literatur existieren Schätzungen (z. B. Meckl 2001; Stahl 1998), nach denen 40 bis 70 Prozent aller internationalen Projekte scheitern und 10 bis 40 Prozent – im Falle von Entwicklungsländern sogar bis zu 70 Prozent – aller ins Ausland entsandten Fach- und Führungskräfte vor Ablauf der vertraglich festgelegten Entsendungsdauer in ihr Heimatland zurückkehren. Außerdem wird die Anzahl der Mitarbeiter, die ihren Entsendungsvertrag zwar erfüllen, sich aber im Gastland weder wohl fühlen noch die erwartete berufliche Leistung erbringen, noch höher eingeschätzt als die Quote der vorzeitig abgebrochenen Auslandseinsätze. Die Fehlbesetzung einer Führungsposition im Ausland kostet das entsendende Unternehmen in der Regel das Drei- bis Vierfache des Jahresgehalts, von den finanziellen Folgeschäden durch Imageverlust, gestörten Beziehungen zu einheimischen Mitarbeitern, Kunden und anderen einmal abgesehen (Stahl 1998). Als zentrale Ursache für das Scheitern von internationalen Projekten und Auslandseinsätzen wird ein Mangel an interkultureller Handlungskompetenz der Fach- und Führungskräfte angenommen. Das ist zwar aufgrund der methodisch begrenzten Möglichkeiten kaum zu beweisen, gilt heute aber als sehr wahrscheinlich. Eine interkulturelle Personalentwicklung ist deshalb unbedingt notwendig. Deren Ziel ist es, den Mangel an interkultureller Handlungskompetenz von Fach- und Führungskräften langfristig zu beheben. Zu diesem Zweck entwickelt sie eine Strategie, die zur Gesamtstrategie des Unternehmens passt, und setzt entsprechende Instrumente zur Diagnose und Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz, zum Beispiel interkulturelle Assessment Center, interkulturelle Trainings und interkulturelle Coachings, ein und sichert deren Qualität durch eine systematische Evaluation. Voraussetzung für eine interkulturelle Personalentwicklung sind Auslandsaktivitäten des Unternehmens. Dazu gehören nach Drumm (2000) Kooperationen mit ausländischen Partnern, Joint Ventures, die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens mit mehreren ausländischen Part-

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Praxisfelder: Praxis der interkulturellen Praxisfelder

nern, die Gründung oder Übernahme von Unternehmen im Ausland oder die Gründung einer selbstständigen Tochtergesellschaft im Ausland durch ein nationales Unternehmen. Aber auch bei der Ausweitung des Importund Exportgeschäfts, bei Globalisierung der Geschäftstätigkeit und bei der Triade, also der Konzentration der Geschäftstätigkeit auf mindestens drei großen Märkten, wird eine interkulturelle Personalentwicklung notwendig. In kleineren und mittelständischen Unternehmen übernimmt diese Aufgabe in vielen Fällen die Personalabteilung, in großen Konzernen gibt es dafür in der Regel eine Stabsabteilung, die organisatorisch häufig einer zentralen Personalentwicklung angeschlossen ist. In der interkulturellen Personalentwicklung sind die Anforderungen an die dafür Verantwortlichen hoch: Neben einem Studium mit Affinität zur Personalentwicklung (z. B. Psychologie, BWL) sollten interkulturelle Personalentwickler vertiefte Kenntnisse über die Theorien und Konzepte interkulturellen Handelns aufweisen und diese auch anwenden können. Wünschenswert ist es, wenn sie selbst mehrere Jahre im Ausland gelebt haben, über eine hohe interkulturelle Handlungskompetenz sowie eine kulturspezifische Kompetenz für wenigstens ein bestimmtes Land verfügen. Es liegen keine statistischen Zahlen vor, wie viele Unternehmen heute tatsächlich eine systematische und professionelle interkulturelle Personalentwicklung betreiben. Angesichts der genannten erschreckenden Zahlen von gescheiterten internationalen Projekten und Auslandseinsätzen können das jedoch nicht allzu viele sein. Was nicht nachvollziehbar ist! Denn einerseits bestätigen die Ergebnisse der Forschung zur Evaluation interkultureller Trainings deren Wirksamkeit, und andererseits sind die Kosten für eine interkulturelle Personalentwicklung im Vergleich zu den Kosten, die durch gescheiterte internationale Projekte und Auslandseinsätze entstehen, kaum nennenswert. Gerade in jüngster Zeit häufen sich globale Mergers, und Akquisitionen von Unternehmen in Ländern außerhalb des Standorts der Stammhäuser nehmen zu. Würde in beiden Fällen rechtzeitig eine interkulturelle Personalentwicklung betrieben, dann stünde auch rechtzeitig in der Akquisitionsphase ein ausreichend großer Pool an interkulturell kompetenten Fach- und Führungskräften zur Verfügung, die die Integration beider Unternehmen oder Unternehmensteile wesentlich schneller vorantreiben könnten, als dies heute zu beobachten ist.

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Eva-Ulrike Kinast/Alexander Thomas: Interkulturelle Personalentwicklung

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1.2.2 Human-Resources-Zyklus Ausgangspunkt für jede Personalarbeit im Unternehmen ist die Besetzung von Stellen oder Positionen zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Unternehmens (Drumm 2000; Scherm 1999). In internationalen Unternehmen trägt die interkulturelle Personalentwicklung wesentlich dazu bei, dass Stellen oder Positionen weltweit rechtzeitig mit interkulturell kompetenten Personen besetzt werden können. Interkulturelle Personalentwicklung beginnt nicht erst dann, wenn eine Fach- oder Führungskraft ins Ausland entsendet und darauf vorbereitet werden soll, wie viele meinen, sondern sie fängt bereits beim Personalmarketing und bei der Personalrekrutierung an. In internationalen Unternehmen sollten mit den einzelnen Marketing- und Rekrutierungsinstrumenten Fach- und Führungs(nachwuchs)kräfte angesprochen werden, die Interesse an einer internationalen Karriere haben (vgl. Wirth 1996). Beispiele dafür sind Karriereseiten in mehreren Fremdsprachen auf der Homepage des Unternehmens im Internet, internationale Hochschulkontakte, Bonding-Messen und ein internationales Trainee-Programm. Im Rahmen der Personalauswahl sollte neben der fachlichen, sozialen, individuellen und strategischen Kompetenz die interkulturelle Handlungskompetenz des Bewerbers eingeschätzt werden. Dazu ist zum Beispiel die Methode des interkulturellen Assessment Centers geeignet (siehe Kap. I, 2.1, S. 168 ff.). Diese kann bei einem einzigen Bewerber als Einzel-Assessment-Center oder im Fall mehrerer Bewerber als Gruppen-AssessmentCenter durchgeführt werden. Wichtig ist hier auch, die grundsätzliche Bereitschaft der Bewerber für internationale Tätigkeiten oder gar für einen längeren Auslandsaufenthalt zu hinterfragen. Nach der Personaleinstellung, bei der unter Umständen länderspezifische Unterschiede in der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen sind, findet im weiteren Verlauf des Einsatzes und der Karriere der Fach- oder Führungskraft ein Performance Improvement Coaching statt. Auf der einen Seite gibt es mit der Person eine Zielvereinbarung, in der festgehalten wird, welche Ziele die Person in welchem Zeitraum mit welchem Standard erreicht haben soll und woran der Zielerreichungsgrad gemessen werden kann. Nach einem vorher vereinbarten Zeitraum findet eine Leistungsbewertung statt, bei der der Grad der Zielerreichung überprüft und beurteilt wird. Zur Motivation besteht in der Regel ein Anreizsystem aus Gehalt, Prämien, Dienstwagen und anderem. Im Zusammenhang mit der interkulturellen Personalentwicklung ist es hier ganz wichtig, dass in den Zielvereinbarungen neben Ergebnis- und Prozesszielen auch Verhaltensziele festgeschrieben werden, die die interkulturelle Handlungskompetenz der Fach- oder Führungskraft betreffen. Zum Beispiel könnte hier mit der Person vereinbart werden, dass sie ihre interkul-

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Praxisfelder: Praxis der interkulturellen Praxisfelder

turelle Handlungskompetenz weiterentwickelt und zu diesem Zweck ein kulturallgemeines Sensibilisierungstraining besucht. Diese Vereinbarung ist im Rahmen der Leistungsbewertung zu überprüfen. Zur Messung des Lernerfolgs könnte hier mittels eines interkulturellen Assessment Centers eine Evaluation durchgeführt werden. In das Anreizsystem könnte – wenn es die Organisationskultur zulässt – ein mehrwöchiger bezahlter Auslandsaufenthalt in einem für das Unternehmen zentralen Land integriert werden. Auf der anderen Seite gibt es im Zuge des Performance Improvement Coachings eine Personalentwicklung im engeren Sinn (eine Führungskräfteentwicklung eingeschlossen), deren Instrumente vom Inplacement über die Potenzialanalyse und Entwicklung bis hin zur Qualifizierung ebenfalls so gestaltet werden sollten, dass sie die interkulturelle Handlungskompetenz der Fach- und Führungskräfte fördern. Im Rahmen des Inplacements, das die ersten 12 Monate eines Mitarbeiters im Unternehmen umfasst, könnten zum Beispiel internationale Welcome Days oder Welcome Weeks für weltweit neu eingestellte Fach- und Führungskräfte an einem Ort auf der Welt veranstaltet werden, oder es könnten internationale Einstiegsprogramme für Führungsnachwuchskräfte angeboten werden, die neben Projektarbeit in gemischtkulturellen Projektteams ein Qualifizierungsprogramm enthalten, das auch interkulturelle Trainings und interkulturelle Coachings integriert. Für die Potenzialanalyse, die nach spätestens sechs Monaten des neuen Mitarbeiters im Unternehmen zum ersten Mal durchgeführt werden sollte, eignet sich insbesondere das Potenzialgespräch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter im Rahmen des Jährlichen Mitarbeitergesprächs (vgl. Wirth 1996) oder ein Assessment-Center, das von der Personalabteilung durchgeführt wird. Für die interkulturelle Personalentwicklung ist es bei beiden Instrumenten wichtig, die Kriterien der interkulturellen Handlungskompetenz einzubauen und zu beurteilen. Interkulturelle Assessment-Center sind derzeit die optimale Lösung zur Diagnose interkultureller Handlungskompetenz. Wichtig ist auch, dass die Kriterien interkultureller Handlungskompetenz, die im Rahmen der Personalauswahl beurteilt wurden, identisch sind mit den Kriterien interkultureller Handlungskompetenz, die im Rahmen der Potenzialanalyse verwendet werden. Ist dies nicht der Fall, wird die interkulturelle Handlungskompetenz der Fach- oder Führungskraft an zwei unterschiedlichen Maßstäben gemessen; ein späterer Vergleich zur Beurteilung der Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz ist dann ausgeschlossen. Beim Thema Entwicklung geht es vor allem um die eindeutige Festlegung von Entwicklungswegen, die für jeden transparent ausweisen, was eine Fachoder Führungskraft in der Vergangenheit alles getan haben sollte, um in der Zukunft eine bestimmte Position im Unternehmen einnehmen zu können. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Eva-Ulrike Kinast/Alexander Thomas: Interkulturelle Personalentwicklung

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In internationalen Unternehmen sollten diese Entwicklungswege international gestaltet sein, weil dies natürlich eine sehr gute Möglichkeit zum interkulturellen Lernen ist (zumal wenn Entwicklungswege und entsprechende interkulturelle Qualifizierungsmaßnahmen miteinander verzahnt werden). Minimum sollte in jeder internationalen Karriere ein wenigstens sechsmonatiger Auslandsaufenthalt sein. Die Entwicklungswege können zum Beispiel im Rahmen des Jährlichen Mitarbeitergesprächs zwischen dem Vorgesetzten und dem Mitarbeiter abgestimmt werden. Die Qualifizierung ist ganz eindeutig der Schwerpunkt jeder interkulturellen Personalentwicklung. Zur Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz werden interkulturelle Trainings und interkulturelle Coachings eingesetzt. Jede Fach- oder Führungskraft, die irgendwann einmal international arbeiten will, sollte zumindest ein kulturallgemeines Sensibilisierungstraining durchlaufen haben. Zur Konzeption und Gestaltung bedarfsgerechter Trainings und Coachings werden die Ergebnisse der Potenzialanalyse verwendet. Wenn diese durch ein Potenzialgespräch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter im Rahmen des Jährlichen Mitarbeitergesprächs zustande gekommen sind, dann kann es aus Gründen der Objektivität und Validität sinnvoll sein, noch ein interkulturelles Assessment Center zur Bedarfsanalyse vorzuschalten. Wichtig ist, den Lernerfolg aufgrund des interkulturellen Trainings oder Coachings zu evaluieren. Der Zyklus von der Personalauswahl bis zur Qualifizierung spiegelt im Wesentlichen die Personalführung wider. Werden die einzelnen Teile des Zyklus verzahnt und auf diese Weise systematisch und regelmäßig angewendet, dann steht nach einiger Zeit im Unternehmen ein Pool an interkulturell handlungskompetenten Fach- und Führungskräften für internationale Einsätze zur Verfügung, aus dem weltweit die Nachfolge gespeist wird. Wird im Unternehmen ein solcher Human-Resources-Zyklus mit Berücksichtigung von Aspekten interkulturellen Lernens und Handelns aufgebaut, dann ist es bei vakanten Stellen oder Positionen nicht mehr notwendig, auf dem externen Erwerbstätigenmarkt zurückzugreifen, auf dem es heute schon nur ganz wenige Fach- und Führungskräfte gibt, die über interkulturelle Handlungskompetenz verfügen, und was sich in der Zukunft aufgrund der demographischen Entwicklung zumindest innerhalb Europas noch verschlimmern wird. Der vorgestellte Human-Resources-Zyklus wird in Abbildung 10 visualisiert. Der Erfolg einer interkulturellen Personalentwicklung hängt ganz entscheidend von drei Faktoren ab: – Erstens sollte unbedingt zu Beginn der Konzeption einer interkulturellen Personalentwicklung eine strategische Qualifikationsdiagnose gemacht werden. Dazu wird zusammen mit dem Vorstand oder der Geschäftsfüh© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Unternehmensziele

Personalauswahl

Inplacement

Performace Improvement Coaching

Zielvereinbarung

Anreizsystem

• • • •

Potenzialanalyse Laufbahngestaltung Qualifizierung Nachfolgeplanung

Führungskräfteund Personalentwicklung

Interkulturelle HR-Strategie

Personaleinstellung

HR-Strategie

Unternehmensstrategie

Vision

Internationalisierungsstrategie

internes Personalmarketing/ -recruitment

Stellenbesetzung

externes Personalmarketing/ -recruitment

Abbildung 10: Human-Resources-Zyklus

Personalplanung

Leistungsbewertung

248 Praxisfelder: Praxis der interkulturellen Praxisfelder

Unternehmenskultur Führung

Eva-Ulrike Kinast/Alexander Thomas: Interkulturelle Personalentwicklung

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rung und den oberen Führungskräften erarbeitet, wohin das Unternehmen in den nächsten zwei, drei und fünf Jahren sich strategisch entwickeln soll (soweit man heute noch so weit voraus in die Zukunft planen kann). Dann wird gemeinsam daraus abgeleitet, welche Kompetenzen die Fach- und Führungskräfte dazu brauchen und wie viele Fach- und Führungskräfte diese Kompetenzen brauchen. Will zum Beispiel ein deutsches Unternehmen eine große Vertriebsgesellschaft in den USA gründen und darüber ihre Produkte auf dem amerikanischen Markt anbieten, dann kann daraus abgeleitet werden, dass das Unternehmen in der Zukunft wenigstens eine Führungskraft auf Geschäftsleitungsebene braucht, die von ihrer Kulturzugehörigkeit her entweder ein US-Amerikaner ist oder ein Deutscher, die beide jeweils neben den entsprechenden fachlichen, sozialen, individuellen und strategischen Kompetenzen auch über kulturspezifische Kenntnisse über Deutschland beziehungsweise die USA verfügen und allgemein interkulturell handlungskompetent sind. – Zweitens ist der Erfolg der interkulturellen Personalentwicklung ganz entscheidend von dem im Unternehmen existierenden Führungsleitbild abhängig. In diesem sollte unbedingt als ein zentraler Wert die Wertschätzung und produktive Nutzung der Interkulturalität der Mitarbeiter verankert sein. Außerdem sollte in diesem Leitbild ausdrücklich gesagt werden, dass das Unternehmen die Internationalität seiner Mitarbeiter fördert und dass von jedem einzelnen Mitarbeiter eine persönliche Öffnung in Richtung Internationalität erwartet wird. Wenn dies noch nicht der Fall sein sollte, dann ist eine Überarbeitung oder Ergänzung des Führungsleitbilds dringend zu empfehlen. – Und drittens sollte das Unternehmen eine internationale Grundstrategie eindeutig festgelegt haben, die einen Rahmen für die Interkulturalität der Mitarbeiter in dem Unternehmen setzt. Durch die internationale Grundstrategie wird festgelegt, wer letztendlich im Konfliktfall die Oberhand behält. Eine so verstandene interkulturelle Personalentwicklung ist dann nicht mehr einfach nur ein standardisierter Weiterbildungskatalog, in dem hier und da mal ein interkulturelles Training »von der Stange« eingekauft und angeboten wird, sondern diese interkulturelle Personalentwicklung übernimmt tatsächlich die Verantwortung dafür, dass zu jeder Zeit in dem Pool von Fach- und Führungskräften ausreichend viele Fach- und Führungskräfte vorhanden sind, die nicht nur fachlich, sozial, individuell und strategisch entsprechend kompetent sind, sondern auch über eine ausreichend hohe interkulturelle Handlungskompetenz verfügen; sie trägt damit wesentlich zur Internationalisierung der Human Resources eines Unternehmens bei. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Praxisfelder: Praxis der interkulturellen Praxisfelder

Aus dem Pool von interkulturell handlungskompetenten Fach- und Führungskräften kann immer dann geschöpft werden, – wenn im Ausland eine Stelle oder Position vakant ist und zu deren Besetzung eine Fach- oder Führungskraft aus einem anderen Land als Expatriate (zusammen mit seiner Familie) dorthin entsendet oder versetzt werden soll. – wenn internationale Projekte anstehen, zum Beispiel die Einführung einer Standardsoftware als Produktionsplanungs- und Steuerungsinstrument eines Unternehmens, und zu diesem Zweck gemischtkulturelle Projektteams gebildet werden. – wenn Fach- oder Führungskräfte zwar im Heimatland leben, jedoch international arbeiten und dabei häufig mittels moderner Kommunikationstechnologien wie E-Mail, Telefon, Fax, Internet und andere mit Mitarbeitern, Kunden, Kollegen und anderen aus fremden Ländern und Kulturen kommunizieren. Die Gruppe der Expatriates und ihre Familien stand lange Zeit im Mittelpunkt des Interesses der interkulturellen Personalentwicklung.

1.2.3 Interkulturelle Personalentwicklung bei Auslandsentsendungen Die interkulturelle Personalentwicklung bei Auslandsentsendungen umfasst in der Regel sieben Phasen (vgl. Thomas et al. 1999). 1. Ist eine Stelle oder Position im Ausland zu besetzen, dann kann aus dem Pool von interkulturell handlungskompetenten Fach- und Führungskräften eine Person ausgewählt werden, deren Qualifikationsprofil auch die entsprechenden fachlichen, sozialen, individuellen und strategischen Kompetenzen aufweist. Das ist natürlich die optimale Situation. Leider ist es heute noch in vielen internationalen Unternehmen so, dass in den Human-Resources-Zyklus keine interkulturelle Personalentwicklung integriert ist. Das hat zur Folge, dass im Fall einer Auslandsentsendung nur sehr wenige Fach- oder Führungskräfte zur Verfügung stehen, die auf der einen Seite Interesse an einer Auslandsentsendung haben und aktuell ausreisebereit sind und auf der anderen Seite neben den entsprechenden fachlichen, sozialen, individuellen und strategischen Kompetenzen über eine ausreichend hohe interkulturelle Handlungskompetenz und über umfassende kulturspezifische Kenntnisse verfügen. Und was wird in diesen Fällen gemacht, wenn nur ein bis zwei Fach- oder Führungskräfte zur

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Verfügung stehen, die zwar fachlich die Anforderungen erfüllen und auch ausreisebereit sind, deren interkulturelle Handlungskompetenz aber zu wünschen übrig lässt? – Sie werden ins Ausland geschickt. Das ist heute Unternehmenspraxis. Und dann wundern sich die Unternehmen, warum so viele ihrer internationalen Projekte und Auslandsvorhaben scheitern! Ist mittels interkultureller Personalentwicklung kein Pool interkulturell handlungskompetenter Fach- und Führungskräfte gebildet worden, dann sollte in der Auswahlphase wenigstens mittels eines Interviews oder noch besser mittels eines interkulturellen Assessment Centers geprüft werden, ob die wenigen Personen, die zur Auswahl stehen, überhaupt geeignet sind, im Ausland zu arbeiten und zu leben. Eine Auslandsentsendung stellt an eine Fach- und Führungskraft sehr hohe Anforderungen. Einerseits soll sie in den typischen Managementfeldern wie Präsentation, Verhandlung, Konflikt, Projektarbeit, Führung und anderen angemessen agieren, andererseits hat sie mit einer Reihe von sozialen, soziokulturellen und beruflichen Belastungsfaktoren zu kämpfen, denen sie selbst und auch ihre mit ausgereiste Familie ausgesetzt ist. Ein Probebesuch im Zielland sollte das Auswahlverfahren unbedingt abrunden. 2. In der Entschlussphase, wenn die Wahl auf eine bestimmte Person gefallen und die Person endgültig zur Ausreise entschlossen ist, sollte der Expatriate unbedingt ein kulturspezifisches interkulturelles Orientierungstraining durchlaufen, das seine interkulturelle Lernfähigkeit und Handlungskompetenz fördert und ihm Wissen über die zentralen Kulturstandards des spezifischen Einsatzlandes vermittelt. Das interkulturelle Training sollte optimalerweise sowohl auf die ganz spezifischen Bedürfnisse und Bedarfe des Expatriates als auch auf das ganz spezifische Unternehmen zugeschnitten sein. Wird der Expatriate zur Vorbereitung auf den Auslandsaufenthalt einfach in ein externes Trainingsinstitut geschickt, dann kann er dort zwar auch interkulturell lernen, aber nur in einem standardisierten interkulturellen Training, das seine spezifischen Bedürfnisse und die des Unternehmens nur wenig berücksichtigt. Das ist natürlich immer noch besser, als gar keine Vorbereitung! Trotzdem sollte man sich immer wieder bewusst machen, dass eine spezifisch auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnittene Vorbereitung das Beste ist. Das Problem in diesem Zusammenhang ist häufig, dass nur ein einziger Expatriate vor der Ausreise steht und für einen einzigen Expatriate ein interkulturelles Training im Umfang von zwei bis drei Tagen einfach zu teuer ist. In diesem Fall gibt es dann entweder die Möglichkeit, den Expatriate in ein externes Trainingsinstitut zu schicken oder ein internes Training anzubieten, das die Bedürfnisse des Expatriates und des Unternehmens voll berücksichtigt, jedoch vom Umfang her wesentlich eingeschränkter ist. Ein solches Training bezeichnen Unternehmen in der Regel als »interkulturelles Coaching« (siehe © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Praxisfelder: Praxis der interkulturellen Praxisfelder

Kap. I, 2.4, S. 217 ff.); es dauert einen Tag lang. Häufig wird unterstellt, dass ein solches »Coaching« intensiver sei. Die Beobachtung vieler interkultureller Trainings ist jedoch, dass beim Lernen und Arbeiten unter vielen Trainingsteilnehmern aufgrund der entstehenden Gruppendynamik wesentlich intensiver gelernt wird. Deshalb ist zu empfehlen, ein internes Training anzubieten und dazu den Expatriate und andere Fach- oder Führungskräfte einzuladen, die in ihrem Job häufiger Kontakt zu fremdkulturellen Personen haben. In diesem Fall kann das Training auf das Unternehmen und auf die Bedürfnisse des Expatriates zugeschnitten werden, es wird vom Umfang her der Komplexität des Themas gerecht und es übersteigt nicht die Kosten, weil auch noch andere Fach- und Führungskräfte davon profitieren. Darüber hinaus kann das im Unternehmen angebotene interkulturelle Training auch anderen Unternehmen angeboten werden, wobei dann für diese Unternehmen das Training nicht unternehmensund bedürfnisspezifisch ist. Aufgrund der besonderen Problematik der mitausreisenden Partner wird dringend empfohlen, den Partner ebenfalls vorzubereiten. Die Partner können dabei durchaus ein und dasselbe interkulturelle Training besuchen. Allerdings ist häufig zu beobachten, dass sich der Partner oder die Partnerin langweilt, wenn die Inhalte des Trainings zu sehr auf die typischen Managementfelder ausgerichtet sind. Deshalb ist hier zu empfehlen, für den Expatriate ein internes Training anzubieten, das seine Bedürfnisse und die Bedürfnisse des Unternehmens befriedigt, in dem es unter anderem auf Inhalte typischer Managementfelder ausgerichtet ist, und den Partner in ein gesondertes externes interkulturelles Training zu schicken, das eher auf dessen Bedürfnisse eingeht. Auch Kinder ab etwa einem Alter von sechs Jahren sollten vorbereitet werden. Darauf haben sich sogar einige interkulturelle Trainingsanbieter spezialisiert (IHK Lübeck 1999). 3. In der Ausreisephase sollte kurz nach der Ankunft im Ausland im Rahmen eines interkulturellen Einarbeitungstrainings on-the-job eine Kulturschock-Bearbeitung, eine Akkulturationsbegleitung und der Aufbau einer interkulturellen Lern- und Erfahrungskompetenz stattfinden. 4. Nach der Ausreise sollte im Ausland ein interkulturelles Verlaufstraining durchlaufen werden, das die interkulturelle Reflexions- und Attributionskompetenz sowie die arbeitsspezifische Lern- und Handlungskompetenz fördert. Der Zeitpunkt dafür orientiert sich optimalerweise am Akkulturationsverlauf; das erste Verlaufstraining oder Coaching sollte jedoch auf keinen Fall später als zwölf Wochen nach der Ankunft im Ausland stattfinden. Während des gesamten Auslandsaufenthalts sollten der Expatriate und sein Partner die Option erhalten, ein interkulturelles Coaching zur Aufarbeitung von kritischen Interaktionssituationen mit Einheimischen in Anspruch zu nehmen und dadurch die psychischen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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und physischen Belastungen, verursacht durch das völlig neuartige Arbeits- und Lebensumfeld zu reduzieren. In Konfliktsituationen mit fremdkulturellen Mitarbeitern und Kollegen kann sich hier auch ein interkulturelles Teamcoaching anbieten. 5. In der Rückreisephase sollte der Expatriate im Rahmen eines Reintegrationstrainings im Ausland auf die »neue« Arbeitssituation im Stammhaus vorbereitet werden. Häufig gibt es keine verlässlichen und verbindlichen Zusagen über die Einnahme einer bestimmten Stelle oder Position nach der Rückkehr, und häufig ist auch die Rückkehr mit einem Statusverlust verbunden, da das Besondere und Herausgehobene des Auslandseinsatzes bei der Wiedereingliederung in das Stammunternehmen verloren geht. Dazu kommt noch, dass sich Karriereversprechungen im Anschluss an einen Auslandsaufenthalt nach der Rückkehr oft in Luft auflösen. Auf alle diese Punkte sollte der Expatriate vorbereitet werden, damit er nach seiner Rückkehr nicht allzu enttäuscht ist. Außerdem sollte in dieser Phase die Übergabe der Arbeit im Gastland stattfinden. 6. In der Reintegrationsphase sollte in einem Reintegrationstraining im Heimatland der Reentry-Schock bearbeitet werden, dann sollte der Rückkehrer in die Unternehmenskultur und Nationalkultur seines Heimatlandes wieder eingearbeitet und seine interkulturellen lebens- und Arbeitserfahrungen reflektiert und aufgearbeitet werden. 7. In der Distributionsphase sollten die Erfahrungen des Expatriates und seines Partners an Nachfolger und neue Auslandsmitarbeiter weitergegeben werden, die interkulturellen Erfahrungen in einen Expertenpool eingegeben werden. Rückkehrer machen häufig die Erfahrung, dass sich eigentlich niemand für sie und ihre Auslandserfahrungen interessiert, und sind dann enttäuscht. Diese Erfahrung und Gefühle können auf diese Weise abgemildert werden. Entscheidend ist jedoch, dass aus dem Expertenpool an interkulturellen Erfahrungen über typische kritische Interaktionssituationen und anderes dann wiederum die Inhalte für das interkulturelle Assessment Center und die interkulturellen Trainings gespeist werden können. Die Phasen interkultureller Personalentwicklung bei Auslandsentsendungen sind in Abbildung 11 visualisiert. Die interkulturelle Personalentwicklung als Funktion oder gar Abteilung im Unternehmen unterstützt den Expatriate und seine Familie während aller genannten Phasen. Wichtig ist, dass sie erkennt, wann wirklich Hilfe notwendig ist und Unterstützung kommen sollte und wann sie sich zurücknehmen und den Expatriate seine eigenen Erfahrungen machen lassen sollte. Häufig fühlen sich die Expatriates von ihrem Unternehmen im © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Praxisfelder: Praxis der interkulturellen Praxisfelder

Informationspool

Abbildung 11: Phasenmodell interkultureller Personalentwicklung bei Auslandsentsendungen

Heimatland eher im Stich gelassen als mit Hilfsangeboten überhäuft. Erfahrungsgemäß wollen die Expatriates aber »den Kaffee nicht nur eingeschenkt haben«, sondern sie erwarten sich, dass die interkulturelle Personalentwicklung »auch noch den Zucker hineintut und umrührt«, so die Worte eines ehemaligen Entsandten eines großen internationalen Unternehmens in Deutschland. Und das ist ganz sicher nicht der Auftrag der in-

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terkulturellen Personalentwicklung im Unternehmen. Was alles in den einzelnen Phasen gemacht werden kann, ist zum Beispiel bei Bittner und Reisch (1994) ausführlich beschrieben. In der Vergangenheit waren es die Expatriates und ihre Familien, die im Mittelpunkt des Interesses der interkulturellen Personalentwicklung standen. Seit ein paar Jahren ist eine Veränderung wahrnehmbar, und die Gruppe der Fach- und Führungskräfte, die zwar im Heimatland leben, aber international arbeiten, rückt immer stärker in den Mittelpunkt des Interesses der interkulturellen Personalentwicklung. Wichtig ist hier, dass alle die gemachten interkulturellen Erfahrungen von den im Ausland tätigen Fach- und Führungskräften wieder in die interkulturelle Personalentwicklung eingespeist und dort zur Gestaltung der Inhalte von Diagnoseinstrumenten und Trainings verwertet werden und auf dieser Grundlage dann wiederum Fach- und Führungskräfte auf internationale Einsätze vorbereitet werden, und zwar kultur- und unternehmensspezifisch. Nur durch eine interkulturelle Personalentwicklung, die interkulturelles Wissen von denjenigen abfragt, die tatsächlich international arbeiten und interkulturelle Erfahrungen machen, ist es möglich, Fach- und Führungskräfte angemessen auf die hohen Anforderungen ihrer internationalen Tätigkeit vorzubereiten.

1.2.4 Zusammenfassung und Ausblick In internationalen Unternehmen ist eine interkulturelle Personalentwicklung notwendig, um zum richtigen Zeitpunkt, das heißt, wenn zum Beispiel eine Stelle oder Position im Ausland vakant ist, ausreichend viele Fach- und Führungskräfte zur Auswahl zu haben, die neben fachlichen, sozialen, individuellen und strategischen Kompetenzen über eine interkulturelle Handlungskompetenz verfügen. Besonders wichtig ist, dass interkulturelle Personalentwicklung nicht bedeutet, einfach nur einmal interkulturelles Training anzubieten und ins Weiterbildungsprogramm zu schreiben. Interkulturelle Personalentwicklung ist ein Zyklus, dessen einzelne Schritte miteinander verzahnt sein und dessen Bausteine aufeinander aufbauen müssen. Interkulturelle Personalentwicklung ist heute auch nicht mehr nur Vorbereitung, Begleitung und Wiedereingliederung von Expatriates und deren Familien. Zunehmend rücken andere Zielgruppen, insbesondere Fachund Führungskräfte, die zwar im Heimatland leben, aber international arbeiten, in den Mittelpunkt des Interesses. Interkulturelle Personalentwicklung bekommt damit eine ganz andere Dimension: Plötzlich geht es nämlich darum, dafür zu sorgen, dass die gesamte Resource Personal in-

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Praxisfelder: Praxis der interkulturellen Praxisfelder

ternationalisiert wird. Die interkulturelle Personalentwicklung bekommt damit einen strategischen Auftrag. Eine Einschränkung bleibt: Im Rahmen des vorgestellten Human-Resources-Zyklus können in den einzelnen Schritten und Instrumenten tatsächlich interkulturelle Aspekte des Lernens und Handelns von Fach- und Führungskräften berücksichtigt werden. Gleichzeitig bleibt jedoch der Einfluss der Kultur auf den Zyklus als solchen und auf die Gestaltung der einzelnen Bausteine unberücksichtigt. Auf die vorgestellte Art und Weise findet Human-Resources-Management in Deutschland statt, aber nicht überall auf dieser Welt (vgl. Regnet u. Hofmann 2000).

Literatur Bittner, A.; Reisch, B. (1994): Interkulturelles Personalmanagement: internationale Personalentwicklung, Auslandsentsendungen, interkulturelles Training. Wiesbaden. Drumm, H. J. (2000): Personalwirtschaftslehre. 4. Auflage. Berlin/Heidelberg u. a. Industrie- und Handelskammer zu Lübeck (Hg.) (1999): Auslandsknigge. Verhaltensregeln, Geschäftssitten, Etikette. Eine Auswahlbibliographie sowie Anbieter Interkultureller Beratungs- und Trainingsleistungen in Deutschland. Lübeck. Meckl, R. (2001): Der M&A-Prozeß. In: Bolten, J.; Schröter, D. (Hg.), Interkulturelle Wirtschaftskommunikation. Forschungsstand und Perspektiven. Sternenfels. Regnet, E.; Hofmann, L. M. (Hg.) (2000): Personalmanagement in Europa. Schriftenreihe Wirtschaftspsychologie (Hg. v. H. Schuler). Göttingen/Bern u. a. Scherm, E. (1999): Internationales Personalmanagement. 2. Auflage. München/ Wien. Stahl, G. K. (1998): Internationaler Einsatz von Führungskräften. München/Wien. Thomas, A.; Kinast, E.-U.; Schroll-Machl, S. (1999): Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz von international tätigen Fach- und Führungskräften durch interkulturelle Trainings. In: Götz, K. (Hg.), Interkulturelles Lernen/Interkulturelles Training. München/Mering, S. 97–122. Wirth, E. (1996): International orientierte Personalentwicklung. In: Bergemann, N.; Sourisseaux, A. L. J. (Hg.), Interkulturelles Management. 2. Auflage. Heidelberg, S. 201–228.

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Praxisfelder: Praxis der interkulturellen Praxisfelder

Georg Felser: Interkulturelles Marketing

Georg Felser

1.3 Interkulturelles Marketing

»Billy« will wirklich jeder haben. Darum hat sich das schwedische Möbelhaus IKEA auf den langen Marsch ins Reich der Mitte begeben und in Peking seine weltweit 150. Filiale eröffnet (Wenderoth u. Schmitz 2002). Den Schritt auf den chinesischen Markt hat IKEA ganz im Geist der Globalisierung vollzogen – sofern damit gemeint ist, dass auf einem globalen Markt praktisch überall alles verkauft werden kann. So sind die 5000 Artikel in der Pekinger Filiale exakt die gleichen wie jene, die man auch in Hamburg oder Stockholm bekommen kann (Wenderoth u. Schmitz 2002). Aber so überzeugend Verkaufskonzept und Sortiment bei IKEA auch sein mögen, es zeigen sich doch immer wieder Grenzen der Globalisierung, die eine Rücksicht auf die spezifische Kultur fordern. Skurril und amüsant muten dabei die folgenden Beispiele an: Chinesische Kinder tragen keine Windeln. Statt dessen lässt die Bekleidung für die Kleinen im Schritt eine große Lücke, durch die der potenzielle Windelinhalt ohne Umweg an die frische Luft entlassen wird. Dieser Umstand ruft bei den Verantwortlichen für die Kinderbetreuung im Erdgeschoss Zweifel hervor, »ob es ratsam sei, das Bassin mit Tausenden von roten Plastikbällen zu füllen« (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 172). Ebenfalls befremdlich erscheint dem westlichen Beobachter die Selbstverständlichkeit, mit der die chinesischen Besucher die bequemen Ausstellungsstücke, Betten und Sofas für ein Nickerchen nutzen. Gegen Mittag, wenn alles müde zu werden beginnt, wird dann die Verkaufsfläche schnell zu einem regelrechten Schlafsaal (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 169). Beispiele wie diese stellen das Marketing noch nicht vor ernste Probleme. Sie weisen aber darauf hin, dass das Verhalten der Konsumenten noch längst nicht global standardisiert ist. Auf diese wie auf andere kulturelle Besonderheiten muss das Marketing Rücksicht nehmen. Diese Erfordernisse werden im Folgenden diskutiert. Dabei legt der Beitrag seinen Schwerpunkt auf die psychologische Seite des Marketing, also auf jenen Teil, der weniger mit der Logistik bei der Umsetzung des Marketing-Mix zu tun hat als vielmehr mit den Gesetzmäßigkeiten im Verhalten der Marktteilnehmer.

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Praxisfelder: Praxis der interkulturellen Praxisfelder

1.3.1 Standardisierung und Differenzierung Eine Kernfrage beim internationalen Marketing ist stets: Darf die Marketingstrategie in allen angezielten Ländern die gleiche sein? Darf man mit der gleichen Werbung auftreten? Müssen Design des Produkts oder gar sein Name für den neuen Markt geändert werden? Eine neu angepasste Strategie wäre zum einen enorm kostenaufwendig. Zum anderen verringern sich mit der länderspezifischen Differenzierung die Chancen auf eine klare internationale Markenidentität. Wenn mit einem einzigen Spot ein Produkt weltweit beworben werden könnte, dann würde dies mehrere Millionen Euro sparen. Bereits der Prozess der Namensgebung kann, wenn er sorgfältig durchgeführt wird, sehr aufwendig sein (Kohli et al. 2001). Gerade hier sollte die Internationalisierung bereits vorweg genommen und eine mögliche Übertragbarkeit in andere Sprach- und Kulturkreise erprobt werden. Ob sich ein Name auch in fremden Sprachen bewährt, lässt sich in gewissen Grenzen vorhersagen. Gern werden hierzu klassische Negativbeispiele zitiert, etwa der Chevy Nova, der im spanisch sprechenden Kulturkreis noch vor der ersten Panne zu der spöttischen Assoziation Anlass gab: »Chevy no va – der Chevy geht nicht«. Im Französischen klang der Zweisitzer von Toyota MR 2 wie »merde«, was dort sicherlich ebenso wenig Hochwertigkeit suggeriert wie im Deutschen die Bezeichnung »Silver Mist« für ein Modell von Rolls-Royce (siehe etwa Kohli et al. 2001; Müller u. Kornmeier 1995). Demgegenüber steht etwa der weltweite Erfolg des Allzeit-Positivbeispiels Coca-Cola. Wo selbst das hartnäckigste Festhalten an einer einheitlichen Markenpolitik an natürliche Grenzen gestoßen wäre, ist dem Konzern eine glückliche Fügung zu Hilfe gekommen. Als das Produkt auf den chinesischen Markt drängte, stellte sich das Problem, wie Coca-Cola in die fremde Schrift übertragen werden soll. In solchen Fällen gibt es zwei Optionen: Zum einen kann man versuchen, die Laute der Ursprungssprache zu bewahren. Das Ergebnis dieser Übersetzungen sind dann freilich in der Regel Unsinnswörter, die in der neuen Sprache keine Bedeutung haben. Zum anderen kann man aber auch versuchen, in den neuen Namen bestimmte Eigenschaften des Produkts aufzunehmen oder eine bereits vorhandene Bedeutung des Namens zu erhalten. Im Fall von Coca-Cola ist der Spagat zwischen beiden Optionen gelungen. Das chinesische Wort bewahrt zum einen etwas vom ursprünglichen Klang, besitzt zusätzlich aber auch eine Bedeutung: »Kekou kelè ist eine interpretierende lautangleichende Übernahme von Coca-Cola. . . . Die chinesische Übersetzung kennt in China jedermann. Sie klingt phonetisch ähnlich wie Coca-Cola, so dass der Konsument sogleich an ein ausländisches Produkt denkt. Zusätzlich lenkt die Bedeutung der chine-

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Georg Felser: Interkulturelles Marketing

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sischen Lautfolge die Fantasie jedoch in eine bestimmte Richtung. Denn sie besagt wörtlich: ›Es schmeckt gut, und man trinkt es mit Behagen.‹ Diese reizvolle Übersetzung kann sowohl unter marktpsychologischen wie kommerziellen Gesichtspunkten als ein hervorragendes Beispiel für die Übernahme eines fremden Produktnamens angesehen werden« (Jinlong 1994, S. 19). Ähnlich glücklich ist es IKEA ergangen. Die chinesische Übersetzung »Yi Jia« entfernt sich lautlich ebenfalls nicht weit von dem Original, und mit der Bedeutung »Geeignet für die Familie« kann der schwedische Möbelgigant sicher auch gut leben (vgl. Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 168). Weniger gelungen erscheint dagegen die chinesische Übersetzung des Wortes »Riesling«. Mit »Léi Silìng« nähert man sich zwar lautlich dem Ursprungsbegriff, jedoch handelt es sich bei der Übersetzung um eine militärische Anrede, ungefähr zu übersetzen als »Kommandeur Donner« (Jinlong 1994). Könnte man auf eine aufwendige Anpassung des Marketing an die jeweils fremde Kultur verzichten, dann würde sich die damit verbundene Kostenersparnis zunächst in deutlich zentralistischeren Organisationsstrukturen bei den Firmen zeigen. Im nächsten Schritt ergeben sich Möglichkeiten, die Kosten- und Preisvorteile an die Konsumenten weiterzugeben, was die Position auf dem Markt stärkt. Eine starke Marktposition bedeutet nichts wesentlich anderes, als dass viele Leute das eigene Produkt kaufen, was wiederum ein Anzeichen zunehmender Homogenisierung der Märkte ist. Damit schließt sich ein theoretisch unterstellter Kreislauf (zitiert nach Müller u. Kornmeier 1995, S. 341 f.): – Homogenisierung der Verbraucherbedürfnisse ermöglicht die – Standardisierung der Marketingmittel. Dies ermöglicht die – Zentralisation der Organisationsstrukturen, was einen – Kosten- und Preisvorteil bringt. Wird der an die Verbraucher weitergegeben, so stärkt sich die eigene Marktposition, was wiederum eine Homogenisierung der Verbraucherbedürfnisse zur Folge hat. Und so weiter. Diese Idee gilt theoretisch. Praktisch steht diesem Kreislauf eine Reihe von Hindernissen im Weg, die weniger ein standardisiertes als vielmehr ein interkulturell differenziertes Marketing erfordern.

1.3.2 Warum ist interkulturelles Marketing notwendig? Wer viel reist, wird in der Regel einen geschärften Sinn für kulturelle Unterschiede und Vielfalt entwickeln. Müller und Kornmeier (1995, S. 346) leiten daraus die These ab, dass sich aus immer häufiger werdender Aus-

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Praxisfelder: Praxis der interkulturellen Praxisfelder

landsreisen ein allgemeines Bedürfnis nach Bewahrung kultureller Eigenheiten entwickelt. Die Motive hierzu dürften freilich sehr unterschiedlich sein. Zum einen ist die Fremdartigkeit der Zielkultur für den reisenden Touristen gerade eines seiner Motive beim Reisen; für reisende Geschäftsleute ist allerdings diese Fremdartigkeit mitunter eher ein Handicap. Zum anderen sieht sich vielleicht die bereiste Zielkultur ab einer gewissen Menge von Besuchern bedroht und befürchtet einen Identitätsverlust. Das Argument von Müller und Kornmeier zeigt aber eines: Manche Merkmale der Globalisierung, etwa der häufiger werdende Kontakt zwischen Angehörigen der jeweiligen Kulturen, kann gerade gegen die vollständige Homogenisierung der Lebensumstände sprechen. Dieser Punkt findet sich auch auf der Ebene des Konsumgütermarketing wieder. Oft treten Produkte als »fremd« oder »exotisch« in Erscheinung und werden gerade dadurch für die Konsumenten in anderen Kulturen attraktiv. Eine allzu starke Anpassung an den ausländischen Markt wäre hier kontraindiziert, solange diese Anpassung den fremdländischen Charakter beeinträchtigt. Coca-Cola tritt so gesehen nicht unbedingt als ein »Allerweltsprodukt« auf, sondern eher als ein Botschafter für den American way of life. Auch IKEA bemüht sich, in China immer noch möglichst schwedisch zu erscheinen. Mit Hilfe einer Bildergalerie soll dem chinesischen Besucher sogar ein Eindruck von der schwedischen Landschaft und Lebenswelt vermittelt werden (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 168). Möglicherweise werden etliche der bestehenden Unterschiede zwischen den Kulturen durch zunehmende Globalisierung eher bewahrt oder gar verstärkt, als dass sie eingeebnet würden. Mittelfristig ist es daher wohl unausweichlich, Marketingbemühungen an die angezielte Kultur anzupassen und zu differenzieren. Die folgenden Ausführungen sollen diese These anhand einer Reihe von Beispielen stützen. Dabei darf freilich nicht vergessen werden, dass die angesprochenen kulturellen Unterschiede auch unterschiedlich flexibel sind.

1.3.3 Politische und rechtliche Rahmenbedingungen Eine frühe Hürde für interkulturelle Marketingbemühungen stellen Genehmigungsverfahren in dem Zielland dar. IKEA hat dank chinesischen Joint-Venture-Partnern nur die vergleichsweise geringe Wartezeit von einem halben Jahr bis zu Genehmigung hinnehmen müssen. Unerwartet waren dann allerdings noch Hygieneuntersuchungen, die ohne Ankündigung von Kantine und Toiletten auf Sofas, Vorhänge und Teppiche ausgedehnt

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wurden, und ein plötzlicher Beschluss der Stadtverwaltung, der die Möbelfirma zwang, ihre sämtlichen europäischen Stecker, obwohl für chinesische Steckdosen tauglich, durch den amtlichen China-Stecker zu ersetzen (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 171 f.). Marketingstrategien müssen sich zudem an die lokalen Einstellungen gegenüber der Marktentwicklung anpassen. Zum Beispiel funktioniert der US-amerikanische Markt gegenüber dem europäischen sehr viel liberalistischer. In Europa, vor allem in Deutschland, war es bis zum Zweiten Weltkrieg nicht ungewöhnlich, wenn Unternehmen Kartelle gebildet haben. Ähnlich war es in Japan. Vor diesem historischen Hintergrund ist die Einstellung in den verschiedenen Ländern gegenüber der Gefahr von Monopolen noch immer unterschiedlich (vgl. Usunier u. Walliser 1993). Auch das Eingreifen von Staat und Regierung in die Entwicklung einzelner Unternehmen – wie zum Beispiel die Intervention des deutschen Bundeskanzlers zur Rettung des Bauunternehmens Holzmann im Jahr 1999 – wird in Europa in einem Ausmaß geduldet, wie es in den USA undenkbar wäre. Im Februar 2002 reagierte der Kommentator des »Time«-Magazins Josef Joffe mit Unverständnis auf das abweisende Verhalten der deutschen Bundesregierung gegenüber Investitionsvorhaben aus dem Ausland. Joffe nennt als Beispiele den australischen Medienunternehmer Rupert Murdoch, der Interesse am zerfallenden Medienimperium von Leo Kirch angemeldet hatte, sowie das amerikanische Telekommunikationsunternehmen Liberty Media von John Malone. Im letzteren Fall hätte eine Investition aus dem Ausland eine erhebliche Komfortverbesserung für private Internetnutzer bedeutet. Die Übertragungsgeschwindigkeiten für Internetdaten liegen in den USA mindestens sechsmal höher als dies die Telekom deutschen Kunden ermöglicht. Joffe folgert: »Again the basic mercantilist motto is this: ›Don’t help the consumer, protect the producer‹ – by keeping out foreign competition« (»Time«, 25.2.2002, S. 25). Verhaltensweisen wie diese prägen die Erwartungen ausländischer Investoren, sie bilden eine wichtige Grundlage für interkulturelle Marketingentscheidungen. Noch weiter gehende Einschränkungen gehen von den rechtlichen Rahmenbedingungen für das Marktverhalten aus. Auch hierin spiegeln sich letztlich kulturelle Unterschiede, allerdings hat, wer gegen solche Bestimmungen verstößt, nicht allein den Misserfolg, sondern vermutlich gleich ein Verbot zu fürchten. Interkulturell unterschiedliche rechtliche Bestimmungen betreffen zum Beispiel – die Darstellung von Tabuthemen (Nacktheit, Sex, Tod) in der Werbung, – Werbung mit und vor Kindern, – Ladenschlusszeiten, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Schutz der Verbraucher vor Missbrauch, zum Beispiel Druck durch bestimmte Verkaufsförderungsmaßnahmen (Werbegeschenke, Rabatte). Der letztere Punkt wurde zum Beispiel in Deutschland bis vor kurzem vom Rabattgesetz geregelt, dem zufolge es nicht erlaubt war, Rabatte oder Geschenke zu gewähren, die über drei Prozent des Warenwertes ausmachten. Dieses Gesetz stammte noch aus dem Jahr 1933 und war eigentlich dazu gedacht, Verbraucher vor einem allzu starken Druck durch Zuwendungen und Entgegenkommen der Verkäufer zu schützen. Der Gedanke hinter einem solchen Verbot entbehrt nicht der psychologischen Grundlage – die Erwartung, es sei für jeden mündigen Verbraucher ein Leichtes, sich dem situationalen Druck solcher Verkaufsstrategien zu entziehen, lässt sich demgegenüber wissenschaftlich wesentlich schlechter begründen (Cialdini 2001; Felser 2001). Von Land zu Land unterschiedlich sind auch die Schutzmaßnahmen, die gegen Raubkopien oder das Fälschen von Markenartikeln ergriffen werden. China ist in diesem Punkt außerordentlich tolerant; hier werden jährlich Markenartikel im Wert von rund 15 Milliarden Euro kopiert. Daher hört zum Beispiel der Besucher in der Pekinger IKEA-Filiale regelmäßig: »Wir wünschen Ihnen eine schöne Zeit bei IKEA – aber machen Sie bitte keine Fotos!« (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 170).

1.3.4 Kulturelle und ökonomische Rahmenbedingungen Manche Produkte sind so eng an kulturelle Gebräuche geknüpft, dass sie ohne den kulturellen Hintergrund überhaupt keinen Sinn ergeben, etwa Faschingskostüme, Halloween-Masken, aber auch Hochzeitskleider. Andere Produkte hängen möglicherweise etwas subtiler mit der jeweiligen Kultur zusammen, sind aber gleichwohl von dieser Rahmenbedingung abhängig. So hängen die Absatzchancen von Fertiggerichten davon ab, welche gesellschaftliche Funktion die Mahlzeiten haben: Wann, wie, welchem Kreis und in welcher Dauer werden sie eingenommen? Welche Rolle spielt hierbei die Zubereitung? Wie müssen sie zusammengesetzt sein? Je nach Kultur ist es mehr oder weniger sinnvoll, auf Zeitersparnis, einfache Zubereitung, Haltbarkeit, Verfügbarkeit exotischer Zutaten oder andere Eigenschaften des Produkts hinzuweisen. Es lassen sich leicht Kulturen denken, in denen Fertiggerichte überhaupt keine Absatzchancen haben. Besonders gravierend wirken Einschränkungen durch den ökonomischen Kontext: Eines der größten Probleme von IKEA in Peking stellen die

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beschränkten Wohnverhältnisse der chinesischen Bevölkerung dar. Einbauküchen oder Schrankwände verkaufen sich daher nur schlecht, denn »die durchschnittliche chinesische Küche ist so groß wie bei uns eine Garderobe« (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 170). Dieser Umstand hat erheblichen Einfluss darauf, womit in China Umsatz erzielt wird. Alles, was »platzsparend, an die Wand zu schrauben oder faltbar ist«, Becher und Teelichter verkaufen sich sehr gut, raumgreifende Möbel dagegen nicht. Zudem liegen die Preise von IKEA noch immer – gemessen am chinesischen Einkommen – viel zu hoch. Obwohl IKEA in Peking wesentlich billiger ist als in Europa oder Nordamerika, gilt der Möbelkonzern noch immer als teuer. Weitere Preissenkungen sind daher geplant (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 170). Zu den ökonomischen Rahmenbedingungen einer Kultur gehört auch, welches Gewicht bestimmte Konsumgüter im Gesamtbudget eines Haushalts einnehmen. Ein Land, in dem der Durchschnittsbürger zum Beispiel über zehn Prozent seines Einkommens für Bekleidung und Schuhe ausgibt, wird gegenüber dieser Produktkategorie interessierter sein als eines, wo für den einzelnen Konsumenten allenfalls fünf Prozent des Einkommens auf diesen Posten entfällt. Interessanterweise deutet gerade dieses Strukturmerkmal in Europa auf eine zunehmende Differenzierung zwischen den Kulturen. Von 1985 bis 1990 vergrößerten sich in fast allen größeren Produktkategorien die Unterschiede in der Ausgabenstruktur in den europäischen Ländern (Befunde zitiert nach Müller u. Kornmeier 1995, S. 344). Einzig die Ausgaben für Energie haben sich in den europäischen Ländern in den untersuchten fünf Jahren angeglichen. In anderen Bereichen wie etwa Körperpflegeprodukte, Bekleidung, Nachrichtentechnik oder Haushaltsführung vergrößerten sich die Unterschiede zwischen den Mitgliedern der Europäischen Gemeinschaft. Am stärksten divergent entwickelten sich die Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel, die mit einem Anteil von 20 Prozent die gewichtigste Produktkategorie in den europäischen Privathaushalten bilden.

1.3.5 Sozialpsychologische Rahmenbedingungen Fragt man Mitarbeiter unterschiedlicher Nationen, welches Vorgesetztenverhalten sie bevorzugen, so erhält man mitunter deutlich unterschiedliche Präferenzen. Fragt man nun aber Mitarbeiter in internationalen Arbeitsgruppen, also Personen, die bereits in einer multikulturellen Umgebung arbeiten, verringern sich diese Unterschiede nicht etwa, sondern sie fallen

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sogar noch pointierter aus (vgl. Usunier u. Walliser 1993, S. 53 ff.). Dieser Befund unterstreicht, dass kulturelle Unterschiede in Einstellungen und Werthaltungen auch in multikulturellen Gesellschaften erhalten bleiben und dass sie dort womöglich noch verstärkt werden. Aus sozialpsychologischer Perspektive ist dieser Befund nicht unbedingt überraschend. In einer Vielzahl von Arbeiten (z. B. Tajfel 1981) konnte gezeigt werden, dass Menschen eine ausgeprägte Neigung haben, Gruppenidentitäten zu bilden und nach außen zu kommunizieren – selbst wenn die Gruppe, der sie angehören eigentlich eine benachteiligte ist. Dies macht es zum Beispiel unplausibel, dass wirklich alle Menschen so sein und leben wollen wie Westeuropäer oder US-Amerikaner – selbst wenn die Angehörigen anderer Gruppen zugeben, dass etliche Elemente dieser Kulturen durchaus wertvoll und erstrebenswert sind. Aus der genannten psychologischen Perspektive erscheint es sogar plausibel, dass Völker und Kulturen ein um so stärkeres Bedürfnis nach Abgrenzung und Eigenständigkeit haben, je näher sie den jeweils anderen sind. Danach wäre denn auch zu erwarten, dass Kulturen, die in demselben Unternehmen oder auch in demselben Nationalstaat aufeinander treffen, ausgeprägtere Gegensätze zeigen als Kulturen, die in einer gewissen Entfernung voneinander koexistieren. Im Rahmen kleiner Gruppen haben sich die angedeuteten Abgrenzungsphänomene nachweisen lassen. Die Übertragung auf Kulturkreise, die gleich mehrere Staaten umfassen, ist zwar nahe liegend, enthält aber einen Großteil Spekulation. Gleichwohl drängt sich die Frage auf, inwieweit ein Globalisierungstrend, der vor allem von westlichen Werten geprägt ist, in nichtwestlichen Kulturen das Bedürfnis schürt, eigene Werte zu kommunizieren oder gar sich durch Abschottung oder offenen Kampf zur Wehr zu setzen. Die Neigung, Identitäten durch Gruppenzugehörigkeit zu kommunizieren, kann man vermutlich als eine psychologische Konstante ansehen. Variabel ist allerdings, welches Kriterium die Gruppe definiert. Soziale Schicht, Nationalität oder Religion bilden auf unterschiedliche Weise Subkulturen. Die Gewichte zwischen diesen Gruppierungskriterien verschieben sich, je nachdem welches Kriterium im Vordergrund steht und besonders leicht »ins Auge fällt«. Ein typischer Eigengruppen-Bonus zeigt sich auch im Marktverhalten. Zum Beispiel werden in der Regel Produkte aus dem eigenen Land bevorzugt. Dieser Haupteffekt wird allerdings durch die jeweilige Kultur noch einmal moderiert: Guerhan-Canli und Maheswaran (2000) konnten zeigen, dass Mitglieder einer eher kollektivistischen Kultur (Japan) das Produkt aus dem eigenen Land unter allen Umständen bevorzugten, auch wenn es im Qualitätsvergleich eigentlich das unterlegene war. US-amerika© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nische Konsumenten bevorzugten das Produkt aus dem eigenen Land nur, wenn es zudem eine überlegene Qualität zeigte.

1.3.6 Dimensionen der Unterschiedlichkeit Usunier und Walliser (1993, S. 38 ff.) greifen Forschungsergebnisse aus verschiedenen Quellen auf und erstellen daraus eine Systematik kultureller Unterschiede. Wesentliche Unterscheidungsdimensionen sehen sie in den folgenden Merkmalen: – Die Bedeutung der einzelnen Person gegenüber der Gruppe – Das Zeitverständnis – Die Einstellung zum Handeln – Das Selbstkonzept gegenüber dem Fremdkonzept Im folgenden werden diese Dimensionen näher erläutert und ihre marktpsychologische Relevanz diskutiert.

Person und Gruppe Die erste Dimension betont die Regeln der Gruppenzugehörigkeit, zum Beispiel was aus der Zugehörigkeit folgt oder unter welchen Bedingungen man Mitglied wird. Für das interkulturelle Marketing sind die Regeln der Gruppenzugehörigkeit aus vielen Gründen wichtig. Zwei Beispiele: Produkte, die geeignet sind, den Status in einer Gruppe zu verbessern, können diesen Zweck nur erfüllen, wenn die Regeln der Gruppenzugehörigkeit überhaupt die begehrte Statusverbesserung auf diesem Weg zulassen. Zum Beispiel konnten im Europa früherer Jahrhunderte Bürger durch Reichtum nicht in den Adelsstand aufsteigen. Wer damals Werbung für wirtschaftliche Höchstleistungen machen wollte, konnte daher das Werbeargument »Statusverbesserung« nur begrenzt einsetzen. Es ist auch eine Frage der Gruppenzugehörigkeit, in welchem Ausmaß Vertrauen entgegengebracht wird. Ein Verkäufer, der zur »out-group« gehört, ist daher auf mehr vertrauensbildende Maßnahmen angewiesen als ein Verkäufer aus der »in-group«. So vertrauen zum Beispiel europäische IKEA-Kunden im wahrsten Sinn des Wortes »blind« darauf, dass in den Kartons das Produkt in der Farbe enthalten ist, die auch auf der Verpackung vermerkt ist. In der chinesischen Filiale dagegen »lagen immer jede Menge aufgerissene Packungen herum, weil die Kunden den Farb-Markierungen nicht trauten. Also ist IKEA-Bejing zu Sichtfenstern in den Kartons

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übergegangen« (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 172). Man mag darüber spekulieren, ob dieses Misstrauen darauf zurückgeht, dass Mitgliedern der »out-group« grundsätzlich weniger vertraut wird. Auch andere kulturelle Unterschiede kommen als Erklärung in Frage. So neigen die chinesischen Kunden dazu, Informationen auch dann zu erfragen, wenn sie sie schwarz auf weiß vor sich sehen. »›Die Chinesen lesen nicht gern‹, klagt ein chinesischer Verkäufer. Außerdem misstrauen sie Gedrucktem. ›Man fragt nach dem Weg nicht mit den Augen, sondern mit dem Mund‹, besagt ein Sprichwort« (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 173).

Zeitverständnis Unterschiede im Zeitverständnis bestehen zum Beispiel darin, wie knapp das Gut »Zeit« überhaupt gesehen wird. Kulturen, wo Zeit nicht als knapp erlebt wird, sind auch weniger empfänglich für das Werbeargument der Zeitersparnis. Auch die Frage, welche Rolle die Vergangenheit oder die Zukunft spielen, wird von kulturell unterschiedlichem Zeitverständnis geprägt. Die uns selbstverständlich erscheinende Neigung, Erinnerungen zu dokumentieren, ist nicht in allen Kulturen gleich stark ausgeprägt. Ähnliches gilt für die detaillierte Planung der eigenen Zukunft. Produkte wie Fotoapparate, Alben oder Bausparverträge setzen demnach ein bestimmtes Zeitverständnis voraus, das nicht universell gültig sein muss.

Einstellung zum Handeln Die Zukunftsorientierung spiegelt auch die dritte Dimension wider, die Einstellung zum Handeln. Die Vorstellung, durch das eigene Handeln Kontrolle auszuüben, Dinge zu verändern und die Natur zu beherrschen, ist stark westlich geprägt. Demgegenüber haben viele östliche Kulturen eine mehr fatalistische Einstellung. Wer dem Handeln einen hohen Stellenwert einräumt, wird auch dort zum Eingreifen geneigt sein, wo objektiv nur sehr wenig Einflussmöglichkeiten bestehen. So treffen in westlichen Kulturen Menschen vielerlei Maßnahmen, um zu verhindern, dass sie krank werden. Diese Neigung erstreckt sich dann auch auf Erkrankungen, bei denen die äußeren Einflussmöglichkeiten gering sind, so dass hier ein großer Markt für vermeintlich wie tatsächlich gesundheitsfördernde Produkte besteht.

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Selbstkonzept und Fremdkonzept Eine besonders hervorstechende Dimension, in der sich Kulturen unterscheiden, betrifft das Ausmaß, in dem die jeweilige Kultur Individualismus oder Kollektivismus (s. Kap. I, 1.4, S. 62) unterstützt. Europäische Kulturen gelten üblicherweise als individualistisch, asiatische als kollektivistisch. Was mit Kollektivismus gemeint ist, zeigt sich beispielhaft an der Beziehung des chinesischen Verbrauchers zu seiner Familie (z. B. Usunier u. Walliser 1993, S. 9 f.). In einem kollektivistischen Umfeld zu leben bedeutet für einen Chinesen: – Die Gemeinschaft hat Zugriff auf oder Einblick in Dinge, die nach westlichem Verständnis privat sind. Dies kann im Einzelfall größere Freiheiten für Werbung bedeuten, die private und intime Belange der Verbraucher berührt – wenn dem nicht andere Tabus der Kultur entgegenstehen. Sicher bedeutet es aber, dass der Wunsch nach Privatheit, die Abgrenzung einer eigenen Intimsphäre vor der Allgemeinheit in der chinesischen Kultur nicht selbstverständlich ist und dass sich daher hieran kaum Erfolg versprechende Werbeargumente knüpfen lassen. – Die Handlungen einer Person sind nicht unbedingt Ausdruck ihrer Bedürfnisse und Motive. Bei der Konsumentenbeeinflussung ist daher oft weder notwendig noch hinreichend, das Motiv einer einzelnen Person zu beeinflussen. Auch das Aufdecken nicht bewusster Motive oder impliziter Einstellungen im Rahmen der Marktforschung würde beim chinesischen Verbraucher noch weniger Rückschlüsse auf das Marktverhalten erlauben als bei europäischen. – Ziel des Handelns ist nicht das Glück des Einzelnen, sondern gemeinschaftliche Harmonie. Die Verbesserung des Zusammenlebens ist ein durchaus vorhandenes Motiv. Produkte, die dies erleichtern, haben daher vergleichsweise günstige Erfolgsaussichten. Chinesen zeigen demzufolge auch ein deutlich geringeres Involvement bei Produkten, die nur für die eigene Person bestimmt sind, gegenüber Produkten, die für andere gedacht sind. Auch die Risikowahrnehmung beim Erwerb von Produkten ist von diesem Punkt betroffen: Während abendländische Konsumenten vermutlich ein Versagen des Produkts für ein besonders gravierendes Problem ansehen und im entsprechenden Fall nur geringe Hemmungen haben, sich beim Verkäufer zu beklagen, würde ein Chinese in seinem Beschwerdeverhalten von vornherein viel zurückhaltender sein. Ein besonderes Risiko sehen Chinesen darin, »das Gesicht zu verlieren«. Bei der Beschwerde gehen beide Beteiligten dieses Risiko ein (siehe auch Usunier u. Walliser 1993, S. 11). – Das Ziel der Harmonie wird oft über die sachlichen Ziele des Handelns gestellt. Diese asiatische Eigenheit ist in der Zusammenarbeit oft ein

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Hemmnis. So beklagt sich zum Beispiel der schwedische Vertreter von IKEA in Peking: »Man einigt sich mit einem chinesischen Verhandlungspartner . . ., und am nächsten Tag legt er seine alten Forderungen wieder auf den Tisch – als hätte es nie ein Ergebnis gegeben« (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 269). Die Einigung vom Vortag ist möglicherweise einzig einem harmonischen Zusammenleben geschuldet; man ist so in bestem Einvernehmen auseinander gegangen. – Die Gemeinschaft ist eine natürliche Gegebenheit, eine Selbstverständlichkeit. Sie wird daher nicht gepflegt durch Geschenke oder Beteuerungen der Zusammengehörigkeit. Die europäisch geprägten Vorstellungen von Gemeinschaft unterscheiden sehr viele verschiedene Formen der Gemeinsamkeit, die auch in bestimmter Weise definiert und gepflegt werden müssen. Hierzu werden nicht zuletzt Produkte und Dienstleistungen genutzt, für die im chinesischen Kulturkreis kaum ein Markt vorhanden sein dürfte. – Die Gruppe kümmert sich um den Einzelnen, der Einzelne muss aber auch der Gruppe gegenüber loyal sein. In einer kollektivistischen Gesellschaft ist es daher für den Einzelnen weniger dringlich, für sich selbst, das heißt auch: für seine eigene Zukunft zu sorgen. Dies motiviert zum Beispiel die Menschen weniger zu privater Vorsorge in Form von Kapitalanhäufung oder Versicherungen. Man kann auch spekulieren, dass sich die Loyalität der Gruppe gegenüber auch in Produkt- und Markenloyalität äußert, so dass es in kollektivistischen Kulturen schwieriger sein dürfte, bestimmte Konsumgewohnheiten aufzubrechen (siehe auch Usunier u. Walliser 1993, S. 48). – Die angemessene Verhaltensweise ist Anpassung, das Hervortreten des Einzelnen ist unerwünscht. Dieses Merkmal ist vermutlich einer der hervorstechendsten Unterschiede zur westlichen Kultur. Die Diskrepanz in den Einstellungen zeigt sich bereits auf der Ebene von Redensarten: Während es im westlichen Kulturkreis heißt: »The squeaky wheel gets the grease«, warnt ein chinesisches Sprichwort: »The nail that stands out gets pounded down« (zitiert nach Baumeister 1995, S. 56). Dieser kulturelle Unterschied äußert sich zum Beispiel in unterschiedlich starken Neigungen, sich sozial erwünscht zu verhalten. Das Bedürfnis nach sozialer Billigung verfälscht regelmäßig Marktforschungsdaten. Keillor, Owens und Pettijohn (2001) konnten zeigen, dass bei diesen Verfälschungen interkulturelle Unterschiede bestehen. In westlichen Kulturen findet sich leicht ein Markt für Produkte, die das Gefühl der Verbraucher fördern, einzigartig zu sein oder etwas einzigartiges zu besitzen (z. B. Lynn u. Harris 1997). In China ist man mit diesem Verkaufsargument weit weniger erfolgreich, wie ein bemerkenswerter Flop von IKEA bei seinem ersten Weihnachts-Special zeigt: Ins Sortiment © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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wurden kurzfristig mundgeblasene Sektgläser aufgenommen. Leider trinkt man in China ohnehin wenig Sekt. Noch lehrreicher war allerdings die Reaktion der chinesischen Kunden auf die wertvolle Handarbeit: Die individuell gefertigten Gläser hatten unvermeidliche kleine Fehler, die dem Kennerauge die Einzigartigkeit des Produktes belegen. Die chinesischen Verbraucher dagegen sahen in diesen Merkmalen nur völlig überflüssige Abstriche an der Perfektion (Wenderoth u. Schmitz 2002). In der hier dargestellten Zuspitzung finden sich freilich die Gegensätze zwischen kollektivistischen und individualistischen Kulturen nicht in den jeweiligen Nationen, ja nicht einmal wenn man die üblicherweise plakativ vorgehende Fernsehwerbung betrachtet. Cho et al. (1999) verglichen Koreanische und US-amerikanische Werbespots und fanden in beiden deutliche individualistische wie kollektivistische Akzente. Unterschiede zeigten sich nur im relativen Gewicht der jeweiligen Inhalte.

1.3.7 Interkulturelle Gültigkeit der Konsumentenpsychologie: Allgemeinpsychologische Effekte Die psychologischen Regeln, denen das Konsumentenverhalten folgt, können in unterschiedlichem Umfang als allgemein gültig angesehen werden. Traditionell wird etwa in der so genannten Allgemeinen Psychologie unterstellt, dass die darin diskutierten Gesetzmäßigkeiten für alle Menschen gelten. Entsprechend müssten demnach allgemeinpsychologische Effekte auch im interkulturellen Marketing ohne weiteres übertragbar sein. Für eine Vielzahl von allgemeinpsychologisch gültigen Regeln erweist sich jedoch die Kultur als ein wichtiger Moderator. So sollen zum Beispiel Afrikaner für bestimmte Formen optischer Täuschungen weniger anfällig sein als Europäer (Segall et al. 1990). Hier spielt ein wichtige Rolle, wie eingefahren bestimmte Wahrnehmungsgewohnheiten sind. Eingefahrene Muster bei der Informationsverarbeitung mögen auch für kulturabhängige Unterschiede in Intelligenzleistungen verantwortlich sein. Solche Unterschiede bestehen durchaus. Sie werden üblicherweise »herausgerechnet«, indem man für unterschiedliche Kulturen auch unterschiedliche Testnormen bestimmt. Werbung als wesentliches Marketinginstrument setzt in ihrer Wirkung voraus, dass bestimmte Gesetze der Informationsverarbeitung für die gesamte angesprochene Zielpopulation gültig sind. Wenn etwa die Regel gilt, dass bei einer seriellen Präsentation die ersten und letzten Inhalte besser

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erinnert werden als die in der Mitte, dann sollte man davon ausgehen können, dass dies überall auf der Welt in etwa gleich ist. Aus diesem bekannten Effekt leitet sich die Empfehlung ab, in Werbespots die wichtigsten Informationen, etwa den Namen von Produkt oder Hersteller an den Schluss zu platzieren (zum Überblick siehe Felser 2001). Tavassoli (1999) konnte allerdings zeigen, dass bei einer rein sprachlichen Präsentation die Erinnerungsleitungen von Chinesen und Amerikanern unterschiedlich stark von der seriellen Position der Informationen abhing. Während bei Amerikanern die Anordnung der Wörter verhältnismäßig eng mit der späteren Erinnerungsleitung zusammenhing, waren bei Chinesen die semantischen Zusammenhänge zwischen den Begriffen für die Erinnerung bedeutsamer. Betrachtet man die Anzeigengestaltung im Unterschied zum Werbespot, findet sich dort die Empfehlung, Informationen, die üblicherweise früh wahrgenommen werden, links oben zu platzieren (z. B. Meyer-Hentschel Management Consulting 1993). Diese Empfehlung jedoch beruht auf einem Effekt, der kulturell geprägt sein dürfte. Der theoretischen Annahme zufolge neigt der Betrachter entsprechend der Lesegewohnheit dazu, links oben mit der Betrachtung zu beginnen. Sollte nun der »eye-catcher«, etwa ein Bild, an anderer Stelle der Anzeige platziert sein, dann richtet sich der Blick automatisch darauf und kehrt dann in der Regel nicht mehr an den gewohnheitsmäßig davor liegenden Punkt zurück, so dass Inhalte links oben der Betrachtung verloren gehen. Diese Regel sollte nun freilich in solchen Kulturen nicht gelten, in denen die Leserichtung nicht links oben beginnt. Empirische Belege hierfür finden sich etwa für Japan, wo Betrachter von ihrer Lesegewohnheit her eher dazu neigen sollten, rechts oben mit der Betrachtung zu beginnen (Yamanake 1962). Wohlgemerkt: Hier mischen sich allgemeinpsychologische mit kulturspezifischen Befunden. In allen Kulturen wird man damit rechnen dürfen, dass ein Bild in der Anzeige den Blick auf sich zieht. Um aber den restlichen Anzeigenelementen eine Chance auf Beachtung zu sichern, wird man in unserem Kulturkreis das Bild eher links, im japanischen dagegen eher rechts oben platzieren. Ein anderes Wahrnehmungsmerkmal, das für die Werbegestaltung wesentlich ist, betrifft die emotionale Wirkung von Farben. Auch hier gibt es – neben einer Reihe von Gemeinsamkeiten – interkulturelle Unterschiede: Adams und Osgood (1973) berichten aus einer Untersuchung in 23 verschiedenen Kulturen von einer weitgehend einhelligen Bevorzugung von hellen gegenüber dunklen Farben. Aber auch bei der größten Übereinstimmung, nämlich der negativen Bewertung von Schwarz, fanden sich noch immer Ausnahmen (Hindus aus Delhi). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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1.3.8 Soziale Kognition Etliche sozialpsychologische Techniken der Konsumentenbeeinflussung sind bereits interkulturell überprüft. Auch hier kann man davon ausgehen, dass die grundlegenden Prinzipien universell gelten. Gut nachgewiesen ist zum Beispiel die Gültigkeit von Konsistenzmechanismen (kognitive Dissonanz, Fuß-in-der-Tür-Technik), der Konsensheuristik (also der Neigung, eine Sache gut zu finden, nur weil andere sie gut finden) oder der Regel der Gegenseitigkeit (Cialdini 2001). Gleichwohl ist auch hier die jeweilige Kultur eine wichtige Moderatorvariable. Dass man Partner in einer Verhandlung durch Gefälligkeiten und Entgegenkommen unter den Druck der Reziprozitätsnorm stellen kann, gilt zwar überall, trotzdem ist der dabei empfundene Druck in den verschiedenen Kulturen unterschiedlich stark. Cialdini et al. (2001) konnten in einem Vergleich zwischen Polen und den USA zeigen, dass sowohl Konsensheuristik als auch Konsistenzprinzipien in beiden Kulturen eine Beeinflussungswirkung haben. Es zeigte sich allerdings auch hier eine Moderation des Effekts durch die Kultur: In Polen war die Bereitschaft größer als in den USA, sich im Sinne der Konsistenztheorien passend zu einem vorherigen Commitment zu verhalten. Die hier angesprochenen Beeinflussungsmechanismen wirken vor allem über die soziale Beziehung, etwa die Verkäufer-Kunde-Interaktion. In allen Kulturen spielt diese Beziehung für den Erfolg des Markthandelns eine wesentliche Rolle. In östlichen Kulturen wie China ist die soziale Beziehung sogar bedeutsamer als das Produkt, über das verhandelt wird. Die Beziehung selbst wiederum wird nach kulturspezifischen eigenen Regeln definiert, die wesentlich kohärenter sind als dies in westlichen Kulturen üblich ist. Nach Befunden von Merrilees und Miller (1999) wird die VerkäuferKunde-Beziehung in westlichen Kulturen von verschiedenen, weitgehend unabhängigen Faktoren geprägt: »Gegenseitigkeit, Vertrauen, Freundlichkeit und gutes gegenseitiges Auskommen«. Östliche Kulturen unterscheiden demgegenüber weniger Beziehungsarten.

1.3.9 Ausblick Grundsätzlich wird man wohl sagen können, dass die Voraussetzungen zur Angleichung der Märkte immer besser werden, dass wir uns also auf einem Weg zu immer weiter gehender Homogenisierung befinden. Insofern stellt sich wohl weniger die Frage, ob sich die Märkte angleichen, sondern eher,

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welche Faktoren einer vollständigen Homogenisierung entgegenstehen und ein interkulturelles Marketing notwendig machen. Diese Faktoren bilden auch gleichzeitig das »Arbeitsfeld« für das interkulturelle Marketing. Für große Unternehmen wie etwa den Nestlé-Konzern macht längst der Umsatz im Heimatmarkt nur noch einen kleinen Teil des Gesamtumsatzes aus. In Deutschland wird zum Beispiel mindestens ein Drittel des Bruttosozialprodukts von der Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen ins Ausland bestritten (Müller u. Kornmeier 1995). Im Fall von IKEA beläuft sich der Anteil, den der chinesische Markt am globalen Umsatz ausmacht, zwar nur auf ein Prozent. Aber wenn auf Dauer 20 Prozent der Weltbevölkerung von den Vorteilen schwedisch-westlicher Wohnkultur überzeugt werden können, dann wären auch dann noch riesige Gewinne zu erwarten, wenn auf den einzelnen Käufer weit unterdurchschnittliche Umsätze entfallen.

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Praxisfelder: Zentrale Managementbereiche

Stefan Kammhuber: Interkulturelle Rhetorik

2. Zentrale Managementbereiche unter interkulturellen Gesichtspunkten

Stefan Kammhuber

2.1 Interkulturelle Rhetorik

Wenn Sie eine überzeugende Präsentation halten wollen, dann sollten Sie gleich zu Beginn folgende Grundregeln beachten: – Schmälern Sie Ihre eigenen Leistungen! – Loben Sie die Zuhörer! – Entschuldigen Sie sich für die Unvollkommenheit ihrer Präsentation! – Sprechen Sie nicht laut! – Schränken Sie Ihre Gestik ein! Sie haben in den von Ihnen besuchten Rhetorik-Seminaren etwas anderes, gar Gegensätzliches gelernt? Dass es nämlich ungünstig ist, den Erwartungshorizont der Teilnehmer und Teilnehmerinnen gleich zu Beginn eines Vortrags zu senken (z. B. Allhoff u. Allhoff 2000)? Die entstandene Verwirrung könnte dadurch begründet sein, dass diese Grundregeln mit Blick auf eine chinesische Zuhörerschaft formuliert wurden, die von einer herausgehobenen Person auf dem »Präsentierteller« ein umso bescheideneres und höflicheres Auftreten erwartet. Ein furioser Redeeinstieg, gespickt mit einigen Hinweisen auf die bisherigen eigenen Leistungen und Fähigkeiten, lässt einen Redner in den Augen der chinesischen Zuhörerschaft weder kompetent noch sonderlich sympathisch erscheinen. Der erste Eindruck, der entscheidend für die weitere Wahrnehmung und Beurteilung einer Person ist, wäre gründlich misslungen, der weitere Überzeugungsprozess dieser Zuhörer erschwert. »Die Rhetorik stelle also das Vermögen dar, bei jedem Gegenstand das möglicherweise Glaubenerweckende zu erkennen.« So definierte Aristoteles (1995) in dem ersten systematischen Lehrbuch zur Rhetorik deren Wesen und Ziel. Um eine Zuhörerschaft zu überzeugen, bedarf es in der aristotelischen Rhetorik drei Arten von Überzeugungsmitteln, die begründet sind

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– im Charakter des Redners: Wie glaubhaft ist er oder sie als Person für die Zuhörer? – in den Zuhörern: Welche Erwartungen, Stimmungen und welches Vorwissen haben sie? – in der Rede selbst: Wie zwingend sind Inhalt und Abfolge der vorgetragenen Argumente? Welche Argumente allerdings überzeugend sind, welche Erwartungen an eine Redesituation bestehen, welches Auftreten eines Redners inhalts- und situationsangemessen ist, wie eine gute Beziehungsebene zwischen Redner und Zuhörerschaft hergestellt wird, wird durch den situativen und kulturellen Kontext bestimmt. Der wiederum beinhaltet, aus welchem Grund mit welcher Intention gesprochen wird, in welchem sozialen Rollenverhältnis der Sprecher zu den Zuhörern steht, ob er beispielsweise deren Vorgesetzter oder Kollege ist, zu welchem Zeitpunkt eine Redesituation erfolgt, ob es zum Beispiel ein Erstkontakt ist oder nicht, und an welchem Ort eine Präsentation erfolgt, zum Beispiel in einem Festsaal, einer Werkhalle oder einem Besprechungszimmer. Je nachdem, wie die Redesituation sich dann konstituiert, werden unterschiedliche Darstellungsformen und Verhaltensweisen notwendig. Die geschilderten Elemente einer Redesituation sind in dem Kommunikationsmodell nach Geissner (1981) noch einmal grafisch dargestellt (Abb. 12):

Abbildung 12: Kommunikationsmodell nach Geissner (1981)

Das Modell kann nicht nur zu Analyse interkultureller Kommunikationssituationen genutzt werden, sondern auch zur systematischen Vorbereitung auf eine Präsentation oder einen Vortrag. Jedes Element sollte bei der Vorbereitung auf seine Kultursensitivität geprüft werden, beispielsweise welche Verhaltensweisen mit dem Sprechen in der Vorgesetzten- oder Mitarbeiterrolle in einer spezifischen Kultur verbunden sind.

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2.1.1 Person des Redners Der Redner in den Augen der Zuhörer Psychologische Untersuchungen zum Überzeugungsprozess ergaben, dass sich Zuhörer von einem Inhalt eher überzeugen ließen, wenn sie den Sprecher als glaubwürdig, ihnen ähnlich oder mächtig beurteilten (Hovland u. Weiss 1951). In dem klassischen Experiment wurde US-amerikanischen Probanden in zwei Versuchsgruppen Texte zu unterschiedlichen aktuellen strittigen Themen vorgelegt, zum Beispiel über die Möglichkeit, atombetriebene U-Boote zu bauen. Die Texte waren identisch, nur die Autoren unterschieden sich. Während ein Text als Artikel aus der »Prawda« gekennzeichnet wurde, glaubte die zweite Gruppe einen Text aus der Feder des bekannten Atomphysikers R. J. Oppenheimer zu lesen. Gefragt, ob sie sich der in dem Text dargelegten Meinung anschlössen, stimmten die Probanden des »Oppenheimer-Textes« mit 77,8 Prozent signifikant eher zu als die Probanden des »Prawda-Textes« mit nur 50 Prozent. In einem vorangegangenen Test hatten die Forscher erfasst, für wie glaubwürdig bestimmte Informationsquellen in den USA gehalten wurden, wobei 93,7 Prozent Oppenheimer für vertrauenswürdig hielten im Gegensatz zur »Prawda«, die nur 1,7 Prozent der Befragten in der Zeit des beginnenden kalten Krieges als seriöse Informationsquelle einstuften. Das Ergebnis zeigt deutlich, dass die Voreinstellungen der Zuhörerschaft gegenüber dem Vortragenden eine bedeutsame Rolle für die rhetorische Wirkung spielen. In der interkulturellen Situation gilt es dann, die vor der spezifischen Redesituation bereits bestehenden Fremdbilder zu berücksichtigen, die die Zuhörer an den Vortragenden herantragen. Eine indonesische Führungskraft gab folgenden Ratschlag für seine deutschen Kollegen: »When Germans come to Indonesia, they should be aware of the fact that they are normally taller, louder, better educated and wealthier than a comparable Indonesian. Therefore they should be aware that already these factors might cause an impression of arrogance, which can be easily increased by the according behavior« (Thomas et al. 1998, S. 284). Diese Aussagen machen deutlich, dass der bei den Zuhörern entstehende Eindruck durch eine Vielzahl verbaler und vor allem nonverbaler Hinweisreize ausgelöst oder verstärkt wird, die auf dem Hintergrund der eigenen Kultur interpretiert werden und auf deren Grundlage die Personen sich verhalten.

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Verbale und nonverbale Signale Eine Person wird in Deutschland als überzeugender wahrgenommen, je weniger abschwächende und relativierende Ergänzungen wie zum Beispiel »vielleicht«, »in etwa«, »wahrscheinlich« sie in ihrer Argumentation gebraucht. In Japan hingegen werden diese relativierenden Einschübe bewusst genutzt, um eine vorschnelle Festlegung zu vermeiden, die zu gegensätzlichen Positionen und damit zu harmoniegefährdenden Konflikten führen könnten (Okabe 1983). Mit einer geringeren Sicherheit in der Sache hat dies nichts zu tun. Die Verstärkung der eigenen Aussage (»ich schwöre bei Gott«) ist zum Beispiel in arabischen Ländern wichtig, um nicht den Eindruck zu erwecken, man sei eigentlich der gegenteiligen Meinung. Auf Deutsche wirkt ein solches Verhalten übertrieben und damit weniger glaubwürdig, während aus umgekehrter Perspektive der Sprecher als emotional unbeteiligt, distanziert und schwer zu interpretieren erscheint (Gudykunst 1994). Insbesondere die nonverbalen und paraverbalen Hinweisreize, wie Gestik, Mimik, Blickkontakt, Verhalten im Raum, Stimmhöhe, Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit führen beim Publikum in Sekundenschnelle zu weit reichenden Urteilen über die Persönlichkeit und Kompetenz des Sprechenden. In einem psychologischen Experiment sollten amerikanische Probanden ihnen unbekannte Politiker aus unterschiedlichen Nationen bewerten, die ihnen in Form von kurzen, tonlosen Videoclips präsentiert wurden. Die nationale Zugehörigkeit der Politiker wurde soweit wie möglich unkenntlich gemacht, indem beispielsweise die Namenschriftzüge geschwärzt wurden. In der Bewertung ergaben sich erstaunliche Regelmäßigkeiten. Die amerikanischen Politiker wurden von den amerikanischen Probanden als »intelligent«, »competent« und »powerful« beurteilt, die französischen Politiker als »compassionate«, »energetic« und »cheerful«, während die deutschen Politiker signifikant höhere Werte bei den Adjektiven »boring«, »ugly« und »cold« erzielten (Frey 1999). Nonverbale Signale begleiten das Sprechen (Gestik, Mimik, Distanzverhalten), verstärken und vermindern die Bedeutung des Gesagten oder ersetzen gar das Sprechen (Kopfnicken für »ja«). In unterschiedlichen Kulturkreisen haben sich spezifische Darstellungsregeln für soziale Situationen herausgebildet, die den Mitgliedern eines Orientierungssystems die Interpretation eines wahrgenommenen Verhaltens erleichtert (Ekman u. Friesen 1978). Insbesondere sprachersetzende Signale können dabei zu Missverständnissen führen. In Indonesien und anderen asiatischen Kulturkreisen winkt man beispielsweise jemand herbei, indem die Handfläche nach unten gedreht wird und die Finger eingeklappt werden. Das in westlichen Ländern übliche Herbeiwinken mit geöffneter Handfläche, gilt dort als

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ausgesprochen unhöflich und arrogant. In Griechenland wird eine Ablehnung, im Unterschied zu einem horizontalen Kopfschütteln in Deutschland, durch ein vertikales Heben des Kopfes verbunden mit einem leichten Zungenschnalzen ausgedrückt. Noch fataler ist es, wenn unter einer gut gemeinten Geste, zum Beispiel für »exzellent gemacht« in Deutschland, eine obszöne Mitteilung verstanden wird (Italien). Für einen Vortragenden ist es deshalb wichtig, die Konnotationen von Gesten, wie auch die Tabus der betreffenden Kultur zu kennen und zu berücksichtigen (Axtell 1994). Grundsätzlich können Kulturen danach unterschieden werden, inwieweit Personen eher expressiv oder neutral im Ausdruck ihrer Stimmungen sind (Trompenaars 1993). Im deutschen Kulturkreis gilt es als überzeugendes Sprechen, wenn der Redner den Blickkontakt zu seinen Zuhörern aufnimmt und hält, seiner Gestik freien Lauf lässt, ohne in falsches Pathos zu verfallen, eine zum Inhalt des Gesagten korrespondierende Mimik zeigt, über eine eher tiefe Stimmlage verfügt, in Argumentationsphasen modulierter und lauter spricht und Stimmsenkungen am Ende von bedeutungstragenden Aussagen vornimmt (Allhoff u. Allhoff 2000). In anderen Kulturen ist beispielsweise der Blickkontakt abhängig von der hierarchischen Beziehung des Sprechenden zu seinem Zuhörer. Ein zu intensiver Blickkontakt kann dann leicht als anmaßend, die Lautheit oder Tonhöhe der Stimme als scheinbare Aggression, wie etwa in Japan, gedeutet werden. Gerade in interkulturellen Redesituationen ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass der intendierte Ausdruck häufig nicht mit dem entstehenden Eindruck beim Zuhörer übereinstimmt. Aus diesen Unterschieden allerdings abzuleiten, dass es für eigene Redesituationen sinnvoll sei, das nonverbale Verhalten der anderen Kultur nachzuahmen, wäre sicherlich falsch. Das Resultat wäre dann der berühmte Japaner in Lederhosen oder der sich verbeugende Deutsche im Kimono, der eher belächelt als ernst genommen werden würde. Günstiger ist es vielmehr, sich das eigene Redeverhalten bewusst zu machen, zum Beispiel durch Videofeedback, die fremdkulturellen Erwartungen an das Verhalten eines überzeugenden Redners zu kennen und schließlich in der Lage zu sein, in der Redesituation selbst das eigene Verhalten, wie eine zu sehr ausladende Gestik oder eine zu laute Stimmführung, zu kontrollieren. Denn Längsschnittuntersuchungen mit französischen und spanischen Fremdsprachenlernern haben gezeigt, dass auch beim Sprechen in einer Fremdsprache, die man sehr gut beherrscht, die eigenen kulturtypischen nonverbalen Ausdrucksmuster erhalten bleiben (Frey et al. 1993).

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2.1.2 Inhaltliche Darstellung Verständliches Sprechen Die Verständlichkeit ist gerade in interkulturellen rhetorischen Situationen durch die Kommunikation in einer Fremdsprache oder per Dolmetscher erschwert. So sollten im Besonderen die vier wichtigsten »Verständlichkeitsmacher« des Sprechens bei der Vorbereitung beachtet werden: Einfachheit des Ausdrucks, Gliederung und Ordnung, Kürze und Prägnanz sowie Anschaulichkeit der Inhalte (Langer et al. 1990). Das bedeutet, dass eine Präsentation im Vorfeld daraufhin geprüft werden sollte, ob die in ihr enthaltenen Begriffe auch in der anderskulturellen Zuhörerschaft die gleiche Konnotation besitzen. Dies wird umso wichtiger, je abstrakter die Konzepte werden, die vorgestellt werden sollen, wie zum Beispiel »Gerechtigkeit« oder »Demokratie«. Die intensive Visualisierung von Inhalten stellt gerade in interkulturellen Situationen ein probates Mittel dar, um eine möglichst hohe Verständlichkeit zu erreichen.Allerdings müssendabeidie kulturspezifischen Wahrnehmungsgewohnheiten der Zuhörenden berücksichtigt werden, insbesondere wenn auflockernde Elemente wie beispielsweise Cartoons verwendet werden. Ein Cartoon ist ein kulturspezifisches Produkt, dessen Überzeichnung von einem Publikum nicht als ironische Übertreibung gesehen, sondern im Gegenteil als Affront missverstanden werden kann. Diese Vorsicht sollte man darüber hinaus jeder Art von Witz und Ironie entgegenbringen, da Humor ein Kulturerzeugnis ist und ein nicht- oder missverstandender Scherz für große Peinlichkeiten sorgen kann.

Argumentation Um Menschen von einer Sache zu überzeugen, muss argumentiert werden. Die Argumentationstheorie und -praxis gehört zu den wichtigsten Eckpfeilern der Rhetorik. Wenn man die alltagssprachlichen Argumentationsmuster analysiert, ist nach Toulmin (1996) folgendes Grundmuster zu erkennen (Abb. 13). Ein Argument beinhaltet immer etwas Gegebenes (Datum) und eine Schlussfolgerung, die mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit aufgrund diverser Ausnahmebedingungen gezogen werden kann. Die Überzeugungskraft eines Arguments hängt nun davon ab, wie zwingend die Schlussregel auf die Zuhörer wirkt, mit der Datum und Schlussfolgerung verbunden wird. Die Schlussregeln, die in der Alltagskommunikation zumeist unausgesprochen bleiben, sind aber Resultate kulturspezifischer Vereinbarungen. Sie werden von kollektiven Normen und Wertmustern ge-

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Schlussfolgerung

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Schlussregel

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Abbildung 13: Agrumentationsmuster

stützt und sind damit nicht zwangsläufig generalisierbar. Diese Stützpfeiler der Schlussregeln werden »Topoi« (übers. »Orte«) genannt und stellen in der Redevorbereitung Fundplätze für Argumente dar. Bereits in der hellenistischen und römischen Rhetorik wurden Topoi-Kataloge erstellt, die den Common Sense der jeweiligen Gesellschaft abbildeten (Ueding u. Steinbrink 1994). Nehmen wir folgenden Beispielsatz eines missmutigen deutschen Managers zu seinem Kollegen, als sie ein Vorstandsmitglied vorfahren sehen: »Schau dir den Herrn XY an. Gerade hat er das Millionenprojekt in Mexiko in den Sand gesetzt und dann mit so ’nem dicken Dienstwagen rumfahren . . .« Datum: Herr XY hat ein Projekt in den Sand gesetzt. Schlussfolgerung: Er sollte deshalb auch keinen neuen Dienstwagen bekommen. Schlussregel: Nur wer erfolgreich Projekte abschließt, sollte dafür eine Belohnung erhalten. Stützung der Schlussregel: Privilegien müssen durch entsprechende Leistungen legitimiert werden. Ausnahmen: Die Schlussfolgerung gilt nur dann, wenn sich Herr XY nicht anderweitig oder in der Vergangenheit Verdienste für das Unternehmen erworben hat.

Doch genau der Topos, der dieser Schlussfolgerung zugrunde liegt, ist kulturspezifisch und Resultat einer protestantischen Arbeitsethik, nach der ein Platz im Himmelreich im Schweiße des Angesichts erarbeitet werden muss. In Kulturkreisen mit hoher Machtdistanz, in denen Hierarchieunterschiede gleichsam als naturgegeben angesehen werden und der Status in der Gesellschaft, der sich in ihren Privilegien symbolisiert, sich nach der familiären, religiösen oder anderer Zugehörigkeit richtet, wirkt ein solches Argument nicht sonderlich zwingend. Es gilt also bei Präsentationen oder Vorträgen, in denen zu bestimmten Themen Stellung bezogen wird, zu überprüfen, ob die zugrunde gelegten Topoi auch in der fremden Kultur

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verwendet werden können. Insbesondere Marketingkampagnen sind komprimierte Argumentationsketten und deshalb auf die Kulturspezifität ihrer zugrunde liegenden Topoi zu überprüfen. Auch in der Weltpolitik kann ethnozentrisches Argumentieren zu Irritationen führen: Der erste Deckname der Militäraktion gegen die Al-Quaida-Organisation in Afghanistan im Jahr 2001 lautete »Infinite Justice«. Die Schlussregeln, die dieser »Kürzestargumentation« zugrunde liegen, sind: Die US-amerikanische Regierung und ihre Verbündeten stehen für Gerechtigkeit. Sie sorgen für unbegrenzte Gerechtigkeit und wer auf ihrer Seite steht, ist ebenfalls gerecht. Mit dieser Bezeichnung provozierten sie aber ausgerechnet in der islamischen Welt vehemente Proteste, da nach deren Glauben nur Allah eine unbegrenzte Gerechtigkeit bieten und garantieren kann. Die Militäroperation wurde daraufhin umbenannt. Der in einer Präsentation sichtbar werdende Argumentationsstil richtet sich nach den kulturspezifischen Denkstilen. Galtung (1983) unterscheidet vier Kulturtraditionen, die einen spezifischen Denk- und Argumentationsstil befördern – Sachsonischer Stil, zum Beispiel USA und England – Gallischer Stil, zum Beispiel Frankreich – Nipponischer Stil, zum Beispiel Japan, China – Teutonischer Stil, zum Beispiel Deutschland Der sachsonische Denkstil, vorherrschend in England und USA, ist demnach stark empirieorientiert, das heißt, Aussagen über die Wirklichkeit müssen sich in Daten und Fakten belegen lassen. Die Entwicklung weit reichender Theorien und Denkmodelle wird zurückgestellt zugunsten untersuchbarer, teilweise voneinander unabhängiger Detailfragen. In einer bildlichen Analogie baut ein sachsonisch denkender Mensch viele kleine, teilweise voneinander unabhängige Theoriepyramiden nebeneinander. Der gallische Stil, zum Beispiel Frankreich, zeichnet sich eher durch ein groß angelegtes, weit reichendes und vor allem sprachlich-ästhetisches Theoriegebäude aus, das Widersprüche und Gegensätze nicht auflöst, sondern sie in eleganter Formulierung zu umschreiben und in Balance zu halten versucht. Der nipponische Denk- und Argumentationsstil, der in vielen asiatischen Kulturen anzutreffen ist, beinhaltet eine eher holistische Herangehensweise, die das Zerlegen von Sachverhalten in einzelne Bestandteile scheut. Das Argumentieren ist mehrdeutig, denn eine eindeutige Aussage darüber, wie die Welt beschaffen ist, wäre für die Vertreter dieses Denkstils unbescheiden und anmaßend. Lernen erfolgt in der Tradition bestimmter Schulen, das heißt, die Überzeugungskraft der Argumentation hängt auch

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davon ab, welcher angesehenen Schule und welchem berühmten Meister man bisher gefolgt ist. Im teutonischen Denkstil hingegen, vorherrschend in deutschsprachigen Ländern, konzentriert man sich auf die Konstruktion von klar strukturierten, logisch zwingenden Theoriengebäuden. Wenn sich trotz guter Theorie die Annahmen nicht empirisch eindeutig belegen lassen, wird im Zweifelsfall der Theorie der Vorzug eingeräumt und nicht den durch viele Unwägbarkeiten des Alltags beeinflussbaren Daten. Die dabei entwickelte Theorie-Pyramide hat eine Spitze, eine gut strukturierte Grundfläche, sie ist sehr groß und sehr robust gebaut. Oder wie Galtung es treffend beschreibt: »Es steht soviel auf dem Spiel! Sollte sich irgend etwas als ungültig erweisen . . . so führt das in den anderen drei Stilen zu keinerlei größeren Katastrophen. Für den sachsonischen Intellektuellen wird dabei höchstens eine einzige Pyramide zerstört, und er kann sofort damit beginnen, aus den Trümmern eine weitere kleine Pyramide zu konstruieren. Der nipponische Intellektuelle hat, wenn überhaupt, ein äußerst flexibles Rad, das sich durch allerlei Fakten dreht. Der gallische Intellektuelle wird seine Schwierigkeiten gewöhnlich hinter einer weiteren eleganten Formulierung verbergen können, die vieldeutig genug und vielleicht etwas großspurig ist, ihm am Ende aber doch die Bescheinigung ›votre présentation magistrale‹ einträgt. . . . Deshalb ist es auch kein Wunder, dass er (Teutone) seine Arbeit mit einer gewissen inneren Nervosität in Angriff nimmt, die sich in Muskelverspannung ausdrückt, und einem Gesicht, aus dem die letzte Spur von Humor und Distanz gewichen ist. Keine Anekdote, keine Analogie, keine Euphonie und kein spielerisches Jonglieren mit Bedeutungen – nichts vermag das Desaster zu verschleiern, das eine teutonische Pyramide treffen kann« (Galtung 1983, S. 24). Plakativ gefasst stellen sich die Vertreter der vier Stile folgende zentrale Fragen, wenn sie mit einer strittigen These konfrontiert werden: – Sachsonischer Stil: »Wie lässt sich das operationalisieren?« (US-Version); »Wie lässt sich das belegen?« (UK-Version); – Teutonischer Stil: »Wie können Sie das zurückführen, ableiten?« – Gallischer Stil: »Kann man das auch auf gut Französisch sagen?« – Nipponischer Stil: »Wer ist Ihr Meister?« Problematisch werden diese unterschiedlichen Denk- und Argumentationsstile wiederum erst in der interkulturellen Begegnung, wie bei einem Vortrag, einem Meeting oder einer Präsentation. Dann wirkt im schlechtesten Fall der sachsonische Vertreter auf den teutonischen Zuhörer als wenig weit blickend und umgekehrt der teutonische Sprecher als »humourless overdose of intellectuality«. Der gallische Sprecher wirkt auf den teutonischen Zuhörer wie ein Schaumschläger, während der teutonische Sprecher © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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den gallischen Zuhörer einfach nur langweilt. Der nipponische Sprecher wird von den Teutonen als unlogisch und unstrukturiert wahrgenommen, während aus nipponischer Perspektive der teutonische Sprecher als unangenehm anmaßend und arrogant erscheint. Um diese Fehlbeurteilungen zu vermeiden, ist es deshalb anzuraten, die Argumentationslinie im Hinblick auf die Zuhörerschaft zu überprüfen, ob etwa in einer wissenschaftlichen Präsentation vor einer »sachsonischen« Zuhörerschaft auch wirklich genug Daten, Statistiken und so weiter zur Untermauerung der eigenen Aussagen eingefügt sind oder ob in einem Vortrag vor einer französischen Zuhörerschaft der Aufbau des Vortrags auch etwas eleganter formuliert werden kann als »Ich habe meinen Vortrag in drei Teile gegliedert. Erstens . . .«.

2.1.3 Zuhörerschaft Der rhetorische Erfolg liegt nicht in der Wortgewalt des Redners, sondern in der Wahrnehmung durch die Zuhörerschaft. Eine Präsentation kommt bei den Zuhörern im übertragenen Sinn nur dann an, wenn sie bei ihnen auch tatsächlich ankommt, also für sie verständlich und nachvollziehbar ist. Doch damit es überhaupt zu einer Verständigung kommen kann, müssen die Zuhörer bereit sein, dem Vortragenden zu folgen, was durchaus nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, wie folgende kritische Situation eines deutschen Managers in der VR China belegt: »Nachdem ich mich in meinem Bereich hier in China eingearbeitet hatte und mir auffiel, wie neugierig meine etwa 300 chinesischen Mitarbeiter bezüglich meiner Person und meiner Aufgabe waren, beschloss ich, an einem Samstagnachmittag ein Meeting einzuberufen, um mich und meine Arbeit vorzustellen. Nun saßen wir in unserem großen Sitzungssaal den Mitarbeitern gegenüber, und mein chinesischer Stellvertreter las seine schon lange vorbereitete Rede, die eigentlich alles beinhaltete, fein säuberlich vom Blatt ab. Auf mich wirkte die Art und Weise seines Vortrags wie etwas Heruntergebetetes in der Kirche. Zudem fiel mir zu meinem Entsetzen auf, daß die Gesichter der Chinesen immer teilnahmsloser wurden, ihre Köpfe fielen immer weiter nach vorn, und einige hatten schon keine Hemmungen mehr, den Kopf auf den Tisch zu legen und zu schlafen. Ich überlegte während der Rede meines Stellvertreters, was ich eigentlich noch erzählen könnte. Mittlerweile schlief schon die halbe Mannschaft, und plötzlich war ich an der Reihe. Ich stand bewusst laut und polternd auf, schaute in die Runde und sagte nichts. Es war totenstill. Alle noch nicht Eingeschlafenen schauten mich erwartungsvoll an. Ich wartete, was nun passieren würde,

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aber es passierte nichts. Um die Mannschaft zu wecken, sagte ich schließlich: ›Ich bin heute nachmittag freiwillig hier, es ist meine Freizeit. Natürlich haben Sie eine harte Woche hinter sich und die letzten beiden Stunden waren auch nicht einfach. Aber trotzdem bitte ich Sie, meinen Ausführungen noch zuzuhören. Wer nicht zuhören möchte, der sollte jetzt bitte gehen.‹ Mein Übersetzer schaute mich mit großen Augen an, worauf ich ihm sagte, daß er genau das übersetzen solle. Allmählich wurden tatsächlich einige Leute wach, andere schliefen jedoch seelenruhig weiter. Nun ging ich einen Schritt weiter und zeigte mit dem Finger auf einige Leute und sagte: ›Also, wenn Sie meinen, Sie könnten hier schlafen, dann gehen Sie jetzt bitte!‹ Zu meinem Erstaunen blieben aber alle sitzen und lachten« (Thomas u. Schenk 2001, S. 124 ff.). Das Verhalten der chinesischen Zuhörerschaft lässt sich leichter erklären, wenn man berücksichtigt, dass bereits im klassischen China, aber insbesondere während der kommunistischen Herrschaft regelmäßige Versammlungen für Beamten und Kader an der Tagesordnung waren, in denen sie über neue Richtlinien aufgeklärt wurden, was sich auch in den Staatsbetrieben fortgesetzt hat. Die Zuhörenden wissen, dass es sich bei diesen Vorträgen zumeist um bereits bekannte Propaganda handelt und nur selten um etwas wirklich Interessantes. Die »schläfrige« Reaktion ist deshalb durchaus verständlich. Der deutsche Manager irrt allerdings, wenn er glaubt, dass seine Zuhörer selbstständig entscheiden könnten, ob sie den Raum verlassen oder nicht. Ein solches Verhalten wäre äußerst unhöflich und das nachfolgende Lachen ist wohl eher als Bewältigung einer peinlichen Situation zu deuten (vgl. Thomas u. Schenk 2001). Die Dauer eines Vortrags oder einer Präsentation richtet sich nach der kulturspezifischen Aufmerksamkeitsspanne. So sind US-Amerikaner oder Australier nach Lewis (2000) im Durchschnitt kürzere Präsentationen gewohnt als deutsche Zuhörer. Die Diskussion oder Aussprache nach einem Vortrag ist für den Präsentierenden oftmals eine schwierige und unsichere Situation, da er oder sie ohne vorbereitetes Konzept aus dem Augenblick heraus Stellung nehmen muss. In einer interkulturellen Redesituation weist diese Phase kulturbedingte Eigenheiten auf, für die der Vortragende sensibel sein sollte, will er oder sie adäquat auf die Äußerungen des Publikums reagieren. So neigt eine französische, aber auch eine deutsche Zuhörerschaft dazu, sehr direkt auf Unzulänglichkeiten hinzuweisen oder Gegenargumente aufzufahren, gegen die sich der Vortragende dann entsprechen zu wehren hat. Ein USamerikanisches oder englisches Publikum wiederum wird zunächst viele Aspekte der Präsentation ausführlich loben und erst dann eine eventuelle Kritik folgen lassen, während ein Vortragender in Japan eher wenig Fragen oder gar Kritik im Anschluss hören wird. Auch hier wie in den USA ist es © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nicht der Fall, dass die Zuhörerschaft alles Gesagte begeistert und unkritisch aufnimmt, sondern es ist ein Gebot der Höflichkeit dem Vortragenden gegenüber, diesen nicht öffentlich zu blamieren und bloßzustellen.

2.1.4 Vorbereitung auf interkulturelle Redesituationen Um die Überzeugungskraft des eigenen rhetorischen Auftretens auch in interkulturellen Redesituationen zu erhalten, ist eine intensive Vorbereitung notwendig, die anhand folgender Leitfragen vorgenommen werden kann: 1. In welcher Rolle spreche ich warum und wann zu wem? Welche kulturspezifischen Verhaltensweisen werden dabei von mir erwartet? Kann und will ich diese mit dem mir zur Verfügung stehenden Handlungsrepertoire erfüllen? 2. Was macht einen glaubwürdigen und überzeugenden Sprecher in der Zielkultur aus? 3. Wie gut kenne ich mein übliches Redeverhalten, vor allem in Bezug auf verbale und nonverbale Signale? 4. Wie gut kann ich es während einer Präsentation steuern? 5. Wie flexibel bin ich in meinen rhetorischen Möglichkeiten? 6. Genügt die vorbereitete Präsentation in besonderer Weise den Verständlichkeitskriterien? 7. Welche Bedeutung und Überzeugungskraft haben meine Argumente in der Zielkultur? 8. Wie wird in der Zielkultur Rückmeldung gegeben? Wie gut kann ich diese Rückmeldungen einschätzen? In interkulturellen Rhetoriktrainings off-the-job oder im Coaching onthe-job ist es möglich, durch video-gestütztes Feedback eine Außenansicht des eigenen rhetorischen Verhaltens zu erhalten. Gemeinsam mit einem Trainerteam, bestehend aus einem Trainer der Zielkultur und einem der eigenen Kultur, können dann das eigene Auftreten überprüft und Handlungsalternativen für unterschiedliche Zielgruppen und Redeanlässe erarbeitet und ausprobiert werden. Ziel einer solchen Maßnahme ist nicht, das individuelle Redeverhalten des Einzelnen, das er oder sie sich im Lauf der Sozialisation angeeignet hat, durch eine Ansammlung von kulturellen Verhaltensregeln zu ersetzen und einen »Kulturschauspieler« zu erzeugen. Vielmehr geht es darum, das individuelle rhetorische Handlungsrepertoire so zu erweitern, dass der Vortragende seine Absichten in Worte kleiden kann, die auch das anderskulturelle Ohr erreichen und verstanden werden.

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Stefan Kammhuber: Interkulturelle Verhandlungsführung

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2.2 Interkulturelle Verhandlungsführung

2.2.1 Kultur und Verhandlungstechnik Als der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 1998 sein Amt antrat, erklärte er in Anspielung auf seinen Vorgänger Helmut Kohl mehrmals, dass seine internationale Politik ihre Substanz nicht durch gemeinsame Saunagänge mit dem russischen Präsidenten erhalten sollte. Nach drei Jahren führte derselbe Kanzler äußerst wirkungsvoll eine deutsche Wirtschaftsdelegation zu Milliardengeschäften in der VR China. Der Erfolg dieser Reise wurde zu einem großen Teil auf die gute persönliche Beziehung Schröders zu dem chinesischen Premierminister Zhu Rongji zurückgeführt, die sich unter anderem in folgender Verhandlungseröffnung widerspiegelte: »Als die Delegationen wie üblich vis-a-vis Platz genommen hatten und Zhu seine Begrüßung beendet hatte, hob Schröder zu seiner Grußadresse an. Mehr noch als über die große Wirtschaftsdelegation freue er sich, dass seine Frau am nächsten Tag nachkomme, spielte Schröder auf ein außergewöhnliches Treffen der beiden Ehepaare in der Privatwohnung der Schröders in Hannover im vergangenen Jahr an. Darauf durchbrach Zhu das Protokoll: ›Schade, dass Ihre Tochter diesmal nicht dabei sein kann.‹ ›Wie Sie wissen‹, übernahm wieder Schröder, ›sind wir sehr diszipliniert.‹ Die Tochter habe derzeit Schule und könne sie nicht schwänzen« (Süddeutsche Zeitung, 2.11.2001). An diesem Beispiel aus der internationalen Wirtschaftspolitik kann man den Einfluss kultureller Normen und Werte auf Verhandlungssituationen ablesen. Das Statement Schröders zu Beginn seiner Amtszeit ist typisch für die im deutschen Kulturkreis vorherrschende Einstellung, dass das Schaffen persönlicher Beziehungen zu Verhandlungspartnern ein Verhalten darstellt, das in Verhandlungen besser keine Rolle spielen sollte. Es beraubt den Verhandlungsführer seiner Flexibilität, einen möglichst rational gesteuerten, sachorientierten Verhandlungsprozess zu einem optimalen Abschluss zu bringen. Im Kontrast dazu wird in vielen anderen Kulturkreisen, wie zum Beispiel in China erst dann erfolgreich miteinander verhandelt und

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das Verhandlungsergebnis auch umgesetzt, wenn eine tragfähige persönliche Beziehung zum Verhandlungspartner hergestellt worden ist. Von einer Verhandlung kann gesprochen werden, wenn folgende Kriterien erfüllt sind (Rubin u. Brown 1975): – Mindestens zwei Parteien sind involviert. – Es gibt Interessenkonflikte. – Die Parteien gehen freiwillig über einen gewissen Zeitraum eine Beziehung miteinander ein. – In dieser Beziehung geht es um Aufteilung oder Austausch spezifischer Ressourcen und/oder die Lösung problematischer Themen zwischen den Parteien oder denen, die sie vertreten. – Die Verhandlungsaktivität beinhaltet für gewöhnlich die Präsentation von Forderungen oder Angeboten einer Partei, gefolgt von Zugeständnissen oder Gegenvorschlägen. Diese Aktivitäten laufen zumeist sequenziell und nicht simultan ab. Der Einfluss kultureller Faktoren auf den Verhandlungsprozess wird häufig marginalisiert. Durch die Globalisierung vieler Gesellschaftsbereiche hat sich eine internationale Verhandlungskultur herausgebildet, andere Faktoren wie nationale, politische, organisationsspezifische Interessen oder Machtverhältnisse drängen kulturelle Aspekte in den Hintergrund (z. B. Zartmann 1993). In der Tat ist ein Verhandlungsprozess von einer Vielzahl äußerer Einflussfaktoren bestimmt und es existiert auch eine gewisse internationale Übereinkunft, was bei internationalen Verhandlungen zu geschehen hat. Allerdings wird bei dieser Argumentation übersehen, dass Verhandeln immer auch ein soziales Geschehen ist, bei dem zu jedem Zeitpunkt Menschen miteinander kommunizieren müssen. Diese Menschen bringen immer auch eine kulturelle Biografie ein, die sie nicht einfach abstreifen können, sondern mehr oder weniger mühsam an ein, in einem bestimmten Kulturkreis entstandenes Verhandlungsmodell anpassen. Voraussetzung dafür ist aber immer, dass ihnen das geforderte Verhandlungsmodell bekannt ist. Existiert keine standardisierte Verhandlungskultur, so wirken sich umso stärker kulturspezifische Normen, Werte und Regeln auf den Verhandlungsprozess aus und können unter Umständen Missverständnisse oder Konflikte erzeugen, die zu einem suboptimalen Ergebnis oder gar zum Scheitern führen. Bundeswehrsoldaten, die im Rahmen des KFOR-Einsatzes in Kroatien um die Anmietung einer Lagerhalle verhandelten, berichteten: ». . . wir wollten uns nicht so schnell preislich einlassen, sondern ihn hinhalten. Naja, das Hinhalten kam dann von seiner Seite, indem er einfach nicht kam, Termine nicht eingehalten hat, Preisabsprachen dann am nächsten Tag umwarf oder von nichts wusste, dass es abgesprochen war. Das ging © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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schon so los, dass der erstmal gar nicht oder verspätet kam und dann gleich signalisierte, er hätte nicht viel Zeit und uns dann auf morgen vertröstet hat. Und dann hat man am nächsten Tag dann das gleiche Pech gehabt. Das sind Verhandlungspraktiken, die wir hier nicht gewöhnt sind, die wir auch als Soldat vorher noch nicht geführt haben. Ich war nie in einer Situation, mit jemand über etwas zu feilschen und da wars einfach an der Tagesordnung. Wir sind da verarscht worden« (Thomas et al. 1997, S. 123).

2.2.2 Elemente einer Verhandlungssituation Zu einer guten Verhandlungsvorbereitung im internationalen Kontext gehört es, im Vorfeld die Struktur einer Verhandlung im Hinblick auf eventuelle kulturelle Einflüsse zu analysieren. Es lassen sich folgende Basiselemente unterscheiden: Verhandlungskontext, Akteure, Gegenstand der Verhandlung, Strategie, Prozess und Dolmetscher/Mediatoren (Thomas et al. 1997; Faure u. Sjöstedt 1993). VERHANDLUNGSKONTEXT Ort; Zeitpunkt; Anlass; Historie

PARTEI A

VERHANDLUNGSGEGENSTAND

PARTEI B

VERMITTLER Mediator/ Dolmetscher

Abbildung 14

Verhandlungskontext Verhandlungen finden nicht in einem luftleeren Raum statt, sondern in einem festgelegten situativen Kontext, der durch Zeit, Ort und die von den Verhandlungen betroffenen Personen, wie die Verhandlungspartner selbst, die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen oder die (mediale) Öffentlichkeit, bestimmt ist. In monokulturellen Verhandlungen kann man darauf vertrauen, dass alle beteiligten Parteien von mehr oder minder gleichen Erwartungen bezüglich dieses Kontextes ausgehen. In interkulturellen Verhandlungen können die Verhandlungspart-

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ner aber durchaus unterschiedliche Erwartungen an eine Verhandlungssituation stellen. So kann einem Verhandlungsort eine kulturspezifische Symbolik zukommen, die ein bestimmtes Verhältnis der Verhandlungsparteien zueinander definiert. Ebenso kann es eine Rolle spielen, zu welchem Zeitpunkt eine Verhandlung stattfindet, wenn zum Beispiel sich eine Verhandlung in der VR China in die Weihnachtszeit erstreckt und die deutsche Delegation sich dadurch zu schnelleren Entscheidungen gedrängt fühlt (Thomas u. Schenk 2001) oder wie lange für gewöhnlich eine Verhandlung in einer Kultur zu dauern hat, wie viele Parteien miteinander verhandeln und in welcher Sprache verhandelt wird.

Akteure Jeder Verhandlungspartner bringt in eine Verhandlung ein für sein Unternehmen, seine Gesellschaft oder Nation typisches Orientierungssystem ein, das sein Denken, Werten, Fühlen und Handeln bestimmt. Legt er oder sie nur das eigene Orientierungssystem als Bezugssystem an das Verhalten der anderen Partei an, so ist die Gefahr groß, dass daraus Missverständnisse oder Konflikte resultieren, die das Verhandlungsergebnis nachhaltig verschlechtern können. Eine lange Verhandlungsdauer, wie sie bei deutschchinesischen Joint Ventures sehr häufig erlebt wird, ist meist darauf zurückzuführen, dass bestimmte Entscheidungen mit vielen Personen in einem komplizierten hierarchischen und bürokratischen Gefüge konsensuell abgestimmt werden. Wenn aus Unkenntnis über diese Entscheidungswege die Dauer als ausschließlich taktisches Manöver interpretiert wird, »um die Deutschen weich zu kochen«, dann wird sich das Verhandlungsklima nachhaltig verschlechtern, was wiederum zu Verhaltensreaktionen auf deutscher Seite führen kann, die von der chinesischen Seite als unhöflich oder unflexibel gedeutet werden könnten, wie Druck auszuüben im Kommunikationsverhalten oder durch das Setzen von K.O.-Kriterien oder engen Deadlines. Die Konsequenz daraus ist, dass es für den Verhandlungserfolg unabdingbar ist, im Vorfeld einer Verhandlung zu prüfen, inwieweit der eigene kulturgeprägte Verhandlungsstil angemessen ist oder durch welche Strategien und Verhaltensmuster Schwierigkeiten entstehen könnten, die das Ergebnis und das Klima der Verhandlung beeinflussen. Dazu ist es notwendig, sich mit dem Verhandlungsstil in der fremden Kultur genau auseinander zu setzen. Je mehr Informationen über die eigene und die fremde Partei zur Verfügung stehen, umso mehr Handlungsalternativen werden wahrgenommen und es kann flexibler verhandelt werden. Diese Informationen beinhalten das Wissen um kulturtypische Entscheidungs-

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prozesse, Strategien, (nonverbale) Kommunikationsgewohnheiten bei der Präsentation und Diskussion von Angeboten und/oder das Festhalten von Ergebnissen. Doch bereits die Zusammensetzung von Verhandlungsdelegationen unterliegt kulturellen Einflüssen, etwa inwieweit es üblich ist, dass Frauen dort eine bedeutende Rolle übernehmen oder nicht; ob die fachliche Kompetenz, die hierarchische Position oder die Parteizugehörigkeit das entscheidende Kriterium für eine herausgehobene Position innerhalb eines Verhandlungsteams ist. Werden diese Faktoren nicht angemessen berücksichtigt, können zum Beispiel bei Nichtbeachtung der hierarchischen Ebene in stark formalisierten Kulturen wie in Japan peinliche Situationen entstehen.

Dolmetscher/Mediatoren Dolmetscher und Dolmetscherinnen werden in Verhandlungen oft ausschließlich als Sprachübersetzer eingesetzt, weniger als Experten für das fremde Orientierungssystem (»Kulturdolmetscher«, siehe Kap. I, 1.5, S. 81 ff.). Gerade Dolmetscher, die die Kultur beider Verhandlungsparteien kennen und fähig sind, sie zu erklären, können von großem Wert für den Erfolg einer Verhandlung sein, wie dieser Bericht einer japanischen Dolmetscherin deutlich macht: »Ich war in Kyoto mit einer deutschen Delegation. Und da gab es ein Gespräch über die Jugendarbeit, Umweltschutz und so weiter. Und da gab es schon unter den Deutschen eine Auseinandersetzung. Schon während des Gesprächs mit den Japanern. Eigentlich also ein internes Problem, das mit den Japanern gar nichts zu tun hatte. Dann hat man eine kleine Pause eingelegt. Die Auseinandersetzung zwischen den Deutschen eskalierte und wurde immer schlimmer und immer lauter. Sie haben sich gegenseitig beschimpft. Vor den japanischen Gastgebern. Solche lauten Auseinandersetzungen, das hassen die Japaner. Das ist ihnen höchst peinlich. Sie würden am liebsten im Boden versinken. Sie taten aber so, als ob nichts gewesen wäre. Als ob sie nichts mitgekriegt hätten. Und die beiden wurden immer lauter. Ich habe gesagt: ›Jetzt ist Schluss! Nichts mehr! Kein Wort mehr! Ihr könnt das nachher machen, aber nicht vor den Japanern!‹, habe ich gesagt. Und dann wurden sie auch still. Es ist ja gut, dass die Deutschen offen sind und ihre Meinungen sagen. Aber Japaner sind das nicht gewöhnt. Höchstens am Feierabend, nach ein bisschen Alkohol. Da kann man sich schon ein bisschen stärker kritisieren, aber doch nicht in aller Öffentlichkeit.« Sie wissen um die kulturspezifische Konnotation von Begriffen und sind in der Lage, diese beiden Seiten deutlich zu machen, wenn die wörtliche

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Übersetzung nicht weiterführt. Sie können direkt auf das Verhalten der Verhandlungspartei einwirken wie in dem geschilderten Fall oder Formulierungen modifizieren, wenn diese eventuell Missverständnisse auslösen oder Höflichkeitsnormen verletzen. Dolmetscher solcher Qualität nur reine Übersetzungsarbeit leisten zu lassen wäre eine Verschwendung hilfreicher Ressourcen. Bei der Vorbereitung der Verhandlungssituation sollte deshalb größter Wert auf die Auswahl interkulturell kompetenter und vertrauenswürdiger Dolmetscher gelegt werden.

Verhandlungsprozess Der Ablauf einer Verhandlung kann vereinfacht in drei Phasen unterteilt werden, die aufgrund unterschiedlicher kultureller Gewohnheiten unterschiedlich interpretiert und ausgefüllt werden können.

Einigen Abbildung 15: Drei Verhandlungsphasen

Kontaktherstellung und Vertrauensbildung Nach der kritischen Sondierung des Markts und der Auswahl potenzieller Verhandlungspartner erfolgt die Kontaktaufnahme zur Herstellung einer Verhandlungsbeziehung. Bereits in dieser Phase wirken sich unterschiedliche kulturelle Perspektiven auf den weiteren Verlauf aus. Wer ist ein »passender Partner«? Aus westlicher Sicht werden hierbei faktische Argumente wie Kompetenz, Kostendämpfung und Qualität ins Feld geführt, die ein Unternehmen als Verhandlungspartner qualifizieren. In Kulturen, die eher kollektivistisch geprägt sind und in denen Personen, Gruppen oder Unternehmen in lange bestehende Netzwerke eingebunden sind, wie in asiatischen Ländern, kann sich die Partnerwahl auch danach ausrichten, inwieweit dort gegenseitige Verpflichtungen erwachsen sind, die nun eingelöst werden müssen, selbst wenn andere Angebote von der Sache her attraktiver erscheinen. Kommt es zu einem Erstkontakt, ist es das übergeordnete Ziel für beide Parteien, ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufzubauen, das die Grundlage für produktive Verhandlungen bildet. Fehlt das gegenseitige Vertrauen, so ist die Wahrscheinlichkeit der Nutzung von Täuschungsmanövern und ma-

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nipulativen Taktiken vermehrt gegeben und die Verhandlung verläuft nach kompetitivem Muster. Allerdings unterscheiden sich in den verschiedenen Kulturkreisen vertrauensbildende und vertrauenserhaltende Handlungen und Symbole. In eher personenorientierten Gesellschaften (Thomas et al. 1998), etwa in arabischen, lateinamerikanischen oder asiatischen Ländern, wird größerer Wert darauf gelegt, zum Verhandlungspartner als Person und nicht nur als Repräsentant der Organisation oder des Unternehmens eine soziale Bindungaufzubauen.Dies drückt sich in für deutsche Verhältnisse langen und sehr privaten Kennenlerngesprächen aus, die häufig mit dem Verhandlungsgegenstand wenig zu tun haben. Die dabei entstehende Vertrauensbasis aber ist entscheidend für den späteren Verhandlungserfolg. Gerade Menschen aus sehr sachorientierten Kulturkreisen wie zum Beispiel Deutschland, fällt dieser erste Kontakt, das Schaffen von gegenseitiger Sympathie recht schwer. Es existieren wenig Handlungs- und Höflichkeitsroutinen, um diese Situationen angemessen, elegant und humorvoll zu bewältigen. Vertrauen gründet sich hier eher auf das geteilte Verständnis des Verhandlungsgegenstands sowie die klare Explikation von Interessen und Prozessen. Verhandeln und Einigen Eine Verhandlung setzt sich zusammen aus einer Vielzahl von Verhandlungssequenzen, bestehend aus Vorschlag, Zustimmung/Ablehnung/Diskussion, Ergebnisfeststellung. In diesem kommunikativen Prozess gewinnen kulturelle Aspekte der Präsentation eines Angebots, der Argumentation über die Berechtigung der eigenen Interessen, der Gesprächsführung und der nonverbalen Kommunikation an Bedeutung. Dies wirkt sich auf die Verhandlungsspanne zwischen Maximal- und Minimalforderung aus, innerhalb derer eine Einigung erzielt werden soll, und auf die Häufigkeit des Wechsels von Angebot und Gegenangebot. Deutsche Verhandlungspartner werden häufig als unflexibel wahrgenommen, weil die Verhandlungsspanne zumeist recht eng gefasst und die Schmerzgrenze nach nur wenigen Verhandlungssequenzen erreicht wird, wohingegen in arabischen Ländern eine wesentlich höhere Anzahl an Verhandlungssequenzen zu beobachten ist. Verhandeln wird weniger als rein rationales Abwägen von Positionen betrachtet, das möglichst schnell und effektiv abgewickelt werden muss, sondern als beziehungsstiftender Vorgang, der auch Zeit benötigt. Umsetzung des Verhandlungsergebnisses Das wichtigste Ziel nach einer Verhandlung ist, dass die in einem Vertrag gemeinsam getroffenen Vereinbarungen auch eingehalten werden. Doch häufig tauchen in dieser Phase Missverständnisse auf, die gegenseitiges Miss-

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trauen nach sich ziehen. Deutsche Verhandlungsparteien gewinnen Vertrauen zu ihren Verhandlungspartnern, wenn nach einem Diskussionsprozess im Konsens möglichst konkrete schriftliche Vereinbarungen getroffen werden, die auch überprüfbar sind. Werden diese Bestimmungen exakt eingehalten, gewinnt der Vertragspartner an Vertrauen. Hält der Vertragspartner aber bestimmte Regelungen nicht ein oder interpretiert diese großzügig, so verliert der Partner das Vertrauen. Dabei kommt der römische Rechtsgrundsatz des »Pacta sunt servanda« (Verträge müssen eingehalten werden) zum Tragen. Aus der Sicht anderer Kulturkreise steht ein ausführlicher gemeinsam unterzeichneter Vertrag nicht am Ende einer Geschäftsbeziehung,sondern am Anfang, was einen deutschen Anwalt in Shanghai zu der Aussage verleitete: »Once the contract has been signed, the real problems start.« Verträge hemmen aus dieser Sicht die Flexibilität, die sich immer wieder verändernden äußeren Umstände angemessen zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist ein sehr detaillierter Vertrag eher ein Grund für Misstrauen gegenüber dem Verhandlungspartner, der mit dieser Konkretheit eventuell ein noch verdecktes Ziel verfolgt. Langfristige Geschäftsbeziehungen hängen dann weniger von der Gestaltung der Verträge ab als von der sozialen Beziehung, die zwischen den Partnern aufgebaut wurde und die gepflegt werden muss.

2.2.3 Was macht einen guten interkulturellen Verhandlungspartner aus? Gibt es den geborenen Verhandlungsführer? Die Forschung hat gezeigt, dass erfolgreiche und kooperative Verhandlungsführer über folgende Fähigkeiten und Eigenschaften verfügen (Rubin u. Brown 1975): – kontrolliertes Risikoverhalten, – Fähigkeit, Ereignisse in ihrer Komplexität wahrnehmen und beurteilen zu können, – Fähigkeit, uneindeutige Situationen zu ertragen, – positives Selbstkonzept, – kooperative und nicht autoritative Einstellung. In internationalen Verhandlungen wird zudem eine interkulturelle Verhandlungskompetenz notwendig (siehe Kap. I, 1.9, S. 138 ff.). Der Verhandler sollte über das Wissen verfügen, welche kulturspezifischen Erwartungen die Verhandlungspartner an das Verhandlungssetting und den Verhandlungsprozess ausgebildet haben. Dann wird es möglich, eine Verhandlungssituation so zu gestalten, dass alle beteiligten Parteien zu beiderseitigem Gewinn kooperieren können. Letztlich ist dazu die Fähigkeit zum Perspektivenwech-

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sel unersetzlich. Je intensiver die fremden und eigenen Verhandlungsinteressen und deren Begründungsmuster im Vorfeld der Verhandlung studiert worden sind, umso wahrscheinlicher ist es, dass bei Interessensgegensätzen Alternativlösungen überhaupt wahrgenommen und zu beiderseitigem Vorteil genutzt werden können. Eine erfolgreiche Verhandlung beruht auf einer intensiven Vorbereitung, bei der auch folgende Fragen berücksichtigt werden sollten: Verhandlungskontext – Welche Erwartungen existieren auf beiden Seiten im Hinblick auf Raum, Zeit, Dauer und Ablauf der Verhandlung? – Wie werden Verhandlungsergebnisse festgehalten? – Welche Verbindlichkeit haben schriftliche Verträge in der betreffenden Kultur? – Welche Verhandlungssprache wird verwendet? Verhandlungsgegenstand – Wie wird der Verhandlungsgegenstand von der anderen Partei definiert? – Muss gegebenenfalls die eigene Argumentation modifiziert werden, um Missverständnisse zu vermeiden? Fremde Verhandlungspartei – Welche Kulturstandards wirken sich auf das Verhandlungsverhalten insbesondere aus? – Welcher Kommunikationsstil wird von der fremden Verhandlungsseite gepflegt? – Wie werden Angebote in der fremden Kultur präsentiert? – Nach welchem kulturspezifischen Prinzip ist die Delegation zusammengesetzt? – Wie ist die Hierarchie in der Delegation abgebildet? – Inwieweit muss diese Hierarchie im Verhalten berücksichtigt werden? – Wie weit reichend sind die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der Verhandlungspartner? Eigene Verhandlungspartei – Welche Kulturstandards leiten das eigene Verhandlungsverhalten? – Welcher Kommunikationsstil wird von der eigenen Seite gepflegt? – Muss abhängig von den Verhandlungspartnern daran etwas geändert werden? – Wie wird das eigene Verhandlungsangebot präsentiert? – Welche Wirkung erzielt meine Präsentation bei der Zielgruppe? – Wie ist die eigene Verhandlungsdelegation zusammengesetzt? – Muss an dieser Zusammensetzung etwas verändert werden, um Missverständnisse und konfliktträchtige Situationen zu vermeiden?

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– Sind die eigenen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten im Vorfeld geklärt worden? Rolle der Dolmetscher und Mediatoren – Inwieweit wird ein Dolmetscher benötigt? – Wie kompetent und vertrauenswürdig ist der ausgewählte Dolmetscher? – Besitzt er eine beidseitige interkulturelle Kompetenz? – Welche Freiheiten besitzt der Dolmetscher, kulturangemessen zu handeln? Die Förderung der eigenen interkulturellen Verhandlungskompetenz bedarf einer intensiven Reflexion des Prozesses einer Verhandlung, nicht nur ihres Ergebnisses. Qualifizierte Dolmetscher oder interkulturelle Coachs können diese Reflexion als Lernförderer unterstützen und bei der weiteren Strategieentwicklung wichtige Hinweise geben. Doch gerade die Zeit zur kritischen Prüfung der eigenen Vorgehensweise gestatten sich Unternehmen und Organisationen nur selten, da sie eine scheinbar unproduktive Zeit ist. Andererseits sind internationale Kooperationen aufgrund der hohen Anfangsinvestitionen zumeist mittel- bis langfristig angelegt. Eine gewinnbringende Kooperation kann nur auf einer festen Vertrauensbasis entstehen. Sie entsteht aber nur, wenn die kulturellen Normen und Werte aller Beteiligten angemessen berücksichtigt werden.

Literatur Fang, T. (1998): Chinese Business Negotiating Style. Thousand Oaks. Faure, G. O.; Sjöstedt, G. (1993): Culture and Negotiation. An introduction. In: Faure, G. O.; Rubin, J. Z. (Hg.), Culture and Negotiation. Newbury Park, S. 1–13. Rubin, J. Z.; Brown, B. R. (1975): The Social Psychology of Bargaining and Negotiation. New York. Thomas, A.; Schenk, E. (2001): Beruflich in China. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte. Göttingen. Thomas, A.; Kammhuber, S.; Layes, G. (1997): Interkulturelle Kompetenz: Ein Handbuch für internationale Einsätze der Bundeswehr. Untersuchungen des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr, 32. München. Thomas, A.; Layes, G.; Kammhuber, S. (1998): Sensibilisierungs- und Orientierungstraining für die kulturallgemeine und kulturspezifische Vorbereitung von Soldaten für Auslandseinsätze. Untersuchungen des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr, 33. München. Zartmann, I. W. (1993): International Negotiation: Does culture make a difference? A skeptics view. In: Faure, G. O.; Rubin, J. Z. (Hg.), Culture and Negotiation, 17–22. Newbury Park.

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Stefan Kammhuber: Interkulturelles Kon fliktmanagement und Mediation

Stefan Kammhuber

2.3 Interkulturelles Konfliktmanagement und Mediation

Konflikte sind im menschlichen Leben allgegenwärtig. Sie entstehen, wenn in einer Situation miteinander zunächst unvereinbar erscheinende Handlungsziele verfolgt werden. Diese Gegensätze können zum Beispiel aus inkompatiblen Eigeninteressen, Sachzielen, Wertorientierungen oder Beziehungsdefinitionen bestehen. Mit ihnen konstruktiv umzugehen, verlangt von Konfliktparteien ein hohes Maß an sozialer Kompetenz. Besonders komplex wird die Bewältigung von Konfliktsituationen, wenn in ihnen unterschiedliche kulturelle Orientierungssysteme bei der Konfliktentstehung, der Konfliktwahrnehmung und -bewertung, in dem gezeigten Konfliktverhalten oder in den bevorzugten Konfliktlösungsstrategien eine Rolle spielen. Zunächst lassen sich Konflikte danach unterscheiden, ob sie sich in einer Person (intrapersonal) oder zwischen Personen (interpersonal) ereignen. Bei einem intrapersonalen Konflikt erlebt die Person Widersprüche zwischen internalisierten Zielen, Interessen oder Normen, die nicht miteinander vereinbar sind. Dieser Zustand ergibt sich aus der Kollision verschiedener interner Orientierungssysteme, aus denen sich die eigene Identität zusammensetzt. So kann die vierjährige Auslandsentsendung nach Mexiko für die berufliche Karriere förderlich und aus eigenem Interesse die Erfüllung eines lang gehegten exotischen Wunsches sein. Aus der Sicht als Familienvater, der sein Kind aus dessen sozialem Netzwerk herausreißt, oder als Freund, der seinen Freundeskreis für lange Zeit hinter sich lässt, wird eine solche Entscheidung anders bewertet. Es kommt zu einem inneren Konflikt. Die Intensität, mit der ein solcher Konflikt erlebt wird, hängt ab von der Wertung der Handlungsalternativen, die die Normen und Werte dieser inneren Orientierungssysteme jeweils nahe legen. Insbesondere in der Begegnung mit einer fremden Kultur erleben Personen häufig Lebensgewohnheiten, die den ihren entgegenlaufen und die sie ablehnen. Infolge der Globalisierung entstehen neue Arbeitsfelder, die die kulturelle Identität der Arbeitnehmer herausfordern oder gar bedrohen, wie beispielsweise in der unten beschriebenen Einrichtung von US-Call-Centern in Indien. »Um kostengünstigen Kundenservice anzubieten, wurden von US-amerikanischen Firmen in Indien sog. ›Call-Center‹ gegründet, in denen junge

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Inder die telefonischen Wünsche amerikanischer Kunden erfüllen, ohne dass für den Anrufer bewusst wird, dass sein Anruf außerhalb der USA und in einer anderen Zeitzone bearbeitet wird. Dazu werden die indischen CallCenter-Agenten trainiert, eine US-amerikanische Identität inklusive neuem Namen anzunehmen und ihre eigene Identität während der Arbeitszeit zu verleugnen. Die Folge dieser Arbeitsform ist eine zunehmende Anzahl an psychosomatischen Erkrankungen. ›Die meisten, die hier ankommen‹, so ein indischer Psychiater, ›sind ein psychischer Müllhaufen. Dieser Job verändert die jungen Menschen in psychischer, emotionaler und sozialer Hinsicht. Ihre Arbeitspersönlichkeit können die meisten nicht mehr ablegen. Da geht man nicht wieder raus und ist wieder Hindu‹« (SZ, Nr. 300, 31.12.2001). Interpersonale Konflikte entzünden sich an einer bestimmten Zielkollision. Durch die Uninformiertheit über das Orientierungssystem des jeweils anderen und dessen Gewohnheiten des Wahrnehmens, Fühlens, Denkens und Handelns kann es zu Missverständnissen kommen, deren Auflösung meist zu weiteren Missverständnissen führt und in einen immer weiter eskalierenden Konflikt münden kann.

2.3.1 Konfliktbewertung Das Management von konflikthaften Situationen hängt entscheidend davon ab, inwieweit Konflikte in bestimmten Kulturen von vornherein als grundsätzlich negativ beurteilt werden, weil sie eine Gefährdung der sozialen Harmonie bedeuten, wie in vielen asiatischen Kulturregionen, oder ob sie unter bestimmten Umständen sogar förderlich sein können und offen ausgetragen werden sollten (als »reinigendes Gewitter«). Eine Sozialisation in der abendländischen Tradition der Dialektik, bei der sich aus der Akzentuierung strittiger Meinungen eine weiterführende Lösung ergeben soll, führt zu einer Wertschätzung von offen artikulierten, logisch zwingenden Argumentationsmustern. Diese Form der Konfliktbetrachtung ist nur dann in einem sozialen Gemeinwesen durchführbar, wenn es möglich ist, den Konfliktgegenstand getrennt von den daran beteiligten Personen zu besprechen, zum Beispiel in Deutschland. Das sieht man auch daran, dass dies als explizite Verhaltensregel in Ratgebern zum Konfliktmanagement oder der Verhandlungstechnik formuliert wird, wie zum Beispiel in dem Verhandlungstechnik-Bestseller von Fisher, Ury und Patton (1995), in dem ein Hauptpostulat lautet: »Trenne Person von Sache!«. In kollektivistischen Gesellschaften ist dies nicht ohne weiteres möglich, da in ihnen die carte© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sianische Trennung zwischen Geist und Materie nicht vollzogen wird. Jeder Angriff in der Sache ist auch gleichbedeutend mit einem Angriff auf die Person, die gemeinsame Beziehung und die dem größeren Kontext innewohnende Ordnung und Harmonie. In diesen eher kollektivistischen Gesellschaften, in denen die Trennung von Person und Sache nicht vollzogen wird – und dies ist die überwiegende Mehrzahl der Kulturkreise –, ist ein Verfahren der explizit artikulierten strittigen Meinungen eher negativ besetzt, wie das Beispiel einer Fremdsprachendozentin an einer indonesischen Universität zeigt, die anhand einer Debattenübung über ein Pro-Contra-Thema folgende Situation erlebte: »Ich führte in meiner Klasse eine Pro-Contra-Übung durch. Es kam eine richtige Diskussion zustande in der Klasse mit Rede und Gegenrede, ohne daß ich mich dazwischengeschaltet hätte. Ich war im Hintergrund die Moderatorin. Plötzlich, während der Diskussion sagte dann eine Kursteilnehmerin ganz erschrocken: ›Wir streiten uns! Wir streiten uns!‹ Und dann war Totenstille in der Klasse. Alle hatten sich erschreckt und ihnen war dann zu Bewußtsein gekommen, sie hatten etwas gemacht, was eigentlich in der indonesischen Kultur nicht üblich oder nicht erlaubt ist« (Thomas et al. 1998, S. 285). Die durch das Debatten-Setting provozierte Dialektik und Spaltung der Gruppe führt zu dem Erleben einer Beziehungsstörung, die als unangenehm empfunden wird und durch Vermeidungsstrategien wie zum Beispiel Schweigen überwunden werden kann.

2.3.2 Konfliktwahrnehmung Bereits bei der Wahrnehmung der gleichen Konfliktsituation werden für Menschen aus unterschiedlichen Orientierungssystemen systematisch unterschiedliche Aspekte bedeutsam. Menschen aus eher individualistischen Gesellschaften tendieren dazu, eher sachbezogene Differenzen als Konfliktquelle wahrzunehmen, während in kollektivistischen Gesellschaften eher ein angespanntes Gruppenklima als konfliktauslösend gesehen wird (Gudykunst 1994). Konfliktsituationen werden von den meisten Menschen deswegen als unangenehm empfunden, da in ihnen potenziell eine Gefährdung des Selbstbildes droht, wenn die eigenen Interessen nicht angemessen berücksichtigt werden. Dieser Wille, »das Gesicht zu wahren«, ist ein universell beobachtbares Phänomen, das sich allerdings kulturspezifisch ausformt. Es lassen sich unterschiedliche Arten der »Gesichtsarbeit« beobachten, die

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den weiteren Verlauf einer Konfliktsituation maßgeblich beeinflussen (Ting-Toomey 1988). Während es in individualistischen Gesellschaften von zentraler Bedeutung ist, eine Konsistenz zwischen dem persönlichen und dem nach außen dargestellten Selbst herzustellen und zu erhalten, ist das öffentlich gezeigte Selbst in kollektivistischen Gesellschaften vor allem auf die Erfüllung sozialer Verpflichtungen in einem sozialen Netzwerk ausgerichtet. Die Besorgnis gilt für Erstere der Aufrechterhaltung des eigenen Gesichts, während für Letztere vor allem gesichts-gebende und gesichts-belassende Handlungen in Bezug auf den oder die Anderen an einer Situation Beteiligten wichtig sind (Gelfand et al. 2001).

2.3.3 Konfliktverhalten Ist ein Konflikt entstanden, bestimmt das Verhalten der Konfliktparteien den weiteren Verlauf. Vor allem in kollektivistischen Kulturen wird zumeist versucht, Konflikte zu vermeiden, bevor sie ausbrechen. Dies geschieht zum Beispiel durch die sorgfältige Planung offizieller Anlässe in Bezug auf Teilnehmer, Sitzordnung und so weiter. Damit sichert man sich gegenüber eventuellen Peinlichkeiten oder Konflikten aufgrund beispielsweise einer dem Status der Person nicht angemessenen Positionierung ab. Damit ein sich anbahnender Konflikt möglichst früh erkannt und umgangen werden kann, erfolgt eine hohe Konzentration auf sprachliche und vor allem nichtsprachliche Signale für Wohlbefinden oder Unwohlsein der Gesprächspartner (Tjitra 2001). Will zum Beispiel ein japanischer Mitarbeiter seine Zurückhaltung gegenüber einer bestimmten Aufforderung seines Vorgesetzten ausdrücken, so zögert er eine kurze Zeit, bevor er eine Verständnisfrage anschließt (Nishida 1996). Im Gesprächsverhalten ist ein eher indirekter Kommunikationsstil zu beobachten, bei dem Aussagen vielseitig gedeutet werden können, um Flexibilität zu gewinnen und Konflikte zu vermeiden. Ist der Konflikt unvermeidbar, so wird versucht, ihn zum Beispiel durch Themenwechsel, Verlassen der Situation oder Schweigen zu entschärfen. Eine solche Verhaltensweise steht in Gegensatz zu der eher westlichen Auffassung, dass ein Konflikt offen benannt werden sollte, bevor er einer vernünftigen Lösung zugeführt werden kann. Damit in interkulturellen Begegnungen Konfliktpotenzial verringert wird, ist es deshalb für Personen aus »low-context-Kulturen« (Hall 1959), in denen vor allem dem explizit Gesagten Bedeutung zugemessen wird, wichtig, zwischen den Zeilen lesen zu können und genauer zuzuhören, was gesagt, und vor allem, was nicht

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gesagt wird, sowie die nonverbalen Signale der Gesprächspartner genau zu beobachten. Für Personen aus »High-Context-Kulturen« (Hall 1959), die Informationen vor allem aus der Beobachtung des Kontexts erschließen und einen eher indirekten Kommunikationsstil pflegen, ist es dagegen bedeutsam, zu verstehen, dass ein direkter Kommunikationsstil nicht automatisch eine Einschränkung der Handlungsflexibilität bedeuten muss und eher aufgabenbezogen als personenbezogen verstanden werden muss. Für beide Gruppen ergeben sich auf diese Weise sehr wertvolle Lernpotenziale. Ein deutscher Manager in Beijing berichtet: »›Am Anfang meines Aufenthalts in China als Ingenieur hatte ich mit einem chinesischen Kollegen ein kleines Streitgespräch, in dem es um eine technische Auseinandersetzung ging. Ich habe den chinesischen Mitarbeiter dann wohl so in die Ecke getrieben, um ihm zu beweisen, daß ich an dieser Stelle recht hatte und daß die Fakten eben so klar auf dem Tisch liegen, daß er nicht mehr anders konnte, als mir zuzustimmen. Aber das passierte nicht. Ja, da musste ich statt dessen erleben, daß der Kollege mir auf meine Fragen Antworten gab, die zu den Fragen einfach nicht paßten. Ich sprach vom Kurzschluß, er sprach vom Wetter, und so ging das eine ganze Zeit lang, bis ich aufgab‹ (Thomas u. Schenk 2001, S. 98).« Die in einer Konfliktsituation entstehenden Affektreaktionen werden in kulturspezifischer Weise ausgedrückt und können deshalb missverstanden werden, indem sie in ihrer Intensität entweder unter- oder überschätzt oder in ihrer Bedeutung fehl eingeschätzt werden. So ist es in vielen asiatischen Kulturkreisen in einer öffentlichen Situation zwingend angebracht, im buchstäblichen Sinn »das Gesicht zu wahren«, das heißt einen möglichst ausgeglichenen harmonischen Ausdruck zu zeigen trotz starker innerer Erregung. Dagegen fühlen wir uns sehr schnell bedroht, wenn in Südeuropa selbst eine geringe Meinungsverschiedenheit von weit ausladender Gestik, ausgeprägter Mimik, sehr hohem Sprechtempo und einer hohen Stimmfrequenz begleitet ist, was von dem deutschen Betrachter als hohes Aggressionsniveau missverstanden wird. Nicht zuletzt können Konflikte aus unterschiedlichen Kommunikationsgewohnheiten resultieren, wie zum Beispiel bei der Unterschreitung der jeweils gewohnten Distanzschwelle. Es ist nachgewiesen, dass eine subjektiv empfundene zu geringe Distanz zum Interaktionspartner eine physiologisch nachweisbare Stresssymptomatik auslöst, so dass der »Bedrängte« versucht, die gewohnte Distanz wiederherzustellen (Middlemist et al. 1976). Ist dies nicht möglich, kann sich dies auf das Gesprächsklima niederschlagen, wenn der Andere als zu aufdringlich oder zu distanziert eingeschätzt wird. Ein Konflikt wird wahrscheinlicher.

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2.3.4 Konfliktlösung Die kulturelle Perspektive auf ein konflikthaftes Geschehen bestimmt auch dessen Lösungsansatz. So konnte zum Beispiel Tinsley (2001) in einer Untersuchung über Konfliktlösungsstrategien von Deutschen, US-Amerikanern und Japanern zeigen, dass je nach kultureller Sozialisation andere Strategien für bedeutsam gehalten wurden. Während sich beispielsweise US-Amerikaner darum bemühten, die Interessen der autonom handelnden Konfliktparteien pragmatisch zu integrieren, konzentrierten sich die Deutschen auf Regularien und Standardprozeduren sowie die Anfertigung von möglichst expliziten Vertragspapieren. Die Japaner wiederum legten ihr Augenmerk hauptsächlich auf die rasche Beendigung eines Konflikts, wobei der soziale Status der Konfliktparteien ein zentrales Argument bei der Beilegung darstellte. Es wird deutlich, dass die kulturell bevorzugten Strategien in der interkulturellen Situation Schwierigkeiten hervorrufen können, wenn zum Beispiel ein explizites Vertragsmodell von deutscher Seite zur Vermeidung misstrauensfördernder Unklarheiten entworfen wird, das wiederum von japanischer Seite eher gerade als Ausdruck des mangelnden Vertrauens in die persönliche Beziehung gewertet wird. Demnach hängen Konfliktlösungen davon ab, inwieweit die Konfliktparteien selbst in der Lage sind, eine für beide Seiten tragbare Vereinbarung zu finden oder ob eine dritte Partei eingeschaltet werden muss, die als Mediator für eine Beendigung des Konflikts sorgt. Ein Mediationsverfahren mit Unterstützung einer dritten Partei weist jedoch wiederum spezifische kulturelle Merkmale auf, beispielsweise wann eine dritte Partei interveniert, wer als Mediator in Frage kommt und über welche Macht er oder sie verfügt und in welcher Weise ein Mediationsverfahren verläuft. So konnte in vielen Studien gezeigt werden, dass in kollektivistisch geprägten Orientierungssystemen bei entstehenden Konflikten sehr schnell von dritter Seite eingegriffen wurde, um die gefährdete soziale Harmonie zu erhalten oder wiederherzustellen oder um in muslimisch geprägten Gesellschaften eine Gefährdung der Ehre zu vermeiden (Wall u. Callister 1999). In vielen asiatischen Gesellschaften existieren institutionalisierte Verfahren, in denen zuvor bestellte Mediatoren Verantwortung für die Konfliktlösung übernehmen und deren Urteil für die Parteien bindend ist. Ein Gang vor ein öffentliches Gericht ist in diesem Kontext eine wenig wertgeschätzte Alternative, dokumentiert sie doch ein Scheitern der Bemühung um die soziale Harmonie. Oder wie ein chinesischer Autor es zusammenfasst: »Peace is best, lawsuit is the worst« (Huang 1996). In individualistischen Gesellschaften, wie zum Beispiel Deutschland, wird dagegen davon ausgegangen, dass die Konfliktparteien selbst dafür

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Sorge tragen sollen, ihre Konflikte gemeinsam beizulegen, eine dritte Partei wird nur eingeschaltet, wenn es unvermeidbar ist. Dabei handelt es sich bevorzugt um ein ordentliches Gericht oder eine Schiedsstelle mit rechtlich bindenden Schiedssprüchen. Inzwischen werden aber auch in Deutschland, teilweise bedingt durch die Überlastung der öffentlichen Gerichtsbarkeit, Mediationsverfahren zur Regelung von Konfliktsituationen immer beliebter (Kals u. Webers 2001). Der Mediator ist dabei ein »externer Kommunikationsprofi, häufig aber zugleich auch ein fachkompetenter Experte, [er] vermittelt zwischen den Parteien; er hilft ihnen, eine gemeinsame, tragfähige und zukunftsweisende Lösung zu entwickeln. Er verordnet jedoch keine Lösung, seine Person tritt in den Hintergrund« (Kals u. Webers 2001, S. 13). Im Vergleich dazu werden in anderen Gesellschaften andere Kriterien an die Auswahl eines Mediators oder einer Mediatorengruppe angelegt, wie zum Beispiel der soziale Status in dem Gemeinwesen, die religiöse Zugehörigkeit oder das Alter. Diese allerseits respektierten Personen können in den Vordergrund treten und nach einer Ursachenklärung eine Konfliktlösung präsentieren (Jandt u. Pedersen 1996, S. 257 ff.). In Bezug auf die Durchführung eines Mediationsverfahrens wird in der eher westlich orientierten Fachliteratur empfohlen, in einer moderierten Workshop-Sitzung die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen, sie vertraglich aneinander zu binden, um dann gemeinsam den Konflikt offen zu analysieren und nach einer klaren Definition der Ursachen zu einer Lösung zu gelangen. Von einer direkten Konfrontation der Konfliktparteien wird in eher kollektivistischen Gemeinwesen zunächst abgesehen. In vielen Einzelgesprächen mit den Konfliktparteien wird eine Lösung vorbereitet, die dann in einer gemeinsamen Sitzung präsentiert und beschlossen wird. Metaphorisch beschrieben ist dann ein Mediationsworkshop die Bühne, auf der das Stück gezeigt wird, das vorher mühsam hinter den Kulissen geprobt wurde, während das individualistische Verfahren eher einem Improvisationstheater gleicht, bei dem der Zuschauer das Stück direkt im Entstehen zu sehen bekommt. Aus der Sicht eher kollektivistischer Gesellschaften birgt ein solches Verfahren ein hohes Gefährdungspotenzial für das Gesicht der Beteiligten, dem im Vorfeld begegnet werden muss.

2.3.5 Konflikte kompetent bewältigen Vorbedingung zu einer produktiven Bewältigung von Konflikten generell ist die Fähigkeit, die Personen und Interessen der anderen Seite zu respektieren, Vertrauen zwischen den Parteien herzustellen und gemeinsam nach kreati-

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ven Lösungen zu suchen, die eine beiderseitige Zufriedenheit mit dem Verfahren selbst und dem dabei erzielten Ergebnis beinhalten. Dazu müssen die Konfliktparteien in der Lage sein, die Perspektiven zu wechseln und gemeinsam über den Konfliktprozess selbst miteinander sprechen zu können, also über eine Metakommunikations-Kompetenz verfügen. Im internationalen Handlungsfeld wird aber zusätzlich eine interkulturelle Handlungskompetenz wichtig, die das notwendige Wissen um die fremd- und eigenkulturellen Standards in Konfliktsituationen beinhaltet, sowie das Wissen um den Ablauf und die Bewältigung kritischer Interaktionssituationen. Für Personen, die häufig in interkulturellen Arbeitsfeldern tätig werden, ist es nützlich, sich folgende Fragen im Vorfeld durch eigene Vorbereitung oder mit der Hilfe von Experten zu beantworten: – Wie werden Konflikte in der jeweiligen fremden und eigenen Kultur generell bewertet? – Welche Verhaltensweisen zur Lösung von Konflikten werden präferiert? – Wann wird ein Konflikt als gelöst und beendet betrachtet? – Was bedeutet für die Konfliktparteien »Fairness« oder »Gerechtigkeit«? – Wie kann das für eine Konfliktlösung notwendige Vertrauen aufgebaut werden? – Welche Machtmittel gelten in den jeweiligen Kulturen zur Lösung einer Konfliktlösung als legitim? – Welche Überzeugungsstrategien (rationale Argumentation, Drohungen, Versprechungen etc.) sind in den jeweiligen Kulturen angemessen? – Welche Entscheidungsmöglichkeiten besitzen die Konfliktparteien? – Welche Bedeutung haben dritte Parteien als Mediatoren in den betreffenden Kulturen, welcher soziale Status und welche Macht kommt ihnen zu? – Wie verlaufen Mediationsverfahren in den jeweiligen Kulturen? – Wer kann als beiderseitig akzeptierter Mediator fungieren? – Wie bindend sind die Ergebnisse einer Mediation? Wenn Sie dieses Kapitel aufmerksam gelesen haben, dann wird Ihnen die Erklärung des folgenden authentischen Fallbeispiels sicherlich keine Mühe machen. Ein traditionelles deutsches Unternehmen, vormalig ein Monopolist, ist inzwischen weltweit engagiert und in seinem Markt erfolgreich. Allerdings bereitet dem Mutterhaus seit einiger Zeit die Tochterfirma in Singapur einiges Kopfzerbrechen. Viele qualifizierte einheimische Mitarbeiter verlassen das Unternehmen, einige kündigen sogar in Gruppen. Die Zentrale möchte diesem alarmierenden Trend entgegentreten und organisiert einen Workshop in Deutschland, in dem die Problemfelder der Zusammenarbeit auf den Tisch gebracht und tragfähige Lösungen gemeinsam entwickelt © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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werden sollen. Damit der Workshop ein möglichst gutes Ergebnis erzielt, wird ein externer professioneller Moderator beauftragt. Kurze Zeit vor dem Workshop schickt der einheimische Geschäftsführer eine E-Mail, die einen Ablaufvorschlag enthält. Demnach sollte der professionelle Moderator mit einem Personalverantwortlichen aus Singapur ein Moderatorenteam bilden. Die Gruppe der Workshopteilnehmer sollte in einen »Inner circle« aus Abteilungsleitern bestehend und in einen »Outer circle« aus den restlichen Teilnehmern aufgeteilt werden. Während der »Inner circle« über die Zusammenarbeit spricht, können bei Informationsbedarf die dafür notwendigen Personen des »Outer circle« einbezogen werden. Die deutschen Organisatoren sind über den Vorschlag verwundert. Können Sie Ihnen auf der Grundlage des bisher Gelesenen einen Hinweis geben, wie dieser Vorschlag zu verstehen und wie nun am geschicktesten zu verfahren ist?

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Ulrich Zeutschel: Interkulturelles Projektmanagement

Ulrich Zeutschel

2.4 Interkulturelles Projektmanagement

2.4.1 Plurikulturell zusammengesetzte Projektteams als Arbeitsform Projektarbeit als problemlösungsorientierte, fach- und organisationsübergreifende und zeitlich begrenzte Form der Zusammenarbeit in Teams mit flacher Hierarchie und weitgehender Unabhängigkeit von den eingefahrenen Strukturen der Linienorganisation hat in den letzten Jahrzehnten in den unterschiedlichsten Produktions- und Dienstleistungsbereichen an Bedeutung gewonnen. Dies hängt zum einen mit technologischen Anforderungen wie zunehmender Vernetzung von Arbeitsabläufen und kürzeren Produktzyklen zusammen, zum anderen auch mit der Notwendigkeit, ganzheitliche Lösungen für immer komplexere Problemlagen zu entwickeln. Parallel dazu führen Globalisierungsfolgen wie Deregulierung, internationaler Wettbewerb, multinationale Unternehmensfusionen und Arbeitsmigration immer häufiger zu plurikulturell zusammengesetzten Projektteams. Dies kann aufgrund strategischer Managemententscheidungen geschehen, beispielsweise um regional unterschiedliche Interessen in einem multinationalen Konzern zu berücksichtigen, um die Akzeptanz von Arbeitsergebnissen in verschiedenen Zielländern zu sichern oder um mehrere kulturspezifische Perspektiven zu einer kreativen Problemlösung zu integrieren. In anderen Fällen kommt die internationale Teamzusammensetzung »automatisch« durch die Rekrutierung hoch spezialisierter Fachkräfte zustande oder ist Abbild bereits bestehender kultureller Diversität des Personals.

2.4.2 Spezifische Herausforderungen und Chancen interkultureller Projektarbeit Selbst kulturell homogene Teams, deren Mitglieder durch gemeinsam geteilte Sozialisationserfahrungen mit ähnlichen Erwartungen, Überzeugungen, Sichtweisen und Handlungsplänen in die Projektarbeit hineingehen, haben erfahrungsgemäß zunächst alle Hände voll zu tun, sich auf gemein-

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same Standards der Aufgabenbearbeitung und des Umgangs miteinander zu einigen. In plurikulturellen Teams ist nicht nur der Konsensbereich kleiner, sondern darüber hinaus gehen auch die Vorstellungen und »mitgebrachten« Verfahrensweisen zur Schaffung einer gemeinsamen Arbeitsbasis stärker auseinander: – Die sprachliche Verständigung ist nicht oder nur durch eine unterschiedlich gut beherrschte Arbeitssprache gesichert. – Zentrale Werthaltungen, die als »Sekundärtugenden« das Arbeitsleben prägen, wie beispielsweise Eigenverantwortung, Wettbewerb, Kritikbereitschaft, Harmonie in der Gruppe oder (In-)Formalität von Kontakten, werden nicht konsenshaft geteilt. – Das Verständnis von Teamrollen, zum Beispiel hinsichtlich Führungsverhalten, Eigeninitiative, Bring- und Holschuld von Informationen, fällt zum Teil gegenläufig aus. – Unterschiedliche Arbeitsstile, die sich etwa in Problemlösungsstrategien, im Umgang mit Zeit oder im Besprechungsmanagement zeigen, müssen erst erkannt und dann aufeinander abgestimmt werden. – Zur Beauftragung und Verankerung des Projekts in den beteiligten Institutionen herrschen unklare oder widersprüchliche Vorstellungen. Andererseits bietet Projektarbeit speziell für die interkulturelle Zusammenarbeit eine Reihe von Chancen: – Ein klar umrissener Auftrag kann als gemeinsamer Handlungsfokus dienen. – Die üblicherweise flache Hierarchie im Projektteam ermöglicht ein freies Spiel der Kräfte. – Wertvolle fachliche Beiträge hoch kompetenter Experten und Expertinnen, die nicht der dominanten Kulturgruppe angehören, können die vorgefertigte Abwertung der betreffenden Kultur in Frage stellen. – Eine gewisse Unabhängigkeit von den (auch kulturspezifisch determinierten) Regeln und Standards der Linienorganisation bietet Gestaltungsfreiraum für neue Kommunikations- und Kooperationsformen. – Die zeitliche Begrenzung der Projektarbeit erleichtert und ermutigt »Probehandeln«. Aus einer qualitativen Befragung von Experten und Expertinnen, die internationale Projektteams leiteten, koordinierten oder als Coachs berieten, wurden die folgenden förderlichen Bedingungen und Interventionen effektiver Zusammenarbeit in plurikulturellen Teams deutlich (Zeutschel 1999a, 1999b), die hier nach Oberthemen gegliedert sind:

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Grundlagen und Rahmenbedingungen – positives Image des Partnerlands in der Gesellschaft insgesamt, vorwiegend vermittelt über die Medienberichterstattung – Verankerung des Ideals internationaler Kooperation in der Firmenpolitik und im Selbstverständnis des Unternehmens – Perspektive der Teamzusammenarbeit über die eigentliche Projektphase hinaus Außenkontakte – Anerkennung des Teams durch das höhere Management, beispielsweise symbolisiert durch Teilnahme an Kickoff-Workshops – Aufrechterhaltung des Kontakts zu Teammitgliedern im Ausland durch das betreffende Mutterhaus – Interesse und positive Rückmeldung des gastgebenden Unternehmensumfelds Teamorganisation – sorgfältige und frühzeitige Klärung der Aufgabenstellung und Zielsetzungen – breiter Raum für persönliches Kennenlernen und informelle Kontakte von Beginn an – Verfügbarkeit eines Mediators mit Hintergrundwissen über die beteiligten Kulturen – ausgewogene Macht- und Einflussverhältnisse zwischen den Untergruppen im Team – abwechselnde Teamleitung bzw. -moderation – gemeinsame Ausarbeitung konkreter Regeln für die Teamzusammenarbeit Gruppendynamik – gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung der fachlichen und sozialen Kompetenz – Auseinandersetzung statt Duldung und Rückzug: frühzeitiges Ansprechen latenter Konflikte – Freizeitkontakte mit Einbeziehungsmöglichkeit für Familienangehörige und Partnern/Partnerinnen – Klärung und Bedeutungserweiterung zentraler Arbeitsbegriffe durch Übersetzung und Rückübersetzung – Entdeckung, Erkundung und Wertschätzung »tieferer« Gemeinsamkeiten, wie Werthaltungen, Lebensgewohnheiten und Biografien – Pioniergeist

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– Motivationsschub durch tief empfundene Zufriedenheit mit dem Gruppenprozessverlauf und den Arbeitsergebnissen Persönliche Merkmale – Vertrautheit mit kultureller oder geographischer Vielfalt, etwa durch die Herkunftsfamilie oder den Besuch internationaler Schulen – Bewusstheit eigener Kulturstandards und bewusste Beibehaltung grundlegender eigenkultureller Orientierungen – gute Zuhörfähigkeit und Empathie – Lernbereitschaft und Neugier auf andersartige Sicht- und Verhaltensweisen Hinzu kommen Trainings- und Beratungsmaßnahmen, die am Schluss dieses Beitrags zusammengestellt sind.

2.4.3 Entwicklungsstufen interkultureller Kooperation in Projektgruppen In einer neuen, plurikulturell zusammengesetzten Projektgruppe, wie in jeder ungewohnten Umgebung, ist die Neuorientierung und Abstimmung der Handlungssteuerung aller Mitglieder eine vorrangige Aufgabe. Moosmüller (1997) beschreibt diese Entwicklung als Schaffung einer Teamkultur, bei der das vorhandene »intuitive interkulturelle Wissen« der Gruppenmitglieder mehr oder weniger umfassend expliziert wird. Die in den Experteninterviews berichteten Beispiele effektiver interkultureller Zusammenarbeit ließen sich in Anlehnung an das Modell der Handlungskontingenz von Jones und Gerard (1967) in vier Kategorien einteilen: – Dominanz: Das Gesamtteam übernimmt Gepflogenheiten und Standards einer der beteiligten Untergruppen, wie zum Beispiel Englisch als Arbeitssprache, Anrede mit dem Vornamen, Pünktlichkeitsnormen, die Eindeutigkeit von Ja- und Nein-Aussagen. – Koaktion: Die einzelnen Untergruppen des Teams arbeiten parallel oder konsekutiv an separaten Teilaufgaben, die ihren jeweiligen Stärken entsprechen. In einem deutsch-US-amerikanischen Entwicklungsteam beispielsweise, das unter Zeitdruck stand, erarbeitete das amerikanische Teilteam zunächst verschiedene Lösungsmöglichkeiten und testete ihre Anwendbarkeit, die deutschen Mitglieder übernahmen anschließend die Feinplanung und spezifizierten die Umsetzungsdetails. – Integration: Eine stärker aufeinander bezogene Kooperation findet statt,

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wenn Elemente aus dem Repertoire der beteiligten nationalen Teilteams zu einer neuen Arbeitsform zusammengeführt werden, dabei jedoch in ihrer Herkunft identifizierbar bleiben und lediglich durch erforderliche Kompromisse in ihrer Ausprägung verändert werden. Dazu zwei Beispiele aus einem deutsch-britischen Joint Venture: (a) Arbeitsbesprechungen wurden nach deutschem Vorbild regelmäßig anberaumt, blieben jedoch auf die wichtigsten Themen beschränkt, wie es den britischen Gepflogenheiten entsprach, (b) Befassungszeitpunkte und Prioritäten von Entscheidungen und Aktionsplänen wurden nach dem kurzfristigeren britischen Muster gesetzt und dann mit deutscher analytischer Gründlichkeit behandelt. – Innovation: Diese im eigentlichen Sinn kultursynergetische Teamkooperation ist charakterisiert durch eine gemeinsame Weiterentwicklung von Interaktionsformen, die eine qualitative Veränderung der kulturspezifischen Elemente nach sich zieht. Beispiele für diese Kategorie waren in den Expertenberichten nur extrem selten vertreten, etwa die Arbeitsplatzgestaltung in einem deutsch-britischen Team aus der Automobilbranche: Die Zusammenarbeit sämtlicher Entwicklungsabteilungen in einem offenen Raum ohne Einzelbüros war zwar in beiden beteiligten Firmen als Ideal bereits bekannt, wurde während der neunmonatigen Zusammenarbeit aber besonders konsequent umgesetzt und um neue gemeinschaftsbildende Elemente ergänzt; so diente beispielsweise ein Styling-Modell als Interaktionsfokus im Zentrum der Arbeitsfläche. Die letztgenannte Innovationsstufe wird von Casmir (1999) als third culture bezeichnet und von Fontaine (1996, S. 269) als international microculture (IMC) beschrieben: »Rather than select specific ›our way‹, ›their way‹, or ›compromise‹ strategies, this . . . requires a more generic strategy, in which these – or frequently, other – specific strategies are selected on the basis of which is best accommodated to the new task ecologies encountered abroad. These latter often include ways beyond those typically preferred by the participants within their cultures.« Grundannahme des im folgenden skizzierten Stufenmodells ist, dass die aus den oben erwähnten Expertenberichten gewonnenen Interaktionskategorien in zeitlicher Abfolge kombiniert werden, wenn auch nicht zwingend bis zur kultursynergetischen Innovation, sondern mit Abzweigemöglichkeiten in Entwicklungs-»Sackgassen«, die jedoch nicht gleichbedeutend mit einem Scheitern der Teamzusammenarbeit sind. Die Weiterentwicklung von einer Stufe zur nächsten wird durch spezifische Übergangsbedingungen kontrolliert, ebenso wie das unproduktive oder gar destruktive Verharren auf einer Stufe durch kritische Fehlentwicklungen bedingt ist. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Stufe 1: Dominanz/Anpassung Die Durchsetzung eines kulturspezifischen Interaktionsstils zu Ungunsten eines oder mehrerer anderer Stile kann eine bewusst und einvernehmlich getroffene Regelung sein oder aber Ausdruck einer durch Überzahl, Status, »Heimvorteil« oder Manipulation begründeten Entscheidungsmacht. Weiterhin kann sie zeitlich oder vom Umfang her begrenzt sein, beispielsweise als Proberegelung für einen bestimmten Interaktionsbereich, und sie kann einseitig oder wechselseitig zutreffen. – Produktiv: Je bewusster, eingegrenzter und wechselseitiger die Dominanz

oder Anpassung erfolgt, desto weniger wird damit das Einflussgefälle zwischen den kulturellen Teilgruppen im Team zementiert und desto klarer können die spezifischen Stärken und Vorteile der verschiedenkulturellen Stile wahrgenommen werden – und dies ist die notwendige Voraussetzung für einen Übergang in die nächste Phase. – Destruktiv: Einseitige Dominanz kann auf der Seite der Unterlegenen entweder zu einem generalisierten »Halo«-Effekt zwecks Dissonanzreduktion führen (»Die anderen sind einfach insgesamt besser, deshalb sollen sie das Sagen haben«) oder aber Reaktanz und den Wunsch nach Demontage der Übermacht schüren (»Wir werden beweisen, dass dieses ›importierte‹ Vorgehen ungeeignet ist«).

Stufe 2: Koaktion Die Koaktionsphase ist denkbar als Emanzipation einer Dominanz-/Anpassungsbeziehung zwischen Teilgruppen oder auch als direkter Einstieg in die Zusammenarbeit, wenn die unterschiedlichen Vorgehensweisen oder Arbeitsstile bekannt und vorhersehbar sind. Sie ist gekennzeichnet durch eine strikte Arbeitsteilung zwischen kulturell homogenen Teilteams, die Unterbereiche der Aufgabe oder des Problems zeitlich parallel oder aufeinander folgend bearbeiten und dabei ihren jeweils spezifischen Stil beibehalten und ihre kulturspezifische Stärke einsetzen. Diese parallele oder serielle Bearbeitung kann in Konkurrenz zueinander stehen oder aber auf gegenseitige Ergänzung ausgerichtet sein. Sie kann bewusst geplant und in ihren jeweiligen Zielsetzungen vereinbart sein oder sich als reflexhafter beziehungsweise resignativer Rückzug in die vertraute Teilgruppe äußern. Und auch die Koaktion kann in ihrer zeitlichen Dauer oder dem Umfang der auf diese Weise zu bearbeitenden Aufgaben variieren. – Produktiv: Je bewusster, zeitlich eingegrenzter und auf gegenseitige Ergän-

zung orientierter die Koaktion erfolgt, desto eher ist der fortlaufende In-

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formationsaustausch gewährleistet und desto wahrscheinlicher kann der Nutzen der jeweiligen kulturspezifischen Vorgehensweise für die gemeinsame Aufgaben- oder Problemlösung erkannt werden. Erst wenn ein anderskultureller Stil positiv wertgeschätzt wird, ist das betreffende Teilteam zu einer Integration der unterschiedlichen Vorgehensweisen und damit zu einer Veränderung des eigenen Handlungsrepertoires bereit. – Destruktiv: Fortgesetzte Koaktion kann die Überzeugung verstärken, dass man »einfach nicht zueinander passt« und sich zur aktiven Kontaktvermeidung stabilisieren. Der mangelnde Informationsaustausch lässt das gemeinsame Ziel in den Hintergrund treten und fördert negative Stereotypisierungen der anderen Teilteams sowie Konkurrenzverhalten, das die eigene Überlegenheit beweisen soll.

Stufe 3: Integration Aus der Erkenntnis kulturspezifischer Stärken und ihres Nutzens für die gemeinsame Zielsetzung werden verschiedenkulturelle Elemente zu einer neuen, gemeinsam verfolgten Vorgehensweise kombiniert. Die einzelnen Elemente und die ihnen unterliegenden Kulturstandards sind dabei noch eindeutig in ihrer Herkunft erkennbar, und die Beteiligten müssen in ihrer Handlungssteuerung Kompromisse eingehen, da die kombinierten Elemente entweder für alle verbindlich sind oder direkt und wechselseitig aufeinander bezogen (kontingent) sind. Die Integration kann auf einem mehr oder weniger expliziten Verhandlungsprozess beruhen, der die zu übernehmenden Elemente nach dem Prinzip des geringsten Widerstands oder des Ausgleichs von Härten und Veränderungsanforderungen bestimmt, oder auf einer Optimierungsstrategie, welche den jeweiligen Nutzen der einzelnen Elemente für das übergeordnete Ziel als Auswahlkriterium heranzieht. Auch die Integration kann je nach Umfang der davon betroffenen Handlungsfelder variieren. – Produktiv: Die für alle verbindliche, wechselseitige Übernahme von Ab-

läufen und Werten in der Gruppe vermittelt Sicherheit, gewährleistet allseitige Identifikation mit den Gruppennormen und stößt Lern- und Veränderungsprozesse an. Je bewusster, umfangreicher und stärker orientiert an der gemeinsamen übergeordneten Zielsetzung die Integration verfolgt wird, desto eher werden weitere Handlungsspielräume erkannt, die der gemeinsamen Zielerreichung dienen und eine Voraussetzung für den Eintritt in die vierte Phase darstellen. – Destruktiv: Wenn die Integration von außen erzwungen oder eher »mechanisch« ausgehandelt wird, besteht die Gefahr, dass sie als »fauler Kompromiss« betrachtet und längerfristig abgelehnt wird. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Stufe 4: Innovation Wenn die Relativität des eigenkulturellen Orientierungsrahmens und Verhaltensrepertoires in der integrierten Kooperation angstfrei erfahren wird und soviel Vertrauen und Vertrautheit im Team aufgebaut ist, dass eine Weiterentwicklung möglich und gewünscht wird, können gemeinsam neuartige Handlungsweisen aufgebaut werden, die über alle beteiligten kulturspezifischen Repertoires hinausgehen und für dieses Team spezifisch sind. – Produktiv: Auf dieser höchsten Kooperationsstufe entwickelt das Team als

»lernende Organisation« ein eigenes, optimal auf die gemeinsame Aufgabenstellung zugeschnittenes Handlungsrepertoire, das die kulturspezifischen Kompetenzen und Potenziale der Teilteams aufnimmt und transzendiert. – Destruktiv: Falls sich das Projektteam in diesem Entwicklungsprozess zu stark vom Organisations- oder Unternehmensumfeld und von anderen Teams absetzt, besteht die Gefahr der »splendid isolation«, wodurch die Zusammenarbeit im Organisationskontext beeinträchtigt wird oder gar der Fortbestand des Teams gefährdet ist, wenn es in den Augen der Gesamtorganisation zu autonom oder unkontrollierbar zu werden droht.

2.4.4 Konstruktives Management plurikultureller Projektgruppen Als Orientierungsraster für Hinweise und Anregungen zum Projektmanagement im interkulturellen Kontext sollen fünf deutlich voneinander abgrenzbare Grundaufgaben dienen, die im Lauf eines Projekts zu bewältigen sind (Mayrshofer u. Kröger 1999).

Auftrag und Ziele klären Die Schritte der Projektdefinition im Vorfeld unterscheiden sich nicht wesentlich von den Klärungsprozessen für Projekte in monokulturellen Settings: – Problem- und Bedarfslage eingrenzen, – Erwartungen und übergeordnete Ziele der verschiedenen Stakeholder in Erfahrung bringen und konkretisieren,

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– Sinngebung als Grundlage für die konkreten Projektziele herausarbeiten, – konkrete Arbeitsziele, Erwartungen und Spezifikationen über die zu produzierenden Ergebnisse und Produkte klären – und dabei die eigenen Vorstellungen und Vorannahmen als Projektleitung hinterfragen, – Zeitrahmen und verfügbare Ressourcen klären. Diesen alltäglichen Aufgaben im Zuge der Projektdefinition kommt allerdings in interkulturellen Projekten eine besondere Bedeutung zu, weil sie Orientierung über den Auftrag im Kontext hoch komplexer Organisationsstrukturen mit unterschiedlichen Vorstellungen und Gepflogenheiten des Projektmanagements schaffen müssen. Da die beteiligten Projektträger und Kooperationspartner oft über Kontinente verteilt sind, empfiehlt es sich, einen Projektbeirat oder auch -mentoren zu benennen, die eine Anbindung des Projekts an das organisatorische Umfeld unterstützen können. Bei der Besetzung des vorläufigen Projektentwicklungsteams ist darauf zu achten, dass wesentliche kulturelle Gruppen des späteren Projektteams einbezogen werden. Dieses Entwicklungsteam sollte sich Zeit nehmen, um zu einem gemeinsamen Verständnis der zentralen Begriffe und Zielsetzungen des Projektauftrags zu kommen und dieses später an das Gesamtteam weitervermitteln zu können.

Teamarbeit gemeinsam starten Ein Kickoff-Meeting als Startpunkt der Zusammenarbeit im eigentlichen Projektteam hat sich bewährt, um in konzentrierter Form Orientierung über den Projektauftrag und seine Bedeutung zu schaffen, ein gemeinsames Bild der Ausgangslage und der Zielvorstellungen zu entwickeln, die Arbeitsschritte und Aufgabenverteilung im Einzelnen zu planen und eine speziell auf das gemeinsame Vorhaben abgestimmte Informations- und Entscheidungsstruktur zu definieren, vor allem, wenn das Projektteam nicht an einem Ort zusammen arbeitet. Darüber hinaus ist das KickoffMeeting auch als Signal an das Organisationsumfeld zu verstehen und zu nutzen, beispielsweise durch die Anwesenheit von Vertretern des oberen Managements oder des Auftraggebers. Weiterhin ist das Kickoff-Meeting die erste Gelegenheit, die gemeinsame Identität als Team zu entwickeln und auszudrücken: Ein geeignetes Motto, ein Symbol oder ein markanter Teamname findet sich oft recht bald im Verlauf der Zusammenarbeit. Dies kann von einem einfachen Sprachgebrauch, wie beispielsweise der Selbstbezeichnung »compañeros« der Mitglieder eines sonst englischsprachigen Forschungsteams aus vier Kontinenten, bis hin zu ausgefeilten Installatio-

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nen reichen: So fertigten die Mitglieder eines Entwicklungsteams in der Leuchtkörperindustrie eine von innen beleuchtete Acrylglaspyramide mit eingravierten Teamregeln als Dekoration für den Konferenztisch im gemeinsamen Besprechungsraum. Neben dem Einstieg in die gemeinsame Arbeitsaufgabe sollte genügend Zeit für ein ausführliches persönliches Kennenlernen angesetzt werden, möglichst in einem anderen Rahmen als in der Arbeitsumgebung. Dabei sollten das Interesse für den Hintergrund (Fachkenntnisse und -erfahrungen) und für die Besonderheiten (Fertigkeiten und Erwartungen an die Zusammenarbeit, persönliche Interessen) der anderskulturellen Teammitglieder geweckt, aber auch Gemeinsamkeiten des gesamten Teams erkundet werden. Die Zuordnung von sachlogischen Teilaufgaben und Arbeitspaketen sollte nicht nach nationaler Zugehörigkeit erfolgen, sondern – im Rahmen der Vorerfahrung und Eignung – an gemischte Teilteams, um Kooperationsinseln zu ermöglichen.

Für Informationsfluss und Koordination sorgen Regelmäßige Arbeitsbesprechungen dienen zum Informationsaustausch im Team, zur Abstimmung von Terminen, Übergabepunkten und gemeinsam genutzten Ressourcen sowie zur kurzen Reflexion des Arbeitsklimas und der wahrgenommenen Arbeitsstilunterschiede, um ein passives »Erdulden« zu vermeiden. Fortschritte sollten hier präsentiert und sichtbar gemacht werden und notwendige Problemlösungen in den einzelnen Arbeitspaketen gemeinsam gesucht werden. Die Eignung (Kompetenz und Motivation) der Teammitglieder für übernommene Aufgabenbereiche ist regelmäßig zu bilanzieren, bevor Überforderung und Frustration einsetzen – bis dahin sollte allerdings Vertrauen in die Aufgabenbearbeitung des oder der jeweils Zuständigen gewahrt werden. Leitfragen zur schnellen Bilanzierung der Zusammenarbeit im Rahmen von Arbeitsbesprechungen könnten sein: – Wie zielführend und kreativ schätzen wir unsere Problemlösungs- und Entscheidungsstrategien ein? – Wie gehen wir mit unterschiedlichen Ansichten, Werthaltungen und Arbeitsstilen um? Wie nutzen wir unsere Unterschiede? – Wie weit entspricht die Rollen- und Aufgabenteilung unseren jeweiligen Stärken und den Situationserfordernissen? – Wie unterstützend und zielführend sind unsere Beziehungen zu anderen Teams und zum Organisationsumfeld?

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Zur Bewältigung sprachlicher Verständigungsschwierigkeiten in Meetings haben sich folgende Hilfen der Sprachmediation bewährt (vgl. Kopper 1992, S. 232) (siehe Kap. I, 1.5, S. 74 ff.): – klar, einfach und langsam sprechen, – zentrale Begriffe gemeinsam klären und hinsichtlich des Bedeutungsgehalts der verschiedenen Übersetzungen ausloten, – Themen klar strukturieren, in kleinere Einheiten aufteilen, – kurze Sätze formulieren, aktive Verben verwenden, – Zusammenfassungen geben, Wichtiges wiederholen, – Flüsterübersetzung in Präsentationsphasen organisieren, – visuelle Hilfsmittel einsetzen: zentrale Begriffe aufschreiben, Körpersprache zur Verdeutlichung einsetzen, – genügend Zeit und häufige Pausen einplanen, – Arbeitssprache gelegentlich wechseln, um auch Minderheiten zum Zuge kommen zu lassen, – aktive Teilnahme fördern, Sprachanfänger ermuntern. Besonders in Teams, die nicht an einem Ort zusammen arbeiten, sollten die Arbeitsbesprechungen auch Raum für informelle Kommunikation und Klärung bieten. Darüber hinaus sollte die Projektleitung regelmäßige Kommunikation und Erfahrungsaustausch der Teammitglieder auch zwischen den Meetings anregen und die Voraussetzungen dafür schaffen.

Zwischenbilanzen ziehen und die Zusammenarbeit optimieren Besonders an Meilensteinen der Auftragsbearbeitung sind Prozessreflexionen in größerem Rahmen sinnvoll. Häufig stehen bei solchen Reviews die Arbeitsfortschritte unter fachlich-inhaltlicher Perspektive im Vordergrund. Neben diesem Was der Projektarbeit sollte gerade bei interkulturell zusammengesetzten Teams auch das Wie, die Qualität der Kommunikation und Kooperation in den Blick genommen werden, um Unstimmigkeiten und latente Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu klären und um Optimierungsmöglichkeiten in Richtung auf Integration oder gar synergetische Kooperation zu realisieren. Vorhandene Stärken und Schwächen sollten dabei systematisch zusammengetragen und vor allem unter dem Aspekt der kulturellen Bedingtheit beleuchtet werden: Wie werden die Stärken wechselseitig wertgeschätzt und welchen Nutzen bieten sie zur gemeinsamen Zielerreichung? Wie können die vorhandenen Schwächen ausgeglichen werden? Auch bereits erzielte Erfolge und positive Ergebnisse sollten sehr

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bewusst zur Kenntnis genommen und in geeigneter Form sichtbar gemacht werden. Prozessreflexionen können durch standardisierte Checklisten wie beispielsweise den Cross-Cultural Team Performance Survey (Moran et al. 1993, S. 83–85) vorbereitet werden. Um die für eine Prozessreflexion notwendige Distanz zur alltäglichen Aufgabenbearbeitung zu gewährleisten, sollten regelmäßige Bilanzrunden fest vereinbart und möglichst durch einen externen, notfalls auch durch einen vorab designierten internen Moderator vorbereitet und geleitet werden. Ein Beispiel für eine bilanzierende und integrierende Moderationssequenz ist im Anhang zu diesem Beitrag dargestellt.

Ergebnisse sichern und Erfahrungen auswerten Ähnlich wie das Kickoff-Meeting hat auch der Endpunkt eines Projekts sowohl interne als auch öffentliche Bedeutung. Für das soziale Umfeld sollte, möglichst mit einer Abschlussveranstaltung, ein deutliches Signal gesetzt werden, dass der Projektauftrag beendet ist. Bei der Präsentation der Projektergebnisse sollten möglichst alle kulturellen Teilgruppen des Projektteams eingebunden werden. Zur Verdeutlichung der Leistungen und Erfahrungswerte des Teams sollten neben den offiziellen fachlichen Ergebnissen auch nutzbare Prozessprodukte vorgestellt werden, beispielsweise in der Zusammenarbeit entwickelte Methoden und Arbeitshilfen, und Transfermöglichkeiten in andere Arbeitsbereiche aufgezeigt werden. Als teaminterne Funktion bietet (spätestens!) der Abschluss einen Anlass für gemeinsames Feiern und die gegenseitige Anerkennung von fachlichen Leistungen sowie Beiträgen zur Prozesssteuerung und zur atmosphärischen Gestaltung der Zusammenarbeit. Auch Abschiednehmen- und Loslassenkönnen sind Themen, die eher im Rahmen eines AbschlussWorkshops denn bei einer Besprechung im Arbeitsumfeld behandelt werden können. Famous last words, bilaterale Feedback-Gespräche, aber auch szenische Rückblicke auf die gemeinsamen Erfahrungen erleichtern die Äußerung und Klärung eventueller Konfliktreste, die sonst als unerledigte Handlungen aus dem Projekt mitgenommen und in destruktiver Weise nach außen getragen werden. Aus einer umfassenden abschließenden Bilanz der Kooperation, speziell im Hinblick auf integrative und innovative Arbeitsformen, sollten Hinweise für nachfolgende Teams festgehalten und aktiv kommuniziert werden. Allerdings ist die gemeinsam geschaffene Teamkultur ein Teil des transaktiven Gedächtnisses der Teammitglieder und kann nicht ohne weiteres in veränderte Teamkonstellationen übertragen werden. Gut »eingespielte«

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Teams sind daher eine wertvolle Ressource für weitere Aufträge und sollten in möglichst ähnlicher Zusammensetzung mit Folgeprojekten beauftragt werden oder als Teilteams in nachfolgenden plurikulturellen Projektgruppen gezielt als Multiplikatoren und »Kristallisationskerne« für neue Teamstrukturen eingesetzt werden.

2.4.5 Unterstützungsmöglichkeiten Trainings- und Coaching-Angebote für plurikulturelle Projektteams lassen sich entlang der von Clackworthy (1996) beschriebenen interkulturellen Lernkurve in fünf Ebenen gliedern: – Sprachtraining, inklusive kulturadäquater Verhaltensweisen wie beispielsweise Körpersprache und Diskursformen in unterschiedlichen Berufs- und Freizeitsituationen, – Kultursensibilisierung (cultural awareness training) mit landeskundlichen Informationen, Erläuterung von Werthaltungen und zugehörigen Verhaltensnormen, – Interkulturelles Kommunikationstraining: erfahrungsbezogenes Verhaltenstraining durch Übungen und Rollenspiele, – Interaktionstraining in kulturell gemischten Teilnehmergruppen, – Coaching vor Ort: Beobachtung von Projektteams und Beratung der Projektleitung und Moderation von Prozessbilanzen im Team je nach Bedarf. In zeitlicher Abfolge sollten diese Bausteine wie folgt zur Unterstützung der Projektteamentwicklung angeboten werden: – vorbereitendes Sprachtraining nach individuellem Bedarf der designierten Projektteammitglieder, – getrennte Orientierungs-Workshops für die nationalen Untergruppen (möglichst durch dieselben Trainer) mit kulturellem Sensibilisierungstraining zur Bewusstmachung eigenkultureller Standards und zu erwartender kultureller Unterschiede, – gemeinsames Kickoff-Training mit Hintergrundinformationen zum Projekt und zu den Partnern sowie zur Vermittlung von Methoden der Teamorganisation und des kooperativen Problemlösens, – extern moderierte Teamentwicklungs-Workshops, zum Beispiel an Meilensteinen der Projektarbeit, um die laufende Zusammenarbeit und Gruppendynamik zu bilanzieren und aus den wahrgenommenen kul-

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turspezifischen Stilen neue Kooperations- und Umgangsformen im Sinne produktiver Ergänzung zu entwickeln, – Beratung der Teamleitung durch einen externen Coach, der über eigene Kooperationserfahrungen mit den beteiligten Kulturgruppen verfügt, – Abschlussklausur des Projektteams mit externer Moderation zur umfassenden Reflexion der Zusammenarbeit, Sicherung von Prozessergebnissen sowie zur Erarbeitung von Empfehlungen für nachfolgende Teams.

Anhang: Moderationsfragen zur Reflexion und Integration kulturspezifischer Kommunikations- und Kooperationsstile Schritt 1: Wahrnehmen und Beschreiben Kulturell homogene Teilgruppen des Gesamtteams arbeiten parallel an dieser Aufgabenstellung: – Welche Unterschiede in den Arbeits- und Kommunikationsstilen sind Ihnen im Projektteam aufgefallen? – Bitte wählen Sie die beiden wichtigsten Unterschiede aus und bereiten Sie eine Präsentation Ihrer Sichtweise für das Gesamtteam vor: Wählen Sie eine prototypische Situation aus der letzten Zeit, in der Sie den Unterschied klar erkennen konnten. Beschreiben sie das Verhalten der Beteiligten durch ein Diagramm, einen Cartoon oder ein kurzes Rollenspiel. Nach jeder Präsentation im Gesamtteam werden die übrigen Teammitglieder um ihre Interpretation und Stellungnahme gebeten: – Welche spezifischen Unterschiede im Verhalten haben wir bemerkt? – Welche Gefühle und Gedanken vermuten wir bei den Beteiligten? – Welcher Titel oder welches Motto kennzeichnet die Situation? Im Anschluss an die Präsentationen, bei denen sich die Teilteams abwechseln sollten, werden die bedeutsamsten Unterschiede zur weiteren Bearbeitung nach diesen Kriterien ausgewählt: – sichtbar: Welche Unterschiede haben im Lauf der Zusammenarbeit am häufigsten Zeit- und Energieeinsatz im Team erfordert? – grundlegend: Welche Unterschiede haben die meisten Folgen für andere Bereiche der Zusammenarbeit?

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– konsistent: Welche Unterschiede sind bedeutsam für kulturelle Teilgruppen statt für Einzelpersonen und treten durchgängig auf, so dass ein Muster erkennbar geworden ist? – hinderlich: Welche Unterschiede behindern die Teamleistung, den konstruktiven Umgang miteinander oder die persönliche Zufriedenheit? – eskalierend: Welche Unterschiede wurden im Lauf der Zusammenarbeit immer mehr emotional besetzt oder immer stärker kontrolliert beziehungsweise vermieden im Umgang mit »der anderen Seite«?

Schritt 2: Analysieren Zu den ausgewählten Stilunterschieden erarbeiten die kulturhomogenen Kleingruppen kurze Präsentationen zu der Leitfrage: – Wie erklären wir Personen außerhalb unseres Kulturkreises unseren eigenkulturellen Stil? Welche Werte und Begründungen sind für uns damit verbunden? Im Anschluss an jede Präsentation werden die genannten Werthaltungen notiert, so dass Entsprechungen der komplementären Stilelemente sichtbar werden.

Schritt 3: Umwerten In einer dritten Runde in monokulturellen Teilteams werden die folgenden Fragen zur Neubewertung der Stilunterschiede beantwortet und anschließend in der Gesamtgruppe präsentiert: – Welche Risiken und Defizite sehen wir in der ausschließlichen Verfolgung oder gar Übertreibung unseres Stils? – Welche Vorteile und Anziehungspunkte erkennen wir in dem Komplementärstil, der die Begrenzungen unseres Stils ausgleichen könnte? – In welchen Arbeitssituationen erscheint uns eine Integration der beiden Stile sinnvoll und nützlich? Aus den aufgelisteten Vorschlägen für Integrationssituationen werden die »lohnendsten« nach den folgenden Kriterien ausgesucht: – ausgewogen: die Notwendigkeit und der Umfang von Verhaltensänderungen ist bei allen Beteiligten ähnlich hoch, – dringlich: ohne Kompromisse und Veränderungen in diesem Bereich wird die Teamleistung und -atmosphäre schweren Schaden nehmen, – realisierbar: die angestrebte Integration hat sich bereits in Arbeitsmodel-

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len außerhalb des Teams oder in Einzelsituationen innerhalb des Teams bewährt, – vorteilhaft: der zu erwartende Nutzen steht in einem günstigen Verhältnis zu den erforderlichen Veränderungsbemühungen, – greifbar: erfolgreiche Veränderungen können direkt beobachtet werden.

Schritt 4: Verhandeln Zu den ausgewählten Integrationsthemen werden in kulturell homogenen Kleingruppen Kompromisslinien und Veränderungsinteressen erarbeitet: – Was wollen wir in unserem Verhalten ändern, um den Wertvorstellungen und Interessen des anderen Teilteams entgegenzukommen? – Worauf möchten wir in unserem Verhalten unter keinen Umständen verzichten? – Welche Veränderungen wünschen wir uns von den Mitgliedern des anderen Teilteams? Die Teilteams werden außerdem gebeten, einen Rohentwurf des veränderten Verhaltens in Form eines Rollenspiels in der Gesamtgruppe zu präsentieren. Aus den präsentierten Ergebnisse und Rohentwürfen zu jedem Thema werden Übereinstimmungen als Teil eines Veränderungskontrakts festgehalten. Abweichende Vorstellungen werden mit Fokus auf das gemeinsam angestrebte Oberziel in kulturell gemischten Kleingruppen weiter verhandelt, unter Berücksichtigung der Minimalforderungen und Veränderungswünsche der Beteiligten, und die erzielten Einigungen in den Veränderungskontrakt aufgenommen.

Schritt 5: Umsetzung planen Nach Verhandlung aller Integrationsthemen werden die im Teamkontrakt festgehaltenen konkreten Veränderungsschritte gemeinsam auf Konsensfähigkeit geprüft und Maßnahmen zur Sicherung der Nachhaltigkeit beschlossen: – Woran werden wir merken, dass wir unsere unterschiedlichen Stile in diesem Bereich erfolgreich integriert haben? – Welche Regeln, Signale und Anpassungshilfen können uns bei der nachhaltigen Veränderung unterstützen? – Wann und wie werden wir die beschlossenen Veränderungen gemeinsam bilanzieren?

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Siegfried Stumpf: Interkulturelles Führen und Man agen

Siegfried Stumpf

2.5 Interkulturelles Führen und Managen

2.5.1 Vorbemerkung Die Begriffe des Führens und Managens hängen eng zusammen. Die Bezeichnung »Manager« wird im 20. Jahrhundert aus dem angloamerikanischen Sprachraum in den deutschen Sprachgebrauch übernommen und bedeutet soviel wie Geschäftsführer, Leiter oder Betreuer; das englische Verb »to manage« entspricht deutschen Begriffen wie »handhaben, bewerkstelligen, deichseln; leiten, führen« und geht zurück auf das italienische »maneggiare«, dessen lateinisches Stammwort »manus« ist, das für den deutschen Begriff »Hand« steht (Drosdowski et al. 1963). Das »Bewerkstelligen« des Managers geht oftmals mit Leiten und Führen einher, da das vom Manager angestrebte »Werk« ein »Anpacken vieler Hände« erfordert, was von dem Manager initiiert, koordiniert und gesteuert werden muss. Für den Begriff der Führung gibt es in der wissenschaftlichen Literatur eine Vielzahl unterschiedlicher Begriffsbestimmungen (vgl. Neuberger 1990, S. 5), so dass die Bedeutung der Bezeichnung »Führung« alles andere als klar und eindeutig ist: »Leadership is one of the most confusing terms that exists in the organizational behavior literature. It is a general term that means such things as power, authority, administration, control and supervision, depending on who is asked. There are many definitions of leadership in the literature« (Erez u. Earley 1993, S. 172). Nach von Rosenstiel (1993) kann man »Führung« aus organisationspsychologischer Sicht als unmittelbare, absichtliche und zielbezogene Einflussnahme durch Inhaber von Vorgesetztenpositionen auf Unterstellte mittels Kommunikation verstehen. Dieser eher eng umrissenen Auffassung von Führung, die die direkte Interaktion zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter thematisiert, kann ein breiter angelegter Führungsbegriff gegenübergestellt werden, der auf das Rollenspektrum Bezug nimmt, das Führungspositionen charakterisiert. Führung in diesem Sinn ist die Gesamtheit der Aktivitäten, die aus den verschiedenartigen Erwartungen ableitbar sind, mit denen der Inhaber einer Führungsposition in einer Organisation konfrontiert wird. Mintzberg (1991) beschreibt dieses Rollenspektrum anhand von zehn un-

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terschiedlichen Rollen, die vom Repräsentator über den Beobachter und Informationsverteiler bis hin zum Störungsregler reichen (siehe Kap. II, 1.1, S. 229 ff.). Aus Mintzbergs Schema wird deutlich, wie vielfältig die an eine Führungskraft herangetragenen Rollenerwartungen sind. Führen und Managen sind stets eingebettet in kulturelle Kontexte. Unmittelbar ist dies die Organisationskultur als einem Gefüge von Grundannahmen, das sich in einer Organisation in der Auseinandersetzung mit externen und internen Anforderungen entwickelt hat und das die Organisationsmitglieder in ihrem Denken, Werten, Empfinden und Handeln leitet (vgl. Schein 1995). Auf die Ausbildung einer spezifischen Organisationskultur hat die Kultur des gesellschaftlichen Systems, das die Organisation umgibt, einen wesentlichen Einfluss, und es kann angenommen werden, dass insbesondere jene Anteile der Organisationskultur schwer zu verändern sind, die eng mit der historischen gewachsenen Kultur einer Gesellschaft, eines Landes oder einer Nation verwoben sind (vgl. Hofstede 1997, S. 245 ff.). Damit ist die Kultur im Sinne eines für eine Gesellschaft, Nation oder Land typischen Orientierungssystems (vgl. Thomas 1993) eine wesentliche Grundbedingung für das Führen und Managen in Organisationen.

2.5.2 Grundlagen interkulturellen Führens und Managens In der psychologisch orientierten Führungsforschung wurden eine Vielzahl von Theorien und Modellen über Bedingungen, Verlauf und Wirkungen des Führens entwickelt (vgl. hierzu Thomas u. Stumpf 2002). Im Folgenden wird ein Rahmenmodell beschrieben, das grundlegende Wirkungszusammenhänge zum Führen darstellt und dabei die Bedeutung kultureller Aspekte deutlich macht (Abb. 16).

Abbildung 16: Ein Rahmenmodell zur Führung

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Das in Abbildung 16 dargestellte Modell postuliert folgende Zusammenhänge: – Führungsverhalten und dessen Wirkungen unterliegen einem zweifachen situativen Einfluss (vgl. v. Rosenstiel 1999, S. 418): Zum einen bestimmt die Situation, wie sich die Persönlichkeitsmerkmale einer Führungskraft im Führungsverhalten niederschlagen; zum anderen hängt es von der Situation ab, inwieweit ein spezifisches Führungsverhalten zu Führungserfolg führt. Der Begriff »Situation« bezieht sich dabei auf ein komplexes Bedingungsgefüge, zu dem die Aufgabenbeschaffenheit, Merkmale der Geführten und ihrer Beziehung zur Führungskraft (vgl. auch Graen u. Scandura 1987) sowie die Positionsmacht der Führungskraft gehören. – Das Zusammenwirken von Merkmalen der Führungskraft, situativen Charakteristika sowie Führungsverhalten und -erfolg ereignet sich auf dem Hintergrund einer spezifischen Kultur, wobei Kultur hierbei im Sinne eines Orientierungssystems zu verstehen ist (Thomas 1993). Diese zentrale Rolle der Kultur lässt sich insbesondere mit Ansätzen des symbolischen Führens (Neuberger 1988, 1990) verknüpfen, in denen davon ausgegangen wird, dass Führung für die Mitarbeiter Sinnpotenziale erschließt, Sinnangebote macht und damit Sinn vermittelt, um so die Komplexität im Bedingungsgefüge zu reduzieren und eine verbindliche Orientierung für alle Organisationsmitglieder herzustellen. – Die psychischen Prozesse der Wahrnehmung und Interpretation bestimmen die Auswirkungen der Situation auf das Führungsverhalten: Der Führungskraft fallen bestimmte Aspekte ins Auge, andere treten in den Hintergrund, sie ordnet der Situation Bedeutung und Sinn zu. Es sind diese inneren Bilder und Deutungen als psychologische Wirklichkeit, die das Verhalten der Führungskraft leiten und formen. Die Kultur als ein für eine Gesellschaft typisches Orientierungssystem leistet hierzu einen wesentlichen Beitrag, denn die spezifischen Wahrnehmungen und Deutungen, dessen was ist und gefordert wird, sind durch sie maßgeblich bestimmt. Die Führungskraft orientiert sich, ob bewusst oder unbewusst, im Rückgriff auf ein gesellschaftliches Orientierungssystem, das sie als verbindlich und oft als selbstverständlich erlebt. – Der Führungserfolg wird in einem erheblichen Ausmaß davon abhängen, wie die Geführten auf das Verhalten der Führungskraft reagieren. Wahrnehmungs- und Interpretationsprozesse spielen auch hier eine zentrale Rolle: Die Geführten werden das Führungsverhalten in einer bestimmten Weise wahrnehmen und diesem eine Bedeutung zuordnen, was sodann ihr eigenes Verhalten beeinflusst. Dabei übernimmt die Kultur eine wesentliche Funktion: Sinn und Bedeutung des Führungsverhaltens werden unter Rückgriff auf das gesellschaftliche kulturelle Orientierungssystem erschlossen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Auch Führungserfolg ist kein an sich gegebenes Faktum, sondern setzt

umfangreiche Bewertungsprozesse voraus, die wiederum von der jeweiligen Kultur mitbestimmt werden. Dass es kein einheitliches und allgemein akzeptiertes Kriterium für Führungserfolg gibt, wird bereits deutlich, wenn man Forschungsarbeiten betrachtet, in denen Führungserfolg gemessen wird. Hier wird auf eine Vielzahl unterschiedlichster Kriterien zurückgegriffen, so zum Beispiel die Effektivität der Aufgabenbewältigung, das Ausmaß des Erreichens von Organisationszielen wie beispielsweise der Vergrößerung des Marktanteils oder die Gewinnentwicklung, Leistung oder Zufriedenheit der unterstellten Mitarbeiter, die emotionale Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen oder die Qualität der Kooperation in der Organisation (vgl. Yukl u. van Fleet 1992, S. 179 ff.). Das, was in einer gegebenen Situation unter »Erfolg« verstanden sowie als Erfolgskriterium betrachtet wird, kann von Kultur zu Kultur variieren.

2.5.3 Kulturelle Einflüsse auf spezifische Funktionen des Führens und Managens Im Folgenden werden kulturelle Einflüsse auf das Führen und Managen in Organisationen aufgezeigt. Dies erfolgt im Hinblick auf die zentralen Führungs- und Managementfunktionen der Mitarbeiterführung, der Zielsetzung und -vereinbarung, des Entscheidens und Problemlösens sowie des Schaffens motivierender Arbeitsbedingungen.

Mitarbeiterführung Auf der Grundlage von Befragungsstudien haben die Forscher der Ohio-Arbeitsgruppe um Hemphill, Fleishman, Stogdill und Shartle (vgl. Fleishman 1973) zwei voneinander unabhängige Dimensionen des Führungsverhaltens erschlossen: – Mitarbeiterorientierung: ein rücksichtnehmendes, um die verschiedenen Belange der Mitarbeiter besorgtes Führungsverhalten – Aufgabenorientierung: die Aufgaben der Mitarbeiter betonendes sowie die Arbeit der Mitarbeiter strukturierendes Verhalten. Der Führungsstil einer Führungskraft ergibt sich daraus, wie beide Dimensionen bei der Führungskraft ausgeprägt sind. So kann man einen mitarbeiterorientierten Führungsstil von einem aufgabenorientierten Füh-

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rungsstil unterscheiden, aber eine Führungskraft kann aufgrund der postulierten Unabhängigkeit der Dimensionen auch mitarbeiterorientiert und aufgabenorientiert zugleich sein oder im Sinne eines Laissez-faire-Führungsstils weder mitarbeiter- noch aufgabenorientiert sein. Empirische Untersuchungen zu den Auswirkungen dieser Stile haben gezeigt, dass ein positiver Zusammenhang zwischen der Mitarbeiterorientierung der Führungskraft und der Zufriedenheit der Mitarbeiter besteht, während die Aufgabenorientierung der Führungskraft mit der Produktivität der Mitarbeiter positiv korreliert. Am erfolgreichsten im Hinblick auf die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter und die erzielte Produktivität sind Führungskräfte, die hohe Ausprägungen auf beiden Dimensionen aufweisen (vgl. Frey u. Spielmann 1994). Die Forschungen der Ohio-Gruppe stammen vorwiegend aus dem westlichen Kulturkreis. Empirische Untersuchungen zu den grundlegenden Dimensionen des Führungsverhaltens wurden aber auch in anderen Kulturkreisen durchgeführt. Von besonderer Bedeutung sind hier die langjährigen Forschungen von Misumi (z. B. 1985) über Führen in Japan sowie das umfangreiche Forschungsprojekt von Sinha (z. B. 1984) zur Führungsthematik in Indien. Beide Forscher fanden ebenfalls zwei grundlegende Dimensionen des Führungsverhaltens: – Misumi entwickelte die auf die Verhältnisse in Japan abzielende PMFührungstheorie, wobei P für »Performance« steht, also für ein leistungsorientiertes Führungsverhalten, bei dem die Zielerreichung besondere Beachtung erfährt, während M »Maintenance« bedeutet und ein harmonie- und beziehungsorientiertes, solidarisches und integratives Führungsverhaltens meint. Die Theorie postuliert, dass eine Führungskraft im japanischen Kulturkontext dann besonders effektiv ist, wenn es ihr gelingt, einen Führungsstil zu praktizieren, in dem beide Dimensionen intensiv ausgeprägt sind. – Sinha entwickelte die auf die Verhältnisse in Indien abgestimmte NTFührungstheorie, wobei N »nurturant« meint und für ein fürsorgliches, beziehungsorientiertes Führungsverhalten steht und T »task oriented« bedeutet und eine aufgabenorientierte Ausrichtung des Führungsverhaltens bezeichnet. Wiederum ist gerade die Kombination beider Dimensionen in einen NT-Stil am effektivsten, wobei laut Sinha dies dann das Fundament bereitet für eine zunehmende Partizipation und Mitsprache der Mitarbeiter bei Entscheidungsprozessen. Die Konzeptionen von Misumi und Sinha ähneln stark dem zweidimensionalen Ansatz der Ohio-Schule. Dies deutet darauf hin, dass die dem Führungsverhalten zugrunde liegenden Dimensionen eher universeller Art sind, wobei aber die spezifischen Verhaltensweisen, durch die eine rück© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Siegfried Stumpf: Interkulturelles Führen und Managen

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sichtsvolle oder aufgabenbezogene Orientierung ausgedrückt und signalisiert wird, von Kultur zu Kultur verschieden sein können: So wird in China als ein typisches Maintenance-Verhalten gewertet, wenn ein Vorgesetzter taktvoll und auf indirekte Art versucht, die persönlichen Schwierigkeiten seines Mitarbeiters zu lösen. In den USA dagegen wird als MaintenanceVerhalten angesehen, wenn eine Führungskraft davon Abstand nimmt, Mitarbeiter zu kritisieren, die ständig zu spät zur Arbeit kommen (vgl. Smith et al. 1989, S. 107). Ein wesentlicher Aspekt des Führungsstils berührt die Frage der Partizipation im Sinne des Ausmaßes, in dem die Geführten an Problemlösungsund Entscheidungsprozessen beteiligt werden (Antoni 1999). Partizipation soll insbesondere bewirken, dass Widerstände gegen Veränderungen in der Organisation abgebaut werden (Erez u. Earley 1993, S. 104). Nach Smith und Noakes (1996) erweist sich Partizipation zumeist in individualistischen Nationen effektiver als in kollektivistischen Nationen mit hoher Machtdistanz (siehe Kap. I, 1.4, S. 61 f.). So bewährt sich in der Regel die aktive Einbindung der Mitarbeiter in Organisationsentwicklungsprojekte in den USA, während zum Beispiel in Puerto Rico, einer spanisch geprägten Kultur mit hoher Machtdistanz, solche Partizipationsangebote von den Mitarbeitern als Zeichen dafür interpretiert werden, dass das Management nicht weiter weiß und »geistig bankrott« ist, was die Mitarbeiter dazu tendieren lässt, das Unternehmen lieber zu verlassen. Die Effektivität eines partizipativen Führungsstils hängt davon ab, welche Partizipationserwartungen die Untergebenen haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Erwartungen im Lauf der Entwicklung der Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft verändern können. So legen empirische Untersuchungen von Sinha (z. B. 1984, 1994) für den indischen Kulturkreis nahe, dass bei Beginn der Arbeitsbeziehung ein »nurturant-task-oriented« (NT-)Führungsstil ohne Partizipationsangebote angemessen ist. Im Rahmen dieser spezifischen Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung gewinnen die Mitarbeiter an Arbeitserfahrung, sie entwickeln ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten und ihr Selbstvertrauen wächst. Hierbei verändern sich auch die Erwartungen an die Beziehung zur Führungskraft, indem Bedürfnisse nach Gestaltungsspielräumen und Partizipation entstehen. Hat die Beziehung diese Qualität erreicht, so muss der Vorgesetzte, um effektiv zu bleiben, sein Führungsverhalten ändern, um diesen Partizipationserwartungen gerecht zu werden. Allerdings wird laut Sinha nicht jeder Mitarbeiter diese Stufe erreichen, was von der Führungskraft fordert, dass sie keinen einheitlichen Führungsstil praktiziert, sondern ihren Stil der Qualität der jeweiligen Vorgesetzten-MitarbeiterBeziehung anpasst (vgl. auch Graen u. Scandura 1987).

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Zielsetzung und Zielvereinbarung Werden Organisationen als zielorientierte soziale Systeme verstanden, so ist davon auszugehen, dass Prozesse der Zielsetzung und Zielvereinbarung in Organisationen eine wesentliche Rolle spielen und deswegen eine wichtige Managementfunktion darstellen (vgl. Locke u. Latham 1990; Nerdinger 2001). Zielsetzungen und -vereinbarungen können auf eine Vielzahl von Wegen zustande kommen. So kann die Führungskraft die Ziele dem Mitarbeiter ohne weitere Erläuterungen vorgeben, sie kann die Zielvorgaben im Sinne der Vorgehensweise eines »tell and sell« so präsentieren, dass sie für den Mitarbeiter möglichst ansprechend und sinnvoll erscheinen, oder aber in einem partizipativen Prozess unter Einbezug der Interessen und Sichtweisen des Mitarbeiters die Ziele mit diesem partnerschaftlich aushandeln. Die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Vorgehensweisen auf die Bindung, die der Mitarbeiter zu den Zielen entwickelt, sowie auf das Engagement bei der Zielerreichung, hängen allerdings beträchtlich vom kulturellen Orientierungssystem ab, aus dem heraus der Prozess des Zustandekommens der Ziele wahrgenommen und beurteilt wird. Erez und Earley (1987) untersuchten in einem kulturvergleichenden Experiment an USamerikanischen und israelischen Studenten die Auswirkungen unterschiedlicher Zielsetzungsprozeduren auf die Mitarbeiterleistung. In drei Versuchsbedingungen wurden Ziele vorgegeben, Ziele im Rahmen einer Gruppendiskussion vereinbart (partizipative Zielvereinbarung) oder Ziele zwischen der Führungskraft und einem Gruppenvertreter ausgehandelt (repräsentative Zielvereinbarung). Während sich bei partizipativer Zielvereinbarung kein Leistungsunterschied zwischen den Gruppen feststellen ließ, reagierten die Israelis im Gegensatz zu den US-Amerikanern mit einem sehr deutlichen Leistungseinbruch, wenn die Ziele einfach vorgegeben wurden. Die Autoren führen dies darauf zurück, dass die Israelis wegen ihrer im Vergleich zu den US-Amerikanern kollektivistischeren Orientierung und ihrer niedrigeren Machtdistanzausprägung das autoritäre Vorgeben von Zielen negativ bewerten und nicht akzeptieren. Besonders stark zeigten sich diese Tendenzen bei Israelis, die Kibbuzmitglieder waren, und somit besonders hohe Partizipationserwartungen hatten. Eine weitere Untersuchung von Erez (1986) belegt, dass die Übertragung dieses Ergebnisses auf die gesamte israelische Nation problematisch ist: Je nach ethnischer oder sozialer Subgruppe können unterschiedliche kulturelle Orientierungen vorliegen, was die verfügbaren Zielsetzungsmethoden unterschiedlich effektiv machen kann. So reagieren zum Beispiel Mitarbeiter aus der israelischen Privatwirtschaft durchaus positiv auf Zielvorgaben. Insgesamt zeigt sich damit, dass bei der Übertragung von Managementtechniken wie

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Siegfried Stumpf: Interkulturelles Führen und Managen

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zum Beispiel der Zielvereinbarung von einem Arbeits- und Lebenskontext auf einen anderen das gesamte soziokulturelle Bedingungsgefüge beachtet werden muss und man sich vor vorschnellen Generalisierungen und Übertragungen hüten sollte.

Entscheiden Nach der Event-Management-Theorie der Führung von Smith und Peterson (1988) sind Ereignisse in Organisationen zunächst grundsätzlich vieldeutig und interpretationsbedürftig. Um angemessene Entscheidungen treffen zu können, müssen Führungskräfte zu möglichst eindeutigen und verlässlichen Interpretationen dieser Ereignisse gelangen. Hierzu können sie auf eine Vielzahl unterschiedlicher Orientierungsquellen zurückgreifen wie beispielsweise die Sichtweisen und Einschätzungen ihrer Kollegen, ihre eigenen bisherigen Erfahrungen oder die formalen Regeln in der Organisation. Es ist zu erwarten, dass die Auswahl dieser Orientierungsquellen von kulturellen Faktoren beeinflusst wird: Je nachdem, welchem kulturellen System eine Führungskraft angehört, werden spezifische Orientierungsquellen bevorzugt, während andere in den Hintergrund treten und weniger bedeutsam sind. Um die Zusammenhänge zwischen kultureller Zugehörigkeit und der Präferenz spezifischer Orientierungsquellen bei Entscheidungsprozessen zu untersuchen, führten Smith, Peterson und Schwartz (1998) eine Studie mittels einer schriftlichen Befragung von Managern aus über 40 Ländern durch (vgl. auch Smith 1999). Jedes Land war dabei mit einer Anzahl von etwa 100 Managern vertreten, die sowohl aus staatlichen als auch privaten Organisationen stammten. In der Studie sollten die Manager für mehrere Arbeitsereignisse (z. B. Umgang mit Meinungsverschiedenheiten in der Abteilung) angeben, inwieweit sie bei der Entscheidungsfindung die folgenden Orientierungsquellen nutzen: die eigenen Erfahrungen, Sichtweisen und Meinungen des Vorgesetzten, Sichtweisen und Meinungen der Untergebenen, Sichtweisen und Meinungen der Kollegen auf gleicher hierarchischer Ebene, Meinungen von abteilungsexternen Spezialisten, formale Regelungen, ungeschriebene Organisationsgesetze oder in der eigenen Nationen weit verbreitete Überzeugungen. Die Präferenzwerte der Manager eines Landes wurden gemittelt und die so berechneten Länderkennwerte miteinander verglichen. Die Abbildungen 17 und 18 zeigen die Vergleichsergebnisse für Frankreich und Deutschland sowie China und Deutschland. Abbildung 17 zeigt, dass sich französische Manager ausgeprägter als deutsche Manager an den ungeschriebenen Gesetzen in der Organisation orientieren. Dagegen sind für deutsche Manager die Sichtweisen und Mei-

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Abbildung 17: Event Management bei französischen und deutschen Managern (nach Smith 1999). Höhere Rangziffern bezeichnen eine stärkere Orientierung an der entsprechenden Quelle.

Abbildung 18: Event Management bei chinesischen und deutschen Managern (nach Smith 1999). Höhere Rangziffern bezeichnen eine stärkere Orientierung an der entsprechenden Quelle.

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nungen von Spezialisten außerhalb der eigenen Abteilung deutlich wichtiger. Die stärkere Berücksichtigung von Spezialistensichtweisen und -meinungen wird auch im Vergleich mit chinesischen Managern in Abbildung 18 deutlich. Zudem orientieren sich deutsche Manager stärker als chinesische Manager an den Meinungen der ihnen hierarchisch untergeordneten Mitarbeiter sowie an ihren eigenen Erfahrungen. Dagegen haben weit verbreitete Überzeugungen für chinesische Manager ein stärkeres Gewicht als für deutsche Manager.

Problemlösen Entscheidungsprobleme in Organisationen sind oftmals von komplexer Beschaffenheit. Der Umgang von Menschen mit komplexen Anforderungen wird insbesondere in der Kognitiven Psychologie unter dem Begriff des Komplexen Problemlösens untersucht (vgl. Dörner et al. 1983). Hierzu wurden Untersuchungen durchgeführt, in denen Personen die Steuerung komplexer computersimulierter Systeme übernehmen. Diese Systeme sind als Abbildungen realer Szenarien entworfen (z. B. eines Wirtschaftsunternehmens in einem Markt) und weisen folgende Eigenschaften auf (Dörner 1989): Variablenvielfalt im Sinne einer hohen Anzahl von Variablen, aus denen die Systeme bestehen; Vernetztheit in Form vielfältiger Beziehungen zwischen diesen Variablen; Intransparenz, das heißt, Systemzustände oder die Beziehungen zwischen den Variablen sind für den Akteur nicht direkt feststellbar; Eigendynamik, das heißt, der Systemzustand verändert sich auch ohne Zutun des Akteurs; und Polytelie im Sinn einer multiplen Zielsetzung für die Steuerung des Systems. Strohschneider (2001) verglich Problemlösungsverhalten und -leistungen von Deutschen und Indern und fand hierbei bei dem komplexen Szenario MORO, das Probleme der Entwicklungshilfe simuliert, signifikante Unterschiede: Die deutschen Probanden sind aktiver, indem sie mehr Informationen zu erhalten versuchen und mehr Maßnahmen zur Systemsteuerung ergreifen. Indische Probanden explorieren das Szenario weniger vollständig, agieren stärker reaktiv als die deutschen Probanden, passen ihre Maßnahmen seltener an sich ändernde Umstände an, treffen häufiger Entscheidungen ohne ausreichende Informationsgrundlage und vergessen häufiger, die Effekte ihrer Maßnahmen zu kontrollieren. Hinsichtlich der Problemlösungsgüte schneiden die deutschen Probanden besser als die indischen ab. Strohschneider interpretiert diese Ergebnisse in dem Sinne, dass die Unterschiede im Problemlösungsverhalten unterschiedliche Lernerfahrungen während der Sozialisation widerspiegeln: Im indischen Kontext werden weniger selbstständige und aktive Problemlöseleistungen er-

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wartet und das Ausmaß an elterlicher Lenkung und Kontrolle ist größer. Daraus resultieren andere Problemlösungsstrategien, die sich im Rahmen der MORO-Simulation weniger gut anwenden lassen (vgl. Strohschneider 2001, S. 141). Bei einer weiteren Studie mit dem komplexen Szenario MANUTEX, das einen Kleinbetrieb simuliert, fand Strohschneider insbesondere Hinweise auf unterschiedliche kulturbedingte Managementstrategien. Während die deutschen Probanden offensiv-expansive Strategien zeigen, treffen die indischen Probanden eher defensive und risikovermeidende Entscheidungen. Ersteres bewährt sich bei MANUTEX besser als Zweiteres, dennoch weist Strohschneider zu Recht darauf hin, dass daraus nicht abgeleitet werden kann, dass die offensiv-expansive deutsche Strategie unter allen Kontextbedingungen besser funktioniert als die defensiv-risikovermeidende Strategie, sondern dass davon auszugehen ist, dass beide Strategien gute Anpassungen in dem jeweiligen wirtschaftskulturellen Umfeld darstellen: »Unter den in Indien typischerweise herrschenden Bedingungen eines unsicheren Marktes und einer unberechenbaren Infrastruktur sowie Rohstoffversorgung ist eine vorsichtige, inkrementelle Strategie mit Eichhörnchenkomponente langfristig erfolgreicher. Unter den ›typisch deutschen‹ Bedingungen eines berechenbaren und verlässlichen wirtschaftlichen Umfeldes ist es langfristig durchaus sinnvoll, dosierte Risiken einzugehen und massive Investitionen zu tätigen« (Strohschneider 2001, S. 195).

Schaffung motivierender Arbeitsbedingungen Kulturbedingt gibt es unterschiedliche Vorstellungen über die Bedeutung von Einzel- und Gruppenarbeit. Das in einer kollektivistischen Kultur wie Japan verbreitete Modell der sozialen Gruppe (vgl. Kashima u. Callan 1994) besagt, dass die zentrale Arbeitseinheit in einer Organisation die Gruppe ist. Aufgaben werden deswegen nicht Individuen zugeordnet, sondern auf Gruppen übertragen. Während die Gruppenaufgabe durch die Organisation klar definiert ist, werden die Rollen der einzelnen Gruppenmitglieder von der Organisation nicht festgelegt, sondern über gruppeninterne Aushandlungsprozesse bestimmt. Das Leistungsverhalten der Gruppe und nicht die individuelle Einzelleistung wird belohnt. Die gruppenabhängige Belohnung wirkt zugleich als Anregung, mit der Arbeitsgruppe weiterhin effektiv zu interagieren. Das in westlich geprägten Kulturen verbreitete Modell des rational handelnden Individuums sieht das einzelne Individuum als zentrale Arbeitseinheit in einer Organisation. Aufgaben werden deswegen primär nicht Gruppen als Gesamtheit zugeordnet, sondern einzelnen Personen übertragen. Belohnt werden individuelle Leistungen, wobei eine gu-

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Siegfried Stumpf: Interkulturelles Führen und Managen

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te individuelle Leistung höher bewertet wird als eine schwache, und zwar um so höher, je geringer der leistungsförderliche Gruppeneinfluss zu veranschlagen ist. Eine Gruppe fungiert lediglich als Kontextbedingung oder als Werkzeug, dessen sich das Individuum zur Zielerreichung bedienen kann. Daraus darf man aber nicht den Schluss ziehen, dass gruppenorientiertes Arbeiten und Führen nur in kollektivistischen, nie aber in eher individualistischen Kulturen vorkommt und funktioniert. Auch in westlichen Kulturen haben Gruppenarbeitskonzepte wie das Konzept der teilautonomen Arbeitsgruppe eine zunehmende Bedeutung gewonnen, zunächst geleitet von Überlegungen zur Humanisierung der Arbeit, später in den neunziger Jahren unter dem ökonomisch motivierten Grundprinzip des »lean management« (vgl. Antoni 1994, 2000; Benders et al. 1999). Zentrale Bedingungen für die Übertragbarkeit von gruppenorientierten Arbeitsmodellen in westliche Arbeitskontexte sind nach Kashima und Callan (1994, S. 636; vgl. auch Antoni 2000): – Die Gruppenziele müssen klar festlegbar sein. – Die Gruppenmitglieder müssen die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten haben, um die erforderlichen Schritte zur Zielerreichung festzulegen. – Die Gruppenmitglieder müssen spezifische soziale Kompetenzen haben, die es ihnen ermöglichen, ihre eigene Rolle in der Gruppe zu klären und zu vereinbaren. – Die Gruppenmitglieder müssen genügend Motivation haben, die getroffenen Vereinbarungen umzusetzen und die anstehenden Aufgaben zu erfüllen. Führen und Managen bedeutet auch, die arbeitsbezogenen Bedürfnisse der Geführten zu berücksichtigen. Nach einer internationalen Studie von Ronen (1994) kann man nationenübergreifend vier Klassen von Arbeitsbedürfnissen unterscheiden: – Kollektive, materielle Bedürfnisse (z. B. sicherer Arbeitsplatz, gute physische Arbeitsbedingungen); – kollektive, humanistische Bedürfnisse (z. B. positive Arbeitsbeziehungen zu Kollegen und Vorgesetztem aufbauen); – individuelle, materielle Bedürfnisse (z. B. Karriere, Verdienstmöglichkeiten, Prestige); – individuelle, humanistische Bedürfnisse (z. B. Herausforderungen bewältigen, Fähigkeiten anwenden und entwickeln, Autonomie). Wenn es somit auch gute Gründe gibt, eine universelle Bedürfnisstruktur anzunehmen, so wird es dennoch Unterschiede in der Stärke der Ausprägung der einzelnen Bedürfnisse geben, welche auf kulturelle Einflussfakto© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ren zurückgehen und die jeweiligen Lebens- und Arbeitsbedingungen in den einzelnen Ländern widerspiegeln (vgl. Hui u. Luk 1997): In den entwickelten Ländern ist es ein wichtiges Bedürfnis, einen »interessanten« Arbeitsplatz zu haben. In einer eher kollektivistischen Nation wie Israel ist die Qualität der interpersonalen Beziehungen sehr bedeutsam. In Entwicklungsländern dominieren dagegen grundlegende existenzsichernde Bedürfnisse wie beispielsweise das Bedürfnis nach materiellen Einkünften. Insgesamt deutet dies darauf hin, dass die Bedürfnispyramide nach Maslow (1954) durchaus Geltung hat, weswegen Hui und Luk ihren Überblick über die kulturvergleichende Forschung zu Arbeitsbedürfnissen zusammenfassen mit: »Where basic needs have not been satisfied, other higher level motivators would not work« (1997, S. 376).

2.5.4 Entwicklung interkulturell kompetenter Führungskräfte und Manager Die Ausführungen in den vorherigen Abschnitten zeigen, dass kulturelle Faktoren Führungsverhalten und dessen Wirkungen weitreichend beeinflussen: Kulturelle Merkmale bestimmen, welche spezifische Führungsverhaltensweisen als mitarbeiter- oder aufgabenorientiert wahrgenommen und beurteilt werden; die Auswirkungen unterschiedlicher Vorgehensweisen bei der Zielsetzung und -vereinbarung sind von dem kulturellen Kontext abhängig, in dem diese erfolgen; Manager aus verschiedenen Kulturen weisen möglichen Orientierungsgesichtspunkten für das Treffen unternehmerischer Entscheidungen einen unterschiedlichen Stellenwert zu und sie zeigen andere Vorgehensweisen und Strategien bei der Bewältigung komplexer Problemstellungen; das, was von den Geführten als motivierend erlebt wird, kann von Kultur zu Kultur variieren. Diese Unterschiede sind in interkulturellen Überschneidungssituationen von großer praktischer Bedeutung: Stammen Führungskraft und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Kulturen oder gibt es in einer aus Managern bestehenden Arbeitsgruppe unterschiedliche kulturelle Zugehörigkeiten, so kann dies sowohl Chance als auch Risiko sein: Die Chance liegt darin, dass sich unterschiedliche kulturell bedingte Erlebens- und Verhaltensmuster gut zusammenfügen und optimal ergänzen können; das Risiko dagegen ist, dass abweichende Erlebens- und Verhaltensmuster unverstanden bleiben, als defizitär erlebt, negativ bewertet werden und es zu keiner angemessenen Integration der Diversität kommt. Um die Chancen interkultureller Zusammenarbeit zu nutzen und um die damit verbundenen Risiken zu minimieren, ist es unumgänglich, dass eine gezielte Auswahl und Ent-

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Siegfried Stumpf: Interkulturelles Führen und Managen

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wicklung von Führungskräften im Hinblick auf interkulturelle Handlungskompetenz betrieben wird. Nach Thomas, Kammhuber und Layes (1997, S. 67 f.) ist interkulturelle Handlungskompetenz die Fähigkeit, kulturelle Bedingungen und Einflussfaktoren im Wahrnehmen, Urteilen, Empfinden und Handeln bei sich selbst und anderen Personen zu erfassen, zu würdigen, zu respektieren und produktiv einzusetzen im Sinne einer wechselseitigen Anpassung, von Toleranz gegenüber Inkompatibilitäten, sowie einer Entwicklung synergetischer Formen des Zusammenlebens und der Weltorientierung. Eine entsprechende Personalauswahl und -entwicklung setzt die Definition interkultureller Führungs- und Managementanforderungen voraus. Angemessene Personalauswahlverfahren zur Diagnose interkultureller Handlungskompetenzen sind einzusetzen und Personalentwicklungsmaßnahmen zur Förderung interkultureller Handlungskompetenz, zum Beispiel Trainings- oder Coachingmaßnahmen, sind durchzuführen.

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Siegfried Stumpf: Interkulturelle Arbeitsgruppen

Siegfried Stumpf

2.6 Interkulturelle Arbeitsgruppen

2.6.1 Interkulturelle Arbeitsgruppen: Ein zentraler Erfolgsfaktor in Organisationen Internationale Aktivitäten sind für viele Organisationen unterschiedlichster Größenordnung und Aufgabenstellung an der Tagesordnung. Produktionsstandorte werden im Ausland aufgebaut, ausländische Märkte werden erschlossen und Verbindungen mit Organisationen aus anderen Ländern werden eingegangen wie zum Beispiel die Fusionen von Daimler-Benz und Chrysler oder zwischen Bankers Trust und Deutscher Bank zeigen. Weltweite Geschäftsverbindungen finden sich dabei nicht nur bei Großkonzernen, sondern sind vielfach auch typisch für erfolgreiche klein- und mittelständische Unternehmen (Simon 1996, S. 65 ff.). Internationale Kontakte und Austauschbeziehungen beschränken sich zudem nicht auf Wirtschaftsunternehmen, sondern sind auch für viele andere Organisationsformen zu einer Notwendigkeit geworden. Dies gilt für berufs- oder branchenspezifische Vereinigungen wie zum Beispiel Gewerkschaften und Wissenschaftlerverbände ebenso wie für militärische Organisationen, die sich an internationalen Friedensmissionen beteiligen. Aber auch das Leben in unserem eigenen Land ist internationaler geworden. Niederlassungen ausländischer Firmen in Deutschland, das Zusammenwachsen der Länder in Europa oder die Zuwanderung von Personen aus anderen Ländern und Kontinenten sorgen dafür, dass jeder von uns Tag für Tag, sei es in Schulen, Krankenhäusern, Universitäten, Unternehmen oder Behörden, interkulturelle Erfahrungen machen kann und die damit verbundenen Herausforderungen bewältigen muss. Vielfältige Aufgabenstellungen in Produktion, Dienstleistung oder Verwaltung werden heutzutage durch Arbeitsgruppen oder, moderner ausgedrückt, Teams bewältigt. Bei aller Unterschiedlichkeit, die Arbeitsgruppen von Fall zu Fall zum Beispiel hinsichtlich ihrer Binnenstruktur, ihrer Lebensdauer oder ihres Autonomiegrads aufweisen, besteht ein gemeinsamer Nenner darin, dass sich eine Arbeitsgruppe dadurch auszeichnet, dass hier die Zuständigkeit für die Verrichtung einer Aufgabe oder die Erreichung eines Ziels nicht bei einer einzelnen Person, sondern bei mehreren Perso-

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Siegfried Stumpf: Interkulturelle Arbeitsgruppen

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nen liegt, die in diesem Rahmen miteinander kooperieren sollen. Arbeitsgruppen in diesem Sinn sind aus dem heutigen Organisationsalltag nicht mehr wegzudenken. Dies ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, dass man heute zunehmend versucht, durch die Einführung gruppenorientierter Arbeitsformen beispielsweise in der Produktion Flexibilitätszuwächse und Effizienzvorteile zu erzielen. Vielmehr macht es die gegebene Problemkomplexität häufig unumgänglich, die Problembearbeitung auf Gruppen zu übertragen, um so die für die Problemlösung notwendigen unterschiedlichen Fähigkeiten, Wissensbestandteile oder Blinkwinkel zu bündeln. Der Erfolg einer Organisation wird maßgeblich von der Produktivität der in ihr tätigen Arbeitsgruppen abhängen. Aufgrund des Trends zur Internationalisierung werden dabei zunehmend interkulturelle Arbeitsgruppen entstehen, deren Mitglieder aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen. In diesem Beitrag wird die Frage behandelt, was dies für die Prozesse und die Leistungsfähigkeit von Arbeitsgruppen bedeutet. Handelt es sich hier um eine vernachlässigbare Größe oder ist das eine wichtige Herausforderung für alle diejenigen in Organisationen, die solche Gruppen aufbauen, führen, unterstützen oder in ihnen arbeiten?

2.6.2 Chancen und Risiken interkultureller Arbeitsgruppen Nach dem Heterogenitätsmodell von McGrath, Berdahl und Arrow (1995) haben Unterschiede in sozialen Kategorien wie Nationalität oder ethnische Zugehörigkeit eine wesentliche Bedeutung für den Verlauf der Gruppenprozesse sowie die Gruppenleistung. Insbesondere zwei unterschiedliche kausale Zusammenhänge sind hier von Bedeutung: – Kulturspezifische Sozialisationsprozesse: Aus psychologischer Perspektive kann eine Kultur, die für eine spezifische Nation oder Ethnie charakteristisch ist, als ein Orientierungssystem aufgefasst werden, das das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln der in ihr lebenden Individuen über den Weg von Sozialisationsprozessen formt und beeinflusst (Thomas 1996). So werden auf diese Weise nicht nur grundlegende Werte, Einstellungen, Denk- und Handlungsstile, sondern auch aufgabenspezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt und ausgebildet. – Aktivierung von nationalen Stereotypen: Aufgrund der oftmals leichten Erkennbarkeit von sozialen Kategorien wie Nationalität oder ethnischer Zugehörigkeit können diese Merkmale bei den anderen Gruppenmitgliedern Stereotype aktivieren, also kognitive Schemata, die Annahmen

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über die Charakteristika der zu dieser sozialen Kategorie gehörenden Personen beinhalten (Jackson 1996, S. 57 f.). Aus diesen Annahmen sind Erwartungen über Eigenschaften und Verhalten des Interaktionspartners ableitbar, die dann das eigene Verhalten regulieren und auf diese Weise auch das Verhalten des Interaktionspartners beeinflussen. Welche Auswirkungen auf die Leistung einer Gruppe hat es nun, wenn eine interkulturelle Gruppenzusammensetzung vorliegt? Basierend auf einer umfangreichen Analyse von Forschungsliteratur hat Steiner (1972) folgende Formel zur Gruppenleistung vorgeschlagen: Aktuelle Produktivität der Gruppe (AP) = Potenzielle Produktivität der Gruppe (PP) – Prozessverluste (PV) Die potenzielle Produktivität wird dabei durch die Passung zwischen den Ressourcen der Gruppe, also zum Beispiel den Fähigkeiten und dem Wissen der Gruppenmitglieder, und den Aufgabenanforderungen bestimmt. Die aktuelle Produktivität ergibt sich aus der potenziellen Produktivität abzüglich der Prozessverluste, die in der Form von Motivations- und Koordinationsverlusten auftreten können. Motivationsverluste entstehen durch eine verringerte Anstrengung der Gruppenmitglieder in der Gruppensituation wie beispielsweise beim so genannten Trittbrettfahrerphänomen. Koordinationsverluste resultieren daraus, dass die Gruppe die in ihr vorhandenen Ressourcen fehlerhaft koordiniert, indem zum Beispiel die Gruppenmitglieder nicht ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden. In Steiners Formel bleiben mögliche Prozessgewinne beispielsweise aufgrund von Synergieeffekten unberücksichtigt. Dies erscheint auf dem Hintergrund des Erkenntnisstandes der Gruppenleistungsforschung nicht unberechtigt. Gruppen wäre oftmals schon viel geholfen, wenn sie ihre Prozessverluste reduzieren und so das Potenzial, das in ihren Gruppenmitgliedern angelegt ist, realisieren (vgl. Hackman 1998, S. 246). Für die Existenz darüber hinausgehender Prozessgewinne, die zum Beispiel mit dem Label »Synergie« bezeichnet werden, gibt es bisher nur sehr eingeschränkt empirische Belege (vgl. Stumpf u. Zeutschel 2000). Anhand von Steiners Formel kann man die Auswirkungen einer steigenden Heterogenität in Gruppen aufgrund einer zunehmend interkulturellen Gruppenzusammensetzung deutlich machen (vgl. Adler 1997, S. 131): – Die potenzielle Produktivität der Gruppe erhöht sich, weil die Gruppe verstärkt auf unterschiedliche Erfahrungen, Ideen und Perspektiven zurückgreifen kann. Dabei können spezifische und generelle Potenzialzuwächse voneinander unterschieden werden (vgl. Maznevski 1994, S. 533 f.): Spezifische Potenzialzuwächse liegen vor, wenn die unterschiedliche Kultur © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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direkte Vorteile bei der Bewältigung bestimmter Teilaufgaben mit sich bringt und so unmittelbar mit aufgabenrelevanten Wissen und Fähigkeiten zusammenhängt; dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Gruppe, die ein Produkt auf dem US-amerikanischen, dem deutschen und chinesischen Markt vertreiben will, so zusammengesetzt ist, dass die Gruppenmitglieder neben dem Produktwissen über heterogene kulturelle Erfahrungsbestände verfügen, beispielsweise indem die Gruppe eben aus US-Amerikanern, Deutschen und Chinesen besteht. Generelle Potenzialzuwächse ergeben sich im Gegensatz dazu aus dem einfachen Vorhandensein unterschiedlicher Vorstellungen und Ideen, die zu einen größeren Spielraum beim Entscheiden und Handeln führen sowie Kontroversen begünstigen, die die Kreativität der Gruppe stimulieren (vgl. Johnson u. Johnson 1982; Tjosvold 1985). – Das Risiko von Prozessverlusten erhöht sich, weil die zunehmende Heterogenität einstellungsbezogene Probleme wie Misstrauen oder Antipathie, wahrnehmungsbedingte Probleme infolge der Aktivierung von Stereotypen und Kommunikationsprobleme verursachen kann (vgl. Scholl 1996). – Ob nun der Zuwachs der potenziellen Produktivität in tatsächliche, aktuelle Produktivität umgesetzt werden kann oder ob die Gruppe ein Opfer zunehmender Prozessverluste wird, hängt davon ab, welches Heterogenitätsmanagement die Gruppe betreibt: »Highly productive and less productive teams differ in how they manage their diversity, not, as is commonly believed, in the presence or absence of diversity. When well managed, diversity becomes an asset and productive resource for the team. When ignored, diversity causes process problems that diminish the team’s productivity« (Adler 1997, S. 138). Die Heterogenität in einer Gruppe darf nicht dazu führen, dass die Gruppe desintegriert wird und im Extremfall sogar auseinander fällt. Trotz aller Heterogenität muss die Gruppe so gemanagt werden, dass ein integriertes Ganzes entsteht (vgl. Maznevski 1994; A. Thomas 1999), was durch Integrationsmechanismen wie zum Beispiel eine adäquate Rollenstruktur, einen integrativen Gruppenführer (Maier 1967) oder die kommunikativen Fähigkeiten der Gruppenmitglieder (Maznevski 1994) gefördert wird. Im nächsten Abschnitt werden empirische Untersuchungen zu den Auswirkungen einer internationalen Gruppenzusammensetzung auf die Gruppenleistung vorgestellt.

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2.6.3 Empirische Untersuchungen zur Effektivität internationaler Arbeitsgruppen Trotz der wachsenden praktischen Bedeutsamkeit von Fragen zur Leistungsfähigkeit interkultureller Arbeitsgruppen gibt es nur wenig empirische Untersuchungen, die sich gezielt mit diesen Fragen befassen, und der Anteil dieser Arbeiten an der gesamten Gruppenforschung ist noch sehr gering (vgl. D. C. Thomas 1999, S. 242). Dass Unterschiede in der kulturellen Zugehörigkeit mit weit reichenden Unterschieden in gruppenrelevanten Orientierungsmerkmalen verbunden sein können, zeigen die Untersuchungen von Schroll-Machl (1996), Thomas und Zeutschel (1998), Zeutschel (1999) sowie Tjitra (2001). In den Untersuchungen von Thomas, Zeutschel und Tjitra wurden gemischt- und monokulturelle Gruppen aus US-amerikanischen, indonesischen und deutschen Studenten gebildet, die ein komplexes Unternehmensplanspiel Tabelle 10: Adaptive Gegensätze im Verhalten und Erleben bei US-amerikanischen, deutschen und indonesischen Gruppenmitgliedern Aufgabenorientierung Erkenntnisorientierung

Aktionsorientierung

Ausgiebige Suche nach dem für alle verbind- Hypothesentestendes Ausprobieren [I] lichen Königsweg [D] Zulassen provisorischer Entscheidungen mit häufiger Zwischenbilanzierung [A]

Beziehungsorientierung Polarisierung

Harmonisierung

Individuelle Zuordnung von Erfolg und Miss- Kollektive Zuordnung von Erfolg und Misserfolg [A, D] erfolg [I] Direktes Ansprechen von Konflikten [D]

Vermeidung von Konflikten [I]

Austragen von Meinungsunterschieden [D] Kompromissbereitschaft [A, I] Strukturorientierung Abgrenzung

Öffnung

Akzeptanz ungleicher Machtverhältnisse [I] Gleichberechtigung aller Teammitglieder [D] Klare Aufgabenteilung [D]

Durchlässige Zuständigkeiten [I] Prozessorientierung

Langfristigkeit

Kurzfristigkeit

Betonung der Kontinuität [D]

Betonung des Wandels [I]

Konsekutives Vorgehen [A, D]

Simultanes Vorgehen [I]

Anmerkung: A = US-amerikanischer Verhaltensstil; D = deutscher Verhaltensstil; I = indonesischer Verhaltensstil

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zu bewältigen hatten. Die Analyse der Gruppenprozesse zeigt, dass in den Gruppen deutliche kulturspezifische Varianten des Umgangs mit der Problemstellung sowie im Hinblick auf die Beziehungsgestaltung in der Gruppe auftraten. Diese Varianten kann man als adaptive Gegensätze (vgl. Demorgon u. Molz 1996) verstehen, die sich in den einzelnen Kulturen ausgebildet haben und die, wenn sie effektiv miteinander kombiniert werden, zu Leistungsvorteilen führen könnten. In Tabelle 10 sind einige dieser adaptiven Gegensätze in unterschiedliche Orientierungsaspekte gegliedert und aufgeführt (vgl. Thomas u. Zeutschel 1998): Einige Untersuchungen gelten der Frage, ob interkulturelle Arbeitsgruppen monokulturell zusammengesetzten Gruppen überlegen sind (vgl. Watson et al. 1993; Thomas et al. 1996; D. C. Thomas 1999). Die Untersuchung von Watson, Kumar und Michaelsen (1993) zeichnet sich dadurch aus, dass keine in der Gruppenforschung beliebte Momentaufnahme von für Laborexperimente zusammengestellten »künstlichen« Gruppen gemacht wurde, sondern im Rahmen eines Feldexperiments echte Gruppen über einen längeren Zeitraum untersucht wurden. Watson, Kumar und Michaelsen (1993) bildeten im Rahmen eines Managementkurses kulturell heterogene und homogene Gruppen, die jeweils aus vier oder fünf Kursteilnehmern bestanden. Monokulturelle Gruppen setzten sich aus weißen US-Amerikanern zusammen. Interkulturelle Gruppen bestanden aus zwei oder mehr Nationalitäten (z. B. den USA und einem Land aus Asien, Afrika, Lateinamerika oder dem mittleren Osten) und drei oder mehr ethnischen Zugehörigkeiten (z. B. Personen afrikanischer oder spanischer Abstammung). Insgesamt nahmen 173 Personen an der Untersuchung teil, die in 17 monokulturelle und 19 interkulturelle Gruppen eingeteilt wurden. Die Gruppen bestanden für einen Zeitraum von 17 Wochen und die Gruppenmitglieder hatten während dieser Zeit viel Gelegenheit, miteinander zu interagieren. Die Aufgaben, deren Bewältigung gemessen wurde, waren ökonomische Fallstudien. Es gab vier Messzeitpunkte t1 bis t4, und zwar in der fünften, neunten, dreizehnten und siebzehnten Woche. Die Gruppenleistung wurde ermittelt, indem die schriftliche Fallstudienbearbeitung jeder Gruppe anhand von vier Kriterien durch Experten beurteilt wurde. Zu jedem Kriterium wurde eine Note von eins (sehr schlecht) bis fünf (sehr gut) vergeben und anschließend als Indikator für die Gesamtleistung der Gruppe der Durchschnitt aus diesen Bewertungen gebildet. Zudem wurde an den Messzeitpunkten ein Fragebogen zur Messung der Güte des Gruppenprozesses von den Gruppenteilnehmern unabhängig voneinander ausgefüllt. Als Indikator für die Prozessgüte diente der Durchschnittswert der individuellen Einschätzungen der Gruppenmitglieder. Die Gruppen erhielten nach jeder Messung ein auf den Messergebnissen beruhendes Feedback sowohl über ihre Stärken und Schwächen im Gruppenprozess als auch © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Leistungsgüte

zur Gruppenleistung. Anschließend wurden die Gruppen aufgefordert, selbstständig Maßnahmen aus diesen Feedbackgesprächen abzuleiten und umzusetzen. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass mit zunehmender Dauer des Gruppenbestehens die Prozess- und Leistungsgüte sowohl bei interkulturellen als auch monokulturellen Gruppen ansteigen, was darauf hindeutet, dass sich die Gruppenmitglieder immer besser aufeinander einspielen und es zunehmend lernen, die Leistungsanforderungen besser zu erfüllen. Anfangs bleiben interkulturelle Gruppen hinsichtlich Prozessund Leistungsgüte statistisch signifikant hinter monokulturellen Gruppen zurück, wobei sich aber mit zunehmender Dauer des Gruppenbestehens diese Unterschiede ausgleichen. Beim vierten und letzten Messzeitpunkt erreichen die interkulturellen Gruppen hinsichtlich der Gesamtleistung das Niveau der monokulturellen Gruppen, wobei sie in zwei Leistungskriterien, der in dem Arbeitsprodukt enthaltenen Perspektivenvielfalt sowie der Generierung unterschiedlicher Lösungsalternativen, sogar signifikant besser als monokulturelle Gruppen abschneiden, ohne dass dies aber zu einem statistisch signifikanten Effekt hinsichtlich der Gesamtleistung führt. Dieser Befund weist darauf hin, dass interkulturelle Gruppen anfangs in höherem Ausmaß Integrationsprobleme haben, die sie aber mit zunehmender Zeitdauer bewältigen. Abbildung 19 zeigt den beschriebenen Verlauf der Effektivitätskennwerte.

interkulturell

monokulturell

Abbildung 19: Mittelwerte für die Gruppenleistung an den vier Messzeitpunkten in der Studie von Watson, Kumar und Michaelsen (1993). Größere Werte entsprechen besseren Leistungen.

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Ähnlich angelegte Untersuchungen stammen von Thomas, Ravlin und Wallace (1996) und D. C. Thomas (1999). In Thomas, Ravlin und Wallace (1996) lässt sich ein positiver Effekt der kulturellen Heterogenität auf die Gruppeneffektivität feststellen. Das Muster der Effektivitätskennwerte über den Zeitverlauf hinweg zeigt im Gegensatz zu Watson, Kumar und Michaelsen, dass die Effektivität der interkulturellen Gruppen zu allen Zeitpunkten über der Effektivität der monokulturellen Gruppen liegt, wobei die monokulturellen Gruppen am fünften und letzten Messzeitpunkt die Unterschiede weitgehend ausgleichen können. Wiederum ein anderes Ergebnismuster findet sich in D. C. Thomas (1999). Hier lässt sich ein positiver Effekt der kulturellen Homogenität auf die Gruppeneffektivität feststellen. Zu allen fünf Messzeitpunkten zeigen die monokulturellen Gruppen gegenüber den interkulturellen Gruppen eine höhere Gruppeneffektivität, wobei die interkulturellen Gruppen gegen Ende des Untersuchungszeitraums nicht wie in der Untersuchung von Watson, Kumar und Michaelsen (1993) den Abstand zu den monokulturellen Gruppen reduzieren können. Angesichts dieser unterschiedlichen Ergebnisse ist davon auszugehen, dass die Befunde der Untersuchung von Watson, Kumar und Michaelsen eng an die in dieser Studie realisierten spezifischen Bedingungen der Gruppenarbeit gebunden sind. Die Gruppen erhielten zwischenzeitliche Feedbacks zur Qualität ihrer Gruppenprozesse sowie zu ihrer Gruppenleistung und wurden angehalten, dieses Feedback gemeinsam zu reflektieren und produktiv umzusetzen. Dies kann Lernprozesse in den Gruppen gefördert (vgl. West 1996) und insbesondere einen Beitrag dazu geleistet haben, dass die interkulturellen Gruppen gegen Ende des Untersuchungszeitraumes Defizite hinsichtlich der Gruppenprozesse und der Gruppeneffektivität beseitigen und mit den monokulturellen Gruppen gleichziehen konnten (vgl. Watson et al. 1998). In den Untersuchungen von Thomas, Ravlin und Wallace (1996) und D. C. Thomas (1999) fehlte diese Feedbackbedingung weitgehend, was das Lernen aufgrund der Gruppenerfahrungen erschwert haben kann (vgl. D. C. Thomas 1999, S. 258). Ferner dürften auch Unterschiede in den spezifischen Aufgabencharakteristika eine Rolle beim Zustandekommen dieser unterschiedlichen Ergebnisse gespielt haben (vgl. D. C. Thomas 1999, S. 257 f.). Folgende Schlussfolgerungen kann man angesichts dieser Befunde ziehen: – Gruppen können nicht von der ersten Minute ihres Bestehens an Höchstleistungen bringen. Vielmehr benötigen sie eine Zeitspanne, in der die Gruppenmitglieder zusammenfinden können, in der sie sich kennen lernen und in der sie gemeinsame Orientierungen und von allen Mitgliedern geteilte normative Vorstellungen zum Ablauf des Gruppengeschehens aufbauen können (siehe Kap. II, 2.4, S. 307 ff.). Auf diesen Sachverhalt weisen bereits die traditionellen Modelle zur Gruppenent© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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wicklung wie das Modell von Tuckman (1965) hin, in dem die »Performingphase« einer Gruppe das Durchlaufen vorausgehender Phasen wie »Forming«, »Storming« und »Norming« erfordert. – Je heterogener eine Gruppe hinsichtlich der Fähigkeiten der Gruppenmitglieder und der normativen Vorstellungen zum Gruppengeschehen aufgebaut ist, um so wichtiger wird diese Findungsphase und um so mehr Zeit muss ihr eingeräumt werden. Höchstleistungen von heterogenen beziehungsweise interkulturellen Gruppen gleich von Anfang an zu erwarten ist unrealistisch. Der notwendige Integrationsprozess ist in diesen Gruppen anspruchsvoller und schwieriger zu leisten und wird deswegen mehr Zeit in Anspruch nehmen. Dies gilt um so mehr, je stärker die Bewältigung der Gruppenaufgabe eine intensive und enge Zusammenarbeit der Gruppenmitglieder erfordert (vgl. auch McGrath et al. 1995, S. 32 f.). – Zeit allein ist jedoch nicht ausreichend. Es kommt auch darauf an, wie die Gruppen diese Zeit nutzen. Die Ergebnisse von Watson, Kumar und Michaelsen (1993) legen nahe, dass der notwendige Integrationsprozess besser gelingt, wenn die Gruppen ein kontinuierliches Feedback zu Gruppenprozess- und Leistungsparametern erhalten und diese Feedbackdaten reflektierend und konstruktiv aufarbeiten (vgl. auch Kleinbeck u. Kleinbeck 1999). Darüber hinaus kann der Entwicklungsprozess interkultureller Gruppen durch weitere gezielte Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen unterstützt werden, auf die im nächsten Abschnitt eingegangen wird.

2.6.4 Empfehlungen für das Management interkultureller Arbeitsgruppen Nach einem Modell von Maznevski und DiStefano (2000) kann man als erfolgskritische Prozesse in der Entwicklung interkultureller Arbeitsgruppen die aufeinander aufbauenden Phasen des Mapping, Bridging und Integrating ansehen. In der Mapping-Phase kommt es darauf an, dass die Gruppenmitglieder erkennen, welche relevanten Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen ihnen bestehen und welche Bedeutung diese für Gruppenprozesse und -leistung haben. In der Bridging-Phase müssen Kommunikationsprozesse etabliert werden, die eine adäquate Verständigung trotz dieser Unterschiede ermöglichen: »When the worldviews of the speaker and the listener are very different from each other, as they usually are among members of global teams, these perspectives must be bridged

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with very explicit attention paid to the communication processes . . . Team members . . . need to use their maps of differences to develop bicultural tongues and ears« (Maznevski u. DiStefano 2000, S. 199). Aufbauend auf der Erkenntnis und dem Verständnis interkultureller Unterschiede sowie adäquaten überbrückenden Kommunikationsprozessen erfolgt die Integrationsphase. Die erkannten unterschiedlichen Perspektiven und Präferenzen der Gruppenmitglieder müssen zusammengebracht und durch die Unterschiede bedingte Konflikte gelöst werden, so dass die Gruppe Verfahrensweisen entwickelt, die den Bedürfnissen der Gruppenmitglieder gerecht werden und es ermöglichen, dass die Gruppe ihre Arbeitsaufgabe angemessen und effektiv bewältigt (vgl. Abschnitt 2.6.3). Es ist davon auszugehen, dass ein gelingender Integrationsprozess sowohl die Bewahrung wichtiger Unterschiede zulässt als auch Gemeinsamkeiten zwischen den Gruppenmitgliedern schafft, so zum Beispiel ein gemeinsames und von allen Gruppenmitgliedern geteiltes Verständnis dafür, wie die bestehenden Unterschiede zwischen den Gruppenmitgliedern produktiv für die Zielerreichung genutzt werden können. Für ein effektives Durchlaufen der Phasen des Mapping, Bridging und Integrating benötigen Arbeitsgruppen Unterstützung aus ihrem Organisationsumfeld. Effektive Gruppenprozesse und eine hohe Gruppenleistung werden sich bei kulturell heterogenen Gruppen nicht ganz von selbst einstellen; in den Worten von Zeutschel (1999): Synergy is not for free. Insbesondere durch folgende Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen können interkulturelle Arbeitsgruppen in ihrer Entwicklung und Leistung unterstützt werden. Trainings zur Förderung interkultureller Kompetenz (siehe Kap. I, 2.2, S. 181 ff.): Das Gelingen der beschriebenen Mapping-, Bridging- und Integratingprozesse setzt interkulturelle Kompetenzen voraus. Kenntnisse über kulturelle Unterschiede können Mappingprozesse unterstützen, Bridgingprozesse sind ohne entsprechende kommunikative Fähigkeiten nicht möglich und Integrationsprozesse setzen Wissen und Können im Lösen interkultureller Konflikte voraus. Folglich muss sich die Personalentwicklung einer Organisation darum bemühen, interkulturelle Kompetenzen bei den Mitarbeitern gezielt aufzubauen. In diesem Rahmen kommt interkulturellen Trainings eine wichtige Bedeutung zu (vgl. Thomas et al. 1999). Dabei gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Trainingsverfahren, die auf das Vermitteln handlungsrelevanten interkulturellen Wissens und das Generieren und Aufarbeiten interkultureller Erfahrungen abzielen (vgl. Thomas et al. 2002). Einbezug interkultureller Handlungskompetenzen in Personalauswahlverfahren (siehe Kap. I, 2.1, S. 167 ff.): Die Auswahl der Gruppenmitglieder sollte nicht nur nach fachlichen Kriterien erfolgen, sondern zudem interkulturelle Kompetenzen mit berücksichtigen. Dies gilt insbesondere © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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für Gruppen- oder Projektleiter, da diese für die Steuerung des Gruppenprozesses und die Integration kulturell bedingter Unterschiede besondere Verantwortung tragen. Der Einbezug interkultureller Kompetenzen in den Auswahlprozess setzt voraus, dass diese Kompetenzen mittels einer Anforderungsanalyse konkret und verhaltensnah beschrieben werden. Als Diagnoseverfahren kommen die für die Identifikation von Führungsfähigkeiten bewährten Assessment-Center in Betracht (vgl. Arbeitskreis Assessment Center 1992; Neubauer 1980). Dabei werden konkret erhobene interkulturelle Anforderungen mittels unterschiedlicher Übungen verhaltensnah abgeprüft (vgl. Bolten 2001; Kühlmann u. Stahl 1996). Teamentwicklungsmaßnahmen: Mit »Teamentwicklungsmaßnahmen« sind systematische Interventionen gemeint, in deren Rahmen neu gebildete oder bereits bestehende Arbeitsgruppen insbesondere unter qualifizierter Anleitung von Moderatoren daran arbeiten, ihre Leistungsfähigkeit sowie die Qualität des Arbeitens und Zusammenwirkens in der Gruppe zu optimieren (vgl. Comelli 1994; Dyer 1995; Stumpf u. Thomas, 2003). Zwei Zeitabschnitte bieten sich für die Durchführung von Teamentwicklungsaktivitäten an: – Bei Beginn der Gruppenarbeit: Diese auch als »Teambuilding« bezeichneten Maßnahmen zielen darauf ab, möglichst gute Voraussetzungen für den Start der Gruppenarbeit zu schaffen. Hier bietet es sich an, die relevanten interindividuellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Gruppenmitglieder herauszuarbeiten und deren Bedeutung für das Gruppengeschehen zu besprechen (Mapping). Dabei kann die effektive Kommunikation in der Gruppe eingeübt werden (Bridging). Auf dieser Grundlage können dann erste Schritte zur Integration der in der Gruppe vorhandenen Unterschiede unternommen werden, so zum Beispiel grundlegende Vereinbarungen zur Arbeitsweise in der Gruppe getroffen werden (Integrating). – Während der Gruppenarbeit: Der Integrationsprozess ist nicht allein per Vorabentscheidungen zu »erledigen«. Im Lauf der Gruppenarbeit können weitere, bisher nicht erkannte interindividuelle Unterschiede deutlich werden, bereits vorgenommene Integrationsmaßnahmen können sich als unbefriedigend erweisen und neuartige Integrationsproblematiken können auftreten. Bei der Bewältigung dieser Problemstellungen kann es für die Gruppe hilfreich sein, auf externe Unterstützung zurückzugreifen, um mit dieser Hilfe an diesen Problemstellungen zu arbeiten. Personenzentrierte on-the-Job-Entwicklung: Lernen findet nicht nur in Seminaren fernab vom Arbeitsplatz statt, sondern in den Arbeitstätigkeiten selbst liegen oftmals viele Lernmöglichkeiten (McCall et al. 1995). Die Arbeit in interkulturellen Gruppen bietet ausgezeichnete Gelegenheiten für © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ein erfahrungsbasiertes Lernen interkultureller Kompetenzen am Arbeitsplatz. Insbesondere Führungskräfte, die später international eingesetzt werden sollen, können auf diesem Weg interkulturelle Fähigkeiten aufbauen (Maznevski u. DiStefano 2000). Allerdings sollten hierzu vielfache Rückmelde- und Reflexionsprozesse in die Gruppenarbeit integriert werden. Auf die Bedeutung der Reflexion im Rahmen des erfahrungsorientierten Lernens wird von zahlreichen Autoren verwiesen (z. B. Boud et al. 1985; Kolb 1984; Schön 1983). Wenn Reflexionsprozesse nicht systematisch gefördert werden, besteht die Gefahr, dass die Lernenden einen zu geringen Nutzen aus ihren Erfahrungen ziehen, pointiert könnte man sogar sagen: »Experience itself does not teach; people learn from reflecting on their experience« (Tjosvold 1991, S. 189). Organisationales Lernen: Die Erfahrungen, die eine Organisation mit interkulturellen Lern- und Zusammenarbeitsprozessen macht, stellen eine wichtige Ressource dar, die die Organisation aber auch nutzen muss (vgl. Jackson 1996, S. 68 ff.; Thomas et al. 1999). Dies setzt voraus, dass diese Erfahrungen systematisch erfasst, ausgewertet, für die Wissensnutzung aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Weise können Informationen zu den in interkulturellen Gruppen aufgetretenen Problemen sowie Erfahrungen mit positiv und negativ verlaufenen Problembewältigungsversuchen in die Gestaltung von Auswahlverfahren und Personalentwicklungsmaßnahmen (Training, Teamentwicklung etc.) einfließen.

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Alexander Thoma s/Detmar Grosse-Leege: Mergers und Acquisitions

Alexander Thomas/Detmar Grosse-Leege

2.7 Management interkultureller Aspekte bei Mergers und Acquisitions

2.7.1 Situation und Problembeschreibung Im Zuge der sich international und global organisierenden Märkte sind internationale Mergers und Acquisitions eine Notwendigkeit, um das eigene Unternehmen zu erhalten, zu stabilisieren und gegenüber Wettbewerbern Vorteile zu erlangen. Die so geschaffenen global handelnden Unternehmen stehen dann allerdings auch völlig anderen Herausforderungen gegenüber als national oder regional orientierte Unternehmen. Unterschieden wird in der nationalen und internationalen Literatur zwischen Merger und Acquisition. Unter einem nationalen Merger versteht man die Verschmelzung von zwei oder mehr Unternehmen innerhalb einer Nationalkultur und unter einem internationalen Merger die Verschmelzung von zwei oder mehr bislang national eigenständigen Unternehmen zu einem neuen transnationalen Unternehmen. Eine »Acquisition« bezeichnet den Erwerb eines Unternehmens durch ein anderes, meist größeres Unternehmen, in dem das erworbene Unternehmen allmählich aufgeht. In beiden Fällen, so unterschiedlich sie sich unter wirtschaftlichen Aspekten auch darstellen mögen, geht es darum, dass eine die Produktivität des Gesamtunternehmens stärkende und fördernde Kooperation und Adaptation zwischen den Unternehmen und ihren Repräsentanten stattfindet. Immer wieder werden vier Erfolgsfaktoren für Mergerund Acquisitions-Projekte angeführt: »Erstens eine klare Strategie für den geplanten Unternehmenszusammenschluss. Zweitens die Durchführung einer gründlichen Analyse, nicht nur der juristischen und finanziellen Aspekte, sondern auch der Unternehmenskultur und der Belegschaft. Drittens eine frühzeitige und proaktive Kommunikation mit allen beteiligten Personen. Viertens die Konzentration der Unternehmensführung auf die erfolgsentscheidende Integrationsphase. Das Personalmanagement kann dabei einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg leisten. Das gilt vor allem für die Integrationsphase, in der die Mitarbeiter für das neue Unternehmen und seine Ziele motiviert werden müssen« (Vahs u. Wuth 2001, S. 669).

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Forschungen, Befragungen und systematische Analysen zeigen übereinstimmend, dass mehr als die Hälfte aller Mergers die in sie gesetzten Hoffnungen und Erwartungen nicht erfüllen und dass viele innerhalb der ersten vier Jahre scheitern und still begraben werden (Hofstede 1993). Wenn auch bei Mergers und Acquisitions viele Fehler gemacht werden und mancher Merger von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist, so gibt es doch für die Acquisitionsphase eine Reihe von »hard facts« technischer, organisatorischer und ökonomischer Art, von denen bekannt ist, wie sie beschaffen sein müssen, damit überhaupt Aussicht auf Erfolg besteht (Gut-Villa 1997; Cooper et al. 1996). »Durch die Einbindung des Personalmanagements in alle Phasen von M- und A-Prozessen lässt sich deren Erfolgswahrscheinlichkeit wesentlich verbessern; denn gerade in tiefgreifenden und umfassenden Veränderungen spielt der ›weiche Faktor Mensch‹ eine – wenn nicht die – entscheidende Rolle für die Erreichung der angestrebten Ziele. Insofern sollten sich Unternehmen, die einen Merger oder eine Acquisition planen, frühzeitig Gedanken über Kultur-, Kommunikations- und Personalaspekte machen« (Vahs u. Wuth 2001, S. 673). Die wissenschaftliche Literatur zu Mergers beschäftigt sich interessanterweise fast ausschließlich mit dieser Merger- und Acquisition-Phase und den dabei auftretenden Problemen. Die Post-Merger-Integration-Phase wird demgegenüber in der betriebswirtschaftlichen Forschung und in den Arbeiten zum internationalen Management bislang nahezu vollständig vernachlässigt. Dies hat sicher damit zu tun, dass langfristige Verlaufs- und Wachstumsprozesse schwerer zu objektivieren und in Maß und Zahl zu erfassen sind als Entscheidungsprozesse. Außerdem fehlen bislang Erfahrungen über längerfristige Verläufe von Post-Merger-Integration-Prozessen. Längsschnittstudien wären hier erforderlich, in denen die Integrationsund Entwicklungsprozesse nachgezeichnet werden können. Eigentlich müssten für diese Forschungsaufgaben spezifische Methodologien entwickelt werden, mit denen man in der Lage wäre, die Soft-Faktoren der Merger-Entwicklung präzise zu erfassen. Dies ist auch der Grund dafür, dass bis heute viele Führungskräfte glauben, wenn ein Merger einmal mit viel planerischem und rechnerischem Aufwand sowie mit viel Öffentlichkeitswirksamkeit und entsprechendem Applaus in den Medien und auf dem Börsenparkett beschlossen ist, alles von allein läuft. Von entscheidender Bedeutung für das Management eines Merger-Prozesses ist, dass Merger und Acquisition völlig andere Anforderungen an die damit befassten Manager stellt als Mergers-Life, das heißt die Sicherung und Festigung eines einmal beschlossenen Mergers (Gertsen et al. 1998). Einen guten Überblick über die wichtigsten Faktoren des Humankapitals gibt Wucknitz (2001). Die Wirksamkeit kultureller Einflussfaktoren © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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auf den Integrationsprozess bei internationalen Unternehmenszusammenschlüssen und entsprechende Untersuchungen werden ausführlich bei Stahl (2001) behandelt.

2.7.2 Managementanforderungen im Merger-Prozess Nach dem Beschluss, ein Merger einzusetzen, und der ersten produktiven Anfangsphase sind zunächst alle Beteiligten zufrieden, das heißt, wenn die Gewinne dadurch steigen, dass Synergie-Effekte erzielt werden, zum Beispiel durch günstigen Einkauf, Eröffnung neuer Vertriebswege, Personaleinsparung, Abbau von Hierarchien. Sowohl die Führungskräfte als auch die am Shareholder Value Interessierten machen sich dann wenig Gedanken über die weitere Entwicklung. Dabei ist ganz eindeutig, dass MergerLife ein hoch komplizierter und pflegebedürftiger Prozess ist, der besonderer Beachtung bedarf. Darin spielen Erfolgsfaktoren, aber zugleich auch der Risikofaktor »Mensch« eine zentrale Rolle. Von der Führungskraft bis zum »einfachen« Mitarbeiter an der Werkbank oder im Büro muss die Überzeugung internalisiert sein, dass der Merger für das Gesamtunternehmen und für einen selbst von Vorteil ist. Der Merger muss sich für alle rechnen, und der Nutzen muss erlebbar sein. Es ist zu erwarten, dass nicht alle Führungskräfte bereit sind, die erforderlichen Veränderungen mitzutragen. Wer den Eindruck hat, der Merger führe zu einem Unternehmen und einer Unternehmenskultur, in der er sich nicht mehr wohl fühlt, in der er sich nicht entfalten und die er nicht mittragen kann, sollte das Unternehmen verlassen und wird das in aller Regel über kurz oder lang auch realisieren. Kündigungen im Bereich der Führungskräfte sind deshalb kein Zeichen für einen gescheiterten Merger, sondern im Gegenteil ein Zeichen für seine Stärke: Diejenigen, die keinen Nutzen und keinen Sinn im Merger entdecken können und denen die damit einhergehenden unternehmensspezifischen Konsequenzen nicht passen, müssen sich ein anderes Betätigungsfeld suchen. Ein Merger kann keine Führungskräfte halten, die nur darauf warten, dass der ungeliebte Merger scheitert, denn sie werden nicht einfach warten, bis dieses Ereignis eintritt, sondern sie werden am Ende sogar aktiv darauf hinarbeiten. Ein Merger kann auch keine Führungskräfte sinnvoll einsetzen, die die gewünschten und erforderlichen Veränderungen im Zusammenhang mit dem Merger nur erdulden und ertragen, aber innerlich nicht dazu stehen und sich nicht engagieren wollen oder können. Da global organisierte Merger noch relativ seltene Erscheinungen sind

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und erst in den letzten Jahren eine entsprechende Dimension erreichten, gibt es nur wenige Erfahrungen über die Dauerhaftigkeit und Lebensfähigkeit, also die zentralen Entwicklungen eines Merger-Life in dieser Größenordnung. Die Konsequenzen, die sowohl in der Literatur als auch in der Praxis daraus gezogen werden, bestehen darin zu versuchen, Erfahrungen mit nationalen Firmenzusammenschlüssen auf globale Merger zu übertragen, was aber nur bedingt gerechtfertigt ist. So stellt beispielsweise Bergemann schon 1991 fest, dass Erkenntnisse über Struktur, Strategie, Kultur und Führung im Funktionsprozess, die aus innerstaatlichen Fusionen gewonnen worden sind, durchaus auf grenzüberschreitende Fusionsprozesse übertragen werden können, dass aber mit zusätzlicher Komplexität zu rechnen ist. In letzter Zeit mehren sich Untersuchungen, die zeigen, dass bei nationalen Fusionen die Veränderungen der Unternehmensstruktur und der Unternehmenskultur bei einem Zusammenschluss in einem festgelegten Rahmen stattfinden. Treffen aber Organisationskulturen aus verschiedenen Ländern zusammen, dann bauen die Organisationskulturen nicht auf derselben Basis auf, sondern sind aus unterschiedlichen landes- und unternehmensspezifischen Sozialisationsmustern entstanden. Dies bedeutet nicht nur eine Bedrohung der gewohnten Praktiken, sondern zusätzlich ein Infragestellen zentraler Orientierungsstrukturen, wie sie nationalkulturell und unternehmenskulturell ausgebildet und tradiert wurden (Hofstede 1993). So stellt schon Schnapper (1996) fest: »Many mergers and acquisitions have failed within national borders because of incompatible organizational cultures. Sometimes one organization has norms or dominant behavioral tendencies that have been a ›culture shock‹ to the acquired corporate environment. Since organizational culture reflects many things, the chances for incompatibility are likely. . . . When the strength of this corporate culture clashes with the weaker though equally opposite set of beliefs, behavioral norms etc., there is the likelihood of the more powerful elements to triumph, usually after month or even years of wasteful, acrimonious conflict. There are many examples of these cultural battles exacting extreme costs of energy, productivity, creativity and emotions (Vansina 1974). When corporate cultural differences are combined with national cultural differences, the conflicts are even more exacerbated with less mutual understanding and chance for resolution. If a company has a cultural norm supportive or lifetime employment, and the acquiring company originates from a country where employees are ›fired at will‹, laying people off even for legitimate business reasons (such as redundant staff, restructuring, redistribution along different organizing principles, etc.) will be seen as ruthless, heartless and exploitative. The acquiring personnel will think their © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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processes are legitimate and a natural and normal way to conduct business« (S. 270 f.). Genau dies aber erhöht nicht nur die Komplexität des Integrationsprozesses, sondern stellt auch auf einer qualitativen Ebene neue Herausforderungen. Die zusammengeschlossenen Organisationen müssen in einem ersten Schritt eine neue gemeinsame Basis, eine »Interkultur« (Mauritz 1996) entwickeln, in der zentrale Elemente bei den Kulturen (Nationalund Unternehmenskultur) ineinander greifen und neues, kreatives Potenzial entstehen lassen (Forstmann 1998). Beim Verlauf des Merger-Prozesses ist darauf zu achten, dass zwei Unternehmen zusammengeschlossen werden, die lernen müssen, dauerhaft miteinander zu leben. Dies muss so geschehen, dass langfristig synergetische Effekte erzielt werden, die im Unterschied zu nationalen Unternehmenszusammenschlüssen keine nationalkulturelle gemeinsame Basis aufweisen. Die Unternehmen haben nicht nur eine unterschiedliche geschichtliche Entwicklung hinter sich, das ist bei nationalen Unternehmen ebenfalls der Fall, sondern sie weisen darüber hinaus aufgrund der unterschiedlichen nationalkulturellen Prägungen in allen für den beruflichen Alltag wichtigen Bereichen bedeutsame Unterschiede auf. Um so mehr hilft das, was Jung (2001) zusammenfassend zum Thema Kultur- und Identitätsarbeit anführt: »Die Reflexion des persönlichen Bezugs zur Unternehmenskultur erleichtert eine bewusste innere Positionierung der Mitarbeiter im neuen Unternehmen und setzt Energie für anstehende Aufgaben frei. Durch eine erste Auseinandersetzung mit ›dem Neuen‹ werden positiv konnotierte Bilder in den Köpfen erzeugt und die Bereitschaft zur persönlichen Performance gefördert. Die Arbeit auf der Ebene der Werte und Identität fördert die Dialogbereitschaft zur Lösung operativer ›alltäglicher‹ Fragestellungen. Konflikte auf der operativen Ebene werden nach der Auseinandersetzung auf der Identitäts- und Werte-Ebene von den Beteiligten teilweise als ›Stellvertreterkrieg‹ entlarvt. Die Identitätsarbeit eröffnet somit ein größeres Maß an Handlungsvariabilität und führt zur Bereitschaft, anstehende Integrationsfragen konstruktiv zu lösen. Diese Bereitschaft der Betroffenen ist zwingende Voraussetzung, um mergerbedingte Synergien zu realisieren und somit die Wettbewerbsposition nachhaltig zu stärken« (S. 683). Ein amerikanisch-deutscher global orientierter Merger weist aufgrund der gemeinsamen kulturellen Traditionen beider Länder und Kulturen mehr Ähnlichkeiten auf bezüglich wirtschaftlich relevanter Werte und Überzeugungen als zum Beispiel ein deutsch-chinesischer global orientierter Merger. Daraus könnte man ableiten, dass ein deutsch-amerikanischer Merger leichter zu managen sei als ein deutsch-chinesischer. Interessanterweise wird in der Literatur oft darauf verwiesen, dass nationalkulturelle Ähnlichkeiten und damit auch unternehmenskulturelle © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Ähnlichkeiten den Integrationsprozess erleichtern, wohingegen sich bei sehr unterschiedlichen National- und Unternehmenskulturen die Komplexität und die Qualität der Problemstellungen verstärken. So geben zum Beispiel Harris und Moran (1996) fünf Erfolgsdeterminanten für internationale Unternehmenszusammenschlüsse an. Innerhalb des Mergers sind dies: Variabilität, Komplexität und Verlässlichkeit; zwischen den verschiedenen Kulturen sind das Heterogenität und gegenseitige Interdependenz. Andere widersprechen der Meinung, dass ein hohes Maß an Heterogenität und gegenseitiger Interdependenz besonders Erfolg versprechend dafür ist, dass es zum »organisational fit« kommt, da bei größeren kulturellen Unterschieden auch ein höheres Maß an Synergie-Effekten erzielt werden kann. Im Zusammenhang mit der Entwicklung nationaler Unternehmen in einem Merger-Prozess stellt Schnapper (1996) fest: ». . . we can now talk about the evolution of a national company increasing its international operations to the extent that those operations merit its modest cultural adaptation. At some point, its international operations may demand greater flexibility and cultural diversity in its management practices so that it is multinational. It may finally, reach the stage of a transnational company, where its national origin and focus is hardly recognizable, except by some senior historians. At any stage of this evolutionary process which is not necessarily predictable, there will be interfaces between procedures, practices, policies and, ultimately, the personnel who carry them out. When these staff represents different countries and national cultures, conflict is almost inevitable.«

2.7.3 Interkulturelle Aspekte im Merger-Prozess Bei der Bewältigung der Integrationsproblematik ist von entscheidender Bedeutung, wie weit die am Integrationsprozess beteiligten Personen gemeinsame Ziele definiert haben und bereit sind, Mittel und Wege zu finden, die es erlauben, trotz unterschiedlicher nationalkultureller und unternehmenskultureller Werte, Normen und Verhaltensgewohnheiten integrationsfördernd zusammenzuarbeiten (Schreyögg 1998). Zweifelsohne sind die Chancen, dass dies in einem amerikanisch-deutschen Joint Venture schnell und produktiv gelingt, besonders dann hoch, wenn beide Partner Erfahrungen mit international und global orientierten Geschäftsbeziehungen haben und wenn sie über die kulturellen Besonderheiten des jeweiligen Partners gut informiert sind. Ein hohes Maß an Flexi-

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bilität zu besitzen, bereit und in der Lage zu sein, schnell und effektiv Neues, Unbekanntes und ihnen Fremdes aufzunehmen, auf produktive Verwertung hin zu überprüfen und in das eigene Denk- und Verhaltensrepertoire zu übernehmen, sind weitere Vorteile. Wichtig ist, eine grundlegende Haltung der gegenseitigen Wertschätzung zu entwickeln (Thomas 1999; 2003b). Es gibt Beobachtungen, dass sich Vertreter unterschiedlicher Nationen und Kulturen bezüglich der hier geforderten Fähigkeiten deutlich unterscheiden. Es ist anzunehmen, dass aufgrund der historischen Entwicklungen in Europa und in Deutschland die Nachkriegsgeneration in Deutschland gefordert war und gelernt hat, sich auf andere Kulturen einzustellen, als Partner anerkannt zu werden und gleichberechtigt miteinander zu interagieren. Besonders auch die geographische Lage im Herzen Europas und die Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft über eine lange Tradition und Erfahrung im Export von Gütern und Dienstleistungen besitzt, hat eine große Anzahl qualifizierter Fach- und Führungskräfte hervorgebracht und eine Unternehmenskultur entwickelt, die international und global orientierte Mergers und Acquisitions erleichtert. So kann man beispielsweise annehmen, dass die lange Vertrautheit mit der amerikanischen Kultur und mit amerikanischen Management- und Unternehmenskonzepten als Erfolgsfaktor gelten kann. Der DaimlerChrysler-Merger und noch mehr der EADS-Merger profitiert sicher davon, dass die DASA über langjährige Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen deutschen, britischen, französischen und spanischen Unternehmen verfügt und dass in der Luft- und Raumfahrt schon seit vielen Jahrzehnten eine intensive Zusammenarbeit zwischen deutschen und amerikanischen Experten, sowohl im technischen als auch administrativen und Marketingbereich gepflegt wird. Doch wie die Entwicklung europäischer, transatlantischer und globaler Unternehmenszusammenschlüsse zeigt, reichen diese Erfahrungen allein nicht aus. Offensichtlich gibt es bislang noch kein durchgreifendes Konzept, das den Erfolg garantiert. Eine stärkere Beachtung handlungsrelevanter Humanfaktoren, besonders im Bereich der Personalführung und des Human-Resource-Managements, verbunden mit der Durchführung gemeinsamer interkultureller Trainings, kann eine produktive Zusammenarbeit zunächst in kulturell gemischten Teams und dann im Gesamtunternehmen ermöglichen. Erfahrungen dieser Art sind von unschätzbarem Wert für die Bewältigung der Post-Merger-Probleme, und zwar aus zwei Gründen: – Es gibt eine hohe Anzahl von Fach- und Führungskräften im Unternehmen, die wissen, dass sich bei der Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern kulturspezifische Problemstellungen und Konflikte ergeben können, und sie wissen, wie man damit umzugehen hat. – Die Amerika-erfahrenen und international erfahrenen Fach- und Füh© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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rungskräfte können aus ihrer eigenen Erfahrung mit einer gewissen Sicherheit und Zuversicht in die Bewältigung der Post-Merger-Integrations-Probleme eintreten. Eine enge Zusammenarbeit zwischen deutschen und US-amerikanischen Führungskräften beziehungsweise die enge Verflechtung der deutschen Wirtschaft mit der amerikanischen Wirtschaft könnten zu der Annahme verleiten, ein deutsch-amerikanischer global orientierter Merger sei von den Anforderungen der Bewältigung interkultureller Probleme unbelastet. Dies ist nach allen vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen über die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit eine Täuschung (Hall u. Hall 1993; Copper 1996; Thomas 2003a). In der Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Amerikanern gibt es eine Reihe bedeutsamer Unterschiede, die von der simplen Alltagskommunikation über die Vorstellung, wie im Team produktiv Probleme gelöst werden können, bis hin zu feststehenden internalisierten Vorstellungen darüber reichen, wie ein gutes Arbeitsprodukt gegenüber dem Kunden darzustellen ist. So haben die US-Amerikaner im Vergleich zu Deutschen eine hohe Kompetenz zur Initiierung und Durchführung von Small-talk entwickelt mit dem Ziel, eine gute und angenehme Gesprächsatmosphäre für alle Beteiligten zu schaffen. Deutschen ist dieser Small-talk eher lästig und wird als unnötiges Vorgeplänkel und Beiwerk bewertet. In der Zusammenarbeit mit Teams zeigen sich Amerikaner außerordentlich ziel- und handlungsorientiert, wogegen Deutsche eher problemvertiefend und sachorientiert vorgehen. Bei der Produktherstellung und Präsentation spielt für die Amerikaner die kundennahe Funktionalität eine entscheidende Rolle, wogegen für Deutsche eher die funktionale Perfektion und die Technikreife wichtig ist und sie von der Vorstellung ausgehen, dass ein gutes Produkt »für sich selbst spricht«. Kulturspezifisch unterschiedlich ausgeprägte Orientierungssysteme sind einerseits in den jeweiligen Nationalkulturen verankert, werden aber zudem noch in den Unternehmenskulturen spezifisch ausgeprägt. So gibt es auch in Deutschland sicher Unternehmen, zum Beispiel in der Software-Branche, die eine relativ USA-ähnliche Unternehmenskultur pflegen und deren Mitarbeiter genau dies an ihrem Unternehmen schätzen, wohingegen in deutschen Traditionsunternehmen, beispielsweise Daimler-Benz oder Siemens, sehr spezifische national verankerte deutsche Werte auch in der Unternehmenskultur gepflegt werden. Mitarbeiter in Traditionsunternehmen orientieren sich, zumindest was den beruflichen Bereich ihrer Persönlichkeitsentwicklung betrifft, sehr stark an solchen herausragenden Merkmalen der Unternehmenskultur. Ihre berufliche Identität, ihr leistungsbezogenes Selbstbild, das Maß ihrer Zufriedenheit mit dem Beruf und dem beruflichen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Umfeld und nicht zuletzt die Arbeitsmotivation, die Arbeitszufriedenheit und die zukunftsorientierten Erwartungen im Hinblick auf ihren Beitrag für das Unternehmen und das, was das Unternehmen ihnen zu bieten hat, werden geprägt von dem erlebten Maß an Übereinstimmung zwischen den eigenen Zielen und Erwartungen und denen des Unternehmens. Im Fall eines global orientierten Merger zwischen einem deutschen und einem amerikanischen Unternehmen besteht die Gefahr, dass – durch die Aufbruchstimmung in der Merger-Acquisitions-Phase angeregt oder gezielt initiiert, um eine breite Zustimmung in beiden Unternehmen zu erreichen – behauptet wird, nun werde alles anders. Mit dem Merger breche eine neue Zeit für das bisherige Traditionsunternehmen an, alles müsse sich verändern, nichts mehr bleibe so wie bisher und jeder müsse irgendwie seinen Beitrag zur Veränderung leisten. In Unternehmen sind aber nur Menschen tätig, die bereits eine ausgeprägte individuelle lebensgeschichtliche Entwicklung hinter sich haben und somit kulturspezifisch sozialisiert sind. Vom neu eingestellten Lehrling über den Meister bis zur Unternehmensleitung haben alle ihre spezielle Sozialisationsgeschichte hinter sich und wissen recht gut, was richtig und falsch ist, und wie man sich zu verhalten hat (Thomas 1991). Grundsätzlich kann man feststellen, dass je weit reichendere Veränderungen im Denken, im Fühlen und im Verhalten von Menschen in den Bereichen verlangt werden, die zum inneren Kern der Persönlichkeit gehören, es um so schwerer fällt, Bereitschaften und Fähigkeiten zu aktivieren, Veränderungen vorzunehmen. In eher peripheren Bereichen der Persönlichkeit sind Veränderungen dagegen leichter zu erzielen. Dazu gehört alles das, was die persönliche Identität betrifft, also die Tatsache, dass eine Person ein Ich-Bewusstsein besitzt und somit spezifische Vorstellungen von sich selbst in der Abgrenzung zu anderen Personen entwickelt hat. Die persönliche Identität umfasst die Gesamtheit der Attribute, die eine Person sich selbst zuschreibt, und enthält damit zentrale Inhalte des Selbstkonzepts, wozu auch das berufliche Selbstkonzept gehört (Thomas 1992). Hinzu kommt die soziale Identität, die die Gesamtheit der Attribute umfasst, zum Beispiel Fähigkeiten, Bedürfnisse, Einstellung, soziale Bewertungen von Elementen wie Status, Rolle, Prestige, die der Person von ihrer sozialen Umwelt zugeordnet werden. Persönliche und soziale Identität sind zudem eng miteinander verschränkt. In der hier diskutierten Situation spielt ebenfalls noch die interkulturelle Identität eine spezifische Rolle. Sie besteht aus den Merkmalen eines Menschen, in denen die grundlegenden Erfahrungen des eigenen Selbst eingebunden sind in das spezifische Orientierungssystem der Bezugsgruppe, mit der sich die Person kulturell verbunden weiß. In einem globalen Merger müssen deshalb die Fragen beantwortet werden: Was wird von welchem Mitarbeiter in welcher Position und in wel© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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chem Funktionszusammenhang mit hoher Wahrscheinlichkeit jetzt und in naher Zukunft an Umstellung und Veränderung verlangt? Wie tief berühren diese erforderlichen Veränderungen seine soziale, beispielsweise berufsspezifische und kulturelle Orientierung und seine Persönlichkeit?

2.7.4 Entwicklungen in der Post-Merger-Phase Ein in der Post-Merger-Phase oft übersehener, aber zentraler Faktor ist Zeit, besonders Zeit, sich auf Veränderungen einstellen zu können. Menschen sind zwar grundsätzlich lern- und veränderungsfähig, aber sie brauchen dazu Zeit und dürfen nicht überfordert werden. Auch nur die Vermutung, dass in der Merger-Integration- oder Merger-Life-Phase Anforderungen gestellt werden, die nicht oder nur schwer zu bewältigen sind, die also in zentralen Bereichen Überforderungen heraufbeschwören, führt zu Verängstigung, zu Rückzug und zu Demotivierung (Very et al. 1998). So ist die Schaffung von Merger-Integration-Teams, die gleich nach dem Zusammenschluss gegründet werden, zur Bewältigung der Post-Merger-Phase eine ausgezeichnete Möglichkeit, Überforderungssituationen zu verhindern und schnelle Hilfe und Unterstützung bei der Bewältigung der anstehenden Probleme zu leisten. Angenommen, die Führungskräfte, die in solchen Post-Merger-Integrations-Teams zusammengeschlossen sind, haben Erfahrung in Team-Management und Team-Building und sind überzeugt, dass Arbeiten im Team produktive Energien freisetzen kann – dies ist vermutlich aufgrund der kulturspezifischen Tradition für amerikanische Führungskräfte viel selbstverständlicher als für deutsche –, dann liefert die Gruppe Halt und Unterstützung bei der Bewältigung risikoreicher Problemlösungen. Die Notwendigkeit, konsensorientiert zu arbeiten, verhindert extreme und nicht überlebensfähige Entwicklungen. Für den Einzelnen gibt es so ein direktes und gruppenbezogenes Feedback mit der Konsequenz sozialer Unterstützung und individueller Selbstwertstärkung. Aus sozialpsychologischer Sicht ist aber von entscheidender Bedeutung für eine produktive Arbeit in diesen Post-Merger-Integration-Teams, dass sie in einem Kontext arbeiten, der von einer starken Persönlichkeit, die fachlich kompetent ist und über persönliche Macht und Autorität verfügt, geprägt wird. Diese Persönlichkeit ist der Garant dafür, dass ein Klima der gemeinsamen Bewältigung der anstehenden Probleme in Richtung auf Überlebenssicherung und Prosperität des Mergers entsteht und auch gegen Krisenzeiten, also schlechte Börse, kritische Presse und Konjunktureinbrüche, verteidigt wird (Thomas 1991).

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Da es für global orientierte Mergers in der Geschichte von Unternehmen keine wirklich einschlägigen und als Vorbild dienende Beispiele gibt, kann auch nicht mit absoluter Sicherheit gesagt werden, wie ein solcher Merger nun genau wachsen, überleben und krisenresistent gesichert werden kann. Ein oft diskutiertes Thema ist die gemeinsame Kommunikationssprache (siehe Kap. I, 1.5, S. 74 ff.). Da Englisch sich als lingua franca international durchgesetzt hat, ist es nur konsequent, Englisch als verbindliche Konzernsprache einzuführen, wie dies wohl für alle internationalen Mergers zutrifft. Dies führt zwangsläufig zu Ungleichgewichten: Für Deutsche ist Englisch eine Fremdsprache und bleibt es auch für denjenigen, der sie sehr gut beherrscht. Für Amerikaner ist das amerikanische Englisch die vertraute Muttersprache. Das gibt zweifellos den Amerikanern einen kommunikativen Vorteil. Darüber sollte man sich auf beiden Seiten im Klaren sein und ein vertieftes Verständnis für die damit verbundenen Konsequenzen in Bezug auf mögliche Kommunikations- und Interaktionsprobleme aufbringen. Erfahrungen zeigen, dass besonders differenzierte und komplexe Sachverhalte besser in der vertrauten Muttersprache ausgetauscht werden können als in einer nicht so vertrauten Fremdsprache, auch wenn sie sehr gut beherrscht wird. Wenn also Englisch (amerikanisches Englisch) als Verkehrssprache im Unternehmen eingeführt wird, dann sollte innerhalb des Unternehmens und eventuell innerhalb von Arbeitsgruppen durchaus auch die jeweilige Muttersprache mitbenutzt werden können, wenn dies zur Präzisierung von Gedanken und Konzepten notwendig ist. Daneben kann selbstverständlich die Regel vorherrschen, dass alle schriftlichen Vorlagen in Englisch erstellt werden, damit sie dem nur Englisch sprechenden Partner zugänglich sind. Was die Verwendung von Deutsch als Muttersprache und von Englisch als Fremdsprache betrifft, so sollte man zwischen schriftlicher und mündlicher Kommunikation deutlich unterscheiden. Die Verwendung von Deutsch in der zwischenmenschlichen mündlichen Kommunikation sollte nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein. Hier ist von entscheidender Bedeutung, dass die Partner einander verstehen. Unter Verwendung welcher Sprache und auf welchem Sprachniveau dies geschieht, ist dabei zweitrangig. Beobachtungen in international zusammengesetzten Arbeitsteams zeigen, dass die Partner oft und ohne große Probleme von einer in die andere Sprache wechseln oder jeder sich in der Sprache ausdrückt, die alle anderen zwar verstehen, nicht aber sprechen, wenn es der besseren Verständigung dienlich ist. Es muss aber unter allen Umständen verhindert werden, dass der Gebrauch der vertrauten (deutschen) Muttersprache nicht dazu benutzt wird, vor den (amerikanischen) Partnern etwas zu verheimlichen oder sie auch nur partiell auszuschließen. Zu den Integrationsbemühungen in internationalen Mergers gehört auch, dass Fach- und Führungskräfte, die in den © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Post-Merger-Integration-Teams tätig sind, sich bemühen, Grundkenntnisse der jeweiligen Sprache des anderen Partners zu erwerben. Dies stärkt das Klima gegenseitiger Wertschätzung, fördert die Integrationsbemühungen und erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit.

2.7.5 Konsequenzen für die Praxis des Merger- und Acquisitions-Managements Berücksichtigt man die keineswegs zufrieden stellende Forschungslage zur vielschichtigen Problematik von Post-Merger-Integration-Prozessen, dann lassen sich aufgrund der bislang wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse einige begründete Hypothesen und Konsequenzen formulieren. Solche Hypothesen eignen sich für die in der Verantwortung stehenden Führungskräfte zur relativ gesicherten Orientierung im komplexen Entscheidungsfeld, und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachdisziplinen können durch sie zu weiteren Forschungen anregen. – In einem internationalen Merger erhöhen sich die Überlebenschancen, wenn die Machtfrage geklärt ist: Beide Partner müssen die Überzeugung entwickeln und die Erfahrung machen können, dass keine einseitige, asymmetrische, sondern eine symmetrische Macht- und Einflussbeziehung besteht. Das heißt nicht, dass jedes Gremium paritätisch besetzt sein muss, aber insgesamt muss die Bilanz ausgeglichen sein. Entscheidend ist dabei nicht die Statistik, sondern die Überzeugung in den Köpfen der führenden Mitarbeiter. Sensibilität und ein hohes Maß an Reflexivität in Bezug auf diesen Faktor »Machtbalance« sind von entscheidender Bedeutung. – Kulturspezifisch betrachtet kann ein internationaler Merger nicht in einem kulturellen Einheitsbrei enden. Es wird immer, oder zumindest für sehr lange Zeit, innerhalb dieses Gemeinschaftsunternehmens Bereiche geben, in denen kulturelle Besonderheiten dominieren. Diese kulturspezifischen Unterschiede werden sichtbar bleiben, sie werden von den Mitarbeitern erfahren, zum Teil auch erlitten. Zugleich aber muss bis dahin flächendeckend bei allen Mitarbeitern eine innere Überzeugung geschaffen sein, dass kulturspezifische Unterschiede keine Belastung sind oder bleiben müssen, sondern die Chance bieten, produktive und eventuell kulturbedingte synergetische Effekte zu erzielen. Dies geschieht dann, wenn die Mitarbeiter den kulturellen Unterschieden mit einer tief verwurzelten Wertschätzung begegnen, das heißt, wenn sie bereit und in der Lage sind zu prüfen, was an diesen Fremdartigkeiten und

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Andersartigkeiten ihrer Partner im Vergleich zu den eigenen Gewohnheiten positiv zu bewerten ist und erfolgsorientiert genutzt werden kann und wie die positiven Seiten der eigenkulturellen Orientierung mit den neuen und zunächst fremdartigen Betrachtungsweisen, Kognitionen und Handlungsgewohnheiten verbunden werden können. Forschungen zum Thema »Interkulturelle Synergie in Arbeitsgruppen« haben gezeigt, dass gilt: »Synergy is not for free« (Zeutschel 1999; Stumpf u. Thomas 1999). Dies bedeutet, dass Mitglieder aus verschiedenen Kulturen die Chance haben, synergetische Effekte zu erzielen, indem sie, ausgestattet mit der Fähigkeit zur gegenseitigen interkulturellen Wertschätzung, prüfen, was die eigene und die fremde Kultur an produktiven Elementen zur Lösung eines Problems oder zur Beurteilung eines Sachverhaltes zur Verfügung stellen. Wenn beide Partner so miteinander umgehen, dass sie die kulturbedingten Unterschiede wertschätzen, dann besteht die Möglichkeit, synergetische Effekte dadurch zu erzielen, dass sie neue, in beiden Kulturen nicht verankerte Problemlösungsstrategien, Verhandlungsarten der Konfliktlösung und des Umgehens miteinander entwickeln können. So entstehen im gemeinsamen Miteinander zum Teil bewusst geplant, zum Teil unterschwellig Bausteine einer neuen, spezifischen Unternehmenskultur, die das Merger-Life in die Zukunft hineintragen. Auch die Schaffung einer grundlegenden interkulturellen Wertschätzung und der Aufbau von Fähigkeiten zur Herstellung interkultureller Synergien sind ebenfalls »not for free«, sondern bedürfen der Sensibilisierung für eigene und fremdkulturelle Besonderheiten und der Schulung der Fähigkeit, damit produktiv umzugehen. Interkulturelle Sensibilisierung und interkulturelles Training bei einem internationalen Merger, speziell in Bezug auf die spezifischen nationalkulturellen Orientierungssysteme und unter Berücksichtigung der jeweilig damit zusammenhängenden Unternehmenskulturen, zunächst der Führungskräfte, darüber hinaus aber auch der gesamten Belegschaft, ist unabdingbar. Führungskräfte, die in ihrem Arbeitsalltag interkulturell tätig sein müssen, benötigen unternehmensstrategisch betrachtet ein umfangreicheres Sensibilisierungs- und Qualifizierungsangebot als diejenigen, die nicht direkt mit fremdkulturellen Partnern zu tun haben. Aber auch diese müssen ein Ausbildungsangebot bekommen und annehmen, das ihnen eine Sensibilisierung für die interkulturelle Thematik verschafft. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen zum Aufbau eines solchen Fort- und Weiterbildungsprogramms sind vorhanden (Thomas 1998a, 1998b; Thomas u. Schroll-Machl 1998; Thomas 2003b; Landis u. Bhagat 1996). Besonders in der Post-Merger-Integration-Phase machen die Partner © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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viele neuartige Erfahrungen miteinander. Diese sind sehr unternehmens-, abteilungs-, bereichs- und funktionsspezifisch. Sie betreffen nicht nur die Wahrnehmung fremder und ungewohnter Denk-, Beurteilungs- und Reaktionsformen im Umgang miteinander, sondern auch Erfahrungen in der mehr oder weniger produktiven Bewältigung solcher kulturspezifischer Problemsituationen. Diese Erfahrungen im Umfeld mit den neuen Partnern sind das Rohmaterial zum Aufbau eines Expertenpools, mit dem zweierlei zu erreichen ist: erstens Materialgewinnung, Aktualisierung und Qualifizierung interkultureller Trainingsund Beratungsangebote, die nicht irgendetwas an kulturspezifischen Einsichten vermitteln, sondern immer hautnah an den aktuellen Unternehmensproblemen orientiert sind; und zweitens liefert dieses Material den Führungskräften des Unternehmens einen Überblick über die konkreten Probleme, mit denen sich die Mitarbeiter im Merger-Life-Prozess auseinander setzen müssen. Das, was an symbolischer Führung bei der Begleitung der Post-MergerIntegration-Phase oder des Merger-Life-Prozesses notwendig ist, von der Architektur über den Führungsstil bis hin zur interpersonalen Kommunikation zwischen Vorgesetztem und Mitarbeitern, kann in Inhalt und Gestaltung aus diesem Expertenpool gewonnen und zugleich einer kritischen Bewertung unterzogen werden. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass der Merger-Life-Prozess nur dann sinnvoll gestaltet werden kann, wenn die sich entwickelnde, gemeinsame Organisation eine lernende Organisation ist beziehungsweise wird, die in der Lage ist, das, was an produktivitäts- und mergerrelevanten Erfahrungen und Erkenntnissen anfällt, zu sammeln und als erfahrungsgeprüftes Wissen den Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen. Hier müssen unternehmensspezifische Konzepte des Wissensmanagements greifen (Lehner 2000). – Untersuchungen, besonders sozial-psychologischer Art, über Team und Teamentwicklungen geben Anlass zu der Hypothese, dass diejenigen Teams besondere Produktivität entfalten, bei denen ein hohes Maß an Reflexivität vorhanden ist (West 1996). Reflexivität bedeutet in diesem Zusammenhang die Fähigkeit, kritisch, distanziert, aber auch engagiert über das, was abläuft, das, was beabsichtigt ist, und über die Diskrepanzen zwischen Ist- und Sollwert im Team nachzudenken und zu diskutieren. Ein hohes Maß an Reflexivität ist ohne Zweifel ein Erfolgsfaktor für Arbeitsteams mit komplexen Problemlösungsaufgaben. Es ist zu erwarten, dass in der Merger-Life-Phase ebenfalls ein hohes Maß an Reflexivität seitens der Führungskräfte und der Mitarbeiter ein Garant dafür ist, dass die Integration vorankommt, und zwar nicht irgendwie oder auf dem niedrigsten Niveau der Konsens- und Kompro© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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missbildung, sondern in Richtung einer zukunftsträchtigen und stabilen Form der Zusammenarbeit. – In einem internationalen Merger und insbesondere in der Post-MergerIntegration-Phase kommt den oberen Führungskräften die Aufgabe zu, mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, durch symbolisches Führen die feste Überzeugung zu demonstrieren, dass der eingeschlagene Weg des Mergers eine besondere Qualität besitzt und von herausragender Bedeutung für beide Unternehmen ist. Sie müssen zeigen, dass die dabei entstehenden Probleme zu bewältigen sind, die Resultate für alle beteiligten Personen von Nutzen sind und dass sie mit fester Überzeugungskraft an dem gemeinsamen Ziel festhalten. Gerade in der schwierigen Post-Merger-Integration-Phase und dann im Verlauf des Merger-Life ist es für alle Fach- und Führungskräfte sowie für alle Mitarbeiter des Unternehmens wichtig, Kurs zu halten, eine sichere Orientierung zu haben und für die Befriedigung ihres Bedürfnisses nach Identifikation sichtbare und erlebbare Anhaltspunkte zu haben. Dies muss von stabilen, überzeugend auftretenden und agierenden Führungspersonen vorgelebt und nachvollziehbar präsentiert werden. – Bei einem internationalen Merger, beispielsweise einem amerikanischdeutschen Merger, ist darauf zu achten, dass die Partner unterschiedliche Kommunikationsgewohnheiten pflegen. Amerikaner kommunizieren eindeutig viel mehr, sie haben auch ein höheres Bedürfnis nach insbesondere verbaler Kommunikation und sozialem Austausch als dies bei Deutschen der Fall ist. Beobachtungen in deutsch-amerikanischen Arbeitsgruppen zeigen immer wieder, dass Amerikaner es gewohnt sind, sich gegenseitig sozial zu verstärken. Jede Bemerkung, jeder Beitrag wird mit Begeisterung von den anderen aufgenommen und mit positivem Feedback beantwortet. Amerikanische Mitarbeiter erwarten, dass ihre Chefs ihnen immer wieder Rückmeldung geben über die Einschätzung der Qualität des Erreichten. Deutsche haben diesbezüglich andere Kulturtraditionen ausgebildet. Lob gibt es nicht für alles und jeden, sondern nur für besonders gute und hervorragende Leistungen. Kommuniziert wird nur, wenn es etwas Wichtiges, zur Sache Beitragendes zu bemerken gibt. – Wenn auch viele Gründe dafür sprechen mögen, dass die getroffenen Entscheidungen für den internationalen Merger schnell und ohne Verzögerung in die Praxis umgesetzt werden sollen und die Erfahrung zeigt, dass Verzögerungen und eine Verlangsamung der Umsetzungsprozesse den Erfolg gefährden können, so bedürfen die Merger-Life- und PostMerger-Integrations-Prozesse doch der besonderen Beachtung, einer kritischen und aufmerksamen Begleitung und einer langfristig angelegten Unterstützungsstrategie. Das gesicherte Know-how für diese Prozesse, besonders die gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse fehlen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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zwar noch weitgehend, doch kann schon gesammeltes Erfahrungswissen und Wissen aus gescheiterten Merger- und Acquisition-Prozessen hilfreich sein. Für die internationale Forschung, die sich nicht nur mit den wirtschaftlichen »hard-facts«, sondern vor allem mit den organisatorischen »soft-facts« und den Humanfaktoren befassen will, fehlt es bislang an zur Analyse geeignetem Datenmaterial, vor allem an differenzierten Fall- und Prozessverlaufsbeschreibungen. – Zweifelsohne gibt es neben vielen Gemeinsamkeiten auch erhebliche Unterschiede zwischen Merger-Prozessen und Acquisitions. Ein Merger ist allein wegen seiner Komplexität und der Neuartigkeit dessen, was aus ihm entsteht respektive entstehen soll, mit höheren Erfolgsrisiken und Investitionsaufwand, besonders im Bereich des Human-Resource-Managements behaftet. Eine Acquisition, ob national oder international, erzeugt zumindest »nur« einen nicht unerheblichen Veränderungs- und Anpassungsdruck bei den Führungskräften und Mitarbeitern des erworbenen Unternehmens. Mittel- und langfristig müssen aber auch im erworbenen Unternehmen aufnahmebereite und veränderungsbereite Aktivitäten entstehen, damit der Druck nicht als zu einseitig empfunden wird und die damit verbundenen Lasten gleichmäßiger verteilt werden. Nur so ist in den neuen (veränderten alten) Unternehmen eine maximale Potenzialausschöpfung im Personalbereich sicherzustellen. Viel wäre schon gewonnen, wenn zukünftig stärker als bisher Erkenntnisse aus der Forschung zur Organisations- und Personalentwicklung zur Lösung spezifischer Probleme der Merger- und Acquisition-Prozesse genutzt würden.

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Alexander Tho mas: Globale Unternehmenskommunikation

Alexander Thomas

2.8 Globale Unternehmenskommunikation

2.8.1 Situationsbeschreibung Die Fortschritte in der Technik der Verarbeitung, Speicherung, Vervielfältigung und des Transports von Daten aller Art (Text, Ton, Bild, Videografik) revolutionieren und vervielfältigen die Möglichkeiten der Wissensproduktion, der Wissensverbreitung weltweit sowie ihre Nutzung und Weiterentwicklung. Wissen, Kenntnisse und Fertigkeiten sind zu einem Rohstoff wirtschaftlichen Wachstums geworden, der immer mehr Menschen gleichzeitig zur Verfügung steht, und somit kann man Wissen auch als Motor des globalen Wandels ansehen. Für die Wettbewerbsfähigkeit ist die Produktivität des Wissens entscheidend. Die elektronischen Medien und modernen Kommunikationsmittel lösen allmählich lokale Wissensmonopole auf, die an vorhandene Kombinationen von Menschen und Kapital geknüpft sind. Es wird ohne großen Aufwand möglich, das Wissen zu transportieren und innovativere Standorte auszumachen, ohne dass kompetente Mitarbeiter, die sich dieser Wissensbestände bedienen, selbst auf Wanderschaft gehen müssen. Die »digitale Revolution« überwindet Grenzen zwischen Kontinenten, Ländern und Regionen, sie erleichtert die Verständigung zwischen Regierungen und internationalen Organisationen, eröffnet neue Kommunikationskanäle weltweit, demokratisiert so den Zugang zu Informationen und schafft damit ein neues Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Die globale Vernetzung schafft eine Situation, die nationalstaatliche und protektionistische Abgrenzungsversuche ad absurdum führt, da sie mittel- und langfristig keinerlei Nutzen versprechen. Nur diejenigen Staaten werden eine Führungsrolle im internationalen Wettbewerb erreichen können, die den technologischen Fortschritt für gesellschaftliche Veränderungen nutzen und den Übergang zur Wissensgesellschaft vorantreiben. Für global tätige Unternehmen eröffnen die elektronischen Medien, besonders das Internet, große strategische Chancen als Vertriebskanal, Kommunikationsmedium und als Research-Dienst. Der weltweite Dialog, ebenso wie das Zur-Verfügung-Stellen und Aufsuchen von Informationen, werden erheblich erleichtert (UNCTAD 1996).

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Was aber technisch möglich ist, wird nicht zwangsläufig auch Realität. Viele technische Möglichkeiten werden lange nicht genutzt, weil der Nutzen für den konkreten Einzelfall noch nicht erkannt ist, weil ihre Einführung unkalkulierbar hohe Kosten verursacht oder weil am Altbewährten festgehalten wird. Dieses Trägheitselement gegenüber Neuem hat viel zu tun mit dem ausgeprägten menschlichen Bedürfnis nach Kontrolle über sich und seine Umwelt, nach Sicherheit in Bezug auf die Zukunft und der Befriedigung des Bedürfnisses nach Orientierung. Erst wenn die unreflektierte Euphorie über die mit computervermittelter Kommunikation heraufziehende »schöne neue Welt« abklingt, einem realistischen Umgang mit diesem neuen Medium gewichen ist und zugleich eine realistischere Einschätzung der Vor- und Nachteile Platz macht, steigen die Chancen für eine breit gefächerte Akzeptanz und einen funktionsgerechten Einsatz computervermittelter Kommunikation generell und im Kontext globaler Unternehmenskommunikation speziell. Genau dieser Punkt scheint inzwischen erreicht, da computergestützte Kommunikation allmählich zur Selbstverständlichkeit im beruflichen Arbeitsfeld und zum Teil im privaten Lebensbereich wird. Zudem konzentriert sich die Forschung zur Nutzung und zum Einsatz digital vermittelter Kommunikation nicht mehr nur auf das Sammeln von Belegen für ihre universelle Einsetzbarkeit, sondern versucht, ihre spezifische Bedeutung im Kontext multimedial vermittelter menschlicher Kommunikation zu analysieren (Döring 1999).

2.8.2 Nutzung des Internets als globales Kommunikationsmedium Die Forschungen zur Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel sind seit Jahren bestimmt von einer kontrovers geführten Diskussion zwischen Befürwortern und Skeptikern. Bemerkenswerterweise legen beide als Vergleichs- und Bewertungsmaßstab zur Betonung der Vor- und Nachteile digital vermittelter Kommunikation die geläufige interpersonale Face-toface-Kommunikation zugrunde. So schreibt beispielsweise Wehner (1997) zu dieser Diskussion: »Die prinzipiellen Möglichkeiten für jeden Teilnehmer netzwerkgebundener Kommunikation, in das mediale Geschehen einzugreifen, gelten als Voraussetzung für die Entstehung einer egalitären und unzensierten Kommunikationskultur, die sich durch eigene Normen und Regeln des Miteinanders auszeichnet. Neben der traditionellen Mailbox-Szene wird vor allem das Internet von vielen Beobachtern als technische Basis einer ›Kultur

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des Universellen‹ gesehen, in der jeder die Möglichkeit hat, mit jedem über jedes Thema jederzeit zu sprechen. Wurde das System der Massenkommunikation deshalb kritisiert, weil es die Bedingungen des kommunikativen Handelns durch die technische Unterbrechung zwischen ›Sender‹ und ›Empfänger‹ in fundamentaler Weise verletzt, so werden elektronische Netze überschwänglich gefeiert, weil sie scheinbar gesprächsähnliche Kommunikationsformen erlauben. Das Internet steht so gesehen dem Menschen und seinen natürlichen Verständigungspraktiken näher als irgendeine andere Kommunikationstechnik. So wird immer wieder auf die globale Reichweite, auf das Tempo des Datenverkehrs und die damit verbundenen zeit- und raumneutralisierenden Effekte der elektronischen Fernkommunikation hingewiesen. Davon unberührt bleibt jedoch die Vorstellung, daß es miteinander kommunizierende Personen sind, die von diesen medientechnischen Vorzügen profitieren« (S. 131 f.). Mit der Verbindung von Telekommunikation und Datenverarbeitung ist die Überzeugung verbunden, dass sich mit dem Internet ein interaktives Medium entwickelt, das es möglich macht, Botschaften nicht nur von unbegrenzt vielen Teilnehmern zu empfangen, sondern auch an ebenso viele zu verschicken. So genannte Computerforen, Newsgroups, Mailgroups und andere Kommunikationsdienste bieten ihren Nutzern die Möglichkeit, trotz räumlich-zeitlicher Trennung so miteinander zu kommunizieren, als befänden sie sich in einem Dialog. Bei der Analyse der Funktionen computervermittelter Informationen im Rahmen der globalen Unternehmenskommunikation werden mehr die augenscheinlichen Vorteile wie Schnelligkeit, Raum- und Zeitunabhängigkeit sowie ungehinderte Zugänglichkeit zu einem globalen Informationsund Interaktionsmedium betont. Mittels Internet können auf allen Märkten Angebot und Nachfrage in neuen Formen zusammengeführt werden. Globale Unternehmen haben in den regionalen Märkten der Welt nur eine Chance, wenn sie dort unmittelbar präsent sind und mit sehr schneller Reaktionsgeschwindigkeit auf Marktentwicklung und veränderte Kundenbedürfnisse eingehen. Dabei müssen ausländische Unternehmen darauf achten, dass sie als lokale Insider über die kulturellen Besonderheiten vor Ort Bescheid wissen und dass sie ihre Kommunikationsstrategien so ausrichten, dass sie den in den jeweiligen Kulturen gepflegten Gewohnheiten entsprechen, um von den Empfängern akzeptiert und verstanden zu werden. Die fachlich hochqualifizierten Mitarbeiter des Unternehmens müssen in der Lage sein, mit den weltweit platzierten Kunden via Internet unmittelbar und direkt zu kommunizieren, Fragen und Probleme auszutauschen, Anregungen und Änderungswünsche entgegenzunehmen und das unmittelbare Feedback direkt aus den regionalen Märkten abrufen zu können, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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um damit Produkte und Dienstleistungen zu optimieren und marktfähig zu machen beziehungsweise zu erhalten. Global operierende Unternehmen haben im Internet durch den nahezu unbegrenzten Speicherplatz und mit Hilfe einer klar strukturierten Benutzeroberfläche die Möglichkeit, zu allen fachspezifischen Themen sehr ausführliche Informationen, Videos und Dokumentationen bereitzustellen. Das Internet ermöglicht eine gezielte Betreuung von hochspezialisiertem Fachpublikum und Kunden. Das Unternehmen kann sehr schnell auf aktuelle Ereignisse reagieren und bei kritischer öffentlicher Berichterstattung seine Position in ungekürztem Originalton selbst zur Verfügung stellen. Durch die nahezu unbegrenzte Möglichkeit der Datenspeicherung bleiben Informationen länger abrufbar, und dies unabhängig von Zeitverschiebungen. Von der Image- und Produktwerbung über spezifische Produktangebote bis hin zur individuellen Beratung und Betreuung bei der Einrichtung, Nutzung, Wartung und Reparatur von Anlagen ist das Internet für die globale Unternehmenskommunikation unerlässlich (Gackenbach 1998). Die unterschiedlichen Facetten der Unternehmenskommunikation müssen allerdings innerhalb eines Konzerns in einem Gesamtkonzept der integrierten Kommunikation zusammengefasst werden. Hier wird die strategische, globale Kommunikationskonzeption festgelegt und in den jeweiligen Teams in praktischen Kommunikationsszenarien umgesetzt. Weiterhin ist von zentraler Bedeutung, dass die vor Ort tätigen Firmenrepräsentanten und Fachexperten genügend Freiraum haben, die Kommunikation vor Ort so zu gestalten, dass die Kommunikationspartner einander verstehen und akzeptieren. Dies bedeutet, dass in einem bestimmten Umfang Entscheidungen weitgehend dort getroffen werden, wo sie anfallen, nämlich auf der operativen Ebene, also nahe am Markt und nahe am Kunden. Dezentrale Entscheidungsvorgänge rund um den Globus müssen aber multizentral gemanagt werden, wobei die internetgebundenen Informations- und Kommunikationskonzepte eine zentrale Rolle spielen.

2.8.3 Intranet als internes Kommunikationsmedium Global operierende Unternehmen mit globalen Unternehmenskommunikationsanforderungen kommen nicht umhin, ein in gewissen Grenzen standardisiertes E-Mail-System und Intranet-System einzuführen, das den Austausch zwischen den Standorten und dem Stammhaus beziehungsweise den regionalen Zentren ermöglicht. Die Vorteile der Nutzung eines aus-

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gefeilten Intranet-Systems liegen auf der Hand, da aufwendige Geschäftsreisen und ein zeitraubender Schriftwechsel entfallen. Zweifelsohne ist eine effiziente interne Kommunikationsstruktur mittels Intranet zur Informationsweitergabe für die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit eine wesentliche Voraussetzung, denn globale Prozesse und Projekte müssen schnell und effektiv über Regionen, Zeitzonen, Bereichs-, Hierarchie- und Unternehmensgrenzen hinweg realisiert werden. Ein nicht zu unterschätzendes Potenzial des Intranet liegt in der Workgroup-Anwendung. Workgroup-Systeme ermöglichen zeitversetztes und weltweites Arbeiten an gemeinsamen Dokumenten. Alle Informationen und Entscheidungen stehen allen Beteiligten gleichermaßen zur Verfügung. Digitale Wissensarchive und Gesprächsforen unterstützen die virtuelle Teamarbeit. Weltweit und jederzeit lassen sich Partner für Projekte zusammenschalten, unabhängig vom Ort, an dem sie tätig sind. Über Internet lässt sich zudem eine schnelle Einbindung externen Know-hows, zum Beispiel von Beratungsunternehmen, Dienstleistern und Zulieferern, ermöglichen. Durch diese neuen Formen der Zusammenarbeit von Mitarbeitern, die an geographisch getrennten Orten tätig sind, entstehen transnationale und transkontinentale Gemeinschaften, die einen völlig neuen sozialen Zusammenhang begründen können. Gerade dann, wenn es sich bei einem solchen Unternehmen nicht um eine historisch gewachsene Firma handelt, sondern um ein erst in jüngster Zeit, beispielsweise durch Fusion, entstandenes Großunternehmen, kann über die mediengestützte Kommunikation ein neuartiger sozialer Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Unternehmenskulturen und Mentalitäten entstehen, deren besondere Qualität aber noch genauer zu bestimmen wäre (Boos et al. 1999). Die Etablierung einer unternehmensinternen Nachrichtenagentur, die globale und lokale Nachrichten auf aktuellstem Stand für alle Mitarbeiter zugänglich macht, kann ein weiteres wichtiges Instrument der globalen Unternehmenskommunikation darstellen. Wenn diese Nachrichtenagentur rund um die Uhr arbeitet und so immer auf dem neuesten Stand gehalten wird, ist die Zugriffshäufigkeit, wie Erfahrungen zeigen, auf diese Art der Intranet-Kommunikation außerordentlich hoch. Durch ein qualitativ hochwertiges Informationsmanagement, basierend auf Intranet-Informationen, lassen sich zudem die Kompetenzen und Potenziale aller Mitarbeiter optimal fördern. Es kommt zu Austauschbeziehungen, zu schnellem und qualitativ hochwertigem Feedback, zu Rückkoppelungen und zu Anregungen für die Entwicklung neuer Erkenntnisse. Wenn es gelingt, alle Mitarbeiter oder zumindest die für das Unternehmen unentbehrlichen hochqualifizierten Mitarbeiter in einen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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gemeinsamen Kommunikationsprozess einzubinden, dann ist damit ein Produktivitätsfortschritt und ein Wettbewerbsvorteil verbunden. So werden die Wissenspotenziale, Fachkompetenzen, die Lernbereitschaft und das Engagement aller Mitarbeiter miteinbezogen und damit die Basis zur Produktion ständig neuen und innovativen Wissens geschaffen. Damit ein solches Intranet-System überhaupt funktioniert, ist es wichtig, dass die Mitarbeiter diese Form der Information und Kommunikation akzeptieren, produktiv nutzen und dass andererseits das Management bereit und in der Lage ist, unternehmensrelevante Informationen einzuspeisen. Genau dies aber bedeutet eine nicht unerhebliche Änderung der Informationspolitik: weg vom Prinzip, nur spezifische Informationen für spezifisches Fachpersonal zur Verfügung zu stellen; hin zu einer offenen Informationspolitik, die alle unternehmensrelevanten Erkenntnisse für alle verfügbar macht (Batinic 1999).

2.8.4 Funktionen der Mediennutzung In Anlehnung an Ball-Rokeach und Reardon (1988) und Höflich (1997) lassen sich drei zentrale Dimensionen der Computernutzung identifizieren, die sowohl für die Nutzung von Internet als auch Intranet gelten: – Informationsabruf und -austausch: Auf eigenständige Initiative hin, ohne zeitliche Begrenzung, zum Beispiel Zeitverschiebungen zwischen Kontinenten, unterschiedliche Arbeits-, Kern- und Geschäftszeiten, kann einerseits auf Medienangebote wie Daten, Nachrichten, Informationen, Dienstleistungen und dergleichen zurückgegriffen werden, und anderseits kann der Datenpool durch eigene Einspeisungen angereichert werden. Diese Art der Nutzung ist eindeutig eine eingeschränkte Form der Interaktivität, da es vorrangig um eine selektive Aufnahme und Weitergabe von Informationen geht, ohne dass mit einem anderen Informationsträger direkt interagiert wird. – Diskussionsforum: Von entscheidender Bedeutung bei dieser Art der Nutzung von Internet und Intranet ist die Tatsache, dass neben inhaltsbezogenen Aspekten der Information auch beziehungsbezogene Merkmale in die computervermittelte Kommunikation einbezogen werden. Medienvermittelte Dialoge »können dabei asynchron, wie bei den usergroups des Internet, oder zeitgleich, wie im Rahmen des Internet-RelayChat, verlaufen. Der Unterschied zur vorherigen Dimension zeigt sich darin, dass die Nutzer nicht nur ›rezipieren‹ oder als so genannte ›LURKER‹ nur lesen, sondern selbst im Rahmen öffentlicher Foren Beiträge

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liefern, also nicht nur Empfänger, sondern zugleich auch Sender sind. Mehr noch: Solche Foren, mit denen nicht zuletzt die visionäre Idee einer neuen ›elektronischen Agora‹ verbunden wird, leben von der Aktivität der Nutzer. Bezogen auf das jeweilige Kollektiv der Nutzer der vielfältigen Kommunikationsforen kann dabei nicht mehr von einem dispersen Publikum gesprochen werden, sondern von ›elektronischen Gemeinschaften‹, die sich durch gemeinsame Gebrauchsweisen, Normen und Regeln als kleinsten gemeinsamen Nenner auszeichnen« (Höflich 1998, S. 116; s. auch Diehl u. Ziegler 1999). – Interpersonale Kommunikation und soziale Beziehungen: Diese Dimension ist charakterisiert durch die Computernutzung als Medium technisch vermittelter interpersonaler Kommunikation, »was die Möglichkeiten zur zeitverschobenen Kommunikation (electronic mail) wie auch der zeitgleichen Kommunikation zwischen zwei und mehr Nutzern (online-chat, multi-user-chat) umfasst. In der Terminologie von Ball-Rokeach und Reardon (1988) handelt es sich um ein Telelog als Assoziation, bei dem die Beziehungen zwischen den Nutzern im Vordergrund stehen, der jedoch so, wie er hier verstanden wird, im Unterschied zur vorherigen Dimension keinen öffentlichen, sondern einen ausgrenzenden (sprich: privaten) Charakter hat. Mit der vorherigen Dimension hat er jedoch gemein, daß eine Nutzung nur zusammen mit anderen möglich ist bzw. eine gegenseitige Bezugnahme der Kommunikationspartner voraussetzt (Gemeinsamkeit und Gegenseitigkeit der Medienverwendung im Kontrast zur Dispersheit und Einseitigkeit der Massenkommunikation)« (Höflich 1998, S. 116). Ein weiterer entscheidender Vorteil der Nutzung des Computers als Hybridmedium ist die Tatsache, »daß zwischen den verschiedenen Rahmen innerhalb ein und desselben Mediums fließend gewechselt werden kann. Bezogen auf die von Ball-Rokeach und Reardon (1988) angeführte Unterscheidung von Foren des Telekollegs computervermittelter Kommunikation kann beispielsweise ein Austausch in eine Debatte (wie etwa, wenn Nachrichtenthemen zu Themen des elektronischen Diskurses werden) und weiter in eine Assoziation (in persönliche, technisch vermittelte Kontakte) übergeleitet werden oder verschiedene Telelogformen können in Kombination miteinander auftreten. Das schließt ferner mit ein, dass durch die Ausgrenzung anderer Öffentliches in das Private überführt, wie auch umgekehrt das zunächst Private öffentlich gemacht werden kann, so dass man es bei der computervermittelten telelogischen Kommunikation nach Grade mit einer Vermittlungsform von Öffentlichkeit und Privatsphäre (Flichy 1994) zu tun hat« (Höflich 1998, S. 117; s. auch Boos et al. 1999). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Eine andere Sichtweise ergibt sich dann, wenn man der Frage nachgeht, was mit Menschen passiert, die sich elektronischer Kommunikationsmedien weltweit bedienen, sie aus Effizienz- und Ökonomiegründen allen anderen Medien gegenüber bevorzugen, also hauptsächlich über sie kommunizieren. Welche Veränderungen auf kognitiver, emotionaler und Verhaltensebene finden statt? Welche Wirkung glauben die Nutzer auf die Empfänger ihrer Botschaften und ihre Interaktionspartner ausüben zu können, wie glauben sie, von anderen beeinflusst zu werden, welchem Gruppendruck der Internet-Gemeinschaft unterliegen sie in Bezug auf die Art der Nachrichtenaufbereitung, der Reaktionen auf empfangene Botschaften, der etablierten Verhaltensregeln im Internet und Intranet?

2.8.5 Computervermittelte Kommunikation und ihre Folgen Aufgrund bisher vorliegender Forschungsarbeiten lassen sich einige theoretische Modelle computervermittelter Kommunikation formulieren, die es erlauben, die Besonderheiten dieser Form der Kommunikation zu systematisieren und eine Erklärung dafür zu liefern, wie sie zustande kommen und welche psychosozialen Konsequenzen sie nach sich ziehen. So hat Nicola Döring in ihrer Monographie mit dem bezeichnenden Titel »Sozialpsychologie des Internet« (1999) zehn Modelle computervermittelter Kommunikation ausgemacht und auf dieser Basis ein medienökologisches Rahmenmodell entwickelt, auf das etwas näher eingegangen werden soll, da es als Leitmodell für die Entwicklung von Konzepten globaler Unternehmenskommunikation brauchbar erscheint. Die Tabelle 11 gibt einen Überblick über die Bezeichnung der zehn theoretischen Modelle computervermittelter Kommunikation (CvK) und ihrer Kernaussagen. Für die Unternehmenskommunikation sind von diesen Modellen vornehmlich nur die theoretischen Modelle drei, vier, fünf und zehn interessant. Da aber in der Praxis globaler Unternehmenskommunikation nur das normative Medienwahlmodell, das interpersonale Medienwahlmodell und das Kulturraummodell relevant sind, wird auf diese näher eingegangen.

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Tabelle 11: Kernaussagen der zehn wichtigsten computervermittelten Kommunikationsmodelle (nach Döring 1999, S. 240). Theoretisches Modell 1. Kanalreduktion

Kernaussage CvK ist wegen fehlender Sinneskanäle im Vergleich zur Face-to-face-Kommunikation defizitär und unpersönlich.

2. Herausfiltern sozialer Hin- CvK führt wegen ihrer Anonymität zu Enthemmung und weise steigert sowohl prosoziales als auch antisoziales Verhalten. 3. Rationale Medienwahl

CvK ist für bestimmte Kommunikationsanlässe geeignet, für andere nicht. Richtig eingesetzt ist computervermittelte Kommunikation eine Bereicherung.

4. Normative Medienwahl

CvK wird durch soziale Normen im Umfeld beeinflusst und ist deshalb oft irrational und dysfunktional.

5. Interpersonale Medienwahl CvK wird durch medienspezifische Kommunikationsmuster der konkreten Kommunikationspartner mit beeinflusst. 6. Soziale Informationsverar- CvK ist genauso lebendig wie Face-to-face-Kommunikabeitung tion, denn nonverbale Botschaften lassen sich verbalisieren. 7. Simulation

CvK liefert Freiheitsgrade in der Selbstdarstellung und begünstigt damit Wirklichkeitsverlust, -veränderung sowie Verwirklichung.

8. Imagination

CvK regt durch fehlende Sinneskanäle Projektionsprozesse an und evoziert sinnliche Phantasiebilder.

9. Digitalisierung

CvK verändert durch die Möglichkeiten digitaler Textverarbeitung die Produktion, Verbreitung und Rezeption der Botschaften.

10. Kulturraum

CvK wird durch die im jeweiligen Computernetz etablierte Kultur (Jargon, Traditionen, Werte etc.) mit beeinflusst.

Modell der normativen Medienwahl Dieses Modell geht davon aus, dass Medienwahlen im privaten und betrieblichen Alltagsleben keineswegs nur gemäß individueller Kosten-Nutzen-Abwägung, also nach rationalen Modellen entschieden werden, sondern durch bestimmte Bedingungskonstellationen, Bedingungskompetenzen und soziale Normen präformiert sind. Weiterhin geht dieses Modell davon aus, dass die Bewertung von Medien, zum Beispiel nach Nützlichkeit und Effektivitätsgesichtspunkten, nicht so sehr von den Funktionsmerkmalen der Medien bestimmt ist, sondern von sozialen Konstruktionen. So konnten Schmitz und Fulk (1991) für die E-Mail-Kommunikation zeigen, »daß Personen mit

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mehr Medienerfahrung (E-Mail-Erfahrung, Computerkenntnissen, Keyboard skills) E-Mail als reichhaltiger einstufen und auch in stärkerem Maße nutzen. Gleichzeitig stellt sich heraus, dass der e-mailbezogene soziale Einfluss, dem eine Person ausgesetzt war (Nützlichkeitsbewertung von E-Mail und E-Mail-Nutzung durch Kollegen und Vorgesetzte), mit der eigenen Nützlichkeitsbewertung und Nutzen von E-Mail positiv zusammenhängen« (Döring 1999, S. 223; s. auch Boos et al. 1999).

Modell der interpersonalen Medienwahl Bei diesem Modell steht das Verhalten der potenziellen Kommunikationspartner im Vordergrund: »Vor dem Hintergrund einer Handlungsperspektive unterliegt direkte Face-to-Face-Kommunikation wie auch vermittelte interpersonale Kommunikation sozialen/kommunikativen Regeln. So gesehen sind es nicht ausgeblendete – vor allem nonverbale – Ausdrucksmöglichkeiten, die a priori zu Kommunikationsdefiziten führen, sondern, zumal im Falle neuer Technologien, fehlende Normbezüge respektive eine defizitäre Handhabung von Regeln. Prozedurale Regeln beziehen sich auf den formalen Ablauf von Kommunikation, während so genannte Medienregeln eine situationsadäquate Medienverwendung auf der Grundlage einer gemeinsamen Definition der Mediensituation und der Koordinierung der Kommunikationspartner ermöglichen. Medienregeln sind Ausdruck einer sozialen Normierung von Gebrauchsweisen, die wiederum gratifikationstheoretisch argumentiert, medienbezogene Gratifikationen erwartbar machen« (Höflich 1996, S. 111).

Modell des Kulturraums Im Zentrum des Kulturraummodells stehen die gemeinsamen Aktivitäten der Mediennutzer. Die Kommunikationsnetze formen netztypische symbolische Ausdrucksformen, entwickeln ein sehr spezifisches Wissen und teilen und entwickeln neue soziale Regeln und Werte des Umgangs mit Informationen und Kommunikationsprozessen. Insofern lassen sich Computernetze als »Kulturräume« begreifen (siehe Helmers et al. 1995). »Das Kulturraummodell lenkt die Aufmerksamkeit darauf, daß Besonderheiten der computervermittelten Kommunikation auch durch das geteilte Wissen, durch die Tradition, die sozialen Normen und die Werte der in einem Kommunikationsnetz agierenden Personen beeinflusst sind, was Traditionsbrüche und Wertkonflikte einschließt. Studien zur Netzkultur arbeiten oft mit ethnographischen Methoden und liefern neben einer all-

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gemeinen Charakterisierung von Merkmalen der Internetkultur auch Beschreibungen Internet-interner Subkulturen« (Döring 1999, S. 239). Unter dem Aspekt der Globalisierung der Wirtschaftskommunikation werden alle diese Aspekte noch zusätzlich durch nationalkulturelle Unterschiede beeinflusst. Forschungen zu diesen Determinanten und ihren Einflüssen auf spezifische Nutzergruppen im Kontext wirtschafts- und unternehmensbezogener Kommunikationsvorgänge und der damit zusammenhängenden Medienwahl sind im Vergleich zum Wissensbedarf noch außerordentlich spärlich. Forschungen zum Kulturraummodell beschränken sich gegenwärtig weitgehend auf das, was innerhalb der Internet-Gemeinde an gemeinsamen Regeln, Normen und Werten entwickelt, stabilisiert und bereits zu Traditionen geronnen ist. Dabei gehen die bisher vorliegenden Forschungen davon aus, dass diese Internet-Gemeinde in einem quasi kulturfreien Raum tätig ist und aus dieser »Tabula rasa« erst einmal kulturrelevante Regeln völlig neu schafft, von der Bevorzugung englischsprachiger Fachbegriffe einmal abgesehen (Birnbaum 2000). Unter dem Aspekt globaler Unternehmenskommunikation entbehren diese Studien aber einer wesentlichen Determinante, nämlich der kulturspezifischen Gebundenheit allen menschlichen Tuns. Alle Nutzer sind individuell in einer spezifischen Kultur sozialisiert worden, sie haben die kulturspezifischen Orientierungssysteme internalisiert, die Kultur verleiht ihrem Tun auf allen Ebenen des Denkens, Empfindens und Handelns Sinn und Bedeutung. Die Kultur schafft für sie Handlungsmöglichkeiten und Handlungsanreize sowie Handlungsgrenzen (Thomas 2003). Diese Gebundenheit ergibt sich aus den nationalkulturellen, organisationskulturellen, gruppenkulturellen, familienkulturellen und individualkulturellen Orientierungsmustern, die in ihrer Differenziertheit und verhaltenssteuernden Wirkung vom Handelnden selbst deshalb nicht erkannt werden, weil sie in die Handlungsroutine eingegangen und nicht mehr bewusstseinspflichtig sind. Den nationalkulturellen und regionalkulturellen Besonderheiten bei der Frage nach der Medienwahl und den Mediennutzergewohnheiten wird speziell im Kontext globaler Unternehmenskommunikation zukünftig besondere Aufmerksamkeit zu widmen sein. In einer zusammenfassenden Studie über Bedingungen produktiven Verhaltens global operierender Arbeitsgruppen in der Wirtschaft kommt Hofner Saphiere (1996) beim Vergleich des Einsatzes elektronischer Medien und direkter interpersonaler Kommunikation zu folgenden Resultaten: Unter den Bedingungen interkulturellen Managements ist die Face-toface-Kommunikation besonders zu Beginn von Geschäftsbeziehungen von ausschlaggebender Bedeutung. Diese kann auch nicht durch telefonischen Erstkontakt ersetzt werden. Das zeigen alle zu diesem Thema bisher durchgeführten Untersuchungen. In einer speziellen Untersuchung mit insge© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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samt zwölf global operierenden Arbeitsteams aus unterschiedlichen Unternehmen, Branchen und Ländern zeigte sich, dass leistungsstarke – im Vergleich zu weniger produktiven – Arbeitsteams mehr kommunizieren und dabei mehr Face-to-face-Kommunikation nutzen, während weniger produktive Teams sich mehr über E-Mail verständigen. Unabhängig von der gezeigten Leistungsstärke, beurteilten alle Gruppen E-Mail-Kommunikation als das nützlichste Kommunikationsmedium, wobei aber gerade die Teilnehmer produktiver Arbeitsgruppen dem uneingeschränkten Einsatz dieses technischen Kommunikationsmediums skeptisch gegenüberstanden. Auch diese Untersuchung zeigt wie viele andere, dass sich zur Informationsübermittlung elektronische Kommunikationsmedien am besten eignen, wohingegen bei Aufgabenlösungen mit einem hohen Anteil an Kooperationsmanagement die Face-to-face-Kommunikation unumgänglich ist. Mitglieder produktiver Teams kommunizierten mehr informell über Face-to-face-Kommunikation. Sie zeigten mehr aufgabenorientiertes und sozial orientiertes Verhalten. Sie bevorzugten kritische Diskussionen bei der Behandlung zentraler Arbeitsthemen und pflegten einen positiv bewertenden Kommunikationsstil bei der Behandlung von Aufgabenstellungen. Diese Teams hatten ein hohes Maß an Sensibilität für kulturspezifische Unterschiede und versuchten, diese aus der Sicht des jeweiligen Partners zu interpretieren und im Gespräch zu klären. Schließlich äußerten die Teilnehmer dieser Arbeitsgruppen übereinstimmend ihr Interesse, weiterhin zusammenzuarbeiten. Eine ständig wachsende Datenmenge und deren immer schnellere Verbreitung ist keineswegs gleichbedeutend mit höherer Managementeffizienz noch erlaubt sie ein zielgerichteteres und schnelleres Feedback oder eine Erleichterung in der Kommunikation auf allen Ebenen, da die Gefahr besteht, durch den »information overload« die Arbeitsproduktivität zu behindern. In diesem Zusammenhang taucht ein neues Problem auf, dass nämlich die Auswahl, Bewertung und Kombination von Informationen sich nicht von selbst ergibt, sondern mit zunehmender universeller Verfügbarkeit von Informationen immer wichtiger und schwerer zu bewältigen wird. Nicht noch mehr Informationen sind produktiv, sondern die richtigen Informationen am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt. Dies gilt sowohl für die Inhalte des Internets als auch des Intranets. Von entscheidender Bedeutung ist also die qualifizierte Aufbereitung und die sinnvolle Kontextualisierung von Informationen mit Blick auf die Wirksamkeit von Kommunikation. Der Erfolg der internen und externen Unternehmenskommunikation hängt nicht nur von den technischen Möglichkeiten und deren Nutzung ab, sondern auch von ihrer inhaltlichen Qualität. Nicht die technische Verfügbarkeit von Informationen erweist sich im Kontext globaler Unternehmenskommunikation als Problem, sondern ihre inhaltliche Qualität. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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2.8.6 Hypothesen zur Entwicklung globaler Unternehmenskommunikation Im Rahmen globaler Unternehmenskommunikation werden zukünftig alle direkten und medial vermittelten Formen der Kommunikation von der Face-to-face-Kommunikation mit ihren starken nonverbalen Kommunikationselementen über die papiergebundene sprachliche Kommunikation, die klassische Massenkommunikation bis hin zur computervermittelten Kommunikation erhalten bleiben und eingesetzt werden. Wenn es im unternehmerischen Sinn um die Ausbildung kommunikativer Kompetenz geht, dann ist zu beachten, dass eine Schulung und damit Qualifizierung in all diesen Bereichen erfolgen muss und nicht nur auf dem Gebiet der Handhabung elektronischer Medien. Welche Medien stärker genutzt werden, hängt sicherlich mit der Verfügbarkeit entsprechender technischer und ökonomischer Ressourcen zusammen, aber vermutlich auch mit kulturbedingten Gewohnheiten, Vorlieben sowie wertgebundenen und religiös verhafteten Traditionen. Eine moderne und effektive globale Unternehmenskommunikation müsste deshalb von Offenheit und Wertschätzung gegenüber allen in den verschiedenen Kulturen entwickelten Kommunikationsformen, deren Bewertung und deren kulturspezifischer Funktionalität, Einsatz und Handhabung bestimmt sein. Für alle Menschen im Unternehmen einheitlich festgelegte und zugelassene Kommunikationsmittel wären demnach unproduktiv. Nicht die Führungskräfte im Stammhaus allein besitzen die Kompetenz zu entscheiden, was, wann, wieviel und zu welchem Zweck computervermittelt kommuniziert werden soll, sondern auch die Kommunikationspartner vor Ort müssen über eine entsprechende Kommunikationskompetenz verfügen, die es ihnen erlaubt, den kommunikativen Bedarf zu analysieren und zur Befriedigung dieses Bedarfs geeignete Mittel zu identifizieren, um eine dementsprechende Kommunikationskultur entwickeln und vermitteln zu können. Zum Einsatz elektronischer Medien in der globalen Unternehmenskommunikation lassen sich aufgrund der bisherigen Forschungsbefunde eine Reihe von Hypothesen formulieren, zu denen im begrenzten Umfang schon erste Untersuchungsergebnisse vorliegen. – Medienvermittelte Kommunikation ermöglicht stärker als Face-to-faceKommunikation eine weitgehend hierarchiefreie Kommunikation: Interpersonale Kommunikationsbarrieren entfallen beziehungsweise werden reduziert. Der Informationsfluss von unten nach oben wird erleichtert (Straus 1996). – Medienvermittelte Kommunikation nimmt weniger Rücksicht auf interpersonale Kontexte: Blockaden durch interpersonale Antipathie durch

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den persönlichen Eindruck (primacy effect, halo effect etc.) entfallen (Walther 1999). Medienvermittelte Kommunikation ermöglicht eher kritisches Feedback: Es ist schneller etwas geschrieben und verschickt als persönlich gesagt, vorgetragen und dies mit der Gefahr der Heraufbeschwörung eines kritischen Dialogs oder kritischer Rückfragen und der Entwicklung einer problematischen interpersonalen Kommunikationssituation. Medienvermittelte Kommunikation zwingt dazu, zu jeder Zeit und für jeden erreichbar zu sein. Dies führt zu einer Informationsverdichtung, zum Zwang, viele unterschiedliche Informationen gleichzeitig oder kurz nacheinander aufzunehmen und darauf zu reagieren. Das reduziert einerseits die Zugangsbarrieren im Kopf der anderen, andererseits sind aber zum Teil Überforderung, Stressreaktionen und Abwehrreaktionen die Folge. Auch die Verarbeitungsqualität der Informationen sowie die Präzision der Reaktionen leiden darunter. Direkte interpersonale Kommunikation ermöglicht die Ausübung von sozialem Einfluss durch den Einsatz persönlicher Macht und durch Überzeugung: Dieses wichtige Führungsinstrument verliert bei computervermittelter Kommunikation an Wirksamkeit (Döring 1999). Direkte interpersonale Kommunikation ermöglicht ein »Lernen am Modell« und ist eine wichtige Methode zum effektiven sozialen Lernen: Diese Lernmöglichkeit ist bei der computervermittelten Kommunikation stark reduziert. Medienvermittelte Kommunikation führt oft zur Überladung mit Informationen (information overload), ohne Orientierungshilfen zur Verfügung zu stellen, mit der Konsequenz des drohenden oder tatsächlichen Orientierungsverlusts. Ein »information overload« kann nur durch eine Verknüpfung von direkter interpersonaler Kommunikation und medienvermittelter Kommunikation vermieden werden. Medienvermittelte Kommunikation führt zum Verlust der Orientierung, die in der interpersonalen Kommunikation durch den Ansprechpartner als Person geboten wird: Ein personaler Kommunikationspartner ist zwar eine hoch komplexe, aber doch geschlossene »gute« Gestalt, die mit orientierungsrelevanten Informationen behaftet ist (Utz 1999). Eine optimale Verknüpfung von direkter interpersonaler Kommunikation und medienvermittelter Kommunikation im Kontext eines modernen Unternehmensmanagements kann nur im jeweiligen Einzelfall auf Unternehmens-, Bereichs- und Gruppenebene entwickelt werden. Globale Unternehmenskommunikation wird sich – schon aus Kostengründen – nicht aller verfügbaren medialen Kommunikationsmittel bedienen können und wird zugleich auf die kulturellen Gewohnheiten, Tra© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ditionen, Wert- und Verhaltensnormen Rücksicht zu nehmen haben. Die Aufnahme, Akzeptanz und Anwendung neuer (elektronischer) Medien, die in der jeweiligen Kultur bislang unbekannt waren, wird von kulturellen Faktoren beeinflusst. Über den Prozess der Assimilation erfolgt eine Anpassung bisheriger Kommunikationsweisen an die neuen Medien, und über den Prozess der Akkommodation wird die Handhabung der Medien an die traditionellen Informations- und Kommunikationsgewohnheiten adaptiert. Wie dies im Einzelnen erfolgt, bedarf der genaueren Analyse. – Zur Ideengenerierung in Gruppen ist computergestützte Kommunikation effektiv, zur Gruppenkoordination dagegen Face-to-face-Kommunikation (Boos et al. 1999). – Aufgabenstellungen mit einem hohen Grad an Koordinationsanforderungen werden in Face-to-face-Gruppen besser als in computerkommunikativen Gruppen gelöst (Straus u. McGrath 1994).

2.8.7 Globale Unternehmenskommunikation im interkulturellen Kontext Wie in vielen anderen Bereichen der globalen technischen und ökonomischen Entwicklungen, so hat auch im Bereich der globalen Unternehmenskommunikation die Praxis einen Vorlauf vor der (wissenschaftlichen) Theorie. Die Zwänge wirtschaftlichen Handelns im globalen Markt erfordern den Einsatz multimedialer Kommunikationsmittel, auch ohne genaue Kenntnis ihrer Funktionsweisen und Folgen für so wichtige Faktoren wie Arbeitsleistung und Arbeitszufriedenheit. Die Suche nach optimalen Lösungen für die mit globaler Unternehmenskommunikation verbundenen Probleme wird noch durch die Tatsache erschwert, dass unternehmensund nationalkulturelle Unterschiede in der Wahrnehmung und im Umgang mit den modernen elektronischen Medien zu beachten sind. So kommt Hofner Saphiere (1996) nach ihrem Literaturüberblick und eigenen Untersuchungen über die Produktivität globaler Businessteams zu dem Schluss: »Findings from this study indicated the need for additional research in five key areas: factors beyond national culture, problem solving across cultures, communication in the absence of regular face-to-face contact, the ideal role of a global business team leader, and the function of cultural interpretation and mediation« (S. 250). Aus der Tatsache, dass global operierende Arbeitsteams, besonders die produktiven, bemüht sind, neue Formen der Zusammenarbeit zu finden, mit der alle Teammitglieder, gleichgültig, aus welcher Kultur sie auch stam-

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men, gut zurechtkommen, ergeben sich noch eine Reihe bislang unbeantworteter Fragen: Welche Verfahren zur Problemlösung und zum Entscheidungsverhalten in Gruppen sind für global operierende Teams optimal? Gibt es Methoden des Informationsaustauschs, der Entwicklung von gemeinsam getragenen Entscheidungen, des Feedbacks, der Beurteilung von Leistungen, einer gerechten Leistungsbewertung und der Konfliktregulation, die für Mitglieder aus sehr unterschiedlichen Kulturen gleichermaßen akzeptabel sind, zugleich aber auch eine hohe Gruppenleistung und Lebensfähigkeit der Gruppe garantieren? Wie kommen Menschen aus kollektivistischen Kulturen, die eine eher indirekte Form der Kommunikation, des kritischen Feedbacks und des anweisungsorientierten Verhaltens pflegen, verbunden mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach sozialer Harmonie, mit Menschen aus individualistischen Kulturen zurecht, die klare, eindeutige und direkte Anweisungen, Kritik und Leistungsrückmeldung gewohnt sind? Da für eine effektive Gruppenarbeit Verhaltensformen zur Lösung dieser Probleme von den Gruppenmitgliedern selbst entwickelt werden müssen, wäre es im Rahmen der hier diskutierten Thematik schon wichtig zu wissen, ob produktive Arbeitsteams über Sachfragen eher medienvermittelte Informationen austauschen, zur Klärung von Fragen der interpersonalen Zusammenarbeit aber Face-to-face-Kommunikation benötigen. Fest steht inzwischen, dass einfache Vergleiche der Vor- und Nachteile unterschiedlicher Kommunikationsmedien für die globale Unternehmenskommunikation wenig hilfreich sind. Jedes Medium hat seine spezifischen Eigenschaften und Stärken. Aber welche das sind und wie sie in Kombination zur Wirkung kommen können, ist noch weitgehend unklar. Wenn in Studien nachgewiesen wird (Hofner Saphiere 1996), dass schriftliche Kommunikation der präzisen Darstellung eines Sachverhalts förderlich ist, wohingegen Kommunikation mittels Telefon eher die emotionalen Aspekte anspricht und verstärkt, dann ist damit noch nicht geklärt, ob dies so unter allen Kontextbedingungen globaler Unternehmenskommunikation, zum Beispiel Vertrautheit der Kommunikationspartner untereinander, unternehmensspezifische Verhaltensgewohnheiten, unternehmensund nationalkulturelle Unterschiede, Kommunikationssprache, Ziele und Erwartungen der Kommunikationspartner, Status- und Hierarchieunterschiede, gleichermaßen gilt. Wie kann man beispielsweise humorvoll gemeinte Bemerkungen am besten kommunizieren, um einen Beitrag zur Auflockerung und Entspannung zu platzieren, ohne befürchten zu müssen, Chaos anzurichten? Die Leitung global operierender Arbeitsgruppen muss eher die Rolle als Prozessorganisator und nicht die der allwissenden Führungs- und Expertenautorität wahrnehmen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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»In many global business teams today, all team members may be technical experts in different fields whose judgements are critical to project success, and it is the role of the leader to guide them to a decision as a process facilitator. In addition to authority or content expertise, team leaders need the ability to structure information sharing and decision making to incorporate and utilize multiple perspectives. Yet it is not clear how this is best accomplished. Specific research questions for future studies include: what role should leaders of productive, geographically dispersed teams play, particularly when their technical/business expertise as well as their team leadership is required? How do leaders contribute opinion and information without unduly influencing a multicultural team’s decision? How do leaders provide sufficient structure to allow all members of a multicultural team to contribute, but not so much structure as to stifle the contributions of others? How do global business team leaders facilitate open information exchange and disagreement without creating a threatening or tense situation for some team members?« (Hofner Saphiere 1996, S. 252). Alle Experten sind sich darüber einig, dass effiziente globale Unternehmenskommunikation nicht aus Lehrbüchern oder Praxisratgebern abgeschrieben werden kann, sondern im und für das jeweilige Unternehmen spezifisch erarbeitet werden muss. Dies kann nur gelingen, wenn alle an der globalen Unternehmenskommunikation beteiligten Führungskräfte und Teammitglieder sich ihres spezifischen eigenkulturellen Orientierungssystems bewusst sind, ein hohes Maß an Sensibilität für fremdkulturelle Orientierungssysteme entwickelt haben und die Fähigkeit besitzen, mit kulturbedingter Heterogenität produktiv umzugehen. Sie müssen also über interkulturelle Handlungskompetenz als eine zentrale Schlüsselqualifikation verfügen. Auf dem Weg hin zum Erwerb dieser Schlüsselqualifikation sind ein an konkreten Arbeitsaufgaben orientierter Dialog und eine enge Kooperation zwischen interkultureller Forschung und unternehmensspezifischer Praxis optimale Voraussetzungen.

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Alexander Thomas/Sylvia Schroll-Machl: Auslandsentsendungen

Alexander Thomas/Sylvia Schroll-Machl

2.9 Auslandsentsendungen: Expatriates und ihre Familien 2.9.1 Problemstellung Gesucht sind im Zeitalter der Globalisierung vor allem und immer wieder Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die mobil sind. Zunehmend verlangen Firmen eine fast grenzenlose Bereitschaft, durch die Welt zu ziehen. Ohne Umzug scheint, so der Eindruck aus Stellenanzeigen, keine Karriere mehr möglich zu sein. Für manche Singles, zumal in jungen Jahren, mag das attraktiv und viel versprechend sein. Die Lebensform von Ehe und Familie gerät freilich unter diesem Anspruch in Bedrängnis, weil ein karriereförderndes Job-Hopping mit der Familie große Schwierigkeiten mit sich bringt. Das typische Muster lässt sich so beschreiben: Der Mann erhält von seiner Firma das Angebot, ins Ausland zu gehen. Von der Frau wird erwartet, dass sie sich in die Rolle der mitausreisenden Partnerin fügt, und die Kinder werden mitgenommen. Jedes Familienmitglied unterliegt mit einem Umzug ins Ausland jedoch eigenen, spezifischen Belastungen, die es zu bewältigen gilt. Ich hatte es eigentlich am leichtesten, wenn ich mir das so überlege. Denn meine Firma ist überall auf der Welt die gleiche Firma, und auch mein berufliches Umfeld war ähnlich. Doch meine Tochter verlor ihren Freundeskreis. Sie konnte nicht in eine deutsche Schule gehen, sondern auf eine brasilianische, und das hieß für sie: Doppelunterricht. Sie hatte 37 Wochenstunden zu bewältigen, hatte mehr als die Hälfte des Unterrichts in Portugiesisch und die Kernfächer zusätzlich nochmals auf Deutsch. Das war sehr hart für sie, und es gab allerhand Tränen. Sie konnte zwar nicht durchfallen, doch sie wollte gut sein und schaffte es, bereits nach einem Jahr in der Fremdsprache alle Fächer zu bestehen. Ihr großer Trost war, dass sie eine fanatische Reiterin ist, und in Brasilien war es möglich, dass sie zwei Pferde hielt und Turniere ritt. Ein weiterer Negativpunkt bestand darin, dass es natürlich für ein 15- bis 18-jähriges Mädchen (solange waren wir in Brasilien) unangenehm ist, Freiheiten zu verlieren. Es gibt unstrittig ein Sicherheitsproblem, und daher ließen wir sie nie allein irgendwo hingehen, sondern fuhren und brachten sie. Wenn aber die Eltern immer dabei sind, dann ist es natürlich schwierig, Freunde oder gar einen Freund zu finden. Wir sahen das, aber was hätten wir tun sollen? Meine Frau gab wegen des Aufenthalts ihren Beruf in Deutschland auf, den sie sich so hart erarbeitet

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hatte. – Sie studierte nach der Geburt der Tochter und hatte sich auf eine für sie schöne Position hochgearbeitet. – Sie bekam auch prompt einen wirklich schweren Kulturschock, der durch eine Metallvergiftung ausgelöst wurde. Die gesundheitlichen Probleme konnte sie – für einen Kulturschock typischerweise – erst nach langer Zeit wieder in den Griff bekommen. Das war für sie eine echte Krise, in der sie nur noch den Wunsch hatte, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Ein anderes Problem stellten die Dienstmädchen dar, die meine sozial eingestellte Frau schlicht ausnutzten. Sie fühlte sich auch zunächst nur eingesperrt, denn sie war nur zu Hause, hatte keinen Beruf und keine Kontakte und war der Sprache nicht mächtig.

Bei jedem Auslandseinsatz spielt das familiäre Umfeld eine entscheidende Rolle, nicht nur für das Wohlbefinden des Auslandsmitarbeiters während und nach seinem Auslandseinsatz, sondern auch für den beruflichen Erfolg (Adler 1997; Black et al. 1992; Black u. Gregersen 1990; 1991; Harvey 1985). Immer hängt die Problemlage aber davon ab, wie gut die Familie (Ehepartner, Kinder und zu Hause zurückbleibende engere Familienangehörige) auf den Auslandseinsatz vorbereitet wird, ob sie ihn voll und ganz akzeptiert oder nur erträgt und ob sie glaubt, selbst einen Nutzen daraus ziehen zu können. Die meisten Firmenmitarbeiter gehen in einem Lebensabschnitt ins Ausland, in dem sie bereits gebunden sind und eine Familie haben. Wenn auch keine repräsentativen Erhebungen vorliegen, so kann man doch davon ausgehen, dass ein Auslandseinsatz – gegen den Willen der Familienangehörigen durchgesetzt – mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Auflösung der Familie führen wird. In diesem Artikel sind die Befunde aus Forschung und Praxis zu dem Thema dargestellt. Das erfolgt analog der traditionellen Rollenteilung, der Mann ist der Entsandte, die Frau begleitet ihn, denn die umgekehrte Konstellation einer entsandten Frau und ihres begleitenden (Ehe)Partners samt Kinder ist sehr selten. Außerdem ist die Grunddynamik bezogen auf die Rollen (Firmenmitarbeiter, Begleitperson, Kind) weitestgehend dieselbe (zu zusätzlichen Aspekten für die Situation entsandter Frauen siehe Kap. II, 2.10, S. 416 ff.).

2.9.2 Belastungsfaktoren Jeder Auslandseinsatz führt zu mehr oder weniger starken psychischen und physischen Belastungen, verursacht durch das völlig neuartige Arbeits- und Lebensumfeld. Der Ausdruck Kulturschock charakterisiert in diesem Zusammenhang eine Art emotionaler Desorientierung, die dadurch hervorgerufen wird, dass der Handelnde ständig mit unerwarteten und für ihn unverständlichen Reaktionen des fremden Umfelds konfrontiert wird, sich

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selbst von den anderen missverstanden fühlt und nicht mehr weiß, wie er sich »richtig« verhalten soll (Triandis 1994; Bochner 1994; Harris u. Moran 1991; Furnham u. Bochner 1986; Oberg 1960). Neben diesen recht gut erforschten Kulturschockphänomenen und Akkulturationsbelastungen gibt es noch eine Reihe sozialer, soziokultureller und beruflicher Belastungsfaktoren, deren Wirkungen auf die Arbeitsleistungen des Auslandsmitarbeiters nicht zu unterschätzen sind (Wirths 1996; Schröder 1995; Debrus 1995; Medrano-Kreidler 1995; Gregersen u. Black 1990). Denn vor der Herausforderung, sich im Gastland einzuleben, steht nicht nur der Mitarbeiter allein, sondern diese Anpassungsleistungen werden allen Familienmitgliedern abverlangt. Und das Gelingen oder Misslingen dieses Prozesses durch jedes einzelne Familienmitglied erleichtert oder erschwert das Leben der gesamten restlichen Familie, weil die Familie viel mehr als im Heimatland auf sich allein gestellt ist. Dadurch wird eine Interaktionsdynamik in einer zu Hause nicht gekannten Intensität in Gang gesetzt. Nur Familienmitglieder, die im Vollbesitz ihrer Kräfte sind, können einander die nötige Stütze sein, das eventuelle Motiv, Problemen zu Hause durch einen »Tapetenwechsel« ins Ausland auszuweichen, rächt sich dagegen bitter (Ward 1996; Martin u. Harrell 1996; Jackson 1996; Bergemann u. Sourisseaux 1996; Kühlmann 1995; Schroll-Machl 1997).

Belastungsfaktoren für Expatriates Soziale Belastungen Ein Auslandsmitarbeiter, der mit Familie ausreist und bewusst wahrnimmt, dass wegen seiner Auslandsversetzung die Frau ihren Beruf aufgeben muss und die Kinder aus ihrem gewohnten Umfeld (Schule und Freunde) herausgerissen werden, fühlt sich von der Frage belastet, ob alle sich einleben und jeder diesem Umzug wirklich positive Seiten abgewinnen wird. Für ihn kann die mitreisende Familie also einerseits hilfreich sein als soziale Unterstützung und andererseits zur Belastung werden, wenn einem der Familienmitglieder die Akkulturation nicht gelingt. Hinzu kommt das Verantwortungsgefühl gegenüber den eigenen Eltern und eventuell die Sorge um den im Heimatland zurückgelassenen Besitz und andere Verpflichtungen, denen man nicht mehr in der gewohnten Weise nachkommen kann. Um den beruflichen Bruch der Frau zu vermeiden oder die schulische Laufbahn der Kinder nicht zu unterbrechen, retten sich viele in die Wochenendbeziehung. Die Trennung von der Familie stellt aber besondere Anforderungen und nicht selten eine Überforderung aller beteiligten Personen dar. In der Firma im Ausland werden solche Expatriates unbeliebt, denn sie haben während der Woche viel Zeit und arbeiten auch abends.

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Privat verlieren sie an Sozialkompetenz innerhalb der eigenen Familie, denn diese muss sich die meiste Zeit ohne den Vater behelfen und tut das auch in zunehmendem Maß. Wochenendbeziehungen sind schon mit erwachsenen Partnern schwierig, mit Kindern umso mehr. Sind die Entfernungen so groß, dass auch Wochenendkontakte unterbleiben müssen und die Trennung nur durch Urlaube und Ferien unterbrochen werden, dann besteht akute Gefahr des Zusammenbrechens der Partner- und Familienbeziehungen. Daraus zu schließen, dass es ein Single leichter hätte und gar erfolgreicher wäre als ein Expatriate mit Familie, ist nicht möglich, denn in vielen Kulturen sind Singles recht ungewöhnlich, was bei den ausländischen Partnern womöglich zu Irritationen führt, und sie leiden oft unter Einsamkeitsgefühlen. Das bringt auf jeden Fall anfangs erhöhte Akkulturationsbelastungen mit sich und kann im positiven Fall dazu führen, dass sie im Gastland möglichst schnell intensive Kontakte aufbauen, um nicht in die Selbstisolation abzurutschen. Für Männer ist es dann oft typisch, sich eine »Lebensabschnittspartnerin« zu suchen, was neue Probleme zur Folge hat. Die Gefahr, die Einsamkeit nicht überwinden zu können, bleibt jedoch in vielen Fällen akut. Während der Zeit starker Akkulturationsbelastungen hat jeder das Bedürfnis, mit anderen über seine Schwierigkeiten, sich in der neuen Kultur zurechtzufinden, auszutauschen. Dies kann in der eigenen Familie, aber auch innerhalb einer Gruppe von Auslandsmitarbeitern zur gegenseitigen Verstärkung negativer Gefühle, negativer Stimmungen bis hin zu einem aggressiven Klima gegenüber den einheimischen Partnern führen. Nicht wenige Expatriates haben den Eindruck, dass ihre Firma sie einfach nur ins Ausland schickt, sie dann aber allein lässt (Tung1988; Thomas 2001). Um vieles, zum Beispiel Wohnung, Möbel, Transportmittel, Versicherungen und so weiter, muss manch ein Auslandsmitarbeiter sich selbst kümmern, ohne das Gefühl zu haben, dass die Firma ihn dabei unterstützt, im Gegenteil, die Schaffung der notwendigen Infrastruktur dauert der Firma oft zu lang, weil sie erwartet, dass der Mitarbeiter »endlich mit seiner Arbeit beginnt«. In Ländern, in denen es so genannte Relocation-Services gibt, stellen sie daher eine Quelle massiver Unterstützung und großer Entlastung für Entsandte dar.

Soziokulturelle Belastungen Hierher gehören die Rahmenbedingungen des Lebens und Arbeitens im Gastland wie Klima, Stadt-/Landkultur, Infrastruktur, Firmenkultur, das Tätigkeitsfeld oder privat die in manchen Ländern notwendige Umstellung auf einen Haushalt mit angestelltem Dienstpersonal.

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Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus den beruflichen und privaten Kontakten mit Menschen des Gastlands. Da die persönlichen Kontakte zu Nachbarn, Bekannten und Freunden im Heimatland allmählich weniger werden und eventuell ganz zum Erliegen kommen, nimmt das Bedürfnis nach sozialen Bindungen zu den Gastlandbewohnern zu. Da ein Auslandseinsatz nicht selten auch durch das Interesse, das Gastland und seine Bewohner näher kennen zu lernen, motiviert ist, entsteht das Bedürfnis, dieses Kennenlernen über Freundschaftsbeziehungen zu den Gastlandbewohnern zu erreichen,was aber aufgrund der kulturellen Unterschiede oft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist und nicht selten in Enttäuschungen endet. Immer wieder angesprochen werden auch die für viele unerwarteten Belastungen aus den sich verstärkenden Problemen im Umgang mit den deutschen Kollegen im Stammhaus. Deutsche Verhaltensmuster werden allmählich verlernt mit der Konsequenz, dass Stammhausangehörige den Auslandsmitarbeiter nicht mehr so recht verstehen. Hinzu kommt, dass für den Auslandsmitarbeiter manche Verhaltensweisen seiner ausländischen Partner, beispielsweise ihr Umgang mit Zeit, Raum, Qualitätsstandards, inzwischen selbstverständlich geworden sind, dieses Wissen um kulturspezifische Normen und Regeln aber seinen deutschen Gesprächspartnern im Stammhaus nach wie vor unvertraut bleibt. Daraus erwachsen Missverständnisse mit Personen, mit denen der Auslandsmitarbeiter früher doch so gut zusammengearbeitet hat. Weitere Belastungen entstehen aus dem asymmetrischen Beziehungsverhältnis zwischen aus Westeuropa und Nordamerika stammenden, mit Kapital und Know-how ausgestatteten »Experten« und den einheimischen Partnern, die nicht oder noch nicht über vergleichbare wertvolle Ressourcen verfügen. Daraus kann sich ein gewisses Überlegenheitsgefühl und dominantes Verhalten etlicher Expatriates und vieler für bestimmte Anlässe kommenden Besucher aus dem Stammhaus gegenüber den Einheimischen entwickeln, was die Zusammenarbeit erheblich belastet.

Berufliche Belastungen Relevant werden hier einerseits der enorme Zeitdruck, unter dem die meisten Auslandseinsätze stehen. Hinzu kommen der Erfolgsdruck, der mit dem Auftrag verbunden ist, eine gewisse, nur langsam abzubauende skeptische Zurückhaltung seitens der Einheimischen gegenüber »dem Neuen«, das Ausspielen ihrer Machtposition kraft ihrer Landeskenntnis und ihres »Heimvorteils« und das bereits angesprochene, mit der Zeit immer mehr zunehmende Phänomen, dass der Entsandte sich oft von seinen Kollegen im Stammhaus in Deutschland »vergessen« fühlt und sich keiner mehr um ihn kümmert.

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Vieles, was im Stammhaus zu den beruflichen Selbstverständlichkeiten gehört, vom sparsamen Umgang mit Material, schonender Behandlung von Werkzeugen, vorausschauender Wartung und Pflege von Maschinen und so weiter bis hin zu Umgangsformen mit Vorgesetzten und Untergebenen, dem Einsatz von Lob und Kritik, dem Maß an selbstverständlicher Eigenverantwortlichkeit, Berufsethos oder Qualitätssicherung gilt plötzlich im Gastland und für die Zusammenarbeit mit den ausländischen Partnern nicht mehr. Vieles muss wieder neu erlernt werden, was bereits zum Routineprogramm, zu den nicht mehr reflektierten beruflichen Selbstverständlichkeiten gehörte. Außerdem unterliegt ein Expatriate, gerade nach erfolgreicher Akkulturation, Loyalitätskonflikten: Er soll die Interessen seiner Firma, genauer gesagt seines Stammhauses/seiner Zentrale, vertreten, sieht die Angelegenheiten aber inzwischen auch aus der Perspektive der Einheimischen und daher oft kritisch. Der Balanceakt, der ihm abverlangt wird, heißt: Er versteht beide Seiten, ihm sind verhaltenswirksame kulturspezifische Orientierungssysteme hier wie da nachvollziehbar. Um in diesem Konflikt nicht zerrieben zu werden, braucht er einen strategischen Rahmen.

Reintegrationsbelastungen Während die Belastungen, die bei der Ausreise und in der ersten Zeit der Eingewöhnung in die neuen Lebens- und Arbeitsbedingungen für den Expatriate entstehen, im Zentrum der Aufmerksamkeit sowohl des Betroffenen als auch der Vorgesetzten im Stammhaus stehen, wird den nach der Rückkehr des Auslandsmitarbeiters und seiner Wiedereingliederung in das Stammhaus entstehenden so genannten Reintegrationsproblemen in aller Regel viel weniger Aufmerksamkeit geschenkt (Black u. Mendenhall 1991a, 1991b). Die inzwischen recht zahlreichen Untersuchungen zur Reintegrationsproblematik zeigen (Kühlmann u. Stahl 1995; Hickson 1994; Winter 1996; Napier u. Peterson 1994; Harvey 1989; Gundlach u. Hilmes 1987; Gomez-Mejia u. Balkin 1987; Martin 1986; Austin 1986), dass die Eingewöhnung in das Lebens- und Arbeitsumfeld im Heimatland vielen ebenso schwer fällt wie die vorangegangene Anpassung an das Gastland. Von den Zurückkommenden wird als besonders belastend empfunden, dass sich eigentlich niemand für sie und ihre Auslandserfahrungen interessiert, dass sich das soziale Beziehungsfeld sowohl beruflich wie privat inzwischen neu konstituiert hat und es deshalb schwer fällt, an die Beziehungen wieder anzuknüpfen, die vor der Ausreise bestanden. Mit diesen unerwarteten Entfremdungsgefühlen kontrastiert die Erfahrung, dass die Daheimgebliebenen eigentlich recht provinziell, bieder und auf dem Hintergrund der eigenen Auslandserfahrungen uninteressant erscheinen.

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Die berufliche Rückkehr ist zudem mit dem Gefühl des Statusverlustes verbunden, da das Besondere und Herausgehobene des Auslandseinsatzes bei der Wiedereingliederung in das Stammunternehmen verloren geht. Der ehemalige Auslandsmitarbeiter gehört nun nicht mehr zur Oberschicht, zur Gesellschafts- und Wirtschaftselite – wie dies eventuell im Gastland eingeschätzt wurde –, sondern ist ein durchschnittlicher Mittelschichtsbürger wie alle seine Kollegen auch. Er verliert zudem am heimischen Arbeitsplatz an Selbstständigkeit, Führungskompetenz, Tätigkeitsvielfalt, Entscheidungsfreiheit und so weiter. Kurzum: Im Zusammenhang mit der Reintegrationsproblematik berichten viele von einem umgekehrten Kulturschock, weil jetzt erst die Auswirkungen des Lebens und Arbeitens im Gastland auf die eigene Person bewusst wahrgenommen werden. In der gesamten Literatur zu beruflichen Integrationsproblemen wird immer wieder auf die großen Belastungen hingewiesen, die dadurch entstehen, dass die Karriereerwartungen enttäuscht wurden, die der Auslandsmitarbeiter mit seinem Auslandseinsatz verknüpft hatte (Kühlmann u. Stahl 1995; Hickson 1994; Winter 1996; Napier u. Peterson 1994; Harvey 1989; Gundlach u. Hilmes 1987; Gomez-Mejia u. Balkin 1987; Martin 1986; Austin 1986). Der angestrebte höher bewertete Arbeitsplatz ist inzwischen anderweitig besetzt, und die im Ausland erworbenen Fähigkeiten finden nicht die erwartete Anerkennung. Seitens der Vorgesetzten wird häufig argumentiert, dass die Entwicklungsdynamik des Unternehmens in einer so raschen Veränderung begriffen sei, dass Ausreisenden keine verlässlichen und verbindlichen Zusagen über die Einnahme einer bestimmten Position nach ihrer Rückkehr gemacht werden könnten. Wenn Stellen im mittleren Management gekürzt werden, wenn ganze Bereiche inzwischen aufgelöst oder verkauft wurden, dann gibt es eben für einen Rückkehrer keine ursprünglich vielleicht einmal ins Auge gefasste berufliche Position mehr zu besetzen. Belastend wirkt auch die Diskrepanz zwischen der Behauptung der Firmenvorstände, dass nur Leute mit Auslandserfahrung im Unternehmen Karriere machen könnten, und der im Einzelfall erlebten Realität, wenn es darum geht, dieses personalpolitische Ziel auch einzulösen. Auch wenn die erträumte Position nicht zu besetzen ist, so würde die Reintegration sicher erleichtert, wenn der Auslandsmitarbeiter erfahren könnte, dass seine im Ausland erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten sinnvoll eingesetzt werden könnten. Aus folgenden Gründen entspricht dies meist nicht der Realität: – Die Firma unterliegt betrieblichen Zwängen, und es ist beispielsweise einfach keine Stelle frei, auf der das Wissen des Expatriats produktiv genutzt werden könnte. – »Aus den Augen – aus dem Sinn« – so heißt oft die Realität für Expatriates. Wenn sie sich nicht während eines zwischenzeitlichen Heimatauf© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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enthalts in den Fachbereichen und bei der Personalabteilung zeigen und selbst die Initiative ergreifen, dann werden sie unter Umständen bei späteren Neubesetzungen übersehen. Die Macht der Personalabteilungen ist begrenzt, sie begleiten Auslandsversetzungen oft nur administrativ. So verfügen sie oft nicht über einen zentralen Pool auslandserfahrener Firmenangehöriger oder werden bei Auslandsprojekten erst spät konsultiert und mit eingebunden. Wenn den Geschäftsbereichen keine für die Wiedereingliederung zentral verantwortliche Personalabteilung zur Seite steht, besteht die Gefahr, dass ein Auslandsmitarbeiter aus Ressortegoismus nicht optimal platziert werden kann. Vielleicht ist allein schon der Informationsfluss suboptimal und ein Mitarbeiter kann gar nicht »weitergereicht« werden, selbst wenn es die Beteiligten zuließen. Verantwortliche der Personalabteilung wechseln während des Auslandseinsatzes selbst die Position und mit ihnen gehen Kontakte und Wissen verloren. Ausreisende schätzen oft die Tragweite dessen, was ihnen ihr Unternehmen vor der Ausreise für die Rückkehr sagt, falsch ein und verlassen sich auf Zusagen, ohne selbst einen Zwischencheck vorzunehmen.

Also nicht der Auslandseinsatz als solcher und die dabei möglicherweise erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen entscheiden über den weiteren Karriereweg, sondern eine relativ gute Kenntnis der Entwicklung im Stammhaus, die kontinuierliche Pflege persönlicher Kontakte und die für die Stammhausvorgesetzten nachvollziehbaren eigenen Leistungsanteile während der Auslandstätigkeit. Die von den zurückkehrenden Auslandsmitarbeitern erlebten Belastungen entstehen zum Teil auch aus den Diskrepanzen zwischen den Zielsetzungen, die die Personalverantwortlichen in Unternehmen mit einer Entsendung verbinden (z. B. »Horizonterweiterung«, »Erlernen einer Fremdsprache« und »Verhaltensänderungen in Richtung auf stärkere Kundenorientierung«, »internationales und globales Denken und Planen«, »Weltgewandtheit«), und den Vorstellungen, die die Vorgesetzten und Mitarbeiter in den aufzunehmenden Abteilungen über den zurückkehrenden Auslandsmitarbeiter besitzen. Diese im Ausland bei einer geglückten Versetzung erworbenen Eigenschaften sind aus dem Blickwinkel der aufnehmenden Abteilung im Stammhaus nicht unbedingt von zentraler Bedeutung. So kommt es nicht selten zu einer doppelten Dequalifizierung: Zum einen fühlt sich der Auslandsmitarbeiter hinsichtlich seiner im Ausland erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Stammhaus dequalifiziert. Zum anderen haben die Vorgesetzten den Eindruck, dass er während seines Auslandsaufenthalts vieles verlernt hat, die vollzogenen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Entwicklungen nicht in ausreichendem Maß mitbekommen hat und dass er mit seinen neuen »Marotten« eher störend wirkt. So fordern die Vorgesetzten und Kollegen, dass er sich erst wieder an die hier herrschenden Spielregeln gewöhnen und wieder »auf den Teppich kommen« muss, »denn die Sonderrolle, die er hier zu spielen wünscht, können wir ihm nicht zugestehen«. Hinzu kommt eine ambivalente Einstellung, gespeist aus Neid und Bewunderung gegenüber dem erfolgreichen Auslandsmitarbeiter, der auf der einen Seite »sich eine schöne Zeit gemacht hat«, »sich eine goldene Nase verdient hat« und »dort den großen Mann markiert hat«.

Belastungsfaktoren für die/den mitausreisende/n Partner/in Bei anstehenden Auslandsentsendungen gelten oft die Ehefrauen/Partnerinnen als Kulminationspunkte für Probleme. Personalverantwortliche vermuten, dass viele geeignete Mitarbeiter ihretwegen einen Auslandseinsatz ablehnen, Verträge nicht verlängern oder den Einsatz vorzeitig abbrechen. Tatsächlich tragen in vielen Fällen die Ehefrauen/Partnerinnen die Hauptlast einer Auslandsentsendung, zumal von ihnen in der Regel nur Verzichtleistungen, beispielsweise Aufgabe der beruflichen Tätigkeit, Abbruch der sozialen Beziehungen zu ihren eigenen Eltern und Verwandten, Aufgabe des häuslichen und sozialen Umfelds, erwartet werden, ohne dass die Möglichkeiten einer adäquaten Kompensation in Erwägung gezogen werden. Sie sollen dem Mann »den Rücken freihalten«. Außerdem – so sarkastisch es klingen mag – sind es die Frauen, die tatsächlich im Gastland leben, während ihre Männer den größten Teil ihrer Zeit innerhalb der »Insel« ihrer Firma verbringen. Generell wird dennoch den von der mitausreisenden Ehefrau/Partnerin zu bewältigenden Anforderungen bei der Ausreisevorbereitung und Ausreisebegleitung sowohl vom Auslandsmitarbeiter noch vom entsendenden Unternehmen wenig Beachtung geschenkt. Familienangelegenheiten sind Privatsache des Mitarbeiters und gehen die Firma nichts an, ist die gängige Meinung, die zudem noch in Deutschland besonders ausgeprägt ist. Jede Auslandsentsendung greift aber im Unterschied zur Arbeit im Heimatland so tief in alle Lebensbereiche des Mitarbeiters ein, dass dadurch die Firma im Grunde die gerade für die deutsche Berufs- und Arbeitskultur so typische, relativ strenge Trennung zwischen Arbeitstätigkeit und Privatleben verletzt. Dies würde eigentlich einer angepassten Beachtung und Behandlung durch die Personalverantwortlichen bedürfen, doch in der Realität besteht hier für viele Unternehmen noch Nachhol- und Handlungsbedarf. Die mit einem Auslandseinsatz sich einstellende neue Lebenssituation

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und die damit verbundenen Probleme und Leistungsanforderungen für mitausreisende Frauen lassen sich nach den in der internationalen Literatur dokumentierten Forschungsergebnissen und der von Meier (1999) durchgeführten empirischen Untersuchung in folgende vier Bereiche unterteilen: Geographische und landesspezifische Bedingungen Es gilt, mit den folgenden veränderten Bedingungen zurechtzukommen: – Wohngebiete/Lebensraum; Stadt/Land, – Klima, Jahreszeiten, Landschaftsbild, – Umweltverschmutzung, Lärm, Überbevölkerung, – Möglichkeit unvorhersehbarer Naturkatastrophen, – technologischer Entwicklungsstand, Verfügbarkeit von Technologie, – Zeitumstellung, – hygienische Standards, Verschmutzungsgrad, – mangelnde Infrastruktur: Straßen, Einkaufsmöglichkeiten, Energieversorgung, – verändertes, zum Teil mangelhaftes Nahrungsmittel- und Konsumgüteranbot, – ernährungsbedingte Störungen. Hinzukommen können Probleme durch eine vorhandene oder während des Gastaufenthalts eintretende Schwangerschaft, da viele Paare den Auslandsaufenthalt mit einer Babypause verknüpfen. Organisations- und arbeitsspezifische Bedingungen Das für sehr viele Frauen, die in Deutschland berufstätig waren, entscheidende Faktum ist, dass sie im Einsatzland keine Arbeitsmöglichkeit erhalten (FAZ 2000, S. 24). Sie sind also auf die Hausfrauenrolle und eventuell die Mutterrolle beschränkt, eine wichtige Quelle der Anerkennung und Eigenständigkeit geht verloren – und das in einer neuen Umgebung, in der es zunächst keinerlei Kontakte und Unterstützung gibt. Aus dieser materiellen Abhängigkeit kann zunehmend eine psychische werden, die das Paar belastet, wenn es der Frau nicht gelingt, diese Sinnkrise zu überwinden und andere Quellen zur Nährung ihrer individuellen Identität zu finden. Mangelnde Fremdsprachenkenntnisse, die mit Kindern aufgrund der häuslichen Verpflichtungen auch nicht ohne weiteres behoben werden können, beeinträchtigen in erheblichem Maß die Kommunikationsmöglichkeiten, lassen Minderwertigkeitsgefühle und Unsicherheiten entstehen, die noch dadurch verstärkt werden, dass die einheimischen Gesprächspart© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ner in Anwesenheit des Mannes nur ihn ansprechen, einerseits aus beruflichen Gründen, aber auch, weil er in der Regel über bessere Sprachkenntnisse verfügt. Mitausreisende Frauen haben in der Regel mit und ohne Kinder erheblich unter Einsamkeit zu leiden, da der berufstätige Mann im Ausland meist länger arbeitet und oft in eine 6-Tage-Woche eingebunden ist. Hinzu kommen Repräsentationspflichten. Der Ehemann ist also selten verfügbar. Kinder im Vorschulalter oder auch noch im schulpflichtigen Alter nehmen die Ehefrau so erheblich in Anspruch, dass der Aufbau eines neuen Freundeskreises nur schwer oder überhaupt nicht gelingt. Als Kontaktpersonen bleiben dann nur andere deutsche Ehefrauen übrig, die in einer ähnlichen schwierigen Situation sind. Über diese, für die meisten Frauen wichtigsten Themenfelder hinaus kann folgende Aufstellung (Tab. 12) oft genannte Probleme aufzeigen, denen die Frauen im Bereich der organisations- und arbeitsspezifischen Bedingungen gegenüberstehen. Die entsendende Firma trägt meistens durch eine fehlende organisatorische Unterstützung, fehlende persönliche Betreuung und Beteiligung an Entscheidungen und durch das Fehlen finanzieller Unterstützung bei unverheirateten Paaren nicht zur Erleichterung der Situation bei. Soziale Umweltbedingungen Die Palette der zu bewältigenden Leistungsanforderungen ist auch hier weit (Tab. 13). Zu all dem kommt, dass sich in vielen Ländern die in Deutschland übliche Trennung von Berufs- und Privatleben nicht aufrechterhalten lässt: Die Frauen haben in weit größerem Ausmaß als sie das von Deutschland her kennen Repräsentationspflichten wahrzunehmen. Einladungen und Empfänge, Gastgeberverpflichtungen, soziales Engagement in Verbänden, Organisationen und Beziehungsnetzwerken diverser Art unterstützen die Stellung ihres Gatten, die Familie dokumentiert seinen sozialen Erfolg, und doch wird nur, jetzt eben im informellen Rahmen, das Berufsleben fortgesetzt. Personale Bedingungen Dazu können manche Probleme kommen, die die Person als Individuum hat und die sich unter den Bedingungen des Gastlands negativ auswirken: – unrealistische Erwartungen, – negative Einstellungen gegenüber Entsendung, Gastland, Situationsveränderung, – geringe Motivation zur Vorbereitung, Information, Umstellung, Anpassung et cetera,

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– Verschlossenheit (Introvertiertheit), soziale Gehemmtheit, Kontaktscheu,

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geringes Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein, Ethnozentrismus, Rigidität, Mangel an Umstellungsfähigkeit, psychische Labilität, Mangel an Kontrollbewusstsein, Mangel an Strategien oder ungeeignete Strategien zur effektiven Bewältigung der neuen Lebenssituation.

Reintegration Wieder nach Deutschland zurückgekehrt, erleben die Frauen ähnliche Reintegrationprobleme wie ihre Männer, oft aber noch in verstärktem Maß. Während der Mann bei seiner Firma arbeitet, ist es den Frauen oft unmöglich, ihre abgebrochene Berufstätigkeit wieder aufzunehmen. Viele sind sich ihrer noch vorhandenen beruflichen Qualifikationen nicht sicher und trauen sich oft nicht mehr, in das vorherige Berufsfeld einzusteigen. Die einmal akzeptierten Verzichtleistungen scheinen nahtlos ihre Fortsetzung zu finden, zumal ihnen auch von öffentlicher Seite keine Ansprüche mehr zustehen (z. B. Arbeitslosengeld). Die Hauptlast des Umzugs und die erneute Etablierung der Familie (Wohnungssuche, Wohnungseinrichtung, Alltagsorganisation) ist meistens von der Frau zu bewältigen, ebenso die soziale Wiedereingliederung (Nachbarschaft, Freunde) und die erneuten Schulprobleme der Kinder. Werden die Frauen vor ihrer Ausreise mit diesen zu erwartenden Problemen konfrontiert, weil sie als Partnerinnen in die Auslandsvorbereitung miteinbezogen werden und dadurch ein realistischeres Bild von dem Land und dem Leben, das sie erwartet, bekommen, dann führt dies – entgegen der in Firmen verbreiteten Angst – in der Regel nicht zur Revision der Entscheidung, ins Ausland zu gehen. Die Diskrepanzen zwischen Erwartung und Wirklichkeit im Gastland lassen sich so vielmehr reduzieren und effektive Problemlösungsstrategien entwickeln. Das kann aufgrund der vorliegenden Untersuchungen (Black u. Gregersen 1990, 1991) zu den hier angesprochenen Problemen und der von Schroll-Machl (1997) gesammelten Erfahrungen geschlussfolgert werden.

Belastungsfaktoren für Kinder Bei vielen Expatriates besteht die mitausreisende Familie aus einem oder mehreren Kindern, von denen ebenfalls Umstellungs- und Anpassungsleistungen verlangt werden.

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Auffällig ist, dass es über die Situation mitausreisender Kinder bisher kaum spezielle wissenschaftliche Arbeiten gibt. Eine Literaturanalyse aus dem Jahr 1999 erbrachte lediglich drei relevante Literaturhinweise im deutschsprachigen Raum (Brinkama, o. J.; Lamberts 1984; Simon-Hohn 1992), wobei es sich dabei nur um Beobachtungs- und Erfahrungssammlungen und Diskussionsergebnisse, nicht aber um Resultate systematischer wissenschaftlicher Forschungen handelt. In der internationalen Literatur gibt es allenfalls Hinweise auf die Situation mitausreisender Kinder im Kontext der Analyse entwicklungsbedingter Aspekte interkultureller Identität (Kim 1995) und kultureller Anpassung (Torbiörn 1982). Aufgrund der altersabhängigen Entwicklung personaler und sozialer Identität vermuten die Autoren, dass Kinder unter neun Jahren den Wechsel in eine fremde Kultur und die damit erforderliche Anpassung an eine neue Umgebung wegen der bei Kindern dieser Altersgruppe noch nicht so gefestigten zentralen Identität relativ problemlos vollziehen. Außerdem sind ihre primären Bezugspersonen die Eltern und wenn die Beziehung zu ihnen gelingt, ist die Gefühlslage der Kinder überwiegend positiv. Demgegenüber würde bei Kindern und Jugendlichen höherer Altersgruppen ein so gravierender Ortswechsel und Verlust der bisherigen sozialen Bindungen zu nachhaltigen sozialen und kognitiven Problemen führen. Sie stehen nämlich vor der Aufgabe, sich neue Freunde zu suchen und sich in ein neues Schulsystem einarbeiten und eingewöhnen zu müssen. Gaschik (1999) stellte in einer Studie die von Kindern und Jugendlichen geschilderten Erfahrungen mit dem Verlauf des Akkulturationsprozesses im jeweiligen Einsatzland ihres Vaters und die damit verbundenen Anpassungsschwierigkeiten zusammen und konnte dabei sechs unterschiedliche Akkulturationsdomänen unterscheiden (Tab. 14). Probleme in der Domäne der physikalischen Umwelt wurden nur als leicht belastend erlebt. Bei diesen Problemen entziehen sich Ursachen der Beeinflussung und Kontrolle durch die mitausreisenden Kinder und Jugendlichen (Klima, Wohnsitz, Hausgehilfen etc). Wenn hier Schwierigkeiten auftreten, so werden sie meist durch trotziges Verhalten, Gewöhnung, Akzeptanz und resignatives Hinnehmen bewältigt. Probleme in den Anforderungsbereichen soziale Umwelt und sprachliche Akkulturation werden dagegen von Kindern und Jugendlichen als schwer belastend empfunden, das heißt sie wirken stark auf ihr emotionales Befinden ein. Ihre Zufriedenheit hängt sehr eng zusammen mit der Möglichkeit, befriedigende soziale Kontakt aufzunehmen. Der auf ihnen lastende Leidensdruck in der Vorbereitungs- und Anpassungsphase besteht hauptsächlich in dem Verlust ihrer bisherigen vertrauten sozialen Umgebung, ihrer Freunde und Spielkameraden und der mit der Ausreise verbundenen Angst, nicht so schnell neue Freundschaften schließen zu können. Die Erfahrung zeigt, dass gerade in der Anfangszeit die Schule der Bereich ist, in © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Tabelle 14: Akkulturation bei Kindern und Jugendlichen Akkulturationsdomänen Akkulturationsschwierigkeiten physikalische Umwelt

– klimatische Umstellungsleistungen – Ernährung – Verkehr und erhöhte Luftverschmutzung – räumliche Orientierung

soziale Umwelt

– soziale Isolation – Aufbau von Freundschaften – Wechsel der Expatriate-Gemeinde

schulische Umwelt

– Integration in den Klassenverband – Erbringen schulischer Leistungen

Bereich der persönlichen – sozialer Status Lebensgestaltung – Hausangestellte – beschränkter Lebenszirkel aufgrund der Abgeschlossenheit nach außen – Einschränkung der Selbstständigkeit fremdkulturelle Umwelt

– Erkennen und Erlernen fremdkultureller Verhaltensregeln – phänotypische Andersartigkeit – Akzeptanz »extremer« Sitten und Traditionen

sprachliche Akkulturation

– Sprachschwierigkeiten bei der Bewältigung des alltäglichen Lebens – Sprachschwierigkeiten im Kontext sozialer Kontakte – Sprachschwierigkeiten im schulischen Umfeld – Sprachschwierigkeiten im Kulturkontakt

dem am ehesten und leichtesten neue soziale Kontakte entwickelt und Freundschaften geschlossen werden können. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Ausreiseentsendung zeitlich mit dem Beginn des jeweiligen Schuljahrs koordiniert wird. Ziehen Kinder gar öfters mit ihren Eltern um und wechseln mehrmals den Wohnort, dann leiden sie sehr unter der Tatsache, dass die Freunde überall verstreut sind. Besuchsreisen und Telefonate wiegen das nicht auf. Probleme bei der persönlichen Lebensgestaltung und der schulischen Umwelt nehmen eine Mittelstellung ein. Obwohl sie ein tägliches Handlungsfeld darstellen, sind sie für das emotionale Wohlbefinden nicht von erstrangiger Bedeutung. Dennoch ist besonders für Jugendliche die Einschränkung der Selbstständigkeit wichtig, die aufgrund kulturspezifischer Restriktionen, ortstypischer Infrastrukturen und real bestehender Gefahren physischer Unversehrtheit oft unumgänglich ist. Bezüglich der fremdkulturellen Umwelt ist festzuhalten, dass dieser Bereich aufgrund der starken Bindung an Subkulturen im Ausland (z. B. Ausländerkolonie) nur selten relevant wird. Dort, wo er jedoch bedeutsam wird, lassen sich zur Bewältigung der Probleme durchaus aktive Formen

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von Anpassungsleistungen erkennen. Kindern fällt offensichtlich die Anpassung an die andersartigen und fremden Verhaltensweisen in einer anderen Kultur sehr viel leichter als ihren Eltern. Sie sind der Fremdkultur und ihrer Umwelt gegenüber aufgeschlossener und begegnen ihr mit einem höheren Maß an Flexibilität und Bereitschaft zur Umstellung. Die Akkulturationsbereiche stehen dabei in gewissen Wechselwirkungen miteinander: – Es zeigt sich in allen Befragungsergebnissen, dass hauptsächlich bei Kindern und Jugendlichen der Grad, in dem sie die in der Expatriate-Gemeinde vorherrschende Sprache (meist Englisch) beherrschen, für die Bewältigung von Akkulturationsschwierigkeiten und ihre Akkulturationsleistungen in allen Domänen von entscheidender Bedeutung ist. So steht die Bewältigung der Schwierigkeiten im sozialen und schulischen Akkulturationsfeld in einer engen positiven Korrelation zur Beherrschung der (englischen) Sprache, aber auch der nicht schulische soziale Lebensbereich ist davon mitbestimmt. – Neben dem Erlernen der (englischen) Sprache ist der Aufbau sozialer Beziehungsnetze eine zentrale Anforderung im Akkulturationsprozess von Kindern und Jugendlichen. (Dies geht nur, wie erwähnt, wenn sie über fremdsprachliche Kenntnisse, speziell die der Expatriate-Gemeinde verfügen, da sie sich sonst nicht im gewünschten Maß am sozialen Geschehen ihrer Umwelt beteiligen können.) Die Existenz zufrieden stellender sozialer Netzwerke ist, wie viele Untersuchungen zeigen, ihrerseits von entscheidender Bedeutung zum Aufbau des emotionalen Wohlbefindens, gerade bei Kindern und Jugendlichen, und hat darüber hinaus eine positive Wirkung auf die psychologische Adaption, die wiederum verantwortlich ist für die Bewältigung von Akkulturationsproblemen in weiteren der genannten Lebensbereiche. Sind Kinder mehrmals mit ihren Eltern mitgezogen, sind sie vermutlich mehrsprachig: Deutsch, Englisch und mindestens eine weitere Sprache. Jetzt besteht eine andere Gefahr: Sie sind in keiner Sprache richtig zu Hause, auf keinen Fall in Deutsch. Das wird umso problematischer je näher Schulabschlüsse rücken und so manche Eltern finanzieren ihren jugendlichen Söhnen und Töchtern deshalb in Internaten bewusst einige Jahre einen »Ruhepol«. Zu den originär kindtypischen Problemen kommt im Familiensystem für Kinder ein weiterer Stressfaktor: Sie leiden mit, wenn den Eltern die Akkulturation nicht oder nur schlecht gelingt oder wenn gar aus Anpassungsproblemen im Ausland Partnerschaftsprobleme werden. Sie werden nicht selten Symptomträger fremder (elterlicher) Probleme. Rückkehrprobleme werden wiederum bei älteren Kindern berichtet. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Diese beziehen sich hauptsächlich auf die Wiedereingliederung in das deutsche Schulsystem, die Anerkennung von Abschlüssen und Zeugnissen, die im Ausland erworben wurden. Darüber geht oft ein Schuljahr verloren. Wie ihre Väter sind auch Jugendliche enttäuscht, dass ihre fließenden Fremdsprachenkenntnisse und die im Ausland erworbenen Erfahrungen keine gebührende Anerkennung finden. Zudem führt das Erleben eines andersartigen Schulsystems und einer völlig anderen Kultur zu einer relativierenden und kritischen Einstellung bezüglich der Verhaltensgewohnheiten in Deutschland. Beispielsweise wird das Klima in deutschen Schulen als aggressiv, konkurrenzbetont und unfreundlich erlebt, was die Reintegrationsbemühungen nicht gerade erleichtert. Und eventuell haben auch die Kinder und Jugendlichen sich im Ausland daran gewöhnt, zur Elite zu gehören, Oberschichtsschulen zu besuchen und eine herausgehobene Position einzunehmen, und müssen sich nun in Deutschland daran gewöhnen, in eine ganz normale Schule zu gehen und ein Kind unter vielen zu sein.

2.9.3 Unterstützungsfaktoren Was hilft? – Strategien des Akkulturationsmanagements Sowohl in der wissenschaftlichen Literatur wie auch in den Interviews von Schroll-Machl (1997; 2002) werden neben Belastungsfaktoren auch personale und soziale Einflussfaktoren genannt, die helfen, die Ausreise- und die Reintegrationsbelastungen zu bewältigen (Kühlmann u. Stahl 1995; Hickson 1994; Winter 1996; Napier u. Peterson 1994; Harvey 1989; Gundlach u. Hilmes 1987; Gomez-Mejia u. Balkin 1987; Martin 1986; Austin 1986). Dazu gehören vorrangig: – Das gezielte Üben der Fähigkeit, mit Unvorhergesehenem, unverständlich Erscheinendem und Widersprüchlichem zurechtzukommen. – Verstärkung aller Faktoren, die zum Wohlbefinden beitragen, die der Entspannung dienen und Kulturschockreaktionen vermindern. – Gezielte und bewusste Suche nach sozialen Kontakten und sozialer Unterstützung im familiären, nachbarschaftlichen und berufsbedingten Arbeits- und Lebensumfeld, und zwar sowohl in der Gruppe der Deutschen, wie der anderer internationaler Gäste wie der der Einheimischen. – Einsatz gezielter Strategien zum Erhalt und zur Erhöhung der eigenen Kontrolle über die neuartigen Arbeits- und Lebensbedingungen und zum Erreichen der Kontrolle über die eigene Situation – also zur Verfestigung der Kontrollsicherheit –, zum Beispiel durch das Erlernen der

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Sprache, das Sammeln von Informationen über das Gastland und die kulturspezifischen Orientierungssysteme seiner Bewohner sowie das Einüben kulturangemessenen Verhaltens. – Aktivierung produktiver kognitiver Umstrukturierungsprozesse, die darauf abzielen, neuen, unerwarteten und unvertrauten Situationen etwas Positives abzugewinnen, um aus ihnen zu lernen. Zur Bewältigung von Akkulturationsproblemen und Kulturschock werden in der Literatur und von betroffenen Auslandsmitarbeitern immer wieder Persönlichkeitseigenschaften thematisiert, die entweder schon vorhanden sind oder deren Entwicklung von zentraler Bedeutung ist: hohe Sensibilität für andere Menschen, Toleranz, Geduld, Interesse an der anderen Kultur, Respekt und Wertschätzung der fremdkulturell geprägten Umwelt und Verhaltensweisen, Tolerieren und Ertragen widersprüchlich erscheinender Verhaltensweisen der Menschen im Einsatzland (Ambiguitätstoleranz), Durchhaltevermögen und Ausdauer sowie Offenheit für den anderen, verbunden mit einem gewissen Maß an Bescheidenheit und Zurückhaltung. Dabei erfolgt die Anpassung an die neuen Lebensverhältnisse nicht plötzlich und in einem relativ kurzen Zeitraum, sondern prozesshaft und über einen mehr oder weniger langen Zeitraum hinweg. In beruflicher Hinsicht erweisen sich für den Expatriate folgende Punkte als wichtige Unterstützungsfaktoren: – Einheimische Geschäftspartner und Mitarbeiter bringen ihnen Akzeptanz, bei echtem Interesse und Bemühen um sie und ihr Land, vielleicht sogar Sympathie entgegen. – Die eigene Firma und andere Deutsche im Gastland unterstützen sie. – Zudem verschafft ihnen der im Ausland meist größere Freiraum im Beruf Spaß, Spannung und Bereicherung. Begleitende Partner und Partnerinnen nennen als Verarbeitungsstrategien für ihre schwierige Situation: – Die Wohnung konnte so eingerichtet werden, dass sie ein echtes Zuhause darstellt. – Die Akzeptanz der Rolle der ausschließlichen Ehefrau gelingt: Die Frau kann lernen, ein gewisses Maß an Selbstwert aus sich heraus zu erlangen, statt ihn von der Bestätigung durch andere abhängig zu machen. – Selbstsicherheit und Selbstachtung werden mit den unterschiedlichsten gezielten Aktivitäten, Leistungen und Kompetenzen zurückerobert. – Es gelang, doch ein eigenständiges Ziel im Auslandsaufenthalt zu entdecken, das der Frau persönlich wichtig ist und dem Auslandsaufenthalt Sinn gibt. So schaffen es viele Frauen, mit Kreativität Lösungen zu finden, wie sie zumindest ein paar Stunden (berufs)tätig sein können. An© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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dere entdecken für sich Hobbys, die sie kultivieren und in die sie nun endlich einmal viel Zeit investieren können. Wieder andere gehen auf Entdeckungsreisen im Gastland. Eine weitere Gruppe schafft es, über die Botschaft oder eine Organisation doch einen Job zu erhalten. – Kontakte sind von großer Wichtigkeit: eigene Landsleute, andere internationale Gäste, Einheimische, Clubs, Nachbarn, Firmenangehörige, Bekannte aufgrund der diversen Aktivitäten. – Manche Frauen entwickeln sich zu richtigen Kulturexpertinnen des Gastlands durch Reisen, Lektüre und ihre Bediensteten, die sie als eine Chance nützen, um in die Kultur des Gastlands einzudringen, nähere Kontakte zu schließen und über das Leben der Leute im Gastland etwas zu erfahren. Im Zusammenhang mit der Frage, was Kinder und Jugendliche als hilfreich für die Bewältigung des Prozesses der Akkulturation an die neue Umwelt wahrnehmen, konnten als wichtige situative Faktoren die soziale Unterstützung des familieninternen Netzwerks, die soziale Unterstützung durch die Peergroup und die Möglichkeit, eine ausgefüllte und interessante Freizeitgestaltung vornehmen zu können, identifiziert werden. Von den personenspezifischen Faktoren waren es Offenheit für Neues und bisher Unbekanntes sowie Flexibilität im Umgang mit Fremdheit und Andersartigkeit (Meier 1999). Grundsätzlich ist das A und O einer gelungenen »Familienversetzung«, das bewusste »Ja« aller Beteiligten. Das muss allen, den Entscheidern in den Firmen genauso wie den Betroffenen selbst, klar sein. Als Personalverantwortlicher führe ich viele Versetzungsgespräche. Ich bin erstaunt, wie oft dabei die Familie unter den Teppich gekehrt wird. Ich habe den Eindruck in vielen Fällen, dass die Männer sich entschieden haben: Ich gehe dorthin. Was das für die Familie bedeutet, das wollen sie nicht sehen. Da dominieren sie einfach. Ich finde das sehr schade, denn ich weiss um die Probleme gerade für die Familie. Wir akzeptieren eine Ablehnung und wir wissen, dass es eben im Leben Phasen der Mobilität und Phasen der Immobilität gibt. Das würden wir berücksichtigen.

Was bleibt? – Retrospektive Beurteilung der Auslandserfahrungen Ein Auslandseinsatz ist nicht nur mit Belastungen verbunden, sondern wird von den meisten Erwachsenen auch als eine wichtige Phase ihrer Persönlichkeitsentwicklung gesehen. Dies trifft selbst für Auslandsentsendungen zu, die vielleicht fachlich nicht so erfolgreich verliefen wie erwartet. Vor allem wird eine Persönlichkeitsbereicherung durch Horizonterweiterung er-

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lebt. Die Betroffenen nennen als positiven Effekt die persönliche Weiterentwicklung und die Zunahme an Selbstsicherheit und Selbstwertgefühl. Hinzu kommen Gelassenheit, eine optimistischere Haltung, Flexibilität und Toleranz sowie ein höheres Maß an Selbstständigkeit und Durchhaltevermögen. Immer wieder erwähnt und auch durch wissenschaftliche Studien belegt werden die Zunahme an sozialer Handlungskompetenz und Empathiefähigkeit und ein höheres Maß an Sensibilität für andersartige Denk- und Verhaltensweisen (Eder 1996). Ein weiterer Themenkomplex beinhaltet globale Orientierungen und Perspektivenwechsel, die verbunden sind mit einer zunehmenden Offenheit für internationale Zusammenhänge, das Kennenlernen eines andersartigen Kulturkreises (z. B. das Erleben eines Landes der Dritten Welt), das konkrete Erfahren anderer Lebenseinstellungen und die Relativierung der eigenen Vorstellungen von Deutschland und der Welt. Der dritte Themenkomplex umfasst Neugier und Abenteuerlust, wobei der Gewinn darin gesehen wird, einerseits Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Eigenem und Fremdem zu entdecken und andererseits mit dem Neuen fertig zu werden. Als persönlichen Gewinn aus dem Auslandsaufenthalt lassen sich für Kinder und Jugendliche nennen: Die Tatsache, einer Fremdsprache mächtig zu sein und das für die Persönlichkeitsentwicklung wichtige Faktum, schon sehr früh einen anderen Kulturraum, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit in Werten, Normen und Verhaltensweisen in Bezug auf Wohlstand und Armut, und dies im Kontrast zu den deutschen Gewohnheiten, erlebt zu haben. Fremdsprachenkenntnisse und eigene Erfahrungen mit einer völlig anderen Kultur werden von allen als eine gute Ausgangsbasis für die Entwicklung von Interessen und Fähigkeiten an zukünftigen Auslandstätigkeiten bewertet.

Qualifizierungschancen Obwohl die Nützlichkeit eines Auslandsaufenthalts für die Karriereentwicklung allgemein lediglich als möglich angesehen wird, aber keinesfalls als Garantie, erleben viele Auslandsmitarbeiter ihren Auslandseinsatz neben der Entwicklung der Persönlichkeit auch als fachliche Qualifizierung, besonders aufgrund der neuen Aufgaben, die sie zu bewältigen haben. Mein Standpunkt hat sich geändert. Mit dem internationalen Background treffe ich jetzt andere Entscheidungen als vorher, schätze Kosten anders ein und betrachte den Wettbewerbsgedanken neu. Das Thema »Deutschland als Wirtschaftsstandort« kann ich nun von außen sehen.

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Hinzu kommt die Fähigkeit, zurückgekehrt in die deutsche Zentrale, die Probleme mit fremdkulturellen Kooperationspartnern, aber auch ihre Wünsche und Anforderungen besser einschätzen zu können. Im Job kann ich jetzt die aus China kommenden Anfragen besser verstehen und einordnen, weil ich den Hintergrund besser kenne. Wenn ich sie sorgfältig beantworte, habe ich jetzt wirklich das Gefühl, dass ich etwas Sinnvolles tue.

Erweiterte Managementfähigkeiten zeigen sich in der Neugewichtung von Führungskompetenzen, Höherbewertung der sozialen Kompetenz und in der Sicherheit, mit komplexeren Management- und Verwaltungsaufgaben fertig zu werden, in einem höheren Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit – besonders unter schwierigen Arbeitsbedingungen – und allgemein in der Fähigkeit, mit sehr unterschiedlichen Menschen produktiv umgehen zu können. Ich lernte, mit Menschen zu sprechen und sie als Ressourcen zu betrachten. Ich bin offener gegenüber den verschiedensten Menschen und kann unterschiedliche Standpunkte sehen. Ich lernte es, mehr Fragen zu stellen und nicht sofort Antworten zu haben. Somit tue ich mich leichter, unterschiedlichste Menschen so anzunehmen, wie sie sind. Und ich wurde geduldiger und indirekter. Erstaunlich, wie oft das auch in Deutschland nützt.

Interessant ist die Frage, inwieweit ein Auslandsaufenthalt für einen sich daran anschließenden weiteren Auslandseinsatz qualifiziert beziehungsweise dessen Akkulturationsbelastungen verringert. Bei manchen Expatriates entwickelt sich geradezu eine Sucht, einen Auslandseinsatz nach dem anderen zu übernehmen. Die Ursachen dafür sind einerseits erhebliche Reintegrationsprobleme und das Gefühl, sich in Deutschland nicht mehr richtig zu Hause zu fühlen, sondern zu viel Fremdheit in der Heimat zu erleben, und andererseits die mit der Arbeitsaufgabe im Gastland verbundenen Herausforderungen zu meistern sowie das des öfteren angenehme Leben und die relativ selbstständige Tätigkeit im Ausland zu genießen. Im Verlauf wiederholter Auslandseinsätze reduzieren sich die Akkulturationsbelastungen und steigen Sicherheit und Routine, Integrations- und Reintegrationskrisen zu bewältigen. Dem Kulturschock fehlt das Element der Überraschung, die Selbstwertkrise wird von dem Bewusstsein flankiert, dass man es auch diesmal schaffen wird. Der Preis dafür kann freilich heißen: die schleichende Ausdünnung sozialer Kontakte im Heimatland. Der altersbedingte Tod von Eltern und Familienangehörigen, das Erwachsenwerden der eigenen Kinder et cetera führen zudem dazu, dass die Brücken nach Deutschland allmählich abbrechen und nur noch ein Leben und Arbeiten im Ausland übrig bleibt.

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2.9.4 Abschließende Bemerkungen Jeder Auslandseinsatz ist, betrachtet von der Bedingungskonstellation in Heimat- und Gastland, vom Arbeits- und Einsatzauftrag, von der familiären Konstellation, den äußeren Umweltbedingungen, unter Berücksichtigung des Alters, der Lebensphase, der Lebenspläne sowie von Einstellungen und Erwartungen der ausreisenden Personen eher ein singuläres Ereignis. Es ist schon ein Unterschied, ob ein kinderloses (Ehe-)Paar gemeinsam ausreist oder ein Expatriate mit seiner Frau und zwei schulpflichtigen Kindern. Häufig fällt der berufsbedingte Auslandseinsatz in eine Lebensphase, in der die berufliche Entwicklung zwar eine gewisse Konsolidierung erfahren hat, die Familienplanung aber noch ansteht oder in vollem Gang ist. Häufig kommt es dann zu unerwarteten Überforderungen, wenn Schwangerschaft, Erstoder Zweitgeburt mit einem Auslandseinsatz zusammenfallen. Der Aufbau einer eigenen kompletten Familie, die Schwangerschafts-, Geburts- und Nachgeburtsbelastungen, der Umzug, die Akkulturation im Gastland, der Verlust der eigenen beruflichen Tätigkeit und der Neubeginn in einer fremden Kultur haben eine solche Kumulierung von Anforderungen zur Folge, dass sie ohne fremde Hilfe nicht mehr zu bewältigen sind. In solchen Fällen reicht auch ein einmaliges Vorbereitungstraining nicht aus. Erforderlich ist dazu ein auf den Einzelfall abgestimmtes interkulturelles Coaching, das sich der Problematik in seiner ganzheitlichen Dynamik annimmt. Hier hat das entsprechende Unternehmen einerseits eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen teueren Expatriates und kann andererseits einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Personalförderung leisten, da aufgrund der angebotenen Hilfe die mit dem Auslandseinsatz verbundenen Qualifizierungschancen optimiert werden können. Hinzu kommt sicher noch der nicht zu unterschätzende Gewinn an Commitment des Expatriates an sein Unternehmen. Jede professionelle soziale Unterstützung zur Bewältigung dieser Zeit kritischer Lebensereignisse ist eine Gewinn bringende Investition im Sinne langfristiger Personalentwicklung. Eine solche Investition können und sollten sich nicht nur große Unternehmen, sondern auch kleine und mittlere international tätige Firmen und Organisationen leisten. Entsprechende Trainings-, Ausbildungs- und Coachingangebote, die auf den individuellen Einzelfall zugeschnitten sind, bestehen bereits (IKO 2001). Selbstverständlich ist nicht jeder Auslandseinsatz nur eine Ansammlung schwer zu lösender Probleme. Was für den einen dabei als ein unlösbares Problem erscheint, ist für den anderen eher eine Bereicherung. Außerdem wird jeder unterschiedlich gut mit den Belastungsfaktoren fertig. Und keinesfalls ist jeder Auslandseinsatz mit allen hier aufgeführten Belastungsfaktoren verbunden. Grundsätzlich gilt aber: Optimale Bedingungen erlebt der Auslandsmitarbeiter, der mit seiner kompletten Familie ausreist, die

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Akkulturationsprobleme zusammen mit seiner Familie bewältigt und dessen Familienmitglieder (Ehefrau und Kinder) sich ebenfalls am Einsatzort wohl fühlen, sich anpassen können und dem Auslandsaufenthalt positive Seiten abgewinnen. Insgesamt setzt sich in der Literatur und auch in Befragungsergebnissen die Erkenntnis durch, dass dazu eine alle Familienmitglieder umfassende, systematische Vorbereitung auf den Auslandseinsatz ebenso wie eine gezielte Vorbereitung auf die Reintegration in das Heimatland von zentraler Bedeutung sind, wenn dabei nicht nur die fachspezifischen und betriebsspezifischen Aspekte thematisiert werden, sondern dies verbunden ist mit einem gezielten interkulturellen Vorbereitungstraining (Thomas 1995) (siehe Kap. I, 2.2, S. 181 ff.). Viele, vielleicht zu viele, haben nämlich ungenaue und falsche Vorstellungen davon, was auf sie zukommt, wenn sie sich für einen Auslandseinsatz entscheiden. Dies betrifft weniger die rein berufsfachlichen Anforderungen, wohl aber die psychologischen und menschlichen Aspekte der Zusammenarbeit mit den Gastlandbewohnern, des Lebens in einem fremden Land unter ungewohnten klimatischen Bedingungen und die Konsequenzen der Entscheidung für die eigene Familie, vornehmlich die (Ehe)Partnerin und die Kinder. Weil ein Auslandseinsatz für jedes Unternehmer teuer und risikoreich ist, muss er sorgfältig geplant und so weit wie möglich nach allen Richtungen abgesichert sein. Unter diesen Bedingungen wäre zu erwarten, dass die entsendenden Unternehmen in ihrer Verantwortlichkeit für ihre Mitarbeiter unterstützend eingreifen. Sonst kommt es zu einer Polarisierung der Fachund Führungskräfte: Die einen wählen Mobilität zu Lasten der traditionellen Lebensweise mit Familie, die anderen Nichtmobilität zu Lasten der Karriere. Denn der häufigste Grund, weswegen eine Auslandsentsendung abgelehnt wird, ist der, dass es keinen Job für die Partnerin gibt, jedenfalls berichten das immer mehr Personalverantwortliche (»Die Zeit« 1999).

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Alexander Thomas/Sylvia Schroll-Machl: Auslandsentsendungen

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Iris C. Fischlmayr/Sylvia Schroll-Machl: Frauen im internationalen Man agement

Iris C. Fischlmayr/Sylvia Schroll-Machl

2.10 Frauen im internationalen Management

2.10.1 Weibliche Expatriates – noch immer eine Minderheit Die zunehmende Anzahl an globalen Allianzen, die Gründung ausländischer Niederlassungen und internationale Kooperationen zwingen multinationale Konzerne förmlich dazu, die bestmöglichen Mitarbeiter ins Ausland zu versenden – also egal welchen Geschlechts. »In a ferociously competitive global economy, no company can afford to waste valuable brainpower simply because it is wearing a skirt« (Adler 1997, S. 310). Entgegen dieser Aussage sind in der Realität Frauen als Auslandsentsandte jedoch eine Minderheit. In der Forschung nahmen in den letzten Jahren Studien über weibliche Expatriates zu (Adler 1984a; 1984b; 1987; 1994a; Tung 1997; Smith 1999; Harris 1993; 1995; Westwood u. Leung 1994; Marshall 1984; Domsch u. Lieberum 1997; Caligiuri u. Tung 1999; Caligiuri u. Cascio 1998; Linehan 2000; Fischlmayr 2001; Schroll-Machl 2002; Fischlmayr 2002; Mayrhofer u. Scullion 2002). Trotz dieses wachsenden Interesses sind internationale Managerinnen aber noch immer ein wenig erforschtes Phänomen. Ein Grund dafür ist mit Sicherheit, dass Frauen in Managementpositionen nach wie vor rar sind. Im internationalen Bereich sind weibliche Entsandte relativ zu dieser bereits geringen Anzahl betrachtet nochmals stark unterrepräsentiert. In den USA erreicht der Frauenanteil in Managementpositionen zwar »bereits« 40 Prozent (Hantschel 2000), doch als Expatriates machen Frauen magere 10 bis 12 Prozent aus (Tung 1997). In Europa sind laut einer Studie über Mobilität (ECA 1996) bloß 9 Prozent der Auslandsentsandten Frauen, wobei hier keine Unterscheidung zwischen Managern und Nicht-Managern getroffen wird. Daten über den Anteil von Frauen im Management beziehungsweise über weibliche Auslandsentsandte in Österreich und Deutschland zu finden, gestaltet sich als schwieriges Unterfangen. In Österreich sind laut Untersuchungen 5 bis 8 Prozent der Auslandsmanager weiblich (KF-Uni-Graz 1998; Fischlmayr 2001), obwohl Frauen 22 Prozent der »Positionen in Administration und Management« innehaben (ILO 1998). In Deutschland sind 25,1 Prozent aller Führungskräfte über sämtliche Ebenen hinweg Frauen (Hantschel 2000), auf der mittleren Managementebene sind es

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nur noch 8,2 Prozent (Schaufler 2000), in den oberen Ebenen sind Frauen kaum mehr zu finden (Assig 2002), zum Anteil der ins Ausland entsandten Frauen liegen keine Zahlen vor, die Relation dürfte tendenziell jedoch bei allenfalls 5 Prozent liegen. In der Literatur ist festzustellen, dass Artikel über »Female Expatriates« in der Regel von Frauen für Frauen geschrieben sind und daher oftmals als vermeintlich tendenziös wenig Gehör finden. Ein weiteres Merkmal von Studien über weibliche Auslandsentsandte ist, dass sie hauptsächlich von amerikanischen Autoren verfasst sind und somit auch vorwiegend für diesen Raum Gültigkeit aufweisen. Untersuchungen über einzelne europäische Länder sind kaum zu finden. In Deutschland und Österreich existieren nur einige wenige Forschungsarbeiten über weibliche Auslandsentsandte (Domsch u. Lieberum 1997; Fischlmayr 1999; Fischlmayr 2001; Hofbauer 2002; Schroll-Machl 2002; Fischlmayr 2002; Mayrhofer u. Scullion 2002). Forschungsergebnisse und Daten umfassen hierbei den Entsendungsprozess selbst (von der Rekrutierung bis zur Rückkehr ins Heimatland) sowie Erfahrungen zum Thema Frausein im internationalen Geschäftsleben (Geschlechtsvergleich, Schwierigkeiten, Vergleich mit dem Heimatland, Beispiele für Alltagssituationen u. Ä.). In der Folge werden ausschließlich Themen diskutiert, welche speziell für weibliche Entsandte von Relevanz sind. Generelle Ausführungen zum Thema Expatriation sind dem vorherigen Kapitel zu entnehmen.

2.10.2 Zentrale Ergebnisse von Gender-Studies In der englischsprachigen Forschung wird zwischen »Sex«, dem biologischen Geschlecht, und »Gender«, der sozial erlernten Geschlechtsrolle, unterschieden. Beides wird im Alltag permanent miteinander vermischt, also »gender« für »sex« gehalten und umgekehrt. So haben viele Menschen Meinungen über andere, die rein auf deren Geschlechtszugehörigkeit (»sex«) basieren, wobei hier Frauen in der Regel weniger vorteilhaft betrachtet werden als Männer. Solchermaßen geschlechtsspezifische Stereotype (»gender«) schreiben Männern und Frauen bestimmte Rollen, Verhaltensweisen, Eigenschaften oder Lebensstile zu. Als typisch »weiblich« gelten beispielsweise: emotional, teamorientiert, nett, freundlich, warmherzig, verständnisvoll, hilfsbereit, sensibel, intuitiv, taktvoll. Männern teilt man im Gegenzug oft folgende Attribute zu: aggressiv, stark, rational, unabhängig, wettbewerbsdenkend, selbstsicher, analytisch und entschlossen (Bem 1974; Wilson 1995). Von Kindesbeinen an zeigen Menschen beiderlei Geschlechts

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eine gewisse Sensibilität für ihre Rollen in der Gesellschaft und reflektieren sie in ihren Wahrnehmungen und Bildern über das eigene Ich. Geschlechtsrollenkonformes Verhalten, in der Sozialisation erlernt und verstärkt, bestätigt und verfestigt diese allgemein bekannten Stereotype. Die Selbstwahrnehmung und die von der Gesellschaft zugeschriebene Rolle schlagen sich auch stark in der Sprache nieder. Männer sprechen eher über Zahlen, Fakten, Resultate und konfrontieren andere mit abgeschlossenen Tatsachen. Beruflich agieren sie nach dem Prinzip »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst« oder »Was zählt, ist den Job zu bekommen. Dann steht genug Zeit zur Verfügung, um seine Kompetenzen zu beweisen«. Frauen sprechen oft im Passiv oder der Es-Form, benutzen indirekte Formulierungen und viele Fragestellungen, was von gering ausgeprägtem Durchsetzungsvermögen zeugt. Beispiele von Frauen in Führungspositionen, die dies bestätigen: »Es ist schwierig, überhaupt ausgewählt zu werden« oder »Man wird förmlich dazu gezwungen, arrogant zu werden« (Oppermann u. Weber 1995; Ehrhardt 2000). Die Geschlechtsrollenstereotype und das geschlechtsrollenkonforme Verhalten haben auch für Organisationen Konsequenzen, indem fähige Frauen sehr oft als nicht ebenbürtig ihren männlichen Kollegen gegenüber betrachtet, ausgewählt oder belohnt werden. Stereotypisierung kann zu Diskriminierung werden, wenn Frauen von Vorgesetzten oder Kollegen aktiv in ihren Karrierewegen behindert werden. Bei Personalentscheidungen wird dies in geringerer Vergütung, schlechteren Entwicklungschancen oder strengerer Kontrolle reflektiert (Aronson 1994; Wilson 1995; Caligiuri u. Cascio 1998).

Konsequenzen bei der Personalauswahl für Führungspositionen Bei Personalmanagern besteht die Tendenz, Kandidaten und Kandidatinnen auszuwählen, die ihnen selbst ähnlich sind. Da in Toppositionen Männer vorherrschen, erklärt dies die männliche Dominanz nicht nur, sondern festigt sie auch. Andere Männer werden sozusagen als »in-group«-, Frauen als »out-group«-Mitglieder betrachtet (Schein 1975; Aronson 1994; Harris 1995). Aber auch Faktoren wie der Prozentsatz an Frauen im Gesamtpool von potenziellen Kandidaten beeinflussen teilweise die Entscheidung der Personalmanager (Heilmann 1980; Aronson 1994; Perry et al. 1994). Doch Verantwortliche zögern auch, Frauen auszuwählen, da diese selten Teil von Machtnetzwerken sind. Diese informellen Machenschaften spielen im Selektionsprozess eine signifikante Rolle, sowohl im In- als auch im Ausland. Frauen sind normalerweise nicht Teil solcher Gruppierungen, da sie lange Zeit keinen Zugang dazu hatten. Weil sie aber nicht als förderungswürdig

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oder als potenzielle Kandidaten für Toppositionen angesehen wurden, gab es für die Männer auch keinen Grund dafür, sie einzubinden (Rizzo u. Mendez 1990; Harris 1995). Es besteht jedoch die Vermutung, dass mit der zunehmenden internationalen Erfahrung von Frauen auch ihr Anteil in Toppositionen im Inland steigen wird, was wiederum die Quote an weiblichen Expatriates heben wird (Fischlmayr 2001). Fazit: Personalmanager haben oftmals Geschlechtsstereotype in ihren Köpfen, welche ihre Entscheidungen bei der Personalauswahl maßgeblich beeinflussen.

Konsequenzen für Selbstbild und Selbstdarstellung von weiblichen Auslandsentsandten Nicht nur die Stereotype der Personalmanager, sondern auch die geringere Bereitschaft, einer Auslandsentsendung zuzustimmen, und genderkonformes Verhalten sind erwiesene Gründe, warum weibliche Expatriates in Managementpositionen noch immer sehr rar sind. Erfahrungsberichte und die Analyse von Entsendungsprozessen jener Frauen, die trotz der genannten Hindernisse ausgewählt wurden, zeigen, dass durch eine Verhaltensänderung bei den Frauen selbst der Anteil an weiblichen Auslandentsandten maßgeblich gesteigert werden könnte. Nachfolgende Beispiele sollen dies illustrieren. Wenn weibliche Expatriates nach den Gründen befragt werden, warum gerade sie als Kandidatin auserwählt wurden, dominieren bei Frauen Kommentare wie »Glück«, »richtige Person am richtigen Ort« oder »es war niemand anderer vorhanden«. Worte wie »Kompetenz«, »Wissen«, »beste Person für den Job« sind selten Bestandteil weiblichen Vokabulars, werden jedoch häufig von Männern als Auswahlgründe angeführt. Mit diesem Verhalten mindern Frauen jedoch selbst ihr Image. Außerdem kann man feststellen, dass Frauen dazu tendieren, ihr Berufsleben an das Privatleben, genauer gesagt an das Leben ihres Lebenspartners anzugleichen. Dies wird in gewissen Aussagen deutlich: »Ich bin schon damit einverstanden, dass die Firma mich für ein paar Monate entsendet. Aber dies würde auch bedeuten, meinen Partner für längere Zeit zu verlassen, und steht für mich daher außer Diskussion.« Für ihre Situation besonders treffend, wenn auch überzeichnet, hat eine Managerin formuliert: »Verheiratete Frauen tendieren dazu, ihr Leben nach dem ihres Mannes zu richten. Normalerweise gibt es auch keine Diskussion darüber, wenn der Mann derjenige ist, der ins Ausland gehen möchte. Aber kaum ist es die Frau, verändern sich die Dinge« (Fischlmayr 2002).

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Wenn Männer über ihren vergangenen Erfolg berichten, berichten sie stolz über ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche finanzielle Anerkennung und weitere Karriereschritte zur Folge hatten. »Ich kann . . .«, »Ich weiß . . .« reflektieren typischerweise männliche Einstellungen. »Ich glaube, dass ich eventuell . . . könnte . . .«, »Ich denke, dass . . ..«, »Man könnte annehmen . . .« oder »Vielleicht sollte . . .« sind hingegen vorwiegend weibliche Statements. Frauen mindern dadurch oft selbst ihren Wert, indem sie Zufall, Glück oder die Einfachheit der Aufgabe betonen (Fischlmayr 2001; 2002). Wenn sie über ihren vergangenen Erfolg sprechen, gebrauchen Frauen weniger persönliche und weniger dauerhafte Ausdrücke. Sie übermitteln dem Gesprächspartner dadurch eher ein schwaches Selbstbild, als dass sie ihre individuelle Leistung hervorheben. Frauen unterliegen immer wieder einer falschen Selbsteinschätzung und zeigen mangelndes Selbstvertrauen. Einige Frauen benutzen vorwiegend Charme und machen sich dann manchmal im Nachhinein Sorgen, zu viel ihrer wahren Gedanken, Gefühle und Ängste preisgegeben zu haben (Marshall 1984; Wilson 1995; Oppermann u. Weber 1995). Die Folge ist, dass Frauen oft Gefühle, Kommunikationsfähigkeit oder Empathie negieren (Rizzo u. Mendez 1990). Ihr Verhalten ist angepasst, sie übernehmen die Meinungen anderer und verstecken dabei ihre eigene, verleugnen sich selbst, verlernen es, Ideen zu kreieren und erscheinen teilweise sogar hilflos. Dass gerade in Eloquenz, Feinfühligkeit, der Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen, Intuition, Netzwerkdenken oder dem Interesse an anderen Menschen ihre Wettbewerbsvorteile liegen, wird von Frauen selbst oftmals nicht erkannt. Sie möchten eher bescheiden wirken, zeigen keinen Stolz über ihre erbrachten Leistungen und können Komplimente nur schwer annehmen. Doch bloß durch das Zulassen von Lob und Anerkennung können sie lernen, sich selbst Respekt entgegenzubringen und selbstsicher aufzutreten (Aronson 1994; Ehrhardt 2000). Genau dies scheint für Auslandsjobs besonders wichtig zu sein, da eine positive Korrelation zwischen Selbstvertrauen, kultureller Anpassung und beruflicher Leistung nachgewiesen werden kann (Caligiuri u. Cascio 1998). Sich selbst mindernde Verhaltensweisen verhindern, dass Frauen für einen wichtigen Job im Ausland ausgewählt werden. Fazit: Frauen sind oft ihr eigenes Karrierehindernis, vor allem wenn sie sich zu sehr nach geschlechtskonformen Rollenbildern verhalten und diese dadurch in den Köpfen anderer bestätigen und verfestigen.

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2.10.3 Bereitschaft zu einem Auslandseinsatz Die wohl bekanntesten Beiträge zu weiblichen Expatriates stammen von Nancy Adler, welche aufgrund ihrer Studie (1994a) drei Mythen formulierte, warum Frauen nicht als Managerinnen ins Ausland geschickt werden: 1. Frauen wollen nicht ins Ausland gehen und eine internationale Karriere machen. 2. Firmen weigern sich, Frauen ins Ausland zu entsenden. 3. Die Vorurteile, die es im Ausland gegenüber Frauen gibt, lassen Frauen nicht effektiv sein. Während sich Mythos Nummer 1 mit den Motiven befasst, ist bei den Mythen 2 und 3 zu fragen, auf welche Barrieren Frauen beim Auslandseinsatz tatsächlich stoßen. Adler selbst widerlegte Mythos 1, da in ihrer Studie von MBA Studenten beiderlei Geschlechts gleiches Interesse für einen Auslandseinsatz gezeigt wurde. Yurkiewicz und Rosen (1995) hingegen, die unter potenziellen Kandidaten die generelle Bereitschaft zu einem Auslandseinsatz testeten, fanden heraus, dass Männer generell schneller und einfacher einem Einsatz zustimmen. Diese unterschiedlichen Ergebnisse könnten daher resultieren, dass es als Student einfacher ist, generelle Bereitschaft zu signalisieren denn als potenzieller Expatriate in einer konkreten Job- und Familiensituation. Die Gründe, warum Auslandsofferten abgelehnt werden, liegen meist in den Familien – die Nicht-Bereitschaft des Partners mitzukommen, dessen eigene Karriere, Bedenken über die Schulbildung der Kinder oder kulturelle Vorbereitung für den Partner (Yurkiewicz u. Rosen 1995; Brett u. Stroh 1995; Fischlmayr 2001). Dass dieses Problem Männer wie Frauen in gleichem Ausmaß betrifft, vor allem durch die steigende Anzahl an »Dual Career Couples«, wenn beide Partner eine eigene Karriere haben, wird selten bedacht (Reynolds u. Bennett 1991; Smith 1999). Fazit: Die Zusage zu einem Auslandseinsatz hängt bei Männern und Frauen gleichermaßen von mehreren Faktoren als der bloßen eigenen Basisbereitschaft ab.

2.10.4 Auswahlprozess Da der Verlauf des Selektionsprozesses als ein Grund für die Unterrepräsentanz der Frauen im internationalen Management genannt wird, untersuchte Harris (1999), unter welchen Umständen Frauen zumindest gleiche

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Chancen wie Männer haben, um für einen Job ausgewählt zu werden. Die Resultate zeigen, dass in geschlossen-formellen sowie in geschlossen-informellen Systemen die größte Wahrscheinlichkeit für Gleichbehandlung der Geschlechter in der Auswahlphase besteht. Das heißt, je klarer die Kriterien definiert sind und je mehr die Personalverantwortlichen selbst für die Auswahl der Kandidaten verantwortlich sind, umso eher sind Frauen als Auslandsentsandte zu finden. Aus anderen Untersuchungen (Fischlmayr 2002) geht jedoch hervor, dass die Realität sich von der Theorie zu unterscheiden scheint, denn kaum eine Frau wurde im Zusammenhang mit einem formellen Bewerbungsprozess (bestehend aus formeller Ausschreibung, schriftlichen Bewerbungen, Bewerbungsgesprächen, Auswahl der bestgeeigneten Person) ausgewählt. In der Realität überwiegen bei der Rekrutierung von Personal für Auslandseinsätze informelle Prozesse, viele Frauen bitten förmlich darum, entsandt zu werden, hegen also den Wunsch, in eine bestimmte Auslandsniederlassung geschickt oder versetzt zu werden: »Ich bin nicht entsandt worden, sondern habe zig-mal darum gebeten, nach Italien geschickt zu werden, da mein Mann Italiener ist.« Das Faktum, dass Frauen fragen und Männer gefragt werden, bringt erstere sofort in eine schlechtere Position als ihre Mitstreiter. Fazit: Während Männer gefragt werden, fragen Frauen nach einer Entsendung ins Ausland.

2.10.5 Die Situation entsandter Frauen Adlers zweiter Mythos, dass Firmen zögern, Frauen ins Ausland zu entsenden, ist Realität (Adler 1994a). Gefragt, warum, lauten die Antworten: – Frauen begegnen im Ausland besonders gravierenden Vorurteilen seitens der Vorgesetzten, der Mitarbeiter, der Kollegen und Kunden. – Die Probleme einer Doppelkarriere sind unüberwindlich. – Man sorge sich um den physischen Zustand und die Gefährdung von Single-Frauen. Mythos Nummer 3, die Vorurteile, die es im Ausland gegenüber Frauen gibt, lassen Frauen nicht effektiv sein, entpuppt sich als falsch (Adler 1984b; 1987). In der Realität haben die meisten entsandten Frauen großen Erfolg, sie werden akzeptiert, sie nützen ihre interpersonalen Fähigkeiten und sie profitieren sogar davon, Frauen zu sein. Zudem erweisen sich die eigenen Landsleute als vorurteilsbehafteter als die Einheimischen im Gastland.

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Im Folgenden werden Forschungsergebnisse zu den in diesen beiden Mythen enthaltenen Vorbehalten vorgestellt. Es wird der Frage nachgegangen, mit welchen Problemen Frauen typischerweise bei einem Auslandsaufenthalt wirklich konfrontiert sind, aber auch, wie sie diese bewältigen und welche Elemente sich dabei als hilfreich erweisen.

Das Problem der Doppelkarriere Mehr und mehr Paare leben in einer Partnerschaft, in der beide eine Karriere verfolgen und nicht bereit sind, den Beruf aufzugeben (Dual Career Couples). Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass Firmen bei einem Dualcareer-Problem, wenn es sich bei einem Mann stellt, eher bereit sind, nach Lösungen zu suchen, dass sie aber Frauen wegen genau derselben Probleme nicht ins Ausland entsenden wollen (Harris 1995; Adler 1984b; Smith 1999). Zweifellos sind bei einer Entsendung die Dual-career-Schwierigkeiten sehr groß, weil zum Beispiel fast alle Länder außerhalb der EU nicht beiden Partnern eine Arbeitserlaubnis geben und weil dort, wo es möglich ist und gelingt, die Koordination von zwei Karrieren aufwändig ist (Punnett et al. 1992; Caligiuri u. Cascio 1998; Westwood u. Leung 1994; Fischlmayr 2000). Während im Fall der Entsendung eines Mannes die Aufgabe der eigenen Karriere von der Partnerin fast selbstverständlich erwartet wird, sind begleitende (Ehe)Männer sehr rar, weil diese nur selten nicht die Hauptverdiener sind oder sich »gar« als Hausmann betätigen.

Vorurteile gegenüber Frauen in der Berufsrolle und im Arbeitsleben Während Firmen zögern, Frauen in bestimmte Länder zu entsenden, und dies mit der Begründung tun, dass sie dort besondere Vorurteile Frauen gegenüber vermuten (Adler 1984a; Caligiuri u. Tung 1999), bewiesen Studien über die Erfahrungen, die entsandte Frauen gemacht haben, etwas anderes: – Es ist vorschnell, davon auszugehen, dass entsandte Frauen keine Akzeptanz finden würden, wenn es keine einheimischen Frauen in Führungspositionen gibt. – Die Leistung ist ausschlaggebend, nicht das Geschlecht (Taylor u. Napier 1996; Adler 1984a, 1987; Westwood u. Leung 1994; Izraeli et al. 1980). Das wider Erwarten verblüffende Ergebnis lautet also: Eine entsandte Frau im Management einer ausländischen Firma wird durchaus anerkannt! Des Rätsels Lösung liegt in der Rolle »Gast« und in der Rolle »Führungskraft«

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(Schroll-Machl 2002). Eine Expatriate-Frau wird nämlich in erster Linie als ausländische Person in einer hohen Position wahrgenommen und erst in zweiter Linie als Frau (Adler 1984a). Das verändert die Einstellung zu ihr als Frau nachhaltig (Izraeli et al. 1980) und es besteht, wenn sie ihrer Aufgabe nachkommt, kein Anlass, sie nicht zu respektieren. – Als Ausländerin ist eine Auslandsentsandte zunächst einmal Gast. Das heißt, sie wird vor allem als nicht zur heimischen Kultur zugehörig empfunden und erhält einen Sonderstatus, eben den des Gasts. Sie hat einen Ausländer-Bonus, ihr wird viel Freiraum zugestanden und Toleranz für ihren (teils von der einheimischen Kultur sehr abweichenden) Lebensstil entgegengebracht (z. B. Kleidung, Frisur, Wohnung). Man weiß, die Entsandte kommt woanders her und hat eine andere Sozialisation erfahren. Diese Rolle beinhaltet Zuschreibungen wie »weiß«, »europäisch«, »westlich«, »privilegiert« und ruft auf der Gastgeberseite landestypisches, korrespondierendes Verhalten hervor. Das Frausein ist dabei sekundär, da sie ja sowieso »völlig anders« ist (Schroll-Machl 2002). – Die Entsandte hat eine Führungsposition inne. In vielen Ländern (von Portugal, über Kroatien, Ungarn, Serbien, Türkei, Argentinien, arabische Länder, Ägypten, Marokko, Indien oder Thailand) ist die Machtposition, die eine Person hat, ausschlaggebender als das Geschlecht; eine Frau in dieser Position ist mitunter schlichtweg eine »Herrscherin«. Diese Macht ist mit dem Status »Führungskraft« gegeben und wird von den Einheimischen nicht aufgrund des Geschlechts unterlaufen, wenn die Person diesen ihr zugeschriebenen Status akzeptiert und ausfüllt. Deshalb berichten viele Frauen, dass sie, wenn sie sich mit deutschen oder österreichischen Männern vergleichen, überhaupt keinen Unterschied in ihrem Wirkungsgrad gegenüber den einheimischen Mitarbeitern spüren: Sie seien voll anerkannt (Schroll-Machl 2002). – Die Machtposition (Führungskraft) wird häufig durch den EntsandtenStatus (Gast) verstärkt. Offizielle Einladungen zu beruflichen Anlässen stellen daher keinerlei Schwierigkeiten dar: Frau ist Repräsentantin, verkehrt mit anderen Repräsentanten und hat dabei unter Umständen sogar Zugang zu landestypischen, offiziellen, beruflichen Männergruppen – die Rollenkombination »ausländische Führungskraft« macht es möglich (selbst in diversen islamischen Ländern) (Schroll-Machl 2002). Frauen berichten infolgedessen weniger über Probleme mit lokalen Mitarbeitern oder Kollegen als über Schwierigkeiten mit der sie entsendenden Firma – ihre Position, ihre Aufenthaltsdauer, den Kommunikationsfluss und die angebotene Position bei der Rückkehr betreffend (Adler 1994a; Harris 1995). Während sie von den einheimischen Männern akzeptiert waren und sich von ihnen durchaus unterstützt fühlten (Adler 1994a; Fischl© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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mayr 2001), hatten männliche Expatriate-Kollegen Schwierigkeiten, die Frauen in der Führungsposition anzuerkennen (Grove u. Hallowell 1997). Weibliche Führungskräfte berichten über viele Machtproben mit Kollegen und Chefs, und zwar je jünger eine Frau ist, umso mehr (Schroll-Machl 2002). In jungen Jahren werden Frauen eher als »Objekt« und »weibliches Wesen« gesehen und behandelt, erst mit zunehmendem Alter nimmt man sie als Persönlichkeit wahr (Fischlmayr 2000). Dazu kommt: Die Signale, die deutsche oder österreichische Chefs und Kollegen in der Behandlung ihrer Mitarbeiterinnen und Kolleginnen aussenden, bleiben nicht ohne Wirkung auf die einheimischen Männer. Viele Männer drängen sich beispielsweise bei diversen Anlässen in den Vordergrund, lassen ihre Kolleginnen in den Gesprächen gern links liegen und rücken sich selbst als gewichtige Persönlichkeiten deutlich ins Blickfeld. Dann widmen sich auch die Einheimischen der deutschen oder österreichischen Frau deutlich weniger, da sie nun erlebt haben, dass sie offensichtlich doch nicht so bedeutsam zu sein scheint, denn sonst würden sich ja ihre eigenen (deutschen) Kollegen und Chefs respektvoller benehmen (Schroll-Machl 2002). Fazit: Wenn Frauen Diskriminierung erfahren, dann eher durch Männer der eigenen Kultur als durch jene des Gastlands.

Frauen sind erfolgreich Adler (1994b) berichtet, dass 97 Prozent der von ihr befragten Frauen im Ausland erfolgreich waren – sowohl nach eigenen Einschätzungen als auch nach objektiven Erfolgsmaßstäben. Der Führungsstil von Frauen mit Betonung der sozialen Komponente stellt in vielen Kulturen einen Erfolgsfaktor dar. Die befragten Managerinnen (Adler 1979; 1994a; Schroll-Machl 2002) hoben hervor, dass es ihnen bei ihrem Führungsstil ganz besonders auf eine Zwei-Weg-Kommunikation und das soziale Klima ankomme: Sie bemühten sich, die Situation auch aus der Perspektive des Anderen zu sehen (Empathie), Respekt zu zeigen, die Aufgaben und die Beziehungsdimension gleichzeitig zu betonen. Dafür nähmen sie sich Zeit, stellten viele Überlegungen an, und all das sei für sie eine entscheidende Komponente erfolgreicher Führung. Sie führten Gespräche, hörten zu und gingen auf die Probleme der Mitarbeiter ein. Sie bemühten sich redlich, teamfähig zu sein, die Erfahrung der Einheimischen einzubeziehen und die Standpunkte weitestgehend aufeinander abzustimmen. Außerdem, so berichten sie, hätten sie weniger das Gefühl, sich etwas zu vergeben, wenn sie Zugeständnisse machten (Schroll-Machl 2002). Wenn man bedenkt, dass diese soziale Komponente des Führungsstils eine

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wesentliche Ergänzung zu der im Berufsleben Deutscher (Männer) so weit verbreiteten Sachorientierung darstellt (siehe Thomas et al. 2003, Kap. 2.2.3 Schroll-Machl), ist dies ein zentraler Erfolgsfaktor für Betriebsklima und resultierende Mitarbeitermotivation. Das Feedback der einheimischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gibt den Chefinnen recht. Die häufige Deutung dieses Stils als Schwäche greift im Ausland auf jeden Fall zu kurz. Eine Frau in der Führungsposition einer deutschen Firma fällt auf, weil es außergewöhnlich ist, dass Deutsche eine Frau in eine derartige Position entsenden. Das hat zwei Konsequenzen (Schroll-Machl 2002): (1) Frau erhält Vorschusslorbeeren: Die Frau muss gut sein, sonst wäre sie nicht an dieser Stelle (vgl. auch Adler 1994a). (2) Die Frau wird nicht nur besonders prägnant wahrgenommen, sondern an diese Außergewöhnlichkeit knüpfen sich auch besondere Erwartungen, zum Beispiel die Errichtung neuer Strukturen oder die Bewältigung besonderer Schwierigkeiten. Das geht gut einher mit der Außergewöhnlichkeit einer Chefin, so dass ihr unter Umständen mehr Unterstützung, mehr Hoffnung, mehr Aufbruchsstimmung entgegenschlägt. Aber auch im normalen Alltag sind Mitarbeiter/innen eher bereit, Neuerungen ihrer ungewöhnlichen Chefin auszuprobieren. Frauen können generell solche Gestaltungsfreiräume nutzen, weil sie weniger als Männer vorgespurten Erwartungen ausgesetzt sind, denn die Mitarbeiter haben mit Frauen weniger Vorerfahrung. Frau wirkt exotisch und muss sich daher an das herrschende Ideal weniger anpassen. Weibliche Expatriates sind überaus erfolgreich in Ländern wie Skandinavien oder auch Frankreich, wo Frauen überall in der Arbeitswelt akzeptiert sind (Caligiuri u. Tung 1999). Das ist wenig überraschend, denn dann verfügen auch Frauen über informelle Unterstützungsfaktoren (Netzwerke, gesellschaftlichen Zugang und so weiter) und können sie für den Beruf als Ressourcen nutzen. Fazit: Frauen in internationalen Führungspositionen sind erfolgreich, und dieser Erfolg kann gerade im Ausland zu einem nicht unerheblichen Maß auf weiblichen Eigenschaften und der einfachen Tatsache, eine Frau zu sein, basieren.

Schwierigkeiten als Person und im Privatleben Die von Adler genannten Vorbehalte gegen weibliche Expatriates in ihrer beruflichen Rolle wurden in den zitierten Studien entkräftet. Als Person und im Privatleben dagegen werden von vielen weiblichen Expatriates folgende Probleme berichtet: Frauen leiden mehr unter Einsamkeit und Isolation als Männer (Adler

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1994a; Mendenhall u. Oddou 1985; Linehan 2000; Fischlmayr 2002). Je ausgeprägter die Rolle »Gast« ist, umso größer ist die Kluft zu den Einheimischen und umso mehr Einsamkeit kann mit ihr verbunden sein. Denn die Person wird nicht in erster Linie als die Person wahrgenommen, die sie ist, sondern als Repräsentant einer Firma, eines Landes und einer Funktion und so behandelt (Schroll-Machl 2002). Mit der Machtposition Führungskraft ist ebenfalls oft Einsamkeit verbunden. Private Freundschaften mit Mitarbeitern passen vielfach nicht zur Chefin-Rolle. Sie führen unter Umständen sogar zu Eifersüchteleien. Zudem lädt man in vielen Ländern den Chef oder die Chefin nicht privat ein, sondern wahrt den Abstand; man erwartet aber umgekehrt sehr wohl, dass der Chef oder die Chefin einlädt, und kommt dann gern. Auf derselben Ebene, also mit ihresgleichen, kann frau sich aber oft nicht treffen, weil es ihresgleichen häufig nicht gibt (Schroll-Machl 2002). Obwohl beide Rollen prinzipiell dieselben Dynamiken für Männer mit sich bringen, spüren sie doch Frauen intensiver und leiden mehr darunter. Das mag damit zusammenhängen, dass die Mehrheit der ausreisenden Frauen Singles sind, für die sich die Einsamkeit dann potenziert. Kulturelle Variablen des Gastlands, wie Religion, Traditionen, Gesetze, können einer Frau den Aufenthalt in manchen Ländern erschweren (Caligiuri u. Tung 1999; Solomon 1994; Fischlmayr 2000; Schroll-Machl 2002). – Um Kontakte aufzubauen, ist es unabdingbar, an Rollenvorgaben anzuknüpfen, wie sie das Gastland bereithält. Und dabei sind zwei Muster der Lebensgestaltung förderlich – das Leben als Familie und das Leben als Paar. Einladungen in jeder Richtung können dann ohne weiteres ausgesprochen werden, denn Männer können sich mit Männern, Frauen mit Frauen unterhalten und Kinder mit Kindern spielen. Rollen werden nirgendwo gesprengt oder bedroht. Der gesellschaftliche Zugang ist damit erleichtert oder mitunter überhaupt erst ermöglicht. – Das Single-Dasein ist in vielen Kulturen sehr ungewöhnlich und fremdartig, und zwar über alle Schichten, Bildungsstufen und beruflichen Positionen hinweg. Fragen danach tauchen denn auch allenthalben auf. Es existiert kein Verhaltenskodex, wie mit Singles gesellschaftlich verkehrt werden soll. Sie können keinen Partner mitbringen, und das führt zu einem Ungleichgewicht. Daher sind private Kontakte oft erschwert, Einladungen eventuell sogar inexistent. – Zudem kann es sehr belastend sein, sich alleine im Alltag in einem Land zu behaupten, in dem die gesellschaftlichen Bewegungsräume für Frauen eingeschränkt sind. Die kulturspezifischen Regeln schränken für sie viele Spielräume, wie allein unterwegs zu sein, zu reisen, ins Kino oder in ein Restaurant zu gehen, drastisch ein. Die Entsandte findet sich unter Umständen als die einzige Frau wieder, die das tut. Es gehört Mut dazu, neues Terrain einfach zu betreten. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Single-Frauen können aber auch den Beschützerinstinkt wecken – zumal in mit Sicherheit assoziierten Situationen – und man verhält sich ihnen gegenüber zuvorkommend bis väterlich. Die Sicherheitsbedenken von Personalverantwortlichen hinsichtlich der Gefährdung von Frauen sind also zu einem großen Teil zu entkräften! – Dazu kommt: Das Innehaben einer guten Position und eines guten Einkommens erhöht für Frauen ihren sexuellen Marktwert (im In- und Ausland) nicht in dem Maß wie bei Männern. Im Gegenteil: Die herausgehobene Stellung und die damit verbundene Machtposition erschwert Frauen Partnerschaften mit Einheimischen. Freundschaften zu lokalen Männern wären unüblich bis skandalös; Liebschaften noch mehr. Dagegen erfolgen Einladungen an Single-Männer – allgemein wegen der größeren Bewegungsfreiheit für Männer, aber auch speziell mit eindeutigen Absichten – leichter, öfter, schneller. – Eine gewisse Mischform stellen allein erziehende Mütter dar, denn sie leben zwar einerseits als Single, bilden aber andererseits »irgendwie so etwas wie eine Familie«, so dass über die Kinder eine gewisse Frauennormalität hergestellt wird, die dann Frauenfreundschaften erlauben kann. In der Rolle der Privatperson ist eine Frau, wenn sie in einer Partnerschaft oder mit einer Familie lebt, aber nicht nur mit den fremden Rollenvorstellungen von Frausein des Gastlands, sondern auch mit den eigenen deutschen »schonungslos« konfrontiert (Schroll-Machl 2002). Sie hat innerhalb ihrer Kernfamilie die Rollen zu definieren und in Einklang zu bringen: Partnerschaft, Kinder, Haushalt. Frauen nehmen es dabei deutlich wahr, wenn für ihre Männer die Rolle »mitausreisender Ehemann« nicht leicht ist und sie machen sich Gedanken um die Zufriedenheit ihrer Männer, wenn sich diese eventuell unausgelastet oder abhängig fühlen, psychisch belastet sind und mit ihrem Selbstwertgefühl hadern. Auch das soziale, traditionell geprägte Umfeld (Eltern, Schwiegereltern, Bekannte und Freunde, die deutsche Auslandsgemeinde der anderen Expatriates usw.) betrachten die Frau, das Paar, die Familie als Exoten und erlegen ihnen enormen Erklärungsbedarf und Rechtfertigungsdruck für ein derart »anormales Leben« auf. Die männliche Lösung, ausschließlich in die Karrieristenrolle zu schlüpfen, ist für Frauen deshalb schwerer, weil sie ihr Leben mehr im Gesamtkontext wahrnehmen wollen und der Beruf darin lediglich einen Lebensbereich darstellt: Eine berufliche Karriere, für die die Ehe aufs Spiel gesetzt wird oder für die familiäre Beziehungen kaputtgehen, ist in den Augen vieler Frauen nicht wirklich ein Erfolg. Fazit: So sehr Expatriate-Frauen im Beruf anerkannt werden, so wenig ist zu leugnen, dass sie im Privatleben auf etliche Schwierigkeiten stoßen, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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denn hier sind die im Familienleben üblichen Gender-Vorgaben der eigenen Kultur wie der Gastkultur wirksam.

2.10.6 Copingstrategien und Unterstützungsfaktoren Frauen unterliegen als Expatriates prinzipiell denselben Belastungen wie Männer bei Entsendungen ins Ausland. Dennoch gibt es ein paar zusätzliche, frauenspezifische Problematiken, die es zu bewältigen gilt.

Bewältigung der beruflichen Schwierigkeiten Deutsche und österreichische Frauen sind oft nicht von vorneherein vertraut damit, wie Frau sich positionskonform, macht- und statusbewusst verhalten sollte. Gelingt einer Frau die Erfüllung dieser Rolle schnell, lernt sie also, ihre Führungsposition auszufüllen, läuft das Berufsleben mit den Einheimischen in klaren Bahnen; hadert sie mit sich, »Machtallüren« anzunehmen, dann gibt es Machtkämpfe um ihre Anerkennung. Ein partizipativer Leitungsstil stößt oft auf Unverständnis und der dadurch entstandene Freiraum wird von Einheimischen ausgenutzt. Dagegen unterstützen Faktoren wie prestigeträchtiges Outfit (v. a. Kleidung), akademische Titel (z. B. Doktortitel) oder das Auftreten unter ausschließlicher Wahrung der Rolle die Position, und die von ihr sachlich und fachlich glaubwürdig geäußerten Standpunkte werden angenommen. Häufig gilt es, Konflikte, die mit der Rolle unweigerlich verbunden sind, zu akzeptieren, auszuhalten und einer Lösung zuzuführen. Im Kontakt mit ihren deutschen Kollegen und Vorgesetzten müssen Frauen selbstbewusst und »kampfesfreudig« auftreten, ihre große Bereitschaft zur Friedfertigkeit reduzieren und ihr Vertrauen in die Gutwilligkeit von anderen von Fall zu Fall überprüfen, die eigene Position standhaft verteidigen sowie die Rolle der Benachteiligten ablehnen (Schroll-Machl 2002). Inhaber von Führungspositionen stützen sich wechselseitig über Netzwerke. Während Männer über solche Netzwerke verfügen beziehungsweise häufig gleich zu Beginn ihrer Versetzung an deren Installation arbeiten, bestehen Netzwerke für Frauen äußerst selten, und von typischen informellen Männernetzwerken sind sie ausgeschlossen (Adler 1994a; Mendenhall u. Oddou 1985; Linehan 2000; Fischlmayr 2002). Oft müssen Frauen erst versuchen, sich zu bestehenden Machtnetzwerken Zugang zu verschaffen, und sie müssen erst lernen, sie dann auch zu benutzen. Frauennetzwerke exis-

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tieren nur äußerst selten. Gelingt es, sie zu errichten, stellen sie eine große Stütze dar (Schroll-Machl 2002).

Bewältigung der generellen Schwierigkeiten Im Einklang mit den sattsam bekannten Geschlechtsrollenstereotypen in den Feldern des Hilfehandelns gestehen sich Frauen ihre Probleme eher ein und suchen soziale Unterstützung (Schroll-Machl 2002). Frauen scheint es leichter zu fallen, sich zu ihren Problemen zu bekennen, sie in Gesprächen und Reflexionen von außen zu betrachten und zu analysieren. Als Gesprächspartner kommen dabei in Betracht: (Ehe)Partner, Familie, Freunde/Freundinnen im Heimat- und im Gastland, vertraute Kollegen/Kolleginnen, Frauen in ähnlichen Situationen, Fachleute. Gespräche können persönlich, am Telefon oder via E-Mail stattfinden. Im Kontakt mit anderen Frauen wird dabei – nebenbei bemerkt – deutlich erkennbar, dass Frauen im Allgemeinen merklich weniger Zeit haben als Männer. Frauen sind in vielen Ländern, egal ob verheiratet oder nicht, sehr viel stärker in familiäre Pflichten eingebunden und deshalb zeitlich weniger flexibel. Auf einen Vorteil des Lebens in anderen Ländern wird oft hingewiesen (Fischlmayr 2000; Schroll-Machl 2002): Es ist praktisch überall üblicher als in Deutschland oder Österreich, Kinder in fremde Obhut zu geben, sei es in institutionalisierte oder in die von Haushaltshilfen. Das erleichtert berufstätigen (verheirateten oder Single-)Müttern das Leben sehr – faktisch, aber auch psychisch als Befreiung von einem permanent schlechten Gewissen. Last, but not least: Frauen erfahren in vielen Ländern ausgeprägte Galanterie: Man(n) ist höflich, zuvorkommend, aufmerksam, rücksichtsvoll, hilfsbereit, charmant (Adler 1994a; Fischlmayr 2000; Schroll-Machl 2002). Das wird von vielen Frauen genossen.

2.10.7 Schluss Auf die Frage, weswegen Frauen in internationalen Managementpositionen noch weniger vertreten sind als in Führungspositionen generell, kann zusammenfassend geantwortet werden: Beruflich gesehen gibt es dafür absolut keinen Grund. Frauen sind erfolgreich und Frauen sind anerkannt – auch und gerade in vielen Ländern (z. B. Asien, islamische Länder), in denen Personalverantwortliche deutscher und österreichischer Unternehmen das nicht vermuten würden. Zudem bringen Frauen Führungsqualitäten einer Personorientierung ein, die eine hervorragende und dringend notwendige

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Ergänzung zur vorherrschenden Sachorientierung darstellen. Die für (Single-)Frauen vermehrt auftretenden privaten Probleme können durch eine Betreuung während des Auslandaufenthalts aufgefangen werden. Diese Erkenntnisse sollte interessierten Frauen und international tätigen Firmen bewusst gemacht werden. Dann steht einer Entsendung von Frauen nichts im Weg! Und es gibt überhaupt kein Argument, weswegen Frauen in der wachsenden Zahl der Führungskräfte, die von Deutschland oder Österreich aus mit internationalen Aufgaben betraut sind, unterrepräsentiert sein sollten.

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Eva-Ulrike Kinast/Sylvia Schroll-Machl: Ein strategisches Gesamtkonzept

3. Überlegungen zu einem strategischen Gesamtkonzept für Interkulturalität in Unternehmen

Eva-Ulrike Kinast/Sylvia Schroll-Machl In Deutschland ist zu beobachten, dass es in vielen internationalen Unternehmen keine Grundstrategie für internationale Aktivitäten gibt, und es liegt nahe zu unterstellen, dass in nicht wenigen Fällen im Vorstand beziehungsweise der Geschäftsführung die Kenntnis fehlt, welche Konsequenzen das auf die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern des Stammhauses und Mitarbeitern der Auslandsgesellschaften (aber auch Kunden und Wettbewerber im Ausland) hat. Im abschließenden Kapitel soll deshalb aufgezeigt werden, welchen Einfluss die Grundstrategie eines Unternehmens für internationale Aktivitäten auf die Interkulturalitätsstrategie der Mitarbeiter hat und warum zum Beispiel interkulturelle Trainings häufig nicht den entscheidenden Nutzen bringen, solange ein Gesamtkonzept fehlt.

Interkulturelles Handeln als Funktion der Wechselwirkung von Person, Situation und Kultur Die vorherigen Kapitel dieses Buches haben gezeigt: – Eine interkulturelle Handlung ist eine Funktion der Wechselwirkung zwischen Person, Situation und Kultur (Abb. 20). – Eine Person beeinflusst grundsätzlich eine Handlung kraft ihrer psychischen Zustände und Prozesse wie Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Verhalten. Im Rahmen internationaler Tätigkeiten gewinnt dabei interkulturelle Handlungskompetenz an Bedeutung. Interkulturelles Training fördert nachgewiesenermaßen die Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz. – Eine Situation umfasst ein ökonomisch, ökologisch, materiell, kulturell oder sozial fassbares Ereignis. Dazu gehören zentrale Managementfelder, zum Beispiel Verhandlung, Arbeitsgruppe, Mergers and Acquisitions, und interkulturelle Praxisfelder und Anwendungsbeispiele, zum Beispiel Personalentwicklung, Wissenschaftskooperation, Militär- und

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Person

Handlung Kultur

Situation

Abbildung 20: Handlung als Funktion der Wechselwirkung von Person, Situation und Kultur

Polizeieinsätze, aber auch die typischen Funktionen im Unternehmen, zum Beispiel Forschung und Entwicklung, Produktion, Vertrieb, Personal. – Jede Kultur ist ein spezifisches Orientierungssystem mit spezifischen Kulturstandards. Inhalt und Ausprägung der Kulturstandards unterscheiden sich je Kultur. International tätige Mitarbeiter stehen bei ihrem interkulturellen Handeln in exakt diesem Spannungsfeld zwischen ihren eigenen individuellen Eigenarten, Fähigkeiten und Fertigkeiten und denen ihrer Partner (Person), Elementen und Erfordernissen der Situation sowie ihren eigenen Kulturstandards und denen ihrer Partner (Kultur). Das Ergebnis ihres interkulturellen Handelns kann dabei in recht unterschiedlicher Weise Gestalt annehmen, je nachdem wie diese drei Komponenten des Spannungsfelds beschaffen sind.

Interkulturalitätsstrategien In einer kulturellen Überschneidungssituation stehen dem international tätigen Mitarbeiter und seinem fremdkulturellen Kollegen nach einer Systematik von Schroll-Machl und Nový (2000) grundsätzlich vier Strategien zur Verfügung, mit den kulturbedingten Unterschieden im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Verhalten zwischen sich und der anderen Person umzugehen. Abbildung 21 veranschaulicht die Interkulturalitätsstrategien.

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Praxisfelder: Ein strategisches Gesamtkonzept Innovation

WIR

Dominanz

ng

r Ve

Vermeidung

isc

hu

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Anpassung

SIE Abbildung 21: Interkulturalitätsstrategien nach Schroll-Machl und Nový (2000, S. 170)

Im Einzelnen sind das folgende Interkulturalitätsstrategien: Dominanz / Anpassung Bei dieser Strategie dominiert die Kultur der einen Person die Kultur der anderen Person. Die Kulturstandards der dominanten Kultur werden für beide als verbindliche Verhaltensstandards definiert. Die Person der dominierten Kultur wird aufgefordert, sich diesen Standards anzupassen. Vermischung Bei dieser Strategie werden die Kulturstandards beider beteiligten Kulturen vermischt, und dazu bieten sich den Personen wiederum drei Möglichkeiten: 1) Entweder sie schließen einen Kompromiss, indem sie den (kleinsten) gemeinsamen Nenner suchen, die Übereinstimmungen der beteiligten Kulturen als Handlungsraum definieren und innerhalb dieser Grenzen das eigene Verhalten aufbauen ohne Präferenz für die eine oder andere Kultur. 2) Oder sie kombinieren die beteiligten Kulturen im Sinne einer Koaktion, das heißt Arbeitsteilung, indem jeder das macht, was er besonders gut kann (Kombination) (vgl. Zeutschel 1998). 3) Oder sie integrieren die beteiligten Kulturen im Sinne einer wechselseitigen Kontingenz, indem sie wichtige Verhaltenselemente miteinander verzahnen und diese so entstandenen Standards gemeinsam und gleichzeitig leben (Integration) (vgl. Zeutschel 1998). Innovation / Synergie Bei dieser Strategie machen sich beide Personen ihre eigene Kultur und die fremde Kultur bewusst, sie benennen die in den jeweiligen Kulturstandards enthaltenen Werte, Normen, Regeln et cetera und arbeiten die Übereinstimmungen und Unterschiede heraus. Auf dieser Grundlage definieren

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beide Personen eine neue Verhaltensalternative und ergänzen damit ihr Verhaltensrepertoire um ein gemeinsames drittes, aber innovatives Element, das nun die Basis für ihr gemeinsames Handeln darstellt. Vermeidung Diese Strategie ist vor allem Deutschen mit ihrem Kommunikationsstil der Direktheit zu empfehlen. Bei dieser Strategie ist die handelnde Person passiv, sie sagt nichts, reagiert nicht, kritisiert nicht, sondern hält sich zurück, schweigt und verharrt passiv. Diese Strategie kann deeskalierend wirken und deshalb manchmal produktiver sein als jede andere Strategie. Welche dieser Interkulturalitätsstrategien ein Mitarbeiter wählen wird, hängt keineswegs nur von seiner Person ab, auch nicht von der Art der aufeinanderprallenden unterschiedlichen Kulturstandards (Kultur), sondern ist weithin geprägt vom interkulturellen Spielraum, den ihm sein Unternehmen, sein Chef, seine Funktion, seine Aufgabe und so weiter gewähren. Der Freiheitsgrad des interkulturellen Spielraums ist ein sehr wesentlicher Bestandteil der Situation, die das interkulturelle Handeln bestimmt. Davon wird im Folgenden die Rede sein.

Grundstrategien internationaler Unternehmen für internationale Aktivitäten Interkulturelles Handeln im Unternehmen wird durch die Grundstrategie des Unternehmens für internationale Aktivitäten begrenzt. Die Frage in diesem Zusammenhang ist, wie stark das Stammunternehmen die Auslandsgesellschaft beeinflusst oder umgekehrt, wie stark die Auslandsgesellschaft das Stammunternehmen beeinflusst. In Anlehnung an Heenan und Perlmutter (1979; ähnlich: Reineke 1989) werden fünf Typen von Grundstrategien unterschieden. Abbildung 22 veranschaulicht die Grundstrategien. Im Einzelnen sind das folgende Grundstrategien: Ethnozentrische Grundstrategie Ethnozentrisch geführte Unternehmen zeichnen sich durch eine einseitige Beziehung vom Stammunternehmen zur Auslandsgesellschaft aus. Diese Grundstrategie wird häufig – aber nicht nur – in der Anfangsphase der Internationalisierung eines Unternehmens gewählt, wenn zunächst eine einzige Auslandsgesellschaft gegründet wird. Ethnozentrisch geführte Unternehmen bestimmen die Strategien und Managementkonzepte und übertragen

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Praxisfelder: Ein strategisches Gesamtkonzept

groß

synergetische Grundstrategie

ethnozentrische Grundstrategie regio- / geozentrische Grundstrategie

Einfluss des Stammunternehmens

polyzentrische Grundstrategie

gering

groß

gering Einfluss der Auslandsgesellschaft

Abbildung 22: Grundstrategien internationaler Unternehmen für internationale Aktivitäten

diese auf die Auslandsgesellschaft. Die Auslandsgesellschaft verfügt nur über wenig Autonomie. Schlüsselpositionen werden im Stammunternehmen und in der Auslandsgesellschaft von Führungskräften aus dem Stammunternehmen besetzt. Kulturelle Unterschiede werden zugunsten einer vermeintlichen Vereinheitlichung des Unternehmens vernachlässigt. Erhebliche Konfliktpotenziale zwischen Stammunternehmen und Auslandsgesellschaften können sich aufbauen, da diese Vorgehensweise kulturell undifferenziert ist und Züge einer »Kultur-Kolonialisierung« (Scholz 1993) in sich trägt. Polyzentrische Grundstrategie Polyzentrisch geführte Unternehmen lassen ihre Auslandsgesellschaften weitgehend autonom handeln. Die Strategien und Managementkonzepte polyzentrisch geführter Unternehmen werden am jeweiligen Standort entwickelt und den besonderen Standortbedingungen angepasst. Dementsprechend können sich die Strategien und Managementkonzepte von Stammhaus und Auslandsgesellschaften jeweils voneinander unterscheiden. Diese Grundstrategie wird häufig angewendet, wenn Stammunternehmen und Auslandsgesellschaft in voneinander sehr weit entfernten Ländern ihren Standort haben. Führungskräfte sind Einheimische, die aber selten in hohe Positionen im Stammunternehmen aufsteigen. Kulturelle Unterschiede werden stark berücksichtigt. Synergieeffekte gehen dabei jedoch häufig verloren. Dem Vorteil der Autonomie und der Feinabstimmung zwischen der Auslandsgesellschaft und ihren Umweltbedingungen stehen deutliche Koordinierungsprobleme zwischen den Auslandsgesellschaften und dem Stammunternehmen entgegen.

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Geozentrische Grundstrategie Geozentrisch geführte Unternehmen vermischen die Strategien und Managementkonzepte des Stammunternehmens und der jeweiligen Auslandsgesellschaft und setzen die so vermischten Strategien und Managementkonzepte in den Auslandsgesellschaften um. Die Nationalität der Führungskräfte ist für die Besetzung von Positionen unbedeutend, entscheidend ist ihre (interkulturelle) Kompetenz. Kulturelle Unterschiede und Übereinstimmungen werden berücksichtigt. Synergetische Grundstrategie Die synergetische Grundstrategie ist eine Fortführung der geozentrischen Grundstrategie. Synergetisch geführte Unternehmen entwickeln aus den Strategien und Managementkonzepten des Stammunternehmens und der Auslandsgesellschaften ein drittes Neues nach dem Prinzip »Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile« und setzen es am jeweiligen Standort der Auslandsgesellschaften um. Synergetisch geführte Unternehmen begreifen die verschiedenen kulturellen Prägungen von Stammhausdelegierten und einheimischen Führungskräften bewusst als Ressource. Kulturelle Unterschiede und Übereinstimmungen werden berücksichtigt. Regiozentrische Grundstrategie Regiozentrisch geführte Unternehmen passen die Strategien und Managementkonzepte des Stammunternehmens an die Auslandsgesellschaften an, im Unterschied zur geozentrischen Grundstrategie jedoch mit geringerer Einflussnahme durch die einzelnen Auslandsgesellschaften. Der Wortteil »regio« suggeriert, dass sich diese Strategie und ihre neu definierten Elemente auf die Auslandsgesellschaften einer Region beziehen, zum Beispiel die Region Europa oder Asien. Häufig wird die regiozentrische Strategie daher in Unternehmen angewendet, die Auslandsaktivitäten im kleinen Grenzverkehr pflegen, zum Beispiel Deutschland / Österreich / Schweiz oder Deutschland / Tschechien. Besonderes Merkmal dieser Strategie ist, dass das Stammunternehmen unter Umständen die so entstandenen Strategien und Managementkonzepte der jeweiligen Auslandsgesellschaften übernimmt, wodurch beispielsweise im kleinen Grenzverkehr dann eine relative Angleichung von Mutter- und Tochterunternehmen erfolgt. Führungskräfte werden weitgehend am Standort rekrutiert und für kürzere Intervalle ins Stammunternehmen delegiert. Gleichermaßen ist es das Kennzeichen der geozentrischen, der synergetischen und der regiozentrischen Grundstrategie, dass sie sich für ihre Auslandsgesellschaften um eine gewisse Balance zwischen den verschiedenen Kulturen bemühen und den Vorteil einer Gesamtoptimierung der Unternehmensprozesse (beispielsweise einheitlicher Controllingsysteme oder © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Produktionsverfahren, Vergleichbarkeit von Hierarchien) gegen den Vorteil der bestmöglichen Kompatibilität mit den lokalen Erfordernissen der Auslandsgesellschaft abwägen. Dabei lässt nur die regiozentrische Grundstrategie zu, dass gefundene Lösungen ins gesamte Unternehmen zurückfließen, also auch dem Stammhaus zugute kommen können und es daher von Ideen profitiert, die niemals entstanden wären, wäre das Unternehmen nicht für zunächst fremde Einflüsse offen gewesen. Welche Interkulturalitätsstrategie von international tätigen Mitarbeitern tatsächlich angewendet wird, hängt – und das wurde bisher kaum berücksichtigt – ganz entscheidend von der Grundstrategie für internationale Aktivitäten ab. Sie bildet, selbst wenn sie lediglich implizit vorhanden ist, den Rahmen für das interkulturelle Handeln des Mitarbeiters und legt ihm die Wahl seiner Interkulturalitätsstrategie (zwingend) nahe. Und damit definiert sie auch, welche interkulturellen Konflikte vorherrschen. Welche Grundstrategie ein internationales Unternehmen für seine internationalen Aktivitäten wählt, kann von der Anzahl der Auslandsgesellschaften sowie deren Größe und Bedeutung abhängen, muss aber nicht. Insbesondere bei der geozentrischen Grundstrategie ist die Meinung weit verbreitet, dass diese Strategie ausschließlich bei weltweit vernetzten Unternehmen angewendet werden kann. Wie die folgenden Beispiele jedoch zeigen, kann diese Grundstrategie durchaus auch schon bei einer einzigen Auslandsgesellschaft sinnvoll sein.

Der Einfluss der Grundstrategie internationaler Unternehmen auf die Interkulturalitätsstrategie international tätiger Mitarbeiter Die Grundstrategie steckt die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen des interkulturellen Spielraums jedes in dem Unternehmen tätigen Mitarbeiters ab und bestimmt damit, wie der Einzelne überhaupt auf kulturbedingte Unterschiede in einer kulturellen Überschneidungssituation reagieren darf. Das bedeutet: – Verfolgt ein internationales Unternehmen eine ethnozentrische Grundstrategie, dann dominiert die Kultur des Mitarbeiters aus dem Stammunternehmen über die Kultur des Mitarbeiters der Auslandsgesellschaft (Dominanz). Das interkulturelle Handeln beschränkt sich darauf, den dominierten, fremdkulturellen Partner auf eine für ihn möglichst sozial verträgliche Weise ins Boot zu holen. Da das immer nur teilweise gelingen kann, wird beim dominierten Partner ein Rest an Enttäuschung,

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sich mit seinen kulturellen Anteilen nicht einbringen zu können, bestehen bleiben und sich in irgendeiner Form von Distanz bis Widerstand äußern. Beim dominierenden Mitarbeiter häuft sich deshalb Frust an, dass er trotz allen Bemühens nicht in der Lage ist, den anderen nachhaltig zu überzeugen, und er wird sich beklagen, dass ihm interkulturelle Seminare zu wenig Rüstzeug – provokativ formuliert – für eine »effektive Manipulation« des Anderen liefern. Verfolgt das Unternehmen eine polyzentrische Grundstrategie, dann muss sich der Mitarbeiter aus dem Stammunternehmen an die Kultur des Mitarbeiters der Auslandsgesellschaft anpassen (Anpassung). Das interkulturelle Handeln erscheint dem Mitarbeiter des Stammunternehmens sehr anstrengend und er hat viele Momente des Zweifels ob der Richtigkeit und Angemessenheit der ihm abverlangten Veränderungen und Umorientierungen durchzustehen. Bei geozentrischer Grundstrategie und regiozentrischer Grundstrategie werden die Kulturstandards der Kultur des Mitarbeiters des Stammunternehmens und der Kultur des Mitarbeiters der Auslandsgesellschaft vermischt (Kompromiss, Kombination, Integration). Der Prozess des interkulturellen Handelns wird von beiden Seiten letztlich als Geben und Nehmen erlebt, erfordert jedoch Zeit und ermutigt zum Ringen und Diskutieren, bis eine Lösung ausgehandelt ist. Bei synergetischer Grundstrategie entwickeln beide Mitarbeiter neue Verhaltensalternativen und setzen diese als Standard (Innovation / Synergie). Das ist erfahrungsgemäß sehr selten, führt ebenfalls zu intensiven Auseinandersetzungen, erlaubt dann aber ein ausgeprägtes Wir-Gefühl der Personen und kann damit die Leistung erhöhen. Vermeidung als Strategie kann bei allen Grundstrategien als Interkulturalitätsstrategie angewendet werden.

Interkulturalitätsstrategie

Grundstrategie

Dominanz / Anpassung

ethnozentrisch

polyzentrisch

ü

ü

geozentrisch

ü

Vermischung

regiozentrisch

ü ü

Synergie / Innovation Vermeidung

synergetisch

ü

ü

ü

ü

ü

Abbildung 23: Die Abhängigkeit der Interkulturalitätsstrategie international tätiger Mitarbeiter von der Grundstrategie des internationalen Unternehmens für internationale Aktivitäten

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Die nun folgenden Beispiele sollen die Abhängigkeit der Interkulturalitätsstrategie international tätiger Mitarbeiter von der Grundstrategie des internationalen Unternehmens für internationale Aktivitäten veranschaulichen, und zwar unter Berücksichtigung einzelner Funktionen eines internationalen Unternehmens. Ziel dabei ist es, sowohl Wirkungen auf der individuellen Ebene der handelnden Personen wie auch Konsequenzen für das Unternehmen aufzuzeigen.

Beispiele Der Einfluss der Grundstrategie am Beispiel des Vertriebs eines deutschen Sportartikelherstellers in Polen Ein deutscher Sportartikelhersteller, der in Deutschland unter Sportfreaks als Edelmarke gilt, legt als Vertriebsstrategie fest, dass seine Produkte ausschließlich in Fachgeschäften angeboten werden. Der deutsche Sportartikelhersteller beauftragt nun seinen polnischen Vertriebsleiter, die deutsche Vertriebsstrategie auch in Polen umzusetzen und die Produkte ausschließlich in Fachgeschäften anzubieten. Der polnische Vertriebsleiter ist entsetzt und befürchtet Umsatzeinbußen. Ein Konflikt entsteht. – Aus kultureller Perspektive muss man dazu wissen, dass in Deutschland Waren, die in Fachgeschäften verkauft werden, als hochwertiger und edler gelten als Waren, die in Supermarktketten verkauft werden. In Polen dagegen gelten Sportartikelhersteller als modern, wenn sie hochwertige Sportartikel in Supermarktketten anbieten. Je nach Wahl der Grundstrategie im Sinne Heenans und Perlmutters (1979) sieht der Konflikt, aber auch das Ergebnis der Konfliktlösung aufgrund der nahe liegenden Wahl der Interkulturalitätsstrategie im Sinne Schroll-Machls und Novýs (2000) unterschiedlich aus. Bei ethnozentrischer Grundstrategie dominiert der deutsche Sportartikelhersteller den polnischen Vertriebsleiter, und die Sportartikel werden auch in Polen ausschließlich in Fachgeschäften verkauft. Der deutsche Sportartikelhersteller (Unternehmensebene) wird sich mittelfristig sehr wahrscheinlich wundern, dass seine Produkte nur wenige Käufer finden, und er wird den rückläufigen Umsatz beklagen. Allerdings wird er sich in seinem Image »Wir sind eine Edelmarke« bestätigt fühlen. Der polnische Vertriebsleiter hingegen wird sich in seiner Expertise als Vertriebsleiter im polnischen Markt nicht anerkannt fühlen, sich damit frustrieren und mittelfristig das Unternehmen verlassen (individuelle Ebene der Personen), er sieht sich als Verlierer und hält Deutsche für uneinsichtig, unbelehrbar und au-

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toritär. Der verantwortliche deutsche Stammhausmitarbeiter hält den Polen entweder für unkooperativ und schnell beleidigt oder er beklagt sich, dass ihm die Argumente des polnischen Vertriebsleiters zwar irgendwie nachvollziehbar waren, dass er aber nicht nachgeben konnte, wollte er sich nicht gegen die Politik seiner Firma stellen. Bei polyzentrischer Grundstrategie wird sich der deutsche Sportartikelhersteller dem polnischen Vertriebsleiter anpassen, und die Sportartikel werden, unabhängig von der deutschen Vertriebsstrategie, ausschließlich in Supermarktketten angeboten (Unternehmensebene). Der deutsche Sportartikelhersteller akzeptiert also die kulturbedingten Unterschiede im Kaufverhalten polnischer Kunden. Trotzdem wird er große Zweifel hegen, ob er sein Image als Edelmarke weiterhin aufrechterhalten kann, und er wird sich sorgen, ob das nicht wiederum die Corporate Identity seines Unternehmens angreift oder gar zerstört, was auf sein Image nach innen (beispielsweise auf den Stolz der Mitarbeiter in Deutschland, in einem Unternehmen der Edelmarke »XYZ« zu arbeiten) und nach außen (beispielsweise auf die Kunden in Deutschland, ein Produkt der Edelmarke »XYZ« zu kaufen) Einfluss haben wird. Der Pole (individuelle Ebene) hingegen ist glücklich und motiviert, weil er seine Produkte im Regal einer Supermarktkette stehen sieht und nun als Vertriebsleiter eines modernen Unternehmens gilt, und er hält den Deutschen für kooperativ und lernfähig. Der Deutsche ist beeindruckt, wie groß die Kulturunterschiede sind und welch ungeahnte Konsequenzen das hat. Bei geozentrischer Grundstrategie werden beide Vertriebsstrategien vermischt; die Sportartikel werden in Polen sowohl in Fachgeschäften als auch in Supermarktketten angeboten (Unternehmensebene). Damit wahrt der deutsche Sportartikelhersteller sein Image als Edelmarke und unterbreitet der nachwachsenden Generation mit westlichem Konsumverhalten in Polen in Fachgeschäften ein entsprechendes Angebot an Sportartikeln. Gleichzeitig sieht der polnische Vertriebsleiter seine Argumente berücksichtigt und kann den durchschnittlichen polnischen Konsumenten hochwertige Sportartikel in Supermärkten anbieten. Einziges Problem wird die Preisfindung sein. Auf der individuellen Ebene ringen der Pole und der Deutsche einige Zeit miteinander, bis sie diesen Weg gefunden haben. Beide haben dann aber von sich und vom anderen das Gefühl, interkulturell kompetent zu sein und Neues dazugelernt zu haben. Bei synergetischer Grundstrategie wird eine innovative Lösung gefunden, indem der deutsche Sportartikelhersteller in der Hauptstadt Polens einen riesengroßen Supermarkt, vergleichbar mit einer amerikanischen Mall, für Sportartikel mehrerer Edelmarken errichtet. Damit bekommt der Deutsche seinen Edelshop und der Pole seinen Supermarkt in entsprechender Größe. Nachteil dabei ist, dass die Investitionen höher sind als bei allen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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anderen Grundstrategien und die Wettbewerber für die Idee erst noch begeistert werden müssen (Unternehmensebene). Der Vorteil auf der individuellen Ebene der handelnden Personen ist, dass sowohl der Deutsche als auch der Pole sich von ihren persönlichen Belangen her abgeholt fühlen und mit ihrer Kooperation zufrieden sind. Bei regiozentrischer Grundstrategie werden ebenfalls beide Vertriebsstrategien vermischt. Die polnische Vertriebsstrategie würde hier – wie utopisch das derzeit auch in deutschen Ohren klingen mag – die deutsche Vertriebsstrategie in Deutschland beeinflussen (Unternehmensebene). In der Zukunft würden dann auch in Deutschland die Produkte des deutschen Sportartikelherstellers in Supermarktketten verkauft werden. Auf der individuellen Ebene wäre das für den Polen die tollste Bestätigung, die er haben könnte. Auch der Deutsche sähe sich als jemanden, der sich von der internationalen Kooperation zu neuen Ideen anregen hat lassen.

Der Einfluss der Grundstrategie am Beispiel der Produktion und des Qualitätsmanagements eines deutschen Automobilproduzenten in Mittelosteuropa Ein deutscher Automobilproduzent, dessen Luxusniveau in der ganzen Welt bekannt ist, kauft seine Scheinwerfer aus der nach Mittelosteuropa verlegten Produktion eines Lieferanten. Schon bald stellt das deutsche Qualitätsmanagement des Automobilproduzenten Fehler bei den in Mittelosteuropa hergestellten Scheinwerfern fest: Bei manchen seiner Autos brennt nur ein Scheinwerfer. Die Fehlerursache liegt darin, dass die Mitarbeiter in der Produktion die Komponenten für die Scheinwerfer der verschiedenen Automarken – gegen die Vorschriften – nicht sorgfältig genug unterscheiden, so dass sie mitunter Scheinwerferteile anderer Automarken einbauen. Das führt dann zum Ausfallen dieses Scheinwerfers. Der mittelosteuropäische Produktionsleiter wird zur Rede gestellt und er antwortet darauf: »Die Mitarbeiter sind nicht dumm, sie wissen, was sie wie zusammenbauen. Und wenn wirklich einmal ein Fehler vorkommt, ist das nicht so schlimm. Es genügt doch, wenn ein Scheinwerfer brennt!« Ein Konflikt entsteht. – Aus kultureller Perspektive muss man dazu wissen, dass Mittelosteuropäer es lieben, zu improvisieren und vorgegebene Strukturen abzuwerten und mitunter zu ignorieren, während Deutsche bevorzugt alles planen und organisieren und sich an vorgegebene Strukturen halten. Je nach Wahl der Grundstrategie im Sinne Heenans und Perlmutters (1979) und der Interkulturalitätsstrategie im Sinne Schroll-Machls und Novýs (2000) sehen der Konflikt und das Ergebnis der Konfliktlösung auch hier unterschiedlich aus.

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Bei ethnozentrischer Grundstrategie dominiert der deutsche Automobilproduzent über den mittelosteuropäischen Produktionsleiter, und der Lieferant zieht seine Scheinwerferproduktion für diesen Automobilhersteller wieder aus Mittelosteuropa ab (Unternehmensebene). Damit wahrt der deutsche Automobilproduzent seinen Qualitätsstandard. Der mittelosteuropäische Produktionsleiter (individuelle Ebene) allerdings ist total beleidigt, weil sein Einsatz und seine Tüchtigkeit nicht wahrgenommen und wertgeschätzt werden, geschweige denn der Einsatz und die Tüchtigkeit seiner Mitarbeiter in der Produktion, und er versteht nicht, warum sich die Deutschen wegen der paar Fehler derart einen Kopf machen. Der deutsche Qualitätssicherer ist ebenfalls sauer und beginnt nun, die Vorschriften geradezu zu predigen, damit sich dieses Vorkommnis nicht wiederholt. Bei polyzentrischer Grundstrategie passt sich der deutsche Automobilproduzent dem mittelosteuropäischen Produktionsleiter an. In diesem Fall würden die potenziell fehlerbehafteten Scheinwerfer eingebaut werden. Aufgrund der hohen Qualitätsansprüche dieser Luxusmarke und der strengen Bestimmungen zur Fahrsicherheit und Unfallvermeidung in Deutschland ist diese Lösung allerdings utopisch. Bei geozentrischer Grundstrategie werden beide Produktionsstrategien vermischt: Der deutsche Lieferant wirbt beispielsweise beim mittelosteuropäischen Produktionsleiter um sein Verständnis für die Qualitätsstandards der Deutschen durch ausführliche Informationen über die Kundenanforderungen und dessen Hintergründe und stellt ihm eine Belohnung für die Senkung der Fehlerquote in Aussicht wie Anerkennung, gute Beziehungen zum deutschen Management und Karrierechancen. Der mittelosteuropäische Produktionsleiter fühlt sich am Stolz gekitzelt, weil ihm eine gute Beziehung zum deutschen Stammhaus angeboten wird (individuelle Ebene). Auf der Ebene der Kulturstandards gelingt die Integration zweier unterschiedlicher Kulturstandards der Beteiligten: die Aufwertung von Strukturen der Deutschen wird genauso gelebt wie die »personorientierte Kontrolle« der Mittelosteuropäer. Damit senkt der deutsche Lieferant sehr wahrscheinlich die Fehlerquote (Unternehmensebene). Mit einer synergetischen Grundstrategie müsste eine innovative Lösung geschaffen werden, die jedoch aufgrund technischer Anforderungen in diesem Fall kaum möglich sein dürfte (höchstens wenn Multifunktionsscheinwerfer entwickelt werden könnten . . .). Auch eine regiozentrische Grundstrategie, bei der beide Produktionsstrategien vermischt werden, ist kaum umsetzbar, weil in Deutschland aus den genannten Gründen (Luxusmarke und Fahrsicherheit) einfach beide Scheinwerfer brennen müssen. Die beiden Beispiele stammen ganz bewusst aus unterschiedlichen Funktionsbereichen von Unternehmen. Grundstrategien internationaler © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Unternehmen hängen ihrerseits nämlich mit einer Menge von für ein Unternehmen relevanten Faktoren zusammen. Das will bei der Entscheidung für eine Grundstrategie bedacht sein und muss dann auch entsprechend kommuniziert werden.

Schlussfolgerung Ziel war es zu zeigen, dass die Grundstrategie internationaler Unternehmen für internationale Aktivitäten einen entscheidenden Einfluss auf die Interkulturalitätsstrategie der Führung und der Mitarbeiter hat: Gibt es keine Grundstrategie, die vom Vorstand oder der Geschäftsführung festgelegt wurde, dann fehlt den international tätigen Mitarbeitern die Orientierung, was von ihnen in einer kulturellen Überschneidungssituation überhaupt erwartet wird. Häufig ist dann zu beobachten, dass sich die Mitarbeiter sämtlicher beteiligter Kulturen selbst ein Bild davon machen, wie sie sich verhalten sollen. Diese impliziten Theorien über richtiges Verhalten steuern dann letztendlich auch das Verhalten der Mitarbeiter. Glauben, was richtiges Verhalten ist, und wissen, mit welchem Verhalten das Unternehmen im Ausland repräsentiert werden will, soll oder kann, sind jedoch zwei Paar Stiefel. Gepaart mit der Tendenz von Menschen, egal welcher Kulturzugehörigkeit, sich in kulturellen Überschneidungssituationen eher ethnozentrisch zu verhalten und die andere Kultur zu dominieren, verschärft das Problem. Dies gilt für die Angehörigen der fremden Kultur(en) genauso wie für das einheimische Management des Stammunternehmens, das seinerseits oft aufgrund des Fehlens einer reflektierten Grundstrategie Mitarbeitern den Wechsel von einer Interkulturalitätsstrategie zur anderen, zum Beispiel von Vermischung zu Dominanz, abverlangt und dadurch die Konflikte verschärfen kann. Aus den genannten Gründen entstehen in kulturellen Überschneidungssituationen Konflikte, die vor allem von den Mitarbeitern auf mittlerer und unterer Managementebene gelöst werden müssen und von denen sich viele Vorstände und Geschäftsführer gar kein Bild machen (können). In der Regel wird dann die Personalentwicklung beauftragt, sich zu überlegen, wie einzelne Mitarbeiter geschult werden können. Die Personalentwicklung ihrerseits unterbreitet daraufhin der Unternehmensspitze ein Konzept, das interkulturelle Trainings für einzelne international tätige Mitarbeiter vorsieht. Tatsächlich lernen die Mitarbeiter in den Trainings die Kulturstandards anderer Kulturen kennen und verwenden dieses Wissen, um sich in einer kulturellen Überschneidungssituation kulturadäquat zu verhalten. Das hat Kinast (1998) in ihrer Forschungsarbeit nachgewiesen

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(siehe Kap. I, 2.3, S. 204 ff.). Doch irgendwann entsteht der Eindruck, dass viele Konflikte nach wie vor bestehen und dass alle diese interkulturellen Trainings zu wenig bewirken. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass interkulturelle Trainings nicht in der Lage sind (und es auch gar nicht wollen), dem oberen Management die Verantwortung für die Festlegung einer zum Unternehmen passenden Grundstrategie für internationale Aktivitäten abzunehmen.

Empfehlungen und Beispiele zur interkulturellen Unternehmensentwicklung Strategisch gesehen ist zu empfehlen, zunächst eine Analyse vorzunehmen, mit welchen Grundstrategien (erfahrungsgemäß wird nicht nur eine Grundstrategie implizit gelebt) das gesamte Unternehmen und die einzelnen Funktionsbereiche bisher implizit gearbeitet haben und welche Resultate das brachte. Im Anschluss sollte im Rahmen eines Workshops mit den Führungskräften im oberen Management eine für das Unternehmen und seine Auslandsgesellschaften passende Grundstrategie für internationale Aktivitäten erarbeitet und vereinbart werden. Diese Grundstrategie muss dann klar und eindeutig thematisiert werden und ist vom Vorstand oder der Geschäftsführung allen Führungskräften im Stammunternehmen und in den Auslandsgesellschaften mitzuteilen. Dazu sind neben dem allgemein üblichen Rundschreiben Workshops zu veranstalten, in denen den Führungskräften kaskadenförmig top down die vereinbarte Grundstrategie vorgestellt und anschließend mit ihnen erarbeitet wird, welche Konsequenzen die Grundstrategie in den einzelnen Funktionsbereichen auf die Interkulturalitätsstrategie der Mitarbeiter hat. Die Führungskräfte haben dann die Aufgabe bekommen, die Grundstrategie jeweils ihren Mitarbeitern nahe zu bringen und dafür Sorge zu tragen, dass diese auch tatsächlich gelebt wird. Auf diese Aufgabe müssen die Führungskräfte entsprechend vorbereitet werden. Systemisch gesehen, ist ein neutraler Prozessbegleiter zu empfehlen, beispielsweise ein erfahrener externer Berater, der über die entsprechenden persönlichen Kompetenzen (durchsetzungsfähig, kommunikativ, flexibel etc.), fachlichen Kompetenzen (beispielsweise ein Psychologie-Studium), methodischen Kompetenzen (Moderation, Coaching, Training, Mediation) und interkulturellen Kompetenzen (Wissen über spezifische Kulturstandards einer oder mehrerer Kulturen, Fremdsprachenkenntnisse etc.) verfügt und – wünschenswerterweise – selbst mehrere Jahre in einem internationalen Unternehmen in Führungsfunktion tätig war.

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Strukturell ist zu empfehlen, eine Projektgruppe zu installieren, die sich der interkulturellen Unternehmensentwicklung widmet. In größeren Unternehmen kann dies auch eine Abteilung sein. Die Projektgruppe kann eine virtuelle Struktur haben. Wünschenswert ist, dass die Projektmitarbeiter aus unterschiedlichen fachlichen Disziplinen kommen (Psychologen, Juristen, Kaufleute etc.) und über ähnliche persönliche, methodische und interkulturelle Kompetenzen verfügen wie der externe systemische Prozessbegleiter. Sind derart qualifizierte Mitarbeiter im Unternehmen nicht vorhanden, sollten diese Qualifikationen nach und nach aufgebaut werden. Die Aufgabe der Projektgruppe besteht darin, den Prozess der interkulturellen Unternehmensentwicklung mit zu initiieren, zu begleiten und zu steuern. Auf individueller Ebene sollte die Personalentwicklung im Unternehmen eine interkulturelle Personalentwicklung aufbauen und nach der Verabschiedung der Grundstrategie ein Gesamtkonzept mit entsprechenden Maßnahmen wie interkulturelles Training und interkulturelles Coaching erarbeiten und umsetzen. Erfolgt die Reflexion von Interkulturalität auf einer strategischen Ebene im Unternehmen und kommt es zur Entscheidung über eine angemessene Grundstrategie, dann ist die Palette der möglichen Konsequenzen groß. Abschließend seien dazu blitzlichtartig ein paar Beispiele aufgelistet. – Zur Konfliktprophylaxe in kulturellen Überschneidungssituationen kann es beispielsweise bei einer geozentrischen oder regiozentrischen Grundstrategie sinnvoll sein, eine Art »interkulturelle Vermittler« aufzubauen und einzusetzen. Dies sind Personen des Stammhauses und der Auslandsniederlassung, die in einem in beide Richtungen gehenden Rotationssystem abwechselnd im Stammhaus und in der Auslandsniederlassung in der jeweiligen Abteilung beziehungsweise Unternehmensfunktion arbeiten, dadurch sowie durch interkulturelle Seminare oder Trainings interkulturelle Kompetenz für ihr Zielland erworben haben und nun quasi als personifizierte Koaktion und Integration (Vermischung) die Anliegen der einen Seite an die andere weiterleiten, indem sie sie kulturell angemessen in die Mentalität des Anderen übersetzen. Es kommunizieren nicht alle Mitarbeiter der einen Kultur mit allen Mitarbeitern der anderen Kultur, sondern viele Dinge laufen kanalisiert über diese Schlüsselpersonen. – Bei einer geozentrischen Grundstrategie kann es entscheidend sein, notwendige Anforderungen des Stammunternehmens gezielt mit Maßnahmen, die vor Ort die Arbeitsmotivation der Mitarbeiter erhöhen, zu kompensieren, auch wenn dies nicht der (Spar)Politik des Stammunternehmens entspricht, wie zum Beispiel zusätzliche Sozialleistungen. Die Integration bekommt damit eine materielle Komponente. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Zur Konfliktbearbeitung könnten bei einer regiozentrischen, geozentrischen oder synergetischen Grundstrategie unterstützenderweise so genannte Mediatoren eingesetzt werden, die im Konfliktfall die kulturbedingt unterschiedlichen Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen einer Konfliktpartei der anderen Konfliktpartei spiegeln und auf diese Weise eine Konfliktlösung herbeiführen helfen. – Bei einer ethnozentrischen Grundstrategie ist der Wert der Vermittlung von Kontextinformationen zu den Entscheidungen des Stammunternehmens als ausschlaggebend erkannt worden: Mitarbeitern des Stammunternehmens stehen (endlich) ausreichend Zeit und Geldmittel für Reisen ins Zielland zur Verfügung, dass sie a) die Vorgaben des Stammunternehmens ausführlich erklären und erläutern können und dass sie b) eine tragfähige Beziehung zu den ausländischen Kollegen aufbauen können, die diese Vertrauen in die Ernsthaftigkeit der Kooperationsabsicht haben lässt und ihren Widerstand verringert. Mitarbeiter der Auslandsniederlassungen erhalten On-the-job-Schulungen im Stammunternehmen, um Zusammenhänge und Hintergründe transparent und authentisch erfahren zu können. Die Dominanz wird akzeptierbar, weil nachvollziehbar; das Gefühl der Kolonialisierung weicht der Erfahrung, dass bestimmte einheitliche Verfahren Effizienz bringen, und Stolz, bei dieser Firma zu arbeiten, kann sich entwickeln. Alle diese Beispiele stellen lediglich Einzelmaßnahmen innerhalb größerer Gesamtkonzeptionen dar, wie sie sich in dem einen oder anderen Fall ableiten ließen und bewährt haben. Die Diskussion und die Entscheidung über die Grundstrategie für Interkulturalität in einem Unternehmen erbringen jedoch weit mehr: den notwendigen und verbindlichen Rahmen für schlüssiges, einheitliches interkulturelles Handeln von Führungskräften und Mitarbeitern. Wird das versäumt, vernachlässigt oder nicht angegangen, sind Konfusion, Gegeneinanderarbeiten, »Reparaturkosten« auf materieller und sozialer Ebene zu befürchten, und das vorhandene Potenzial der Interkulturalität wird nicht ausgeschöpft.

Literatur Heenan, D. A.; Perlmutter, H. V. (1979): Multinational Organizational Development: A Societal Approach. Reading/Mass. Kinast, E.-U. (1998): Evaluation interkultureller Trainings. Lengerich. Reineke, R. D. (1989): Akkulturation von Auslandsakquisitionen. Eine Untersu-

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chung zur unternehmenskulturellen Anpassung. Schriftenreihe Unternehmensführung und Marketing, Band 23. Scholz, C. (1993). Personalmanagement – Informationsorientierte und verhaltenstheoretische Grundlagen. München. Schroll-Machl, S.; Nový, I. (2000): Perfekt geplant oder genial improvisiert? Kulturunterschiede in der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit. München/Mering. Zeutschel, U. (1998): Kooperation in internationalen Teams – Potentiale, Beobachtungen, Empfehlungen. Projektinformation 3 (Abschlusspräsentation), Universität Regensburg. (Unveröffentlichtes Arbeitspapier des Forschungsprojekts Interkulturelle Synergie in Arbeitsgruppen)

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Register

Autorenregister

Autorenregister

A Adams, F. M. 270, 272 Adler, N. J. 235, 236, 241, 342, 343, 351, 391, 412, 416, 421, 422, 423, 424, 425, 426, 429, 430, 431 Albert, R. D. 189, 197, 201, 211, 212, 216 Allhoff, D.-W. 274, 278, 286 Altenburger, R. 43 Anderson, N. 242 Antoni, C. H. 329, 335, 337 Arbeitskreis Assessment Center 239, 241, 350, 351 Argentin, G. 286 Aristoteles 274, 286 Aronson, E. 418, 420, 431 Arrow, H. 341, 352 Assig, D. 417, 431 Austin, C. N. 395, 396, 406, 412 Austin, W. G. 116 Axtell, R. E. 278, 286 Ayman, R. 240, 241 B Bacharach, S. B. 353 Bagley, C. 92 Bailey, M. 77, 91 Balkin, D. B. 395, 396, 406, 413 Ball-Rokeach, S. J. 377, 378, 388 Bamberger, P. A. 353 Banai, M. 432 Barmeyer, C. I. 179, 217, 225 Barry, D. 91 Batchelder, D. 201 Batinic, B. 377, 388 Bauer, S. 202 Baumeister, R. F. 268, 272 Bem, S. 417, 431 Benders, J. 335, 337 Bennett, R. 421, 433 Berdahl, J. L. 341, 352

Bergemann, N. J. 166, 256, 323, 339, 353, 357, 369, 392, 412 Berger, M. 323 Berry, J. W. 127, 128, 137, 233, 241, 273, 338 Berthoin, A. 40, 43 Bhagat, R. S. 29, 31, 181, 183, 201, 323, 366, 370, 414 Bhawuk, D. P. S. 181, 201, 207, 208, 211, 216 Bickmann, R. 165 Birnbaum, M. 382, 388 Bittner, A. 255, 256 Black, J. S. 231, 238, 241, 242, 391, 392, 395, 402, 412, 413 Blake, B. F. 209, 216 Blickle, G. 159, 165 Bochner, S. 47, 59, 137, 147, 392, 413 Bock, D. 190, 201 Bolten, J. 168, 170, 172, 179, 256, 350, 351 Bond, M. 338 Boness, C. 190, 202 Boos, M. 376, 379, 381, 386, 388, 389 Boud, D. 240, 241, 351 Bouton, L. F. 80, 91 Bowditch, J. L. 32, 43 Breitenbach, D. 44, 59 Breitenstein, U. 43 Brett, J. M. 421, 431 Brewster, C. 432 Brinkama, A. 403, 413 Brislin, R. W. 29, 31, 139, 143, 144, 147, 148, 181, 183, 201, 207, 208, 211, 216, 242 Brock, D. M. 85, 91 Brooks, C. V. W. 223, 225 Brown, B. R. 288, 294, 296 Brüch, A. 190, 201 Brühl, R. 370 Brüning, M. 225 Bryant, F. B. 352

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Register

Buono, A. F. 32, 43 Butner, J. 272 C Caligiuri, P. M. 416, 418, 420, 423, 426, 427, 431 Callan, V. J. 82, 92, 334, 335, 338 Callister, R. R. 302, 306 Calori, R. 371 Campani, G. 92 Carr, J. 92 Cartwright, S. 32, 43, 369 Cascio, W. F. 416, 418, 420, 423, 431 Casmir, F. L. 311, 323 Cherry, C. 31, 76, 91 Chikudate, N. 89, 91 Chinese Culture Connection 62, 73 Cho, B. 269, 272 Cialdini, R. B. 262, 271, 272 Clackworthy, D. 319, 323 Clement, U. 200, 201, 217, 225 Comelli, G. 179, 350, 351 Cooper, C. L. 32, 43, 92, 166, 355, 369 Copper, E. 361, 369 Critelli, J. 353 Crystal, D. 77, 78, 91 Cuk, A. 92 Cummings, L. L. 166 Cushner, K. 31 D Daniel, O. 179 Darnaud, C. 286 Dasen, P. R. 273 Davis, J. H. 352 Davison, G. C. 218, 225 Debrus, C. 392, 413 Del Campo, F. 92 Deller, J. 168, 179, 237, 241 Demorgon, J. 67, 68, 69, 70, 71, 73, 345, 351 Devanna, M. A. 154, 166 Diehl, M. 378, 389 Dierkes, M. 43 DiStefano, J. J. 87, 91, 348, 349, 351, 352 Domsch, M. E. 370, 416, 417, 431

Döring, N. 373, 379, 380, 381, 382, 385, 389 Dörner, D. 333, 337 Drosdowski, G. 324, 337 Drumm, H. J. 243, 245, 256 Dülfer, E. 153, 165 Dunnette, M. D. 338, 339 Duranti, A. 92 Duvette, M. D. 414 Dyer, N. 305 Dyer, W. G. 350, 351 E Earley, P. C. 324, 329, 330, 337 ECA 416, 431 Eckensberger, L. H. 152, 165 Eder, G. 147, 409, 413 Edler, J. 225 Edwards, J. 352 Edwards, P. 91 Ehrhardt, U. 418, 420, 432 Ekman, P. 277, 286 Engelhard, J. 202 Epstein, I. 161, 165 Erez, M. 324, 329, 330, 337, 353 Esch, F.-R. 272 Eubel-Kasper, K. 323 F Fahrenhorst, B. 31, 166 Fang, T. 296 Faure, G. O. 289, 296 FAZ 399, 413 Felser, G. 262, 270, 272 Ferner, A. 89, 91 Fiedler, F. E. 197, 201 Firth, A. 78, 79, 92 Fischlmayr, I. C. 416, 417, 419, 420, 421, 422, 423, 425, 427, 429, 430, 432 Fisher, R. 166, 298, 305 Flanagan, J. C. 197, 201, 238, 241 Fleishman, E. 327, 337 Fletcher, C. 236, 241 Flichy, P. 379, 389 Foellbach, S. 15, 190, 201 Fontaine, G. 311, 323 Forstmann, S. 33, 43, 358, 369

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Autorenregister

Frank, H. 76, 92 Freisler-Traub, A. 432 Frey, D. 183, 201, 328, 337, 338, 352 Frey, S. 277, 278, 286 Friesen, W. V. 277, 286 Fulk, J. 380, 389 Funke, P. 31 Furnham, A. 137, 147, 392, 413 G Gackenbach, J. 375, 389 Gallois, C. 82, 92 Galtung, J. 281, 282, 286 Gardner, G. H. 148 Gaschick, A. 403, 413 Gehlen, A. 57, 59 Geissner, H. 275, 286 Gelfand, M. 300, 305 Gentry, J. W. 272 Gerard, H. B. 310, 323 Gerrig, R. J. 218, 226 Gertsen, M. C. 43, 355, 369, 370, 371 Gesteland, R. 76, 81, 84, 92 Gibson, C. B. 92 Glaser, E. 87, 92 Gochenour, T. 187, 201 Goldberg, C. 432 Gomez, P. 32, 43 Gomez-Mejia, L. 395, 396, 406, 413 Goodwin, C. 92 Gornik-Durose, M. 272 Götz, K. 225, 242, 256, 353 Graen, G. B. 326, 329, 337 Gräf, L. 389 Grebe, P. 337 Gregersen, H. B. 231, 238, 240, 241, 242, 391, 392, 402, 412, 413 Greif, S. 337 Greis, A. 165 Grice, H. P. 80, 92 Groenewald, H. 370 Großschädl, A. 152, 165 Grove, C. L. 133, 134, 137, 425, 432 Gudykunst, W. B. 88, 92, 183, 184, 201, 240, 242, 277, 286, 299, 305, 306 Guerhan-Canli, Z. 264, 272 Gülpen, B. 204, 216

453

Gumperz, J. 87, 92 Gundlach, F. W. 395, 396, 406, 413 Gureje, O. 165 Gut-Villa, C. 355, 370 H Hackman, J. R. 342, 352 Hagemann, K. 353 Hall, E. T. 63, 64, 67, 71, 73, 84, 92, 300, 301, 305, 361, 370 Hall, M. R. 361, 370 Hallowell, W. 425, 432 Hammer, M. R. 183, 184, 201, 240, 242 Hantschel, G. 416, 432 Harrell, T. 392, 414 Harris, H. 416, 418, 419, 421, 423, 424, 432 Harris, J. 268, 272 Harris, P. R. 323, 359, 370, 392, 413 Harrison, J. K. 93, 208, 216 Harvey, M. G. 391, 395, 396, 406, 413 Harvey, O. J. 92 Hatzer, B. 148 Hawkins, R. P. 388 Heath, L. 352 Heenan, D. A. 153, 165, 437, 442, 444, 449 Heilmann, M. E. 418, 432 Helmers, S. 43, 381, 389 Henderson-King, E. 352 Hermanns, A. 273 Hernández-Campoy, J. M. 87, 93 Heslin, R. 209, 216 Hickson, J. 395, 396, 406, 413 Hilmes, M. 395, 396, 406, 413 Hockel, C. M. 159, 165 Hofbauer, J. 417, 432 Hofbauer, W. 39, 43 Höffe, O. 157, 159, 163, 165 Hoffmann, U. 389 Höflich, J. R. 377, 378, 379, 381, 389 Hofmann, J. 389 Hofmann, L. M. 201, 256, 351, 432 Hofner Saphiere, D. M. 382, 386, 387, 388, 389 Hofstede, G. 21, 31, 32, 39, 43, 52, 59, 61, 62, 63, 64, 66, 67, 70, 71, 73, 325, 338, 355, 357, 370

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Register

Höh, S. 37, 39, 42, 43 Holcombe, K. M. 305 Holden, N. 81, 85, 86, 92 Hoopes, D. S. 128, 137 Hough, L. M. 338, 339, 414 Hovland, C. I. 276, 286 Hoyos, C. Graf 201, 337, 338, 352 Huang, S.-S. 302, 305 Hui, C. H. 336, 338 Huijgen, F. 337 Hunold, G. W. 157, 165 Hunt, J. G. 337 Hwang, S. D. 93 I IKO 411, 413 ILO 416, 432 Industrie- und Handelskammer zu Lübeck 182, 201, 252, 256 Innreiter-Mooser, C. 432 Izraeli, D. N. 423, 424, 431, 432 J Jackson, S. E. 342, 351, 352 Jackson, T. 392, 413 Jago, A. G. 86, 93 Jandt, F. E. 303, 305 Jeserich, W. 168, 171, 173, 179 Jinlong, X. 259, 272 Johnson, D. W. 343, 352 Johnson, F. P. 343, 352 Johnson, L. 93, 353 Jonas, K. J. 388, 389 Jones, E. E. 310, 323 Jun, S. 272 Jung, T. 358, 370 K Kagitcibasi, C. 338 Kals, E. 303, 305 Kaminski, G. 156, 165 Kammhuber, S. 120, 125, 126, 136, 137, 166, 203, 237, 242, 286, 296, 305, 337, 339 Kant, I. 151, 157, 160, 165 Kappel, B. 323 Karus, H. 179 Kashima, Y. 334, 335, 338

Kasper, H. 38, 43 Kaufmann, S. 159, 161, 165 Kealey, D. J. 148 Keillor, B. 268, 272 Kelley, H. H. 106, 110, 115 Kempter, G. 286 Keogh, R. 241, 351 Kerner, M. 157, 165 KF-Uni Graz 416, 432 Kieser, A. 337 Killick, D. 92 Kim, Y. Y. 306, 403, 414 Kinast, E.-U. 200, 201, 206, 208, 211, 212, 216, 242, 256, 353, 446, 449 Kirkman, B. L. 87, 92 Kirkpatrick, D. L. 204, 207, 208, 209, 210, 216 Kitayama, S. 118, 119, 125 Kitzmann, A. 168, 179 Kleinbeck, T. 348, 352 Kleinbeck, U. 348, 352 Kleinfeld, A. 149, 151, 152, 155, 165 Klimecki, R. 93 Kluckhohn, C. 21, 31 Knapp, K. 323 Knowles, E. 305 Koester, J. 92 Kohli, C. 258, 272 Kohls, R. L. 185, 201 Kolb, D. A. 240, 242, 351, 352 Kölling, M. 182, 203 Kopper, E. 317, 323 Korff, M. 152, 165 Kornmeier, M. 258, 259, 260, 263, 272, 273 Körtner, U. H. J. 159, 165 Korzenny, F. 93 Köster, R. 337 Krahnen, J. 179 Krajewski, M. 389 Kreiker, N. A. 241 Kreuzig, H. W. 337 Krewer, B. 101, 115, 161, 166 Kriz, J. 221, 225 Kroeber, A. L. 21, 31 Kröger, H. A. 314, 323 Kropp, F. 272 Kühlmann, T. M. 134, 135, 137, 152,

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Autorenregister

165, 166, 168, 173, 179, 202, 239, 242, 350, 352, 370, 392, 395, 396, 406, 413, 414 Kumar, K. 242, 345, 346, 347, 348, 353 Küng, H. 157, 166 Kwon, U. 272 L LaBahn, D. W. 272 Lamberts, K. 403, 414 Lamnek, S. 204, 210, 216 Landis, D. 29, 31, 148, 181, 183, 201, 216, 242, 323, 366, 370, 414 Lange, C. 189, 201 Langer, I. 279, 286 Latham, G. P. 330, 338 Laubach, T. 165 Layes, G. 100, 115, 120, 125, 135, 136, 137, 148, 160, 166, 203, 209, 216, 237, 242, 286, 296, 305, 337, 339 Lehner, F. 367, 370 Leisinger, K. M. 150, 166 Lenk, H. 156, 163, 165, 166 Leung, S. M. 416, 423, 433 Lewis, R. D. 284, 286 Lieberum, U. B. 416, 417, 431 Lindner, W. 190, 201, 202 Linehan, M. 416, 427, 429, 432 Liukonen, P. 369 Locke, E. A. 330, 338 Lombardo, M. M. 242, 352 Lonner, W. J. 413 Losche, H. 184, 201 Lough, L. M. 338 Lubatkin, M. 371 Luhmann, N. 80, 92 Luk, C. L. 336, 338 Lulay, G. 207, 209, 216 Lynn, M. 268, 272 M Maheswaran, D. 264, 272 Maier, N. R. F. 343, 352 Mallick, K. 77, 92 Malpass, R. S. 413 Maring, M. 156, 163, 165, 166 Markowsky, R. 190, 201 Markus, H. R. 118, 119, 125

455

Marschan-Piekkari, R. 89, 90, 92 Marshall, J. 416, 420, 432 Martin, J. N. 392, 395, 396, 406, 414 Martin, M. 15, 190, 202 Maslow, A. H. 336, 338 Masztal, J. J. 241 Matter, C. F. 305 Mauritz, M. 358, 370 Mayer, C. H. 190, 202 Mayrhofer, W. 416, 417, 432 Mayring, P. 211, 216 Mayrshofer, D. 314, 323 Maznevski, M. L. 87, 91, 342, 343, 348, 349, 351, 352 McCall, M. W. Jr. 239, 242, 350, 352 McClintock, C. G. 109, 115 McGrath, J. E. 341, 348, 352, 386, 389 McIntyre, A. 163, 166 Meckl, R. 243, 256 Medrano-Kreidler, M. del C. 392, 414 Meier, C. 399, 408, 414 Mendenhall, M. E. 240, 242, 352, 395, 412, 413, 427, 429, 432 Mendez, C. 419, 420, 433 Meran, J. 160, 166 Merrilees, B. 271, 273 Meyer-Hentschel Management Consulting 270, 273 Michaelsen, L. K. 242, 345, 346, 347, 348, 353 Middlemist, R. D. 301, 305 Mieg, H. A. 162, 166 Miller, D. 271, 273 Mintzberg, H. 229, 230, 242, 325, 338 Misumi, J. 328, 338 Mitchell, T. 201 Molt, W. 165 Molz, M. 67, 73, 345, 351 Montada, L. 137, 305 Moosmüller, A. 310, 323 Moran, R. T. 318, 323, 359, 370, 392, 413 Morrison, A. J. 242 Morrison, A. M. 242, 352 Müller, A. 148, 190, 202 Müller, S. 154, 166, 258, 259, 260, 263, 272, 273 Müller, W. 337

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Register

Musto, St. A. 31, 166 Myers, J. 352 N Nancy, J. 431 Napier, N. K. 395, 396, 406, 414, 423, 433 Neale, J. M. 218, 225 Nerdinger, F. W. 330, 338 Neubauer, R. 239, 242, 350, 352 Neuberger, O. 230, 242, 324, 326, 338 Nisbett, R. E. 57, 59 Nishida, T. 88, 92, 305 Nishii, L. H. 305 Noakes, J. 329, 338 Nork, M. E. 204, 216 Nöth, W. 389 Nový, I. 190, 202, 435, 442, 444, 450 O O’Kelly, K. P. 337 Oberg, K. 392, 414 Obermann, C. 168, 175, 179 Oddou, G. 240, 242, 427, 429, 432 Oerter, R. 137 Ogden, C. 79, 93 Ogilvie, E. 39, 43 Okabe, R. 277, 286 Ones, D. S. 242 Oppermann, K. 418, 420, 432 Organ, D. W. 153, 166 Osgood, C. E. 270, 272 Owens, D. 268, 272 P Park, H. 89, 93 Parry, M. 92 Patton, B. 298, 305 Pauker, L. 225 Pedersen, P. B. 184, 202, 303, 305 Pekruhl, U. 337 Pemberton, M. J. 111, 115 Perlmutter, H. V. 153, 165, 437, 442, 444, 449 Perry, E. L. 236, 241, 418, 432 Peterson, M. F. 331, 338 Peterson, R. B. 395, 396, 406, 414 Pettijohn, C. 268, 272

Peuker, L. 217 Pingree, S. 388 Poortinga, Y. H. 273 Posavac, E. J. 352 Preuß, S. 32, 43 Prommer, E. 389 Punnett, B. J. 423, 433 Pusch, M. D. 137 Pütz, M. 93 Q Quirk, R. 79, 93 R Rademacher, H. 184, 202 Rauen, C. 218, 220, 225 Raveau, A. 286 Ravlin, E. C. 347, 353 Ready, D. A. 239, 242 Reardon, K. 377, 378, 388 Reber, G. 86, 93, 338 Regnet, E. 201, 256, 351, 370, 432 Reineke, R. D. 437, 449 Reis, J. 148 Reisch, B. 255, 256 Reither, F. 337 Renner, A. 93 Reynolds, C. 421, 433 Rizzo, A.-M. 419, 420, 433 Robertson, T. 166 Rocha-Trinidade, M. B. 92 Ronen, S. 335, 338 Rosen, B. 421, 433 Rosenberger, S. 432 Rosenstiel, L. v. 43, 165, 242, 324, 326, 338, 352, 370 Ross, N. 57, 59 Roth, E. 116 Roth, W. L. 219, 220, 225 Rottenaicher, K. 15, 201 Ruben, B. D. 148 Rubin, J. Z. 288, 294, 296 Ruderman, M. N. 352 Rühle, H. 179 S Sale, N. 166 Salo-Lee, L. 323

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Autorenregister

Samuda, R. J. 241 Sapir, E. 74, 75, 76, 82, 93 Sarges, W. 169, 175, 179, 351 Sassenberg, K. 388, 389 Satir, V. 218, 226 Scandura, T. A. 326, 329, 337 Schaufler, B. 417, 433 Schein, E. H. 37, 38, 43, 325, 338 Schein, V. E. 418, 433 Schenk, E. 15, 28, 31, 171, 180, 190, 192, 201, 202, 221, 226, 284, 286, 290, 296, 301, 305 Scherm, E. 245, 256 Scheu-Lottgen, U. D. 87, 88, 93 Schmal, A. 225 Schmid, S. 15, 190, 202 Schmitz, J. 380, 389 Schmitz, W. 257, 259, 260, 261, 262, 263, 266, 268, 269, 273 Schnabel, R. 202 Schnapper, M. 357, 359, 370 Scholl, W. 343, 352 Scholz, C. 39, 43, 438, 450 Scholze-Stubenrecht, W. 337 Schön, D. A. 351, 352 Schreyögg, A. 218, 226 Schreyögg, G. 359, 370 Schröder, A. 392, 414 Schroll-Machl, S. 15, 155, 166, 190, 202, 236, 242, 256, 344, 352, 353, 366, 370, 392, 402, 406, 414, 416, 417, 424, 425, 426, 427, 428, 429, 430, 433, 435, 442, 444, 450 Schröter, D. 256 Schuler, H. 166, 168, 179, 201, 256, 338 Schulz v. Thun, F. 286 Schulz-Gambard, J. 39, 43 Schwartz, S. H. 331, 338 Schwarz, A. 43 Schwarz, G. 39, 43 Scullion, H. 416, 417, 432 Segall, M. H. 269, 273, 338 Seidlhofer, B. 78, 79, 80, 93 Selmer, J. 433 Selver, C. 225 Shapiro, D. L. 92 Shirts, G. 187, 202 Silbereisen, R. K. 135, 137

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Simon, G. E. 165 Simon, H. 340, 352 Simon-Hohn, H. 403, 414 Sinangil, H. K. 242 Singer, E. J. 218, 226 Sinha, J.B. P. 328, 329, 338 Sisson, K. 91 Sjöstedt, G. 289, 296 Smith, A. H. 31 Smith, C. 416, 421, 423, 433 Smith, P. B. 152, 157, 166, 329, 331, 332, 338 Soederberg, A.-M. 43, 369, 370, 371 Solomon, C. M. 427, 433 Sourisseaux, A. L. J. 166, 256, 323, 339, 353, 369, 392, 412 Spielmann, U. 328, 337 Spieß, E. 152, 166 Stahl, G. K. 148, 152, 166, 168, 173, 179, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 239, 242, 243, 256, 350, 352, 353, 356, 370, 395, 396, 406, 414 Stahlberg, D. 201 Stäudel, T. 337 Staw, B. 166 Steger, U. 43 Stehle, W. 168, 179 Steinbrink, B. 280, 286 Steiner, I. D. 342, 352 Steinfatt, T. 75, 93 Straub, J. 148, 161, 166 Straus, S. G. 384, 386, 389 Stripp, W. G. 323 Stroebe, W. 115 Stroh, L. K. 421, 431 Strohschneider, S. 333, 334, 339 Stumpf, S. 116, 325, 339, 342, 350, 352, 353, 366, 370 Suarez-Balcazar, Y. 352 Sugitani, M. 120, 125 Sundermeier, T. 161, 166 T Tajfel, H. 111, 115, 122, 125, 264, 273 Tausch, R. 286 Tavassoli, N. T. 270, 273 Tayeb, M. 338 Taylor, S. 423, 433

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Register

Tesser, A. 272 Thakor, M. 272 Thibaut, J. W. 106, 110, 115 Thierau, H. 204, 205, 206, 216 Thomas, A. 15, 22, 26, 28, 29, 31, 35, 43, 47, 51, 59, 73, 97, 102, 107, 115, 116, 120, 124, 125, 128, 136, 137, 147, 148, 152, 153, 158, 166, 168, 171, 179, 180, 183, 185, 186, 189, 190, 191, 192, 201, 202, 203, 207, 209, 216, 218, 221, 226, 237, 240, 242, 250, 256, 276, 284, 286, 289, 290, 293, 296, 299, 301, 305, 325, 326, 337, 339, 341, 343, 344, 345, 349, 350, 351, 352, 353, 360, 361, 362, 363, 366, 370, 382, 389, 393, 412, 413, 414, 415 Thomas, D. 91 Thomas, D. C. 344, 345, 347, 353 Tichy, N. M. 154, 166 Tindale, R. S. 352 Ting-Toomey, S. 74, 75, 83, 93, 300, 306 Tinsley, C. H. 302, 306 Tjitra, H. W. 300, 306, 344, 353 Tjosvold, D. 343, 351, 353 Torbiörn, I. 133, 134, 137, 403, 414 Torp, J. E. 43, 369, 370, 371 Toulmin, S. 279, 286 Triandis, H. C. 21, 29, 31, 44, 45, 59, 201, 338, 392, 414 Trompenaars, F. 64, 66, 70, 71, 73, 278, 286 Tschöcke, K. 182, 203 Tuckman, B. W. 348, 353 Tung, R. L. 393, 414, 416, 423, 426, 427, 431, 433 Turner, J. 111, 115 U Ueding, G. 280, 286 UNCTAD 373, 389 Ury, W. 298, 305 Usunier, J.-C. 261, 264, 265, 267, 268, 273 Utz, S. 385, 389

V Vahs, D. 354, 355, 370 van Fleet, D. D. 327, 339 Vansina, E. L. 357, 371 Vassiliou, V. 45 Verdun, K. 92 Verma, G. K. 92 Vermeulen, B. 220, 222, 225, 226 Very, P. 363, 371 Viswesvaran, C. 242 Vogl, C. 42, 43 Volkmann, R. 153, 166 Vollmer, K. 179 Volpert, W. 156, 166 Vowe, G. 389 W Walker, D. 241, 351 Wall, J. A. 302, 306 Wallace, A. W. 347, 353 Walliser, B. 261, 264, 265, 267, 268, 273 Walther, J. B. 385, 389 Ward, C. 130, 131, 137, 392, 414 Warner, E. G. 201 Watson, W. E. 87, 93, 236, 242, 345, 346, 347, 348, 353 Weber, B. 32, 43 Weber, E. 418, 420, 432 Webers, T. 303, 305 Wehner, J. 373, 389 Weiss, W. 276, 286 Weitkamp, J. 370 Welch, D. 92 Welch, L. 92 Wenderoth, A. 257, 259, 260, 261, 262, 263, 266, 268, 269, 273 West, M. A. 338, 347, 352, 353, 367, 371 Westwood, R. I. 416, 423, 433 Whorf, B. L. 74, 75, 76, 93 Wieland, J. 155, 166 Wieman, J. M. 388 Wierzbicka, A. 87, 93 Wilker, F.-H. 226 Williamson, O. E. 86, 93 Wilson, F. M. 417, 418, 420, 433 Winter, G. 132, 133, 137, 395, 396, 406, 414 Winterstein, H. 152, 166

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Autorenregister

Wirth, E. 245, 246, 256, 392, 415 Wiseman, R. L. 92, 414 Wissmeier, U. K. 273 Witte, E. 352 Wolfgang, A. 241 Woodrow, D. 92 Worchel, S. 116 Wosinska, W. 272 Wottawa, H. 204, 205, 206, 216 Wucknitz, U. 355, 371 Wunderer, R. 338 Wuth, S. 354, 355, 370 Y Yamanake, J. 270, 273

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Yeung, A. K. 239, 242 Yong, M. 31 Yoosefi, T. 190, 203 Yukl, G. 327, 339 Yurkiewicz, J. 421, 433 Z Zartmann, I. W. 288, 296 Zeira, Y. 432 Zeutschel, U. 24, 31, 236, 242, 308, 323, 342, 344, 345, 349, 352, 353, 366, 371, 436, 450 Zgourides, G. D. 93 Ziegler, R. 378, 389 Zimbardo, P. G. 218, 226

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Register

Stichwortregister

Stichwortregister

A Acquisition 354 f., 362, 369 Akkulturation 94 f. – Akkulturationsmanagement 406 – Phasenmodell 128, 133 – Stufenmodell 128 Akkulturationsmanagement – Expatriate 407 – Kinder 408 – mitausreisende/r Partner/in 407 Arbeitsgruppen – Effektivität 344, 347 – Gruppenleistung 341 ff., 349 – Heterogenitätsmanagement 343 – Leistungsfähigkeit 341, 344, 350 – Produktivität 341 ff. – Prozesse 341, 345, 347 ff. Assessment-Center – interkulturell 243, 245 ff., 251, 253 Assimilation 127, 128 Auslandseinsatz 391 – Belastungsfaktoren 391 – Expatriates 392 – Kinder 402 – mitausreisende/r Partner/in 398 – Unterstützungsfaktoren 406 Auslandsentsendung 250 f., 253 – Frauen 416, 419 Auslandsentsendungen (Problembewältigungsstrategien) 231, 236, 240 f. C China 258, 260, 262 f., 268, 269, 271, 287, 290, 329, 331 Computer 373, 374, 377 ff., 381, 384 Culture Assimilator 152 f., 189 ff., 196 f., 199, 209 f., 254 – kulturallgemein 191 – kulturspezifisch 191 – Konstruktion von 196

D Deutschland 293, 331, 340, 343 f., 360, 361 Diagnose interkultureller Handlungskompetenz 167 Dolmetschen 81 f. Dolmetscher 81, 289, 291 f., 296 Dominanz 235, 236 E Eigenkultur 46, 49 ff., 56, 58 Ethik 149, 154 f., 157, 159 f., 163 f. Evaluation interkultureller Trainings 204, 206, 208, 210 Evaluationsforschung 204, 209 Expatriates 231, 251 ff., 390, 392 ff., 402, 405, 407, 411, 416 f., 421, 424 f. – Familien von Expatriates 390, 392 f., 398, 400, 402, 411, 428 – Frauen 416 f., 419, 421, 426, 429 F Frankreich 331 Frauen im internationalen Management 416 f., 421 f., 425 f., 430 f. Fremdbild 120 f. Fremdkultur 47 f., 50 f., 53, 56, 59 Fremdsprachenkompetenz 74, 87, 90 f., 104 Führung 230, 233, 241, 324, 325 ff., 331, 336 f. – international 360 – Entwicklung 246 G Gesellschaft 34 f., 39 Globalisierungsstrategie 236 Grundstrategien internationaler Unternehmen 434–448 Gruppenkultur 40, 42

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Stichwortregister

H Human-Resources-Zyklus 245, 247, 250, 256 I Identität 117, 120, 122 Identitätsmanagement – interkulturell 117 f. Indien 328, 334 Individualismus vs. Kollektivismus 62, 107, 119, 267 individualistische Kultur 62 Indonesien 344 Integration 127 f., 354, 356, 358 f., 363, 365, 366 Interaktion 22, 24, 29 f. interkultur 20, 30 f., 47 ff., 51, 54 ff., 111 f., 358 Interkulturalitätsstrategien 434, 435 ff., 440 ff., 444, 446 f. – Anpassung 312, 322, 436, 441 – Dominanz 310, 312, 436, 441, 446, 449 – Innovation 311, 314, 436, 441 – Integration 310, 313, 317, 320 ff., 436, 441, 445, 448 – Koaktion 310, 312 f. – Kombination 436, 441 – Kompromiss 436, 441 – Synergie 436, 438, 441 – Vermeidung 437, 441 – Vermischung 436, 446, 448 interkulturelle Arbeitsgruppen 236, 340 f., 344 f., 347 ff. interkulturelle Argumentation 279 interkulturelle Diagnostik 167 f. interkulturelle Kompetenz 91 interkulturelle Kooperation 308 ff., 314, 317 f., 320 interkulturelle Mediation 297 f., 302 ff. interkulturelle Personalentwicklung 243 ff., 249 ff., 253 ff., 337 interkulturelle Rhetorik 274 interkulturelle Trainings 126, 144, 181 ff., 191, 198, 200 interkulturelle Wahrnehmung 95, 98, 101

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interkulturelles Assessment-Center 168 ff., 245 f. interkulturelles Coaching 217 ff., 224 f., 251 f. interkulturelles Führen 223, 324 f. interkulturelles Handeln 149, 153 interkulturelles Lernen 51, 103, 126, 128, 134 ff., 146 interkulturelles Management 229, 231, 235 ff. interkulturelles Marketing 257, 259 ff., 265, 272 – Differenzierung 258, 263 – Rahmenbedingungen 260 ff. – Standardisierung 258 f. interkulturelles Verhandeln 287, 289 internationales Management – Frauen 416, 421, 430 Internationalisierung 40 Internationalisierungsstrategien 236 Internet 372 ff., 377, 379, 382 f. interpersonaler Konflikt 298 Intranet 375 ff., 379, 383 intrapersonaler Konflikt 297 Israel 330, 336 J Japan 261, 264, 270, 328, 334 K kollektivistische Kultur 62 Kommunikation 94, 96, 101, 103, 104, 112 f., 372 f., 375 ff., 383 f., 387 – computergestützt 373, 386 Kommunikationsstile 84, 87, 89 Kompromiss 235 Konfliktlösung 302 Konfliktverhalten 300 Konfliktwahrnehmung 299 Konsumentenpsychologie 269 Kooperation 94, 96, 103, 106, 109 ff., 115 Kroatien 288 Kultur 19 ff., 28, 29, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 240, 325, 326, 327, 329, 334, 336 Kulturdimensionen 60 f., 63 f., 67 ff. kulturelle Überschneidungssituation 44, 46 f., 58, 96, 99 f., 440

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Kulturschock 128, 130, 131, 132, 133, 135 – Copingmechanismen 429 kulturspezifischer Argumentationsstil 281 Kulturstandard 19, 25, 26, 28, 29 Kulturvergleich 20, 26, 29 M Macht 363, 365 Management 327, 329, 330, 334, 335, 337 – international 238 Marginalisierung 127 Mediation 302 Mediator 289, 291, 296 Medien 372, 374, 376, 377, 378, 379, 380, 381, 382, 384, 386 Merger 354, 355, 356, 358, 359, 360, 362, 363, 365 – Merger-Life 356, 357, 363, 366, 367, 368 – Merger-Prozess 355 f., 358 f., 369 – Post-Merger 355, 360, 361, 363, 365 Metakommunikation 304 multikulturelle Unternehmen 85 multinationale Unternehmen 89 f. N Nationalkultur 33, 34, 35, 36, 40 nonverbale Argumentation 277 O Organisationskultur 32, 35 f., 325, 357 Orientierungssystem 22, 24, 31, 35, 38, 41, 42, 46, 47, 50, 51, 54, 55, 56, 59 P Personalauswahl 245, 246, 247 Personaleinstellung 245 Personalmarketing 245 Personalrekrutierung 245 Perspektivenübernahme 135, 136 polychrome Zeitauffassung 63 f. Projektmanagement – Projektarbeit 307, 308, 317, 319 – Projektgruppe 310, 314, 319 – Projektteam 307, 308, 314, 315, 318, 319, 320

R Reaktionstypen auf Fremdheit 98 f. Reintegration 395 – Expatriate 395 – Kinder 405 – mitausreisende/r Partner/in 402 Reintegrationsschock 132, 133 Rhetorik 274 Rollenspiel 152, 184, 188 S Sapir-Whorf-Hypothese 74 f. Selbstbild 118, 119, 120, 121 Separation 127 Sprache und kulturelle Identität S 74 Sprachkompetenz 79, 89 Stereotyp 121, 122 Synergie 235, 238 T Team – interkulturell 310, 311, 312, 313, 314, 315, 319 Teamarbeit 315 Trainingsablauf 198 Trainingsinhalte 183 f. Trainingsmethoden 184 Trainingszeitpunkt 185 f. Trainingsziel 183 U Unternehmen 372, 373, 376, 377, 379, 382, 383, 385, 386, 387 Unternehmenskommunikation 372 ff., 379, 382 ff. Unternehmenskultur 33, 35, 37, 38, 42, 354, 356, 357, 358, 361, 366 USA 329, 330, 343, 344, 345, 358, 359, 360, 361, 362, 363, 364, 368 V Verhandeln – Kontext 289, 295 – Phasen 292 – Vertrauensbildung 292 Vermeidung 234, 235 Vorurteil 123, 124

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Die Autorinnen und Autoren

Die Autorinnen und Autoren

Die Autorinnen und Autoren Prof. Dr. Georg Felser, ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Harz in Wernigerode. Dr. Iris Christiane Fischlmayr ist Universitätsassistentin am Institut für Unternehmensführung, Forschungsschwerpunkt Internationales Management, an der Universität Linz. Dr. phil. Evelyne Glaser, Mag. phil., ist stellvertretende Institutsvorständin des Instituts für Fachsprachen der Universität Linz. Detmar Grosse-Leege (†), Wirtschaftsredakteur, wechselte 1975 in die Industrie (Villeroy & Boch, Audi, Gruner + Jahr, DaimlerChrysler, Aerospace). Im vergangenen Jahrzehnt arbeitete er gemeinsam mit den Unternehmen und der Wissenschaft im Themenbereich der »Interkulturellen Kommunikation«. Von 1998–2000 Präsident des IIK in Bayreuth. Barbara Hatzer, Diplom-Psychologin, ist tätig für die Berner Gruppe im Bereich Personal Training International. Dr. phil. Stefan Kammhuber, Diplom-Psychologe, ist Berater und Trainer für Interkulturelle Personalentwicklung, Organisationskommunikation und Rhetorik in Industrie und Verwaltung. Dr. Eva-Ulrike Kinast arbeitet als selbstständige HR-Management-Beraterin und Coach für Unternehmen weltweit. Dr. Gabriel Layes, Diplom-Psychologe, ist Lehrbeauftragter an der Universität Regensburg in den Bereichen Interkulturelle Psychologie, Sozialpsychologie und Arbeits- und Organisationspsychologie. Dr. phil. Sylvia Schroll-Machl, Diplom-Psychologin, arbeitet als freiberufliche Trainerin und Coach für namhafte Firmen, Organisationen und Ministerien im Bereich interkultureller Trainings und interkultureller Personalentwicklung. Dr. Siegfried Stumpf, Diplom-Psychologe, ist Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Regensburg. Gründungspartner des Instituts für Kooperationsmanagement (IKO) an der Universität Regensburg. Dr. phil. Alexander Thomas ist Professor für Sozialpsychologie und Organisationspsychologie an der Universität Regensburg. Dr. phil. Gerhard Winter, Diplom-Psychologe, war bis 1998 Akademischer Rat/Oberrat am Psychologischen Institut der Universität Tübingen, Abteilung Sozial- und Persönlichkeitspsychologie; Honorarprofessor für Interkulturelle Kommunikation und Fremdverstehen an der Technischen Universität Chemnitz. Ulrich Zeutschel, Diplom-Psychologe, ist tätig bei der kbp Organisationsberatung in Hamburg sowie als freiberuflicher Trainer, Moderator und Forschungs-Consultant.

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Interkulturelle Kompetenz

Die Autorinnen und Autoren

Die Autorinnen und Autoren

Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation

Sylvia Schroll-Machl

Band 2: Länder, Kulturen und interkulturelle Berufstätigkeit

Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben

Herausgegeben von Alexander Thomas, Stefan Kammhuber, Sylvia Schroll-Machl. 2003. 399 Seiten mit 7 Abbildungen und 6 Tabellen, kart. ISBN 3-525-46166-6

2. Auflage 2003. 216 Seiten mit 2 Abbildungen und 1 Tabelle, kart. ISBN 3-525-46164-X

Ergänzend, aufbauend und weiterführend zum »Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation. Grundlagen und Praxisfelder« widmet sich dieses Buch konkreten Ländern und Kulturen, und gibt einen Überblick über interkulturelle Problemstellungen und Anforderungen in den unterschiedlichsten Berufsfelder, in denen Internationalität eine Rolle spielt und interkulturelle Kompetenz gefragt und gefordert ist. 29 Autoren aus verschiedenen Ländern stellen kulturspezifische Informationen zu ausgewählten Kulturregionen dar mit authentischen Fallbeispielen, länderspezifischen Kulturstandards und kulturhistorischen Hintergründen. Sie behandeln zentrale interkulturelle Aspekte des interkulturellen Managements, der interkulturellen Personalentwicklung, des interkulturellen Marketings, aber auch der Migration, der Rechtspraxis, der Medizin, der Schule sowie interkulturelle Problemstellungen in der Entwicklungszusammenarbeit, bei internationalen Militäreinsätzen oder bei internationaler Wissenschaftskooperation. Der Band stellt dazu wissenschaftliche Ergebnisse unter ausschließlich anwendungs- und praxisorientierten Gesichtspunkten zusammen.

Die Deutschen – Wir Deutsche

Sylvia Schroll-Machls Thema sind deutsche Kulturstandards: empirisch ermittelt, systematisch dargestellt, mit einem Augenzwinkern aufbereitet. Ihre Zielgruppen sind Deutsche und Ausländer, die beruflich mit Deutschen zu tun haben. Ihr Ziel ist es, das gegenseitige Verständnis zu fördern und den Umgang miteinander zu erleichtern.

Sylvia Schroll-Machl

Doing Business with Germans Their Perception, Our Perception 2003. 216 Seiten mit 3 Abbildungen und 1 Tabelle, kart. ISBN 3-525-46167-4

Sylvia Schroll-Machl writes about German cultural standards. Although her work is empirically ascertained, and presented in a systematic way she is able to maintain a certain self-critical levity. Her target groups are Germans and foreigners, who vocationally have something to do with Germans. Her goal is to promote mutual understanding and to offer assistance for intercultural interactions.

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Alexander Thomas Stefan Kammhuber Sylvia Schroll-Machl (Hg.)

Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation Band 2: Länder, Kulturen und interkulturelle Berufstätigkeit Mit 7 Abbildungen und 6 Tabellen

2., durchgesehene Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-46166-2

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Inhalt

Inhalt

Inhalt

Vorwort (Alexander Thomas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung (Alexander Thomas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Kulturunterschiede: Ergebnisse der Kulturstandardforschung 1. Möglichkeiten und Grenzen der Kulturstandardmethode (Stefan Kammhuber/Sylvia Schroll-Machl) . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

Frankreich (Isabelle Demangeat/Markus Molz) . . . . . England (Stefan Schmid) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutschland (Sylvia Schroll-Machl) . . . . . . . . . . . . Tschechien (Ivan Nový/Sylvia Schroll-Machl) . . . . . . . Russland (Vladimir Lyskov-Strewe/Sylvia Schroll-Machl) Polen (Pawel Boski) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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24 53 72 90 103 120

3. Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3.1 Nordamerika: USA (Emily Slate/Sylvia Schroll-Machl) . . . . . . . . . 135 3.2 Nordamerika: Kanada (Tobias Nickel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3.3 Lateinamerika: Argentinien (Katharina Rottenaicher) . . . . . . . . . 161 4. Asien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4.1 Ostasien: China (Yong Liang/Stefan Kammhuber) . . . . . . . . . . . 171 4.2 Ostasien: Japan (Masako Sugitani) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 4.3 Südostasien: Indonesien (Hora Tjitra/Ulrich Zeutschel) . . . . . . . . 197 5. Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 5.1 Ägypten (Abbas Amin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 5.2 Ostafrika (Christian Boness/Claude-Hélène Mayer) . . . . . . . . . . 225

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Inhalt

II. Interkulturelle Tätigkeitsfelder 1. Interkulturelles Management (Siegfried Stumpf) . . . . . . . . . . . . 245 2. Interkulturelle Personalentwicklung in internationalen Unternehmen (Eva-Ulrike Kinast/Alexander Thomas) . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Interkulturelles Marketing (Georg Felser) . . . . . . . . . . . . . . . . 273 4. Interkulturelle Wissenschaftskooperation (Alexander Thomas) . . . . 290 5. Interkulturelle Entwicklungszusammenarbeit (Alexander Loch/Gerhard Seidel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 6. Internationale Militäreinsätze (Stefan Kammhuber/Gabriel Layes) . . 319 7. Migration und Integration (Ute Schönpflug) . . . . . . . . . . . . . . 328 8. Interkulturelle Dimensionen in psychosozialer und medizinischer Praxis (Ramazan Salman/Thomas Hegemann) . . . . . . . . . . . . . 342 9. Rechtsverständnis und Rechtspraxis aus interkultureller Perspektive (Gabriele Britz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 10. Interkulturalität in der Schule (Ulrich Wagner/Rolf van Dick/ Oliver Christ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Stichwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396

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AlexanderThomas:Vorwort

AlexanderThomas:Vorwort

Vorwort

Eine allgemeine Einführung zur Thematik gebe ich in Band 1 des »Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation«. – Während der Band 1 mit dem Untertitel »Grundlagen und Praxisfelder« das theoretische und methodische Wissen vermittelt und Hilfsmittel zur eigenständigen Problemanalyse und Problembearbeitung anbietet, liefert der vorliegende Band wichtige Informationen über handlungsrelevante Kulturstandards in bestimmten Ländern und einen Einblick in Problemstellungen und Lösungswege zentraler Berufsfelder mit einer interkulturellen Schwerpunktsetzung. Im ersten Teil des vorliegenden Bandes werden Ergebnisse der Kulturstandardforschung in verschiedenen Ländern und den dabei zutage tretenden Kulturunterschieden geboten. Nach einer Einführung in die Möglichkeiten und Grenzen der Kulturstandardmethode, die davon ausgeht, dass Kulturstandards als zentrale Merkmale nationalkulturell typischer Orientierungssysteme das Wahrnehmen, Denken, Empfinden und Handeln von Personen bestimmen, werden nationalkulturelle Besonderheiten europäischer, amerikanischer, asiatischer und afrikanischer Länder behandelt. Dabei geht es nicht vorrangig um die Vermittlung landeskundlicher Informationen, sondern um die Herausarbeitung kulturtypischer Merkmale und Unterschiede zu deutschen Verhaltensgewohnheiten, die für eine gelungene interkulturelle Kommunikation und Kooperation zielführend sind. Die dargestellten Befunde beruhen ausschließlich auf empirischen Forschungsarbeiten der jeweiligen Autoren, die auf der Kulturstandardforschung aufbauen. Zu den meisten der behandelten Länder gibt es bereits Trainingsmaterialien zur Vorbereitung auf die Zusammenarbeit mit Partnern aus den genannten Nationen (ebenfalls im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienen). Der zweite Teil dieses Bandes enthält berufsfeldspezifische Darstellungen. In den letzten Jahrzehnten war zu beobachten, dass immer mehr Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens sich den mit der Internationalisie-

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rung und Globalisierung verbundenen Herausforderungen stellen müssen. Es ist die Erkenntnis gewachsen, dass Wissen über kulturelle Besonderheiten, ein hohes Maß an Sensibilität für kulturell bedingte Unterschiede bei Werten, Normen und Verhaltensregeln und ein ausreichendes Maß an interkultureller Kompetenz erforderlich sind, um beruflich erfolgreich zu sein und komplexe Problemsituationen professionell zu meistern. So wird hier dargestellt, welche kulturell bedingten Probleme in Tätigkeitsfeldern wie interkulturelles Management, interkulturelle Personalentwicklung, interkulturelles Marketing, aber auch interkulturelle Wissenschaftskooperation, interkulturelle Entwicklungszusammenarbeit und internationale Militäreinsätze zu beobachten sind und welche Lösungsmöglichkeiten sich anbieten und bewährt haben. Aber nicht nur bei berufsbedingten Einsätzen im Ausland, sondern auch in der Zusammenarbeit mit ausländischen Mitbürgern im eigenen Land sind neue Herausforderungen zu bewältigen. Dargestellt und analysiert werden die Tätigkeitsfelder Migration und Integration, interkulturelle Aspekte medizinischer und psychotherapeutischer Praxis, Rechtsverständnis und Rechtspraxis aus interkultureller Perspektive und Interkulturalität in der Schule. Damit sind zwar gesellschaftspolitisch wichtige und drängende Problemfelder angesprochen, doch ist die Liste keineswegs vollständig, zumal mit einem wachsenden Bedarf nach fundierten Kenntnissen und sachkundiger Unterstützung der professionellen Arbeit von Fach- und Führungskräften in der Beschäftigung mit Problemen der interkulturellen Kommunikation und Kooperation in unserem Land zu rechnen ist. Wer das in diesem Band versammelte Expertenwissen sorgfältig studiert, wird allerdings zweifellos schon recht gut in der Lage sein, selbstständig Antworten und Lösungen auf neue interkulturelle Herausforderungen zu generieren – sei es, dass er sich wissenschaftlich mit interkulturellen Problemstellungen befasst oder im beruflichen Alltag Erfolg versprechende Lösungen entwickeln, durchsetzen und verantworten muss. Forscher wie Praktiker stehen, was ihre Kenntnisse über kulturelle Bedingtheiten unserer Lebenswelten und die Kompetenzen des Umgangs mit ihnen betrifft, trotz des bereits Erreichten noch am Anfang dynamisch sich verändernder Entwicklungen. Alexander Thomas

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AlexanderThomas:Einführung

AlexanderThomas:Einführung

Einführung

Internationalisierung und Globalisierung vieler Bereiche unserer Gesellschaft schreiten ständig voran. Im Berufsleben, in Schule, Studium sowie Aus- und Fortbildung und im privaten Leben nehmen Anzahl und Intensität der Kontakte zu Menschen aus anderen Kulturen immer mehr zu. Für viele ist die berufsbedingte Zusammenarbeit mit nichtdeutschen Partnern im Ausland oder an ihrem Arbeitsplatz in Deutschland schon eine Selbstverständlichkeit. In den Medien überwiegen nicht selten schon die täglichen Nachrichten über Ereignisse in Europa und den USA, aber auch in geographisch und kulturell fernen Ländern die berichtenswerten nationalen Ereignisse. Für den modernen Menschen reicht es nicht mehr aus, diese Informationen aus aller Welt einfach nur irgendwie aufzunehmen, sondern von ihm wird verlangt – und es gehört auch zu seinem Selbstverständnis –, sich darüber ein eigenes und sachlich fundiertes Urteil zu bilden. Wer über die globale Wirtschaftsentwicklung, die internationalen Bemühungen um den globalen Klima- und Umweltschutz, über den Stand der Sicherheitspolitik auf europäischer – transatlantischer – und transkontinentaler Ebene über die globale Armutsbekämpfung und die wirtschaftliche Stellung Deutschlands im globalen Wettbewerb so weit informiert sein will, dass er im Diskurs um Meinung und Gegenmeinung ernst genommen wird und bestehen kann, muss aktuell und qualifiziert informiert sein. Niemand, der zu den Fach- und Führungskräften in unserer Gesellschaft, auf welchen Hierarchieebenen auch immer, gehören will, kann sich der Beschäftigung mit globalen und auf der internationalen politischen Bühne diskutierten Themen mehr entziehen, auch wenn er selbst nicht direkt im globalen Geschäft handelnd tätig ist. Ein gewisses Maß an internationaler Handlungskompetenz wird auf jeden Fall verlangt. Zweifelsohne sind die mit der Globalisierung und Internationalisierung vieler gesellschaftlicher Bereiche zusammenhängenden Anforderungen sowie die Entwicklung einer Kompetenz zur Bewältigung dieser Anforderungen zentrale Themen des beginnenden 21. Jahrhunderts. Historisch betrach-

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tet sind dies aber keineswegs neue Themen. In der Menschheitsgeschichte hat es immer schon Zeiten gegeben, in denen aus militärpolitischen, wirtschaftspolitischen, machtpolitischen, religiösen und anderen Gründen eine Intensivierung transkontinentaler und damit auch interkultureller Prozesse stattfand. Dabei ging es immer um die Erweiterung und Stabilisierung von Macht und Einfluss von einem Machtzentrum auf andere Machtzentren, auf Länder, Kulturen und Kontinente. Die jüngsten Forschungen über die Bedeutung von Fernhandelsstraßen zu Land (z. B. Seidenstraße, Weihrauchstraße, Gewürzstraße, Salzkarawanenwege) oder zur See (Nord-West-Passage, Straße von Malakka, Transatlantikroute, Beringstraße) haben anschaulich belegt, dass im Gefolge von Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, aber auch Eroberungszügen, eine Ausbreitung religiöser Vorstellungen (z. B. Ausbreitung des Hinduismus, Buddhismus, Christentums und Islams) stattgefunden hat und dass dies noch bis in die Neuzeit hinein am Beispiel der weltumspannenden Verbreitung politisch-ideologischer Systeme (Kolonialismus, Marxismus, Kapitalismus) zu beobachten ist. Der internationale und globale Güter- und Ideenaustausch vollzog sich allerdings in früheren Zeiten über Jahrzehnte, wenn nicht über Jahrhunderte hinweg. Oft konnte erst die spätere Geschichtsforschung die globalen Zusammenhänge, Ausbreitungsgebiete und Entwicklungszentren erschließen. Wohingegen den beteiligten und betroffenen Menschen in ihrer Zeit diese Prozesse und Vernetzungen weitgehend verborgen blieben, da sie über kein so weit gespanntes Informationsnetz verfügten, das es ihnen erlaubt hätte, transkontinentale Prozesse dieser Art zu überblicken. Durch den rasanten Fortschritt der Verkehrs- und Nachrichtentechnologie des letzten Jahrhunderts erreichte die Internationalisierung und Globalisierung zweifelsohne eine neue Dimension und Qualität aufbauend auf den Erkenntnissen moderner Wissenschaft und Technik. Informationen können ohne Zeitverzögerung weltweit verbreitet werden und stehen nahezu jedem Interessenten zu relativ geringen Kosten zur Verfügung. Der internationale Austausch von Personen, globales Reisen und weltweite Informationsbeschaffung sind schon lange kein Luxus mehr für Begüterte, sondern unterliegen dem Massenkonsum. Ein Ende der Entwicklungen in der Verkehrs- und Nachrichtentechnologie, die dem modernen Menschen ungeahnte Möglichkeiten internationaler und globaler Mobilität verschaffen, ist nicht abzusehen und ihr Entwicklungstempo ist auch nicht aufzuhalten. Es bleibt allerdings die Frage, ob die an dieser Entwicklung als Produzenten und Konsumenten beteiligten Personen von ihrer psychischen Grundstruktur her, das heißt von ihrer Fähigkeit, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten (Wahrnehmung), ihrer Fähigkeit, die gewonnenen Informationen zu analysieren und zu bewerten (Denken, Urteilen), von ihrer Fähigkeit, ein adäquates Emo© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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tionsmanagement zu betreiben (Gefühle und Empfindungen), sowie ihrer Fähigkeit zu effizientem und die individuelle Bedürfnislage zufrieden stellende Handlungen zu planen und zu realisieren (Handlungsausführung), den gegebenen Anforderungen gerecht werden können. Hier sind durchaus Zweifel angebracht, wenn man bedenkt, dass in vielen Bereichen die technischen und sozialen Entwicklungen ein Gestaltungspotenzial für ein normales Leben und eine hohe Lebensqualität bereitstellen, dass aber die potenziellen Nutznießer aufgrund ihrer historischen, stammesgeschichtlichen und individuellen Entwicklungsgeschichte noch gar nicht in der Lage sind, den sich bietenden Reichtum auszuschöpfen. Dieses Phänomen ist im Bereich der Techniknutzung längst bekannt. So gibt es beispielsweise im Anlagenbau technologisch hoch entwickelte Maschinen- und Systemkomponenten, die eine Fülle von unterschiedlichen Funktionen erfüllen können, von denen aber in der Praxis nur 50 Prozent ihrer Potenziale ausgeschöpft werden, weil die Systemnutzer die sich bietenden vielfältigen Einsatzmöglichkeiten entweder nicht kennen oder aufgrund von Gewohnheiten und Traditionen immer wieder ein spezifisches Problemlösungsverfahren favorisieren, das zwar den Systemeinsatz möglich und sinnvoll macht, das vorhandene Potenzial aber nur suboptimal ausschöpft. Im technischen Bereich begegnet man dieser suboptimalen Praxis mit einer Qualifizierungsinitiative der Systemnutzer, was nicht selten zu einem qualitativen Sprung des gesamten Problemlösungsverfahrens führt und eine komplette Neuorientierung aller beteiligten Personen erforderlich werden lässt. Nicht viel anders stellen sich die Probleme und mögliche Problemlösungen im hier diskutierten Bereich des Umgangs und der Nutzung der durch die Internationalisierung und Globalisierung der Welt sich ergebenden Entwicklungspotenziale auf makrosozialer, also gesellschaftlicher Ebene, wie auch auf mikrosozialer Ebene, also der individuellen Lebensplanung und Entwicklung im beruflichen und privaten Leben. Die folgenden Beispiele aus unterschiedlichen Jahrhunderten und unterschiedlichen Kulturregionen zeigen, um welche zu entwickelnden interkulturellen Kompetenzen es hierbei geht.

1. Bilanz interkultureller Erfahrungen In einem 1900 in Deutschland erschienenen, aus dem Englischen übersetzten Buch von Arthur H. Smith mit dem Titel »Chinesische Charakterzüge« findet sich im Vorwort eine Bemerkung über die enormen Schwierigkeiten, die Menschen aus westlichen Ländern im Umgang mit Chinesen erwarten: »Ganz genauso äußert sich auch Sir Robert Hart, der Generaldirektor des © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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chinesischen Zolldienstes, der länger als vier Jahrzehnte im Reich der Mitte gelebt hat. ›China ist wirklich ein schwer zu verstehendes Land. Vor ein paar Jahren glaubte ich endlich so weit gekommen zu sein, etwas von seinen Angelegenheiten zu wissen, und ich suchte, meine Ansichten darüber zu Papier zu bringen. Heute komme ich mir wieder wie ein vollkommener Neuling vor. Wenn ich jetzt aufgefordert würde, drei oder vier Seiten über China zu schreiben, würde ich nicht recht wissen, wie ich dies anfangen sollte. Nur eins habe ich gelernt. In meinem Vaterlande heißt es gewöhnlich: Laß dich nicht biegen, und wenn es dabei auch zum Bruche kommt. In China dagegen gerade umgekehrt: Laß dich biegen, aber lass es nicht zum Bruche kommen‹« (S. 1). Während es also in westlichen Ländern eine Tugend darstellt, an seinen einmal gefassten Überzeugungen und Wertvorstellungen festzuhalten, selbst dann, wenn man dadurch den Bruch mit seiner sozialen Umwelt riskiert, so gilt für Chinesen, wie Sir Robert Hart feststellt, genau das Umgekehrte. Das Festhalten an eigenen Überzeugungen, Werten und Normen ist zwar wichtig, aber nur so lange, wie es nicht zum Abbruch der viel wichtigeren sozialen Beziehungen zu den Menschen im engeren oder weiteren Umfeld führt. Dies zu verstehen und sein Verhalten in der interkulturellen Begegnung mit chinesischen Partnern darauf einzustellen oder auf solche kulturellen Unterschiede keine Rücksicht zu nehmen und einfach sein eigenes kulturelles Orientierungssystem gegenüber den Partnern durchzusetzen, hat nachhaltige Folgen für die Kommunikation und Kooperation sowohl im wirtschaftlichen wie auch im privaten Lebensbereich.

2. Fremdkulturelle Erfahrungen Der Manager eines großen deutschen Industrieunternehmens mit global orientierter Geschäftstätigkeit berichtet von seinen Erfahrungen in Ostasien und den USA: »Ich habe zunächst drei Jahre in Ostasien gearbeitet und wurde dann in die USA versetzt. In Asien überfällt einen die Fremdheit gleich am ersten Tag, man spürt sie wie einen Hammerschlag. Es dauert Monate, bis man beginnt, hinter der Fremdheit auch Vertrautes zu entdecken. In den USA habe ich es umgekehrt erlebt. Manche Äußerlichkeit mutet zwar zunächst auch fremd an, beispielsweise die Architektur der Städte, aber doch nicht so fremd wie in Asien. Ich habe das, was ich sah, auch ständig in Bezug zu Deutschland gesetzt. Ich habe mich mit Hoffnung, öfter aber auch mit Sorge gefragt: Wann wird es bei uns auch so sein wie hier? Schon in dieser Frage kommt ein gewisses Maß an Nähe zwischen Deutschland und den © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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USA zum Ausdruck! Mit den Menschen kam ich in den USA zunächst sehr gut zurecht: ›Leute wie du und ich‹, dachte ich. Aber je länger ich da war, desto fremder wurden sie mir – und dies in vielen Bereichen. Aus der heutigen Distanz betrachtet, würde ich immer noch sagen, dass die Unterschiede insgesamt viel geringer sind als die zu meinen ostasiatischen Partnern, aber es gab in den USA Momente, da war ich mir dessen gar nicht mehr so sicher, und zwar deshalb, weil vieles nicht so verlief, wie ich das erwartet hatte. Aber ein großer Unterschied war wohl meine Herangehensweise an die beiden Kulturen: In Asien habe ich Fremdheit erwartet und dann manche Gemeinsamkeit gefunden, in Amerika habe ich Gemeinsamkeit erwartet und bin auf viel Fremdes gestoßen.« Ein US-amerikanischer Trainer, der Manager auf den Arbeitseinsatz in Deutschland vorbereitet, bemerkt: »Die meisten Deutschen unterschätzen die Unterschiede zwischen den USA und Deutschland. Umgekehrt ist es etwas anders: Deutschland ist bei uns in den Medien, und überhaupt in unserem Alltag, viel weniger präsent. Aber natürlich haben wir ein ganzes Bündel von Klischees im Kopf, wenn wir an Deutschland denken. Dabei sind wir auch nicht ganz frei von Misstrauen. Aufgrund der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg, der Nachkriegsgeschichte und den aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Unsere Manager, die nach Deutschland geschickt werden, fallen jedenfalls gelegentlich auf den Bauch, schon deshalb, weil sie denken, sie selbst seien schlicht und einfach besser als die Deutschen – technisch und natürlich erst recht moralisch. Weiterhin ist festzustellen, dass einige bedeutende deutsche Unternehmen in den letzten Jahren große Schwierigkeiten auf dem amerikanischen Markt hatten. Eine Weile haben sie die Ursache dafür vor allem in den Wechselkursschwankungen und ähnlichen ›Schicksalsschlägen‹ gesehen. Aber inzwischen hat man sich zu der Erkenntnis durchgerungen, dass falsches Auftreten ihrer Repräsentanten in den USA einen viel bedeutsameren Anteil an den Misserfolgen hatte. Man macht sich inzwischen Gedanken darüber, was es heißt, in den USA ›richtig‹ und ›angemessen‹ aufzutreten.« Erwartungen in Bezug auf den anderen, aber auch in Bezug auf die eigene Position gegenüber dem anderen, prägen offensichtlich die fremdkulturelle Wahrnehmung, das Erleben von Fremdartigkeit oder Gleichartigkeit, die Erfahrung von kultureller Distanz und daraus zu ziehenden Konsequenzen. Weiterhin wird deutlich, dass ein gewisses Maß an Bereitschaft und Fähigkeit zur Reflexion dessen, was man im Umgang mit ausländischen Partners täglich erlebt, notwendig ist, um einen Prozess des interkulturellen Lernens und darauf aufbauend, des Verstehens beziehungsweise des Erfassens von Bedingungen interkulturellen Handelns zu entwickeln, also interkulturelle Kompetenz zu realisieren. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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3. Kulturelle Inkompetenz Ein gar nicht so ungewöhnliches Fernschreiben von einem nigerianischen Kunden an einen deutschen Maschinenbauer lautet: »Sehr geehrter Herr . . . X . . .! Vielen Dank für Ihre geleistete Unterstützung. Wir haben beschlossen, dass Ihr Herr . . . Y . . . Nigeria morgen verlässt. Wir sind der Meinung, dass es für ihn keinen Sinn hat, seinen Aufenthalt hier weiterzuführen. Was die Frage seiner Rückkehr bezüglich der Erledigung des Auftrags betrifft, sind wir der Meinung, dass wir einen anderen Spezialisten aus Deutschland benötigen, der sich besser darstellen kann, toleranter ist und der mit Menschen einer anderen Kultur bei der Vermittlung seiner Fachkenntnisse wirklich zusammenarbeiten kann. Eine solche Person sollte nicht nur Kenntnisse über mechanische Vorgänge besitzen, sondern auch über angemessene Fähigkeiten zur Auftragserledigung verfügen. Wenn Ihre Firma über keine adäquate Ersatzkraft für Herrn . . . Y . . . verfügt, dann ist es auf keinen Fall sinnvoll, Herrn . . . Y . . . wieder zurückzuschicken. Wir werden dann mit unserem eigenen Personal die Produktionslinie anfahren. Ich möchte Sie bitten, mir die Vertragsbedingungen über den Besuch dieses Ersatzspezialisten zusenden. Vielen Dank.« Fachkenntnisse und technisches Spezialistentum reichen also offensichtlich nicht mehr aus, um im globalen Business erfolgreich zu sein. Die Kunden verlangen mehr, und hier insbesondere ein gewisses Maß an interkultureller Sensibilität, interkulturellem Verstehen und Bereitschaft, sich auf die besonderen kulturellen Regeln, Normen, Sitten und Gebräuche des Einsatzlandes einzustellen. Wer diese Anforderungen nicht erfüllt, wird im internationalen Wettbewerb ohne Erfolgschancen sein und Marktanteile einbüßen. Der Rückruf einer Fachkraft und ihr Ersatz erzeugen neben den nicht unerheblichen realen Kosten einen oft nur schwer zu objektivierenden, aber dennoch vorhandenen mittel- und langfristig wirkenden Imageschaden, indem Vertrauen verspielt wird und über das menschliche Versagen auch die fachliche Kompetenz in Zweifel gezogen wird. Trotz dieser überzeugenden Belege für die Beachtung und Behandlung kulturbedingter Unterschiede in der internationalen Kooperation und Kommunikation gibt es nicht wenige, die in der Beschäftigung mit kulturellen Einflussfaktoren eher eine akademische Spielerei als eine ernst zu nehmende Aufgabe sehen. Die Konfrontation mit kultureller Andersartigkeit und Fremdheit führt nicht gleichsam automatisch zur Analyse der kulturell bedingten Ursachen für erwartungswidriges und abweichendes Verhalten und zur Bereitschaft, die kulturellen Hintergründe zu verstehen. Dem steht zum Beispiel die Überlegung entgegen, dass mit zunehmender Internationalisierung und Globalisierung die Kulturen sich einander annähern und ähnlicher werden (McDonaldisierung) und auf diese Weise kul© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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turelle Unterschiede immer mehr an Bedeutung verlieren. Tatsächlich sind in Anbetracht von Uniformierungs-, Modernisierungs-, Assimilationsund aller möglichen Formen von Anpassungstendenzen, von Konsumgewohnheiten über die Art der Arbeitsgestaltung bis hin zu Managementstilen starke Konvergenztendenzen zu beobachten. Bei näherer Analyse wird aber deutlich, dass sich hierbei die Anpassungszwänge nicht gleichmäßig auf alle beteiligten Personen verteilen, sondern dass es sich um das Resultat von Anpassungsdiktaten und Anpassungszwängen mächtiger gegenüber weniger potenten Nationen, Gesellschaften, sozialen Gruppierungen mit globalem Einfluss handelt. Mit steigendem Druck zur Konvergenz zeigen sich aber gleichzeitig ebenso massive Tendenzen zur kulturellen Divergenz, das heißt der (Wieder-)Entdeckung und Betonung kultureller Andersartigkeit und Eigenständigkeit verbunden mit dem Bewusstsein und einer gewissen Wertschätzung kultureller Vielfalt im Kontrast zu kultureller Vereinheitlichung und Vermassung. Mit dem Konvergenzargument lassen sich also die Auseinandersetzung mit kulturbedingten Unterschieden und die Notwendigkeit einer Qualifizierung der gesellschaftlich relevanten Fachund Führungskräfte nicht umgehen. Ob die kulturellen Unterschiede aus individueller Sicht nun als Belastung oder als Bereicherung erfahren und behandelt werden, ändert nichts an der Tatsache, dass es sie gibt, dass sie auf das Wahrnehmen, Denken, Empfinden und Verhalten einwirken und die Kommunikation und Kooperation zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen nachhaltig beeinflussen. Wer versteht, was hier geschieht, sowohl beim fremdkulturellen Partner wie bei sich selbst, warum sich vieles so und nicht anders vollzieht und wie man mit kulturellen Differenzen so umgehen kann, dass sie die eigene und die gemeinsame Zielerreichung fördern und nicht behindern und warum sich die internationale/interkulturelle Zusammenarbeit für beide Partner zufrieden stellend entwickelt, der hat gegenüber anderen Formen des Umgangs mit interkultureller Fremdheit einen produktiven Gewinn erzielt. Das hat zweifelsohne einen Wettbewerbsvorteil. Damit sich dieser soziale, humane und materielle Gewinn, wo immer er möglich ist, auch tatsächlich einstellt, wurde dieses Handbuch geschaffen. Die diesem Handbuch zugrunde liegende Überzeugung für eine erfolgreiche interkulturelle Kommunikation und Kooperation ist in dem einer über dreitausend Jahre alten chinesischen Weisheit entlehnten Satz enthalten: »Nur wer den fremdkulturellen Partner und sich selbst gut kennt, kann in allen Kommunikations- und Kooperationssituationen erfolgreich sein.« Das Erfassen, Studieren und Verstehen fremdkultureller Werte, Normen, Sitten, Gebräuche, Verhaltensregeln, Menschen- und Weltbilder, kurzum des fremdkulturellen Orientierungssystems, reicht also nicht aus. Hinzukommen muss ebenso das bewusste Erfassen, Reflektieren, Verglei© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Alexander Thomas: Einführung

chen und Verstehen des eigenkulturellen Orientierungssystems auf der Grundlage des alltäglichen beruflichen und privaten Lebens, das aber inzwischen so selbstverständlich geworden ist und so routinemäßig zum Einsatz kommt, dass es niemandem mehr bewusst ist. Zur Entwicklung der Schlüsselqualifikation »Interkulturelle Handlungskompetenz« sind das zwar die Grundvoraussetzungen, aber das anzustrebende Qualitätsniveau ist erst dann erreicht, wenn es gelingt, das Potenzial aus beiden kulturellen Orientierungssystemen für beide Partner gleichermaßen zur Zielerreichung (Effizienz) und zur Erhöhung der Lebensqualität (Zufriedenheit) zu optimieren. Alexander Thomas

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Kulturunterschiede:ErgebnissederKulturstandardforschung

StefanKammhuber/S ylviaSchroll-Machl:MöglichkeitenundGrenzen

I. Kulturunterschiede: Ergebnisse der Kulturstandardforschung

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Stefan Kammhuber/Sylvia Schroll-Machl

1. Möglichkeiten und Grenzen der Kulturstandardmethode

Häufig werden interkulturelle Trainer und Coaches mit dem Wunsch von Teilnehmern nach einem »Weltkulturatlas« konfrontiert, der zu möglichst allen Kulturregionen die wichtigsten Informationen in kurzen Regeln enthält. Jeder seriöse Weiterbildner steckt dann in einem Dilemma. Er oder sie weiß, dass das vollständige Verstehen bereits von nur einer Kulturregion ein nahezu unmögliches Unterfangen bedeutet, und ist sich gleichzeitig bewusst, dass die Personen ein Kulturwissen erwerben müssen, das sie befähigt, in ihrem interkulturellen (Berufs-)Alltag flexibel zu handeln. Ein zu detailliertes System, das alle denkbaren Aspekte und Perspektiven zu integrieren versucht und deshalb nur einen sehr eng umrissenen Weltausschnitt erfassen kann, stellt einerseits für den Lernenden eine Überforderung dar wie andererseits einfache Verhaltensregeln an der Komplexität und Vielfältigkeit der interkulturellen Alltagswirklichkeit zwangsläufig scheitern müssen. Eine weitere Möglichkeit, dem Teilnehmerwunsch ansatzweise zu entsprechen, bietet sich durch das Verwenden von kulturallgemeinen Dimensionen (siehe Bd. 1, Kap. I, 1.4), anhand derer verschiedene Kulturregionen miteinander verglichen werden können. Allerdings taugen solche Modelle aufgrund ihrer Allgemeinheit als Hilfestellung für das konkrete Handeln in spezifischen Situationen nur bedingt. Es bedarf also eines kulturspezifischen Systems von Kategorien, die für ein bestimmtes Handlungsfeld Gültigkeit besitzen, die die Grundlage für das jeweilige Handeln bilden können, für den Lernenden handhabbar sind und im jeweiligen Alltag weiter ausdifferenziert werden können. Die Kulturstandardforschung hat sich für diesen Zweck als sehr geeignet erwiesen. Sie basiert auf einer systematischen und empirischen Herangehensweise, ist überprüfbar und erweist sich als sehr nützlich für die Praxis. Allerdings birgt der Umgang mit diesem Wissen die Gefahr von Missverständnissen, wenn Kulturstandards nur oberflächlich als Handlungsregeln verstanden und verwendet werden und ihr Entstehungsprozess und Gültigkeitsbereich nicht berücksichtigt wird. Deshalb wird im Folgenden auf die Möglichkeiten und Grenzen dieser Methode näher eingegangen.

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Kulturunterschiede: Ergebnisse der Kulturstandardforschung

Die Kulturstandardforschung (siehe Bd. 1, Kap. I, 1.1) vertritt ein betont kulturrelativistisches Konzept: – Ihr Anspruch ist es, die für eine spezifische Kultur typische Ausprägung menschlichen Wahrnehmens, Fühlens, Denkens und Handelns zu erfassen. – Ergebnisse der Kulturstandardforschung sind handlungsfeldspezifisch: Das jeweilige Handlungsfeld (z. B. Management, Studium, Sprachunterricht usw.) bestimmt den Definitionsbereich für die generierten Kulturstandards. Es stellen sich in unterschiedlichen Handlungsfeldern verschiedene Aufgaben und Handlungszwänge und unterschiedliche Interaktionen sind für die jeweiligen Handlungsfelder charakteristisch. Somit können dem Verhalten in einzelnen Handlungsfeldern verschiedene Kulturstandards zugrunde liegen, weil die jeweilige Situation bestimmte potenzielle Handlungsmöglichkeiten und -alternativen bereithält. Es spielt also eine Rolle, in welchem Kontext Kulturstandards gewonnen wurden. Wenn für ein Land mehrere Kulturstandard-Forschungsergebnisse in mehreren Handlungsfeldern vorliegen, kann im kritischen Vergleich der Ergebnisse der verschiedenen Handlungsfelder ein vollständigeres, für dieses Land spezifisches Spektrum von Kulturstandards ermittelt werden. Dabei ist zu prüfen: Welche ähnlichen Handlungsbedingungen treten auch in dem interessierenden Handlungsfeld auf? Welche nicht? Welche zusätzlich? Wirken die Kulturstandards in gleicher Weise? In ähnlicher Weise? Doch auch dann gilt: Die entwickelten Kulturstandards sind immer nur ein Ausschnitt aus den gesamten, potenziellen Kulturstandards, die für Kulturbegegnungen in diesem Land typisch sind. – Kulturstandards resultieren aus einem spezifischen Erhebungsprozess, der in einem spezifischen zeitlichen und räumlichen Kontext stattfindet. In ihm wird nach erwartungswidrigen Auffälligkeiten in konkreten Alltagssituationen gefragt. Diese als ungewöhnlich und kritisch erlebten Situationen werden gesammelt, geordnet und nach interdisziplinärer Analyse mit bestimmten Begriffen und Erklärungen, eben den Kulturstandards versehen. Sie sind daher keine generelle Beschreibung einer anderen Kultur, sondern weisen auf verhaltenssteuernde Normen hin, die gegenüber der Eigenkultur, das heißt hier: der deutschen Kultur, anders erlebt werden. Insofern ist ein Kulturstandard tatsächlich nur im Kontrast zu seinem anderskulturellen Pendant zu verstehen. So mag ein deutscher Angestellter aus den Augen seiner niederländischen Kollegen als hierarchieorientiert wahrgenommen werden, während der gleiche Angestellte aus französischer Perspektive als eher gleichheitsorientiert erscheint. – Die hier vorgestellten Kulturstandards sind gewonnen aus den interkulturellen Erfahrungen von deutschen Befragten mit anderskulturellen Personen; ob die Kulturstandards auch aus einer anderen kulturellen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Perspektive heraus Gültigkeit beanspruchen können und zum Beispiel für nichtdeutsche Teilnehmer eines interkulturellen Trainings geeignet sind, muss zuvor gründlich geprüft werden. – Kulturstandards sind kategoriale Bestimmungen und erfüllen deshalb die Funktion von Stereotypen. Sie unterscheiden sich aber von Vorurteilen gegenüber einer anderen Kultur, weil sie nicht vereinfachte, unreflektierte Bemerkungen, Meinungen und Einstellungen über eine Zielkultur widerspiegeln, sondern aus der systematischen Analyse realer und alltäglich erlebter Handlungssituationen heraus konstruiert werden. Um die Aufnahme und Verarbeitung vielschichtiger Lerninhalte wie Kultur überhaupt zu ermöglichen, muss zwangsläufig eine Reduktion der Komplexität erreicht werden – ein Vorgang, der permanent in der menschlichen Wahrnehmung und Informationsverarbeitung stattfindet. Genau dazu dienen Stereotypisierungen. Das führt zwar immer wieder zu Verzerrungen, aber ermöglicht erst die Orientierung in neuen Situationen. Entscheidend bleibt, wie bewusst dieser Vorgang vollzogen wird, wie realitätsnah die Stereotype konstruiert sind und wie offen sie gegenüber weiteren Differenzierungen bleiben. So wird beispielsweise aus deutscher Perspektive heraus in vielen Kulturregionen die Betonung der Beziehungsebene als fremd und anders zur eigenen »Sachorientierung« erlebt. Das weist darauf hin, dass die Sachorientierung ein zentrales Element der deutschen Kultur darstellt. Es bedeutet aber nicht, dass sich die Beziehungsorientierung in den unterschiedlichen Kulturregionen immer in der gleichen Weise ausformt. Bei genauerer Betrachtung ähnlich lautender Kulturstandards der verschiedenen Zielkulturen stellen sich sehr wohl Unterschiede heraus, die im Alltagshandeln berücksichtigt werden müssen, will man nicht aus orientierungsstiftenden Stereotypisierungen Vorurteile über eine Zielkultur erzeugen. – Kulturstandards sind in ihrem zeitlichen Kontext zu verstehen. Sie unterliegen dem sozialem Wandel, der in einer Gesellschaft stattfindet. Bestimmte Normen werden in einer Gesellschaft über lange Perioden bestätigt, indem sie immer wieder im Alltag reproduziert werden. Genausogut ist es möglich, dass sich in bestimmten Handlungsfeldern modifizierte oder gar neue Konventionen des gesellschaftlichen Miteinanders herausbilden: Kulturstandards haben ihre Wurzeln in bestimmten historischen Entwicklungen, sind adaptive Antworten einer Gesellschaft, Nation oder Gruppe auf bestimmte Notwendigkeiten. Sie sind einerseits permanent einem (langsamen) kulturellen Wandel unterworfen und andererseits Ergebnisse besonders prägender Epochen. Sie stellen eine sinnvolle, aktive Verarbeitung der Anforderungen an die Organisation des menschlichen Lebens unter einschneidenden geschichtlichen Bedingungen dar. Der Rhythmus des Entstehens und Vergehens von Kulturstandards bemisst © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sich dabei mindestens in Generationen, wenn nicht gar in Jahrhunderten. Es lassen sich somit auf der kulturhistorischen Spurensuche Veränderungen jüngeren Datums ausmachen, aber auch recht alte Fundamente freilegen. Das folgende Kapitel zeichnet die historische Ausdifferenzierung von Kulturstandards exemplarisch im deutsch-französischen Kulturvergleich nach. – Kulturstandards können als »Denkwerkzeuge« zur Selbst- und Fremdreflexion in interkulturellen Lernprozessen dienen. Sie müssen einer weiteren Differenzierung immer offen stehen, um einer Person als Individuum und nicht ausschließlich als Kulturträger wirklich gerecht werden zu können. Sie sind eher aufzufassen als begründete Fragen, die eine Person an eine interkulturelle Begegnungssituation stellen kann, um sie in ihrer Komplexität angemessen einschätzen und angemessen handeln zu können. Das Kulturstandardkonzept stellt eine Verbindung zwischen möglichst exakter und empirisch fundierter Erfassung der Komplexität kultureller Werte und Normen einer Gemeinschaft und deren Vermittelbarkeit für Kulturfremde dar, zum Beispiel durch interkulturelle Trainings oder durch Lektüre. Es bietet zweifelsfrei folgende Vorteile: – lebensnahe Strukturierung, – leichte Verständlichkeit, – gute Übersichtlichkeit, – einfache Memorierbarkeit. Dieses Gerüst muss durch eigene Erfahrungen und Gespräche mit Angehörigen der anderen Kultur differenziert und erweitert werden. Wer glaubt, mit einer bestimmten Anzahl von Kulturstandards eine andere Kultur im Sinne von »abschließenden Antworten« endgültig verstanden zu haben, wird an der Vielfalt und Komplexität menschlichen Lebens im interkulturellen Alltag scheitern. Interkulturelles Lernen ist ein fortdauernder, nicht abzuschließender Prozess. Evaluationsstudien zu interkulturellen Trainings (Bd. 1, Kap. I, 2.3) zeigen, dass das so verstandene Wissen um Kulturstandards weiteres interkulturelles Lernen kognitiv und emotional erleichtert und dass dieses Wissen für das Handeln in der Praxis sehr hilfreich ist. Deshalb werden nur die Forschungsergebnisse präsentiert, die auf der Basis der aufwändigen Konstruktionsmethode für Kulturstandards gewonnen wurden (Bd. 1, Kap. I, 2.2). So erklärt sich die Auswahl der Zielkulturen in diesem Kapitel. Um der Sehnsucht nachzukommen, Informationen über möglichst viele Zielkulturen zu erhalten, wird bei den einzelnen Darstellungen in einem letzten Abschnitt eine vorsichtige Generalisierung der© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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jenigen Aspekte vorgenommen, die eine (teils durch laufende Forschung begleitete) Übertragung auf weitere Länder zuzulassen scheint. Die historischen, politischen und ökonomischen Hintergründe (Bildungssystem, Wirtschaftsform, Politik, geschichtliche Ereignisse usw.), die zur Ausbildung der geschilderten Kulturstandards geführt haben, sind nicht immer an Landes- oder Sprachgrenzen gebunden und können eine Basis für Ländergrenzen überschreitende Generalisierungen bilden, die in weiteren Kulturstandardstudien permanent überprüft werden.

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Kulturunterschiede:ErgebnissederKulturstandardforschung

IsabelleDemangea t/MarkusMolz:Frankreich

2. Europa

Isabelle Demangeat/Markus Molz

2.1 Frankreich

Fallbeispiel Drei Manager arbeiten in einem deutsch-französischen Projekt eng miteinander. Bernd K., Bereichsleiter, Helmut W., Projektleiter für Deutschland, und Jacques G., Projektleiter für Frankreich. Bei ihren regelmäßigen Treffen ist der Ton freundschaftlich und kumpelhaft, unter Ingenieuren versteht man sich ja – sogar in der Konzernsprache Englisch. So auch an diesem Tag der monatlichen Projektbesprechung, diesmal in Deutschland. Es steht seit zweieinhalb Wochen an, dass Frankreich Zahlen liefern soll, die Helmut für die weitere Planung braucht. Er geht davon aus, die Zahlen wie vorgesehen an diesem Tag zu bekommen. Jacques steigt aber nach der Besprechung in das Taxi zum Flughafen ein – weder Bernd noch Helmut bekamen die Zahlen. Kein Wort wurde darüber verloren. Im Taxi denkt Jacques darüber nach: »Die beiden haben gar nicht nach den Kennzahlen gefragt – so dringend kann es also nicht sein! Immer dasselbe: Die machen Druck und dann ist es plötzlich nicht mehr so wichtig. Ich rufe Bernd morgen an – es gibt noch einige Sachen aus der heutigen Sitzung, die ich klarstellen muss. Und außerdem soll Bernd die Zahlen absegnen, er ist doch Bereichsleiter, nicht der Kollege Helmut, oder? Und das Frankreichgeschäft ist ja meine Verantwortung! Wenn ich Helmut alles schicke, nehmen sie uns nie ernst . . .« Tags darauf schickt Jacques eine E-Mail an Bernd, in der er einen Teil der Zahlen übermittelt und dazu eine Erklärung, warum sie noch nicht definitiv sind. Außerdem bittet er ihn um ein Gespräch: Er möchte zu einigen der Themen des Meetings vom Vortag die Sicht des französischen Standorts klarstellen. Bernd liest die E-Mail und denkt: »Als ob ich nichts Wichtigeres zu tun

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hätte, als mich um die Kennzahlen von Frankreich zu kümmern . . . Wieso schreibt er, die Zahlen seien noch nicht definitiv und abhängig von unserem Gespräch? Und warum schickt er sie an mich? Ich habe doch die Projektkoordinierung an Helmut delegiert. Der muss da jetzt aber mal Ordnung in die französischen Projektsachen bringen . . . Jacques ist ja ein hervorragender Fachmann – aber für die Orga ist er nicht geboren! Und wieso bringt er heute wieder Themen hoch, die wir gestern eigentlich alle zusammen verabschiedet hatten? Das ist mal wieder unnötiger Aufwand!« Bernd leitet die E-Mail an Helmut weiter (und eine Kopie an Jacques) mit dem Vermerk: »Bitte in Ordnung bringen und für Informationen sorgen. Mit freundlichen Grüßen, Bernd.« Jacques ärgert sich schwarz: »So ein Chef, der nicht mal direkt antwortet!!« Helmut ärgert sich schwarz, über Jacques: »So was Linkes! Wieso geht er an den Chef!! Und die Zahlen sind nicht mal definitiv . . . Das hätte er doch gestern ansprechen können. Und ich denke mir noch, na ja, warte noch ein bisschen, er hat momentan ja wirklich viel am Hals, er wird schon die Zahlen bringen. Ganz schön blöd! Nun mach ich es wahr: Ich stelle einen anderen ein, der dort die Standortleitung übernimmt und für Ordnung sorgt!« Die weitere Verschärfung des Konflikts kann man sich ausmalen. So – oder so ähnlich – entwickeln sich häufig Kooperationssituationen mit den geographisch nahen, kulturell jedoch fernen Partnern aus Frankreich (für ein anderes Fallbeispiel siehe Molz u. Zeutschel 2001).

Analyse der Situation aus beiden nationalkulturellen Perspektiven Analyse der Situation aus französischer Sicht Jacques weiß, dass in seinem Unternehmensbereich eine Reorganisation ansteht. Er möchte sicherstellen, dass aus dieser Umstrukturierung keine Nachteile für seinen Standort entstehen; er fühlt sich seinen Leuten sehr verpflichtet. Er bekommt Helmuts Anfragen wegen der Zahlen in Form mehrerer kurzer E-Mails, die keine Hintergrundinformationen mitliefern. Sinngemäß ist die Antwort von Jacques auf Helmuts Anfrage: Selbstverständlich wird er ihm die angefragten Daten geben. Er wird jemandem von seinem Team damit beauftragen. Aber er möchte eigentlich über die Folgen informiert werden und wüsste gern, was mit diesen Daten passieren soll. Er schlägt auch vor, dass sie beide gemeinsam mit Bernd die absehbaren Veränderungen im

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nächsten Jahr diskutieren. Aus der Sicht von Jacques ist es von wesentlicher Bedeutung, die Diskussion der Entwicklung im nächsten Jahr mit den aktuellen Zahlen zu verbinden, da beides für ihn sehr stark zusammenhängt. Die Antworten von Helmut darauf empfindet Jacques als sehr vage. Außerordentlich wichtig erscheint es ihm deshalb jetzt, Garantien des Entscheiders, Bernd, für die Erhaltung des französischen Standorts zu bekommen. Im Projektmeeting kann er vor den anderen nicht offen mit Bernd darüber sprechen, da nur ein Teil der Anwesenden informiert werden darf. Deshalb spricht er mit seinem Kollegen Helmut darüber und versucht, mit Bernd in Kommunikation zu treten. Aus seiner Sicht hat er deutlich genug signalisiert, wie er die Zusammenhänge sieht. Die Handlungen seines Kollegen (z. B. wenig Erklärungen trotz Nachfrage, Umstrukturierung und Projekt zu trennen) deutet er als Hinweis, dass der Standort in Frankreich doch etwas zu befürchten hat. Deshalb wird er Helmut gegenüber immer vorsichtiger und wendet sich immer mehr direkt an den Chef, Bernd. Seine Intention wurde – so meint er – durch seine Kommentare zu den Zahlen deutlich gemacht, nämlich bei der strategischen Entwicklung des Standortes involviert zu werden. Sonst geht er in den Kampf – nicht gern, aber wenn es sein muss . . .

Analyse der Situation aus deutscher Sicht Bernd hat die Projektjahresplanung an Helmut delegiert, weil sie beide am selben Standort sind. Er erwartet gute Ergebnisse, weil er genau weiß, dass die Teammitglieder und -verantwortlichen hervorragend qualifiziert sind, wie zum Beispiel Helmut und Jacques. Seiner Meinung nach sollten Diskussionen über Umstrukturierungen erst nach der Fertigstellung der Jahresplanung geführt werden. Helmut betrachtet sich qua Projektleiterfunktion als Verantwortlicher für einen Teil des Geschäfts, das am französischen Standort für das Projekt läuft. In dieser Eigenschaft braucht er von seinem Kollegen Jacques Informationen und Kennzahlen zu Produkten und zur Leistung der Abteilungen. Die Projektplanung steht an und er will seine Sachen voranbringen. Er ist überzeugt, klar kommuniziert zu haben – eben schriftlich per E-Mail, um Missverständnisse durch die englische Sprache zu vermeiden. Und außerdem, warum sollte es dieses Jahr anders als bei den anderen Planungen sein? Er hat Jacques’ Bedenken und seine Hinweise zur Umstrukturierung zwar gehört, will sich aber von Entscheidungen, die noch gar nicht verabschiedet sind, in seiner jetzigen Arbeit nicht behindern lassen. Deshalb lässt er sich von Jacques’ wiederholten Andeutungen nicht beirren und gibt zu verstehen, dass man selbstverständlich beizeiten miteinander darüber reden werde. Er

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denkt, zunächst solle aber Jacques die Zahlen bringen und, gerade weil eine Umstrukturierung geplant ist, besonders zuverlässige Arbeit liefern. Dass dies weniger als sonst der Fall ist, irritiert ihn. Um Lösungen von Problemen zu entwickeln und Entscheidungen zu treffen, gibt es schließlich die monatliche Besprechung. Es hätte alles auf den Tisch kommen können. In der Zeit, in der er auf die Zahlen wartet, wächst Helmuts Gefühl, ausgeliefert und in seiner Arbeit behindert zu werden. Da Umstrukturierungen anstehen, will er seinem Chef Bernd zeigen, dass er in der Lage ist, das gesamte Projekt – auch den französischen Teil – »in Ordnung zu bringen«. Nach der letzten E-Mail aus Frankreich teilt er seinem Vorgesetzten Bernd und seinem Kollegen Jacques G. mit, dass er für die Geschäftsführung der laufenden Geschäfte am französischen Standort einen neuen Mann einstellen möchte, der Jacques bei der Organisation, Verwaltung und bei allem, was nicht die fachliche Geschäftsführung anbelangt, unterstützen würde.

Notwendigkeit einer kulturellen und interkulturellen Analyse Die Situation ist »doch ganz klar« – so denkt sich jeder. Keiner weiß von der inneren kulturellen Logik der anderen, die jedoch zu ganz unterschiedlichen »Klarheiten« führt. Um eine Konfliktsituation wie die aus unserem Beispiel zu entschärfen, wird sehr häufig versucht, an den persönlichen Eigenarten der Protagonisten anzusetzen. Sie sollen ihre persönlichen Kommunikationsfertigkeiten verbessern oder »konfliktfähiger« werden. Oder aber es werden die Organisationsstrukturen und -abläufe analysiert und gegebenenfalls verändert, damit die ersehnte Klarheit entsteht. Diese beiden Ansatzpunkte (Person und Organisation) sind selbstverständlich von großer Bedeutung und können fruchtbar genutzt werden: Funktionale Strukturen, Zuständigkeiten und Verfahrensregeln sowie hoch entwickelte kommunikative Fertigkeiten der Akteure sind grundlegende Erfolgsfaktoren, gerade auch in der erhöhten Komplexität internationaler Kooperationen. Für eine Bewältigung der Problemsituation aus dem Fallbeispiel reichen sie jedoch nicht aus. Dies liegt daran, dass die Denk- und Handlungsmuster, die die Protagonisten aufgrund ihrer nationalkulturellen Orientierungen zeigen, die jeweilige Wahrnehmung und Gestaltung von Organisation und Kommunikation grundlegend beeinflussen. Wenn sie in ihrer Gegensätzlichkeit nicht bekannt oder nicht bewusst sind, können sie in Analyse, Reflexion und Aktion nicht einbezogen werden. Die Auseinandersetzung mit der Beschreibung der Kulturstandards – also mit der Beschreibung der kulturellen Binnenlogik jedes Orientierungssystems – ist ein erster Schritt in Richtung Verständigung, weil sie ein Teil

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der Gesamtsituation, das kulturelle Mind-Set der involvierten Personen, zugänglich macht. Im Anschluss an dieses Verständnis stellt sich die strategische Frage, wie diese gegensätzlich oder inkompatibel erscheinenden Ansichten verknüpft werden können (Demorgon u. Molz 1996). Mit welchen Kulturstandards haben wir es in der deutsch-französischen Zusammenarbeit immer wieder zu tun? Was müssten Jacques, Bernd und Helmut von der anderen und ihrer eigenen Kultur wissen, um die Eskalation in dem dargestellten Konflikt zu vermeiden?

Französische und deutsche Kulturstandards im Kontrast Die in dem Fallbeispiel offensichtlich gewordenen Unterschiede in den Wahrnehmungs- und Handlungsperspektiven wollen wir nun systematisieren. Dazu behandeln wir sechs Aspekte, die für jede zielgerichtete und arbeitsteilige Tätigkeit zentral sind: Kommunikationsstil, Rationalität bei der Aufgabenbewältigung, Problemlösungsstrategie, Zeitmanagement, Macht und Einflusswege sowie Entscheidungsprozesse. Weder die deutsche noch die französische Nationalkultur kann mit den extremen Ausprägungen identifiziert werden. Unabhängig von der Nationalkultur stecken in grundsätzlich jedem Vorgehen Anteile beider angesprochenen Varianten (Demorgon u. Molz 1996). Die Gewichtung jedoch ist im Durchschnitt (nicht im Einzelfall) so deutlich voneinander abweichend, dass Situationen wie die im Fallbeispiel zwischen den »fernen Nachbarn« systematisch und nicht zufällig auftreten. Dahingehend ist die Forschungslage sehr eindeutig (Erlinghagen 1996; Helmholt 1994; Horovitz 1978; Laurent 1985; Maurice et al. 1979; Pateau 1999; Pfohl u. Buse 1997; Smith u. Peterson 1996). Keine Variante ist an sich besser oder schlechter. Jede kann mehr oder weniger zu einer Situation passen. Diese Passung zwischen Situation und Handlung ist jedoch im internationalen Kontext nicht so eindeutig gegeben, wie im jeweils nationalen. Der erfolgskritische Einfluss der kulturellen Bedingungen und ihre Trägheit bezüglich Änderungen wird bei grenzüberschreitenden organisationalen Verschränkungen sehr häufig übersehen oder stark unterschätzt (Ihrig 1994), wogegen der homogenisierende Einfluss multinationaler Organisationen überschätzt wird (Laurent 1985).

Kommunikationsstil: implizite, indirekte, mündliche Botschaften – explizite, direkte, schriftliche Botschaften Laut deutschem Duden bedeutet »implizit«: »nicht ausdrücklich, nicht deutlich; nur mit enthalten, mitgemeint«. Die französische Definition für

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»implicite« aus dem Petit Robert dagegen lautet (übersetzt): »Was virtuell in einer Aussage oder einer Tatsache enthalten ist, ohne formell ausgedrückt zu sein, und durch Deduktion oder Induktion daraus erschlossen werden kann.« Das heißt: Das französische »implicite« ist eine Art Einladung mitzudenken und die Botschaft durch eigenes Weiterdenken zu ergänzen. Die Information ist in der Nachricht also durchaus enthalten, nur steckt die eigentliche Botschaft gerade nicht im Gesagten, sondern im Ungesagten. Dennoch ist sie dem Zuhörer zugänglich, wenn er die aktuelle Situation, den Kontext, die Haltung des Anderen, seine nonverbalen Signale, die gemeinsame Vorgeschichte, den geteilten Bildungshintergrund, den gemeinsamen Erfahrungshorizont als Interpretationshilfen heranzieht. Kommunikation in Frankreich basiert auf der (ebenfalls implizit) geteilten Grundannahme, dass jede explizite Äußerung von einem impliziten, mit gemeinten Teil begleitet wird, der häufig sogar die wesentliche Information enthält, während der explizite Anteil nur den Aufhänger liefert. Implizite Kommunikation kann sich besonders gut in dynamischen, mündlichen Gesprächssituationen entfalten, auch wenn sie darauf nicht beschränkt bleibt. Je wesentlicher die Inhalte, desto eher wird die mündliche Kommunikation gewählt. Stark implizites Kommunikationsverhalten, wie es in Frankreich häufig vorkommt, arbeitet gezielt mit vielfältig interpretierbaren Andeutungen. Dabei durch andere Personen Informationen einholen oder streuen zu lassen, ist durchaus üblich, akzeptiert und erfolgreich. Insgesamt dominiert die Informations-Holschuld, das heißt, es ist weitgehend normal, wenn keine Benachrichtigungen erfolgen und Erklärungen und Begründungen nur auf Nachfrage gegeben werden (Erlinghagen 1996). Bei einem stark expliziten Kommunikationsverhalten, wie es in der deutschen Kultur üblich ist (siehe Kap. I, 2.3), lässt sich die relevante Information praktisch vollständig dem entnehmen, was ausdrücklich geäußert wurde. Tatbestände und Wünsche werden sehr direkt und möglichst präzise formuliert – insbesondere in einer beruflichen Umgebung. Nur auf das, was auf diese Art und Weise geäußert wird, kann man sich sinnvoll und verlässlich beziehen, besonders wenn dies schwarz auf weiß geschieht. Je wesentlicher die Inhalte, desto eher werden sie der schriftlichen Kommunikation anvertraut. Darüber hinaus erscheint es selbstverständlich, dass relevante Informationen unaufgefordert beziehungsweise vereinbarungsgemäß eingebracht werden (Informations-Bringschuld). Ungeübte aus stark explizit kommunizierenden Kulturen nehmen die Andeutungen und entsprechende nonverbale Ausdrucksweisen von stärker implizit kommunizierenden Personen nicht wahr, nicht ernst oder dekodieren sie nicht als vollständige Botschaften. Gezielte, bedeutungshaltige Auslassungen werden ebenfalls nicht als Nachrichten erkannt. Es gelingt nicht, systematisch zwischen den Zeilen zu lesen. Ungeübte aus stärker im© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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plizit kommunizierenden Kulturen suchen bei betont explizit formulierten Botschaften zum Teil verzweifelt im Kontext nach Interpretationshinweisen. Solche lassen sich natürlich auch immer finden. Die Botschaft wird jedoch dann in einer Weise interpretiert, die gar nicht beabsichtigt war. Dem ausdrücklichen Inhalt dagegen wird zum Teil nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, weil dort – derart offensichtlich – die eigentliche Botschaft nicht vermutet wird. Im einen wie im anderen Fall entstehen sehr leicht Fehlinterpretationen, weil die vorhandenen Informationen aufgrund der selektiven Ausrichtung der Aufmerksamkeit nicht adäquat genutzt werden (Hall u. Hall 1984a). In der Fallgeschichte wurden viele Appelle von Jacques an Bernd und Helmut überhört. Jacques hat in den Wochen vor dem Monatsmeeting in den Gesprächen mit seinem Kollegen Helmut mehrmals Unterstützung eingefordert, indirekt zwar, aber – so meint er – mit Nachdruck. Helmut jedoch hört keine Fakten und keine klaren Statements und damit hört er eigentlich gar nichts außer vager Andeutungen, die er als nicht zielführend und damit als Zeitverschwendung ansieht. Durch diese Appelle drückte Jacques jedoch sein Vertrauen in seine Kollegen aus. Er hatte sich daraus erhofft, dass Helmut – der am Standort Bernd und andere Chefs öfters sieht – ihm Informationen weitergibt. Stattdessen empfindet er Helmuts Bestehen auf den Zahlen für das Projekt als Versteckspiel und er gewinnt nicht den Eindruck, dass sein Kollege sich für ihn einbringen würde. Für diesen steht dagegen das und nur das an, worüber ausdrücklich diskutiert wird. Seine Anforderungen hat er ausdrücklich schriftlich formuliert, mehrfach. Es ist deshalb klar für ihn, dass diese bei Jacques angekommen sind. In der Sitzung standen andere Themen auf der Tagesordnung. Es erschien Helmut deswegen vollkommen unnötig, an dieser Stelle noch einmal darauf einzugehen.

Rationalität bei der Aufgabenbewältigung: Personorientierung – Sachorientierung Charakteristisch für eine personorientierte Rationalität (Elias 1969) ist die Bedeutung wechselseitiger informeller Verpflichtungen und Gefälligkeiten in ausgedehnten, organisationsübergreifenden Beziehungsnetzwerken, in die jeder eingebettet sein muss, der es zu etwas bringen möchte. In eher personorientierten Kulturen – wie der französischen – sind gute, vertrauensvolle Beziehungen zu Kollegen (und Vorgesetzten), das heißt eine stimmige Arbeitsatmosphäre und persönliche oder über das Netzwerk vermittelte Bekanntheit, eine zentrale Vorbedingung für produktive Arbeit in einem Team. Es muss immer erst Kontakt, Verbundenheit, »complicité« © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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hergestellt werden. Einige Ausdrucksformen davon sind der obligatorische Händedruck oder auch die »bises« (Küsschen), der ausgedehnte Smalltalk, das niveauvolle Scherzen und kontinuierliche kleine nonverbale Signale (Helmholt 1994). All dies wird als Basis, als Voraussetzung benötigt, um erfolgreich kooperieren zu können. Orientierung entsteht im intensiven persönlichen Austausch, der sich sehr häufig »einfach so«, also ungeplant ergibt. Der Austausch umfasst immer wieder Themen, die nicht mit der Arbeitsaufgabe als solcher verbunden zu sein scheinen. Das ist jedoch notwendig, da die wahrgenommene Aufgabe eigentlich immer primär darin besteht, eine Person zufrieden zu stellen. Und dazu ist es nötig, diese Person in allen ihren Motiven, Einstellungen und Meinungen zu kennen, nicht nur den arbeitsbezogenen. Die personbezogene Rationalität ist also primär auf die Bewältigung der sozialen Welt ausgerichtet (Elias 1969; Erlinghagen 1996). Die Erledigung bestimmter Aufgaben ist dem untergeordnet. Das wird auch daran deutlich, dass Aufgaben auch kurz vor ihrer Beendigung ohne Probleme unterbrochen oder ganz aufgegeben werden, wenn der soziale Sinn (eine andere Person zufrieden stellen) an dieser Stelle abhanden kommt. In besonders stark sachorientierten Kulturen, zu denen die deutsche Nationalkultur zu zählen ist, sind dagegen die Werkzeuge, Materialien, Fachkompetenzen, Zahlen und Fakten das A und O. Eine gute Arbeitsleistung jedes Einzelnen und ein sachlich-effizientes Zusammenwirken mit klarer Aufgabenverteilung werden als Grundlagen für qualitativ hochwertige Ergebnisse angesehen. Qualität als solche wirkt wiederum als motivierender Maßstab. Sachorientierte Personen ziehen es vor, so schnell wie möglich »zur Sache« zu kommen, in Aussagen und Haltung nüchtern und objektiv zu bleiben und sich an den Fakten zu orientieren. Im Zuge solcher sachlichen Arbeitsprozesse entstehen ganz nebenbei vertrauensvolle kollegiale Beziehungen. Durch gemeinsam erfolgreich bewältigte Aufgaben verstärken sich die Bindungen. Die sachorientierte Rationalität ist also primär auf die Bewältigung der materiellen Welt ausgerichtet. Die Gestaltung der Beziehungen ordnet sich idealerweise in diesen Rahmen ein. In dem Fallbeispiel hat Bernd die Projektleitung an Helmut delegiert und damit die Verantwortung für alles, was das Projekt betrifft – einschließlich der Beiträge aus Frankreich. Seine Verantwortung als Bereichsleiter sieht er in der Beurteilung der Ergebnisse. Bei Meetings findet sich keine Zeit für die Pflege der persönlichen Ebene. Gut durchdachte Strukturen und sauber aufgeteilte Aufgaben sind für ihn die Garantie dafür, dass alles effizient funktioniert. Jacques hat Helmut und Bernd stets als verbindlich und zuverlässig erlebt, glaubt sich also gut mit ihnen zu verstehen, auch wenn er sich in den Sitzungen nicht immer wohl fühlt, weil es dort meist so ernst und wenig persönlich zugeht. Die Verunsicherung durch die an© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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stehende Umstrukturierung macht es für ihn notwendig, den persönlichen Bezug jetzt besonders zu stärken. Es ist für ihn äußerst bedeutsam zu wissen, wie fest die Bande zu den deutschen Kollegen tatsächlich sind, denn daran hängt viel, wenn nicht alles, für die Beziehungen zu »seinen Leuten« am französischen Standort und die damit zwangsläufig einhergehenden persönlichen Verpflichtungen. Ohne ein gutes Gefühl will er seine Trümpfe (die Zahlen) nicht festlegen, Zahlen, die doch je nach Situationsgefüge durchaus gestaltet werden könnten. Für Helmut dagegen scheint es keinen anderen Weg zu geben, als die Behinderung und Verlangsamung seiner eigenen Arbeit durch das, was er als »chaotische Organisation« erlebt, durch eine neue Funktionsstelle aufzuheben. Die Personen werden als Funktionsträger betrachtet, die an den geeigneten Stellen positioniert werden müssen, damit die Aufgabe am besten bewältigt werden kann. Der zusätzliche Posten ist von ihm als Unterstützung und Entlastung gedacht, während dies für Jacques einer Degradierung gleichkommt und als Beleg dafür gewertet wird, dass die Situation bereits außerordentlich kritisch geworden ist. Jeder Schritt des einen führt zu einer Verstärkung der entgegengesetzten eigenkulturellen Logik des anderen. Darin besteht der Kern für die Eskalation des Konflikts.

Problemlösungsstrategie: globales, strategisches Denken – spezifisches, regelorientiertes Denken Globales und strategisches Denken, wie es in der französischen Kultur von klein auf geschätzt und geübt wird, bezieht stets so viele Einflüsse und Zusammenhänge wie möglich in die Überlegungen beim Lösen eines Problems ein. Dies geschieht wie von alleine durch Aktivierung jeglicher aktueller und vergangener Information, bei Bedarf ergänzt durch »Anzapfen« relevanter Informanden aus dem Beziehungsnetzwerk (siehe »personorientierte Rationalität«). All diese Elemente werden in ein möglichst stringentes Gesamtbild organisiert, das stets vom kreativen, individuellen Esprit geprägt ist. Eine thematische Trennung der strukturellen und der projektbezogenen Ebene, der Gegenwart und der Zukunft, der Organisation und der Mitarbeiter kann so gar nicht in den Sinn kommen. Wenn ein französischer Kopf mit solch einer Auftrennung der Gesamtzusammenhänge konfrontiert wird, dann erscheint sie ihm willkürlich. Werden dann nur Teile berücksichtigt, wird dies aufgrund mangelnden Überblicks als unprofessionell angesehen. Erst aus der Gesamtschau heraus erscheint es möglich, weitsichtige und auch originelle Strategien zu entwickeln. Originalität wird als wichtig angesehen. Mit Erfolg versprechenden und gleichzeitig anregenden Strategien lassen sich nämlich loyale, kreative und kompetente © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Mitarbeiter binden. Mit ihnen besteht automatisch die Gewissheit, die Umsetzung leisten zu können. Dieses Zutrauen verstärkt wiederum die Identifikation der Mitarbeiter. Aus diesem Grund bedarf es keiner detaillierten Problemanalyse. Die in Deutschland viel stärker verbreitete Denkweise dagegen neigt sehr stark dazu, komplexe Probleme sofort in handhabbar erscheinende Teilprobleme aufzuspalten und sich damit zu befassen, welche davon wie bewältigt werden können. Die Bearbeitung dieser Teilprobleme wird auf die zuständigen beziehungsweise kompetentesten Personen verteilt. Jede analysiert das, was in ihren Bereich fällt, nicht mehr und nicht weniger. Die Bearbeitung einer Aufgabe oder eines Problems richtet sich am besten nach den bewährten Verfahrensregeln, die Sicherheit und Orientierung geben. Wenn jemand die Regeln (also die Sicherheit der Prozesse) verletzt, wird intensiv auf ihre Einhaltung gedrungen. In unserem Fallbeispiel ist den deutschen Beteiligten völlig unklar, warum Jacques dieses Jahr die Kennzahlen nicht genauso wie in den vorherigen Jahren termingerecht abliefert. Jacques wiederum kommt nicht auf den Gedanken, dass seine deutschen Kollegen gar nicht vordringlich diesen engen Zusammenhang zwischen der geplanten Umstrukturierung und der aktuellen Jahresplanung sehen. Er ist deswegen überzeugt, dass die beiden durch ihren Standortvorteil mehr wissen und ihm informelle Informationen vorenthalten. Bernd und Helmut wiederum kämen nicht im Traum darauf, dass Jacques sie plötzlich verdächtigt, ihm Informationen vorzuenthalten. Ihnen geht es ganz unspektakulär darum, die Jahresplanung wie in jedem anderen Jahr auch ordnungsgemäß abzuwickeln. Gerade in unsicheren Zeiten gilt für sie, die Routineaufgaben besonders konzentriert und sauber zu bewältigen. So halten sie sich für die anstehenden Zusatzaufgaben den Rücken frei (siehe auch »konsekutives Zeitmanagement«). Die gleiche strukturelle Unsicherheit steigert im Gegenteil beim französischen Kollegen das Bedürfnis, mehr über Hintergrundinformationen zu erfahren. Nach seiner kulturell geprägten Erwartung sollten diese ganz selbstverständlich informell zirkulieren, gerade nachdem er mehrfach angedeutet hat, dass er darauf angewiesen ist (siehe »impliziter Kommunikationsstil«). Situationen mit offenem Ausgang schärfen seine strategische Reflexion, die auf der Analyse eigener und fremder Machtpositionen beruht und auf neue Chancen ausgerichtet ist. Er fühlt sich dann dadurch vollauf bestätigt, dass Helmut urplötzlich (so kommt es Jacques vor) einen Geschäftsführer für den französischen Standort einstellen und ihn damit empfindlich schwächen will (siehe »konzentrierte Autorität«). Bei Helmut entspringt dies in Wirklichkeit vorwiegend der Notwendigkeit, die in Frage gestellte Organisation wiederherzustellen. Er käme gar nicht auf die Idee, dass eine solche Entlastung im Sinne einer kollegialen Führung mit fachlicher Auf© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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gabenteilung abgelehnt werden könnte (siehe »verteilte Autorität«, aber auch »sachorientierte Rationalität« und »Konsensorientierung«).

Zeitmanagement: Simultanität – Konsekutivität in der Handlungsorganisation Die Beispiele über das unterschiedliche Zeitverständnis in Frankreich und Deutschland sind zahlreich und reichen in der Praxis von extremen Klischees (»Wieso hat die Besprechung pünktlich angefangen, wir waren doch in Frankreich?«) bis hin zum gegenseitigen »Austricksen« (»Die gehen sowieso davon aus, dass wir erst später liefern, wieso sollen wir uns beeilen?«). Der tatsächliche kulturelle Hintergrund wird dabei meist übersehen: Wenn wie in Frankreich üblich viele Handlungsstränge gleichzeitig verfolgt werden, sind die Abläufe und Phasen der einzelnen Handlungen weniger von der spezifischen Planung abhängig, als von den parallel aktuell werdenden Anforderungen. Die Prioritäten verändern sich durch diese komplexen Überlagerungen und durch Kontexteinflüsse ständig. Die Organisation von Handlungen in der Zeitschiene wird ganz selbstverständlich immer wieder an die neuen Prioritäten angepasst. Dementsprechend kann ein einmal festgelegter Zeitpunkt für die Ausführung einer bestimmten Handlung lediglich eine grobe Orientierungsmarke sein. Er wird eingehalten, wenn die Realität es erlaubt oder wenn die Dringlichkeit und Wichtigkeit deutlich spürbar sind – er ist aber an sich kein Gebot. Deswegen entsprechen auch Vereinbarungen eher momentanen Absichtserklärungen als verbindlichen Abmachungen. Wichtig zu verstehen ist, dass eine solche flexible simultane Organisation der Handlungen in der französischen Kultur als Grundlage für Effizienz gesehen wird. Diese Flexibilität darf jedoch nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden. Das wichtigste Kriterium für die momentane Prioritätensetzung ist die Person, für die eine Handlung durchgeführt wird (vgl. »personorientierte Rationalität«). Die Person, die jeweils am nächsten, am wichtigsten, am mächtigsten ist oder die glaubhaft machen kann, es am dringlichsten zu haben, wird bevorzugt. Simultanität in der Handlungsorganisation bedingt auch eine gestreute Aufmerksamkeit, die wiederum globales assoziatives Denken befördert (siehe »globales Denken beim Problemlösen«). In der deutschen Kultur ist die Effizienzvorstellung dagegen darin begründet, dass in einer Zeiteinheit möglichst auch nur eine Handlung getätigt und diese zu Ende geführt wird, bevor eine andere begonnen wird (siehe Kap. I, 2.3). Nur so erscheint konzentriertes Arbeiten möglich, welches mit gutem und professionellem Arbeiten gleichgesetzt wird. Die Handlungen haben auch eine klare zeitliche Binnengliederung: Zuerst kommt die Analyse, dann die Planung, danach die Umsetzung und zuletzt die Bewer© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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tung und Ergebnisverbreitung. Wenn Anpassungen notwendig werden, weil die wohl durchdachte Planung nicht mit der Realität zur Deckung zu bringen ist, dann sollen gezielte und begründete Abwandlungen eingeführt werden, ohne jedoch das Grundkonzept wieder in Frage zu stellen. Franzosen, die in der Regel von ihrer simultanen Handlungsorganisation überzeugt und geprägt sind, reagieren auf die konsekutive Handlungs- und Organisationsweise ihrer deutschen Kollegen häufig mit dem Eindruck, ihr Entscheidungsspielraum, ihre Flexibilität und ihre Autonomie würden dadurch stark eingeengt oder im Extremfall sogar, dass sie gar nicht mehr selbst denken dürften. Dass diese Möglichkeiten im konsekutiven System selbstverständlich vorgesehen sind, wird nicht wahrgenommen, weil sie hier auf die Vorbereitungsphase einer Handlung konzentriert werden. Deutsche wiederum können häufig in stark simultan organisierten Handlungssträngen überhaupt keine Organisationsprinzipien erkennen. Für sie erscheint alles zufällig, willkürlich und chaotisch. Sie fühlen sich dann sehr leicht befleißigt, hier erst einmal eine »ordentliche« Organisation einzuführen. Die Auseinandersetzungen verhärten sich in deutsch-französischen Kooperationen unnötigerweise stark und schnell, wenn die Beteiligten gegenseitig darauf beharren, dass ihre Vorgehensweise die effizientere sei. Die Nicht-Einhaltung des Abgabetermins bildet für Jacques ein Teil seiner Botschaft an seinen Chef und seinen Kollegen (siehe »impliziter Kommunikationsstil«). Sie ist hier nicht auf sein Zeitverständnis zurückzuführen, da er bewusst »unpünktlich« abgibt. Jedoch versucht er damit durchaus, auf französische Art Dringlichkeit zu erzeugen und so sein eigentliches Anliegen zu platzieren. Auch die Tatsache, dass für ihn vor, während und nach der Sitzung verschiedene Themen gleichzeitig aktuell sind (die Kennzahlen, die Umstrukturierung, die Verantwortung für seine französischen Mitarbeiter), ist durchaus seiner simultanen Organisation zuzurechnen. Anders seine deutschen Kollegen mit ihrer Arbeitsorganisation »in Scheiben«: zuerst die Zahlen und deren Analyse, dann die Überlegungen zur Umstrukturierung. Darin sehen sie den Erfolgsschlüssel für die Qualität der Arbeit und für eine effiziente Zeiteinteilung.

Macht und Einflusswege: externale, konzentrierte Autorität – internale, verteilte Autorität Durch diesen Kulturstandard wird versucht, die Frage zu beantworten, wie in einer Kultur Macht und Einfluss genutzt und gestaltet werden. In dem unternehmerischen Umfeld, auf das wir uns hier konzentrieren, sind in beiden Ländern die hierarchischen Strukturen das Medium, das Macht kanalisiert.

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Externale Autorität heißt, dass Macht grundsätzlich als eine Instanz empfunden wird, die dem Individuum gegenübersteht – also »außerhalb«. Das Verhältnis zu dieser Instanz kann sehr unterschiedlich aussehen: von sehr großer Nähe und Anerkennung bis hin zu totaler Ablehnung, von Identifikation bis Kampf über die Stufe der Verhandlung. Autorität wird jedoch nur dann ernst genommen und anerkannt, wenn sie durch eine Person mit einer entsprechenden hierarchischen Funktion auch tatsächlich hier und jetzt repräsentiert und ausgeübt wird (siehe »personorientierte Rationalität«). Wenn Autorität als vorwiegend external erlebt wird, gibt es keinen besonderen Anlass, abstrakte Regeln oder Gesetze zu befolgen. Sie werden bei der Zielerreichung eher als Einschränkungen angesehen, die es möglichst elegant zu umgehen gilt. Entscheidungsmacht ist in der Hierarchiespitze stark konzentriert. Sitzungen werden als Erweiterung der informellen Kommunikation gesehen und dienen dem Abstecken der Positionen, dem Sammeln von Informationen, nicht notwendigerweise der Entscheidung (siehe auch »Dissensorientierung«). Entscheidungen werden von den Verantwortlichen allein getroffen. Sie werden nur auf Nachfrage begründet (vgl. »impliziter Kommunikationsstil«), und es ist üblich, dass Einwände von Betroffenen erst nachträglich, im Zuge der Umsetzung, eingebracht werden können, am besten beiläufig in einem Zwiegespräch mit dem Vorgesetzten oder einem seiner Vertreter. Es wird weiterhin als die Aufgabe der Entscheider angesehen, die Mitarbeiter durch direkten Kontakt oder durch entsprechend bestellte Vertreter zur Ausführung dieser Entscheidungen zu bewegen und sie dabei zu kontrollieren und in ständigem Kontakt mit ihnen zu bleiben. Die Führungsspanne (Anzahl der geführten Mitarbeiter) ist dabei notwendigerweise gering (Lane 1989; Lutz 1976; Maurice et al. 1982). Dadurch sind häufig viele Hierarchieebenen notwendig, über die hinweg unvermeidbar eine mehrfache Brechung der ursprünglichen Entscheidung eintritt, da auf jeder Ebene Anpassungen an die jeweiligen Bedingungen vorgenommen werden (müssen). Die Trennung zwischen Management (Cadres) und der ausführenden Ebene ist sehr strikt. Eine Delegation von Entscheidungen auf die jeweiligen untergeordneten Ebenen würde als Führungsschwäche angesehen und wird daher vermieden (Horovitz 1978; Maurice et al. 1979; Pfohl u. Buse 1997). In einem System mit stärkerer internaler Autorität, wie es sich in der deutschen Kultur historisch herausgeformt hat, werden organisationale Ziele und Werte dagegen letztlich dadurch wirksam, dass sie zum eigenen, inneren Referenzpunkt des Mitarbeiters geworden sind. Dies geschieht durch konsensorientierte Überzeugung und Verhandlung (siehe »Konsensorientierung«). In Deutschland werden Plattformen geschaffen, wie zum Beispiel Besprechungen, Arbeits- und Projektgruppen, runde Tische, in denen Entscheidungen von allen Anwesenden vorbereitet und getroffen wer© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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den. Die Ansicht ist, dass Entscheidungen von allen getragen, das heißt konkret, dass sie so umgesetzt werden, wie sie gemeinsam verabschiedet wurden, wenn die Betroffenen vorher einbezogen worden sind. Die Einhaltung von Vereinbarungen und das Erreichen von Zielen muss dadurch nachher nicht mehr kontinuierlich kontrolliert werden, denn sie sind ja das Anliegen des Einzelnen selbst. Dadurch können die Hierarchien flacher sein und die Führungsspannen größer (Lutz 1976; Maurice et al. 1982). Es wird nicht nur die Ausführung von Aufgaben, sondern auch Entscheidungsverantwortlichkeit delegiert, wenn dies sachlich sinnvoll erscheint (siehe »sachorientierte Rationalität«). In einem System mit einer eher externalen und konzentrierten Autorität ist der Aufwand der Umsetzung groß, nachdem die Entscheidung vom Verantwortlichen gefällt worden ist. In einem System mit einer eher internalen und verteilten Autorität dagegen ist der Aufwand groß, überhaupt erst einmal zu einer Entscheidung zu kommen. Sowohl Jacques wie auch Helmut finden sich in ihrem Vorurteil bestätigt, dass der Andere sehr an die Hierarchie glaubt. Jacques denkt dies erstens, weil Helmut neben dem Machtzentrum sitzt und keine Informationen weiterzugeben scheint, und zweitens, weil er eine neue Führungsfunktion in Frankreich einführen will; statt Konflikte im Gespräch miteinander zu lösen, wird eine Machtlösung gefunden. Helmut hat den gleichen Eindruck, weil Jacques die E-Mail an Bernd schickt und nicht an ihn, der sich doch um diese Fragen zu kümmern hat. Die Trennung fachlicher und hierarchischer Verantwortung funktioniert in einer Kultur wie der französischen – und die anderer südeuropäischer Kulturen – eigentlich bestenfalls dann, wenn es keine Unsicherheiten oder Krisenfaktoren gibt. Sonst ist diese in Matrix- oder Projektorganisationen häufig auftretende Unterscheidung durch die grundlegende Hierarchie aufgehoben (Laurent 1985). Jacques fühlt sich durch die steigende strukturelle Unsicherheit (als Kontextfaktor) nicht so sehr als Projektverantwortlicher, sondern mehr als Chef des französischen Standorts angesprochen. Da es in seinen Augen nicht mehr um die Abwicklung einer Routineaufgabe, sondern um eine grundlegende strategische Angelegenheit geht, ist für ihn ganz automatisch Bernd – nicht Helmut – sein Ansprechpartner. Jacques erwartet, dass Bernd aus seiner Position heraus die Entscheidungen trifft. Die Delegation an Helmut erfährt er entweder als Führungsschwäche oder als taktischen Zug, um ihm wiederum implizit etwas über die (sinkende?) Bedeutung des französischen Standorts mitzuteilen (siehe »impliziter Kommunikationsstil«). Jacques muss aber die Verantwortung für seinen Standort wahrnehmen können, wenn er seiner Position gerecht werden soll. In diesem (in seinen Augen) instabil gewordenen Machtgefüge kann er weder Entscheidungen von Helmut akzeptieren noch kann er glauben, dass Bernd es ernst meint, dass sie die Reorganisationsentscheidungen gemein© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sam treffen würden. Bernd kümmert sich wiederum um nichts; was in dessen Augen bedeutet, dass er erfolgreich delegiert hat. Helmut schließlich kommt aus dem Tritt, weil er wie selbstverständlich bei den Routineaufgaben von der automatischen Wirksamkeit internaler Autorität bei Jacques ausgeht. Dies ist jedoch ein Trugschluss.

Entscheidungsprozesse: Dissensorientierung – Konsensorientierung Der Dissens, das heißt das Herausstellen von unterschiedlichen Meinungen, ist ein französischer Weg der Konfliktbearbeitung, aber auch der kreativen Lösungsfindung angesichts der Paradoxa starker Hierarchien und weiter Netzwerke. Dissens drückt sich im Kommunikationsverhalten und im Handeln aus. In der Kommunikation entstehen lebhafte Diskussionen, in denen die Sprache und ihre vielen Nuancen gleichzeitig die Kontroverse unterstreichen, wie auch die Beziehungsebene pflegt (siehe »personorientierte Rationalität«). Auf der Handlungsebene bringt der Dissens oft Aktionen hervor, die zum Zweck haben, die Beteiligten zu überraschen – manchmal auch durch eine momentane Verschärfung des Konflikts. Der Ausdruck von Dissens wird sehr häufig von Franzosen dann ausgelebt, wenn die Beziehungen bereits Tragfähigkeit bewiesen haben. Wenn dies nicht der Fall ist, werden die Möglichkeiten der impliziten und indirekten Kommunikation ausgereizt. Anders dagegen der Stil der deutschen Konsensorientierung. Hier wird versucht, alle Betroffenen im Vorfeld einzubeziehen und bei Bedarf auch Experten und Berater hinzuzunehmen. Wichtig ist, dass der Entscheidungsprozess eine gewisse Transparenz hat und alle ihre Meinung einbringen konnten. Nur so erscheint eine Identifikation mit den Entscheidungen und damit die Motivation für deren Umsetzung gegeben. Jacques würde durchaus erwarten, dass sein Chef und sein Kollege ihm gegenüber – zumindest implizit (siehe »impliziter Kommunikationsstil«) – Unmut darüber äußern, dass er die Zahlen noch nicht beigebracht hat. Er würde dies dann als Ansatzpunkt nutzen, um wiederum seinen Missmut über die Situation auszudrücken. Doch dazu kommt es nicht, denn Bernd und Helmut denken tatsächlich daran, gemeinsam eine Lösung zu finden und zu entscheiden. Doch zuvor muss die in ihren Augen im Konsens getroffene Entscheidung, den Jahresbericht herauszubringen, bewältigt werden. Nachdem Jacques die Lage als brisant einschätzt, überlegt er jedoch bereits ernsthaft, wie er einen für die Deutschen noch unvorhergeseheneren Sprung machen kann, der ihn besser positioniert als bisher und sie gleichzeitig endlich dazu zwingt, ihrerseits Farbe zu bekennen.

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Historische Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Kulturstandards Unser auf realen Ereignissen basierendes Fallbeispiel und seine Analyse machen markante verdeckte Unterschiede im Denken, Handeln und Kommunizieren zwischen Jacques und seinen deutschen Kollegen deutlich. Frankreich ist tatsächlich das europäische Land, in dem deutsche Fachund Führungskräfte mit Abstand am häufigsten scheitern, und das in einem Ausmaß, das nur vergleichbar ist mit der Problemquote in der Zusammenarbeit mit fernöstlichen Ländern (Bittner u. Reisch 1997). Diese Tatsache trifft nur diejenigen unerwartet, die geographische und kulturelle Nähe gleichsetzen oder automatisch eng verbunden sehen. Doch im deutsch-französischen Verhältnis ist die Korrelation zwischen diesen beiden Faktoren eher gering, und dies beinahe unabhängig von jeweils herangezogenen Vergleichskriterien. Warum ist das so und warum wird das in absehbarer Zeit auch weiterhin so bleiben? Noch heute funktionieren die Bildungssysteme als ganz besonders sozialisationswirksame Institutionen nach ganz unterschiedlichen Spielregeln (Lasserre et al. 1997; Lutz 1976; Maurice et al. 1982; Picht 1994). Stabile Ausprägungen der Kulturstandards sind damit schon vor dem Eintritt ins Berufsleben vorhanden (Molz 1994). Des Weiteren ist auch heute noch das Verhältnis von Politik und Wirtschaft und ihr jeweiliger Aufbau kaum zu vergleichen (Ammon 1989; Lasserre et al. 1997). Selbst heute wird Literatur, gerade Fachliteratur, wenig oder nur unter großen zeitlichen Verzögerungen über die romanisch-germanische Sprachgrenze hinweg übersetzt und gleichzeitig wird auch noch auf beiden Seiten die Sprache des wirtschaftlich und politisch bedeutendsten Nachbarlands von immer weniger Personen erlernt. Die eminente wirtschaftliche und politische Verflechtung mit ihrer vorläufigen Krönung durch eine gemeinsame Währung erweist sich deshalb genauso wenig als einschlägiges Gegengewicht wie die verschiedenen Austausch- und Begegnungsprogramme. Auf die Gesamtbevölkerung bezogen sind diese eher ein Rinnsal. Die meisten unterstützen außerdem interkulturelles Lernen auf der handlungsrelevanten Ebene nicht gezielt. Die aktuelle Lage wiederum ergibt sich natürlich nahtlos aus den historischen Entwicklungen. Auch und gerade in den deutsch-französischen Beziehungen ist es nicht müßig zu betonen, dass die historische Verwurzelung von Kulturstandards keine alleinige Angelegenheit der Geschichte des 20. Jahrhunderts ist. Die kulturprägenden historischen Entwicklungen sind in Frankreich und Deutschland schon viel länger ausgesprochen gegensätzlich verlaufen. Der wechselseitige Einfluss war durch die geographische Nähe und eine territorial-demographische Ebenbürtigkeit zwar un© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ausweichlich stark, doch führte diese Situation häufig zu Machtkämpfen und militärischen Auseinandersetzungen, die Abgrenzung und Eigenständigkeit mehr verstärkten, als sich die Unterschiede durch kulturelle Diffusion wieder hätten abmildern können. Eine Vorstellung von den historischen Kontexten, in denen sich nationalkulturelle Kulturstandards herausgebildet haben, erweist sich grundsätzlich als sehr hilfreich für den Umgang mit den ganz konkreten Auseinandersetzungen von heute (Demorgon 1998; Pateau 1996). Zum einen wird nämlich dadurch verständlich, dass diese Kulturstandards sinnvolle Anpassungen an bestimmte dominante Situationstypen waren (und diese häufig ihrerseits wieder verstärkten). Zum anderen sind die dadurch entstandenen gesellschaftlichen Strukturen die Grundlage für die weiteren Entwicklungen gewesen und damit auch heute noch in bestimmten Formen vorhanden. Um die oben genannten Kulturstandards als Ergebnis langfristiger historischer Prozesse und Strategien in der gegebenen Kürze verständlich zu machen, gehen wir von zwei allgemeinen Hypothesen aus.

Erste Hypothese: Einheit und Vielfalt bei der Nationenbildung Die besondere Stabilität bestimmter Kulturstandards einer Nationalkultur auch unter den heutigen zum Teil stark veränderten Rahmenbedingungen lässt sich nur erklären, wenn in verschiedenen Bereichen (Politik, Wirtschaft, Religion, Bildung etc.) einer nationalen Kultur bei aller Komplexität und Widersprüchlichkeit über lange Zeit und insbesondere im Modernisierungsprozess gleichgerichtete oder aber komplementäre Entwicklungen erfolgt sind (Elias 1990; Elias 1976; Münch 1986; Demorgon 1998; Demorgon 1996). In Frankreich lässt sich hier eine dominante Entwicklung von ursprünglich sehr großer anthropologischer Heterogenität (in Familienstruktur und Sprache, Todd u. LeBras 1981) durch strategische Expansion und Unterwerfung hin zu bedeutender nationalkultureller Homogenität in allen relevanten Bereichen feststellen. Frankreich war schon in vorrevolutionären Zeiten ein zentralisierter Staat mit effektiven Verwaltungs-, aber auch Unterdrückungsmechanismen nach innen. Dieser zentralistische Machtapparat bedeutet gleichzeitig eine ferne Autorität für den Großteil der Bevölkerung, die hingenommen wurde, solange sie sich stark zeigte, die umgangen und bekämpft wurde, wenn sie angreifbar erschien. In Deutschland verdeckt eine bis heute nachwirkende politisch-administrative Heterogenität regionaler Partikularismen eine zugrunde liegende anthropologische Homogenität (Todd 1990). Deutschland war im euro-

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päischen Vergleich eine »verspätete Nation« (wie auch Italien), die ihre Einigkeit erst im ausgehenden 19. Jahrhundert finden konnte, und dies durch einen Krieg nach außen – gegen Frankreich! Die längste Zeit waren also kleinräumige Gesellschaftsstrukturen vorherrschend. Wir wollen nun zentrale Entwicklungen in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und deren Auswirkungen auf die Genese der deutschen und der französischen Nationalkultur andeuten. Dabei gilt es zu beachten, dass die Bereiche analytische Kategorien sind und gerade in historisch weiter zurückliegender Zeit in dieser Form institutionell nicht getrennt waren. Religion: Frankreich wurde als »die älteste Tochter der Kirche« bezeichnet, war also sehr früh vollständig christianisiert. Die katholische Kirche blieb im französischen Reich durch die Jahrhunderte allein bestimmend mit ihrer apostolischen Ableitung klerikaler Hierarchie, die den fern gerückten, aber gütigen Gott vertritt (durch Beichte, Vergebung bis hin zum Ablasshandel). Gegen andere religiöse Einflüsse wurde immer gewaltsam vorgegangen. Der Franke Charles Martel wehrte 732 die Invasion der Araber im späteren französischen Kernland ab. Die Katharer in Südfrankreich wurden Ende des 12. Jahrhunderts per Inquisition als Ketzer verfolgt und ihre eigenständige, in voller Blüte stehende Kultur in einem Kreuzzug vollständig aufgerieben. Die Hugenotten wurden im 16. und 17. Jahrhundert massiv verfolgt, lediglich unterbrochen durch das Toleranz-Edikt von Nantes, das nur zwei Generationen lang aus rein politischem Kalkül wirksam war. Als es von Ludwig XIV. 1685 aufgehoben wurde, gingen bis zu 300 000 Hugenotten ins Exil. Viele von ihnen waren markanterweise maßgeblich am Aufbau des preußischen Staates beteiligt. Zeitweilig waren ein Viertel der Einwohner Berlins französische Hugenotten! In Deutschland fand die Christianisierung dagegen zunächst nur in den Teilen statt, bis zu denen das Römische Reich vordringen konnte. In den anderen Gebieten wurde der jeweilige Stammeskult weitergeführt. Im 16. Jahrhundert führte die von Deutschland ausgehende Reformation wiederum zu einer religiösen Vielfalt. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 fixierte das Prinzip »Cujus regio, eius religio« – die Bevölkerung hatte die Konfession ihres regionalen Fürsten anzunehmen. Es konnte dadurch vorkommen, dass einzelne Personen zu Lebzeiten mehrfach die Konfession wechseln mussten. Der Anspruch auf Vertretung der absoluten Wahrheit relativierte sich dadurch deutlich. Der Protestantismus konnte sich in Deutschland als bedeutende, aber nicht ausschließliche Kraft etablieren (zumal er selbst wieder in verschiedene Richtungen zerfiel). Eines seiner zentralen Merkmale ist die Unvermitteltheit in der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Dadurch wird das klerikale Vermittlungsmonopol auf© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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gelöst. Der Gläubige ist direkt seinem individuellen Gewissen überantwortet. Das von Martin Luther proklamierte »Priestertum aller Gläubigen« sowie die demokratischen Strukturen der protestantischen Gemeinde, in der die geistliche Macht von der Gemeinde beauftragt wird, wurden in Deutschland prägend. Politik und Verwaltung: Das heutige französische Territorium wurde durch Eroberung und Niederwerfung vollständig in das Römische Reich eingebunden (während dies für das heutige deutsche Gebiet nur südlich der Donau und westlich des Rheins der Fall war). Schon bei Cäsar war von der Rheingrenze die Rede, die unterschiedliche Völker scheiden würde. Nach dem Niedergang des Römischen Reichs übernahm unter den Merowingern die Kirche in Frankreich fast unverändert die noch vorhandenen römischen Verwaltungsstrukturen. Mit der Aufteilung des Reichs von Karl dem Großen (französisch »Charlemagne«) und dem weiteren Zerfall der Teile entstanden rivalisierende Fürstentümer (darin liegt letztlich auch der politische Ursprung der Trennung von Deutschland und Frankreich). In großen Schritten konnten jedoch die Dynastien der Ile de France (Pariser Raum) durch gewonnene Kriege und kluge Heiratspolitik ihren Einfluss ausdehnen. Als Frankreich annähernd seine heutige territoriale Gestalt angenommen hatte, gab es in Deutschland noch über 350 Kleinstaaten (mit jeweils eigenen Maßen, Münzen, Steuern, Politiksystemen etc.). Um das groß gewordene französische Territorium kontrollieren zu können und das Entstehen von Zentren von Gegenmacht zu unterbinden, entwickelte der Königshof ein »Umlaufsystem« für die Adeligen. Nach einer Zeit in der Provinz lebten diese wieder am Hof. Der Königshof, später dann in der Pracht von Versailles, konnte so unangefochten das politische und kulturelle Zentrum werden und bleiben. Die politische Zentralisierung wurde durch die Französische Revolution nicht etwa abgeschwächt, sondern administrativ und im Lauf der Industrialisierung infrastrukturell auch noch verstärkt. Erst in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die Nachteile dieser extremen Zentralisierung als so schwerwiegend wahrgenommen, dass Dezentralisierungsmaßnahmen eingeleitet wurden. Ganz anders in den deutschen Landen (Plural!): Hier wurde der Kaiser von den Fürsten gewählt und reiste selbst von einer Pfalz zur anderen. Er war dadurch abhängig von seinen Untergebenen, politisch äußerst schwach und es konnte sich kein mächtiges politisches Zentrum herausbilden. In Deutschland waren bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die regionalen Partikularismen stärker als die einigenden Kräfte, weshalb es Invasionen, wie im Dreißigjährigen Krieg oder durch Napoleon, nichts entgegensetzen konnte. Der französische Königshof hatte dagegen so große Ausstrahlungskraft, dass er an den deutschen Höfen im Kleinformat kopiert wurde, dort © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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aber immer durch selbst gewählte Abkapselung und auch durch die jeweils sehr beschränkte Größe im Kontrast zum Lebensstil der sonstigen Bevölkerung blieb. Die sozialen Schichten funktionierten also bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nach unterschiedlichen Idealen, die sich kaum vermischten (Elias 1990). Beide Phänomene, die geographische Zersplitterung und die hermetische Trennung der sozialen Schichten, führten zu einer großen Vielfalt von Milieus. Wirtschaft: Die französische Wirtschaft stand seit jeher unter der Kuratel der zentralistischen Politik. Die Industrialisierung erfolgte dementsprechend sehr langsam, über mehr als ein Jahrhundert hinweg, bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hinein. Von den ersten Manufakturen des Königs über den Colbertismus bis zur staatlichen Hochtechnologieplanung und Atomenergiestrategie der Nachkriegszeit zieht sich die Anwendung von strategisch geplanter und von oben nach unten gesteuerter Wirtschaftspolitik hin (Ammon 1989). Der politische Zentralismus findet ein Abbild in die Verkehrsinfrastruktur, die vom ganzen Land sternförmig auf Paris ausgerichtet ist. Dieses Modell reproduziert sich heute mit dem Bau der Hochgeschwindigkeits-Zugstrecken – nur leicht modifiziert – ein weiteres Mal. Die Industrialisierung erfolgte in Deutschland im Lauf von nicht einmal zwei Generationen. Das hatte einen enormen gesamtgesellschaftlichen Umbruch zur Folge und eine soziale Spaltung zwischen den Gewinnern und den Verlierern dieses Prozesses. Das deutsche Bürgertum konstituiert sich in zwei Gruppen: auf der einen Seite das großindustrielle, reiche und machtvolle Bürgertum, das die Nähe zur Politik suchte, und auf der anderen Seite der ursprünglich regional verankerte, aus der jeweiligen Ständeverfassung hervorgegangene Mittelstand, der noch heute die wesentliche Säule der deutschen Wirtschaft bildet. Bildung und Sprache: In Frankreich wurde das Bildungssystem strategisch genutzt und entwickelt. Ein Ziel war die Reproduktion der staatlichen Spitzenkräfte. Dazu wurden die Grandes Ecoles geschaffen, hoch selektive Elitehochschulen, die beständig bis heute die große Mehrheit des Führungsnachwuchses für Politik, Verwaltung und Wirtschaft hervorbringen (Barsoux u. Lawrence 1991; Götze 1995). Ein anderes Ziel war es, die staatsbürgerliche und sprachliche Einheit herzustellen, nachdem die politische Einheit so weit konsolidiert war. Die Regionalsprachen und Dialekte wurden moralisch abgewertet und innerhalb von wenigen Generationen mit Hilfe massiver repressiver Strategien verdrängt, die über die zentrale Schulpolitik realisiert wurden. Das Ziel, dass alle Franzosen Französisch, und möglichst nur Französisch, sprechen, wurde so tatsächlich erreicht – aller© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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dings erst Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Académie Française, ein kleiner Kreis von 40 Gelehrten, wacht nicht nur seit ihrer Gründung durch Richelieu 1635 über die Reinheit der französischen Sprache, sondern hat sie in der bekannten Form letztendlich konstituiert und konstruiert. In Deutschland kann man dagegen bis heute eine lebendige Vielfalt von Dialekten feststellen. Trotzdem war es die sprachliche Einheit, durch Luthers Bibelübersetzung befördert und sichtbar gemacht, die die Grundlage für das Bewusstsein eines gemeinsamen Kulturraumes schuf. Die politische Nation erwuchs jedoch erst sehr viel später daraus und deckte den deutschen Kulturraum auch nie zuverlässig ab. Bildungsfragen sind in Deutschland bis heute Länderangelegenheit. Die hochdeutsche Schriftsprache öffnete zwar den Zugang zur Bildung, der Dialekt war jedoch gleichzeitig der emotionale und identitätsbildende Anker (und ist dies für viele heute noch). Auch in diesem Punkt war die Entwicklung in jeder Hinsicht derjenigen Frankreichs diametral entgegengesetzt. In der französischen Kultur führte diese starke Homogenisierung in sämtlichen zentralen Bereichen zur Entstehung eines recht einheitlichen gemeinsamen Kontextes. Jeder Franzose kann unhinterfragt davon ausgehen, dass er ihn mit anderen Franzosen teilt. Damit ist es praktisch, angenehm und häufig ausreichend, assoziativ mittels Andeutungen, Chiffren, Abkürzungen zu kommunizieren oder Situationen für sich sprechen zu lassen (Hall u. Hall 1984a, 1990). Kulturen, die implizite, kontextbezogene Kommunikation betonen (siehe »impliziter Kommunikationsstil«), sind für Personen anderer Herkunft besonders schwierig, da die Sozialisation in einen solchen impliziten Kontext praktisch nicht nachgeholt werden kann und gleichzeitig nur wenig explizite Hinweise auf die geltenden Regeln und Interpretationen bestehen (Smith 1999; Smith u. Peterson 1996). Die deutsche Kultur gehört dagegen zu den Weltmeistern der expliziten und direkten Kommunikation (siehe »expliziter Kommunikationsstil«). Dies lässt sich aus der starken regionalen Differenzierung in allen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen erklären, kombiniert mit der Jahrhunderte lang wirksamen Notwendigkeit eines guten Teils einer jeden Generation, ihr Glück woanders als am Herkunftsort zu suchen. Dies ist typisch für die in den deutschen Ländern einstmals vorherrschende inegalitäre Stammfamilie, in der der älteste Sohn den ganzen Hof erbt und die anderen Kinder, wenn sie denn heiraten wollen, sich ihre Existenz woanders von Grund auf selbst aufbauen müssen (Todd 1990; Demorgon 1996).

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Zweite Hypothese: Zusammensetzung der Schichtung von Gesellschaftsformationen Es haben sich in der Menschheitsentwicklung bisher vier grundlegende Gesellschaftsformationen herausgebildet (Demorgon 1996): – Stammesgesellschaften (aus Gründen der Vereinfachung unterscheiden wir hier nicht zwischen nomadisierenden Jägern und Sammlern beziehungsweise Hirten und den sesshaften Ackerbauern), – royalistisch-imperialistische Reiche, – bürgerlich-wirtschaftsorientierte Nationalstaaten – und zuletzt die aktuell entstehende globale Wissensgesellschaft. Jede heutige Kultur besteht aus Schichten aller dieser Formationen. Der Unterschied besteht in der jeweiligen »Dicke«, das heißt ihrer Bedeutung, die mit der historischen Dauer und Wirksamkeit als zentralem Organisationsprinzip und dem zeitlichem Abstand von heute aus gesehen zusammenhängt. Eine hinzuwachsende neue Schicht verwächst zwangsläufig immer mit der vorhandenen Grundlage. Von den letzten 1 000 Jahren Geschichte war Frankreich ganz besonders von einer royalistisch-imperialistischen Formation geprägt, während in Deutschland stammesgeschichtliche und bürgerliche Einflüsse in der Bedeutung überwogen und sich miteinander verwoben. In Frankreich dauerte die royalistisch-imperialistische Epoche ausgesprochen lange an und der Eintritt in das Zeitalter des bürgerlichen marktwirtschaftlichen Nationalstaats geschah eher spät und langsam. Gerade die einflussreichen und damit gesellschaftlich prägenden Bürgerlichen übernahmen die Einstellungen und Haltungen der höfischen Menschen durch engen Kontakt mit ihnen, zum Beispiel in den Salons (Bürgerliche konnten auch in vorrevolutionären Zeiten bereits Minister werden). Das Verständnis des höfischen Systems (Elias 1969) ist damit auch heute noch ein ganz besonderer Schlüssel für das Verständnis der französischen Kultur im Allgemeinen. Am französischen Königshof war die soziale und häufig auch die wirtschaftliche Existenz vollständig und ohne Ausweichmöglichkeit von der Gunst des Königs und seiner Entourage abhängig. Der wiederum verteilte seine Aufmerksamkeit und seine Ressourcen strategisch so, dass die einzelnen Akteure und Interessengruppen sich untereinander in Schach hielten und ihm kein Rivale und keine Gegenmacht erwuchs. Jeder hatte zu jedem Zeitpunkt einen bestimmten Rang unterhalb des Königs. Allerdings war dieser durch die Schwankungen in der Gunst immer gefährdet. Wenn jemand in der Gunst stieg, fiel notwendigerweise gleichzeitig auch jemand anderes.

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An den Rang waren soziale Existenz und personale Identität unmittelbar gekoppelt. Die strikt festgelegte Etikette diente als Instrument für diese soziale Kontrolle und Differenzierung. Die Aufmerksamkeit war so ständig auf jede kleine Geste gerichtet, denn jede minimale Abweichung, zum Teil auch nur als Vermutung, konnte dramatische Folgen für die eigene Existenz haben. Einfach alles konnte Gunstbeweis oder Gunstentzug bedeuten. Jeder stand ohne Möglichkeit privaten Rückzugs praktisch 100 Prozent seiner Zeit unter der Beobachtung der anderen. Menschenbeobachtung, Selbstkontrolle (siehe »personorientierte Rationalität«) und Überblick (siehe »globales Denken beim Problemlösen«) waren unter diesen Bedingungen elementare Überlebensmittel. Sie wurden entsprechend stark entwickelt und ausdifferenziert. Je besser die eigenen Absichten kaschiert und die der anderen unbemerkt exploriert werden konnten, desto leichter konnte ein Vorteil in Rang und Ansehen errungen werden. Dies geschah auf (und hinter) den vielfältigen gesellschaftlich-kulturellen Ereignissen am Hof. Ein Beruf ausgeübt wurde nicht. Bis in das 21. Jahrhundert hinein war dezidiert profitorientierte Wirtschaftstätigkeit in der Wertehierarchie dementsprechend weit unten angesiedelt, während es wichtig war, distinguiert, interessant und unterhaltsam zu sein (Elias 1969) und ein äußerst feines Gespür für die persönlichen Wünsche, Schwächen und Stimmungen des Gegenübers zu haben (siehe »personorientierte Rationalität«). Allianzen und Intrigen wechselten sich ab, die unverrückbare Bedeutung der Hierarchie blieb (siehe »externale konzentrierte Autorität«). Der absolutistische Königshof bestand also aus einem weit verzweigten, für den Einzelnen unausweichlichen sozialen Netzwerk mit starker Konkurrenz um das Prestige der höheren Plätze in der einen steilen, fein abgestuften Hierarchie. Dadurch prägte sich eine personorientierte Rationalität (siehe Beschreibung dieses Kulturstandards) aus, die ganz durch Gefallen, Ansehen, Gunst und Ehre motiviert war. Sie drückte sich durch einen nuancierten, konversationstauglichen, schnellen, dialogischen, gezielt mehrdeutigen Kommunikationsstil (siehe Beschreibung dieses Kulturstandards) aus. Dadurch, dass immer mit vielen Bällen zu jonglieren war (das heißt ständig wechselnde Beziehungs- und Interessenkonstellationen) und immer die eigene Existenz auf dem Spiel stand, ging kein Weg an einer globalen und strategischen Denkweise (siehe Beschreibung dieses Kulturstandards) und einer stark simultanen Handlungsorganisation (siehe Beschreibung dieses Kulturstandards) vorbei. Der Königshof wurde in seiner »Gloire« im Rest des Landes einerseits als Modell und Wunschbild gesehen, andererseits aber auch als ferne, entrückte Autorität, die durch den Einfluss der lokalen Statthalter auf das eigene Leben als äußerlich, ungerecht und unangemessen empfunden wurde. Dadurch entstand eine Dialektik von Erdulden und Aufbegehren, ein Schwanken zwischen »gute Miene zum bö© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sen Spiel machen« und eine Revolution anzetteln (siehe »externale konzentrierte Autorität«). Als Korrektiv zu einer lastenden, aber als unvermeidlich angesehenen Hierarchie ist davon eine bis heute manchmal kompromisslos erscheinende Dissensorientierung (siehe Beschreibung dieses Kulturstandards) geblieben. Auf deutschem Territorium kann die chronische Kleinstaaterei als eine Verlängerung ursprünglicher stammeskultureller Traditionen und Partikularismen betrachtet werden, die nur sehr wenig durch die chronisch schwache kaiserliche Gewalt überlagert wurde. Diese lokale Verbundenheit förderte die Identifikation mit der Autorität (siehe »internale verteilte Autorität«). Allerdings gab es in der deutschen Geschichte fast regelmäßig traumatische Brüche und Verwerfungen, vom Dreißigjährigen Krieg über Napoleons Invasion, eine schnelle, massive industrielle Revolution bis zum Desaster der zwei Weltkriege. Jedes Mal spielte dabei ein Aufeinanderprallen verschiedener Gesellschaftsformationen eine zentrale Rolle, womit Deutschland in eine mehrmals sehr kritische Pendelbewegung zwischen mythischen Stammesidentitäten und bürgerlichem Nationalstaat ohne politisch begründete Identität geriet. Darin liegt vermutlich auch das Bedürfnis nach Sicherheit und das besondere Interesse für feste Strukturen und Regeln begründet (siehe »regelorientiertes Denken«). Letztendlich hat sich in Deutschland der moderne bürgerliche wirtschaftsorientierte Habitus also auf der Grundlage regionaler, die Stammeskulturen verlängernder Strukturen entwickelt. Diese überschaubaren Gemeinschaften ermöglichten und erforderten das Konsensprinzip (siehe »Konsensorientierung«). Nur so ließen sich die im Überlebenskampf nötigen konzertierten gemeinschaftlichen Aktionen bewältigen. Sie verlangten außerdem eine klare Aufgabenverteilung in Gruppen. In der industriellen Produktion, die Deutschland viel eher und viel breiter erfasst hat, ist ebenfalls die Sachorientierung dominant. Marktgeschehen, Arbeitsmobilität, Verbürgerlichung und Verstädterung führen außerhalb der Familie zu flüchtigeren, beschränkteren und zweckgebundeneren zwischenmenschlichen Kontakten. Die eigenen (Wirtschafts-)Interessen müssen deutlich artikuliert und durch materielle Arbeit, also Bewältigung der dinglichen Umwelt, erreicht werden (siehe »Sachorientierung bei der Aufgabenbewältigung«).

Mögliche Verallgemeinerungen auf Kulturstandards in anderen Nationalkulturen Aus der Betrachtung der Unterschiede und Verquickungen der deutschen und der französischen Kulturgeschichte, so holzschnittartig sie hier auch

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bleiben musste, kann zumindest deutlich werden, warum geographische Nähe nicht notwendigerweise kulturelle Ähnlichkeit bedeutet. Inwiefern lassen sich französische Kulturstandards vor ihrem spezifischen historischen Hintergrund jedoch trotzdem in anderen Ländern wieder finden? Verallgemeinerungen können nur entlang definierter Kriterien versucht werden. Je nach gewähltem Kriterium können die entstehenden »Familienähnlichkeiten« jedoch ganz unterschiedlich ausfallen. Ein unreflektiertes Kulturraumdenken ist dabei wenig hilfreich, da es bei genauer Betrachtung auf dem einzigen Kriterium der Sprachähnlichkeiten in einer Sprachfamilie beruht. Frankreich kann jedoch schwerlich in jeder Hinsicht als Prototyp für die romanischen Länder herhalten; zu spezifisch war die Genese der französischen Nationalkultur. Dennoch sehen wir wenigstens drei Möglichkeiten der Verallgemeinerung der Erkenntnisse, die sich aus einer Beschäftigung mit den Besonderheiten der französischen Kultur ergeben: – Verallgemeinerung auf Länder, die ebenfalls einen besonders homogenen Kulturraum zu schaffen vermochten. – Verallgemeinerung auf Länder, die ebenfalls Erben einer lange Zeit (aus ihrer Warte) erfolgreichen royalistisch-imperialistischen Tradition sind. – Verallgemeinerung auf Länder, die genauso stark durch den Katholizismus geprägt wurden. Es erscheint uns wichtig zu verdeutlichen, dass keines dieser Kriterien zu einer ausschließlich sprachlich-kulturraumbezogenen Verallgemeinerung Anlass gibt.

Homogene Kulturräume Je stärker und länger in einem Land eine religiöse, politisch-administrative, wirtschaftliche und sprachliche Homogenität geschaffen und erhalten werden konnte, desto impliziter und kontextbezogener wird der bevorzugte Kommunikationsstil sein (Demorgon 1996). Das trifft neben Frankreich für Portugal zu, das als eines der ersten europäischen Länder seine noch heute existierende geographische Gestalt fand. Aber auch in Japan entstand nach den extremen Kämpfen und Zerreißproben des Mittelalters ein sehr homogener, jahrhundertelang abgeschotteter Kulturraum, ermöglicht nicht zuletzt durch die Insellage. In Spanien und Großbritannien dagegen ist dies, bedingt durch den starken traditionellen Regionalismus, nur recht eingeschränkt der Fall. In Italien wiederum konnte sich das Erbe des Römischen Reichs (Ästhetizismus, religiöse und sprachliche Einheit) trotz der späteren lang andauernden politischen Zersplitterung (und der wie in Deutschland späten Nationenbildung) als kulturelle Selbstreferenz tatsäch-

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lich bis heute erhalten (Hennig 1996), auch wenn die regionale Gliederung und insbesondere das Nord-Süd-Gefälle ebenfalls sehr bedeutsam sind.

Erben imperialistischer Reiche Nationen, die wie die französische direkt aus einer sich jahrhundertelang reproduzierenden royalistisch-imperialistischen Gesellschaftsformation hervorgegangen sind, teilen bei aller Variationsbreite bestimmte grundlegende Merkmale wie starke soziale Hierarchie und Kontrolle, ferne (und damit als äußerlich erlebte) Autorität, zentrale Bedeutung der Personorientierung und eine universalistische Weltsicht. Dies trifft unmittelbar auf Spanien, Portugal und Großbritannien zu, als Erbe des Habsburger Reichs auch auf Österreich und als Erbe des Osmanischen Reichs auch auf die Türkei. Auch im Fernen Osten gibt es mit China, Japan und Java prominente Beispiele. Zu beachten ist, dass für Italien diese Einflüsse aus den Zeiten des Römischen Reichs viel weiter zurückliegen als für die anderen genannten Länder. Sie sind dort durch andere Phasen (z. B. die der Stadtstaaten, in denen sich Frühformen des Kapitalismus bilden konnten) vielfach gebrochen worden. Zur Bewältigung insgesamt recht wechselhafter gesellschaftspolitischer Bedingungen wurde der italienische »Familismus« zu einem zentralen kulturellen Organisationsprinzip (Hennig 1996), der dort als Gegenpol oder Unterwanderung der Hierarchien und Bürokratien gesehen werden muss.

Katholizismus Beinahe vollständig katholische Länder, in denen die Reformation keinen bleibenden Einfluss hatte, sind neben Frankreich Spanien, Portugal, Italien, aber beispielsweise auch Polen oder die südamerikanischen Länder. Dies gilt aber auch für Süddeutschland und Österreich. Diese Gebiete teilen trotz regionaler Anpassungen einen ursprünglich religiös gespeisten Wertekanon (Todd 1990). An der Oberfläche drückt er sich bei kooperativer Arbeit durch das prinzipielle Anerkennen formaler hierarchischer Beziehungen aus, gleichzeitig aber durch ein widersprüchlich erscheinendes Verhältnis zum Umgang mit Regeln. Sie werden einerseits anerkannt und geben Orientierung; gleichzeitig ist es ein »nationaler Sport«, sie zu umgehen. Durch besondere Klugheit oder durch Beziehungsnetze bleibt der Einzelne oft vor den Folgen geschützt. Das Nicht-Einhalten von Regeln ist also eine individuelle Entscheidung, die bewusst getroffen wird. Die »Schuld« wird eher durch den Grad von Regelverletzung und durch die Folgen auf die eigene Gruppe definiert als über allgemeine Rechtsmaßstäbe.

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Fazit Kulturelle Unterschiede an sich stellen kein Problem dar. Die Form des Umgangs mit ihnen dagegen entscheidet über eher krisenhafte oder eher produktive Entwicklungsrichtungen. Kulturelle Besonderheiten und Divergenzen einschließlich ihrer Entstehungshintergründe zu kennen ist deshalb zwar notwendig, aber nicht ausreichend, um mit ihnen konkret auch zurechtzukommen oder sie gar als Ressourcen gezielt nutzen zu können. Dazu bedarf es der Entwicklung und des Einsatzes geeigneter Kooperations- und »Interkulturationsstrategien« (siehe z. B. Scholz 1993). Diese wesentliche Frage sprengt jedoch leider den Rahmen dieser Ausführungen. Nur so viel sei gesagt: Es gibt immer mehr als eine Möglichkeit, mit Unterschieden umzugehen (siehe Bd. 1, Kap. II, 3). Daraus ergeben sich auch bei den Strategien zum Umgang mit den Unterschieden wieder mögliche Unterschiede, ad infinitum . . . Dass dies kein Grund für Pessimismus ist, zeigt dieses Kapitel vielleicht auch aus einem anderen Grund: Es wurde in enger deutsch-französischer Ko-Produktion entwickelt und konnte (nach deutschen Maßstäben!) fristgerecht fertig gestellt werden. Es unterlag dabei im Wesentlichen den gleichen, für das Autorenteam durchaus spürbaren Bedingungsfaktoren, wie sie hier beschrieben worden sind. Wie das Ergebnis hoffentlich zeigt, lassen sie sich fruchtbar meistern. Wie wir auch bezeugen können, haben uns die wechselseitigen Spiegelungen mit der nötigen Selbstironie auch viel Spaß gemacht. Ausschlaggebend für einen produktiven Umgang mit den Gegensätzen ist die Kombination mehrerer Analyse- und Handlungsperspektiven: die allgemeinmenschlichen Grundprobleme (Kommunikation, Problemlösen, Zeitmanagement . . .), die mögliche Bandbreite im Umgang mit ihnen (zwischen implizit und explizit, global und spezifisch, simultan und konsekutiv . . .), die Ebenen (Person, Organisation, Nation . . .), die Bereiche (Wirtschaft, Politik, Bildung . . .), die geschichtlichen Bedingungen bei der Entwicklung der Gesellschaftsformationen und die aktuellen Strategien zwischen Reproduktion und Veränderung (Demorgon 1996; Demorgon u. Molz 1996).

Literatur Hinweis: Zur praxisnahen Vertiefung eignen sich in unseren Augen Barsoux u. Lawrence (1990), Breuer (1996), Fischer (1996), Hall u. Hall (1984a, 1984b, 1990), Lichtenberger u. Naulleau (1993), Pateau (1999) und Strübing (1997), die nicht alle im Text zitiert wurden. Ammon, G. (1989): Der französische Wirtschaftsstil. München. Barsoux, J.-L.; Lawrence, P. (1990): Management in France. London.

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Kulturunterschiede:ErgebnissederKulturstandardforschung

StefanSchmid:England

Stefan Schmid

2.2 England

Eine Fallgeschichte Herr Zanker, Mitarbeiter einer deutschen Versicherung, wird von seiner Firma in deren Niederlassung in London entsandt. Dort nehmen ihn seine englischen Kollegen sehr freundlich auf und er hat das Gefühl, sich schnell einzuleben. Besonders leicht macht es ihm der lockere Umgang mit seiner Kollegin Frau Anderson, mit der er das Büro teilt. Die Angebote seiner Kollegen, ihm bei Gelegenheit die Stadt zu zeigen, stimmen ihn zuversichtlich, auch wenn es ihm bisher noch nicht gelungen ist, sich mit jemanden außerhalb der Arbeit zu treffen – außer zu dem »freitäglichen kollektiven, kollegialen Betrinken«, wie er es für sich nennt. Seine Versuche, sich darüber hinaus zu verabreden, selbst mit Frau Anderson, schlagen bisher fehl. Er kann dies schwerlich mit der gezeigten Freundlichkeit in Einklang bringen, aber vielleicht haben ja alle gerade viel zu tun. Nachdem die erste Abteilungsbesprechung für Herrn Zanker etwas unklar verlaufen war und er danach nicht genau wusste, was zu tun war, nimmt er sich vor, sich in der zweiten stärker zu engagieren: Er fragt bei den einzelnen Präsentationen detailliert nach, bringt seine Einwände vor und stellt die Vorgehensweisen in Deutschland denen in England gegenüber. Es ist ja die Chance eines neuen Mitarbeiters, auch andere Ideen mitzubringen – so denkt er sich – und was hilft es, wenn er nicht versteht, wovon die anderen reden. Nach einer Weile hat er den Eindruck, seine englischen Kollegen würden das Interesse an dem Austausch verlieren. Als er einem von ihnen erklärt, dass er dessen Vorgehen für falsch halte, schaltet sich der Abteilungsleiter ein und meint nur kurz, »thanks, but we are not in Germany«. Zuerst wundert er sich nur über diese Äußerung, konnte nichts damit anfangen, verstummt aber. Kurz darauf ist die Besprechung beendet und jeder scheint zu wissen, was zu tun ist – nur der Deutsche fragt sich, wie man mit solch vagen Vereinbarungen zusammenarbeiten kann: Welche Vorschläge sind nun abgelehnt, auf welche Veränderungen hat man sich

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geeinigt und was ist mit seinen Anregungen, die angeblich »worthwhile« waren? Nach der Sitzung ärgert er sich zusehends und fühlt sich nicht ernst genommen. Er fängt an, sich bei seiner Kollegin zu beklagen und zu schimpfen. Zunächst versucht Frau Anderson ihn zu beschwichtigen, er würde sich schon noch zurechtfinden. Als er dann aber wieder ansetzt, dass sie doch auch zugeben müsse, dass er Recht habe, wird Frau Anderson plötzlich sehr ernst und sagt: »I don’t know what it is like in Germany, but here you rather behave decently after such a situation – maybe there is one thing or another for you to learn as well?« Der Deutsche denkt sich über seine englischen Kollegen: – So empfindlich sind die hier! Anscheinend ist im Empire alles perfekt und daran darf keiner rütteln. – Die sind nicht in der Lage, eine Besprechung ordentlich zu moderieren und brauchbare Vorlagen zu erstellen, und wenn einer dann ehrlich ist und sich bemüht, ein bisschen Struktur und Klarheit reinzubringen, dann stört er die ganze Mannschaft in ihrem Burgfrieden. – Warum hatte mich niemand schon eher darauf hingewiesen, dass ich mich wohl irgendwie falsch verhalte? – Selbst mir gegenüber sind die nicht völlig aufrichtig, oder warum ist aus all den angebotenen Treffen nie was geworden? – Und überhaupt scheint Ehrlichkeit nicht deren Stärke zu sein oder was soll das heißen, meine Vorschläge wären wertvoll, und dann wird doch nichts damit gemacht? – Was sollten auch diese Spitzen dagegen, dass ich aus Deutschland komme? Ich hätte gedacht, dass die Mitarbeiter einer deutschen Firma gegenüber jüngeren Deutschen keine Vorbehalte mehr hegen – warum auch? Über sich selbst denkt Herr Zanker: – Ich bin ja nicht hierher geschickt worden, um Däumchen zu drehen – ich kann doch in den Besprechungen nicht nur zuschauen und danach nicht wissen, was zu tun ist. – Da will ich nur einen guten Eindruck machen und zeigen, dass man trotz aller sprachlicher Beschränkungen nicht nur eine Last, sondern auch eine Unterstützung sein kann, und dann geht das so nach hinten los. Dabei denke ich nach wie vor, dass ich fachlich völlig Recht hatte. – Wahrscheinlich bin ich als Neuer völlig in ein Minenfeld geraten, habe den wunden Punkt in der Abteilung getroffen, so was gibt es ja überall – aber wieso hat mir das Sarah danach nicht erklärt? Das kann ich doch nicht ahnen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Wie werden wohl Sarah Anderson und ihre englischen Kollegen den Vorfall erlebt haben?

Beschreibung der zentralen englischen Kulturstandards In einer Untersuchung zur Entwicklung eines Culture Assimilator Trainings für England konnten folgende englische Kulturstandards definiert werden (Schmid u. Thomas 2003; Schmid 2000).

Selbstdisziplin Die Redewendung »To keep a stiff upper lip« (wörtlich »eine steife Oberlippe bewahren«) bringt den Kulturstandard »Selbstdisziplin« auf eine knappe Formel, die in England – trotz ihres »hohen« Alters – noch eine weite Verbreitung findet: Es verbirgt sich dahinter, dass Engländer, so weit es sich irgendwie vermeiden lässt, öffentlich keine intensiven Emotionen und Bedürfnisse zeigen, egal ob sie nun Ärger, große Freude oder Ungeduld bewegt. Außenstehenden Einblick in die eigene Gefühlswelt zu gewähren wird vermieden und Gefühlsausbrüche anderer werden als peinlich empfunden. Vielmehr gilt es, stoisch »Haltung« zu bewahren. Man würde sich nie so weit gehen lassen, Ärger offen zu zeigen, zum Beispiel darüber, dass man angerempelt wurde – nein, man entschuldigt sich sogar noch selbst dafür, dass man im Weg stand. Diese Haltungsethik (Gelfert 1995) wirkt sich auch auf das Darstellen eigener Leistungen und Fähigkeiten aus. Ist man in Deutschland stolz auf das, was man vollbracht hat, und zeigt auch gern sein eigenes Wissen, so ist in England auch hier Zurückhaltung angebracht. Man will sich selbst nicht in den Vordergrund drängen und die eigene Person nicht zu wichtig nehmen. Das Distanzieren und Herunterspielen von persönlichen Errungenschaften ist in England wesentlich angesehener als eine »Mentalität der hochgekrempelten Ärmel«. Man glänzt eher durch das, was man unterlässt, als durch das, was man tut. Das als Kulturstandard Selbstdisziplin interpretierte Verhalten der Engländer prägt allerdings ebenso stark Stereotype von den Bewohnern der Insel. »Kühl, distanziert und unbeteiligt« sind häufig genannte Attribute, die Deutsche Engländern zuschreiben und die auf diesem Unterschied im Zeigen von Emotionen beruhen. Ergänzend ist anzufügen, dass sich dieser Kulturstandard etwas auf dem Rückzug zu befinden scheint. Der Tod der Prinzessin von Wales und die

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durch die Medien mit induzierten hysterischen Trauerreaktionen haben in England kontroverse Debatten zur Bedeutung der Selbstdisziplin für die britische Identität ausgelöst.

Indirekte Kommunikation Zu den bedeutendsten und am meisten geschützten Werten in der englischen Gesellschaft gehören die Privatsphäre, die Freiheit des Einzelnen, insbesondere dessen Meinungsfreiheit (Haller 1988). Dies zeigt sich in vielfältiger Weise im Verhalten: Die Privatsphäre des Einzelnen – und dazu werden im Gegensatz zu Deutschland auch politische Überzeugungen, Meinungen zu aktuellen Themen, Vorlieben oder selbst die Arbeitsweise gezählt – sind dessen Angelegenheit. Diesem Bereich nähert man sich als Fremder oder Bekannter überlegt und darauf bedacht, die eigene Sicht der Dinge nicht als die absolut richtige darzustellen. In England gilt wesentlich ausgeprägter als in Deutschland, dass Freiheit vor allem auch die Freiheit ist, anders zu denken. Kritik wird sehr verhalten und indirekt geäußert. Vorschläge, Bitten und Anweisungen werden häufig in Umschreibungen zum Ausdruck gebracht. Engländer besitzen in der Regel ein differenzierteres Repertoire an Möglichkeiten, Ablehnung oder Kritik zu äußern. Dies kann dazu führen, dass der deutsche Schwellenwert für die Wahrnehmung von Kritik unterschritten wird oder eine Form (z. B. Ironie) gewählt wird, die Deutsche zunächst überhaupt nicht einordnen können. Formulierungen wie »I am not quite sure, but . . .«, »I might be wrong, but . . .« oder einfach die häufige Verwendung des Konditional sind nicht Ausdruck einer größeren Unsicherheit oder Unentschlossenheit auf Seiten der Engländer. Sie dienen vielmehr dazu, das Gegenüber nicht vor den Kopf zu stoßen, Achtung vor dessen Meinung zu signalisieren und nicht zu selbstüberzeugt aufzutreten. Hier wird auch eine Verschränkung mit dem Kulturstandard »Selbstdisziplin« deutlich: Sehr oft geht die Wahrung der Privatsphäre des Anderen mit dem Zurückhalten eigener Ansichten Hand in Hand. Überspitzt formulierte der Essayist Mikes’ diese Haltung: »It may be your personal view, that two and two make four, but you may not state it in a self-assured way, because this is a democratic country and others may be of different opinion« (1946). Zusammen mit dem Kulturstandard Selbstdisziplin bewirkt dies eine völlig andere Diskussionskultur als in Deutschland. In England wird die eigene Position weniger betont und weniger von anderen Meinungen kontrastiv abgesetzt. Eine Stellungnahme beinhaltet vielmehr eine Wertschät-

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zung bestimmter Aspekte des Vorredners (auch wenn sie manchmal verzweifelt gesucht werden müssen) – dann erst werden ergänzend, mit Formulierungen ähnlich den oben genannten, die eigenen Ansichten angefügt. Ziel der Diskussion ist dabei weniger das Abstecken des Pro und Kontra, sondern die Integration unterschiedlicher Aspekte in einem Kompromiss.

Interpersonale Distanzreduzierung Der Kulturstandard »interpersonale Distanzreduzierung« beschreibt den für die meisten Engländer typischen Umgang mit Nähe und Distanz im Umgang mit ihren Mitmenschen. Für Engländer ist die Kontaktaufnahme auch zu Fremden – selbstverständlich. Sie wird nicht als aufdringlich empfunden, denn sie erfolgt unter absoluter Wahrung der Privatsphäre und aufgrund der indirekten Kommunikation erwächst zunächst daraus für keinen der Beteiligten eine Verbindlichkeit oder Verpflichtung. In Deutschland hingegen wird Distanz gewahrt, um nicht zu »belästigen«, da der direkte Kommunikationsstil der Deutschen schneller zu Eindeutigkeit und Verbindlichkeit führt. In diesem Zusammenhang wird die Fähigkeit zum unterhaltsamen Small Talk – auch mit Personen, die einem auf den ersten Blick nicht besonders sympathisch erscheinen – in England sehr geschätzt, Neugier und Aufdringlichkeit werden in gleichem Maß abgelehnt. Hier wirkt der besondere Schutz der Privatsphäre des Einzelnen und führt nicht zuletzt dazu, dass zum Beispiel Fragen wie »How are you?« zu Floskeln wurden, die nicht wirklich beantwortet werden. Themen, die zu persönliche Bereiche berühren könnten, werden von vornherein ausgeklammert. Wie bereits angeklungen, ist in England das Verständnis von Privatsphäre anders gefasst und umschließt auch Bereiche wie politische Ansichten, über die in Deutschland hingegen mit Vorliebe diskutiert wird. Auch spontan vorgeschlagene Unternehmungen sind für Deutsche schwierig einzuordnen, denn es liegt nicht immer auf der Hand, ob es sich um ein distanzreduzierendes Element in der Unterhaltung handelt oder um einen wörtlich zu nehmenden Vorschlag. Dementsprechend muss eine positive Reaktion darauf nicht als verbindliche Abmachung bewertet werden, sondern als Bestandteil eines freundlichen Kommunikationsklimas. Ein gewisses Maß an Ausdauer und Geduld im Aufbau von Beziehungen ist also gefordert. Stellt man die in Deutschland und in England gepflegten Formen des interpersonalen Kontakts gegenüber, so sind viele Gemeinsamkeiten zu entdecken: In beiden Kulturen kommt dem persönlichen, privaten Raum besondere Bedeutung zu. In Deutschland wird dessen Schutz durch distan-

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ziertes Verhalten gegenüber nicht näher Bekannten gewährleistet. Eine umfassende Öffnung erfolgt erst im Rahmen von Freundschaften. In England wird eine Kommunikationsform gepflegt, die zwar schneller das Gefühl von Nähe vermittelt, aber die Privatsphäre ebenso deutlich schützt wie in Deutschland. Sie wird ebenfalls nur Freunden zugänglich. Nicht nur deutsche Gäste in England scheinen mit dieser Form der Kommunikation ihre Schwierigkeiten zu haben, auch der Holländer Renier (1930) stellt in seinem Buch »Sind die Engländer Menschen wie wir?« überspitzt fest: »Das gesprochene Wort spielt in diesem Lande tatsächlich eine so geringe Rolle in der Unterhaltung . . ., dass nur wenige Leute die Voraussetzung für einen Erfolg darin besitzen. Der eingeführte Fremde schwimmt auf der . . . Oberfläche.«

Pragmatismus Der Kulturstandard Pragmatismus bedingt besonders im Arbeitsleben, an der Schule oder der Universität Verhaltensweisen, die deutschen Normen geradezu entgegenstehen: Man findet bei den Engländern wenig Liebe zu detaillierter, weit reichender Planung, eine profunde Abneigung gegen Prinzipien, deren praktischer Nutzen unklar ist, und eine ablehnende Haltung gegenüber theoretischen Überlegungen, die weit über eigene Erfahrungen hinausgehen. Die logische Konsequenz daraus ist, dass man in England lieber flexibel auf die aktuelle Situation reagiert. Engländer empfinden es oft als einengend und behindernd, sich beispielsweise in Besprechungen an strikt vorgegebene Strukturen halten zu müssen (Stewart et al. 1994). Eine ausgeprägte Kompromissbereitschaft – sense of compromise – paart sich mit dem muddling through, dem Sich-irgendwie-Durchwursteln, und ermöglicht den Engländern ein Bestehen in manchmal (für deutsches Empfinden) fast chaotischen Verhältnissen. Kompromiss und Einigung stehen über der ursprünglichen Idee. Wichtig ist es, dass eine Lösung gefunden wird, selbst wenn das sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Diese Flexibilität ist kombiniert mit einer ausgeprägten Toleranz gegenüber ambivalenten Konstellationen, eine Haltung, die sich in Deutschland nie richtig durchsetzen konnte und die die deutsche Vorliebe für eine exakte und ausführliche Planung mitbedingt. Einen weiteren Aspekt, der mit dem Kulturstandard Pragmatismus gekoppelt ist, bezeichnet man in England als common sense, gesunden Menschenverstand. Er spielt bei Entscheidungsfindungsprozessen eine zentrale Rolle. Eine neue Idee wird zunächst immer einer Prüfung unterzogen, inwieweit sie durch Erfahrung abgesichert ist. Je weiter sie sich von bisherigen empirischen Erkenntnissen abhebt, umso skeptischer wird sie beäugt.

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Auf dieser Basis haben abstrakte Ideologien, Theorien und Methoden in England zunächst immer einen schweren Stand, bis sie ihre (Un)Tauglichkeit bewiesen haben. So entsteht ein Gleichgewicht: auf der einen Seite die nüchterne,mit beiden Füßen auf dem Boden stehende Beurteilung (down to earth) einer Idee oder eines Vorschlags bezüglich ihres direkten Nutzens und der Chancen ihrer Verwirklichung, auf der anderen Seite wird eine detaillierte Planung nicht mehr für nötig erachtet, denn man bewegt sich ja auf bekanntem Terrain. Deutlich äußern sich deutsch-englische Unterschiede im Bereich der Wissenschaft: Werden in England besonders Ausführungen geschätzt, die durch große Anschaulichkeit und allgemeine Verständlichkeit glänzen, so ist es in Deutschland eher Usus, dass die Komplexität der wissenschaftlichen Sprache die des Sachverhalts widerspiegelt. Auch liegt in der deutschen Forschung eine stärkere Betonung auf dem theoretischen Unterbau, während in England das Pferd gern anders aufgezäumt wird und zunächst nach empirischen Grundlagen gesucht wird, aus denen dann eine Theorie entwickelt werden kann (Galtung 1983).

Ritualisierte Regelverletzung Um die Unterschiede in englischer und deutscher Wissenschaftssprache zu verdeutlichen: In England würde dieser Kulturstandard wahrscheinlich »Ventilfunktion« heißen. Für deutsche Besucher auf der Insel ist es oft mit großer Überraschung verbunden festzustellen, dass ihre Gastgeber in ganz bestimmten Situationen Höflichkeit, Anstand und Zurückhaltung über Bord kippen. Geradezu genüsslich wird dann mit diesen Regeln gebrochen, ohne deren sonstige Gültigkeit in Frage zu stellen. Dies kann sich in wilden Feiern und Festen ebenso äußern wie in plötzlich sehr offenem und freizügigem Umgang mit intimen Themen. Der krasse Gegensatz zur sonst üblichen Selbstkontrolle bewirkt, dass diese Abweichungen völlig unerklärlich erscheinen. Ausgesprochen unwohl fühlen sich Deutsche oft in Situationen, wenn vor allem jüngere Engländer ein recht unbefangenes Verhältnis zu Sexualität, ja sogar besonderes Interesse an diesem Thema an den Tag legen. Teilweise wird dann unter Bekannten in einer Offenheit über intime Gepflogenheit geplaudert, wie es in Deutschland höchstens unter engen Freunden üblich ist. Darüber hinaus stufen Engländer Veranstaltungen wie »tabledances« oder Strip-Einlagen in der Disko bei weitem nicht als »primitiv« oder gar »schmuddelig« ein – ganz im Gegensatz zu Deutschen, die, wenn sie in eine solche Veranstaltung geraten, oft glauben, sich in der Tür geirrt zu haben (Mittag u. Rohner 1990a; Mittag u. Rohner 1990b).

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Freitag Abend ist ein Termin, an dem häufig Ereignisse mit dieser »Ventilfunktion« zu erleben sind, ist er nach den office-hours doch oft von ausgiebigem Alkoholkonsum geprägt. Allerdings beschränken sich solche »Ausbrüche« auf die Freizeit, was nicht heißen muss, dass Arbeitskollegen nicht mit von der Part(ie)y sind. Im Gegenteil, da Sozialkontakten mit Arbeitskollegen eine große Bedeutung zukommt, geht man häufig abends noch gemeinsam ins Pub. Situationen, in denen sich der Kulturstandard manifestiert, können an das ausgelassene, teils ungehemmte Feiern beim deutschen Fasching erinnern. Eine weithin bekannte Repräsentationsform dieses Standards ist der schwarze Humor, der sich gerade durch das Brechen von Tabus auszeichnet. In Deutschland wurde dieser respektlose Umgang mit Normen und Regeln, der vor nichts Halt macht, vor allem durch Monty Python bekannt (Gelfert 1998). Im Gespräch können Sarkasmus und Ironie überraschend bissig, fast aggressiv eingesetzt werden, um Ablehnung auszudrücken, die sonst kaum direkt ausgesprochen würde. Übrigens überraschen deutsche Veranstaltungen mit Ventilfunktionen, wie Karneval und Fasching, Engländer oft auf ähnliche Weise wie das englische Verhalten die Deutschen.

Ritualisierung Ein sehr wichtiges Konzept in der englischen und auch in der britischen Gesellschaft allgemein, stellt die Ritualisierung dar (Gelfert 1995). Scheint dies auf den ersten Blick nichts anderes zu sein als Konservatismus, so bedeutet die Vielzahl an Ritualen weit mehr als das Festhalten an traditionellen Werten. In einem Land, das sehr vom Individualismus seiner Bewohner geprägt ist, gewährleisten diese Formalien den Zusammenhalt und eine möglichst geringe Reibung in der Gesellschaft. Deutlich tritt dieser Kulturstandard im Rechts- und Staatswesen in Erscheinung. Bildet in Deutschland eine Verfassung nicht nur den rechtlichen, sondern auch den gesellschaftlichen Rahmen des Staates, so wollten sich die Engländer nie auf eine Konstitution einlassen. Ihre Grundwerte sind mit althergebrachten Symbolen und Ritualen verknüpft, deren Abschaffung in den meisten Fällen einen Aufschrei der Entrüstung auslösen würde. Sie repräsentieren eine Verfassung, die nicht real als gesetztes Recht, sondern im Bewusstsein der Bevölkerung existiert. So ist ein weiterer wichtiger Aspekt dieses Kulturstandards die Gewährleistung der Kontinuität in der Gesellschaft durch den betonten Rückgriff auf Elemente aus der Geschichte des Landes (Condor 1996). Das prominenteste Beispiel hierfür ist die Königsfamilie, der trotz aller Querelen immer noch eine einflussreiche, integrierende Funktion zu-

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kommt, die über ihre tatsächliche politische Macht hinausgeht. Dazu zählen aber auch die Zeremonien bei der Eröffnung des Parlaments, die dessen Rang unterstreichen. Die Liste könnte beliebig verlängert werden, sei es um den woolsack (gefüllt mit Wolle aus allen Teilen des Königreichs), auf dem der Lordkanzler im Oberhaus präsidiert, die mace (Symbol der Autorität des Sprechers des Unterhauses) oder um die vielen Feierlichkeiten anlässlich historisch bedeutsamer Ereignisse (Trafalgar, V-Day). Der Kulturstandard Ritualisierung äußert sich aber nicht nur auf staatlicher Ebene oder in Feierlichkeiten, sondern wird auch direkt im Leben jedes einzelnen Engländers wirksam. Zunächst zeigt er sich in der starken Identifikation der Engländer mit Gruppen, denen sie angehören. Diese reicht von einem ausgeprägten Patriotismus über den Stolz auf die eigene Universität (Herkunftsfamilie, Schule, Betrieb) bis hin zur Zugehörigkeit zu bestimmten societies oder Clubs. Diese Form der emotionalen Bindung wirkt auf Deutsche sehr befremdlich, denn für sie stellt zum Beispiel die Universität eine anonyme Einrichtung dar, mit der man sich nicht identifiziert, und Nationalstolz wird leicht in der Nähe von Rechtsradikalismus angesiedelt. So begegnen Deutsche immer wieder nationalen Symbolen wie dem Union Jack (durchaus auch in Studentenzimmern an der Wand zu finden) und sind versucht, deutsche Bewertungsmaßstäbe anzulegen, begegnen also den betreffenden Personen mit einer gewissen Skepsis. Für Engländer ist dies jedoch ganz selbstverständlich, selbst Popgruppen zeigen sich in entsprechender Kleidung oder benutzen Musikinstrumente, die der Union Jack ziert. Eine besondere Art der Uniformierung sind die strikten dresscodes, ungeschriebene Kleiderordnungen, die für bestimmte Berufe gelten, die white collar jobs (wörtlich »Berufe mit weißem Kragen«). Sie können aber auch in gewissen Situationen, wie bei Vorstellungsgesprächen oder in Restaurants, bindend sein. Sie lassen überraschend wenig Spielraum und setzen der Individualität klare Grenzen: Mit dem Ziel der Integration in bestimmte Gruppen und um Klassenunterschiede zu verwischen (Beispiel Schuluniform), wird an diesen Kleiderordnungen festgehalten.

Deutschenbild 1996 vergaben 13- bis 15-jährige britische Jugendliche bei einer Befragung den ersten Platz für den bekanntesten Deutschen in England an Adolf Hitler, wobei sich unter den ersten zehn Plätzen neben einer Reihe Sportler nochmals zwei Nazigrößen fanden (Brooker 2000; Sammon 1997). (In Deutschland rangierte die königliche Familie auf den Spitzenplätzen.)

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Diese Umfrage reflektiert deutlich, in welchem Ausmaß die deutschenglische Geschichte der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts das Deutschenbild in England prägt. Die Intensität, mit der diese Stereotypen das Verhalten gegenüber Deutschen in England beeinflussen, stellen sie von ihrer umfassenden Wirksamkeit auf eine Stufe mit einem Kulturstandard. Nicht zu vernachlässigen sind dabei die Verstärkungen, die alte Stereotype durch tatsächliche kulturelle Differenzen beider Länder erfahren. Die deutsche Abweichung vom englischen Kulturstandard »Selbstdisziplin«, die sich zum Beispiel in einer deutlicheren Selbstdarstellung äußert, schürt das Vorurteil, dass sich die Deutschen für die Besten halten (»Deutschland, Deutschland über alles«). Gleiches gilt für die größere Planungsfreude auf deutscher Seite – sie kann das Stereotyp verstärken, dass die Deutschen tatsächlich alles wie eine Maschine angehen und für alle Eventualitäten ein Programm vorliegen haben müssen. Die Vorstellung, dass in Deutschland »verzweifelt« nach dem tieferen Sinn und den Zusammenhängen hinter den Dingen gesucht wird, ist so ausgeprägt, dass sogar das Wort »Angst« Eingang in die englische Schriftsprache gefunden hat. Es wird immer dann verwendet, wenn in Deutschland weit verbreitete Sorgen wie Waldsterben, Kernenergie oder Rinderseuche in Stimmungsberichten der englischen Medien auftauchen. Auch die anderen Stereotype werden nach wie vor in den Medien explizit oder implizit zitiert und selbst renommierte Zeitungen wie der »Guardian« vergessen selten, in Kommentaren über Deutschland mit diesen Deutschenbildern zu spielen. Besonders deutlich wird dies zu Zeiten politischer Krisen (Rinderseuche) oder sportlicher Auseinandersetzung (Fußball-Europameisterschaft in England). Man sollte sich als Deutscher in England der Tatsache bewusst sein, dass man früher oder später zu einer Auseinandersetzung mit diesen Stereotypen und damit auch mit Teilen der deutschen Geschichte gezwungen sein wird. Sei es dadurch, dass man mit Besorgnis auf Entwicklungen in Deutschland angesprochen, an den Stereotypen gemessen oder mit Phrasen aus der Zeit des »Dritten Reichs« angesprochen wird. Hier ist es wichtig zu wissen, dass die meisten jungen Engländer nichts von der Tabuisierung von Schlagwörtern (z. B. »Heil Hitler«) aus dem »Dritten Reich« in Deutschland ahnen. Deswegen sind sie sich auch über die Schockwirkung auf Deutsche nicht im Klaren. Zwar gilt gegenüber Deutschen »don’t mention the war«, häufig aber ohne konkrete Vorstellung, warum. Es ist hilfreich, von vornherein individuelle Strategien für den Umgang mit dieser Konfrontation zu entwickeln, die nicht zu nahe an deutschen Stereotypen liegen. Eine gute Möglichkeit scheint der Humor zu bieten, anstatt über aktuelle Verhältnisse in Deutschland zu dozieren. Der auf Platz ©zwei gesetzte Deutsche in der oben erwähnten Rangliste, 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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der Fußballstar Jürgen Klinsmann, hat gezeigt, dass das Deutschenbild in England nicht irreversibel ist, sondern dass durch einen selbstironischen Umgang damit nicht nur die Sympathien der Fußballfans gewonnen werden können (Head 2000). In diesem Sinn wirbt auch eine deutsche Reifenfirma auf der Insel: »Dull, grey and reliable – what do you expect of a German?«

Zurück zur Fallgeschichte Rekonstruiert man nun auf der Basis dieser Kulturstandards die englische Sichtweise der Situation, so bieten sich folgende Hypothesen an: Sarah Anderson denkt über sich und ihre englischen Kollegen: – Wir sind eine sehr erfolgreiche Niederlassung und die Zusammenarbeit in unserer Abteilung läuft im Großen und Ganzen gut. – Wir mischen uns nicht mehr als nötig in die Aufgaben der anderen ein, geben den Kollegen Anregungen, aber was sie damit machen, ist im Prinzip deren Sache – vorausgesetzt, die Ergebnisse stimmen. – Alles auf das letzte i-Tüpfelchen ausdiskutieren zu müssen, ist doch völlig unnötig und zermürbend, es ändert sich ohnehin alles sehr schnell – das hat aber nichts mit Unklarheit zu tun. – Wir waren schon gespannt, wie manche Prozesse unserer Arbeit in Deutschland gehandhabt wurden, doch an Belehrungen sind wir nun wahrlich nicht interessiert. Sarah Anderson denkt über Herrn Zanker: – Meine englischen Kollegen und ich hatten den Eindruck, dass Herr Zanker sich schnell eingewöhnen würde, er schloss sich sogar von Anfang unseren gemeinsamen Aktivitäten an. – Manchmal war er etwas aufdringlich, gerade als er immer wieder versuchte, mit mir ein Date zu bekommen und nicht zu verstehen schien, dass ich nichts wollte. Aber so sind Männer vielleicht manchmal. – Herr Zanker ist ein kompetenter Kollege, doch dass er nach dem Ablegen seiner ersten sprachlichen Unsicherheiten so von sich überzeugt auftreten würde, war schon äußerst unangenehm. Er übernahm ja förmlich die Leitung der Sitzung. – Ausgesprochen unverschämt war die Art und Weise, wie Herr Zanker manche Kollegen befragte, ja geradezu verhörte und dabei nichts Positives zu finden schien. – Hinweise, dass sein Verhalten unangebracht ist, scheint er völlig zu igno© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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rieren, unser Abteilungsleiter musste schon ungewöhnlich deutlich werden und auch ich war gezwungen, heftig zu werden. – Sehr anstrengend und umständlich waren Herrn Zankers Versuche, alles »ordnen und klären« zu müssen, wie er es nannte. Als ob er einem inneren Fahrplan folgen würde, ohne darauf zu achten, ob das denn nun notwendig sei. – Ich hatte ja von diesem Vorurteil gehört, dass sich Deutsche oft für die heimlichen Weltmeister in allen Disziplinen halten, das habe ich hier auf unangenehme Weise bestätigt bekommen. – Wenn ich mich wie Herr Zanker daneben benommen habe, dann hoffe ich, dass die anderen dies schnell vergessen, und fange dann nicht auch noch an laut zu schimpfen und zu motzen. In Bezug auf die beschriebenen Kulturstandards bedeutet dies: – Selbstdisziplin Herr Zanker wollte nach anfänglicher Zurückhaltung zeigen, was er kann, und hat nach der Sitzung seinem Ärger freien Lauf gelassen – aus englischer Sicht wirkt das Aufgeben der Zurückhaltung wie Besserwisserei und das Zeigen seines Ärgers ist schlicht peinlich und schlechter Stil. – Indirekte Kommunikation Die aus den Unterschieden beim Kulturstandard Selbstdisziplin resultierenden Schwierigkeiten werden noch durch den unterschiedlichen Kommunikationsstil verschärft. Eine offene, kritische Diskussion ist aus Herrn Zankers Sicht Grundlage für jede Entscheidung. Es ist ihm wichtig klarzustellen, was an den Vorschlägen richtig/gut und falsch/schlecht ist, um dann daraus die beste Lösung zu formen. Die Engländer sehen es als notwendig an, zuerst die Arbeit der anderen zu schätzen und lediglich Anregungen und Vorschläge zu geben. Jeder kann seinen Weg gehen – nur wenn unbedingt notwendig, würde man so drastisch dialektisch vorgehen wie Herr Zanker. – Interpersonale Distanzreduzierung Missverständnisse ergeben sich beim Kontakt zwischen Engländern und Deutschen dadurch, dass englisches Kontaktverhalten in Deutschland in das Verhaltensrepertoire freundschaftlichen Umgangs fällt. Es wird also eine Nähe und Freundschaft impliziert, die vom englischen Gegenüber (noch) nicht unbedingt vermittelt werden soll. Die Fehleinschätzungen auf deutscher Seite häufen sich bei Verwendung Distanz reduzierender, nicht wörtlich zu nehmender Elemente in der Konversation. Dies spielt hier nur am Rande eine Rolle, als Herr Zanker die Angebote seiner Kollegen zur gemeinsamen Stadtbesichtigung wörtlich nimmt, was insbesondere bei Sarah Anderson noch das Thema Mann-Frau berührt und © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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so zu besonderen Verwicklungen führt: Sie vermutet den Versuch eines Rendezvous – er deutet ihre Aussage als freundschaftliches Angebot, sich zu treffen, ohne Hintergedanken an eine romantische Beziehung. Pragmatismus Der Deutsche will eine genaue Planung, die auf einer kritischen Diskussion beruht, aus der die bestmögliche Vorgehensweise hervorgeht. Auf diese einigt man sich und sie ist verbindlich für alle. Für die Engländer gibt es diese Lösung nicht oder sie lässt sich nicht im Vorfeld bestimmen. Alles verändert sich ständig und so ist es sinnvoller, möglichst schnell zu beginnen und das eigene Vorgehen immer wieder anzupassen. Ritualisierte Regelverletzung Dieser Kulturstandard wird hier nur gestreift – Herr Zanker äußert sich etwas verwundert über die ausgelassenen after-office parties, die keine Hierarchien zu kennen scheinen. Für die Engländer ist es ein guter Brauch, direkt nach der Arbeit mit den Kollegen das Wochenende einzuläuten. Hinzukommen mag, dass Herr Zanker überrascht ist, dass Engländer Beruf und Freizeit nicht so zu trennen scheinen, wie dies in Deutschland üblich ist. Ritualisierung Dieser Kulturstandard spielt in diesem Beispiel keine wesentliche Rolle. Deutschenbild Spätestens wenn Konflikte auftreten, steuern alte Stereotype gehörig zur Dynamik des Missverstehens bei. Herr Zankers Diskussionsstil wird als Manifestation von »am deutschen Wesen soll die Welt genesen« interpretiert, sein Wunsch nach mehr Struktur vielleicht sogar als typisch militaristisch, organisationsversessen. Die Genervtheit der Engländer im Zusammenhang mit Herrn Zankers Vergleichen zu Deutschland zeigt die Aktivierung dieser Bilder in deren Köpfen. Herr Zanker scheint jedoch ebenfalls auf ein Repertoire an Stereotype zurückgreifen zu können, das die Identifikation von Engländern mit dem »British Empire« betrifft . . .

Kulturhistorische Verankerung Kulturstandards gleichen einer Momentaufnahme der Kultur, die sie beschreiben. Sie sind weder beständig noch zeitlos gültig, sondern im Wandel und Ergebnis des fortlaufenden Prozesses der Auseinandersetzung einer Gesellschaft mit den Anforderungen, die ihre Umwelt an sie stellt (Thomas 1999). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Die Suche nach den kulturhistorischen Ursprüngen der Kulturstandards und deren Weiterentwicklung ermöglicht ein tiefer gehendes Verstehen der Kultur, raubt den Kulturstandards den Beigeschmack der Beliebigkeit und vermittelt ein Gefühl für Konstanten und stark wandelbaren Elementen in einer Kultur. In der englischen Geschichte lassen sich fünf Wurzelstränge isolieren, die ein wesentliches Fundament der heutigen Kulturstandards liefern. 1. Eine prägende Rolle in der englischen Gesellschaft kommt dem Idealbild des Gentleman zu, das erstmals Ende des Mittelalters auftaucht. Damals nur für die adelige Oberschicht verbindlich, wurde es durch Annäherung von Mittelschicht und Adel in den folgenden Jahrhunderten für eine immer breitere Bevölkerungsschicht zum Maßstab der Erziehung ihrer Kinder: Höflichkeit, Selbstbeherrschung, Bescheidenheit und Frömmigkeit repräsentierten geschätzte Werte. Eine Institutionalisierung dieser Ideale erfolgt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Privatschulen, den so genannten Public Schools. Hier wurden die Kinder der Mittel- und Oberschicht mit der betonten Absicht der Charakterbildung ausgebildet – darunter wurde weniger die Vermittlung intellektuellen Wissens verstanden, sondern es erfolgte eine starke Orientierung am Gentleman-Ideal. Nicht zuletzt galt es als Ziel, die Elite des Landes für die Verwaltung und Beherrschung eines Weltreichs heranzubilden. Eine besondere Bedeutung kam dabei der Entwicklung einer starken Selbstdisziplin zu – die unterworfenen Völker des Kolonialreichs sollten zu ihren Beherrschern aufblicken können. Die staatlichen Schulen wurden von dieser Ausrichtung der Bildungseinrichtungen des Adels und der Mittelschicht ebenfalls beeinflusst und so gewannen diese Werte für breite Bevölkerungsschichten zunehmend an Bedeutung (Gelfert 1995). Zum Thema Smalltalk: Die Prinzipien des Gentleman-Ideals verlangen schon allein aus Gründen der Höflichkeit, mit relativ Unbekannten ein paar freundliche Worte zu wechseln, die auch ohne Weiteres in ein ungezwungenes Gespräch münden können. 2. England gilt als die Wiege der Demokratie: Bereits 400 Jahre früher als auf dem Kontinent wurde auf der Insel die Leibeigenschaft abgeschafft und bereits 1679 wurden in der Habeas-Corpus-Akte Grundrechte gewährt, die heute Bausteine jeder Demokratie sind. Auf diese Akte beruft man sich in England noch heute, wenn man glaubt, zu Unrecht von der Polizei in Haft gehalten zu werden. In diesem Zusammenhang ein wichtiges und auch heute noch häufig zitiertes Schlagwort ist das des »freeborn Englishman«, das die freiheitlichen Grundrechte betont, die die Engländer mit ihrer Geburt erlang(t)en – eben ganz im Gegensatz zum Kontinent, wo©diese annähernd nur in den Städten galten oder erst müh2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sam (wenn überhaupt) im Lauf des Lebens erlangt werden konnten. Besonders starken Ausdruck findet die Bedeutung der Freiheit im 18. Jahrhundert in den Theorien von John Locke und Adam Smith, die das Wohl eines Staats und seiner Wirtschaft in direkte Verbindung mit dem Wohl und der freien Entfaltung des Einzelnen setzen. Diese Theorien werden als Fundament der freien Marktwirtschaft und des Kapitalismus angesehen. Der Kern des ritualisierten Regelbruchs, nämlich die Vorliebe, einengende Normen drastisch zu durchbrechen, steht ebenfalls in Verbindung mit der frühen Freisetzung der Engländer. Mäßiger Respekt des »frei(geboren)en Engländers« vor Normen und Regeln, gepaart mit außerordentlicher Lebensfreude, spiegeln sich in den Komödien Shakespeares (z. B. Falstaff in »The Merry Wives of Windsor«) ebenso wider wie in Chaucers »Canterbury Tales«, die noch wesentlich weiter zurückreichen. Der Begriff des »merry England«, des fröhlichen Englands, wurde ebenfalls zu dieser Zeit geprägt. Der Gegenpol – teilweise sehr restriktive Gesellschaftsnormen – entwickelte sich zu Zeiten der Puritaner und des Viktorianismus. Sie wirkten und wirken sehr lange in das 20. Jahrhundert nach und haben entscheidend zum heutigen Erscheinungsbild des Kulturstandards »Ritualisierte Regelverletzung« beigetragen. So vertraten die Puritaner eine sehr strenge Bibelinterpretation, als deren Konsequenz Alkoholkonsum, Glücksspiele oder Sexualität entschieden abgelehnt und teilweise tabuisiert wurden. Die Ablehnung vieler Formen des Genusses zu dieser Zeit scheint jedoch extremen Regelbruch in eng umschriebenen Situationen geradezu provoziert zu haben. Symbolisch wird dieses Janusgesicht der englischen Gesellschaft in den zwei Personen Mr. Jekyll und Dr. Hyde in dem gleichnamigen Roman von R. Stevenson dargestellt (Reader 1964). 3. Alfred Weber, Begründer der Kultursoziologie, sah einen Zusammenhang zwischen der Ausprägung pragmatischen Handelns in einer Kultur mit deren ursprünglichen Bewirtschaftungsformen. In England und in Zentralasien war dies die Schafzucht, eine weitgehend witterungsunabhängige Form der Landwirtschaft, die sehr vorhersehbar war und bei der gut auf die Erfahrungen der Vorjahre aufgebaut werden konnte. Im Gegensatz dazu förderte die sehr stark vom unkontrollierbaren Wetter abhängige Ackerwirtschaft in Deutschland Planung für alle Eventualitäten und die Spekulationen über zukünftige Entwicklungen (Münch 1993). Man braucht allerdings gar nicht so weit in der Geschichte zurückzugehen, um die Spuren des Kulturstandards »Pragmatismus« aufzunehmen. Nach der Reformation entwickelten sich die philosophischen Strömungen in England in eine andere Richtung als auf dem Kontinent. Die Er© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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fahrung wurde als einzig zuverlässige Grundlage der Erkenntnis anerkannt. Diese empiristische Erkenntnislehre (englischer Empirismus) beeinflusst das Denken und Handeln der Engländer bis in die heutigen Tage. Außerdem erfolgte eine starke Ausrichtung der Philosophen an aktuellen, vor allem politischen Problemen; John Locke war einer der prominentesten und einflussreichsten Repräsentanten dieser Denkweise. Aus dem Empirismus entwickelte sich das Nützlichkeitsdenken (Utilitarismus), demzufolge Handlungen nach deren Wirkung und Nutzen und nicht so sehr nach deren Motiven beurteilt werden sollten. Diese Gedankenströmungen mündeten in den Liberalismus, der das Wohl des Staates und das Glück des Einzelnen in dessen größtmöglichen Freiheit sieht. Die Werthaltungen dieser philosophischen Strömungen haben sicher nicht zuletzt Englands Aufstieg zur führenden Handels- und Weltmacht des 18. und 19. Jahrhunderts ermöglicht (Haller 1988). Ein starker Einfluss auf die Entwicklung dieses Gedankenguts ist der Glaubensgemeinschaft der Puritaner zuzuschreiben. Ihre Vorstellung, dass sich Gottgefälligkeit in Erfolg und Prosperität zeigt, forderte eine utilitaristische Auswahl der Unterfangen, auf die man sich einließ. 4. Die Voraussetzungen für die Ausbildung des Kulturstandards »Ritualisierung« liegen weitgehend in der langen Kontinuität der englischen Geschichte und der Homogenität des Landes. So erfolgte im Jahr 1066 mit dem Normannen William the Conqueror die letzte Eroberung Englands und dieser neue Herrscher war klug genug, die alten angelsächsischen Gesetze, das common law weitgehend beizubehalten. Auf dieses Gewohnheitsrecht, das lange Zeit nur mündlich überliefert war, wird noch heute zurückgegriffen. Seit diesem Zeitpunkt gab es keine tiefer gehenden Einschnitte mehr in die Gesellschaftsform, wie dies auf dem Kontinent beispielsweise extrem mit dem Dreißigjährigen Krieg erlebt wurde. Gerade in Deutschland wäre solch ein Rückgriff auf einigende, gemeinsame Rituale schwerlich möglich – es existieren kaum solche Symbole, da die Nation erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts besteht und den Elementen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts solch eine Rolle absolut nicht zukommen könnte. Die Gemeinschaft Deutschlands kann sich also nicht durch Kontinuität und gemeinhin akzeptierte Elemente aus der Vergangenheit des Landes definieren. 5. Die Stereotype gehen zum großen Teil auf die beiden Weltkriege, insbesondere auf den Zweiten Weltkrieg zurück, da England in dessen Verlauf direkten Angriffen Deutschlands auf sein Territorium ausgesetzt war. Diese nationale Bedrohung durch die Deutschen hat sich ebenso tief in das englische Bewusstsein eingegraben wie deren Überwindung in Englands »finest hour« (Churchill). Aus dieser Zeit rührt ein verständliches, tiefes Misstrauen gegenüber Deutschland und jeglichen Tendenzen, die © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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den Eindruck von übermäßigem Selbstbewusstsein, Machtansprüchen, Militarismus oder Rassismus erwecken. Hinzu kommt, dass sich der Verlierer von den fatalen Kriegsfolgen offensichtlich schneller erholte als die Gewinner und letztendlich wirtschaftlich eine bedeutsamere Position erlangte. Dies stellte die Vorstellungen von Gerechtigkeit völlig auf den Kopf und gab abwertenden, selbstschützenden Vorurteilen weitere Nahrung. Das Bild des zuverlässigen und fleißigen Deutschen, der fast wie ein Automat funktioniert und dementsprechend langweilig und humorlos ist, steht in Verbindung mit dieser Entwicklung.

Generalisierung In diesem Kapitel wurde bewusst von »englischen Kulturstandards« gesprochen, da sich bei ihrer Anwendung auf die Gesamtheit der britischen Inseln durchaus Beschränkungen ergeben. So ist die Ausprägung der Kulturstandards »indirekte Kommunikation« und »Selbstdisziplin« in Schottland wesentlich schwächer und nimmt selbst in Nordengland schon ab; das Deutschenbild ist in Irland und Schottland weniger stark von den beiden Weltkriegen geprägt. In Schottland zeigt die kulturhistorische Betrachtung stärkere Einflüsse aus Frankreich – eine detaillierte empirische Untersuchung über die Auswirkungen auf die gegenwärtigen Kulturstandards steht noch aus. Die Gültigkeit der Kulturstandards »indirekte Kommunikation« und »Selbstdisziplin« wird von der Schichtzugehörigkeit beeinflusst – Engländer mit Working-class-Hintergrund weichen von deutschen Verhaltensnormen weniger stark ab (Argyle 1994). Da England lange Zeit Zentrum eines Weltreichs war und (aus europäischer Perspektive) kulturelle Wiege von Ländern wie Australien, Neuseeland und den USA, wirft sich die Frage nach der Generalisierbarkeit englischer Kulturstandards für diese Länder auf. Puritanisches Gedankengut und die damit verbundene Vorstellung, dass der Erfolg des Einzelnen Zeichen seiner Gottgefälligkeit ist, wurde durch englische Auswanderer in unterschiedlichem Maß in jedes dieser Länder exportiert. Deswegen ist diesen Ländern eine deutliche individualistische Ausrichtung gemeinsam, die Selbstverwirklichung und individuelle Freiheit an oberste Stelle setzt. Genauso teilen die angelsächsisch geprägten Länder eine starke Handlungsorientierung (im Gegensatz zur deutschen Planungsorientierung), die für England mit dem Kulturstandard Pragmatismus beschrieben wurde. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Besonders deutlich scheinen die Auswirkungen auf die indirekte Kommunikation in Neuseeland – in der »Abgeschlossenheit« bewahrten die Nachfahren der Migranten in hohem Maß die Werte der Auswanderer aus dem puritanischen/viktorianischen England. Die Liberalisierungsbewegung der »swinging sixties« hat in England zu einer ausgeprägteren Befreiung von diesen alten viktorianisch-puritanisch geprägten Normen etwa im Umgang mit Sexualität geführt, vergleicht man dies mit den USA, Neuseeland oder Australien. Nicht zuletzt fördern die gemeinsame englische Sprache, die gemeinsamen Wurzeln und Vorfahren die Übertragung von gesellschaftlichen Prozessen von einem Land zum nächsten. Dort erfahren diese zwar eine neue Interpretation – für einen Außenstehenden mögen aber zunächst vor allem die Ähnlichkeiten hervortreten.

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© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Kulturunterschiede:ErgebnissederKulturstandardforschung

SylviaSchroll-Machl:Deutschland

Sylvia Schroll-Machl

2.3 Deutschland

Eine Fallgeschichte In der Zentrale eines international tätigen Unternehmens in Deutschland spielt sich folgende Szene ab: Ein deutscher Chef kommt zu einem brasilianischen Mitarbeiter, der als Expatriate im deutschen Stammhaus für einen bestimmten Bereich als Koordinator zwischen Brasilien und Deutschland tätig ist. Er will sich eine Dokumentation aus Brasilien holen, die ihm eigentlich seit vier Wochen zugesagt ist, die er aber immer noch nicht in Händen hält. Als der Deutsche den Raum betritt, grüßt ihn der brasilianische Mitarbeiter freundlich und beginnt mit ihm ein nettes Gespräch (über das Wochenende, ein gestriges Fußballspiel). Der Deutsche reagiert darauf – nach der Erwiderung einiger Höflichkeiten – betont kurz angebunden mit den Worten: »Reden wir vom Geschäft! Ich brauche die Untersuchung über . . .«, und er bringt nochmals eine Zusammenfassung der Inhalte der gewünschten Dokumentation und der Gründe, weswegen er wirklich darauf wartet. Der Brasilianer versucht wieder, ihn auf freundliche Art in ein Gespräch zu verwickeln. Das würgt der Deutsche entschlossen ab, indem er nochmals betont, auf die Dokumentation zu warten. Er brauche sie für den Kunden X, und zwar dringend. »Dazu muss ich in Brasilien anrufen«, bekommt er zur Antwort und schon greift der brasilianische Mitarbeiter zum Telefon. Der Deutsche atmet schwer und hörbar. »Sie haben sie noch nicht bekommen! Typisch Brasilien!« Im nun folgenden Telefonat unterhält sich der Brasilianer nett und freundlich mit seiner Kollegin in Brasilien über das Wetter, das Wohlergehen und so weiter. Der deutsche Chef wartet sichtlich ungeduldig und genervt. »Ich habe ein kleines Problem. Ich bräuchte die Dokumentation«, sagt der Brasilianer nach einiger Zeit. »Mein deutscher Chef sitzt da und wartet darauf.« »Kein Problem, ich kann es faxen. Dann hast du es sofort«, lautet die Antwort, die der Brasilianer dem deutschen Chef laut mitteilt. Die Dokumentation wird sofort gefaxt. Der deutsche Chef nimmt das Fax mit dem bissigen Kommentar: »Super! Und darauf musste ich jetzt vier Wochen warten!« und verlässt den Raum. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Tabelle 1: Deutsche Kulturstandards im Kontrast zu anderen Ländern Im Kontrast zu USA Direktheit interpersonaler Kommunikation

Im Kontrast zu Frankreich Explizite, direkte Kommunikation

Im Kontrast zu Tschechien Schwacher Kontext

Im Kontrast zu China Direktheit/ Wahrhaftigkeit

Konfliktkonfrontation Regelorientierung

Regel- und Stabilitätsorientierung

Aufwertung von Strukturen

Regelorientierung Vertragsbindung

Organisationsbedürfnis Abgrenzung von Lebensbereichen

Trennung von Persönlichkeitsund Lebensbereichen

Trennung von Arbeits- und Privatbereich

Systematische Aufgabenerledigung

Konsekutivität

Zeitplanung

Persönliches Eigentum

Sachorientierung

Sachbezug

Sachorientierung

Pflichtbewusstsein

Selbststeuerung

Regelorientierte Kontrolle

Abgegrenzter Privatbereich Interpersonale Distanzdifferenzierung

Gleichheitsstreben Stabile Selbstsicherheit Autoritätsdenken Körperliche Nähe Geschlechtsrollendifferenzierung Gemeinsinn

Individualismus

Der Brasilianer bleibt ziemlich irritiert zurück, ärgert sich, fragt sich aber auch, was mit diesem Chef wohl los war. Er empfindet den Deutschen sehr aggressiv, schon zu Beginn und dann immer mehr. Er war keine Sekunde freundlich, er bemühte sich überhaupt nicht um ein paar nette Worte; er zeigte sich nicht ©im Geringsten als eine Persönlichkeit, die auch noch an2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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dere Empfindungen oder Interessen hat als diese Dokumentation. Sein Reden findet er als erschreckend direkt und sein Handeln als schneidend geradlinig. Und als er dann hat, was er will, findet er kein Wort der Anerkennung für die hilfsbereite Kollegin in Brasilien. Kurzum, für diese Person hat er ganz sicher keine Lust zu arbeiten. Und von sich aus wird er ihm künftig nichts geben oder mitteilen, denn als Menschen empfindet er einen solchen Chef als Fehlanzeige.

Deutsche Kulturstandards Die Kulturstandardforschung (siehe Bd. 1, Kap. I, 1.1) erbrachte eine Fülle von deutschen Kulturstandards, die in kritischen Ereignissen wie dem eben dargelegten handlungswirksam sind. Die Ergebnisse einiger Studien, die im amerikanisch-deutschen Kontrast (Markowsky u. Thomas 1995), französisch-deutschen Kontrast (Molz 1994), tschechisch-deutschen Kontrast (Schroll-Machl 2001) und chinesisch-deutschen Kontrast (Thomas u. Schenk 1996) gefunden wurden, sind in Tabelle 1 gegenübergestellt. Es gibt also eine geraume Anzahl von deutschen Kulturstandards, die aus ganz verschiedenen Blickwinkeln zentral sind.

Sachorientierung Für die berufliche Zusammenarbeit sind unter Deutschen die Sache, um die es geht, die Rollen und die Fachkompetenz der Beteiligten ausschlaggebend. Die Motivation zum gemeinsamen Tun entspringt der Sachlage, eventuell den Sachzwängen. In geschäftlichen Besprechungen »kommt man zur Sache« und »bleibt bei der Sache«. Ein »sachliches« Verhalten, das heißt die weitgehende Kontrolle von Emotionen, ist es, was Deutsche als professionell schätzen: Man zeigt sich zielorientiert und argumentiert mit Fakten. Wenn man sich kennt oder gar mag, ist das ein angenehmer Nebeneffekt, doch das ist nicht primär relevant. Die Sache ist der Dreh- und Angelpunkt des Tuns und bestimmt auch den Kommunikationsstil. Etwaige persönliche Empfindlichkeiten sind da schon mal hintanzustellen; sogar etwaige Rangbeziehungen der Gesprächspartner, wie etwa Vorgesetzter und Mitarbeiter, können zugunsten der Diskussion der Sache in den Hintergrund treten und es kann wie unter Gleichgestellten diskutiert werden. Aber nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch in der Alltagskommunikation des öffentlichen Raums genießen Sachthemen Priorität vor persönlichen Angelegenheiten und der Schilderung persönlicher Lebensumstände, auch hier geben Sachinformationen Orientierung – beispielsweise © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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definiert sich der Einzelne maßgeblich über seine Leistung und seine Aufgaben – und hier werden Emotionen ebenfalls kontrolliert, wenn sie nicht sachdienlich sind. Ein weiterer Aspekt der Sachorientierung zeigt sich in dem hohen Wert, der persönlichem Besitz und Eigentum zugemessen wird. Der Besitz, zum Beispiel Auto, Haus und Garten, wird gepflegt, fremdem Eigentum gegenüber zeigt man Respekt, Geldangelegenheiten nimmt man auch bei kleinen Summen sehr ernst. Gegenstände scheinen Teil der Privatsphäre einer Person zu sein, weswegen ihr zwangloses Verleihen unüblich ist. Überhaupt wird der Erwerb und Besitz von konkreten Dingen meist eher flüchtigen (Konsum-)Genüssen vorgezogen.

Wertschätzung von Strukturen und Regeln In Deutschland gibt es unzählige Regeln, Vorschriften, Verordnungen und Gesetze. Ihre Vielzahl sowie ihre enge und starre Auslegung, ihre strikte Einhaltung und die rigide Zurechtweisung oder Bestrafung bei Regelverletzungen sind daran im Kontrast zu anderen Kulturen, in denen selbstverständlich ebenfalls Regeln das Zusammenleben organisieren, das Besondere. Es bestehen implizite Regeln (wie z. B. die Forderung nach Pünktlichkeit), auf einen bestimmten Wirkkreis beschränkte Vorschriften (z. B. Hausordnungen, Benutzungsordnungen), Verordnungen im öffentlichen Leben in Stadt und Staat (von der Müllentsorgung bis zur Straßenverkehrsordnung), Normen im beruflichen Leben (wie Anordnungen, Standardisierungen) und so weiter. All diese Regelungen werden angewandt und wenig hinterfragt. Ihre Einhaltung wird für selbstverständlich erachtet und ihre Verletzung wird geahndet, mitunter sogar von völlig unbeteiligten Personen. Deutsche lieben also Strukturen. Dahinter steckt das Bedürfnis nach einer klaren und zuverlässigen Orientierung, nach Kontrolle über eine Situation, nach Risikominimierung und prophylaktischer Ausschaltung von Störungen und Fehlerquellen. Für das soziale Leben heißt das, dass das Zusammenleben im zwischenmenschlichen Bereich klar und nachvollziehbar gesteuert und damit das Ideal der Gleichbehandlung verfolgt wird. Regeln und Gesetze gelten nämlich für alle gleichermaßen, Ausnahmen werden eher selten gemacht, da Deutsche mit gleichen Normen für alle auch Gerechtigkeit assoziieren, das heißt gleiche Behandlung für alle hinsichtlich der Chancen und Rechte, aber auch der Sanktionen. Formelle und informelle soziale Interaktionen sind häufig explizit geregelt, so dass klar ersichtlich ist, was sie an Rechten und Pflichten nach sich ziehen. Zur Regelung des formellen MiteinanderUmgehens bedienen sich Deutsche dabei oft des Instruments von Verträ© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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gen; sie erlauben es, sich bei unvorhergesehenen Ereignissen auf eine gemeinsame Basis zu berufen. Im Berufsleben bedeutet das: Um das Erreichen eines relativ hohen Qualitätsanspruchs absichern zu können, sind Deutsche planerisch, strukturierend und organisierend tätig bis ins Detail. Man will nichts Wichtiges übersehen, man will keinen Fehler machen, man will potenzielle Fehlerquellen und Hindernisse im Voraus erkennen und eliminieren. Die Strukturen, derer man sich dazu bedient, werden oft als eine Art »geronnene Erfahrung« vieler Vorgänger betrachtet. Die Normen – vor allem im Produktionsbereich – haben geradezu Symbolcharakter für »beständige deutsche Wertarbeit« oder für Fortschritt im Sinne einer kontinuierlichen, verbessernden Veränderung. Viele wichtige, die normale Arbeit betreffende Gespräche und Informationen laufen in formellen Kanälen, das heißt in Besprechungen, in Sitzungen, mit Protokollen und Informationsverteilungssystemen. Damit sind sie für alle, die davon betroffen sind, einsehbar und nachvollziehbar. Im Alltag erzeugen mangelhafte Organisation und Störungen im geplanten Handlungsablauf leicht Ärger und veranlassen zur Suche nach dem Schuldigen, dann erst zur Suche nach Lösungen. Die Kehrseite der Medaille heißt freilich häufig auch: Organisation hemmt Spontaneität und Flexibilität.

Zeitplanung Zeit ist für Deutsche nicht nur ein wichtiges Thema, sondern Deutsche scheinen auch vielen Kulturen von Terminen und Zeitplänen getrieben, auf – durchaus langfristige – zeitliche Planungen geradezu versessen und auf Termineinhaltung pochend. Dieses Phänomen hat folgende Facetten: Grundsätzlich herrscht weithin die Einstellung vor, dass Zeit ein kostbares Gut ist und daher nicht nutzlos vergeudet werden darf, sondern effektiv genutzt werden muss. Genaue und langfristige Zeitplanung und ein präzises Erfüllen des Zeitplans dienen dazu als adäquate Mittel; mit »Nebensächlichkeiten« will man sich nicht aufhalten. Es gilt, sich auf das Wesentliche voll zu konzentrieren und sich nicht ablenken zu lassen. Deutsche haben zudem die Vorstellung, dass es optimal wäre, das Leben auf eine konsekutive Art organisieren zu können, in der man sich (1) über eine anstehende Handlung Gedanken machen und sie planen kann, (2) diese Planung dann ohne Unterbrechungen und Störungen umsetzen kann, um (3) schließlich sein Ziel zu erreichen. Weil das aber nicht geht, sondern Menschen meist gezwungen sind, viele Dinge parallel zu machen, bemühen sich Deutsche, ihrem Ideal doch zumindest nahe zu kommen: © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Sie packen die Dinge in klare Zeitfenster und Zeiteinheiten, ordnen sie dann in einer ihnen sinnvoll erscheinenden Weise nacheinander an und erledigen sie – so weit wie möglich – in dieser Reihenfolge. Weil nun alle so denken und handeln, ist es bei gemeinsamen Vorhaben essenziell, dass sich die Individuen zeitlich koordinieren: Sie vereinbaren Termine. Diese Termine sind der Kitt für gemeinsame Aktivitäten, weil sie die individuellen Ablaufpläne und Zeitpläne verzahnen. – Zeitmanagement gilt damit als Voraussetzung für effektives Handeln überhaupt, aber ganz sicher als wesentlicher Bestandteil von Professionalität. Man muss in der Lage sein, seine Zeit zu planen, realistische Einschätzungen für die einzelnen Zeitfenster vorzunehmen und sich dann eiserner zeitlicher Disziplin zu unterwerfen. Zeit erhält einen enormen Symbolwert, denn sie zeigt die Wichtigkeit einer Sache und einer Person an, weil nur wichtigen Dingen und bedeutsamen Personen Zeit gewidmet wird. Zeitliche Zuverlässigkeit ist für den Aufbau von Vertrauen und ein positives Image als verlässlich, interessiert, professionell eine kaum zu überschätzende Variable; zeitliche Unzuverlässigkeit bedarf einer gewichtigen Begründung, sonst stellt sie eine deutliche Beleidigung dar. Berufliche, aber vielfach auch private Termine und Zeitpläne sind verbindlich, denn sonst gerät ein ganzes System aus den Fugen. Störungen in den geplanten oder eingeschliffenen Handlungsabläufen lösen Verärgerung aus und verursachen handfeste, zum Teil massive Probleme, weil mit der Einhaltung von Zeitplänen eine Menge an Verpflichtungen steht und fällt. Daher hat die zeit- und plangerechte Erledigung von sachbezogenen Aufgaben und Vorhaben Vorrang vor persönlichen Interessen und Bedürfnissen; deshalb lässt ein voller Terminkalender auch für spontane, kurzfristige Begegnungen, Gespräche oder Besuche keinen Spielraum; und deshalb muss man in Deutschland für (fast) alles einen Termin vereinbaren, selbst für Freizeitaktivitäten.

Internalisierte Kontrolle Deutsche haben eine starke Identifikation mit der eigenen beruflichen Tätigkeit. Sie nehmen ihre Arbeit, ihre Rolle, ihre Aufgabe und ihre damit verbundene Verantwortung sehr ernst. Sie möchten das, was sie machen, gut machen und sind konzentriert bei der Sache. Wenn sie zunächst einmal planen, organisieren, strukturieren, dann machen sie das nicht zum Vergnügen, sondern aus der Überzeugung heraus, dass so die Aufgaben am besten bewältigt werden können (vgl. Wertschätzung von Strukturen und Regeln). Dass diese Strukturen nun Realität werden, hat eine zentrale Voraussetzung, die ©der Inhalt dieses Kulturstandards ist: Alle Beteiligten ha2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ben verlässlich zu sein. Eine Sache ist organisiert und jetzt wird von allen erwartet, dass sie sich korrekt an ihre Zuständigkeit halten und ihre Aufgabe erfüllen. Nur in diesem Zusammenspiel aller funktioniert das System. Das bedeutet, dass alle den im jeweiligen Kontext vorhandenen Regeln, Systemen, Strukturen Folge leisten. Es ist somit notwendig: – sich im beruflichen Feld an Kompetenzen und Rollen zu halten; – Absprachen, Vereinbarungen, Zusagen und Versprechen einzuhalten; – Entscheidungen durchzuführen; – Vorgaben exakt einzuhalten; – zeitliche Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit zu zeigen; – den eigenen Handlungsspielraum als Verantwortungsspielraum wahrzunehmen und aktiv die nötige Initiative zu ergreifen. Geschieht das, dann gilt jemand als zuverlässig, korrekt, gewissenhaft und ist ein geschätzter Mitarbeiter oder Kollege, der Vertrauen verdient. Diese Verlässlichkeit wird nun nicht vorrangig dadurch erreicht, dass es Instanzen gibt, die von außen kontrollieren, sondern dass jeder an seinem Platz von sich aus das tut, was von ihm erwartet wird. »Deutsche machen vieles ohne ersichtlichen Zwang dazu«, sagen nichtdeutsche Beobachter. Der Handelnde hat nämlich gar nicht mehr das Gefühl, dass er Erwartungen anderer erfüllt, sondern es ist ihm selbstverständlich, das zu tun. Er hat sich im Prozess der Planung, der Strukturierung oder als er die Stelle antrat, damit bereits identifiziert. Das ist mit »internalisierter Kontrolle« gemeint: Durch Einsicht in die »Notwendigkeit« oder Optimalität bestimmter Regeln oder Verfahrensweisen kontrolliert sich ein Individuum weitgehend selbst. Es hält sich dabei entweder an vorgegebene Normen oder an selbst erstellte Pläne. Eine Person erlebt von innen gesehen diese Selbststeuerung weithin als persönliche Autonomie und Selbstbestimmung; von außen gesehen wird selbst initiiertes und eigenverantwortliches Handeln ermöglicht und jemand wird für sein Handeln einschließlich der Folgen auch verantwortlich gemacht. Bei Verstößen oder Störungen kommt es daher nicht nur zu Konflikten mit einer Kontrollinstanz, beispielsweise dem Chef, sondern auch zu internen und Gewissenskonflikten, weil man mit sich selbst unzufrieden ist. Weil hier Strukturen, Normen, »Objektives« internalisiert werden, besteht auch die deutsche Zuverlässigkeit gegenüber der Sache (vgl. Sachorientierung)! Die Beziehungen, die zu den beteiligten Personen existieren, beeinträchtigen oder fördern die gezeigte Gewissenhaftigkeit wenig. Ob der Chef sympathisch ist oder nicht, ob man sich mit seinen Kollegen wohl fühlt oder nicht – man hat die Aufgabe zu erledigen. Und man will das auch, denn man findet die Sache im Prinzip gut, sonst wäre man nicht an dieser Stelle und©nicht in diesem Job. Das Pflichtbewusstsein gilt somit in 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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erster Linie den konkreten Vorgaben, der Loyalität gegenüber der Firma, bei der man (gerade) arbeitet. Die Pflicht ist – zumindest beruflich – wichtiger als das Vergnügen: Ob jemand Lust hat oder nicht, ob er gerade von Problemen heimgesucht ist, die ihm viel Energie abverlangen, ob es ihm sehr viel Mühe abverlangt oder Spaß macht, spielt eine untergeordnete Rolle: Er hat die Selbstdisziplin aufzubringen, sein Bestes zu geben. Denn er hat Ja gesagt zu dieser Vereinbarung oder dieser Stelle und nun steht er in Pflicht und Verantwortung. Selbstdisziplin und Härte zu sich selbst sind die Innenseite der Gewissenhaftigkeit. – Und das steht auch in Verbindung mit dem nächsten Kulturstandard.

Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen Deutsche nehmen eine strikte Trennung der verschiedenen Bereiche ihres Lebens vor. Sie differenzieren ihr Verhalten sowohl deutlich danach, in welcher Sphäre sie mit einer anderen Person zu tun haben, wie auch danach, wie nahe sie einer anderen Person stehen. Berufstätige Deutsche unterscheiden zwischen ihrem Berufsleben und ihrem Privatleben klar: – Deutsche arbeiten während der Arbeit und »leben« in ihrer Freizeit, das heißt nach Feierabend, am Wochenende, im Urlaub. In der Arbeit hat die Arbeit Vorrang und alles andere tritt an die zweite Stelle. Im Privatleben nehmen Beziehungen, Familie, Freunde, persönliche Neigungen und Interessen die ganze Person in Anspruch. – Im Beruf ist man sachorientiert, privat beziehungsorientiert gegenüber der Familie und Freunden. – Im Beruf ist man zielstrebig, privat will und muss man (auch) entspannen. – Im Beruf widmet man sich den jeweiligen Sachinhalten mit großem Engagement, im Privatleben frönt man unter Umständen ganz anderen Neigungen (z. B. einem Hobby) und schafft seinem Gemüt Ausgleich. Manchmal scheint es, als hätte man mit zwei verschiedenen Menschen zu tun – im äußeren Erscheinungsbild, im Verhalten, in der Stimmung. – Kontakte des Berufslebens werden im Privatleben nur unter bestimmten Bedingungen (Distanzdifferenzierung) fortgesetzt; Mitteilungen aus dem Privatleben erfolgen im Berufsleben ausgewählt, dosiert und eher spärlich. – Die Verfügungsmacht eines Vorgesetzten beschränkt sich auf die Arbeitszeit, Eingriffe in Privatangelegenheiten würde sich ein Mitarbeiter © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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verbieten; eine über den Arbeitsvertrag hinausgehende Fürsorgepflicht des Unternehmens besteht nicht und wird auch nicht erwartet. Mit dieser Trennung hängen auch die folgenden beiden eng zusammen: Rolle – Person: Deutsche definieren klar die Rollen, die zu bestimmten Positionen gehören. Professionalität bedeutet, man weiß um seine Rolle in allen Facetten – bis hin zu Kleinigkeiten. Und man hält diese Rolle auch ein. Beruflich heißt das: Man ist korrekt und in der Sache engagiert zugleich, angemessen distanziert und mit entsprechender fachlicher Qualifikation. Zeigt man darüber hinausgehendes Verhalten, läuft man Gefahr, »aus der Rolle zu fallen«, was meist nicht positiv bewertet wird. Man ist weder zu enthusiastisch noch beleidigend. Die Person, die hinter der Rolle steht, ist häufig in vielerlei Hinsicht schillernder. Doch sie kann, will sie beruflich anerkannt sein, nur einen Teil ihrer Persönlichkeit in ihrer Rolle ausleben: Am besten die Seiten, die der Rolle förderlich sind und den Rolleninhaber damit überzeugend erscheinen lassen. Emotionalität – Rationalität: Deutsche bemühen sich, ihre Gefühle und die objektiven Fakten auseinander zu halten. Dabei ist das Vorherrschen der Rationalität vor allem im Berufsleben angesagt, wo es als professionell gilt, sich sachlich zu zeigen (vgl. Sachorientierung), und Gefühle in mancherlei Hinsicht fast Schwäche bedeuten. Rationalität ist somit der Persönlichkeitsbereich, der beruflich aktiviert wird und die Basis für die Sachorientierung darstellt. Emotionalität ist dagegen im Privatleben dominanter. Hier ist wichtig, Mitgefühl und Verständnis für andere zu haben sowie sich seiner eigenen Gefühle bewusst zu sein und ihnen freieren Lauf zu lassen. Doch immer dann, wenn es um heikle Fragen geht (in allen Lebensbereichen), wird unterschieden zwischen dem, was man sich rational zu einer Sache denkt, und dem, was man emotional, »aus dem Bauch heraus« meint. Beides ist dann gegeneinander abzuwägen, um zu handeln. Außerdem spielt für die Art des Kontakts Nähe eine entscheidende Rolle. Es sind bei ein und derselben Person ganz unterschiedliche Verhaltensweisen beobachtbar, je nachdem, ob ihr Interaktionspartner ein Fremder, ein Bekannter, ein Kollege oder ein echter Freund ist. Die Entwicklung von Freundschaften ist dabei der (angenehme) Ausnahmefall. Als durchgängiges Muster kann für Deutsche gesagt werden, dass sich (a) der Kontakt von Verschlossenheit, Distanziertheit und formalem Verhalten allmählich zum Vertrauten hin bewegt, dass (b) die anfängliche Dominanz von Sachgesprä© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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chen und Rationalität zunehmend größerer Emotionalität, Herzlichkeit und Personorientierung weicht, dass (c) Nähe eine »Herzenssache« und nicht von Zweckrationalität bestimmt ist. (d) Das Interesse, ständig neue Leute kennen zu lernen, ist im Allgemeinen eher gering; viele Kontaktchancen werden daher nicht wahrgenommen, aktive Kontaktanbahnung oder ungebetene Einmischung wird leicht als aufdringlich empfunden; stattdessen gelten Abstand und Zurückhaltung als höflich und Erstkontakte bleiben weithin folgenlos. (e) Diese Distanzdifferenzierung findet ihren Niederschlag in den Anredeformen »Sie« oder »Du«. Die Annäherung erfolgt Schritt für Schritt in den Stufen 1. neutrales, rollenkonformes Verhalten zu Beginn; 2. schrittweises Sichnäherkommen mit zunehmender emotionaler Öffnung; 3. Freundlichkeit bis Herzlichkeit, volle Zugänglichkeit zum Persönlichkeitskern, wechselseitige Verpflichtung.

Schwacher Kontext Deutsche pflegen einen Kommunikationsstil großer Direktheit und Explizitheit: Sie formulieren das, was ihnen wichtig ist, mit Worten und benennen die Sachverhalte dabei ungeschminkt und offen. Die charakteristischen Elemente dieses Stils sind: – Das Was steht im Vordergrund, das Wie ist sekundär. Der Fokus der Deutschen ist, wie schon dargelegt, vor allem auf die Sachebene gerichtet, das heißt, ihnen kommt es auf den Inhalt des Gesagten an (vgl. Kulturstandard Sachorientierung). – Daher reden Deutsche meist direkt und undiplomatisch, aber ehrlich und aufrichtig, ganz so, wie sie etwas eben sehen. Sie äußern ihre Meinung klar. Sie kommen ohne Umschweife und Umwege auf den Punkt. Das gilt auch für den, der etwas will: Er muss es explizit sagen. – Sie denken nicht daran, auf etwaige Empfindlichkeiten der Anwesenden besonders Rücksicht nehmen zu müssen. Damit können ihre Aussagen verletzend wirken, obwohl das nicht so gemeint und beabsichtigt war. – Sie handeln gemäß der »Trennung von Lebensbereichen«. – Interpretationsspielraum zu lassen ist zudem nicht ihre Sache. Sie wollen sich präzise, klar und unmissverständlich ausdrücken und daher formulieren sie die Dinge, die sie mitteilen wollen, aus. Sie meinen das, was sie sagen; und sie sagen das, was sie meinen. Ergänzende Informationen braucht man nicht dazuzunehmen, zusätzlich wahrzunehmen oder aus dem Kontext des Gesagten zu entschlüsseln, um im Bild zu sein, was ihre Botschaft war. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Umgekehrt wird in die Dekodierung nur miteinbezogen, was ausdrücklich gesagt wird. Deutsche denken nicht daran, dass das, was man ihnen sagt, nur ein Teil der Botschaft sein könnte, die um weitere Signale ergänzt werden müsste, damit sie verstanden werden kann. Sie hören explizit gesprochene Worte, halten das gewohnheitsmäßig für den Inhalt, den man transportieren wollte, und haben keine Ahnung, dass noch anderes zur zuverlässigen Entschlüsselung und Interpretation des Gesagten hinzugenommen werden müsste. Selbst Konnotationen und nonverbale Signale werden oft nur dann wahrgenommen, wenn auf sie extra hingewiesen wurde; üblicherweise wird alles wörtlich genommen und kein Hintersinn vermutet. Mit diesem Kommunikationsstil erscheinen Deutsche oft recht konfrontativ und alles andere als konfliktscheu: – Hinsichtlich ihrer Selbstbehauptung kämpfen sie argumentativ für ihre Position. Offene Meinungsäußerung stellt einen Wert dar; Stellungnahmen und Ablehnungen werden unverblümt und deutlich ausgedrückt. Wenn Deutsche etwas wollen, dann sagen sie das so klar, dass viele es als »fordern« erleben. Deutsche diskutieren gern und legen dabei logische Fehler, Irrtümer, Unklarheiten und Widersprüche bloß in der Überzeugung, damit der Wahrheitsfindung zu dienen. – Deutsche schrecken vor Kritik nicht zurück: »Konstruktive Kritik« ist ihrem Verständnis nach vorrangig an der Sache ausgerichtet (vgl. Sachorientierung) und sie sind überzeugt, dass sie lediglich eine Verfehlung kritisieren, aber nicht die Person. Daher erscheint auch eine betont positive Einleitung zu einem Kritikgespräch eher heuchlerisch als nützlich. – Wenn es Probleme zu lösen gilt, sind Deutsche davon überzeugt, dass nur durch eine klare Problemanalyse und ein konkretes Ansprechen von Schwachstellen eine Optimierung möglich ist: Erst wenn die Probleme erkannt sind, kann man an eine Fehlerbehebung gehen.

Zurück zur Fallgeschichte Kehren wir zurück zum brasilianischen Mitarbeiter und seinem deutschen Chef. Welche deutschen Kulturstandards waren hier wirksam? Zeitplanung: – Der Deutsche geht von einer terminlichen Vereinbarung aus. Da Termine für ihn wichtig und verbindlich sind, ist er verärgert, dass sein brasilianischer Mitarbeiter sich hier unzuverlässig zeigt. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Bei zeitlichem Druck, wie er sich nun bereits aufgebaut hat, hat man sich umso mehr ganz auf das Ziel zu konzentrieren. Zudem hält der Deutsche es für Zeitverschwendung und für einen fahrlässigen Umgang mit seiner Zeit, wenn der Brasilianer in Seelenruhe langatmig telefoniert, während er hier sitzt und wartet. Das steigert seinen Ärger und lässt den Mitarbeiter obendrein sehr unhöflich erscheinen. Internalisierte Kontrolle: – Er erwartet, dass sich der brasilianische Mitarbeiter von sich aus um die Dokumentation kümmert (das ist als Koordinator schließlich sein Job!), ohne dass er als Chef nachhaken muss. Außerdem erwartet er eine Erklärung, warum es zu dieser vierwöchigen Verzögerung kam. Sein Ärger nährt sich also auch aus der Quelle, dass offensichtlich von allein nichts passiert wäre. Vermutlich stellt das sogar einen Großteil der Motivation dar, nicht von der Stelle zu weichen, bis in Sachen Dokumentation ein Fortschritt erzielt worden ist. Sachorientierung: – Der Deutsche kommt wegen der Dokumentation zu seinem Mitarbeiter, nicht aber zur Kontaktpflege. Er möchte Sachinformation und sonst nichts. Den Smalltalk erlebt er daher als Geschwätz, das fehl am Platz ist und eventuell sogar nur von der Nachlässigkeit des Brasilianers ablenken soll. Sein Urteil lautet: Dieser Mitarbeiter ist unprofessionell und redet zu viel unnötiges Zeug. – Bei dem bereits schwelenden Konflikt wäre eine Konzentration auf die Sache und eine sachlich gute Kooperation die einzige Möglichkeit, wieder Boden wettzumachen. Direktheit: – Der Deutsche sagt bei seinem Kommen klar, was er will, nämlich die Dokumentation. Dass er diese nur über »Umwege« erhalten kann (hier: Kontaktpflege, die der Motivation dient), kommt ihm nicht in den Sinn. – Sein Schlusskommentar bezieht sich nochmals auf den Anlass für diese Interaktion, und wieder wäre er völlig überrascht, würde man ihm sagen, dass die erlebte »Hilfsbereitschaft« eine Würdigung verdienen würde. Sein Sarkasmus ist in seinen Augen keine Unhöflichkeit, sondern der berechtigte Ausdruck seines Zorns. Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen: – Der Deutsche will über das Geschäft reden, da die ganze Begegnung in seinen Augen nur dem Inhalt »Dokumentation« dient. Plaudern gehört deshalb nicht©hierher, noch weniger in eine Chef-Mitarbeiter-Interak2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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tion: Er hat keine private Beziehung zu diesem Brasilianer, sondern begegnet ihm rein aus seiner Rolle heraus und will, dass der Andere auch seine Rolle spielt. – Die Gesprächsversuche des Brasilianers mit ihm interpretiert er als Ablenkungsmanöver und die persönlichen Fragen an ihn als anmaßend und distanzlos.

Kulturhistorische Verankerung der Kulturstandards Bei dem Versuch, einen kurzen Überblick über die historischen Gründe für die Entstehung der deutschen Kulturstandards zu finden, scheinen vor allem folgende Linien in der deutschen Geschichte maßgebend gewesen zu sein (Schroll-Machl 2002): das lange Verharren in der Kleinräumigkeit der Territorialstaaten, in denen sich später der Absolutismus lange halten und das jeweilige Staatsgebilde weitgehend durchdringen konnte, die Lehren des Protestantismus, die mehrfachen existenziellen Erschütterungen, die viele Generationen von Deutschen heimgesucht haben. Die Kleinräumigkeit der Territorialstaaten begünstigte folgende Entwicklungen: – Da die Menschen in diesen Staaten in einem anhaltenden Zustand der Isolierung lebten – einer Isolierung zwischen den Staaten wie auch international –, entstand nach innen eine enge soziale Integrität und nach außen existierte nicht die geringste Notwendigkeit zu Öffnung und Kontaktanbahnung (→ Trennung von Lebensbereichen: Distanzdifferenzierung). – Den Regeln, die die Obrigkeit erließ, war unbedingt Folge zu leisten. Das lehrte nicht nur der lutherische Protestantismus, das war in derart kleinen Staaten auch effektiv zu kontrollieren: Jeder Aufstand war schnell zu ersticken. Zudem konnten sich die Regeln nachhaltig verfestigen, weil sie durch keine Begegnung mit »Fremden« relativiert werden konnten. Pflichterfüllung wurde spätestens im Absolutismus ein Wert, der eine funktionierende Gesellschaft und das Wohl der Gemeinschaft sicherte (→ internalisierte Kontrolle). – Nur im Privatbereich entfiel die starke Kontrolle, sich vorschriftsmäßig zu verhalten, was mit zunehmendem Außendruck im Absolutismus eine Flucht ins Private begünstigte. Zudem waren die bürgerlichen Schichten bis zur Weimarer Republik einflusslos und konnten sich nur im »Innenraum« entfalten (→ Trennung von Lebensbereichen). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Dem Sicheinrichtenmüssen in einem beengten Bereich mit einhergehender Intensität ist wohl auch der Handwerkerfleiß und die Genauigkeit wie überhaupt die Präzision zu verdanken, da sich stimulierende weiträumige Erfahrungen schlichtweg nicht machen ließen (→ Wertschätzung von Strukturen: Detailorientierung). – Die Kleinstaaterei führte zur Herausbildung völlig verschiedener Kontexte. Auf einen gemeinsamen Kontext zwischen den mehreren Hundert Staaten auf deutschem Territorium konnte somit nicht Bezug genommen werden, weil es ihn nicht gab. Kam es zu Grenzüberschreitungen, so musste stets explizit kommuniziert werden, um sich zu verständigen (→ schwacher Kontext). – Die Strukturen der Kleinstaaten bezogen sich auch auf eine starre Regelung der Zeit (→ Zeitplanung). Der Protestantismus hatte ebenfalls eine Reihe von Konsequenzen: – Der Protestantismus ist ohne kultisches Anliegen (z. B. Anbetung, Opfer), sondern verstärkt die intellektuelle Ebene und das Verstehen. Sachlichkeit und Rationalität werden betont, um konkrete Probleme zu lösen oder das Absolute zu suchen (→ Sachorientierung). – Außerdem hebt er die Wichtigkeit des Berufs hervor und damit den Aufgabenbezug im öffentlichen Leben (→ Sachorientierung). – Durch das Wegfallen einer vermittelten Kultfrömmigkeit und die Rückbindung der Lebensgestaltung an die persönliche Entscheidung bedingt der Protestantismus eine Verschärfung der linearen Zeitnutzung (→ Zeitplanung). – Zudem trennt das Luthertum zwischen zwei Welten, der religiösen Innerlichkeit und der gesellschaftlichen Äußerlichkeit: In der Öffentlichkeit herrschen die weltlichen Strukturen und der Beruf, hier haben sich die Gläubigen in ein Rollenhandeln einzuordnen. In der Innerlichkeit ist das Neue Testament bestimmend und ist die Erfüllung im Glauben zu suchen (später wird daraus ein säkularisiertes Persönlichkeitsideal). Die beiden Sphären durchdringen sich dabei (fast) nicht (→ Trennung von Lebensbereichen). – Luther predigte, dass die Strukturen der Welt gottgegeben seien (→ Wertschätzung von Strukturen). Damit forcierte das Luthertum einerseits sowohl den Gehorsam gegenüber jeglichen weltlichen Normen wie auch andererseits die Gewissenhaftigkeit gegenüber christlichen Normen, das heißt es leistete in jeder seiner beiden Welten einen Beitrag zur → internalisierten Kontrolle. – Luthers Kirche ist eine Kirche des sinnvermittelnden Worts und der Reflexion (nicht der Erbauung). Zudem gibt es keine Kompromisse und Vermittlungen, sondern ein klares Entweder-Oder sowie im Pietismus © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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die bedingungslose Suche nach Wahrheit. Das bleibt nicht ohne Konsequenzen auf den Kommunikationsstil (→ schwacher Kontext). Existenzielle Erschütterungen, die vielen Generationen von Deutschen widerfuhren, lehrten: – Die Sicherheit des Lebens und des Hab und Guts war vor und nach 1648 chronisch in Frage gestellt. Wenn sie überhaupt jemand gewährleisten konnte, dann der jeweilige Landesfürst des Territorialstaats. Dieses Sicherheitsbedürfnis mündete in die Bereitschaft, sich ihm unterzuordnen, selbst unter ausbeuterischen Bedingungen (→ Wertschätzung von Strukturen). – Im 19. Jahrhundert konnte zusätzlich die Erfahrung gemacht werden, dass eine absolutistische, aufgeklärte Bürokratisierung des Lebens unleugbare Modernisierungs- und Fortschrittsleistungen in allen Lebensbereichen zeitigte sowie den Aufstieg Preußens in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht maßgeblich bedingte (→ Wertschätzung von Strukturen). – Das starke Bedürfnis nach Sicherheit, auch im vergangenen Jahrhundert gespeist aus dem Verlust von geliebten Menschen, Besitz und Heimat, bewirkte das Bestreben, eventuelle, antizipierte unerwünschte Ereignisse möglichst zu vermeiden (→ Wertschätzung von Strukturen). – Das Erlebnis der Zerstörung der materiellen Lebensbedingungen durch Kriege in allen Jahrhunderten (z. B. Dreißigjähriger Krieg) und soziale und wirtschaftliche Krisen (z. B. Pestepidemien, wechselnde Herrschaftssysteme) in früheren Zeiten und bis in die jüngste Zeit hinein, ließ den Gütern des täglichen Lebens hohe Bedeutung zukommen (→ Sachorientierung). – Das Bemühen, nach 1945 mit einem Mindestmaß an Selbstachtung weiterleben zu können, führte in jüngerer Zeit zu großer Nüchternheit im öffentlichen Bereich: Man wandte sich der Aufgabe des Wiederaufbaus zu und vermied jeden Pathos (→ Sachorientierung). Nur im Privaten lebten die Gefühle (→ Trennung von Lebensbereichen). – Zudem war nach 1945 die Konzentration auf eine pflichtbewusste Rollenübernahme im Wiederaufbau überlebenswichtig. Um unter den Wettbewerbsbedingungen der Marktwirtschaft erfolgreich sein zu können, ist bis heute ein herausragendes Erziehungsziel »Disziplin« verstanden als Selbstkontrolle zur Erreichung von Tüchtigkeit (→ internalisierte Kontrolle). Diese kulturhistorischen Linien liefern – wenn auch nur eklektisch – Hinweise auf die Mentalitätsentwicklung in Deutschland. Die empirisch gefundenen Kulturstandards weisen damit nicht nur eindrucksvoll passgenaue © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Parallelen zur deutschen Mentalitätsgeschichte auf, sondern scheinen sogar oft historisch überdeterminiert. Das spricht für ihre Validität.

Generalisierung Es stellt sich nun die Frage, inwieweit auf der Basis dieser historischen Analyse auf andere Länder geschlossen werden kann, wenn diese eine analoge Geschichte aufweisen. Als Erstes ist hier auf die Zugehörigkeit Deutschlands zum abendländisch-christlichen Kulturkreis, die so genannten westlichen Länder einzugehen (vgl. Schroll-Machl 2002). Der abendländisch-christliche Kulturkreis speist sich zunächst einmal aus zwei Quellen: dem Judentum einerseits und den antiken griechischen Stadtstaaten andererseits. Aus dem Judentum entwickelte sich das Christentum und das Römische Reich trat in vielerlei Hinsicht das griechische Erbe an. Diese beiden Linien vereinigten sich dann, als das Christentum im Römischen Reich offizielle Religion wurde, seine Mission entfalten konnte und die Kirche später sogar Ideen und Strukturen des zerfallenden Römischen Reichs übernahm. Mentalitätsgeschichtlich brachte das unter anderem folgende Phänomene hervor: Rechtsdenken und Gesetzesmoral, Sachorientierung, lineare Zeitauffassung, Wertschätzung von Wahrhaftigkeit sowie Individualismus als Betonung des Einzelmenschen und der Eigenverantwortung. Weiterentwickelt wurden diese Ideen dann in der Renaissance, Reformation und Aufklärung. Dieser Rahmen gilt trotz seiner (aus westlicher Sicht) sehr unterschiedlichen Ausformung in diversen länderspezifischen Varianten im gesamten Westen und bildet das Fundament dafür, dass man hier von einem »Kulturkreis« sprechen kann. Innerhalb der westlichen und der europäischen Länder lässt insbesondere die Jahrhunderte währende gemeinsame Geschichte mit Österreich eine große kulturelle Nähe vermuten: Das Habsburger Reich wurde erst 1866 durch Austritt aus dem Deutschen Bund ein unabhängiger Staat. Es bestehen denn auch zwischen Österreich und Deutschland viele Parallelen. Auf der Basis empirischer Befunde lässt sich für Österreich Folgendes sagen (Fink et al. 2000; Brück 2001): – Österreicher zeigen eine etwas geringere Sachorientierung als Deutsche und etwas mehr Diffusion zwischen ihren Persönlichkeits- und Lebensbereichen. Vor allem ihr Kommunikationsstil berücksichtigt stets auch die Beziehungsebene. Informelle Kontakte ergänzen die formellen öfter (Fink et al. 2000). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Sie praktizieren einen gelasseneren Umgang mit Strukturen und Regeln sowie eine etwas abgeschwächtere internalisierte Kontrolle. Damit sind sie manchmal weniger rigide im Festhalten an einer Struktur oder im Verfolgen eines Ziels oder Prinzips (Fink et al. 2000; Brück 2001). – Ihr Kontext ist etwas stärker, vor allem in Richtung einer größeren Diplomatie und einer Tendenz zur Konfliktvermeidung (Fink et al. 2000; Brück 2001). Kulturhistorisch betrachtet könnten diese Befunde so erklärt werden: – Die Habsburger Monarchie entwickelte sich innerhalb des Deutschen Reichs immer mehr zu einem erfolgreichen, zentralistischen und absolutistischen Staat und stellte schließlich eine eigenständige Großmacht dar – freilich mit einem relativ kleinen, staatstragenden Deutsch sprechenden Bevölkerungsanteil. Damit wurden einige Muster, die die kleinen Territorialstaaten so nachhaltig prägten, zunehmend aufgehoben und durch eine höfische Gesellschaft ersetzt (siehe Kap. I, 2.1). – Außerdem war das Habsburger Reich nie protestantisch, sondern in die Religionswirren vor allem durch eine vehemente Gegenreformation einbezogen, weswegen die Einflüsse des Protestantismus nur indirekte waren. Beide faktischen, historischen Unterschiede zu vielen Staaten des übrigen Deutschen Reichs können in Parallelität zum Wissensstand über die historischen Hintergründe zur Ausprägung der Charakteristika anderer europäischer Länder sehr plausibel die empirisch gefundenen Unterschiede zu den deutschen Kulturstandards erklären. Für interkulturelle Trainings bedeutet dies, dass Österreich und Deutschland zwar einerseits nicht gleichgesetzt werden können, dass sie aber andererseits nur graduelle Abweichungen in der Ausprägung der Kulturstandards aufweisen. Die Verortung Deutschlands in den großen Koordinaten der Weltkulturen und Weltgeschichte erbringt seine generelle Zuordnung zum Westen, die Betrachtung seiner Geschichte innerhalb des Westens die von den generell westlichen als typisch deutsch herausstechenden Kulturstandards, die unter den Bedingungen der deutschen Geschichte eben besonders verstärkt, betont und ausgeformt wurden (Schroll-Machl 2002).

Literatur Brück, F. (2001): Kulturunterschiede im deutschsprachigen Europa: Kulturvergleich Deutschland – Österreich – Schweiz. In: Fink, G.; Meierewert, S. (Hg.), Interkulturelles Management. Österreichische Perspektiven, Wien/New York S. 143–165. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Fink, G.; Nový, I.; Schroll-Machl, S. (2000): Tschechische, österreichische und deutsche Kulturstandards in der Wirtschaftskooperation. In: Journal for Eastern European Management Studies (JEEMS), 5(4): 361–376. Markowsky, R.; Thomas, A. (1995): Studienhalber in Deutschland. Interkulturelles Orientierungstraining für amerikanische Studenten, Schüler und Praktikanten. Heidelberg. Molz, M. (1994): Analyse kultureller Orientierungen im deutsch-französischen Dialog. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Regensburg. Schroll-Machl, S. (2001): Businesskontakte zwischen Deutschen und Tschechen. Kulturunterschiede in der Wirtschaftszusammenarbeit. Sternenfels. Schroll-Machl, S. (2002): Die Deutschen – Wir Deutsche. Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben. Göttingen. Thomas, A.; Schenk, E. (1996): Abschlussbericht zum Forschungsprojekt »Handlungswirksamkeit zentraler Kulturstandards in der Interaktion zwischen Deutschen und Chinesen«. Unveröffentlichtes Manuskript, Regensburg.

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Kulturunterschiede:ErgebnissederKulturstandardforschung

IvanNový/SylviaSchroll-Machl:Tschechien

Ivan Nový/Sylvia Schroll-Machl

2.4 Tschechien

Eine Fallgeschichte Ein deutsch-tschechischer Verband von Unternehmern organisiert eine Kontaktbörse. Alle möglichen Unternehmensvertreter sowie diverse Repräsentanten verschiedener Organisationen sind anwesend, um die Koordination der deutsch-tschechischen Aktivitäten zu besprechen und zu planen. Zwei Verantwortliche, eine Deutsche und ein Tscheche, leiten und moderieren die Veranstaltung. Man hat den ganzen Tag gearbeitet. Der offizielle Teil der Veranstaltung ist beendet, das Programm, das man sich bis zum Abendessen vorgenommen hatte, ist abgearbeitet und der Abend steht zur freien Verfügung. Am anderen Tag soll das Programm fortgesetzt werden. Es ist Nacht und die Deutsche schläft, wie die meisten Deutschen. Die Tschechen sitzen in einer Runde zusammen, sie sprechen miteinander, trinken Wein und lachen viel bis um 5 Uhr morgens. Am nächsten Tag geht die Tagung um 9 Uhr weiter. Der tschechische Verantwortliche kommt ein paar Minuten vor 9 Uhr todmüde in den Raum, in dem die Deutsche schon alles hergerichtet hat. Die beiden hatten vereinbart, dass er die Moderation des Vormittags übernimmt. Er orientiert sich ein bisschen und sagt dann zur Deutschen, dass sie doch bitte die Moderation übernehmen möge, er fühle sich nicht gut. Die Deutsche ist innerlich sehr wütend: Ihr Kollege säuft die ganze Nacht und drückt sich dann um die Arbeit! Aber es geht ihr um das Gelingen der Veranstaltung und sie übernimmt die Moderation. Ihr tschechischer Kollege hält sich, wie zu erwarten war, zurück. Der Vormittag verläuft tagesordnungsgemäß. Mit dem Mittagessen endet die Veranstaltung und alle scheinen zufrieden. Nur die Deutsche hat ein Problem, das sie in der Reflexion der Veranstaltung mit ihrem tschechischen Kollegen bespricht. Denn die deutsche Mitarbeiterin denkt sich über ihren tschechischen Kollegen: © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Er ist unzuverlässig! Er hält sich nicht an die Vereinbarung! – Er hat keine Motivation zur Arbeit und nimmt sie offensichtlich nicht ernst. Und über sich selbst denkt sie: – Alles müssen wir Deutsche machen! Ich arbeite viel mehr. Der tschechische Kollege nützt mich aus. Das ist unfair! – Wieder sind die Deutschen in der Pflicht, dass diese so wichtige Veranstaltung gelingt. Deshalb übernahm ich ja auch die Moderation, ohne zu sagen, wie sehr ich mich ärgerte. Welche andere Chance hätte ich auch gehabt? Mein Kollege sah wirklich nicht gut aus und hätte keine gute Figur abgegeben. – Und es gibt ein Dilemma: Schon wieder einmal scheinen die Deutschen zu dominieren – so musste es aussehen. Aber ich wurde in diese Rolle gezwungen! Ich bemühte mich so sehr um Partnerschaft und achtete darauf, dass wir die Moderationsanteile ganz gerecht aufteilten, damit sich die tschechische Seite auf keinen Fall benachteiligt fühlen muss. Und dann wird diese Chance einfach weggeworfen! Sollen die Deutschen wieder einmal als machtlüstern vorgeführt werden? Wie wird wohl der tschechische Kollege diesen Vorfall erleben?

Beschreibung der zentralen tschechischen Kulturstandards In einer Untersuchung zum deutsch-tschechischen Kulturvergleich (Schroll-Machl u. Nový 2003; Schroll-Machl 2001; Schroll-Machl u. Nový 2002) konnten folgende tschechische Kulturstandards definiert werden:

Personbezug Der Kulturstandard »Personbezug« beschreibt die Tatsache, dass Tschechen in der Interaktion und Kommunikation dem Beziehungsaspekt den Vorrang vor dem Sachaspekt einräumen. Das heißt, dass Tschechen stets die jeweils Agierenden stärker und bedeutsamer wahrnehmen als den Inhalt ihres Tuns. Die Sachebene rangiert daher in jeder Interaktion an der zweiten Stelle. Man sucht nach persönlichen Ansatzpunkten, zeigt sich nett, ist aber auch selbst leicht in seinem Wohlbefinden kränkbar. Aus dem Grund bemühen sich Tschechen beispielsweise bei jeder Interaktion, eine menschlich möglichst angenehme Atmosphäre herzustellen – das tut der eigenen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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wie der anderen Person gut. Einmal geschaffene gute Beziehungen will man sich dann erhalten und man pflegt sie.

Abwertung von Strukturen/Improvisationsliebe Tschechen stehen Strukturen skeptisch gegenüber. Stattdessen lieben sie es, zu improvisieren. Sie halten es für eine ihrer charakteristischen Eigenschaften, flexibel, geschmeidig, findig zu sein. Diese Eigenschaft erfüllt sie mit Stolz: kreativ sein, gestalten, spielen – das bevorzugen sie allemal. Das ist – so sind sie weithin überzeugt – auch der Boden, auf dem neue und gute Ideen gedeihen können. Während für Deutsche jede Form von Plan hilfreich ist, weil er Zeit und Inhalte (Sache) organisiert, erleben Tschechen einen Plan als Einschränkung: Er organisiert in ihren Augen nicht die Sache, sondern die Person (!). Deshalb ist es verständlich, dass sie ihn tendenziell ablehnen. Tschechen gehen zudem davon aus, dass sich irgendjemand am grünen Tisch diesen Plan oder diese Norm willkürlich ausgedacht hat, ohne eine Ahnung davon zu haben, ob das tatsächlich sinnvoll oder gar notwendig ist. Normen, Vorschriften und Gesetze werden oft a priori für dumm und unsinnig gehalten. Wer sich nun daran hält, erweist sich als einfältig und nicht-mitdenkend. Intelligenz besteht darin, sie zu umgehen. Ob das in der jeweiligen konkreten Situation stimmt, sei dahingestellt. Tatsache ist, innerlich erfolgt eine Abwertung der außen wahrgenommenen Struktur. Das Besondere an diesem Kulturstandard ist neben der Fähigkeit, auf improvisierende Art handeln zu können, das innerliche, subjektive Erleben der Improvisation als Freiheit und Souveränität. Weil das so ist, hat dieser Kulturstandard eine enorme Reichweite: Tschechen zeigen geradezu ein prinzipielles Misstrauen und grundsätzliche Zweifel an allem, was sie nicht kennen und ihnen neu ist. Sie werden das Neue untersuchen und überprüfen, vielleicht etwas abändern und dann entscheiden, ob sie dieses Neue für gut halten oder nicht. Man will sich zum einen nicht übervorteilen lassen, sagen sie. Sie seien nun mal in der schwächeren Position und müssten sehr vorsichtig sein. Also müsse man etwas erst ausprobieren, das Resultat abwarten und dann sein Handeln aufgrund der Ergebnisse fortsetzen oder nicht. Man will sich zum anderen, wo immer man Einschränkung wittert, improvisierend verhalten zur Rettung der inneren Würde als freier Mensch. Man will damit sowohl das Gefühl der Wahlfreiheit seiner Handlungen haben wie auch sich selbst und anderen seine Würde und Intelligenz beweisen. Die Abwertung von Strukturen hat dabei zur Voraussetzung, dass es Strukturen gibt und dass man sie kennt. Dass diese Eigenschaften auf Kosten der Qualität, der Perfektion, der © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Optimierung der Sache gehen können, ist für Tschechen kein Problem. Hier zeigen sie sich großzügig. Die »Abwertung von Strukturen« beinhaltet daher folgende Qualitäten: – Findigkeit zur Wiederherstellung der als bedroht erlebten Freiheit (sog. Reaktanzphänomene), – Kreativität/Einfallsreichtum/Improvisation, – geringerer Qualitätsanspruch, – Gelassenheit.

Simultanität Simultanität bedeutet, dass Tschechen mehrere Dinge zur gleichen Zeit tun und sich keinesfalls nur auf eines beschränken. Tschechen lieben es, vieles parallel zu machen und zwischen den Handlungssträngen je nach (subjektiver) aktueller Priorität im Vertrauen auf ihre Improvisationsfähigkeit zu wechseln. Sie wollen keine Chance verpassen und halten Augen und Ohren offen. Ihre Zielstrebigkeit ist dabei, wenn kein Druck vorhanden ist, nicht sehr ausgeprägt. Sie bevorzugen stattdessen eine breitere Berücksichtigung mehrerer Schienen und Ideen, ohne unbedingt einen roten Faden zu haben oder sich einem Ergebnis- und Terminzwang zu unterwerfen.

Personorientierte Kontrolle Die Begriffe »regelorientierte Kontrolle« und »personorientierte Kontrolle« beschreiben, dass Deutsche eher dazu neigen, allgemein gültige Regeln und Gesetze zu befolgen, während Tschechen dazu tendieren, zugunsten persönlicher Interessen oder Beziehungen auch dagegen zu verstoßen. Während das deutsche Verhalten sehr stark an Regeln orientiert ist und davon ausgeht, dass Normen und Vereinbarungen eingehalten werden müssen, legen Tschechen mehr Wert auf menschliche Beziehungen und auf subjektives Wohlbefinden. Bei ihnen verpflichtet Freundschaft und hat daher Priorität vor abstrakten Regeln. Aus deutscher Sicht stellt sich diese Dimension als die Frage – zugegebenermaßen deutsch formuliert – dar: Wo ist das Pflicht- und Verantwortungsgefühl einer Person verankert? Wann kann ich davon ausgehen, dass Vereinbarungen eingehalten werden? Die Ausgangsbasis für die tschechische personorientierte Kontrolle ist dieselbe wie beim Kulturstandard »Abwertung von Strukturen«: die Bewahrung der persönlichen Souveränität. So erwarten Deutsche oft Zuverlässigkeit, wo Tschechen frei sein wollen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Internale Kontrolle, Selbststeuerung hinsichtlich bestehender, äußerer, abstrakter Strukturen findet man . . . – bei Personen und in Situationen dann, wenn die Sache dem handelnden Individuum ein persönliches Anliegen zur Verfolgung eigener Interessen ist; – wenn sich ein Individuum einer für sie relevanten Person (innerhalb der Struktur) auf einer solch guten und tragfähigen Beziehungsebene verbunden fühlt, dass es diese Person nicht enttäuschen möchte; – wenn eine hohe individuelle Identifikation mit den Inhalten des Tuns herrscht. In all diesen Fällen sind also persönliche Motive ausschlaggebend, nicht die Sache! Die Personorientierung gibt den Ton an. Externale Kontrolle dominiert die Sachebene und die sie repräsentierende Struktur in den sonstigen Fällen: Ein »Pflichtbewusstsein« gegenüber objektiven Regeln, Vereinbarungen, Normen ist wenig ausgeprägt. Wenn beziehungsweise solange keine oder nur eine zu geringe persönliche Motivation herzustellen ist, muss die Sachebene external kontrolliert werden. Schließlich gilt: Man respektiert Regeln nur, wenn es unumgänglich oder vorteilhaft ist.

Diffusion von Lebens- und Persönlichkeitsbereichen Kulturen werden in »spezifische« und »diffuse« eingeteilt. Damit wird das Maß der Betroffenheit im Umgang mit anderen Menschen bezeichnet, das heißt, es wird erfasst, ob man Menschen in bestimmten, spezifischen Lebensbereichen und Aspekten ihrer Persönlichkeit begegnet oder ob man ihnen eher ganzheitlich, diffus gegenübertritt. Im ersten Fall sind die Lebens- und Persönlichkeitsbereiche relativ undurchlässig und getrennt, im zweiten Fall hochgradig durchlässig (Trompenaars 1993). Die Tschechen zeigen deutliche Merkmale der Diffusion. Beobachtbar ist bei ihnen eine Vermischung der Persönlichkeitsbereiche »Emotionalität–Rationalität« sowie der Lebensbereiche »Beruf–Privat«, »Rolle–Person« und »formelle–informelle Strukturen« – und zwar in allen Stadien von Nähe und Bekanntschaft.

Starker Kontext Der Fachbegriff »Kontext« meint, dass in Kulturen die Anteile des explizit und eindeutig Gesagten im Verhältnis zur Gesamtinformation, die in einer Situation enthalten ist, verschieden groß sind. Ist der Anteil der nicht© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sprachlichen Botschaften hoch, dann handelt es sich um einen starken oder Hoch-Kontext. Ist der Anteil des verbal Formulierten und Nicht-Interpretationsbedürftigen hoch und damit der Kontextanteil gering, dann spricht man von einem schwachen oder Niedrig-Kontext (Hall u. Hall 1989). Hoch-Kontext-Kommunikation charakterisiert die verbalen Begegnungen unter Tschechen. Sie bedienen sich eines Kommunikationsstils, der in den Formulierungen indirekter ist und impliziter ist, der also mehr mit zusätzlichen, nichtsprachlichen Signalen arbeitet, die dem Kontext zur Interpretation des Gesagten entnommen werden müssen. Tschechen sagen deshalb, sie drücken sich »schlauer« aus als Deutsche, denn sie müssen nicht alles, was sie mitteilen wollen, sagen. Man kann es der Situation durch genaue Wahrnehmung entnehmen, indem man den gesamten Zusammenhang dessen, was gesagt wurde, berücksichtigt und in die Dekodierung mit einbezieht: Wer sagte was wann zu wem wie unter welchen Umständen? Was war die Vorgeschichte? Was folgt jetzt?

Konfliktvermeidung Ein sehr schwieriges Feld in der Interaktion zwischen Tschechen und Deutschen ist das völlig andere Umgehen mit Konflikten. Tschechen sagen von sich, dass sie nicht (hart) diskutieren können, dass sie Probleme nicht besprechen können, ja, dass ihnen solche Gespräche derart unangenehm sind, dass sie ihnen, wo immer möglich, ausweichen. Sie geben daher der Konfliktvermeidung auf alle Fälle Vorrang vor der Konfliktaustragung. Wie dann gehen Tschechen untereinander mit Konflikten um? – Zunächst einmal weichen sie der Thematisierung von Konflikten solange aus, wie es nur irgendwie geht. Es wird einfach so getan, als gäbe es keinen Konflikt. Man will während der Kontakte den Konflikt vergessen, ein möglichst angenehmes Beisammensein herstellen und genießen und damit wieder eine positive gemeinsame Basis schaffen. Der Konflikt wird glatt gebügelt, so dass er die Beziehungsebene nicht mehr stört. – Die Signale, mit denen man Konflikte einer höheren, nicht zu leugnenden Eskalationsstufe kommuniziert, sind vor allem Kontext-Signale. Das tut man lange, ausgiebig, geduldig. Ein explizites Gespräch findet eher nicht statt. Wenn, dann werden die Konflikte dabei tendenziell bagatellisiert und ein »kleines« Problem kann schon mal ein riesiges sein. Wenn Explizitheit wirklich einmal unumgänglich ist, dann werden Konflikte auf schriftlichem Weg thematisiert – beispielsweise per Fax zum vereinbarten Termin –, aber so gut wie nie mündlich. – Wird der Druck zu stark, so dass nichts mehr geschluckt werden kann, dann besteht die Gefahr der Explosion. Die Explosion kann leise erfol© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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gen, indem die Person plötzlich geht und sich ohne Begründung völlig aus der Situation zurückzieht. Der Knall kann laut sein und ebenfalls das Ende einer Beziehung bedeuten. Es kann aber auch der Rauch wieder abziehen und keiner ist nachtragend. Das kommt auf die Personen, die Situation und die Stärke der Betroffenheit an. Für Deutsche sind diese drei – bis auf den »Knall« – nicht unterscheidbar, weil sie die Kontextsignale der Tschechen meist nicht enträtseln können. Sie erleben nur Funkstille und ärgern sich über die tschechische »Passivität«.

Schwankende Selbstsicherheit Tschechen unterliegen in ihrer Selbstsicherheit mitunter größeren Schwankungen. Sie pendeln zwischen Bescheidenheit und Understatement einerseits und Selbstüberschätzung und Übertreibung andererseits. Manchmal erscheinen sie fast unterwürfig, um dann wieder zu glauben, sie seien um Längen besser und anderen klar überlegen. Das gilt sowohl interindividuell, das heißt, manche Tschechen zeigen ein eher zu großes und andere ein eher zu geringes Selbstbewusstsein; das gilt aber auch intraindividuell, so dass ein und dieselbe Person mal in die eine Richtung und mal in die andere Richtung tendiert.

Zurück zur Fallgeschichte Auf der Grundlage der tschechischen Kulturstandards kann die tschechische Perspektive für die geschilderte Fallgeschichte nachvollzogen werden. Der tschechische Kollege denkt über sich und die anderen beteiligten Tschechen: – Auf dieser Veranstaltung waren sehr wichtige Leute: etwaige künftige Partner des Verbands, einflussreiche Mitglieder und Geladene des Netzwerks des Verbands. Zu diesen Personen ist Kontaktpflege das Allerwichtigste, damit man zusammenarbeiten kann. – Wir Tschechen haben sehr viel erledigt. Wir haben die ganze Nacht gearbeitet. Beim Wein ging das schneller und angenehmer und wir schafften viel mehr als auf der offiziellen Tagung. – Wir Tschechen sind flexibel. Wir nützten die Gelegenheit des Zusammenseins und erledigten dabei bereits vieles, was für morgen auf der Tagesordnung©gestanden hätte. 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Ich selbst bin rechtzeitig gekommen – trotz extrem kurzem Schlaf. Wir Tschechen hatten sogar besprochen, den Beginn auf 10 Uhr zu verschieben, doch die Deutschen schliefen schon und daher beließen wir alles so, wie im Programm ausgedruckt. Tschechen sind zuverlässig! Bis 9 Uhr sind wir da. Es gibt kein Problem. – Ein Freund hilft, ein guter Kollege auch. Es ging doch bloß um die Moderation, nicht um eine inhaltliche Vor- oder Nachbereitung. Ich bat meine Kollegin lediglich um eine kurze Aushilfe, weil ich nicht fit war. Das hat nichts mit »Unzuverlässigkeit« oder gebrochenem Wort zu tun. Er denkt über die Deutschen: – Die Tagesordnung muss eingehalten werden – egal ob das nützlich ist oder nicht. In der Nacht wurde sehr vieles schon besprochen. Der Vormittag ist daher reine Zeitverschwendung. Aber Deutsche sind unflexibel. – Die Deutschen wollen weder sehen noch glauben, dass wir Tschechen in dieser Nacht gearbeitet haben. Das verstimmt uns. – Warum ärgert sich die Deutsche? Wir Tschechen haben bereits bearbeitet, was uns wichtig war. Und jetzt machen wir brav die Show für die Deutschen. Wenn sich die Kollegin aufregt, ist das ungerechtfertigt, äußerst lästig und wieder ein typischer Fall deutschen Theaters. – Außerdem ist es sehr unfair, wenn die Kollegin mir nun vorwirft, dass ich meine Rolle nicht ernst nähme, den tschechischen Part in der Doppelspitze bewusst und sichtbar zu repräsentieren. Das mache ich doch! Natürlich war es anfangs so, dass die Kollegin auf solchem Parkett erfahrener war als ich. Sie ist auch immer ganz selbstsicher aufgetreten und machte selbstverständlich den größten Teil des Papierkrams, der Auftritte und so weiter. Sie bemerkte dabei nicht, dass diese Selbstsicherheit mir auch viel Mut genommen hatte, mich einzubringen. Damit hat sie mich ein bisschen zum Blöden gestempelt. Und mir das jetzt vorzuwerfen, dass ich ihr Engagement selbstverständlich ausnutze, das ist eine echte Unverschämtheit! Will sie mich partout klein halten? In der Terminologie der definierten Kulturstandards bedeuten diese Gedankengänge: – Personorientierung: Das Hauptmotiv war für die Tschechen die Personorientierung, denn eine gute Beziehungsebene ist die Voraussetzung zur Zusammenarbeit. Die Deutschen dagegen betrachten das Treffen sachorientiert: Die zentralen Punkte sind in das Programm gebannt. – Abwertung von Strukturen/Improvisationsliebe: Während das Programm für die Deutschen die Struktur zur Erreichung der Ziele der Veranstaltung repräsentiert (bis zum Detail der gleichgewichtigen Rollenvertei© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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lung), hatten die Tschechen zwar ebenfalls eine Reihe von Zielen, aber die meisten dieser Ziele ließen sich zufällig anders erreichen und somit war die Struktur für die Tschechen hinfällig geworden. Simultanität: Lachen und ernsthaft arbeiten beim Wein – das ist in tschechischen Augen ideal. Die deutsche Normalität ist dagegen: Tagsüber wird gearbeitet, abends ist es ein bisschen gesellig, nachts wird geschlafen. Personorientierte Kontrolle: Für die Deutschen sind Vereinbarungen einzuhalten. Wer nachts trinkt, hat dennoch am anderen Tag seinen Mann zu stehen. Dem Tschechen war die Vereinbarung der Rollenverteilung nur eine Formalie, kein Anliegen. Diffusion von Persönlichkeits- und Lebensbereichen: Die Tschechen lebten in dieser Nacht die Diffusion auf mehreren Ebenen (formell–informell; emotional–rational; Rolle–Person), während die Deutschen gemäß der Trennung der Lebensbereiche die formelle Ebene abgeschlossen hatten und am nächsten Tag fortsetzen wollten. Schwankende Selbstsicherheit: Dieses Verhalten der deutschen Kollegin stellt ein Beispiel für deutsche Arroganz dar: Für lange Zeit hat sie ganz selbstverständlich alle Aufgaben übernommen (an sich gerissen?) und dem Tschechen dadurch Minderwertigkeitsgefühle verursacht (ihn blöd ausschauen lassen?). Und dann macht sie ihm das zum Vorwurf! Das ist auch deshalb überheblich, weil Partnerschaft unter Tschechen heißt: Jeder tut, was ihm leichter fällt. Das wird sich schon irgendwie ausgleichen. So zeigt man einander Wertschätzung und man bohrt nicht an einer Schwachstelle, an der jemand nicht so gut ist oder sein kann wie der Partner.

Kulturhistorische Verankerung Den Hinweisen diverser Autoren folgend (vgl. zusammenfassend SchrollMachl 2001) sind für die Entwicklung der tschechischen Kulturstandards vor allem folgende historische Umstände maßgeblich gewesen:

Die Tschechen sind und waren immer ein kleines Volk Sie sind sich dieser Tatsache deutlich bewusst. Denn sie hatte zur Konsequenz, dass die Tschechen, von kurzen Epochen abgesehen (1918–1938; seit 1989), stets in größere, von anderen dominierte Herrschaftszusammenhänge eingebunden waren: Bis 1866 gehörte Böhmen und Mähren © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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zum Deutschen Reich – seit 1526 innerhalb der österreichischen Monarchie, 1938–1945 gab es das Protektorat Böhmen und Mähren; zwischen 1948 und 1989 war Tschechien Bestandteil des Ostblocks. Seit der »nationalen Erweckung« im 19. Jahrhundert, aber bereits auch immer wieder zuvor (z. B. Hussitismus, Schlacht am Weißen Berg 1620), wurde diese Geschichte als eine Geschichte permanenter Fremdherrschaft empfunden. Um sich dagegen aufzulehnen, war das Volk zu klein. So hatte man sich mit etlichen Niederlagen schlicht abzufinden und sich andere Überlebensstrategien zu überlegen. Sowohl das Faktum relativ geringer Macht wie auch das Erleben dieser Umstände als identitätsbedrohend werden deshalb als historischer Hintergrund für das schwankende Selbstbewusstsein wie auch für etliche sonstige Kulturstandards angeführt: – Der Zusammenhalt der Menschen sowie gegenseitige Hilfe und Unterstützung waren des Öfteren schlichtweg überlebensnotwendig; die »Menschenkenntnis« bildete die Basis, mit der die Vertrauenswürdigkeit einer konkreten Person im Vergleich mit ihrer Kollaborationsbereitschaft getestet wurde (→ Personorientierung) – Die Rechtslage des Zusammenschlusses mit dem habsburgischen Königshaus (1526) räumte den Tschechen zwar ursprünglich ein, eine eigenständige Nation im juristischen Sinn zu sein, obwohl das Oberhaupt der Habsburger auf dem Wiener Thron war; die Realität wurde dann aber zunehmend eine andere: eine absolutistische. Somit befanden sich die Tschechen in einer permanenten Gratwanderung zwischen dem Aufrechterhalten der gefühlten und (eigentlich) gestatteten Eigenständigkeit und dem Sich-Einfügen in die zentrale Wiener Macht und dabei zunehmend unter dem Anspruch, die eigene Identität gegen den Akkulturationsdruck zu behaupten. Das führte früh zu einer Entfremdung von Regierungsstrukturen, zu einer Art Besatzungsmentalität: Man widersetzte sich dem Staat und seinen Gesetzen, um dem aus eigenem Antrieb und Interesse Gewollten immer wieder zum Durchbruch zu verhelfen (→ Abwertung von Strukturen). Der Kommunismus stellte nur die jüngste Epoche des Misstrauens gegenüber dem Staat und seinen Strukturen dar. – Strukturen und Regeln wurden nur dann positiv gesehen, wenn sie zur Verfolgung persönlicher Motive nützlich waren – vielleicht als Karrieremöglichkeit, vielleicht um sie zum eigenen Vorteil ad absurdum zu führen oder ihre Schwachstellen auszukosten (Hašeks »Schwejk« ist Weltliteratur!). In allen anderen Fällen wurden sie zu umgehen versucht (→ personorientierte Kontrolle; → Improvisationsliebe). – Der Zwang, sich auf der einen Seite zu arrangieren, aber auf der anderen Seite das Eigene nicht aufzugeben, forcierte das Muster der → Diffusion. Man hatte wachsam zu sein gegenüber Gefahren und Chancen, wollte © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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man nicht in Konflikt mit »denen da oben« geraten, aber auch das Eigene ausleben und einbringen. Somit galt es, Augen und Ohren überall zu haben und nichts zu verpassen, was irgendeinem Lebensbereich dienlich sein könnte (→ Simultanität). – Kommunikationsmuster der Indirektheit und Implizitheit sind unter den Bedingungen totalitärer Regime ratsam; das gilt für den Absolutismus genauso wie für den Kommunismus (→ starker Kontext). – Bei dem großen Akkulturationsdruck, unter dem die Tschechen standen, war ein vorsichtiges und wachsames Konfliktmodell günstig: Kampf, der den physischen Tod verursachen könnte, wurde vermieden; aber auch einer schleichenden Assimilation aufgrund einer möglicherweise durch die offene Auseinandersetzung geborenen Einsicht wurde vorgebeugt. »Passiver Widerstand« hieß schon die Schwejksche Devise für kleine Revolten auf individueller Basis und sie blieb auch im Kommunismus erhalten (→ Konfliktvermeidung).

Die jüngste Geschichte des Kommunismus führte die ältere an vielen Stellen fort – Den Sozialismus haben die Tschechen als ein System erlebt, mit dem sie sich zwar konform zeigen mussten, mit dem sie sich aber innerlich nicht identifizierten. Man tat dem Anschein nach so, als ob man mitmachte, verfolgte aber dabei seine eigenen Ziele und Interessen (→ Abwertung von Strukturen; → personorientierte Kontrolle). – Die andere Seite der Medaille bestand in der Entwicklung eines ausgeprägten Improvisationstalents, das das Leben unter sozialistischen Bedingungen erleichterte und zum Teil das Überleben sicherte, wenn es galt, Suboptimales zum Funktionieren zu bringen oder den bestehenden Spielraum für sich zu nutzen (→ Abwertung von Strukturen; → Improvisationsliebe). – In den formalen Strukturen war eine Art Handlungsblockade vorherrschend, das heißt ein Fehlen von Initiative zu verantwortlichem, eigenständigem, problemlösendem Handeln, weil das totalitäre System nur das Verrichten exakt des Auftrags belohnte; eine darüber hinausgehende Initiative barg dagegen die Gefahr in sich, etwas vom System nicht Gewünschtes zu tun und dafür sanktioniert zu werden. Damit wurde die »externale Kontrolle« für den Normalfall gefordert und gefördert (→ personorientierte Kontrolle). – In informellen Strukturen spielte sich nicht nur ein Großteil des Lebens ab, sondern eben genau der Teil, der für die Alltagsbewältigung wesentlich war: Hier©fühlte man sich sicher, hier äußerte man seine Meinung, 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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hier improvisierte man zur Erlangung wichtiger Informationen, Dienstleistungen, Güter (→ Diffusion). Im Kommunismus gab es eine Art Flucht ins Private, eine Orientierung auf Familie, Freunde, informelle Aktivitäten hin als Gegenreaktion auf den Zwang zum Systemkonformismus. Diese Haltung durchdrang zunehmend auch den Arbeitsbereich, den man – von den Beziehungen zu den Repräsentanten des Systems abgesehen – kumpelhaft gestalten wollte (→ Diffusion). Die Organisation des gesamten Lebens in Gruppen förderte den Zusammenhalt der Menschen und intensive Beziehungen; Mangelwirtschaft und totalitäre Gefahren unterstützten das ihrerseits (→ Personbezug). Zeitlich war es sinnlos, schnell und effektiv arbeiten zu wollen: »Materialpausen« gab es regelmäßig und individueller Leistungsanreiz war völlig unbekannt. Das lehrte einen sehr nachlässigen Umgang mit der Zeit (→ Simultanität). Die Angst, etwas falsch zu machen und zur Verantwortung gezogen zu werden, prägte einen vorsichtigen Interaktionsstil (→ Starker Kontext). Das Regime verbreitete Angst vor negativen Konsequenzen eines missliebigen Verhaltens. Das ist bis heute die Ursache für Zurückhaltung statt Selbstbehauptung (→ schwankende Selbstsicherheit und → Konfliktvermeidung).

Generalisierung Nach der Lektüre dieser Auflistungen von Hintergründen für die tschechischen Kulturstandards liegt der Gedanke nahe, dass die dargestellten beiden Bedingungen keineswegs nur für Tschechien typisch sind, sondern für viele mittelosteuropäische Länder (Polen, Ungarn, Slowakei, Kroatien, Baltikum): Diese Region stellt – von länderspezifischen »goldenen Zeitaltern« abgesehen – seit Jahrhunderten das faktische oder angestrebte Macht- und Einflussgebiet einer Menge von (Groß)Mächten dar (z. B. Deutsches Reich, Osmanisches Reich, Napoleon, Habsburger Monarchie, Nazi-Deutschland, Kommunismus). Es fochten viele fremde und zu Größe gekommene regionale Mächte hier ihre Kriege aus. Für all die Länder Mittelosteuropas stand das eigenständige Überleben als Volk, Sprachgemeinschaft und später als Nation mehrmals in Frage, während mancher Epochen sogar das physische Überleben. Die Erfahrung, ein kleines Volk zu sein mit wenig Einflussmöglichkeiten auf diese Ereignisse, prägte sie somit alle. Zudem befinden sich alle aus einer sozialistisch-kommunistischen Vergangenheit kommend seit 1989 im Transformationsprozess. Wir schauen aus deutscher Sicht auf diese © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Länder. Damit ist unsere Kontrastfolie, gegenüber der sich ihre Kulturstandards abzeichnen, mit zentralen deutschen Kulturstandards zu beschreiben, die eben in vielen Punkten gewisse Gegenpole bilden. Mit Vorbehalt können daher die tschechischen Kulturstandards zu mittelosteuropäischen generalisiert werden. Diese Generalisierungen beschreiben damit lediglich Charakteristika der mittelosteuropäischen Länder auf einer regionenspezifischen Kulturstandardebene und können nichts zur Differenzierung der Länder untereinander beitragen. Aber aus einer deutschen Perspektive leisten sie bereits damit gute Dienste zur Orientierung, wenn das Ziel darin besteht, Verhaltensmuster von Geschäftspartnern dieser Region zu verstehen zu versuchen. Dass diese Generalisierungen zutreffend sind, das lehrt die Erfahrung in Trainings zu diversen Ländern Mittel- und Osteuropas (Lyskov-Strewe u. Schroll-Machl 2000) und das zeichnet sich in empirischen Studien ab, die zu diesen Ländern bereits vorliegen (Fink u. Meierewert 2001).

Literatur Hall, E. T.; Hall, M. R. (1989): Understanding Cultural Differences. Germans, Frenchs, and Americans. Yarmouth, Maine. Fink, G.; Meierewert, S. (2001): Interkulturelles Management. Österreichische Perspektiven. Wien/New York. Lyskov-Strewe, V.; Schroll-Machl, S. (2000): Erfahrungen mit interkulturellen Trainings zu (Ost)Mittel- und Osteuropa. Organisationsentwicklung, S. 56–67. Schroll-Machl, S. (2001): Businesskontakte zwischen Deutschen und Tschechen. Kulturunterschiede in der Zusammenarbeit. Sternenfels. Schroll-Machl, S.; Nový, I. (2002): Beruflich in Tschechien. Göttingen. Schroll-Machl, S.; Nový, I. (2003): Perfekt geplant oder genial improvisiert? Kulturunterschiede in der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit. 2. Auflage. Mering. Trompenaars, F. (1993): Handbuch globales Managen: Wie man kulturelle Unterschiede im Geschäftsleben versteht. Düsseldorf.

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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VladimirLyskov-Strewe/SylviaSchroll-Machl:Russland

Vladimir Lyskov-Strewe/Sylvia Schroll-Machl

2.5 Russland

Eine Fallgeschichte Ein Russe, ein energischer Mann, Mitte 40, spricht perfektes Deutsch, Direktor eines mittelständischen russischen Handelsunternehmens, kommt nach Berlin zu Verhandlungen mit seinem Lieferanten. Die von beiden Seiten gut vorbereiteten Verhandlungen verlaufen sehr produktiv, und so hat der Russe noch einen Tag frei vor seinem Abflug in die Heimat. Er will die Gelegenheit nutzen und noch einen seiner Lieferanten in Hamburg anrufen, um mit ihm einige Geschäftsfragen persönlich zu besprechen. Und außerdem wollte er ihn schon lange um einen persönlichen Gefallen bitten, nämlich ein privates Konto bei einer guten deutschen Bank für ihn hier zu eröffnen. Das könnte man jetzt auch erledigen. Er ruft in Hamburg an, freut sich, dass er seinen Partner im Büro erreicht, und sagt ihm, dass er gern morgen Vormittag aus den oben genannten Gründen nach Hamburg kommen würde. Aufgrund der Reaktion seines deutschen Partners merkt er, dass der andere von einem solchen Vorschlag ziemlich überrascht ist. Der Deutsche erklärt ihm, dass es morgen leider nicht geht, denn er hat schon Termine, die sich so kurzfristig nicht verschieben lassen. Er könnte aber arrangieren, dass sich jemand von seinen Mitarbeitern mit ihm trifft, so würde man die Gelegenheit doch nutzen, persönlich über das Geschäft zu reden. Das Telefonat endet dann damit, dass der Russe es schade findet, dass es mit dem Treffen nicht klappt, und er verabschiedet sich höflich von seinem deutschen Partner. Das Gefühl der Bitterkeit ergreift ihn, als er den Hörer aufgelegt: Wieso schlägt er diese gute Gelegenheit, mich zu treffen, aus? Freut er sich nicht, mich zu sehen? Er wird doch umdisponieren können, schließlich geht es um unser beider Geschäft! Die Geschichte hat ihre Fortsetzung, als dann nach einem Monat ein schon lange im Voraus geplantes Treffen zwischen den beiden Partnern in Russland stattfindet. Der Russe lässt jetzt seinen deutschen Partner mit einem »normalen« Auto abholen – früher hatte er immer seinen Wagen ge© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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schickt. Der Deutsche muss auf ihn über eine halbe Stunde im Büro warten, weil seine anderen Termine sich verschoben hatten. Früher brach der Russe einfach seine Termine ab, wenn er wusste, dass der Hamburger auf ihn wartet. Zwei geplante Termine können sogar überhaupt nicht eingehalten werden, weil der Ansprechpartner aus der Stadtverwaltung kurzfristig abgesagt hatte. Obwohl der Russe bei der Stadtverwaltung ein und aus geht, wollte er sich jetzt nicht um einen Ersatztermin kümmern, denn das hätte ihn viel Mühe gekostet, und wie die Mühe sich auszahlt, das hatte er soeben in Berlin erlebt. Während der gemeinsamen Besprechungen erledigt er nebenbei andere Telefonate – er will nicht mehr alles stehen lassen, nur weil der Hamburger da ist. Ansonsten ist er sachlich und höflich, ohne jedoch eine besondere Freude an der Begegnung zu zeigen. Das Gefühl einer unerklärlichen Wende im Verhalten seines Partners beschleicht jetzt den Deutschen. Wie ist die Reaktion des russischen Geschäftsmanns zu erklären?

Beschreibung der zentralen russischen Kulturstandards Gruppenbezogenheit Dieser Kulturstandard beschreibt eine der wichtigsten Grundlagen des sozialen Lebens in Russland. Seine beiden wesentlichen Komponenten sind: – Die Identität der Menschen, ihre Meinungen, Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen sind größtenteils durch Gruppenmitgliedschaft bestimmt. Diese Gruppen sind stabil und langlebig. – Dadurch kommt es zu einer starken Unterscheidung zwischen Personen, die Mitglied in der eigenen Gruppe sind (»ingroup«), und solchen, die es nicht sind (»outgroup«). Der Kulturstandard »Gruppenbezogenheit« führt zu folgenden Konsequenzen: – Die Menschen ordnen ihre individuellen Ziele und Bedürfnisse den Gruppenzielen unter. Vielfach sind diese Gruppenziele so sehr internalisiert, dass kein Unterschied zwischen den eigenen und den Gruppenzielen besteht. Die Schwerpunkte liegen stärker auf den Meinungen, Bedürfnissen und Zielen der eigenen Gruppe als auf individuellen oder gesellschaftlichen Vorstellungen. So ist das Individuum in einem extrem großen Maß bereit, mit der Gruppe zu kooperieren. Das Selbst eines Individuums kann vom jeweiligen Kollektiv ganz absorbiert werden, denn © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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eine Person ist primär definiert als ein Teil der Gruppe und ihre Einstellungen, Überzeugungen und Werte haben somit in Übereinstimmung mit denen der Gruppe zu stehen. Gemeinsamkeiten, die man mit der Gruppe teilt, sind wichtiger als Unterscheidungsmerkmale und werden stärker betont. Es besteht eine starke emotionale Verbundenheit mit der Gruppe, die sich durch ein ausgeprägtes Wir-Gefühl äußert. Man ist nur an wenige Gruppen gebunden, aber diese Bindung bestimmt zu einem hohen Grad die Identität. Man ist sehr vertraut, fast »intim« mit seinen Leuten; Außenstehende hält man sich dagegen auf Distanz. Man hat weniger einen Sinn für Privatsphäre als vielmehr einen Gemeinschaftssinn. Mit anderen zusammen zu sein, das ist eine positive Erfahrung für Russen. Ein Wort »Privatsphäre« hat bei Russen eher den Beigeschmack von Einsamkeit und Isolation von der Gruppe. Nicht Unabhängigkeit, sondern wechselseitige Abhängigkeit ist es, wonach Russen streben. Man kann und soll sich auf Familien- oder Gruppenmitglieder verlassen. Alles wird in gemeinsamer Verantwortung und Kooperation erledigt. Jeder unterstützt den Anderen und darauf ist man stolz. Innerhalb einer Gruppe funktioniert die Kooperation sehr gut, über Gruppengrenzen hinweg sind Kontakte häufig schwierig oder eher schlecht. Ist eine Person aber als Gruppenmitglied definiert (und sei es als Gast), dann werden die Interaktionen sehr effektiv. Von Gruppenmitgliedern wird freilich auch erwartet, dass Fehler (in der Abrechnung, Beschaffung usw.), die »eben mal passieren können«, nicht weiter sachlich thematisiert, sondern übergangen werden. Deutsche, die aus Fehlern lernen wollen, geraten hier sofort in einen Konflikt, weil dies mit ihren Vorstellungen von Korrektheit und Verantwortung nicht zu vereinbaren ist.

Gruppenbezogenheit bestimmt und erklärt gleichzeitig die Tatsache, dass Ethik in Russland viel mehr personen- und gruppenbezogen (= partikularistisch) verankert ist als zum Beispiel in Deutschland. Man gehorcht weniger generellen, abstrakten, ubiquitär anzuwendenden Prinzipien als vielmehr spezifischen Gruppennormen. Schuld- und Schamempfindungen beziehen sich mehr auf Personen, nicht auf abstrakte Gesetze. Ethik in Russland ist öfter situativ definierbar und hängt von den spezifischen Umständen ab oder von der Art der Beziehung der Beteiligten zueinander. Die Ethik basiert mehr auf Wohlwollen und Menschlichkeit als auf Regeln und Gesetzen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Hierarchiebewusstsein Das Hierarchiebewusstsein der Russen hat viele Facetten und Ausprägungen. Für den betrieblichen Alltag sind vor allem folgende Merkmale von Bedeutung: – Das aktive und produktive Handeln ist nur in klar einzuhaltenden Überund Unterordnungsverhältnissen innerhalb der Systeme möglich. Es herrscht stark reduzierter Entscheidungswille innerhalb der einer Person eingeräumten Entscheidungskompetenz. Die Angst vor falschen Entscheidungen blockiert den Handlungsspielraum der handelnden Person. Denn man hat im langen Sozialisationsprozess gelernt, dass bei Fehlentscheidungen selten eine Auseinandersetzung auf der Analyseebene stattfindet, sondern dass es oft zu Schuldzuweisungen und Strafen kommt. Man sucht den Schuldigen, nicht den Fehler auf der Sachebene. In der Konsequenz werden operative Entscheidungen dementsprechend häufig nach oben delegiert. – Hierarchie ist in Russland an Positionen und Personen gebunden. Der Vorrang der Positionsmacht vor der Expertenmacht kann dazu führen, dass Vorgesetzte respektiert werden, auch wenn sie fachlich inkompetent sind. Die Zuständigkeit russischer Partner kann daher nicht immer aus ihrer fachlichen Kompetenz abgeleitet werden. Verhandlungen werden sehr oft durch fachlich kompetente Personen geleitet, doch Entscheidungen werden durch hierarchisch wichtige Personen getroffen. Entscheidungsinitiativen werden oft vermieden, um die Autorität des Chefs nicht anzutasten. – Im Mittelpunkt steht sehr oft der Chef und nicht die Sache. Bei Besprechungen äußert sich das in argumentativer Disziplin mit einstimmiger Meinung. Die Argumentation in russischen Besprechung verläuft daher verschlüsselter und indirekter als in deutschen Besprechungen, wo untereinander diskutiert werden muss, bis man eine sachkompetente Entscheidung getroffen hat.

Paternalismus Mit dem Hierarchiebewusstsein geht der Kulturstandard Paternalismus einher: Formale Organisationsstrukturen funktionieren in Russland als beziehungsintensive Kollektive. Ein Kollektiv bildet der Vorgesetzte (z. B. Abteilungsleiter) mit seinen Mitarbeitern. Die Basis für die Bildung eines Kollektivs stellen nicht nur die aufgabenbezogenen Tätigkeiten innerhalb einer Organisationsstruktur dar, sondern vielmehr persönliche, emotionale Beziehungen zwischen den Arbeitenden. Der Vorgesetzte übernimmt dabei © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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besondere Funktionen: Er unterstützt das Entstehen guter Beziehungen aller miteinander im Kollektiv; er vertritt die Interessen des Kollektivs im Allgemeinen und jedes seiner Mitglieder nach außen; seine zentrale Aufgabe besteht in der Sorge um seine Mitarbeiter (z. B. Sicherung des Arbeitsplatzes, aufgabenbezogene Weiterqualifizierung, Lohnerhöhung oder -sicherung, positives emotionales Klima im Kollektiv). Der russische Chef übernimmt auch die Richterrolle bei Konflikten, die ihm in den Augen der Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zusteht.

Empfänger-fokussierte Kommunikation Die Kommunikation mit anderen Menschen orientiert sich sehr stark an deren vermeintlichen Empfindungen und Erwartungen. Es fällt Russen generell sehr schwer, eine Absage zu erteilen oder eine zu empfangen, wenn eine Beziehungsebene zwischen den Personen vorhanden ist. Man fühlt für den Anderen und mit dem Anderen mit, wenn man ihm etwas direkt sagen muss, so dass es für Russen schwierig ist, dem Anderen etwas abzuschlagen, Kritik zu äußern oder einfach direkt seine Meinung zu sagen. Um eine unangenehme Situation für beide Seiten zu vermeiden oder hinauszuzögern, wird man über eine Absage nicht oder sehr spät informiert, Kritik wird in möglichst viel »Geschenkpapier verpackt« und direkte Meinungen werden immer unter Einbezug der vermutlichen Gefühlslage des Gegenüber geäußert. Deshalb werden Russen vom deutschen direkten Kommunikationsstil überrollt und können ihn leicht als Arroganz wahrnehmen. Sie praktizieren ihren Kommunikationsstil als Gebot der Höflichkeit gegenüber jedem Gesprächspartner, bemühen sich aber in gesteigertem Maß darum, wenn der Andere ein (und sei es durch die Gastrolle definiertes) Ingroup-Mitglied ist.

Emotionalität Dieser Kulturstandard beschreibt die Tatsache, dass Russen im Umgang miteinander dem Faktor Mensch/Person/Beziehung eine größere Bedeutung beimessen als dem Faktor Aufgabe/Sache/Ziel. Man schätzt Leute dafür, wie sie sind, nicht, was sie tun. Zwischenmenschliche Interaktionen – Geschäftskontakte sind hier keine Ausnahme – werden stärker und bedeutsamer unter dem Aspekt Sympathie/Antipathie gegenüber der handelnden Person wahrgenommen als unter dem inhaltlichen Aspekt des gemeinsamen Tuns. Je mehr Raum und Zeit die emotionale Seite in der Geschäftsbeziehung einnimmt, desto sympathischer findet man seinen Ge© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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schäftspartner und desto mehr wird das Geschäft zum persönlichen Anliegen. Dies führt wiederum oft zur Verschmelzung der beruflichen und der privaten Ebene. Wenn Russen in eine »emotionale Schwingung« mit ihrem ausländischen Partner geraten und man sich mag, werden sie besonders höflich und hilfsbereit sein, sie werden sich für seine geschäftlichen und privaten Belange verstärkt einsetzen. Diese durchaus positive emotionale Einstellung, die durch besondere Höflichkeit zum Ausdruck kommt, wird seitens der meisten Deutschen allerdings oft als Bevormundung des Einzelnen wahrgenommen. Emotionale Wahrnehmungssensoren sind in der Kommunikation immer da. Emotionalität wird nicht laut geäußert, sie wird gefühlt und durch die innere Einstellung zum Kommunikationspartner, durch innere Bilder und durch nonverbale Reaktionen widergespiegelt. Russen sind recht schnell und spontan sowohl im Bekunden von Sympathie als auch im Zeigen von Abneigung. Sie selbst sind in ihrem Wohlbefinden schnell kränkbar, wenn ihre positiven Sympathiesignale nicht erwidert werden. Die Emotionalität der Russen mündet auf der sozialen Ebene in Gastfreundschaft und Opferbereitschaft, auf einer nicht personenbezogenen Ebene in Verbundenheit mit der Natur (nicht zu verwechseln mit Verantwortung für die Natur) und in eine hohe Wertschätzung von Kunst.

Situative Polarität Dieser Kulturstandard geht mit Emotionalität einher und beschreibt das Verhalten einer Person, das ins Gegenteil, in den anderen Pol, sehr schnell umkippen kann, je nach eingetretener Situation oder geänderten äußeren Umständen, in der sich die Person befindet. Beispielhaft können hier folgende Pole genannt werden: – mögen – hassen / Nähe – Distanz: entweder funktioniert die Zusammenarbeit auf freundschaftlicher, herzlicher Basis oder sie funktioniert nicht und wird abgebrochen, weil man sich menschlich nicht mehr versteht: »Heute bist du mein Freund, morgen bist du es nicht mehr, weil ich dein Verhalten für mich als unakzeptabel empfinde.« Es kann aber auch sehr schnell in die umgekehrte Richtung gehen durch das versöhnende Element des russischen Charakters. – Geduld – Ungeduld / Loyalität – Aggressivität: Mit stoischer Geduld und Loyalität gegenüber den Mitmenschen den Alltag bewältigen, in einer anderen Situation mit erschreckender Ungeduld und aggressiv nach seinem Vorteil greifen. – Mitleid – soziale Härte: Es sei der russische Philosoph Nikolaj Berdjaev (1955) zitiert: »Das russische Volk kann mit vollem Recht . . . als Volk © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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mit dem unstabilen Geist ›bezeichnet werden‹, dem mehr als den anderen Völkern das Allgemeinmenschliche eigen ist. Das ist ein grausames und äußerst menschliches Volk, das dazu neigt, die anderen leiden zu lassen und zugleich viel zu sehr mitleiden zu können« (Übers. d. Verf.). – Rücksicht – Rücksichtslosigkeit: einerseits Rücksicht gegenüber Frauen (Frauen in den Mantel helfen, den Platz anbieten, den Koffer aus der Hand »reißen«, seiner Dame aus dem Bus helfen), andererseits Rücksichtslosigkeit als Autofahrer gegenüber Fußgängern oder anderen aus dem Bus steigenden Menschen.

Gegenwartsbezogene Prozessorientierung Gegenwartsbezogene Prozessorientierung bedeutet, dass Russen in ihrem Tun immer darauf eingestellt sind, kurzfristig und während des Tuns von einem Handlungsstrang zu einem anderen zu wechseln je nach Erfordernis der eingetretenen Situation. Man beschäftigt sich in der Regel mit den Dingen, die im Hier und Jetzt ihre Priorität bekommen. Die solchermaßen prozessorientierte Zeiteinteilung, Aufgabenerledigung, Planung erfolgt im Vergleich zur deutschen vorausschauenden und ergebnisorientierten Zeiteinteilung, Aufgabenerledigung, Planung in weniger detaillierten Schritten, ohne Einbeziehung möglicher Hindernisse und ohne prophylaktisches Durchdenken von möglichen Ausweichmanövern. Bei der Aufgabenerledigung neigen Russen eher dazu, Probleme zuerst auf sich zukommen zu lassen und sie erst dann zu lösen versuchen, wenn sie da sind, während Deutsche dazu neigen, mögliche Probleme bereits zu antizipieren und sie möglichst im Vorfeld zu eliminieren.

Pessimismus/Fatalismus Dieser Kulturstandard gibt das innere Weltbild der Russen wieder und prägt ihre Einstellung zum aktiven Handeln. Aus dem Blickwinkel des inneren Weltbildes wird das Leben durch schicksalhafte Vorherbestimmtheit auftretender Ereignisse geprägt. Fatalismus hat eine starke pessimistische Ausprägung, in verschleierter Form wird gleichzeitig auch eine optimistische Lebenseinstellung zum Ausdruck gebracht. Die pessimistische Ausprägung bedeutet, dass man von der Zukunft nichts Besseres erwartet und auf jeden Fall nach außen eher Frustration zeigt, auch wenn man ein glücklicher und optimistischer Mensch ist. Die Mündung in Passivität äußert sich auf der Handlungsebene darin, dass der Radius für eigene Entscheidungen sehr begrenzt bleibt, persönliche Initia© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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tive kaum gezeigt wird, Verantwortung für sich selbst oft in die Hände der anderen gelegt wird. Man hofft auf Besseres, jedoch ist man sich bewusst, dass es »bis zum Zaren viel zu weit und bis zu Gott viel zu hoch ist«. Deshalb setzt man ausschließlich auf kurz- und mittelfristige Pläne und Geschäfte. Langfristigen Geschäften, die auf einen optimistischen Erfolg in der Zukunft gerichtet sind, sind Russen eher abgewandt. In der Haltung »es wird schon irgendwie werden« ist eine positive Hoffnung spürbar, die jedoch nicht in Verbindung mit dem aktiven menschlichen Handeln gebracht wird, sondern an eine höhere Macht abgegeben wird. Der Fatalismus der Russen hat ein stark religiöses und mystisches Element. Es besteht darin, sich demütig zu bescheiden. Denn Russen sind überzeugt, dass den menschlichen Kräften viele Grenzen gesetzt sind, die sie trotz ihres Bemühens nicht verschieben oder gar durchbrechen können.

Zurück zu unserer Geschichte Mit Hilfe der russischen Kulturstandards kann die Gefühlsreaktion des russischen Geschäftsmanns nach dem Telefonat mit seinem Partner in Deutschland treffend interpretiert werden.

Gruppenbezogenheit Für den russischen Geschäftsmann war es nicht zu verstehen, dass man einen Freund nicht empfängt, wenn dieser darum bittet. Russen sind viel schneller als Deutsche bereit, die formale Distanz zum Partner zu überwinden, wenn sie ihn sympathisch finden. Diese schnelle Distanzüberwindung führt dann dazu, dass sie ihren deutschen Partner als Gruppenmitglied (wenn auch nur als Gast) betrachten. Dieses Beziehungsangebot hat folgende Vorteile: – Der russische Partner tut alles, um seinen deutschen Geschäftsfreund nicht im Stich zu lassen. (In der Finanzkrise 1998 half der russische Geschäftsmann seinem Partner und so konnte dieser aus der Krise mit nur geringem Schaden herauskommen.) – Der russische Partner betrachtet das Geschäft als sein persönliches Anliegen und setzt sich dafür ein. (Wenn der Hamburger in Moskau ist, lässt er viele Sachen liegen und beschäftigt sich mit ihm.) – Da die Moral und das Pflichtbewusstsein in erster Linie für Freunde und Familie gelten,© 2005, übt der russische Partner einen fairen Umgang mit seiVandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nem deutschen Partner. (Deshalb konnten sie so gut zusammenarbeiten, weil der deutsche Partner nie das Gefühl hatte, über den Tisch gezogen zu werden.) Als Nachteile in deutschen Augen müssen in Kauf genommen werden: – Der deutsche Partner kann sich Bitten um »kleine« Gefälligkeiten nicht einfach entziehen. – Die Trennung zwischen privater und beruflicher Ebene verschwimmt immer mehr.

Hierarchiebewusstsein Die in den Augen des deutschen Chefs gefundene Lösung – das Treffen mit einem seiner Mitarbeiter – wird vom Russen ausgeschlagen, weil er sich damit auf der hierarchischen Ebene seiner Positionsmacht nicht abgeholt fühlt. Die Betreuung durch die entsprechende Hierarchieebene auf der deutschen Seite ist für das russische Hierarchieverständnis sehr wichtig. Es kann russische Positionsmacht kränken, wenn sie auf der deutschen Seite nur von Expertenmacht bedient wird.

Emotionalität Für den russischen Geschäftsmann war sowohl bei der Überlegung, seinen Partner in Hamburg anzurufen, als auch während des Gesprächs der Faktor »Person/Beziehung« dominant, nicht der Faktor »Aufgabe/Ziel«. Mit dem Faktor »Person« verband er auch seine Hoffnung, den deutschen in einer privaten Angelegenheit anzusprechen. Da Russen ziemlich schnell und spontan sowohl im Sympathie- als auch im Abneigungsbekunden sind, mündeten seine nicht erfüllten Erwartungen sofort in Bitterkeit und Enttäuschung.

Gegenwartsbezogene Prozessorientierung Der russische Partner war sich darüber vollkommen im Klaren, dass er seinen Geschäftspartner mit dem Besuch in Hamburg aus dessen bereits geplanten Tagesablauf herausreißt. Er entschied sich für diesen Schritt, weil in seinen Augen – der Wechsel zwischen geplanten und ungeplanten Aktivitäten eine gewöhnliche Arbeitssituation darstellt; © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– der Faktor »Mensch/Person/Freund/Geschäftsfreund« immer Priorität im Hier und Jetzt hat; deshalb war er sich sicher, wenn sein Freund da ist, wird er sich um ihn kümmern; – der Besuch aus Hamburg auch für ihn oft zu einem Stress wird; zwar weiß er immer von dem Besuch im Voraus, erledigen aber muss er dann doch viele Dinge spontan. Und dabei findet er in dem entstehenden Stressmanagement für seinen Geschäftspartner immer Zeit.

Empfänger-fokussierte Kommunikation Für den Russen war die Enttäuschung deshalb so groß, weil der deutsche Partner ihm in sachlicher, unverpackter Form eine Absage erteilt hat. Er hätte sich wahrscheinlich leichter mit jeder anderen gut verpackten Absage, mit jedem anderen Vorwand, sogar einer Vortäuschung und, nicht auszuschließen, mit einer Lüge abgefunden, nur nicht mit diesem sachlich korrektem »es geht leider nicht«. Russen trennen hier zwischen Person und Sache generell nicht und nehmen die Worte persönlich (Emotionalität!).

Situative Polarität Dieser Kulturstandard zeigt sich bei der Fortsetzung der Geschichte, als nach diesem Vorfall einen Monat später das Treffen zwischen den beiden Partnern in Russland stattfand: Das Verhalten des Russen hatte sich schlagartig geändert.

Historische Hintergründe Um zu verstehen, warum die russische Kultur so ist, wie sie eben in Anlehnung an diverse Autoren dargestellt wurde (Arseniew 1966; Baumgart u. Jänecke 1997; Ertelt-Vieth 1990; Holtbrügge 1995, 1996; Sherschneva u. Feldhoff 1998; Yoosefi u. Thomas 2003), werden in der Literatur die besonderen historisch-geographischen Bedingungen dieses riesigen Landes genannt sowie der Einfluss der Ostkirche betont (Yale 1993; Schier 1989; Stökl 1967; March 1996; Mazonaschwili 1994; Rehder 1993). Neben diesen alten geschichtlichen Fundamenten spielt die kommunistisch-sozialistische, jüngere Epoche eine Rolle (Ignatow 1985; Lewada 1992). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Historisch-geographische Dimension Das Land ist nahezu unendlich groß und weit (es umfasst 11 Zeitzonen!). Es besteht aus einem weiten Flachland mit feuchtkalten Wäldern im Norden und heißen Steppen im Süden. Dieser harten Natur mit ihren klimatischen Extremen (→ situative Polarität) konnten die Menschen nur gemeinsam begegnen, um zu überleben (→ Gruppenbezogenheit). Man rodete bei allen bäuerlichen Kolonisationsbewegungen (14.–17. Jahrhundert) gemeinsam den Wald, man baute gemeinsam an, man verteidigte sich gemeinsam. Die landwirtschaftliche Dorfgemeinschaft (russisch: »mir«) war die zentrale Einheit, in der der Alltag gemeinsam bewältigt wurde (und bis heute wird, auch wenn die Bezeichnung nicht mehr existiert). Die Zaren förderten dieses System, denn es erleichterte ihnen die Kontrolle (die mir mischte sich in alle Belange ein) und die Besteuerung. Mit der Einführung der Leibeigenschaft (16. Jahrhundert) wurde das System aufgelöst, bei der Abschaffung der Leibeigenschaft (1861) aber wieder eingeführt und 1930 durch die Kolchosen ersetzt. Niemals hat es freie Bauern gegeben, die selbstständig hätten entscheiden und handeln können oder die finanziell in der Lage gewesen wären, diese Instanz zu verlassen (→ Hierarchieorientierung; → Gruppenbezogenheit). Die Industrialisierung ließ die Menschen diese Lebensweise mit in die Städte bringen und Arbeiterkooperativen gründen. Da sich in Russland lange Zeit nur eine sehr kleine industrielle Mittelschicht entwickelte, waren seine Menschen noch lange mental agrarisch geprägt. Dieser Prozess ist weithin bis heute nicht überwunden. Eine landschaftliche Untergliederung, die auch eine soziale Abgrenzung und regionale Unterschiede zwischen einzelnen Gruppen oder Stämmen gefördert hätte, gibt es kaum. Stattdessen begünstigte die Weiträumigkeit stets eine relative Gleichförmigkeit, die politisch – wegen fehlender Rivalität aufgrund von Mannigfaltigkeit – seit dem 15. Jahrhundert stets zentrale Regierungsformen begünstigte (→ Hierarchieorientierung). Das extreme Klima des Nordens mit fünf Monaten fleißigster Arbeit im Sommer, um dann den Rest des Jahres in Kälte und Winter mit Nichtstun außer Jagen überleben zu können, fördert eine nichtkontinuierliche Zeitnutzung (→ gegenwartsbezogene Prozessorientierung) und kann ein Gefühlsleben begünstigen, das geprägt ist von Geduld, Leidensfähigkeit, Lethargie (→ Emotionalität, situative Polarität). Das Land im Süden war fast 2 000 Jahre lang ein Tummelplatz für viehzüchtende Reitervölker und Reiternomaden, die den russischen Ackerbauern wegen ihrer Pferde überlegen waren und sich in der sommerlichen Trockenheit zu Raubzügen an die russischen Flussoasen hinreißen ließen. Die Tartaren (Mongolen) errichteten eine brutale Zwangsherrschaft, den »asia© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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tischen Despotismus«, und unterdrückten das Streben nach Selbstverwaltung auf besonders effektive Art: Sie verschleppten die Führer, teilweise die gesamte »Oberschicht« der Siedler (→ Emotionalität: Angst; → Pessimismus; → Hierarchieorientierung). Die Siedler retteten sich teilweise, indem sie immer mehr in die Wälder des Nordens eindrangen (so verlagerte sich auch das Machtzentrum von Kiew nach Moskau). Als 1234 Moskau und 1240 Kiew von den Tartaren (Mongolen) eingenommen worden war, blieb nur, sich zu arrangieren. Man lernte: Nur getarnt kann man überleben, indem man sich unterwürfig zeigt (→ Hierarchieorientierung) und schlau alle Lücken des Herrschaftssystems nützt (→ Gruppenbezogenheit: Ethik). Das Gesetz dient dem Machthaber als Unterdrückungsinstrument und ist hassenswert (→ Gruppenbezogenheit: Ethik). Der russische Fürst (später: Zar) betrachtete sich als Vasall, fungierte als Steuereintreiber und als er diese Fremdherrschaft endgültig abgeschüttelt hatte (1472), lebte das despotische Herrschaftsmodell quasi als das vertraute Regierungssystem weiter in der verfassungsgeschichtlichen Übernahme des Despotismus des tartarischen Großkhans durch den Zaren sowie in der Kluft zwischen (absolutistischem russischen) Adel und unfreien Bauern. Das führte einerseits zu einem Übergewicht des Staates, das alle Bestrebungen und Einrichtungen eines regionalen oder sozialen Eigenlebens erdrückte. Andererseits hatte der Absolutismus der Zaren religiöse Legitimität. Denn Väterchen-Zar wurde im Volk immer als der Vertreter Gottes auf Erden gesehen. Damit hängt zusammen, dass im Volksbewusstsein der Russen der Glaube an den Herrscher verwurzelt ist. Für soziale Nöte und Missstände wurde nicht etwa der Zar persönlich verantwortlich gemacht, noch weniger wurde die herrschende Ordnung in Frage gestellt. Man ging vielmehr davon aus, dass der Zar einfach nicht wisse, wie es in seinem Reich aussehe. Und wenn er es gewusst hätte, hätte er dieses Unrecht beendet (→ Paternalismus). Selbst der (in seiner Zeit) hochmoderne Absolutismus Peters des Großen setzte diese Form mit europäischen Methoden fort. Die Ansätze der Parlamentarisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind vernachlässigenswert: Die zaristische Autokratie ging nahtlos in die bolschewikische Diktatur über. Unabhängigkeit, eigene Entscheidungen, persönliche Initiative blieben durch alle Jahrhunderte hindurch Fremdwörter, stattdessen war Konformität, das Warten auf die Anweisung von oben oder die Hoffnung auf ein Wunder angesagt (→ Gruppenbezogenheit; → Hierarchieorientierung; Empfänger-fokussierte Kommunikation; → situative Polarität) – und Schläue, wenn sich die Chance bietet (→ Gruppenbezogenheit: Ethik).

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Kulturgeschichtliche Dimension: Ostkirche 988 konvertierte Großfürst Vladimir mit seinem Kiewer Rus zum Christentum. Die Missionierung erfolgte nicht von Rom, sondern von Konstantinopel (= Byzanz = Istanbul) aus, weswegen das Christentum des späteren Russlands das Kolorit der östlichen, byzantinischen Version trägt. Geistiger Hintergrund der Missionare: Seit 395 das Römische Reich in einen östlichen und einen westlichen Teil zerfiel, entwickelten sich im Osten und im Westen höchst unterschiedliche Verhältnisse. Im Osten mit der Hauptstadt Konstantinopel blieb ein spätantikes Dominat mit einer reglementierenden Verwaltungsbürokratie und einem absolut herrschenden Kaiser erhalten, dem auch die christliche Kirche samt seinem Metropoliten in seinem Gebiet untersteht. Als sich 1472 Moskau von der Tartarenherrschaft befreite, war ein Russland geboren, das geographisch fern war von Europa, das aber auch von Konstantinopel abgeschnitten war, weil dieses 1453 an die moslemischen Ottomanen gefallen war. Die russische Kirche wähnte sich als Erbin der griechisch-orthodoxen Kirche Konstantinopels, wählte einen neuen Metropoliten, Moskau wurde zum dritten Rom (nach Rom und Konstantinopel), übernahm die Führungsrolle in der gesamten Region der Ostkirche und die nunmehr russische Kirche entwickelte sich eigenständig – isoliert vom Rest des Christentums. Die Konsequenzen dieses Isolierungsprozesses waren für die herausgebildeten kulturellen Muster einschneidend, weil damit in Russland und seinem Einflussgebiet folgende Entwicklungen nicht stattfanden: Dezentralisierung mit einem Nebeneinander von einer staatlich-politischen und einer religiös-kirchlichen Macht, Entwicklung von Universitäten, Renaissance (Wiederbelebung der Antike), Reformation (Pluralismus, theologisch fundierte Diesseitigkeit), Humanismus (zeitgenössische Übertragung antiker Ideen), Aufklärung (Betonung der Rationalität) und im Gefolge Kontrolle der Regierung, Gewaltenteilung, Volkssouveränität, Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit, individuelle Rechte. Russland blieb ein riesiges landwirtschaftliches Reich, regiert von einer autoritären Dynastie, die glaubte, eine heilige Mission zu haben gegen Barbaren oder Häretiker. Die → Gruppenbezogenheit wurde damit nicht aufgeweicht von individualistischen Einflüssen; die → Hierarchieorientierung wurde nicht erschüttert durch auf Rechtsdenken basierende Egalität; die → Emotionalität wurde nicht eingedämmt von der Forderung, nur rational zu denken und zu handeln, und von der rechtlichen Möglichkeit, es zu tun. Die durch Peter den Großen eingeleitete Europäisierung führte lediglich zur Zuwendung einer schmalen Oberschicht der Gebildeten zu Europa. Ihre Wirkung bezog sich vor allem auf die Technik und auf die Kunst. Stattdessen trägt die Ostkirche folgende Züge: © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Sie predigt in der byzantinischen Tradition stehend ein Gott-Königtum und tritt (fast) nie in Rivalität zum Staat (→ Hierarchieorientierung). – Sie ist sehr mystisch geprägt: Liturgie und Ritus stehen im Mittelpunkt. Dagegen gibt es kaum eine rationale Theologie, es existiert kein Rechtsverhältnis zwischen Gott und Mensch, keine Kasuistik von Sünden und Konsequenzen, keine Moraltheologie. Zudem ist es orthodoxe Lehre, dass Leiden ein natürlicher, zu akzeptierender Bestandteil des Lebens ist. Die Erlösung erfolgt im Jenseits. Die ausgeprägte Mystik trägt massiv bei zu einer Verstärkung von → Emotionalität, Fatalismus, demütiger Akzeptanz der Welt, Opferbereitschaft, passiver Innerlichkeit, unendlicher Geduld, Schicksalsergebenheit. – In der Ostkirche sind nicht Metropolit oder Schrift bestimmend, sondern die Gemeinschaft der Kirche. Die Kirche betont den Sinn für Brüderlichkeit und Zusammenleben, die Fähigkeit zum Mitgefühl und zu Solidarität. Die Egalität der Orthodoxie besteht in der Vereinigung der Seelen unter einem einfachen und korrekten Ritus, nicht in Legalismus, Formalismus, Schuldprozessen. Das Recht wird als Bestandteil der religiösen Ethik in der Orthodoxie strikt abgelehnt. »Das Recht bezieht sich auf die äußeren Formen und geht an dem Substanziellen vorbei. Die Gesellschaft, die auf rechtlichen Grundlagen gegründet ist, kann niemals die Menschen vereinen« (Ilarion 1998) (→ Gruppenbezogenheit: Ethik) – Die dominante Lebensform ist das Mönchtum mit einer tendenziellen Abwendung von der diesseitigen Welt und dem Rückzug (der Gebildeten) in die Einsamkeit beziehungsweise dem Führen eines mit der Mystik verbundenen Lebens (für die einfachen Mönche). Auch die Amtskirche besteht nur aus Mönchen und war stets obrigkeitstreu, ohne politische Ambitionen, ohne die Klöster zu Horten der Wissenschaftlichkeit zu machen. Das stützte die Macht der Zaren (→ Hierarchieorientierung) und war den Gläubigen kein Vorbild für eine christliche Ethik im Sinne eines innerweltlichen Handelns mit einer inneren moralischen Begrenzung (→ Gruppenbezogenheit: Ethik). Politische Reformen erschienen gar als religiöse Häresie. Typisch sind der »Dogmatismus, der Asketismus, die Fähigkeit, Leiden zu ertragen und Opfer um des Glaubens willen zu bringen, die Neigung zum Transzendentalen, das entweder zur Ewigkeit, zu einer andersartigen Welt oder zur Zukunft dieser Welt gehört . . . Wegen der religiös-dogmatischen Struktur ihres Geistes sind die Russen immer die Orthodoxen oder Ketzer« (Berdjaev 1955; Übers. d. Verf.) (→ Emotionalität; → Hierarchieorientierung; → situative Polarität).

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Neuere Zeitgeschichte: Sozialismus/Kommunismus Im Prinzip gilt für Russland zu den mentalitätsgeschichtlichen Konsequenzen der sozialistisch-kommunistischen Epoche dasselbe, wie an anderer Stelle für Tschechien dargestellt (s. Kap. I, 2.4). Jedoch: Die Dauer der kommunistischen Herrschaft betrug in der Russischen Föderation (sowie in Weißrussland und in der Ukraine) ein Dreivierteljahrhundert. Damit sind ihre Auswirkungen tiefgreifender und nachhaltiger. Für die russische Variante dieses Regimes werden besonders betont (Ignatow 1985; Lewada 1992): die schon pseudoreligiös anmutende Ideologie, die extreme Willkür der Entscheidungen sowie die zunehmende Technokratie der Apparatschiks. Der Staat ist eine Superinstitution, der kontrolliert, aber sich auch bis ins Kleinste paternalistisch-fürsorglich gebärdet. Das führte zu Ohnmacht und Hilflosigkeit des Bürgers (→ Hierarchieorientierung), hypersozialisierte sie als gleichermaßen Abhängige (→ Gruppenbezogenheit) und verursachte viel Angst (→ Emotionalität; → situative Polarität). Dennoch bleibt für Russland festzuhalten: Es ist ein Verdienst der forcierten Industrialisierung, die soziale Struktur von Grund auf verändert zu haben. Der Anteil der bäuerlichen Bevölkerung sank und es entstand ein nennenswertes Bürgertum. Außerdem war der Kommunismus die einzige Epoche in der gesamten russischen Geschichte, in der es zumindest zeitweise gelang, alle Menschen mit einem Mindestmaß an Gütern zu versorgen.

Generalisierung Betrachtet man den ehemaligen Ostblock, so hat das Gebiet, in dem die griechisch-orthodoxe Variante des Christentums historisch bedeutsam wurde (Rumänien, Bulgarien, Moldawien, Mazedonien, Albanien, Serbien, Ukraine, Weißrussland, Russische Föderation, fast nur absolutistische und despotische, meist willkürlich herrschende Regime erlebt – vom oströmischen Reich an über die Mongolenherrschaft in Osteuropa, die osmanischen Türken in Südosteuropa bis zum Niedergang des Kommunismus. Es gab hier keine freiheitsfördernde Spannung zwischen Kirche und Staat, keine Teilhabe an wesentlichen Entwicklungen, die zur Herausbildung dessen geführt haben, was man heute »westlich« nennt: öffentliche Meinung, Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit. Die Verbindung zum Westen war für Jahrhunderte abgeschnitten, was die Wirkung dieser Fremdherrschaft ver© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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stärkte. Insofern ist eine Generalisierung der Folgen, die zu den Stichwörtern »Despotismus« und »Ostkirche« für Russland beschrieben sind, auf diese Länder weitgehend übertragbar. Aufgrund der historisch-geographischen Bedingungen sind aber vor allem Parallelen zwischen Russland und der Ukraine sowie Weißrussland festzustellen. Der ethnische Ursprung als Ostslawen, der politische Beginn im Kiewer Reich, die bäuerliche Daseinsform, das Kolonisieren weiter Räume und das Einbezogensein in ein wie immer benanntes russisches Reich verbindet Russland und die Ukraine. Auch bekennt sich die Mehrheit der Ukrainer zum orthodoxen Glauben. Die zum Teil vorhandene Differenzierung gründet auf den polnischen Einflüssen (14.–17. Jahrhundert) und der kosakischen Militärdemokratie im 17. Jahrhundert. Die historischen Verbindungen der Weißrussen mit einem russischen Staatsgebilde sind trotz einer ebenfalls vorhandenen Einbeziehung in das litauische Großfürstentum und danach in den polnisch-litauischen Staatsverband noch enger. Sämtliche russisch genannte Kulturstandards gelten daher für diese beiden Länder ebenfalls.

Zum Schluss Es mag sein, dass die hier skizzierte Geschichte Russlands dem einen oder anderen zu düster erscheint. Doch die Geschichte Osteuropas ist weithin eine tragische, das kann nicht beschönigt werden. Schon gar nicht, wenn man nach Erklärungen für Auffälligkeiten in der interkulturellen Interaktion sucht, weil diese zum Sand im Getriebe wurden. Das sind oft gerade nicht die positiven, bewundernswerten Dinge!

Literatur Arseniew, N. (1966): Die geistigen Schicksale des russischen Volkes. Graz. Baumgart, A.; Jänecke, B. (1997): Russlandknigge. München. Berdjaev, N. (1955): Istoki i smysl russkogo kommunizma. Moskau, 1990. (Wurzeln und Sinn des russischen Kommunismus). Ertelt-Vieth, A. (1990): Kulturvergleichende Analyse von Verhalten, Sprache und Bedeutungen im Moskauer Alltag. Frankfurt a. M. Holtbrügge, D. (1995): Personalmanagement multinationaler Unternehmungen in Osteuropa. Bedingungen – Gestaltung – Effizienz. Wiesbaden. Holtbrügge, D. (1996): Unternehmenskulturelle Anpassungsprobleme in deutschrussischen Joint Ventures. Journal for East European Management Studies 1: 7–27. Ignatow, A. (1985): Psychologie des Kommunismus. München. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Ilarion (Troizkij) (1998): Erzbischof: Ohne Kirche keine Erlösung.(Bez cerkvi net spasenija). Moskau/St. Petersburg Lewada, J. (1992): Die Sowjetmenschen 1989–1991. Soziogramm eines Zerfalls. Berlin. March, U. (1996): Rom, Byzanz und das postkommunistische Europa. FAZ, Nr. 71, 23.3.1996. Mazonaschwili, T. (1994): Unsere Paradoxe: Die Rezeption allgemeinmenschlicher Werte in Russland. Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, 48. Rehder, P. (Hg.) (1993): Das neue Osteuropa von A-Z. München. Schier, B. (1989): West und Ost in den Volkskulturen Mitteleuropas. Marburg. Sherschneva, E.; Feldhoff, J. (1998): The culture of labour in the transformation process: empirical studies in russian industrial enterprises. Frankfurt a. M. Stökl, G. (1967): Die Ostslawen (Russen, Ukrainer, Weißrussen). In: Aschenbrenner, V.; Birke, E.; Kuhn, W.; Lemberg, E. (Hg.), Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn. Ein Handbuch. Frankfurt a. M., S. 90–95. Yale, R. (1993): From nyet to da. Yarmouth/Maine. Yoosefi, T.; Thomas, A. (2003): Beruflich in Russland. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte. Göttingen.

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PawelBoski:Polen

Pawel Boski

2.6 Polen

Das Beispiel: Was Herr Müller in Warschau erlebte An einem Sonntagmorgen landete Herr Dr. Müller aus Deutschland kommend mit einer Lufthansamaschine am Warschauer Okecie-Flughafen. Er kam als Gastdozent und war von Dr. Piotr Wiereszczynski eingeladen. Dies ist ein Kollege, den er letztes Jahr in Spanien bei einer Konferenz traf, dessen Namen er jedoch weder aussprechen noch sich merken konnte. Herr Müller war ein wenig nervös, da er im Voraus keinen präzisen Plan seines Warschauaufenthalts erhalten hatte. In wenigen kurzen E-Mails während der letzten Wochen war er gebeten worden, einige Vorträge zum Thema Marketingtechniken und Demonstrationen für Arbeitsgruppen über Business-Planspiele vorzubereiten. Er hatte zudem den Eindruck, dass Dr. Wiereszczynski und die gastgebende Abteilung für Wirtschaft und Handel an einer Zusammenarbeit mit seiner Abteilung für Internationale Wirtschaftsbeziehungen in Hamburg interessiert seien. Während Herr Müller den Zoll passierte, bemerkte er Piotr Wiereszczynski, der ihm zuwinkte. Der polnische Gast öffnete seine Arme weit für eine Umarmung. Eine attraktive Dame lächelte und gab ihm Blumen, was Müller etwas verlegen stimmte. »Das ist meine Frau Danuta – Herr Dr. Bernd Müller«, versuchte Wiereszczynski die beiden vorzustellen, »und das mein Sohn«. Er nickte einem jungen Mann zu, der sich schon anschickte, Herrn Müllers großen Koffer zu tragen. »Oh nein, das ist nicht nötig!«, protestierte er, aber Wiereszczynski Junior hatte ihn bereits fest im Griff und rollte ihn nun zum Ausgang. Das Auto der Familie Wiereszczynski war direkt vor dem Ausgang geparkt, neben einigen Taxen, Limousinen und dem Stadtbus. Herr Müller nahm außerdem einen Polizisten wahr, der sie beobachtete und sich den Wagen notierte. Dieser kam näher, als Piotr Wiereszczynski das Auto öffnete. Eine angeregte Unterhaltung begann, bei der Herr Wiereszczynski mit großen Handbewegungen artikulierte und auf Herrn Müller zeigte. Seine Ehefrau mischte sich auch mit in das Gespräch ein und versuchte den Po© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Pawel Boski: Polen

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lizisten zu überzeugen, der bereits Anzeichen der Umstimmung zeigte. Schließlich sagte er: »Guten Morgen!«, salutierte und ging weg. Frau Wiereszczynska setzte sich auf den Fahrersitz. Piotr Wiereszczynski seufzte erleichtert und erklärte: »Naja, es ergibt keinen Sinn, das Auto erst in das Parkhaus am Flughafen zu fahren. Wir haben hier doch nur 10 Minuten gestanden, um Sie abzuholen. Und in Polen muss man dem Polizisten nur eine vernünftige Erklärung geben, zum Beispiel ›Ich warte auf einen wichtigen ausländischen Gast‹, dann wird man in Ruhe gelassen.« All das erschien Herrn Müller sehr seltsam und er fragte sich, warum die ganze Familie am Sonntagmorgen zum Flughafen kam, nur um ihn zu begrüßen: Würden sie ihn zur katholischen Kirche bringen? Herr Müller ist Lutheraner, ist selbst aber nicht sonderlich an religiösen Dingen interessiert. »Und nun, Frau Wiereszczynski, werden Sie uns alle zur Kirche fahren?«, fragte er halb scherzend. Ihre Antwort überraschte ihn sehr. »Oh nein, nicht jetzt. Wissen Sie, für uns ist der Sonntag ein Arbeitstag. Ich fahre das Auto, da Piotr heute bei einer seiner Arbeitsstellen einen Vortrag halten muss. Er hat Wochenend-Studenten und ich bin Manager bei Géant, dem französischen Supermarkt, bei dem wir auch sonntags arbeiten. Zufällig ist dieser in der Nähe Ihres Hotels. Also, werden wir zuerst Piotr abladen, dann werden wir am Géant stoppen und Artur, unser Sohn, wird Sie dann direkt zum Hotel bringen. Wir haben gedacht, dass er und seine Freundin Monika, eine Deutsch-Studentin an der Universität, Ihnen dann Warschau zeigen werden.« Herr Müller hatte Schwierigkeiten, dem Informationsstrom von Danuta Wiereszczynska zu folgen. Eine Überraschung folgte der nächsten: All diese komplizierten Familienverhältnisse, sie reichen das Auto von einer Hand zur nächsten; er wurde als kostbares, zerbrechliches Objekt behandelt, ja genau, als Objekt, nicht als Subjekt, das eigenständig Entscheidungen treffen konnte. Er wurde nicht einmal nach seinen eigenen Wünschen gefragt. Der Wagen hielt an einer roten Ampel. Piotr Wiereszczynski erklärte, er wolle einfach hier schnell aussteigen, da er ohnehin schon zu spät zum Unterricht komme. Aber die Studenten würden die Verspätung schon verstehen, sobald sie wissen, dass ich am Flughafen war, um einen internationalen Gast willkommen zu heißen. »Bis heute Abend bei uns zu Hause«, sagte er noch – und weg war er. »Haben Sie keine Bedenken, Ihren Mann mitten unter den anderen Autos einfach an einer roten Ampel aussteigen zu lassen?«, fragte Herr Müller Frau Wiereszczynska. »Naja, wissen Sie«, entschuldigte sie Ihren Mann, »wir sind ständig so beschäftigt. Sie sollten bedenken, dass Piotr drei verschiedene Arbeitsstellen hat. Zum Glück ist die Nachfrage nach Spezialisten in Verwaltungsangelegenheiten und Marketing groß, so dass© 2005, wir keine finanziellen Probleme haben, aber es ist trotzVandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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dem nicht einfach. Er ist immer in Eile. Zum Glück haben wir jetzt Handys, so dass wir uns ständig verständigen können, sonst wäre es eben schwieriger mit der Organisation.« Herr Müller bekam das alles nicht so recht auf die Reihe und fragte: »Wie kann Ihr Ehemann drei Jobs haben? Wer erlaubt das? Muss man nicht eine bestimmte Zeit lang an einer Arbeitsstelle sein?« Frau Wiereszczynska lächelte: »Für Fremde ist es schwierig, das zu verstehen. Wir müssen ja schließlich einen Weg finden, um Sie im Westen einzuholen. Dazu müssen wir mehr und anders arbeiten als Sie in Deutschland, sonst wird die Kluft zwischen Deutschland und Polen niemals kleiner. Können Sie sich vorstellen, dass allein hier in Warschau in den letzten zehn Jahren 70 neue private höhere Lehreinrichtungen eröffnet wurden? Die meisten von ihnen mieten sich die Unterrichtsräume der Hochschule. Deshalb unterrichtet auch Piotr jetzt bei einer dieser privaten Business-Schulen, die in der staatseigenen Hochschule liegt. Aber irgendwie dreht sich alles im Kreis: Unter den Studenten, die es sich finanziell leisten können, besteht eine große Nachfrage nach Unterricht, Professoren können ein besseres Leben führen und staatliche Einrichtungen haben zusätzliche Einkünfte für die notwendige Erziehung. So gesehen, nützt es am Ende jedem.« Jetzt hielten sie auf einmal bei einem riesigen Einkaufsgelände, das von Géant dominiert wurde. »Es ist gut, hier zu arbeiten«, erklärte Frau Wiereszczynska, »diese Supermärkte symbolisieren auch Polen. Wie haben sechs Géants in der Hauptstadt, zahlreiche Lecrecks, Auchants, Carrefourres und so weiter. Genauso wie im Westen! Außerdem bekomme ich so immer die besten Produkte Polens auf den Tisch, das werden Sie heute Abend bei Tisch bemerken.« Sie lächelte wieder, gab ihrem Sohn einen Kuss und stieg aus dem Auto. Artur Wiereszczynki nahm auf dem Fahrersitz Platz. In wenigen Minuten waren sie bereits am Ibis-Hotel, wo Herr Müller sein Zimmer bezog. Artur sagte ihm, dass er und seine Freundin ihn in etwa zwei Stunden zu einer Besichtigungstour abholen würden. Gegen Spätnachmittag traf sich die kleine Gruppe zur Sightseeingtour. Herr Müller war sofort in eine angeregte Konversation mit Monika, Arturs Freundin, vertieft. Sie sprachen deutsch und planten bereits Monikas Ferienjob in Hamburg im Sommer. Das Auto, das nun Artur fuhr, stoppte vor dem Géant-Supermarkt, wo Frau Wiereszczynska, die vorher per Handy verständigt worden war, bereits mit vielen Taschen voller französischer Delikatessen wartete. Es gab alle möglichen Käse- und Weinsorten zu einem guten Preis und 50 Prozent Ermäßigung für die Angestellten. Frau Wiereszczynska erzählte noch mehr Geschichten, halb englisch, halb polnisch. Nachdem sie Monika einen mütterlichen Kuss gegeben hatte, erklärte sie ihr, was wer wie für das Abendessen vorzubereiten habe. Außerdem rief sie © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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zu Hause an und sprach mit einer anderen Frau über die Vorbereitungen. Dann erklärte sie Herrn Müller: »Sehen Sie, jetzt gehen wir nach Hause, wo meine Mutter für das Abendessen verantwortlich ist. Sie kocht seit den späten Morgenstunden und wir liefern jetzt noch die nötigen Zutaten. Monika hilft uns, sie ist wie unsere eigene Tochter. Jetzt müssen wir nur noch Piotr an seiner Schule abholen.« Daraufhin rief sie ihren Mann an: »Piotruniu (die Verniedlichungsform von Piotr), bist du fertig mit deinen Studenten? Es reicht für heute, wir sind in fünf Minuten bei dir, pack deine Sachen!« Viele junge Leute verließen das Hochschulgebäude in kleinen Gruppen. Artur ging hinein, um seinen Vater von der Arbeit wegzuziehen. Wenige Minuten später kamen sie hinunter. Herr Wiereszczynski war von einer Gruppe von Jugendlichen umringt, die immer noch mit ihm über verschiedene wichtige Themen diskutierten und ihn offensichtlich nicht gehen lassen wollten. Schließlich setzte er sich erschöpft ins Auto. Nebenbei fragte Herr Wiereszczynski Herrn Müller, wie sein Tag gewesen sei, hörte jedoch die Antwort auf Deutsch nicht an, sondern beschwerte sich über seinen eigenen harten Arbeitstag. Eine halbe Stunde später hatten sie das neue Wohnhaus erreicht, in dem die Familie Wiereszczynski eine eigene 90 qm große Wohnung besaß, worauf sie stolz waren; sie betonten immer wieder den Unterschied zu den alten, schäbigen Sozialistenwohnungen, den »Ameisenhäusern«. Die Großmutter, eine würdevolle Dame, öffnete die Tür. Im Wohnzimmer war der Tisch für das Abendessen gedeckt. Drei Frauen über drei Generationen hinweg zogen sich in die Küche zurück. Artur holte auf Befehl seines Vaters hin Getränke und gehorchte seinem Gebot, selbst nichts zu trinken, da er Herrn Müller später zurück ins Hotel bringen müsse. »Sie haben eine schöne Wohnung!«, lobte Herr Müller, »Offensichtlich sehr komfortabel für Sie und Ihre Frau.« »Naja, nicht nur für uns zwei. Artur, unser Sohn, ist Student und lebt auch bei uns. Meine Schwiegermutter hat zwar ein eigenes Zimmer, aber verbringt eigentlich die meiste Zeit hier bei uns. Da wir sehr viel außer Haus sind, fungiert sie als Managerin im Haushalt und bleibt oft über Nacht. Ich sehe sie fast täglich. Aber jetzt – Prost! Auf Ihre Gesundheit und Ihren Besuch!«, sagte Herr Wiereszczynski und hob das Glas. Gegen 20.00 Uhr saßen alle am Tisch, als das Telefon klingelte. Herr Wiereszczynski entschuldigte sich und ging ans Telefon im anderen Zimmer. Es ging um Herrn Müllers Vortrag am nächsten Tag, denn dieser musste von 10 Uhr auf 12 Uhr verschoben werden, da die Konferenzhalle für eine andere unerwartete, jedoch dringende Besprechung gebraucht wurde. Herr Wiereszczynski argumentierte lange Zeit am Telefon, bis seine Frau ihm befahl,©das Telefonat zu beenden und an den Tisch zurückzukeh2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ren. Das Essen war sehr gut und reichhaltig. Zuerst wurden kalte Salate und Fleisch serviert mit Hering und Pickles. Es gab Wodka, mit dem man auf »Gesundheit« und »Freundschaft« anstieß. Anschließend aßen sie eine Rote-Beete-Suppe mit Croissants. Der nächste Gang war die Spezialität der Großmutter: gefüllte Ente mit Früchten und verschiedenem Gemüse. Der rote Bordeaux-Wein, den Danuta stolz vom Géant-Supermarkt mitgebracht hatte, wurde ausgeschenkt. Bis zum Ende des Abendessens waren einige weitere Freunde dazu gestoßen. Mit ihnen zusammen aßen sie den Nachtisch. Frau Wiereszczynska erklärte, dass das Familiennetz sehr eng gestrickt sei und sie es bevorzugten, zu Hause mit Freunden zu essen, statt in Restaurants zu gehen: »Zu Hause ist alles viel besser als in Restaurants. Das kann man einfach nicht vergleichen.« Als Nachtisch gab es Käse- und Walnusskuchen mit Kaffee und Likör. Es war wirklich ein sehr gutes und reichhaltiges Essen. Bald kam eine Diskussion über den Eintritt Polens in die EU in Gang. Obwohl Herr Müller zunächst freundlich nach seiner Meinung gefragt wurde, wurde er später außen vor gelassen und die Polen begannen, unter sich zu diskutieren. Er konnte den Argumenten zwar nicht folgen, aber die Diskussion war zweifelsohne sehr emotional, denn alle wollten gleichzeitig reden und hoben ihre Stimmen, um verstanden zu werden. Gegen 22 Uhr machte Herr Müller darauf aufmerksam, dass er am nächsten Tag arbeiten müsse und sein Vortrag schon sehr früh stattfinden würde. Er sagte, es sei Zeit für ihn, zurück ins Hotel zu gehen. Das war das erste Mal, dass er von Herrn Wiereszczynski etwas über die Zeitverschiebung hörte: »Bitte, Bernd, mach dir keine Sorgen«, sagte er, nachdem sie sich das »Du« angeboten hatten, »dieses Telefonat, das ich vorhin hatte, war nur eine geringfügige Änderung unserer Pläne. Deine Präsentation wird um 12 Uhr sein, also können wir heute Nacht länger feiern und du kannst morgen länger schlafen.« Also, feierten sie fröhlich weiter, bis Herr Müller gegen Mitternacht ins Hotel zurückgefahren wurde.

Eine psychologische Analyse zentraler Kulturstandards Die geschilderte Geschichte enthält zahlreiche Skripts, die aus der Perspektive eines Fremden als kritisch betrachtet werden können. Ich möchte mich auf die folgenden zwei Klassen konzentrieren: Geringe Unsicherheitsvermeidung oder spontane, improvisierte Organisation individueller Handlungen und von Gruppenaktivitäten sowie Humanismus oder enge, herzliche persönliche Beziehungen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Geringe Unsicherheitsvermeidung beim individuellen Handeln und bei der Vorhersagbarkeit zukünftiger Ergebnisse Kultur wird manchmal definiert im Sinne einer Einschränkung der Vielfalt psychologischer Handlungsmöglichkeiten (Poortinga 1992). Kulturen unterscheiden sich jedoch auch darin, wie eng oder locker diese Einschränkungen sind und wie bindend sie für die jeweiligen Individuen sind (Triandis 1994, 1995). In diesem Kontext ist auf Hofstede (1980/2001) zu verweisen, denn eine seiner »5 großen« Kulturdimensionen betrifft die Ausprägung von Unsicherheitsvermeidung (UA, Uncertainty Avoidance). Für Arbeitsorganisationen basiert der UA-Index auf (1) dem Respekt der Angestellten gegenüber Unternehmensleitlinien, (2) der Langzeitverpflichtung gegenüber dem momentanen Arbeitgeber und (3) dem empfundenen Stress bei der Arbeit. Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass dieses Konzept damit zusammenhängt, wie die jeweiligen momentanen Ereignisse kognitiv strukturiert werden und wie die Zukunft maximal voraussagbar gemacht werden kann. Kulturen unterscheiden sich auch darin, wie viele Anstrengungen unternommen werden, Unsicherheit durch Aufstellen und Formulieren von Regeln, Gesetzen und Ordnungen zu reduzieren. Obwohl Deutschland in Hofstedes Skala einen Mittelwert einnimmt, zählt Hofstede selbst viele Beispiele für die deutsche Neigung zur Ordnungsliebe auf. Ausdrücke wie »Befehl ist Befehl« oder »Ordnung muss sein« sind international sehr wohl bekannt. Wie die Fallgeschichte demonstriert, bietet Polen im Vergleich zu Deutschland ein ganz anderes Bild. Das Leben wird als viel zu variabel, vielgesichtig und unkontrollierbar betrachtet, als dass es durch rigorose Regeln und Restriktionen erfasst werden könnte. Anstatt einer gut funktionierenden Designermaschine – die für die deutsche Kultur steht – kann man in Polen eher von einem spontanen, frei fließenden Lebensstrom sprechen. Diese zwei kulturellen Realitäten sind in den Abbildungen 1 und 2 schematisch dargestellt. Nach Abbildung 1 ist die Diagnose der Leistungsqualität und ihrer Determinanten eher intuitiv als tiefschürfend. Bestrebungen, Wünsche und Träume, die daraus folgen, sind nicht sehr realitätsorientiert. Ressourcen, die sehr begrenzt sein können, beeinflussen die Zielplanung nicht, genauso wenig wie kulturelle Handlungsbedingungen: zum Beispiel Gesetze und Regulationen. Sie werden eher als Hindernisse angesehen, die man umgehen sollte, anstatt sie als »benutzerfreundliche« Faktoren zu organisieren. Aus diesen Gründen findet Planen in großen Dimensionen statt, ohne sehr auf Details zu achten. (Die Pfeile zur Zielbestimmung gehen an den zwei Blöcken vorbei.) Auf dem Zielniveau wird ein großes Spektrum an Endresultaten als zufrieden stellend betrachtet (weite Ziellinie in Abb. 1), was bedeutet, dass das Ziel weit entfernt ist von einer präzisen, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Kulturunterschiede: Ergebnisse der Kulturstandardforschung

E Bestrebungen Ideen

vage aktuelle Diagnose

begrenzte Ressourcen und Aufwendungen

r Z

g

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e

e Wünsche

Träume

wenige Beschränkungen: Gesetze, Regeln, Vorschriften

b

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gegenwärtige Betrachtung

kultureller Kontext für Handeln und Planung

Zukunftsvorhersagbarkeit

Abbildung 1: Polen oder eine wenig kontrollierbare, vorhersagbare Kultur

E Bestrebungen Ideen

präzise aktuelle Diagnose

große Ressourcen und Aufwendungen

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Träume

große Beschränkungen: Gesetze, Regeln, Vorschriften

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gegenwärtige Betrachtung

kultureller Kontext für Handeln und Planung

Zukunftsvorhersagbarkeit

Abbildung 2: Deutschland oder eine gut kontrollierbare, vorhersagbare Kultur

gut ausgewogenen Definition. Der Pfad, um dieses Ziel zu erreichen, ist auch sehr verworren, so dass viele unvorhergesehene Ereignisse jederzeit eintreten können. Diese verlangen dann Notmaßnahmen, spontane Interventionen und zusätzlichen Aufwand, bevor man das Ziel erreicht. Das endgültige Ziel könnte sogar in ein sehr viel größeres Spektrum fallen als ursprünglich geplant (vergleiche die Länge der Linien). Abbildung 2 zeigt ein ganz anderes Bild. Sie basiert zum Teil auf den Überlegungen in Thomas (2000) über deutsche Kulturstandards. Das Flussdiagramm beginnt mit einer präzisen Betrachtung der aktuellen Situation als Sprungbrett für Planungsaktivitäten. Ideen, Wünsche und Bestrebungen werden mit den wohl definierten Ressourcen und Handlungseinschränkungen konfrontiert. Jede Zielplanung orientiert sich an den Barrieren »Ressourcen« und »Beschränkungen«. Konsequenterweise ist das Spektrum der Zielsetzung minimiert bis auf gut definierte, zufrieden stellende Ziele. Wäh© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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rend der Phase der Projektausarbeitung sorgen strenge Kontrollen dafür, dass die Ergebnisse nicht verzerrt werden und nicht verloren gehen. Mit Hilfe dieser zwei Diagramme sollte es möglich sein, das Dilemma von Herrn Müller am ersten Tag seines Polenaufenthalts nachzuvollziehen. Pläne und Aktionen der Gastfamilie und sein eigenes Schicksal waren in ständigem Wechsel und Fluss. Alles wurde immer wieder besprochen und neu diskutiert, immer in der Unsicherheit, wann die nächste Änderung eintritt. So wird verständlich, warum die polnischen Konzepte zu Arbeitszeit, Arbeitsplätze, soziale Rollenverteilung, Verkehrsregeln Herrn Müller so fremd erschienen. Es mag überraschend sein, dass in diesem Stadium spontaner Improvisation »die Dinge trotzdem irgendwie laufen«. Um dieses Phänomen aufzuklären, ist es wichtig, das andere zentrale Konzept der polnischen Kultur, den Humanismus, mit zu berücksichtigen.

Humanismus oder enge, herzliche, persönliche Beziehungen Die Diskussion über Individualismus und Kollektivismus ist nicht wertfrei zu führen. Für diejenigen, die dem Individualismus positiv gegenüberstehen, ist es eine Lebensart, die mit Frieden, Selbstverantwortung, Selbstkontrolle, aktivem Handeln und Fortschritt in allen Bereichen einhergeht. Die Kritiker lehnen diese Werte zwar nicht ab, unterstreichen aber die Bedeutung von Egoismus und die Zerstörung des sozialen Netzes, Verringerung sozialer Verantwortung – alles Eigenschaften, die mit dem Individualismus einhergehen können. Es ist aber möglich, zwischen den beiden Achsen zu differenzieren, die in dem Konzept des Individualismus begründet sind und zu endlosen, ergebnislosen Diskussionen führen: – Handeln und Selbstbestimmung vs. Unterwerfung sowie – Selbstinteresse vs. soziales Interesse. Bei der Unterscheidung von Ich oder die anderen gibt es einen konzeptuellen Freiraum, in dem unterschiedliche mentale Typen feststellbar sind. Dieser neue theoretische Rahmen wird in Abbildung 3 zusammengefasst. Handlung; Zielrichtung

Interesse, Orientierung

Ich als Subjekt

Ich als Objekt

Sozial

Humanismus

Kollektivismus

Selbst

Individualismus

Entfremdung

Abbildung 3: Eine Aufstellung der Werteorientierungen: Humanismus und seine Alternativen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Abbildung 3 verdeutlicht, dass der Humanismus einige Elemente mit dem Kollektivismus und einige mit dem Individualismus gemeinsam hat: mit dem ersteren die soziale Einbettung der Werteorientierung, mit dem letzteren die Selbstkontrolle in Richtung Zielerreichung. Der Autor hat dazu eine große Anzahl empirischer Arbeiten durchgeführt (Boski 1999, 2002), aus denen die folgenden Schlussfolgerungen gezogen werden können. 1. Mit Hilfe von Skalierungsverfahren lässt sich die Dimension psychometrischer Qualität bestimmen. Diese Skala stellt folgende persönliche Beziehungen her: Humanismus • Anbieten selbstloser Sympathie und Unterstützung, • Sorge für lebenslange Freundschaften. Materialismus • Profit und eigener Vorteil stehen im Vordergrund. • Das Ideal ist der erfolgreiche Geschäftsmann. 2. Das Herz des Humanismus besteht darin, tiefe, intime und informelle Beziehungen zwischen Personen zu entwickeln. Das Ideal ist der Familienfreund, was bedeutet, »Tante«, »Onkel«, »Schwiegereltern« oder »Brüder« genannt zu werden, was aber keine Blutsverwandtschaft beinhaltet. 3. Der Kern des Humanismuskonzepts besteht jedoch darin, dass die Familie um die Kinder zentriert ist, dass diese bei den Eltern wohnen und die Eltern sie als junge Erwachsene unterstützen. Frauen wird dabei höchster Respekt entgegengebracht. 4. Verständnis für die Schwächen und Fehler anderer; Erbarmen, Nachsicht, Vergebung und ein Herz für diejenigen, die nicht den Standard anderer erreichen. Dazu gehört Feminismus als weiterer Aspekt des Humanismus. 5. Der Humanismus-Aspekt weist große Unterschiede zwischen Polen und Nordamerika im kulturellen Ausprägungsniveau auf. Die polnische Kultur bewegt sich eher auf der humanistischen Seite, die nordamerikanische eher auf der materialistischen Seite. Die Differenzen wurden auf der persönlichen Ebene aber nicht signifikant. 6. Die Untersuchungsergebnisse zeigten zudem deutlich, dass Humanismus konzeptuell und empirisch von Messungen der Kollektivismus-Individualismus-Dimension zu unterscheiden ist. In der polnischen Gesellschaft wurden die höchsten Werte auf der Humanismus-Skala bei Lehrern und lokalen Kommunalpolitikern erreicht, die geringsten bei Bankangestellten. 7. Humanismus ist ein positiver Indikator für die politische Demokratie in Polen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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8. Während der Jahre politischer Umstrukturierung in Polen weist der Humanismus eine große Stabilität bei selbstbezogenen Werten und positiv beurteilten polnischen Charakteristiken auf, wohingegen Materialismus, in Polen mittlerweile weit verbreitet, als negatives polnisches Charakteristikum gilt. 9. Humanismus wird als ein in der polnischen Kultur zentral verwurzelter Kulturstandard angesehen und korreliert stark mit patriotischen Verpflichtungen. Die meisten Polen sind davon überzeugt, dass dies nach dem Eintritt in die EU beibehalten werden sollte. 10. Humanismus fördert das Bewusstsein für den Wert der eigenen Kultur und anderer Kulturen, während Materialismus jede Kultur zerstört. In dem Beispielfall des Herrn Müller sind viele Elemente des oben beschriebenen Humanismus erkennbar. Die Ankunft eines (ausländischen) Gastes ist eine Angelegenheit der gesamten Gastfamilie und nicht nur der einladenden Institution. Die Familienmitglieder kümmern sich um die Belange des Gastes und vor allem wird er zum Abendessen eingeladen, wodurch er auf seine Weise zu einem Freund der Familie wird, also jemand, der in familiäre Angelegenheiten einbezogen wird; zum Beispiel beginnt Wiereszczynskis Schwiegertochter sofort, Pläne für einen Sommeraufenthalt in Deutschland zu diskutieren. Es ist nicht einfach zu entscheiden, welcher Aspekt der polnischen Kultur Vorrang hat: geringe Unsicherheitsvermeidung verbunden mit improvisierter Organisation oder Humanismus und enge persönliche Beziehungen. Letzteres hilft zweifelsohne enorm, in jeder Beziehung erfolgreich zu sein. Humanismus im hier diskutierten Sinn ist die Grundlage sozialen Handelns und zugleich die letzte Rettung, um einen Fehler zu bereinigen. Das hat so oft funktioniert und wurde von Millionen von Polen immer und immer wieder praktiziert. Man kann feststellen, dass die Grenze zwischen Humanismus und einer Art polnischem Beziehungsnetzwerk und dessen Nutzung zum persönlichen Vorteil (Korruption) fließend ist. Die Ambivalenz zwischen den Tugenden des Humanismus auf der einen Seite und der Korruption auf der anderen wird als Charaktereigenschaft der polnischen Mentalität aufgefasst. Negative Aspekte interpersonaler Beziehungen, gekennzeichnet durch Gesetzlosigkeit, Unverantwortlichkeit und Anarchie grenzenloser Freiheit, wurden als gesonderte Dimension identifiziert und als Sarmatismus bezeichnet (Boski 2002).

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Polnische Kulturstandards aus historischer Sicht (Boski 1994) Katholizismus Mehrere Sozialwissenschaftler zweifeln nicht daran, dass der jeweilige Typ der dominanten Religion und der Religiosität enorme Auswirkungen auf die verschiedenen Bereiche des Alltagslebens hat. Zwei dieser Effekte werden nun näher betrachtet: Identität zum einen und sozioökonomische Werte (Mentalität) zum anderen. Katholizismus und polnische Identität. Das Land hat den Spitznamen »Bollwerk des Christentums«, was aus der geographischen Lage Polens als westlicher Grenzstaat zur islamischen Welt der Türkei und zum orthodoxen Russland resultiert. Genauer gesagt, ist die Gleichung »polnisch gleich katholisch« zum starken Identitätssymbol geworden. In diesem Zusammenhang entwickelte sich der polnische Katholizismus im Kontrast zum lutheranen Russland und Schweden. Das »Bollwerk« muss jedoch eher als defensive Barrikade denn als Kreuzfahrer-Fort verstanden werden. Es war mehr ein Schutz zum Widerstand gegen Eindringlinge und Eroberer als eine Macht, um einen Religionskrieg zu führen (von dem das Land im Grunde verschont blieb). Zu den Zeiten, in denen Polen durch Fremde regiert und geteilt wurde, spielte die katholische Kirche eine wichtige Rolle beim Erhalt einer nationalen Identität. Seit Jahrhunderten ist der Kult um die Jungfrau Maria als Königin von Polen ein wichtiges Merkmal polnischen Katholizismus. Sie war eine Göttin, das Bild einer feinfühligen, geduldigen, beschützenden Mutter. Sie hielt das Land als Ganzes in ihren Händen und jeden seiner Bewohner. Daher ist Weiblichkeit eine wichtige psychologische Dimension im polnischen Katholizismus. Katholizismus und (un-)wirtschaftliches Denken. Das beste Beispiel für den Kausalzusammenhang zwischen Religion und wirtschaftlicher Aktivität stellt Webers Theorie dar, die den Aufschwung des Kapitalismus mit protestantischer Ethik verbindet, vor allem mit der strengen calvinistischen Version (Weber 1958). Diese Theorie wurde später von McClelland (1961) weiterentwickelt. Seine Ergebnisse zeigen, dass die Leistungsmotivation die psychologische Verbindung zwischen der protestantischen Kultur und wirtschaftlichem Wachstum darstellt. Demnach fördert die Sozialisation in einer protestantischen Kultur im Gegensatz zur katholischen bei der jungen Generation ein höheres Niveau an Leistungserbringung und bereitet © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sie psychologisch so darauf vor, unternehmerische Initiativen zu aktivieren. Die katholische Doktrin war dieser Art des Unternehmertums auf ethischer Grundlage genau entgegengesetzt. Nach den heiligen Schriften des Thomas von Aquin war das Interesse an Krediten und – allgemein gesagt – an Profitorientierung nicht mit dem Christentum vereinbar beziehungsweise einfach sinnlos. Menschliche Gier, die Lust auf Geld und profitable Aktivitäten, alle diese psychologischen Voraussetzungen des frühen Kapitalismus und der modernen Marktwirtschaft, waren den Lehren des römischen Katholizismus wesensfremd, einschließlich der jüngsten Enzykliken von Johannes Paul II. In Polen wurden diesbezüglich noch strengere Maßstäbe angelegt, indem jegliche wirtschaftlichen Aktivitäten in den Bereich außerhalb des Nationalreligiösen verlagert wurden. Was aber beispielsweise für einen adeligen polnischen Katholiken inakzeptabel war, war gerade gut für einen Juden. Die Regeln der kapitalistischen Wirtschaft hielten so keinen Einzug in das Denken der Polen. Konzepte wie Profit, Kredite, Zinsen, Bankwesen blieben ihnen fremd und sie respektierten sie auch nicht. Aktivitäten dieser Art hätten zu moral-religiösen Sanktionen oder sogar Bestrafungen führen können. Ein ehrenwerter Bürger hätte einem Adeligen keinerlei Kredit abverlangen oder Zinsen gewähren können, geschweige denn mit ihm in irgendwelche Geschäftsunternehmungen verwickelt sein können. Wenn die protestantische Kultur psychologisch zu Leistungsorientierung und Individualismus führt, was könnten dann die psychologischen Konsequenzen des Katholizismus sein? Weiter oben wurden bereits Hypothesen zur Femininität (Mutter-Orientierung) der polnischen Kultur diskutiert. Außerdem muss man die offizielle Lehre der katholischen Kirche bedenken sowie die Häufigkeit der Verwendung des Begriffs Humanismus und dazugehöriger Begriffe wie menschliches Gesicht, menschliche Würde, menschliche Rechte und auch deren Gegenteil wie Unmenschlichkeit. Dann kann man den Humanismus als einen Faktor der Dimension »Mentalität des Herzens« verstehen.

Adel und Bauern oder Bodenkultivierung in dörflichen Gemeinschaften Bis spät in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein bestand die polnische Gesellschaft überwiegend aus zwei Schichten: Adel oder »freie Bürger« und untergebene Bauern. Obwohl Erstere Freiheiten und Privilegien genossen, während Letztere ihren Landbesitzern »gehörten« (glebe ascripti), waren sich beide©Klassen paradoxerweise in manchen wichtigen Charakte2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ristiken des sozioökonomischen Lebens sehr ähnlich. Sie waren verwurzelt in der Welt der Landarbeit und in katholischen Bräuchen. Typische Aktivitäten des Stadtbewohners, wie Handel und Handwerk, waren ihnen fremd. Jahrhundertelang waren der Handel mit Getreide und anderen Landesprodukten vor allem unter jüdischer Kontrolle, während Handwerk und das Herstellen neuer Ware vor allem von Polen deutscher Herkunft betrieben wurde. Stadtbewohnern und Juden waren politische Rechte vorenthalten und sie wurden als Bürger zweiter Klasse angesehen. Diese zentralen Elemente traditioneller Strukturen waren bis zum Zweiten Weltkrieg lebendig. Polen blieb ein überwiegend ländliches Gebiet mit kleinen Höfen und großen adeligen Ländereien. Jüdische und deutsche Minoritäten lebten in ihren Enklaven privater industrieller und kommerzieller Unternehmen. Es mangelte der polnischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts an großen Städten mit einer polnischen Mittelschicht, um den wirtschaftlichen Aufschwung zu unterstützen. Durch den Zweiten Weltkrieg gingen alle ehemals aktiven Gruppen verloren: Die Juden wurden Opfer des Nationalsozialismus und Deutsche mussten das Land als Kriegsverlierer verlassen. So war Polen ein ideales Ziel zur Einführung einer vom Kommunismus diktierten Wirtschaft. Es gab soziale Klassen, die stark mit kapitalistischen Methoden der Landwirtschaft assoziiert waren, aber sonst keine wirtschaftlichen Aktivitäten aufwiesen, verbunden mit einer Lebensart, die bestimmt war von naturalistischen, spirituellen und kommunalen Attitüden.

Nationalpolitische Angelegenheiten: Zwischen interner Anarchie und externer Aggression Während der letzten 300 Jahre diente Polen als Schaubühne zahlreicher fremder Aggressionen, interner Aufstände, heroischer Niederlagen und nur weniger Triumphe. Historiker diskutieren darüber, welchen Anteil interne gegenüber externen Ursachen einnehmen. Individuelle Freiheiten wurden in einer anarchistischen Art missbraucht, so dass das Land zu einer leichten Beute für starke ausländische Nachbarn wurde. Eine teilweise Besetzung gelang im späten 18. Jahrhundert. Nach einer kurzen Periode von 20 Jahren der Unabhängigkeit, folgte 1939 die nächste Besetzung. Der Verlust der Unabhängigkeit war zu jeder Zeit Anlass dafür, patriotische Gefühle wieder zu erwecken und damit die Solidarität zum Widerstand. In Polen fanden eine Unzahl von Aufständen statt, die meisten wurden niedergeschlagen und die Strafen für die Opfer waren hoch. Der heroische Kampf wurde in der nationalen Literatur, der Poesie, in Kunstwerken und in der Musik geehrt. Die nächsten Generatio© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nen hielten diesen Kampfgeist aufrecht, um gegen die Ungerechtigkeit weiter zu kämpfen. Anarchie während der Zeiten der Unabhängigkeit als auch Heldentum während der Fremdherrschaften hatten ähnliche psychologische Grundlagen, nämlich eine niedrige Stufe an Realitätstestung und pragmatischem Kosten-Nutzen-Vergleich. Während die Anarchie als extremer Egozentrismus interpretiert werden kann, bedeutet Heldentum ein selbstloses Opfer. Während das Erstere das hedonistische Prinzip beschreibt, ist das Letztere Ausdruck eines moralischen Prinzips. Anarchie war durch das übergeordnete Ziel individueller Freiheit gerechtfertigt, und für die Ehre sein Leben zu lassen war eine moralische Pflicht. Doch in beiden Fällen zählte eher die Handlung und weniger das Ergebnis.

Fazit Basierend auf den obigen historischen Analysen werden im Folgenden einige psychologische Konsequenzen aufgelistet, die die polnische Mentalität bis heute charakterisieren: – Enge persönliche Beziehungen. Dies ist die Konsequenz schlecht entwickelter und ineffizienter formaler Prozeduren im sozialen Alltagsleben. Das individuelle »Überleben« hängt von einem soliden Netzwerk von guten Freunden ab. – Geringe Nutzenorientierung, Mangel an pragmatischer Herangehensweise bei Problemstellungen und gering ausgeprägtes Wirtschaftsdenken. Der Katholizismus und die Zentrierung auf die Landwirtschaft als Lebensgrundlage verhindern die Entwicklung marktwirtschaftlicher Mentalität und Kompetenz. – Romantische Orientierung in nationalpolitischen Angelegenheiten. Das Überbleibsel einer jahrhundertelangen Geschichte und unveränderter Prinzipien wie »Kämpfe um des gerechten Grundes wegen, mag der Kampf ausgehen, wie er wolle«, »Messe deine Kräfte im Kampf«. – Wenig Bedeutung legaler Prozeduren, wenig Vertrauen in staatliche Autoritäten. Die Erbschaft anarchischer Tendenzen einerseits und des Umgangs mit Gesetzen, die als Unterdrückungsinstrumente zur Durchsetzung der Interessen fremder, von außen eindringender Mächte dienten. – Gering ausgeprägte Effizienzorientierung und Kosten-Nutzen-Vergleiche. Arbeit wird entweder als eine Mischung aus extrinsisch verstärkter Pflicht und Ritual (Ackerbau der Bauern) oder als intrinsisch motivierte Verpflichtung gegenüber der Vergangenheit (gebildete Schicht, »intelligentsia«) angesehen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Ausgeprägte Femininität. Es ist die Konsequenz des einzigartigen Kults und gottesdienstähnlicher Praktiken für die Jungfrau Maria als Königin von Polen. Hierunter fallen auch Normen der Ritterlichkeit und der Höflichkeit gegenüber Frauen. Auf der anderen Seite wurden die für Männer gültigen Normen von Mut und Heldentum ausgebildet. In der Analyse des Beispielfalls wurden diese sechs kulturspezifischen Aspekte zu zwei zentralen Standards zusammengefasst: geringe Unsicherheitsvermeidung, gesehen als improvisierte soziale Organisation, und Humanismus als herzliche, spontane menschliche Beziehung. Sie liefern das Rohmaterial für Trainingsmaßnahmen zur Entwicklung einer interkulturellen Kompetenz bei Ausländern, die Polen verstehen wollen und mit ihnen zusammenleben möchten, mit ihnen Geschäfte machen und als Gast im Land willkommen sein möchten.

Literatur Boski, P. (1994): Psychological analysis of a culture: Stability of core values among Poles in the motherland and Polish immigrants. In: Boski, P.; BaAka, A. (Hg.), Polish Psychological Bulletin, 4. Boski, P. (1999): Humanizm w kulturze i mentalno?ci Polaków (in Polish). In: Wojciszke, B.; Jarymowicz, M. (Hg.), Rozumienie zjawisk spoBecznych. Warszawa, S. 78–119. Boski, P. (2002): Humanism-materialism: Polish cultural origins and cross-cultural comparisons. In: Kim, U.; Yang, K.-S.; Hwang, K. K. (Hg.), Scientific Advances in Indigenous Psychologies. Newbury Park, CA. Hofstede, G. (1980): Culture’s Consequences. 2. Auflage. Newbury Park, CA, 2001. Hofstede, G. (1991): Culture and Organizations. London. McClelland, D. C. (1961): The Achieving Society. Princeton. Poortinga, Y. H. (1992): Towards a conceptualization of culture for psychology. In: Iwawaki, S.; Kashima, Y.; Leung, K. (Hg.), Innovations in Cross-Cultural Psychology. Amsterdam, S. 3–17. Thomas, A. (2000): Forschungen zur Handlungswirksamkeit von Kulturstandards. Handlung, Kultur, Interpretation – Zeitschrift für Sozial- und Kulturwissenschaften 9(2): 231–279. Triandis, H. C. (1994): Culture and Social Behavior. New York. Triandis, H. C. (1995): Individualism and Collectivism. Greeley. Weber, M. (1958): The Protestant Ethic and the Spirit of Capitalism. New York.

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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EmilySlate/SylviaSchroll-Machl:USA

3. Amerika

Emily Slate/Sylvia Schroll-Machl

3.1 Nordamerika: USA

Fallgeschichte Ein deutscher Mitarbeiter einer amerikanischen Firma berichtet: Unser neuer Chef vom Stammhaus in Los Angeles ist erst ein paar Wochen hier. Robert Harley oder einfach Bob, wie er sich gern nennt, ist wie ein Ami aus dem Fernsehen. Breit grinsend, immer guter Laune, immer einen Scherz auf den Lippen. Natürlich kann er kein Deutsch. Er fing schon wie eine Energiekanone an. Er hat gleich nach seiner Ankunft eine Besprechung der ganzen Abteilung anberaumt – er konnte zu dem Zeitpunkt unmöglich seinen Jetlag überwunden gehabt haben. Trotzdem hielt er eine meisterhafte Präsentation. Es war ganz glatt: perfekte Folien, mit der modernsten Technik, allem Schnickschnack! Er war voller Witz, amerikanisches Entertainment pur. Natürlich blieb bei dieser Art Präsentation vieles unbeantwortet, aber eines kam klar herüber: Das Management des amerikanischen Headquarters war mit unseren Geschäftsergebnissen des letzten Jahres nicht zufrieden. Die Forschungs- und Entwicklungszeit für unsere Produkte soll drastisch gekürzt werden, Hauptsache, alles kommt sofort auf den Markt. Bob sprach immer wieder von einem »window of opportunity« und betonte, wie schnell sich dieses Fenster schließt. Die deutschen Kollegen und ich waren recht skeptisch. Bei einer verkürzten Entwicklungszeit können wir nicht hundertprozentig Qualität gewährleisten. Bob ist selbst kein Ingenieur, wahrscheinlich hat er keine Ahnung von Forschungsprozessen. Er ist der absolute Geschäftsmann, hat glänzende Visionen von zukünftigen Marktanteilen, aber er scheint nicht zu wissen, worauf es bei Technik ankommt. Kurz danach bat er mich um ein Gespräch. Freundlich lächelnd wie immer fragte er mich, was ich von seiner Vision halte. Ich bestätigte ihm, dass © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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es wunderbar wäre, wenn wir größere Marktanteile gewinnen könnten, aber dann betonte ich, dass wir auf keinen Fall eine niedrigere Qualität anbieten könnten. Schließlich sind wir für Qualität bekannt, und wie können wir Kunden dazugewinnen, wenn wir diese einbüßen? Bob ist nicht darauf eingegangen, stattdessen redete er begeistert davon, dass unsere Kunden »new features« haben wollen, und hat dann selbst welche für unsere Telefonanlagen der nächsten Generation vorgeschlagen. Ich habe ihm versichert, dass das gute Ideen seien, aber so etwas könne man nicht über Nacht aus dem Ärmel schütteln. Als er wieder nicht auf meine Aussage eingegangen ist, habe ich angefangen, ihm näher zu erklären, wie Forschungsprozesse aussehen, welche Abläufe man nicht verkürzen kann. Jetzt wurde er unkonzentriert. Ich hielt das aber für notwendig, damit er sich ein realistisches Bild machen konnte. Dabei merkte ich, dass er ungeduldig wurde. Kurz darauf hat er das Gespräch abgebrochen. Ich möchte nicht, dass deswegen zwischen uns ein schlechtes Verhältnis aufgebaut wird. Ich kann nur hoffen, dass er bald Rücksprache mit den Ingenieuren in dem amerikanischen Stammhaus nehmen wird – sie werden ihm sicherlich das bestätigen, was ich ihm erklärt habe.

Kulturstandards Zur Charakteristik der »amerikanischen Mentalität« existiert eine Fülle an Literatur (Althen 1988; Funke 1989; Hall u. Hall 1989; Hammond u. Morrison 1996; Inkeles 1983; Lanier 1996; Müller u. Thomas 1991; SchrollMachl 2000, 2001; Slate 2001; Spindler u. Spindler 1983; Stewart u. Bennett 1991; Zeutschel 1999). Eine Zusammenstellung der zentralen Charakteristika ergibt folgende Liste handlungswirksamer amerikanischer Kulturstandards:

Gleichheitsdenken Amerikaner sind von der Idee der Chancengleichheit und der damit verbundenen Möglichkeit zu Aufstieg und Karriere überzeugt: Harte Arbeit bringt Erfolg. Daran glauben sie, so handeln sie. Viele Antidiskriminierungsgesetze sorgen für gleiche Startmöglichkeiten und stellen eine wesentliche Basis amerikanischen Arbeitsrechts dar. Im Sozialverhalten äußert sich das Gleichheitsdenken so: © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Horizontale Beziehungen sind erwünscht. – Der soziale Status ist für die Interaktionsformen zwischen Personen nicht bestimmend, sondern man bemüht sich um eine gleichgestellte Beziehung. – Autoritäres, bevormundendes, herablassendes Verhalten wird abgelehnt ebenso wie die Unterwerfung unter Autoritäten. – Überzeugen statt Macht oder Zwang ist die Devise und so versuchen Manager durch »visions« und »mission statements« zu begeistern. – Anordnungen und Befehle gelten als unhöflich, stattdessen werden indirektere Redensarten benutzt (»Do you think you could get that report ready by Friday?«). – Informelles Verhalten in vielen Situationen gilt als einer von Gleichheit geprägten Atmosphäre angemessen. – Das Service-Verhalten spiegelt die verbreitete Freundlichkeit genauso wider wie das Ernstnehmen der Wünsche des Kunden (statt eine Belehrung).

Handlungsorientierung Amerikaner sind sehr aktive und energievolle Menschen. Man hat eine Menge an Aktivitäten – beruflich und privat. Dabei steht die Beschäftigung mit konkreten und praktischen Dingen mehr im Vordergrund als die mit Ideen, Idealen, abstrakten Fragestellungen. Bei allen Tätigkeiten sind die Ergebnisse, die Effektivität und Effizienz entscheidend. Präsentationen sind daher beispielsweise auf die Herausforderung zum Tun gerichtet. Führung besteht wesentlich darin, Mitarbeitern Ziele zu setzen (auch Teilziele und Zwischenziele) und sie dann anhand ihres Zielerreichungsgrads zu beurteilen. Die individuelle Selbstdefinition erfolgt über die Arbeit und eine der ersten Fragen beim Kennenlernen Unbekannter besteht im Interesse am Beruf des Anderen. Für Produkte ist eine Marktorientierung statt einer Technikorientierung vorherrschend, das heißt, der Fokus ist mehr auf das gerichtet, was das Produkt erfüllen soll, als darauf, dass es in sich gut, technisch qualitativ hochwertig ist. Grundsätzlich gilt: Optimismus und Zukunftsorientierung sind angesagt, der Glaube daran, dass durch Anpacken eine Situation zum Positiven gewendet werden kann. Und nur eine positive Einstellung ist eine gute, nützliche, Erfolg versprechende Haltung. Ein »kritischer« Mensch gilt als ein Nörgler und ©Schwarzmaler und verkörpert schon beinahe den Gegen2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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pol. Amerikaner sind eine Nation der Aktivisten, Instrumentalisten und Pragmatiker.

Gelassenheit (»easy going«) Dabei herrscht in den Aktivitäten keine Planung bis ins letzte Detail vor, wenn eine solche nicht unbedingt wichtig erscheint. So kann es schon vorkommen, dass Amerikaner Produkte auf den Markt bringen, die in deutschen Augen unfertig sind. Während deutsche Konsumenten auch hundertprozent Qualität erwarten, haben Amerikaner diesen Anspruch nicht. Außerdem kann man auch auf Störungen flexibler und gelassener reagieren, da der Handlungsplan nicht sehr detailliert ist. Es ist beispielsweise leicht möglich, Nachbesserungen oder Änderungen bei suboptimaler Zielerreichung vorzunehmen. Tauchen Probleme auf, ist das Augenmerk auf mögliche Lösungswege gerichtet statt auf langes Diskutieren und Problematisieren der Störungsursachen. Generell bevorzugen Amerikaner für Entwicklungen und Problemlösungen aller Art den so genannten Trialand-Error-Approach, das Versuchs-Irrtums-Prinzip. Diese lockerere Herangehensweise erfordert und fördert Spontaneität und Kreativität – beides sind geschätzte Eigenschaften. Man ist risikofreudiger und entscheidungsfreudiger.

Leistungsorientierung Erfolg ist in amerikanischen Augen nicht nur möglich, sondern Leistung ist im Einklang mit der puritanischen Tradition, die die für das Wirtschaftsleben noch immer gültige Mainstream-Kultur weitestgehend begründet hat, geradezu geboten. So wird Wettbewerb ohne Wenn und Aber befürwortet, ist Leistungs- und Wettkampfdenken im Beruf wie im Privat- beziehungsweise Freizeitbereich akzeptiert und bestimmend: Wettbewerb führt zu den besten Ergebnissen, Wettbewerb macht Spaß, Erfolg, Lob und Belohnung geben Selbstvertrauen. Der »Mitarbeiter des Monats«, Bonuszahlungen und so weiter sind dafür genauso beredte Beispiele wie »Kuchenbackwettbewerbe«. Die Gewinner werden nicht beneidet, sondern bewundert, denn ihre Leistung wird anerkannt. Das Verlieren wird abgefedert durch die Überzeugung, dass man aus Fehlern lernt (»nächstes Mal!«) und somit die jetzige Erfahrung nützlich ist (»If you don’t succeed at first, try, try and try again!«). Für die eigene Identität ist die Messung sowie die Bewertung der Leistung und entsprechender Rückmeldungen von allergrößter Bedeutung. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Zum Basiswerkzeug eines Managers gehört es daher, dass er Feedback gibt und dadurch seine Mitarbeiter motiviert – und zwar indem er permanent lobt und den erzielten Erfolg herausstreicht – selbst für die Erfüllung »normaler« Aufgaben, für die jemand eingestellt ist und bezahlt wird. Man konkurriert nicht nur mit anderen, sondern auch mit sich selbst: Die eigenen sportlichen Leistungen gilt es zu verbessern, immer mehr Geld zu verdienen und so weiter. An Amerikanern beobachtetes Statusbedürfnis sowie erreichte Statussymbole sind Ausdruck und Beweis individueller Tüchtigkeit (»vom Tellerwäscher zum Millionär«) und eine Möglichkeit, diese zu quantifizieren und zu messen. Dabei ist die Leistungsfähigkeit stets unter Beweis zu stellen, ein Ausruhen auf Lorbeeren gibt es nicht (»hire and fire«).

Individualismus Selbstverantwortung, Eigeninitiative und Selbstständigkeit werden stark betont und aufs Äußerste geschätzt. Die individuelle, persönliche Identität ist die zentrale Identität eines Amerikaners: Jeder fühlt sich für sein Leben selbst verantwortlich und schiebt die Verantwortung nicht Institutionen oder externalen Faktoren zu, er will seine Probleme selbst lösen, er will in seinen Entscheidungen so weit wie möglich frei und autonom sein. Freiheit meint, sein Glück in die eigenen Hände zu nehmen, für sich, sein Wohlergehen und sein Weiterkommen zu sorgen, sich seine eigenen Ziele zu setzen. Das kommt im Wunsch nach Unabhängigkeit zum Ausdruck und führt zu einer (im Vergleich zu Deutschland) gewissen Unverbindlichkeit und einem geringeren Verpflichtungsgefühl. Die faire Berücksichtigung individueller Meinungen ist eine Forderung bei Meetings und Gruppenentscheidungen: Jeder soll und will sich einbringen. Auch in Teams werden Einzelleistungen betont, erfolgt der Informationsaustausch auf der Basis individueller Verantwortung (Wer braucht von wem was, um sein Ziel erreichen zu können?), und es ist eine geringere Identifizierung mit der Gruppe, aber ein stärkeres Verfolgen der eigenen Interessen zu beobachten. Das Verfolgen des eigenen Interesses wird von den Teammitgliedern keineswegs als negativ empfunden, dagegen würde die Betonung des Teamgeists auf Kosten der individuellen Interessen auf Ablehnung stoßen und als Unterdrückung interpretiert werden. Für eine Firma äußert sich der Individualismus beispielsweise auch in einem häufigeren Jobwechsel. Außerdem gilt grundsätzlich das Nicht-EinmischungsPrinzip in die Angelegenheiten anderer. Im Unterschied zu Deutschland äußert sich der amerikanische Individualismus auch darin, dass sachliche Anliegen mehr mit einer persönlichen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Note unterlegt werden: Präsentationen sprechen die Zuhörer persönlich und emotional an; derjenige, der präsentiert, ist von einer Vision getragen und vermittelt diese. Führungskräfte haben eine Idee vom künftigen Erfolg, die sie engagiert und überzeugt vertreten, zudem können sie individuelle Ziele setzen. Das alles soll im Einklang mit der Handlungsorientierung mitreißend und motivierend wirken, weil es die Mitarbeiter als individuelle Personen anspricht. Individualismus bedeutet nicht, dass man sich nicht um die Belange der Mitmenschen kümmert. Doch die ausgeprägte Hilfsbereitschaft von Amerikanern basiert auf freiwilligem Engagement, auf freier Entscheidung, wo oder wie man sich sozial engagiert. Insofern ist Individualismus klar von Egoismus zu unterscheiden.

Bedürfnis nach sozialer Anerkennung Soziale Rückmeldungen sind für das Selbstbild beziehungsweise die Selbsteinschätzung von hoher Bedeutung. Man gibt sie daher anderen, erwartet aber auch, selbst welche zu bekommen. Das führt zum Bemühen, ein »nice guy« zu sein und Zeichen der Freundschaft zu senden und zu bekommen. Die beteiligten Personen, nicht nur die Sache, haben einen hohen Stellenwert in der Kommunikation. Eine freundliche, höfliche, umeinander bemühte Umgangsweise ist auch im Geschäftsleben üblich. Bei Absagen oder Ablehnungen irgendwelcher Angebote ist ein indirekter, schonungsvoller Kommunikationsstil angesagt. Auf Absagen reagiert man empfindlich, negativen Reaktionen und Stimmungen misst man viel Gewicht bei. So können Zusagen und Versprechungen schon mal der guten Atmosphäre wegen ausgesprochen werden, ohne dass sie als verbindlich verstanden werden. Der Ausdruck von Ärger, Wut, Genervtsein in der Öffentlichkeit ist tabu, man hat sich freundlich und gefasst zu verhalten. Smalltalk ist enorm wichtig, denn hier geht es um die Herstellung einer guten und angenehmen Atmosphäre. Machen Deutsche hier nicht mit, wird das als Desinteresse und Ablehnung der Personen wahrgenommen. Hinsichtlich divergierender Einstellungen und Ansichten sind Amerikaner Konfliktvermeider: Man will zum einen die Stimmung nicht verderben, sondern man will einander mögen und gemocht werden. Zum anderen gilt auf der Sachebene ein Kompromiss als ideal, das heißt sich aus den verschiedenen Perspektiven und Vorschlägen jeweils das Beste zu nehmen und es miteinander zu verbinden. Die amerikanische Auffassung von Höflichkeit heißt: Freundlichkeit, Verbreitung von guter Laune und anderen gegenüber aufmerksam sein. »Korrekte Etikette« jedenfalls meint Höflichkeit nicht. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Erfolgreichsein schließt für Amerikaner den sozialen Erfolg mit ein. Eine ansprechende Persönlichkeit zu sein, beliebt und bewundert zu werden, ist eine sehr erstrebenswerte Eigenschaft.

Interpersonale Distanzminimierung (»peaches« statt »coconuts«) Periphere Persönlichkeitsbereiche sind leicht zugänglich (Extraversion): Offenheit, Geselligkeit, Kontaktfreudigkeit, Gruppenfähigkeit werden positiv gesehen, Neugier oder »dumme Fragen« sind erlaubt. Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft sind geradezu geboten. Dabei gibt man sich leger und informell. Zentrale, intimere Persönlichkeitsbereiche sind dagegen verschlossen: Man vermeidet zu tief gehende persönliche Gesprächsthemen, ist zurückhaltend bei der Mitteilung persönlicher Probleme, Gefühle oder Einstellungen. Man will den Anderen nicht belasten und behält derartige Gespräche echten Freunden vor. Während kameradschaftliche Kontakte (»friend«) sehr schnell geschlossen werden, dauert es wie in Deutschland lange, bis man echte Freunde (»best friends«) gewinnt. Das zu Beginn angebotene Verhalten ist eben nicht gleichbedeutend mit Vertrautheit und Freundschaft, sondern meint Freundlichkeit und kann sich lediglich als kurzlebige Bekanntschaft entpuppen. Insofern kann das unterschiedliche Kontaktverhalten von Amerikanern und Deutschen mit dem bildhaften Kontrastpaar »peaches« versus »coconuts« umschrieben werden: Ein (amerikanischer) Pfirsich hat viel süßes Fruchtfleisch, aber einen harten Kern, eine (deutsche) Kokosnuss deutlich voneinander verschiedene Schichten.

Zwischengeschlechtliche Beziehungsmuster Sexuelle Belästigung und Diskriminierung (bei Einstellungen und Beförderungen) sind im amerikanischen Geschäftsleben wichtige Themen zwischen Männern und Frauen. Im Sinne der Chancengleichheit gibt es auch – außer dem Mutterschutz – keine gesetzlichen Regelungen für das Elterndasein wie zum Beispiel Erziehungsurlaub. Auch hier sollte keine Basis für eine potenzielle Diskriminierung von Frauen entstehen. Als grobe Verhaltensrichtlinien des zwischengeschlechtlichen Umgangs können gelten: – keine körperlichen Kontakte oder Berührungen, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– keine Bemerkungen über Kleidung oder körperliche Attribute und – nicht damit rechnen, dass Amerikanerinnen über frauenfeindliche Äußerungen mit lachen.

Patriotismus Amerikaner sind stolz auf ihre Nation und erwarten auch von anderen Respekt und Anerkennung statt kritischer Bemerkungen, obgleich sie selbst politischen Repräsentanten und Institutionen durchaus skeptisch gegenüberstehen. Ihre patriotische Einstellung drückt sich vorwiegend im Stolz auf die Verfassung und die Demokratie aus, denn sie halten ihre Verfassung und die darin enthaltenen Werte für vorbildlich. Und sie fühlen sich in der Einschätzung ihres Landes als äußerst attraktivem Staat aufgrund der seit vielen Jahren hohen Zahlen von Einwanderungswilligen bestärkt.

Zurück zur Fallgeschichte Mit Hilfe der soeben geschilderten Kulturstandards lässt sich das Verhalten des neuen amerikanischen Chefs Bob folgendermaßen erklären:

Handlungsorientierung – Obwohl Robert Harley noch vom Jetlag erschlagen ist, zeigt er sich aktiv und energiegeladen. – Er ist ein Optimist: Voller Zuversicht glaubt er daran, dass er Erfolg haben wird. So tritt er auch bei der Präsentation auf: Er will als Führungskraft zeigen, wie elanvoll er ist. Er will seine Mannschaft mitreißen. Er hat eine Vision, ist risikofreudig und ist im Begriff, sich ans Werk zu machen. – Seine Präsentation ist zielorientiert: Er widmet sich nicht etwaigen Hintergründen und Details der Situation, sondern fokussiert unmissverständlich auf die Botschaft: Das Management ist mit den Geschäftsergebnissen nicht zufrieden. Dass genau diese Art zu denken und zu reden seinen deutschen Mitarbeitern zu skizzenhaft und zu oberflächlich erscheint, davon hat er keine Ahnung. – Im Zweiergespräch ist er von seinem deutschen Mitarbeiter enttäuscht: Dieser hat sich nicht optimistisch und tatendurstig gezeigt, sondern kritisch und negativ. Deshalb wird er bald ungeduldig mit diesem Miesepeter. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Easy going – Schnelligkeit ist für ihn ein zentraler Wert. Das »window of opportunity« des Markts muss genutzt werden, weswegen es für ihn ganz klar ist, dass die in seinen Augen lange Forschungs- und Entwicklungszeit gekürzt werden muss. Amerikanische Ingenieure nehmen zugunsten der Schnelligkeit und der Chance, den Markt bald bedienen zu können, lieber qualitative Unzulänglichkeiten in Kauf. – Deshalb wird der Deutsche vergeblich auf die Unterstützung durch die amerikanischen Ingenieure hoffen: Das amerikanische Stammhaus will das Produkt schnellstmöglich verkaufen im Wissen, dass amerikanische Kunden fehlerhafte Produkte akzeptieren, wenn der Verkäufer eine Dienstleistung (Service) anbietet, die dem Kunden bei den auftauchenden Schwierigkeiten hilft.

Bedürfnis nach sozialer Anerkennung – Bob ist ein netter Kerl: positiv, gut aufgelegt, humorvoll. Er will, wo immer er auftritt, eine angenehme Atmosphäre um sich verbreiten. – Der Deutsche hat seine Einstellung dem Chef zu klar gesagt, statt sie bloß anzudeuten. Diesem Affront begegnet Bob auf konfliktvermeidende Weise: Er bricht das Gespräch ab.

Individualismus – Die Präsentation war perfekt gemacht. Das weist den Chef als gute, weil begeisterte Führungskraft aus und dient seiner positiven Selbstdarstellung. Und dadurch will er auch seine Mitarbeiter ansprechen und motivieren.

Leistungsorientierung – Natürlich vertritt Bob die Anforderungen des Managements: Die Geschäftsergebnisse müssen sich verbessern. Dazu tritt er an, darauf arbeitet er hin, dazu möchte er seine Mitarbeiter motivieren, das soll allen eine Herausforderung sein, an der sie ab jetzt gemeinsam arbeiten.

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Historische Hintergründe Um die amerikanischen Kulturstandards zu verstehen, sind in der Geschichte der USA vor allem zwei Faktoren ausschlaggebend: Die USA sind ein Einwanderungsland, das durch die Zeit der Kolonien, durch die Zeit der Pioniere und die Staatsgründung der USA nachhaltig geprägt wurde. Eine für die Ausformung der Ideenwelt maßgebliche Bevölkerungsgruppe waren dabei protestantische Gruppierungen, allen voran die Puritaner.

Protestantische Strömungen Ein grundlegendes Prinzip aller protestantischen Strömungen besteht in der Betonung der Eigenverantwortung vor Gott: Es gilt, ein Leben nach christlichen Grundlagen zu führen auf der Basis des eigenen Gewissens ohne die sakramentvermittelnde Instanz einer Kirche. Diese Diesseitsorientierung proklamierte der durch den Calvinismus beeinflusste Puritanismus in einem besonderen Maß, denn hier gilt der weltliche Erfolg eines Menschen als Zeichen dafür, von Gott erwählt und im Besitz von Gottes Gnade zu sein (kein christliches Ideal der Herzensreinheit der Armut!). Der weltliche Erfolg war also mit hohem Ansehen verbunden, an ihm war die Gottgefälligkeit des eigenen Lebens abzulesen (→ Leistungsorientierung). Der Puritanismus glorifizierte die Arbeit religiös, denn es war Puritanern selbstverständliche Pflicht, nicht müßig zu sein, sondern das Leben aktiv zu gestalten: »doing« statt »being« hieß die Norm (→ Handlungsorientierung). Leistung und harte Arbeit als Tugenden sind eine puritanische Errungenschaft: Man musste es sich und den anderen beweisen, dass man zu den Auserwählten gehörte. Nach erreichtem Erfolg aber aufzuhören, wäre ein Verstoß gegen die Bedürfnisse der Gemeinde gewesen, denn es gab immer noch viel zu tun. Darüber hinaus enthielt der Protestantismus mit seiner Betonung der Eigenverantwortung vor Gott starke egalitäre Impulse (→ Gleichheit), die durch die Aufklärung und den Liberalismus leicht und unbehindert verstärkt wurden. Und die Annahme, dass harte Arbeit Erfolg bringen wird, installierte das Ideal der Chancengleichheit als fundamentales Prinzip der Gesellschaft (→ Gleichheit). Besonders egalitär waren Quäker, Baptisten, Methodisten, Unitaristen, Universalisten. Puritanisch ist außerdem die Unterdrückung des Gefühlslebens, was zu einer Verschlossenheit in zentralen Persönlichkeitsbereichen und einer Vermeidung von zu persönlichen Gesprächsthemen führt (→ Distanzminimierung: zentrale Persönlichkeitsbereiche). Die Puritaner waren in Europa Unterdrückung und Benachteiligungen ausgesetzt, so dass für sie Amerika eine religiöse Zufluchtsstätte wurde. Sie © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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entstammten keineswegs nur unteren Klassen, sondern auch zwei weiteren gesellschaftlichen Schichten, die bald über erheblichen Einfluss verfügten: Akademiker und Intellektuelle sowie gewerbliches Bürgertum und Vertreter des wachsenden Kapitalismus. In Amerika konnten sie ihre Vorstellungen verwirklichen und genossen eine religiöse, geistige und wirtschaftliche Freiheit, die in Europa in diesem Maß nicht existierte. Für sie wurde Amerika das »gelobte Land« und der puritanische Glaube schuf den Mythos vom »auserwählten Volk« der christlichen Rechtgläubigen (→ Patriotismus).

Einwanderungsland Obwohl die Motive für die Gründung der ersten zehn Kolonien im 17. Jahrhundert ganz verschieden waren – das englische Königshaus hatte Expansionsgelüste, puritanische Sektierer suchten ein Land zur freien Ausübung ihrer Religion, Zu-kurz-Gekommene glaubten, in einer neuen Welt besser vorwärts zu kommen – verbindet die agierenden Menschen ein großer gemeinsamer Nenner: Sie waren Immigranten oder sind Nachkommen von Immigranten. Sie leben also im Kontrast zu einer Welt, aus der sie kommen, und sie entschlossen sich zu dieser Auswanderung, weil sie sich etwas davon versprachen – Wohlstand die einen, Religionsfreiheit die anderen. Emigration ist als Bruch mit der eigenen Vergangenheit und der eigenen Herkunft an sich schon eine Rebellion gegen Autorität und Unterdrückung (→ Gleichheit; Individualismus). Zudem entschieden sich wohl vorwiegend zukunftsorientierte Optimisten, besonders Mutige, Entschlossene oder mit sehr solidem Selbstvertrauen Ausgestattete dafür, in ein unbekanntes Land aufzubrechen in dem Wissen, dass es (bis zur Erfindung moderner Reisemittel!) kein Zurück gab (→ Handlungsorientierung). Angekommen in Amerika, musste jeder bei null anfangen: Frühere soziale Unterschiede wurden völlig bedeutungslos, die Klassenschranken und das feudale System hatte man hinter sich gelassen, es galt zu überleben mit Hilfe der Arbeitskraft jedes Einzelnen. Gleichheit war keine Idee, sie war absolute, den Alltag bestimmende Realität. Auch in den Südstaaten, in denen es vor allem um wirtschaftliche Interessen ging, konnte sich ein Feudalsystem nicht halten: Der (aus Europa angeworbene) Tagelöhner von heute konnte nach kurzer Zeit Plantagenbesitzer sein. Das Land hatte viel an Ressourcen zu bieten und die Gesellschaft der Kolonien war eine von relativ gleichrangigen »Selbstständigen«: Handwerker, Kaufleute, Farmer. Sie alle verfügten über Eigentum. Eine Klassenteilung in Besitzende und Nicht-Besitzende gab es nicht (→ Gleichheit). Jeder hatte Besitz, jeder musste ihn durch seine Arbeit erhalten und vermehren. Zudem kamen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nicht in erster Linie Leute aus den oberen Schichten Europas nach Amerika, sondern vor allem Menschen, die das Gefühl verband, »wir da unten« haben ein soziales Statussystem (Stände, Zünfte, Herrschaftsverhältnisse usw.) abgestreift und besitzen nun die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg (→ Gleichheit). Ob der Einzelne sie nützt, hängt von seiner Tüchtigkeit ab (→ Handlungsorientierung; Individualismus). Die Gründung der Republik 1776 war der politische Akt der Verwerfung von Autorität: Freiheit (verstanden als Selbstbestimmung) und Gleichheit (verstanden als Chancengleichheit) wurden zu zentralen Elementen der Verfassung. Innenpolitische Kontrolle über die Bürger konnte überhaupt erst seit rund 100 Jahren flächendeckend ausgeübt werden, denn Unzufriedene zogen einfach weiter nach Westen. Viele Einwanderer in die USA waren mit einer Umgebung konfrontiert, die schnelles Handeln erforderte, wenn sie überleben wollten (→ Handlungsorientierung). Sie waren selten für das ausgebildet, was sie tun mussten, hatten somit gar keine Basis für eine fundierte Planung, sondern mussten durch Versuch und Irrtum lernen (→ easy going). Der Siedler war ein neuer Typ Mensch: der Selfmademan. Die, die bereits in festen Staatsgebilden lebten, konnten dank fehlender Berufsschranken und Zulassungskriterien jeden Beruf ergreifen. Was sie deshalb wählten, war ihnen bedeutungsvoll (→ Handlungsorientierung). Manche konnten innerhalb von einer Generation ihren Lebensstandard beträchtlich erhöhen, was Arbeit sehr attraktiv erschienen ließ (→ Leistungsorientierung). Da viele von ihnen aus Schichten kamen, die an körperliche Arbeit und Handarbeit gewohnt waren, wurde Arbeit überhaupt und praktische Arbeit insbesondere ein allen gemeinsamer Wert (→ Leistungsorientierung) und eine nie hinterfragte Grundvoraussetzung beim Zug nach Westen. Chancengleichheit war im Land auch wegen der unbegrenzten Ressourcen gegeben. Das Wissen darum stimulierte eine Wettbewerbshaltung, da jeder durch die eigene Anstrengung und im Wettstreit mit seinen Mitmenschen seinen Lebenserfolg und sein gesellschaftliches Ansehen bestimmte (→ Leistungsorientierung). Gewinner wurden dabei bewundert, nicht beneidet. Denn sie lebten ein Ideal vor, das zu Nachahmung – wenn nicht hier, dann weiter im Westen – anregte: Erfolg aufgrund von Initiative und Anstrengung (→ Leistungsorientierung). Die Lebensbedingungen der Pioniere machten Selbsthilfe und Unabhängigkeit zu überlebensnotwendigen Eigenschaften. Die Familien lebten getrennt, autonom, oft autark und territorial uneingeengt. Sie mussten auf sich allein gestellt leben, konnten aber auch ungestört ihren eigenen Stil pflegen (→ Individualismus). Soziale Kontrollen in Form gesellschaftlicher Institutionen gab es erst später mit Verstädterung, Säkularisierung und Industrialisierung.©Andererseits war Nachbarschaftshilfe in vielen Situatio2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nen überlebensnotwendig. Man musste sich also gleichzeitig als vertrauenswürdigen, sympathischen Menschen präsentieren (→ Distanzminimierung). Und obwohl jeder für sein Glück verantwortlich war, war er auch für die Armen verantwortlich, die zu seiner Gemeinde gehörten: für die Nachbarn, die ein unverschuldetes Schicksal zu erleiden hatten. Hohe Mobilität kennzeichnet Amerikaner bis heute und somit verfügt(e) jede Generation über die Erfahrung, fremd zu sein, sich einleben zu müssen und immer wieder auf Hilfe angewiesen zu sein. Ihr Leben ist nicht mehr gefährdet, sehr wohl jedoch ihr psychisches Wohlbefinden, bis sie sich eingelebt haben. (→ Distanzminimierung; Bedürfnis nach sozialer Anerkennung). Dazu kommt, dass es in einer Einwanderungsgesellschaft, die ständiger Veränderung ausgesetzt ist, keine Traditionen und gesicherten Maßstäbe gab, an denen man sich orientieren konnte. Der soziale Vergleich erhält zur Bewertung des eigenen Selbst und des eigenen sozialen Standorts eine besondere Bedeutung (→ Bedürfnis nach sozialer Anerkennung). Maßstab wird die soziale und ökonomische Nützlichkeit (Leistung) und »die Mehrheit der Gleichen« (→ Bedürfnis nach sozialer Anerkennung). Mit der Etablierung der Republik und dem Inkrafttreten einer demokratischen Verfassung wird zudem immer offensichtlicher, dass es zur Durchsetzung von Interessen Gleichgesinnte geben muss (→ Bedürfnis nach sozialer Anerkennung). Die meisten Einwanderer haben das Land freiwillig gewählt. Eine wie immer motivierte und aus welchen Quellen immer (Massenmedien erreichten erst im 20. Jahrhundert den uns vertrauten Verbreitungsgrad!) gespeiste Vorstellung der »neuen Welt« lockte sie: Man wollte bewusst Amerikaner sein. Sie lebten wie in der »glühenden Überzeugung eines Konvertiten« und das ließ sie vor allem die Vorzüge der neuen Welt sehen (→ Patriotismus). Fakt ist auch, dass es den meisten besser ging, als es ihnen zuhause gegangen wäre, denn bis nach dem Zweiten Weltkrieg war der Lebensstandard in den USA höher als irgendwo in Europa. Die Schnelligkeit der wirtschaftlichen Expansion und des technischen Fortschritts erhöhten den allgemeinen Wohlstand sicht- und spürbar. Politisch war mit der Verfassung ein Rahmen gegeben, den die Einwohner nicht nur guthießen, sondern in dem sie sogar wesentliche Ideale einer Gesellschaft verwirklicht sahen (→ Patriotismus). Diese Verfassung ist bis heute das Integrationsinstrument für Einwanderer: Trotz aller Heterogenität schafft der Glaube an Freiheit, Gleichheit, Regierungsform und Lebensweise eine Gemeinsamkeit. Amerika hatte während seiner ganzen Geschichte ausschließlich eine demokratische Regierungsform, niemals eine totalitaristische. Politisch gesehen gab es somit nie eine große Enttäuschung aufgrund des Systems als solchem. Die Schandflecken der amerikanischen Geschichte (z. B. Sklaverei, Joseph McCarthy und seine Kommunistenjagd) hatten vie© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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le einheimische Gegner, die letztendlich jedes Mal von innen (!) eine Reform eingeleitet haben und eine Wende brachten. Die patriotische Einstellung der Amerikaner bezieht sich daher auf Verfassung und Demokratie, nicht auf die politischen Repräsentanten und Institutionen. Zusammenfassend kann man sagen: Bedeutende Einschnitte der amerikanischen Geschichte verstärkten die hier dargestellten amerikanischen Kulturstandards mehrfach. Die amerikanische Revolution etablierte eine Gesellschaft, die Wert auf individuelle (Personebene) und dezentrale (politische Ebene) Leistung legt. Die Expansion im 18. und 19. Jahrhundert nach Westen hatte das physische Überleben sicherzustellen, aber es lockte großer Reichtum als Belohnung: Biber, Gold, Silber, Vieh (Mythos des Cowboys), Öl, Land. Die massive Einwanderungswelle im 19. und 20. Jahrhundert ließ Amerika im Glanz eines aufregenden Landes der unbegrenzten Möglichkeiten erscheinen, in dem die Ernte der Früchte harter Arbeit dem Einzelnen winkte. Die Industrialisierung des ausgehenden 19. Jahrhunderts belebte auf ihre Art (Sozialdarwinismus) Wettbewerb und individuelle Leistung. Die puritanische Ethik ist auch säkularisiert lebendig und bildet mit dem Geist der Immigration eine in vielerlei Hinsicht passgenaue Einheit (von Hofe 1963; Holthusen 1977; Law 1913; Münch 1986; Sautter 1994; Snowman 1977).

Literatur Althen, G. (1988): American Ways. A Guide for Foreigners in the United States. Yarmouth, Maine. Funke, P. (Hg.) (1989): Understanding the USA: A Cross-Cultural Perspective. Tübingen. Hall, E.; Hall, M. (1989): Understanding Cultural Differences. Germans, Frenchs and Americans. Yarmouth, Maine. Hammond, J.; Morrison, J. (1996): The Stuff Americans Are Made of: The Seven Cultural Forces That Define Americans – A New Framework for Quality, Productivity and Profitability. Macmillan. Hofe, H. von (1963): Die Kultur der vereinigten Staaten von Amerika. In: Thurnher, E. (Hg.), Handbuch der Kulturgeschichte, zweite Abteilung: Kulturen der Völker, Die Kultur der angelsächsischen Völker. Konstanz. Holthusen, H. E. (1977): Amerikaner und Deutsche: Dialog zweier Kulturen. München. Inkeles, A. (1983): The American character. A »remarkable degree of continuity« persists despite a »crisis of confidence«. The Center Magazine, Nov./Dez., S. 25–39. Lanier, A. (1996): Living in the USA. Yarmouth, Maine. Law, A. M. (1913): Die Amerikaner. Eine Studie der Völkerpsychologie. Berlin. Müller, A.; Thomas, A. (1991): Interkulturelles Orientierungstraining für die USA. Saarbrücken. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Münch, R. (1986): Die Kultur der Moderne. Band 1: Ihre Grundlagen und ihre Entwicklung in England und Amerika. Frankfurt a. M. Sautter, U. (1994): Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Stuttgart. Schroll-Machl, S. (2000): Kulturbedingte Unterschiede im Problemlöseprozess. In: OrganisationsEntwicklung 1, S. 77–81. Schroll-Machl, S. (2001): Aspekte amerikanischer und deutscher Unternehmenskulturen im Vergleich. Wirtschaftspsychologie 3(01): 136–143. Slate, E. (2001): »Intercultural Training: USA«. Unveröffentl. Manuskript (Trainingsunterlage der Firma Siemens). Snowman, D. (1977): Britain and America. New York. Spindler, G.; Spindler, L. (1983): Anthropologists view American culture. Annual review of Anthropology 12: 49–78. Stewart, E.; Bennett, M. (1991): American Cultural Patterns. A Cross-Cultural Perspective. Yarmouth, Maine. Zeutschel, U. (1999): Interkulturelle Synergie auf dem Weg: Erkenntnisse aus deutsch/US-amerikanischen Problemlösegruppen. Gruppendynamik 30(2): 131–149. [Themenheft »Heterogenität in Gruppen«]

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Kulturunterschiede:ErgebnissederKulturstandardforschung

Tob iasNickel:Kanada

Tobias Nickel

3.2 Nordamerika: Kanada

Fallgeschichte Herr Meier, deutscher Präsident einer kanadischen Firma in Toronto, will zum Jahresende eine Ansprache vor der Belegschaft halten. Die kanadische PR-Chefin des Unternehmens wird dafür von Herrn Meier gebrieft. Sie entwirft einen Redetext, der die Erfolge des vergangenen Jahres in den Vordergrund stellt und in dem der Chef seinen Mitarbeitern einzeln für die herausragende Leistung dankt. Ihrem Vorgesetzten stellt sie die Inhalte in Form von einigen Stichpunkten vor. Der deutsche Manager ist mit dem Vorgestellten überhaupt nicht zufrieden. Die Rede ist ihm mit zu viel Eigenlob versehen. Er möchte nicht einzelnen Mitarbeitern danken, er wünscht die hohen Ziele für das nächste Jahr der Belegschaft näher zu bringen. Des Weiteren hätte er gern eine voll ausformulierte Rede und er gibt in dem Zusammenhang auch noch ein Rednerpult in Auftrag, hinter dem er seine Rede gern halten würde. Am Freitag, dem Tag der Rede, kommt ein Vorstandsmitglied aus Deutschland, der bei der Ansprache anwesend sein wird. Herr Meier sagt deshalb den »Casual Friday« (Tag, an dem alle Mitarbeiter in Freizeitkleidung zur Arbeit kommen dürfen) kurzfristig ab und wünscht, dass alle Mitarbeiter in Business-Kleidung erscheinen. Herr Meier tritt vor die versammelte Mannschaft. Zum Ende der Rede, die wie gewünscht ausformuliert war und die kommenden Ziele ansprach und die hinter dem Rednerpult gehalten wurde, brach tosender Applaus aus. In einer Manöverkritik einige Tage später weist der Chef seine PR-Dame darauf hin, dass doch alles ganz in seinem Sinne gelaufen sei. Der Applaus sei doch ein klarer Indikator für den Erfolg der Ansprache gewesen. Die PR-Managerin hat zwar in der Firma gehört, dass die Stimmung seit der Rede nicht mehr so positiv ist, allerdings bringt sie dies in dem Gespräch nicht vor. Warum reagiert die kanadische Mannschaft so auf die Rede ihres Chefs? Die kanadische PR-Chefin denkt über ihren deutschen Vorgesetzten und sein Vorgehen: © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Er sollte sich offener geben. – Er sollte sich nicht immer hinter dem Rednerpult verstecken, sondern auf die Menschen zugehen. – Der Zwang, Ziele vorzugeben, scheint eine typisch deutsche Eigenart zu sein. – Der persönliche Dank an die Mitarbeiter wäre sehr notwendig für die Motivation. – Die Entscheidung, den »Casual Friday« abzusagen, zeigt nur, dass er das Leben in Kanada nicht versteht. Der deutsche Vorgesetzte denkt über sich und sein Vorgehen: – Ich bin aus Deutschland versetzt worden, um hier Ziele umzusetzen. – Wenn ein Vorstandsmitglied aus Deutschland kommt, haben wir ein gutes Bild abzugeben, dann müssen auch alle ordentlich gekleidet sein. – Wenn alle Mitarbeiter versammelt sind, dann muss man die Möglichkeit auch nutzen, sie auf die Ziele des nächsten Jahres einzuschwören. – Ich will auf keinen Fall etwas Falsches sagen, deshalb lese ich lieber eine Rede ab, als aus Stichworten zu formulieren.

Beschreibung der zentralen kanadischen Kulturstandards Minoritätenstolz Die Geschichte Kanadas ist wesentlich jünger als die der USA. Die Einflüsse der europäischen Herkunft sind deshalb noch viel stärker zu spüren. In Quebec, der französischsprachigen Provinz, ist die europäische Kultur noch stärker konserviert, da durch die Sprache eine kulturelle Unabhängigkeit leichter zu erhalten war. Der Minoritätenstolz der Kanadier wird durch zwei Hauptquellen gespeist: Zum einen entspricht die Fläche des Landes nicht der Bedeutung im Weltgeschehen, dies führt zu einer Tendenz der Kanadier, dies kompensieren zu wollen. Zum anderen wird der Minoritätenstolz durch den Vergleich zu den omnipotenten USA verstärkt. In dieser Hinsicht hat Kanada durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit Österreich: Beide Länder stehen im Schatten eines Nachbarn, der die gleiche Landessprache hat. Dadurch werden häufig direkte Vergleiche gezogen, sowohl intern als auch extern, und die Entwicklung und Darstellung einer eigenen Kultur wird umso wichtiger, um sich zu differenzieren. Dies führt zu dem Kern des nächsten Kulturstandards. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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US-Separatismus Der Kulturstandard US-Separatismus (vgl. Thomas 1994) hat überschneidende Bereiche mit dem Kulturstandard Minoritätenstolz, hat aber trotzdem eigene Züge. Während es beim Minoritätenstolz um die Erhöhung des Stolzes auf die Errungenschaften des eigenen Landes und seiner Einwohner geht, strebt der US-Separatismus eine deutliche Abgrenzung vom südlichen Nachbarn an. Teilweise erschweren diese Abgrenzungstendenzen das Leben, sie werden aber trotzdem weiter durchgehalten. Ein Beispiel hierfür ist die britische Schreibweise, an der bis heute festgehalten wird. Auch die Aussprache (it’s about, not a boot; z is pronounced »zed« not »zee«) ermöglicht eine sofortige Identifizierung von Kanadiern und wird deshalb weiter kultiviert. Weitere Unterschiede, die zu einer klaren Ingroup-Outgroup-Differenzierung dienen, sind das metrische Maßsystem und die Schreibweise des Datums (tt.mm.jj statt der US-Schreibweise mm.tt.jj). Gespräche, bei denen die Unterschiede zwischen Kanada und den USA thematisiert werden, sind sehr willkommen und führen meist zu längeren Diskussionen des Themas. Dagegen empfinden Kanadier solche Besucher als extrem unhöflich und unsensibel, die sie in einen Topf mit den USAmerikanern werfen. Eine ganz gegenteilige Tendenz, die der Integration von Landesteilen, ist im nächsten Kulturstandard abgebildet.

Bilingualism und Biculturalism In Quebec gibt es seit Jahrzehnten eine Tendenz zum Separatismus. Die Anhänger dieser Bewegung wollen Quebec als einen eigenen Staat etablieren und sich von Kanada trennen. Die Frage nach der politischen Orientierung in diesem Punkt führt leicht zu heftigen Diskussionen, die die Grundlagen des Zusammenlebens in der staatlichen Grundordnung hinterfragen. Deshalb sollte dieses Thema im geschäftlichen Umfeld nicht angesprochen werden. Die Frage nach der persönlichen Meinung zur Selbstständigkeit Quebecs verbietet sich in den meisten Fällen komplett. Da der Separatismus ein integraler Bestandteil der politischen Diskussion ist und eine starke persönliche Relevanz hat, ist er zu einem Kulturstandard geworden, der das tägliche Leben prägt. Die Wahl der Zeitung, der TV-Sender, der Speisen und der Sprache, mit der man Geschäftspartnern gegenüber auftritt, all dies sind Bereiche, in denen der Kulturstandard handlungsrelevant wird. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Impression-Management (Fassadenhaftigkeit) Der Kulturstandard Impression-Management hat mehrere Aspekte. Zum einen beschreibt er die Tatsache, dass in Kanada, ähnlich wie in den USA, eine Fassade aufrechterhalten wird. Einschränkend ist zu bemerken, dass dies in Kanada nicht in einem solchen Extrem gelebt wird, wie es in den USA der Fall ist. Die dahinter liegende Idee ist aber immer dieselbe: Eine positive Grundstimmung soll erhalten werden. Im Gegensatz zu den USA, wo die Fassadenhaftigkeit sehr weit geht und die Aufrechterhaltung eines Bildes bis hin zur plastischen Chirurgie reicht, sind die Grenzen in Kanada enger gesteckt, aber für den Besucher aus Deutschland doch deutlich erkennbar. (In den USA gibt es keinen Nachrichtensprecher ohne Haare oder wenigstens ohne Toupet. Für die US-Amerikaner ist der Anblick des glatzköpfigen CBC-Nachrichtensprechers immer wieder Grund zur Diskussion.) Auch haben die Kanadier eine Tendenz zur extremen Höflichkeit, die sogar von US-Amerikanern als ungewöhnlich wahrgenommen wird. So erzählen US-Amerikaner in Anekdoten, dass Kanadier sich entschuldigen, wenn ihnen jemand auf die Füße steigt. Auch wird belächelt, dass Hinweisschilder in Kanada grundsätzlich ein »Sorry« und ein »Thank you« enthalten (Thank you for not smoking). Für die deutschen Besucher empfiehlt es sich auf jeden Fall, die Höflichkeitsformen zu beobachten und eine Spur höflicher zu agieren, als sie dies aus Deutschland gewohnt sind.

Charity-Orientierung Wohltätigkeit ist nur eine ungenügende Übersetzung für das Konzept Charity. Es umfasst zwar auch den Bereich der Wohltätigkeit, ist aber auch die Grundlage für gesellschaftliche Ereignisse. Außerdem dient die Beschäftigung mit Charity den Damen der Gesellschaft als eine Freizeitbeschäftigung. Kurzum, Charity ist in Kanada ein sehr wichtiges Element der Gesellschaft. Da anders als in Deutschland der Staat wesentlich weniger für soziale Belange aufkommt, ist es für das Überleben der Gesellschaft wichtig, dass finanziell Starke die Schwachen unterstützen. Da nahezu jeder in der Gesellschaft auch schon einmal Nutznießer dieses Systems war (Universitätsstipendium, Zuschuss zur Klassenfahrt, Praktikum bei einer wohltätigen Institution etc.), ist die persönliche Betroffenheit in diesem Bereich sehr hoch. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Charity, für die gesammelt wird, in irgendeinem Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Ereignis steht. Teilweise führt dies, aus deutscher Sicht, zu skurrilen Kombinationen: beispielsweise ein Polospiel, um für Herzinfarkt-Forschung zu © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Kulturunterschiede: Ergebnisse der Kulturstandardforschung

sammeln. Bei den Firmen, die sich Karten für eine solche Charity-Veranstaltung kaufen, spielen wirtschaftliche Gründe eine untergeordnete Rolle, man hat aber seine gesellschaftliche Rolle zu spielen und bei den wichtigen Veranstaltungen anwesend zu sein.

Offene Aggressionsvermeidung Kanadier haben eine Tendenz, offene Aggression zu vermeiden. Dies zeigt sich zum einen in der Vermeidung von Themen, die zu Aggression oder kontroversen Diskussionen führen könnten, zum anderen auch darin, dass es Kanadiern zum Beispiel sichtlich unangenehm ist, bei für Deutsche als engagiert wahrgenommenen Diskussionen anwesend zu sein. Meist versuchen die Kanadier den durch die Diskussion erlittenen Schock durch anschließende bilaterale Gespräche, in denen die Inhalte nochmals unemotional angesprochen werden, zu überwinden. Diese Prädisposition zur Aggressionsvermeidung bestimmt auch die Begrüßungsrituale und den Smalltalk, bei denen grundsätzlich unverfängliche Themen wie das Wetter und die Verkehrssituation angesprochen werden. Humor wird oftmals genutzt, um Gespräche gar nicht erst in eine zu ernste Grundstimmung abgleiten zu lassen. Obwohl in Deutschland konstruktive Kritik und harte Diskussionen für eine unabdingbare Voraussetzung für eine gute Entscheidungsqualität gehalten werden, kann dies auch anders erreicht werden. Wie dies nach einem kanadischen Muster funktionieren kann, zeigt der nächste Kulturstandard.

Aktivismus Deutschen, die in Kanada arbeiten, fällt auf, dass Entscheidungen oftmals sehr schnell gefällt werden. Dies allein würde den eher effizienzgetriebenen Deutschen keine Probleme bereiten. Bei der Entscheidungsvorbereitung, die in Deutschland eher fakten- und absicherungsorientiert erfolgt, wird in Kanada ein erheblich höheres Maß an Unsicherheit toleriert (Uncertainty Avoidance Index nach Hofstede 1994, S. 113: Deutschland 65, Kanada 48). Selbst US-Amerikaner kommentieren diese Verhaltensweise oftmals so: »In Kanada werden Entscheidungen nicht übereilt getroffen, aber die Kanadier hassen es auch, Zeit zu verschwenden.« Diese sehr pragmatische Herangehensweise wird von Deutschen bei Aufgaben geringer Komplexität geschätzt, führt aber bei komplexeren Aufgaben zu einem Krisenpotenzial in interkulturell besetzten Teams. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Mission-Statement-Orientierung Kanadier sind zum einen sehr individualistisch veranlagt (Individualism Index CDN: 80, D: 67; Hofstede 1994; S. 53), allerdings gibt es auch eine starke Tendenz, gruppenspezifischen Normensystemen zu folgen. Eine Auswirkung dieses Kulturstandards ist, dass Firmen, die eine Zusammenarbeit planen, nicht, wie in Deutschland oft üblich, die Referenzprojekte vorstellen, sondern eher das Mission-Statement und die Art und Weise, wie die Firma sich versteht und wie sie handelt, im Vordergrund stehen. Ein anderer Bereich, in dem der Kulturstandard handlungsrelevant wird, ist der Entscheidungsfindungsprozess. Dieser ist oftmals eine sehr individuelle Angelegenheit, bei dem den Mitarbeitern große Freiheitsgrade eingeräumt werden. Dabei wird allerdings immer davon ausgegangen, dass der Entscheider den Firmenrichtlinien konform handelt. Ein weiteres Beispiel für die Mission-Statement-Orientierung ist der Fall, bei dem teilweise vorhandene Türen von Büros entfernt wurden, um der im Mission-Statement verankerten »open door policy« gerecht zu werden.

Pragmatische Freitzeitorientierung Der Kulturstandard Pragmatische Freizeitorientierung findet seinen typischen Ausdruck im Casual Friday. An einem Casual Friday wird kein Anzug und keine Krawatte getragen. Die Kleiderordnung wird oftmals aus europäischer Sicht als Versuch gedeutet, die Mitarbeiter durch die entspannteren Kleidungsnormen zu einer hierarchiefreieren Verhaltensweise zu motivieren. Dies mag eine Nebenwirkung sein, allerdings geht die Entstehung auf praktischere Gründe zurück. In den Sommermonaten wird in den meisten Betrieben nach den »summer working hours« gearbeitet. Dies bedeutet, dass an den Tagen Montag bis Donnerstag jeweils 30 Minuten mehr gearbeitet wird, dafür endet die reguläre Arbeitszeit am Freitag zwei Stunden früher. Im Sommer verbringen viele Kanadier ihre Wochenenden in Sommerhäusern (Cottages) im Norden des Landes. Um diese Zeit optimal zu nutzen, wird möglichst früh am Freitag aufgebrochen. Geschäftskleidung wäre hier nur hinderlich und ein Umziehen würde Zeit kosten; so ist der Casual Friday eine Einrichtung, die dem Lebensstil entgegenkommt. Eine Abschaffung dieser Gepflogenheit hat damit nicht nur Auswirkungen auf das Privatleben und die Wochenendgestaltung der Mitarbeiters, sondern auch auf sein gesamtes Selbstverständnis und seinen Lebensstil. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Political Correctness Aufgrund der unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Rassen in Kanada ist ein friedvolles Zusammenleben nur dann zu gewährleisten, wenn ein großes Maß an gegenseitigem Respekt besteht. Dieser Respekt wird institutionalisiert durch den Verhaltenskodex »Political Correctness«. Dieser Kulturstandard tritt in den unterschiedlichsten Lebensbereichen auf, sei es bei Auswahlinterviews und Bewerbergesprächen, bei der Akzeptanz von Witzen, aber auch bei alltäglichen Dingen wie den Begrifflichkeiten der Nachrichten. Political Correctness führt zu einer ständigen Selbstzensur hinsichtlich der Akzeptanz des eigenen Handelns. Eine gewisse Verbindung zwischen dem Kulturstandard Impression Management und Political Correctness scheint durch das verbindende Element der starken Kontrollneigung in der Kommunikation zu bestehen.

Kulturhistorische Verankerung Kanada war immer abhängig von den USA – Aufgrund der großen Fläche und der langen Grenze mit den USA musste Kanada sich immer verteidigen, sei es kriegerisch oder kulturell. – Rund 80 Prozent der Bevölkerung von Kanada lebten nicht weiter als 200 Kilometer von der US amerikanischen Grenze. Grenzgänge sind daher eher die Regel als die Ausnahme. Die Besuche bei den übermächtigen Nachbarn erhöhen die Wahrnehmung der eigenen Identität der Kanadier, daher kommt es zu einer aktiven Differenzierung gegenüber den US-Amerikanern. Diese Abgrenzung zeigt sich in der Sprache, die sich eher am britischen Englisch orientiert, in der Kleidung, die bevorzugt bei kanadischen Herstellern bezogen wird (Roots). – Ein Großteil der Kanadier, die zur Leistungselite gehörten, sei es in der Forschung, in der Entertainment-Branche oder im Management, haben das Land in Richtung Süden verlassen, um ihre Karriere in den USA fortzusetzen. Diese Tendenz wird allgemein mit dem Schlagwort »brain drain« bezeichnet.

Kanada als Teil des Commonwealth – Die politische Verbindung von Staaten des Commonwealth hat nicht nur politische© Auswirkungen, sondern auch Einfluss auf die Bevölke2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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rungszusammensetzung in Kanada. Als die Rückgabe Hongkongs an China anstand, nutzten viele chinesische Bewohner Hongkongs die Zugehörigkeit Kanadas zum Commonwealth, um dorthin auszuwandern. Folge dieser Einwanderungswelle ist, dass Chinesisch nach Englisch und Französisch die meist gesprochene Sprache in Kanada ist. – Die Königin ist Staatsoberhaupt und nach wie vor eine große Präsenz im täglichen Leben, sei es durch das Konterfei auf den Münzen, Banknoten und Briefmarken oder die Feiertage, die im Bezug zum Königshaus stehen (Victoria Day, Queen’s Birthday), oder durch die regelmäßigen Besuche durch Mitglieder der königlichen Familie. – Da die Einwanderung aus anderen Commonwealth Ländern mit geringeren bürokratischen Hürden verbunden ist als aus nicht zum Commonwealth gehörenden Ländern, hat sich in Kanada eine sehr multikulturelle Gesellschaft herausgebildet. Das Prinzip der Parlamentarischen Monarchie wird aber von allen geteilt. Um das friedliche soziale Zusammenleben all dieser Volksgruppen mit unterschiedlichsten ethnischen und kulturellen Hintergründen zu erhalten, liegt der Politik daran, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Diskriminierung sanktioniert. Political Correctness als eine Form des Umgangs miteinander, der auf jede gesellschaftliche Gruppe Rücksicht nimmt, ist die nordamerikanische Lösung. Political Correctness ist auch gefragt, wenn es darum geht, eines der latenten Traumata der Kanadier anzusprechen: den Separatismus von Quebec.

Multikulturelle Gesellschaft – Im Jahr 1971 war Kanada das erste Land der Welt, das einen politischen Grundsatz zur multikulturellen Gesellschaft verabschiedet hat. Dies war nur der erste Schritt, dem der Employment Equity Act 1986 und der Canadian Multiculturalism Act 1988 folgten. Sinn und Zweck dieser Gesetze ist es, eine Gesellschaft zu schaffen, die auf Beteiligung, Respekt, Gleichheit und voller Integration aller Bürger basiert. – Die Kanadier sind stolz auf ihre multikulturellen Errungenschaften. Die UNESCO Weltorganisation für Kultur und Entwicklung hat den kanadischen Ansatz in einem ihrer Berichte als Vorbild für andere Staaten dargestellt (Arizpe 1996). – Über den Broadcasting Act von 1991 werden multikulturelle Programme gefordert und gefördert. Dies führte dazu, dass nicht nur Dokumentationen, sondern alle Programmformen bis hin zu Soap opera das Thema aufgreifen. – Der multikulturelle Charakter Kanadas wird mittlerweile als ein Vorteil in der immer globaler werdenden Wirtschaftswelt gesehen. Diese wahr© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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genommenen wirtschaftlichen Vorteile führen dazu, dass der multikulturellen Gesellschaft sehr positiv entgegengetreten wird.

Separatismus von Quebec – Die Tendenz zum Separatismus ist keine neue Entwicklung in Kanada. Bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts weigerte sich Quebec, Soldaten zur Unterstützung der Briten in den Burenkrieg nach Südafrika zu schicken. – Die Ernsthaftigkeit der Diskussion wurde auch im internationalen politischen Geschehen deutlich, als 1967 Charles de Gaulles bei einer Rede in Montreal »vive le Quebec libre« sagte. Dies führte dazu, dass er vom Premierminister des Landes verwiesen wurde. – In den siebziger Jahren starteten Politiker die Kampagne B & B (Bilingualism & Biculturalism), die eine starke öffentliche Bewegung zur Folge hatte. Zur Eskalation kam es bei den Straßenkämpfen Ende der siebziger Jahre in Montreal, wo Hunderte von Demonstranten verhaftet wurden. – Seit den siebziger Jahren war der kanadische Premierminister fast durchgängig aus Quebec. Dies entschärfte zwar die Situation, konnte aber trotzdem nicht verhindern, dass 1980 und 1995 eine Volksabstimmung stattfand. Bei Letzterer (1995) war das Ergebnis mit 50,6 zu 49,4 Prozent denkbar knapp und zeigt das latente kulturelle Krisenpotenzial.

Bilingualismus und Bikulturalismus – 1982 wurde von der kanadischen Regierung der »Constitution Act« verabschiedet. Dieser garantiert, dass Kanada zwei gleichwertige offizielle Sprachen hat. Die Auswirkungen dieser Gesetzesänderung sind offensichtlich: 1978 nahmen noch 37 800 Kanadier an Französisch-Intensivkursen teil, 1996 stieg die Anzahl auf 312 000 Teilnehmer an (Statistics Canada 1997) – Durch ein staatlich unterstütztes französisches Fernseh- und Radioprogramm wird garantiert, dass auch in Vancouver, das sechs Flugstunden und drei Zeitzonen von Quebec entfernt ist, noch Französisch gesprochen wird.

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Eroberung des Landes – Kanada ist flächenmäßig das zweitgrößte Land der Welt, während es nach Bevölkerungszahlen nur auf Rang 31 liegt. Dies prägt den Umgang mit der Natur, da sie im Überfluss vorhanden ist. – Inuit und Indianer sind »first nation people«. Die Ureinwohner Kanadas im Norden, die Inuit genannten Eskimos, haben 1999 ihre eigene Provinz Nunavit in Selbstverwaltung und mit diversen Sonderrechten (Glücksspiel etc.) erhalten. – Die Pionierzeit in Kanada ist noch nicht sehr lange her und das tägliche Überleben hängt noch heute in vielen wenig bevölkerten Landstrichen vom Zusammenhalt ab. Man muss sich auf Menschen verlassen, die man auf dem Track in Richtung Osten gesehen hat – denn die Abwehr von Angreifern auf ein Camp oder die Hilfe bei der Reparatur der Ausrüstung könnten schon am selben Abend notwendig sein.

Immigrationspolitik – Kanadier haben aufgrund der Einwanderungspolitik und der Zugehörigkeit zum Commonwealth ein ehrliches Interesse an anderen Ländern und Kulturen. Der Informationsgrad über Weltpolitik und Geographie ist wesentlich höher als in den USA. – 1907 gibt es antiasiatische Aufstände in Vancouver. – 1914 werden 400 Inder, die mit dem Boot an der Küste vor Vancouver landen, abgewiesen. – Nach den japanischen Angriffen auf Pearl Harbour werden alle Japaner in Kanada auf Kollaboration hin befragt. – 1947 werden die letzten diskriminierenden Einwanderungsbestimmungen von der Regierung in Ottawa abgeschafft. – Mitte der neunziger Jahre immigrieren jährlich rund 250 000 Menschen nach Kanada, 150 000 davon aus Asien. Das sind fast 1 Prozent Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung pro Jahr. Der Ausländeranteil Kanadas liegt bei fast 17 Prozent. Die größte Bevölkerungsgruppe nach den Asiaten sind Afrikaner (Statistics Canada 1996).

Architektur – Die Fassadenhaftigkeit, die sich im Handeln der Kanadier zeigt, hat eine Entsprechung in der kanadischen Architektur. Zum einen fallen die typischen Pionierstädte aus der Gründerzeit Kanadas auf, die mit Reklamefassaden in©Richtung der Hauptstraße gebaut sind. Man kennt diese 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Kulturunterschiede: Ergebnisse der Kulturstandardforschung

Art der Städte aus Western. Die Reklamefassaden dienten dabei meist den Gangstern als Hinterhalt. Hinter der Fassade sind eher schlicht gehaltene Zweckbauten. – Heute ist die so genannte Holzrahmenbauweise die vorwiegende Konstruktion. Diese Häuser werden aus Holzrahmen gebaut, die mit Steinwolle isoliert werden, und dann innen und außen mit einer Rigipsplatte verschlossen werden. Um den Schein zu wahren, wird davor eine dünne Steinverblendung gesetzt. Die Fassade ist bei dieser Bauart wichtiger als die Substanz. Die Bauwerke lassen aufgrund der Fassade noch auf europäische Vorbilder schließen, die die Kanadier als für sich so wichtig erachten.

Generalisierbarkeit Die Frankokanadier haben aufgrund der historischen Entwicklung zusätzliche, eigene kulturelle Hintergründe. Die kulturellen Einflüsse von frankophonen Ländern in Quebec sind nicht außer Acht zu lassen. Von einer kulturellen Autarkie gegenüber der englischsprachigen Umgebung kann man aber nicht sprechen; die Einflüsse sind eher verwässert vorzufinden. Die geschilderten Kulturstandards sind in Ontario erhoben worden. Hier wohnen rund ein Drittel aller Kanadier, was für eine gewisse Repräsentativität sorgt, aber im flächenmäßig zweitgrößten Land der Welt nicht in allen Punkten generalisierbar ist. Durch die starke Immigration in Kanada, speziell vom asiatischen und afrikanischen Kontinent, wird es mit Sicherheit zu einer Veränderung der Kulturstandards in den nächsten Jahren kommen. Die Tendenz zur multikulturellen Gesellschaft wird weiter fortschreiten.

Literatur Arizpe, L. (Hg.) (1996): The Cultural Dimensions of Global Change. An Anthropological Approach. New York. Hofstede, G. (1994): Cultures and Organizations. Intercultural Cooperation and its Importance for Survival. Software of the Mind. London. Statistics Canada (Hg.) (1996): CANSIM II, Table 051–006. Statistics Canada (Hg.) (1997): Canada Year Book 1996: Ottawa. Thomas, A. (Hg.) (1994): Psychologie und multikulturelle Gesellschaft. Göttingen.

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Kulturunterschiede:ErgebnissederKulturstandardforschung

KatharinaRottenaicher:Argentinien

Katharina Rottenaicher

3.3 Lateinamerika: Argentinien

Vorbemerkungen Die Nationen Lateinamerikas haben auf den ersten Blick vieles gemeinsam – eine gemeinsame Sprache (Brasilien ausgenommen) sowie eine gemeinsame Geschichte der Verdrängung der indianischen Ureinwohner und der Kolonisation, verbunden mit der Übernahme bestimmter kultureller Elemente der Herkunftskultur der spanischen und portugiesischen »Conquistadores«, wie zum Beispiel die katholische Religion. Wenn man genauer hinsieht, wird jedoch deutlich, dass sich in jedem der Länder Lateinamerikas, von Mexiko über die mittelamerikanischen Nationen bis hin zu Chile und Argentinien mit insgesamt etwa 518 Millionen Einwohnern (http://www.sru.edu/depts/artsci/ges/lamerica/population.htm), eine eigenständige Kultur entwickelt hat, so dass es richtiger wäre, nicht von »lateinamerikanischer Kultur«, sondern von »lateinamerikanischen Kulturen« zu sprechen (nach Albert 1996, S. 330). Auch die Bewohner der einzelnen Länder legen sehr viel Wert darauf, als Chilenen, Argentinier und so weiter wahrgenommen zu werden und nicht einfach als Lateinamerikaner. Für die Kulturstandardforschung folgt daraus, die für ein bestimmtes lateinamerikanisches Land gefundenen Kulturstandards nicht zu verallgemeinern und anzunehmen, diese seien auch für die Kultur anderer Nationen zutreffend. Die Methode der Identifikation von Kulturstandards durch die Analyse von kritisch verlaufenen Interaktionssituationen (nach Flanagan 1954) bringt außerdem eine starke Perspektivenabhängigkeit der Kulturstandards mit sich. Das heißt, dass die gefundenen kulturellen Unterschiede in der Begegnung zwischen den Vertretern zweier bestimmter Kulturen auftreten und als Kulturstandards einer Kultur aus der Sichtweise einer bestimmten anderen Kultur zu betrachten sind. Trotz aller Unterschiede weisen lateinamerikanische Kulturen dennoch gewisse länderübergreifende Gemeinsamkeiten auf, besonders im Gegensatz zu nordamerikanischen und nordeuropäischen Kulturen. Es werden © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Kulturunterschiede: Ergebnisse der Kulturstandardforschung

zunächst einige allgemeine kulturelle Muster Lateinamerikas nach Albert (1996), Hofstede (1980), Hall (1983) und anderen Autoren dargestellt. Anschließend werden als Beispiel Besonderheiten der mexikanischen Kultur (nach AIESEC 1996) sowie die zentralen Kulturstandards Argentiniens aus deutscher Sicht (nach Rottenaicher 2000 und Foellbach 2000) vorgestellt und mit den allgemeinen kulturellen Mustern Lateinamerikas verglichen.

Kulturelle Muster Lateinamerikas Die wichtigste kulturspezifische Besonderheit Lateinamerikas im Vergleich zu nordamerikanischen und nordeuropäischen Kulturen besteht laut Albert (1996, S. 334) in der »interpersonellen Orientierung«. Diese beinhaltet, dem Interaktionspartner Respekt, Offenheit, warmes Interesse, Loyalität, positives Verhalten und Sensibilität seinen Gefühlen und Bedürfnissen gegenüber entgegenzubringen. Es wird versucht, die eigene Würde und Ehre und die des Anderen zu wahren. Dies spiegelt sich auch in der höflichen Sprache und im beziehungsorientierten und indirekten Kommunikationsstil wider. Aus der interpersonellen Orientierung ergibt sich eine auf Kooperation und Harmonie angelegte Handlungsorientierung, die negatives Verhalten und Kritik vermeidet (siehe auch Triandis et al. 1984 und Díaz-Guerrero u. Szalay 1991). Ein weiterer Aspekt der interpersonellen Orientierung besteht in dem Nutzen von persönlichen Beziehungen (genannt »palancas«, wörtlich: Hebel), um Vorteile zu erlangen oder allgemeine Regeln zu umgehen (Archer u. Fitch 1994). Es ist für den Einzelnen sehr wichtig, über ein dichtes Beziehungsnetzwerk zu verfügen und dieses zu pflegen. Lateinamerikanische Länder sind nach Albert (1996, S. 343) Hoch-Kontext-Kulturen, das bedeutet, dass Botschaften in einem Gespräch eher implizit übermittelt werden, da ein Großteil der Information entweder im äußeren Kontext oder in der Person vorhanden ist und deswegen als bekannt vorausgesetzt wird (zum Konzept der Hoch-Kontext-Kommunikation siehe Hall 1976, S. 79). Personen aus lateinamerikanischen Kulturen verhalten sich demzufolge indirekter als Nordamerikaner oder Nordeuropäer, beispielsweise wenn sie um einen Gefallen bitten oder eine Bitte abschlagen. Die Bedeutung einer Botschaft wird teilweise von Gesten oder anderen nonverbalen Zeichen oder von Kontextbedingungen wie dem Status der Beteiligten übermittelt und nicht direkt ausgesprochen. Der Gesprächsstil von Personen aus lateinamerikanischen Ländern unterscheidet sich von dem von Nordamerikanern und -europäern dahingehend, dass häufiger Gefühle ausgedrückt werden, mehr Gesten verwendet © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Katharina Rottenaicher: Argentinien

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werden, der Gesprächsabstand geringer ist und Berührungen häufiger sind (zu affektiver und neutraler Kommunikation siehe auch Trompenaars 1997, S. 69 ff.). Nach Hofstede (1980, S. 106) weisen fast alle an seiner in den siebziger Jahren durchgeführten Studie beteiligten lateinamerikanischen Länder (Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko, Peru, Venezuela) eine überdurchschnittlich hohe Machtdistanz auf (besonders Mexiko, Venezuela, Brasilien, Kolumbien, Peru und Chile), was sich in starken hierarchischen Strukturen und der Akzeptanz ungleicher Macht- und Güterverteilung ausdrückt. Dies schlägt sich auch in der Klassenstruktur der meisten lateinamerikanischen Länder mit einer breiten Unterschicht, einer kleinen Mittelschicht und einer dünnen, sehr mächtigen Oberschicht nieder. Eine hohe Machtdistanz bringt mit sich, dass die Entscheidungsbefugnis bei nur wenigen Verantwortungsträgern konzentriert ist und Autoritäten und Status unbedingt anerkannt werden. Auf der Dimension des Individualismus versus Kollektivismus zeichnen sich viele lateinamerikanische Länder durch besonders niedrige Individualismuswerte aus, an erster Stelle steht dabei Venezuela, gefolgt von Kolumbien, Peru, Chile, Mexiko und Brasilien (Hofstede 1980, S. 222). Kennzeichnend für Personen aus kollektivistischen Kulturen ist laut Triandis (1995, zitiert nach Albert 1996, S. 337 f.), dass sie sich als Teil einer Gruppe definieren und nicht unabhängig davon; dass ihre persönlichen Ziele mit denen ihrer Hauptbezugsgruppe übereinstimmen; dass ihr Verhalten sich eher nach Normen und Verpflichtungen richtet und weniger nach individuellen Präferenzen oder Einstellungen und dass Beziehungen und ihre Aufrechterhaltung von größter Wichtigkeit sind. Ein Beispiel hierfür ist die ausgeprägte Familienorientierung in lateinamerikanischen Ländern, wobei sich die Loyalität nicht nur auf die Kernfamilie, sondern auch auf entfernte Verwandte erstreckt. Einheit und Zusammenhalt der Familie sind dabei wichtiger als individuelle Ansprüche. Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen lateinamerikanischen und nordamerikanischen und -europäischen Kulturen betrifft den Umgang mit Zeit. Nach Kluckhohn und Strodtbeck (1961, S. 11 ff.) gibt es drei verschiedene Arten der Zeitorientierung, nämlich die Betonung auf der Vergangenheit, auf der Gegenwart oder auf der Zukunft. Vertreter lateinamerikanischer Kulturen sind dabei eher gegenwartsorientiert, das heißt, dass die momentanen Gefühle im Vordergrund stehen und nicht langfristig im Voraus geplant wird. Auch auf die Vergangenheit, die Geschichte eines Landes, wird in den meisten lateinamerikanischen Ländern großer Wert gelegt. Die Zeitorientierung ist jedoch von Land zu Land (siehe z. B. Mexiko und Venezuela im Vergleich bei Trompenaars 1997, S. 127) und auch schichtspezifisch sehr unterschiedlich, so dass hier differenziert werden sollte. Bei © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Kulturunterschiede: Ergebnisse der Kulturstandardforschung

Geschäftsabschlüssen ist der Zeithorizont beispielsweise mitunter sehr weit, das heißt, dass eine geschäftliche Beziehung auf lange Zeit in die Zukunft angelegt ist und sich nicht auf ein kurzfristiges Projekt beschränkt (nach Brake et al. 1995, S. 52). Auch die Organisation der Zeit und die Wertschätzung von Zeit an sich unterscheidet lateinamerikanische Kulturen von nordamerikanischen und -europäischen. Der Umgang mit Zeit in Lateinamerika ist geprägt von einem polychronen Zeitverständnis (siehe Hall 1983, S. 45 ff.). Dies bedeutet, dass die verschiedensten Dinge zur selben Zeit simultan erledigt werden und bestehende Zeitpläne den aktuellen Gegebenheiten flexibel angepasst werden. Zeit wird dabei nicht als knappe Ressource gesehen, die man sparen oder verschwenden kann. Die genaue Einhaltung von zeitlichen Vereinbarungen hat nicht denselben Stellenwert wie in Nordamerika und -europa, da Verabredungen und Termine als weniger verbindlich und verpflichtend betrachtet werden. Die Zeit wird den Gegebenheiten angepasst und nicht umgekehrt. Die Einhaltung von Zeitplänen ist dem Umgang mit den Mitmenschen und sozialen Ereignissen untergeordnet. Besonders die Interaktion mit nahe stehenden Personen hat Vorrang vor anderweitigen zeitlichen Verpflichtungen. Nicht nur der Umgang mit Zeitplänen ist geprägt von großer Flexibilität. Pläne im Allgemeinen werden kurzfristig gefasst und können jederzeit wieder zugunsten neuer Umstände geändert werden. In vielen Situationen wird kurzfristig eine Lösung gefunden und improvisiert (nach Albert 1996, S. 342). Eine weitere Besonderheit lateinamerikanischer Kulturen besteht laut Albert (1996, S. 336 f.) in den differenzierten Geschlechterrollen, demzufolge der Einflussbereich der Frauen nach wie vor auf die Familie beschränkt bleibt. In vielen Großstädten zeichnet sich aber eine größere Beteiligung von Frauen an höheren wirtschaftlichen und politischen Positionen ab. Ein wichtiger Begriff ist der »Machismo«, der aber in lateinamerikanischen Ländern, anders als in Nordamerika und -europa, keine negative Bedeutungszuschreibung hat. Er bezeichnet vielmehr ein Männlichkeitsideal, bestehend aus Werten und Verhaltensweisen, durch die ein Mann Würde, Respekt und Ehre erlangt.

Besonderheiten der mexikanischen Kultur Ohne den Anspruch zu erheben, die mexikanische Kultur vollständig beschreiben zu wollen, gibt AIESEC (1996) einige zentrale Besonderheiten der Kultur Mexikos als Orientierungshilfen für geschäftliche Kontakte mit © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Mexikanern an. Laut AIESEC (1996, S. 3) ist es für das Verständnis der mexikanischen Kultur unabdingbar, den großen Stellenwert von »Würde und Respekt« zu kennen. Es ist für Mexikaner sehr wichtig, ihre Würde zu bewahren, die Ehre aufrechtzuerhalten und ihren Charakter und ihren guten Namen vor Angriffen zu schützen, also in jeder Situation ihr Gesicht zu wahren. Der Respekt, der einer anderen Person entgegengebracht wird, gründet sich dabei weniger auf deren Leistungen, sondern vielmehr auf ihre Persönlichkeit, ihr Betragen und ihre Vertrauenswürdigkeit. Die Aufrechterhaltung und Pflege persönlicher Beziehungen ist nach AIESEC (1996, S. 8) wichtiger Bestandteil der mexikanischen Geschäftskultur. Auch hier wird von »palancas« gesprochen, den Beziehungen, die einem beispielsweise zu neuen Geschäftskontakten verhelfen. Die Konzepte von »Würde und Ehre« und der »palancas« ist Teil des umfassenderen kulturellen Musters der »Interpersonellen Orientierung«, das Albert (1996) für ganz Lateinamerika annimmt. Weitere sehr zentrale Begriffe der mexikanischen Kultur sind »Status und Macht«. In Mexiko gibt es laut AIESEC (1996, S. 3) ein starkes Machtgefälle in allen gesellschaftlichen Bereichen, beispielsweise zwischen Führungskraft und Untergebenem. Die Entscheidungsmacht liegt allein beim Vorgesetzten, dessen Autorität bedingungslos anerkannt werden muss. Dieser trägt als »patrón« im Gegenzug aber auch Verantwortung für seinen Mitarbeiter. Bei der ersten Begegnung ist es erst einmal wichtig festzustellen, wie der Status des Gegenübers im Vergleich zur eigenen Position ist, und sich dementsprechend zu verhalten. Aus diesem Grund wird sehr viel Wert gelegt auf die »imagen publica«, das äußere Erscheinungsbild (AIESEC 1996, S. 4). Eine große Rolle spielen auch akademische Titel in der Anrede, da sie auf einen höheren Status hinweisen. Die von Hofstede (1980) festgestellte hohe Machtdistanz in Lateinamerika lässt sich demzufolge in den kulturellen Besonderheiten Mexikos auch nach AIESEC wieder finden. Das Fundament der mexikanischen Gesellschaft bildet die Familie (AIESEC 1996, S. 6). Verpflichtungen der Familie gegenüber haben Vorrang vor allen anderen. Selbst in Geschäftsbeziehungen spielt die Familie der Beteiligten eine Rolle, indem der Vorgesetzte nicht nur für seinen Untergebenen Verantwortung trägt, sondern auch für dessen Familie. Frauen haben zwar einen hohen Stellenwert innerhalb der Familie, es ist jedoch schwierig für sie, außerhalb der Familie eine einflussreiche Position zu erlangen. »Machismo« bezeichnet Verhaltensweisen, durch die ein Mann für sich selbst und andere Verantwortung übernimmt und seine Würde und Ehre aufrechterhält (AIESEC 1996, S. 8). Die große Bedeutung der Familie in lateinamerikanischen Gesellschaf© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ten sowie die Verteilung der Geschlechterrollen unter besonderer Berücksichtigung des Begriffs »Machismo« nach Albert (1996) finden somit ihre Entsprechungen in der mexikanischen Kultur. Was den Umgang mit Zeit betrifft, so haben in Mexiko laut AIESEC (1996, S. 10) Menschen Vorrang vor zeitlichen Verpflichtungen. Man würde beispielsweise ein Gespräch nicht mit dem Hinweis unterbrechen, dass man zu einem anderen Termin muss. Auch bestehen weite Toleranzgrenzen bei Verspätungen. Diese Elemente lassen sich in dem Konzept des polychronen Zeitverständnisses nach Hall (1983) wieder finden.

Zentrale argentinische Kulturstandards aus deutscher Sicht Gemäß Thomas (1993, S. 381) sind Kulturstandards als zentral zu bezeichnen, wenn sie »in sehr unterschiedlichen Situationen wirksam werden und weite Bereiche der Wahrnehmung, des Denkens, Wertens und Handelns regulieren«. Anhand der Methode der qualitativen, inhaltsanalytischen Auswertung von Interviews (nach Mayring 1983) mit in Argentinien lebenden Deutschen wurden folgende argentinische Kulturstandards identifiziert, die in der Begegnung zwischen Deutschen und Argentiniern eine zentrale Rolle spielen (Foellbach 2000, S. 63, Rottenaicher 2000, S. 48 ff.):

Simpatía Dieser Kulturstandard bezeichnet den herzlichen, vom Streben nach Harmonie geprägten, persönlichen Umgang miteinander, sowohl im Privat- als auch im Geschäftsleben. Es überwiegt ein beziehungsorientierter Kommunikationsstil gegenüber einem sachorientierten. Es herrscht die Tendenz, positives Verhalten in angenehmen Situationen zu betonen und negatives Verhalten in kritischen Situationen sowie generell persönliche Konflikte zu vermeiden. Das Vorhandensein einer harmonischen, vertrauensvollen Beziehung ist eine Voraussetzung für berufliche Zielerreichung.

Buena Presencia Dieser Kulturstandard bedeutet, dass für Argentinier das Repräsentieren der eigenen Person eine große Bedeutung hat und daher auf das äußere Erscheinungsbild© großer Wert gelegt wird. Es existiert eine Trennung von 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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zu repräsentierender Außenwelt und Privatsphäre, die nur guten Bekannten und der Familie zugänglich ist.

Hierarchieorientierung Dieser Kulturstandard beschreibt den Umgang mit Autoritäten. Argentinier akzeptieren ein großes Machtgefälle und nach patriarchalischem Muster ablaufende Entscheidungsprozesse.

Ambivalente nationale Identität Dieser Kulturstandard beschreibt die zwiespältige Einstellung der Argentinier zu ihrem Land. Einerseits sind Argentinier sehr stolz auf ihre eigene Nation und zeigen eine teilweise stark ausgeprägte abwertende Haltung und Abgrenzung gegenüber anderen südamerikanischen Ländern. Andererseits existiert eine enorme Bewunderung für Europa und die USA.

Gegenwartsorientierung Dieser Kulturstandard bedeutet, dass die momentanen Gefühle dominieren und das positive Erleben der Gegenwart im Vordergrund steht. Es wird mehr für das Jetzt und Heute gelebt als für eine langfristige Planung der Zukunft.

Polychrones Zeitverständnis Dieser Kulturstandard bezieht sich auf die Zeitorganisation, die Pünktlichkeit und die Wertschätzung von Zeit an sich. In Argentinien hat Zeit einen anderen Stellenwert und wird weniger als knappe Ressource wahrgenommen. Demzufolge herrschen weitere Toleranzgrenzen bei Verspätungen. Die verschiedensten Dinge werden zur selben Zeit erledigt und bestehende Zeitpläne den aktuellen Gegebenheiten flexibel angepasst.

Flexibilität Dieser Kulturstandard beschreibt das kurzfristige Planungsverhalten, den flexiblen Umgang mit bestehenden Plänen und das Improvisationstalent der Argentinier. Zudem reagieren Argentinier in der Regel gelassen auf Störungen im geplanten Handlungsablauf. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Unverbindlicher Umgang mit Absprachen Dieser Kulturstandard bezieht sich auf zwischen Personen getroffenen Absprachen. Absprachen haben zwar eine allgemeine Gültigkeit und Verbindlichkeit, verlieren diese aber, wenn dem Handelnden im Verlauf der Ereignisse andere Verbindlichkeiten wichtiger erscheinen. Eine einmal getroffene Absprache kann in der konkreten Situation dann den Zwang zur strikten Einhaltung verlieren.

Generalisierbarkeit Ein Großteil der vorangegangenen argentinischen Kulturstandards lässt sich in den kulturellen Mustern Lateinamerikas allgemein finden. Dazu gehört der Kulturstandard »Simpatía«, der inhaltlich mit dem Konzept der interpersonellen Orientierung übereinstimmt. Des Weiteren lassen sich Übereinstimmungen feststellen zwischen dem Kulturstandard Hierarchieorientierung und dem Konzept der Machtdistanz. Die Kulturstandards Gegenwartsorientierung, polychrones Zeitverständnis und Flexibilität können auch in den kulturspezifischen Besonderheiten Lateinamerikas allgemein wieder gefunden werden. Was den Kulturstandard »Buena Presencia« betrifft, so gibt es Hinweise, dass das äußere Erscheinungsbild (»imagen publica«) auch in anderen lateinamerikanischen Kulturen eine große Rolle spielt (siehe oben). Der Kulturstandard der ambivalenten nationalen Identität lässt sich aus der Geschichte Argentiniens erklären, das noch Anfang des 20. Jahrhunderts zu den reichsten Ländern der Welt zählte und deshalb seinem Empfinden nach eine Sonderrolle in Lateinamerika einnimmt.

Ausblick Es hat sich gezeigt, dass sich die allgemeinen kulturellen Muster Lateinamerikas durchaus in den kulturspezifischen Besonderheiten einzelner Länder beobachten lassen. Um einen tieferen Einblick in die Kultur eines bestimmten Landes zu bekommen, stellen sie jedoch nur eine Grundlage dar. Darüber hinaus sollten noch die einzigartigen länderspezifischen Charakteristika betrachtet werden. Laut Albert (1996, S. 330) wurden lateinamerikanische Kulturen in der © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sozialwissenschaftlichen Forschung bisher kaum berücksichtigt, so dass es nur wenige Erkenntnisse über einzelne Länder gibt. Lediglich aus der Perspektive der US-amerikanischen Forschung gibt es eine Vielzahl von Studien speziell über die mexikanische Kultur und über Einwanderer hispanischer Herkunft, die in den USA leben (z. B. Lisansky 1981; Ferdman u. Cortes 1992). In der Kulturstandardforschung wurden bisher, so weit bekannt, lediglich die Kulturstandards Argentiniens aus deutscher Sicht identifiziert. Für einen differenzierteren Blick auf jedes einzelne Land Lateinamerikas wäre es jedoch unerlässlich, jeweils länderspezifische Daten zu sammeln und auszuwerten. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse müssten verglichen und zusammengefasst werden, um fundierte Aussagen über kulturelle Besonderheiten Lateinamerikas aus deutscher Sicht treffen zu können. Das bereits reichlich vorhandene Material aus deutsch-lateinamerikanischem Austausch und der Zusammenarbeit könnte eine gute Basis für diese Untersuchungen darstellen.

Literatur AIESEC (1996): Business Culture in Mexico. Global Player Seminar. Text adapted from Mexico Business, World Trade Press, San Rafael, CA. Albert, R. (1996): A framework and model for understanding Latin American and Latino/Hispanic cultural patterns. In: Landis, D.; Bhagat, R. S. (Hg.), Handbook of Intercultural Training. 2. Auflage. Thousand Oaks, CA, S. 327–348. Archer, L.; Fitch, K. (1994): Communication in Latin American multinational organizations. In: Wiseman, R.; Wiseman, S. (Hg.), Communicating in Multinational Organizations. Thousand Oaks, CA, S. 75–93. Brake, T.; Walker, D. M.; Walker, T. (1995): Doing Business Internationally. The Guide to Cross-Cultural Success. New York. Díaz-Guerrero, R.; Szalay, L. B. (1991): Understanding Mexicans and Americans: Cultural Perspectives in Conflict. New York. Ferdman, B. M.; Cortes, A. C. (1992): Culture and identity among Hispanic managers in an Anglo business. In: Knouse, S.; Rosenfeld, P.; Carbertson, A. (Hg.). Hispanics in the Workplace. Newbury Park, CA, S. 246–276. Flanagan, J. (1954): The critical incident technique. Psychological Bulletin 51: 327–358. Foellbach, S. (2000): Entwicklung eines Culture Assimilators zur Vorbereitung von Expatriates und Praktikanten auf ihren beruflichen Einsatz in Argentinien. Band II. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Regensburg. Hall, E. T. (1976): Beyond Culture. New York. Hall, E. T. (1983): The Dance of Life. The Other Dimension of Time. New York. Hofstede, G. (1980): Culture’s Consequences. International Differences in WorkRelated Values. Newbury Park, CA. Kluckhohn, F.; Strodtbeck, F. L. (1961): Variations in Value Orientations. Connecticut. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Lisansky, J. (1981): Interpersonal relations among Hispanics in the United States: A content analysis of the social science literature (Technical Report No. 3). Urbana University of Illinois, Department of Psychology. Mayring, P. (1983): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Basel. Rottenaicher, K. (2000): Erhebung der relevanten Kulturstandards von Argentinien als Grundlage zur Entwicklung eines Culture Assimilators. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Regensburg. Thomas, A. (1993): Psychologie interkulturellen Lernens und Handelns. In: Thomas, A. (Hg.), Kulturvergleichende Psychologie. Eine Einführung. Göttingen, S. 377–422. Triandis, H. C.; Marín, G.; Lisansky, J.; Betancourt, H. (1984): Simpatía as a cultural script of Hispanics. Journal of Personality and Social Psychology 47(6): 1363–1375. Trompenaars, F. (1997): Riding the Waves of Culture. Understanding Cultural Diversity in Business. 2. Auflage. London. http://www.sru.edu/depts/artsci/ges/lamerica/population.htm

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YongLiang/StefanKammhuber:China

4. Asien

Yong Liang/Stefan Kammhuber

4.1 Ostasien: China

Ein Fallbeispiel »Herr Vietkau ist Manager eines deutschen Reiseunternehmens, das sich in Asien stärker engagieren möchte. Er trifft sich daher mit Vertretern eines chinesischen Unternehmens, zu denen bisher nur auf schriftlichem und fernmündlichem Wege Kontakt aufgenommen worden war, um zukünftige Reisekooperationen zu verhandeln. Herr Vietkau hat sich gut vorbereitet, viel anschauliches Werbematerial mitgebracht, um noch einmal das Niveau seines Unternehmens darzustellen, sowie Zahlen, die den Erfolg in anderen asiatischen Regionen eindringlich belegen und die Ziele für China deutlich werden lassen. Er ist überzeugt, den Chinesen ein lukratives Geschäft vorschlagen zu können, und sieht keine Probleme, schnell zu einem Abschluss zu kommen, da er auch von der Seriosität des ausgewählten chinesischen Unternehmens überzeugt sein kann. Der Empfang beim Geschäftsführer und einer ganzen Reihe chinesischer Mitarbeiter ist sehr freundlich, fast erdrückend, und es werden viel zu viel Umstände gemacht: Erst wird Tee – in verschiedenen Variationen – angeboten. Da er den grünen chinesischen Tee mit den Blättern darin verabscheut, lehnt er ihn höflich ab. Weiter ging es mit Keksen und anderen Süßigkeiten, die er auch nicht mochte. Er war doch nicht auf einer Party! Obwohl er eigene Zigaretten in seiner Brusttasche hatte und eigentlich im Moment nicht rauchen wollte, wurden ihm Zigaretten aller im Raum vorhandenen Marken aufgedrängt. Das Gespräch drehte sich nur um seine bisherigen Reiseeindrücke von China, wobei er solche diesmal überhaupt nicht gesammelt hatte, schließlich war das für ihn eine reine Geschäftsreise, wie er vergeblich betonte. Er wurde nach seinem Familienstand ausgefragt, nach dem Wohlergehen von Frau und Kind, was er als reichlich indiskret © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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empfand. Mühsam quälte sich Herr Vietkau durch diese Zeit raubenden Nichtigkeiten, um endlich zur Sache kommen zu können. Geschickt machte er der Tratscherei ein Ende, indem er begann seine mitgebrachten Materialien zu präsentieren. Schon während seiner Ausführungen bemerkte er, dass ihm offenbar kaum Interesse entgegengebracht wurde. Die Verabschiedung kam für ihn überraschend früh, ohne dass man überhaupt in konkrete Gespräche eingestiegen war. Er war vom einseitigen und offensichtlich von Interesselosigkeit begleiteten Verlauf seiner Präsentation so verunsichert, dass er beschloss, nicht weiter zu drängen, sondern den nächsten Tag abzuwarten. Am nächsten Tag erfuhr er, dass seine gestrigen Gesprächspartner entweder nicht im Haus seien oder in Besprechungen, und niemand anderes in der Sache zuständig sei oder Bescheid wisse. Auch zu einem späteren Zeitpunkt kam es zu keinem weiteren Treffen zwischen Vertretern beider Firmen« (Thomas u. Schenk 2001, S. 133 ff.). Herr Vietkau denkt sich über seine chinesischen Kontaktpartner: »Ich verstehe das nicht. Es war doch eigentlich schon alles klar zwischen den Chinesen und uns. Wir hätten beide ein richtig gutes Geschäft machen können! Alle Zahlen sprechen dafür! Vielleicht haben die aber auch einen anderen Kontaktpartner und wollten mich nur hinhalten bei diesem seltsamen Empfang. Über das Geschäft konnte ich ja mit ihnen nicht reden, und meine Präsentation war auch für die Katz! Dafür haben die mich ausgefragt über mein Privatleben! Dass die sich jetzt alle verleugnen lassen, wenn ich versuche mit ihnen Kontakt zu knüpfen, spricht ja wohl für meine Hypothese mit dem anderen Wettbewerber!« Über sich selbst denkt er: »Ich habe mir eine solche Arbeit gemacht mit der Vorbereitung dieses Deals, der Gestaltung der Werbematerialien, komme den langen Weg nach China und jetzt stehe ich mit leeren Händen da, und weiß noch nicht einmal genau warum. Na gut, vielleicht hätte ich dieses ganze Spielchen mit den Zigaretten und dem Tee begeisterter mitmachen sollen, aber das kann’s ja wohl nicht sein, dass deswegen unser Geschäft in die Hose geht. Ich habe mich immer für einen wirklich guten Verkäufer gehalten, aber jetzt bin ich doch ziemlich verunsichert.« Doch wie denken wohl die chinesischen Kontaktpartner von Herrn Vietkau über diese Angelegenheit? Zur Erklärung können zentrale chinesische Kulturstandards herangezogen werden (Liang 2000; Thomas u. Schenk 2001).

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Beschreibung zentraler chinesischer Kulturstandards Soziale Harmonie »Gleichheit in Ungleichheit« Die Harmonie (he) verkörpert eine traditionelle Wertvorstellung, die wie kaum eine andere so konsequent hochgehalten wurde und nach wie vor als das höchste Prinzip in der interpersonalen Beziehung gelten dürfte. So wird Harmonie im Chinesischen vor allem als zwischenmenschliche Harmonie verstanden, die in der Vorstellung über das traditionell überaus wichtige Verhältnis von Himmel, Erde und Menschen die beiden ersteren Dimensionen an Bedeutung weit überragt. Zu bemerken ist allerdings, dass das traditionelle Harmonieverständnis keineswegs von einer sozialen Gleichheit ausgeht. Vielmehr bedeutet Harmonie soziale Ordnung beziehungsweise soziale Einbindung des Individuums in das gesellschaftliche Gefüge. Sie kann nur dann hergestellt und bewahrt werden, wenn sich die Einzelnen, in einem Beziehungsgefüge stehenden Menschen stets ihrer sozialen Rolle entsprechend verhalten. Wichtig zur Wahrung der sozialen Harmonie ist deshalb weniger die Gleichheit im interaktiven Verhalten und Handeln, sondern vielmehr ein hierarchisch und interpersonal differenziertes Verhalten, das je nach Alter, sozialem Status, Wissensstand und Gruppenzugehörigkeit festgelegt wird. Die soziale Harmonie in diesem Sinn ist »Gleichheit in Ungleichheit« (vgl. Liang 1996, S. 161, 252 f.). Diese Differenzierung gilt für alle Verhaltensmaximen, mit denen die soziale Harmonie – wenn sie heute auch als ein allgemein gültiges Prinzip für die Pflege des Gemeinschaftsgeistes gesehen wird – zu erlangen gesucht wird. Zur Herstellung und Bewahrung einer harmonischen Partnerbeziehung ist Konfliktvermeidung von grundlegender Bedeutung. Für ein höfliches Miteinander gilt es, eine soziale Interaktion so zu gestalten, dass keine Konfliktsituation entsteht. Dies hängt von einer Grundeinstellung zum Konflikt ab, wonach jeder – auch verbale – Konflikt in sozialen Interaktionen die Partnerbeziehung belasten und beeinträchtigen kann. In der Eigengruppe werden Meinungsdifferenzen nach Möglichkeit umgangen oder verleugnet. Jede direkte Konfrontation mit den Gruppenmitgliedern ist tabuisiert. Gegenüber Fremden, nicht nur Ausländern gegenüber, wird das Kommunikationsverhalten in China, gerade in einer Konfliktsituation, durch andere, zusätzliche Regeln geleitet. Im eigenen Personenkreis führt die grundsätzliche Vermeidung von Konfliktsituationen auch dazu, dass es genauso schwierig ist, eine kritische Meinungsäußerung wie ein Eingeständnis im Sinne einer Selbstkorrektur abzugeben. Kulturhistorische Verankerung: Bevor im Jahr 221 v. Chr. Qin Shi die anderen Feudalstaaten unterwarf und ein streng legalistisches Herrschaftssys© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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tem einrichtete, waren 500 Jahre Krieg zwischen den verschiedenen Einzelstaaten über das riesige Land hinweggezogen. Daraus resultierte eine starke Abneigung der chinesischen Gesellschaft gegenüber Chaos und Unordnung und ein tief verwurzelter Wunsch nach Stabilität und Harmonie. In diesen Kriegsjahrhunderten bildeten sich die philosophischen Schulen heraus, deren Lehren sich in die heutige Zeit erstrecken. Die berühmtesten Vertreter waren Konfuzius (551–479 v. Chr.), Menzius (4. Jh.) und Laotse (6. Jh.). Ihren Lehren ist gemeinsam, beruhend auf der Erfahrung von der gnadenlosen Verfolgung eigener Interessen in den Kriegen, eine Zurückdrängung des Ich zugunsten der Gemeinschaft.

Hierarchie Jedem Chinesen kommt nach dem Grundsatz »Gleichheit in Ungleichheit« ein bestimmter Platz in dem großen Ganzen zu, den es in der Kommunikation differenziert zu berücksichtigen gilt. Deswegen werden zu Beginn eines Gespräches auch immer Fragen gestellt, die dem Gegenüber Aufschluss geben, in welcher gesellschaftlichen Position der Gesprächspartner anzusiedeln ist und wie ihm daraufhin begegnet werden muss. Da das Rühmen der eigenen Person aber in China verpönt ist, bietet die Visitenkarte, auf der in China oftmals viele Titel und Funktionen aufgeführt werden, diese Informationen. Sie ist wie ein Stück Identität und muss als solche wertgeschätzt werden, weswegen Chinesen eine übergebene Karte auch immer entsprechend würdigen. Ein simples »In-die-Tasche-Stecken« wäre gleichbedeutend mit einer Missachtung der Person. In öffentlichen Situationen, zum Beispiel bei der Veranstaltung von Banketten, wird dafür gesorgt, dass sich die hierarchischen Beziehungen in der vorher intensiv geplanten Sitzordnung widerspiegeln, um Peinlichkeiten zu vermeiden. Es ist in China völlig selbstverständlich, dass einer hierarchisch hoch stehenden Person auch entsprechende Privilegien und Statussymbole zustehen, während dies in einer eher gleichheitsorientierten Kultur wie Deutschland immer wieder gerechtfertigt werden muss. Kulturhistorische Verankerung: Kulturgeschichtlich ist die Strukturierung der chinesischen Gesellschaft rückführbar auf die konfuzianischen »wu lun«, die fünf Kardinalbeziehungen (1) Herrscher–Untertan, (2) Vater–Sohn, (3) Älterer Bruder–Jüngerer Bruder, (4) Mann–Frau, (5) Freund–Freund. Nur bei der Freundschaftsbeziehung wird von einer Gleichwertigkeit ausgegangen. Für alle anderen gelten die Verpflichtungen der Strenge und Fürsorge auf der einen Seite und dem Respekt und der Loyalität auf der anderen. So hatte der Sohn sich den Wünschen seiner Eltern zu beugen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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und für sie zu sorgen, während er darauf zählen konnte, dass seine Eltern zwar streng mit ihm umgingen, aber dennoch eine große Fürsorge an den Tag legten. Dieser Respekt vor dem Älteren und Höhergestellten galt als die alles überragende Tugend, zu der die konfuzianische Charaktererziehung notwendig war. In der Lehrer-Schüler-Beziehung findet sich dieses Verhältnis genauso wieder wie in dem Vorgesetzten-Mitarbeiter-Verhältnis, bei dem der Vorgesetzte eine nicht kritisierbare Autorität darstellt, der aber auf der anderen Seite auch ein Ohr für die privaten Belange und Sorgen seiner Mitarbeiter haben muss. Gleichzeitig war eine solche starre Grundlegung funktional für das Beherrschen eines enorm großen Landes. Durch ein Mandat des Himmels stand der Kaiser an der Spitze des Staates und sollte sich durch seine moralische Überlegenheit auszeichnen. Dabei regierte er nicht in Willkür, sondern hatte sich in die Ordnung der Natur und des Kosmos harmonisch einzufügen. Dem zugrunde liegt daoistisches Gedankengut, nach dem Harmonie dann in das Weltgeschehen einkehrt, wenn man den Dingen ohne eigene Einwirkung ihren Lauf lässt und sich jeder seines Platzes in der Gesellschaft bewusst ist und sich demgemäß verhält.

Guanxi und Renqing Trotz allem individuellen Leistungsstrebens seit der Einführung der Wirtschaftsreformen, spielt die Gruppenorientierung als Grundprinzip von Organisation und Management von Wirtschaft und Gesellschaft nach wie vor eine zentrale Rolle. Diese Orientierung an der Gruppe drückt sich in der intensiven Gestaltung und Pflege interpersonaler Beziehungen aus (renji guanxi). Ohne ein funktionierendes Beziehungsnetz in China ist es vor allen Dingen für Fremde kaum möglich, dort produktiv zu handeln. Die Gestaltung von Beziehungen (guanxi) setzt immer eine Beziehungsdifferenzierung voraus. Das wichtigste Kriterium ist dabei die Unterscheidung von »Innen« und »Außen« (nei wai you bie). Es wird streng zwischen denjenigen unterschieden, die auf der eigenen Seite stehen, und denjenigen, die nicht zum eigenen Personenkreis gehören. Unter den »Innenseitern« wird wiederum je nach sozialer Nähe differenziert, ob es sich um Familie, Freunde, Vertraute oder Bekannte handelt. Gegenüber diesen werden die eigenen Interessen hintangestellt. Man hilft ihnen selbstlos, auch auf Kosten der eigenen Interessen. Im Umgang mit allen anderen hingegen gilt oft die Parole »Dienst ist Dienst« (gongshi gongban). Es ist häufig zu beobachten, dass man sich außerhalb des eigenen Beziehungsgefüges unbeholfen verhält und vor Konflikten nicht zurückscheut. Es gehört zur Beziehungsarbeit in chinesischen Interaktionssituationen, »Außenseiter« als »Innenseiter« zu gewinnen. Dazu wird renqing einge© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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setzt, was mit »Mitmenschlichkeit« übersetzt werden kann. Je nach Intensität der Beziehung gibt es größere und kleinere renqing, in die mit unterschiedlichem Aufwand investiert werden muss. Dies können materielle Werte wie Essenseinladungen oder Geschenke sein, vor allem aber auch gegenseitige Hilfeleistungen. Beides wird zugleich als »Gefühlsinvestition« (ganqing touzi) verstanden, das heißt, eine Investition solcher Art muss »einen von Sympathie getragenen emotionalen Kontakt zwischen Personen« oder einen »Herzenstausch« bewirken können (vgl. Sun 1994, S. 12). Diese Austauschbeziehung strahlt einerseits gefühlvolle Herzlichkeit aus, übt zugleich aber auch Druck auf die betroffenen Personen aus; sie ist von einem Wechselspiel von »Schuldigsein« und »Schuldbegleichung« geprägt. Dabei können die Bemühungen, die darauf zielen, dass immer der Partner im Vorteil ist, durchaus funktional und ambivalent sein. Einerseits wird stets versucht, möglichst viel und auf jeden Fall mehr zu investieren, als der im Beziehungsgefüge stehende Andere getan hat. Diese Mehrinvestition ist andererseits oft mit der Erwartung verbunden, dass die Gunstbezeigungen später einmal von dem Anderen erwidert werden. Kulturhistorische Verankerung: Um den eigenen Einflussbereich über die Grenzen des familiären Verbunds zu erweitern, wurden Beziehungen (guanxis) zu anderen Verbünden geknüpft, zum Beispiel durch Heirat. Im Lauf der Zeit entstanden so eng verflochtene Beziehungsnetze zwischen den Clans, in denen es möglich wurde, auf die Ressourcen des anderen Netzwerkes zurückzugreifen. Jede guanxi beruht auf einer Gemeinsamkeit (tong), zum Beispiel auf gemeinsamer Abstammung, dem Besuch der gleichen Universität oder gemeinsamen Bekannten. Durch die Verflechtung des Beamtenapparats in die Beziehungsnetzwerke bei gleichzeitig schlechter Bezahlung wurde Korruption zu einem Dauerthema, das die chinesische Regierung in wiederkehrenden Kampagnen zu bekämpfen versucht.

Gruppenorientierung: Das Danwei-System Die Orientierung an der Gruppe, am Kollektiv, zeigt das Danwei-System, das – aufbauend auf der Organisation der Familienclans – in dem modernen China lange Zeit das beherrschende Grundmuster der Gesellschaftsordnung darstellte. Jede größere Einheit, in der die Menschen ein gewisses Gemeinschaftsgefühl entwickeln konnten, kann als Danwei bezeichnet werden. Noch bis Anfang der achtziger Jahre gehörte fast jeder Chinese zu einer Danwei. In ihr liefen alle Fäden zusammen, wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch. Ob es um Wohnungsvergabe, Beförderung, Altersversorgung, Krankenversicherung, Kindergartenplätze oder die Erlaubnis, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Kinder zu bekommen, oder sonstige persönliche Belange ging, die Danwei regelte alles. Somit war die Danwei nicht nur eine Arbeits-, sondern auch eine Lebensgemeinschaft. Durch die Übernahme all dieser Funktionen hatte die Danwei eine stark identitätsstiftende Bedeutung für die jeweiligen Mitglieder und garantierte ihnen ein soziales Sicherungssystem. Gleichzeitig diente sie als Instrument der politischen und sozialen Kontrolle. In der Danwei wird das Binnenverhältnis durch Gehorsam und Loyalität gegenüber der Führung auf der einen Seite und durch Fürsorge und Kontrolle gegenüber den Mitgliedern auf der anderen Seite geregelt. Die gegenseitige Unterstützung und das Verpflichtungsgefühl enden allerdings an der Grenze der Danwei. Aus der Perspektive einer christlichen Sozialisation, in der eine personenunabhängige Nächstenliebe gefordert ist, wird diese starke Abschottung nach außen häufig negativ und stärker wahrgenommen als die große Fürsorge, die innerhalb einer Einheit herrscht und die wesentlich intensiver als im deutschen Kulturkreis ausgeübt wird (Hanlin 1991). Kulturhistorische Verankerung: Nach der Einigung des Reichs im Jahr 221 v. Chr. wuchs ein riesiger Staat heran. Die heutige VR China beherbergt knapp 1,3 Milliarden Chinesen auf einer Fläche von 9,6 Mio. km2 mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von 5 500 km und einer Ost-West-Ausdehnung von 5 200 km. Deutschland würde von der Größe her 27-mal in China hineinpassen. Um es regieren zu können, ist ein ausgeklügeltes System von zentralistischer Herrschaftsausübung und lokaler Handlungsautonomie notwendig. Im alten China waren dies die Clans, an deren Spitze der Patriarch stand und in dem alle Macht verkörpert war. Er war verantwortlich für die Bereitstellung von Ressourcen, bestrafte und belohnte und war für die Charaktererziehung zuständig. Die Clans waren autark und handelten autonom. Die Kommunistische Partei (KP) konnte auf dieser Clanstruktur in Form der Danwei aufbauen und auf diese Weise effizient für eine ideologische und soziale Steuerung sorgen. Die Danwei-Führung wurde mit politisch loyalen Personen besetzt, die dann eine ähnlich mächtige Position einnahmen wie zuvor die Patriarchen. Die Danweis haben untereinander kaum Beziehungen, sondern sind streng vertikal organisiert. So konnte die KP ausschließen, dass sich konspirative Zusammenschlüsse ergaben, die der Führung gefährlich werden konnten. Durch die wirtschaftliche Öffnung ist zu beobachten, dass das Danwei-System mit seinen sozialen Funktionen zunehmend an Bedeutung verliert. Die Gründe liegen in der gewachsenen Unabhängigkeit staatlicher Unternehmen, der Einführung leistungsorientierter Lohnsysteme, die zu enormen Einkommensunterschieden in den Danweis selbst führen, dem Verlust der lebenslangen Arbeitsplatzgarantie, der fehlenden Finanzkraft, um das soziale Versorgungssystem aufrechtzuerhalten, der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Staatsunternehmen gegenüber privatwirtschaftlichen Unternehmungen und der gestiegenen Arbeitsplatzmobilität. Diese Entwicklung resultiert in einer zunehmenden Orientierungslosigkeit der Mitarbeiter vor allem in chinesisch-ausländischen Gemeinschaftsunternehmen, die ihre sozialen Anliegen nun nicht mehr in ihrer Arbeitswelt erfüllt sehen. So ist es nicht erstaunlich, dass Stadtbewohner heutzutage nach dem Prinzip »eine Familie–zwei Systeme« handeln, dass also ein Elternteil privatwirtschaftlich arbeitet, während der andere Part in einer staatlichen Danwei verbleibt, um nicht völlig aus den sozialen Sicherungssystemen herauszufallen. In der gleichen Weise, mit der die Danwei an Attraktivität verliert, steigt die Bedeutung der Guanxi-Netzwerke.

Gesicht geben – Gesicht nehmen In Europa ist der Begriff des Gesichts durchaus geläufig. Er wird zumeist in der Bedeutung verwendet, dass Personen bemüht sind, »ihr Gesicht zu wahren« oder in der Gefahr stehen, »das Gesicht zu verlieren«. In China gehört die gesichtsbezogene Beziehungsarbeit (mianzi) zu den ältesten Konzepten des moralischen Verhaltens und ist sehr fein ausdifferenziert. So kann in der chinesischen Sprache unterschieden werden zwischen »Gesicht haben«, »nach Gesicht streben«, »Gesicht geben«, »Gesicht verleihen«, »Gesicht belassen« und »Gesicht verlieren«. Jeder Mensch hat ein soziales Gesicht, das aufgrund von Prestige, Erfolg, Leistung oder Wohlstand unterschiedlich groß ist. Es kann in den Augen anderer vermehrt werden, wenn man beispielsweise mit großen internationalen Unternehmungen zusammenarbeitet, also mit Partnern, die einen höheren oder zumindest gleichen Gesichtswert aufweisen. Allerdings ist diese Vermehrung des sozialen Gesichts weniger von Eigenaktivitäten abhängig, im Sinne eines westlichen Gesichtsmodells, sondern vielmehr von den gesichtsgebenden Aktivitäten anderer. Einem anderen »Gesicht zu geben« ist viel gewichtiger als das »eigene Gesicht zu wahren«. Dies kann dadurch erfolgen, dass man dem Gegenüber, insbesondere vor den Augen anderer, Komplimente macht, seine Person und seine Leistung heraushebt. Dies ist umso bedeutender, je höher der soziale Status des Gesichtgebenden ist. Wer nicht in der Lage ist, anderen Gesicht zu geben, steht in der Gefahr, das eigene Gesicht zu verlieren, etwa bei der Ablehnung einer Einladung, eines Geschenks, bei der Verweigerung einer Hilfeleistung oder Nichtbeachtung in der Öffentlichkeit. Bei alledem muss berücksichtigt werden, dass davon nie nur die Einzelperson betroffen ist, sondern das gesamte Beziehungsgefüge. Das Gesicht kann aber auch »verliehen« werden, indem bei zwei strei© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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tenden Parteien ein Dritter als Vermittler hinzugezogen wird, der ein möglichst hohes mianzi einbringt. In der Regel sind dies ältere, statushöhere Personen oder welche, die über ein Beziehungsnetz verfügen, dem sich die Parteien nicht entziehen können. Wenn man jemandem aus welchem Grund auch immer kein Gesicht geben kann oder will, so ist man immerhin darauf bedacht, dem Betroffenen sein Gesicht zu belassen. Dafür existieren eine Vielzahl von Vermeidungspraktiken, zum Beispiel eine Fehlleistung nicht öffentlich kritisieren, nicht nur um dessen Ruf zu bewahren, sondern ihm auch die Chance auf Selbstkorrektur zu ermöglichen. Denn nach einem Gesichtsverlust hat der Betroffene keine Handlungs- oder Existenzberechtigung im Gesellschaftsleben mehr. So zeigt sich in einem gesichtsbelassenden Verhalten auch immer ein Stück Charaktergröße. Denn ein Gesichtsverlust ist eine schwerwiegende Angelegenheit. Man kann dabei unterscheiden, ob der Betreffende nicht seinen Beziehungspflichten nachgekommen ist, was einer Verminderung seines Gesichts gleichkommt, die aber wieder zurückgewonnen werden kann, oder ob es den Verlust des moralischen Gesichts (lian) betrifft. Hier ist die Integrität des Charakters in Frage gestellt und ein solcher Verlust ist nur schwer zu reparieren. Das Gesicht ist in China also eine wichtige soziale Ressource zur interpersonalen Beziehungsgestaltung. Gesichtsarbeit kann zum Investitionsgut werden, weil damit gerechnet wird, dass der investierte Gesichtswert sich zu einem späteren Zeitpunkt in Gegenleistungen niederschlagen wird, mit allen negativen Konsequenzen, die ein solches Handeln auch beinhaltet. Kulturhistorische Verankerung: Das Konzept des Gesichtgebens und -nehmens ist ein konfuzianisches Prinzip, das für die Einhaltung aller moralischen Tugenden wie Loyalität, Einhaltung der Hierarchie und Pietät steht. Im Zuozhuan, einem konfuzianischen Klassiker aus dem 2. Jahrhundert v. Chr., werden zahlreiche Geschichten erzählt, die das Gesichtskonzept zum Thema haben. Sie enden zumeist im Suizid als letzter Möglichkeit, das eigene Gesicht zu wahren. In einer Gesellschaft, in der Identität in verknüpften Beziehungsnetzen gedacht wird, ist es unabdingbar, dass das soziale Miteinander ausführlich geregelt wird. Dem Gesichtskonzept und den gesichtsbezogenen Handlungen kommen daher eine überaus große Bedeutung zu (Thomas u. Schenk 2001).

Etikette, Bescheidenheit und Höflichkeit Im Chinesischen bilden die Begriffe »Bescheidenheit« und »Respekt« ein Paar (qiangong xing). Aus traditioneller Sicht spiegelt diese Grundregel zu© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nächst die Lebensphilosophie einer gruppenorientierten Gesellschaft wider, die die Abwertung und Vermeidung von übertriebener Zurschaustellung der eigenen Person und der eigenen Leistung betont. Als Vorbild gilt der »bescheidene Edle«, der stets bemüht ist, sich in seinem Sprachverhalten selbst zu erniedrigen. Diese Bescheidenheit dient der Vorbeugung konflikthafter Situationen und somit der Wahrung sozialer Harmonie. Die selbsterniedrigenden Formulierungen werden aus westlicher Perspektive zumeist als Signale sozialer oder inhaltlicher Unsicherheit missverstanden und als Schüchternheit oder Inkompetenz gedeutet. Ist man sehr zuversichtlich, seine Arbeit ordentlich auszuführen, sagt man: »Ich probier’s mal, wahrscheinlich wird es gehen, aber ich weiß nicht, ob es zu deiner Zufriedenheit sein wird.« Oder nachdem man seine kritische Meinung geäußert hat: »Meine Meinung ist möglicherweise falsch. Bitte überprüfen Sie es einmal.« Diese Bescheidenheit wird umso stärker als Charaktergröße interpretiert, je höher das soziale Prestige desjenigen ist, der diese Formulierungen verwendet. Es gibt dazu ein chinesisches Sprichwort: »Der Mensch fürchtet sich davor, berühmt zu werden; das Schwein davor, fett zu werden.« In der gleichen Weise, wie das eigene Sprechen geprägt ist von bescheidenen Formulierungen, ist im Dialog das respektzollende Verhalten dem Anderen gegenüber wichtig für den Beziehungsaufbau. Im Austausch von Bescheidenheit und Respekt wird ein höfliches Miteinander interaktiv in einer Art »Höflichkeits-Ping-Pong«-Spiel konstruiert. Während in der deutschen Tradition Höflichkeit oftmals verbunden ist mit Distanzwahrung, bedeutet in China Höflichkeit die Herstellung von Vertrautheit und eines herzlichen Verhältnisses. Die durch Vertrautheit ausgedrückte Höflichkeit verlangt von den Interaktionspartnern zudem, über persönliche Bedürfnisse des Gegenüber besorgt zu sein und mitfühlend aufzutreten. Wenn man beim Gruß nach dem konkreten Wohlergehen des Gegenübers fragt oder wenn man sich bei den Kennenlernfragen nach den privaten Angelegenheiten der betreffenden Person erkundigt, ist dies nicht als Eindringen in die Privatsphäre oder Missachtung der sozialen Distanz zu verstehen. Vielmehr wird damit Herzensfürsorge signalisiert. Dies findet sich auch in der Gastfreundschaft wieder, wenn den Gästen ein Getränkeangebot mit mehrmaliger Wiederholung geradezu aufgezwungen wird oder wenn der Gastgeber während einer Essenseinladung die Teller und Schüsseln der Gäste dauernd mit verschiedensten Speisen füllt. Kulturhistorische Verankerung: Insbesondere die konfuzianische Lehre beinhaltete als zentrales Element die Erziehung des Charakters einer Person. Im »Buch der Riten«, das das umfangreichste der konfuzianischen Klassiker ist, werden eine Vielzahl an Vorschriften der Etikette, der Normen, Sitten und Gebräuche für unterschiedlichste Lebenssituationen aufgeführt. Mit ih© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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rer Einhaltung sind Strenge, Ernst und Respekt gegenüber sich selbst und anderen verbunden. Sie garantieren ein gesellschaftliches Miteinander in sozialer Harmonie, in dem die Reaktionen anderer vorhersehbar werden. Aus deutscher, eher individualistischer Perspektive werden Regeln der Etikette oftmals dem authentischen Ausdruck der eigenen Person nachgeordnet. Spontaneität in öffentlichen Situationen ist erlaubt. Beide Handlungsweisen irritieren jedoch Chinesen und werden eher weniger geschätzt.

Regelrelativismus »Wichtiger als gute Gesetze ist ein guter Beamter.« Dieses chinesische Sprichwort illustriert die konfuzianische Lehre, dass es nicht möglich ist, ein Volk mit festgeschriebenen und abstrakten Gesetzen zu beherrschen, sondern es auf die Moral und den Charakter der Herrschenden ankommt. Regeln haben keinen absoluten Status wie zum Beispiel in Deutschland, sondern müssen in ihrem Kontext interpretiert werden und an veränderte Situationen flexibel angepasst werden. Dies führt immer wieder in der interkulturellen Zusammenarbeit zwischen Chinesen und Deutschen zu Reibungspunkten, wenn es um die Anfertigung und Einhaltung von vertraglichen Regelungen geht. Wichtiger als kleingedruckte Zusatzklauseln ist für die Geschäftsbeziehung eine tragfähige persönliche Beziehung, mit der die vielfältigen Wechselfälle des menschlichen Lebens gemeinsam gemeistert werden können. Zu differenzierte Regelungen werden als eher hinderlich und konfliktfördernd betrachtet. Deutsche werden auf diesem Hintergrund auch häufig als rigide, stur und unflexibel von ihren chinesischen Partnern wahrgenommen, während sie selbst die chinesischen Partner manchmal als unzuverlässig, chaotisch oder gar hinterhältig einschätzen. Im kommunikativen Verhalten zeigt sich dieser Kulturstandard durch die Vermeidung von eindeutigen Aussagen und die Betonung der Umstände, die zu einer Anpassung von Regeln führen müssen. Kulturhistorische Verankerung: Zwar hatten die sog. »Legalisten« im 3. Jahrhundert v. Chr. gegen die konfuzianische Betonung der Charaktererziehung Stellung bezogen und in der Qin-Dynastie (221–206 v. Chr.) einen auf absoluten Gesetzen beruhenden Staat begründet, aber das breite Volk schloss sich dieser Denkweise nicht an. Nur kurze Zeit später wurde wieder die konfuzianische Linie der Charakterschulung verfolgt. Staat und Gesellschaft sollten nach ihr durch Moral, Menschlichkeit und Tugend gelenkt werden und nicht durch abstrakte Gesetze. Auf der Grundlage dieser Auffassung entwickelte sich ein Rechtsempfinden, das sich von der deutschen Auffassung stark unterscheidet. Während nach deutscher Rechtsauffassung © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nach dem römischen Grundsatz »Pacta sunt servanda« (Verträge müssen eingehalten werden) gehandelt wird, gilt ein solcher Satz in China nicht in dieser Absolutheit, sondern ist abhängig von den Kontextbedingungen.

Zurück zum Fallbeispiel Auf der Grundlage der dargestellten chinesischen Kulturstandards lässt sich nun nachvollziehen, was wohl die chinesischen Kontaktpartner bei der Begegnung mit Herrn Vietkau empfunden haben. Über sich selbst denken sie: – Wir sind aufgrund der Möglichkeiten des riesigen chinesischen Markts begehrte Verhandlungspartner für ausländische Firmen. – Das Angebot der Firma, zu der dieser Herr Vietkau gehört, ist durchaus interessant, aber wir wollen ihn zunächst einmal kennen lernen und prüfen, ob daraus eine tragfähige Geschäftsbeziehung werden kann. – Wir wollen ihm zeigen, dass wir sein Angebot schätzen, indem wir einen Empfang organisieren und ihn möglichst reichlich bewirten. – Nachdem er anscheinend unsere Firma und China nicht sonderlich schätzt, haben wir das Interesse an einer Kooperation mit ihm und seiner Firma verloren. Über Herrn Vietkau denken sie: – Was für ein unhöflicher Mensch! Nicht nur, dass er anscheinend unsere Speisen und Getränke nicht mag, er bemüht sich nicht einmal, das mit Anstand zu überdecken. – Man kommt gar nicht persönlich an ihn heran! Er weicht allen privaten Fragen aus und versucht ständig und penetrant, das Gespräch auf die Arbeit zu lenken. – Noch dazu wirkt er reichlich arrogant. Erst bringt er die gute Stimmung beim Empfang zum Erliegen und dann beginnt er auch noch, seine eigene Firma und deren Produkte zu bejubeln. Zieht man nun die Kulturstandards heran, werden diese Einschätzungen verständlich.

Soziale Harmonie Eine gute Geschäftsbeziehung hängt ab von der Harmonie zwischen den Geschäftspartnern. ©Deshalb haben die chinesischen Partner diesen Empfang 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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veranstaltet und versucht, zu Herrn Vietkau eine gute persönliche Beziehung herzustellen. Alle Fragen, die Herr Vietkau als indiskret empfand, waren Ansätze, um ihn näher kennen zu lernen. Herr Vietkau ging auf diese Harmonieangebote nicht ein, eine Grundlage für eine gemeinsame geschäftliche Zukunft war in der Folge für die chinesischen Partner nicht gegeben.

Hierarchie Die Anwesenheit des chinesischen Geschäftsführers lässt auf ein großes Interesse der chinesischen Seite an einer Kooperation schließen. Die Bedeutsamkeit einer Situation wird durch die Anwesenheit hierarchisch hochgestellter Personen symbolisiert. Ein gelungener Beziehungsaufbau zu dem Geschäftsführer hätte Herrn Vietkau einige Wege zum guten Geschäftsabschluss ebnen können. Die Kennenlernfragen der chinesischen Partner zielten neben dem Beziehungsaufbau auch darauf ab, das soziale Netzwerk und die Position von Herrn Vietkau darin zu analysieren. Da die Erhaltung der sozialen Harmonie darauf abgestellt ist, dass Personen entsprechend ihrem gesellschaftlichen Rang angesprochen und behandelt werden, sind solche Fragen zur Orientierung neben der obligatorischen Visitenkarte essenziell.

Guanxi und Renqing Wenn Herr Vietkau und seine Firma jemals in China etwas verkaufen wollen, so brauchen sie Verbindungen (guanxi) in den chinesischen Markt. Die Gelegenheit zur Herstellung einer ersten Verbindung war günstig, wurde aber durch das ungeschickte Agieren von Herrn Vietkau vorerst zunichte gemacht. Er hat die in ihn gesetzte »Gefühlsinvestition« nicht gerechtfertigt und kann deshalb auch nicht erwarten, noch weitere Unterstützung durch den chinesischen Partner zu erhalten.

Gesichtgeben und -nehmen Der Empfang mit der Anwesenheit des Geschäftsführers ist eine für Herrn Vietkau gesichtgebende Handlung. Er erweist sich dieser Ehre aber als unwürdig, da er selbst nicht in der Lage ist, seinen Gastgebern Gesicht zu geben. Vielmehr ist das bedroht durch Herrn Vietkaus nicht zu übersehende Abneigung gegenüber chinesischen Kulturtraditionen. Dass er schließlich den Empfang dazu nutzt, um die Produkte seiner eigenen Firma zu preisen, ist seinem Gesicht genauso abträglich wie dem der anderen Personen, die dieser für sie peinlichen Situation beiwohnen müssen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Etikette: Bescheidenheit und Höflichkeit Um die soziale Harmonie in einer Situation aufrechterhalten zu können, existiert eine ausdifferenzierte Sammlung an Höflichkeitsregeln. Der zentralen Regel, nämlich sich selbst bescheiden zu geben, aber dem Gegenüber Respekt zu zollen, ist Herr Vietkau in dieser Situation nicht gefolgt. So wäre es durchaus möglich gewesen, einige lobende Worte über China zu verlieren, etwa die chinesische Küche zu rühmen, die jahrtausendealte Kultur zu bewundern oder den chinesischen Kontaktpartnern eine Freude zu bereiten, indem er deren Fortschrittlichkeit betont. Das »Höflichkeits-PingPong« hat er mit seinem Handeln eindeutig verloren. Dabei hatte es ihm die chinesische Seite mit ihren Angeboten zum Beziehungsaufbau durchaus leicht gemacht.

Generalisierung In vergleichenden Untersuchungen bei Managern, Sprachdozenten und Studenten in der VR China, Hongkong und Taiwan mittels der Kulturstandardmethode ergaben sich eine Vielzahl von Übereinstimmungen (Thomas u. Schenk 1996). Durch die längere internationale Offenheit Hongkongs und Taiwans sind westliche Gepflogenheiten gewohnter, so dass manchmal der Eindruck bei deutschen Managern entsteht, dass Kulturunterschiede dort nur von marginaler Bedeutung seien. Jedoch relativiert sich dieser Eindruck recht schnell, sobald komplexe und schwierige Entscheidungen getroffen werden müssen. Dann erweisen sich in allen drei Kulturregionen für deutsche Kulturangehörige folgende Kulturstandards in der Zusammenarbeit als bedeutsam: – soziale Harmonie, – Hierarchie, – Guanxi, – Gesichtgeben und -nehmen, – Etikette: Bescheidenheit und Höflichkeit, – Regelrelativismus. Eine chinesischer Spruch lautet: »Wir konnten Ihnen nur Backsteine hinwerfen und hoffen Jadesteine in Ihrer Kritik zurückzuerhalten.«

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Literatur Hanlin, L. (1991): Die Grundstruktur der chinesischen Gesellschaft. Vom traditionellen Klansystem zur modernen Danwei-Organisation. Opladen. Liang, Y. (1996): Sprachroutinen und Vermeidungsrituale im Chinesischen. In: Thomas, A. (Hg.), Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen, S. 247– 268. Liang, Y. (2000): Wertemanagement in deutsch-chinesischen Kooperationen. In: Wieland, J. (Hg.), Dezentralisierung und weltweite Kooperation. Die moralische Herausforderung der Unternehmen. Marburg, S. 87–122. Sun, L. J. (1994): Das ummauerte Ich. Die Tiefenstruktur der chinesischen Mentalität. Leipzig. Thomas, A.; Schenk, E. (1996): Die Handlungswirksamkeit von Kulturstandards in der Interaktion zwischen Deutschen und Chinesen. Abschlussbericht zum Forschungsprojekt der VW-Stiftung, AZ II/673621. Institut für Psychologie, Abteilung Sozialpsychologie, Universität Regensburg. Thomas, A.; Schenk, E. (2001): Beruflich in China. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte. Göttingen.

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MasakoSugitani:Japan

Masako Sugitani

4.2 Ostasien: Japan

Ein Fallbeispiel Herr Suzuki, Generaldirektor einer japanischen Handelsfirma in Deutschland, wundert sich darüber, wie deutsche Mitarbeiter sich sprachlich behaupten können. Bei der Sitzung, bei der Verhandlung, aber auch bei den Unterhaltungen fällt ihm auf, dass deutsche Manager und Direktoren auch in hohen Positionen gern und viel reden, während er in Japan von seinen ehemaligen Vorgesetzten eher gelernt hat, wie man schweigt. Seiner Erfahrung nach haben dieses gewandte Sprachverhalten nicht nur gebildete Leute. An seinen Kindern hat er beobachtet, wie sie bereits in der Schule mit anderen deutschen Kindern lernen, frei zu sprechen, eigene Meinungen zu behaupten. Obwohl er geschickte Formulierungen seiner Kollegen schätzt und das aktive Sprachverhalten und offene Meinungsäußerungen wichtig findet, ist er doch manchmal irritiert, zumal ihm die Selbstbehauptungstendenz, sich selbst im guten Licht zeigen zu müssen, doch sehr auffällt. Zum aktiven Sprachverhalten und zur Meinungsäußerung kommen von vielen Japanern, die mit Deutschen zusammenarbeiten, ähnliche Aussagen. Wie wird es empfunden?

Verhaltensinterpretationen aus japanischer und deutscher Sicht Zum Sprachverhalten der deutschen Kollegen meint Herr Suzuki: In Deutschland scheint die Fähigkeit hoch geschätzt zu werden, Meinungen zu äußern, sich sprachlich in der Öffentlichkeit gut darzustellen und zu behaupten. Dabei werden auch Dinge geäußert, die man sowieso schon weiß. Die Erwartung auf japanischer Seite, der Partner müsse von ihm Bescheid wissen, oder die Absicht, nicht aufdringlich zu erscheinen, kann von Deutschen insofern missverstanden werden, dass man nichts zu sagen habe oder © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sogar leistungsunfähig sei. Stark ausgeprägte Meinungsäußerungen kommen Herrn Suzuki manchmal wie das »Gesichtswahren auf deutsche Art« vor oder wie eine egoistische Selbstbehauptung. Demgegenüber können die Interpretationen von der deutschen Seite in folgenden Punkten zusammengefasst werden: – Die Fähigkeit, sich aktiv an der öffentlichen Diskussion zu beteiligen, ist eine Verhaltensweise, die besonders seit den sechziger Jahren in der Schule wie in der Familie der mittleren und höheren Schicht besonders gefördert wird. Diese Fähigkeit wird prinzipiell von jedem erwartet. – Diskussionsbeiträge und freie Meinungsäußerungen sind ein wichtiges Lernverhalten, das auch bei der Leistungsevaluation zählt. – Im Berufsleben ist es wichtig, dass man durch die Meinungsäußerung die eigene Kompetenz darstellt und die Kommunikations- und Existenzbasis am Arbeitsplatz aufbaut. – Freie Meinungsäußerung und die aktive Selbstdarstellung gehören zum Selbstbewusstsein, das mit dem Selbstwertgefühl des einzelnen Menschen eng verbunden ist.

Differenzen in den Interpretationen Aus dem Vergleich kann entnommen werden, dass es für Japaner leicht verständlich ist, dass Deutsche aktives Sprachverhalten und explizite Meinungsäußerung im Allgemeinen hoch schätzen und als Leistungsmerkmal ansehen. Demgegenüber werden zwei weitere Aspekte gut verstanden: zum einen der Zusammenhang mit der politischen Kultur und zum zweiten die Wahrung und Stärkung des Selbstbewusstseins und der eigenen Individualität, wodurch man mehr soziales Prestige im sozialen Kontext erwerben kann. Dies wird eher unter dem Begriff des Individualismus und einer tendenziell als egoistisch interpretierten Selbstbehauptungstendenz konnotiert. Stark generalisierend konnten unterschiedliche Tendenzen im Sprachverhalten zwischen Japanern und Deutschen in einer mehr formalisierteren Kommunikation wie im Beispielfall festgestellt werden. Obwohl Japaner im engeren, privaten Kreis durchaus rege Gespräche führen, kann das eher schweigsame, passive Verhalten in halboffiziellen Situationen manchmal zur Konfliktquelle werden. Wie könnte diese unterschiedliche Einstellung erklärt werden?

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Beschreibung zentraler japanischer Kulturstandards Zu tendenziellen Unterschieden im Sprachverhalten können aus Untersuchungen zu japanisch-deutschen kritischen Interaktionssituationen (Sugitani 1996, 1997) sowie weiteren Forschungen (Kimura 1972/1995; Schubert 1992) zwei zentrale Kulturstandards aus der japanischen Sicht formuliert werden: die starke Kontextorientierung und die Beziehungsorientierung. Obwohl diese sich aufeinander beziehen, sollen sie im Folgenden getrennt und jeweils in relevanten Subkategorien beschrieben werden. Im letzten Teil wird dann diskutiert, ob mit diesen zentralen Kulturstandards ein Selbstkonzept in enger Verbindung steht, das sich vom individualistischen Konzept unterscheidet.

Starke Kontextorientierung Nach E. T. Hall und Hall (1985) gehört Japan zum Kulturkreis des stärkeren Kontextbezugs (high-context culture) und Deutschland zum eher schwachen (low-context culture). Der Begriff »Kontext« ist für das Verständnis japanischer Kulturstandards von zentraler Bedeutung und komplex. Unter dem zentralen Kulturstandard »starke Kontextorientierung« könnten folgende Handlungsorientierungen als wirksam angesehen werden. Geringerer Verbalisierungsgrad: Die von Hall und Hall (1985) stammende Begrifflichkeit bezieht sich in erster Linie auf den unterschiedlichen Grad der Verbalisierung sowie auf die Betonung des verbalen Teils der Kommunikation. Dieser Kulturstandard beschreibt die Verhaltenstendenz, dass man sich bemüht, die sprachliche Mitteilung stärker in Abhängigkeit vom Hintergrund und von situativen Informationen zu formulieren, die beim Partner als bekannt vorausgesetzt werden, von non- und paraverbalen Signalen und vom dichten, beziehungsorientierten Informationsnetz zu formulieren. Hierzu können vergangene Sachverhalte zählen (gemeinsam geteilte Hintergrundinformationen), die aus dem im Vergleich zu Deutschland relativ größeren, gemeinsamen Zeitraum stammen, weil in Japan die Fluktuation der Mitglieder einer sozialen Gemeinschaft relativ gering ist und so die tradierten und angesammelten Informationen umfassender sein können. Da bei der Sinnkonstruktion die sprachliche Mitteilung weniger isoliert im Mittelpunkt steht, wird ihre Klarheit und Präzision, die den Sachverhalt zu sehr festlegen könnte, nicht so hoch geschätzt wie im Kulturkreis mit schwachem Kontextbezug. Wichtig ist vielmehr, die Gesamtbedeutung anhand der verbalisierten Botschaft mit verschiedenen Informationen aus dem Kontext adäquater zu rekonstruieren. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Intensivere Kontextstudie: Da der Verbalisierungsgrad nicht so hoch ist, sind zum Gelingen der Kommunikation die Aktivitäten auf der Hörerseite unerlässlich. Man sollte genügend Kontextinformationen sammeln können oder im Informationsnetz am gemeinsamen, physischen wie psychischen Kontext beteiligt sein, um mit Sachfragen adäquater umgehen zu können. Der Kontaktaufnahme kann deshalb eine intensive Informationssammlung vorausgehen, wobei Mittler und vermittelnde Instanzen für offene bis kritische Fragen und für den Vertrauensaufbau eine gewichtige Rolle spielen. Wenn eine Person in ein neues Feld eintritt, wird sie sich eher zurückhalten und mehr Zeit dafür investieren, den sozialen und sachbezogenen Kontext zu studieren. Es wird eher vermieden, ein schnelles Urteil zu äußern. Die »Schweigsamkeit« und die vorsichtigen Äußerungen neuer Mitglieder werden als normal akzeptiert und weniger als Mangel an Sachkompetenz interpretiert. Im Berufsleben können darüber hinaus informelles Beisammensein nach der Arbeitszeit und Überstunden für die Informationssammlung hilfreich sein. Stärkere Feldorientierung und die vertikale Organisationsstruktur: Wenn unter dem Begriff »Kontext« mehr das gemeinsame Feld verstanden wird, ergibt sich ein weiterer Kulturstandard: eine stärkere Orientierung in Bezug auf das Handlungsfeld (»Ba«). Nakane (1985) hat herausgearbeitet, dass in der japanischen Organisation der gemeinsame Arbeitskontext bei der Gruppenbildung von entscheidenderer Bedeutung ist als die individuell und unabhängig vom jeweiligen Handlungskontext erworbene persönliche Qualifikation wie beispielsweise in Deutschland. Als ein Beispiel dafür könnten die in Japan verbreiteten Betriebsgewerkschaften (company union) angeführt werden. Aus dem Grund nennt Nakane das japanische Strukturierungsprinzip das »vertikale« und das europäisch-amerikanische das »horizontale«. In der vertikalen Organisationsstruktur wird das gemeinsame Feld gegen außen viel schärfer abgegrenzt als bei der horizontalen. Die Verhaltensunterschiede gegenüber den Ingroup- und OutgroupMitgliedern ist charakteristisch. Die Ingroup besteht aus den in demselben Feld agierenden Mitgliedern. Sie wird durch die gemeinsamen Aufgaben und durch die Face-to-face-Kommunikation im Alltag zu einem sozial dichten und mentalen Kontext entwickelt. So ist unter den Gruppenmitgliedern ein affektiv gefärbter Kommunikationsstil in einer informellen Situation eher gefordert. Die vertikale Struktur bildet eine Hierarchie mit relativ kleinen Abstufungen und entsprechenden Statusrollen. Die rollenkonforme Verhaltensweise ist zwar auffallend (etwa in der Anredeform, im Gebrauch der Honorativa usw.), die Machtbefugnis sowie Kompetenz eines Statushöheren können jedoch mit denen der horizontalen Struktur nicht gleichgesetzt werden. Bei der vertikalen Struktur wird die Sachkom© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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petenz des Vorgesetzten schon vorausgesetzt und wird weniger in der Weise demonstriert, die Machtdistanz zu den Mitarbeitern zu vergrößern. Für eine reibungslose Aufgabenführung ist der Vorgesetzte vielmehr von der sozialen Akzeptanz der unteren Schicht abhängig (Ishida 1982). Zugehörigkeitsprinzip: Dieser Kulturstandard beschreibt eine intensivere Teilnahme am Berufsleben, das eine weniger scharfe Abgrenzung zum privaten Lebensbereich zeigt. Es wird unterschieden vom Kontraktprinzip, bei dem man mit einer individuell, mehr oder minder kontextunabhängig erworbenen sowie gültigen Qualifikation partiell zum Berufsleben gehört und sich aufgrund der Fachkompetenz behauptet (Mito 1982). Die unterschiedlichen Prinzipien können auf verschiedene Verhaltensweisen einwirken. So kann beim Kontraktprinzip ein offener Umgang mit Fehlern und Schwächen erschwert werden, weil diese als Mangel an Kompetenz verstanden werden könnten, während beim Zugehörigkeitsprinzip die erworbene Mitgliedschaft weniger dadurch in Frage gestellt werden würde. Bei der Statuszuweisung kann die Zugehörigkeitsdauer ein konstitutives Merkmal besitzen, woraus das Senioritätsprinzip abgeleitet werden kann und für das die Bezeichnungen »Sempai« (Dienstältere) und »Kouhai« (Dienstjüngere) typisch sind. Durch die intensive Zugehörigkeit kann darüber hinaus eine relativ schnelle, auch innovative Verhaltensänderung stattfinden. Wenn eine Änderung der Konstellation in personeller oder materieller Hinsicht eintritt, kann dies einen Kontextdruck ausüben und einen pragmatisch orientierten Änderungsprozess einleiten. Dadurch kann trotz der allgemeinen Traditionswahrung eine Veränderung zügig vollzogen werden. Zum Zugehörigkeitsprinzip trägt der Tatbestand bei, dass eine funktionierende Berufsausbildung erst nach dem Eintritt in ein Unternehmen (Nyuusha) gewährleistet wird. Die dadurch erworbene Qualifikation kann auch oft nur kontextbedingt, also betriebsintern, eine vollwertige Anerkennung genießen. Durch das Zugehörigkeitsprinzip erfolgt über den Erwerb einer vollwertigen Mitgliedschaft eine lange, oft lebenslange Beschäftigung. Es ist allerdings zu fragen, wie sich diese in Verbindung mit dem Kulturstandard des »Zugehörigkeitsprinzips« in der wirtschaftlichen Rezession ändern wird. Zusammenfassend sollte unter dem zentralen Kulturstandard starker Kontextorientierung und dessen Subkategorien die Relevanz des Kontexts bei der produktiven sowie rezeptiven Kommunikationshandlung unterstrichen werden. Wenn die soziale Handlung nicht nur als Entscheidung von einem als autonom vorgestellten Ich, sondern als ein Korrelat von Person und Umfeld betrachtet wird, so beschreibt dieser zentrale Kulturstandard eine Verhaltenstendenz, die den Umfeldfaktoren relativ große Bedeutungen zuschreibt. Die Einflussnahme der situativen, kontextorientierten Ge© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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gebenheiten scheint mehr berücksichtigt zu werden. Einen wichtigen Teil des Umfelds konstituieren Mitmenschen. Im nächsten Teil sollte auf die Bedeutung menschlicher Beziehungen, des zweiten zentralen Kulturstandards, eingegangen werden.

Beziehungsorientierung Dieser Kulturstandard beschreibt solche Verhaltenstendenzen, die bei der Kommunikation für die Erhaltung guter menschlicher Beziehungen und für die Herstellung einer guten Atmosphäre Vorrang haben vor dem Sachverhalt selbst. Daraus können folgende Handlungsorientierungen abgeleitet werden. Spezifische Vorstellung der menschlichen Beziehung: Menschliche Beziehungen werden weniger als eine mehr oder minder abgegrenzte »local connection« verstanden, auf die man je nach individueller Entscheidung eingeht. Sie können, metaphorisch formuliert, als »Ergebnis der Aktivierung des potenziell vorhandenen Beziehungsnetzes im Umfeld einer Person« (»human nexus« nach Hamaguchi 1982) verstanden werden, das aus der »En«Vorstellung des Buddhismus stammt. So kann man beim Gelingen oder Nicht-Gelingen einer guten Beziehungsherstellung sagen: »Es ist ein gutes oder kein gutes En vorhanden.« Dadurch können zwar Mängel, Inkompetenz, keine Möglichkeit des Aneinander-Anpassens und so weiter signalisiert werden, doch werden diese weniger als Folge der individuellen Entscheidungen und Handlungen denn als Folge der Kontextbedingungen formuliert, die über den Kontroll- und Einflussbereich der beteiligten Personen hinausgehen. Beziehungspflege: Die einmal zustande gekommene Beziehung sollte gepflegt werden, wofür es mehrere konventionalisierte Formen gibt. Repräsentativ sind der Austausch von Begrüßungen zum Neujahr, Sommer- und Wintergeschenk und so weiter, die weitgehend institutionalisiert sind. Unter den Mitgliedern eines gemeinsamen Feldes sind affektiv orientierte Beisammenseins-Formen typisch: Die Teilnahme am Treffen nach dem Dienst im Lokal (mit Karaoke-Singen), an der Jahresendfeier (Bounenkai) und so weiter hat wegen des Zugehörigkeitsprinzips einen verpflichtenden Charakter (aus »Tsukiai«: Umgang, vor allem mit Kollegen). Hingegen gilt in der Regel der individuelle Geburtstag kaum als Anlass zur institutionalisierten Beziehungspflege. Für die mehr oder minder formalisierte Beziehungspflege ist in den meisten Unternehmen die Abteilung »Soumu« (General Administration, Zentralsekretariat) zuständig. Über den Geschenkaustausch hinaus ist © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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eine ihrer wichtigsten Aufgaben die Durchführung der aufwändigen Todesfeier von ranghöheren Persönlichkeiten (Shasou), die symbolisch der Identitätsbildung, aber auch der Demonstration guter Beziehungen dient (Nakamaki 1999). Konfliktvermeidung: Zur Wahrung guter Beziehungen wird möglichst vermieden, Konflikte offen auszutragen. Statt direkt auf das Sachproblem zuzugehen, kann als Lösung das Arrangement des sozialen oder materiellen Kontexts fungieren. Auf der Personenebene wird tendenziell mehr auf die Erhaltung guter Beziehungen geachtet als auf materiellen Gewinn (Ohbuchi 1997). Wenn der Konflikt unter den Mitgliedern der Ingroup offen ausgetragen wird, so könnte dies die Integrität der Mitgliedschaft in Frage stellen. In einem solchen Fall kann man mit der Zeit einen gemeinsamen Kontext aufbauen, um dadurch zu einem Kompromiss zu kommen. Im Allgemeinen wird durch diverse Strategien wie indirektes Ablehnen der Sprecheraussage und -absicht, moderaten Emotionsausdruck, Einschalten eines Dritten versucht, das Gesicht des Anderen zu wahren und eine negative Eskalation zu vermeiden. Wie die »En«-Vorstellung zeigt, kann bei negativen Entscheidungen auf die Formulierung von Kontextbedingung zurückgegriffen werden, die weniger auf individuelle Entscheidungsfolge und Verantwortung hinweisend wirkt. Das Konflikt vermeidende Verhalten wird teilweise durch die Sozialisation verstärkt. Nach kulturvergleichenden Untersuchungen halten Mütter in den USA oder Deutschland die Fähigkeit ihrer Kinder, sich sprachlich zu behaupten, für ein wichtiges Erziehungsziel. Demgegenüber nehmen bei japanischen Müttern die Emotionskontrolle und die Rücksichtnahme auf die anderen eine vergleichbare Stelle ein (Azuma 1994; Schubert 1992; Trommsdorff 1989). In der sprachlichen Kommunikation gelten traditionell das Erraten der Absicht (Sasshi) und Sich-Zurückhalten (Enryo) als wichtige Regeln, so dass eine direkte, negative Aussage leicht vermieden werden kann.

Tendenzielle Unterschiede im Selbstkonzept Die unterschiedliche Bewertung der sprachlich aktiven Verhaltensweise von deutschen Kollegen in der Fallgeschichte zeigte, dass die Wahrung und Stärkung des Selbstbewusstseins sowie der Aufbau einer eigenen Kommunikations- und Existenzbasis von den Japanern weniger als eine egoistisch anmutende Selbstbehauptung wahrgenommen wurde. Demgegenüber wirkte das Verhalten japanischer Kollegen aus der Sicht der Deutschen eher © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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zurückhaltend, passiv, manchmal leistungsunfähig. Es wurde versucht, diese Unterschiede anhand zweier zentraler Kulturstandards, der starken Kontextorientierung sowie der Beziehungsorientierung, zu erklären. Wie die Ausführungen nahe legen, konnten diese Unterschiede mit dem Begriffspaar Individualismus versus Kollektivismus erfasst werden. Der Kollektivismus wird dabei als eine Einstellung verstanden, bei der das Interesse am Kollektiv dominanter ist als das am Individuum. Diese Sichtweise setzt prinzipiell einen Interessenkonflikt zwischen dem Kollektiv und dem Individuum voraus, das ein vom Umfeld und Mitmenschen weitgehend unabhängiges, autonomes Selbst besitzt. Die unterschiedliche Einstellung des Individuums im Verhältnis zum Kollektiv spiegelt sich auch in der allgemeinen Vorstellung und Erwartung menschlicher Beziehungen wider, wie dies das »En«-Konzept aus japanischer Sicht gezeigt hat. Diese spezifische Auffassung von Beziehungen steht im Zusammenhang mit dem Konzept vom Selbst, das die dargestellten zwei zentralen Kulturstandards mehr aus der Innensicht des Kollektivismus erklären würde.

Mensch und Zwischenraum als flexible Einheit oder »Kontextualismus« In Anlehnung an Hsu (1971) und Kimura (1972) stellt Hamaguchi (1982) hypothetisch zwei Arten handelnder Lebenssysteme vor, die durch die Interaktion mit dem Umfeld eine balancierte psychosoziale Homöostase zu erhalten versuchen. Das eine ist ein selbstreferenzielles, independentes Subjektsystem, das ein autonomes, partner- und handlungsfeldübergreifendes Selbst voraussetzt. Sein ideales Bild ist eine unabhängige Persönlichkeit. Das andere Subjektsystem ist interdependent, wesentlich vom Partner und dem Handlungsfeld abhängig. Es wird deshalb auch »Intersubjekt« genannt. Während die independente Persönlichkeit ein relativ scharf abgegrenztes Ich-Bewusstsein hat, ist für die interdependente Persönlichkeit eine psychische Schicht um das Ich-Bewusstsein charakteristisch, die affektiv eng mit dem sozialen Umfeld, mit den Mitmenschen verbunden ist und vertraute Artefakte und Lebenskultur mit einschließt. Mit anderen Worten stellt das enge affektive Umfeld einen konstitutiven Teil des Selbstkonzepts dar. Dieses Selbst hat »den Grund seines Bestehens nicht innerhalb seiner selbst, sondern wie das Zenwort ›Schau unter deine Füße!‹ suggeriert, liegt die Grundlage des eigenen Ich in Wirklichkeit ›absolut außerhalb des Ich‹« (Kimura 1972). Bei der Identifizierung des Ich und des jeweils Anderen sollte die Beziehung, nach Kimura »das Zwischen Mensch und Mensch«, das Primat haben. Das interdependente Selbstkonzept wird im Japanischen mit dem zusammengesetzten chinesisch-japanischen Zeichen »Kan-jin« genannt. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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»Kan« kommt von »Zwischenraum« (Aida) und »Jin« von »Mensch« (Hito). Übersetzt wird es als »contextual« im Gegensatz zu »individual«. Der »Kontextualist« versteht sich deshalb als ein »Mensch im Zwischenraum von Mitmenschen«. Bei der Kommunikation hat der Beziehungsrahmen den Vorrang und erst nach dessen Festlegung kann der Sachverhalt sprachlich formuliert werden. Das »Kanjin«-Konzept beziehungsweise das »Intersubjekt«, das sich vom Individualismus unterscheidet, wird nach mehreren kulturvergleichenden Untersuchungen auch von Kitayama et al. (1997) empirisch bestätigt.

Relative Selbstbezeichnung Eine relative Selbstdefinition kann auch im Bereich der Personenbezeichnung festgestellt werden. Es ist bekannt, dass im Japanischen der Gebrauch der ersten und der zweiten Personalpronomen nicht automatisch durch die Sprecher- und Hörerrolle definiert wird (Suzuki 1986). Sie ist vielmehr von dem Partner oder den Partnern abhängig. Ferner bedeutet die Selbstbezeichnung »Jibun« im Japanischen »den eigenen Teil des gemeinsam vorgestellten ganzen Felds«. Anhängsel dazu stellen »Shokubun«, »der eigene Teil im ganzen Arbeitsfeld« und das Begriffspaar »Oyabun« und »Kobun«, »der Eltern- und Kinder-Teil«, dar. Zusammenfassend konnte als charakteristisch betrachtet werden, dass das japanische Selbst weniger auf ein autonomes, selbstreferenzielles Individuum als auf ein von dem Mitmenschen, den sozialen Beziehungen und dem Handlungsfeld abhängendes Konzept hinweist, das deshalb eher kontextualistisch genannt werden kann. Wenn ein Kontextualist in ein gemeinsames Handlungsfeld eintritt, sollten gleichzeitig die allgemein erwartbaren sozialen Voraussetzungen auch als vorhanden betrachtet werden. Hier könnte ein Hauptgrund dafür liegen, warum die sprachliche Selbstdarstellung der Deutschen (im Deutschen mit »Sichselbstproduzieren« bezeichnet) von den Japanern als »stark« bis »zu aktiv« empfunden wird und dabei das Bedürfnis, die eigene Basis im sozialen Kontext aufzubauen, weniger wahrgenommen wird. Dagegen wirkt die japanische Verhaltensweise schweigsam, passiv, leistungsunfähig, bis »extrem undurchsichtig«, ja sogar »hinterhältig«.

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Exkurs: Historischer Hintergrund von Kontextualisten Das stark kontextabhängige Selbstkonzept hat eine wichtige Wurzel in der historisch gewachsenen Lebenspraxis. Während in Europa im 19. Jahrhundert der Begriff »Individualismus« voll entwickelt war, wurde in Japan ein Mensch innerhalb eines sozialen Kontextes mit einer (vorgegebenen) Rolle zum Reflexionsgegenstand gemacht (vgl. Bitou 1992). Das Leben in der feudalen Edo-Zeit bis zur Öffnung des Landes 1868, in der die Mobilität untersagt war, hatte dabei einen entscheidenden Einfluss. In der Dorfgemeinde war man für die Gewinnung der Grundnahrungsmittel (Reisbau und Fischerei) sowie die Bewältigung der oft heimsuchenden Naturkatastrophen (Taifun und Erdbeben) miteinander existenziell auf die Kooperation angewiesen. Bei Bauernaufständen gegen existenzvernichtende Steuereintreibungen war auch der spontane wie gezwungene Zusammenschluss von Mitgliedern, der über die Dorfgrenze hinausgehen konnte, unerlässlich (Yasumaru 1974).

Fazit Es wurde, teilweise stark generalisierend, versucht, zwei zentrale Kulturstandards, die Kontext- und Beziehungsorientierung, zu beschreiben, weil diese bei der Interaktion von Japanern mit Deutschen wirksam werden können. Die charakteristischen Unterschiede sind oft unter dem Begriffspaar Individualismus versus Kollektivismus erfasst. Ihnen liegt jedoch ein unterschiedliches Selbstkonzept des Kontextualismus zugrunde, der aus japanischer Sicht erklärt wurde. Relativ große Bedeutungszuschreibungen zu Umweltfaktoren werden auch aus kulturvergleichenden Forschungen ermittelt. So scheinen der im europäisch-amerikanischen Kulturkreis bekannte »fundamentale Attributionsfehler« bei japanischen Probanden weniger aufzutreten, weil diese in der Sozialisation ziemlich früh die Unterscheidung von »Honne« (persönliche Meinung, Handlungsentscheidung) und »Tatemae« (soziale Erwünschtheit, Normverhalten) erlernten (Kashiwagi et al. 1997). Es ist möglich, dass weitere Forschungen unterschiedliche Verhaltenstendenzen aus der kollektivistischen Sicht erklären können. Die dargestellten Kulturstandards sollten aber nicht als Stereotype verstanden werden, sondern vielmehr als Orientierung bei der Interpretation einer konfliktauslösenden Handlung dienen und dabei helfen, diese im Kontext zu betrachten. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Hora Tjitra/UlrichZeutschel:Indon esien

Hora Tjitra/Ulrich Zeutschel

4.3 Südostasien: Indonesien

Kickoff in Denpasar Ein Projektteam aus drei Fachleuten eines deutschen Touristik-Konzerns reist nach Bali, um das indonesische Partnerunternehmen für ein geplantes Joint Venture kennen zu lernen und erste Gespräche zur Entwicklung eines Geschäftsplans zu führen. Es geht um ein anspruchsvolles Club-Reisekonzept mit dem Arbeitstitel »Selamat Datang Villages«, das zahlungskräftigen europäischen Touristen Wellness-Programme und kulturhistorische Exkursionen mit Unterkunft in authentischem – wenngleich luxuriösem – Ambiente bieten soll. Das deutsche Partnerunternehmen ist dabei für Marketing und Vertrieb zuständig, das indonesische für den Bau und das Management der Villages auf Bali und Lombok sowie für die Logistik der Tourprogramme. Gemeinsam sollen die Wellness-Einrichtungen und der gesamte Programm-Content konzipiert werden. Bei ihrer Ankunft in Denpasar am Sonntagnachmittag werden die Deutschen von Pak Harianto, dem Leiter des indonesischen Planungsteams, und seinen beiden Mitarbeitern persönlich begrüßt und zum Hotel begleitet. Für den Abend sind sie zu einem gemeinsamen Festessen aller Beteiligten mit dem eigens aus Jakarta angereisten Vorstandsmitglied für Vertrieb und internationale Kontakte, Pak Wibowo, eingeladen. Herr Gernbacher, als Spezialist für Programmentwicklung das älteste Mitglied der deutschen Delegation, hat einen unerwarteten Auftritt, als er nach den Begrüßungsworten von Pak Wibowo aufgefordert wird, die Mahlzeit mit dem Anschneiden des »Nasi Tumpeng« zu eröffnen, einem safrangefärbten Reisgericht in Form eines Vulkans. Als weltgewandter Mensch erinnert er sich, dass dieses Ritual eine große Ehre bedeutet, und bemüht sich um entsprechend feierliche Worte, die allerdings in der Unruhe des beginnenden Servierens und den Vorbereitungen zum Auftritt einer balinesischen Tanzgruppe etwas untergehen. Am nächsten Tag werden die deutschen Gäste von ihren indonesischen Gesprächspartnern durch ein attraktives und vielfältiges Besichtigungspro© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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gramm begleitet. Während einer kurzen Reminiszenz zum Begrüßungsessen des Vortags erfahren sie eher beiläufig, dass die balinesische Tanzgruppe die angesehenste der ganzen Insel ist. Sie sind zunehmend überwältigt von der Fülle der Eindrücke und etwas gestresst durch zahlreiche Kennenlerngespräche mit potenziellen Dienstleistungsanbietern und anderen Geschäftspartnern des indonesischen Unternehmens, deren Bezug zum Joint Venture sich ihnen oft nicht erschließt, so dass ihnen meist schnell der Gesprächsstoff ausgeht. Ihre wiederholten Versuche, zum Geschäftlichen zu kommen, werden freundlich abgebogen mit dem Hinweis auf die für den nächsten Vormittag angesetzte Planungsbesprechung in der Niederlassung in Denpasar. Die Planungsbesprechung am nächsten Morgen beginnt mit einer kleinen Rede des Vorstandsmitglieds, Pak Wibowo, der sich bald danach aus der Besprechung verabschiedet und die Moderation an Pak Yogantara übergibt. Die Deutschen sind erleichtert, dass es nun »richtig« losgeht und Herr Reger, der Marketing-Fachmann, endlich seine Präsentation über die Analyse des Marktpotenzials des Joint Venture beginnen kann. Er legt gleich einige ziemlich detaillierte Folien über demographische Hintergründe der angepeilten Zielgruppen auf, und Herr Gernbacher und Frau Frank, die Vertriebsexpertin, die dieses Datenmaterial zuvor noch nicht gesehen haben, steigen sofort in eine lebhafte, bisweilen hitzige Debatte über die möglichen Schlussfolgerungen aus der Erhebung ein. Die Indonesier beteiligen sich anfänglich noch durch besänftigende Kommentare und scherzhafte Bemerkungen, ziehen sich bei mangelnder Resonanz auf ihre Beschwichtigungsversuche jedoch zurück und verfolgen zunächst entgeistert, dann zunehmend gelangweilt das vehemente Streitgespräch der Deutschen. In der anschließenden Präsentation von Ibu Ratna, der jungen Location Developerin, zu ersten Überlegungen zur architektonischen und Landschaftsgestaltung der Villages unterbrechen die Deutschen häufig durch Fragen zu Details oder Bitten um Konkretisierung. Ibu Ratna antwortet darauf immer freundlich, selbst wenn die Betreffenden durch mehrfaches und zuweilen eher skeptisches Nachfragen insistieren. Als Pak Yogantara, der nach und nach eine Rolle als Besprechungsmoderator eingenommen hat, vorschlägt, am Nachmittag eine spontane Tour zu einer der vorgesehenen Village-Locations zu unternehmen, lehnen die Deutschen dies mit dem Hinblick auf das noch nicht bewältigte Arbeitspensum strikt ab. Die Weiterarbeit am Nachmittag schleppt sich eher mühsam dahin. Die Deutschen versuchen, eine Reihe von Grundfragen zur Programmgestaltung zu klären, worauf die Indonesier nur zögernd eingehen, mit dem Hinweis, dazu sei es noch zu früh und vieles würde sich aus der weiteren Entwicklung des Village-Projekts ergeben. Den Deutschen ist das zu vage – sie beharren auf einer »ganzheitlichen Perspektivplanung« und arbeiten müh© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sam auf einige Kernvereinbarungen hin, die in einem Pflichtenheft schriftlich festgehalten werden. Am Abend geben sie höflich, aber bestimmt zu erkennen, dass der von ihren Gastgebern angesetzte gemeinsame Besuch einer Karaoke-Bar für sie zu anstrengend sei und sie etwas Zeit für sich selbst brauchten. Am nächsten Morgen werden sie in der Niederlassung nicht von ihren Gesprächspartnern erwartet, sondern zu einem Abschiedstee mit Pak Wibowo, der überraschend nach Jakarta zurückreisen muss, in ein Empfangszimmer neben dem Büro des Niederlassungsleiters gebeten. Pak Wibowo betont zunächst sehr nachdrücklich, wie viel Hoffnung sein Unternehmen auf das Joint Venture setze und wie sehr allen an einem guten Gelingen der Planungsgespräche gelegen sei. Dann erkundigt er sich eingehend nach ihrer Einschätzung der bisherigen Besprechungsergebnisse, worauf sie ihre Enttäuschung über die spärlichen Resultate des gestrigen Planungstreffens äußern. Nur der weltgewandte Herr Gernbacher findet noch ein paar anerkennende Worte zum anregenden Besichtigungsprogramm des ersten Tags. Pak Wibowo wirkt nach diesen Kommentaren sehr besorgt, deutet etwas von möglichen Unstimmigkeiten an und bietet nachdrücklich seine persönliche Unterstützung an, um einen harmonischen Abschluss der Gespräche zu gewährleisten. Die Deutschen beeilen sich, dem Vorstandsmitglied zu versichern, dass es keinerlei Konflikte mit dem indonesischen Projektteam gebe – sie würden schon allein klarkommen und würden jetzt gern den heutigen vorletzten Tag möglichst gut zur Weiterarbeit nutzen. Pak Wibowo wünscht ihnen sehr herzlich nochmals ein gutes Gelingen und wechselt beim Hinausgehen mit den vor der Tür wartenden indonesischen Projektteammitgliedern einige Sätze, die diese mit großer Erleichterung aufzunehmen scheinen. Für die Deutschen unerwartet beginnt Ibu Ratna die heutige Besprechung mit einer aufwändig gestalteten Präsentation des völlig umgearbeiteten Architekturkonzepts, das zu ihrem Erstaunen die meisten der am Vortag gestellten Fragen und Bedenken berücksichtigt. Erst nachmittags erfahren sie in einem beiläufigen Pausengespräch, dass keiner ihrer indonesischen Gesprächspartner in der vergangenen Nacht mehr als zwei Stunden geschlafen hat: Erst gab es eine Serie von abendlichen Krisengesprächen mit der Niederlassungsleitung und mit Pak Wibowo zur augenscheinlichen Verstimmung der deutschen Delegation, danach waren sie bis um 4 Uhr morgens mit der gemeinsamen Überarbeitung des Architekturkonzepts beschäftigt. Die weitere Konzeptionsplanung zu den Wellness-Programmen an diesem Tag verläuft sehr konstruktiv, weil beide Seiten einen vergleichbaren Informationsstand haben und die im Brainstorming geäußerten Ideen dank der geschickten Moderation von Pak Yogantara gut aufeinander aufbauen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Auch der letzte Tag beginnt recht positiv: Letzte Klärungspunkte zum Programmkonzept können schnell abgehakt werden und aufbauend auf sehr pragmatischen und handhabbaren Vorschlägen der Indonesier gelingt es, konsensfähige Lösungen für die zuvor (meist von den deutschen Teilnehmern) herausgearbeiteten Problemstellungen zu finden. Spannungen kommen allerdings auf, als Pak Harianto, der Leiter des indonesischen Teilteams, nochmals auf die am ersten Besprechungstag »festgeschriebenen« Vereinbarungen im Pflichtenheft zurückkommt und Veränderungsvorschläge im Licht der seitdem besprochenen Planungen macht: Die Deutschen reagieren darauf mit Befremden und Unwillen. Nur widerstrebend stimmen sie einigen Veränderungsvorschlägen zu, die ihnen tatsächlich plausibler erscheinen als die in der Anfangsphase vor zwei Tagen mühsam ausgearbeiteten Ideen zum Programmdesign.

Kommentare der deutschen Projektmitglieder Befragt nach ihren Wahrnehmungen und Einschätzungen zum Kickoff in Denpasar äußern die drei Deutschen übereinstimmend ihre Verwunderung über den großen Aufwand, der zu ihrer Begrüßung getrieben wurde. Herr Gernbacher: »Es war ja ganz angenehm, persönlich am Flughafen abgeholt zu werden, aber sicherlich hätten wir auch selbst den Weg zum Hotel gefunden; beim Gegenbesuch unserer Partner in Deutschland werden wir wohl schon aus Zeitmangel kein Begrüßungskomitee zum Flughafen schicken können.« Herr Reger ergänzt: »Eine ständige Begleitung kann manchmal auch lästig sein – der geplante gemeinsame Karaoke-Abend war mir nach dem anstrengenden zweiten Tag einfach zu viel, ich brauchte dringend ein paar Stunden für mich selbst!« Zu Herrn Gernbacher gewandt: »Und dein kleiner Vortrag zum Anschnitt des Reisvulkans war ja wohl auch kein Spaziergang – ich habe dich jedenfalls bewundert, wie du die Überleitung zu unserem Reiseangebot hingekriegt hast. Bisschen schade, dass es so unruhig war und die anderen nicht sehr aufmerksam zugehört haben.« – »Ja, schade eigentlich, ich wollte die Gelegenheit nutzen und in Anwesenheit des Vorstands schon mal ein paar inhaltliche Dinge klarstellen. Ich fand den ganzen Vorlauf insgesamt zu lang – zum Beispiel das Besichtigungsprogramm am nächsten Tag: Die meisten Kontakte waren Zeitverschwendung, weil die Leute gar nicht direkt mit unserem Vorhaben zu tun hatten. Ich wusste oft gar nicht, was ich mit denen reden sollte! Wir hätten das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und mit einigen wirklich relevanten Geschäftspartnern vor Ort © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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kurze Planungsbesprechungen führen sollen, dann hätten wir schon einige Ergebnisse in der Tasche gehabt.« Frau Frank stimmt zu: »Ich fand zwar die vielen Eindrücke beim Herumfahren ganz anregend, aber irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass wir einen ganzen Tag mit Besichtigungsprogramm verbringen. Und bei der Besprechung am nächsten Tag habe ich wirklich erlebt, was jam karet, ›Gummizeit‹ bedeutet – die lief ja zeitlich völlig aus dem Ruder.« – »Dazu habt ihr beide aber mit euren Grundsatzdiskussionen zu meiner Präsentation heftig beigetragen«, gibt Herr Reger zu bedenken. »Na, das ist doch wichtig, dass zu Beginn alles geklärt wird«, entgegnet Frau Frank, »wir haben ja gesehen, wohin das sonst führt: Die Indonesier haben sich aus der Diskussion ziemlich rausgehalten, obwohl wir immer wieder versucht haben, ihre Meinung zu hören, und kommen dann am letzten Tag mit Gegenvorschlägen und stellen die getroffenen Vereinbarungen in Frage.« – »Aber ihr müsst zugeben«, wirft Herr Gernbacher ein, »dass sie unheimlich flexibel und improvisationsfähig sind! Denkt mal an die überarbeitete Präsentation von Ibu Ratna am dritten Tag: Darin waren doch praktisch alle unsere Fragen und Bedenken geklärt! Ich glaube, dass wir Deutschen manchmal zu früh und vor allem zu verbissen auf Entscheidungen hinarbeiten – am letzten Tag haben wir gemeinsam doch noch ein paar wunderbare Lösungen gefunden, weil die Zeit einfach dafür reif war.« – Herr Reger stimmt zu: »Ja, die Nachtaktion zur Überarbeit des Architekturkonzepts war wirklich bewundernswert, aber die Krisensitzungen mit der Niederlassungsleitung und die Einschaltung des Vorstands fand ich doch ziemlich übertrieben: Bloß weil wir mal etwas härter diskutiert haben, wird gleich eine Riesen-Konfliktvermittlung gestartet! Da hatte ich fast ein schlechtes Gewissen, was wir mit unserem Diskussionsverhalten losgetreten haben.«

Kommentare der indonesischen Projektmitglieder Einen Tag nach der herzlichen Verabschiedung der deutschen Delegation wollen sich Pak Harianto, Pak Yogantara und Ibu Ratna im Büro treffen, um in einer gemeinsamen Telefonkonferenz mit Pak Wibowo das KickoffTreffen zu bilanzieren. Wie Pak Yogantara und Ibu Ratna bereits vermuten, ist Pak Harianto zu der verabredeten Zeit noch nicht eingetroffen. Ibu Ratna eröffnet das Gespräch: »Es waren keine leichten Tage mit unseren deutschen Kooperationspartnern!« – »Ja, aber ein so durchdachtes Konzept hätten wir doch allein nicht erstellen können!«, gibt Pak Yogantara zu bedenken. »Das stimmt wohl. Ich habe aber nicht so richtig verstanden, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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warum Herr Gernbacher leicht verwirrt schien, als wir ihn und sein Team zu dritt am Flughafen abholten. Ich hatte ja extra einen wichtigen Kundentermin verschoben, weil ich nicht unhöflich gegenüber unseren Partnern erscheinen wollte. Pak Yogantara, du hattest doch auch deine Frau gebeten, die Abholung eurer Tochter von ihrer Theaterprobe zu übernehmen?« – »Das war ja nicht der Rede wert. Ich fand es jedenfalls toll, dass du über deine Kontakte diese berühmte Tanzgruppe buchen konntest. Das war doch bestimmt nicht einfach?« – »Ja, die hatten einen ziemlich vollen Terminkalender! Aber das Wichtigste ist doch, dass unsere Gäste an dem Abend zufrieden waren, wir wollten ja am Morgen danach etwas Wichtiges besprechen! Ich habe mal gehört, dass die Deutschen 70 Prozent Seriosität und nur 30 Prozent Spaß bei der Besprechung kennen. Wenn wir Indonesier eine Besprechung haben, dann normalerweise mit sehr viel Spaß, oft aber auch zu viel. Bei den Deutschen bedeutet Professionalität vor allem Seriosität. Im Job machen sie seriöse Besprechungen, ihren Spaß haben sie außerhalb. Der Unterschied ist bei denen sehr klar.« – »Das kann man wohl sagen!«, ergänzt Ibu Ratna. »Die Grundsatzdiskussion bei der Präsentation von Herrn Reger war ja wirklich heftig. Ich habe mich gewundert, dass die drei unmittelbar danach immer noch gemeinsam lachen konnten. Mir war es bloß als Beobachterin schon ziemlich unangenehm. Und diese detaillierte Diskussion am Nachmittag fand ich wirklich sehr anstrengend! Die Fragen zur Programmgestaltung zu diesem Zeitpunkt waren mir einfach unverständlich. Wir fangen doch erst gerade an! Woher sollen wir denn jetzt schon wissen, was sich in der nächsten Zeit noch alles ergeben kann?« – »Aber meinst du nicht auch, dass diese Überlegungen uns sehr geholfen haben, unsere eigenen Ideen besser zu verstehen und zu präzisieren? So eine umfassende und ins Einzelne gehende Besprechung ist natürlich für uns ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Ich denke aber, es war sicherlich gut für unser großes Vorhaben.« »Selamat pagi! (Guten Morgen). Ich hoffe, ihr habt noch nicht so lange auf mich gewartet?« begrüßt der nun hinzukommende Pak Harianto die beiden. »Nein, Pak Harianto, wir sprechen gerade über unsere Gäste«, antworten Pak Yogantara und Ibu Ratna zusammen. »Ah ja, ich sehe unser Kickoff eigentlich als insgesamt sehr gut gelungen an. Klar, es war auch ziemlich kritisch am zweiten Abend. Ihr erinnert euch – als unsere Gäste den geplanten gemeinsamen Besuch in der Karaoke-Bar ablehnten! Wir hatten ja wirklich alles Mögliche getan und extra viele deutsche Lieder für den Abend besorgt und schon geübt, aber wenn es nicht geht, dann geht es eben nicht. Zum Glück hat unser Chef Pak Wibowo diese schwierige Situation abklären können.« – »Und ich glaube, unsere Nachtaktion war auch nicht umsonst«, ergänzt Pak Yogantara, »Wir wussten ja vorher nicht, dass unser Architekturkonzept so bis ins Detail vorbereitet werden sollte. Wir © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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hatten unsere Zeit und Mühe eher in die Abende investiert, um unsere Gäste gut zu unterhalten und nicht unhöflich zu erscheinen.« – »Ich bin mir zwar nicht so sicher, ob solche sehr detaillierten Konzeptplanungen wirklich etwas bringen, aber wenn es unsere Partner glücklich macht, dann denke ich, dass der Aufwand sich gelohnt hat!«, äußert sich Ibu Ratna zu dem Thema. »Ich glaube, wir müssen nun langsam an unsere Telefonkonferenz mit Pak Wibowo denken!«

Indonesische Kulturstandards Mit 150 bis 250 verschiedenen Sprachen und mehr als 650 unterschiedlichen ethnischen Gruppen (Hidayah 1997) ist Indonesien das kulturell heterogenste Land der Erde. Seine etwa 200 Millionen Einwohner bevölkern 3 000 der insgesamt etwa 13 600 Inseln, die sich über eine Länge von mehr als 5 100 km entlang des Äquators erstrecken. In der Bevölkerung sind alle fünf großen Weltreligionen vertreten: neben dem Islam, dem über 80 Prozent der Bevölkerung angehören, evangelisches und katholisches Christentum, Buddhismus und Hinduismus. Die indonesische Vergangenheit wurde durch dreieinhalb Jahre japanischer Besatzung (1942–45), die fast 100-mal so lange holländische Kolonisation (1602–1942) sowie durch zahlreiche große hinduistische (Tarumanegara), buddhistische (Sriwijaya, Majapahit) und islamische (Mataram) Königreiche geprägt. Diese Einflüsse sowie langjährige Handelsbeziehungen mit indischen, chinesischen und muslimischen Kaufleuten wirken bis in die heutige indonesische Kultur und Gesellschaft hinein. Einheitsbildende Gegengewichte sind die indonesische Nationalsprache Bahasa Indonesia und die Pancasila, deren Rolle als zentrale indonesische Nationalideologie inzwischen allgemein akzeptiert ist (Kaelan 1996; Ramage 1995). Die Pancasila als Ausdruck des javanischen Verständnisses von Macht ist außerdem ein Zeichen für die zum Teil systematisch vorangetriebene Javanisierung Indonesiens (Magnis-Suseno 1989). Geographisch und historisch angelegt durch die Wahl der Insel Java zum Machtzentrum der holländischen Kolonialherrschaft, wurde diese Entwicklung gestützt durch die wirtschaftliche Macht der Insel Java, die javanisch geprägte Bürokratisierung des gesamten Landes sowie durch systematische Umsiedlungsprogramme seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Der starke Einfluss der javanischen Subkultur lässt es gerechtfertigt erscheinen, ihre zentralen Werte und Standards zum Verständnis großer Teile der gesamten indonesischen Kultur heranzuziehen (Tjitra 2001; Zeutschel u. Tjitra 1997) – durchaus gemäß dem indonesischen Staatsmotto »Bhinneka Tunggal Ika« (Einheit in Vielfalt). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Konfliktvermeidung und Indirektheit Einen wesentlichen Schlüssel zum Verständnis der indonesischen Kultur bietet die javanische Harmonieethik (Magnis-Suseno 1981), die auf den Prinzipien der Konfliktvermeidung und des Respekts basiert. Konfliktvermeidung (rukun) wird durch das ständige Bemühen aller Beteiligten erreicht, ruhig (tenang) miteinander umzugehen und alles zu vermeiden, was Unruhe und Konflikte hervorrufen könnte. Rukun verlangt keine innere Verpflichtung zur empathischen Sichtweise oder friedlichen Auflösung drohender Konflikte, sondern lediglich ein kontrolliertes und reifes (dewasa) Verhalten im lair, der äußeren Haltung. Als Anwendungsbeispiel für das Prinzip des rukun beschreibt Mulder den Prozess des gemeinschaftlichen Problemlösens und der Entscheidungsfindung, musyawarah: »Ideally, musyawarah is a procedure in which all voices and opinions are heard. All these are considered to be equally true and to contribute to the solution sought. Musyawarah tries to establish the kebulatan kehendak, or kebulatan fikiran, that can roughly be translated as the totality or completeness of wishes and opinions of the participants. . . . There is no voting in musyawarah; it is a process of deliberation, of a give and take and compromise, in which all opinions should be respected« (1978, S. 40).

Hierarchisches Denken Das Prinzip des Respekts (hormat) verlangt, dass »man sich in Sprache und Gebärde stets zu verhalten habe, wie es dem Range des jeweiligen Gegenübers entspricht« (Magnis-Suseno 1989, S. 62). Auch in diesem Prinzip ist nicht die innere Überzeugung entscheidend, sondern lediglich die äußere Haltung von lair – durch ein entsprechendes Verhalten zeigt man den Grad seiner Bildung, Zivilisation und Toleranz. Im Sinne einer hohen Machtdistanz (Hofstede 1991) ist die indonesische Kultur durch deutliche hierarchische Unterschiede gekennzeichnet: In seinem erweiterten Harmoniekonzept des javanischen Keselarasan (von selaras »Einklang«) führt der indonesische Philosoph Yumarma (1996) als drittes Prinzip neben rukun und hormat das Rollen- und Selbstverständnis Mampan Epan als Bewusstheit über die eigene Position und den Status in der Gesellschaft ein. Dieses Rollen- und Selbstverständnis drückt sich sehr deutlich in der javanischen Sprache aus, in der drei unterschiedliche Sprachkodes, die Basissprache (Ngoko), die Hochsprache (Krama) und die Ehrfurchtssprache (Krama Inggil), in elf verschiedenen Kombinationen verwendet werden, je nach den hierarchischen Beziehungen der Kommunikationspartner zueinander. Hierarchischer Status wird durch Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildung © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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und berufliche Position bestimmt, also durch eine Mischung aus biologischen, vererbten und erworbenen Faktoren. Er ist die Grundlage des indonesischen hierarchischen Machtkonzepts, das eng mit dem javanischen Harmoniekonzept verbunden ist: Wenn jeder der angemessenen Position zufolge an seinem eigenen gesellschaftlichen Platz bleibt, wird es keine Machtkonflikte geben, die die Harmonie stören könnten. Status und die damit verbundene Macht sind mit Verpflichtungen verknüpft, die im Gegensatzpaar alus und kasar ausgedrückt werden: alus lässt sich durch Begriffe wie »rein«, »verfeinert«, »glatt«, »erlesen«, »ätherisch«, »fein« und »zivilisiert« übersetzen, während kasar mit Bezeichnungen wie »unhöflich«, »grob«, »unzivilisiert«, »rauh«, »unsensibel« und »vulgär« assoziiert wird (Geertz 1983). Alus ist im javanischen Verständnis ein Zeichen der vollkommenen Harmonie und wird erreicht, wenn eine Person sowohl ihr lair (das äußerliche Verhalten) als auch ihr batin (ihr Innenleben) so kontrollieren kann, dass sie das eigentliche rasa erlangt. Alus ist dementsprechend ein Zeichen der Stärke, während kasar Schwäche ausdrückt. Jemand, der Macht in sich hat, ist in seinen Handlungen alus und nicht kasar.

Beziehungs- und Gruppenorientierung Sowohl das Harmonie- als auch das Machtkonzept erfordern einen ständigen Bezug auf andere. Dies bedingt eine stark kollektivistische Haltung, die sich an Bedürfnissen, Zielen und Vorgaben der Gruppe orientiert. Beziehungen werden dabei wichtiger genommen als Regeln und Sachverhalte (Partikularismus nach Trompenaars 1993). Ein dichtes informelles Informationsnetzwerk, mit dem die Mitglieder einer Gemeinschaft einen hohen Grad an geteiltem Wissen über die soziale und dingliche Umwelt sichern, charakterisiert die indonesische Gesellschaft als stark high-context-orientiert im Sinne der Unterscheidung von Edward T. Hall (1977). Ermöglicht und gefördert wird dies durch ein polychrones Verständnis von Zeit, einer weiteren kulturellen Unterscheidungsdimension von Hall, die im Gegensatz zu einer seriell-monochronen Zeitauffassung zum Beispiel im deutschen Kulturkreis steht (s. Kap. I, 2.3).

Durchlässigkeit von Lebensbereichen Das indonesische polychrone Zeitverständnis ist gekennzeichnet durch gleichzeitige oder stark durchmischte Handlungen aus unterschiedlichen Bereichen (beispielsweise beruflich und privat oder arbeits- und freizeitbezogen) oder auf mehreren Kommunikationskanälen (beispielsweise telefo© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nisch und im direkten Gespräch). Die Verwendung von Zeit richtet sich nach den Gegebenheiten und nicht umgekehrt. Der indonesische Begriff jam karet (»Gummizeit«) ist nicht nur als humorvoller Kommentar zur Pünktlichkeitsnorm zu verstehen, sondern drückt das Verständnis von Zeit als dehnbar und veränderbar und damit unabhängig von Uhr- oder Kalenderzeit aus. So hängt die Einhaltung von Verabredungen auch von dem relativen Status der Beteiligten ab; ein Ranghöherer kann eine rangniedrigere Person ohne weiteres eine Weile auf sich warten lassen, ohne dafür eine Erklärung oder Entschuldigung abgeben zu müssen. Kombiniert mit der Gruppenorientierung führt das polychrone Zeitverständnis zu einer hohen Durchlässigkeit auch in der Arbeitsorganisation. Gerät beispielsweise ein Mitglied einer Arbeitsgruppe in Zeitnot, so stellen alle anderen Gruppenmitglieder ihre eigenen Aufgaben zurück und helfen mit, den Engpass gemeinsam zu überwinden. Voraussetzungen für solche gemeinschaftlichen Hilfeleistungen sind eine von vornherein weniger starke Aufgabendifferenzierung sowie ein stetiger Informationsfluss auch im informellen Bereich, um über die Hintergründe der anderen Gruppenmitglieder stets auf dem Laufenden zu sein.

Externe Motivation Der im Harmoniestreben sowie in der hierarchischen und Gruppenorientierung implizierte hohe Grad an externer Kontrolle und Außengeleitetheit (Trompenaars 1993) wird auch im Bereich der Arbeitsmotivation wirksam: Weniger inhaltliches Interesse oder persönliche Zufriedenheit aufgrund fachlicher Beiträge sind entscheidend, sondern externe Faktoren wie eine harmonische Arbeitsatmosphäre, gute äußere Rahmenbedingungen, Prestigegewinn und die Wahrung familiärer Interessen wirken motivierend.

Improvisation und Gegenwartsorientierung Die High-context-Orientierung der indonesischen Kultur steht im Zusammenhang mit zwei weiteren kulturellen Unterscheidungsdimensionen nach Hofstede (1991): einem hohen Maß an Ambiguitätstoleranz und vorrangiger Kurzzeitorientierung. Das dichte informelle Informationsnetzwerk und eine hoch entwickelte Fähigkeit, das soziale Umfeld und das jeweilige Gegenüber zu »lesen«, machen explizit erläuternde Hinweise überflüssig. Hinzu kommt eine stärkere Akzeptanz für den »Fluss der Dinge« und eine damit einhergehende Einstell- und Improvisationsfähigkeit, die verbindliche©Vorausplanung entbehrlich macht. Dies verweist bereits 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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auf die zeitliche Orientierung, die in dem von Trompenaars beschriebenen Kontinuum zwischen Vergangenheits- und Zukunftsorientierung sich vorwiegend auf das Jetzt bezieht. Eine unbestimmte Beziehung zur Zeit weisen die Verben in der indonesischen Sprache auf: Sie unterscheiden nicht zwischen einer Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsform. Wenn die Zeitdimension eine Rolle spielt, wird sie durch ein gesondertes Wort ausgedrückt.

Zurück zum Fallbeispiel Aus der Schilderung des Kickoff-Meetings und den Kommentaren der Beteiligten werden die unterschiedlichen Standards der deutschen und der indonesischen Beteiligten in einer Reihe von Verhaltensbereichen deutlich. – Konfliktvermeidung als hoher Wert wird in dem großen Aufwand zur Harmoniesicherung und in der Intervention des Vorstandsvertreters deutlich, der als ranghoher Vermittler die scheinbare Konfliktlage auslotet. Aber auch kleine Interventionen wie die scherzhaften Kommentare in der sachlich-kontroversen Diskussion der deutschen Partner intendieren den Abbau wahrgenommener Spannungen. – Indirektheit wird vor allem im Diskussionsverhalten bei kritischen Äußerungen und beim Einbringen von Gegenvorschlägen praktiziert. Dazu gehören auch der Widerstand gegen eindeutige Festlegungen im Pflichtenheft und die Versuche, diese Grundsatzentscheidungen im Nachhinein in Frage zu stellen. – Die Betonung von Hierarchie und Status kommt zum Beispiel in der nach Seniorität und Position abgestimmten Begrüßungsfeier zum Ausdruck. Ein weiteres Beispiel ist die klärende Intervention des Vorstandsmitglieds, der die Verantwortung für den sozialen Frieden in der Gruppe übernimmt. – Die Beziehungs- und Gruppenorientierung zeigt sich in der ständigen persönlichen Begleitung und dem aufwändigen Begrüßungs- und Betreuungsprogramm, das auch dazu gedacht ist, eine solide Vertrauensbasis zu schaffen und das Wir-Gefühl zu stärken. – Die hohe Durchlässigkeit von Lebensbereichen erleben (und erleiden) die deutschen Teammitglieder in der Durchmischung von Arbeits- und Freizeit, beispielsweise in dem umfangreichen Besichtigungsprogramm und den darin eingestreuten Kontaktgesprächen. Ein weiteres Beispiel ist die gemeinsame nächtliche Überarbeitung des Architekturkonzepts durch das indonesische Teilteam. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Externe Motivation wird durch wertige Ereignisse wie zum Beispiel den Auftritt der balinesischen Tanzgruppe oder die Anwesenheit und aktive Beteiligung des Vorstandsvertreters gefördert. Das attraktive Rahmenprogramm mit touristischen und kulinarischen Highlights, aber auch das »Herumzeigen« der begehrten deutschen Joint-Venture-Partner sind Motivatoren, die nichts oder wenig mit fachlich-inhaltlichen Belangen zu tun haben. – Gegenwartsorientierung und Improvisation werden deutlich in den zugelassenen Abweichungen vom Zeitplan nach aktuellem Bedarf und in der flexiblen Aufnahme von Wünschen bei der Überarbeitung des Architekturkonzepts. Im Gegensatz zu der von den Deutschen angestrebten frühzeitigen grundsätzlichen Klärung (auch von Details) mit Endgültigkeitsanspruch beschreibt das indonesische Vorgehen einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, der unmittelbar auch auf unvorhergesehene Ereignisse reagiert und dabei eine pragmatische »Versuch-und-Irrtum«-Strategie einsetzt.

Gültigkeit der Kulturstandards in anderen südostasiatischen Kulturen (Generalisierung) Mit seinen reichen kulturellen und gesellschaftlichen Traditionen, seiner ethnischen Vielfalt und seiner bewegten Geschichte und Gegenwart ist Südostasien eine der faszinierendsten Regionen der Welt (vgl. Dahm u. Ptak 1999). Um die Jahrtausendwende wurde die Bevölkerung Südostasiens mit 530 Millionen beziffert und reichte damit an diejenige Europas (580 Mio.) heran. Südostasien umfasst die Länder des ASEAN-Staatenbunds (Indonesien, Singapur, Malaysia, Thailand, Philippinen, Brunei, Vietnam, Laos, Kambodscha und Burma) sowie Osttimor. Diese Bestimmung der Region Südostasien geht von einer landgestützten Raumorientierung aus. Eine ähnliche Konzeption unterliegt dem chinesischen Begriff »Nanyang«, wörtlich »südlicher Ozean«, der bereits in sehr alten Quellen nachzuweisen ist. Neben seinem geographischen Zusammenhalt wird der südostasiatische Kulturkreis auch über die Fremdwahrnehmung Südostasiens sowie das gemeinsame Bild der Außenwelt geprägt (Dahm u. Ptak 1999). Die Verbindungen nach Indien und zur arabisch-islamischen Welt in der älteren Zeit sowie die Rolle der Chinesen und der westlichen Kolonialherren in der jüngeren Geschichte sind hier als Beispiele zu nennen. Die Mehrzahl der Bewohner Südostasiens bekennt sich heute auf dem Festland zum Buddhismus und in der Inselwelt zum Islam; das Christentum ist vor allem im © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Norden der Philippinen und in Osttimor von größerer Bedeutung, der Hinduismus konnte sich lediglich auf Bali behaupten (Höllmann 1999). Es ist sicherlich nicht ohne weiteres möglich, die hier beschriebenen indonesischen Kulturstandards auf die gesamte südostasiatische Region zu beziehen. Die Diskussionen darüber, wo man die Grenze der Gültigkeit dieser Kulturstandards ziehen soll, waren und sind immer noch aktuell. Oft wird in der Fachliteratur eine grobe Dichotomie zwischen »den asiatischen« und »den westlichen« Kulturstandards beschrieben (Weggel 1989; Becker 1996; Kao u. Sinha 1997). Solche generellen Unterscheidungen erleichtern die grobe Orientierung (vor allem aus der Ferne!), stoßen aber bei einer differenzierteren Betrachtung an ihre Grenze. Die 350-jährige holländische Kolonialherrschaft in Indonesien hatte sicherlich einen anderen Einfluss auf die indonesischen Kulturstandards als die sehr viel kürzere britische Kolonialherrschaft in Singapur und Malaysia auf diese beiden Länder. Das relativ homogene Thailand, das nie in seiner Geschichte kolonialisiert war, hat ganz andere Erfahrungen im Umgang mit kultureller Vielfalt im Vergleich zum Inselreich Indonesien, in dem über 650 unterschiedliche ethnische Gruppen leben. Es kann dennoch behauptet werden, dass – zumindest im Kontakt mit Personen aus dem westlichen Kulturkreis – einige gemeinsame zentrale südostasiatische Kulturstandards wirksam sind, wenn auch mit landesspezifischen Abwandlungen. So sind die zentralen Kulturstandards der Beziehungs- und Gruppenorientierung in allen südostasiatische Kulturen zu beobachten, während die Definition von »Wir« und die damit verbundenen gegenseitigen Abhängigkeiten von Land zu Land unterschiedlich ausfallen. Konfliktvermeidungsverhalten und indirekter Kommunikationsstil sowie die Betonung von Hierarchie und Status sind, wiederum mit landesspezifischen Feinabstufungen, im gesellschaftlichen Zusammenleben der Südostasiaten allgegenwärtig. Der Ausdruck des Statusbewusstseins in Vietnam jedoch ist sicherlich anders als in Singapur. Durchlässigkeit von Lebensbereichen, extrinsische Motivation, Gegenwartsorientierung und Improvisation als südostasiatische Kulturstandards sind vor allem im Arbeitsleben stark vertreten. Die Ausformungen der extrinsischen Motivation wiederum sind von Land zu Land unterschiedlich: Mal sind finanzielle Anreize besonders wirksam, während anderswo eher gesellschaftliches Ansehen gesucht wird. Eine Verallgemeinerung der Kulturstandards von einem Land wie Indonesien zur gesamten Region Südostasien ist also mit Vorsicht zu betrachten. Während die Erscheinungsformen im Verhalten zwischen den einzelnen Ländern variieren, kann die Kenntnis der zentralen Kulturstandards dazu beitragen, übergreifende Muster und damit auch eine interkulturelle Logik hinter den kritischen Interaktionssituationen zu verstehen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Literatur Becker, G. K. (Hg.) (1996): Ethics in Business and Society: Chinese and Western Perspectives. Berlin. Dahm, B.; Ptak, R. (Hg.) (1999): Südostasien Handbuch. München. Geertz, C. (1983): Dichte Beschreibung. Frankfurt a. M. Hall, E. T. (1977): Beyond Culture. New York. Hidayah, Z. (1997): Ensiklopedi Suku Bangsa di Indonesia [Enzyklopädie der Ethnien in Indonesien]. Jakarta. Hofstede, G. (1991): Culture and Organisations: Software of the Mind. Cambridge. Höllmann, T. O. (1999): Die Völker und ihre traditionellen Lebensformen. In: Dahm, B.; Ptak, R. (Hg.), Südostasien Handbuch. München. Kaelan (1996): Filfasat Pancasila [indonesisch, »Philosophie der Pancasila«]. Yogyakarta. Kao, H. S.; Sinha, D. (Hg.) (1997): Asian Perspectives on Psychology. New Delhi. Magnis-Suseno, F. (1981): Javanische Weisheit und Ethik: Studien zu einer östlichen Moral. München. Magnis-Suseno, F. (1989): Neue Schwingen für Garuda: Indonesien zwischen Tradition und Moderne. München. Mulder, N. (1978): Mysticism and Everyday Life in Contemporary Java: Cultural Persistence and Change. Singapur. Ramage, D. E. (1995): Politics in Indonesia: Democracy, Islam and the Ideology of Tolerance. London. Tjitra, H. W. (2001): Synergiepotenziale und interkulturelle Probleme: Chancen und Herausforderungen am Beispiel deutsch-indonesischer Arbeitsgruppen. Wiesbaden. Trompenaars, F. (1993): Handbuch globales Managen: Wie man kulturelle Unterschiede im Geschäftsleben versteht. Düsseldorf. Weggel, O. (1989): Die Asiaten. München. Yumarma, A. (1996): Unity in Diversity: A Philosophical and Ethical Study of the Javanese Concept of Keselarasan. Rom. Zeutschel, U.; Tjitra, H. W. (April 1997): Ergebnisse der SYNTEX-Planspieluntersuchungen mit deutschen und indonesischen Arbeitsgruppen. Universität Regensburg, Institut für Psychologie (Unveröffentlichtes Arbeitspapier).

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Kulturunterschiede:ErgebnissederKulturstandardforschung

AbbasAmin:Ägypten

5. Afrika

Abbas Amin

5.1 Ägypten Ahlan wa sahlan, ahlan biek, salaamu al-eikum, marhaba, ya chawaga, inshallah, bukra, malesch, misch mischkella, schuwaya schuwaya, ma’ashallah, elhamdullilah, bismillah. Allahu akbar, haram, halal. (ägyptische Aussprüche) Es sind die vorgefassten Meinungen, die es den Völkern so schwer machen, einander zu verstehen, und die es ihnen so leicht machen, einander zu verachten. (Romain Roland)

Ahlan wa sahlan (Herzlich Willkommen) in Ägypten oder die neue Brille Die Erfahrungen und Ergebnisse auf dem Gebiet der interkulturellen Kommunikation zwischen Deutschen und Ägyptern zeigen deutlich, »daß erfolgreiches Handeln in einer anderen Kulturgemeinschaft mehr voraussetzt als gute Kenntnisse der fremden Lexik und Grammatik« (Rau 1985, S. 18; vgl. dazu auch Haddad 1987). Ein besseres Verständnis Ägyptens und seiner Bewohner sowie eine Sensibilisierung für mögliche Missverständnisse beim interkulturellen Dialog zu erreichen, soll Ziel dieses Beitrags sein. Doch die Erstellung einer »Gebrauchsanweisung« für die Handhabung der kulturellen Eigenart des Landes Ägypten wie auch allgemein der arabisch-islamischen Welt wird damit nicht intendiert, da man von folgenden Voraussetzungen auszugehen hat: – Kultur und Gesellschaft befinden sich immer in einem Wandel. – Die Welt wird subjektiv wahrgenommen und durch die Brille der eigenen Kultur be- und auch verurteilt. – Als handelnde© Subjekte erzeugen wir durch jede unserer Interaktionen 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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mit anderen Menschen soziale Strukturen, bestätigen dadurch die vorhandenen Werte oder stellen sie in Frage und nehmen damit an den gesellschaftlichen Transformationsprozessen teil. »Eine Gebrauchsanweisung für Ägypten kann es somit eigentlich gar nicht geben, denn von einer solchen Anleitung erwartet man im allgemeinen unzweideutige Hinweise auf die Benutzung und Handhabung einer Sache« (Koydl 1991, S. 9). Vielmehr ist ein Perspektivenwechsel vonnöten, will man dem Fremden und Andersartigen näher kommen. Vom Ablegen herkömmlicher Schemata, von der neuen Brille, mit deren Hilfe die kulturelle Eigenart eines Landes vorurteilsfrei erfahren werden kann, spricht auch folgendes Gedicht, das in umgekehrter Blickrichtung kulturelle Aufklärung für ein besseres Verständnis der deutschen Kultur zu leisten versucht. mein freund/wenn du in münchen ankommst/und denkst/die menschen werden auf dich warten in bayerischer tracht/dann irrst du dich mein freund/wenn du in münchen ankommst/und denkst/die frauen werden auf dich scharf sein und gleich mit dir ins bett gehen/dann irrst du dich auch wenn du manche in den gassen triffst/in bayrischer tracht auch wenn du manche auf dich scharf findest/und sie gleich mit dir ins bett gehen ... mein freund/ich rate dir/wenn du in münchen ankommst/ besorge dir mal eine neue brille (Amin 2000, S. 46)

Die neue Brille setzt somit die geistige Bereitschaft voraus, die fremde Welt mit dem Auge des Anderen zu sehen, ohne jedoch die eigene Identität zu verdrängen oder aufzugeben, um dadurch das Fremde in seiner Andersartigkeit verstehen und respektieren zu lernen.

Beschreibung zentraler ägyptischer Kulturstandards Die Abkürzungen ägyptischer Kulturstandards MKS, KKS und DKS/BKS stehen in ihrer Reihenfolge für Meta-Kulturstandard, kontextspezifischer und domän-/bereichspezifischer Kulturstandard. Während die Meta-Kulturstandards (MKS) als übergeordneter Ausgangspunkt mit weit reichenden Auswirkungen auf die anderen Kulturstandards zu verstehen sind, treten der kontextspezifische (KKS) sowie der domän-/bereichspezifische Kulturstandard (DKS/BKS) nur in bestimmten gesellschaftlichen Situationen auf, wie zum Beispiel bei der Interaktion zwischen Mann und Frau © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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oder beim Kontakt mit Behörden. Die Reihenfolge der Kulturstandards stellt jedoch keine hierarchische Ordnung dar. »Vielmehr bilden [sie] ein hoch integriertes, in sich geschlossenes System und sind nicht isoliert voneinander zu sehen« (Kuhla 2000, S. 31).

Religiöse Orientierung (MKS) Herr Kroll meinte nach seiner Geschichtsstunde zu seinen ägyptischen Schülerinnen: »Nächste Stunde werden wir die Französische Revolution durchnehmen und dazu werde ich euch Kopien zu den wichtigsten Daten austeilen!« Die ägyptischen Schülerinnen bestanden jedoch tadelnd auf ein »Inscha Allah«. Herr Kroll verstand sie nicht. Er hatte doch schon alles für die nächste Stunde durchdacht und das Material vorbereitet. Seiner Meinung nach konnte nichts mehr dazwischen kommen! (vgl. Kuhla 2000, S. 51). Der Meta-Kulturstandard Religiöse Orientierung besagt, dass die Ägypter sich in ihrem Denken und Handeln primär an den religiösen Vorschriften orientieren, die ihre Beziehung zu Gott bestimmen und das Zusammenleben der Menschen untereinander regeln. Überdies zeichnen sie sich besonders durch ihre in allen Situationen ersichtliche Religiosität aus, die sich in verschiedenen Äußerungen und Aussprüchen, wie inshallah (so Gott will), elhamdullilah (Gott sei Dank), bismellah (im Namen Gottes), beobachten lässt. Gott ist immer spürbar und allgegenwärtig, dies ist ihre Überzeugung. Da nur Gott über das Schicksal der Menschen sowie über die Zeit bestimmen kann, bleibt dem Ägypter nichts anderes übrig, als sich dem Willen Gottes zu unterwerfen. Eine Aussage über die Zukunft ohne das Hinzufügen von »Inshallah« wird deshalb als Blasphemie verstanden. Andererseits führt dies unvermeidlich auch zu einem übermäßigen Gebrauch religiöser Redewendungen, was Missverständnisse bei Ausländern auslösen kann, die oftmals die Gottesfurcht der Ägypter als Mangel an Arbeitsmoral und als versteckte Absicht missdeuten, sich aus der Verantwortung ziehen zu wollen. Daher ist auch bei sozialen Interaktionen ein Mindestmaß an Grundkenntnissen des Islams von Vorteil, der von den Menschen die absolute Erfüllung seiner Pflichten fordert, das Gelingen jedoch in Gottes Hände legt.

Einbindung in Beziehungsnetze (MKS) Als ich hier in Ägypten ankam, arbeitete ich mit ägyptischen Inspektoren zusammen und wir hielten regelmäßig Konferenzen ab. Zu den Konferenzen kamen immer Leute zu spät, die auch noch alle Anwesenden ausgiebig begrüßten, nach© der Familie fragten und sich erkundigten, ob jemand 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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krank sei und wie es den Kindern gehe. Dauernd wurde die Konferenz unterbrochen und erst, nachdem jeder etwas über sein Privatleben erzählen hatte, konnte man fortfahren. Ein konzentriertes Arbeiten war nicht möglich (vgl. Kuhla 2000, 25C) Der Kulturstandard Einbindung in Beziehungsnetze stellt ebenfalls einen Meta-Kulturstandard dar und bezeichnet die Tatsache, dass Ägypter in ihren Interaktionen mit anderen Menschen in ein soziales Beziehungsnetz eingebunden sind, das ihnen sowohl Rechte verleiht als auch Pflichten überträgt und dessen Kern die Familie darstellt. Dadurch empfinden sie ein Gefühl von Sicherheit in einer Welt ohne soziale Absicherung und voller Schicksalsschläge, denen man nicht entrinnen und die man nicht ohne den Zusammenhalt in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis bewältigen kann. Durch dieses Beziehungsnetz kommt man in Ägypten schneller ans Ziel, weshalb die sozialen Kontakte im Vordergrund stehen und in jeder Situation gepflegt werden. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass sich ein Mann in der Regel nicht nach dem Wohlergehen der Ehefrau des Gesprächspartners erkundigt (Stolz wahren). Wo Beziehungen jedoch fehlen, hilft ein angemessenes »Bakschisch« (Trinkgeld), das aufgrund der sozialen Lage eine unverzichtbare Stütze für das Überleben der Ägypter ausmacht (→ Bürokratisierung).

Stolz wahren Neue, ägyptische Mitarbeiter führen Aufgaben, die ich ihnen gebe, oft nicht aus. Dafür haben sie verschiedene Gründe: Die Arbeit ist ihnen zu schwer, sie haben nicht verstanden, was sie tun sollen, die Arbeit liegt nicht in ihrem Aufgabenbereich oder sie haben keine Zeit. Leider sagen sie mir das nicht, wenn ich ihnen den Auftrag gebe, sondern bieten beim Nachfragen statt des wahren Grundes fadenscheinige Ausreden. Warum sagen sie mir nicht gleich die wahren Gründe? (vgl. Kuhla 2000, 17B). Den eigenen Stolz zu wahren und den der anderen nicht zu verletzen, stellt ein wichtiges Anliegen der Ägypter dar und beschreibt die Tatsache, dass sie sehr auf ihr Erscheinungsbild nach außen bedacht sind: Gesellschaftliche Normen werden geachtet, Image wird gepflegt und Hierarchien werden respektiert. Infolgedessen gehen Ägypter mit Konflikten anders um als Deutsche. Nicht durch direktes Ansprechen oder sachliche Analyse werden Konflikte bewältigt, vielmehr tendiert man dazu, sie zu vermeiden oder allenfalls indirekt anzusprechen, wobei sich die Ägypter jedoch nicht auf der Sachebene, sondern eher auf der emotionalen Ebene bewegen. Durch Sympathiebekundungen und herzliche Worte tastet man sich an die Lösung von Konflikten heran. Sachliche Kritik wird persönlich genommen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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und als Beleidigung oder Existenzbedrohung empfunden. Um den eigenen Stolz zu wahren, scheut man sich dabei nicht, Schuld und Fehltritte zu verleugnen. Deutlich tritt hier eine Diffusion von Lebens- und Persönlichkeitsbereichen zutage, wobei vor allem die Vermischung der Bereiche Emotionalität–Rationalität und Beruf–Privat in allen Stadien von Nähe oder Distanz zu Komplikationen führen kann.

Gelassenheit Ich stellte kurzfristig fest, dass ich zu einem vereinbarten Termin nicht pünktlich erscheinen konnte. Ich rief meinen ägyptischen Geschäftspartner an, entschuldigte mich und schlug einen Termin eine halbe Stunde später vor. Mein Partner zeigte sich damit einverstanden: »Ja, zu dem Zeitpunkt würde es mir auch passen!« Pünktlich zum neu vereinbarten Termin erschien ich im Büro meines Partners, der ebenfalls anwesend, aber so zerstreut und von Anrufen, Schreibarbeiten und kurzen Besuchen abgelenkt war, dass mir klar wurde, dass er eigentlich keine Zeit hatte. So konnte es nicht zum erhofften Gespräch kommen. Warum hat er nicht gleich gesagt, dass ihm der neue Termin nicht recht ist? (vgl. Kuhla 2000, 4A). Simultaneität, Spontaneität und Improvisation kennzeichnen den Umgang der Ägypter mit der Zeit. Simultaneität bezeichnet dabei die Tatsache, dass sie oft mehreren Dingen zur gleichen Zeit nachgehen oder mehrere Berufe gleichzeitig ausüben. Spontaneität und Improvisation beziehen sich dagegen auf die zeitliche Dimension der Gegenwart, auf das Hier und Jetzt, in der die Ägypter leben. Termine werden daher meist nicht langfristig geplant und im Vergleich zu Deutschland nicht generell als verbindlich betrachtet: Sie können (pünktlich oder auch mit Verzögerung) eingehalten, (mit oder ohne Ankündigung) modifiziert werden oder ausfallen. Entscheidend ist dabei der Wichtigkeitsgrad eines Termins. Man ist in der Regel pünktlich und wartet gelassen, wenn man selbst etwas erreichen will. Doch auch die religiöse Orientierung und die Einbindung in soziale Beziehungsnetze nehmen eine Schlüsselstellung ein. Da das Schicksal der Menschen sowie die Zeit in Gottes Hand liegen, nehmen die Begriffe Unterwerfung, Akzeptanz, Geduld und Gelassenheit in der Trostphilosophie der Ägypter einen zentralen Stellenwert ein. Unter Berücksichtigung der sozialen Komponente bleibt dem Ägypter überdies in manchen Situationen keine andere Alternative, als einen Partner warten zu lassen, um nicht einen anderen unhöflich abzuweisen, den man zufällig getroffen hat (→ Autoritätsorientierung).

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Autoritätsorientierung Wenn ich meinen ägyptischen Mitarbeitern Aufgaben anvertraue, bei denen sie selbst mitdenken müssen, erkläre ich es ihnen oft besonders gut. Dann verlasse ich mich darauf, dass es gemacht wird, und trotzdem wird es oft nicht gemacht. Angesprochen darauf, antworten sie dann: »Ja, ja ich habe alles verstanden, aber du bist doch die Leiterin? Du musst das doch entscheiden!« Wieso kann ich von ihnen nicht etwas mehr Eigeninitiative erwarten? (vgl. Kuhla 2000, 18B). In Ägypten orientiert man sich mehr an konkreten Autoritätspersonen als in Deutschland. Der Vater zu Hause, der Chef in der Firma und der Präsident des Landes sind die prägnantesten Repräsentanten dieser Hierarchie. So wird der Vorgesetzte nicht nur für die Arbeitsverhältnisse, sondern auch für die persönlichen Probleme seiner Angestellten verantwortlich, will er Erfolg erzielen. Doch werden ägyptische Mitarbeiter von sich aus kaum Eigeninitiative ergreifen, was unterschiedlich erklärt werden kann: – Aus dem gesellschaftlichen Kontext heraus werden Kreativität, Eigeninitiative und Selbstständigkeit nicht großgeschrieben und im Ausbildungssystem, das auf Kopieren und Auswendiglernen basiert, nicht gefördert, sondern häufig sogar bestraft. – Aus Angst, den Stolz der Autoritätsperson zu verletzen, aufgrund der Neigung, potenziellen Konflikten aus dem Weg zu gehen, und aus Angst vor Strafe bei eventuellen Fehlern vermeiden sie Eigeninitiative, die die Autorität des Chefs antasten könnte, und tendieren dazu, ihre Fehler zu verleugnen, was bei Deutschen, die Wert auf Ehrlichkeit und Wahrheit legen, eher auf Unverständnis stößt. – Aus Mangel an Motivation vermeidet man es eher, sich für andere zu engagieren, ohne selbst davon Vorteile zu haben. Ausländer in Ägypten werden in diesem Kontext ambivalent gesehen. Einerseits wird ihnen als Experten und Repräsentanten von Fortschritt und Wissen schnell die Rolle einer Autoritätsperson zugestanden. Andererseits reagieren Ägypter aufgrund der Erfahrungen während der Kolonialzeit sehr sensibel auf Kritik seitens der Ausländer (»Chawaga-Komplex«), die oft als hochmütig und überheblich eingestuft werden (→ Orientierung am reichen Westen).

Orientierung am reichen Westen Heftige Kontroversen löste ein Bericht einer deutschen Expertenfrau aus, die in einem Mitteilungsblatt in launischer, leicht satirischer Manier das © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Leben einer ägyptischen Kleinstadt beschrieb. Die akustische Vielfalt und Lautstärke setzte ihr besonders zu. Muezzin, Marktschreier und Eselklagen rauben ihr den Schlaf. »Sie hätte ihr Leid dem Arbeitgeber klagen können, damit er sie aus dieser Hölle befreie«, entrüstete sich daraufhin eine ägyptische Leserin. »Ich suche in ihrem Bericht nach einem positiven Wort über die schöne Landschaft, die Baudenkmäler . . . Wäre unser Land hochentwickelt, würden wir keine ausländischen Freunde wie sie brauchen. Nicht der Gesunde braucht den Arzt, sondern der Kranke. Ich bin sicher, Sie würden heftiger reagieren als ich, wenn in Deutschland ein solcher Artikel über Ihren Geburtsort veröffentlicht würde!« Warum ärgerte sie sich so über den Artikel? (Kuhla 2000, 74V). Der Kulturstandard Orientierung am reichen Westen beschreibt die Tatsache, dass sich die Ägypter auf der Suche nach der eigenen Identität zwischen den beiden Polen Tradition und Modernität befinden. Da der Westen Modernität, Fortschritt und Wohlstand symbolisiert, wird eine Auseinandersetzung mit der westlichen Kultur unausweichlich. Zwei Positionen kennzeichnen dabei diese Suche: erstens die Öffnung zum Westen hin und die Übernahme seiner Kulturgüter und zweitens als Reaktion darauf die Rückbesinnung auf die eigene Tradition und den Islam, was zu einer kritischen Übernahme bestimmter Elemente der westlichen Kultur führt. Doch die Zeiten des Imperialismus und Kolonialismus haben im kulturellen Gedächtnis der Ägypter ihre Spuren hinterlassen. Angst, Misstrauen und Faszination kennzeichnen ihre Haltung dem Westen gegenüber: Furcht vor Ausbeutung der ägyptischen Ressourcen oder geistig-wirtschaftlicher Kolonisation bedingen Distanzierung oder auch Ablehnung. Und aufgrund des in den Zeiten des Kolonialismus entstandenen »Chawaga-Komplexes« (Ausländerkomplex), wodurch Ausländern der Vorrang im Wissen und Können zugeschrieben wird, prägen überdies schwankende Selbstsicherheit und Minderwertigkeitsgefühle die ägyptische Einstellung zu ihnen, in deren Kritik schnell eine hochmütige Kolonialmentalität und eine Verletzung des ägyptischen Nationalstolzes gesehen wird, der im Vergleich zu Deutschland stärker ausgeprägt scheint. Andererseits kann aber der Umgang mit Ausländern, etwa mit Deutschen, die als Repräsentanten des Westens und Fortschritts stehen, auch das eigene Ansehen erhöhen und den eigenen Profit steigern.

Starker Kontext Herr und Frau Wolf wollten auf dem Khan ElKalili ein besonders schönes Schmückstück kaufen. Der Preis war sehr überzogen. Sie versuchten zu handeln, aber der Verkäufer rückte nicht von seinem Preis ab. Da sie das © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Schmuckstück unbedingt kaufen wollten, bezahlten sie verärgert den verlangten Preis. Zum Abschied schenkte der Verkäufer ihnen ein Fläschchen, gefüllt mit buntem Sand. Das verwunderte sie beide! (vgl. Kuhla 2000, 43G). Der Kulturstandard Starker oder Hoch-Kontext bezieht sich auf die Kommunikationsformen der Ägypter, bei denen nonverbale Elemente dominieren. Der Anteil des explizit und eindeutig Gesagten im Verhältnis zur Gesamtinformation einer Situation ist dabei relativ gering, wohingegen der Anteil der nichtsprachlichen Botschaft hoch eingeschätzt werden muss. Der Kontext, die Körpersprache und der Ton spielen eine bedeutende Rolle für das Verstehen der Aussage. Aufgeregtes Gestikulieren, lautes Sprechen und ein Wechsel von freundschaftlichem Plaudern und dramatischen Ausbrüchen prägen das Gespräch. Hart und leidenschaftlich werden Auseinandersetzungen auch um Kleinigkeiten geführt. Bei Deutschen, die sich oft durch Werte wie Selbstbeherrschung und Sachorientierung charakterisiert zeigen, können somit leicht Missverständnisse entstehen. Da sie in einer herzlichen Konversation kein hartes Feilschen erwarten, setzen sie nur selten diese Mittel der Ägypter ein und könnten sich deshalb letztendlich betrogen fühlen. Bei der Körpersprache ist weiterhin darauf zu achten, dass das Benutzen der linken Hand, die im Islam als unrein gilt, und das Verletzen der Regel, dass man Fußsohlen nicht auf das Gesicht des Gesprächspartners richtet, als unhöflich und beleidigend empfunden werden (→ Stolz wahren).

Kulturstandards in Interaktion Es sollen zwei Beispiele angeführt werden, die aus der Interaktion verschiedener Kulturstandards resultieren und für das Verhalten in der ägyptischen Gesellschaft von Bedeutung sind. Geschlechterrollenorientierung ist ein kontextueller Kulturstandard, der nur in der zwischengeschlechtlichen Kommunikation wirksam wird. Die Kulturstandards Religiöse Orientierung, Einbindung in Beziehungsnetze und Stolz wahren determinieren dabei in Ägypten beziehungsweise der gesamten arabischen Welt die Verhaltensregeln und Rollenerwartungen zwischen Mann und Frau; Religion, Gesetz und Gesellschaft kontrollieren die zwischengeschlechtlichen Interaktionen. Während die deutsche Formulierung »mein Freund/meine Freundin« auch den Partner in einer Beziehung bezeichnen kann, bedeutet Freundschaft im ägyptischen Sinne ausschließlich Kollegialität (→ Einbindung in Beziehungsnetze). Eine vor- oder außerehe© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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liche Verbindung ist in Ägypten offiziell nicht erlaubt und gesetzlich strafbar (→ Religiöse Orientierung). Um das eigene Ansehen zu wahren und nicht Opfer von Gerüchten zu werden, wird ein Gespräch zwischen Mann und Frau auch in der Öffentlichkeit vermieden, ein kollegiales Treffen zu zweit nicht angestrebt. Eine erotische Komponente wird jedoch stets vermutet, treffen sich Mann und Frau allein in geschlossenen Räumen. Ägyptische Frauen ihrerseits respektieren die gesellschaftlichen Normen, verhalten sich auf der Straße Männern gegenüber sehr abweisend, vermeiden Blickkontakte, ignorieren Zurufe und beachten die Kleiderordnung (→ Stolz wahren). Dass aus dieser sozialen Ordnung auch Vorurteile der Ägypter gegenüber dem Westen resultieren, bezeugen ihr Bild von der leichten Europäerin und die falschen Schlussfolgerungen, die sie oftmals aus dem offenen Verhalten einer Deutschen beziehungsweise ihrer freizügigeren Kleidung ziehen. Bürokratisierung ist ein domän-/bereichspezifischer Kulturstandard, der nur im Kontakt mit Behörden wirksam wird. Die Kulturstandards Einbindung in Beziehungsnetze, Autoritätsorientierung, Gelassenheit und Stolz wahren spielen dabei eine große Rolle. Da die Verwaltung in Ägypten stark differenziert ist, existieren viele autonome Verantwortungsbereiche, die zwar im Bearbeitungsverlauf aufeinander aufbauen, jedoch nicht zusammenarbeiten. Auch sind sie selten in einem zentralen Gebäudekomplex konzentriert oder hinsichtlich eines geringen Zeit- und Wegeaufwands günstig in benachbarten Stadtvierteln gelegen. Weiterhin erweist sich der Umgang mit Fristen als problematisch, deren Einhaltung sich meist nach sozialen Faktoren richtet. Doch können Terminverschiebungen auch religiös bedingt sein, wie beispielsweise während des Fastenmonats Ramadan. Darüber hinaus kann es auch vorkommen, dass sich der zuständige Beamte, von vielen Personen zugleich beansprucht, nicht individuell um die Anliegen des Vorsprechenden kümmern kann. Jeder, der mit staatlichen Behörden in Kontakt tritt, muss sich daher mit unerschöpflicher Geduld wappnen (→ Gelassenheit). Titel und Ränge sind im Umgang mit Behörden besonders wichtig; Autoritätspersonen werden selbstverständlich respektvoll behandelt. Daher ist es für den Ausländer ratsam, ohne falsche Bescheidenheit den ägyptischen Partner bereits beim ersten Treffen über seine soziale Stellung und seinen Titel durch den Austausch von Visitenkarten oder auch direktes Ansprechen in Kenntnis zu setzen, um einen reibungslosen und erfolgreichen Fortgang des Vorhabens zu gewährleisten (→ Autoritätsorientierung). Kontakte und Beziehungen sind für ein schnelleres Erreichen des Ziels von Vorteil (→ Einbindung in Beziehungsnetze). Bei ihrem Fehlen hilft nur ein Bakschisch (Trinkgeld), das einen Mittelsmann mit ausgeprägtem Feingefühl und entsprechender Ortskenntnis veranlassen kann, die langwierigen Prozeduren der Behördenbürokratie zu beschleunigen (→ Stolz wahren). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Kulturhistorische Verankerung Kulturstandards lassen sich auf historische Begebenheiten und religiöse Werte einer Kultur zurückführen, wobei ihre Entstehung in einer jahrtausendealten Entwicklungsgeschichte begründet liegt. Um die ägyptischen Kulturstandards besser verstehen zu können, sollen hier die wichtigsten geschichtlichen und kulturellen Bezugspunkte skizziert werden. Dabei ist zu beachten, dass sich in den letzten Jahren in Ägypten eine brennende Diskussion um die Definition, Weiterentwicklung und Modernisierung der ägyptischen Identität entwickelt hat und man sogar von einer Identitätskrise zu sprechen beginnt. Im Lichte dieser Auseinandersetzung soll die kulturhistorische Verankerung der ägyptischen Kulturstandards dargestellt werden. Die Identität der Ägypter in der Gegenwart weist eine komplexe Struktur auf, in der Elemente der eigenen und fremder Kulturen eine wichtige Rolle für die Persönlichkeitskonstitution spielen. Während der ägyptische Geograph G. Hamdan im Verlauf der Entwicklungsgeschichte eine Ägyptisierung, Arabisierung und Europäisierung der ägyptischen Identität feststellt und die afrikanische, asiatische, mediterrane wie auch die Nil bezogene Komponente als deren Hauptbestandteile identifiziert, spricht M. Hanna von sieben Säulen der ägyptischen Identität und unterscheidet dabei vier historische Elemente, die pharaonische, griechisch-römische, koptischchristliche und islamische Dimension, und drei geographische Aspekte, nämlich die Zugehörigkeit zur arabischen Welt, zum Mittelmeerraum und zu Afrika (vgl. Omar 1998). Die historischen Wurzeln der ägyptischen Identität liegen somit in der altägyptischen, der koptischen und der islamischen Kultur sowie in den europäischen Einflüssen verankert, die eine wesentliche Rolle bis in die heutige Zeit spielen. Ägypten blickt auf eine sehr alte und glanzvolle Vergangenheit zurück. Aufgrund klimatischer Veränderungen wird das Niltal etwa 5000 v. Chr. zum Siedlungsgebiet wandernder Nomaden, die sich dort niederlassen, sesshaft werden und Ackerbau und Viehzucht betreiben. Damit begründen sie die Anfänge der altägyptischen Kultur, die von der Vorgeschichte (5000– 3000 v. Chr.), über die Frühzeit (3100–2665), das alte Reich (2665–2155), die erste Übergangszeit (2155–2040), das mittlere Reich (2040–1650), die zweite Übergangsperiode (1650–1555) und das neue Reich (1555–1080) bis in die Spätzeit (1080–332) reicht, in der Ägypten, in Kleinstaaten geteilt, von Assyrern, Libyern, Äthiopiern und Persern beherrscht wird. Danach folgt eine weitere durch fremde Regentschaften bestimmte Epoche: Griechen und Römer, Araber und Türken, Franzosen und Engländer dominieren das Land, bis Ägypten nach der Revolution von 1952 zur Republik erklärt wird und eine eigenständige ägyptische Regierung erhält. Die Spuren, die diese Hochkulturen im kulturellen Gedächtnis der Ägypter hinterlas© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sen haben, erklären zum einen den ausgeprägten Nationalstolz dieses Volkes. Die schlechten Erfahrungen mit den Fremdherrschaften im eigenen Land haben zum anderen das latente Gefühl von Angst und Misstrauen gegenüber allem Ausländischen zu verantworten (→ Orientierung am reichen Westen und → Einbindung in Beziehungsnetze). Die koptische Kultur beginnt mit der Christianisierung der ägyptischen Bevölkerung in der Zeit der römischen Herrschaft, als 389 n. Chr. das Christentum zur Staatsreligion des oströmischen Reichs erhoben wird. Im Jahr 451 n. Chr. erfolgt während des Konzils von Chalkedon der Bruch der koptischen mit der römisch-katholischen Kirche. Bis dahin hatte die ägyptische Kirche die dogmatische Führung der Gesamtkirche inne, nun entwickelt sie sich als ein selbstständiger Zweig weiter. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfährt die koptische Kirche durch Papst Kyrillos VI. (1959–1971), seinen Nachfolger Papst Schenude III. (seit 1971) sowie den Bischof Athanasius von Beni Suef (seit 1963) ihre Renaissance. Bedingt durch ihre lange Auseinandersetzung mit dem Islam und durch ihr Bestreben, sich abzugrenzen und eine eigene Identität zu finden, zeichnen sich die ägyptischen Christen, die als größte Minderheit 5 bis 7 Prozent der Gesamtbevölkerung Ägyptens ausmachen, auch heute noch durch ein sehr hohes Maß an Religiosität, Gemeinschaftswillen und inneren Zusammenhalt aus (→ Religiöse Orientierung und → Einbindung in Beziehungsnetze). Von den damaligen Arabern werden sie mit dem Begriff »kipti« (Kopte) bezeichnet, der seine etymologische Wurzel vom griechischen Aigyptos herleitet, das wiederum auf das altägyptische Hekta-Ptah zurückzuführen ist, und fühlen sich deshalb als die »echten« Ägypter. Die koptische Sprache, auch »demotische altägyptische Sprache« genannt, die in ihrer Liturgie immer noch lebendig ist, und die durch die altägyptische Kultur beeinflusste koptische Kunst bestärken sie in diesem Bewusstsein. Mit den »anderen« Ägyptern verbinden sie die arabische Sprache, die ägyptisch-arabischen Sitten und ein gemeinsames Nationalgefühl, das sich besonders im Nationalkampf gegen die Engländer manifestiert hat und im Symbol »Kreuz und Halbmond« zum Ausdruck gekommen ist. Die Anfänge der islamischen Kultur gehen auf die Jahre 639–642 zurück, als die Araber Ägypten »erobern«. Nach ägyptischem Verständnis bedeutet dies, das Land von der religiösen und wirtschaftlichen Unterdrückung der byzantinischen Herrschaft zu befreien und für die islamische Religion zu öffnen. Drei Begriffe charakterisieren diese Zeit: Islamisierung, Arabisierung und Mischkultur. Arabische Stämme siedeln sich nämlich im Niltal an, bringen eine neue Kultur, Sprache und Religion mit und legen dadurch den Grundstein für die islamisch- beziehungsweise arabisch-ägyptische Identität der Gegenwart. Unter der Führung verschiedener Dynastien (Omaiyden, Abbasiden,© Fatmiden, Mamluken und Osmanen) entwickelt sich 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Ägypten zu einem führenden Zentrum islamischer Kultur und bestätigt diesen Status besonders durch die Gründung der Al-Azhar-Moschee, der ältesten Universität der Welt. Der Islam, der nicht nur das Verhältnis des Menschen zu Gott, sondern auch das der Menschen untereinander regelt (→ Religiöse Orientierung), nimmt dabei auch heute noch einen breiten Raum im Leben der Ägypter ein. Die Zeit der europäischen Einflüsse in Ägypten beginnt mit der Napoleonischen Expedition der Jahre 1798–1801, findet ihren Höhepunkt in der britischen Besetzung Ägyptens 1882 und endet offiziell mit der Revolution der »Freien Offiziere« im Jahre 1952. Mit dem Feldzug Napoleons kommt die ägyptische Gesellschaft zum ersten Mal mit dem modernen Europa in Kontakt. Mohammed Ali übernimmt 1805 die Macht und versucht, nach europäischem, insbesondere französischem Vorbild Ägypten zu modernisieren (→ Orientierung am reichen Westen). Seine Nachfolger können seinen Kurs nicht halten und geraten bei der Verwirklichung ihrer Reformprojekte immer wieder in Schwierigkeiten mit der politischen und wirtschaftlichen Lage. Die britische Besetzung 1882 und der Status als Protektorat von 1914 begründet die Unterentwicklung Ägyptens in struktureller Hinsicht, die auch heute noch von einer verfehlten politischen und wirtschaftlichen Führung der damals Herrschenden zeugt. Zwei politische Strömungen kristallisieren sich in Ägypten zu dieser Zeit gegen die fremde Herrschaft heraus: die Nationalpartei und die Umma-Partei, später WafdPartei genannt. Der Nationalpartei liegt die Ideologie des Pan-Islamismus zugrunde und so spricht sie sich für die Vereinigung der islamischen Länder unter osmanischer Schirmherrschaft aus. Die Umma-Partei hingegen verfolgt eine andere Zielsetzung und stellt den ägyptischen Nationalismus in den Mittelpunkt. Nach ihrer Auffassung kann die Unabhängigkeit Ägyptens nur durch die Lösung gesellschaftspolitischer und wirtschaftlicher Probleme und die damit einhergehende Stärkung der Stellung des Landes auf internationaler Ebene erreicht werden. Die ausländischen Interventionen und die brutalen britischen Eingriffe in die moderne Geschichte Ägyptens behinderten jedoch das Land in seiner Entwicklung und Entfaltung (vgl. dazu Zeid 1991). Die heutige ägyptische Identität: Seit der Revolution von 1952 findet sich die ägyptische Identität in einem starken Wandel begriffen. Drei politische Phasen mit unterschiedlichen Ideologien prägen die heutige ägyptische Kultur: die sozialistische Phase unter Nasser (1952–1970), die Phase der Öffnungspolitik unter Sadat (1971–1981) und die Phase der Gegenwart (Mubarak ab 1981). Neue Begriffe erlangen zentrale Bedeutung in der Gesellschaft: Sozialismus, Pan-Arabismus und nationale Identität in der Ära Nassers, Kapitalismus und Infitah-Politik (Öffnungspolitik) in der Zeit Sadats, Liberalisierung und Privatisierung während der Regierung Mubaraks. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Die wirtschaftliche und soziale Politik Nassers erstrebt die Unabhängigkeit der Wirtschaft, die Beseitigung von Hindernissen bei der Weiterentwicklung und Modernisierung der nationalen Industrie. Diese Ziele sollen durch »Fünfjahrespläne«, Verstaatlichungspolitik und die Verwirklichung einer nationalen ägyptischen Wirtschaft realisiert werden. Nasser verstärkt die Zusammenarbeit mit den arabischen Ländern (Pan-Arabismus) und mit den Staaten des Ostblocks und entwickelt die Ideologie des arabischen Sozialismus (→ Bürokratisierung). Sadat hingegen schlägt eine andere Richtung ein und bewirkt dadurch einen radikalen Wandel in der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Orientierung des Landes: Abwendung vom Sozialismus und Hinwendung zum Kapitalismus, Öffnungspolitik gegenüber dem Westen und Liberalisierung Ägyptens sind seine Ziele. Die Ära Mubaraks ist durch eine modifizierte Weiterführung der politischen Richtlinien Sadats gekennzeichnet: Neue Strategien in der Wirtschaftspolitik, die die konsumtive durch eine produktive Öffnungspolitik ablösen, Übernahme neuer Formen der Liberalisierung und Privatisierung der Wirtschaft charakterisieren die Gegenwart (→ Orientierung am reichen Westen).

Generalisierung Die hier dargestellten ägyptischen Kulturstandards können mit Vorbehalt auch auf die arabische Welt, die sich aufgrund der gemeinsamen Geschichte, Sprache und Religion als eine Einheit versteht, übertragen und damit als arabische Kulturstandards generalisiert werden: – Religiöse Orientierung, – Einbindung in Beziehungsnetze, – Stolz wahren, – Gelassenheit, – Autoritätsorientierung, – Orientierung am reichen Westen, – Starker bzw. Hoch-Kontext. Doch trotz dieser eingeschränkt möglichen Generalisierung, die einer allgemeinen Orientierung dienen kann, darf die kulturelle Eigenartigkeit jedes Landes nicht außer Acht gelassen werden. Man kann davon ausgehen, dass sich die Verhältnisse auf der arabischen Halbinsel von den ägyptischen in erheblichem Maß unterscheiden, wo die religiöse Orientierung, die Einbindung in Beziehungsnetze und die Geschlechterrollenorientierung einen höheren Stellenwert einnehmen als in Ägypten. Vorteilhaft für die deutsch© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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arabischen Beziehungen wirkt sich dabei die Tatsache aus, dass Deutschland nie als Kolonialmacht im Nahen Osten aufgetreten ist, was die Grundlage für ein aufrichtiges und freundschaftliches Verhältnis zwischen Deutschland und der arabischen Welt bildet.

Schlusswort: es sei dann wie im katalog als seine maschine in kairo eintraf/wunderte sich der herr tourist/ daß es auch dort einen flughafen gab/wie in seinem land als der herr tourist seinen namen las/auf dem schild das ich in der hand hielt/ da starrte er mich verwundert an und wusste nicht/wie eine frau, unverschleiert, ihn abholen konnt’ doch da draußen vor dem bus/regte sich auf der herr tourist:/ es sei ein betrug/dies und das stünde nicht im katalog mein chef sagte mir/der kunde sei stets im recht/ dem kunde schlüge man keinen wunsch ab/und ich hatte angst um meinen job da befahl ich, es sei dann wie im katalog/wüste und palme, kamel und zelt/ schwarze knaben und verschleierte frauen/und ein fluss vor der pyramide da war der herr tourist entzückt/da sagte er das habe er gebucht/ das sei wie im katalog/und gab mir viel bakschisch. (Amin 2000, S. 49)

Literatur Amin, A. (2000): »Gedichte: wenn die liebe dich ruft.« In: Der Salamander. Regensburger Werkstatt-Texte, 3 (1/2000). Regensburg, S. 48–51. Haddad, N. (1987): Kultur und Sprache: Eine kontrastive Analyse als didaktisches Konzept am Beispiel des Deutschen und Arabischen. Frankfurt a. M. Koydl, W. (1991): Gebrauchsanweisung für Ägypten. 2. Aufl. München. Kuhla, K. (2000): Ägyptische Kulturstandards aus deutscher Sicht im Handlungsfeld deutscher Expatriats. Diplomarbeit, Universität Regensburg. Omar, H. S. A.-E. (1998): Ägyptische Identität. Grafik-Design im kulturellen Kontext. Wuppertal. Rau, H. A. (Hg.) (1985): Ägypten und Deutschland. Aufsätze ägyptischer Studenten mit Materialien. Berlin. Zeid, A. E. (1991): Der politische Transformationsprozess und die Krise der Demokratie im heutigen Ägypten. Wien. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Kulturunterschiede:ErgebnissederKulturstandardforschung

ChristianBoness/Claude-HélèneMayer:Ostafrika

Christian Boness/Claude-Hélène Mayer

5.2 Ostafrika

Eine Fallgeschichte Im Tanga-Distrikt/Nordost-Tansania läuft in Küstennähe ein von internationaler Seite gefördertes Umweltprogramm. Es wird in Zusammenarbeit mit der dortigen Diözese veranstaltet und steht für Interessierte offen. Ein von Montag bis Freitag ausgelegtes Seminarprogramm auf Dorfebene bildet den Kern des Projekts und soll die Teilnehmer über Desertifikationsprobleme informieren und gleichzeitig die betroffenen Kleinbauern motivieren, ihrerseits Aktivitäten zur Bodenverbesserung zu unternehmen. Die ersten drei Seminartage dienen dazu, in die grundsätzliche Problematik einzuführen, an den letzten beiden Tagen soll eine Modell-Baumschule angelegt werden. Die anwesenden gut 20 Teilnehmer wirken interessiert. Doch nimmt die deutsche Forst-Expertin während ihres Vortrags zur »Aufforstung und Erosionskontrolle« am dritten Seminartag wahr, dass die Teilnehmer nicht mehr so intensiv zuhören und sich stattdessen mit anderen Dingen beschäftigen. Als am folgenden Tag die Arbeit an der ModellBaumschule beginnen soll, findet nicht die erwartete Kooperation statt. Die europäische Expertin ist irritiert, weil der praktische Teil des Seminars ins Wanken gerät. Schließlich muss die Deutsche am letzten Tag des Seminars feststellen, dass die Teilnehmerzahl auf nur noch 8 Personen gesunken ist. Als der anwesende Bischof die Unsicherheit der deutschen Forstexpertin bemerkt, tritt er nach vorn und hält eine Rede, in der er an die Teilnehmer appelliert, gemeinsam an der Erhaltung von Gottes Schöpfung mitzuarbeiten. So gelingt es doch noch, wenigstens einen Teil der Modellbaumschule fertig zu stellen. Der Bischof bittet die Expertin nebenbei kurz vor dem offiziellen Ende des Umweltseminars, den Teilnehmern etwas Geld für die gute Arbeit zu geben. Was denkt wohl die deutsche Expertin über die tansanischen Seminarteilnehmer? © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Sie kümmern sich nicht um morgen – Umweltschutz scheint sie nichts anzugehen. – Wenn sie keine Lust mehr haben, bleiben sie weg. Sie sind weder zuverlässig noch berechenbar. – Von praktischer Arbeit halten sie nicht viel. – Sie arbeiten auch nur für Geld. Was denkt die deutsche Expertin über ihre eigene Rolle? – Meine Kompetenzen werden überhaupt nicht gewürdigt. – Das Thema Erosionsschutz habe ich sehr gut ausgewählt, weil es für die Menschen in der Region eine überlebenswichtige Bedeutung hat. – Als Frau scheine ich nicht gleichberechtigt in einer Führungsposition anerkannt zu sein. – Offensichtlich muss erst ein hoch positionierter Mann kommen, um die Teilnehmer zur Arbeit zu motivieren. – Die Religionen scheinen einen größeren Einfluss im Alltag einzunehmen, als ich dachte.

Beschreibung ausgewählter bantu-suahelischer Kulturstandards Partizipation Fach- und Führungskräfte haben davon auszugehen, dass sich Art und Ebene von Entscheidungen in allen Ländern Ostafrikas wesentlich auf dem Hintergrund stark kollektivistisch geprägter und streng vertikal-hierarchischer ausgerichteter Gesellschaftsstrukturen zeigen. Dem entsprechen in der Regel auch die Strukturen von Betrieben, Organisationen und Projekten, sollen sie nicht als kulturelle Fremdkörper aufgefasst werden. Besonders virulent ist deshalb die Frage, von wem Entscheidungen ausgehen und wer für das Gelingen oder Misslingen verantwortlich zeichnet. Eindeutige Erwartungen von Ostafrikanern gehen dahin, dass der Vorgesetzte oder die Führungskraft eines Bereichs für aktuelle und langfristige Entscheidungen mit ihren Folgen die volle Verantwortung trägt. Diese Verantwortung lässt sich anders als in deutschen Organisationen nicht an untergeordnete Ebenen delegieren. Die Richtung von Entscheidungen verläuft »top down« und weist im Rahmen von Abteilungsverantwortlichkeiten nicht von unten nach oben. Oft sind Führungs- und Fachkräfte verwundert, dass ihre Mitarbeiter sehr zögerlich sind, in unvorhergesehenen Situationen Entscheidungen selbst zu treffen. Auch wenn mitarbeitende ostafrikanische Counterparts Entscheidungskompetenzen zugewiesen bekommen haben, erwarten sie in der Regel, dass sich © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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die deutsche Führungskraft bereithält, auch Entscheidungen geringer und mittlerer Reichweite bindend zu treffen. Nur in den seltensten Fällen kann deshalb die Zurückhaltung der Mitarbeiter so interpretiert werden, dass es sich um Unselbstständigkeit handelt, wenn alle betrieblichen Entscheidungen »nach oben« verlagert werden. Zunächst ist es für eine interkulturelle Zusammenarbeit äußerst wichtig, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, die geeignet dazu ist, dass die ostafrikanischen Mitarbeiter auch ihre Meinungen vor den anderen Beteiligten offen legen. Ansonsten ist damit zu rechnen, dass Lippenbekenntnisse gegeben werden, da ein harmonischer Austausch von Meinungen den hohen Wert des Gruppenkonsenses erhöht, während konkurrierende Meinungen, die im Raum stehen, bei Ostafrikanern sehr oft Unbehagen hervorrufen. Folglich ist es auf Seiten der deutschen Führungskräfte erforderlich, vor dem Fällen von Entscheidungen der ostafrikanischen Seite genügend Input und Vorbereitungszeit zu geben. Wenn es um Rahmenentscheidungen von privaten oder entwicklungspolitischen Führungskräften geht, die ihre Aktivitäten in Ostafrika betreffen, dann sollten weitere Gesichtspunkte hinsichtlich der Identifizierung, Formulierung und Durchführung Beachtung finden: Es gilt einzuschätzen, welche Nachhaltigkeit ein Projekt haben soll und kann, sobald der Mittelfluss und der technische und personale Experten-Input ausläuft. Um einen vertretbaren Erfolg eines Projektes in Ostafrika wahrscheinlich zu machen, sollte bereits während der Identifizierungsphase geprüft werden, ob es mit den kulturellen Orientierungen des Empfängerlandes in Einklang steht und zu den Strategien der Counterpart-Organisation passt. Dazu gehört eine Recherche über die Gründe von Erfolg und Misserfolg früherer, ähnlich gerichteter Projekte in der Region beziehungsweise im Land. Bei der Formulierung von Entscheidungen über Projektziele sollten nicht so sehr sachlich-logische Überlegungen im Vordergrund stehen, sondern die Kapazitäten der beteiligten Menschen und Institutionen als Bedingungen für das Erreichen der erstrebten Ziele. Daraus folgt, dass die Projektressourcen überwiegend in dem Zielland liegen sollten, um die Abhängigkeit von ohnehin temporärer Hilfe aus Deutschland zu verringern. Eine ähnliche Überlegung betrifft die Lösung operationaler Probleme: Der Import kulturfremder Lösungen kann nur sehr begrenzt absorbiert werden. Führungskräfte sind daher gut beraten, wenn sie die im Projektbereich wohnenden Menschen, die ein Interesse an der Fortführung eines zeitlich begrenzten Projekts haben, frühzeitig mit einbeziehen. Unter Berücksichtigung solcher ausgewählter Überlegungen zu Projektentscheidungen besteht eine größere Chance, dass das Projekt, so weit es über kulturangemessene – das heißt eher menschenorientierte als sachbezogene – Entscheidungen bestimmt ist, nachhaltig weiterbesteht. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Kooperation und Genderrollen Die Diskussion um Gleichstellungsfragen zwischen Mann und Frau gestaltet sich in Ostafrika anders als in Deutschland. Während in Deutschland weitgehend – besonders im öffentlichen Dienst, aber auch in der privaten Wirtschaft – den Frauen zunehmend gleiche Arbeitschancen eingeräumt werden, sehen sich die meisten Frauen in Ostafrika mit anderen Problemen, zum Beispiel der Familienversorgung, konfrontiert. Zwar haben im Bankenbereich Ostafrikas viele Frauen auch leitende Funktionen übernommen, weil man von ihnen erwartet, dass sie genauer mit Geld umgehen als zahlreiche Männer, jedoch ist beispielsweise Tansania weit davon entfernt, als Land zu gelten, in dem Männer und Frauen im westlichen Sinn gleichberechtigt sind. Deutsche Fachkräfte stellen gern ostafrikanische Frauen ein, weil auch sie die Erfahrung gemacht haben, dass ostafrikanische weibliche Counterparts gegenüber Männern bestimmte Kompetenzen einbringen können, die in der projektbezogenen oder betrieblichen Zusammenarbeit unabdingbar sind. Es ist aber ziemlich schwierig, entsprechende weibliche Kräfte zu rekrutieren, da große Ungleichheiten im Blick auf den Zugang und die Abschlüsse an Hochschulen und Universitäten bestehen. Das führt dazu, dass der Output an qualifizierten weiblichen Fachkräften sehr gering ist und einen deutlichen Nachfrageüberhang auf dem Markt bewirkt. Diese Ungleichheiten konnten bis heute nicht ausgeglichen werden, obwohl es zum Beispiel Frauenförderungsprogramme an der Universität Dar-es-Salaam gibt. Zudem sollten sich Deutsche des Umstands bewusst sein, dass es sehr unterschiedliche ethnisch gebundene kulturelle Orientierungen zum Genderaspekt gibt. So finden sich im Kagera-Distrikt/Victoriasee matrilinear ausgerichtete Bevölkerungsgruppen und bei den um Morogoro herum wohnenden Luguru matriarchalische Strukturen. Zum Teil sind diese Strukturen in Auflösung begriffen und man kann auf Mischgesellschaften treffen, in denen matrilokale Strukturen neben patriarchalischen Mustern koexistieren. Außerdem wird der Begriff der Geschlechtergleichheit in Ostafrika anders behandelt und verstanden als in Deutschland (Mayer 2001). Emanzipation in unserem Sinne kommt so gut wie nicht vor, da der Großteil der Bevölkerung mit der Existenzsicherung der erweiterten Familie beschäftigt ist. Gebildete Tansanier zum Beispiel interpretieren die Gleichheit zwischen Mann und Frau so, dass der Mann in erster Linie die außerfamilialen Geschäfte zu besorgen hat, während die Frau als Souverän in den Familienangelegenheiten anerkannt wird. In ruralen Gegenden müssen deutsche Fachkräfte allerdings noch weitgehend damit rechnen, dass es eine strikte Rollenteilung zwischen den Ge© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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schlechtern gibt. Rodungsarbeiten sind »Männersache«, Feldbestellung »Frauensache«. Wasserholen und Feuerholztragen obliegt den Mädchen und Frauen, die Jungen dagegen hüten Rinder und Ziegen. Es sind in Ostafrika die meisten Arbeitsbereiche – von der Erziehung, über Kunst bis zur Wirtschaft – überwiegend genderspezifisch geprägt. Dennoch lassen sich Aufweichungstendenzen feststellen, die zum Beispiel die Norm verwässern, dass Frauen den Männern dienen müssten.

Wirtschaft, Spiritualität und religiöse Praxis So ungewöhnlich es klingen mag: Offensichtlich ist in der Suaheli-Kultur der Umgang mit Hexerei, Zauberei und Magie bis heute stark ausgeprägt. Es ist allerdings schwierig, genaue Informationen über dieses Phänomen zu erhalten, weil es auf einer Art Spezialwissen beruht, über das nur bestimmte Personen verfügen, die es meistens geheim halten. Es dürfte wohl kaum einen Suaheli geben, der nicht an die Kraft der Magie glaubt und für die Bewältigung von Krisen einen »Mganga« (Heiler, der mit lokaler Medizin umfassend vertraut ist) oder einen »Mchawi« (Hexer, der negative Energien aktivieren und lenken kann) anruft. Besonders aber in Fällen von Eifersucht und Neid werden im Wirtschaftsleben Ostafrikas »Heiler« eingesetzt, um unerwünschte Irritationen auf dem Weg der Magie und ritueller Praktiken auszuräumen, so dass die Mitarbeiter emotional wieder stabilisiert werden. Es gibt zahlreiche Aussagen von Ostafrikanern, die beispielsweise Probleme bei der Lieferung von Rohstoffen oder das Versagen technischer Betriebseinrichtungen auf die Wirkung schwarzer Magie zurückführen. Wenn von einer Person vermutet wird, dass sie Ursache für ein Problem ist, wird nach Gegenmitteln gesucht, welche die negativen Energien binden können, oder im Gegenzug ein Mchawi-Zauberer um Rat und Hilfe gebeten. Deutsche Führungskräfte in Ostafrika müssen davon ausgehen, dass die meisten Ostafrikaner ein gutes Funktionieren von Unternehmen oder auftretende Fehler in Betriebsabläufen auf spirituelle Kräfte zurückführen, die auf unsichtbare, aber sehr wirksame Weise auftretende kritische Ereignisse, Abläufe und Beziehungen der Menschen untereinander steuern. Es wäre ein Irrtum anzunehmen, dass Mitarbeiter, die sich als Christen oder Muslime bezeichnen, nichts mit Magie und Zauberei zu tun hätten. Die Konfessionsbindung an große Glaubenssysteme, die nicht in Afrika ihren Ursprung haben, ist eine kulturell hoch angesehene Konvention. Doch im Bewusstsein von Ostafrikanern bilden traditionelle Glaubensvorstellungen an Magie und Zauberei keinen Gegensatz zum Christentum oder Islam, sondern ergänzen sich. So ist in dem Küstenstreifen zwischen Somalia, Kenia, Tansania und Mosambik damit zu rechnen, dass sich die über © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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90 Prozent dort lebenden Muslime an die Freitagsgebete halten und deshalb nicht für Seminare und Projektarbeiten zur Verfügung stehen. Wenn jedoch beispielsweise finanzielle Anreize gegeben werden und die Wichtigkeit der Mitarbeit für die betroffenen Muslime einsichtig ist, ist es für sie möglich, die Gebetszeit zu verlegen. Spiritualität und religiöse Praxis prägen somit oft ausschlaggebend den Alltag (Boness 2002). Wenn Fach- und Führungskräfte ein wenig über diese den Beziehungen und Ereignissen zugeschriebenen Kräfte wissen, werden so manche Phänomene in Wirtschaft und Betrieb verständlicher, mögen sie auch nicht von westlich geprägten Menschen ohne weiteres nachvollziehbar sein.

Privatsphäre und Öffentlichkeit Nahezu jeder Ostafrikaner sieht sich seiner Abstammung, seinen Vorfahren, seiner Familie verpflichtet. Aus ihr kommt er, aus ihr lebt er, aus ihr bezieht er seinen kulturellen und persönlichen Rückhalt. Untersucht man das Verhältnis der Suaheli in ihrer Gemeinschaft, so ist es geboten, bei der Familie, nicht jedoch bei der einzelnen Person anzufangen. Auf jedem offiziellen Visumantrag ist nach dem Familiennamen gefragt: »Jina la ukoo« (Name der Abstammung) weist dem Antragsteller seinen sozialen und persönlichen Ort zu, der seine Linie bis in das »Zamani« (die Vergangenheit der Ahnen) nachverfolgt. Am häufigsten trifft man im ostafrikanischen Alltag auf den Begriff der »jamaa«, der erweiterten Familie. Das regierungsamtliche Lexikon gibt die Auskunft, dass »jamaa« die primäre Bedeutung von »Menschen einer Abstammung; Geschwisterschaft« trägt (Taasisi 1981, S. 88; Übers. v. d. Verf.). In zweiter Bedeutung umfasst »jamaa« auch Menschen, die ein gemeinsames Referenzsystem aufweisen, also einer sozialen Gruppe oder Gemeinschaft mit bestimmten Merkmalen zugehören. »Jamhuri« wird lexikalisch erläutert mit »jamii ya watu wengi au nchi inayotawaliwa na mkuu anayechaguliwa na watu na ambaye si mfalme« (Taasisi 1981, S. 88), in angelehnter Übersetzung »Republik« – Tansania wird offiziell so benannt – und in wörtlicher Übersetzung »Ansammlung vieler Menschen oder ein Land, das von einem Obersten verwaltet wird, der von den Menschen gewählt ist und kein König ist«. Dass in dem Jamhuri-Begriff die besondere Familienvorstellung in national erweiterter Form mitschwingt, ist für Tansanier selbstverständlich, soll an dieser Stelle aber wegen der Konzentrik des Familienbegriffs hervorgehoben werden. Familie im Verständnis der Suaheli-Kultur umfasst die Totenseelen und die noch Ungeborenen, sind es doch sie, die das Auslöschen der Erinnerung an die Familie verhindern. Der gegenwärtige Fokus der Familie ist also unmittelbar verbunden mit dem Nicht-mehr und Noch-nicht innerhalb der © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Familien-Jetztzeit. Kontakte und Kommunikation mit den living dead verlaufen in der Regel innerhalb eines patri- oder matrilokal ausgerichteten Haushalts. Um den Kreis der Familienhaushalte legt sich der Kreis der Nachbarschaft, der zwar ein minder verpflichtendes System von Kontakten erfordert, aber doch die Gemeinschaft des Zusammenlebens und gegenseitiger Hilfe abgibt. Die zunehmende Auflösung überkommener Dorfstrukturen wird in den stürmisch wachsenden urbanen Zentren aufgefangen durch tribal oder großfamilial aggregierte Wohnzusammenhänge (mitaa). Es ist im heutigen Tansania gelungen, über den politischen Entwurf des »ujamaa« (Familienheit Abstraktum zu »jamaa«) einen weiteren Kreis zu ziehen, der die tribalen Grenzen überwindet und eine familienähnliche Identifizierung auf nationaler Ebene schafft. Auf das einzelne Mitglied der Familie gewendet heißt das, dass sich die einzelne Person als »communitarian self« (Gyekye 1992, S. 317) aus der Familie definiert. Familie bietet in der Suaheli-Kultur keinen privaten Raum, sondern Quasi-Öffentlichkeit. Gemeinsame Lebensbewältigung im Alltag lässt zwar persönlichen Ausdrucksmöglichkeiten einen relativen Radius, Intimität ist allerdings auf eng begrenzte Zeiten und Orte bezogen. Es gilt: Die Person kann ohne die Gemeinschaft nicht existieren, individuelle Entfaltungsmöglichkeiten werden sozial limitiert. Das beinhaltet Schutz der Person bei gleichzeitiger Unterordnung unter die Gemeinschaftsbelange. Die Gemeinschaft askribiert: Der Statusgewinn einer Person erfolgt nicht so sehr über persönliche Leistung und Performanz, sondern über die kulturell anerkannte Betonung feststehender Merkmale wie Alter, Titel und Position. Dieses Phänomen drückt sich direkt in der Form aus, wie sich die Beziehung zwischen den Menschen als Strukturmerkmal im Verbgebrauch des Suaheli manifestiert. Die Menschen definieren sich sprachlich und kulturell in engster Bezogenheit auf Alltagsrelevanz, aber auch auf biographische Diachronizität: Die einzelne Person sieht sich in ihrer gesamten Lebensspanne begleitet von kollektiven Riten und Initiationen der Gemeinschaft, die gleichsam als primäre religiöse Sozialisationsinstanz der Person fungiert und sich in kulturell akzeptierten Symbolsystemen entfaltet. So ist zu beobachten, dass in den Schulen Ostafrikas einzelne oder ganze Gruppen von Schülern absent sind, weil in ihrem Dorf zu bestimmten Zeiten die notwendigen Initiationsriten durchgeführt werden. Ethnisch diversitäre »rites de passage« finden so ihre Berücksichtigung auch in den sekundären Sozialisationsinstanzen. Ohne an dieser Stelle auf die das Leben des Einzelnen strukturierenden Passage-Riten einzugehen, soll die Reziprozität von Verhaltenserwartungen zwischen den einzelnen Menschen und ihren referenziellen sozialen Gruppen in einem Zitat zusammengefasst werden: »Der einzelne©wird sich nur im Hinblick auf andere Menschen seiner 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Eigenart, seiner Pflichten, Vorrechte und Verantwortlichkeiten sich selbst und anderen gegenüber bewusst. Wenn er leidet, so leidet er nicht allein, sondern mit der Gruppe, mit seinen Artgenossen, Nachbarn und Verwandten, ob diese nun tot oder noch am Leben sind. Wenn er heiratet, so steht er nicht allein, und auch seine Frau ›gehört‹ nicht ihm allein. Im gleichen Sinne gehören seine Kinder der Gemeinschaft, mögen sie auch nur den Namen des Vaters tragen. Was immer dem Einzelnen widerfährt, geht das die ganze Gruppe an, und was der ganzen Gruppe widerfährt, ist ebenso Sache des einzelnen« (Mbiti 1974, S. 136).

Personen in Zeit und Raum Nach Auffassung Mbitis (1974, S. 18) können die schwarzafrikanische Religionsformen als Phänomene behandelt werden, zu deren »Verständnis der qualitative Zeitbegriff einen Schlüssel liefert«. Wenn angenommen wird, dass Religion ein ontologisches Phänomen ist, dann folgt daraus, »dass für die Afrikaner die gesamte Existenz ein religiöses Ereignis ist. Der Mensch ist ein religiöses Wesen in einem religiösen Weltall«. Ohne hier eine Diskussion über die eher westlich verankerte lineare Zeitdimension zu führen, soll kurz dargestellt werden, wie sich in der Suaheli-Kultur Zeiterfahrung für die Menschen niederschlägt. Einige Kernbegriffe von »Zeit« lassen sich im Suaheli gleichzeitig als Lokalattribute verwenden und verweisen auf den integrierten semantischen Gehalt der Spatiotemporalität in der Suaheli-Kultur. Gehen wir vom Gebrauch unterschiedlicher Zeitbegriffe im Suaheli aus, so lässt sich als Erstes feststellen, dass es keinen Begriff für Zeit an sich gibt, vielmehr der Begriff mit der größten semantischen Reichweite »wakati« an inhaltliche Bedingungen geknüpft ist. Je nach Verwendungszusammenhang in der Alltagskommunikation beinhaltet »wakati« »season, period of time, point of time, sufficient time, opportunity« (Johnson 1978, S. 523), oft wird »wakati« als temporale Konjunktion gebraucht im Sinne von »während; zu dem Zeitpunkt, wenn«. Die Hauptbedeutung von »wakati« liegt jedoch in »langer Zeitraum, Periode« (Taasisi 1981, S. 316). Am stärksten spatiotemporal bedeutungsgebunden werden die Begriffe »nafasi« und »kitambo« (Zeitstrecke oder Wegstrecke in ungefährer Ausdehnung; Taasisi 1981, S. 126) alltagssprachlich verwendet. Es ist kaum möglich, die Vielzahl der kontextgebundenen Gebräuche von »nafasi« nachzuzeichnen, doch wird in Kommunikationssituationen »nafasi« als »Gelegenheit«, »Platz«, »Raum«, »Rahmen«, »Kapazität« zu verstehen sein. Für Europäer ist es oft schwierig, die Intentionalität der Sprecher zu erkennen, wenn es zum Beispiel zwar Zeit gibt, aber keinen Platz, und vice versa. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Bedeutsam wird der Gebrauch von »nafasi«, wenn eine Beziehungsdefinition in den Vordergrund rückt. So kann »Sina nafasi« (»Ich habe keine ›nafasi‹«) heißen, dass zwar Zeit und Raum vorhanden sein mögen, aber die personale Beziehung zwischen den Kommunizierenden als nicht stimmig eingeschätzt wird oder nicht gewünscht ist. Wenn ein Europäer versucht, den uhrzeitlich bestimmten Pünktlichkeitsbegriff auf Suaheli zu übertragen, so wird er durch lexikalische Angaben enttäuscht: Es gibt keine Übersetzung von »Pünktlichkeit«. Dieser Sekundärtugend entspricht kein Suaheli-Äquivalent. In diversen Übertragungsversuchen wird »Pünktlichkeit« mit »kutochelewa« (»nicht verspätet werden, nicht verpassen«) wiedergegeben, also einem verneinten Verb in Passivbildung. Oder es werden Englisch und Suaheli gemischt in dem Vorschlag, Pünktlichkeit mit »hali (tabia) ya kuwa punctual; ya kufika wakati hasa upasao« zu umschreiben (Johnson 1978, S. 432). In wörtlicher Übersetzung würde es heißen: »die Situation (das Benehmen), ›punctual‹ zu sein« – also eine Übersetzung, die keine Bedeutung für »Pünktlichkeit« aus Suaheli-Sicht ermöglicht, beziehungsweise »Ankommen zu einer Zeit (s. o.), die besonders geziemt/passend ist« – folglich eine Übertragung, die für »Pünktlichkeit« die soziale Vereinbarung in den Vordergrund rückt. Durch das Vordringen westlicher Zeitbegriffe in Bereichen von institutioneller Zusammenarbeit, der Verwaltung oder auch im modernen Verkehrssektor bestehen zwei handlungsrelevante Zeitauffassungen nebeneinander: So ist es alltäglich zu beobachten, dass einige Verkehrsmittel erst dann abfahren, wenn sie voll besetzt sind, also mit zum Teil hoher »Verspätung«, andere dagegen sich an die angegebenen Fahrpläne halten. Während die benannte Auswahl von Suaheli-Zeitbegriffen eher die alltägliche Interaktionssituation der Menschen beschreibt und interpretativ strukturiert, geht es bei den zeit-räumlichen Dimensionen des »Sasa« und »Zamani« um Sphären, die das Handeln und die Einstellungen der Tansanier indirekt prägen. Sasa und Zamani stellen sich als aufeinander folgende, rückwärts gerichtete Bereiche dar, in denen das Leben der Suaheli verläuft. »Sasa« meint »Jetztzeit«, »Zamani« dagegen jene Sphäre von »Vergangenheit«, die die Grenze zum Sasa überschreitet, bis sie aus der Erinnerung der im Sasa lebenden Menschen verschwimmt. In der Sasa-Periode finden die lebensprägenden Ereignisse statt, die entweder gerade stattfinden, kürzlich vergangen sind oder unmittelbar bevorstehen. Eine nachvollziehbare Zeitdimension der Zukunft gibt es nicht, da in Zukunft liegende Ereignisse nicht stattgefunden haben. Eine Ausnahme bilden die durch Zyklen der Natur vorausbestimmten Ereignisse wie Regenzeit, Geburt und Tod. Die Menschen der Suaheli-Kultur beschäftigen sich mit den Ereignissen, die gerade geschehen oder handlungsbeeinflussende Vergangenheit ausmachen, sie »haben nur geringes oder überhaupt kein Interesse an Ereignissen, die © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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in einer Zukunft liegen, welche über das Höchstmaß von zwei Jahren hinausgeht« (Mbiti 1974, S. 23). So gibt es auch kein sprachliches Äquivalent für »Zukunft«, um Ereignisse zu erfassen, die jenseits der verlängerten »Jetztzeit« liegen. Vielmehr ist es so, dass wenn Suaheli-Sprecher etwa von »Ewigkeit« reden, sie »kale na kale« oder »milele« gebrauchen. Das bedeutet etwa »früher und früher«, das heißt eine kaum zu erinnernde Vergangenheit wird noch einmal nach »hinten« verlängert. Für westlichen Fortschrittsglauben oder Entwicklungsdenken ist so gesehen wenig Platz im Denken der Suaheli. Das Sasa bewegt sich auf das Zamani hin, über die kommunikativ erinnerten Mythen aus der Zamani-Sphäre gibt die Gegenwart des Sasa den Menschen Geborgenheit und Sinndeutung. Die natürlichen Zyklen von Tagen, Monden, Regen, Trockenzeiten und die auf den Menschen hin orientierten Kreise von Geburt, Adoleszenz, Hochzeit, Zeugung und Tod bilden die Referenzbögen menschlicher Daseinsdeutung, die unendlich rücklaufen und die Sasa-Periode mit dem Zamani rhythmisch verbinden.

Kulturelles Konfliktmanagement Wenn kulturbedingte wirtschaftliche Interessengegensätze aufzubrechen drohen, ist es in Ostafrika geboten, dass Experten einen Verständigungsprozess einleiten, der als kulturangepasst gilt: Ostafrikaner wollen unter allen Umständen die direkte Austragung eines Interessenkonflikts vermeiden. Die Einschaltung einer Mittelsperson (mpatanishi, mshauri) dient traditionell dazu, einen Interessenausgleich auf indirektem Weg herzustellen. Es wäre für die deutsche Seite ergiebiger, wenn sie ihre Einwirkungsmöglichkeiten ebenfalls über eine Mittelsperson geltend machen könnte. Es ist nämlich oft der Fall, dass beispielsweise bei Ostafrikanern das Interesse an einer Fernreise in das reiche Deutschland höher gesetzt wird als eine entwicklungspolitisch begründete Fortbildungsmaßnahme, um die es den Projektverantwortlichen geht. Um diesen Interessengegensatz auszugleichen, käme als Mittelsperson etwa jemand in Frage, der über langjährige Betriebserfahrung verfügt und die persönlichen und familiären sowie positionsrollenbezogenen Hintergründe der Mitarbeiter kennt. Beide Seiten könnten ihr Gesicht bewahren, wenn ein Kompromiss gesucht würde (Mayer et al. 2003). Dieser Weg ist zwar langwierig, kommt aber der ostafrikanischen Auffassung am stärksten entgegen. Denn Betriebe und Organisationen werden als große Familien aufgefasst, in denen nicht die Logik von Zielen und Prozeduren entscheidend ist, sondern dass angenehme menschliche Beziehungen zwischen Experten und Mitarbeitern entstehen und bestehen bleiben. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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In diesem Prozess der persönlichen Beziehungsbildung innerhalb und außerhalb der Betriebs können sich Entscheidungen am wenigsten störend vorbereiten lassen, beispielsweise die Auswahl geeigneter Mitarbeiter zu Fortbildungszwecken. Dieser – gewiss auch zeitraubende – Prozess würde ein Abwägen der Kriterien mit sich bringen, die in Ostafrika höchsten Rang einnehmen: Anciennität, Weisheit und Würde (Heshima). Wenn sich nun ein deutscher Experte in diese Prozess mit einbinden lässt und auch seine Vorstellungen vorsichtig einbringt, kann ein solches Prozedere durchaus erfolgreich sein.

Kommunikationsstrukturen in der Entwicklungszusammenarbeit Beratung darf nicht mit Kritik verbunden sein, sondern sollte im Stil des in der Suaheli-Kultur weit verbreiteten und sehr positiv gesehenen »kupeana mawazo« (»Sich-untereinander-Gedanken-Geben, Ideen austauschen«) verlaufen. Die Suaheli-Kultur bevorzugt grundsätzlich indirekte Kommunikationsstile. Informationen werden gern unter Verweis auf Dritte, zum Beispiel Autoritäten, Vorfahren und Praktiken anderer sozialer Gruppen, weitergegeben und erhalten somit ein besonderes Gewicht, ohne dass ein Teilnehmer direkt mit der Äußerung identifiziert wird. Das Instrument von Dorfversammlungen zu nutzen, um ein Programm der Entwicklungszusammenarbeit einzuführen, ist an und für sich günstig, um ein Maximum an Partizipation zu erreichen. Auf Dorfversammlungen werden die Angelegenheiten beraten, die für die Dorfgemeinschaft entscheidend sind. Doch wichtig wäre es für deutsche Fachkräfte, sich vor der Besprechung seines Vorhabens darüber kundig zu machen, welche politisch-administrativen Besonderheiten in der Region üblich sind. Beispielsweise ist zunächst der District-Officer davon zu überzeugen, welche Vorteile ein viehwirtschaftliches Programm für ihn und seinen Distrikt haben kann, etwa die Nutzung von Projektfahrzeugen und die Projektlogistik. Nachdem eine gute persönliche und geschäftliche Beziehung zum District-Office aufgebaut ist, wird der Verantwortliche gern dazu bereit sein, auf einem vorbereitenden Treffen mit den Dorfältesten die Vorteile des Projekts zu beraten. Erst wenn auch diese Hürde genommen ist, kann es zu einer von den Farmern vor Ort besuchten Dorfversammlung kommen. Ein gelungenes »topdown«-Verfahren entspricht grundsätzlich der Richtung, in der ein Akzeptanzrahmen von moderner betrieblicher Wissensvermittlung bereit gestellt wird. Die Kenntnis des kulturangepassten Channelling ist also eine notwendige, jedoch noch keine hinreichende Bedingung für das Gelingen eines bilateralen Projekts (Teunissen u. Waisfisz 1993). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Diskussionen sind zwar eine Form von dialogischer Kommunikation, die aber auch in den jeweiligen kulturellen Kontext hineinpassen muss. In der Regel wird im Primary und dem Secondary Level des in Ostafrika bestehenden Schulsystems die Form der Debatte, nicht aber die der Diskussion vermittelt. Dieser Sachverhalt hat weniger mit Bildung zu tun als mit sozialisationsbegleitenden Kontexten, in denen kulturspezifische Kommunikationsstile gelernt werden. In Ostafrika kann davon ausgegangen werden, dass Wissensvermittlung nur dann eine Chance hat, diejenigen zu erreichen, für die sie vorgesehen ist, wenn zunächst nachgefragt wird, ob das, was vermittelt werden soll, den Interessen der Beteiligten, aber auch den überlieferten Gruppenerfahrungen und Wertschätzungen entspricht. Erfahrungen, die Fach- und Führungskräfte in Ostafrika immer wieder gemacht haben, verweisen bei formellen Meetings darauf, dass es nicht so sehr darum geht, einen offenen Meinungs- und Ideenaustausch zu unternehmen oder gar die Teilnehmenden einzeln nach ihren Entscheidungen, Aktivitäten oder Intentionen zu befragen. Es ist auch nicht üblich, dass man während des Meetings zu Entscheidungen in einem Diskussionsprozess gelangt, vielmehr haben Meetings in Ostafrika die Funktion, zunächst einmal die Mitarbeiter darüber zu informieren, welcher Stand der Unternehmenstätigkeit im Augenblick erreicht ist. Vorher bereits getroffene betriebliche Entscheidungen können dann im Rahmen des Meetings auf ritualisierte Weise abgestimmt werden. Zur Motivierung der einzelnen Mitarbeiter trägt bei, wenn bei Meetings die Leistungsmoral durch Appelle an die Belegschaft gestärkt wird. Meetings sind bei Ostafrikanern auch deshalb besonders beliebt, weil sie während der Arbeitszeit abgehalten werden, gleichzeitig aber auch den sozialen Bedürfnissen der Mitarbeiter entgegenkommen. Diese für westliche Führungskräfte ungewöhnliche Ausgestaltung hat ihren Hintergrund in der High-Context-Culture (Hall u. Hall 1990), in der die persönlichen Beziehungen der Mitarbeiter untereinander einen indirekten Austausch zu den Angelegenheiten möglich machen, die zur Entscheidung anstehen. Es bedarf in einer solchen Kultur dann nur noch geringer Informations-Inputs, um Entscheidungen beschlussreif zu machen. Es gilt in Ostafrika als ungehörig, negativen Emotionen vor anderen freien Lauf zu lassen und beispielsweise Wut, Ärger, Arroganz auszudrücken oder sich über andere lustig zu machen. Kritische Beurteilungen von Europäern, die auf Eigenschaften und Fertigkeiten ostafrikanischer Kollegen zielen, sind zu vermeiden, es sei denn, es werden im Vier-Augen-Gespräch ausdrücklich Auskünfte dieser Art gewünscht. Anderenfalls wirken sie in höchstem Maß beunruhigend oder werden als diskriminierend erlebt, weil für viele Ostafrikaner damit neben einem auf jeden Fall zu vermeidenden Gesichtsverlust das Gefühl eigener Inferiorität einhergeht. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Zurück zur Fallgeschichte Vor dem Hintergrund der dargestellten ausgewählten ostafrikanischen Kulturstandards kann nun die Perspektive der tansanischen Seminarteilnehmer nachvollzogen werden. Über ihre eigene Rolle denken die tansanischen Seminarteilnehmer folgendermaßen: – Es ist eine Ehre für uns, zu einem Seminar eingeladen zu werden, denn es bietet den Rahmen für Geselligkeit und Ideenaustausch. Das Thema mag interessant sein, aber was betrifft uns davon eigentlich wirklich? (→ Partizipation). – Warum wird das Seminar eigentlich von einer Frau geleitet? Es geht doch hier wohl um Aufforstung und nicht gerade um Feldarbeit (→ Kooperation und Genderrollen). – Ist doch klar, dass die muslimischen Teilnehmer am Freitag zum Gebet in die Moschee gehen (→ religiöse Praxis). – Ist doch klar, dass die christlichen Teilnehmer auf ihren Bischof hören und daher am Seminar aktiv teilnehmen (→ religiöse Praxis). – Es ist gut, dass der Bischof in die Position des Vermittelnden in dieser konflikthaften Situation getreten ist (→ kulturelles Konfliktmanagement). Über die Rolle der deutschen Expertin denken die tansanischen Teilnehmer wie folgt: – Was die zeitliche Seminarplanung betrifft, hätte die Expertin ja wirklich mal mit uns in den Dialog treten können (→ Partizipation). – Der deutschen Expertin scheint das Thema sehr am Herzen zu liegen, mehr als der Austausch mit den Teilnehmern (→ Partizipation). – Es ist ja offensichtlich, dass die Deutsche hier insgesamt überfordert ist: Einerseits nimmt sie sich eines Themas an, das eigentlich nur von Männern bearbeitet wird, andererseits beachtet sie die religiösen Einstellungen, die bei den Seminarteilnehmern vorherrschen, nicht (→ Gender und religiöse Praxis). – Ihre Verunsicherung zeigt, dass sich die Expertin in der ostafrikanischen Kultur keineswegs auskennt, deshalb muss unser Bischof ihr helfen (→ Konfliktmanagement). – Noch nicht einmal Geld wollte sie für die geleistete Arbeit und die Seminarteilnahme zahlen, obwohl wir doch an diesen Tagen als Arbeitskräfte für die Versorgung unserer Familien ausfallen (→ Privatsphäre und Öffentlichkeit). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Orientiert man sich an den oben dargestellten Kulturstandards, so sind diese im Blick auf das konkrete Fallbeispiel so zu formulieren:

Partizipation – personorientiertes Handeln Entscheidende Motivation für die Teilnahme am Seminar war für die Ostafrikaner der Wunsch nach Geselligkeit und angenehmer Atmosphäre. Nur wenn die persönlichen Beziehungen stimmen, kann auch an der Sache gearbeitet werden, die über die Personen ganzheitlich vermittelt wird. Dagegen steht für die deutsche Expertin logischerweise die Vorrangigkeit des Seminarthemas fest, da es aus ihrer Sicht keine Entwicklung ohne Umweltschutz gibt.

Kooperation und Genderrollen – genderspezifische Arbeitsteilung Geschlechter- und Leitungsrollen werden in der Regel in Ostafrika askribiert, weniger über individuelle Leistung erworben. Traditionell sind Frauen zum Beispiel nicht im Forstbereich tätig, deshalb hätte zumindest noch ein Mann die Seminarleitung übernehmen sollen.

Wirtschaft, Spiritualität und religiöse Praxis – religiös geprägte Alltagsgestaltung Die deutsche Expertin ist in einer eher areligiösen Gesellschaft aufgewachsen, in der Religion und Kirche Privatsache sind und ihre Bedeutung verlieren. In Ostafrika dagegen ist Spiritualität im Allgemeinen die Grundlage persönlichen wie auch öffentlichen Lebens. Die religiöse Praxis der Menschen hat daher entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung von Seminaren und das Gelingen von Projekten. Dieses Phänomen ist deshalb unbedingt zu berücksichtigen, anderenfalls geraten Deutsche leicht unter den Verdacht, ignorant oder respektlos zu sein.

Privatsphäre und Öffentlichkeit – kollektives Familienbewusstsein Kollektiv handeln sowohl Christen als auch Muslime: Die muslimischen Seminarteilnehmer gehen geschlossen am Freitag ihrer religiösen Praxis nach, während die christlichen Teilnehmer ihrem Oberhaupt, dem Bischof, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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kollektiv folgen. Die Oberhäupter religiöser Gruppen sind strukturell vergleichbar mit den hierarchisch geordneten wechselseitigen Verpflichtungen zwischen Familienoberhäuptern und Familienangehörigen. Dabei wird nicht zwischen privater und öffentlicher Entscheidung unterschieden. Vielmehr akzeptieren hier alle »Familienmitglieder« (Muslime und Christen) die jeweilige Entscheidung, ihrer Religion zu folgen.

Personen in Zeit und Raum – qualitative Zeit Für die teilnehmenden Muslime ist die durchgängige Anwesenheit beim Seminar nicht der übergeordnete Gesichtspunkt. Die »Zeit mit Gott« gewinnt für sie hier eine Qualität, die den quantitativen Aspekt des Seminars weniger berücksichtigt. Mehr wiegt hier jedoch, dass sich die Teilnehmer mit an Zukunft orientierten Umweltthemen wenig befassen. Ihr Zeitdenken ist an Natur- und Lebenszyklen gebunden, nicht jedoch an eine abstrakte Zukunft. Die Dimension der Zukunft liegt für Ostafrikaner in der erinnerten Vergangenheit.

Kulturelles Konfliktmanagement – Konfliktlösung durch Dritte: Triangulierung Wenn die Atmosphäre in der Gruppe nicht mehr stimmt und ein latenter Konflikt vorhanden ist, wird in der Regel eine Mittelsperson tätig, die zwischen den Konfliktpartnern vermittelt. Diese Person ist gesellschaftlich allgemein anerkannt und respektiert und meist in einer hervorragenden hierarchischen Position angesiedelt wie beispielsweise Schulleiter, Bischöfe, Bahnhofsvorsteher. Diese Art der Vermittlung zwischen Konfliktparteien ist traditionell in der bantu-suahelischen Kultur verankert. Entscheidend ist hier, dass Konflikte nicht direkt ausgetragen werden.

Kommunikationsstrukturen in der Zusammenarbeit – Indirekte Kommunikation im High-Context Die Kommunikationsstrukturen sind vielfältig: Einerseits findet sich hier der »top-down approach«, das heißt Informationen werden von oben (vom Bischof) nach unten (an die Teilnehmer) vermittelt. Andererseits herrscht ein indirekter Kommunikationsfluss vor, denn Kritik wird nicht direkt und offen geäußert. Kritik wird oftmals durch Schweigen oder Absenz »gezeigt«. Zudem werden verbale Äußerungen immer in einen Beziehungskontext eingebettet und erhalten somit ihre spezifische Bedeutung. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Kulturhistorische Verankerung Maßgeblich für die kulturhistorische Verankerung der Suaheli-Kulturstandards dürften die folgenden Ereignisse sein: – die »Suahelisierung« des arabischen Einflusses seit dem 9. Jahrhundert nach Christus, – die Kolonialisierung Ostafrikas durch die Briten und Deutschen im 19. Jahrhundert, – die Unabhängigkeitserklärungen Tansanias (1961) und Kenias (1963), – der zunehmende Einfluss der Globalisierung auf die Länder des östlichen Afrika seit 1985. Prähistorische Funde des homo erectus in der Olduvai-Schlucht (Tansania) und in der Turkana-Region (Kenia) durch die Forscherfamilie der Leakeys legen die Vermutung nahe, dass in Ostafrika die »Wiege der Menschheit« gelegen habe. Diese Funde begründen bis heute den Stolz der meisten Ostafrikaner, dass sie vor den arabischen und weißen Kolonialherren bereits eine frühe Kultur geschaffen haben. Spätestens seit dem 9. Jahrhundert lassen sich Handelskontakte von der ostafrikanischen Küste bis nach Arabien und Indien nachweisen. Arabische Dhaus machten sich die jahreszeitlich wechselnden Monsunwinde zu Nutze, um Elfenbein, Sklaven und Gewürze aus dem südlichen und östlichen Afrika zu importieren und Parfum, Glas, Perlen und Metallwaren zu exportieren. Handelssiedlungen entstanden entlang der Küste von Somalia bis Mosambik und die ansässige Bantu-Bevölkerung verschmolz zunehmend mit den arabischen Siedlern zur Suaheli-Kultur. Die Händlersprache Suaheli breitete sich über die Karawanenrouten aus und wurde zur Lingua franca Ostafrikas. Der Umstand jedoch, dass vom 16. bis 19. Jahrhundert der arabische Sklavenhandel viele Ethnien Ostafrikas ausblutete, hat bis heute bei Ostafrikanern eine tiefe Wunde hinterlassen. Die zweite große Kolonialisierungswelle Ostafrikas durch Briten und Deutsche erfolgte maßgeblich seit der Berliner Konferenz 1884/85, in der die Interessensphären der europäischen Großmächte aufgeteilt wurden. Durch künstliche Grenzziehungen wurden gewachsene kulturelle Zusammenhänge zerschnitten und teilweise aufgelöst. Andererseits wurden Grundsteine für moderne, bis heute weiter wirkende Infrastrukturen im Verkehrswesen, Bildungs- und Verwaltungswesen gelegt. Doch die Methoden der erzwungenen Modernisierung durch Schutztruppen und Kolonialregierung, die Christianisierung der Bevölkerung durch die großen westlichen Missionsgesellschaften und die Landnahme landwirtschaftlich ertragreicher Böden durch weiße Siedler mit einhergehender rigoroser © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Lohnarbeit ließen Widerstand aufkommen. Es kam zu den großen Aufständen der Hehe in Tanganjika (Maji-Maji-Rebellion 1905) und der MauMau-Erhebung in Kenia (1951). Beide Aufstände wurden von den Kolonialmächten brutal niedergeschlagen und bereiteten den Boden für ein Gefühl kollektiver kultureller Unterlegenheit, das bei vielen Ostafrikanern noch heute zu finden ist. Erst mit dem Kampf um die Unabhängigkeit unter dem Leitwort Uhuru (Freiheit) konnte sich Ostafrika zumindest aus der politischen Fremdherrschaft befreien. Es blieben jedoch viele Strukturen der Abhängigkeit von den ehemaligen Kolonialherren – wie zum Beispiel die wesentlich monokulturelle Exportstruktur bis heute zeigt. Doch Tansania schlug unter seinem ersten Präsidenten Nyerere einen besonderen afrikanischen Weg ein: Ujamaa-Sozialismus. Altafrikanisches Großfamiliendenken sollte mit den Herausforderungen der Moderne verbunden werden und eine solidarische Gesellschaft in Tansania schaffen, in der es keine Ausbeutung von Menschen mehr gab. Dagegen öffnete sich Kenia unter Präsident Kenyatta dem Westen. Tourismus wurde hier zur ersten Devisenquelle. So schaffte es Kenia bei aller ungleichen sozialen Verteilung der Ressourcen, eine florierende Volkswirtschaft zu entwickeln, während Tansania bis heute zur LDC-Länderkategorie (Least Developed Countries) gehört. Seit den achtziger Jahren begann in Tansania das sozialistische System unter dem verstärkten Einfluss der Globalisierung und intern begründeter Misswirtschaft zu fallen. Bedeutende soziale und kulturelle Verwerfungen sind die Folge. Zurzeit lässt sich beobachten, dass sich viele Tansanier einerseits dem internationalen Wettbewerbsdruck öffnen und individualistisch zu denken beginnen, gleichzeitig aber bemüht sind, an bewährte Strukturen von Solidarität und Familie anzuknüpfen. Ähnliche Phänomene sind auch in Kenia festzustellen, wenngleich die Bevölkerung nicht so abrupt von den Kräften der Globalisierung getroffen ist wie das über ein Vierteljahrhundert weitgehend abgeschottete Tansania. Für Ostafrika gilt in jüngster Zeit, dass große Bemühungen unternommen werden, kulturelle Überlieferungen zu beleben und damit ihre kulturelle Identität angesichts zahlreicher Überfremdungserscheinungen zu bewahren.

Schlussbemerkung Betrachtet man die an dieser Fallgeschichte exemplifizierten Kulturstandards, dann fällt auf, dass sie alle in einer deutlichen Abweichung zu deutschen Kulturstandards stehen. Es ist daher besonders wichtig, sich der ei© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Kulturunterschiede: Ergebnisse der Kulturstandardforschung

genen deutschen Kulturstandards bewusst zu sein und sie nicht auf das Verhalten von Ostafrikanern zu projizieren. Eine kulturrelativistische Haltung und interkulturelle Sensibilisierung können dadurch erreicht werden, dass ostafrikanische Kulturstandards internalisiert und in der konkreten Begegnung situativ und personenbezogen modifiziert werden. Mit Vorsicht können die hier genannten Kulturstandards auch auf Bantu-Ethnien im Südlichen Afrika übertragen werden. Jedoch sind die Ausprägungen dieser Kulturstandards aufgrund der unterschiedlichen historischen und soziokulturellen Situationen in den verschiedenen Ländern entsprechend zu differenzieren.

Literatur Boness, C. (2002): Kritische Situationen in Begegnungen zwischen Tansaniern und Europäern. Frankfurt a. M. Gyekye, K. (1992): Person and community in African thought. In: Coetzee, P. H.; Roux, A. P. J. (Hg.), Philosophy from Africa. A Text with Readings. Johannesburg, S. 317–336. Hall, E. T.; Hall, M. R. (1990): Understanding Cultural Differences. Yarmouth. Johnson, F. (Hg.) (1978): A Standard Swahili-English Dictionary. Nairobi. Mayer, C.-H. (2001): Werteorientierungen an Sekundarschulen in Tansania vor dem Hintergrund interkultureller und inner-afrikanischer Wertediskussionen. Stuttgart. Mayer, C.-H.; Boness, C.; Thomas, A. (2003): Beruflich in Kenia und Tansania. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte. Göttingen. Mbiti, J. S. (1974): Afrikanische Religion und Weltanschauung. Berlin. Taasisi ya Uchunguzi wa Kiswahili (Hg.) (1981): Kamusi ya Kiswahili sanifu. Nairobi. Teunissen, E.; Waisfisz, B. (1993): Intercultural Cooperation between Germans and Tansanians. ITIM/GTZ. Frankfurt a. M.

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InterkulturelleTätigkeitsfelder

SiegfriedStumpf:InterkulturellesManagement

II. Interkulturelle Tätigkeitsfelder

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Siegfried Stumpf

1. Interkulturelles Management

Tätigkeitsfelder interkulturellen Managements Das Tätigkeitsfeld eines Managers weist unterschiedliche Facetten auf. Manager haben in Organisationen eine Vielzahl verschiedener Rollen zu übernehmen. Nach Mintzberg (1991) ist das Rollenspektrum eines Managers aufgebaut wie in Tabelle 2 dargestellt. Einzelne Managementpositionen unterscheiden sich darin, in welchem Ausmaß der Positionsinhaber im Hinblick auf diese verschiedenen Rollen von seiner sozialen Umwelt gefordert ist. Ausgehend von den Erwartungen, die andere und er selbst an seine Position stellen, legt sich jeder Manager eine Tabelle 2: Rollenspektrum eines Managers nach Mintzberg (1991) Rolle

Kurzbeschreibung

1. Repräsentator

Erfüllung zeremonieller Verpflichtungen, z. B. bei Empfängen, Festanlässen, Besuchen

2. Mitarbeiterführung

Direkter Kontakt zu Mitarbeitern: Fördern, Fordern, Anerkennen . . .

3. Liaison

Kontakte nach oben, zur Seite und nach außen aufnehmen und pflegen

4. Beobachter

Informationen aus dem Umfeld suchen, aufnehmen und sammeln

5. Informationsverteiler

Informationen an andere weitergeben

6. Sprecher

Standpunkte der eigenen Organisationseinheit nach außen kommunizieren

7. Unternehmer

Maßnahmen zur Bestandssicherung und Weiterentwicklung der Organisation initiieren und begleiten

8. Störungsregler

Störungen regulieren und Konflikte managen

9. Ressourcenzuordner

Festlegung, wer was in der eigenen Organisationseinheit erhält (Arbeitsmittel, Budgets . . .)

10. Verhandler

Vereinbarungen im Sinne der Organisation aushandeln © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Interkulturelle Tätigkeitsfelder

eigene Rollendefinition zurecht, in der spezifische Rollenerwartungen hervorgehoben werden und andere in den Hintergrund treten. Empirische Untersuchungen zum Arbeitsalltag von Managern liefern folgendes Bild (vgl. Neuberger 1990): Der Arbeitsalltag eines Managers ist aus vielen kurzen Episoden zusammengesetzt. Es kommt zu häufigen Unterbrechungen und unvorhergesehenen Situationswechseln, auf die er sich einstellen muss. Managen bedeutet Kommunizieren und der Hauptteil der täglichen Arbeitszeit ist durch mündliche Kommunikation ausgefüllt. Aufgrund dieser Untersuchungen erscheint der Eindruck berechtigt, dass Manager nicht nur aktiv und vorausschauend führen und gestalten, sondern vielmehr einem Strom von schnell wechselnden und unvorhersehbaren Ereignissen ausgesetzt sind, auf den sie mit viel Improvisationsgeschick reagieren müssen. Eine veränderte Fassung der gern mit Management und Führung in Verbindung gebrachten Dirigentenmetapher bringt dies gut zum Ausdruck: »Der Manager ist wie der Dirigent eines Symphonieorchesters, der sich um die Aufrechterhaltung einer melodischen Leistung bemüht, bei der die verschiedenen Beiträge der unterschiedlichen Instrumente koordiniert und in eine Reihenfolge gebracht, zu einem Muster zusammengefügt und in eine rhythmisch ausgewogene Aufführung gebracht werden, während die Orchestermitglieder die unterschiedlichsten persönlichen Schwierigkeiten haben. Die Bühnenarbeiter verschieben die Notenständer, eine abwechselnd übermäßige Hitze und Kälte macht dem Publikum und den Instrumenten zu schaffen, und der Sponsor des Konzerts besteht auf irrationalen Veränderungen im Programm« (Leonard Saylor, zitiert nach Mintzberg 1991, S. 33 f.). Diese Ausführungen zeigen, dass Management grundsätzlich ein anspruchsvolles Tätigkeitsfeld ist. Manager müssen einer Vielzahl unterschiedlicher Erwartungen und Anforderungen gerecht werden; sie sind dabei nicht nur aktive Gestalter, sondern müssen sich oftmals mit externen und unkontrollierbaren Einflüssen auseinander setzen. All dies kann zu Dilemmasituationen (vgl. Neuberger 1990) und großen psychischen Belastungen führen. Interkulturelle Bedingungen stellen zusätzliche Anforderungen an das Management. Gehen die Interaktionspartner von unterschiedlichen kulturellen Orientierungssystemen aus, so ist dies im Rahmen jeder der von Mintzberg (1991) aufgeführten Managementrollen zu berücksichtigen. Wird dies von den Interaktionspartnern nicht getan, sind Missverständnissen und unproduktiven Austauschbeziehungen Tür und Tor geöffnet. In verschiedenen Kapiteln dieses Handbuchs wird dies für unterschiedliche Managementrollen dargelegt (z. B. zur Repräsentation, zur Verhandlung, zur Störungsregelung). Interkulturelles Management betrifft insbesondere folgende Personengruppen und Tätigkeitsfelder: © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Siegfried Stumpf: Interkulturelles Management

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– Fach- und Führungskräfte, die als Entsandte ihrer Organisation längere Zeit, beispielsweise mehrere Jahre, im Ausland arbeiten (z. B. Expatriates von Unternehmen, Entwicklungshelfer); – Fach- und Führungskräfte, die als Repräsentanten einer global agierenden Organisation weltweite Kontakte initiieren und pflegen; – Fach- und Führungskräfte, die im Rahmen internationaler Projekte in gemischtkulturellen Projektteams arbeiten; – Fach- und Führungskräfte im Stammhaus einer Organisation, die ausländische Tochter- oder Partnerorganisationen (z. B. bei Joint Ventures) betreuen oder Kontakte zu Kunden im Ausland unterhalten; – Fach- und Führungskräfte in Organisationen, deren Belegschaft mehrkulturell zusammengesetzt ist.

Anforderungen an interkulturelles Management Die mit interkulturellem Management verbundenen Anforderungen variieren je nach Art der interkulturellen Managementaufgabe: Eine mehrjährige Tätigkeit als Expatriate in einer ausländischen Firmenniederlassung ist mit anderen Anforderungen und Belastungen verbunden als zum Beispiel die Leitung einer mehrkulturell zusammengesetzten Arbeitsgruppe im Heimatland. Insbesondere Auslandsentsendungen stellen hohe Anforderungen an die entsandten Manager. Die Studien zu Auslandsentsendungen von Managern zeigen eine getrübte Erfolgsbilanz: Black und Gregersen (1999) berichten als Ergebnis einer Feldstudie an Firmen aus den USA, dass zwischen 10 und 20 Prozent der ins Ausland entsandten Manager ihren Aufenthalt vorzeitig abbrechen, unzufrieden mit ihrer neuen Aufgabe oder mit der neuen Umgebung; fast ein Drittel der Manager erfüllt nicht die Erwartungen, und ein Viertel kündigt bald nach der Rückkehr, was einen immensen Know-how-Abfluss für die betroffenen Unternehmen bedeutet. Nach Stahl (1998, S. 2) schwanken die Schätzungen der Quoten von vorzeitig abgebrochenen Entsendungen zwischen 10 und 40 Prozent, im Fall der Entsendung von Fach- und Führungskräften in Entwicklungsländer steigen die Quoten sogar bis 70 Prozent. Die Anzahl der Mitarbeiter, die ihren Entsendungsvertrag zwar erfüllen, sich aber im Gastland weder wohl fühlen noch die erwartete berufliche Leistung erbringen, wird deutlich höher eingeschätzt. In einer Interviewstudie an 116 deutschen Managern, die von ihren Unternehmen für mehrere Jahre in die USA oder nach Japan entsandt wurden, identifizierte Stahl (1998) die Problemklassen, mit denen diese Manager © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Interkulturelle Tätigkeitsfelder

Tabelle 3: Problemklassen bei Auslandsentsendungen (vgl. Stahl 1998, S. 157) in Abhängigkeit von der bisherigen Entsendungsdauer. Je höher die Problemintensität, desto kleiner die Rangplatzkennziffer. Problemklasse (Beispiele)

Häufig- < 2 Jahre 2–6 Jahre 6 Jahre keit in % (N=24) (N=54) (N=38) (N=116)

Intensität Rang

Reintegration/Zukunft (berufliche, private Rückkehrprobleme, Zukunftsängste . . .)

65 %

46 %

76 %

61 %

5

Stammhausbeziehungen (Autonomiekonflikt, fehlende Unterstützung . . .)

60 %

50 %

61 %

63 %

8

Personal/Führung (Personalfüh- 48 % rung, -entwicklung, -beschaffung)

50 %

48 %

47 %

1

Sprache/Kommunikation (Verständigungs-, Orientierungsprobleme . . .)

47 %

58 %

54 %

32 %

4

Gastlandkontakte (fehlende, un- 44 % befriedigende Kontakte . . .)

46 %

50 %

34 %

9

Arbeitszeit/-menge (lange Arbeitszeiten, Termindruck, Geschäftsreisen . . .)

43 %

25 %

56 %

37 %

10

Entsandtenrolle (Interessen-, Loyalitätskonflikte, Vermittlerrolle . . .)

39 %

29 %

35 %

50 %

2

Partner (Fehlende Arbeitsmöglichkeiten, Isolation . . .)

38 %

58 %

44 %

16 %

3

Lebensqualität (Freizeit, Wohnverhältnisse, Klima . . .)

35 %

3%

37 %

34 %

7

Arbeitsinhalte/-abläufe (Aufgabenneuheit, Überforderung, interne Abläufe . . .)

29 %

33 %

30 %

26 %

6

Geschäftspraktiken (Kontaktaufbau, abweichende Geschäftsgepflogenheiten . . .)

23 %

22 %

22 %

26 %

11

während ihres Auslandsaufenthalts konfrontiert werden. Ergebnisse hierzu sind in Tabelle 3 dargestellt. Bei den meisten dieser Probleme handelt es sich um chronische, also dauerhafte oder ständig wiederkehrende Belastungen (vgl. Stahl 1998, S. 156). Es berichten 48 Prozent der Manager von Personal- und Führungsproblemen (z. B. abweichende Führungsstilpräferenzen, Versagen von gewohnten Führungstechniken), wobei etwa 80 Prozent dieser Manager diese Probleme © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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als ernsthaft bis schwerwiegend einstufen (Intensität: Rangplatz 1). 47 Prozent der Manager, und hier vor allem die nach Japan entsandten, geben sprach- und kommunikationsbezogene Probleme an (z. B. Informationsdefizite aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse, Missverständnisse aufgrund von unterschiedlichen Kommunikationsstilen). Eine weitere Problemklasse bilden mit 44 Prozent die Kontakte mit Gastlandangehörigen, die nicht in ausreichender Quantität oder Qualität vorliegen. Als sehr beeinträchtigend werden Probleme des Ehepartners empfunden, die 38 Prozent der Manager berichten (z. B. Eingewöhnungsschwierigkeiten, Verständigungs- und Orientierungsprobleme, Mangel an sozialen Kontakten). Zur Vorbereitung der Manager auf die mit einem Auslandseinsatz verbundenen Probleme, muss Stahl feststellen: »In Übereinstimmung mit Erhebungen zur Entsendungspraxis deutscher Unternehmen . . . belegen die Untersuchungsergebnisse, dass Mitarbeiter nur in Ausnahmefällen systematisch auf das Leben und Arbeiten im Gastland vorbereitet werden . . . Von einer gründlichen Vorbereitung auf den Auslandseinsatz kann daher bei der Mehrzahl der Entsandten keine Rede sein« (1998, S. 247). Die Problemhäufigkeit ist dabei auch von der bisherigen Aufenthaltsdauer abhängig: Mit der Entsandtenrolle zusammenhängende Probleme scheinen im Zeitverlauf zuzunehmen, Sprach- und Kommunikationsprobleme, aber auch mit dem Partner zusammenhängende Probleme nehmen über die Zeit ab, andere wie Personal- und Führungsprobleme bleiben eher konstant. Das Leben und Arbeiten im Ausland ist keine lineare Fortsetzung des Lebens und Arbeitens im Heimatland. Vielmehr sind mit einem längeren Auslandsaufenthalt wie einer Auslandsentsendung typischerweise spezifische Akkulturationsbelastungen verbunden, die sich aus dem Kontakt mit einer fremden und ungewohnten Kultur ergeben. Diese Belastungen äußern sich in Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit wie Depressionszuständen, Ängsten, Entfremdungsgefühlen und Identitätsproblemen. Zum Verlauf der Akkulturationsbelastungen und des Anpassungserfolgs während eines Auslandsaufenthalts gibt es unterschiedliche Modelle. Nach Berry (1985) tritt die Anpassungskrise nicht zu Anfang, sondern erst im Verlauf des Auslandsaufenthalts auf. Mit einer zweiten Krise ist bei der Rückkehr in die Heimatkultur zu rechnen: Die Person muss sich erst wieder an die Heimatkultur gewöhnen. Diese Ergebnisse zeigen, dass der Wechsel von einem kulturellen Orientierungssystem in ein anderes für die betroffene Person spezifische Akkulturationsbelastungen und -anforderungen mit sich bringt, die produktiv bewältigt werden müssen. In seiner Untersuchung konnte Stahl (1998) weiterhin zeigen, dass sich erfolgreiche und nicht erfolgreiche Entsandte in ihren Strategien bei der Bewältigung dieser Probleme unterscheiden. Erfolgreiche Entsandte zeichnen sich durch folgende Problembewältigungsstrategien aus: © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Problemlösungshandeln: Sorgfältige Handlungsplanung, Abwägen von Vor- und Nachteilen, Informationsrecherchen, schrittweise Problemlösung; – Kulturlernen: Lernen durch Beobachtung, Wissensaneignung, gezieltes Nachfragen bei Problemen, Veränderung eigenen Verhaltens; – Assimilation: Wertschätzung der Gastkultur, Vertreten lokaler Interessen, Übernahme von Gastlandnormen, Distanz zum Heimatland; – Beziehungsaufbau und -pflege: Signalisieren von Kontaktbereitschaft, gemeinsame Unternehmungen, Besuche, Kontaktpflege mit Stammhaus; – Leistung instrumenteller Hilfe: Weitergabe von Know-how, Rückmeldungen, Hilfeleistung bei Problemen, Informationsvermittlung zum Stammhaus; – Konfliktentschärfung: Abstimmen von Entscheidungen, Deeskalieren von Konflikten, Kompromisse, Vermeiden von »Gesichtsverlusten«; – Verstärkerbewahrung: Beibehalten alter Freizeitaktivitäten und Gewohnheiten, Rituale, Erhaltung von Kontakten im Heimatland; – Verstärkersuche und -substitution: Gezielte Suche nach neuen Hobbys, Umstellung auf landesübliche Freizeitaktivitäten; – Zukunftsorientiertes Denken: Schmieden von Zukunftsplänen, Vergegenwärtigen der begrenzten Dauer der Entsendung, Optimismus; Demgegenüber weisen nicht erfolgreiche Entsandte häufiger diese Problembewältigungsstrategien auf: – Vermeidung/Rückzug: Aus-dem-Weg-Gehen von schwierigen Situationen, Rückzug in die Ausländergemeinde, Inaktivität, Flucht aus Gastland; – Duldung/Akzeptanz: Schnelles Aufgeben bei Widerständen, Zurückstellen eigener Bedürfnisse, Akzeptieren aversiver Zustände, Fatalismus; – Identitätsbewahrung: Schaffung von Distanz zu Einheimischen, Abwertung vom und Kritik am Gastland, Durchsetzung von Stammhausinteressen; – Selbstentlastung: Schuldzuweisung an Gastlandangehörige, selbstwertdienliche Ursachenzuschreibungen, Rechtfertigen eigener Defizite; – Negativer Vergleich: Beneiden anderer Personen, Idealisierung deutscher Tugenden, Nostalgie, Zuschreibung negativer Gastlandmerkmale. Die von Stahl herausgearbeiteten Problemklassen von Auslandsentsandten sind nicht grundsätzlich auf alle international tätigen Manager zu übertragen. So kann es sein, dass Fach- und Führungskräfte, die als Repräsentanten einer global agierenden Organisation weltweite Geschäftskontakte initiieren und pflegen, fremdkulturellen Einflüssen weit weniger ausgesetzt sind. ©Innerhalb einer Branche oder für spezifische Geschäfts2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Siegfried Stumpf: Interkulturelles Management

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aktivitäten können sich beispielsweise länderübergreifende Konventionen herausgebildet haben, mit denen Geschäftspartner aus den unterschiedlichsten Ländern vertraut sind. Tiefer gehende und möglicherweise irritierende Kontakte mit fremden Kulturen können vielfach vermieden werden, zum Beispiel indem Manager die Kontakte auf einen eng umgrenzten geschäftlichen Bereich reduzieren. Aber ein vollkommenes Ausschalten kultureller Einflüsse und Unterschiede wird selbst in diesen Fällen nicht möglich sein, da landesspezifische kulturelle Orientierungen in den Akteuren aufgrund der von ihnen seit frühester Kindheit durchlaufenen Sozialisation tief verwurzelt sind und zudem weite Bereiche des privaten und beruflichen Lebens berühren. Interkulturelles Management ist nicht nur bei Auslandseinsätzen und -entsendungen gegeben, sondern kann auch in anderen Zusammenhängen unumgänglich sein. Das Management kultureller Verschiedenheit und Vielfalt ist beispielsweise gefordert im Zuge internationaler Unternehmenszusammenschlüsse, der Betreuung ausländischer Niederlassungen durch das Stammhaus oder beim Leiten mehrkulturell zusammengesetzter Arbeitsgruppen. Grundsätzlich sind beim Aufeinandertreffen kultureller Unterschiede zwischen der eigenen und der fremden Kultur verschiedene Reaktionsweisen möglich (Adler 1997): – Kulturelle Dominanz: Das eigene Handeln folgt den Vorgaben der eigenen Kultur; – Kulturelle Akkommodation: Das eigene Handeln erfolgt in Anpassung an die Vorgaben der fremden Kultur; – Kulturelle Vermeidung: Kulturelle Unterschiede werden ignoriert und überspielt; – Kultureller Kompromiss: Es kommt zu Kompromissen zwischen den Vorgaben der eigenen und der fremden Kultur; jede Seite rückt von ihren eigenen Vorstellungen ab und nähert sich der anderen Seite an; – Kulturelle Synergie: Es werden neue, innovative und produktive Lösungen und Vorgaben entwickelt, die sich weder aus der eigenen noch der fremden Kultur direkt ableiten lassen. Untersuchungen an mehrkulturell zusammengesetzten Arbeitsgruppen zeigen, dass oftmals versucht wird, kulturelle Unterschiede in Arbeitsgruppen durch Dominanz- und Anpassungsstrategien zu bewältigen (Schroll-Machl 1996; Zeutschel 1999). Reibungsverluste und defizitäre Prozesse kennzeichnen mehrkulturelle Arbeitsgruppen zumindest im Anfangsstadium; erst im Zuge der Gruppenentwicklung und bei entsprechender Unterstützung und Förderung der Gruppenprozesse (z. B. durch Prozess- und Leistungsrückmeldungen) ist mit einem Ausschöpfen des Leistungspotenzials der Gruppe zu rechnen (Watson et al. 1993). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Interkulturelle Tätigkeitsfelder

Individuelle Versuche der Bewältigung kultureller Verschiedenheit erfolgen in internationalen Organisationen immer auf dem Hintergrund einer expliziten oder impliziten organisationalen Internationalisierungsoder Globalisierungsstrategie. Ethnozentrische Strategien (vgl. Adler 1997), die sich dadurch auszeichnen, dass das Stammhaus bestrebt ist, seine Werte- und Normsysteme und Entscheidungs- und Handlungsmuster auf die Tochtergesellschaften im Ausland zu übertragen, bergen ein erhebliches Konfliktpotenzial. Diese Strategie der kulturellen Dominanz kann dazu führen, dass sich die Auslandsgesellschaften gegen rigorose, die jeweiligen kulturellen Besonderheiten ignorierende Strategien offen oder versteckt zur Wehr setzen. Ein Personalbeurteilungs- und entwicklungsinstrument wie das 360°-Feedback, bei dem ein Mitarbeiter nicht nur durch den Vorgesetzten, sondern auch durch Untergebene und Kollegen beurteilt wird, ist heute in zahlreichen westlichen Unternehmen zu finden. Der soziokulturelle Kontext ist dort durch eine relativ niedrige Machtdistanz zwischen Vorgesetzten und Untergebenen geprägt. Der Export solcher Systeme in einen durch hohe Machtdistanz geprägten soziokulturellen Kontext wie zum Beispiel nach Indonesien, China oder Südamerika kann in diesen Ländern als nicht vereinbar mit den jeweiligen kulturellen Orientierungen erlebt werden und Abwehrstrategien hervorrufen. Der verordnete, zwangsweise Einsatz dieser Systeme kann sich als ineffektiv erweisen (vgl. hierzu Fletcher u. Perry 2001).

Konsequenzen für die Gestaltung interkulturellen Managements Der Erfolg interkulturellen Managements hängt von mehreren Faktoren ab. Für interkulturelles Management im Rahmen von Auslandsentsendungen gibt Stahl (1998) die folgenden Erfolgsfaktoren an: – Person des Entsandten: Stammhauskenntnisse und -kontakte, Loyalität und Fähigkeit zur Ausbalancierung gegensätzlicher Interessen, Sprachkenntnisse, interkulturelle Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften wie Ambiguitätstoleranz oder Non-Ethnozentrismus. – Familie des Entsandten: Anpassungsfähiger und -bereiter Lebenspartner; Arbeitstätigkeit oder andere sinnvolle Beschäftigung des Lebenspartners. – Position und Organisation: Eindeutige und konfliktfreie Rolle, klare Kompetenzrichtlinien, Entscheidungsautonomie und Einflussmöglichkeiten, qualifizierte einheimische Mitarbeiter, Gastlandkenntnisse im Stammhaus. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Siegfried Stumpf: Interkulturelles Management

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– Entsendungsgestaltung: Einheitliche und transparente Entsendungsrichtlinien, sorgfältige Personalauswahl, kulturbezogene Vorbereitung, kontinuierliche Betreuung, langfristige Rückkehrplanung. – Gastlandumwelt: Kulturelle Distanz zum Heimatland, Schwierigkeit der Landessprache, rechtliche-bürokratische Hürden, Lebens- und Freizeitqualität, unterstützendes Ausländernetzwerk. Diese Aufstellung zeigt, dass ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren den Entsendungserfolg von Managern bestimmt. Personenmerkmale wie Persönlichkeitseigenschaften oder fachliche und interkulturelle Fähigkeiten sind damit nur ein Ausschnitt der Faktoren, die den Entsendungserfolg beeinflussen. Auf diesem Hintergrund wird auch einsichtig, warum Studien, die den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Entsendungserfolg untersucht haben, zu eher inkonsistenten Ergebnissen geführt haben (vgl. Deller 2000). Ein Persönlichkeitsmerkmal wie beispielsweise eine hohe Ambiguitätstoleranz kann vermutlich nur noch wenig zum Entsendungserfolg beitragen, wenn dieser durch strukturelle Faktoren wie eine unzureichende Arbeitsplatzdefinition oder eine mangelhafte Entsendungsgestaltung beeinträchtigt wird. Will eine Organisation damit den Entsendungserfolg ihrer Manager optimieren, so muss sie an verschiedenen Angriffspunkten gleichzeitig ansetzen. Es muss eine gezielte Personalauswahl und -entwicklung betrieben werden, das soziale Umfeld der Entsendungskandidaten muss in diese Aktivitäten einbezogen werden, und geeignete personalpolitische und organisatorische Strategien müssen entwickelt und implementiert werden (Entsendungsgestaltung, Stellenbeschreibung im Sinne der Festlegung der Aufgaben, Rechte und Pflichten des Entsandten . . .). Interkulturelles Management stellt grundsätzlich spezifische Anforderungen an das Personal einer Organisation. Ein zentraler Bereich ist dabei die Diagnose und Förderung interkultureller Handlungskompetenz. Nach Thomas, Kammhuber und Layes (1997, S. 67 f.) ist interkulturelle Handlungskompetenz die Fähigkeit, kulturelle Bedingungen und Einflussfaktoren im Wahrnehmen, Urteilen, Empfinden und Handeln bei sich selbst und anderen Personen zu erfassen, zu würdigen, zu respektieren und produktiv einzusetzen im Sinne einer wechselseitigen Anpassung, Toleranz gegenüber Inkompatibilitäten sowie Entwicklung synergetischer Formen des Zusammenlebens und der Weltorientierung. Interkulturelle Handlungskompetenzen müssen bei der Personalauswahl und -entwicklung mit berücksichtigt werden. Folgende Punkte sind dabei zu beachten:

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Interkulturelle Tätigkeitsfelder

Definition interkultureller Managementanforderungen In der Literatur gibt es zahlreiche Eigenschaftslisten, die beschreiben, welchen Anforderungen interkulturelle Manager genügen sollen. So postulieren beispielsweise Black und Gregersen (1999) auf der Basis ihrer Feldstudie als entscheidende Wesensmerkmale zu entsendender Manager: Freude am Gedanken- und Meinungsaustausch, ausgeprägte Geselligkeit, kulturelle Aufgeschlossenheit, Weltoffenheit und einfühlsamer Verhandlungsstil. Weitere oftmals genannte Fähigkeiten sind Höflichkeit, Taktgefühl, Unbescholtenheit, Sensibilität, Wissbegierde, Empathie, Zuverlässigkeit, Toleranz, Selbstvertrauen, Disziplin, Pünktlichkeit, Ordentlichkeit, Offenheit für Neues, Sendungsbewusstsein, Begeisterungsfähigkeit, Organisationstalent, Fähigkeit zum Umgang mit Unsicherheit und schließlich soziale Beziehungs- und Handlungskompetenz. Solche Eigenschafts- und Fähigkeitslisten sind aber für eine gezielte Diagnostik und Entwicklung von Managern zu allgemein und unspezifisch. Sinnvoll sind Qualifikationsbeschreibungen, die sich eng an den jeweils spezifischen Anforderungen des internationalen Managements orientieren. Hierzu müssen die interkulturellen Handlungsanforderungen klar und präzise beschrieben werden. Dies erfordert, dass das spezifische Bedingungsgefüge, in dem die interkulturellen Handlungen stattfinden und das von Organisation zu Organisation und Aufgabenfeld zu Aufgabenfeld unterschiedlich beschaffen sein kann, einer differenzierten Analyse unterzogen wird. Um dieses Bedingungsgefüge zu erfassen und zu verstehen, sollten insbesondere die bereits in der Organisation vorliegenden interkulturellen Erfahrungen systematisch genutzt werden. So können zum Beispiel Manager mit Auslandserfahrung befragt werden, um realitätsnahe Einblicke in die spezifischen zentralen Handlungsanforderungen in interkulturellen Situationen zu erhalten. Qualitative Erhebungen, die beispielsweise auf der Methode der kritischen Ereignisse (Flanagan 1954) beruhen, ermöglichen eine differenzierte Erfassung interkultureller Erfahrungen. Aus dem sich ergebenden qualitativen Material sind zum einen die zentralen Anforderungsdimensionen für interkulturelles Handeln abzuleiten, zum anderen erhält man auf die Weise einen reichen Fundus an Fallbeschreibungen, die zum Beispiel in Trainingsmaterialien umgesetzt werden können. Auf diesem Weg erhobene organisationsspezifische interkulturelle Anforderungen stellen einen hervorragenden Ausgangspunkt für eine zielgerichtete Personalauswahl und -entwicklung dar. Dabei sind sowohl übergreifende Anforderungsbeschreibungen von Nutzen, die für eine Vielzahl von Positionen in der Organisation gelten, als auch spezifische Anforderungsprofile für einzelne Stellen im Unternehmen. Erstere können beispielsweise in bereichsübergreifenden Nachwuchsförderprojekten eingesetzt werden, während Letztere zur gezielten © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Auswahl und Vorbereitung eines Kandidaten auf eine konkrete Stelle herangezogen werden können.

Identifikation interkulturellen Managementpotenzials Unter Einbezug der ermittelten interkulturellen Anforderungen kann systematisch versucht werden, die Potenziale der Mitarbeiter zur Bewältigung dieser Anforderungen einzuschätzen. Es ist davon auszugehen, dass nicht jeder Mitarbeiter hierfür die notwendigen Fähigkeiten mitbringt oder soweit ausbauen kann, dass er den Anforderungen gerecht wird und diese nicht nur als Belastung erlebt. Unternehmen sollten die Potenzialidentifikation nicht dem Zufall überlassen, sondern hierzu zuverlässige und aussagekräftige Verfahren verwenden. Insbesondere Assessment-Center-Verfahren, in denen erhobene interkulturelle Anforderungen verhaltensnah abgeprüft werden können, stellen eine vielversprechende Variante der Potenzialerkennung dar (Arbeitskreis Assessment-Center 1992; Kühlmann u. Stahl 1996; Neubauer 1980).

Entwicklung interkultureller Kompetenz Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden, mit denen interkulturelle Handlungskompetenzen entwickelt werden können. Dabei reicht das Spektrum von einer auf Theorie verzichtenden Learning-by-doing-Herangehensweise, wie sie offenbar in der Praxis präferiert wird, bis hin zu einem rein seminarorientierten Lernen, dem häufig der praktische Erfahrungshintergrund fehlt. Wie so oft liegt auch hier die Wahrheit in der Mitte: Die unterschiedlichen Ansätze können sich sehr gut ergänzen. Im Einzelnen sind hier folgende Verfahren bedeutsam: On-the-job-Entwicklung: Auch im Hinblick auf interkulturelle Handlungskompetenzen kann man annehmen, dass Erfahrung ein wichtiger Lehrmeister ist (vgl. McCall et al. 1995; Yeung u. Ready 1995). Wenn jemand interkulturelle Handlungskompetenzen aufbauen will, so bietet es sich zum Beispiel an, dass er in einer plurikulturellen Gruppe mitarbeitet und diese dann von einem späteren Zeitpunkt an leitet (vgl. Gregersen et al. 1998, S. 30). Die hierfür erforderlichen Kompetenzen kann man nur in Ansätzen in Kursen oder Seminaren erwerben; vielmehr ist hier ein »Learning-by-doing« gefordert. Im Rahmen solcher Praxiserfahrungen kann man versuchen, sensibel zu werden für kulturelle Unterschiede und sich diesen Unterschieden im Verhalten anzupassen, man kann ausprobieren, inwieweit man kulturadäquat kommunizieren kann, und man © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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kann versuchen, die unterschiedlichen kulturell bedingten Stile zu integrieren und Konflikte so zu lösen, dass man den unterschiedlichen Kulturen der Kooperationspartner gerecht wird (vgl. Ayman et al. 1994). Dieser Learning-by-doing-Ansatz sollte mit Beratungs- und Trainingsaktivitäten flankiert werden, die auf diese Erfahrungen vorbereiten und die es insbesondere ermöglichen, die gemachten Erfahrungen auszuwerten und zu reflektieren (vgl. Boud et al. 1985; Kolb 1984). Beratung: Nicht alle Probleme in interkulturellen Situationen werden die betroffenen Personen alleine verstehen und lösen können. Berater von innerhalb oder außerhalb der Organisation können bei der Reflexion und Interpretation von Erfahrungen, dem Finden von Problemlösungen und der Entwicklung und dem Ausprobieren neuer Verhaltensvarianten unterstützen. Vertrauensvolle und stabile Beziehungen zu Coaches und Mentoren sind dabei hilfreich (z. B. Mendenhall u. Oddou 1988). Training: Um Manager auf ihre zukünftigen interkulturellen Aufgaben vorzubereiten oder sie bei der Bewältigung dieser Aufgaben zu begleiten, gibt es eine Fülle unterschiedlicher Trainingsverfahren. Diese Verfahren kann man anhand der beiden Dimensionen »kulturallgemein vs. kulturspezifisch« und »didaktisch/vermittelnd vs. erfahrungs- und entdeckungsorientiert« kategorisieren (Gudykunst u. Hammer 1983). Interkulturellen Trainings sollte eine genaue Erhebung des spezifischen Trainingsbedarfs vorausgehen. Forschungsergebnisse zu adäquaten und inadäquaten Problembewältigungsstrategien beim interkulturellen Management können im Rahmen dieser Trainings genutzt werden. Eine Evaluation der Trainingseffekte sollte erfolgen (vgl. hierzu Thomas et al. 1999). Zunehmend wird erkannt, dass es bei Auslandsentsendungen wichtig ist, die Familie des Mitarbeiters in Trainingsund Vorbereitungsmaßnahmen einzubeziehen. Gerade der mitreisende Ehepartner ist im Ausland zahlreichen Belastungen ausgesetzt; fehlende Anpassung des Ehepartners an die Verhältnisse im Ausland ist nach Mendenhall und Oddou (1988) ein wesentlicher Grund für den Abbruch von Auslandsentsendungen.

Systematische Pflege und Nutzung interkultureller Kompetenz Interkulturelle Erfahrungen und Kompetenzen, die Manager erworben haben, sind eine wichtige Ressource in Organisationen. Diese Ressource gilt es zu pflegen und für die zukünftige Bewältigung interkultureller Führungs- und Managementprobleme nutzbar zu machen. Manager müssen nach längeren Auslandseinsätzen oftmals feststellen, dass sich nach ihrer Rückkehr kaum jemand in der Organisation für ihre Erfahrungen und Kompetenzen interessiert. Die Manager sollten Gelegenheit haben, ihre Er© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Siegfried Stumpf: Interkulturelles Management

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fahrungen einzubringen, zum Beispiel indem diese Erfahrungen dazu genutzt werden, interkulturelle Anforderungsprofile zu überprüfen und fortzuschreiben sowie die vorhandenen Trainingsmaßnahmen zu optimieren. Auslandserfahrene Manager sollten als Mentor für Mitarbeiter gewonnen werden, die sich auf ein interkulturelles Handlungsfeld vorbereiten. Werden die interkulturellen Erfahrungen von Mitarbeitern auf diese Weise ernst genommen und wertgeschätzt, so könnten beispielsweise Fluktuationen aufgrund von Frustration im Zusammenhang mit der Rückkehr bei Auslandsentsendungen und der damit verbundene immense Know-howAbfluss für die Organisation reduziert werden.

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InterkulturelleTätigkeitsfelder

Eva-UlrikeKinast/AlexanderThomas:InterkulturellePersonalentwicklung

Eva-Ulrike Kinast/Alexander Thomas

2. Interkulturelle Personalentwicklung in internationalen Unternehmen

Problemstellung und aktuelle Situation In der Literatur existieren Schätzungen (z. B. Meckl 2001; Stahl 1998), nach denen 40 bis 70 Prozent aller internationalen Projekte scheitern und 10 bis 40 Prozent – im Fall von Entwicklungsländern sogar bis zu 70 Prozent – aller ins Ausland entsandten Fach- und Führungskräfte vor Ablauf der vertraglich festgelegten Entsendungsdauer in ihr Heimatland zurückkehren. Außerdem wird die Anzahl der Mitarbeiter, die ihren Entsendungsvertrag zwar erfüllen, sich aber im Gastland weder wohl fühlen noch die erwartete berufliche Leistung erbringen, noch höher eingeschätzt als die Quote der vorzeitig abgebrochenen Auslandseinsätze. Die Fehlbesetzung einer Führungsposition im Ausland kostet das entsendende Unternehmen in der Regel das Drei- bis Vierfache des Jahresgehalts, von den finanziellen Folgeschäden durch Imageverlust, gestörte Beziehungen zu einheimischen Mitarbeitern, Kunden und anderen einmal abgesehen (Stahl 1998). Als zentrale Ursache für das Scheitern von internationalen Projekten und Auslandseinsätzen wird ein Mangel an interkultureller Handlungskompetenz der Fach- und Führungskräfte angenommen. Das ist zwar aufgrund der methodisch begrenzten Möglichkeiten kaum zu beweisen, gilt heute aber als sehr wahrscheinlich. Eine interkulturelle Personalentwicklung ist deshalb unbedingt notwendig. Deren Ziel ist es, den Mangel an interkultureller Handlungskompetenz von Fach- und Führungskräften langfristig zu beheben. Zu diesem Zweck entwickelt sie eine Strategie, die zur Gesamtstrategie des Unternehmens passt, und setzt entsprechende Instrumente zur Diagnose und Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz ein, zum Beispiel interkulturelle Assessment-Centers, interkulturelle Trainings und interkulturelle Coachings, und sichert deren Qualität durch eine systematische Evaluation. Voraussetzung für eine interkulturelle Personalentwicklung sind Auslandsaktivitäten des Unternehmens. Dazu gehören nach Drumm (2000) Kooperationen mit ausländischen Partnern, Joint Ventures, die Gründung © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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eines gemeinsamen Unternehmens mit mehreren ausländischen Partnern, die Gründung oder Übernahme von Unternehmen im Ausland oder die Gründung einer selbstständigen Tochtergesellschaft im Ausland durch ein nationales Unternehmen. Aber auch bei der Ausweitung des Importund Exportgeschäfts, bei Globalisierung der Geschäftstätigkeit und bei der Triade, also der Konzentration der Geschäftstätigkeit auf mindestens drei großen Märkten, wird eine interkulturelle Personalentwicklung notwendig. In kleineren und mittelständischen Unternehmen übernimmt diese Aufgabe in vielen Fällen die Personalabteilung, in großen Konzernen gibt es dafür in der Regel eine Stabsabteilung, die organisatorisch häufig einer zentralen Personalentwicklung angeschlossen ist. In der interkulturellen Personalentwicklung sind die Anforderungen an die dafür Verantwortlichen hoch: Neben einem Studium mit Affinität zur Personalentwicklung (z. B. Psychologie, BWL) sollten interkulturelle Personalentwickler vertiefte Kenntnisse über die Theorien und Konzepte interkulturellen Handelns aufweisen und diese auch anwenden können. Wünschenswert ist es, wenn sie selbst mehrere Jahre im Ausland gelebt haben, über eine hohe interkulturelle Handlungskompetenz sowie eine kulturspezifische Kompetenz für wenigstens ein bestimmtes Land verfügen. Es liegen keine statistischen Zahlen vor, wie viele Unternehmen heute tatsächlich eine systematische und professionelle interkulturelle Personalentwicklung betreiben. Angesichts der genannten erschreckend hohen Zahlen von gescheiterten internationalen Projekten und Auslandseinsätzen können das jedoch nicht allzu viele sein. Was nicht nachvollziehbar ist! Denn einerseits bestätigen die Ergebnisse der Forschung zur Evaluation interkultureller Trainings deren Wirksamkeit und andererseits sind die Kosten für eine interkulturelle Personalentwicklung im Vergleich zu den Kosten, die durch gescheiterte internationale Projekte und Auslandseinsätze entstehen, kaum nennenswert. Gerade in jüngster Zeit häufen sich globale Mergers und Akquisitionen von Unternehmen in Ländern außerhalb des Standorts der Stammhäuser nehmen zu. Würde in beiden Fällen rechtzeitig eine interkulturelle Personalentwicklung betrieben, dann stünde auch rechtzeitig in der Akquisitionsphase ein ausreichend großer Pool an interkulturell kompetenten Fach- und Führungskräften zur Verfügung, die die Integration beider Unternehmen oder Unternehmensteile wesentlich schneller vorantreiben könnten, als dies heute zu beobachten ist.

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Eva-Ulrike Kinast/Alexander Thomas: Interkulturelle Personalentwicklung

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Human-Resources-Zyklus Ausgangspunkt für jede Personalarbeit im Unternehmen ist die Besetzung von Stellen oder Positionen zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Unternehmens (Drumm 2000; Scherm 1999). In internationalen Unternehmen trägt die interkulturelle Personalentwicklung wesentlich dazu bei, dass Stellen oder Positionen weltweit rechtzeitig mit interkulturell kompetenten Personen besetzt werden können. Interkulturelle Personalentwicklung beginnt nicht erst dann, wenn eine Fach- oder Führungskraft ins Ausland entsendet und darauf vorbereitet werden soll, wie viele meinen, sondern sie fängt bereits beim Personalmarketing und bei der Personalrekrutierung an. In internationalen Unternehmen sollten mit den einzelnen Marketing- und Rekrutierungsinstrumenten Fach- und Führungs(nachwuchs)kräfte angesprochen werden, die Interesse an einer internationalen Karriere haben (vgl. Wirth 1996). Beispiele dafür sind Karriereseiten in mehreren Fremdsprachen auf der Homepage des Unternehmens im Internet, internationale Hochschulkontakte, Bonding-Messen und ein internationales Trainee-Programm. Im Rahmen der Personalauswahl sollte neben der fachlichen, sozialen, individuellen und strategischen Kompetenz die interkulturelle Handlungskompetenz des Bewerbers eingeschätzt werden. Dazu ist zum Beispiel die Methode des interkulturellen Assessment-Centers geeignet. Diese kann bei einem einzigen Bewerber als Einzel-Assessment-Center oder im Fall mehrerer Bewerber als Gruppen-Assessment-Center durchgeführt werden. Wichtig ist hier auch, die grundsätzliche Bereitschaft der Bewerber für internationale Tätigkeiten oder gar für einen längeren Auslandsaufenthalt zu hinterfragen. Nach der Personaleinstellung, bei der unter Umständen länderspezifische Unterschiede in der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen sind, findet im weiteren Verlauf des Einsatzes und der Karriere der Fach- oder Führungskraft ein Performance Improvement Coaching statt. Auf der einen Seite gibt es mit der Person eine Zielvereinbarung, in der festgehalten wird, welche Ziele die Person in welchem Zeitraum mit welchem Standard erreicht haben soll und woran der Zielerreichungsgrad gemessen werden kann. Nach einem vorher vereinbarten Zeitraum findet eine Leistungsbewertung statt, bei der der Grad der Zielerreichung überprüft und beurteilt wird. Zur Motivation besteht in der Regel ein Anreizsystem aus Gehalt, Prämien, Dienstwagen und anderem. Im Zusammenhang mit der interkulturellen Personalentwicklung ist es hier ganz wichtig, dass in den Zielvereinbarungen neben Ergebnis- und Prozesszielen auch Verhaltensziele festgeschrieben werden, die die interkulturelle Handlungskompetenz der Fach- oder Führungskraft betreffen. Zum Beispiel könnte hier mit der Person vereinbart werden, dass sie ihre interkul© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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turelle Handlungskompetenz weiterentwickelt und zu diesem Zweck ein kulturallgemeines Sensibilisierungstraining besucht. Diese Vereinbarung ist im Rahmen der Leistungsbewertung zu überprüfen. Zur Messung des Lernerfolgs könnte hier mittels eines interkulturellen Assessment-Centers eine Evaluation durchgeführt werden. In das Anreizsystem könnte – wenn es die Organisationskultur zulässt – ein mehrwöchiger bezahlter Auslandsaufenthalt in einem für das Unternehmen zentralen Land integriert werden. Auf der anderen Seite gibt es im Zuge des Performance Improvement Coachings eine Personalentwicklung im engeren Sinn (eine Führungskräfteentwicklung eingeschlossen), deren Instrumente vom Inplacement über die Potenzialanalyse und Entwicklung bis hin zur Qualifizierung ebenfalls so gestaltet werden sollten, dass sie die interkulturelle Handlungskompetenz der Fach- und Führungskräfte fördern. Im Rahmen des Inplacements, das die ersten 12 Monate eines Mitarbeiters im Unternehmen umfasst, könnten zum Beispiel internationale Welcome Days oder Welcome Weeks für weltweit neu eingestellte Fach- und Führungskräfte an einem Ort auf der Welt veranstaltet werden oder es könnten internationale Einstiegsprogramme für Führungsnachwuchskräfte angeboten werden, die neben Projektarbeit in gemischtkulturellen Projektteams ein Qualifizierungsprogramm enthalten, das auch interkulturelle Trainings und interkulturelle Coachings integriert. Für die Potenzialanalyse, die nach spätestens sechs Monaten des neuen Mitarbeiters im Unternehmen zum ersten Mal durchgeführt werden sollte, eignet sich insbesondere das Potenzialgespräch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter im Rahmen des Jährlichen Mitarbeitergesprächs (vgl. Wirth 1996) oder ein Assessment-Center, das von der Personalabteilung durchgeführt wird. Für die interkulturelle Personalentwicklung ist es bei beiden Instrumenten wichtig, die Kriterien der interkulturellen Handlungskompetenz einzubauen und zu beurteilen. Interkulturelle Assessment-Center sind derzeit die optimale Lösung zur Diagnose interkultureller Handlungskompetenz. Wichtig ist auch, dass die Kriterien interkultureller Handlungskompetenz, die im Rahmen der Personalauswahl beurteilt wurden, identisch sind mit den Kriterien interkultureller Handlungskompetenz, die im Rahmen der Potenzialanalyse verwendet werden. Ist dies nicht der Fall, wird die interkulturelle Handlungskompetenz der Fach- oder Führungskraft an zwei unterschiedlichen Maßstäben gemessen; ein späterer Vergleich zur Beurteilung der Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz ist dann ausgeschlossen. Beim Thema Entwicklung geht es vor allem um die eindeutige Festlegung von Entwicklungswegen, die für jeden transparent ausweisen, was eine Fachoder Führungskraft in der Vergangenheit alles getan haben sollte, um in der Zukunft eine bestimmte Position im Unternehmen einnehmen zu können. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Eva-Ulrike Kinast/Alexander Thomas: Interkulturelle Personalentwicklung

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In internationalen Unternehmen sollten diese Entwicklungswege international gestaltet sein, weil dies natürlich eine sehr gute Möglichkeit zum interkulturellen Lernen ist (zumal wenn Entwicklungswege und entsprechende interkulturelle Qualifizierungsmaßnahmen miteinander verzahnt werden). Minimum sollte in jeder internationalen Karriere ein wenigstens sechsmonatiger Auslandsaufenthalt sein. Die Entwicklungswege können zum Beispiel im Rahmen des Jährlichen Mitarbeitergesprächs zwischen dem Vorgesetzten und dem Mitarbeiter abgestimmt werden. Die Qualifizierung ist ganz eindeutig der Schwerpunkt jeder interkulturellen Personalentwicklung. Zur Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz werden interkulturelle Trainings und interkulturelle Coachings eingesetzt. Jede Fach- oder Führungskraft, die irgendwann einmal international arbeiten will, sollte zumindest ein kulturallgemeines Sensibilisierungstraining durchlaufen haben. Zur Konzeption und Gestaltung bedarfsgerechter Trainings und Coachings werden die Ergebnisse der Potenzialanalyse verwendet. Wenn diese durch ein Potenzialgespräch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter im Rahmen des Jährlichen Mitarbeitergesprächs zustande gekommen sind, dann kann es aus Gründen der Objektivität und Validität sinnvoll sein, noch ein interkulturelles Assessment-Center zur Bedarfsanalyse vorzuschalten. Wichtig ist, den Lernerfolg aufgrund des interkulturellen Trainings oder Coachings zu evaluieren. Der Zyklus von der Personalauswahl bis zur Qualifizierung spiegelt im Wesentlichen die Personalführung wider. Werden die einzelnen Teile des Zyklus verzahnt und auf diese Weise systematisch und regelmäßig angewendet, dann steht nach einiger Zeit im Unternehmen ein Pool an interkulturell handlungskompetenten Fach- und Führungskräften für internationale Einsätze zur Verfügung, aus dem weltweit die Nachfolge gespeist wird. Wird im Unternehmen ein solcher Human-Resources-Zyklus mit Berücksichtigung von Aspekten interkulturellen Lernens und Handelns aufgebaut, dann ist es bei vakanten Stellen oder Positionen nicht mehr notwendig, auf den externen Erwerbstätigenmarkt zurückzugreifen, auf dem es heute schon nur ganz wenige Fach- und Führungskräfte gibt, die über interkulturelle Handlungskompetenz verfügen, und was sich in der Zukunft aufgrund der demographischen Entwicklung zumindest innerhalb Europas noch verschlimmern wird. Der vorgestellte Human-Resources-Zyklus wird in Abbildung 4 visualisiert. Der Erfolg einer interkulturellen Personalentwicklung hängt ganz entscheidend von drei Faktoren ab: – Erstens sollte unbedingt zu Beginn der Konzeption einer interkulturellen Personalentwicklung eine strategische Qualifikationsdiagnose gemacht werden. Dazu wird zusammen mit dem Vorstand oder der Ge© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Unternehmensziele

Personalauswahl

Inplacement

Performace Improvement Coaching

Zielvereinbarung

Anreizsystem

• • • •

Potenzialanalyse Laufbahngestaltung Qualifizierung Nachfolgeplanung

Führungskräfteund Personalentwicklung

Interkulturelle HR-Strategie

Personaleinstellung

HR-Strategie

Internationalisierungsstrategie

internes Personalmarketing/ -recruitment

Stellenbesetzung

externes Personalmarketing/ -recruitment

Vision

Unternehmensstrategie

Abbildung 4: Human-Resources-Zyklus (HR = Human Resources)

Personalplanung

Leistungsbewertung

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Unternehmenskultur Führung

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schäftsführung und den oberen Führungskräften erarbeitet, wohin das Unternehmen in den nächsten zwei, drei und fünf Jahren sich strategisch entwickeln soll (soweit man heute noch so weit voraus in die Zukunft planen kann). Dann wird gemeinsam daraus abgeleitet, welche Kompetenzen die Fach- und Führungskräfte dazu brauchen und wie viele Fach- und Führungskräfte diese Kompetenzen brauchen. Will zum Beispiel ein deutsches Unternehmen eine große Vertriebsgesellschaft in den USA gründen und darüber ihre Produkte auf dem amerikanischen Markt anbieten, dann kann daraus abgeleitet werden, dass das Unternehmen in der Zukunft wenigstens eine Führungskraft auf Geschäftsleitungsebene braucht, die von ihrer Kulturzugehörigkeit her entweder ein US-Amerikaner ist oder ein Deutscher, die beide jeweils neben den entsprechenden fachlichen, sozialen, individuellen und strategischen Kompetenzen auch über kulturspezifische Kenntnisse über Deutschland beziehungsweise die USA verfügen und allgemein interkulturell handlungskompetent sind. – Zweitens ist der Erfolg der interkulturellen Personalentwicklung ganz entscheidend von dem im Unternehmen existierenden Führungsleitbild abhängig. In diesem sollte unbedingt als ein zentraler Wert die Wertschätzung und produktive Nutzung der Interkulturalität der Mitarbeiter verankert sein. Außerdem sollte in diesem Leitbild ausdrücklich gesagt werden, dass das Unternehmen die Internationalität seiner Mitarbeiter fördert und dass von jedem einzelnen Mitarbeiter eine persönliche Öffnung in Richtung Internationalität erwartet wird. Wenn dies noch nicht der Fall sein sollte, dann ist eine Überarbeitung oder Ergänzung des Führungsleitbilds dringend zu empfehlen. – Und drittens sollte das Unternehmen eine internationale Grundstrategie eindeutig festgelegt haben, die einen Rahmen für die Interkulturalität der Mitarbeiter in dem Unternehmen setzt. Durch die internationale Grundstrategie wird festgelegt, wer letztendlich im Konfliktfall die Oberhand behält (Kinast u. Schroll-Machl 2002). Eine so verstandene interkulturelle Personalentwicklung ist dann nicht mehr einfach nur ein standardisierter Weiterbildungskatalog, in dem hier und da mal ein interkulturelles Training »von der Stange« eingekauft und angeboten wird, sondern diese interkulturelle Personalentwicklung übernimmt tatsächlich die Verantwortung dafür, dass zu jeder Zeit in dem Pool von Fach- und Führungskräften ausreichend viele vorhanden sind, die nicht nur fachlich, sozial, individuell und strategisch entsprechend kompetent sind, sondern auch über eine ausreichend hohe interkulturelle Handlungskompetenz verfügen; sie trägt damit wesentlich zur Internationalisierung der Human© Resources eines Unternehmens bei. 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Aus dem Pool von interkulturell handlungskompetenten Fach- und Führungskräften kann immer dann geschöpft werden, – wenn im Ausland eine Stelle oder Position vakant ist und zu deren Besetzung eine Fach- oder Führungskraft aus einem anderen Land als Expatriate (zusammen mit seiner Familie) dorthin entsendet oder versetzt werden soll; – wenn internationale Projekte anstehen, zum Beispiel die Einführung einer Standardsoftware als Produktionsplanungs- und Steuerungsinstrument eines Unternehmens, und zu diesem Zweck gemischtkulturelle Projektteams gebildet werden; – wenn Fach- oder Führungskräfte zwar im Heimatland leben, jedoch international arbeiten und dabei häufig mittels moderner Kommunikationstechnologien wie E-Mail, Telefon, Fax, Internet und anderer mit Mitarbeitern, Kunden, Kollegen und anderen aus fremden Ländern und Kulturen kommunizieren. Die Gruppe der Expatriates und deren Familien standen lange Zeit im Mittelpunkt des Interesses der interkulturellen Personalentwicklung.

Interkulturelle Personalentwicklung bei Auslandsentsendungen Die interkulturelle Personalentwicklung bei Auslandsentsendungen umfasst in der Regel sieben Phasen (vgl. Thomas et al. 1999). 1. Ist eine Stelle oder Position im Ausland zu besetzen, dann kann aus dem Pool von interkulturell handlungskompetenten Fach- und Führungskräften eine Person ausgewählt werden, deren Qualifikationsprofil auch die entsprechenden fachlichen, sozialen, individuellen und strategischen Kompetenzen aufweist. Das ist natürlich die optimale Situation. Leider ist es heute noch in vielen internationalen Unternehmen so, dass in den Human-Resources-Zyklus keine interkulturelle Personalentwicklung integriert ist. Das hat zur Folge, dass im Fall einer Auslandsentsendung nur sehr wenige Fach- oder Führungskräfte zur Verfügung stehen, die auf der einen Seite Interesse an einer Auslandsentsendung haben und aktuell ausreisebereit sind und auf der anderen Seite neben den entsprechenden fachlichen, sozialen, individuellen und strategischen Kompetenzen über eine ausreichend hohe interkulturelle Handlungskompetenz und über umfassende kulturspezifische Kenntnisse verfügen. Und was wird in diesen Fällen gemacht, wenn nur ein bis zwei Fach- oder Führungskräfte zur © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Eva-Ulrike Kinast/Alexander Thomas: Interkulturelle Personalentwicklung

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Verfügung stehen, die zwar fachlich die Anforderungen erfüllen und auch ausreisebereit sind, deren interkulturelle Handlungskompetenz aber zu wünschen übrig lässt? – Sie werden ins Ausland geschickt. Das ist heute Unternehmenspraxis. Und dann wundern sich die Unternehmen, warum so viele ihrer internationalen Projekte und Auslandsvorhaben scheitern! Ist mittels interkultureller Personalentwicklung kein Pool interkulturell handlungskompetenter Fach- und Führungskräfte gebildet worden, dann sollte in der Auswahlphase wenigstens mittels eines Interviews oder noch besser mittels eines interkulturellen Assessment-Centers geprüft werden, ob die wenigen Personen, die zur Auswahl stehen, überhaupt geeignet sind, im Ausland zu arbeiten und zu leben. Eine Auslandsentsendung stellt an eine Fach- und Führungskraft sehr hohe Anforderungen. Einerseits soll sie in den typischen Managementfeldern wie Präsentation, Verhandlung, Konflikt, Projektarbeit, Führung und anderen angemessen agieren, andererseits hat sie mit einer Reihe von sozialen, soziokulturellen und beruflichen Belastungsfaktoren zu kämpfen, denen sie selbst und auch ihre mit ausgereiste Familie ausgesetzt sind. Ein Probebesuch im Zielland sollte das Auswahlverfahren unbedingt abrunden. 2. In der Entschlussphase, wenn die Wahl auf eine bestimmte Person gefallen und die Person endgültig zur Ausreise entschlossen ist, sollte der Expatriate unbedingt ein kulturspezifisches interkulturelles Orientierungstraining durchlaufen, das seine interkulturelle Lernfähigkeit und Handlungskompetenz fördert und ihm Wissen über die zentralen Kulturstandards des spezifischen Einsatzlandes vermittelt. Das interkulturelle Training sollte optimalerweise sowohl auf die ganz spezifischen Bedürfnisse und Bedarfe des Expatriates als auch auf das ganz spezifische Unternehmen zugeschnitten sein. Wird der Expatriate zur Vorbereitung auf den Auslandsaufenthalt einfach in ein externes Trainingsinstitut geschickt, dann kann er dort zwar auch interkulturell lernen, aber nur in einem standardisierten interkulturellen Training, das seine spezifischen Bedürfnisse und die des Unternehmens nur wenig berücksichtigt. Das ist natürlich immer noch besser als gar keine Vorbereitung! Trotzdem sollte man sich immer wieder bewusst machen, dass eine spezifisch auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnittene Vorbereitung das Beste ist. Das Problem in diesem Zusammenhang ist häufig, dass nur ein einziger Expatriate vor der Ausreise steht und für einen einzigen Expatriate ein interkulturelles Training im Umfang von zwei bis drei Tagen einfach zu teuer ist. In diesem Fall gibt es dann entweder die Möglichkeit, den Expatriate in ein externes Trainingsinstitut zu schicken oder ein internes Training anzubieten, das die Bedürfnisse des Expatriates und des Unternehmens voll berücksichtigt, jedoch vom Umfang her wesentlich eingeschränkter ist. Ein solches Training bezeichnen Unternehmen in der Regel als »interkulturelles Coaching«; es © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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dauert einen Tag lang. Häufig wird unterstellt, dass ein solches »Coaching« intensiver sei. Die Beobachtung vieler interkultureller Trainings ist jedoch, dass beim Lernen und Arbeiten unter vielen Trainingsteilnehmern aufgrund der entstehenden Gruppendynamik wesentlich intensiver gelernt wird. Deshalb ist zu empfehlen, ein internes Training anzubieten und dazu den Expatriate und andere Fach- oder Führungskräfte einzuladen, die in ihrem Job häufiger Kontakt zu fremdkulturellen Personen haben. In diesem Fall kann das Training auf das Unternehmen und auf die Bedürfnisse des Expatriates zugeschnitten werden, es wird vom Umfang her der Komplexität des Themas gerecht und es übersteigt nicht die Kosten, weil auch noch andere Fach- und Führungskräfte davon profitieren. Darüber hinaus kann das im Unternehmen veranstaltete interkulturelle Training auch anderen Unternehmen angeboten werden, wobei dann für diese Unternehmen das Training nicht unternehmens- und bedürfnisspezifisch ist. Aufgrund der besonderen Problematik der mitausreisenden Partner wird dringend empfohlen, diese ebenfalls vorzubereiten. Die Partner können dabei durchaus dasselbe interkulturelle Training besuchen. Allerdings ist häufig zu beobachten, dass sich der Partner oder die Partnerin langweilt, wenn die Inhalte des Trainings zu sehr auf die typischen Managementfelder ausgerichtet sind. Deshalb ist hier zu empfehlen, für den Expatriate ein internes Training anzubieten, das seine Bedürfnisse und die Bedürfnisse des Unternehmens befriedigt, in dem es unter anderem auf Inhalte typischer Managementfelder ausgerichtet ist, und den Partner in ein gesondertes externes interkulturelles Training zu schicken, das eher auf dessen Bedürfnisse eingeht. Auch Kinder ab etwa einem Alter von sechs Jahren sollten vorbereitet werden. Darauf haben sich sogar einige interkulturelle Trainingsanbieter spezialisiert (IHK Lübeck 1999). 3. In der Ausreisephase sollte kurz nach der Ankunft im Ausland im Rahmen eines interkulturellen Einarbeitungstrainings on-the-job eine Kulturschock-Bearbeitung, eine Akkulturationsbegleitung und der Aufbau einer interkulturellen Lern- und Erfahrungskompetenz stattfinden. 4. Nach der Ausreise sollte im Ausland ein interkulturelles Verlaufstraining durchlaufen werden, das die interkulturelle Reflexions- und Attributionskompetenz sowie die arbeitsspezifische Lern- und Handlungskompetenz fördert. Der Zeitpunkt dafür orientiert sich optimalerweise am Akkulturationsverlauf; das erste Verlaufstraining oder Coaching sollte jedoch auf keinen Fall später als zwölf Wochen nach der Ankunft im Ausland stattfinden. Während des gesamten Auslandsaufenthalts sollten der Expatriate und sein Partner die Option erhalten, ein interkulturelles Coaching zur Aufarbeitung von kritischen Interaktionssituationen mit Einheimischen© 2005, in Anspruch zu nehmen und dadurch die psychischen Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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und physischen Belastungen, verursacht durch das völlig neuartige Arbeits- und Lebensumfeld, zu reduzieren. In Konfliktsituationen mit fremdkulturellen Mitarbeitern und Kollegen kann sich hier auch ein interkulturelles Teamcoaching anbieten. 5. In der Rückreisephase sollte der Expatriate im Rahmen eines Reintegrationstrainings im Ausland auf die »neue« Arbeitssituation im Stammhaus vorbereitet werden. Häufig gibt es keine verlässlichen und verbindlichen Zusagen über die Einnahme einer bestimmten Stelle oder Position nach der Rückkehr und häufig ist auch die Rückkehr mit einem Statusverlust verbunden, da das Besondere und Herausgehobene des Auslandseinsatzes bei der Wiedereingliederung in das Stammunternehmen verloren geht. Dazu kommt noch, dass sich Karriereversprechungen im Anschluss an einen Auslandsaufenthalt nach der Rückkehr oft in Luft auflösen. Auf alle diese Punkte sollte der Expatriate vorbereitet werden, damit er nach seiner Rückkehr nicht allzu enttäuscht ist. Außerdem sollte in dieser Phase die Übergabe der Arbeit im Gastland stattfinden. 6. In der Reintegrationsphase sollte in einem Reintegrationstraining im Heimatland der Reentry-Schock bearbeitet werden, dann sollte der Rückkehrer in die Unternehmenskultur und Nationalkultur seines Heimatlandes wieder eingearbeitet und seine interkulturellen Lebens- und Arbeitserfahrungen reflektiert und aufgearbeitet werden. 7. In der Distributionsphase sollten die Erfahrungen des Expatriates und seines Partners an Nachfolger und neue Auslandsmitarbeiter weitergegeben werden, die interkulturellen Erfahrungen in einen Expertenpool eingegeben werden. Rückkehrer erleben es häufig, dass sich eigentlich niemand für sie und ihre Auslandserfahrungen interessiert, und sind dann enttäuscht. Solche Erfahrungen und Gefühle können auf diese Weise abgemildert werden. Entscheidend ist jedoch, dass aus dem Expertenpool an interkulturellen Erfahrungen mit typischen kritischen Interaktionssituationen dann wiederum die Inhalte für das interkulturelle Assessment-Center und die interkulturellen Trainings gespeist werden können. Die Phasen interkultureller Personalentwicklung bei Auslandsentsendungen sind in Abbildung 5 visualisiert. Die interkulturelle Personalentwicklung als Funktion oder gar Abteilung im Unternehmen unterstützt den Expatriate und dessen Familie während aller genannten Phasen. Wichtig ist, dass sie erkennt, wann wirklich Hilfe notwendig ist und Unterstützung kommen sollte und wann sie sich zurücknehmen und den Expatriate seine eigenen Erfahrungen machen lassen sollte. Häufig© fühlen sich die Expatriates von ihrem Unternehmen im 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Assessment Center

Informationspool

Abbildung 5: Phasenmodell interkultureller Personalentwicklung bei Auslandsentsendungen

Heimatland eher im Stich gelassen als mit Hilfsangeboten überhäuft. Erfahrungsgemäß wollen die Expatriates aber »den Kaffee nicht nur eingeschenkt haben«, sondern sie erwarten sich, dass die interkulturelle Personalentwicklung »auch noch den Zucker hineintut und umrührt«, so die Worte eines ehemaligen Entsandten eines großen internationalen Unternehmens in Deutschland. Und das ist ganz sicher nicht der Auftrag der in© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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terkulturellen Personalentwicklung im Unternehmen. Was alles in den einzelnen Phasen gemacht werden kann, ist zum Beispiel bei Bittner und Reisch (1994) ausführlich beschrieben. In der Vergangenheit waren es die Expatriates und ihre Familien, die im Mittelpunkt des Interesses der interkulturellen Personalentwicklung standen. Seit ein paar Jahren ist eine Veränderung wahrnehmbar und die Gruppe der Fach- und Führungskräfte, die zwar im Heimatland leben, aber international arbeiten, rückt immer stärker in den Mittelpunkt des Interesses der interkulturellen Personalentwicklung. Wichtig ist hier, dass alle die gemachten interkulturellen Erfahrungen von den im Ausland tätigen Fach- und Führungskräften wieder in die interkulturelle Personalentwicklung eingespeist und dort zur Gestaltung der Inhalte von Diagnoseinstrumenten und Trainings verwertet werden und auf dieser Grundlage dann wiederum Fach- und Führungskräfte auf internationale Einsätze vorbereitet werden, und zwar kultur- und unternehmensspezifisch. Nur durch eine interkulturelle Personalentwicklung, die interkulturelles Wissen von denjenigen abfragt, die tatsächlich international arbeiten und interkulturelle Erfahrungen machen, ist es möglich, Fach- und Führungskräfte angemessen auf die hohen Anforderungen ihrer internationalen Tätigkeit vorzubereiten.

Zusammenfassung und Ausblick In internationalen Unternehmen ist eine interkulturelle Personalentwicklung notwendig, um zum richtigen Zeitpunkt, das heißt, wenn zum Beispiel eine Stelle oder Position im Ausland vakant ist, ausreichend viele Fach- und Führungskräfte zur Auswahl zu haben, die neben fachlichen, sozialen, individuellen und strategischen Kompetenzen über eine interkulturelle Handlungskompetenz verfügen. Besonders wichtig ist, dass interkulturelle Personalentwicklung nicht bedeutet, einfach nur einmal interkulturelles Training anzubieten und ins Weiterbildungsprogramm zu schreiben. Interkulturelle Personalentwicklung ist ein Zyklus, dessen einzelne Schritte miteinander verzahnt sein und dessen Bausteine aufeinander aufbauen müssen. Interkulturelle Personalentwicklung ist heute auch nicht mehr nur Vorbereitung, Begleitung und Wiedereingliederung von Expatriates und deren Familien. Zunehmend rücken andere Zielgruppen, insbesondere Fachund Führungskräfte, die zwar im Heimatland leben, aber international arbeiten, in den Mittelpunkt des Interesses. Interkulturelle Personalentwicklung bekommt damit eine ganz andere Dimension: Plötzlich geht es nämlich darum, ©dafür zu sorgen, dass die gesamte Ressource Personal in2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ternationalisiert wird, und die interkulturelle Personalentwicklung bekommt damit einen strategischen Auftrag. Eine Einschränkung bleibt: Im Rahmen des vorgestellten Human-Resources-Zyklus können in den einzelnen Schritten und Instrumenten tatsächlich interkulturelle Aspekte des Lernens und Handelns von Fach- und Führungskräften berücksichtigt werden. Gleichzeitig bleibt jedoch der Einfluss der Kultur auf den Zyklus als solchen und auf die Gestaltung der einzelnen Bausteine unberücksichtigt. Auf die vorgestellte Art und Weise findet Human-Resources-Management in Deutschland statt, aber nicht überall auf dieser Welt (vgl. Regnet u. Hofmann 2000).

Literatur Bittner, A.; Reisch, B. (1994): Interkulturelles Personalmanagement: internationale Personalentwicklung, Auslandsentsendungen, interkulturelles Training. Wiesbaden. Drumm, H. J. (2000): Personalwirtschaftslehre. 4. Auflage. Berlin/Heidelberg u. a. Industrie- und Handelskammer zu Lübeck (Hg.) (1999): Auslandsknigge. Verhaltensregeln, Geschäftssitten, Etikette. Eine Auswahlbibliographie sowie Anbieter Interkultureller Beratungs- und Trainingsleistungen in Deutschland. Lübeck. Kinast, E.-U.; Schroll-Machl, S. (2002): Ansätze für eine Strategie interkulturellen Handelns. Fehlende oder unklare Strategien für das interkulturelle Handeln gefährden den Erfolg von Entsendungen und Kooperationen. Personalführung 11: 32–39. Meckl, R. (2001): Der M&A-Prozeß. In: Bolten, J.; Schröter, D. (Hg.), Interkulturelle Wirtschaftskommunikation. Forschungsstand und Perspektiven. Sternenfels. Regnet, E.; Hofmann, L. M. (Hg.) (2000): Personalmanagement in Europa. Schriftenreihe Wirtschaftspsychologie (Hg. v. H. Schuler). Göttingen/Bern u. a. Scherm, E. (1999): Internationales Personalmanagement. 2. Auflage. München/ Wien. Stahl, G. K. (1998): Internationaler Einsatz von Führungskräften. München/Wien. Thomas, A.; Kinast, E.-U.; Schroll-Machl, S. (1999): Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz von international tätigen Fach- und Führungskräften durch interkulturelle Trainings. In: Götz, K. (Hg.), Interkulturelles Lernen/Interkulturelles Training. München/Mering, S. 97–122. Wirth, E. (1996): International orientierte Personalentwicklung. In: Bergemann, N.; Sourisseaux, A. L. J. (Hg.), Interkulturelles Management. 2. Auflage. Heidelberg, S. 201–228.

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Georg Felser

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»Billy« will wirklich jeder haben. Darum hat sich das schwedische Möbelhaus IKEA auf den langen Marsch ins Reich der Mitte begeben und in Peking seine weltweit 150. Filiale eröffnet (Wenderoth u. Schmitz 2002). Den Schritt auf den chinesischen Markt hat IKEA ganz im Geist der Globalisierung vollzogen – sofern damit gemeint ist, dass auf einem globalen Markt praktisch überall alles verkauft werden kann. So sind die 5000 Artikel in der Pekinger Filiale exakt die gleichen wie jene, die man auch in Hamburg oder Stockholm bekommen kann (Wenderoth u. Schmitz 2002). Aber so überzeugend Verkaufskonzept und Sortiment bei IKEA auch sein mögen, es zeigen sich doch immer wieder Grenzen der Globalisierung, die eine Rücksicht auf die spezifische Kultur fordern. Skurril und amüsant muten dabei die folgenden Beispiele an: Chinesische Kinder tragen keine Windeln. Stattdessen lässt die Bekleidung für die Kleinen im Schritt eine große Lücke, durch die der potenzielle Windelinhalt ohne Umweg an die frische Luft entlassen wird. Dieser Umstand ruft bei den Verantwortlichen für die Kinderbetreuung im Erdgeschoss Zweifel hervor, »ob es ratsam sei, das Bassin mit Tausenden von roten Plastikbällen zu füllen« (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 172). Ebenfalls befremdlich erscheint dem westlichen Beobachter die Selbstverständlichkeit, mit der die chinesischen Besucher die bequemen Ausstellungsstücke, Betten und Sofas für ein Nickerchen nutzen. Gegen Mittag, wenn alles müde zu werden beginnt, wird dann die Verkaufsfläche schnell zu einem regelrechten Schlafsaal (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 169). Beispiele wie diese stellen das Marketing noch nicht vor ernste Probleme. Sie weisen aber darauf hin, dass das Verhalten der Konsumenten noch längst nicht global standardisiert ist. Auf diese wie auf andere kulturelle Besonderheiten muss das Marketing Rücksicht nehmen. Diese Erfordernisse werden im Folgenden diskutiert. Dabei legt der Beitrag seinen Schwerpunkt auf die psychologische Seite des Marketing, also auf jenen Teil, der weniger mit der Logistik bei der Umsetzung des Marketing-Mix zu tun hat als vielmehr mit den Gesetzmäßigkeiten im Verhalten der Marktteilnehmer. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Standardisierung und Differenzierung Eine Kernfrage beim internationalen Marketing ist stets: Darf die Marketingstrategie in allen angezielten Ländern die gleiche sein? Darf man mit der gleichen Werbung auftreten? Müssen Design des Produkts oder gar sein Name für den neuen Markt geändert werden? Eine neu angepasste Strategie wäre zum einen enorm kostenaufwendig. Zum anderen verringern sich mit der länderspezifischen Differenzierung die Chancen auf eine klare internationale Markenidentität. Wenn mit einem einzigen Spot ein Produkt weltweit beworben werden könnte, dann würde dies mehrere Millionen Euro sparen. Bereits der Prozess der Namensgebung kann, wenn er sorgfältig durchgeführt wird, sehr aufwendig sein (Kohli et al. 2001). Gerade hier sollte die Internationalisierung bereits vorweg genommen und eine mögliche Übertragbarkeit in andere Sprach- und Kulturkreise erprobt werden. Ob sich ein Name auch in fremden Sprachen bewährt, lässt sich in gewissen Grenzen vorhersagen. Gern werden hierzu klassische Negativbeispiele zitiert, etwa der Chevy Nova, der im spanisch sprechenden Kulturkreis noch vor der ersten Panne zu der spöttischen Assoziation Anlass gab: »Chevy no va – der Chevy geht nicht«. Im Französischen klang der Zweisitzer von Toyota MR 2 wie »merde«, was dort sicherlich ebenso wenig Hochwertigkeit suggeriert wie im Deutschen die Bezeichnung »Silver Mist« für ein Modell von Rolls-Royce (siehe etwa Kohli et al. 2001; Müller u. Kornmeier 1995). Demgegenüber steht etwa der weltweite Erfolg des Allzeit-Positivbeispiels Coca-Cola. Wo selbst das hartnäckigste Festhalten an einer einheitlichen Markenpolitik an natürliche Grenzen gestoßen wäre, ist dem Konzern eine glückliche Fügung zu Hilfe gekommen. Als das Produkt auf den chinesischen Markt drängte, stellte sich das Problem, wie Coca-Cola in die fremde Schrift übertragen werden soll. In solchen Fällen gibt es zwei Optionen: Zum einen kann man versuchen, die Laute der Ursprungssprache zu bewahren. Das Ergebnis dieser Übersetzungen sind dann freilich in der Regel Unsinnswörter, die in der neuen Sprache keine Bedeutung haben. Zum anderen kann man aber auch versuchen, in den neuen Namen bestimmte Eigenschaften des Produkts aufzunehmen oder eine bereits vorhandene Bedeutung des Namens zu erhalten. Im Fall von Coca-Cola ist der Spagat zwischen beiden Optionen gelungen. Das chinesische Wort bewahrt zum einen etwas vom ursprünglichen Klang, besitzt zusätzlich aber auch eine Bedeutung: »Kekou kelè ist eine interpretierende lautangleichende Übernahme von Coca-Cola. . . . Die chinesische Übersetzung kennt in China jedermann. Sie klingt phonetisch ähnlich wie Coca-Cola, so dass der Konsument sogleich an ein ausländisches Produkt denkt. Zusätzlich lenkt die Bedeutung der chine© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sischen Lautfolge die Fantasie jedoch in eine bestimmte Richtung. Denn sie besagt wörtlich: ›Es schmeckt gut und man trinkt es mit Behagen.‹ Diese reizvolle Übersetzung kann sowohl unter marktpsychologischen wie kommerziellen Gesichtspunkten als ein hervorragendes Beispiel für die Übernahme eines fremden Produktnamens angesehen werden« (Jinlong 1994, S. 19). Ähnlich glücklich ist es IKEA ergangen. Die chinesische Übersetzung »Yi Jia« entfernt sich lautlich ebenfalls nicht weit von dem Original, und mit der Bedeutung »Geeignet für die Familie« kann der schwedische Möbelgigant sicher auch gut leben (vgl. Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 168). Weniger gelungen erscheint dagegen die chinesische Übersetzung des Wortes »Riesling«. Mit »Léi Silìng« nähert man sich zwar lautlich dem Ursprungsbegriff, jedoch handelt es sich bei der Übersetzung um eine militärische Anrede, ungefähr zu übersetzen als »Kommandeur Donner« (Jinlong 1994). Könnte man auf eine aufwendige Anpassung des Marketing an die jeweils fremde Kultur verzichten, dann würde sich die damit verbundene Kostenersparnis zunächst in deutlich zentralistischeren Organisationsstrukturen bei den Firmen zeigen. Im nächsten Schritt ergäben sich Möglichkeiten, die Kosten- und Preisvorteile an die Konsumenten weiterzugeben, was die Position auf dem Markt stärkt. Eine starke Marktposition bedeutet nichts wesentlich anderes, als dass viele Leute das eigene Produkt kaufen, was wiederum ein Anzeichen zunehmender Homogenisierung der Märkte ist. Damit schließt sich ein theoretisch unterstellter Kreislauf (zitiert nach Müller u. Kornmeier 1995, S. 341 f.): – Homogenisierung der Verbraucherbedürfnisse ermöglicht die – Standardisierung der Marketingmittel. Dies ermöglicht die – Zentralisation der Organsiationsstrukturen, was einen – Kosten- und Preisvorteil bringt. Wird der an die Verbraucher weitergegeben, so stärkt sich die eigene Marktposition, was wiederum eine Homogenisierung der Verbraucherbedürfnisse zur Folge hat. Und so weiter. Diese Idee gilt theoretisch. Praktisch steht diesem Kreislauf eine Reihe von Hindernissen im Weg, die weniger ein standardisiertes als vielmehr ein interkulturell differenziertes Marketing erfordern.

Warum ist interkulturelles Marketing notwendig? Wer viel reist, wird in der Regel einen geschärften Sinn für kulturelle Unterschiede und Vielfalt entwickeln. Müller und Kornmeier (1995, S. 346) leiten daraus die©These ab, dass sich aus immer häufiger werdenden Aus2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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landsreisen ein allgemeines Bedürfnis nach Bewahrung kultureller Eigenheiten entwickelt. Die Motive hierzu dürften freilich sehr unterschiedlich sein. Zum einen ist die Fremdartigkeit der Zielkultur für den reisenden Touristen gerade eines seiner Motive beim Reisen; für reisende Geschäftsleute ist allerdings diese Fremdartigkeit mitunter eher ein Handicap. Zum anderen sieht sich vielleicht die bereiste Zielkultur ab einer gewissen Menge von Besuchern bedroht und befürchtet einen Identitätsverlust. Das Argument von Müller und Kornmeier zeigt aber eines: Manche Merkmale der Globalisierung, etwa der häufiger werdende Kontakt zwischen Angehörigen der jeweiligen Kulturen, kann gerade gegen die vollständige Homogenisierung der Lebensumstände sprechen. Dieser Punkt findet sich auch auf der Ebene des Konsumgütermarketing wieder. Oft treten Produkte als »fremd« oder »exotisch« in Erscheinung und werden gerade dadurch für die Konsumenten in anderen Kulturen attraktiv. Eine allzu starke Anpassung an den ausländischen Markt wäre hier kontraindiziert, solange diese Anpassung den fremdländischen Charakter beeinträchtigt. Coca-Cola tritt so gesehen nicht unbedingt als ein »Allerweltsprodukt« auf, sondern eher als ein Botschafter für den American way of life. Auch IKEA bemüht sich, in China immer noch möglichst schwedisch zu erscheinen. Mit Hilfe einer Bildergalerie soll dem chinesischen Besucher sogar ein Eindruck von der schwedischen Landschaft und Lebenswelt vermittelt werden (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 168). Möglicherweise werden etliche der bestehenden Unterschiede zwischen den Kulturen durch zunehmende Globalisierung eher bewahrt oder gar verstärkt, als dass sie eingeebnet würden. Mittelfristig ist es daher wohl unausweichlich, Marketingbemühungen an die angezielte Kultur anzupassen und zu differenzieren. Die folgenden Ausführungen sollen diese These anhand einer Reihe von Beispielen stützen. Dabei darf freilich nicht vergessen werden, dass die angesprochenen kulturellen Unterschiede auch unterschiedlich flexibel sind.

Politische und rechtliche Rahmenbedingungen Eine frühe Hürde für interkulturelle Marketingbemühungen stellen Genehmigungsverfahren in dem Zielland dar. IKEA hat dank chinesischen Joint-Venture-Partnern nur die vergleichsweise geringe Wartezeit von einem halben Jahr bis zur Genehmigung hinnehmen müssen. Unerwartet waren dann allerdings noch Hygieneuntersuchungen, die ohne Ankündigung von Kantine und Toiletten auf Sofas, Vorhänge und Teppiche ausge© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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dehnt wurden, und ein plötzlicher Beschluss der Stadtverwaltung, der die Möbelfirma zwang, ihre sämtlichen europäischen Stecker, obwohl für chinesische Steckdosen tauglich, durch den amtlichen China-Stecker zu ersetzen (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 171 f.). Marketingstrategien müssen sich zudem an die lokalen Einstellungen gegenüber der Marktentwicklung anpassen. Zum Beispiel funktioniert der US-amerikanische Markt gegenüber dem europäischen sehr viel liberalistischer. In Europa, vor allem in Deutschland, war es bis zum Zweiten Weltkrieg nicht ungewöhnlich, wenn Unternehmen Kartelle gebildet haben. Ähnlich war es in Japan. Vor diesem historischen Hintergrund ist die Einstellung in den verschiedenen Ländern gegenüber der Gefahr von Monopolen noch immer unterschiedlich (vgl. Usunier u. Walliser 1993). Auch das Eingreifen von Staat und Regierung in die Entwicklung einzelner Unternehmen – wie zum Beispiel die Intervention des deutschen Bundeskanzlers zur Rettung des Bauunternehmens Holzmann im Jahr 1999 – wird in Europa in einem Ausmaß geduldet, wie es in den USA undenkbar wäre. Im Februar 2002 reagierte der Kommentator des »Time«-Magazins Josef Joffe mit Unverständnis auf das abweisende Verhalten der deutschen Bundesregierung gegenüber Investitionsvorhaben aus dem Ausland. Joffe nennt als Beispiele den australischen Medienunternehmer Rupert Murdoch, der Interesse am zerfallenden Medienimperium von Leo Kirch angemeldet hatte, sowie das amerikanische Telekommunikationsunternehmen Liberty Media von John Malone. Im letzteren Fall hätte eine Investition aus dem Ausland eine erhebliche Komfortverbesserung für private Internetnutzer bedeutet. Die Übertragungsgeschwindigkeiten für Internetdaten liegen in den USA mindestens sechsmal höher als dies die Telekom deutschen Kunden ermöglicht. Joffe folgert: »Again the basic mercantilist motto is this: ›Don’t help the consumer, protect the producer‹ – by keeping out foreign competition« (»Time«, 25.2.2002, S. 25). Verhaltensweisen wie diese prägen die Erwartungen ausländischer Investoren, sie bilden eine wichtige Grundlage für interkulturelle Marketingentscheidungen. Noch weiter gehende Einschränkungen gehen von den rechtlichen Rahmenbedingungen für das Marktverhalten aus. Auch hierin spiegeln sich letztlich kulturelle Unterschiede, allerdings hat, wer gegen solche Bestimmungen verstößt, nicht allein den Misserfolg, sondern vermutlich gleich ein Verbot zu fürchten. Interkulturell unterschiedliche rechtliche Bestimmungen betreffen zum Beispiel – die Darstellung von Tabuthemen (Nacktheit, Sex, Tod) in der Werbung, – Werbung mit und vor Kindern, – Ladenschlusszeiten, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Schutz der Verbraucher vor Missbrauch, zum Beispiel Druck durch bestimmte Verkaufsförderungsmaßnahmen (Werbegeschenke, Rabatte). Der letztere Punkt wurde zum Beispiel in Deutschland bis vor kurzem vom Rabattgesetz geregelt, dem zufolge es nicht erlaubt war, Rabatte oder Geschenke zu gewähren, die über 3 Prozent des Warenwertes ausmachten. Dieses Gesetz stammte noch aus dem Jahr 1933 und war eigentlich dazu gedacht, Verbraucher vor einem allzu starken Druck durch Zuwendungen und Entgegenkommen der Verkäufer zu schützen. Der Gedanke hinter einem solchen Verbot entbehrt nicht der psychologischen Grundlage – die Erwartung, es sei für jeden mündigen Verbraucher ein Leichtes, sich dem situationalen Druck solcher Verkaufsstrategien zu entziehen, lässt sich demgegenüber wissenschaftlich wesentlich schlechter begründen (Cialdini 2001; Felser 2001). Von Land zu Land unterschiedlich sind auch die Schutzmaßnahmen, die gegen Raubkopien oder das Fälschen von Markenartikeln ergriffen werden. China ist in diesem Punkt außerordentlich tolerant; hier werden jährlich Markenartikel im Wert von rund 15 Milliarden Euro kopiert. Daher hört zum Beispiel der Besucher in der Pekinger IKEA-Filiale regelmäßig: »Wir wünschen Ihnen eine schöne Zeit bei IKEA – aber machen Sie bitte keine Fotos!« (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 170).

Kulturelle und ökonomische Rahmenbedingungen Manche Produkte sind so eng an kulturelle Gebräuche geknüpft, dass sie ohne den kulturellen Hintergrund überhaupt keinen Sinn ergeben, etwa Faschingskostüme, Halloween-Masken, aber auch Hochzeitskleider. Andere Produkte hängen möglicherweise etwas subtiler mit der jeweiligen Kultur zusammen, sind aber gleichwohl von dieser Rahmenbedingung abhängig. So hängen die Absatzchancen von Fertiggerichten davon ab, welche gesellschaftliche Funktion die Mahlzeiten haben: Wann, wie, welchem Kreis und in welcher Dauer werden sie eingenommen? Welche Rolle spielt hierbei die Zubereitung? Wie müssen sie zusammengesetzt sein? Je nach Kultur ist es mehr oder weniger sinnvoll, auf Zeitersparnis, einfache Zubereitung, Haltbarkeit, Verfügbarkeit exotischer Zutaten oder andere Eigenschaften des Produkts hinzuweisen. Es lassen sich leicht Kulturen denken, in denen Fertiggerichte überhaupt keine Absatzchancen haben. Besonders gravierend wirken Einschränkungen durch den ökonomischen Kontext: Eines der größten Probleme von IKEA in Peking stellen die © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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beschränkten Wohnverhältnisse der chinesischen Bevölkerung dar. Einbauküchen oder Schrankwände verkaufen sich daher nur schlecht, denn »die durchschnittliche chinesische Küche ist so groß wie bei uns eine Garderobe« (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 170). Dieser Umstand hat erheblichen Einfluss darauf, womit in China Umsatz erzielt wird. Alles, was »platzsparend, an die Wand zu schrauben oder faltbar ist«, Becher und Teelichter verkaufen sich sehr gut, raumgreifende Möbel dagegen nicht. Zudem liegen die Preise von IKEA noch immer – gemessen am chinesischen Einkommen – viel zu hoch. Obwohl IKEA in Peking wesentlich billiger ist als in Europa oder Nordamerika, gilt der Möbelkonzern noch immer als teuer. Weitere Preissenkungen sind daher geplant (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 170). Zu den ökonomischen Rahmenbedingungen einer Kultur gehört auch, welches Gewicht bestimmte Konsumgüter im Gesamtbudget eines Haushalts einnehmen. Ein Land, in dem der Durchschnittsbürger zum Beispiel über 10 Prozent seines Einkommens für Bekleidung und Schuhe ausgibt, wird gegenüber dieser Produktkategorie interessierter sein als eines, wo für den einzelnen Konsumenten allenfalls 5 Prozent des Einkommens auf diesen Posten entfällt. Interessanterweise deutet gerade dieses Strukturmerkmal in Europa auf eine zunehmende Differenzierung zwischen den Kulturen. Von 1985 bis 1990 vergrößerten sich in fast allen größeren Produktkategorien die Unterschiede in der Ausgabenstruktur in den europäischen Ländern (Befunde zitiert nach Müller u. Kornmeier 1995, S. 344). Einzig die Ausgaben für Energie haben sich in den europäischen Ländern in den untersuchten fünf Jahren angeglichen. In anderen Bereichen wie etwa Körperpflegeprodukte, Bekleidung, Nachrichtentechnik oder Haushaltsführung vergrößerten sich die Unterschiede zwischen den Mitgliedern der Europäischen Gemeinschaft. Am stärksten divergent entwickelten sich die Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel, die mit einem Anteil von 20 Prozent die gewichtigste Produktkategorie in den europäischen Privathaushalten bilden.

Sozialpsychologische Rahmenbedingungen Fragt man Mitarbeiter unterschiedlicher Nationen, welches Vorgesetztenverhalten sie bevorzugen, so erhält man mitunter deutlich unterschiedliche Präferenzen. Fragt man nun aber Mitarbeiter in internationalen Arbeitsgruppen, also Personen, die bereits in einer multikulturellen Umgebung arbeiten, verringern sich diese Unterschiede nicht etwa, sondern sie fallen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sogar noch pointierter aus (vgl. Usunier u. Walliser 1993, S. 53 ff.). Dieser Befund unterstreicht, dass kulturelle Unterschiede in Einstellungen und Werthaltungen auch in multikulturellen Gesellschaften erhalten bleiben und dass sie dort womöglich noch verstärkt werden. Aus sozialpsychologischer Perspektive ist dieser Befund nicht unbedingt überraschend. In einer Vielzahl von Arbeiten (z. B. Tajfel 1981) konnte gezeigt werden, dass Menschen eine ausgeprägte Neigung haben, Gruppenidentitäten zu bilden und nach außen zu kommunizieren – selbst wenn die Gruppe, der sie angehören eigentlich eine benachteiligte ist. Dies macht es zum Beispiel unplausibel, dass wirklich alle Menschen so sein und leben wollen wie Westeuropäer oder US-Amerikaner – selbst wenn die Angehörigen anderer Gruppen zugeben, dass etliche Elemente dieser Kulturen durchaus wertvoll und erstrebenswert sind. Aus der genannten psychologischen Perspektive erscheint es sogar plausibel, dass Völker und Kulturen ein um so stärkeres Bedürfnis nach Abgrenzung und Eigenständigkeit haben, je näher sie den jeweils anderen sind. Danach wäre denn auch zu erwarten, dass Kulturen, die in demselben Unternehmen oder auch in demselben Nationalstaat aufeinander treffen, ausgeprägtere Gegensätze zeigen als Kulturen, die in einer gewissen Entfernung voneinander koexistieren. Im Rahmen kleiner Gruppen haben sich die angedeuteten Abgrenzungsphänomene nachweisen lassen. Die Übertragung auf Kulturkreise, die gleich mehrere Staaten umfassen, ist zwar nahe liegend, enthält aber einen Großteil Spekulation. Gleichwohl drängt sich die Frage auf, inwieweit ein Globalisierungstrend, der vor allem von westlichen Werten geprägt ist, in nichtwestlichen Kulturen das Bedürfnis schürt, eigene Werte zu kommunizieren oder gar sich durch Abschottung oder offenen Kampf zur Wehr zu setzen. Die Neigung, Identitäten durch Gruppenzugehörigkeit zu kommunizieren, kann man vermutlich als eine psychologische Konstante ansehen. Variabel ist allerdings, welches Kriterium die Gruppe definiert. Soziale Schicht, Nationalität oder Religion bilden auf unterschiedliche Weise Subkulturen. Die Gewichte zwischen diesen Gruppierungskriterien verschieben sich, je nachdem welches Kriterium im Vordergrund steht und besonders leicht »ins Auge fällt«. Ein typischer Eigengruppen-Bonus zeigt sich auch im Marktverhalten. Zum Beispiel werden in der Regel Produkte aus dem eigenen Land bevorzugt. Dieser Haupteffekt wird allerdings durch die jeweilige Kultur noch einmal moderiert: Guerhan-Canli und Maheswaran (2000) konnten zeigen, dass Mitglieder einer eher kollektivistischen Kultur (Japan) das Produkt aus dem eigenen Land unter allen Umständen bevorzugten, auch wenn es im Qualitätsvergleich eigentlich das unterlegene war. US-amerika© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nische Konsumenten bevorzugten das Produkt aus dem eigenen Land nur, wenn es zudem eine überlegene Qualität zeigte.

Dimensionen der Unterschiedlichkeit Usunier und Walliser (1993, S. 38 ff.) greifen Forschungsergebnisse aus verschiedenen Quellen auf und erstellen daraus eine Systematik kultureller Unterschiede. Wesentliche Unterscheidungsdimensionen sehen sie in den folgenden Merkmalen: – die Bedeutung der einzelnen Person gegenüber der Gruppe, – das Zeitverständnis, – die Einstellung zum Handeln, – das Selbstkonzept gegenüber dem Fremdkonzept. Im Folgenden werden diese Dimensionen näher erläutert und ihre marktpsychologische Relevanz diskutiert.

Person und Gruppe Die erste Dimension betont die Regeln der Gruppenzugehörigkeit, zum Beispiel was aus der Zugehörigkeit folgt oder unter welchen Bedingungen man Mitglied wird. Für das interkulturelle Marketing sind die Regeln der Gruppenzugehörigkeit aus vielen Gründen wichtig. Zwei Beispiele: Produkte, die geeignet sind, den Status in einer Gruppe zu verbessern, können diesen Zweck nur erfüllen, wenn die Regeln der Gruppenzugehörigkeit überhaupt die begehrte Statusverbesserung auf diesem Weg zulassen. Zum Beispiel konnten im Europa früherer Jahrhunderte Bürger durch Reichtum nicht in den Adelsstand aufsteigen. Wer damals Werbung für wirtschaftliche Höchstleistungen machen wollte, konnte daher das Werbeargument »Statusverbesserung« nur begrenzt einsetzen. Es ist auch eine Frage der Gruppenzugehörigkeit, in welchem Ausmaß Vertrauen entgegengebracht wird. Ein Verkäufer, der zur »out-group« gehört, ist daher auf mehr vertrauensbildende Maßnahmen angewiesen als ein Verkäufer aus der »in-group«. So vertrauen zum Beispiel europäische IKEA-Kunden im wahrsten Sinn des Wortes »blind« darauf, dass in den Kartons das Produkt in der Farbe enthalten ist, die auch auf der Verpackung vermerkt ist. In der chinesischen Filiale dagegen »lagen immer jede Menge aufgerissene Packungen herum, weil die Kunden den Farb-Markierungen nicht trauten. Also ist IKEA-Bejing zu Sichtfenstern in den Kartons © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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übergegangen« (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 172). Man mag darüber spekulieren, ob dieses Misstrauen darauf zurückgeht, dass Mitgliedern der »out-group« grundsätzlich weniger vertraut wird. Auch andere kulturelle Unterschiede kommen als Erklärung in Frage. So neigen die chinesischen Kunden dazu, Informationen auch dann zu erfragen, wenn sie sie schwarz auf weiß vor sich sehen. »›Die Chinesen lesen nicht gern‹, klagt ein chinesischer Verkäufer. Außerdem misstrauen sie Gedrucktem. ›Man fragt nach dem Weg nicht mit den Augen, sondern mit dem Mund‹, besagt ein Sprichwort« (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 173).

Zeitverständnis Unterschiede im Zeitverständnis bestehen zum Beispiel darin, wie knapp das Gut »Zeit« überhaupt gesehen wird. Kulturen, wo Zeit nicht als knapp erlebt wird, sind auch weniger empfänglich für das Werbeargument der Zeitersparnis. Auch die Frage, welche Rolle die Vergangenheit oder die Zukunft spielen, wird von kulturell unterschiedlichem Zeitverständnis geprägt. Die uns selbstverständlich erscheinende Neigung, Erinnerungen zu dokumentieren, ist nicht in allen Kulturen gleich stark ausgeprägt. Ähnliches gilt für die detaillierte Planung der eigenen Zukunft. Produkte wie Fotoapparate, Alben oder Bausparverträge setzen demnach ein bestimmtes Zeitverständnis voraus, das nicht universell gültig sein muss.

Einstellung zum Handeln Die Zukunftsorientierung spiegelt auch die dritte Dimension wider, die Einstellung zum Handeln. Die Vorstellung, durch das eigene Handeln Kontrolle auszuüben, Dinge zu verändern und die Natur zu beherrschen, ist stark westlich geprägt. Demgegenüber haben viele östliche Kulturen eine mehr fatalistische Einstellung. Wer dem Handeln einen hohen Stellenwert einräumt, wird auch dort zum Eingreifen geneigt sein, wo objektiv nur sehr wenig Einflussmöglichkeiten bestehen. So treffen in westlichen Kulturen Menschen vielerlei Maßnahmen, um zu verhindern, dass sie krank werden. Diese Neigung erstreckt sich dann auch auf Erkrankungen, bei denen die äußeren Einflussmöglichkeiten gering sind, so dass hier ein großer Markt für vermeintlich wie tatsächlich gesundheitsfördernde Produkte besteht.

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Selbstkonzept und Fremdkonzept Eine besonders hervorstechende Dimension, in der sich Kulturen unterscheiden, betrifft das Ausmaß, in dem die jeweilige Kultur Individualismus oder Kollektivismus unterstützt. Europäische Kulturen gelten üblicherweise als individualistisch, asiatische als kollektivistisch. Was mit Kollektivismus gemeint ist, zeigt sich beispielhaft an der Beziehung des chinesischen Verbrauchers zu seiner Familie (z. B. Usunier u. Walliser 1993, S. 9 f.). In einem kollektivistischen Umfeld zu leben bedeutet für einen Chinesen: – Die Gemeinschaft hat Zugriff auf oder Einblick in Dinge, die nach westlichem Verständnis privat sind. Dies kann im Einzelfall größere Freiheiten für Werbung bedeuten, die private und intime Belange der Verbraucher berührt – wenn dem nicht andere Tabus der Kultur entgegenstehen. Sicher bedeutet es aber, dass der Wunsch nach Privatheit, die Abgrenzung einer eigenen Intimsphäre vor der Allgemeinheit in der chinesischen Kultur nicht selbstverständlich ist und dass sich daher hieran kaum Erfolg versprechende Werbeargumente knüpfen lassen. – Die Handlungen einer Person sind nicht unbedingt Ausdruck ihrer Bedürfnisse und Motive. Bei der Konsumentenbeeinflussung ist daher oft weder notwendig noch hinreichend, das Motiv einer einzelnen Person zu beeinflussen. Auch das Aufdecken nicht bewusster Motive oder impliziter Einstellungen im Rahmen der Marktforschung würde beim chinesischen Verbraucher noch weniger Rückschlüsse auf das Marktverhalten erlauben als bei europäischen. – Ziel des Handelns ist nicht das Glück des Einzelnen, sondern gemeinschaftliche Harmonie. Die Verbesserung des Zusammenlebens ist ein durchaus vorhandenes Motiv. Produkte, die dies erleichtern, haben daher vergleichsweise günstige Erfolgsaussichten. Chinesen zeigen demzufolge auch ein deutlich geringeres Involvement bei Produkten, die nur für die eigene Person bestimmt sind, gegenüber Produkten, die für andere gedacht sind. Auch die Risikowahrnehmung beim Erwerb von Produkten ist von diesem Punkt betroffen: Während abendländische Konsumenten vermutlich ein Versagen des Produkts für ein besonders gravierendes Problem ansehen und im entsprechenden Fall nur geringe Hemmungen haben, sich beim Verkäufer zu beklagen, würde ein Chinese in seinem Beschwerdeverhalten von vornherein viel zurückhaltender sein. Ein besonderes Risiko sehen Chinesen darin, »das Gesicht zu verlieren«. Bei der Beschwerde gehen beide Beteiligten dieses Risiko ein (siehe auch Usunier u. Walliser 1993, S. 11). – Das Ziel der Harmonie wird oft über die sachlichen Ziele des Handelns gestellt. Diese asiatische Eigenheit ist in der Zusammenarbeit oft ein © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Hemmnis. So beklagt sich zum Beispiel der schwedische Vertreter von IKEA in Peking: »Man einigt sich mit einem chinesischen Verhandlungspartner . . ., und am nächsten Tag legt er seine alten Forderungen wieder auf den Tisch – als hätte es nie ein Ergebnis gegeben« (Wenderoth u. Schmitz 2002, S. 269). Die Einigung vom Vortag ist möglicherweise einzig einem harmonischen Zusammenleben geschuldet; man ist so in bestem Einvernehmen auseinander gegangen. – Die Gemeinschaft ist eine natürliche Gegebenheit, eine Selbstverständlichkeit. Sie wird daher nicht gepflegt durch Geschenke oder Beteuerungen der Zusammengehörigkeit. Die europäisch geprägten Vorstellungen von Gemeinschaft unterscheiden sehr viele verschiedene Formen der Gemeinsamkeit, die auch in bestimmter Weise definiert und gepflegt werden müssen. Hierzu werden nicht zuletzt Produkte und Dienstleistungen genutzt, für die im chinesischen Kulturkreis kaum ein Markt vorhanden sein dürfte. – Die Gruppe kümmert sich um den Einzelnen, der Einzelne muss aber auch der Gruppe gegenüber loyal sein. In einer kollektivistischen Gesellschaft ist es daher für den Einzelnen weniger dringlich, für sich selbst, das heißt auch: für seine eigene Zukunft zu sorgen. Dies motiviert zum Beispiel die Menschen weniger zu privater Vorsorge in Form von Kapitalanhäufung oder Versicherungen. Man kann auch spekulieren, dass sich die Loyalität der Gruppe gegenüber auch in Produkt- und Markenloyalität äußert, so dass es in kollektivistischen Kulturen schwieriger sein dürfte, bestimmte Konsumgewohnheiten aufzubrechen (siehe auch Usunier u. Walliser 1993, S. 48). – Die angemessene Verhaltensweise ist Anpassung, das Hervortreten des Einzelnen ist unerwünscht. Dieses Merkmal ist vermutlich einer der hervorstechendsten Unterschiede zur westlichen Kultur. Die Diskrepanz in den Einstellungen zeigt sich bereits auf der Ebene von Redensarten: Während es im westlichen Kulturkreis heißt: »The squeaky wheel gets the grease«, warnt ein chinesisches Sprichwort: »The nail that stands out gets pounded down« (zitiert nach Baumeister 1995, S. 56). Dieser kulturelle Unterschied äußert sich zum Beispiel in unterschiedlich starken Neigungen, sich sozial erwünscht zu verhalten. Das Bedürfnis nach sozialer Billigung verfälscht regelmäßig Marktforschungsdaten. Keillor, Owens und Pettijohn (2001) konnten zeigen, dass bei diesen Verfälschungen interkulturelle Unterschiede bestehen. In westlichen Kulturen findet sich leicht ein Markt für Produkte, die das Gefühl der Verbraucher fördern, einzigartig zu sein oder etwas Einzigartiges zu besitzen (z. B. Lynn u. Harris 1997). In China ist man mit diesem Verkaufsargument weit weniger erfolgreich, wie ein bemerkenswerter Flop von IKEA© bei seinem ersten Weihnachts-Special zeigt: Ins Sortiment 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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wurden kurzfristig mundgeblasene Sektgläser aufgenommen. Leider trinkt man in China ohnehin wenig Sekt. Noch lehrreicher war allerdings die Reaktion der chinesischen Kunden auf die wertvolle Handarbeit: Die individuell gefertigten Gläser hatten unvermeidliche kleine Fehler, die dem Kennerauge die Einzigartigkeit des Produktes belegen. Die chinesischen Verbraucher dagegen sahen in diesen Merkmalen nur völlig überflüssige Abstriche an der Perfektion (Wenderoth u. Schmitz 2002). In der hier dargestellten Zuspitzung finden sich freilich die Gegensätze zwischen kollektivistischen und individualistischen Kulturen nicht in den jeweiligen Nationen, ja nicht einmal wenn man die üblicherweise plakativ vorgehende Fernsehwerbung betrachtet. Cho et al. (1999) verglichen Koreanische und US-amerikanische Werbespots und fanden in beiden deutliche individualistische wie kollektivistische Akzente. Unterschiede zeigten sich nur im relativen Gewicht der jeweiligen Inhalte.

Interkulturelle Gültigkeit der Konsumentenpsychologie: Allgemeinpsychologische Effekte Die psychologischen Regeln, denen das Konsumentenverhalten folgt, können in unterschiedlichem Umfang als allgemein gültig angesehen werden. Traditionell wird etwa in der so genannten Allgemeinen Psychologie unterstellt, dass die darin diskutierten Gesetzmäßigkeiten für alle Menschen gelten. Entsprechend müssten demnach allgemeinpsychologische Effekte auch im interkulturellen Marketing ohne weiteres übertragbar sein. Für eine Vielzahl von allgemeinpsychologisch gültigen Regeln erweist sich jedoch die Kultur als ein wichtiger Moderator. So sollen zum Beispiel Afrikaner für bestimmte Formen optischer Täuschungen weniger anfällig sein als Europäer (Segall et al. 1990). Hier spielt ein wichtige Rolle, wie eingefahren bestimmte Wahrnehmungsgewohnheiten sind. Eingefahrene Muster bei der Informationsverarbeitung mögen auch für kulturabhängige Unterschiede in Intelligenzleistungen verantwortlich sein. Solche Unterschiede bestehen durchaus. Sie werden üblicherweise »herausgerechnet«, indem man für unterschiedliche Kulturen auch unterschiedliche Testnormen bestimmt. Werbung als wesentliches Marketinginstrument setzt in ihrer Wirkung voraus, dass bestimmte Gesetze der Informationsverarbeitung für die gesamte angesprochene Zielpopulation gültig sind. Wenn etwa die Regel gilt, dass bei einer seriellen Präsentation die ersten und letzten Inhalte besser © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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erinnert werden als die in der Mitte, dann sollte man davon ausgehen können, dass dies überall auf der Welt in etwa gleich ist. Aus diesem bekannten Effekt leitet sich die Empfehlung ab, in Werbespots die wichtigsten Informationen, etwa den Namen von Produkt oder Hersteller, an den Schluss zu platzieren (zum Überblick siehe Felser 2001). Tavassoli (1999) konnte allerdings zeigen, dass bei einer rein sprachlichen Präsentation die Erinnerungsleistungen von Chinesen und Amerikanern unterschiedlich stark von der seriellen Position der Informationen abhing. Während bei Amerikanern die Anordnung der Wörter verhältnismäßig eng mit der späteren Erinnerungsleistung zusammenhing, waren bei Chinesen die semantischen Zusammenhänge zwischen den Begriffen für die Erinnerung bedeutsamer. Betrachtet man die Anzeigengestaltung im Unterschied zum Werbespot, findet sich dort die Empfehlung, Informationen, die üblicherweise früh wahrgenommen werden, links oben zu platzieren (z. B. Meyer-Hentschel Management Consulting 1993). Diese Empfehlung jedoch beruht auf einem Effekt, der kulturell geprägt sein dürfte. Der theoretischen Annahme zufolge neigt der Betrachter entsprechend der Lesegewohnheit dazu, links oben mit der Betrachtung zu beginnen. Sollte nun der »eye-catcher«, etwa ein Bild, an anderer Stelle der Anzeige platziert sein, dann richtet sich der Blick automatisch darauf und kehrt dann in der Regel nicht mehr an den gewohnheitsmäßig davor liegenden Punkt zurück, so dass Inhalte links oben der Betrachtung verloren gehen. Diese Regel sollte nun freilich in solchen Kulturen nicht gelten, in denen die Leserichtung nicht links oben beginnt. Empirische Belege hierfür finden sich etwa für Japan, wo Betrachter von ihrer Lesegewohnheit her eher dazu neigen sollten, rechts oben mit der Betrachtung zu beginnen (Yamanake 1962). Wohlgemerkt: Hier mischen sich allgemeinpsychologische mit kulturspezifischen Befunden. In allen Kulturen wird man damit rechnen dürfen, dass ein Bild in der Anzeige den Blick auf sich zieht. Um aber den restlichen Anzeigenelementen eine Chance auf Beachtung zu sichern, wird man in unserem Kulturkreis das Bild eher links, im japanischen dagegen eher rechts oben platzieren. Ein anderes Wahrnehmungsmerkmal, das für die Werbegestaltung wesentlich ist, betrifft die emotionale Wirkung von Farben. Auch hier gibt es – neben einer Reihe von Gemeinsamkeiten – interkulturelle Unterschiede: Adams und Osgood (1973) berichten aus einer Untersuchung in 23 verschiedenen Kulturen von einer weitgehend einhelligen Bevorzugung von hellen gegenüber dunklen Farben. Aber auch bei der größten Übereinstimmung, nämlich der negativen Bewertung von Schwarz, fanden sich noch immer Ausnahmen (Hindus aus Delhi). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Soziale Kognition Etliche sozialpsychologische Techniken der Konsumentenbeeinflussung sind bereits interkulturell überprüft. Auch hier kann man davon ausgehen, dass die grundlegenden Prinzipien universell gelten. Gut nachgewiesen ist zum Beispiel die Gültigkeit von Konsistenzmechanismen (kognitive Dissonanz, Fuß-in-der-Tür-Technik), der Konsensheuristik (also der Neigung, eine Sache gut zu finden, nur weil andere sie gut finden) oder der Regel der Gegenseitigkeit (Cialdini 2001). Gleichwohl ist auch hier die jeweilige Kultur eine wichtige Moderatorvariable. Dass man Partner in einer Verhandlung durch Gefälligkeiten und Entgegenkommen unter den Druck der Reziprozitätsnorm stellen kann, gilt zwar überall, trotzdem ist der dabei empfundene Druck in den verschiedenen Kulturen unterschiedlich stark. Cialdini et al. (2001) konnten in einem Vergleich zwischen Polen und den USA zeigen, dass sowohl Konsensheuristik als auch Konsistenzprinzipien in beiden Kulturen eine Beeinflussungswirkung haben. Es zeigte sich allerdings auch hier eine Moderation des Effekts durch die Kultur: In Polen war die Bereitschaft größer als in den USA, sich im Sinne der Konsistenztheorien passend zu einem vorherigen Commitment zu verhalten. Die hier angesprochenen Beeinflussungsmechanismen wirken vor allem über die soziale Beziehung, etwa die Verkäufer-Kunde-Interaktion. In allen Kulturen spielt diese Beziehung für den Erfolg des Markthandelns eine wesentliche Rolle. In östlichen Kulturen wie China ist die soziale Beziehung sogar bedeutsamer als das Produkt, über das verhandelt wird. Die Beziehung selbst wiederum wird nach kulturspezifischen eigenen Regeln definiert, die wesentlich kohärenter sind, als dies in westlichen Kulturen üblich ist. Nach Befunden von Merrilees und Miller (1999) wird die VerkäuferKunde-Beziehung in westlichen Kulturen von verschiedenen, weitgehend unabhängigen Faktoren geprägt: »Gegenseitigkeit, Vertrauen, Freundlichkeit und gutes gegenseitiges Auskommen«. Östliche Kulturen unterscheiden demgegenüber weniger Beziehungsarten.

Ausblick Grundsätzlich wird man wohl sagen können, dass die Voraussetzungen zur Angleichung der Märkte immer besser werden, dass wir uns also auf einem Weg zu immer weiter gehender Homogenisierung befinden. Insofern stellt sich wohl weniger die Frage, ob sich die Märkte angleichen, sondern eher, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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welche Faktoren einer vollständigen Homogenisierung entgegenstehen und ein interkulturelles Marketing notwendig machen. Diese Faktoren bilden auch gleichzeitig das »Arbeitsfeld« für das interkulturelle Marketing. Für große Unternehmen wie etwa den Nestlé-Konzern macht längst der Umsatz im Heimatmarkt nur noch einen kleinen Teil des Gesamtumsatzes aus. In Deutschland wird zum Beispiel mindestens ein Drittel des Bruttosozialprodukts von der Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen ins Ausland bestritten (Müller u. Kornmeier 1995). Im Fall von IKEA beläuft sich der Anteil, den der chinesische Markt am globalen Umsatz ausmacht, zwar nur auf ein Prozent, aber wenn auf Dauer 20 Prozent der Weltbevölkerung von den Vorteilen schwedisch-westlicher Wohnkultur überzeugt werden können, dann wären auch dann noch riesige Gewinne zu erwarten, wenn auf den einzelnen Käufer weit unterdurchschnittliche Umsätze entfallen.

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4. Interkulturelle Wissenschaftskooperation

Vorbemerkung Schon die ersten Universitätsgründungen in Europa im 12. bis 13. Jahrhundert zeichneten sich dadurch aus, dass sowohl die Studenten als auch ihre Hochschullehrer europaweit Kontakte pflegten, Ideen austauschten, lehrend und lernend über die jeweiligen Herrschaftsgrenzen hinweg tätig waren. Wissenschaft als Handlungsfeld zur Erkenntnisgewinnung und Kooperation zwischen Wissenschaftlern war schon zu dieser Zeit sehr international ausgerichtet. In der Geschichte der modernen Wissenschaften, sowohl der Naturwissenschaften wie auch der Geisteswissenschaften, die sich in Europa und im europäischen Kulturkreis entwickelten und eine weltweite Verbreitung und Akzeptanz fanden, bildete sich allmählich die Überzeugung heraus, dass alles, was mit Wissenschaft zu tun hat, sowohl die wissenschaftliche Erkenntnis als auch das wissenschaftliche Handeln, selbst wertfrei sei und sich unabhängig von historischen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen vollziehe. Diese Debatte um die Wertgebundenheit beziehungsweise Wertfreiheit der Wissenschaft ist noch keineswegs beendet. Inzwischen hat die Internationalisierung vieler Lebens- und Gesellschaftsbereiche zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Menschen aus sehr unterschiedlichen Kulturen geführt. Im Bereich der berufsbedingten, grenzüberschreitenden Kooperation wächst die Einsicht, dass eine Sensibilisierung für die kulturbedingten Unterschiede im Denken, Empfinden und Handeln der Interaktionspartner und die Entwicklung einer entsprechenden interkulturellen Handlungskompetenz zentrale Voraussetzungen zum Erfolg sind. Konsequenterweise nimmt die Bereitschaft zur Absolvierung interkultureller Orientierungstrainings, zum Einsatz von auslandsbegleitenden interkulturellen Trainings und zur Teilnahme an Seminaren zur kulturallgemeinen und kulturspezifischen Sensibilisierung zu. Von Fach- und Führungskräften, besonders aus der Wirtschaft und aus den mit internationalen Problemstellungen befassten Bereichen der Gesellschaft, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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wird inzwischen die Ausbildung einer spezifischen Schlüsselqualifikation »Interkulturelle Handlungskompetenz« gefordert, um den wachsenden Anforderungen, die sich aus der Internationalisierung und Globalisierung ergeben, gerecht werden zu können. Das Praxisfeld der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit ist aber von dieser Entwicklung erstaunlicherweise nur wenig berührt. So gibt es bislang kein vergleichbares Interesse bei Wissenschaftlern, sich auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern spezifisch vorzubereiten. Zwar wird auch von Wissenschaftlern nicht selten über Probleme in der Zusammenarbeit geklagt, die eindeutig auf kulturbedingte Missverständnisse, Fehlinterpretationen des Partnerverhaltens und Diskrepanzen zwischen Erwartungen an den Partner und seinen Reaktionen beruhen, doch unterstellen Wissenschaftler, ob Natur- und Geisteswissenschaftler, offensichtlich immer noch, dass wissenschaftliches Handeln und wissenschaftliche Zusammenarbeit nach universellen Regeln funktioniert und keiner kulturspezifischen Beeinflussung unterliegt. So ist es nicht verwunderlich, dass noch zur Jahrtausendwende 2000 der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in seinem Jahresbericht anlässlich des 42. Kongresses seiner Gesellschaft unwidersprochen behauptet, »internationale Kooperation an gemeinsamen Forschungsvorhaben setzt gemeinsame Forschungsthemen voraus. Ich sehe nicht, dass es spezifische nationale Besonderheiten hinsichtlich der Forschungsthemen in der Psychologie gibt. Es gibt allenfalls unterschiedliche Gewichte und Prioritäten oder Traditionen hinsichtlich spezifischer Zugänge, Fragestellungen und Methoden . . . Die Psychologie als Wissenschaftsdisziplin ist universell, die großen Forschungsthemen werden weltweit behandelt und die Regeln für gute wissenschaftliche Praxis besitzen auch in der Psychologie weltweite Geltung« (Kluwe 2001, S. 9). Selbst Wissenschaftler, die zwar die Kulturbedingtheit wissenschaftlichen Arbeitens aus grundsätzlichen Erwägungen heraus akzeptieren, gehen womöglich in der konkreten Praxis ihrer grenzüberschreitenden Forschung davon aus, dass diese Einflussfaktoren zu vernachlässigende Größen sind, also weder den theoretischen noch den empirischen Teil des Forschungshandelns nachhaltig beeinflussen. Möglicherweise ist wissenschaftliches Handeln aber auch so sehr euro-amerikanisch, vom westlichen Denken und den Wertvorstellungen führender Industrienationen dominiert, dass sich eine Art universell gültiges und eventuell auch universell akzeptiertes, im Kern aber doch sehr kulturspezifisches Orientierungssystem in Form einer spezifischen wissenschaftlichen Systematik und Wissenschaftskultur durchgesetzt hat, der sich jeder, der heute international anerkannte Wissenschaft betreiben will, mehr oder weniger bedingungslos anpassen muss. Wissenschaftler aus Nationalkulturen, die diese als universell gültige Wissenschaftskultur selbst entwickelt haben, sowie Wissenschaftler aus Kulturen, die diesen sehr ähnlich © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sind, bemerken möglicherweise die Kulturbedingtheit ihres wissenschaftlichen Tuns überhaupt nicht (mehr), und Wissenschaftler aus anderen Kulturen sind aus Gründen der Akzeptanz und Anerkennung zur Anpassung (Überanpassung) gezwungen.

Die Problemlage Es besteht bislang offensichtlich bei Wissenschaftlern kein durchgängiges Interesse, sich auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern gezielt vorzubereiten. So gibt es beispielsweise kein einziges interkulturelles Trainingsprogramm, mit dem sie sich für die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus anderen Nationen und Kulturen die erforderlichen Kompetenzen aneignen könnten. Andererseits ist zu beobachten, dass sich immer mehr Forscher aus verschiedenen sozial- und gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen wie Wirtschafts-, Rechts-, Politik-, Geschichts-, Sprach- und Literaturwissenschaft sowie Pädagogik, Soziologie, Psychologie mit kulturvergleichenden Themen und mit Problemstellungen befassen, die sich aus der Internationalisierung und Globalisierung weiter Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ergeben. Genau dies aber erfordert vermehrt internationale Wirtschaftskooperation, und das auf hohem Niveau. Zudem führen die dabei gewonnenen Erkenntnisse bei ihnen immer häufiger zu der Einsicht, dass sie ihr eigenes wissenschaftliches Handeln im Zusammenhang mit internationalen Kooperationsprojekten selbst als kulturspezifisch determiniert betrachten müssen. Nur so können sie die Ressourcen, die ihre fremdkulturellen Partner in die Kooperation mit einbringen, ausschöpfen. Welche konkreten Anforderungen sich daraus ergeben, soll zunächst einmal an zwei unterschiedlichen Problemsituationen demonstriert werden.

Problemsituation 1: Die deutsch-französische Wissenschaftlertagung Ein deutscher Professor, der mit französischen Kollegen zusammenarbeiten will, berichtet: »Ich war von einer deutsch-französischen Organisation zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen beiden Völkern nach Paris eingeladen, um dort an einer Arbeitstagung zur Vorbereitung einer deutsch-französischen Wissenschaftlerkonferenz teilzunehmen. Ziel des Treffens, so war vorher © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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telefonisch vereinbart worden, sollte die Diskussion und Festlegung des Tagungsprogramms und begleitender Aktivitäten sowie die Auswahl der einzuladenden Teilnehmer auf deutscher und französischer Seite sein. Ich hatte bislang keine persönlichen Erfahrungen mit der einladenden Organisation gemacht und kannte weder die anderen Deutschen (zwei) noch die anderen französischen (drei) Sitzungsteilnehmer. Die Sitzung sollte vereinbarungsgemäß von 9.30 Uhr bis 18.00 Uhr stattfinden, was für mich bedeutete, einen Tag vorher mit dem Flugzeug anreisen zu müssen, um pünktlich sein zu können. Da ich mich wegen der mir unbekannten Ortsverhältnisse recht früh auf den Weg gemacht hatte, erreichte ich das Tagungsgebäude schon um 9.15 Uhr, meldete mich am Empfang an und erfuhr dort, dass die Sitzung wohl erst gegen 10.00 Uhr beginnen werde. Nachdem ich um ein Gespräch mit dem französischen Kontaktpartner noch vor der Sitzung gebeten hatte, wurde mir der Tagungsraum aufgeschlossen, und ich begann mit der Einarbeitung in meinen bereits fertig skizzierten Programmvorschlag, den ich der Arbeitsgruppe vorstellen wollte. Um 9.30 Uhr trafen die beiden deutschen Teilnehmer ein, um 10.05 Uhr der französische Kontaktpartner und gegen 10.30 Uhr schließlich die letzten französischen Teilnehmer. Die Sitzung begann um 10.40 Uhr mit einer kurzen persönlichen Vorstellung der Anwesenden und einer Einführung in die Ziele der geplanten Wissenschaftlertagung durch den französischen Tagungsleiter. Danach wurde ich gebeten, mich zu der geplanten Tagung zu äußern. Ich war froh, dass nun endlich gegen 11.00 Uhr die eigentliche Arbeitssitzung stattfinden konnte. Anhand einer vorbereiteten Folie mit einem ausgearbeiteten Tagungsprogramm (Referenten, Themenstellung, Zeitplanung, aufgeteilt in Vortragszeit, Diskussionszeit und Pausen) legte ich den versammelten Fachkollegen meine Vorstellungen von Zielen, Verlauf und Resultaten der geplanten Wissenschaftstagung dar. Während meines Vortrags fiel mir auf, dass nur ein Teilnehmer sich hier und da einige Notizen machte, die anderen mir aufmerksam und mit einer Mischung aus Erstaunen und Bewunderung zuhörten. Nach meinem etwa 40-minütigen Vortrag forderte der Tagungsleiter zur Diskussion auf, wobei ein französischer Teilnehmer mich bat, meinen Kulturbegriff und meine Vorstellungen von interkulturellem Lernen zu erläutern. Über diese Frage war ich sehr erstaunt, da ich schon zu Beginn meines Vortrags darauf speziell eingegangen war und meine Definition vorgestellt hatte. Nachdem ich nochmals kurz meinen Kulturbegriff und meine Definition von interkulturellem Lernen wiederholt hatte, entstand eine etwas längere Schweigepause. Es meldete sich niemand mehr zu Wort. Kurz darauf stellte ein französischer Tagungsteilnehmer an den Tagungsleiter die Frage: ›Wann gehen wir essen?‹ Der Tagungsleiter fragte zu© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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rück: ›Essen wir deutsch oder französisch?‹ Auf meine etwas erstaunte Frage, was denn das bedeute, wurde mir mitgeteilt, dass dies bei deutsch-französischen Arbeitsbesprechungen eine durchaus übliche Frage sei, die bedeutete, wenn man deutsch essen geht, bestellt man belegte Brote, verzehrt diese am Tisch und arbeitet weiter; französisch essen zu gehen aber bedeute, das nahe gelegene italienische Speiserestaurant aufzusuchen, was eine ausgezeichnete französisch-italienische Küche hat. Es wurde beschlossen, um 12.00 Uhr zum ›französischen‹ Essen aufzubrechen. Während des Essens wurden intensive Unterhaltungen gepflegt, die aber zu keiner Zeit einen Bezug zur Arbeitsthematik hatten. Um 15.00 Uhr schließlich wurde die Tagung fortgesetzt mit einer ausführlichen Diskussion darüber, wen man von französischer Seite zu der geplanten Konferenz einladen sollte. Die Diskussion wurde unter den französischen Tagungsteilnehmern sehr lebhaft und kontrovers geführt, und man einigte sich schließlich nach etwa einer Stunde auf die einzuladenden Personen. Die Tagungsorganisation wurde vertrauensvoll in die Hände der einladenden Institution gelegt, bis schließlich gegen 16.30 Uhr ein Tagungsteilnehmer bemerkte, dass er in fünf Minuten leider die Versammlung verlassen müsse, da er bei einer späteren Abreise zu lange im Pariser Feierabendstau stecken bleibe. Die noch verbleibende Zeit wurde zur Diskussion eines akzeptablen Termins für ein neues Treffen und einige organisatorische Details aufgewandt. Jedenfalls stand ich um 17.20 Uhr mitten in Paris an einer Metrostation und stellte mir die Frage, warum ich zwei Tage meiner Arbeitszeit für eine Arbeitstagung aufwende, um 40 Minuten lang auftragsgemäß ein von mir sorgfältig vorbereitetes Kongressprogramm vorzustellen, über das aber nicht diskutiert wird und dem auch von französischer Seite kein Gegenvorschlag gegenübergestellt wird. Zudem wurden aus meiner Sicht auf der Tagung eigentlich nur Belanglosigkeiten diskutiert, die so gut wie nichts mit dem vereinbarten Ziel zu tun hatten. Ich war enttäuscht darüber, dass hier eine Chance für eine produktive, sachliche Zusammenarbeit vertan worden war, und verärgert über die verlorene Zeit. Für mich war klar, die Franzosen sind nicht nur desinteressiert an dem, was ich als Deutscher vorschlage, sondern sie sind überhaupt nicht besonders an einer Zusammenarbeit mit Deutschen und schon gar nicht an der Durchführung einer deutschfranzösischen Wissenschaftlertagung interessiert. In einem späteren Gespräch mit dem französischen Tagungsleiter, in dem ich mich kritisch zu diesem ersten Treffen äußerte, wurde mir Folgendes erklärt: Über ein Zuspätkommen bei einem Arbeitstreffen würde sich in Frankreich niemand aufregen, wenn, wie in Paris, die Verkehrsverhältnisse für die anreisenden Teilnehmer nicht so gut kalkulierbar seien. Es sei für Franzosen höchst© 2005, ungewöhnlich, wenn man bei einer ersten ZusammenVandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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kunft, anstatt sich langsam kennen zu lernen und näher zu kommen, sofort mit einer rein sachbezogenen Präsentation beginnt. Kein französischer Teilnehmer komme auf die Idee, zu einer solchen Sitzung mit einer perfekt bis ins Detail ausgearbeiteten Vorlage zu kommen und diese zu präsentieren. Das wäre auch von mir nicht so erwartet worden. Für die französischen Teilnehmer sei mein Vortrag mit seiner Systematik und Detailliertheit zu einem Zeitpunkt, zu dem mich noch niemand gekannt hätte, ein Zeichen für die typisch deutsche Art (eindeutig negativ bewertet) gewesen, mit einer solchen Situation umzugehen. Deshalb habe sich auch niemand der französischen Teilnehmer von meinem Vortrag angesprochen gefühlt, darauf zu antworten oder eine inhaltsbezogene Diskussion zu beginnen. Aus französischer Sicht sei das eine durchaus sehr gelungene Arbeitstagung gewesen, da man sich kennen gelernt habe, viel miteinander gesprochen habe und mit der Überzeugung auseinander gegangen sei, dass es sich lohnen könnte, einmal eine deutsch-französische Wissenschaftlertagung zur interkulturellen Thematik zu starten. In diesem Gespräch ist mir bewusst geworden, wie weit Deutsche und Franzosen sich kulturell unterscheiden, und zwar in Verhaltensbereichen, in denen man bei benachbarten Völkern mit einer so langen gemeinsamen Vergangenheit überhaupt nicht mehr mit Unterschieden rechnet. Anschließend habe ich die französischen Tagungsteilnehmer bewundert, dass sie überhaupt mit einem Deutschen, der sich aus französischer Sicht in dieser Erstbegegnungssituation so unmöglich verhalten hat, wissenschaftlich kooperieren wollen. Im Lauf der Jahre haben mehrere deutsch-französische Wissenschaftlertagungen und vorbereitende Arbeitssitzungen stattgefunden. Fremdkulturelle Erfahrungen habe ich während dieser Konferenzen und Tagungen ständig machen können. Oft habe ich mich geärgert, wie wenig effektiv und sachbezogen in Frankreich geplant und gearbeitet wird, jedenfalls erschien mir das so. Allmählich aber wurde ich fähig, zwischen der deutschen und der französischen Perspektive ein und desselben Sachverhalts zu wechseln, und hier und da gelang es mir, ungewohnte Verhaltensweisen der französischen Partner als Bereicherung zu erfahren und partiell für mich zu übernehmen.«

Problemsituation 2: Das Interview als interkulturell problematische Kommunikationssituation Im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Titel »Handlungswirksamkeit zentraler Kulturstandards in der Interaktion zwischen Deutschen und Chinesen« (Thomas u. Schenk 1996) wurden chinesische Manager befragt, die längere Zeit© in Deutschland beruflich tätig waren und somit gut 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Deutsch sprachen und die inzwischen in deutsch-chinesischen Joint Venture beschäftigt sind. Das Ziel der Befragung bestand darin, über diese »interkulturellen Experten« zu erfahren, welche kulturbedingten Missverständnisse sie in der Zusammenarbeit mit Deutschen erfahren hatten. Im Rahmen teilstrukturierter Interviews sollten sie über ihre eigenen Erlebnisse und Beobachtungen im Umgang mit Deutschen berichten, bei denen sich die Deutschen anders verhalten hatten, als sie es erwarteten, und weshalb ihnen das Verhalten der Deutschen unverständlich und nicht nachvollziehbar gewesen war. Es wurden 15 Interviews mit Managern aus unterschiedlichen Unternehmen durchgeführt. Die deutschen Interviewer berichteten anschließend übereinstimmend, dass diese Interviewgespräche für sie außerordentlich schwierig gewesen seien. Sie hatten irgendwie das Gefühl, dass die Interviews zu recht unklaren Ergebnissen geführt hatten, ohne dass sie konkret sagen könnten, worauf sich dieses Gefühl stützt. Erst nach einer Inhaltsanalyse der transkribierten Interviewtexte zeigte sich, dass die chinesischen Partner sich intensiv darum bemüht hatten, diese für sie schwierige Fragestellung (Bericht über »kritische« Interaktionssituationen) zu umgehen, die Problemsituation, über die sie eigentlich berichten sollten, zu negieren und sich möglichst wenig auf irgendetwas problematisch Erscheinendes festzulegen. Die Interviews waren zwar mit dem Ziel geführt worden, von den befragten chinesischen Managern eigene Erlebnisse und Beobachtungen im Umgang mit Deutschen geschildert zu bekommen, doch im Lauf des Interviews veränderte sich das Gespräch unmerklich in eine Richtung, die dazu führte, dass die chinesischen Manager, nachdem sie offensichtlich gemerkt hatten, dass ein Ignorieren dieser problematischen Fragesituation unmöglich war, immer mehr über die Probleme Deutscher in der Zusammenarbeit mit Chinesen in Deutschland und China berichteten. Diese Erfahrungen wurden aber in einem sehr allgemeinen und unverbindlichen Niveau formuliert. Die in Tabelle 4 enthaltenen Aussagen unter dem Stichwort »Verhalten/Frage- und Antwortverhalten« sind Originaltexte aus einem Beispielinterview. Die Angaben unter dem Stichwort »Kognitionen (Intentionen, Attributionen etc.)« enthalten Vermutungen darüber, was sich der jeweilige Sprecher (deutscher Interviewer und chinesischer Interviewter) wohl gedacht hat. Diese Angaben stammen von einem deutschen und einem chinesischen Wissenschaftler, die sich in beiden Kulturen gut auskennen. Beide Beispiele zeigen, dass internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit in erheblichem Maß und für die beteiligten Personen meist unbemerkt vom jeweils kulturspezifischen Orientierungssystem, von dem die Wahrnehmung, das Denken, das Urteilen und das Verhalten beeinflusst werden, bestimmt sind. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Tabelle 4: Verhalten und Kognitionen beim Interviewen eines Chinesen durch einen Deutschen. Verhalten Frage- und Antwortverhalten

Kognitionen (Intentionen, Attributionen etc.)

Deutscher: »Mich interessieren Ihre eigenen Erlebnisse oder Beobachtungen im Umgang mit Deutschen, bei denen sich die Deutschen anders verhielten, als Sie es erwarteten, und was für Sie völlig unverständlich und nicht nachvollziehbar war.«

Deutscher: Ich spreche ihn als Experten für interkulturelle Probleme an. Er muss sie kennen, er wird sie mir schildern können. Chinese: Also, ich soll ihm von meinen Problemen mit Deutschen erzählen.

Chinese: »In der Tat, es gibt da einen großen Unterschied zwischen der deutschen Mentalität und der chinesischen Mentalität.«

Chinese: Probleme zwischen Deutschen und Chinesen auszubreiten, schickt sich nicht, ist unhöflich. Mich als so unwissend darzustellen, dass ich deutsches Verhalten nicht verstehe, will ich nicht und ist eine Zumutung. Eine allgemein gehaltene Zustimmung, dass es Unterschiede gibt, wird den Frager wohl schon zufrieden stellen, und das heikle Thema ist so erledigt. Deutscher: Er ist für mich der richtige Interviewpartner, nun geht er in die Details.

Deutscher: »Fällt Ihnen da eine konkrete Situation ein? Irgendetwas, was Sie selbst erlebt oder beobachtet haben?«

Deutscher: Jetzt geht es los! Chinese: Was soll die Frage? Der hat noch nicht verstanden, dass ich darauf im Detail nicht eingehen will und kann.

Chinese: »Im Moment nicht, nur generell so.«

Chinese: Das ist doch wohl deutlich genug, aber nicht unhöflich. Deutscher: Der hat noch immer nicht richtig verstanden, auf was ich hinaus will. Da muss ich etwas deutlicher werden.

Deutscher: »Wenn Sie vielleicht an Verhandlungen oder Besprechungen denken oder solche Bereiche.«

Chinese: Dem muss ich jetzt klarmachen, dass ich keine Probleme mit den Deutschen habe, damit er mich positiv einschätzt und mit der persönlichen Fragerei aufhört. Aber ich muss ihn auch höflich behandeln. (Fortsetzung S. 298)

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Fortsetzung von Tabelle 4 Verhalten Frage- und Antwortverhalten

Kognitionen (Intentionen, Attributionen etc.)

Chinese: »Ja, für mich ist das natürlich ersicht- Deutscher: Also er kann doch von andelich, weil ich 12 Jahre in Deutschland gewesen ren etwas berichten, wenn er selbst keine bin und die deutsche Mentalität ein wenig ken- Probleme hat. Jetzt nachfassen! ne, und ich bin selbst Chinese und kenne auch die Chinesen. Für mich ist das offensichtlich, aber für manche Chinesen, die noch nie in Deutschland gewesen sind und sich nur über die Sprache mit den Deutschen verständigen können, aber nichts von dem sozialen Hintergrund wissen, da gibt es in der Tat Probleme.« Chinese: Der Deutsche will einfach nicht Deutscher: »Haben Ihnen andere schon mal von solchen Problemen berichtet oder was wä- verstehen. Jetzt wühlt er schon wieder in re für Sie eine Situation, wo es für Sie ersicht- Problemen. lich wäre, und für jemand, der die Deutschen nicht so gut kennt, schwierig zu verstehen?« Chinese: »Ich kann Ihnen momentan kein kon- Deutscher: Der weicht mir wieder aus; kretes Beispiel nennen. Das fällt mir jetzt nicht aber so einfach kommst du mir nicht davon! ein. Es sind auch Kleinigkeiten, die im Alltag öfter passieren, das fällt auch nicht weiter auf. Denn was ist schon Missverständnis, ein Missverständnis ist der Schmierstoff des Lebens. Damit kann man durchaus leben.« Deutscher: »Aber es kann ja auch zu ernsthaften Missstimmungen kommen, wenn man etwas falsch versteht.« Chinese: »Mit Chinesen ist das nicht so leicht.«

Deutscher: Ich verstehe nicht, warum er meine konkreten Fragen nicht beantwortet. Warum weicht er immer aus? Versteht er immer noch nicht, worum es hier geht, will er es nicht verstehen oder will er nicht mit der Sprache heraus? Das ganze Drumherumgerede bringt nichts mehr. Ich werde das Interview wohl beenden müssen. Chinese: Wenn er schon nicht von der peinlichen und primitiven Fragerei lassen will, dann wäre es erträglicher, wenn die Probleme deutscher Manager im Umgang mit Chinesen angesprochen werden könnten.

Das Interviewthema verlagert sich nun mehr und mehr auf die möglichen Probleme deutscher Manager, mit der Lebens- und Arbeitssituation in China zurechtzukommen.

Erstaunlich ist, wie wenig dies bislang in der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit, und dies gilt auch für die Psychologie, bemerkt und reflektiert wurde, obwohl Muzafa Sherif schon 1936 auf dieses Thema aufmerksam gemacht hatte: »Die Psychologie hat zwar die individuellen Unterschiede bei© Reaktionen auf eine soziale Umwelt untersucht, sie hat 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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jedoch nie anerkannt, dass jeder von uns eine solche Umwelt nach seinen eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten wahrnimmt und dass Kulturgruppen sich unter Umständen deshalb im Verhalten unterscheiden, weil sie soziale Situationen grundsätzlich verschieden wahrnehmen.«

Kulturbedingt kritische Schnittstellen internationaler wissenschaftlicher Zusammenarbeit Kulturell bedingte kritische Schnittstellen in der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit entstehen nicht nur aus nationalkulturellen Quellen, sondern auch aus der Wirksamkeit unterschiedlicher Wissenschaftskulturen (s. Abb. 6). nationalkulturelle Ebene EMIC A

EMIC B

fachkulturelle Ebene KULTUR X

KULTUR Y “globale” Wissenschaftskultur

EMIC A/Z

EMIC B/Z

ETIC Z integrative Wissenschaftskultur

EMIC A

A

ETIC B Z

EMIC B

Abbildung 6: Konfligierende Kulturen in der internationalen wissenschaftlichen Zuammenarbeit

Zu unterscheiden ist zunächst einmal eine nationalkulturelle Ebene, auf der aufgrund des kulturspezifischen Orientierungssystems bestimmte Vorstellungen von Wissenschaft, wissenschaftlichem Arbeiten und dem wissenschaftlichen Umgang mit Gegenständen wissenschaftlicher Analyse so© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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wie der Dokumentation und Verbreitung der gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse bedeutsam sind. Auf einer nächsten Ebene sind kulturelle Faktoren zu berücksichtigen, die aufgrund der spezifischen Orientierungssysteme, die in den jeweiligen Fachdisziplinen ausgebildet worden sind, Einfluss nehmen. Naturwissenschaftlich experimentell, empirisch arbeitende Disziplinen entwickeln andere Orientierungsmuster im Hinblick auf wissenschaftliches Arbeiten, die Bewertung wissenschaftlicher Ergebnisse (Qualitätsmaßstäbe), die Entwicklung wissenschaftlicher Theorien und Erklärungsmodelle. Darüber hinaus kann man feststellen, dass sich weltweit eine allgemeine Wissenschaftskultur durchgesetzt hat, die – wenn auch weitgehend europäisch-angloamerikanisch dominiert – als weltweit anerkanntes, wissenschaftliches Arbeiten global anleitendes, organisierendes, bewertendes und strukturierendes Orientierungssystem herausgebildet hat (in Abb. 6 »ETIC Z«). Die in den jeweiligen Nationalkulturen ausgebildeten Vorstellungen von Wissenschaft sind sicherlich von diesem globalen Wissenschaftsverständnis geprägt, zumal viele der in diesem System tätigen Wissenschaftler in Europa oder in den USA studiert oder aufgrund europäischer und amerikanischer Studienmodelle und daran ausgerichteter Fachliteratur bei ihrem Studium in ihren Heimatländern von dieser globalen Wissenschaftskultur beeinflusst worden sind. Wenn beispielsweise auf einem internationalen Kongress für Kulturvergleichende Psychologie eine Gruppe koreanischer Forscher auftritt, die über Ergebnisse ihrer Untersuchung zum Selbst-Konzept in Korea berichten (»Relational self: an indigenous analysis of Korean students and adults«) und erklären, dass sie zur Datenerhebung und Datenanalyse ausschließlich US-amerikanische Methoden zur Erfassung von Selbst-Konzepten eingesetzt haben, und explizit darlegen, dass sie damit einen Beitrag zum ostasiatischen Konzept des Selbst leisten, dann ist diese Art von Forschung ein Beispiel dafür, wie mit einem Konzept »globaler Wissenschaftskultur« (»ETIC Z«) von Forschern gearbeitet wird, die, ohne sich dessen bewusst zu sein, in einer Wissenschaftskultur leben und arbeiten, die von nationalkulturellen und globalkulturellen Elementen bestimmt ist. Eine moderne, den globalen Anforderungen entsprechende wissenschaftliche Kooperationskultur muss demgegenüber von Personen realisiert werden, die fähig sind, aus ihrem nationalkulturellen Orientierungssystem heraus über einen bewusst kritischen Reflexionsprozess in Richtung auf die Herstellung einer beide Einzelkulturen übersteigenden und die als global angenommene Wissenschaftskultur mit berücksichtigende, neuartige integrative Wissenschaftskultur hin zu denken und zu handeln (in Abb. 6 »ETIC-Dreieck zwischen A, B, Z). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Konkrete Schnittstellenprobleme interkultureller Wissenschaftskooperation Auf der Basis der bislang relativ spärlichen Literatur über kulturell kritische Schnittstellen in der interkulturellen Wissenschaftskooperation (Bantz 1993; Bosley 1993; Sarapata 1985; Thomas u. Schenk 1996; Schroll-Machl 2001), den Ergebnissen einer Pilotstudie, in der 16 deutsche Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen über ihre Probleme in der internationalen Zusammenarbeit befragt wurden, sowie aufgrund meiner eigenen Beobachtungen und Erfahrungen in einer über 20-jährigen Forschungskooperation mit Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Kulturen lassen sich folgende für die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit relevanten, kulturell bedingt kritischen Schnittstellen definieren. Asymmetrische Kontingenzbeziehungen Die Dominanz der westlichen Wissenschaft, vor allem der US-amerikanischen Wissenschaft, bedingt durch eine Konzentration hoch qualifizierter Wissenschaftler in einem wissenschaftsförderlichen kulturellen, sozialen und ökonomischen Umfeld sowie vorhandenem Know-how und Kapitalpotenzial verursacht einen weltweiten Anpassungsdruck an das westliche/USamerikanische Wissenschaftssystem. Die Folge sind kritiklose Übernahme und Anwendung von im Westen entwickelten Forschungskonzepten, Theorien und Methoden seitens westlicher und nichtwestlicher Wissenschaftler, bedingungslose Anwendung dieser Methoden zur Gewinnung von wissenschaftlicher Reputation im Ausland und im eigenen Land sowie Anpassung an westliche Vorgaben, was Geld und Arbeitsplatzsicherheit verheißt. Wissenschaftsverständnis und Wissenschaftstradition Die Forscher in der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit bringen in der Regel eine von der Wissenschaftstradition ihres Heimatlandes geprägte Auffassung von Wissenschaft mit. Für Wissenschaftler aus westlichen Kulturen ist eher ein kausal-analytischer Erkenntnismodus vorherrschend, der ein Suchen, Definieren und Erklären von Ursache-Wirkungs-Verhältnis nahe legt. Wissenschaftler aus der asiatischen Wissenschaftstradition legen ihrem wissenschaftlichen Handeln eher einen induktiv-synthetischen Erkenntnismodus zugrunde, das heißt, sie suchen nach Interdependenzen zwischen den Phänomenen, betrachten die Naturgesetze und sozialen Systeme im Kontext eines Gefüges, das einer universellen Harmonie folgt. Auch die dem westlichen Wissenschaftsverständnis eigene scharfe Trennung zwischen Wissenschaftlichkeit und Nichtwissenschaftlichkeit ist ©für asiatische Wissenschaftler oft nicht recht nachvollzieh2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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bar, da sie das vom Eigenen Abweichende durchaus auch als Erweiterung, Ergänzung und Kontrastierung zum bisher Bestehenden ansehen können, zum Beispiel die Diskussion um moderne westliche und traditionelle chinesische Medizin (Liang 1993). Ein unterschiedliches Wissenschaftsverständnis kann sich auch in verschiedenen Arten der Repräsentation von Wissen äußern. So ist fraglich, ob eine fremde Kultur ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse überhaupt in Form schriftlicher Präsentation, beispielsweise als Fachtext – wie im eurozentrischen Wissenschaftsverständnis üblich –, darstellt oder andere Präsentationsformen entwickelt. Denkbar und beobachtbar sind zum Beispiel bildliche Darstellungen, Gesang, Erzählung oder Theater, wie beispielsweise in Form des balinesischen Tanztheaters, in dem mündliche und situativ überlieferte theatrale Formen der Präsentation von Wissen durch eine gelungene Interaktion mit dem Publikum und aufgrund des vorherrschenden Improvisationspotenzials vollzogen wird. Methoden der Datenerhebung und Datenanalyse Besonders für sozialwissenschaftliche internationale Kooperation, und hier besonders für die psychologischen Fragestellungen, gilt, dass bestimmte Mess- und Beobachtungsmethoden, die in einer spezifischen Kultur entwickelt wurden, nicht einfach in einer anderen Kultur eingesetzt werden können (Ingleby 1995). Über dieses Problem ist im Rahmen kulturvergleichender psychologischer Forschung intensiv gearbeitet worden. Viele Forscher plädieren dafür, dass, bevor psychologische Messmethoden in anderen, nichtwestlichen Kulturen eingesetzt werden, erst einmal die Handlungswirksamkeit von Reizen in fremden Kulturen näher untersucht wird (Boesch 1971). Als erster Schritt sollen demgemäß für jede Kultur beziehungsweise für jede indigene Psychologie die jeweils spezifischen eigenkulturellen Vorannahmen, Voraussetzungen und Konzepte reflektiert und explizit gemacht werden. Als nächster Schritt sollte ein interkultureller Dialog über relevante Vorannahmen geführt werden, so dass gemeinsame konsensuelle Aspekte des jeweiligen Untersuchungsgegenstands festgehalten werden können. Auf Basis dieser Gemeinsamkeiten wären dann Kriterien zu definieren, an denen psychologische Konzepte getestet werden können, mit dem Ziel, psychologische Theorien zu entwickeln, die transkulturell empirisch anwendbar sind. Kulturelle Normen Unter Forschern aus verschiedenen Kulturen und in wissenschaftlichen Arbeitsgruppen kann eine hohe Variabilität von wissenschaftlich relevanten Normen bestehen. Dies gilt selbst dann, wenn die Gruppenmitglieder über ein gleich hohes Ausbildungsniveau und ähnliche akademische Sozialisa© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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tionserfahrungen verfügen. Arbeits-, Konflikt- und Konversationsnormen, die in wissenschaftlichen Projektteams unterschiedlich ausgebildet sind, müssen reflektiert und konsensfähig gemacht werden (Bantz 1993). Kommunikationsstile Nationalkulturelle sowie wissenschaftskulturelle Unterschiede zeigen sich besonders deutlich in Vortragsstilen sowie in der Art und Weise, wie Forschungsanträge und Gutachten erstellt werden. So bewirkt beispielsweise ein mehr essayistischer Stil, der auf die Ästhetik der Sprache ebenso viel Wert legt wie auf den Inhalt, bei der Kommunikation und Präsentation von Forschungsergebnissen bei Wissenschaftlern, die es gewohnt sind, mit wissenschaftlichen Arbeiten einen nüchtern analytisch auf den Sachinhalt konzentrierten Kommunikations- und Präsentationsstil zu bevorzugen, eher eine negative Bewertung der wissenschaftlichen Qualifikation des Forschers und der Qualität der Forschungsergebnisse. Kulturbedingte Unterschiede sind zu beobachten in der Verwendung kritischer Bemerkungen zu Inhalt und Form von Forschungsanträgen (Gutachten) und Publikationen (Rezensionen) sowie zu der Frage, wann eine Forschungsarbeit so weit fortgeschritten ist und so viel inhaltlichen Tiefgang hat, dass sie zur Publikation reif ist. Bedeutsam ist, ob eher eine Konsens- oder eine Dissenskultur vorherrscht, ob eine im öffentlichen Raum stattfindende Kultur des Diskurses gepflegt wird oder ob nur im privaten Gespräch kontrovers diskutiert werden kann. Erhebliche Missverständnisse können aus verschiedenen kulturspezifischen Kommunikationsstilen resultieren. So lässt sich beobachten, dass Mitglieder aus Low-context-Kulturen (z. B. Deutschland und USA) mehr sprechen und ihren Zuhörern durch die gesprochenen Worte Orientierung geben, wohingegen in High-context-Kulturen (z. B. Japan und China) deutlich weniger gesprochen wird, dafür aber eine Interpretation von dem, was gemeint ist, und nicht von dem, was gesagt wird, erforderlich ist. Für diese Interpretation sind nonverbale Signale wichtig, deren Bedeutung man aber verstehen muss. Personen aus High-context-Kulturen fühlen sich nicht unwohl, wenn in einem Gespräch lange Schweigepausen entstehen oder auf bestimmte verbale Aktionen keine Reaktion erfolgt. Von Personen aus Low-context-Kulturen wird langes Schweigen oder Schweigen an bestimmten Stellen eines Ereignisprozesses fälschlicherweise als Passivität, Desinteresse oder Unfähigkeit der Partner aus High-context-Kulturen interpretiert (Bosley 1993). Sprache Meist einigen sich Forscher in einem internationalen wissenschaftlichen Projekt auf eine gemeinsame Arbeitssprache, zum Beispiel Englisch, dennoch © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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unterscheiden sich die Teilnehmer meist im Hinblick auf ihre Sprachkompetenz oder besser gesagt: Sprachperformanz. Gerade im Bereich geistesund sozialwissenschaftlicher Forschungskooperationen ist es schwieriger, komplexe theoretische Sachverhalte in einer fremden als der vertrauten Muttersprache darzustellen. Die Einbeziehung von Dolmetschern wäre zwar eine Lösung, führt aber in der Regel zu zusätzlichen Verstehensproblemen (Bantz 1993). Auch die Beherrschung einer Fremdsprache garantiert noch nicht automatisch eine unproblematische interkulturelle Verständigung über fachspezifische Inhalte. Erst Kenntnisse über die fremdkulturellen Kommunikationsregeln können Verständigungsprobleme minimieren. Wissenschaftliche Leistungen und ihre Bewertung In der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit entstehen nicht selten Missverständnisse und Probleme aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen über die Qualität und Bewertung von Leistungen (Bosley 1993). Nach westlichem Wissenschaftsverständnis wird Leistung daran gemessen, wie sehr sich ein Individuum von den anderen Gruppenmitgliedern abhebt, wie hoch das persönliche Engagement in der Arbeitsgruppe ist, wie gut sich jemand darzustellen versteht und in einer Konkurrenzsituation bewährt. Für Forscher aus anderen Kulturen, beispielsweise dem ostasiatischen Raum, werden gemäß dem Harmonieprinzip Leistungen vor allem daran gemessen, wie weit jemand zum Wohlergehen der Gruppe beigetragen hat, was er zum Erhalt der Harmonie und zum Abbau von Intragruppenkonkurrenzsituationen geleistet hat und wieweit es ihm gelungen ist, direkte Konfrontationen, zum Beispiel durch das Anbringen von Kritik und abweichenden Ansichten, zu vermeiden und Kohäsionskräfte zu fördern. Entscheidungsprozesse In westlichen Kulturen werden Entscheidungen bevorzugt individuell oder aufgrund eines demokratisch zustande gekommenen Mehrheitsvotums getroffen. In anderen Kulturen haben kollektive Entscheidungen, die nach dem Konsensprinzip entwickelt werden, den Vorrang. Schon allein daraus können in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit erhebliche Verständigungsprobleme, Unsicherheiten, Desorientierungen und Zeitverzögerungen entstehen. Einfluss durch Ideologien und politische Systeme Insbesondere wenn die Forschungstätigkeit eines wissenschaftlichen Mitarbeiters von politischen Gremien und politischen Repräsentanten im Hei© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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matland gefördert wird, kann dies dazu führen, dass unerwartete und negativ bewertete Forschungsresultate beschönigt oder eliminiert werden. Besonders dann, wenn Forschungsergebnisse zeigen, dass allgemein geteilte, religiös oder ideologisch verankerte Wertkonzepte in der Praxis nicht den Erwartungen entsprechen, werden nicht selten noch so sorgfältig erarbeitete wissenschaftliche Erkenntnisse dem Nationalstolz, dem Erhalt der Harmonie, den nationalen Überzeugungen, dem Gemeinwohl oder dem Anpassungsdruck gegenüber allgemein geteilten, wenn auch erwiesenermaßen wissenschaftlich falschen Überzeugungen geopfert. Beobachtungen aus der wissenschaftlichen Praxis zeigen, dass Daten, die das eigene Land oder die eigene Kultur in ein »negatives Licht« stellen könnten, ignoriert, geschönt und entsprechend den vorgegebenen Erwartungen uminterpretiert werden beziehungsweise dass auf entsprechende Befunde aggressiv reagiert wird (Sarapata 1985; Thomas u. Schenk 1996).

Statusprobleme In vielen Kulturen wird das wissenschaftliche Geschehen erheblich beeinträchtigt durch Status- und Hierarchiebeziehungen, die sich an der Herkunft, am Geschlecht, am Alter und an der akademischen Position orientieren. Wissenschaftler, die in internationalen wissenschaftlichen Projekten mitarbeiten, werden auf der Basis ihrer unterschiedlichen akademischen Positionen, die sie im Heimatland bekleiden, spezifische Erwartungen bezüglich ihres sozialen Status in der Projektgruppe ausbilden. Die sich daraus ergebenden Ansprüche an Macht, Einfluss, Entscheidungsgewalt und Führungsrollen können zu unerwünschten und unproduktiven Hierarchiebildungen innerhalb der Projektgruppe führen und die wissenschaftliche Produktivität erheblich beeinträchtigen.

Prozessdynamik wissenschaftlichen Arbeitens Ein markantes Beispiel für kulturbedingte Probleme bei der Anwendung von Methoden empirischer Sozialforschung ist der zu Beginn der Ausführungen dargestellte Prozessverlauf eines Interviews zwischen einem deutschen Interviewer und einem chinesischen Manager. Dabei hatte sich gezeigt, dass die in der sozialwissenschaftlichen Forschung gut eingeführte und häufig praktizierte Methode des teilstrukturierten Interviews, die den zu Befragenden ein Maximum an Spielraum zur Äußerung eigener Erfahrungen, Einstellungen, Gedanken und Gefühle einräumt, keineswegs eine relativ »harmlose« Methode zur Erfassung psychischer Prozesse (Kognitionen, Emotionen, Intentionen etc.) bei allen möglichen denkbaren Themenkomplexen ist, sondern durchaus sehr © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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konkreten kulturspezifischen Einflussfaktoren und Restriktionen unterliegt. Für Menschen aus dem ostasiatischen Kulturkreis ist es von zentraler Bedeutung, dafür Sorge zu tragen, dass ein hohes Maß an sozialer Harmonie in der zwischenmenschlichen Begegnung hergestellt wird. Über Probleme in der interpersonalen Begegnung zu sprechen, sie zu thematisieren und vertiefend zu erörtern, ist für Chinesen ein Verstoß gegen die Etikette, kann »Gesichtsverlust« bedeuten, führt zu Peinlichkeiten und aktiviert Gefühle von Unsicherheit, Angst und Scham. Die Beteiligung an einem solchen Gespräch, selbst wenn sie im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung stattfindet, wird als so unangenehm empfunden, dass in hohem Maß mit Vermeidungsverhalten reagiert wird (Schweigen, Negieren, Verharmlosen, Bezugs- und Themenwechsel). Der chinesische Manager im oben dargestellten Beispiel hat im Verlauf des Interviews das ihm verfügbare kulturspezifische Problembewältigungsrepertoire eingesetzt, um diese peinliche Situation zu meistern. Der deutsche Interviewer hat zwar erspürt, dass der Interviewverlauf nicht so recht seinen Erwartungen und Gewohnheiten entsprach, ohne aber zu erkennen und angeben zu können, worin die Störung bestand. Im Vergleich zu Fragebogenuntersuchungen wird hier der Vorteil des teilstrukturierten Interviews wirksam. Der Interviewer merkt aus dem Reaktionsverhalten der Interviewpartner, dass etwas nicht stimmt. Was nicht stimmt und worin sich das begründet, wird aber auch ihm im Interview nicht evident, lässt sich aber aus einer detaillierten Inhaltsanalyse des Gesprächsverlaufs ermitteln. Genau das aber ist beim Einsatz von Fragebögen nicht möglich. Die Resultate selbst einer solchen interviewgestützten Befragung sind eher als Artefakte denn als wissenschaftliche Erkenntnisse zu interpretieren, weil die themenbezogenen Aussagen des Interviewten konfundiert sind mit kulturspezifischen Verhaltens- und Interpretationsgewohnheiten im Kontext der Befragung über »kritische Interaktionssituationen«, im vorliegenden Fall eben zwischen Deutschen und Chinesen. Erfahrungsberichte, die bedauerlicherweise nur sehr spärlich vorhanden sind, zeigen, dass in allen Phasen der wissenschaftlichen Zusammenarbeit, zum Beispiel Konzeptentwicklung und Auswahl der Methoden, Erhebung des Datenmaterials, Verfahren der Datenanalyse, Befundinterpretation bis hin zur Publikation der Ergebnisse, kulturbedingte Missverständnisse und Probleme auftreten können (Bantz 1993).

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Konsequenzen für die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit Es ist an der Zeit, dass auch in der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit ein dem Anspruch wissenschaftlichen Arbeitens angemessenes Qualitätsniveau interkultureller Handlungskompetenz erreicht wird. Dazu sind wissenschaftliche Arbeiten und darauf aufbauende praktische Konsequenzen, wie zum Beispiel die Entwicklung interkultureller Sensibilisierungstrainings, Orientierungstrainings für die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus spezifischen Kulturen und Orientierungstrainings für die Zusammenarbeit mit plurikulturell zusammengesetzten Forscherteams erforderlich. Daraus ergeben sich im Wesentlichen drei zentrale Konsequenzen: – Kulturvergleichende und interkulturelle Forschung erfordert ein Forscherteam, in dem Wissenschaftler aus den betroffenen Kulturen zusammenarbeiten. – Die wissenschaftliche Zusammenarbeit in einem internationalen Forscherteam ist oft von einer Fülle interkultureller Probleme beeinflusst. Dies ist den Teammitgliedern zwar nicht bewusst, doch leiden sie und leidet ihre Arbeit darunter. Deshalb müssen sie interkulturelle Kompetenz zur Problembewältigung entwickeln. – Eine produktive wissenschaftliche Zusammenarbeit in einem gemischtkulturellen Forschungsteam ist nur möglich, wenn sich die beteiligten Personen Zeit nehmen und Anstrengungen aufwenden, ihre kulturspezifischen Vorstellungen von den im jeweiligen Projekt vorzuherrschenden wissenschaftlichen Standards, wissenschaftlichen Methoden, wissenschaftlichen Operationen, dem Einbringen von Ressourcen und dem Umgang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu thematisieren, zu diskutieren und – wenn möglich – aufeinander abzustimmen, zumindest aber zur Kenntnis zu nehmen und einer gegenseitigen Wertschätzung zu unterziehen.

Literatur Bantz, C. R. (1993): Cultural diversity and group cross-cultural team research. Journal of Applied Communication Research 21(1): 1–20. Boesch, E. E. (1971): Zwischen zwei Wirklichkeiten. Prolegomena zu einer ökologischen Psychologie. Bern. Bosley, D. S. (1993): Cross-cultural collaboration: Whose culture is it, anyway? Technical Communication Quarterly 2(1): 51–62. Ingleby, D. (1995): Problems in the study of the interplay between science and cul© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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ture. In: Goldberger, N. R. (Hg.), The Culture and Psychology Reader. New York, S. 108–123. Kluwe, R. H. (2001): Zur Lage der Psychologie: Perspektiven der Fortentwicklung einer erfolgreichen Wissenschaft. Psychologische Rundschau 52(1): 1–10. Liang, Y. (1993): Fremdheitsproblematik in der interkulturellen Fachkommunikation. In: Albrecht, C.; Wierlacher, A. (Hg.), Kulturthema Fremdheit: Leitbegriffe und Problemfelder kulturwissenschaftlicher Fremdheitsforschung. München, S. 153–171. Sarapata, A. (1985): Researchers’ habits and orientations as factors which condition international co-operation in research. Science of Science 3(5): 157–182. Sherif, M. (1936): The Psychology of Social Norms. New York. Schroll-Machl, S. (2001): Businesskontakte zwischen Deutschen und Tschechen. Sternenfels. Thomas, A.; Schenk, E. (1996): Abschlussbericht zum Forschungsprojekt: Handlungswirksamkeit zentraler Kulturstandards in der Interaktion zwischen Deutschen und Chinesen. Regensburg. (Unveröffentl. Manuskript)

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Alexander Loch/Gerhard Seidel

5. Interkulturelle Entwicklungszusammenarbeit

Entwicklungszusammenarbeit (EZ), also die Kooperation mit Ländern und Regionen, die bis in die neunziger Jahre noch gemeinhin als »Dritte Welt« (Nohlen u. Nuscheler 1992) bezeichnet wurden, ist per se schon interkulturell: Wenn das Deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) oder irgendein anderer der vielen Akteure im entwicklungspolitischen Umfeld mit Partnern in Übersee entwicklungsorientiert zusammenarbeitet, so begegnen sich über längere Zeiträume regional äußerst entfernte Kulturen. Der zu überbrückende »cultural gap« hat in diesen Kontexten oft eine andere Qualität als beispielsweise bei deutsch-französischen oder deutschamerikanischen Kontakten. Wer als deutscher Agrarexperte mit illiteraten Bauerngruppen im Himalaya nachhaltige Ressourcenschutzprogramme implementiert, als Berater für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) südlich der Sahara Aids-Projekte unterstützt oder in Kolumbien im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes Mediationsaktivitäten begleitet, begibt sich im Moment seiner Ausreise in Handlungsfelder zugespitzter Fremdartigkeit. In der Zentralstelle für Auslandskunde der Deutschen Stiftung für Internationale Entwicklung (DSE) in Bad Honnef bereiten sich Fach- und Führungskräfte von Organisationen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und ihre Familienangehörigen auf Ausreise, Leben und Arbeit in einem Entwicklungsland vor. Die nachfolgenden Überlegungen zur Interkulturellen Kommunikation und Kooperation basieren auf den institutionellen Erfahrungen der Autoren mit spezifischen Trainingsprogrammen in der DSE.

Entwicklungspolitische Leitgedanken Die Berücksichtigung der kulturellen Dimension gilt als eine Grundvoraussetzung für den nachhaltigen Erfolg von Entwicklungszusammenarbeit. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Ihre Veränderungsprozesse sind wie wirtschaftliche Aktivitäten in kulturell bedingte Wertvorstellungen eingebettet (Weiss 1999). Da Entwicklungszusammenarbeit nicht in einem sozialen Vakuum stattfindet, ist Beratung, Know-how-Transfer, Management oder partizipative Projektarbeit immer eine Begegnung von Menschen, deren Denken und Verhalten kulturellen Mustern folgt. Interkulturelle Kompetenz ist daher eine Schlüsselqualifikation für globales Handeln und nachhaltige Kooperation in entwicklungspolitischen Kontexten. Das Spezifische der interkulturellen Kommunikation in der Entwicklungszusammenarbeit liegt zum einen darin, dass – anders als in der Wirtschaftskommunikation – implizit immer ein »Partnerschafts«-Gedanke mitbewegt wird. Während der »Global Player« in Business-Kontexten die Effizienz seiner interkulturellen Kommunikation in direktem Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Erfolg seiner Geschäftsabschlüsse sieht, ist interkulturelle Kommunikation im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit an den Leitideen der Armutsminderung, des Respekts vor und der Empathie für andere Kulturen sowie an einer partnerschaftlichen Grundhaltung in der Zusammenarbeit orientiert. Entwicklung meint »die Verbesserung der Situation von Menschen gemäß ihren eigenen Kriterien und Zielen vor dem Hintergrund einer gemeinsamen globalen Verantwortung« (Bliss u. Schönhuth 2002). Dies setzt unter anderem voraus, dass die ausreisenden Fachkräfte die kulturelle Bedingtheit ihrer eigenen Wert- und Orientierungssysteme wahrnehmen und lernen, andere Denk- und Verhaltensmuster der Partner vor dem Hintergrund des jeweiligen kulturellen Kontextes besser zu verstehen. Nur durch das Verständnis und die Akzeptanz der Handlungsmotivationen der Partner können für beide Seiten befriedigende und nachhaltige Lösungen von Problemstellungen erarbeitet werden. Eine weitere Besonderheit interkultureller Kommunikation in entwicklungspolitischen Praxisfeldern ist eine – im eigentlichen Sinne des Wortes – »exotische«: Ohne leichtfertig »Kulturen« mit Nationalstaaten vermischen zu wollen, geschweige denn einen naiv objektivistischen Kulturbegriff zu bemühen, kann doch konstatiert werden, dass der überwiegende Teil aller in den Human Relation Area Files (HRAF) gelisteten weltweiten »Kulturen« sich in den nationalstaatlichen Grenzen von Ländern befindet, die das Development Assistant Committees (DAC) zu den »Developing Countries« zählt. Zwischen EZ-Fachkräften und indigenen Gruppen, meist in der Peripherie von Entwicklungsländern, finden anhaltende interkulturelle Begegnungen statt, von denen sonst allenfalls noch Missionare und Feldforscher berichten könnten. Von den gegenwärtig 190 Mitgliedsstaaten der United Nations sind die meisten Entwicklungsoder Transformationsländer. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Der nordamerikanische und europäische interkulturelle Diskurs vernachlässigt diese Tatsache für gewöhnlich. Ein Kontinent wie Afrika, der – von Südafrika abgesehen – hinsichtlich der meisten Entwicklungsindikatoren (Bruttosozialprodukt, Kindersterblichkeit, Zugang zu Trinkwasser, Lebensqualitätsindex etc.) weltwirtschaftlich marginalisiert ist, ist aus inter-kultureller Perspektive (eben aufgrund seiner kulturellen Vielfältigkeit) sehr »reich«. Solcherlei Mannigfaltigkeit ist nun keineswegs ethnologische Liebhaberei. Im Kontext von Interkulturellen Trainingsmaßnahmen in der Entwicklungszusammenarbeit sind die Differenzierung und Komplexität kultureller vielfältigster Lebensformen in Regionen, die weithin medienvermittelt als homogen wahrgenommen werden (»Afrika – der Schwarze Kontinent«), eine besondere Herausforderung. Adäquate interkulturelle Trainingsprogramme sind somit in der DSE überhaupt nur durch die aktive Mitarbeit von Trainern und Trainerinnen aus Lateinamerika, Westafrika, Afrika südlich der Sahara, Pazifik, Süd- und Südostasien (d. h. aus Schwerpunkt- und Partnerländern des BMZ) realisierbar.

Trainingsphilosophie Das einwöchige Vorbereitungsprogramm »Interkulturelle Kommunikation und Zusammenarbeit« (IKZ) strebt eine ganzheitliche Entwicklung an. Zum einen wird kognitiv ein Orientierungssystem aufgebaut, was durch Wissenserwerb, aber auch Umstrukturierungen (»Reframing«) gelingt. In diesem Zusammenhang wird während des Trainings anfangs vor allem mit vergleichenden Kulturkontrastierungen gearbeitet. Auslandserfahrene Teilnehmerinnen und Teilnehmer (nachfolgend geschlechtsneutral als TN abgekürzt) erhalten die Möglichkeit, aus einer erweiterten Perspektive über eigene bisherige kulturelle Erfahrungen zu reflektieren. Sie können die schon im Ausland erlebten Situationen und die Wahrnehmung ihrer Rolle darin dahingehend überprüfen, ob die damaligen Handlungen kontextangemessen waren. Im Programm sind weiterhin gruppendynamische und »außerfachliche Effekte« beabsichtigt. Das Lernsetting ist so gestaltet, dass es den Faktor »Mensch« anspricht und zeitweilig als »Entschleunigungsoase« erlebt wird (was sich für den Umgang mit Zeitkonzepten vieler Entwicklungsländer als ebenso wichtig wie fachliches Know-how herausstellte). Im Mittelpunkt steht also nicht ausschließlich die Vermittlung fremdkultureller Realität (oder gar eine Rezeptologie zum »richtigen« Umgang mit »Afrikanern, Asiaten, Latinos, Orientalen« u. a.). Auch ist keine Kom© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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pensation von vermeintlichen Verhaltensmängeln oder kognitiven Defiziten der TN intendiert. Vielmehr liegt dem Programm ein selbstaktualisierendes, wachstums- und ressourcenorientiertes Menschen- und Teilnehmerbild zugrunde. Neben dem expliziten Curriculum existiert auch ein unausgesprochenes, das unter anderem Aspekte der Hinterfragung deutscher Selbstverständlichkeiten oder die Einübung von Empathie umfasst: Zuhören können, Schwächen zugeben, Ängste artikulieren, zaghaftes Ausprobieren unvertrauter Verhaltensweisen in einem hierarchiefreien Raum sollen ermöglicht werden. Gelingt durch das Programm die Etablierung eines solch vertrauensbildenden Austauschs, so ergibt sich meist eine (intendierte) Weiterführung der angestoßenen Thematiken auch in informellem Rahmen der Tagungsstätte, in der sich die Seminarteilnehmer in der Regel zur anschließenden Sprachvorbereitung für mehrere Wochen aufhalten.

Zielsetzung Das primäre Ziel des Programms »Interkulturelle Kommunikation und Zusammenarbeit« ist eine Erweiterung der interkulturellen Handlungskompetenzen der TN. Sie nehmen die kulturelle Bedingtheit eigener Wertund Orientierungssysteme wahr und lernen, fremde Denk- und Verhaltensmuster der Partner besser zu verstehen. Sie setzen sich aktiv mit interkulturellen Kommunikations- und möglichen Konfliktformen in Alltag und Arbeitswelt auseinander und üben, damit konstruktiv umzugehen. Davon ausgehend, dass Menschen, die zur Vorbereitung in die Zentralstelle für Auslandskunde kommen, in ihrer bisherigen Enkulturation und Sozialisation bereits ein erhebliches Maß an sozialer und intrakultureller Kompetenz erworben haben, ist das Training weder als purer DiversityGrundkurs, noch als Anti-Rassismus- oder als reines Culture-AwarenessProgramm angelegt. Vielmehr kann von einer vorhandenen generellen Sozialkompetenz und einer zumeist partiellen interkulturellen Handlungskompetenz – erworben durch vorherige Auslandsaufenthalte und geprüft in den Personalauswahlverfahren der Entsendeorganisationen – ausgegangen werden. Sie stellt eine wichtige Ressource dar, mit der im Trainingsverlauf gearbeitet werden kann. Das Programm zielt auf die spezifische Erweiterung des eigenen Verhaltensrepertoires der TN ab. Die Potenziale partnerschaftlichen Zusammenarbeitens sollen erfahr- und konkretisierbar werden. Interkulturell erfolgreiches Handeln in der EZ ist eine Mischung aus © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Sachkompetenzen (wozu neben landeskundlichen, sprachlichen und entwicklungspolitischen Fachkompetenzen auch kulturstrategische Alltagskompetenzen zählen) und Sozialkompetenzen (z. B. Kommunikations-, Team- und Streitfähigkeit, Empathie), aber auch Selbstkompetenzen (z. B. Selbstreflexion, Selbstvertrauen und Selbstregulierung). Der Kompetenzbegriff verleitet dazu anzunehmen, man müsse lediglich punktuelle Defizite kompensieren – doch Ziel des Kurses ist gerade nicht eine einzelheitliche, symptomorientierte Strategievermittlung, sondern vielmehr ein ganzheitlicher Reflexions- und Weiterentwicklungsprozess in Richtung einer Art »fully functioning intercultural personality«. Wer seine Partner in einem Entwicklungsland verstehen, akzeptieren und beraten will, muss zunächst ein Gespür und Wissen für seine eigene kulturelle Verfasstheit entwickelt haben. Auf Anfrage der Entsendeorganisationen liegt ein neuer Schwerpunkt des interkulturellen Trainings für Entwicklungsländer auf Managementbezogenen Aspekten (Motivation von Mitarbeitern, Führungsverhalten u. a.). In diesem Sinne werden derzeit berufsfeldspezifische Materialien erarbeitet (beispielsweise zum interkulturellen Management in der öffentlichen Verwaltung). Einige Modifikationen in der Zielsetzung und Durchführungspraxis ergaben sich weiterhin in den letzten Jahren durch die speziellen Erfordernisse für Fachkräfte des Zivilen Friedensdienstes (ZFD): War »Konflikt« bei der interkulturellen Begegnung seit jeher schon strukturell und damit ein nicht wegzudenkender Themenkomplex bei der Vorbereitung, hat sich die Anforderung an kultursensible Konfliktarbeit – gerade auch in Antizipation möglicher unerwünschter Nebenwirkungen der EZ (paradigmatisch meist als »Do no harm« diskutiert) – nun solchermaßen verschärft, dass dazu Spezialprogramme entwickelt wurden.

Methodik und Inhalte Das Trainingsprogramm von »Interkulturelle Kommunikation und Zusammenarbeit« ist handlungsorientiert, da es auf konkrete Praxisanforderungen vorbereiten will. Es bleibt nicht bei einer ausschließlich theoretischen Reflexion von kultureller Diversität stehen, sondern vermittelt flexible Handlungsstrategien zur Orientierung und Bewältigung typischer interkultureller Begegnungssituationen. Die methodische und inhaltliche Gestaltung hat sich in den letzten Jahren verstärkt von etablierten Ansätzen, wie sie zum Beispiel von Thomas © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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(1996) oder Hofstede (1993) vertreten werden, wegbewegt und eher postmoderne, konstruktivistische und akkulturationstheoretische Impulse von internationalen Autoren verschiedener Disziplinen (Ethnologie, Psychologie, Soziologie, Linguistik, Entwicklungsländerforschung) aufgegriffen und in einem neuen Rahmenkonzept vereinheitlicht. Die kommunikativ-verhaltensbezogene Dimension begründet, warum es sich bei dem Programm »Interkulturelle Kommunikation und Zusammenarbeit« im weiteren Sinne um ein »Training« handelt: Situations- und kulturangemessenes Verhalten wird in interkulturellen Rollenspielen aktiv eingeübt. Typen von Kommunikationsproblemen in Kontaktsituationen können nicht nur theoretisch diskriminiert und benannt werden, sondern Lösungsstrategien werden probehandelnd in Szene gesetzt. Hierbei kommt dem Regionaltrainer in dem bikulturellen Trainertandem eine wichtige Rolle zu. In ausgewählten Inszenierungen kann der Umgang mit der anderen Seite des Kontrastierten erprobt werden. Im Idealfall merkt der TN dann, wie er unter Stress und Zeitdruck auf sein »kulturelles Heimatgebiet« rekurriert. In der Seminarsituation findet bereits reale interkulturelle Kommunikation statt. Die Themen von Fallstudien und critical incidents sind aus der Praxis für die Praxis entstanden und damit eine Leitlinie für die Seminarkonzeption und Verpflichtung der Trainer. Im geschützten Rahmen können neue Handlungsmuster – zum Beispiel für den Umgang mit (vermeintlicher) Korruption oder einer plötzlichen Straßenblockade zur Landeshauptstadt – ausprobiert werden. Die alltägliche Performanz eingeübter Strategien wird dabei nie völlig über Bord geworfen. Jedoch gelingt probeweise in Rollenspielen ein reversibler Perspektivenwechsel und die antizipatorische Auseinandersetzung mit diffus bedrohlichen oder uneindeutigen Situationen (z. B. Umgang mit indirekter Kritik am »reichen, technologisierten Deutschen«), die danach »bearbeitbarer« werden. Die Auswahl der thematischen Schwerpunkte folgt den Erkenntnissen aus xenologischer Forschung und entwicklungspolitischer Praxis. Statt zur Sensibilisierung »imaginäre Kulturen« zu simulieren (wie in den Anfangsstadien der Vorbereitung von Entwicklungshelfern keineswegs unüblich), wird mit realen kritischen Situationen, die empirisch belegt sind, gearbeitet. Das ist nicht nur ökonomisch, sondern erleichtert den Lerntransfer. Das Kulturverständnis variiert zwischen den Trainern, ähnelt aber tendenziell einem dynamischen Modell (Leenen et al. 2002) zur interkulturellen Kompetenz in der Sozialen Arbeit. Thematische Klassiker sind unter anderem: – Erstkontakte mit verschiedenen Partnern (Antrittsbesuch, Ministerien, Kirchen etc.), – Know-how-Transfer (gerade auch im Kontext partizipativer Verfahren), – Kommunikation in Behörden, beim Zoll, in Ministerien etc., © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Gespräche mit Hausangestellten, Konflikt- und Problemlösungsverhalten, Planungen und Verhandlungen; Meetings, Geschlechterrollen, Korruption, Zeitbegriffe, die Reflexion und Herausbildung eines Berufsethos, Deutsche/Europäische Communities, Anpassungsschwierigkeiten (v. a. auch bei mit ausreisenden Familienmitgliedern), – Stereotypenbildungen, – Umgang mit Bedrohungssituationen, – Zwickmühlen partnerschaftlicher Kooperation (z. B. Prozessorientierung versus Implementierungsdruck).

Bearbeitet wird, was für den Alltag der Entwicklungszusammenarbeit bedeutsam ist. Da Fachkräfte der Entwicklungszusammenarbeit heute überwiegend in beratender Funktion tätig sind, ist vor allem Rollenklärung mit dem einheimischen Partner unter Berücksichtigung des jeweiligen kulturellen Kontextes ein wichtiges Themenfeld. Dabei gilt es, die Seminarteilnehmer darin zu unterstützen, sich auf unterschiedliche und kulturell bedingte Beratungsverständnisse einzustellen. Ein situationsgerechtes Wahrnehmen und Überprüfen sowie eine zielorientierte, kulturadäquate Anpassung ihres zukünftigen Beratungshandelns soll gefördert werden. Weiterhin werden Aspekte des interkulturellen Managements bei der Umsetzung und Zielerreichung von Projektaufgaben wie die Gestaltung interkultureller Teamarbeit, Strategien partizipativer Entscheidungsfindung, kultursensible Personalführung und interkulturelle Verhandlungsführung bearbeitet. Durch das Programm wird eine zunehmende mentale Orientierung in den sozialen Systemen der Gastlandregion intendiert. Orientierung wird nicht durch Anekdoten und repzeptologische Aneinanderreihung von »do’s and dont’s« beim Brunnenbau erreicht, sondern durch maßvolle Komplexitätsreduktion und Herausarbeiten von Strukturen, die den meisten interkulturellen Begegnungssituationen zugrunde liegen. In der abschließenden Querschnittsanalyse – einer zusammenfassenden Auswertung aller im Kursverlauf erstellten und visualisierten thematischen Essentials im Contrast-Culture-Modus – werden auf einem mittleren Abstraktionsniveau die Ergebnisse vereinheitlicht und die zugrunde liegende kulturelle Logik herausgearbeitet. Der TN erkennt, dass die einzelnen Inhaltsfelder nicht zusammenhanglos nebeneinander stehen – also zum Beispiel Zeitbegriffe durchaus etwas © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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mit Religion zu tun haben können, die sich ihrerseits auf das Arbeitsverhalten auswirkt, welches wiederum von den Zeitbegriffen mitbestimmt ist –, sondern ein kohärentes System bilden. Ein Orientierungssystem kann sich aufbauen. Im Idealfall gelingt dabei ein phänomenologisches Vorgehen: Die Beschreibungsbegriffe bei den Auswertungen werden zum Erklärungsvokabular: Eine Flipchart zum Thema »Antrittsbesuch« hält die emotionalen Anteile der Teilnehmerperspektive mit den Worten fest: »Der (Asiate) wollte überhaupt nicht zur Sache kommen!«, derweil der Regionaltrainer kontrastiv erlebte: »Der (Deutsche) war überhaupt nicht an einer Beziehung zu mir interessiert«, eignet sich zur Herausstellung des Gegensatzpaars: Sachorientierung versus Beziehungsorientierung. Contrast Culture entspricht dabei unserem deutschen Stil der Informationsstrukturierung, nämlich der Polarisierung in Oben und Unten, Schwarz und Weiß, Soll und Haben, arm und reich, entwickelt und rückständig. Genau dieser dichotome Reduktionsmodus muss nun seinerseits aufgedeckt werden, um nicht bei simplifizierter Kontrastierung stehen zu bleiben, die in Stereotypen enden kann. Hier tritt wieder der Regionaltrainer aus dem Entwicklungsland auf den Plan: Im Identifikationsprozess mit seinen bikulturellen Anteilen merken die TN, wie weit die vereinfachte Kontrastierung trägt; in einem gleichberechtigten wertschätzenden Umgang der beiden Trainer unterschiedlicher Herkunft wird ein Exempel des interkulturellen Umgangs statuiert (Modelllernen).

Multimediale Trainingsmaterialien zur Entwicklungszusammenarbeit Die sprachliche, landeskundliche und interkulturelle Vorbereitung in der Zentralstelle für Auslandskunde bedient sich vielfältiger multimedialer Trainingsmaterialien, die zum Teil auch intern entwickelt werden. Öffentlich zugänglich sind im Internet die regelmäßig aktualisierten Landeskundlichen Informationsseiten (http://www.dse.de/za/lk/laender.htm) zu einer Vielzahl von Entwicklungsländern. Eine erste Version einer Multimedia-CD-ROM, Interkult 1.0 (Loch et al. 1999) wurde als eine spezifisch auf Entwicklungszusammenarbeit zugeschnittene interkulturelle Trainingsmaterialie konzipiert und produziert. Typische Problemsituationen des Lebens und Arbeitens in Afrika, Lateinamerika und Asien und Strategien zum effektiven und wertschätzenden Umgang mit ausländischen Partnern sind anhand kleiner Videosequenzen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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multimedial aufgearbeitet. Mittels eines Archivs zu interkulturellen Themenkomplexen – in Form von Expertenstatements, Texten und Animationen – kann der Anwender dann die Critical Incidents eigenständig bearbeiten, ein interkulturelles Assessment vornehmen und eine Selektion für ihn relevanter Informationen abspeichern. Nach wie vor ist jedoch das durch Personen geführte Training in Gestalt des bikulturell zusammengesetzten Trainerteams der entscheidende Faktor, damit in einer konstruktiven Lernpartnerschaft die interkulturelle Kompetenz von ausreisenden Fachkräften der Entwicklungszusammenarbeit wachsen kann.

Ausblick Die Relevanz interkultureller Kompetenzen in einer sich zunehmend globalisierenden Welt ist vielfach beschrieben worden. Wer interkulturell zusammenarbeitet, um zu entwickeln, wird ganz offensichtlich erst einmal verwickelt. Da gegenwärtig bereits etwa zwei Drittel der Trainingsteilnehmer über Arbeitserfahrungen in Entwicklungsländern verfügen, trägt ein zeitgemäßes Programmdesign weniger Züge eines konventionellen Verhaltenstrainings, sondern entwickelt sich mehr zu einem interkulturellen Coaching, in dem die Dialektik von Ver- und Entwicklung bearbeitbar wird. Dass Kulturen unterschiedlich sind, ist evident. Über Fernsehen, Zeitungen, Internet werden wir permanent mit Fremdbildern versorgt. Ein vertieftes Verständnis der Entwicklungsländerthematik erfordert zwar weiterhin zunächst eine intensivere landeskundliche Auseinandersetzung (die in der DSE separat neben den interkulturellen Trainingsprogrammen erfolgt). Die interkulturelle Herausforderung liegt – jenseits von Contrast Culture – darin, immer wieder das »Dazwischen« neu auszuhandeln, nicht zuletzt, weil auch die Entwicklungsländer (eben weil sie Entwicklungsländer sind!) sich verändern. Die bequemen Kategorien von den »zu modernisierenden«, »unterentwickelten« Afrikanern müssen dekonstruiert und der Blick für das »Inter«, für Wechselwirkungen – global wie in konkreten Interaktionsdyaden – muss geschärft werden. Offen bleibt allerdings die Frage, wer eigentlich die Partner in den Entwicklungsländern auf den verwickelnden Umgang mit »ihren« Deutschen vorbereitet . . .

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6. Internationale Militäreinsätze

Das Profil des »neuen Soldaten« Die Veränderung der weltpolitischen Lage in den neunziger Jahren führte auch zu einer tief greifenden Veränderung des Aufgabenfelds der deutschen Bundeswehr. War sie zuvor eine ausschließlich auf die Landesverteidigung ausgerichtete Armee, so veränderte sich schrittweise ihr Profil zu einer internationalen Interventionsarmee, die in Krisen unter UNO-, NATO- oder KSZE-Mandat auch militärisch Verantwortung übernimmt. Die Einsatzformen werden für die deutschen SoldatInnen vielfältiger. Trugen die ersten Einsätze in Somalia und Kambodscha noch rein humanitären Charakter, so kamen in Kroatien, Bosnien und Afghanistan robuste und damit gefährlichere Mandate hinzu. In der öffentlichen Debatte wurde und wird breit darüber diskutiert, ob Strukturen und Ausstattung der Bundeswehr die Übernahme dieser internationalen Aufgaben überhaupt erlauben. In den Blick der Öffentlichkeit fiel weniger, wie sehr sich durch die Profilveränderung der Bundeswehr auch das Anforderungsprofil erweitert und das Selbstverständnis der Soldaten und Soldatinnen verändert hat. Wo es früher für den deutschen Soldaten ausreichte, über ein klares Feindbild zu verfügen und sein militärisches Handwerk zu beherrschen, um potenzielle Angreifer abzuschrecken, so steht der international eingesetzte Soldat vor der schwierigen Aufgabe, in einem zumeist unübersichtlichen Konflikt mit mehreren Parteien den mühsam gewonnenen Frieden zu bewahren, für ihn zu werben und Aufbauhilfe zu leisten. Je nach Konfliktlage geschieht dies unter der Gefahr für Leib und Leben. Neben der militärisch-technischen Fähigkeit werden dabei zusätzliche Kompetenzen für Soldaten wichtig, wie zum Beispiel das Ziel des Einsatzes verständlich und überzeugend der Einsatzlandbevölkerung zu erklären, zwischen vormals verfeindeten Konfliktparteien zu vermitteln, Kompromisse zu ermöglichen, beim Wiederaufbau mit den Einheimischen zusammenzuarbeiten, aber dabei immer auch in der Lage zu sein, sich ge© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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gen Aggressionen zu wehren. Diese Aufgaben werden dadurch erschwert, dass sich die Soldaten in einem für sie zumeist fremden Kulturkontext mit ungewohnten klimatischen Bedingungen befinden und mit Menschen kooperieren sollen, deren Lebensgewohnheiten ihnen mehr oder weniger unbekannt sind. Die Soldaten leisten dies als Teil eines internationalen Gefüges zusammen mit Kameraden aus befreundeten Armeen, die wiederum in anderen kulturellen Orientierungssystemen sozialisiert wurden und deren Armeekultur sich unter Umständen sehr unterschiedlich zur deutschen Bundeswehrkultur ausgebildet hat. Sie befinden sich also in einer vielfachen kulturellen Überschneidungssituation, zu deren Bewältigung sie über eine hohe Ausprägung an interkultureller Handlungskompetenz verfügen müssen. Eine Vielzahl von Stressoren in Auslandseinsätzen macht die Umsetzung interkultureller Handlungskompetenz zu einem schwierigen Unterfangen: die eigene Gefährdung, die hohe Arbeitsbelastung, die Trennung von Familie und Freunden, die eingeschränkte Sexualität, die stark eingeschränkte Privatsphäre oder das Erleben von schrecklichen Kriegsfolgen (Burghardt 2001). Ein großer Teil der Aufmerksamkeit der Soldaten gilt dabei zwangsläufig dem Management der eigenen Befindlichkeit und wird von der Aufmerksamkeit für die Komplexität fremder Kulturen abgezogen. Ein deutscher Soldat berichtet aus seinem Einsatz in Kroatien: »Wenn Sie immer nur so Ausschnittsbilder gesehen haben und stehen dann aber in so einem Dorf, das jetzt im Zuge des Krieges total kaputt ist, und Sie stehen auf dem Marktplatz und hören nicht mal ’nen Vogel pfeifen oder ’nen Hund bellen, überhaupt nichts, tote Hose, wirklich alles kaputt, und es liegt irgendwie so ein kalter Geschmack oder Geruch von verbrannten Gummireifen in der Luft, dann merkt man erst mal, was da eigentlich war. Die Medien geben so eine Distanz, man guckt halt und stumpft nach Jahren auch ab« (Thomas et al. 1997, S. 89).

Das interkulturelle Handlungsfeld in internationalen Einsätzen der Bundeswehr Die interkulturellen Kontaktsituationen von Soldaten und Soldatinnen in Auslandseinsätzen können systematisiert werden (Tab. 5; Kammhuber 2000; Thomas et al. 1997). Sie werden weiter unten näher ausgeführt. Die Kontakthäufigkeit und -intensität nimmt mit wachsender Führungsverantwortung zu. Der Bewegungsspielraum von Mannschaftsdienstgraden ist aufgrund der Gefahrenlage durch restriktive Ausgangsbestimmungen zu© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Tabelle 5: Interkulturelle Kontaktsituationen von Soldaten bei Auslandseinsätzen Kontakte mit fremdkulturellen Soldaten

Zivil-militärische Zusammenarbeit (formell)

Zivil-militärische Kontakte (informell)



Konvoi und Patrouillen – Repräsentation



Lageausgabe, Briefing, – Presse- und Öffentlich- – Wiederaufbau Besprechungen keitsarbeit



Einsatzaufträge



Personalauswahl und -betreuung



Humanitäre Hilfsaktionen



Freizeit



Verhandlungsführung



Straßenverkehr



Verwaltung



Private Einladungen



Medizinische Versorgung



Freizeit



Öffentliches Leben

meist sehr eingeengt, wohingegen Soldaten mit Leitungsaufgaben in den unterschiedlichsten Situationen, wie beispielsweise bei Verhandlungen mit einheimischen Funktionsträgern oder in der internationalen Militärzusammenarbeit, weitaus häufiger interkulturelle Begegnungen erleben. Dementsprechend berichten Soldaten mit Führungsverantwortung mehr kritische Interaktionssituationen und Kulturschockerlebnisse als andere. Besonders häufig werden solche Situationen von Soldaten geschildert, die in UNO-Beobachter-Missionen eingesetzt wurden. Dort fehlt, bedingt durch die internationale Zusammensetzung der Beobachterteams, das gewohnte soziale Netzwerk, in dem sich die Soldaten über das Erlebte so austauschen können, dass sie ein wirkliches Verständnis für ihre Probleme und Sorgen beim Gegenüber wahrnehmen können. Im Gegenteil kann das Beobachterteam selbst eine Quelle interkulturell bedingter Probleme und Konflikte werden, wie folgender Bericht eines deutschen Hauptmanns nach einer UNO-Beobachtermission zeigt: »Bei einem Beobachtungsauftrag bin ich mit einem koreanischen Offizier in die Berge gefahren. Wir hatten ein Versorgungsfahrzeug, einen Pickup. Und Dieselfässer hintendrauf, die wir für die Fahrzeuge brauchten und um Generatoren oder Funkgeräte zu betreiben. Und dann sind wir oben gewesen. Er hat mir permanent erzählt, welche große Nummer er in seiner Armee gewesen ist. Als es dann daran ging, das Dieselfass abzuladen, hat er sich geweigert. Als Major müsse er so etwas nicht tun. Ich habe ihm dann klargemacht, dass das Fass aber abgeladen werden muss und ihm nichts anderes übrig bleibe, als mir jetzt zu helfen. Er hat sich dann wieder geweigert und mir gedroht, mich zu schlagen und zu züchtigen. Ich hätte nichts zu sagen, er sei schließlich Major und ich nur Hauptmann . . .« (Thomas et al. 1997, S. 120). © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Interkulturelle Tätigkeitsfelder

Kontakte mit fremdkulturellen Soldaten Die internationale militärische Zusammenarbeit in Auslandseinsätzen, die häufig als selbstverständlich und reibungslos angesichts der gefährlichen Aufgaben vorausgesetzt wird, ist geprägt von den teilweise sehr unterschiedlichen Armeekulturen und den eng mit diesen verwobenen Nationalkulturen. Unterschiedliche Vorstellungen von Hierarchie, Führungsaufgaben und Führungsselbstverständnis kennzeichnen nicht nur die deutsch-koreanische Kooperation, sondern zum Beispiel auch die deutschfranzösische Zusammenarbeit (s. Kap. I, 2.1) oder auch die deutsch-englische Militärkooperation (II, 2.2). »Bei uns herrscht sowohl im Einsatz als auch in der Friedensverwaltung ein anderer Umgangston untereinander. Für mich ist der Mannschaftsdienstgrad, der Wehrpflichtige ein vollwertiger Mitarbeiter und Kamerad, den ich respektiere mit all seinen Vor- und Nachteilen, während die Dienstgradgruppentrennung in der britischen Armee sehr dominant ist. Sie werden’s erleben, dass ein Major nicht mit dem Hauptmann spricht. . . Es wäre undenkbar, dass im Offiziersheim ein Mannschaftsdienstgrad im Kreis von Offizieren steht und dort seine Dose Bier trinkt« (Thomas et al. 1997, S. 121). Häufig sind die Unterschiede in der Machtdistanz zwischen Dienstgraden eng verbunden mit unterschiedlichen Befehlsstrukturen innerhalb der Armee. Eine wichtige Dimension ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen Befehlstaktik und Auftragstaktik. Die Begriffe beschreiben, wie viel Handlungsspielraum einem Soldaten bei der Erfüllung seines Auftrags bleibt. In Armeen, die nach dem Prinzip der Auftragstaktik operieren, wird zwar ein klares Ziel vorgegeben, der Weg zu diesem Ziel bleibt aber in der Verantwortung der betroffenen Einheiten, denen damit automatisch auch mehr Verantwortung zukommt. Dagegen bewegt sich das Handeln von Soldaten in Armeen, die nach dem Prinzip der Befehlstaktik vorgehen, strikt in den Grenzen des ausgegebenen detaillierten Befehls. Der Vorteil einer solchen Vorgehensweise liegt in der Vermeidung von Fehlern und Risiken insbesondere auf den nachgeordneten Diensträngen, ihr Nachteil in einer relativen Unflexibilität, auf neue Anforderungen zu reagieren, wie folgendes Beispiel eines deutschen Soldaten beim Bosnien-Einsatz deutlich macht: »Ich hatte Antrag auf Unterstützung mit Motorola-Gerät und eigenem Frequenzpool bei der Brigade gestellt. Trotz der Zuständigkeit der Brigade für diesen Antrag hatte man dort Scheu, diesen Auftrag ›anzunehmen‹. Erst als er schriftlich gestellt wurde, wurde dieser Antrag bearbeitet. In der Folge wollte der französische Brigadeoffizier nicht selbstständig entscheiden. Warum ist mir schleierhaft. Denn das Material war vorhanden. Die Verant© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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wortung wurde jedoch nach oben auf die Divisionsebene delegiert. Schließlich musste die Division das dann nochmals alles prüfen und daraus resultierten dann wieder Rückfragen. Insgesamt dauerte dieser Vorgang dann drei Wochen, bis eine endgültige Entscheidung durch die Division gefällt wurde. Eine Nutzung des Geräts für die geplante Operation war so nicht mehr möglich. Diese Mischung aus Bürokratie und Befehlsstrukturen, die kaum Eigenverantwortlichkeit zulassen, hat mich schon sehr genervt.« Diese (Armee-)Kulturdimension ist wie alle Kulturdimensionen perspektivenabhängig, das heißt während die deutsche Armee im Vergleich zur französischen eher nach Auftragstaktik arbeitet, wirkt sie aus Sicht der niederländischen Verbündeten eher befehlsorientiert (Janssen 1996). Bei der Planung und Durchführung internationaler Militärkooperationen sollte deswegen ein besonderes Augenmerk auf die zusammenzuführenden Armeekulturen und deren Kulturstandards gelegt werden, um etwaige Missverständnisse und Fehlinterpretationen zu vermeiden und eine produktive Zusammenarbeit zu gewährleisten.

Informelle zivil-militärische Kontakte Internationale militärische Einsätze werden zur Verhinderung von Bürgerkriegen, wie in Mazedonien, zu deren Beendigung, wie im Kosovo, oder beim Wiederaufbau nach dem Ende eines bewaffneten Konflikts notwendig. Damit die verfeindeten Bevölkerungsgruppen auch in Zukunft koexistieren können, kommen auf die internationalen Soldaten komplexe Aufgaben zu, deren Bewältigung einem Drahtseilakt gleicht. Sie müssen es schaffen, im Konflikt neutrale, aber dennoch vertrauenswürdige Gesprächspartner zu bleiben und für ein friedliches Miteinander zu werben. Dabei dürfen sie nicht vergessen, dass bereits die Anwesenheit einer fremden Armee im eigenen Land für eine Bevölkerung eine Demütigung bedeutet, die diese nur allzu schnell wieder vergessen machen will. Die Kontakthäufigkeit zur einheimischen Zivilbevölkerung hängt stark von dem Auftrag der betreffenden Einheit ab. Begegnungen ereignen sich meist während Konvoi- und Patrouillenfahrten, bei Kontrollen am Checkpoint, in der medizinischen Versorgung der Zivilbevölkerung oder beim Wiederaufbau von Häusern und Brücken. Ein bestimmender Faktor für die Initiierung und den Verlauf dieser zumeist kurzfristigen Kontakte ist dabei, ob das Gastland eine eher positive oder negative Einstellung den Soldaten einer jeweiligen Nation gegenüber ausgebildet hat. Ein deutscher Oberstleutnant berichtet aus dem Somalia-Einsatz der Bundeswehr: ». . . in der ersten Zeit waren die Somalier ja außerordentlich freundlich, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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haben uns eigentlich immer nett zugewinkt. Später, als dann das Ende der Mission bekannt wurde bei den Somaliern, sackte dann die Freundlichkeit doch erheblich ab, und es wurden dann teilweise, wenn wir durch das Land fuhren, solche Gesten des Halsabschneidens oder Aufhängens gemacht, teilweise wurde auch mit Steinen geworfen« (Thomas et al. 1997, S. 104). Die interkulturellen Begegnungen im Einsatz wirken auf die Soldaten zumeist diffus, schwer durchschaubar und damit bedrohlich. Um die Gefährlichkeit einer Situation, zum Beispiel während einer Autokontrolle an einem Checkpoint, angemessen einschätzen zu können, ist es für die Soldaten bedeutsam, die kulturellen Verhaltens- und Handlungsmuster differenziert wahrnehmen und beurteilen zu können, wie das verbale und nonverbale Verhalten der zu kontrollierenden Personen. Einerseits kann eine Überreaktion aufgrund vermeintlich aggressiven Verhaltens leicht zu einer Eskalation führen, andererseits eine Unterschätzung der Situation die eigene Person und die Kameraden in Gefahr bringen.

Formelle zivil-militärische Zusammenarbeit Auf Soldaten und Soldatinnen mit Führungsfunktionen kommen neben den militärischen Aufgaben auch komplexe Managementaufgaben zu, zum Beispiel die Auswahl und Führung des einheimischen Personals im deutschen Lager, die Verhandlung mit örtlichen Behörden oder Privatpersonen über die Anmietung von Liegenschaften, die Organisation der Pressearbeit sowie repräsentative Pflichten im Rahmen von Einladungen oder Empfängen. Die damit betrauten Soldaten können dabei von dem vor allem in den Bereichen der Wirtschafts- oder Entwicklungszusammenarbeit (s. Kap. II, 5) gewonnenen Erkenntnissen über interkulturelle Verhandlungstechniken (s. Band 1, Kap. II, 2.2), interkulturelles Rechtsverständnis (s. Kap. II, 9), interkulturelles Führungsverhalten (s. Band 1, Kap. II, 2.5) profitieren.

Interkulturelle Vorbereitung für Auslandseinsätze In der Truppenpsychologie wird der interkulturellen Handlungskompetenz als einer für internationale Verwendungen notwendige Fähigkeit besondere Bedeutung beigemessen (Puzicha et al. 2001). Die Vorbereitung der Bundeswehr für »out of area«-Einsätze beinhaltet bereits spezifische Themenblöcke, in denen die Soldaten nicht nur mit den historischen und politischen Wurzeln des Konflikts der betreffenden Region vertraut gemacht werden, sondern auch in realitätsnahen Szenarios © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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im Rahmen der UNO-Ausbildung schwierige Konfliktsituationen in Rollenspielen mit einer eigens dafür ausgebildeten »Gastlandbevölkerung« bestehen müssen (Bucher 2001; Folkerts 2001). Eine umfassende Ausbildung interkultureller Handlungskompetenz für Soldaten beinhaltet:

Kulturallgemeine Sensibilisierung Eine kulturallgemeine Sensibilisierung ist für Soldaten am Beginn ihrer militärischen Laufbahn wichtig, damit sie ein Bewusstsein für die eigenkulturelle Sozialisation entwickeln und nachfolgende kulturspezifische Informationen entsprechend einordnen können. Insbesondere Soldaten, die in Beobachtermissionen in internationalen Teams kooperieren müssen, bedürfen einer intensiven kulturallgemeinen Ausbildung anhand von handlungsfeldspezifischen Kulturdimensionen (Thomas et al. 1998), die sie für verschiedenste (Armee-)Kulturen sensibilisiert. Diese kulturallgemeine Sensibilisierung kann durch multimediale Lernprogramme unterstützt werden, die für die Bundeswehr entwickelt wurden und verfilmte kritische Interaktionssituationen aus bisherigen Auslandseinsätzen enthalten (Kammhuber 2000).

Kulturspezifische Vorbereitung In einer einsatznahen, kulturspezifischen Maßnahme auf der Basis von zuvor erhobenen und aufbereiteten Kulturstandards sollten die Soldaten auf das jeweilige Einsatzland vorbereitet werden. In ihr sollte ebenso eine intensivere kulturspezifische Vorbereitung auf die binnenmilitärische Kooperation mit der jeweils relevanten befreundeten Armee integriert sein, da hier eine besonders hohe Interaktionshäufigkeit und damit Konfliktmöglichkeit gegeben ist.

Vorort-Coaching In der Bundeswehr wurden Truppenpsychologen als interkulturelle Coachs ausgebildet, die im Einsatzland die Soldaten informieren und unterstützen können. Interkulturelle Trainings im Vorfeld können niemals auf die Vielzahl der Situationen vollständig vorbereiten, denen die Soldaten im Einsatzland begegnen werden. Eine qualifizierte Betreuung vor Ort, die kulturspezifische Informationen weitergeben, den Eingewöhnungsprozess © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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begleiten und bei der Bewältigung schwieriger Situationen unterstützen kann, ist deswegen dringend erforderlich.

Reintegrationsvorbereitung Die Verlängerung der Einsatzdauer auf nun sechs Monate vergrößert die Problematik der Reintegration der Soldaten und Soldatinnen in den heimischen (Dienst-)Alltag. Die Soldaten leisten ihren Einsatz in Krisenregionen in einer Nachkriegsphase. Sie sind konfrontiert mit unendlichem Leid, unvorstellbaren Grausamkeiten und zumeist bitterer Armut. Die Heimkehr in das eigene, wohlhabende Land führt bei einigen SoldatInnen zu Wertekonflikten, die von ihrer nächsten Umwelt nur bedingt nachvollzogen werden können. Eine Entfremdung von Familie und Freunden kann die Folge sein. Ebenso ist eine Heimkehr an den bisherigen Arbeitsplatz zumeist verknüpft mit einer Einschränkung der dienstlichen Verantwortlichkeiten und Kompetenzbereiche, die im Einsatzgebiet breiter definiert waren. Auf die mit einer Heimkehr verbundenen Schwierigkeiten werden die Soldaten hingewiesen und in nachfolgenden Reflexionsseminaren haben sie die Möglichkeit, eventuell aufgetretene Probleme zu besprechen und Lösungsstrategien zu entwickeln.

Interkulturelles Wissensmanagement in der Bundeswehr Für die einsatznahe interkulturelle Vorbereitung von Soldaten für Auslandseinsätze bedarf es geeigneten Trainingsmaterials, das aktuell und für die Soldaten relevant ist. Durch die Institutionalisierung eines interkulturellen Wissensmanagementsystems innerhalb der Bundeswehr kann dies geleistet werden. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass es möglich ist, über eine vormals fremde Kulturregion, innerhalb von acht Wochen Vorbereitungszeit, handlungsfeldspezifische und psychologisch relevante Informationen in Form von systematisierten kritischen Interaktionssituationen für die oben angeführten Situationstypen zu erheben und in eine Trainingskonzeption umzusetzen (Kammhuber 2000; Thomas et al. 1998). Zur Erhebung dieser Informationen bedarf es eines in der interkulturellen Thematik qualifizierten Personals, das in der Lage ist, in der Zusammenarbeit mit Experten für die jeweilige Kulturregion das gewonnene Datenmaterial zu bewerten und zu ordnen.Einfacher gestaltet sich dieses Verfahren für längerfristig angelegte Engagements der Bundeswehr in spezifischen Regionen. Es können dort die Erfahrungen der Soldaten in Form von kritischen Interaktionssituationen, © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Fremd- und Selbstbildern erhoben werden, die nach einer qualifizierten Aufbereitung in die Vorbereitung des nächsten Kontingents einfließen können. So hat das folgende Kontingent die Möglichkeit, anhand der aktuellen, handlungsfeldspezifischen Problemsituationen des vorangegangenen sich auf seinen Einsatz vorzubereiten, was den Transfer des Gelernten nachhaltig unterstützt.

Literatur Bucher, E. (2001): Truppenpsychologische Aspekte der Kontingentausbildung am VN-Ausbildungszentrum der Bundeswehr. In: Puzicha, K. J.; Hansen, D.; Weber, W. W. (Hg.), Psychologie für Einsatz und Notfall. Bonn, S. 135–139. Burghardt, H. (2001): Grundlagen der Personalauswahl: Anforderungsprofile für den Auslandseinsatz. In: Puzicha, K. J.; Hansen, D.; Weber, W. W. (Hg.), Psychologie für Einsatz und Notfall. Bonn, S. 28–40. Folkerts, H. J. (2001): Die VN-Ausbildung in Hammelburg. In: Puzicha, K. J.; Hansen, D.; Weber, W. W. (Hg.), Psychologie für Einsatz und Notfall. Bonn, S. 128– 134. Janssen, C. J. (1996): Ein bisschen bi schadet nie. Truppenpraxis & Wehrausbildung 8: 558–565. Kammhuber, S. (2000): Interkulturelles Lernen und Lehren. Wiesbaden. Puzicha, K. J.; Hansen, D.; Weber, W. W. (Hg.) (2001): Psychologie für Einsatz und Notfall. Bonn. Thomas, A.; Kammhuber, S.; Layes, G. (1997): Interkulturelle Kompetenz. Handbuch für internationale Einsätze der Bundeswehr. Untersuchungen des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr. München. Thomas, A.; Layes, G.; Kammhuber, S. (1998): Sensibilisierungs- und Orientierungstraining für die kulturallgemeine und kulturspezifische Vorbereitung von Soldaten auf internationale Einsätze der Bundeswehr. Untersuchungen des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr. München.

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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7. Migration und Integration

Migration und ihre Erscheinungsformen Unter Migration werden aus Gründen der Begrenzung dieses Beitrages alle Wanderungserscheinungen von Einzelpersonen oder Gruppen unterschiedlicher Ethnien verstanden, die dazu dienen, den Lebensmittelpunkt in einen räumlich-sozial-kulturell unterschiedlichen Kontext zu verlagern. Binnenwanderungen beziehungsweise Landflucht bleiben unberücksichtigt. Migrantengruppen lassen sich unterscheiden nach Freiwilligkeit und Dauerhaftigkeit der Migration: Freiwillige Migranten sind Einwanderer, die dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt verlagern, Arbeitsmigranten tun dies ihrer Absicht nach vorübergehend, bleiben dann aber in der Regel im Gastland, vor allem wegen der Ausbildung ihrer Kinder. Sie nehmen selten die Staatsbürgerschaft des Aufnahmelandes an, es sei denn, das Aufnahmeland erlaubt die doppelte Staatsangehörigkeit. Die zweite Generation, besonders wenn sie im Gastland geboren wurde, bürgert sich mit größerer Wahrscheinlichkeit ein. Unfreiwillige Migration von Flüchtlingen in der Regel aus Gründen von Naturkatastrophen oder Kriegen oder von Asylsuchenden aus Gründen der politischreligiösen Verfolgung unterscheiden sich durch die ihnen eingeräumte Dauer ihres Aufenthalts: Flüchtlinge können langfristig vom Gastland aufgenommen werden, Asylsuchende in der Regel nur so lange, wie die persönlichen Gefahren in ihrem Heimatland bestehen. Die mit Migration verbundenen Praxisfelder ergeben sich vor allem in der Aufnahmegesellschaft, aber auch innerhalb der Migrationsgruppen. JeTabelle 6: Typen von Wanderungsgruppen Migranten

dauerhaft zeitweilig

Freiwilligkeit des Kontakts freiwillig

unfreiwillig

Immigranten

Flüchtlinge

Migranten Asylsuchende (Arbeit, Ausbildung) © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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de dieser vier Migrantengruppen erfordert ihre eigenen formellen Institutionen und informellen Einrichtungen, die ihren Zugang zum Gastland, ihren Status und ihre Integration im Gastland regeln.

Kulturkontakte und Akkulturation Die Lebensbewältigung im Gastland, besonders aber Arbeitswelt und Ausbildung der Kinder führen zu Kulturkontakten zwischen den Migrantengruppen und den Bewohnern des Gastlandes. Diese Kulturkontakte gestalten sich je nach Einstellung der Migrantengruppen zur Aufnahmekultur und umgekehrt vielseitig im Akkulturationsprozess. Unter Akkulturation versteht man den Prozess der Veränderung von Gruppen oder Individuen durch Kulturkontakte. Akkulturation ist keineswegs ein symmetrischer Prozess. In der kulturvergleichenden Psychologie wird zwischen der Gruppen- und der individuellen Ebene unterschieden. Psychologische Initiativen, den Akkulturationsprozess zu analysieren und in der Praxis mit zu gestalten, zielen eher auf die psychologischen Veränderungen von Individuen durch die Kulturkontaktsituation ab (psychologische Akkulturation; Graves 1967). Bei der Analyse der Akkulturation von Gruppen geht es vor allem um politische, sozioökonomische und kulturelle Veränderungen, bei individueller Akkulturation vor allem um die Veränderung von Personmerkmalen durch die Kulturkontaktsituation, um die Veränderung der persönlichen Ressourcen, mit denen Individuen mit unterschiedlichen Voraussetzungen den Akkulturationsprozess durchlaufen. Persönliche Ressourcen sind Personmerkmale, die bei der Bewältigung von Anforderungen hilfreich und nützlich sind. Bildung und Intelligenz sind gute Beispiele für wertvolle Ressourcen im Akkulturationsprozess.Nicht nur Padilla (1980) stellte fest,dass Akkulturationsgrad und Bildung der Migranten hoch korrelieren. Im Akkulturationsprozess müssen Elemente der eigenen Kultur aufgegeben werden, weil sie zum Beispiel nicht mehr funktional sind. Berry (1992) nennt dies »culture shedding« oder »kulturelles Verlernen«. In der französischen kulturvergleichenden Psychologie wird der Terminus »Interkulturation« gebraucht (vgl. Camilleri u. Malewska-Peyre 1997). Sie meinen damit solche Prozesse der Interaktion, die von der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Kulturen geprägt sind. Diese Interaktion sind die Mittel zur Konstruktion einer neuen durch Interkulturation gewonnenen Integrationskultur. Die Reichweite der Akkulturationsformen gibt Abbildung 7 wieder. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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annehmen

Abbildung 7: Vier Akkulturationsstrategien je nach der Entscheidung in zwei wichtigen Aspekten der Migrantensituation (nach Berry 1980)

Die Offenheit für die Zuordnung zur Aufnahmegesellschaft einerseits und die Loyalität der eigenen Herkunftsgesellschaft gegenüber in der ethnischen Selbstzuordnung andererseits sind zwei zentrale Komponenten des Akkulturationsprozesses. Berry hat aus diesem Ansatz zentrale Akkulturationsstrategien herausgestellt (1980; Berry et al. 1989; vgl. Abb. 7). Zwei im Akkulturationsprozess stets gleichzeitig sich stellende Grundthemen und die dichotom konzeptualisierte Stellungnahme zu ihnen im Sinne einer Bejahung oder Verneinung ergeben vier unterschiedliche Akkulturationsstrategien. Das eine Thema besteht aus der Frage nach der Beibehaltung der kulturellen Herkunftsidentität und das andere aus der Frage der Bejahung oder Verneinung von Kontakten mit der Aufnahmegesellschaft. Bejaht man beide Themen, ist die resultierende Akkulturationsstrategie die Integration. Verneint man beide, ergibt sich eine Marginalisation des Migranten. Wird kein Kontakt mit der Aufnahmegesellschaft angestrebt und steht die Herkunftsidentität im Vordergrund, lebt ein Migrant die Separation; zieht er die Aufnahmegesellschaft seiner Herkunftsidentität vor, dann geht er den Weg der Assimilation. Empirische Untersuchungen zu Bevorzugungen der Akkulturationsstrategien erwiesen die Integrationsstrategie als die meist bevorzugte sowohl von Erwachsenen als auch von Kindern in einer multikulturellen und einer monokulturellen Gesellschaft. Als zweite Wahl wählen selbstbewusste europäische Migranten in Kanada (Ungarn) Separation, aber auch westliche Migranten in Japan bevorzugen diese Strategie wie auch Immigranten aus Entwicklungsländern nach Norwegen (Sam 1995). Nach Schmitz (1994) steht die Wahl der Akkulturationsstrategie im Zusammenhang mit © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Persönlichkeitsmerkmalen. Personen mit hohem Anspruchsniveau wählen eher eine Assimilations- als eine Integrationsstrategie. Integration erlaubt den Migranten eine (bi)kulturelle Identität: Sie beinhaltet die Kontakte zu Mitgliedern des Aufnahmelandes, aber auch die Bejahung der eigenen kulturellen (ethnischen, sozialen) Herkunftsidentität. Bikulturelle Identität als konsequente Variante der Integration erfordert doppelte sozial-kulturelle Selbstdefinition und Orientierung.

Praxisfelder in der Aufnahmegesellschaft Aufnahmegesellschaften definieren sich als Einwanderungsland oder als eher »geschlossene« Gesellschaften, in denen eine stark begrenzte Zuwanderung möglich ist. Entscheidet sich ein Land für Einwanderung, für temporäre Arbeits- oder Ausbildungsmigration, aber auch aus humanitären Gründen für die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden, so ergeben sich eine Vielzahl von Aufgaben, die in der Regel institutional gebunden sind. Hierfür ist als gesetzvorschlagende Institution in der Regel in Demokratien das Innenministerium eines Landes zuständig. Gesetzgenehmigende Gewalt haben in der Regel die Parlamente. Zu den Obliegenheiten der staatlichen Institutionen des Aufnahmelandes gehört es, – die Aufnahmerichtlinien für die vier verschiedenen Migrantengruppen (s. Tab. 6) sowie Nachzugsregelungen (von Familienmitgliedern) festzulegen; – die Aufenthaltsrichtlinien für die Migrantengruppen zu bestimmen: vor allem Dauer und Sozialversorgung (Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Krankheit) aus staatlicher Versorgung; – Kriterien für Arbeitsgenehmigungen festzulegen; Arbeitslosen- und Sozialversicherungsumstände, Ausbildungsmaßstäbe zu erarbeiten, Arbeitsbereiche zu bestimmen, die Arbeitskräfte aus dem Ausland aufnehmen müssen, um effizient zu sein, oder aufnehmen können, damit die Sozialversorgung durch die öffentliche Hand entlastet ist; – Einbürgerungskriterien zu erarbeiten und umzusetzen: notwendige Mindestaufenthaltsdauer bis zur Einbürgerung, maximale Anzahl möglicher Einbürgerungen pro Jahr, Mindestalter, Möglichkeit doppelter Staatsangehörigkeit, Kulturkenntnisse des Aufnahmelandes (Sprache, Landeskunde), Ausbildungsgrad der zukünftigen Staatsangehörigen, aber auch Staatsangehörigkeit gegeben durch Ort der Geburt; – Rahmenrichtlinien für eine erwünschte Akkulturationsform zu erarbeiten, Diskrimination und Fremdenfeindlichkeit in ihren Erscheinungen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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und ihren Ursachen zu erfassen, Präventionsmaßnahmen aufzubauen und deren Einhaltung zu kontrollieren; Schulungsangebote für verschiedene Beratungsangebote der Migrantengruppen für Mitglieder des Aufnahmelandes und der Migrantengruppen anzubieten; Einrichtungen für medizinische Beratung mit fachlich ausgebildeten Ethnopsychologen, -psychiatern und -medizinern zu finanzieren; für alle Gruppen – außer den Immigranten – Rückkehranreize und Rückkehrregelungen auszuarbeiten; Initiative, Organisation der Ausführung der oben genannten Aufgaben durch das Amt der oder des Ausländerbeauftragten als dauerhafte Vermittlung zwischen Aufnahmegesellschaft und Migrantengruppen zu konzentrieren.

Diese neun institutionalisierten Aufgaben des Aufnahmelandes können nicht nur nach ökonomisch-politischen Vorgaben des Aufnahmelandes gelöst werden. Jedes Aufnahmeland muss die kulturellen Besonderheiten der betroffenen Migrantengruppen berücksichtigen: Migrantengruppen aus Herkunftskulturen, in denen beispielsweise Frauen und Mädchen eine untergeordnete Rolle zukommt, sollten nicht gezwungen werden, Frauen in Repräsentativpositionen zu benennen. Dieser Akkulturationsschritt sollte in einer Integrationsatmosphäre der Kulturkontakte in Übereinstimmung mit der Migrantengruppe eingeleitet werden. Wird hier Assimilationsdruck ausgeübt, ergeben sich unter Umständen anomische Folgen für Migrantenfamilien und für das Zusammenleben der intraethnischen Netzwerke. Ein Beispiel sind die unmündigen Migrantinnen, die ihr Elternhaus unter Leidensdruck gegen den Willen der Eltern verlassen, weil sie bei gelungener Integration in die Kultur des Aufnahmelandes von Akkulturation geprägte (emanzipierte) Wertorientierungen entwickelt haben, die ein Zusammenleben mit einer traditionellen Familie unmöglich erscheinen lassen. Diese Situation war Anlass für die Gründung von Wohnheimen für diese Zielgruppe (vgl. den Bericht zur Situation von ausländischen Mädchen und Frauen von Skakowski 1991). Zu den neun Aufgabenfeldern des Aufnahmelandes im Einzelnen liegen folgende Erkenntnisse über die Integration nach Aufnahme in das Gastland vor: Die Ethnizität der Migrantengruppen kovariiert in der Regel auf soziodemographischer Ebene mit sozialökonomischem Status (einschließlich Bildungsniveau, Berufsstatus und Einkommen), Familienstruktur (einschließlich Familiengröße und -zusammensetzung), auf der Ebene individueller Orientierungen mit religiösen Überzeugungen, Werthaltungen, Sozialisationszielen und -strategien, Sprachgebrauch und Ausprägung ethnischer Identität,© auf der Ebene von Personmerkmalen mit persönlichen 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Ressourcen wie Bewältigungskompetenz und soziale Kompetenz sowie Wohlbefinden und Entwicklungspotenzial. Im Migrationskontext kovariiert Ethnizität auch mit dem Grad der Diskriminierung oder der Akzeptanz der Aufnahmegesellschaft gegenüber der Migrationsgruppe. Die Akzeptanz hängt ab von der gesellschaftlichen Distanz zwischen Aufnahmegesellschaft und Minoritätengruppen, besonders von der ethnischen Dichte der Minoritäten in bestimmten Regionen: Je größer die Minoritätengruppe im Verhältnis zur Majorität und je ghettoähnlicher sie sich ansiedelt, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz durch die Majorität (vgl. Coenders u. Scheepers 1998). Akzeptanz hängt aber auch von der sozialen Distanz der Aufnahmegruppe ab: Verschiedene kulturelle Gruppen beachten das Gastrecht, vermeiden aber in Migrantenkontakten Situationen mit geringer sozialer Distanz wie Einheirat in die eigene Familie. Die Aufrechterhaltung sozialer Distanz kann auch von der Migrantengruppe selbst ausgehen, denn Kulturkontakte könnten die eigenen Werte und Orientierungen in Frage stellen (vgl. moslemische Migranten im christlichen Europa; Rebzani 2000). Der ethnische Identifikationsansatz in der Migrationsforschung setzt an einem zentralen psychologischen Punkt der Akkulturation an: Ethnisch-kulturelle Selbstkategorisierungen bestimmen sehr stark mit ihnen zusammenhängende soziale Orientierungen und soziales Verhalten der Migranten in Kulturkontakten. Damit wird auch die Anpassungsleistung der Migranten im Gastland entscheidend über ethnische Identifikation geregelt. Im Stressbewältigungsansatz der Akkulturationsforschung (vgl. Berry 1980; 1997) wird das Wohlbefinden als Kriterium für eine gelungene Integrationspolitik betont. Die mit diesem Ansatz verbundene Akkulturationsforschung (Berry et al. 1987; 1989) befasst sich vorwiegend mit der Vorhersage von psychologischer Anpassung an die neuen Lebensumstände nach der Migration. Der Einfluss eines kritischen Lebensereignisses wie die Migration ist in der Regel negativ für das psychische Wohlbefinden und korreliert signifikant mit psychosomatischen Beschwerden (z. B. bei Studenten im Ausland: Ward u. Kennedy 1993; bei Flüchtlingen aus der DDR kurz vor Grenzöffnung: Schönpflug 1994; Schwarzer u. Jerusalem 1994). Individuelle Differenzen in der Wahrnehmung von Stressoren, entweder als Bedrohung oder als Herausforderung, dürften hier eine entscheidende Rolle spielen. Zheng und Berry (1991) untersuchten eine Reihe von Stressoren bei chinesischen Migranten auf Zeit und dauerhaft bleibenden Immigranten chinesischer Herkunft in Kanada und verglichen sie mit nichtchinesischen Kanadiern. Chinesische Migranten sahen Sprache, Kommunikation, Diskrimination, Heimweh und Einsamkeit als problematischer an als chinesische Immigranten oder nichtchinesische Kanadier. Der Bewältigungsprozess reagiert auf die Bewertung der Erfahrungen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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während des Akkulturationsprozesses. Bindungslosigkeit führt zu erhöhten psychologischen und psychosomatischen Symptomen (vgl. Chataway u. Berry 1989). Cross (1997) fand heraus, dass Bewältigungsstrategien sich je nach kulturellem Hintergrund unterschieden: In individualistischen Kulturen ist das direkte problemangehende Bewältigen eine effektive und bevorzugte Strategie, während in kollektiven Kulturen eher indirekte Strategien angewendet wurden. Hier liegt nahe, ein Modell der kulturellen Passung von Bewältigungsstil und kulturellem Kontext aufzustellen. Interkulturelles Lernen beschäftigt sich mit den Fertigkeiten, die ein Migrant erwerben muss, um in der neuen Umwelt zurechtzukommen. Konflikte treten auf, wenn ein Migrant die notwendigen sozialen Fertigkeiten nicht erworben hat. Kommunikationsformen und soziale Regeln, Konventionen und Gebräuche des sozialen Verhaltens variieren beträchtlich über Kulturen hinweg. Deswegen ist die Wahrscheinlichkeit für unerfreuliche und verwirrende Erfahrungen hoch. Für das Verstehen von Personen und sozialen Situationen anderer Kulturen gibt es bereits interkulturelle Trainingsprogramme (vgl. Fowler u. Mumford 1995). Ward, Bochner und Furnham (2001) klären über den Abbau von Kulturschock auf. Über Videotraining werden soziale Fertigkeiten im Umgang mit den Besonderheiten der kontaktierten Kultur erläutert und geübt. Aufklärung ist dabei eine wichtige erste Komponente. Rollenspiele und Beobachtungslernen am Modell sind häufig eingesetzte Trainingstechniken. Es gilt zu berücksichtigen, dass Training zwar Verhaltensänderungen und Erwerb von Fertigkeiten bewirkt, aber wenig Einstellungsänderungen (Randolph et al. 1977). Im Rahmen von alltäglichen Kulturkontaktsituationen bewirken die sozialen Netzwerke der Migranten ein solches Training auf natürliche Weise. Nach Bochner et al. (1977; Furnham u. Bochner 1982) leben Migranten in drei Netzwerken: im Netzwerk der Herkunftsethnie, in bikulturellen Netzwerken aus Mitgliedern der eigenen und der Aufnahmegesellschaft und in einem multikulturellen Netzwerk. Bochner fand, dass interkulturelles Lernen direkt von der Anzahl der Freunde und Bekannten in der Gastgesellschaft abhängt. Diejenigen, die mit den Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft häufig Kontakt haben, weisen geringe Anpassungsprobleme auf. Informelle Einrichtungen für Migranten von der Seite des Gastlandes sind Freizeitprogramme wie literarische und Theaterveranstaltungen, Feste, Zeitungen, Medienzeit in Radio und Fernsehen gemeinsam mit/für Migranten. Die informellen Kontaktveranstaltungen drücken den Willen der beiden beteiligten Gruppen aus, ein Konzept des Zusammenlebens zu entwickeln. Nach den offiziellen Programmen der politisch Verantwortlichen soll die Integration der Migranten in die Aufnahmegesellschaft das Ziel all dieser Aktivitäten sein. Die informellen Unternehmungen dienen durch Eigenanstrengungen diesen offiziellen Zielen – gewollt oder ungewollt. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Praxisfelder von der Seite der Migrantengruppen Migrantengruppen unterscheiden sich in ihren Anstrengungen, ihre Interessen und Bedürfnisse im Aufnahmeland durch Institutionen des öffentlichen Rechts vertreten zu lassen. Da Migranten lediglich Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen, aber keine staatsbürgerlichen Rechte haben, fehlt es ihnen an rechtsgestützten politischen Institutionen. Es gibt aber in Migrantengruppen inoffizielle Eigeninitiativen; diese sind je nach Migrantengruppe unterschiedlich zahlreich und effizient. Migrantengruppen aus den anderen europäischen Ländern sind in der Lage, sich muttersprachliche Kindergärten und Schulen einzurichten, Kirchen zu unterhalten, Clubs (z. B. Sport) und Kultureinrichtungen zu gründen; Migranten aus anderen Entwicklungs- oder Übergangsländern bringen wenig Ressourcen und Unterstützung aus dem Herkunftsland mit. Soweit diese Einrichtungen das Ziel haben, die Herkunftskultur im Gastland zu bewahren, wirken sie der Integration entgegen und leisten Vorschub für die Akkulturationsstrategie der Separation vom Aufnahmeland. Wenn sie ihr Programm definieren als Bemühungen, ihre Kultur den Mitgliedern des Aufnahmelandes nahe zu bringen und diese einzubringen, leisten sie einen Beitrag zu einer Symmetrisierung von Akkulturation und damit zu einem sozialen Gleichgewicht in der Integration. Praxisfelder und Anwendungsmöglichkeiten der Akkulturationspsychologie für eine erfolgreiche Integration in die Aufnahmegesellschaft auf der Seite der Migrantengruppen sind: – Kulturgruppen (Theater, Folklore, Vereinigungen und Ausstellungen für bildende Kunst) gründen; – religiöse Gemeinschaften und -zentren unterhalten; – Sportclubs einrichten; – Bildungseinrichtungen (eigene Kindergärten, Schulen bzw. bikulturelle/bilinguale Kindergärten und Schulen) gründen; – Vertretungen eigener Gruppen in politischen Gremien, Medien und anderen öffentlichen Einrichtungen wie Bildungseinrichtungen des Aufnahmelandes durchsetzen, um eigene Bedürfnisse und Interessen zu artikulieren; – Beratungsstellen für den Umgang mit Behörden und der rechtlichen Situation im Aufnahmeland anbieten; – Einrichtungen für Familien- und medizinische Beratung organisieren; – interkulturelle Lernprogramme anbieten. Diese acht Aufgaben oder Praxisfelder, die sich aus der Lebensbewältigung von Migrantengruppen im Gastland ergeben, werden in Gemeinden nur © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Interkulturelle Tätigkeitsfelder

dann mit öffentlichen Mitteln des Gastlandes über Zuwendungen finanziert, wenn sie vom Gastland als nützlich für eine Politik der Integration angesehen werden. Eine Integrationspolitik des Aufnahmelandes setzt auf Initiativen in dieser Richtung aus den Kreisen der Migrantengruppen, da sie auf deren Kooperation angewiesen ist. Das Feststellen der Bedürfnisse der Migranten kann nicht allein dem Aufnahmeland überlassen werden, es muss aus den Reihen der Migranten selbst kommen (vgl. Wederspahn 2000). Diese Bemühungen variieren mit der Bedeutung der Migrantengruppe für das Aufnahmeland. Folgende Lebensumstände sind für die Erfüllung der acht Aufgaben zu berücksichtigen: Immigranten und Migrantengruppen entwickeln eine enge Bindung und Verpflichtung an ihre Familie, nicht zuletzt deshalb, weil die Familien für die Zukunft ihrer Kinder die Migration auf sich genommen haben (Suarez-Orozco 1989). Sie leben oft unter ihrem Lebensstandard, um ihren Kindern gute Bildungschancen zu ermöglichen. Die Geburtenrate der Ausländer pflegen sich denen des Gastlandes anzupassen, vor allem, wenn die zweite Generation ihren Nachwuchs plant. Die Familiengröße der ersten Generation ist zwar zunächst noch vom Herkunftsbereich bestimmt, denn einerseits wandern Familien in der Regel nach und im Aufnahmeland werden noch Kinder, meistens eins (vgl. Morgenroth u. Merkens 1997), geboren, andererseits liegt in der zweiten Generation keine solche Zweiphasigkeit der Familienvergrößerung vor, und es wird die Kinderzahl an den Kinderzahlnormen des Gastlandes ausgerichtet. Auch hier spielen Sozialstatus und Koorientierung der Ehepartner eine Rolle. Je höher der Bildungsgrad in der Türkei umso geringer ist die Kinderzahl in der Türkei und im Aufnahmeland. Kleinkinder wachsen in der Regel in der Herkunftsfamilie auf; sie stellt eine Entwicklungsnische auch im Aufnahmeland bereit. Lamb et al. (1998) untersuchten, inwieweit sich grundlegende Muster der Kindererziehung in der Akkulturationssituation ändern. Dies ist in der Vorschulzeit eher nicht der Fall, weil das Kind in den Rhythmus der Herkunftsfamilie eingebettet ist: Schlaf-Wach-Rhythmus, Erziehung durch ältere Geschwister, lange Stillzeiten, starke Bezogenheit zur Mutter. Mit Beginn der Schulzeit im Aufnahmeland wird diese Einbindung in die weitgehend von der Herkunftskultur bestimmte Entwicklungsnische erweitert um Sitten und Gebräuche und Rituale sowie Bezugspersonen aus der Aufnahmegesellschaft. Die Schule wird gewichtiger Lebensbereich für Kinder und Eltern. Mangels Sprach- und Kulturkenntnisse (auch manchmal der Kulturfertigkeiten Lesen und Schreiben) können Kinder in der Schule selten durch ihre Eltern unterstützt werden. Die Bildungschancen der Migrantenkinder sind damit denen der Kinder der Aufnahmegesellschaft nicht vergleichbar, da sie im Elternhaus nicht die © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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gleichen Fertigkeiten und Wissensbestände vermittelt bekommen und Unterstützung bei der Bewältigung der Bildungsanforderungen erfahren können. Die Bildungsstatistik für ausländische Jugendliche in Deutschland verglichen mit deutschen Jugendlichen weist eine deutliche Benachteiligung der ausländischen Jugendlichen hinsichtlich Zugang zur höheren Bildung, zur Berufsausbildung und zum Arbeitsmarkt auf (vgl. Hopf 1990). Die Diskrimination ausländischer Jugendlicher in den Bildungsinstitutionen und auf dem Arbeitsmarkt ist wahrscheinlich, wenn auch nicht unvermeidbar (Faist 1994). Andere Autoren vermuten, dass es kulturspezifische Werte und Verhaltensweisen von Migranten sind, auf die der im Vergleich zu deutschen Kindern geringere Schulerfolg von Migrantenkindern zurückgeführt werden kann: In türkischen Familien zum Beispiel steht eine traditionelle Haltung zum Wissen den modernen Lehrprogrammen entgegen. Weiterhin vermittelt und fordert das Bildungssystem der westlichen Aufnahmegesellschaften individualistische Orientierungen, die wiederum der Familienorientierung, insbesonders der türkischen, griechischen und italienischen Migranten, entgegenstehen (Leenen et al. 1990). Darüber hinaus sind Migrantenfamilien in der Regel Unterschichtfamilien, was Bildungsniveau und Einkommen anbelangt. Damit sind der gesamte Sozialisationsprozess, auch Erziehungsstile und Vorbildmöglichkeiten der Eltern wenig bildungsfördernd. Die Bildungsbenachteiligungen der ausländischen Kinder und Jugendlichen sind daher wohl eher ein schicht- als ein kulturspezifisches Problem. Türkischen Eltern in Deutschland hingegen wird eher ein geringeres Interesse an der Ausbildung ihrer Kinder nachgesagt; dies wird aber durch Umfragen nach den gewünschten Bildungsabschlüssen für die Kinder widerlegt (Schönpflug u. Alamdar-Niemann 1993). Einzelne Migrantengruppen bilden hier eine Ausnahme. Griechische Migrantenkinder erreichen ein höheres Bildungsniveau als andere; unter anderem deshalb, weil diese Gruppe eigene griechischsprachige Oberstufen in Deutschland eingerichtet hat. Auch sind Bildungsunterschiede in den Migrationswellen zu beobachten. Nauck et al. (1998) zeigten durch eine Reanalyse des Sozioökonomischen Panels (SOEP), dass bereits mit drei Jahren erste Bildungsunterschiede zwischen Migranten- und deutschen Kindern zu erkennen sind. Eintritt und Dauer der Grundschulausbildung weisen keine nennenswerten Unterschiede auf. Der Anteil deutscher Kinder in der Hauptschule liegt bei 32 Prozent, für Migrantenkinder aber bei 56 Prozent. Deutsche Kinder sind vermehrt in der Realschule und doppelt so häufig wie Migrantenkinder im Gymnasium zu finden. Geschlechtsspezifische Quoten sind nicht zu beobachten. Migrantenkinder treten früher aus dem allgemein bildenden Schulsystem aus. Den Schritt in die Erwerbstätigkeit machen©Migrantenjugendliche früher als deutsche. Aber doppelt 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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so viele Migrantenjugendliche wie deutsche sind nach dem Schulaustritt erst einmal arbeitslos. Die Wahrscheinlichkeit einer Berufsausbildung ist in beiden Gruppen vergleichbar (vgl. Seifert 1992). Das Einreisealter des Kindes bestimmt nur sehr schwach negativ die Wahrscheinlichkeit, den Abiturabschluss zu erreichen. Es hat aber einen etwas höheren (negativen) Einfluss auf die Deutschkenntnisse der Eltern und das kulturelle Klima im Elternhaus (Medien aller Art usw.). Weiterhin gehen mit höherem Einreisealter eine größere Kinderzahl einher, die sich wiederum negativ auf die Abiturwahrscheinlichkeit jedes Kindes auswirkt. Kuo und Tienda (1995) fanden, dass der niedrigere generationale Status (erste und zweite Generation) der stärkste Prädiktor für Schulerfolg war, stärker noch als die elterliche Bildung und Einkommen. Neuere Forschungen in den USA lassen erkennen, dass fortschreitende Akkulturation für die Entwicklung von Migrantenkindern nicht vorteilhaft sein muss. So bedeutet Assimilation im Kontext USA, sich den Standards der Mehrheit der weißen amerikanischen Jugendlichen anzugleichen; diese sind aber im Durchschnitt weniger leistungsmotiviert, zeigen mehr problematisches Verhalten als Jugendliche der meisten anderen ethnischen Gruppen in den USA. Sich zu akkulturieren heißt, dieses amerikanische Werte- und Verhaltensnormmuster zu übernehmen. Fuligni (1998) berichtet, dass mit jeder Generation und damit auch mit fortschreitender Angleichung die Bildungsstandards von Migrantengruppen in den USA sinken. Der sinkende Bildungsstandard geht gleichzeitig einher mit der Zunahme an problematischen Verhaltensweisen (Allen u. Mitchell 1998). Informelle Praxisfelder, die sich aus den Interessen und Bedürfnissen der Migrantengruppen für sich selbst ergeben, bestehen vor allem in der Vermittlung zwischen Heimatland und Aufnahmeland. Rückkehroptionen sind nur zu einem Teil durch ökonomische Anreize vom Aufnahmeland oder vom Herkunftsland zu steuern, vielmehr liegt es vor allem an der Bindung an die Familie im Heimatland oder im Gastland, ob die erste Generation zurückkehrt. Die Bindung an die Familienmitglieder im Herkunftsland (zurückgelassene Kinder und später Kindeskinder) kann beispielsweise durch spezielle Reiseangebote in das Herkunftsland gepflegt werden. Die zweite Generation kann durch Ausbildungsangebote zur Rückkehr mit ihren Eltern bewogen werden. Das Aufnahmeland kann hierfür wenig leisten, außer finanzielle Anreize für die freiwillige Rückkehr zu bieten oder durch Nicht-Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigungen die Rückkehr zu erzwingen. Beratungsstellen von Migranten für Migranten sind neben Rückkehrberatungen Familienberatungen, Ausbildungsberatungen, Freizeiteinrichtungen wie ethnische Theater oder Folkloreclubs, Alphabetisierungs- und Berufsberatungsmaßnahmen, in der Regel für Frauen©ohne Schulabschluss. 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Die Vielfalt der Aufgaben, die sich aus der Kulturkontaktsituation durch Migration ergeben, erfordert Anstrengungen von Seiten der Migranten und der Aufnahmegesellschaft. Nur wenn Kulturkontakte von beiden Seiten gestaltet werden können, kann sich Integration als Akkulturationsform entwickeln. Und nur wenn Integration angestrebt und umgesetzt wird, wird der Akkulturationsprozess für die Migranten optimiert. Psychisches Wohlbefinden und körperliche Gesundheit, Selbstwert und soziale Bindungen, Bildungs- und Arbeitsmarktchancen stehen dann nicht unter Ausgrenzungs- und Diskriminationsdruck und erlauben ein gleichgewichtiges Zusammenleben von Migrantengruppen und Aufnahmegesellschaft. Insgesamt sind von 1975 bis 2000 eine Million Migranten in Deutschland eingebürgert worden (vgl. Santel 2002). Sie sind somit Deutsche geworden. Ein Großteil der Nachkommen der zweiten und dritten Generation kommen bereits als deutsche Staatsbürger auf die Welt nach der veränderten Rechtslage vom 1.1.2000. In Deutschland sind damit die Rahmenrichtlinien für eine Politik der Integration geschaffen. Sie muss jedoch in vielen Bereichen noch konkretisiert werden; so auch die Akzeptanz auf dem Arbeitsmarkt, wo Arbeiter ausländischer Herkunft immer noch eher in den Kategorien »ungelernte und angelernte Arbeiter« übervertreten, in der Kategorie »Angestellte« aber untervertreten sind. Das Kernproblem der Integration von Arbeitsmigranten und Einwanderern in Deutschland ist ihre hohe Arbeitslosenquote. Aufgefangen wird die Gefahr der Marginalisierung in Deutschland durch Einbeziehen in das kollektive Sozialversicherungssystem. Verstärkte Anstrengungen zu ihrer Weiterbildung und beruflichen Qualifikation sind dringend geboten.

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InterkulturelleTätigkeitsfelder

R.Salman/ T.Hegemann :PsychosozialeundmedizinischePraxis

Ramazan Salman/Thomas Hegemann

8. Interkulturelle Dimensionen in psychosozialer und medizinischer Praxis

Die zentrale Herausforderung der psychosozialen und gesundheitlichen Versorgung der Migranten und Migrantinnen liegt in der Verbesserung des Verständnisses für die kulturellen Hintergründe, die aktuellen Lebensbedingungen und die Anforderungen der Migration zugewanderter Patienten und Klienten. Die Mehrheit der Migranten müssen zu den sozial benachteiligten Gruppen der Bevölkerung gerechnet werden, die ebenso wie vergleichbare »einheimische« Populationen unter überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit,nachteiligen Bildungsvoraussetzungen, Kinderreichtum, finanziellen Krisen und schlechten Wohnverhältnissen leiden. Dazu kommen Verständigungsschwierigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen: auf sprachlicher mit dem Umfeld des Aufnahmelandes und auf familiärer durch sich rasch wandelnde Vorstellungen über die Generationen- und Geschlechterrollen. Umso beachtlicher ist, wie gut die große Mehrheit von ihnen die Anforderungen der Integration bewältigt und zur Kreativität und Vielfalt unseres Landes beiträgt! Der Zugang dieser Menschen zu den bestehenden Angeboten der Sozialund Gesundheitsdienste ist zwar formal gegeben, wird aber durch strukturelle Barrieren auf ganz unterschiedlichen Ebenen erschwert. Es mangelt an muttersprachlichen Fachpersonen, qualifizierten Dolmetschern, transkulturellen Kompetenzprofilen und den erforderlichen psychosozialen Rahmenbedingungen, welche Medizinern, Therapeuten und Pflegepersonal helfen könnten, den ihnen gestellten Versorgungsauftrag auch für Migranten ausreichend zu erfüllen. Durch Verzicht auf Koordination und einheitliche Standards werden fachliche Qualität sowie Organisations- und Personalplanung ebenso nachteilig beeinflusst wie sachliche Kosten- und Nutzenüberlegungen. Es scheint eine menschliche Neigung zu sein, beschriebene Lebensfragen und Lebensproblematiken entsprechend eigener erlernter Vorgehensweisen, Routinen und Praktiken zu erfassen und zu konzipieren und nach persönlichen Haltungen zu bewerten. In Fällen, in denen Professionelle und Klienten kulturell, sprachlich, geschlechtlich, sozial oder bildungsmäßig © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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unterschiedliche Hintergründe haben, kann es zu Stellungnahmen sowohl von Seiten der Fachleute wie der Klienten kommen, die vom Gegenüber als nicht passend erlebt werden. Leicht kann so die Kommunikation zusammenbrechen und Verständigung als nicht mehr möglich erscheinen. Sprach- und Kulturgrenzen können diese Barrieren noch weiter erhöhen. Zu Konflikt und Dissens fördernden Themen zählen in gesundheitlichen und psychosozialen Einrichtungen (Salman et al. 1999): – unterschiedliche Vorstellungen und Bewältigungsstrategien von Krankheit, – familiäre und soziale Probleme oder Krisen, – migrationsbedingte Biographien und entsprechende Belastungen, – der Grad der Akzeptanz von Migranten durch die Mehrheitsbevölkerung, – unterschiedliche Sichtweisen über Sinn und Zweck spezieller Serviceeinrichtungen und die Aufgaben und Rollen der darin Tätigen, – Unerfahrenheit mit kulturfremdem Verhalten, Umgangs- und Ausdruckformen, – abweichende Erwartungen an das Verhalten des Gegenübers. Professionelle Angebote in den Regeldiensten des Sozial- und Gesundheitswesens stehen folglich vor der Aufgabe, die hier beschriebenen Zugangsbarrieren abzubauen (Salman 2001a). Der Einbezug migrationsspezifischer und soziokultureller Aspekte und die Berücksichtigung von Migranten als spezielle Zielgruppe der Sozial- und Gesundheitsdienste erfordert bei allen Aktivitäten der Prävention, Beratung, Betreuung und Therapie interkulturell gesicherte Angebotsstrukturen im Gesundheitswesen und entsprechende Leitlinien (Machleidt 2002; Domenig 2001). Auch wenn hoch qualifizierte und sozial gut abgesicherte Migrantinnen und Migranten (Expatriates) ebenfalls als Patienten in unseren Gesundheitsdiensten erscheinen, umfassen diese nur eine sehr kleine Personengruppe, die durch ihre besseren Ressourcen weit besser ausgerüstet ist, mit kulturellen Unterschieden umgehen zu können. Dieser Beitrag beschränkt sich daher auf die alltäglichen Probleme weniger privilegierter Menschen aus anderen Kulturen.

Soziale und gesundheitliche Belastungen sowie Ressourcen der Migranten Migrationsprozesse sind bei einem hohen Anteil der Migranten durch vielfältigste Überforderungssituationen gekennzeichnet. Die Vielfalt neuer As© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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pekte, Verlusterlebnisse, rechtliche Unsicherheit, Diskriminierungserfahrungen, unsichere Zukunftsaussichten oder Sprachprobleme führen zu Stress und zu gesundheitsgefährdenden Belastungen. Das Erleben dieser Erfahrungen über lange Zeiträume vertieft Überforderungssituationen und begünstigt die Chronifizierung von Leiden – wenn die Migration noch von traumatischen Ereignissen begleitet wird, bei denen auch Folter, Misshandlung oder andere Übergriffe eine Rolle spielen, gilt dies in ganz besonderer Weise. Nach den Ergebnissen der Stressforschung (Lazarus u. Launier 1981; Collatz 1995) wirken sich vor allem plötzlich auftretende, einschneidende Lebensereignisse und Verluste (life-events) sowie chronische Stressoren in Verbindung mit alltäglichen Ereignissen, Ärgernissen oder Bedrängnissen negativ auf die Gesundheit der Menschen aus. Soziale und psychische Ereignisse, die den normalen Lebenslauf unterbrechen und erhöhte Anpassungsleistungen erfordern, ohne dass die bisher bewährten Bewältigungsmethoden zum Einsatz gebracht werden können, zählen zu solchen Stressoren. Als besonders belastend werden Ereignisse erlebt, die unüberschaubar und als unbeeinflussbar wahrgenommen werden und negative Folgen oder Verluste befürchten lassen. Die Betroffenen erleben einen Orientierungs- und Kontrollverlust. Weder können Sie auf externe vertraute Unterstützungssysteme zugreifen noch auf internalisierte und erlernte Bewältigungsstrategien (Thomas 1996; Tuna 1999). Ohnmachtsgefühle, Identitätskrisen, Entwurzelung, Rollendiffusionen, Generationskonflikte und innerfamiliäre Zerrissenheit sind dann schnell die Folge. Je mehr sich solche Ereignisse anhäufen und je intensiver diese auf die Betroffenen einwirken, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass große Belastungen mit den normalen Bewältigungspotenzialen nicht mehr verarbeitet werden können. Als Folge treten emotionale Spannungszustände auf, die sich psychisch und körperlich ausdrücken können. In diesem Zusammenhang wurden in der wissenschaftlichen Literatur bisher Herz-Kreislauf-, Magen-Darm-, Rheuma- und psychiatrische oder psychosomatische Erkrankungen beschrieben (Collatz u. Fischer 1998). Die von Migranten zu bewältigenden Anpassungsleistungen sind beachtlich. In der Fremde werden viele bisher bestimmende kulturelle und gesellschaftliche Haltungen – je nach Bildung und Herkunftsregion in unterschiedlichem Ausmaß – in Frage gestellt. Dies betrifft, um nur einige zu nennen, Essgewohnheiten, Kleiderordnung, Wohn- und Hygienevorstellungen, Arbeitsgewohnheiten, die Gestaltung sexueller Beziehungen, Trauer- und Bestattungszeremonien, das Feiern von Festen, die Gestaltung von Ruhe- und Urlaubszeiten, den Umgang mit Krankheiten und die Haltung zu Gesundheit, Krankheit und dem Körper ganz allgemein. Viele erleben © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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eine große Spannung, möglichst viel der eigenen Kultur zu wahren und sich dennoch fremden Gegebenheiten zu öffnen und Verhaltensweisen schrittweise zu modifizieren. Viele Migranten können diese Spannung gut bewältigen und finden kreative neue Lösungen für das eigene Leben und das ihrer Familie. In diesem Anpassungsprozess treten aber auch Gefühle der Ratlosigkeit, Angst oder Scham auf. Die Anpassung an veränderte Kleiderordnungen und Gesundheitsvorstellungen kann zu Schamgefühlen führen; die Veränderung der Geschlechterrollen können Fragen der persönlichen Ehre aufwerfen. Kulturelle und ethnische Herkunft beeinflussen und bestimmen auch gesundheitliche Vorstellungen. Sie beeinflussen das Schmerzempfinden, sie bestimmen, welche Zustände wir als gesund oder als krank bezeichnen, wie wir diese zum Ausdruck bringen, welche Ursachen wir für welche Krankheiten für akzeptabel halten (Littlewood 2001). Migration ist auf der individuellen Ebene ein im Kern psychisch vermittelter Prozess des sich Anpassens (Sluzki 2001) und auf der gesellschaftlichen Ebene ein Prozess der Veränderung von gesellschaftlichen Machtdifferenzialen (Hettlage-Vargas 1992; Salman 1995). In diesem Prozess wird der psychische Haushalt und die Gesamtheit affektiver Valenzen der Migranten und Migrantinnen ebenso neu strukturiert wie ihr gesellschaftliches und familiäres Beziehungsgefüge. Immer wieder müssen die Veränderungen des persönlichen Beziehungsgefüges in Interaktion mit der eigenen Umwelt in eine neue Balance gebracht werden. Zugleich verändern sich die aus der Herkunftsgesellschaft importierten familiären Machtverhältnisse, meistens zugunsten von Frauen und Jugendlichen. Diese Veränderungen – so sehr sie auch aus der Perspektive westlicher Denkstile erwünscht sein mögen – bedeuten nicht für alle Beteiligten eine angenehme Entwicklung. Beispielsweise können für patriarchalisch sozialisierte Männer beschriebene Veränderungen zu heftigen – nicht selten schmerzhaften – Herausforderungen und zu Anpassungsdruck führen. Die meisten Migranten werden auch von der für westliche Gesellschaften typischen Veränderung der Familienstrukturen in Richtung einer zunehmenden Individualisierung und Ausdünnung privater familiärer Hilfenetze unvorbereitet getroffen. Schubert (1990) stellte fest, dass insbesondere im Bedarfsfall die Dichte von Hilfeoptionen im Alter drastisch bis auf weniger als die Hälfte sinkt, obwohl im Alter der Bedarf an Hilfen erheblich steigt. Die Mehrzahl der Migranten stammt aus Kulturen, in denen das Familienleben von verbindlicheren Regelungen der Beziehungsgestaltung geprägt ist als bei den »Einheimischen«. Der Grad der individuellen Freiheiten variiert dabei sehr stark je nach Herkunftsregion, Bildungsstand, Alter der Eltern bei der Migration, Migrationsalter, Geburtsland, verwandt© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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schaftlichen Bindungen und Subgruppen in der Migration. Alle Familienmitglieder stehen unter Druck, den unterschiedlichen Anpassungsanforderungen gerecht werden zu wollen oder zu müssen. Die Umsetzung kann in der Praxis jedoch von mehreren Faktoren behindert werden (Salman 1995). Als wichtigster Faktor kann hierbei der Widerspruch zwischen kulturellen Normen, Werten, Traditionen und geschlechtlichen sowie generativen Machtverhältnissen angeführt werden. Dies trifft besonders auf jüngere Menschen zu. Als selbstständiges Individuum zu agieren – beispielsweise wichtige Entscheidungen im persönlichen Beziehungsleben zu treffen – mag in der Aufnahmegesellschaft die gesellschaftlich bevorzugte Handlungs- und Erziehungsmaxime sein. In der Herkunftsgesellschaft, welche von den Eltern repräsentiert und durchgesetzt wird, könnte ein solches Verhalten eher sanktioniert werden, wie beispielsweise bei türkischen Familien zu beobachten ist. In bestimmten Zusammenhängen kann ein solches Lebensgefüge sehr harte Konsequenzen verlangen, wenn den Interessen des Familiensystems als Ganzem höhere Priorität eingeräumt wird als denen des einzelnen Individuums. Da Migranten in weit geringerem Maß als Einheimische auf außerfamiliäre Ressourcen zurückzugreifen können – Unterstützungssysteme der Großfamilie und der Verwandtschaft wurden in der Heimat zurückgelassen –, ist die Erwartungshaltung gegenüber den engsten Familienangehörigen groß. Wenn die nachwachsende Generation jedoch aufgrund des Wandels von Wertvorstellungen immer mehr die traditionellen Aufgaben verweigert, führt dies nicht nur zu schmerzhaften Konflikten, sondern immer häufiger dazu, dass in Krisensituationen außerfamiliäre fachliche Hilfe in Anspruch genommen wird. All dies ist nicht ohne Folgen auf die Inanspruchnahme von sozialen und gesundheitlichen Diensten.

Kulturspezifische Sichtweisen von Krankheit und Gesundheit Bei Migranten und ihren Behandlern kommt es nicht selten zu Fehlinterpretationen von Krankheitsdarstellungen und -bewertungen, die sich aus soziokulturell differierenden Kontexten ergeben. Auf Seiten der »Versorger« erschwert eine meist biomedizinisch, somatisch ausgerichtete, einseitige Krankheitsbehandlung die Situation. Ein »Einverständnis im Missverständnis« ist dann leicht die Konsequenz (Collatz 1995). Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (1989) kam zu dem Ergebnis, dass erhebliche kommunikative Schwierigkeiten die Versor© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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gung der Migranten überproportional negativ beeinflussen. Die Kluft zwischen den Auffassungen deutscher Patienten und ihren Ärzten, bezogen auf Bewertungen zum Krankheitsverständnis und zur Krankheitsschwere, fiel wesentlich geringer aus als die zwischen Migranten und ihren Ärzten. Es wird berichtet, dass offensichtlich deshalb Fehlbehandlungen überrepräsentiert bei Migranten vorliegen und beispielsweise Psychopharmaka oder somatische Behandlungsformen vielfach eingesetzt werden, selbst wenn psychosomatische, präventive, psychotherapeutische oder rehabilitative Leistungen wesentlich hilfreicher hätten sein können. Entsprechend ist auch eine Störung der Arzt-Patient-Interaktion und sind Vorurteile sowohl bei den Behandlern als auch bei Migranten wesentlich häufiger anzutreffen (Leyer 1991; Fernando 1991). Eine Klärung der Frage, ob der Einsatz von Fachleuten aus der gleichen Kultur zu besseren Ergebnissen führen würde, wäre hier sicher interessant. Erklärungen für die hier beschriebenen Kommunikationsprozesse werden von einer Reihe ethnomedizinischer Autoren diskutiert (Kleinman 1980; Littlewood u. Lipsedge 1997; Krause 1998; Hörbst u. Lenk-Neumann 2002). Krankheitskonzepte sind keine statischen, klar umrissenen Phänomene, sondern befinden sich in einem dynamischen Veränderungsprozess in Abhängigkeit von soziokulturellen und ökonomischen Rahmenbedingungen. Die Vorstellungen des Einzelnen werden kulturell übermittelt – Schmerzauffassungen ebenso wie jedes andere Krankheitsverhalten. Wir lernen also neben einer bestimmten Umgebung sowohl, in welcher akzeptablen Art und Weise Schmerz und Krankheit auszudrücken sind, als auch mit welchen ärztliche Erklärungen und Aktivitäten ihnen zu begegnen ist. Technisch-biologische Krankheitsverständnisse sind in westlichen Ländern vorherrschend, aber auch religiös-fundierte und magische haben bei uns eine reiche Tradition. In vielen Kulturen werden die Gewichtungen anders gesetzt. In den meisten Kulturen treten sie in sich überschneidender und sich nicht ausschließender Form auf. In religiös-fundierten Vorstellungen werden Erkrankungen auf das direkte oder indirekte Einwirken von übersinnlichen, göttlichen und spirituellen Kräften zurückgeführt. Erkrankungen werden hier als die Folge von Regelübertretungen Einzelner oder ganzer Kollektive gegen Gebote verstanden. Magische Vorstellungen messen bestimmten Menschen besondere Fähigkeiten oder Kräfte zu – im Guten wie im Schlechten. Beiden ist gemein, dass Krankheiten immer in einem Zusammenhang mit sozialen Interaktion betrachtet werden (Hegemann u. Salman 2001). Da Migranten Anpassungsanforderungen unterliegen, passen sie einerseits ihr Krankheitsverständnis und -verhalten schrittweise ihren neuen Umfeldern an, behalten aber auch ihre mitgebrachten Vorstellungen und © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Ausdrucksformen bei und entwickeln so neue individuelle Schwerpunkte (Krause 1998). Untersuchungen zu Krankheitskonzepten in türkischen Familien (Leyer 1991; Röder u. Opalic 1987) bestätigen dies beispielhaft. Traditionelle Heiler, beispielsweise muslimische Hodjas, werden eher in Anspruch genommen, wenn sich mit naturwissenschaftlichen, technischen Behandlungsmethoden keine Erfolge zeigen, wie dies gerade bei lang andauernden und chronischen Krankheiten der Fall ist. Auch sprachlich können traditionelle Erklärungsmuster neben biologisch-medizinischen gebraucht werden. Das »Fallen« einzelner Organe (Leyer 1991), beispielsweise der Leber, wird in einer Reihe von Kulturen als Ausdruck für Verlust und Trauer angesehen oder der Fall des Nabels bedeutet, dass die Person aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Dimensionen professioneller interkultureller Arbeit Interkulturelle Öffnung Sollen alle gesellschaftlichen Gruppen, einschließlich derer aus anderen Kulturen, effizient und effektiv im Gesundheitswesen integrativ versorgt werden, ist nach Pavkovic (2001) und Hinz-Rommel (1994) die Sicherung von Strukturqualität, Konzeptqualität, Mitarbeiterqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität für transkulturelle Handlungskompetenzen unerlässlich. – Eine interkulturelle Öffnung ist Voraussetzung für Strukturqualität. Diese setzt die Akzeptanz kultureller Vielfalt der »Kunden« voraus und die schrittweise Schaffung und den Ausbau der Rahmenbedingungen wie die Etablierung von Dolmetscher-Diensten und die Vernetzung und Kooperation mit Migrationsdiensten. – Die Anerkennung von Menschen aus anderen Kulturen als spezifische Zielgruppe und die konsequente Erforschung ihrer Bedürfnisse begründen die Konzeptqualität transkultureller Handlungskompetenz. – Um die Mitarbeiterqualität zu sichern, ist der Ausbau multiethnischer und multilingualer Arbeitsteams erforderlich und die spezifische Fortund Weiterbildung aller Fachkräfte. – Zur Prozessqualität ist eine kontinuierliche interkulturelle Reflexion darüber erforderlich, ob die Routinen der Institution die erhofften Resultate erbringen können. – Zur Sicherung der Ergebnisqualität sind die Überprüfung der Wirksamkeit erbrachter Leistungen, der professionellen Nachsorge und der Einbindung in Selbsthilfegruppen notwendig. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Aufbau interkultureller Kompetenz Grundlage interkultureller Kompetenz ist die Fähigkeit, über kulturelle Grenzen hinweg kommunizieren zu können. Sie erfordert Aufmerksamkeit für die sozialen Dimensionen des Lebens und psychischen Leidens. Über Fachkompetenz der eigenen Branche hinaus erfordert dies im Speziellen: – Die Bereitschaft von Professionellen, über die eigene Person und Position zu reflektieren und sich darüber klar zu werden, dass Selbstbeschreibungen nicht losgelöst von kulturellen Umfeldern sind. Weiterhin gehört dazu, sich darüber klar zu werden, wie man über Normalität oder Gesundheit denkt und über Abweichungen davon. – Eine zweite Voraussetzung ist die Bereitschaft der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen psychosozialer und gesundheitlicher Einrichtungen, ihr Wissen über Werte und Ansichten der Kulturen, mit denen sie am häufigsten zu tun haben, zu erweitern. Grundkenntnisse darüber, was es für die individuelle und familiäre Entwicklung bedeutet, beispielsweise in einer islamischen oder einer kommunistischen Gesellschaft aufgewachsen zu sein, sollten jedem in diesem Bereich Tätigen geläufig sein. Es gibt ganz unterschiedliche Möglichkeiten, sich mehr Wissen über Kulturen zuzulegen: Aufsuchen, Reisen, Lesen, Fort- und Weiterbildung. – Die wichtigste Voraussetzung ist es, über dieses Wissen zu reflektieren, um nicht stereotypen Vorstellungen zu erliegen. Islamisch/kommunistisch/türkisch kann für Einzelne etwas ganz Unterschiedliches bedeuten. Migranten beispielsweise waren häufig schon in ihrem Herkunftsland in einer Minderheitensituation und wollen nicht mit generalisierten Vorstellungen über dieses Land und seine Kultur gesehen werden. Wie oben ausgeführt übernehmen Professionelle wie Klienten nicht nur die überlieferten Sichtweisen, Werte, Ansichten und Haltungen ihrer Herkunftskultur. Sie können auch wählen, wie sie diese Möglichkeiten modifizieren und sie auch in konkreten sozialen und wirtschaftlichen Kontext in Abhängigkeit von eigenen Stärken und Schwächen auf ganz individuelle Weise weiterentwickeln wollen. – Für Migranten erfolgt diese Weiterentwicklung üblicherweise anders als bei Menschen, die in ihrer Herkunftskultur verbleiben. Ähnliches gilt für Gesellschaften, die rapide Transformationsprozesse durchlaufen, wie dies beispielsweise in Ländern des ehemaligen Ostblocks und in praktisch allen Großstädten der »Dritten Welt« der Fall ist. Gerade Jugendliche sind Vorreiter einer solchen Weiterentwicklung, die mit ganz charakteristischen Krisen einhergeht. Die Vermittlung einer guten Verbindung zwischen den kulturellen Werten der Vergangenheit der Klienten und deren sozialen Gegenwart ist eine besondere Aufgabe interkultureller Beratung und Therapie. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Arbeit mit Dolmetschern Eine effiziente Verständigung kann nur erreicht werden, wenn die Äußerungen der Gesprächspartner so verstanden werden,wie sie jeweils gemeint sind. Am leichtesten gelingt dies, wenn die gleiche Sprache gesprochen wird. Bei den zahlreichen unterschiedlichen Sprachen der Klienten und einem deutlichen Unterangebot sprachkompetenter Fachleute wird man auf Dolmetscher zurückgreifen müssen, falls der Patient keine oder unzureichende Sprachkenntnisse hat, um das Gespräch in der Beratung oder in der Therapie auf einem für beide Seiten akzeptablen Niveau führen zu können. Aus einer oft hilflosen Sprachlosigkeit entsteht so ein wechselseitiger Dialog mit dem Patienten, der neue Perspektiven eröffnet (Salman 2001b). Um diesen Effekt zu erzielen, sind fachliche Standards für das Dolmetschen in psychosozialen und gesundheitlichen Einrichtungen einzuhalten: Die genuine Aufgabe von Dolmetschern ist es, Sprachrohr der Beteiligten zu sein und nicht eigene Gespräche oder Kontakte mit Patienten zu führen.Dolmetscher werden in der Regel lediglich auf sprachliche und nicht auf therapeutische oder Kompetenzen der Sozialarbeit zurückgreifen können. Letztere obliegen behandelnden oder betreuenden Fachpersonen; Übersetzung dagegen ist eine Sekundärkompetenz. Ein Dolmetscher kann daher nicht zugleich übersetzen, als Sozialarbeiter oder Pfleger tätig sein und selbstständig innerhalb von Beratungs- und Therapieprozessen agieren. Dolmetscher und Patienten werden durch dieses Delegationsprinzip überfordert. Um ein fachlich angemessenes Dolmetschen garantieren zu können, sollte mit dem Dolmetscher ein Vorgespräch geführt werden, in dem die bisherigen Erfahrungen mit dem Klienten dargestellt werden und das Ziel des Gesprächs vorgestellt wird. Dies ermöglicht, sich auf zu erwartende Schwierigkeiten vorbereiten zu können. Von gleicher Bedeutung ist das Nachgespräch, in dem sich Fachkräfte nach der Verabschiedung des Klienten kulturell fremde Themen und Verhaltensweisen vom Dolmetscher erklären lassen können. Vieles spricht dafür, in diese Arbeit geschulte Dolmetscher einzubeziehen. Zunehmend werden spezialisierte Dolmetscherdienste für diesen Bereich aufgebaut, die fachlich kompetente Personen für den Einsatz in sozialen und gesundheitlichen Einrichtungen schulen und vermitteln (Heise et al. 2000; Hegemann 2002). Die große Mehrheit der Dolmetscher haben als Migranten, entsprechend den von Sluzki (2001) beschriebenen Migrationphasen, eigene Erfahrungen mit innerfamiliären Zerreißproben, Identitätskrisen, Geschlechterrollenproblemen und Rollendiffusionen gemacht. Auch haben sie, ähnlich wie die Patienten, eventuell schmerzhafte Diskriminierungserfahrungen zu verarbeiten. Deshalb bewährt es sich, bei der Auswahl von © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Dolmetschern auf Personen zuzugehen, für die kulturelle Vielfalt zu einer lebensgeschichtlichen Selbstverständlichkeit gehört. Dies erleichtert es, sich abzugrenzen, eigene Übertragungen zu vermeiden und eine Haltung der Neutralität aufrechtzuhalten. Neutralität gehört neben der Fachlichkeit zu den wichtigsten Fähigkeiten von Dolmetschern. Sie umfasst, wörtlich sowie inhaltlich genau, kommentarlos und unparteiisch zu übersetzen und sich an die Schweigepflicht zu halten. Sie stellt eine besondere psychische und ethnische Herausforderung dar, denn es ist nicht immer leicht, sich nicht mit Patienten zu solidarisieren und so in die Rolle eines Koalitionspartners oder eines Ko-Therapeuten zu geraten. Der Einsatz von Verwandten und Freunden des Klienten ist gerade aus Gründen der Neutralität als problematisch anzusehen. Der Einsatz möglichst gleichgeschlechtlicher Dolmetscher und nicht zu große Altersunterschiede haben sich bewährt. Auch Kontinuität in den Gesprächsbeziehungen durch den Einsatz von Dolmetschern, mit denen bereits positive Erfahrungen erzielt wurden, ist sinnvoller als ständig wechselnde Dolmetscher innerhalb einer Beratung oder Therapie. Dolmetscherdienste, wie sie oben beispielhaft erwähnt wurden, achten darauf, ob Dolmetscher für bestimmte Fachgebiete und auch persönlich geeignet sind. Vertrauen und Respekt wachsen eher durch kontinuierliche Zusammenarbeit, in der beide Seiten gemeinsam Erfahrungen sammeln und dazu lernen können (vgl. Salman 2001a).

Interkulturelle Teamarbeit Generell orientiert sich interkulturelles Arbeiten im Gesundheitswesen in Prävention, Beratung und Therapie an der Lebenswirklichkeit der Migranten und Migrantinnen. Sie motiviert, beteiligt und vernetzt Vereine, Organisationen und Key-Personen der Migranten im Rahmen präventiver, ambulanter und stationärer Maßnahmen. Integrative Gesundheitssicherung und -förderung basiert auf emanzipatorischen Grundlagen (Schneller et al. 2001). Deshalb ist es notwendig, die Personalpolitik der Einrichtungen, insbesondere die Einstellungspraxis in Richtung einer erhöhten Beschäftigung von Migranten, in den Fachdiensten weiterzuentwickeln. Interkulturelle Teams bieten in besonderer Weise die Chance, bedarfsorientierte Angebote für spezielle Zielgruppen unter den Migranten zu erarbeiten und transkulturelle Kompetenzen durch Reflexion zu stärken und weiterzuentwickeln (Pavkovic 2001). Interkulturelle Teams in psychosozialen und medizinischen Fachdiensten sind bisher eher die Ausnahme, obwohl in Einrichtungen mit muttersprachlichem Angebot der Anteil der diese aufsuchenden Migranten stark angestiegen ist. Dabei sind Migranten © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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sicherlich nicht automatisch die besseren Fachkräfte. Ihre Landsleute fassen jedoch eher zu ihnen Vertrauen, fühlen sich verstanden und aufgehoben. Die Kluft zwischen Behandelnden und Behandelten wird nicht noch durch eine zweite – die der fehlenden Identifikation und Verständigung – vergrößert. Mit zunehmender Behandlung von Fachkräften mit Migrationshintergrund werden Migranten damit belohnt, dass ihre Selbstwahrnehmung und die Fremdwahrnehmung von ihrem Leiden sich decken und somit Kommunikation und Therapie möglich werden. An dieser Stelle soll jedoch einem möglichen Missverständnis, dass Migranten nur Migranten und deutsche Fachkräfte nur Deutsche behandeln sollten, vorgebeugt werden. Es geht langfristig um die Zusammenführung zweier Erfahrungsbereiche in ein transkulturelles Ganzes und nicht um die Spaltung in monokulturelle Lager. Gerade die lang andauernde Zusammenarbeit in interkulturellen Teams macht auch Nicht-Migranten durch die gesammelten Erfahrungen und den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund zu interkulturell kompetenteren Fachkräften.

Beraterische und therapeutische Haltung Im Kontakt mit Menschen aus anderen Kulturen hat sich die Haltung der anteilnehmenden und wohlwollenden Neugier bewährt (Cecchin 1988). Fremd erscheinende Meinungen und Verhaltensweisen sollten die Neugier wecken, herauszufinden, welche Gründe es aus einer Kultur heraus für ein spezielles, einem selbst ungewöhnlich erscheinendes Verhalten geben mag. Berater haben, wie alle Menschen, eigene Meinungen zu den verschiedenen Fragen des Lebens. Sie müssen daher nicht allem, dem sie begegnen zustimmen. Die konsequente Beachtung der Relativität von Werten und die Haltung der Neutralität ist jedoch eine Grundvoraussetzung, ohne die transkulturelle Kommunikation nicht gelingen kann. An diesem Konzept orientierte Praktiker fördern die Vielschichtigkeit unterschiedlicher Selbstbeschreibungen, legen sich aber auf keine fest. Sie ermutigen die Klienten, die verschiedenen Ebenen des Lebens und der eigenen Person zu erforschen. Sie wertschätzen, dass in konkreten soziokulturellen Situationen eine Haltung oder eine bestimmte Vorgehensweise praktischer oder leichter handhabbar sein kann, wissen aber auch, dass es genauso gut eine andere sein kann. Sie ermutigen Klienten dazu, zuerst einmal mit veränderten Gedanken und Sprachstilen zu experimentieren, die später Möglichkeiten zu Verhaltsänderungen eröffnen. Diese Haltung durchzieht den gesamten Behandlungs- oder Beratungsprozess. Es kann dennoch dazu kommen, dass Haltungen und Sichtweisen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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der Patienten derart konfrontieren, dass auf Seiten der Professionellen Befangenheit oder Betroffenheit entstehen können. Berater sollten daher ihre persönlichen Grenzen immer besser kennen lernen und bemerken, wann sie die wohlwollende Neugier verlieren. Es ist wichtig anzuerkennen, dass diese Grenzen in der transkulturellen Kommunikation immer auftreten können. Viel nützlicher, als zu versuchen sie zu vermeiden, ist es, sie frühzeitig zu erkennen. Es empfiehlt sich, eigene Methoden zu entwickeln, um zu einer Haltung der anteilnehmenden Neugier (zurück-)finden zu können (Cecchin 1988). Die Thematisierung kulturell unterschiedlicher Haltungen hat sich bewährt, da sie den Klienten in den meisten Fällen ja bekannt sind. In solchen Fällen von Beratern und Therapeuten selbst wahrgenommene kulturelle Unterschiede und Übersetzungsschwierigkeiten anzusprechen, eröffnet die Möglichkeit, sich als aufmerksam für dieses Thema einzuführen. Es obliegt dann den Klienten, darüber zu befinden, welche Relevanz sie diesen zumessen. Auch für transkulturell Interessierte und Aufmerksame ist es unmöglich, alle Kulturen und ihre reichhaltigen Facetten zu kennen. Die Haltung der anteilnehmenden Neugier lädt Menschen, die Erfahrung mit Rassismus und anderen Formen von Diskriminierung gemacht haben oder die aus anderen Gründen Vertrauensvorbehalte haben, dazu ein, sich mehr über Wertsysteme, Traditionen und Emotionen auszutauschen und zu reflektieren.

Auftragsklärung Am Anfang eines klientenorientierten Services steht die Klärung der Anliegen und deren Abstimmung mit den eigenen Ressourcen und Möglichkeiten. In transkulturellen Kontakten ist dies von besonderer Wichtigkeit, da Selbstverständlichkeiten noch weniger zu erwarten sind als bei Menschen aus vertrauten Kulturen. »Wer will was von wem?« ist die zentrale Frage. Die Befolgung dieser Grundsätze bewährt sich bereits bei der ersten Kontaktaufnahme. Keller (1996) plädiert dafür, aus der oben beschriebenen Haltung der anteilnehmenden Neugier heraus erst einmal zu klären, mit welcher Erwartung sich ein Klient einer psychosozialen Einrichtung annähert. Er empfiehlt zu prüfen, ob man es mit Zwangspatienten zu tun hat, die nachfühlbare Vertrauensvorbehalte haben, oder ob mit Versorgung oder Ruhe Suchenden, mit Neugierigen, die sich umschauen möchten, mit Menschen, die einen medizinischen Service oder Informationen suchen, oder mit Therapiekunden in engeren Sinn, die ihr Leben ändern wollen. Dieses Vorgehen erleichtert es, mit angepassten Angeboten die unterschiedlichen Bedürfnisse der Klienten und ihrer Angehörigen anzuspre© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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chen. Es erhöht auch die Chance, dass Zwangspatienten zu Neugierigen werden oder Erholung und Versorgung Suchende zu Therapiekunden. Sehr häufig stimmen die Beschreibungen, die Mitarbeiter oder Träger über ihre Einrichtung haben, nicht mit denen der Klienten überein. Eine sorgfältige Klärung erhöht daher die Chance, dass Optionen erweitert werden können. Unerlässlich für eine erfolgreiche transkulturelle Kommunikation sind zudem eine transparente Darstellung der Sinnzusammenhänge der Routinen, eine Verlässlichkeit der Zusagen (selbst dann, wenn sie enttäuschend sein mögen) und das Bemühen, kulturellen Bedürfnissen im Rahmen der institutionellen Möglichkeiten entgegenzukommen, beispielsweise durch Berücksichtigung religiöser Speisegebote und durch das Angebot von Gebetsmöglichkeiten.

Kontext- und Ressourcenorientierung In der ethno- und sozialmedizinischen Literatur ist immer wieder auf die Dynamik von Macht- und Einflussunterschieden zwischen Professionellen und Patienten, zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen (Ärzte, Pflegende, Sozialarbeiter etc.) und zwischen psychiatrischen Institutionen (z. B. Unikliniken, Landeskrankenhäuser, komplementäre Dienste) hingewiesen worden. Diese Dynamiken nehmen beträchtlichen Einfluss auf die Kommunikation zwischen den Beteiligten. Es liegt daher an den Professionellen, jeweils eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen, in der die verschiedenen Fragen des sozialen und gesundheitlichen Lebens besprechbar werden. Menschen, die mit Rassismus oder anderen Formen von Diskriminierung Erfahrungen gemacht haben, achten sorgfältig darauf, ob ihr Gegenüber ihnen vertrauenswürdig erscheint. Es ist hilfreich, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, dass Menschen nur dann soziale und gesundheitliche Dienste in Anspruch nehmen, wenn sie die anstehenden Probleme mit eigenen Mitteln nicht mehr lösen können. Das zentrale Thema in beraterischen und therapeutischen Kontexten ist »Versagen und Misserfolg«. Sich selbst erzählte Geschichten, die sich jahrelang, häufig sogar über mehrere Generationen hinweg als hilfreich und unterstützend erwiesen haben, können in einer sich verändernden Umwelt nicht mehr passend sein (siehe Sluzki 2001). Kaum jemand erlebt dies so direkt wie Migranten und Migrantinnen in ihren Familien. Verschiedene Generationen und Geschlechter beteiligen sich dann an unterschiedlichen Diskursen, die vielfach neue Entwicklungen einleiten können, in ungünstigen Fällen aber nicht mehr kompatibel sind. Krankheiten können da eine Möglichkeit des Auswegs sein, andere sind Delinquenz, Sucht, Suizidalität oder andere Formen des Abbruchs von Beziehungen. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Im Umgang mit Menschen, die an einen derartigen Punkt der Niederlage angekommen sind und die sich selbst und anderen überwiegend Geschichten von Ausweglosigkeit erzählen, haben sich lösungsorientierte Vorgehensweisen bewährt. Vertraute Rituale können genutzt werden und es kann zum Experimentieren mit neuen eingeladen werden. Erzählerische Konstruktionen bleiben auf diese Weise im Fluss und offen für die Veränderlichkeit und Dynamik der Zeitumstände und stellen so die emanzipatorischste Form der Unterstützung dar. Dazu gehören neben der Beachtung der Gegebenheiten der eigenen Einrichtung auch die aktuellen und vergangenen Lebensbedingungen, da kulturelle Determiniertheit von Verhalten nur verstanden wird, wenn man sich mit diesen vertraut macht. Bedenkenswerte Aspekte sind: – die Einbindung in Netzwerke (Familie, Freunde, Nachbarschaft, Arbeitskollegen, religiöse Gemeinschaften, Vereine, Parteien etc.), – die aktuellen Lebensbedingungen (Situation: Wohnen, Arbeit, Ausbildung, Sprache, Gesundheitsversorgung etc.), – Der Migrationsstatus der Betroffenen und ihrer Familien (Situation: rechtlich, psychologisch, gesundheitlich, sprachlich, Identität, Anpassung etc.). Sinnvoll ist es, die Aufmerksamkeit für Zusammenhänge von Leid, Symptomen und sozialen Umfeldern zu schärfen und sozialmedizinische und sozialpsychologische Grundfertigkeiten zu erwerben. Professionelle achten letztlich auch darauf, dass gute Rahmenbedingungen herrschen, die zur Vertrauensbildung beitragen. Dazu gehört die Beschreibung der Möglichkeiten und Grenzen der Einrichtung, die Einführung des Einsatzes von professionellen Dolmetschern, die Einbeziehung von muttersprachlichen Fachkräften, die konsequente Verfolgung eines lösungs- und ressourcenorientierten Ansatzes und die Einbeziehung der Familie und von kulturellen Gemeinschaften. Denn die Mehrzahl der Menschen aus anderen Kulturen sind dichter in familiäre und andere soziale Bezüge eingebunden. Grundkenntnisse darin, Familiengespräche führen zu können, haben sich daher in dieser Arbeit bewährt (Hegemann et al. 2000). All dies erleichtert es Menschen aus anderen Kulturen, ihre eigenen Ressourcen besser nutzen zu können.

Bestätigung und Ermutigung Im Lauf von Beratungsprozessen gilt es, Klienten zu ermutigen, mit neuen Erfahrungen in den für sie nicht immer leichten Migrationskontexten zu experimentieren© und schrittweise eine größere Sicherheit zu erwerben. 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Meistens gelingt das nicht, ohne sich auch als Person zu zeigen. Viele Menschen aus unterschiedlichen Kulturen machen keine so deutliche Unterscheidung zwischen professionellen und privaten Beziehungen, wie das in westlichen Kulturen mittlerweile üblich ist. Es bedarf daher an Fingerspitzengefühl, einen ganz persönlichen Stil zwischen freundlicher Zuwendung und angemessener Abgrenzung zu finden. Auch dies lernt man am besten in interkulturellen Teams. Migranten profitieren davon, von Professionellen Bestätigung zu erfahren und zu hören, dass ihre kulturellen Umgehensweisen mit den Anforderungen das Lebens sinnvoll und für andere bereichernd sein können. Von Zeit zu Zeit gilt es, Bilanz zu ziehen, welche Entwicklungen erreicht werden konnten, welche weiteren Herausforderungen warten und welche als unabänderlich erlebten Dimensionen des Lebens man vorläufig annehmen muss. Möglicherweise ergeben sich zu einem besseren Zeitpunkt neue Chancen; denn Kontexte ändern sich und neue Entwicklungen bieten sich immer. Gerade von Menschen aus anderen Kulturen kann man lernen, dass das Leben prozesshaft verläuft und der Einzelne immer in größere Zusammenhänge eingebunden ist.

Gestaltung von Lernkulturen und konstruktiven Rollen Alle genannten Dimensionen professioneller interkultureller Arbeit in der psychosozialen und medizinischen Praxis können nur gepflegt und ausgebaut werden, wenn es gelingt, eine Lernkultur zu etablieren, in der die Repräsentanten unterschiedlicher kultureller und professioneller Herkunft voneinander und miteinander lernen. Bewährt hat sich, wenn Institutionen sich auf Leit- und Menschenbilder einigen, die davon ausgehen, dass Menschen in der Lage sind, ihre Probleme und mögliche Lösungen zu beschreiben, dass sie über Ressourcen verfügen, die besser als bisher genutzt werden könnten, und dass alle Kulturen mehr oder weniger nützliche Lösungsmöglichkeiten für menschliche Probleme, gesundheitliche wie soziale, entwickelt haben. Zugegebenermaßen ein vielleicht vereinfachendes Konzept, welches aber ohne größere Schwierigkeiten in unterschiedliche Kulturen (auch Berufskulturen) übertragbar ist. Wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen auch ist eher eine institutionelle Kultur anzustreben, die in letzter Zeit mit dem Schlagwort der lernenden Organisation (Senge 1999) beschrieben wurde. Es gilt, Feedback-Schleifen einzuführen, die ein Lernen aus der Praxis ermöglichen, und Erfahrungen, die im Umgang mit Patienten gesammelt werden, in der Gestaltung von Rahmenbedingungen umzusetzen. Auf Leitungen© 2005, kommen damit ganz neue Verantwortungen zu, RahVandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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menbedingungen zu fördern, die erfahrungsgestütztes Lernen ermöglichen. Dazu gehören im Besonderen die Förderung persönlicher Kompetenzen, die dem Einzelnen gestatten, sich in komplexen beruflichen und institutionellen Kontexten bewegen zu können. Kulturelles Lernen geschieht primär, wie alles Lernen, im Austausch mit anderen. Deshalb ist der Aufbau interkultureller Teams so bedeutsam. Auch in direkten Trainingskontexten hat sich das Lernen in interkulturellen Gruppen bewährt, was durch die wissenschaftlichen Konzepte der Lernpädagogik bestätigt wird. Je mehr alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darin gefördert werden, ihre Beobachtungen und Meinungen in eine gemeinsame Suche nach einer schrittweisen Verbesserung des interkulturellen Angebots einzubringen, desto kreativere Lösungen können für die Klienten gefunden werden.

Schlussbetrachtungen Wie die Entwicklung in Ländern zeigt, die sich früher als Deutschland für eine interkulturelle Öffnung entschieden haben, kommen Entwicklungen in dieser Richtung nicht nur Migranten und Menschen aus fremden Kulturen zugute, sondern allen Klienten, denn die Zunahme kultureller Vielfalt und Unterschiedlichkeit scheint ein unaufhaltsamer Prozess zu sein. Die zentralen Dimensionen interkultureller psychosozialer und medizinischer Praxis sind die Förderung von interkultureller Kompetenz bei allen Beschäftigten in den sozialen und gesundheitlichen Servicediensten und der Auf- und Ausbau förderlicher Rahmenbedingungen: – Die viel beschworene Öffnung der Dienste kann nur gewährleistet werden, wenn den hier lebenden Klientinnen und Klienten, die aus anderen Kulturen stammen und in ihrer großen Mehrheit unter eher schlechteren Lebensbedingungen leben, angemessene Angebote gemacht werden, die die bestehenden Zugangsbarrieren senken. – Interkulturelle Kompetenz und interkulturelles Handeln beinhalten die Fähigkeit, Haltungen gegenüber Menschen anderer kultureller und sozialer Herkunft zu entwickeln, die von Anteilnahme, Neugier und Interesse geprägt sind. Voraussetzung dafür ist eine Selbstreflexion über eigene Haltungen und soziokulturell geprägte Wertvorstellungen sowohl auf einer persönlichen wie institutionellen Ebene. – Unverzichtbar sind weiterhin Kenntnisse über soziokulturelle und migrationsspezifische Hintergründe von Migranten und den Lebensbedingungen in einer Minoritätensituation. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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– Interkulturell versiert Handelnde vermeiden negative Bewertungen von Unterschieden, haben Respekt vor anderen Auffassungen und reflektieren den eigenen kulturellen Hintergrund. – Zur Entwicklung kultursensibler Servicedienste und Institutionen ist eine Orientierung an interkultureller Kompetenz als Querschnittsaufgabe erforderlich. – Leitungs- und Planungsebenen tragen hier besondere Verantwortung. Eine diesbezügliche Personalpolitik und die konsequente Beachtung sprachlicher Verständigung mit Hilfe von versierten Dolmetschern sind hier die unmittelbarsten Ziele. – Die Berücksichtigung von Migranten in Evaluation, Dokumentation und Epidemiologie schafft erst die Voraussetzungen für eine verbesserte Konzeption und Planung und zur Überprüfung der Wirksamkeit erbrachter Leistungen. – Je besser entsprechende Lern- und Betriebskulturen dazu gepflegt werden, umso größer ist die Chance, dass kreative Lösungen für die anstehenden Probleme gefunden werden können. Abschließend soll auf die wesentliche Strategie und Methodik beraterischer und therapeutischer Arbeit mit Migranten und Migrantinnen hingewiesen werden: – Migranten sind Menschen, die sich auf der Reise von der einen zur anderen Kultur und entsprechenden Werten sowie Verhaltensweisen befinden. Sie bringen Sichtweisen, Werte, Religionen, Familiensysteme, Geschlechterrollen, Autoritätsverhältnisse und vieles mehr mit. Sie treffen auf ebensolche, aber auf kulturell, historisch und gesellschaftlich anders beschaffene. Nach der Ankunft müssen beide Richtungen miteinander abgeglichen und nach Möglichkeit ausbalanciert werden. – Therapeuten und Berater oder auch andere Professionelle können Migranten dabei helfen, psychisch und physisch ein versöhnliches Auskommen mit den herkunftsgesellschaftlichen und den Verhältnissen der Aufnahmegesellschaft zu finden. Es gilt, nicht nur von der einen zu anderen Kultur zu begleiten, sondern dazu beizutragen, dass genügend geeignete und bewährte Sichtweisen und Ressourcen beider Kulturen zu einem neuen bikulturellem Ganzen führen können. Es ist hier, in anderen Worten ausgedrückt, die Rede von dem Aufbau einer neuen polyvalenten Identität. So können alte und neue Wurzeln in neuem Grund greifen und den Betroffenen Sicherheit und Halt geben. – In therapeutischen und beraterischen Kontexten sollten die Hintergründe und Phasen von Anpassungsprozessen (Sluzki 2001) und der Entstehung von Bikulturalität mit den Betroffenen reflektiert und diese moti© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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viert werden, die eigenen Anpassungsverläufe zu beeinflussen und zu gestalten. – Es hat es sich bewährt, nicht nur zwischen Migranten und Einheimischen Verhandlungs- und Kommunikationsprozesse zur besseren Verständigung zu stimulieren. Auch innerhalb der persönlichen Familienund Beziehungsnetzwerke der Migranten – so beispielsweise zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Partner und Partnerin – sollte über Anpassungsprozesse, kulturelle Vielfalt und den Vorteil von Verhandlung und Kompromiss kommuniziert werden. Denn die Mehrzahl der kulturellen und durch den Anpassungsdruck resultierenden Konflikte in der Migration finden nicht zwischen Migranten und Einheimischen, sondern zwischen Migranten selbst statt. Dies trifft häufig auf die unterschiedlichen Sichtweisen zu Geschlechterrollenverhältnissen oder Autoritätsbalancen zwischen Jugendlichen und Eltern zu. Die konfliktreiche Grundfrage für Migranten scheint zu sein: Wie weit soll die Anpassung an das Neue gehen und wie viel darf vom Alten aufgegeben werden, um die eigene Migration zu einem Erfolg zu führen?

Literatur Cecchin, G. (1988): Zum gegenwärtigen Stand von Hypothetisieren, Zirkularität und Neutralität: Eine Einladung zur Neugier. Familiendynamik 13: 190–203. Collatz, J. (1995): Auf dem Weg in das Jahrhundert der Migration. Auswirkungen der Migrationbewegungen auf den Bedarf an psychosozialer und sozialpsychiatrischer Versorgung. In: Koch, E. et al. (Hg.), Psychologie und Pathologie der Migration. Deutsch-türkische Perspektive. Freiburg. Collatz, J.; Fischer, G. C. (1998): Krankheit, Kranksein und häufige Erkrankungsverläufe. In: Burchard, G. D. (Hg.), Erkrankungen bei Immigranten. Diagnostik, Therapie, Begutachtung. Stuttgart u. a., S. 16–31. Domenig, D. (Hg.) (2001): Professionelle Transkulturelle Pflege. Handbuch für Lehre und Praxis in Pflege und Geburtshilfe. Bern u. a. Fernando, S. (1991): Mental Health, Race and Culture. London. Hegemann, T. (2002): Das Bayrische Zentrum für Transkulturelle Medizin e. V. in München. In: Hegemann, T.; Lenk-Neumann, B. (Hg.), Interkulturelle Beratung – Grundlagen, Anwendungsbereiche und Kontexte in der psychosozialen und gesundheitlichen Versorgung. Berlin. Hegemann, T.; Salman, R. (Hg.) (2001): Transkulturelle Psychiatrie. Konzepte für die Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturen. Bonn. Hegemann, T.; Asen, E.; Thomson, P. (2000): Familienmedizin für die Praxis – ein Handbuch für Hausärzte. Stuttgart. Heise, T.; Collatz, J.; Machleidt, W.; Salman, R. (2000): Das Ethno-Medizinische Zentrum Hannover und die Medizinische Hochschule Hannover im Rahmen der transkulturellen Gesundheitsversorgung. In: Heise, T. (Hg.), Transkulturelle Beratung, Psychotherapie und Psychiatrie in Deutschland. Berlin. Hettlage-Vargas, A. (1992): Bikulturalität – Privileg oder Belastung? In: Kürsat-Ah© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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InterkulturelleTätigkeitsfelder

GabrieleBritz:RechtsverständnisundRechtspraxis

Gabriele Britz

9. Rechtsverständnis und Rechtspraxis aus interkultureller Perspektive

Das Recht, seine Interpretation und Anwendung im Rechts- und Geschäftsverkehr wie auch seine Fortentwicklung und Anwendung durch Gerichte und Behörden sind kulturell bedingt. Aus einer Innenperspektive wird das nicht immer wahrgenommen. Es kann auch gar nicht ohne weiteres wahrgenommen werden. Wer kein anderes Rechtssystem außer dem eigenen kennt, kann das Ausmaß kultureller Bedingtheit dieses eigenen Rechts allenfalls erahnen. Regelmäßig hält er die vertrauten Regeln aber für selbstverständlich und für »normal«. Das ergeht nicht nur Rechtslaien so, sondern erst recht denjenigen, die das Recht von Berufs wegen anwenden. Ihnen erscheint das Recht, das sie anwenden, ebenso wie das, was sie daraus im Wege der Interpretation machen, als eine Sammlung allgemeiner, neutraler Regeln. Erst eine rechtsvergleichende und eine interkulturelle Perspektive lassen die kulturelle Bedingtheit des Rechts sichtbar werden. Die Einsicht in die kulturelle Bedingtheit des eigenen Rechts erschließt sich nicht bloß in der theoretischen Befassung mit dem Recht, sondern ergibt sich auch in der täglichen Rechtspraxis: Wer sich etwa in Vertragsanbahnung mit japanischen Geschäftspartnern befindet, versteht erst allmählich, dass eine mündliche positive Antwort keineswegs eine rechtsverbindliche Zusage bedeuten muss, dass es vielmehr – kulturell bedingt – ein klares »Nein« oftmals nicht geben wird und darum bei jedem »Ja« die Möglichkeit mitzudenken ist, es könne »Nein« gemeint sein. Die Gepflogenheiten des Geschäftsund Rechtsverkehrs scheinen trotz globalisierter Wirtschaft noch kulturell bedingt zu sein. Auch der internationale wirtschaftliche Rechtsverkehr ist darum nach wie vor interkulturell, auch wenn sich kulturell bedingte Unterschiede im Geschäftsgebaren mit der Zeit mehr und mehr einebnen dürften. Die kulturelle Bedingtheit der eigenen Usancen zeigt sich aber eben erst im interkulturellen Geschäfts- und Rechtskontakt. In diesem Kapitel geht es vor allem um die interkulturelle Rechtsperspektive, die durch die Begegnung von Immigranten mit dem deutschen Recht eröffnet wird. Insbesondere interkulturelle Rechtsstreitigkeiten unter Beteiligung von Zuwanderern erschließen allen Beteiligten – auch den professionellen Rechtsanwendern – eine © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Gabriele Britz: Rechtsverständnis und Rechtspraxis

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interkulturelle Perspektive auf ihr Recht, weil hier das eigene Recht mit den kulturell bedingten Rechtsauffassungen des anderen konfrontiert wird. Es soll zunächst an einem Beispiel aus der Rechtsprechung die Schwierigkeit illustriert werden, die kulturelle Bedingtheit und damit die Partikularität des eigenen Rechts überhaupt wahrzunehmen. Anschließend wird ein exemplarischer Überblick über praktisch relevante Felder interkultureller Rechtsbeziehungen gegeben und zum Schluss dargelegt, wie Recht und Rechtspraxis auf interkulturelle Herausforderungen reagieren.

Zur Schwierigkeit, die kulturelle Bedingtheit des eigenen Rechts zu erkennen Die Schwierigkeit, die kulturelle Bedingtheit des eigenen Rechts zu erkennen, lässt sich an einer Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts illustrieren (VG Berlin, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ 1994, 617 f.; dazu Britz 2000b). Hier hatte ein muslimischer Vater die sozialhilferechtliche Erstattung von Kosten für die vom Türkisch-Islamischen Friedhofs- und Bestattungsverein nach islamischem Ritus durchgeführte Waschung seiner verstorbenen Tochter verlangt. Der Sozialhilfeträger lehnte die Kostenerstattung ab. Das VG entschied, dass die Ablehnung rechtswidrig war. Will man den interkulturellen Aspekt dieses Rechtsstreits genau erfassen, muss man den rechtlichen und tatsächlichen Hintergrund des Falls näher betrachten. Der Sozialhilfeträger lehnte die Kostenerstattung mit der Begründung ab, Kosten, die im Zusammenhang mit der Religionsausübung stünden, würden generell nicht erstattet. Der Vater berief sich hiergegen auf § 15 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Nach dem Wortlaut von § 15 BSHG werden die erforderlichen Kosten der Bestattung übernommen. Erforderlich in diesem Sinne sind nach der herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Fachliteratur jene Kosten, die bei einem »ortsüblichen angemessenen Begräbnis« anfallen. Dabei bestimmt sich das Maß des Erforderlichen »unter Berücksichtigung der jeweils herrschenden Lebensgewohnheiten«. In der Mehrzahl juristischer Publikationen wird die Auffassung vertreten, dass hierzu nicht der religiös bedingte Bestattungsaufwand gehöre. Wäre dies richtig, hätte der Vater die Weigerung des Sozialhilfeträgers, seine Kosten zu erstatten, tatsächlich hinnehmen müssen. Denn diese Kosten waren durch die Befolgung des islamischen Bestattungsritus bedingt. Betrachtet man allerdings genauer, was Rechtsprechung, Verwaltung und Fachliteratur im Einzelnen zu den erforderlichen Kosten zählen, kann die Richtigkeit der Feststellung, es würden keine religiös bedingten Bestat© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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tungskosten übernommen, bezweifelt werden. Danach scheinen die Sozialhilfeträger für die Kosten einer christlichen Trauerfeier durchaus aufzukommen. In der Berliner Sozialhilfepraxis wurden beispielsweise die Kosten für die Benutzung der Trauerhalle für die Trauerfeier, die Beleuchtung, das Ausschmücken der Trauerhalle, Benutzung der Orgel, für Organisten und Redner übernommen. All dies sind Bestandteile einer christlichen Trauerfeier: Die Trauerhalle ist der Raum, in dem die christliche Trauerfeier stattfindet, auf der Orgel werden christliche Lieder gespielt – für den islamischen Bestattungsritus wären weder Trauerhalle noch Orgel erforderlich, denn die Totenwäsche ersetzt die christliche Trauerfeier. Bei anderen für erstattungsfähig gehaltenen Kosten tritt der christliche Charakter noch deutlicher zutage; etwa bei den Gebühren für ein Grabkreuz. Das Kreuz hat in der islamischen Bestattungszeremonie keine Bedeutung. Der Befund erscheint demnach eindeutig: Aufgrund der Auslegung, die § 15 BSHG in der Rechtsanwendung erfährt, werden doch auch solche Kosten erstattet, die in Zusammenhang mit der (christlichen) Religionsausübung stehen. So hat es auch das VG Berlin im konkreten Fall gesehen und hat darum aus Gleichheitserwägungen auch den Anspruch des Vaters auf Kostenerstattung bejaht. Wenn Schrifttum und Rechtsprechung im Übrigen hingegen der Ansicht sind, es würden keine Kosten der Religionsausübung übernommen, scheinen sie eben zu irren. Bei genauerem Hinsehen ist es jedoch kein »glatter Irrtum«, dem die Mehrheit in Rechtsprechung und Literatur hier unterliegt. Das Problem ist vielmehr das Fehlen einer interkulturellen Perspektive auf die Rechtsanwendung. Aus der eigenen kulturell bedingten Perspektive ist die Einschätzung, die Kosten für Benutzung der Trauerhalle und Orgelspiel stünden nicht im Zusammenhang mit Religionsausübung, nämlich durchaus treffend. Tatsächlich fallen in Deutschland auch bei atheistischen Bestattungsfeiern genau jene – eben der christlichen Zeremonie zugeschriebenen – Kosten an: Auch bei atheistischen Beerdigungen wird die Trauerhalle genutzt, bloß dass in diesem Fall eine weltliche Ansprache gehalten und auf der Orgel weltliche Musik gespielt wird. Auch auf den Gräbern von Atheisten werden – jedenfalls vorübergehend – Holzkreuze errichtet. Das Holzkreuz ist schlicht der Stellvertreter des teureren Grabsteins. Die Berliner Verwaltung hat darum mit einigem Recht die Ansicht vertreten, es würden keine Kosten übernommen, die im Zusammenhang mit der Religionsausübung stünden: Stolgebühren werden ohnehin nicht übernommen und übernommene Kosten für einzelne Bestandteile der Beerdigungszeremonie übersteigen nicht, was bei einem säkularen Begräbnis in Deutschland allgemein üblich ist. Richtig ist demnach, dass diese Zeremoniebestandteile nicht zwingend religiösen Charakter haben, sondern unabhängig von religiösen Bindungen der Betroffenen zum Inhalt der in Deutschland allge© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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mein üblichen Bestattungszeremonie geworden sind. Bei der Anwendung des § 15 BSHG scheinen demnach religiöse Aspekte keine Rolle zu spielen. Maßgeblich sind allein die herrschenden Lebensgewohnheiten und Auffassungen über ein angemessenes, ortsübliches Begräbnis. Das ist der aus einer allein intrakulturellen Perspektive richtige Befund. Erst die interkulturelle Perspektive auf den Konflikt lässt erkennen,wie sehr das Recht und seine herrschende Interpretation hier kulturell bedingt sind. Die »allgemeine« Auffassung über ein ortsübliches angemessenes Begräbnis ist maßgeblich durch christliche Traditionen und damit durch einen ganz bestimmten kulturellen Hintergrund geprägt, die hierin fortwirken. Das »allgemein« übliche Begräbnis mag aus Sicht derer,die einen christlichen kulturellen Hintergrund haben,zwar heute in vielen Fällen nicht mehr religiösen,sondern vielmehr »allgemeinen« Charakter haben; die äußere Form des christlichen Bestattungsbrauchs ist aber eben doch erhalten geblieben. Das bemerkt, wer nach islamischem Ritus bestatten möchte, weil er mit vielen Zeremoniebestandteilen, deren Kosten übernommen werden, nichts anfangen kann (Trauerhalle, Orgelspiel, Grabkreuz). Umgekehrt werden die aus seiner Sicht erforderlichen Zeremonieelemente (Totenwäsche) nicht übernommen. Die nach herrschender Rechtsauffassung »allgemeine« Bestattungszeremonie ist also aus interkultureller Perspektive in höchstem Maß kulturell bedingt. Wahrgenommen wird dies aber erst durch die Konfrontation mit einer anderen,ebenso kulturell bedingten Rechtsauffassung. In diesem Beispiel ist die kulturelle Bedingtheit des Rechts und seiner Interpretation aus einer interkulturellen Perspektive, die die Sicht eines muslimischen Beteiligten als Vergleichsmaßstab heranziehen konnte, gut sichtbar hervorgetreten. Die kulturelle Bedingtheit der Rechtsansichten hatte hier einen religiösen Hintergrund. Selbstverständlich ist kulturelle Bedingtheit von Recht nicht immer auf eine religiöse Prägung zurückzuführen. Auch sonstige Formen kultureller Prägung sind denkbar. Wenn etwa im Sozialhilferecht der Umfang bestimmter staatlicher Leistungen »unter Berücksichtigung der jeweils herrschenden Lebensgewohnheiten« bestimmt wird, dann fließen hier auch religionsunabhängig bestimmte kulturelle Prägungen in die Rechtsanwendung ein. Religiöse Einflüsse sind allerdings sehr stark und lassen Differenzen zudem besonders deutlich zutage treten. Wie das Beispiel illustriert haben sollte, ist es gerade die kulturelle Bedingtheit durch Einflüsse religiöser Traditionen, die aus einer intrakulturellen Perspektive leicht verkannt wird, weil die religiöse Herkunft bestimmter Lebensgewohnheiten im Rechtsalltag einer stark säkularisierten Gesellschaft unerkannt bleibt. Das Recht wird hier als allgemein, nicht religiös beeinflusst und damit auch als wenig kulturell begriffen. Erst die interkulturelle Perspektive lässt die eigentliche Prägung des Rechts und seiner Anwendung ©deutlich werden. 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Praktisch relevante Felder interkultureller Rechtsbeziehungen In der Entscheidungspraxis der Gerichte finden sich zahlreiche interkulturelle Rechtsstreitigkeiten. Jedes Rechtsverhältnis zwischen Personen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund birgt die Möglichkeit, dass die Beteiligten auf die kulturelle Bedingtheit des für ihr Rechtsverhältnis maßgeblichen Rechts stoßen. In den seltensten Fällen sind die damit verbundenen Konflikte durch internationale Kollisionsnormen oder auch nur durch nationale Kollisionsregeln gelöst. Gerade weil sich eine interkulturelle Perspektive auf das eigene Recht nicht von selbst eröffnet, können denkbare Kollisionen kaum antizipierend vom Gesetzgeber gelöst werden. Vielmehr muss das Recht, muss vor allem die Rechtsanwendung in den und auf die konkreten Konstellationen reagieren. Der folgende Überblick über praktisch relevant gewordene Fälle interkultureller Rechtsbeziehungen kann und soll darum nicht systematisch abstecken, wo Interkulturalität im Recht Bedeutung erlangen könnte. Er dient vielmehr der Illustration des Umfangs, der Vielfalt und auch der Zufälligkeit möglicher Konstellationen interkultureller Rechtsanwendung. Dabei beschränken sich die folgenden Beispiele auf Fälle von durch Einwanderung »importierter« Interkulturalität und die damit erzeugte interkulturelle Perspektive auf das deutsche Recht. Nicht berücksichtigt sind die ebenso denkbaren Konstellationen, in denen im Ausland lebende Deutsche Interkulturalitätserfahrungen mit fremdem Recht machen.

Staatliche Verfahren (Gerichtsverfahren, Verwaltungsverfahren) Interkulturelle Rechtsbeziehungen entstehen unmittelbar zwischen Staat und Individuum, wenn Immigranten in staatlichen Verfahren (Gerichtsund Verwaltungsverfahren) beteiligt sind. An mehreren Punkten erweist sich hier, dass die Verfahrensgestaltung als solche kulturell bedingt ist. Besonders offensichtlich ist dies bei der gesetzlichen Festlegung der Verfahrenssprache. Verfahrenssprache ist in Gerichts- und Verwaltungsverfahren Deutsch. Für diejenigen, die der deutschen Sprache nicht (hinreichend) mächtig sind, ist die Verfahrenskommunikation darum allein wegen der Sprache interkulturelle Kommunikation, die für sie mit gewissen Verfahrensschwierigkeiten verbunden ist. Allerdings wurden eine Reihe von Regeln geschaffen, die etwaige Sprachschwierigkeiten berücksichtigen (dazu weiter unten). Die Kommunikation erweist sich aber nicht allein wegen der Sprache als interkulturell. Auch im Übrigen sind Verhalten und Verhaltenserwartungen der Verfahrensbeteiligten kulturell bedingt. Um die Chancen und Schutzmecha© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nismen eines Verfahrens nutzen zu können, bedarf es einer gewissen kulturellen Vertrautheit, insbesondere einer Vertrautheit mit den kulturell bedingten Verhaltenserwartungen des Gerichts oder der Behörde. Eine wichtige Rolle kann der kulturelle Kontext auch im Rahmen medizinischer und psychologischer Begutachtung spielen (Pfefferer-Wolf u. Fabricius 1999). Im Strafprozess wird darum die Notwendigkeit eines Pflichtverteidigers bejaht, wenn der Angeklagte einen ganz fremden kulturellen Hintergrund hat (s. etwa LG Braunschweig, Strafverteidiger [StV] 1994, 476; OLG Karlsruhe, Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ 1987, 522; LG Freiburg, StV 1986, 472). Es wird angenommen, dass ein solcher Angeklagter sich allein möglicherweise nicht ordnungsgemäß verteidigen, vor allem nicht die geeigneten Sachund Prozessanträge stellen kann. Dabei wird das Problem zu Recht nicht allein bei der Sprache gesehen; dafür würde es ja genügen,einen Dolmetscher zur Verfügung zu stellen. Vielmehr wird die kulturelle Unvertrautheit im Ganzen als Problem wahrgenommen. Ein völlig anderer Aspekt interkultureller Gerichtsverfahren, der etwas von der Zufälligkeit und Unvorhersehbarkeit interkultureller Falldimensionen offenbart, ist in einem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall hervorgetreten (BVerfG, Neue Juristische Wochenschrift NJW 1993, 3316 f.): Hier hatte eine deutsche Frau erfolglos versucht, gem. § 395 II Nr. 1 Strafprozessordnung (StPO) als Nebenklägerin im Prozess wegen der Tötung des Mannes zugelassen zu werden, mit dem sie nach »Sinti-Art« verheiratet war und mit dem sie 26 Jahre zusammengelebt hatte. Ihre Zulassung wurde abgelehnt, weil die nach Sinti-Art geschlossene Ehe mangels Einschaltung eines Standesbeamten nach deutschem Recht nicht wirksam war. Das Bundesverfassungsgericht war der Ansicht, der Schutzbereich des Ehegrundrechts (Art. 6 I GG) sei nicht berührt, weil keine Ehe im Sinne des Grundgesetzes bestand. Hier tritt Interkulturalität also gleich dreifach in Erscheinung: Kulturell bedingt sind das deutsche Eheschließungsrecht, die Interpretation von § 395 II Nr. 1 StPO wie auch das Verständnis der grundrechtlich geschützten Ehe in Art. 6 I GG.

Besondere Gewaltverhältnisse Eine interkulturelle Dimension im unmittelbaren Verhältnis zwischen Staat und Individuum kann sich des Weiteren in den so genannten besonderen Gewaltverhältnissen ergeben (Schule, Bundeswehr, Strafvollzug). Hier besteht schon quantitativ eine enge Beziehung zwischen Staat und Individuum, die auch qualitativ durch ein teilweise besonderes Pflichtenverhältnis gekennzeichnet ist. Der Staat hat hier größeren unmittelbaren Einfluss auf die individuelle Lebensgestaltung des Einzelnen als im sonstigen © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Bürger-Staat-Verhältnis. Ein beachtlicher Teil des Tagesablaufs von Strafgefangenen, Schülern und Soldaten ist staatlich reglementiert. Der Staat entscheidet, mit welchen Fächern sich ein Schüler zu befassen hat, und bestimmt neben den Eltern die Erziehungsziele. Für Soldaten und Strafgefangene ist beispielsweise auch der Speiseplan staatlich festgelegt. In dieser Steuerung der Lebensgestaltung kann sich wiederum kulturelle Bedingtheit von Staat und Recht manifestieren. Gerechnet wird hier erst einmal mit dem kulturellen »Normalbürger«. Wenn dieses Bild des kulturellen Normalbürgers mit anderen Anforderungen und Erwartungen an die Lebensgestaltung konfrontiert wird, zeigt sich dessen kulturelle Bedingtheit. Praktisch relevant wird dies immer wieder, wenn Moslems betroffen sind: Muslimische Schülerinnen sollen aus Sicht der Eltern nicht am koedukativen Sport- und Sexualkundeunterricht teilnehmen. Muslimische Schülerinnen und Schüler sollen nicht zu Klassenfahrten mitfahren. Soldaten und Strafgefangene benötigen aus religiösen Gründen vom Speiseplan abweichende Kost. Probleme wirft auch die Einhaltung religiöser Feiertage und Gebetsverpflichtungen auf. Auf einige dieser Aspekte von Interkulturalität stellen sich die Behörden zunehmend ein (siehe etwa zur Befolgung islamischer Speisevorschriften im Strafvollzug OLG Koblenz, Entscheidungen in Kirchensachen 31, 519 ff.). Bei anderen, insbesondere bei den Schulfragen, geschieht dies aus nahe liegenden grundsätzlichen Erwägungen nur zögerlich (zur sehr umstrittenen Befreiung muslimischer Mädchen vom Sportunterricht BVerwG, NVwZ 1994, 578 ff.; OVG Münster, NVwZ 1992, 77 ff.; OVG Lüneburg, NVwZ 1992, 79 ff.).

Materielles Verwaltungsrecht Kulturelle Bedingtheit und interkulturelle Herausforderungen erweisen sich darüber hinaus bei der Anwendung des materiellen Verwaltungsrechts. Interkulturalität spielt in den unterschiedlichsten Fallgestaltungen eine Rolle. Gezeigt wurde dies bereits für die Interpretation bestimmter Regelungen im Sozialhilferecht. Einige andere Beispiele sollen die Vielfalt materiellrechtlicher Fragen mit interkulturellem Bezug andeuten. Besonders gründlich wurde der Aspekt der Interkulturalität in einem weiteren, bereits 1979 vom VG Berlin (Aktenzeichen: 14 A 591.78, unveröffentlicht) entschiedenen Rechtsstreit behandelt, der darum näher dargestellt werden soll. Hier hatte ein griechischer Apotheker, der der in Griechenland lebenden türkischen Minderheit angehörte, die Erteilung der Apotheker-Approbation für Deutschland beantragt. Nach § 4 der Bundes-Apothekerordnung (BApO) in der damaligen Fassung durfte einem Ausländer nur dann eine Approbation gewährt werden, wenn dies im öf© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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fentlichen Interesse lag oder die Versagung eine außergewöhnliche Härte darstellte. Nach Auffassung des Gerichts lag eine Betätigung des Klägers als Apotheker im öffentlichen Interesse. Nach der Regelung sei der Apotheker berufen, die Bevölkerung ordnungsgemäß mit Arzneimitteln zu versorgen. Er diene damit der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes. Ein öffentliches Interesse an der Erteilung einer Approbation an einen Ausländer sei daher dann anzuerkennen, wenn durch diese Maßnahme Versorgungsmängel ausgeglichen werden können. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die BApO vor allem eine qualitativ gleichwertige – »ordnungsgemäße« – Versorgung aller Bevölkerungsteile, auch der ausländischen Minderheiten, bezwecke. Durch die in Berlin an und für sich in ausreichender Anzahl vorhandenen Apotheken sei zum damaligen Zeitpunkt eine ordnungsgemäße Versorgung des griechischen und türkischen Bevölkerungsanteils nicht gewährleistet gewesen. Die den Apothekern unter anderem obliegende Prüfung und Abgabe von Arzneimitteln sei verbunden mit Beratungspflichten und Aufklärungspflichten, namentlich bei der Abgabe rezeptfreier Arzneimittel, deren Einnahme weder ärztlich verordnet noch überwacht wird. Wegen der Integrationsschwierigkeiten der »Gastarbeiter« (diese Bezeichnung würde man heute richtigerweise nicht mehr verwenden) könne die erforderliche Beratung und Aufklärung durch deutsche Apotheker schon wegen sprachlicher Barrieren nur unvollkommen vorgenommen werden. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber eine qualitativ geminderte Arzneimittelversorgung des ausländischen Bevölkerungsteils bewusst in Kauf genommen habe, als er – in Kenntnis des »Gastarbeiterproblems« – die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung grundsätzlich Deutschen vorbehalten hat. Dem Vorbehalt liege die Erwägung zugrunde, dass von einem in Deutschland tätigen Apotheker erwartet werden müsse, dass er mit Sprache, Lebensart und Bedürfnissen seiner – im Wesentlichen deutschen – Kundschaft vertraut ist und Kenntnisse über die in Deutschland übliche medizinische Versorgung mit Arzneimitteln und die hierfür maßgeblichen Rechtsvorschriften besitzt. Diese auf die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung eines im Regelfall deutschen Kundenkreises zugeschnittene Erwägung treffe aber für solche Gebiete nicht zu, in denen wegen eines erheblichen ausländischen Bevölkerungsanteils von vornherein regelmäßig mit einer großen Anzahl ausländischer Apothekenkunden bestimmter Nationalitäten zu rechnen ist. Hier erfordere die ordnungsgemäße Krankenversorgung, auf die auch Ausländer entsprechend der Staatszielbestimmung der Sozialstaatlichkeit Anspruch erheben können, dass solche Apotheker in ausreichender Anzahl vorhanden sind, die als Landsleute des ausländischen Kundenkreises mit dessen Sprache, Bedürfnissen und Lebensgewohnheiten vertraut sind. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Im Ergebnis wurde die Ablehnung der Approbation durch die Behörde für rechtswidrig gehalten. Interkulturalität spielte hier zwar – anders als in den Sozialhilfefällen – nicht unmittelbar für die Beziehungen zwischen Antragsteller (Apotheker) und Behörde eine Rolle. Das Gericht hat aber gesehen, dass die interkulturelle Kommunikation zwischen Apotheker und Apothekenkunden Schwierigkeiten bereiten kann, und hat dies bei der Interpretation der BApO berücksichtigt. Hier zeigt sich, dass Recht zwar wegen seiner eigenen kulturellen Bedingtheit – wie in den Sozialhilfefällen – einerseits selbst unmittelbar Gegenstand und Anlass interkultureller Kommunikations- und Kooperationsschwierigkeiten sein kann, wenn nämlich kulturell bedingte Uneinigkeit über die richtige Auslegung des Rechts besteht; dass das Recht jedoch andererseits auch zur Behebung interkultureller Kommunikationsschwierigkeiten, die nicht unmittelbar mit dem Recht, sondern zum Beispiel mit medizinischer Versorgung zu tun haben, eingesetzt werden kann.

Strafrecht Die kulturelle Bedingtheit des Rechts selbst spielt wiederum im Strafrecht eine große Rolle. Selbstverständlich sind auch die Strafnormen und die dahinter stehenden Wertungen kulturell bedingt. Besonders deutlich zeigt sich das an den weit über die juristische Fachöffentlichkeit hinaus wahrgenommenen »Blutrachefällen« (beispielsweise BGH, NStZ 1995, 79). In den Blutrachetaten äußern sich oft dem deutschen Recht fremde, durch einen anderen kulturellen (selten hingegen: rechtlichen) Hintergrund bedingte Ehrvorstellungen, die das stärkere Tötungsverbot des deutschen Rechts seinerseits als kulturell bedingt erscheinen lassen. Die Strafjustiz nimmt den interkulturellen Aspekt dieser Taten natürlich wahr, hat aber beachtliche Schwierigkeiten, hierauf konsistent zu reagieren. Praktisch außer Diskussion steht, dass durch Ehrvorstellungen motivierte Tötungshandlungen ihren Unrechtsgehalt an sich nicht wegen dieser dahinter stehenden Motivation verlieren. Hingegen ist bislang keine Einigkeit darüber erzielt, inwieweit der kulturelle Hintergrund bei der Bestimmung des Ausmaßes von Unrecht und Schuld eine Rolle spielt. Berücksichtigung finden kann er zum Beispiel bei der Frage, ob Totschlag oder Mord vorliegt, oder auch bei der Entscheidung, ob man es mit einem minder schweren Fall zu tun hat. Auch in etwas weniger spektakulären Fällen als den Blutrachetaten wird kulturelle Bedingtheit des Strafrechts deutlich: Vor interkulturelle Herausforderungen sah sich das Strafrecht etwa auch im Fall einer in Deutschland lebenden berberischen Mutter gestellt, die ihrem bettnässenden Sohn ei© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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nem Brauch ihres Stammes gemäß heiße Stricknadeln auf den Bauch drückte, um das Bettnässen zu beenden. Aus Sicht der Mutter war das, was sie tat, eine »Heilbehandlung«. Nach gängiger Anwendung deutscher Strafrechtsvorschriften hatte man es hingegen eher mit einer strafbaren Körperverletzung zu tun (Fabricius 1991). In einem anderen Fall (LG Mannheim, NJW 1990, 2212 f.) war ein der islamischen Sekte Ahmadijja anhängender pakistanischer Staatsangehöriger wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c Strafgesetzbuch (StGB) angeklagt. Seine Nachbarin hatte abends an seine Tür geklopft und ihn gebeten, einen Krankenwagen zu holen, nachdem sie zuvor von ihrem Lebensgefährten einen – letztendlich tödlichen – Messerstich in den Rücken erhalten hatte. Sie war nur mit einer Unterhose und einem T-Shirt bekleidet, roch nach Alkohol und hatte Blut am Bein. Der Angeklagte war nach den Feststellungen des Gerichts von Abscheu und Ekel ergriffen, schloss die Tür und legte sich schlafen. Die Frau hätte gerettet werden können, wenn der Angeklagte unverzüglich einen Krankentransport veranlasst hätte. Das Landgericht verneinte die Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung, weil die Hilfeleistung nicht zumutbar gewesen sei. Der Angeklagte habe in Einklang mit den für ihn geltenden sittlichen-religiösen Vorschriften gehandelt, als er sich von der nur spärlich bekleideten, betrunkenen, fremden Frau entsetzt abwandte. Die Zumutbarkeit der Hilfeleistung im Sinne von § 323c StGB richte sich nach »dem allgemeinen Sittengesetz«, das heißt nach allgemeinen sittlichen Maßstäben. Das bedeute, dass außer Lebenserfahrung und Vorbildung auch Persönlichkeit und Herkunft des Täters zu berücksichtigen seien. Insofern dürften auch die Besonderheiten, die sich aus der Zugehörigkeit zu einem anderen Kulturkreis, insbesondere zu einer anderen Religion oder Weltanschauung, ergeben, nicht außer Acht gelassen werden.

Zivilrecht Auch private Rechtsbeziehungen können auf verschiedenste Weise interkulturell sein und dementsprechend Fragen der interkulturellen Rechtsanwendung aufwerfen. Einen wichtigen Bereich, der in jüngster Zeit zunehmend an praktischer Relevanz und gesetzgeberischer Aufmerksamkeit gewinnt, bilden die auch kulturell bedingten Diskriminierungen in Privatrechtsbeziehungen. Stellt etwa ein Arbeitgeber eine Arbeitnehmerin nicht ein, weil sie aus religiösen Gründen ein Kopftuch trägt, oder wird einem Mieter gekündigt, weil die fremdländischen Essensgerüche die Hausgemeinschaft stören, hat man es mit Ungleichbehandlungen in interkulturellen Privatrechtsbeziehungen zu tun, für deren rechtliche Beurteilung die © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Juristen bislang nicht über umfassende und allgemein konsentierte Maßstäbe verfügen. Ein für den Privatrechtsverkehr gedachtes Antidiskriminierungsgesetz ist derzeit in Arbeit. Vielfach virulent geworden ist Interkulturalität auch im Familienrecht. Es liegt auf der Hand, dass das Familienrecht in besonderem Maß kulturell bedingt ist. Insbesondere die rechtliche Ausgestaltung des Eltern-Kind-Verhältnisses ist erheblich kulturell geprägt; Konflikte mit anderen Familienvorstellungen sind unvermeidlich (Ehringfeld 1997). Praktisch spielt dies etwa in Sorgerechtsentscheidungen eine Rolle, wenn Gerichte das (kulturell bedingt verstandene) Kindeswohl durch besonders rigides Verhalten der Eltern gefährdet sehen, die betroffenen Eltern aber aufgrund ihrer (ebenfalls kulturell bedingten) Erziehungsvorstellungen meinen, nur das Beste für ihr Kind zu tun (LG Berlin, FamRZ 1983, 944; OLG Düsseldorf, FamRZ 1984, 1258 ff.; KG, NJW 1985, 69; Bay OLG, FamRZ 1993, 230). In diesen familienrechtlichen Streitigkeiten besteht Interkulturalität allerdings in der Regel weniger in der Rechtsbeziehung zwischen den Privaten (hier: zwischen Eltern und Kind), sondern vielmehr zwischen Privaten (hier: den Eltern) und dem über das Sorgerecht entscheidenden Gericht. Zu interkulturellen Rechtsstreitigkeiten unmittelbar zwischen Privaten kommt es hingegen im Mietrecht. Die Kündigung wegen interkultureller Spannungen innerhalb der Hausgemeinschaft wurde bereits als Beispiel genannt (siehe etwa LG Oldenburg, Wohnungswirtschaft und Mietrecht 1983, 317). Zahlreiche Gerichtsverfahren wurden auch über die Forderung ausländischer, zugewanderter Mieter geführt, eine Satellitenschüssel installieren zu dürfen, um Fernsehprogramme in ihrer Sprache und aus ihrem Herkunftsland empfangen zu können. Ob der Eigentümer dies zulassen muss, ist im Mietrecht nicht ausdrücklich geregelt. Die Gerichte haben lange keine einheitliche Auffassung zu der Frage gefunden. Am Ende hat das Bundesverfassungsgericht zugunsten der Mieter entschieden, dass der Eigentümer deren Interesse am Empfang ihrer Fernsehprogramme berücksichtigen müsse (Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 90, 27, 36 f.; BVerfG, NJW 1994, 2143). Zu interkulturellen Rechtsstreitigkeiten kann es auch – über die erwähnte Diskriminierungsproblematik hinaus – im Arbeitsverhältnis kommen. Denkbar ist etwa, dass Arbeitgeber und muslimische Arbeitnehmer keine einvernehmliche Lösung darüber finden, ob und wie den Arbeitnehmern die Einhaltung ihrer Gebetsverpflichtungen während der Arbeitszeit ermöglicht wird. Auch die Einhaltung von Fastenvorschriften könnte im Einzelfall Probleme aufwerfen. Zur Regelung dieser Fragen war in einem Entwurf der sächsischen Landesverfassung folgende Bestimmung vorgesehen: »Angehörige nationaler Minderheiten können in Sachsen ohne irgendwelche Nachteile in©ihren Arbeits- oder Dienstverhältnissen ihre besonderen 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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gesetzlich festgelegten Feiertage begehen.« Dieser Entwurf wurde jedoch nicht realisiert. Arbeitnehmern zu ermöglichen, ihre kulturell bedingten Lebensgewohnheiten beizubehalten, war auch Ziel eines ebenfalls nicht realisierten Verordnungsentwurfs zu § 120c I Gewerbeordnung (GewO). Nach § 120c I GewO hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass Gemeinschaftsunterkünfte so beschaffen und ausgestattet sind, dass das sittliche Befinden der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigt wird. § 27 VI des Entwurfs einer AusführungsVO zu § 120c GewO sah darum folgende Bestimmung vor: »Sind ausländische Bewohner in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht, so müssen, wenn es die Lebensgewohnheiten dieser Bewohner erfordern, besondere Toiletten (Hocktoiletten) vorhanden sein.« Ein letztes Fallbeispiel soll den Eindruck von der Bandbreite interkultureller Rechtsfragen auch in den Privatrechtsbeziehungen abrunden. In einer Entscheidung zur Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung (LG Köln, Schaden-Praxis 1995, 55 f.) ging es um die Leistungspflicht des beklagten Haftpflichtversicherers, weil der türkische Unfallverursacher möglicherweise unberechtigt vermeintliche Ansprüche gegen ihn ohne vorherige Zustimmung der Versicherung befriedigt und damit eine versicherungsrechtliche Obliegenheit verletzt hatte. Danach ist der Versicherungsnehmer bei Haftpflichtschäden nicht berechtigt, ohne vorherige Zustimmung des Versicherers einen Anspruch ganz oder zum Teil anzuerkennen oder zu befriedigen, sofern nicht der Versicherungsnehmer nach den Umständen des Einzelfalls die Anerkennung oder Befriedigung der Ansprüche nicht ohne offenbare Unbilligkeit verweigern konnte. Das Gericht verneinte die Verletzung von Obliegenheiten und damit auch die Leistungsfreiheit des Versicherers. Angesichts der schweren Unfallfolgen – zwei Türkinnen waren zu Tode gekommen – habe es aus Sicht des Versicherungsnehmers als seine sittliche Pflicht erscheinen müssen, schnell berechtigte Ansprüche zu befriedigen, insbesondere eine ausreichende Genugtuung zu leisten. Dabei müssten auch die nationalen und kulturellen Usancen berücksichtigt werden. Es sei davon auszugehen, dass sich der Kläger als in Deutschland lebender Türke aus moralischer Sicht gegenüber Ansprüchen türkischer Staatsbürger besonders verpflichtet fühle, zumal sich der Unfall in seiner Heimat ereignete. Vor allem dieses letzte Beispiel sollte deutlich machen, dass auch im Privatrechtsverkehr mit kulturell bedingt sehr unterschiedlichen Vorstellungen von Recht gerechnet werden muss.

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Reaktionen von Recht und Rechtsanwendern auf interkulturelle Herausforderungen Ist die kulturelle Bedingtheit von Recht und Rechtsauffassungen erst einmal erkannt, stellt sich in jedem Einzelfall aufs Neue die Frage, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Diejenigen, die das Recht mit bindender Interpretationsmacht anwenden, können die kulturelle Bedingtheit des Rechts und seiner Interpretation entweder ignorieren und es auch in interkulturellen Rechtsverhältnissen wie gewohnt anwenden oder sie können versuchen, die andere Sicht aufzugreifen und bei der Rechtsanwendung einfließen zu lassen. Eindeutige Leitlinien stehen dabei nicht zur Verfügung. Auf die geschilderten interkulturellen Rechtskonflikte waren alle Beteiligten, auch die damit befassten Behörden und Gerichte, kaum vorbereitet. Dass die gewohnte Anwendung des Rechts in bestimmten Konstellationen Probleme aufwerfen kann, ergab erst die anhand des konkreten Falls eröffnete interkulturelle Perspektive. Der Gesetzgeber hatte hierfür keine besonderen Regelungen getroffen. Allgemeine Rechtsgrundsätze, wie die damit verbundenen Rechtsfragen zu lösen sind, haben sich bislang auch in der Rechtspraxis kaum herausgebildet. Insbesondere gibt es keine allgemein konsentierte Regel, nach der das Maß gegenseitiger Rücksichtnahmepflichten in interkulturellen Privatrechtsverhältnissen eindeutig bestimmt werden könnte. Im Prinzip lassen die Gesetze ihren Anwendern hinreichend Spielraum, der kulturellen Bedingtheit des Rechts in interkulturellen Rechtskonflikten Rechnung zu tragen. Die »unbestimmten Rechtsbegriffe«, die sich in den Gesetzen aller Rechtsgebiete in großer Zahl finden, ermöglichen dem Richter eine stark auf den konkreten Einzelfall zugeschnittene Anwendung des Rechts, bei der interkulturelle Aspekte berücksichtigt werden können. Allein die Möglichkeit, der kulturellen Bedingtheit des Rechts Rechnung zu tragen, besagt aber eben noch nichts über die Notwendigkeit, dies zu tun. Die Rechtsanwender sind darum im konkreten interkulturellen Rechtsstreit sehr auf sich selbst gestellt. Entsprechend uneinheitlich sind die Strategien, die zur Lösung solcher Konflikte herangezogen werden. Allerdings lassen sich aus der Verfassung durchaus Anhaltspunkte und Grundsätze für die Entscheidung interkultureller Rechtsfragen gewinnen (Britz 2000a). Ein spezifisches Problem interkultureller Rechtsbeziehungen ist allerdings durch Gesetze, Rechtsprechung und juristische Fachliteratur sehr viel stärker juristisch verarbeitet als die anderen: das Problem der Sprache. Für das Gerichtsverfahren ist das Sprachproblem im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) gelöst. Die Gerichtssprache ist nach § 184 GVG Deutsch. Nach § 185 I GVG muss jedoch für das Gerichtsverfahren ein Dolmetscher gestellt werden (zur Sprachregelung im Gerichtsverfahren Hufen 2000, § 35 © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Rn. 12; Kopp 1994, § 55 Rn. 9 ff.). Abweichend ist die Sprachfrage in § 23 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) für das Verwaltungsverfahren geregelt. Einen Anspruch darauf, einen Dolmetscher gestellt zu bekommen, besteht hier nicht. Die Sprachschwierigkeiten werden durch § 23 VwVfG im Wesentlichen als ein vom Fremdsprachigen allein zu lösendes Problem behandelt (kritisch dazu Hufen 1998, S. 151 ff.). Die Rechtspraxis geht über diesen Standard jedoch längst hinaus, zumal sich etwa die Notwendigkeit, einen Dolmetscher hinzuzuziehen, aus anderen Rechtsgrundsätzen ergeben kann (ausführlich zur Hinzuziehung eines Dolmetschers im Verwaltungsverfahren Stelkens u. Schmitz 2001, Rn. 24 ff.). Nicht nur angesichts der Immigration Fremdsprachiger nach Deutschland muss im Verwaltungsverfahren flexibler mit Sprache umgegangen werden, als es der Wortlaut von § 23 VwVfG vermuten lässt. Auch die Europäisierung und Globalisierung der Wirtschaft entfaltet hier flexibilisierende Wirkung. Eine Vielzahl von Verwaltungsverfahren wird transnational geführt; auf die Verwendung insbesondere der englischen Sprache zu verzichten, ist hier nicht denkbar (Stelkens u. Schmitz 2001, Rn. 3). Dass gerade das Sprachproblem intensiver geregelt ist als andere Fragen interkultureller Rechtsbeziehungen, dürfte zum einen daran liegen, dass es besonders drängend ist. Zum anderen ist es aber auch eher vorhersehbar und inhaltlich leichter fassbar als andere Aspekte interkultureller Rechtsanwendung. Dass verschiedene Sprachen voneinander abweichen und die Verwendung der deutschen Sprache als Rechtssprache jene vor Schwierigkeiten stellt, die eine andere Sprache sprechen, ist offensichtlich. Inwiefern sonstige kulturelle Prägungen des Rechts voneinander abweichen, lässt sich nicht so leicht sagen, schon weil sich spezifische Kulturen und damit ihr Anteil an der Prägung von Rechtsvorstellungen nicht eindeutig beschreiben und abgrenzen lassen.

Schluss Aus interkultureller Perspektive zeigt sich die kulturelle Bedingtheit des Rechts. Der kulturelle Hintergrund schlägt sich sowohl im materiellen Recht – also in den Regelungen in der Sache – als auch in den Regelungen über die rechtlichen Verfahren nieder. Dadurch sind Rechtsanwender und Rechtsbetroffene vor Schwierigkeiten gestellt, die nicht umfassend durch abstrakte Regelungen gelöst werden können. Vielmehr muss von Fall zu Fall entschieden werden, ob die andere Sichtweise auf das Recht berücksichtigt werden kann. Die gesetzlichen Sprachregelungen für Gerichts- und © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Verwaltungsverfahren stellen insofern eine Ausnahme dar. Auch über das Sprachproblem hinaus scheinen die kulturell bedingten Verfahrensschwierigkeiten am ehesten allgemeiner Regelung zugänglich. Hier muss nicht jedes Hindernis, das sich einem Verfahrensbeteiligten mit anderem kulturellen Hintergrund stellen kann, im Einzelnen erkannt und benannt werden. Vielmehr genügt es, das Problempotenzial abstrakt festzustellen. Darauf kann durch die rechtliche Gewähr von besonderem Verfahrensbeistand reagiert werden. Ein Beispiel hierfür ist das Recht auf einen Pflichtverteidiger im Strafverfahren. Die vorgestellten Beispiele interkultureller Rechtsanwendung stammen alle aus der nationalen Rechtspraxis und betreffen Konstellationen, in denen Migranten mit dem deutschen Recht in Kontakt kommen. Interkulturalität ist darüber hinaus in internationalen (Wirtschafts-)Rechtsbeziehungen denkbar. Insbesondere machen auch im Ausland lebende Deutsche Interkulturalitätserfahrungen mit dem dortigen Recht. Diese Aspekte interkultureller Rechtspraxis sind bislang aus rechtswissenschaftlicher Perspektive kaum erforscht.

Literatur Britz, G. (2000a): Kulturelle Rechte und Verfassung. Über den rechtlichen Umgang mit kultureller Differenz. Tübingen. Britz, G. (2000b): Der Einfluss christlicher Tradition auf die Rechtsauslegung als verfassungsrechtliches Gleichheitsproblem? Juristenzeitung 2000: 1127 ff. Ehringfeld, K. (1997): Eltern-Kind-Konflikte in Ausländerfamilien. Berlin. Fabricius, D. (1991) Der praktische Fall: Strafrecht – Heilung oder Kindesmisshandlung? Juristische Schulung 1991: 393 ff. Hufen, F. (1998): Fehler im Verwaltungsverfahren. 3. Auflage. Baden-Baden. Hufen, F. (2000): Verwaltungsprozessrecht. 4. Auflage. München. Kopp, F. O. (1994): Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Auflage. München. Pfefferer-Wolf, H.; Fabricius, D. (1999): Unbewusstheit im gutachterlichen Prozess, transkulturell wie intrakulturell. Beobachtungen und Überlegungen aus medizinischer, psychologischer und juristischer Sicht. In: Collatz, J. (Hg.), Begutachtung im interkulturellen Feld. Berlin, S. 87 ff. Stelkens, P.; Schmitz, H. (2001): § 23. In: Stelkens/Bonk/Sachs (Hg.), Verwaltungsverfahrensgesetz. 6. Auflage. München.

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UlrichWa gner/RolfvanDick/OliverChrist:InterkulturalitätinderSchule

Ulrich Wagner/Rolf van Dick/Oliver Christ

10. Interkulturalität in der Schule

Der Begriff Interkulturalität ist, zumindest für den schulischen Kontext, mehrdeutig. Gemeint sein könnte die Verortung der Schule selbst, die sich als Ausbildungsstätte für Schülerinnen und Schüler fremder Herkunft versteht, wie US-amerikanische Schulen in Deutschland. Der Begriff könnte sich auch auf die Lehrinhalte beziehen, die beispielsweise im Geographieoder Geschichtsunterricht behandelt werden. Interkulturalität kann aber auch die Kompetenz der am System Beteiligten thematisieren, die der Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrerinnen und Lehrer. Dieser Beitrag befasst sich mit der Entwicklung von Interkulturalität von Schülerinnen und Schülern und der Rolle, die die Schule dabei einnimmt. Was unter Interkulturalität von Personen, hier Schülerinnen und Schülern, verstanden wird, ist allerdings oft ebenfalls nicht klar. Häufig ist gemeint, dass die so bezeichneten Personen frei sind von Ressentiments und Feindlichkeit gegen fremde Gruppen, ein anderes Begriffsverständnis bezieht sich auf interkulturelle Kompetenz, das heißt die Fähigkeit, mit Situationen angemessen umgehen zu können, die von Akteuren mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen gestaltet werden. Beide Phänomene wollen wir hier thematisieren. Die Beschäftigung mit dem Thema Interkulturalität als Abwesenheit von Rassismus oder als interkulturelle Kompetenz geschieht schwerpunktmäßig durch unterschiedliche Interessengruppen, nämlich durch Vertreter einer Menschenrechtsposition, die Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe für moralisch und ethisch unakzeptabel halten und – neuerdings – durch Wirtschaftslobbyisten, die den Deutschen interkulturelle Kompetenz abverlangen, um Deutschland attraktiv für hoch qualifizierte Einwanderer zu machen. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, welche Rolle die Schule in der interkulturellen Erziehung (Auernheimer 1995), also bei der Entwicklung von Interkulturalität ihrer Schüler und Schülerinnen spielt und wie sie damit diesen gesellschaftlichen Interessen nachkommt. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Die Schule im Einwanderungsland Deutschland Deutschland ist seit langem Einwanderungsland. 1998 war die Zuwanderungsrate nach Deutschland bezogen auf die Gesamtbevölkerung größer als die eines klassischen Einwanderungslandes wie Kanada. Gegenwärtig haben von den 82 Millionen in Deutschland lebenden Menschen etwa 13 Millionen einen Geburtsort außerhalb von Deutschland. Die größten Gruppen sind deutschstämmige Aussiedler, Asylbewerber und Flüchtlinge sowie Arbeitsmigranten; von den Letzteren sind mit gegenwärtig etwa zwei Millionen Menschen die Türken die stärkste Gruppe. Trotz dieser Zuwanderungsgeschichte hat die offizielle Politik bis in die jüngste Vergangenheit zurückgewiesen, dass Deutschland Einwanderungsland ist. Dies hat Spuren hinterlassen: Die beharrliche Verweigerung, sich mit der Frage von Einwanderung inhaltlich zu befassen, hat erst die Möglichkeit geschaffen, die Ausländer- und Einwanderungsdebatte politisch zu instrumentalisieren und damit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in die Mitte der Gesellschaft zu tragen (vgl. Wagner et al. 2001b). Für die Schule hat die fast fünfzigjährige Leugnung der faktischen Einwanderung zur Folge, dass diese zentrale gesellschaftliche Bildungsinstitution sich dem Thema Interkulturalität nur äußerst unzureichend systematisch widmet.

Interkulturelle Erziehung Zentrale Sozialisationsagenten für Interkulturalität sind Eltern, Gleichaltrige und die Schule. Entwicklungspsychologische Untersuchungen zeigen, dass Kinder ihren Eltern in der Einstellung zu Fremden oft folgen; sie tun dies auch dann, wenn sie in anderen Lebensbereichen mit ihren Eltern weitgehend gebrochen haben. Die Eltern tragen also ein hohes Maß an Verantwortung für die Entwicklung von Interkulturalität ihrer Kinder. Die gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten auf den elterlichen Sozialisationsprozess sind allerdings gering: Fremdenfeindlich eingestellte Eltern werden kaum dazu zu bringen sein, ihren Kindern andere Überzeugungen zu vermitteln. Auch die Übernahme von Einstellungs- und Überzeugungsmustern durch Peers ist nur schwer zu beeinflussen, sozialpädagogischen Interventionen sind wegen der Freiwilligkeit der Angebote oft enge Grenzen gesetzt. In der interkulturellen Erziehung fällt somit der Schule eine besondere Aufgabe zu. Die Schulzeit spielt für die Entwicklung ethnischer Einstellungen und den Erwerb interaktiver Kompetenzen unbestritten eine erhebliche Rolle. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Die Schülerinnen und Schüler befinden sich in einer Entwicklungsphase, in der sich negative Einstellungen gegenüber »fremden« Gruppen verfestigen. Gleichzeitig ist in der Schule die Möglichkeit gegeben, alle potenziell Anzusprechenden zumindest physisch zu erreichen. Nach Beendigung der Schulzeit werden insbesondere Angebote zum Abbau von Vorurteilen nur selten von den Zielgruppen wahrgenommen, für die sie eigentlich gedacht sind: Rassisten gehen Antirassismustrainings aus dem Weg. Dass bereits in der Grundschule Interkulturalität von Bedeutung ist und interkulturelle Probleme existieren, konnten wir in einer Befragung von über 1 200 Schülerinnen und Schülern der vierten Grundschulklassen und ihren Lehrkräften demonstrieren (vgl. Wagner et al. 2001a). In soziographischen Wahlen zeigen deutsche Kinder eine klare Präferenz für die eigene ethnische Gruppe, sie wollen lieber neben deutschen Kindern als neben Klassenkameraden anderer Herkunft sitzen. Auch in Umfragen äußern deutsche Kinder dieses Alters bereits eine deutliche Bevorzugung der Deutschen und die Ablehnung von ethnischen Minderheiten. In unserer Befragung zeigten Schülerinnen und Schüler aus Aussiedlerfamilien und türkische Schülerinnen und Schüler dagegen ein umgekehrtes Präferenzmuster: Sie bevorzugen die deutsche und nicht ihre eigene Gruppe. Dies repliziert die Befunde der US-amerikanischen Vorurteilsforschung bis zum Ende der sechziger Jahre, dass weiße Kinder andere weiße Kinder bevorzugten, afroamerikanische Kinder aber ebenfalls die Kinder aus der statushöheren weißen Gruppe. Erst mit der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre und der zunehmenden Orientierung auf die Werte der eigenen Gruppe begannen farbige US-amerikanische Kinder, der eigenen ethnischen Gruppe den Vorzug zu geben.

Lehrerinnen und Lehrer In welcher Weise übernehmen nun Lehrerinnen und Lehrer die Erziehung zur Interkulturalität? In einem breit angelegten Forschungsprojekt (gefördert von der Volkswagen-Stiftung) haben wir Lehrerinnen und Lehrer einzeln und in Gruppendiskussionen interviewt, mit standardisierten Messinstrumenten befragt und die von ihnen unterrichteten Schülerinnen und Schüler untersucht. Wesentliches Ziel des Projekts war festzustellen, wie Lehrerinnen und Lehrer mit interkulturellen Differenzen und Problemen in der Schule umgehen. Dazu wurden, nach Interviews mit ausgewählten Lehrkräften, mehrere interkulturell problematische Situationen vorgegeben und gefragt, wie © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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die Lehrerinnen und Lehrer auf diese reagieren würden. Nach Expertenurteilen ist die Thematisierung der Problemsituation in der Klasse eine pädagogisch sinnvolle Reaktion, pädagogisch weniger sinnvoll sind Bestrafungsmaßnahmen, wie Sanktionen gegen die betroffenen Schülerinnen und Schüler oder das Einschalten des Schulamts. Insgesamt zeigte sich, dass die Lehrkräfte sehr viel stärker mit Thematisierung als mit Bestrafung reagierten, also pädagogisch adäquat handelten. Allerdings wurden bestimmte interkulturelle Problembereiche, wie das Tragen eines Kopftuchs, von vielen Lehrerinnen und Lehrer nicht behandelt, also nicht thematisiert, was als Form des Verleugnens eines Problems angesehen werden kann. Die Ergebnisse unserer Untersuchungen verweisen allerdings auch auf bedeutsame Unterschiede zwischen den befragten Lehrerinnen und Lehrern. So setzten autoritärer eingestellte Lehrkräfte häufiger Bestrafung ein als weniger autoritäre Lehrerinnen und Lehrer. Thematisierung wurde häufiger von Lehrerinnen und Lehrern eingesetzt, die positive Akkulturationseinstellungen im Sinne einer Offenheit für eine multikulturelle Gesellschaft hatten, als von solchen mit Präferenzen für Assimilation oder Separation von ausländischen Menschen. Setzt man die Einstellungen der Lehrerinnen und Lehrer zu Einstellungen und Verhalten der von ihnen unterrichteten Schülerinnen und Schülern in Beziehung, zeigten sich ebenfalls interessante Zusammenhänge: Wenn die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer zum Beispiel die Auffassung vertrat, Immigranten sollten sich assimilieren, das heißt der deutschen Kultur anpassen und dabei ihre Herkunftskultur vernachlässigen, äußerten die gleichzeitig befragten Schüler aus Aussiedlerfamilien eher den Wunsch, Kontakte mit ihren autochthonen deutschen Mitschülerinnen und Mitschülern aufzunehmen. Vertrat die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer hingegen eine Akkulturationseinstellung, die auf eine multikulturelle Gesellschaft abzielt, bemühten sich die Aussiedlerkinder weniger um ihre »eingeborenen« Klassenkameraden. Für türkische Schülerinnen und Schüler, die vermutlich selbst eher eine Präferenz für multikulturelle Formen des Zusammenlebens haben, finden sich solche Zusammenhänge nicht. Insgesamt kann man die Ergebnisse unserer Befragungen und Experimente so zusammenfassen, dass Lehrerinnen und Lehrer durchaus bemüht sind, interkulturelle Inhalte und Probleme im Unterricht angemessen zu thematisieren. Allerdings werden informell auch immer wieder Klagen darüber vorgetragen, dass Lehrerinnen und Lehrer sich in ihrer Ausbildung auf die speziellen Anforderungen interkultureller Erziehung nur unzureichend vorbereitet fühlen.

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Unterrichtsprogramme Gegenwärtig sind etwa 10 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Deutschland nichtdeutscher Nationalität, dazu kommt allerdings noch ein erheblicher Anteil von Kindern, deren Eltern außerhalb Deutschlands geboren wurden, wie die Kinder aus Aussiedlerfamilien. Dollase, Ridder, Bieler, Woitowitz und Köhnemann (2002) haben in einer groß angelegten Umfrage an nordrhein-westfälischen Schulen gefunden, dass mit zunehmendem Anteil nichtdeutscher Schüler in den Klassen die Bewertung der jeweils anderen ethnischen Gruppen positiver wird, die soziometrischen Beziehungen weniger von ethnischen Gruppenzugehörigkeiten geprägt sind und auch die Zufriedenheit mit Lehrern und Unterricht höher wird als in rein deutschen Schulklassen oder solchen mit geringeren Ausländeranteilen. Dieser Befund widerspricht einer weit verbreiteten Überzeugung, wonach mit steigendem Ausländeranteil »die Schule schlechter werde«. Der Befund von Dollase und Mitarbeitern bestätigt gleichzeitig erneut die Kontakthypothese, wonach sich mit zunehmenden Kontakten zwischen Personen aus fremden Gruppen die gegenseitigen Einschätzungen verbessern (Pettigrew u. Tropp 2000). International gibt es eine Vielzahl von Vorschlägen zur Verbesserung interkultureller Kompetenzen und zum Abbau von Vorurteilen, die auch im schulischen Umfeld zum Einsatz kommen können und dort sogar nachgewiesen wirksam sind (Stephan 1999; Wagner et al. 2002). Als besonders wirksam erwiesen haben sich Programme des kooperativen Gruppenunterrichts, die auf die nachgewiesen günstige Wirkung von interkulturellen Kontakten bauen (vgl. Slavin u. Cooper 1999). Allport hatte bereits in seinem berühmten Buch von 1954 Bedingungen formuliert, unter denen Intergruppenkontakte in besonderem Maß zum Abbau gegenseitiger Feindseligkeiten und Ressentiments beitragen. Zu diesen gehören gleicher Status in der Kontaktsituation, die Verfolgung gemeinsamer übergeordneter Ziele, Gelegenheit zum Aufbau persönlicher Beziehungen und die Unterstützung von Intergruppenkontakten durch anerkannte Autoritäten. In kooperativen Gruppenunterrichtsprogrammen werden diese optimalen Bedingungen für effektiven Intergruppenkontakt umgesetzt: Die Schulklasse wird in Kleingruppen eingeteilt, die wöchentlich mehrere Stunden über einen längeren Zeitraum hinweg zusammenarbeiten. Dabei wird große Sorgfalt darauf verwendet, dass die Kleingruppen – anders als dies üblicherweise bei Gruppenunterricht in der Schule der Fall ist – ethnisch und leistungsmäßig heterogen zusammengesetzt sind. Das Unterrichtsmaterial für die Kleingruppen ist so gestaltet, dass die Einzelmitglieder einer Kleingruppe über unterschiedliche Teilinformationen verfügen. Zur Bearbeitung einer Biographie beispielsweise erhält ein Schüler Informationen zur © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Kindheit der Persönlichkeit, ein zweiter zum Jugendalter und so weiter. Das Unterrichtsziel kann daher nur erreicht werden, wenn alle Mitglieder der Kleingruppen, also auch die möglicherweise sprachschwachen Schülerinnen und Schüler aus ethnischen Minderheiten, ihren spezifischen Beitrag leisten und kooperativ interagieren. Einzelne Programme sehen darüber hinaus noch stützende Maßnahmen vor, die sicherstellen sollen, dass tatsächlich alle Schülerinnen und Schüler den gewünschten erfolgreichen Beitrag leisten können. Diese Form des kooperativen Gruppenunterrichts ist nicht nur effektiv in der Vorurteilsreduzierung; weil sie auch eine Möglichkeit bieten, dass insbesondere leistungsschwächere Kinder Erfolgsrückmeldungen bekommen, tragen die Programme darüber hinaus bei zur Anhebung der Selbstwertschätzung, der Leistungsmotivation und der Leistung insbesondere von Kindern ethnischer Minderheiten. Der Lernzuwachs von leistungsstärkeren Schülerinnen und Schülern wird davon nicht beeinträchtigt. Kooperative Gruppenunterrichtsprogramme werden in den USA und in Israel (dort zur Integration neuer jüdischer Einwanderer) mit Erfolg eingesetzt, in Deutschland sind sie leider weitgehend unbekannt. Andere Programme zur Förderung von Interkulturalität in der Schule basieren stärker auf der Vermittlung von Informationen. Eine aus dem USamerikanischen Raum stammende Intervention insbesondere gegen vorurteilige Einstellungen ist die »value-confrontation technique« von Rokeach (1971). Sie kann sowohl bei Schülerinnen und Schülern als auch bei Lehrerinnen und Lehrern angewendet werden. Ziel der Maßnahme ist es, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu zu bringen, über ihre eigenen Wertvorstellungen zu reflektieren. Dazu werden sie aufgefordert, 10 Werte wie Gleichheit und Freiheit nach dem Grad ihrer persönlichen Wichtigkeit in eine Rangreihe zu bringen. Dabei zeigt sich oftmals, dass Freiheit sehr hoch eingeschätzt, Gleichheit aber als wesentlich weniger wichtig betrachtet wird. Diese Diskrepanzen werden mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern intensiv diskutiert, wodurch Vorurteile reduziert werden sollen. Einige Studien können die Effektivität der Technik nachweisen (vgl. Wagner et al. 2002), deutschsprachige Evaluationsstudien fehlen aber auch für diese Maßnahme. Sehr viel breiter als die punktuell ansetzende »value-confrontation technique« sind multikulturelle Erziehungsprogramme angelegt, wie das bundesweite Schulprojekt »Schule ohne Rassismus«. Das Programm zielt darauf ab, mittels unterschiedlicher Aktionen, die Themen wie Rassismus, Interkulturalität und Gewaltfreiheit thematisieren, kulturelle Unterschiede anzusprechen und ein Verständnis für die Relativität eigener Kulturstandards (Thomas 1996) zu vermitteln. Ein weiteres Ziel multikultureller Curricula ist, Schülerinnen und Schülern aus ethnischen Minderheiten die Entwicklung einer positiven ethnischen Identität zu ermöglichen. Multi© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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kulturelle Erziehungsprogramme sind oft von großem Enthusiasmus der Beteiligten getragen, ihre Ziele sind aber nicht immer klar definiert. Bislang fehlt auch eine umfassende systematische Evaluation der Wirksamkeit der Programme (vgl. Wagner et al. 2002). Das, was in der Schule geschieht, ist natürlich eingebettet in die politische und gesellschaftliche Entwicklung. Die Abhängigkeit des schulischen Geschehens von der sie tragenden Gesellschaft wird auch darin deutlich, dass es international eine Fülle von Maßnahmen zur Förderung von Interkulturalität in der Schule gibt, aber nur ein Bruchteil dieser Möglichkeiten in deutschen Schulen systematisch umgesetzt wird. Auch dies geht zurück auf die jahrzehntelange Leugnung der Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist: Wenn Deutschland kein Einwanderungsland ist, gibt es keine Einwanderer – auch nicht in Schulen – und keine Notwendigkeit, Interkulturalität zum prominenten Thema zu machen.

Ein Blick in die Zukunft Interkulturalität wurde hier auf eine spezifische Weise diskutiert: Menschen mit hoher Interkulturalität sollten sich dadurch auszeichnen, dass ihr Umgang mit Fremden weniger von Vorurteilen geprägt ist und dass sie gleichzeitig die notwendigen Kompetenzen für einen effektiven Verlauf interkultureller Begegnungen aufweisen. Bislang ist weitgehend unklar, wie diese beiden Merkmale, Vorurteilsfreiheit und interkulturelle Kompetenz, miteinander verknüpft sind. Eine Möglichkeit besteht darin anzunehmen, dass sie unabhängig voneinander sind: In stratifizierten multiethnischen Gesellschaften weisen auf der einen Seite die Mitglieder der Führungsschicht häufig ein hohes Maß an Kompetenz auf, mit den Mitgliedern der unterlegenen ethnischen Gruppen zur Durchsetzung ihrer Interessen zu interagieren. Auf der anderen Seite setzt die Entwicklung echter interkultureller Kompetenz vermutlich wesentlich die Fähigkeit zur Relativierung der eigenen Kulturstandards voraus, das heißt die Fähigkeit zu erkennen, dass die scheinbar festen und unverrückbaren Grundannahmen der eigenen Gesellschaft und Kultur doch relativer und veränderbarer sind, als dies aus einer kulturellen Innenperspektive erscheint (Thomas 1996). Damit ist gleichzeitig eine wesentliche Voraussetzung für die Prävention und den Abbau vorurteiliger Einstellungen gegeben. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass der Abbau fremdenfeindlicher Einstellungen und die Förderung interkultureller Kompetenz erfolgreich Hand in Hand gehen, das eine wird auf Dauer kaum©ohne die Realisierung des anderen möglich sein. 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Interkulturelle Tätigkeitsfelder

Oben hatten wir dargestellt, dass die Forderungen nach Maßnahmen zur Vorurteilsreduktion oder zur Entwicklung interkultureller Kompetenz oft von verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Motiven vorgetragen werden. Deutschland wird auch zukünftig Einwanderungsland sein. Keine moderne Zivilgesellschaft kann es sich leisten, Teile ihrer Bevölkerung auf Dauer mit rassistischen Argumenten zu diskriminieren und von der gesellschaftlichen Partizipation auszuschließen. Deutsche Profit- und Non-ProfitOrganisationen werden mehr und mehr in internationale Kooperationen eingebunden, zunehmend notwendiger werden damit interkulturelle Kompetenzen für die Interaktion am Arbeitsplatz, in internationalen Verhandlungen und so weiter. Aus moralisch-ethischen wie aus wirtschaftlichen Gründen wird Interkulturalität zum zentralen Thema. Die Sozialisationsinstanz für die Ausbildung der dafür notwendigen Überzeugungen und Kompetenzen wird auch zukünftig die Schule sein – eine eigentlich triviale Erkenntnis, die sich nur endlich in politischem Handeln niederschlagen muss.

Literatur Allport, G. W. (1954): The Nature of Prejudice. Reading. Auernheimer, G. (1995): Einführung in die interkulturelle Erziehung. Darmstadt. Dollase, R.; Ridder, A.; Bieler, A.; Woitowitz, K.; Köhnemann, I. (2002): Soziometrische Beziehungen und Fremdenfeindlichkeit in Schulklassen mit unterschiedlichem Ausländeranteil. In: Boehnke, K.; Fuß, D.; Hagan, J. (Hg.), Jugendgewalt und Rechtsextremismus – Soziologische und psychologische Analysen in internationaler Perspektive. Weinheim, S. 183–194. Pettigrew, T. F.; Tropp, L. R. (2000): Does intergroup contact reduce prejudice? Recent Meta-Analytic Findings. In: Oskamp, S. (Hg.), Reducing Prejudice and Discrimination. Mahwah, S. 93–115. Rokeach, M. (1971): Long-range experimental modification of values, attitudes, and behavior. American Psychologist 26: 453–459. Slavin, R. A.; Cooper, R. (1999): Improving intergroup relations: Lessons learned from cooperative learning programs. Journal of Social Issues 55: 647–663. Stephan, W. (1999): Reducing Prejudice and Stereotyping in Schools. New York. Thomas, A. (1996): Analyse der Handlungswirksamkeit von Kulturstandards. In: Thomas, A. (Hg.), Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen, S. 107–135. Wagner, U.; Christ, O.; van Dick, R. (2002): Die empirische Evaluation von Präventionsprogrammen gegen Fremdenfeindlichkeit. Journal für Konflikt- und Gewaltforschung 4: 101–117. Wagner, U.; van Dick, R.; Petzel, T.; Auernheimer, G. (2001a): Der Umgang von Lehrerinnen und Lehrern mit interkulturellen Konflikten. In: Auernheimer, G.; van Dick, R.; Wagner, U.; Petzel, T. (Hg.), Interkulturalität im Arbeitsfeld Schule. Opladen, S. 17–40. Wagner, U.; van Dick, R.; Zick, A. (2001b): Sozialpsychologische Analysen und Erklärungen von Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Zeitschrift für Sozialpsychologie 32: 59–79. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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A Adams, F. M. 286, 288 Adler, N. J. 251, 252, 257 AIESEC 162, 164, 165, 166, 169 Alamdar-Niemann, M. 337, 341 Albert, R. 161, 162, 163, 164, 165, 166, 168, 169 Albrecht, C. 308 Allen, L. 338, 339 Allport, G. W. 381, 384 Althen, G. 136, 148 Amin, A. 212, 224 Ammon, G. 39, 43, 50 Anderson, N. 257 Arbeitskreis Assessment-Center 255, 257 Archer, L. 162, 169 Argyle, M. 69, 70 Arizpe, L. 157, 160 Arseniew, N. 112, 118 Arzt, H.-G. 52 Aschenbrenner, V. 119 Asen, E. 359 Auernheimer, G. 318, 377, 384 Ayman, R. 256, 257 Azuma, H. 192, 195, 196 B Bantz, C. R. 301, 303, 304, 306, 307 Baqka, A. 134 Barsoux, J.-L. 43, 50, 51 Baumeister, R. F. 284, 288 Baumgart, A. 112, 118 Becker, G. K. 209, 210 Bennett, M. 136, 149 Berdjaev, N. 108, 116, 118 Bergemann, N. 272 Berry, J. W. 249, 257, 289, 329, 330, 333, 334, 339, 340, 341 Betancourt, H. 170 Bhagat, R. S. 169

Bieler, A. 384 Birke, E. 119 Bitou, M. 195, 196 Bittner, A. 39, 51, 271, 272 Black, J. S. 247, 254, 257 Bliss, F. 310, 318 Bochner, S. 334, 340, 341 Boehnke, K. 384 Boesch, E. E. 302, 307 Bolten, J. 272 Boness, C. 230, 242 Boski, P. 128, 129, 130, 134 Bosley, D. S. 301, 303, 304, 307 Boud, D. 256, 257 Brake, T. 164, 169 Breakwell, G. M. 52, 70 Breuer, J. P. 50, 51 Brislin, R. W. 257 Britz, G. 363, 374, 376 Brooker, J. 61, 70 Brück, F. 87, 88 Bucher, E. 325, 327 Bujaki, M. 339 Burchard, G. D. 359 Burghardt, H. 320, 327 Buse, H. P. 28, 36, 52 Butner, J. 288 C Camilleri, C. 329, 340 Carbertson, A. 169 Cecchin, G. 352, 353, 359 Chataway, C. J. 334, 340 Cho, B. 285, 288 Christ, O. 384 Cialdini, R. B. 278, 287, 288 Coenders, M. 333, 340 Coetzee, P. H. 242 Collatz, J. 344, 346, 359, 376 Condor, S. 60, 70 Cooper, R. 381, 384

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Cortes, A. C. 169 Cross, S. 334, 340 D Dahm, B. 208, 210 Dasen, P. R. 289 Deller, J. 253, 257 Demorgon, J. 28, 40, 44, 45, 48, 50, 51 Díaz-Guerrero, R. 162, 169 Diefenbach, H. 340 Dollase, R. 384 Domenig, D. 343, 359, 360 Domsch, M. E. 52 Drumm, H. J. 259, 261, 272 E Ehringfeld, K. 372, 376 Elias, N. 30, 31, 40, 43, 45, 46, 51 Emig, R. 70, 71 Engelhard, J. 52 Erlinghagen, K. 28, 29, 31, 51 Ertelt-Vieth, A. 112, 118 Esch, F.-R. 288 F Fabricius, D. 367, 371, 376 Faist, T. 337, 340 Feibig, D. 318 Feiring, C. 340 Feldhoff, J. 112, 119 Felser, G. 278, 286, 288 Ferdman, B. M. 169 Fernando, S. 347, 359 Fink, G. 87, 88, 89, 102 Fischer, G. C. 344, 359 Fischer, M. 50, 51 Fitch, K. 162, 169 Flanagan, J. 161, 169, 254 Flanagan, J. C. 257 Fletcher, C. 252, 257 Foellbach, S. 162, 166, 169 Folkerts, H. J. 325, 327 Fowler, S. M. 334, 340 Fracasso, M. P. 340 Fuligni, A. J. 338, 340 Funke, P. 136, 148 Furnham, A. 334, 340, 341 Fuß, D. 384

G Galtung, J. 59, 70 Geertz, C. 205, 210 Gelfert, H. D. 55, 60, 66, 70 Gentry, J. W. 288 Goepel, C. 360 Goldberger, N. R. 308 Gornik-Durose, M. 288 Götz, K. 258, 272 Götze, K. H. 43, 51 Graves, T. D. 329, 340 Gregersen, H. B. 247, 254, 255, 257 Greve, N. 360 Groß, A. 318 Grosch, H. 318, 340 Gudykunst, W. B. 256, 257 Guerhan-Canli, Z. 280, 288 Gyekye, K. 231, 242 H Haddad, N. 211, 224 Hagan, J. 384 Hall, E. T. 30, 44, 50, 51, 95, 102, 136, 148, 162, 164, 166, 169, 188, 196, 205, 210, 236, 242 Hall, M. R. 30, 44, 50, 51, 95, 102, 136, 148, 188, 196, 236, 242 Haller, T. 56, 68, 70 Hamaguchi, E. 191, 193, 196 Hammer, M. R. 256, 257 Hammond, J. 136, 148 Hanlin, L. 177, 185 Hansen, D. 327 Harris, J. 284, 288 Head, D. 63, 70 Hegemann, T. 347, 350, 355, 359, 360, 361 Heise, T. 350, 359 Helmholt, K. v. 28, 31, 51 Hennig, C. 49, 51 Hermanns, A. 289 Hettlage-Vargas, A. 345, 359 Hidayah, Z. 203, 210 Hinz-Rommel, W. 348, 360 Hofe, H. von 148 Hofmann, L. M. 272 Hofstede, G. 125, 134, 154, 155, 160, 162, 163, 165, 169, 204, 206, 210, 314, 318

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Höllmann, T. O. 209, 210 Holtbrügge, D. 112, 118 Holthusen, H. E. 148 Hopf, D. 337, 340 Hörbst, V. 347, 360 Horovitz, J. H. 28, 36, 51 Hsu, F. L. K. 193, 196 Hufen, F. 374, 375, 376 Hwang, K. K. 134 I Ignatow, A. 112, 117, 118 Ihrig, F. 28, 51 Ilarion (Troizkij) 116, 119 Industrie- und Handelskammer zu Lübeck 268, 272 Ingleby, D. 302, 307 Inkeles, A. 136, 148 Institut für sozialwissenschaftliche Forschung 51 Ishida, H. 190, 196 Iwawaki, S. 134 J Jänecke, B. 112, 118 Janssen, C. J. 323, 327 Jarymowicz, M. 134 Jerusalem, M. 333, 341 Jinlong, X. 275, 288 Johnson, F. 232, 233, 242 Joynt, P. 51 Jun, S. 288 K Kaelan 203, 210 Kagitcibasi, C. 340 Kammhuber, S. 253, 258, 320, 325, 326, 327 Kao, H. S. 209, 210 Kashima, Y. 134 Kashiwagi, K. 195, 196 Keillor, B. 284, 288 Keller, T. 353, 360 Kennedy, A. 333, 341 Keogh, R. 257 Kim, U. 134, 339 Kimura, B. 188, 193, 196 Kinast, E.-U. 258, 265, 272 Kitayama, S. 194, 196

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Kleinman, A. 347, 360 Kluckhohn, F. 163, 169 Kluwe, R. H. 291, 308 Knapp-Potthoff, A. 196 Knouse, S. 169 Koch, E. 359, 360 Kohli, C. 274, 288 Köhnemann, I. 384 Kolb, D. A. 256, 257 Kompromiss 250 Kopp, F. O. 375, 376 Kornmeier, M. 274, 275, 276, 279, 288, 289 Koydl, W. 212, 224 Krause, I. B. 347, 348, 360 Kreiker, N. A. 257 Kreiodt, U. 340 Kropp, F. 288 Kuhla, K. 213, 214, 215, 216, 217, 218, 224 Kühlmann, T. M. 255, 257 Kuhn, W. 119 Kumar, K. 258 Kumon, S. 196 Kuo, W. H. 338, 340 Kürsat-Ahlers, E. 360 Kwon, U. 288 L LaBahn, D. W. 288 Lamb, M. E. 336, 340 Landis, D. 169, 257, 340 Lane, C. 36, 51 Lanier, A. 136, 148 Lasserre, R. 39, 51 Launier, R. 344, 360 Laurent, A. 28, 37, 51 Law, A. M. 148 Lawrence, P. 43, 50, 51 Layes, G. 253, 258, 327 Lazarus, P. S. 344 Lebra, T. S. 196 Lebra, W. P. 196 LeBras, H. 40, 52 Leenen, W. R. 314, 318, 337, 340 Lemberg, E. 119 Lenk-Neumann, B. 347, 359, 360 Lessing, A. 360 Leung, K. 134

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Lewada, J. 112, 117, 119 Lewis, M. 340 Leyendecker, B. 340 Leyer, E. M. 347, 348, 360 Liang, Y. 172, 173, 185, 302, 308 Lichtenberger, B. 50, 51 Liedke, A. 196 Lin, A. 340 Lipsedge, M. 347, 360 Lisansky, J. 169, 170 Littlewood, R. 345, 347, 360 Loch, A. 316, 318 Lombardo, M. M. 257 Lutz, B. 36, 37, 39, 51 Lynn, M. 284, 288 Lyons, E. 52 Lyskov-Strewe, V. 102

Miller, D. 287, 288 Mindo, T. 339 Mintzberg, H. 245, 246, 258 Mitchell, C. 338, 339 Mito, T. 190, 196 Mittag, H. 59, 70 Mok, D. 339 Molz, M. 25, 28, 39, 50, 51, 52, 74, 89 Morgenroth, O. 336, 340 Morrison, A. J. 257 Morrison, A. M. 257 Morrison, J. 136, 148 Mulder, N. 204, 210 Müller, A. 136, 148 Müller, S. 274, 275, 276, 279, 288, 289 Mumford, M. G. 334, 340 Münch, R. 40, 52, 67, 70, 148, 149

M Machleidt, W. 343, 359, 360 Magnis-Suseno, F. 203, 204, 210 Maheswaran, D. 280, 288 Malewska-Peyre, H. 329, 340 March, U. 112, 119 Marín, G. 170 Markowsky, R. 74, 89 Markus, H. R. 196 Masztal, J. J. 257 Matsumoto, H. 196 Maurice, M. 28, 36, 37, 39, 51 Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 340 Mayer, C.-H. 228, 234, 242 Mayring, P. 166, 170 Mazonaschwili, T. 112, 119 Mbiti, J. S. 232, 234, 242 McCall, M. W. Jr. 255, 257 McClelland, D. C. 130, 134 McLeod, B. 340 McLeod, V. C. 339, 340 Meckl, R. 259, 272 Meierewert, S. 88, 102 Mendenhall, M. E. 256, 258 Merkens, H. 336, 340 Merrilees, B. 287, 288 Meyer-Hentschel Management Consulting 286, 289 Michaelsen, L. K. 258 Mikes, G. 56, 70

N Nakamaki, H. 192, 196 Nakane, C. 189, 196 Nauck, B. 337, 340 Naulleau, G. 50, 51 Neubauer, R. 255, 258 Neuberger, O. 246, 258 Nitsch, J. R. 360 Nohlen, D. 309, 318 Norasakkunkit, V. 196 Nový, I. 89, 91, 102 Nuscheler, F. 309, 318 O Oddou, G. 256, 258 Ohbuchi, K. 192, 196 Omar, H. S. A.-E. 220, 224 Ones, D. S. 257 Opalic, P. 348, 360 Osgood, C. E. 286, 288 Oskamp, S. 384 Owens, D. 284, 288 P Padilla, A. 329, 339, 340 Pateau, J. 28, 40, 50, 52 Pavkovic, G. 348, 351, 360 Perry, E. L. 252, 257 Peterson, M. F. 28, 44, 52 Petri, K. 340 Pettigrew, T. F. 381, 384

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Autorenregister

Pettijohn, C. 284, 288 Petzel, T. 384 Pfefferer-Wolf, H. 367, 376 Pfohl, H.-C. 28, 36, 52 Picht, R. 39, 52 Poortinga, Y. H. 125, 134, 289 Power, S. 339 Priller, M. 318 Ptak, R. 208, 210 Puzicha, K. J. 324, 327 Q Quennell, P. 70 R Ramage, D. E. 203, 210 Randolph, G. 334, 340 Rau, H. A. 211, 224 Reader, W. J. 67, 70 Ready, D. A. 255, 258 Rebzani, M. 333, 341 Regnet, E. 52, 272 Rehder, P. 112, 119 Reisch, B. 39, 51, 271, 272 Renier, G. J. 58, 71 Ridder, A. 384 Röder, F. 348, 360 Rohner, R. 59, 70 Rokeach, M. 382, 384 Rosenfeld, P. 169 Rosenstiel, L. v. 52, 258 Rottenaicher, K. 162, 166, 170 Roux, A. P. J. 242 S Salman, R. 343, 345, 346, 347, 350, 351, 359, 360, 361 Sam, D. L. 330, 341 Sammon, G. 61, 71 Samuda, R. J. 257 Santel, B. 339, 341 Sarapata, A. 301, 305, 308 Sautter, U. 148, 149 Scheepers, P. 333, 340 Schenk, E. 74, 89, 172, 179, 184, 185, 295, 301, 305, 308 Scherm, E. 261, 272 Schier, B. 112, 119 Schild, J. 51

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Schmid, S. 55, 71 Schmitz, H. 375, 376 Schmitz, P. C. 330, 341 Schmitz, W. 273, 275, 276, 277, 278, 279, 282, 284, 285, 289 Schneller, T. 351, 360 Schölmerich, A. 340 Scholz, C. 50, 52 Schönhuth, M. 310, 318 Schönpflug, U. 333, 337, 340, 341 Schroll-Machl, S. 74, 84, 87, 88, 89, 91, 98, 102, 136, 149, 251, 258, 265, 272, 301, 308 Schröter, D. 272 Schubert, H. J. 345, 360 Schubert, V. 188, 192, 196 Schuler, H. 272 Schwarzer, R. 333, 341 Segall, M. H. 285, 289, 340 Seifert, W. 338, 341 Sellier, F. 51 Senge, P. 356, 360 Sherif, M. 298, 308 Sherschneva, E. 112, 119 Silvestre, J.-J. 51 Sinangil, H. K. 257 Sinha, D. 209, 210 Skakowski, U. 332, 341 Slate, E. 136, 149 Slavin, R. A. 381, 384 Sluzki, C. 345, 350, 354, 358, 361 Smith, A. H. 11 Smith, P. B. 28, 44, 52 Snowman, D. 148, 149 Sorge, A. 51 Sourisseaux, A. L. J. 272 Spindler, G. 136, 149 Spindler, L. 136, 149 Stahl, G. 259 Stahl, G. K. 247, 248, 249, 250, 252, 255, 257, 258, 272 Steinberg, L. 340 Stelkens, P. 375, 376 Stephan, W. 381, 384 Sternberg, L. 339 Stewart, E. 136, 149 Stewart, R. 58, 71 Stökl, G. 112, 119 Stötzel, G. 52

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Autorenregister

Strodtbeck, F. L. 163, 169 Strübing, M. 50, 52 Suarez-Orozco, M. M. 336, 341 Sugitani, M. 188, 196 Sun, L. J. 176, 185 Suzuki, T. 194, 196 Szalay, L. B. 162, 169 T Taasisi ya Uchunguzi wa Kiswahili 230, 232, 242 Tajfel, H. 280, 289 Tavassoli, N. T. 286, 289 Tesser, A. 288 Teunissen, E. 235, 242 Thakor, M. 288 Thiel, R. 318 Thomas, A. 51, 55, 65, 71, 74, 89, 112, 119, 126, 134, 136, 148, 152, 160, 166, 170, 172, 179, 184, 185, 196, 242, 253, 256, 258, 266, 272, 295, 301, 305, 308, 313, 318, 320, 321, 322, 324, 325, 326, 327, 344, 361, 382, 383, 384 Thomson, P. 359 Thurnher, E. 148 Tienda, M. 338, 340 Tjitra, H. W. 203, 210 Todd, E. 40, 44, 49, 52 Triandis, H. C. 125, 134, 162, 163, 170 Trommsdorff, G. 192, 196 Trompenaars, F. 94, 102, 163, 170, 205, 206, 207, 210 Tropp, L. R. 381, 384 Tuna, S. 344, 360, 361 Tzeng, O. 340 U Usunier, J.-C. 277, 280, 281, 283, 284, 289 Uterwedde, H. 51 V van Dick, R. 384 Viswesvaran, C. 257

W Wagner, U. 378, 379, 381, 382, 383, 384 Waisfisz, B. 235, 242 Walker, D. 257 Walker, D. M. 169 Walker, T. 169 Walliser, B. 277, 280, 281, 283, 284, 289 Ward, C. 333, 334, 341 Warner, M. 51 Watson, W. E. 251, 258 Weber, M. 130, 134 Weber, W. W. 327 Wederspahn, G. M. 336, 341 Weggel, O. 209, 210 Weiss, D. 310, 318 Wenderoth, A. 273, 275, 276, 277, 278, 279, 282, 284, 285, 289 Wieland, J. 185 Wierlacher, A. 52, 308 Wirth, E. 261, 262, 272 Wiseman, R. 169 Wiseman, S. 169 Wissmeier, U. K. 289 Woitowitz, K. 384 Wojciszke, B. 134 Wolfgang, A. 257 Wosinska, W. 288 Y Yale, R. 112, 119 Yamanake, J. 286, 289 Yang, K.-S. 134 Yasumaru, Y. 195, 196 Yeung, A. K. 255, 258 Yoosefi, T. 112, 119 Young, M. 339 Yumarma, A. 204, 210 Z Zeid, A. E. 222, 224 Zeutschel, U. 25, 52, 136, 149, 203, 210, 251, 258 Zheng, X. 333, 341 Zick, A. 384

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Stichwortregister

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A Aggressionsvermeidung 154 Ägypten 211, 212, 213, 214, 216, 218, 219, 220, 221, 222, 223 Akkulturation 329, 331, 332, 333, 335, 338, 339 Akkulturationsforschung 333 Akkulturationsprozesse 329, 330, 334, 339 Akkulturationssituation 336 Akkulturationsstrategien 330, 335 Albanien 117 ambivalente nationale Identität 167, 168 Arabische Welt 211, 218, 220, 223, 224 Arabisierung 220, 221 Argentinien 161, 162, 163, 166, 167, 168, 169 Armeekultur 320, 322, 323 Aspekte von Interkulturalität 368, 374, 375, 376 Assessment-Center – interkulturell 259, 261, 262, 263, 267, 269 Assimilation 330, 331, 332, 338 Außengeleitetheit 206 Auslandseinsatz 320, 322, 324, 325, 326 Auslandsentsendung 266, 267, 269 Auslandsentsendungen (Problembewältigungsstrategien) 247, 252, 256, 257 Australien 69, 70 Autoritätsorientierung 215, 216, 219, 223 B Baltikum 101 Beziehungsnetze 213, 214, 215, 218, 219, 221, 223 Beziehungsorientierung 175, 188, 191, 193, 195, 205, 207, 209

Beziehungspflege 191 Bilingualism und Biculturalism 152, 158 Blutrache 370 Brasilien 161, 163 Brunei 208 Buena Presencia 166, 168 Bulgarien 117 Burma 208 Bürokratisierung 214, 219, 223 C Chancengleichheit 136, 141, 144, 146 Charity Orientierung 153 Chile 161, 163 China 49, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 182, 183, 184, 274, 276, 278, 279, 284, 285, 287, 296, 303 Commonwealth 156, 157, 159 Contrast Culture 315, 316, 317 Critical Incidents 314, 317 Culture-Awareness-Programm 312 D Deutsche 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 86, 87 Deutschland 72, 75, 77, 86, 87, 88, 295, 296, 303 Diskriminierung 333 Dolmetscher 304, 350 f., 374 f. Dominanz 251, 252 E Eigenverantwortung 144 England 53, 55, 56, 57, 58, 59, 61, 62, 63, 66, 67, 68, 69, 70 Enkulturation 312 Entsendeorgnisationen 312, 313 Entwicklungsindikatoren 311 Entwicklungszusammenarbeit

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– interkulturell 309, 310, 311, 315, 316, 317 – Kommunikationsstrukturen 235 Ethnizität 332, 333 Etikette 179, 180, 181, 184 Europa 24 Europäisierung 220 F Familienrecht 372 Feldorientierung 189 Flexibilität 164, 167, 168 Frankreich 24, 25, 26, 27, 29, 31, 34, 37, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 48, 49, 294, 295 Führung 246, 248, 249, 256 Führungskräfteentwicklung 262 G Gastgesellschaft 334 Gegenwartsorientierung 167, 168, 206, 208, 209 Gelassenheit 138, 215, 219, 223 Genderrollen 228, 229, 237, 238 Generalisierung 117, 118, 223 Gerichte – Entscheidungspraxis 366 Geschlechterrollen 164, 166 Geschlechterrollenorientierung 218, 223 Gesicht 178, 179, 183, 184 Gewaltverhältnisse 367 Gleichheitsdenken 136 Globalisierungsstrategie 252 Globalkultur 300 Großbritannien 48, 49 Gruppenorientierung 175, 176, 205, 206, 207, 209 Guanxi 175, 176, 178, 183, 184 H Handlungsorientierung 137, 140, 142, 144, 145, 146 Harmonie 173, 174, 175, 180, 181, 182, 183, 184 Harmoniekonzept 204, 205 Hierarchie 174, 179, 183, 184 Hierarchieorientierung 167, 168 hierarchisches Denken 204

High-context Orientierung 205, 206 High-Context-Culture 236, 239 Hoch-Kontext 218, 223 Hoch-Kontext-Kulturen 162 Höflichkeit 179, 180, 184 Hongkong 184 Human Relation Area Files 310 Human-Resources-Zyklus 261, 263, 266, 272 Humanismus 124, 127, 128, 129, 131, 134 I Immigranten 330, 332, 333, 336 Immigrationspolitik 159 Impression Management 153, 156 Improvisation 206, 208, 209 Indirektheit 204, 207 Individualismus 127, 128, 131, 139, 140, 143, 145, 146 Individualismuswerte 163 Indonesien 197, 203, 208, 209 Integration 328, 329, 330, 331, 332, 333, 334, 335, 336, 339 Interkulturation 329 interkulturelle Handlungskompetenz 312 interkulturelle Kommunikation 309, 310, 311, 312, 313, 314 interkulturelle Kompetenz 307, 314, 317, 349, 377, 383 interkulturelle Öffnung 348 interkulturelle Personalentwicklung 259, 260, 261, 262, 263, 265, 266, 267, 269, 270, 271, 272 interkulturelle Rechtsbeziehungen 362, 363, 366, 374, 375 interkulturelle Rechtsstreitigkeiten 362, 366, 372 interkulturelle Trainingsmaßnahmen 311, 313, 316, 317 interkulturelle Trainingsprogramme 334 interkulturelles Assessment 317 interkulturelles Coaching 317 interkulturelles Gerichtsverfahren 367 interkulturelles Lernen 334 interkulturelles Management 313, 315

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interkulturelles Marketing 273, 275, 288 – Differenzierung 274, 279 – Rahmenbedingungen 276, 277, 278, 279 – Standardisierung 274, 275 interkulturelles Training 19, 325, 326 Internationalisierungsstrategien 252 interpersonale Distanzminimierung 141, 144, 147 interpersonelle Orientierung 162, 165, 168 Irland 69 islamische Kultur 220, 221, 222 Italien 41, 48, 49 J Japan 48, 49, 186, 188, 189, 195, 277, 280, 286 Java 49 Javanische Harmonie-Ethik 204 K Kambodscha 208 Kanada 150, 151, 152, 153, 154, 156, 157, 158, 159, 160 Katholizismus 130, 131, 133 Kollektivismus 127, 128 Kolumbien 163 Kompromiss 251 Konfliktmanagement 234, 237, 239 Konfliktvermeidung 192, 204, 207, 209 Konsumentenpsychologie 285 Kontextorientierung 188, 190, 193 Kontraktprinzip 190 Kooperation 225, 228, 237, 238 koptische Kultur 220, 221 Krankheit – kulturspezifisch 343, 344, 345, 346, 347, 348, 354 Kroatien 101 Kultur 249, 250, 251, 252, 253, 254, 255, 256, 290, 291, 292, 293, 295, 296, 299, 300, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 307 Kulturdimensionen 19 kulturelles Verlernen 329 Kulturkontrastierungen 311, 314, 316 Kulturschock 321

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Kulturstandard(s) 19, 20, 21, 22, 23, 74, 77, 79, 81, 82, 84, 86, 88, 91, 92, 93, 96, 97, 98, 99, 101, 102 – Generalisierung 27, 39, 40, 55, 69, 87, 101, 102, 208, 209, 210 – historische Entwicklung 27, 39, 40 Kulturstandardforschung 17, 19, 20, 23 L Laos 208 Leistungsorientierung 138, 143, 144, 146 M Machismo 164, 165, 166 Machtdistanz 322 Malaysia 208, 209 Management (international, Anforderungen) 254 Marginalisation 330 Materielles Verwaltungsrecht 368 Mazedonien 117 medizinische Praxis 342, 356, 357 Mexiko 161, 163, 164, 165, 166 Migranten 342, 343, 344, 345, 346, 347, 349, 350, 351, 352, 354, 356, 357, 358, 359 Migrantengruppen 328, 329, 331, 332, 333, 335, 336, 337, 338, 339 Migrantenkinder 336, 337 Migration 328, 331, 333, 336, 337, 339 Migrationskontext 333 Migrationsphasen 345 Minoritätenstolz 151, 152 Mission Statement Orientierung 155 Mission-Statement-Orientierung 155 Mittelosteuropa 101 Mittelsperson 234, 239 Moldawien 117 multikulturelle Gesellschaft 157, 158, 160 Multimedia 316, 317 N Nationalkultur 291, 299, 300, 303 Netzwerke der Migranten 332, 334 Neuseeland 69, 70 Nordamerika 135

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O Orientierung am reichen Westen 216, 217, 221, 222, 223 Ostafrika 225, 226, 227, 228, 229, 234, 235, 236, 238, 240, 241 Österreich 49, 87, 88 Osteuropa 102, 117, 118 Osttimor 208, 209

– Einfluss 115, 364, 365, 371 religiöse Orientierung 213, 215, 218, 219, 221, 222, 223 Rückkehrberatungen 332, 338 Rumänien 117 Russische Föderation 117 Russland 103, 104, 105, 106, 112, 113, 115, 117, 118

P Pan-Arabismus 222, 223 Partizipation 226, 235, 237, 238 Patriotismus 142, 145, 147 Personalauswahl 261, 262, 263 Personaleinstellung 261 Personalmarketing 261 Personalrekrutierung 261 Perspektivenwechsel 212 Peru 163 Philippinen 208, 209 Polen 101 Political Correctness 156, 157 polnische Kultur 125, 127, 128, 129, 130, 131 polnische Kulturstandards 120 polychrones Zeitverständnis 164, 166, 167, 168, 205, 206 Portugal 48, 49 pragmatische Freizeitorientierung 155 Privatrechtsbeziehungen 371, 372, 373, 374 Protestantismus 130, 131 psychologische Akkulturation 329, 333, 335 psychosoziale Beratung 342, 343, 349, 350, 351, 353, 356, 357

S Schottland 69 Selbstdefinition – relative 194 Selbstkonzept 188, 192, 193, 194, 195 Separation 330, 335 Separatismus 152, 157, 158 Serbien 117 Simpatía 166, 168 Singapur 208, 209 Sittengesetz 371 Slowakei 101 soziale Anerkennung 140, 143, 147 Spanien 48, 49 Spiritualität 229, 230, 238 Sprachproblem 374, 375, 376 Status und Macht 165 Stereotype 21 Stolz wahren 214, 215, 218, 219, 223 Strafrecht 367, 370, 371 Südamerika 49 südostasiatische Kulturstandards 209 Südostasien 197, 208, 209 Synergie 251, 253

R Recht 362, 363, 364, 365, 366, 367, 370, 374, 375, 376 – kulturelle Bedingtheit 362, 363, 364, 365, 366, 367, 368, 370, 371, 372, 373, 374, 375 Rechtspraxis 362, 363, 374, 375, 376 Rechtsprechung 363, 364, 374 Rechtsverständnis 362 Regelrelativismus 181, 184 Reintegration 326 Religion 130, 363, 364, 365

T Taiwan 184 Teamarbeit – interkulturell 351 Thailand 208, 209 Tschechien 90, 99, 101 Türkei 49 U Ukraine 117, 118 Ungarn 101 Unsicherheitsvermeidung 124, 125, 129, 134

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unverbindlicher Umgang mit Absprachen 168 US-Separatismus 152 USA 69, 70, 135, 144, 146, 147 V Venezuela 163 Verbalisierungsgrad 188 Vermeidung 250, 251 vertikale Organisationsstruktur 189 Vietnam 208, 209 Vorurteil 21 W Weißrussland 117, 118 Wissenschaft – Universalität/Korrelativität 291, 301

395

wissenschaftliche Kompetenz – interkulturell 307 wissenschaftliche Methoden 291, 301, 302, 305, 306, 307 Wissenschaftskooperation 290, 301 Wissensmanagement 326 Würde und Ehre 162, 165 Z Zeitbegriff – qualitativer 232 Zivilrecht 371 Zugehörigkeitsprinzip 190, 191 zwischengeschlechtliches Beziehungsmuster 141

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DieAutorinnenundAutoren

DieAutorinnenundAutoren

Die Autorinnen und Autoren

Abbas Amin M. A. ist interkultureller Trainer für den arabischen Kulturkreis und Lehrbeauftragter für Arabisch an der Universität Regensburg. Dr. disc. pol. Christian Boness ist Diplom-Theologe und Oberstudienrat. Er war mehrere Jahre im Entwicklungsdienst tätig sowie UNESCO-Koordinator für Schulpartnerschaften. Dr. Pawel Boski ist Professor am Institute of Psychology of Cross-Cultural Relations der Warsaw School of Advanced Social Psychology in Warschau. Prof. Dr. Gabriele Britz ist Professorin für Öffentliches Recht und Europarecht an der Universität Gießen. Dipl.-Psych. Oliver Christ ist Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes und promoviert an der Universität Marburg zum Thema Belastung und Beanspruchung im Referendariat. Isabelle Demangeat arbeitet als Interkulturelle Beraterin und Organisationsentwicklerin. Dr. Rolf van Dick ist Wissenschaftlicher Assistent in der Arbeitsgruppe Sozialpsychologie am Fachbereich Psychologie der Universität Marburg. Prof. Dr. Georg Felser, ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Harz in Wernigerode. Dr. med. Thomas Hegemann, Facharzt für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Systemischer Therapeut und Supervisor; er ist tätig in eigener Praxis sowie im Bayerischen Zentrum für Transkulturelle Medizin. Prof. Dr. phil. Stefan Kammhuber, Diplom-Psychologe, ist Berater und Trainer für Interkulturelle Personalentwicklung, Organisationskommunikation und Rhetorik in Industrie und Verwaltung. Dr. Eva-Ulrike Kinast arbeitet als selbstständige HR-Management-Beraterin und Coach für Unternehmen weltweit. Dr. Gabriel Layes, Diplom-Psychologe, ist Lehrbeauftragter an der Universität Regensburg in den Bereichen Interkulturelle Psychologie, Sozialpsychologie und Arbeits- und Organisationspsychologie. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Die Autorinnen und Autoren

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Dr. Yong Liang ist Professor am Fachbereich II, Sinologie der Universität Trier. Dipl.-Psych. Alexander Loch ist Mitarbeiter bei Inwent GmbH – Vorbereitungsstätte für Entwicklungszusammenarbeit in Bad Honnef. Dr. Vladimir Lyskov-Strewe ist interkultureller Trainer für Osteuropa, Organisationsberater und Inhaber der »Praxis für Interkulturelles Leben und Arbeiten« in Berlin. Dr. Claude-Hélène Mayer M.A. ist Ethnologin, Trainerin und Mediatorin am Institut für Interkulturelle Praxis und Konfliktmanagement (IIPK), Göttingen. Dipl.-Psych. Markus Molz ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Arbeitsstelle Multimedia der Universität Koblenz-Landau und freiberuflicher Berater von Projekten und Organisationen im Non-profit-Bereich im Sinne des Diversity Management. Dr. Tobias Nickel, Diplom-Psychologe, ist Leiter Technologie-Kommunikation bei der BMW AG München. Ivan Nový ist Professor für Psychologie und Soziologie im Management an der Wirtschaftsuniversität Prag, Unternehmensberater und Managementtrainer für namhafte Firmen. Dipl.-Psych. Katharina Rottenaicher ist im Corporate Finance/Controlling der EADS in München tätig. Dipl.-Sozialwiss. Ramazan Salman ist Geschäftsführer des Ethnomedizinischen Zentrums in Hannover und Berater für interkulturelle Organisationsentwicklung. Dipl.-Psych. Stefan Schmid ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie, Abteilung Sozialpsychologie und Organisationspsychologie der Universität Regensburg. Dr. Ute Schönpflug ist Privatdozentin für Entwicklungspsychologie an der Universität Halle. Dr. phil. Sylvia Schroll-Machl, Diplom-Psychologin, arbeitet als freiberufliche Trainerin und Coach für namhafte Firmen, Organisationen und Ministerien im Bereich interkultureller Trainings und interkultureller Personalentwicklung. Dipl.-Psych. Gerhard Seidel ist Mitarbeiter bei Inwent GmbH – Vorbereitungsstätte für Entwicklungszusammenarbeit in Bad Honnef. © 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

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Die Autorinnen und Autoren

Emily J. Slate, Psychologin mit dem Schwerpunkt Interkulturelles Management und Organisationspsychologie, arbeitet als Trainerin und Coach im Bereich Internationale Zusammenarbeit. Prof. Dr. Siegfried Stumpf ist Professor an der Fachhochschule Köln (Campus Gummersbach) für Kommunikationspsychologie und Führungslehre. Dr. Masako Sugitani ist Professor an der Literarische Fakultät, Deutsche Abteilung, Kansai Universität Osaka/Japan. Dr. phil. Alexander Thomas ist Professor für Sozialpsychologie und Organisationspsychologie an der Universität Regensburg. Dr. Hora Tjitra ist tätig bei Change International Consulting & Training in Andernach. Dr. Ulrich Wagner ist Professor am Fachbereich Psychologie der Universität Marburg. Dipl.-Psych. Ulrich Zeutschel ist tätig bei der kbp Organisationsberatung in Hamburg sowie als freiberuflicher Trainer, Moderator und ForschungsConsultant.

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Typisch Deutsch – Für Deutsche und alle, die mit ihnen zu tun haben Sylvia Schroll-Machl

Die Deutschen – Wir Deutsche Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben 2. Auflage 2003. 216 Seiten mit 2 Abb., und 1 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-46164-8 Die Globalisierung ist inzwischen allgegenwärtig. Diese Tatsache stellt viele Menschen vor neue Situationen: Kulturunterschiede sind nicht mehr nur etwas, was Touristen fasziniert und Wissenschaftler anregt, sondern sie sind weitgehend Alltag geworden, insbesondere auch in beruflichen Zusammenhängen. Das Buch wendet sich an beide Seiten dieser geschäftlichen Partnerschaft: zum einen an jene, die mit Deutschen von ihrem Heimatland aus zu tun haben, oder als Expatriate, der für einige Zeit in Deutschland lebt, zum anderen an die Deutschen, die mit Partnern aus aller Welt im Geschäftskontakt stehen, sei es per Geschäftsbesuch oder via Kommunikationsmedien. Für die erste Gruppe ist es wichtig, Informationen über Deutsche zu erhalten, um sich auf uns einstellen zu können. Für Deutsche selbst ist es hilfreich zu erfahren, wie unsere nicht-deutschen Partner uns erleben, um uns selbst im Spiegel der anderen zu sehen. Sylvia Schroll-Machl berichtet auf dem Hintergrund langjähriger Praxis als interkulturelle Trainerin und Wissenschaftlerin über viele typische Erfahrungen mit uns Deutschen und typische Eindrücke von uns.

Es geht ihr aber auch darum, diese Erlebnisse und Erfahrungen aus deutscher Sicht zu beleuchten, damit die nichtdeutschen Partner entdecken, wie wir eigentlich das meinen, was wir sagen und tun. Zudem beschäftigt sich die Autorin auch mit den kulturhistorischen Hintergründen, die uns Deutsche prägen. »Eine nützliche Beschreibung jener ›gewöhnungsbedürften Besonderheiten‹, durch die wir Deutschen in internationalen Geschäftsbeziehungen auffallen. Sie kann sowohl Deutschen als auch Ausländern unnötige Krisen ersparen – oder sie wenigstens mildern.« Die Umsetzungsberatung Auch in englischer Sprache erhältlich:

Sylvia Schroll-Machl

Doing Business with Germans Their Perception, Our Perception 2., überarb. Auflage 2005. 221 Seiten mit 10 Abb. und 1 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-46167-9 Sylvia Schroll-Machl writes about German cultural standards. Although her work is empirically ascertained and presented in a systematic way, she is able to maintain a certain self-critical levity. Her target groups are Germans and foreigners, who vocationally have something to do with Germans. Her goal is to promote mutual understanding and to offer assistance for intercultural interactions.

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1

Handlungskompetenz im Ausland Herausgegeben von Alexander Thomas Trainingsprogramme für Manager, Fachund Führungskräfte Alexander Thomas / Eberhard Schenk Beruflich in China ISBN 978-3-525-49050-1 Stefan Schmid / Alexander Thomas Beruflich in Großbritannien ISBN 978-3-525-49051-8 Marlis Martin / Alexander Thomas Beruflich in Indonesien ISBN 978-3-525-49052-5 Sabine Foellbach / Katharina Rottenaicher / Alexander Thomas Beruflich in Argentinien ISBN 978-3-525-49053-2 Claude-Hélène Mayer / Christian Boness / Alexander Thomas Beruflich in Kenia und Tansania ISBN 978-3-525-49054-9 Sylvia Schroll-Machl / Ivan Nový Beruflich in Tschechien ISBN 978-3-525-49055-6 Tatjana Yoosefi / Alexander Thomas Beruflich in Russland ISBN 978-3-525-49056-3 Claude-Hélène Mayer / Christian Boness / Alexander Thomas Beruflich in Südafrika ISBN 978-3-525-49057-0 Andreas Brüch / Alexander Thomas Beruflich in Südkorea ISBN 978-3-525-49058-7 Susanna Brökelmann / Christin-Melanie Fuchs / Stefan Kammhuber / Alexander Thomas Beruflich in Brasilien ISBN 978-3-525-49059-4

Renate Ferres / Friederike Meyer-Belitz / Bettina Röhrs / Alexander Thomas Beruflich in Mexiko ISBN 978-3-525-49060-0 Iris Petzold / Nadja Ringel / Alexander Thomas Beruflich in Japan ISBN 978-3-525-49061-7 Emily J. Slate / Sylvia Schroll-Machl Beruflich in den USA ISBN 978-3-525-49062-4 Michaela Stemplinger / Sandra Haase / Alexander Thomas Beruflich in der Slowakei ISBN 978-3-525-49063-1 Sandra Reindl / Alexander Thomas Beruflich in Irland ISBN 978-3-525-49065-5 Alexander Thomas / Mona Scheuermeyer Beruflich in Kanada ISBN 978-3-525-49066-2 Judith Kautz / Christiane Bier / Alexander Thomas Beruflich in Malaysia ISBN 978-3-525-49067-9 Katrin Mitterer / Rosemarie Mimler / A. Thomas Beruflich in Indien ISBN 978-3-525-49068-6 Eva Neudecker / Andrea Siegl / A. Thomas Beruflich in Italien ISBN 978-3-525-49069-3 Katrin Fischer / Sonja Dünstl / A. Thomas Beruflich in Polen ISBN 978-3-525-49112-6 Eva T. Alshut / Juana Nespethal / A. Thomas Beruflich in Vietnam ISBN 978-3-525-49113-3

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-46186-0 — ISBN E-Book: 978-3-647-46186-1