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German Pages 149 Year 1981
THOMAS W Ü L F I N G
Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte und Grundrechtsschranken
Schriften zum öffentlichen Band 390
Recht
Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte und Grundrechtsschranken
Von
Dr. Thomas Wülfing
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
D 6 Alle Rechte vorbehalten © 1981 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1981 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 04853 9
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde i m Wintersemester 1980/81 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Die Arbeit wurde von meinem verehrten Lehrer Herrn Prof. Dr. Friedrich E. Schnapp angeregt. Er hat sie betreut und durch zahlreiche Gespräche gefördert, wofür ich i h m besonderen Dank schulde. Herrn Senator E. h. Ministerialrat a. D. Prof. Dr. J. Broermann danke ich für die Aufnahme der Arbeit i n sein Verlagsprogramm. Thomas Wülfing
Inhaltsverzeichnis
Α. Einleitung I. Eingriffs- u n d Schrankendenken I I . Vorbehaltssystem u n d Verfassungstext B. Die Grundrechtsvorbehalte I. Der materielle Aspekt der Vorbehalte
13 18 20 26 26
1. Einfache Vorbehalte
27
2. Vorbehalt der „allgemeinen Gesetze"
28
3. Qualifizierte Vorbehalte
32
4. Regelungs- u n d Ausgestaltungsvorbehalte
34
5. Vorbehaltslose Grundrechte
36
I I . Kompetenzieller Aspekt der Vorbehalte
36
1. Allgemeiner Hechtssatzvorbehalt
37
2. Verfassungsunmittelbare Eingriffsermächtigungen der Exek u t i v e u n d Judikative a) Ausdrückliche Kompetenzzuweisungen b) Kompetenziell „offene" Vorbehalte
40 40 41
I I I . Analyse C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich I. Vorbehalte als Auslegungsregel
44 50 50
1. Auslegung als Entscheidungsvorgang a) Subsumtionsideal b) Sprachtheorie c) Entscheidung u n d Verfassungsbindung
51 51 53 55
2. Maßstabsfunktion der Vorbehalte a) Auslegung aus dem Verfassungsganzen b) Verfassungsauslegung aus dem historischen W i l l e n c) Historischer W i l l e u n d Vorbehalte
56 56 57 61
I I . Grundrechtsmißbrauch
64
10
Inhaltsverzeichnis I I I . Institutionelle Grundrechtstheorie
65
1. Geschichte des institutionellen Normverständnisses
69
2. Seinsweisen der I n s t i t u t i o n
75
a) I n s t i t u t i o n als Rechtseinrichtung
75
b) I n s t i t u t i o n als Einrichtung der sozialen Lebenswirklichkeit c) I n s t i t u t i o n als Wertsystem
80 84
d) I n s t i t u t i o n als komplexe Einrichtung
90
I V . Die demokratisch-funktionale Grundrechtstheorie
91
1. Stand der Diskussion
91
2. K r i t i k
94
V. Sozialstaatliche Grundrechtstheorie
96
V I . Normbereichsanalyse
98
1. Normprogramm
99
2. Normbereich
100
3. V e r m i t t l u n g von Normprogramm u n d Normbereich
101
V I I . Bürgerlich-rechtsstaatliche Grundrechtstheorie
104
D. Eingriffsermächtigungen außerhalb der positivierten Vorbehalte . . . I. Maßstäblichkeit der Vorbehalte
105
I I . Die Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 2. Hs. G G als allgemeine Grundrechtsschranke 1. Rechte anderer
111
a) Verfassungsgemäße Rechtsordnung b) Gemeinwohlklauseln c) Grundlegende Verfassungsentscheidungen u n d Verfassungsdirektiven 3. Sittengesetz
111 112 113 114
I I I . Staatsaufgabennormen als Eingriffsermächtigungen
116
1. Freiheit u n d Kompetenz a) b) c) d)
106 109
2. Verfassungsmäßige Ordnung
2. Ausnahmecharakter zusätzlicher Eingriffsermächtigungen
105
116 .
120
Anforderungen des Vorbehaltssystems Freiheitsschranken aus dem Verfassungsganzen „Sonderstatusbegründende" Verfassungsvorschriften . . . Maßstab der „notwendigen Freiheitsbeeinträchtigung" .
120 122 124 128
E. Zusammenfassung und Ergebnis
132
Literaturverzeichnis
134
Abkürzungsverzeichnis a. Α. AcP a. E. AöR ARSP AS Aufl. AuslG Bad.-Württ. Verf. BayVBl. Bay. Verf. BayVerfGH BB BGB BGBl. BGH Β GHZ BSG BSGE BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE Diss. DJT DöV DVB1. E FamRZ FAZ Gedächtnisschr. GG grds. HBDStR HChE Hess. Verf. h. M. Hs.
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i. S. d. Jahrb. JöR JR jur.
anderer Ansicht Archiv f ü r die civilistische Praxis am Ende Archiv des öffentlichen Rechts Archiv f ü r Rechts- u n d Sozialphilosophie Amtliche Sammlung Auflage Ausländergesetz Verfassung des Landes Baden-Württemberg Bayerische Verwaltungsblätter Verfassung des Freistaates Bayern Bayerischer Verfassungsgerichtshof Der Betriebsberater Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs i n Zivilsachen Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Dissertation Deutscher Juristentag Die öffentliche V e r w a l t u n g Deutsches Verwaltungsblatt Entscheidung i n der amtlichen Entscheidungssammlung Zeitschrift f ü r das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Gedächtnisschrift Grundgesetz grundsätzlich Handbuch des Deutschen Staatsrechts Herrenchiemseer Verfassungsentwurf Verfassung des Landes Hessen herrschende Meinung Halbsatz i m Sinne des
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Jahrbuch Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau juristisch
12
Abkürzungsverzeichnis
JuS JZ
~ Juristische Schulung = Juristenzeitung
LG Losebl. LVG
= Landgericht = Loseblattsammlung ~ Landesverwaltungsgericht
m. a. W. m. w . N.
— m i t anderen Worten =-- m i t weiteren Nachweisen
NJW
= Neue Juristische Wochenschrift
o. OLG OVG
= oben ^ Oberlandesgericht — Oberverwaltungsgericht
PR PrOVGE
= Parlamentarischer Rat == Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts
Rdn. Rhl.-Pf. Rhl.Pf. Verf. Rspr. RV
= Randnummer = Rheinland-Pfalz = Verfassung f ü r Rheinland-Pfalz = Rechtsprechung = Reichsverfassung
s. a. Saarl. Verf. str. s. u.
= = -• =
VerwArch. Vorbem. WDStRL
= Verwaltungsarchiv = Vorbemerkungen = Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
W e i m R V (WRV) WirtschR WissR
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ZBR ZfP ZRP ZSR
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siehe auch Verfassung des Saarlandes streitig siehe u n t e n
Weimarer Reichsverfassung Wirtschaftsrecht Wissenschaftsrecht, Wissenschaftsverwaltung, Wissenschaftsförderung Zeitschrift Zeitschrift Zeitschrift Zeitschrift
für für für für
Beamtenrecht Politik Rechtspolitik Sozialreform
Α. Einleitung Das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft ist verfassungsrechtlich durch grundrechtliche Gewährleistungen und Grundrechtsischranken geordnet. Der Gewährleistungsbereich bezeichnet den durch die Freiheitsverbürgungen potentiell gesicherten Ausschnitt sozialer Realität, den verfassungsrechtlich umhegten Spielraum individueller Entfaltungsmöglichkeiten. I n diesen so bestimmten und zugleich begrenzten Freiheitsbereich 1 kann gegebenenfalls auf Grund der Vorbehalte (vgl. ζ. B. A r t . 2 Abs. 2 Satz 3, 5 Abs. 2, 8 Abs. 2, 9 Abs. 2, 10 Abs. 2, 12 Abs. 1 Satz 2, 13 Abs. 2 und 3, 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 GG) i n unterschiedlicher I n tensität gestaltend oder verkürzend eingegriffen werden. Die Frage nach den Grenzen der Grundrechte scheint demnach die nach den durch die grundrechitlichen Vorbehalte eingeräumten Befugnissen der staatlichen Funktionen, Schrankendogmatik nichts anderes als Vorbehaltsdogmatik zu sein. Schon ein flüchtiger Blick auf die jüngere rechts wissenschaftliche Diskussion über die Ausbalancierung von Individual- und Gemeinschaftsinteressen zeigt aber das Gegenteil. Die Schrankenfrage ist weitgehend aus der Problematik spezifizierter Vorbehalte hinausverlagert worden. I m Mittelpunkt dogmatischen Interesses stehen Erörterungen über I n halt und Grenzen des sachlichen Gewährleistungsbereichs und damit über Vorverständnis und Methodenwahl i m Prozeß der Grundrechtskonkretisderung, über Existenz und Umfang „immanenter" Grundrechtsschranken — was immer sich auch hinter dem Begriff der „ I m m a nenz" verbergen mag — 2 und über die Konstruktion zusätzlicher aus dem Verfassungsganzen zu gewinnender Eingriffseimächtigungen außerhalb der Vorbehalte. 1 M i t der Bestimmung des Inhalts der Grundrechte werden diese auch begrenzt, vgl. Peter Häberle: Die Wesensgehaltsgarantie des A r t . 19 Abs. 2 Grundgesetz, 2. A u f l . Karlsruhe 1972, S.41, 131, 179 ff., 185; Konrad Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 11. Aufl., Karlsruhe 1978, § 10 I I , S. 131; Friedrich Müller: Die Positivität der G r u n d rechte, B e r l i n 1969, S.41, 55f.; ders.: Freiheit der K u n s t als Problem der Grundrechtsdogmatik, B e r l i n 1969, S. 51, 52; ders.: Die Einheit der Verfassung, B e r l i n 1979, S. 203; Heinhard Steiger: Institutionalisierung der Freiheit?, i n Schelsky (Hrsg.), Z u r Theorie der Institution, 2. Aufl., Düsseldorf 1973, S. 91 ff. (112). 2 Z u r insoweit uneinheitlichen Terminologie siehe Friedrich E. Schnapp: Grenzen der Grundrechte, JuS 1978, 729 ff. (733). Wegen der m i t dem Begriff der „immanenten Schranken" verbundenen Unklarheiten w i r d i m weiteren Verlauf dieser A r b e i t auf seine Verwendung verzichtet.
14
Α. Einleitung
Soweit es um die Eruierung des grundrechtlichen Schutzbereichs geht, scheint dieser Befund dadurch gerechtfertigt zu sein, daß unter Ausnutzung der Vorbehalte nur i n normativ abgesteckte und durch Interpretation zu ermittelnde Garantieobjekte „eingegriffen" werden kann, die Vorbehalte also erst dann Bedeutung erlangen, wenn die die bürgerlichen Freiheiten umhegenden und schützenden Normen nach Bestimmung ihres Gewährleistungsbereiehs und ihrer (hier einmal unterstellten) verfassungssystematischen Grenzen durch die kompetenten staatlichen Organe relativiert werden 3 . Es kann aber nicht übersehen werden, daß die Festlegung dessen, was Meinung, Presse, Versammlung, Beruf, Wohnung oder Eigentum ist, über Ausmaß und Tragweite der hoheitlichen Regelungsbefugnisse mitenscheidet 4 , die Interpretation der Freiheitsverbürgungen die Relevanz der Vorbehalte i n materieller und kompetenzieller Hinsicht 5 i n hohem Maße bestimmt. Wer beispielsweise die Verletzung der Rechte anderer von vornherein — d. h. ohne Zwischenschaltung des Gesetzgebers — als Resultat grundrechtsgeschützter Tätigkeit ausschließt6, degradiert A r t . 5 Abs. 2 GG, soweit es dort u m das Recht der persönlichen Ehre geht, zur lediglich deklaratorischen Norm ohne eigene Regelungswirkung, wer dem Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung eine generell grundrechtslimitierende Funktion zuerkennt 7 , macht die Vorbehalte überflüssig, die ein hoheitliches Tätigwerden zugunsten des Schutzes der verfassungsmäßigen Ordnung (Art. 2 Abs. 1 2. Hs, 9 Abs. 2 GG) oder einzelner ihrer Elemente, wie Bestand oder Sicherheit des Bundes oder der Länder (Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2 GG) ermöglichen. 3
Eine solche Vorstellung ist n u r haltbar, w e n n die i n den Grundrechtsnormen vorkommenden Begriffe einen an sich feststehenden Gewährleistungsbereich repräsentieren, also A b b i l d e r realer Gegebenheiten sind. Nach neueren sprachtheoretischen Erkenntnissen k a n n davon jedoch nicht ausgegangen werden. Die Sprache konstituiert erst die Gegenstände. Dazu u n d zur Bedeutung der Sprachtheorie f ü r die Grundrechtsinterpretation s. u. Kap. C. I. 1. 4 Eine extensive Grundrechtsinterpretation beschränkt die hoheitlichen Eingriffsbefugnisse, eine restriktive erweitert sie. Wer ζ. B. die Grundrechte i m Sinne der demokratisch-funktionalen Grundrechtstheorie — dazu ErnstWolf gang Böckenförde: Grundrechtstheorie u n d Grundrechtsinterpretation, N J W 1974, 1529 ff. (1534 f.) — n u r u m der Teilhabe am politischen Prozeß w i l l e n gewährleistet sieht, setzt kompetenzgemäßem staatlichen Tätigwerden i m rein gesellschaftlich-privaten Bereich keine Grenzen. 5 Z u m kompetenziellen Aspekt der grundrechtlichen Vorbehalte Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes u n d Grundrechte, B e r l i n 1975, S. 102 ff. 6 So ζ. B. Hans J. Wolff : i n Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., München 1974, § 33 V a 2, S. 220. 7 s. u. S. I l l ff.; zur unterschiedlichen Auslegung des Begriffs der verfassungsmäßigen Ordnung Jürgen Müller: A u s w i r k u n g e n der unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter des A r t . 2 Abs. 1 GG u n d zu dessen Schranken, H a m b u r g 1972, S. 24 ff.
Α. Einleitung A u f diese Weise werden auf interpreta torischem Wege — nach1 der verfasisungsrechtlich vorgesehenen Funktionenverteilung also von den Rechtsprechungsorganen (Art. 19 Abs. 4 GG) 8 und hier vornehmlich vom Bundesverfassungsgericht — bestimmte Formen und Modalitäten der Freiheitsausübung von vornherein außerhalb des Grundrechtsschutzes gestellt, die bei normativer Geltung der Vorbehalte zwar durch Gesetz untersagt werden können, bis zum Tätigwerden des kompetenten Organs aber Grundrechtsschutz genießen. Daher taucht die Frage auf, ob die Auslegung der Grundrechte dem Geltungsanspruch der positivierten Eingriffsermächtigungen zu folgen hat, die Bestimmung des grundrechtlichen Schutzbereichs also von den Vorbehalten und nicht umgekehrt die Wirksamkeit der Vorbehalte von der Reichweite der Freiheitsverbürgungen abhängig ist. Sollte dies zu bejahen sein, hätten die Eingriffsennächtigungen die Funktion von Interpretationsverboten. Die Freiheitsrechte dürften nicht derart restriktiv interpretiert werden, daß den Vorbehalten keine normative Relevanz mehr zukommt. Die Festlegung von Inhalt und Grenzen des grundrechtlichen Schutzbereichs erfolgt i n Rechtsprechung und Literatur auf unterschiedlichste Weise. Sie ist abhängig von der Anschauung oder besser vom Vorverständnis des Interpreten über Wesen und Funktion der Grundrechte® und dem methodischen Vorgehen i m Prozeß der Normenkonkretisierung 1 0 . Als Momente des Auslegungsverfahrens bestimmen Vorverständnis und Methode den Sachgehalt der Freiheitsverbürgungen m i t 1 1 . I m vorliegenden Zusammenhang kann nun nicht auf alle Grundrechtstheorien und Auslegungsmethoden eingegangen werden. Das ist auch nicht erforderlich. Die W i r k k r a f t der grundrechtlichen Vorbehalte kann nur durch solche das Interpretationsverfahren ausmachenden Momente gefährdet werden, die von einem generalisierbaren Ansatz aus zu einer verkürzten Bestimmung des grundrechtlichen Gewährleistungsbereichs gelangen und damit bestimmte Formen und Modalitäten der Freiheitsausübung von vornherein vom Verfassungsschutz ausnehmen 12 . So werden die Grundrechte zum Teil unter Mißbrauchsvorbehalt ge8 Wolf gang Knies: Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, München 1967, S. 98 ff. 9 Dazu Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. 10 Vgl. Friedrich Müller: Juristische Methodik, 2. Aufl., B e r l i n 1976. 11 Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1529); Ernst-Werner Fuß: Personale Kontaktverhältnisse zwischen V e r w a l t u n g u n d Bürger, D ö V 1972, 765 ff. (768); Peter Häberle: Zeit u n d Verfassung, ZfP 21 (1974), 111 ff. (118); Hubert Kirchmann: Der Schutzbereich des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 des Grundgesetzes), j u r . Diss. München 1977, S. 35. 12 D a m i t soll natürlich nicht bestritten werden, daß jede Festlegung des sachlichen Gewährleistungsbereichs eines Grundrechts auch den betreffenden Vorbehalt tangiert.
Α. Einleitung
16
stellt 18 . Die Freiheitsausübung ist danach verfassungsrechtlich nicht mehr geschützt, wenn sie höherrangige Interessen verletzt. Maßstab zur Beurteilung der Rangfrage soll die Güterabwägung der i m konkreten Fall betroffenen Interessen sein. Die Vertreter institutionellen Denkens ordnen die Grundrechte als subjektive Abwehrrechte i n objektive Ordnungen, i n freiheitlich ausgerichtete Lebensverhältnisse ein 14 . Inhalt und Grenzen der individuellen Freiheit werden wesentlich durch die objektiven Lebensverhältnisse bestimmt, die ihrerseits sich an den Direktiven der Verfassung orientierender gesetzgeberischer Ausgestaltung und Konkretisierung zugänglich sind. Die demokratisch-funktionale Grundrechtstheorie sieht den maßgeblichen Bezugspunkt subjektiver Freiheit i m Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 28 GG) 15 . Danach erstreckt sich die Grundrechtsgarantie nur auf solche Betätigungsformen individueller Beliebigkeit (oder privilegiert sie zumindest), die auf Staatshervorbringung zielen, und dergestalt die Teilhabe der Bürger am Prozeß der politischen Einheitsbildung realisieren. Das sozialstaatliche Grundrechtsverständnis sucht die Freiheit des einen m i t der Freiheit des anderen kompatibel zu halten und legt i h r daher eine Gemeinwohlpflichtigkeit auf 16 . Der Grundrechtsschutz besteht dementsprechend nur innerhalb der soziale Gerechtigkeit und Gleichheit sichernden oder herbeiführenden Rechtsordnung. Die hermeneutische Rechtsnormtheorie schließlich beschränkt den Grundrechtsschutz auf die durch Vermittlung von Normprogramm und Nonnbereich zu eruierende strukturell notwendige und typische Verwirklichung individueller Freiheit 1 7 . Nicht nur die Festlegung des grundrechtlichen Gewährleistungsbereichs, auch die Statuierung zusätzlicher Eingriffsermächtigungen kann das abgestufte und ausdifferenzierte System der grundrechtlichen Vorbehalte gefährden. So kommt den speziellen Vorbehalten i n Sonderstatusverhältnissen keine oder kaum noch eigenständige Bedeutung zu, wenn der Gesetzgeber die Freiheitsverbürgungen der Funktionsfähigkeit verfassungsrechtlich vorgesehener oder anerkannter Einrichtungen (herkömmlich werden dazu gerechnet: A r t . 33 Abs. 2—5 GG: öffentlicher Dienst; A r t . 74 Nr. 1, 104 GG: Strafvollzug; A r t . 5 Abs. 3 GG: Universität; A r t . 7 GG: Schule; A r t . 12 a, 17 a, 87 a und b GG: Wehr- und Ersatzdienst) einseitig nachordnen kann 1 8 . W i r d gar den Kompetenznormen durchweg materielle Bedeutung zuerkannt 19 , verlieren die Vor13 14 15 16 17 18 19
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
dazu dazu dazu dazu dazu dazu dazu
Kap. Kap. Kap. Kap. Kap. Kap. Kap.
C. C. C. C. C. D. D.
II. III. IV. V. VI. I I I . 2. c). III.
Α. Einleitung behalte i n zweifacher Hinsicht ihre Wirksamkeit. Einmal werden sie als Ermächtigungsnonnen überflüssig, da j a schon die A r t . 70 ff. GG die grundrechtslimitierenden Verfassungsschutzgüter nennen, zum anderen w i r d die i n den qualifizierten Vorbehalten (z.B. i n A r t . 11 Abs. 2, 13 Abs. 2 und 3 GG) vorgenommene Begrenzung der staatlichen Eingriffsrechte illusorisch, wenn die Kompetenzvorschriften sämtliche Formen und Auswirkungen der Zuständigkeitswahrnehmungen legitimieren 20 . Zusätzliche Eingriffsbefugnisse werden aus den Staatsstrukturbestimmungen wie dem Sozialstaatsprinzip und Demokratiegrundsatz hergeleitet 21 und außerhalb des organisatorischen Verfassungsteils auch dem Grundrechtsabschnitt entnommen; etwa derart, daß die spezifizierten Eingriffsermächtigungen einzelner Freiheitsrechte auf bestimmte andere 22 oder — wie bei A r t . 2 Abs. 1 2. Hs. GG 2 3 — auf sämtliche Grundrechtsnormen transponiert werden. Auch die Konstruktion von Eingriffsbefugnissen der staatlichen Funktionen i m Wege systematischer Zusammenschau der Freiheitsrechte m i t dem Verfassungsganzen muß sich daraufhin untersuchen lassen, ob sie m i t der durch die Vorbehalte geprägten Formtypik der Verfassung vereinbar ist. Denn immerhin hat der pouvoir constituant durch die materiell für die Bürger-Staat-Relation und kompetenziell für die grundgesetzliche Funktionenordnung relevanten Abstufungen und Differenzierungen innerhalb des Vorbehaltssystems zu erkennen gegeben, wie auf Verfassungsebene typischerweise wiederkehrende Wertkonflikte i n typischen Bahnen behoben und aufgelöst werden sollen 24 . Jedes Abstellen auf die Grundrechtsvorbehalte als verbindliche Maßstäbe für die „interpretative Aufhellung" der verfassungsrechtlich vor20 Skeptisch gegenüber einer materiellen W i r k u n g von Kompetenznormen Niklas Luhmann: Grundrechte als Institution, B e r l i n 1965, S. 12 A n m . 13; Klaus Matthias Meessen: Z u r verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Sonderabgaben, B B 1971, 928 ff. (929); Friedrich E. Schnapp, JuS 1978, 729 ff. (734). 21 Teilweise w i r d den Staatsstrukturbestimmungen auch die F u n k t i o n von Auslegungsregeln zur Bestimmung des grundrechtlichen Gewährleistungsbereichs zuerkannt — paradigmatisch dafür die Diskussion u m den Beamtenstreik; vgl. Josef Isensee: Beamtenstreik, Bonn-Bad Godesberg 1971, S. 116 ff.; Ingo von Münch: Beamtenstreik u n d Sozialstaatsprinzip, Z B R 1970, 371 ff. Z u r demokratisch-funktionalen u n d sozialstaatlichen Grundrechtstheorie s. u. Kap. C. I V . u n d V. 22 So w i r d von einigen Autoren die Übertragung der Schranken des A r t . 5 Abs. 2 GG auf die Grundfreiheiten des A r t . 5 Abs. 3 GG befürwortet, vgl. Wolf gang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 257 ff. m. w . N.; zur A n w e n dung des A r t . 9 Abs. 2 GG auf die Garantie der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) s. Rupert Scholz: Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, München 1971, S. 328 f. Insoweit handelt es sich aber u m dogmatische Fragen einzelner Grundrechtsverbürgungen, denen hier nicht weiter nachgegangen werden soll. 23 Vgl. unten Kap. D. I I . 24 Peter Lerche: Rezension, D ö V 1965, 212 ff. (213).
2 Wülfing
18
Α. Einleitung
entschiedenen Abwägung von Individual- und Gemeinwohlinteressen hat sich m i t zwei Einwänden auseinanderzusetzen. Einmal w i r d das νου den grundrechtlichen Vorbehalten repräsentierte Eingriffs- und Schrankendenken — also die Entgegensetzung von Recht und Freiheit — als „staatsrechtliche Reminiszenz" 25 verworfen und seine Unvereinbarkeit m i t dem Verfassungstypus des freiheitlichen und demokratischen Sozialstaats behauptet 26 . Zum anderen w i r d bei prinzipieller Billigung des Vorbehaltssystems dieses nicht für ausreichend gehalten, den Belangen der staatlichen Gemeinschaft i n notwendigem Maße gerecht zu werden 2 7 (wobei allerdings offenbleibt, wer über das K r i t e r i u m der Notwendigkeit zu befinden hat). Danach müssen neben den speziellen Vorbehalten weitere Regelungsiermächtigungen für die zuständigen Rechtsetzungisorgane gefunden werden. I. Eingriffs- und Schrankendenken Die Ablehnung des Eingriffs- und Schrankendenkens beruht auf der an sich zutreffenden Erkenntnis, daß die Legislative nicht nur Gegner, sondern auch Förderer und Wahrer individueller Freiheit ist 2 8 . Diese positive freiheitseffektuierende Funktion des Gesetzgebers gründet i n einem Bedeutungswandel der Grundrechte unter dem Grundgesetz 29 . Als integrierende Bestandteile der konstitutionellen Ordnung werden die Freiheitsrechte außer als „Ausgrenzungen" auch als verfassungsrechtliche Gemeinwohlgüter wirksam 3 0 . Die Aktualisierung der grundrechtlichen Freiheiten durch eigenverantwortliche Lebensführung und Gestaltung des freien und demokratischen Prozesses 31, i n dem sich poli25 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 230; i m Ergebnis auch Eike von Hippel: Grenzen u n d Wesensgehalt der Grundrechte, B e r l i n 1965, insbes. S. 25 f. 26 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S 230. 27 Statt vieler Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, B e r l i n 1968, S. 3. 28 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 117 ff., 126 ff.; Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 72 ff.; Jürgen Schwabe: Probleme der Grundrechtsdogmatik, Darmstadt 1977, S. 140. 29 „Bedeutungswandel" meint hier nicht die gleitende Sinnveränderung der Verfassungsnormen durch Interpretation, sondern die durch die Ausweisung der Grundrechtsnormen als verbindliche u n d auch den Gesetzgeber bindende höchstrangige Rechtssätze (Art. 1 Abs. 3 GG) erfolgte Anerkennung der p r i vaten Freiheit als Verfassungsschutzgut u n d Gemeinwohlinteresse. 30 Peter Häberle: „Gemein w o h l Judikatur" u n d Bundesverfassungsgericht^ A ö R 95 (1970), 86ff., 260ff. (112); s.a. Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes* S. 73. 31 Das g i l t zumindest f ü r die Grundrechte der K o m m u n i k a t i o n ; vgl. dazu Friedrich E. Schnapp: i n v. Münch (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, Band 1 F r a n k f u r t a. M. 1974, A r t . 20 Rdn. 15; s. a. Konrad Hesse: Grundzüge, § 9 I I ^ S. 125 f.; Ulrich Scheuner: Pressefreiheit» W D S t R L 22 (1965), 1 ff. (67 f.).
I. Eingriffs- u n d Schrankendenken
19
tische Einheitsbildung vollzieht 3 2 , isrt von der Verfassung intendiert, ist Element des öffentlichen Interesses 33 . Das hat Konsequenzen für die Bestimmung der Staatsaufgaben 34 . Die Grundrechte dirigieren Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung i m Hinblick auf Freiheitssicherung und Freiheitsförderung 35 . U m ihrer Effektuierung i n der sozialen Wirklichkeit willen verlangen sie staatliche Aktionen und Vorkehrungen 36 . Der Gemeinwohlfunktion der Grundrechte entspricht eine ihre Geltungskraft stärkende und ausbauende Rechtsetzungstätigkeit 37 , die sich damit selbst als Erscheinungsform der Freiheit ausweist 38 . Freiheit und Recht können also ineinander stehen 39 . Soweit das Recht nur freiheitsverschaffende und -verbürgende Funktion hat, ist es keine Relativierung oder Verkürzung grundrechtlicher Gewährleistungen, ordnet es sich nicht i n die Kategorien von Eingriff und Schranke ein. Daraus aber zu folgern, die Vorbehalte seien als Relikt spätkonstitutionellen Denkens 40 unter der grundgesetzlichen Ordnung systemfremd, w e i l i m freiheitlichen Sozialstaat alles Recht freiheitliches Recht sei und demzufolge nicht i n die Grundrechte eingreifen könne 41 , hieße die A m b i valenz grundrechtsrelevanter Gesetzgebung zu verkennen 42 . Die Freiheitsrechte formulieren nicht nur Gemeinwohlbelange, sondern sie begrenzen auch die verfassungsrechtlich geschützten öffentlichen Interessen und werden durch diese begrenzt 43 . Damit trägt die 32
Dazu Konrad Hesse: Grundzüge, § 1 I I , S. 5 ff. Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, Köln, Berlin, Bonn u n d München, 1979, S. 259; Konrad Hesse: Grundzüge, § 9 I I 2 b, S. 122 f. 34 Vgl. Hans Peter Bull: Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl., Kronberg/Ts. 1977, §10, 3, S. 155 ff.; Karl Heinrich Friauf: Z u r Rolle der Grundrechte i m Interventions- u n d Leistungsstaat, DVB1. 1971, 674 ff. (676); Michael Kloepfer: Grundrechte als Entstehungssicherung u n d Bestandsschutz, München 1970, S. 2; Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 73; Ulrich Scheuner: Die F u n k t i o n der Grundrechte i m Sozialstaat. Die Grundrechte als Richtlinie u n d Rahmen der Staatstätigkeit, D ö V 1971, 505 ff. (506). 35 Ulrich Scheuner: Staatszielbestimmungen, Festschr. f ü r Forsthoff, M ü n chen 1972, S. 325 ff. (328). Z u r dirigierenden F u n k t i o n der Verfassung Peter Lerche: Übermaß u n d Verfassungsrecht, Köln, Berlin, Bonn u n d München 1961, S. 61 ff. 36 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 44 ff.; Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 72 ff.; Helmut Willke: Stand u n d K r i t i k der neueren G r u n d rechtstheorie, B e r l i n 1975, S. 216 ff. 37 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 180 ff. 38 Ebd., S. 225. 39 Ebd., S. 225, 230. 40 Ebd., S. 231. 41 Ebd., S. 225. 42 Vgl. Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 139 ff. 43 s. a. Peter Häberle, A ö R 95 (1970), 86 ff. (112). T r i f f t individuelle Freiheit auf sozialstaatlich gebotene Daseinsvorsorge, entsteht eine A n t i n o m i e z w i 33
2*
20
Α. Einleitung
Verfassung dem Umstand Rechnung, daß auch i m „demokratischen Sozialstaat" Individual- und Gemeinwohlinteressen nicht immer gleichlaufen, sondern ebensogut konfligieren können 44 . Subjektive Beliebigkeit kann auf Kosten der Realisierung der Gemeinwohlzwecke gehen, hoheitliche Machtentfaltung die persönliche Freiheit der Staatsbürger unterminieren. Die Durchsetzung gemeinwohlorientierter Verfassungsschutzgüter erweist sich aus dieser Sicht als freiheitsverkürzend, der darauf abzielende Regelungsakt als Eingriff i n die individuelle Sphäre 45 . Die Grundrechte gewinnen hier Bedeutung als Abwehrrechte gegen die von Verfassungs wegen unzulässigen Maßnahmen der staatlichen Gewalt. Beide Seiten der Freiheitsverbürgungen, die Begründung des verfassungsrechtlichen Status des einzelnen und die staatshervorbringende Wirksamkeit als Elemente der Gesamtordnung des Gemeinwesens, stehen i n wechselseitigem Zusammenhang. Gerade die individualrechtliche Seite der Freiheit ist mitkonstituierend für die Verfassung der Gemeinschaft und gestaltet die von den Staatsorganen zu verfolgenden öffentlichen Interessen 46 . Aber auch die so bestimmten und determinierten Gemeinwohlbelange finden ihre Schranke an den subjektiven Abwehrrechten der Staatsbürger 47 . Deshalb behalten auch die Vorbehalte ihre Bedeutung, hat das Eingriffs- und Schrankendenken bleibende Berechtigung. I I . Vorbehaltssystem und Verfassungstext Soweit die Vernachlässigung des Vorbehaltssystems damit begründet wird, daß dieses nicht praktikabel, unergiebig oder unzureichend sei 48 muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Verfassungsinterschen Rechtsstaatlichkeit u n d Sozialstaatlichkeit; dazu Norbert Achterberg: A n t i n o m i e n verfassunggestaltender Grundentscheidungen, Der Staat 8 (1969), 159 ff. (168 ff.). 44 Da auch Grundrechte Gemeinwohlgüter sind, ist hier die Grundrechtskollision mitgemeint. Dazu Herbert Bethge: Z u r Problematik v o n G r u n d rechtskollisionen, München 1977; Heiner Blaesing: Grundrechtskollisionen, j u r . Diss. Bochum 1974. 45 Die Abgrenzung der individuellen v o n der staatlichen Sphäre ist auch heute noch erforderlich, u m zur Sicherung privater Freiheit A r t , Ausmaß u n d Grenzen staatlicher Einflußmöglichkeiten auf die gesellschaftlichen Prozesse bestimmen zu können. Hierzu Ernst-Wolfgang Böckenförde: Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat u n d Gesellschaft i m demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, i n ders.: Staat, Gesellschaft, Freiheit, F r a n k f u r t a. M. 1976, S. 185 ff. 46 Konrad Hesse: Grundzüge, § 9 I I 3 c, S. 127. 47 Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 139 f. 48 Stellvertretend Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 3; weitere Nachweise s. A n m . 73 u n d 76.
I I . Vorbehaltssystem u n d Verfassungstext
21
p r e t a t i o n v o m W o r t l a u t d e r V e r f a s s u n g auszugehen h a t . Das V e r f a s sungsgesetz i s t A u s g a n g s p u n k t u n d Grenze d e r A u s l e g u n g 4 9 . I m N o r m t e x t sind die juristischen Begriffe formuliert, die auf ihre m a ß g e b l i c h e n G e b r a u c h s w e i s e n b e f r a g t w e r d e n m ü s s e n 5 0 . D i e zulässigen S i n n v a r i a t i o n e n bezeichnen d e n S p i e l r a u m m ö g l i c h e r K o n k r e t i s i e r u n g u n d d a m i t z u g l e i c h i h r e S c h r a n k e n 5 1 . Diese S c h r a n k e n s i n d u n ü b e r s t e i g bares H i n d e r n i s j e d e r I n t e r p r e t a t i o n , d i e z u r n o r m g e b u n d e n e n E n t s c h e i d u n g u n d n i c h t z u r n o r m g e l ö s t e n s u b j e k t i v e n W e r t u n g f ü h r e n soll 52 » I m K o l l i s i o n s f a l l zwischen I n d i v i d u a l - u n d Gemeinschaftsinteressen k a n n es d a h e r n i c h t d a r a u f a n k o m m e n , welche F o r m d e r Z u o r d n u n g u n d des A u s g l e i c h s d e r w i d e r s t r e i t e n d e n V e r f a s s u n g s s d i u t z g ü t e r d e r I n t e r p r e t f ü r p r a k t i k a b e l , w ü n s c h e n s - oder b i l l i g e n s w e r t h ä l t . W i c h t i g u n d m a ß g e b e n d i s t a l l e i n d i e Aussage d e r V e r f a s s u n g 5 4 , i s t — k o n k r e t gesprochen — d i e B a l a n c i e r u n g v o n s u b j e k t i v e r F r e i h e i t u n d B e l a n g e n der Gemeinschaft (vornehmlich) durch Grundrechte u n d abgestufte E i n g r i f f s e r m ä c h t i g u n g e n . Jedes m i t d e m V e r f a s s u n g s w o r t l a u t n i c h t m e h r 49 Konrad Hesse: Grundzüge, § 2 I I I 3, S. 30 f.; Karl Larenz: Methodenlehre der Hechtswissenschaft, 4. Aufl., Berlin, Heidelberg u n d N e w Y o r k 1979, S. 309; Friedrich Müller: N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, B e r l i n 1966, S. 147 ff.; ders.: Juristische Methodik, S. 148 ff., 153 ff.; vgl. auch Emst Forsthoff: Die U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, Festschr. f ü r Schmitt, B e r l i n 1959, S. 35 ff. (36); kritisch gegenüber der Grenzfunktion des Wortlauts ErnstWolfgang Böckenförde: Die Methodik der Verfassungsinterpretation — Bestandsaufnahme u n d K r i t i k , N J W 1976, 2089 ff. (2096); dagegen w i e d e r u m Wolf-Rüdiger Schenke: Verfassung u n d Zeit — v o n der „entzeiteten" zur zeitgeprägten Verfassung, AöR 103 (1978), 566 ff. (589 A n m . 110). Zumindest mißverständlich Ernst Friesenhahn: Der Wandel des Grundrechtsverständnisses, Verhandlungen des 50. DJT, Band I I , München 1974, G S. 1 ff. (10): „Gerade die Grundrechtsbestimmungen weisen eine sehr lange, vielfach zufällige, historisch bedingte textliche Fassung auf, die der Interpret h i n t e r sich lassen muß, w e n n er ihren Sinn ergründen w i l l . " 50 Die Bedeutung eines juristischen Begriffs ist seine Gebrauchsweise, dazu ausführlich unten Kap. C. I. 1. b). 51 Konrad Hesse: Grundzüge, § 2 I I I 3, S. 30; Friedrich Müller: Juristische Methodik, S. 153f.; s.a. Alexander Hollerbach: Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung? AöR 85 (1960), 241 ff. (263). 52 Zutreffend Friedrich E. Schnapp, Praktische Konkordanz v o n Grundrechten u n d Sonderstatusverhältnis des Beamten, Z B R 1977, 208 ff. (209) u n d ders.: JuS 1978, 729 ff. (729 Fn. 5). „Jedenfalls büdet der Gesetzeswortlaut eine Schranke, jenseits derer eine rationale Diskussion nicht mehr möglich erscheint"; s. a. Hartmut Jäckel: Grundrechtsgeltung u n d Grundrechtssicherung, B e r l i n 1967, S. 35. 58 Das bedeutet auch, daß i m Prozeß der Verfassungskonkretisierung der P r i m a t der N o r m gegenüber anderen Problemlösungsgesichtspunkten gew a h r t w i r d u n d ihre praktische Relevanz nicht n u r v o n ihrer v o m Interpreten zu bestimmenden Fallangemessenheit abhängt. Gegen die topisch-problemorientierte Auslegungsmethode ebenfalls Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1976, 2089 ff. (2091 ff.). 54 Heiner Blaesing: Grundrechtskollisionen, S. 145; Manfred Lepa: G r u n d rechtskonflikte, DVB1. 1972, 161 ff. (164); Friedrich Müller: Juristische Methodik, S. 154.
Α. Einleitung
22
zu v e r e i n b a r e n d e rechtliche A u s t a r i e r e n d e r
Staat-Bürger-Beziehung
i s t Rechtsetzung c o n t r a c o n s t i t u t i o n e m , i s t i m w ö r t l i c h e n S i n n e i l l e g a l 5 5 . U n t e r d e r g r u n d g e s e t z l i c h e n O r d n u n g g i b t es k e i n e A u s ü b u n g v o n p o l i tischer H e r r s c h a f t jenseits d e r V e r f a s s u n g 5 6 . Jede N o r m s e t z u n g b e d a r f verfassungsrechtlicher F u n d i e r u n g . F e h l t sie, i s t es v ö l l i g g l e i c h g ü l t i g , ob d i e tatsächlich e r f o l g t e einem metanormativen
Ordnung der Staat-Bürger-Relation
Standpunkt
aus) einsehbar, a k z e p t a b e l
(von oder
tolerabel ist57. Das k a n n u n d s o l l n i c h t heißen, daß d i e F r e i h e i t s v e r b ü r g u n g e n u n d d e r e n V o r b e h a l t e d i e G r e n z e zwischen i n d i v i d u e l l e r B e l i e b i g k e i t u n d g r u n d r e c h t s b e s c h r ä n k e n d e r h o h e i t l i c h e r N o r m s e t z u n g s b e f u g n i s so g e n a u b e s t i m m e n w ü r d e n , daß sie n u r noch d u r c h i n t u i t i v e E r k e n n t n i s festg e s t e l l t z u w e r d e n b r a u c h t e 5 8 . So k o n k r e t i s t die V e r f a s s u n g n i c h t , auch d a n n nicht, w e n n m a n v o m S o n d e r p r o b l e m d e r aus d e m Verfassungsganzen zu g e w i n n e n d e n G r u n d r e c h t s s c h r a n k e n absieht. D e m G r u n d gesetz k ö n n e n n i c h t ohne w e i t e r e g e d a n k l i c h e O p e r a t i o n e n i m W e g e des syllogistischen S c h l u ß v e r f a h r e n s u n z w e i f e l h a f t e u n d u n a n f e c h t b a r e E r gebnisse e n t n o m m e n w e r d e n 5 9 . D e r N o r m t e x t i s t S p r a c h t e x t u n d als 55 Daraus folgt ζ. B. die Unhaltbarkeit der Gemeinschaftsklausel des B u n desverwaltungsgerichts; B V e r w G E 1.48 (52), 92 (94), 269 (270), 303 (307); 2.85 (87), 89 (94), 295 (300); 345 (346); 3.21 (24); 4.95 (96), 167 (171); 5.53 (158 f.); 6.13 (17); wiederbelebt der Sache nach i n der Asyl-Entscheidung B V e r w G E 49, 202 (207 ff.). Danach gehört es zum Inbegriff der Grundrechte, daß sie dann nicht i n Anspruch genommen werden dürfen, w e n n dadurch andere G r u n d rechte oder die f ü r den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet werden. Die Frage, i n w i e w e i t die Interessen des einzelnen oder diejenigen der Gemeinschaft Vorrang haben soll, w i r d aber gerade durch die Freiheitsgewährleistungen u n d die grundrechtlichen Vorbehalte entschieden. Kritisch daher zu Recht Otto Bachof: Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, J Z 1957, 334 ff. (337) u n d Wolf gang Knies: Schranken der K u n s t freiheit, S. 93 ff. m. w . N., die zudem auf die mangelnde Bestimmtheit der Gemeinschaftsklausel hinweisen. 56 Konrad Hesse: Grundzüge, § 1 I I I 2 b, S. 13; Dietrich Jesch: Gesetz u n d Verwaltung, 2. Aufl., Tübingen 1968, S. 98, 205; Werner Kägi: Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates, Zürich 1945, S. 42; Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 110 f.; Klaus Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, München 1977, § 3 I I I 3, S. 64 f.; Rüdiger Zuck: Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts i m Verfassungsgefüge, DVB1. 1979, 383 ff. (384). 57 So aber Horst Ehmke: Prinzipien der Verfassungsinterpretation, W D S t R L 20 (1963), 53 ff. (60): „ A u c h über den W o r t l a u t eines jungen Gesetzes oder einer jungen Verfassung mag man hinweggehen, w e n n er keinen A n h a l t s p u n k t f ü r eine sinnvolle Problemlösung bietet." Vgl. auch Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 444; zutreffend dagegen Friedrich Müller: Arbeitsmethoden des Verfassungsrechts, i n Koch (Hrsg.), Seminar: Die j u r i stische Methode i m Staatsrecht, F r a n k f u r t a. M . 1977, S 508 ff. (535). 58 Die Grenzlinie zwischen den beiden Sphären w i r d erst i m schöpferischen u n d rechtsbildenden A k t der „Interpretation" festgelegt. 59 Herbert Bethge: Grundrechtskollisionen, S. 317; Konrad Hesse: G r u n d züge, § 2 I I , S. 22 ff.; Fritz Ossenbühl: Die Interpretation der Grundrechte i n
23
I I . Vorbehaltssystem u n d Verfassungstext solcher m i t a l l e n U n k l a r h e i t e n n i c h t f o r m a l i s i e r t e r
Sprache b e h a f t e t 6 0 .
D i e sich daraus e r g e b e n d e n S c h w i e r i g k e i t e n s i n d aber k e i n e Besonderh e i t des Verfassungstextes.
„Rechtsanwendung"
ist i m Vorgang
der
N o r m e n k o n k r e t i s i e r u n g i m m e r auch e i n S t ü c k R e c h t s f o r t b i l d u n g 6 1 . A u f das d a m i t z u s a m m e n h ä n g e n d e g r u n d s ä t z l i c h e P r o b l e m d e r B i n d u n g a n Sprache, b z w . d e r B i n d u n g v o n J u d i k a t i v e , L e g i s l a t i v e u n d E x e k u t i v e a n die G r u n d r e c h t e w i r d noch z u r ü c k z u k o m m e n sein 6 2 . H i e r s o l l t e n u r a u f d i e B e d e u t s a m k e i t des N o r m t e x t e s h i n g e w i e s e n w e r d e n ,
dessen
B e a c h t u n g Essentiale e i n e r verfassungsgeprägten G r u n d o r d n u n g 6 8 u n d Bedingung
ihrer
stabilisierenden,
rationalisierenden
und
freiheits-
sichernden F u n k t i o n i s t 6 4 . N u r das G e b o t d e r B e a c h t u n g des v o m V e r f a s s u n g s w o r t l a u t v o r g e gebenen I n t e r p r e t a t i o n s r a h m e n s sichert v o r e i n e r A u s l i e f e r u n g des Grundgesetzes a n seine E x e g e t e n 6 5 , d i e m i t Charles Even Hughes i n die F o r m e l g e k l e i d e t w e r d e n k a n n : „ W e are u n d e r a c o n s t i t u t i o n , b u t t h é c o n s t i t u t i o n is w h a t t h e judges say i t is 6 *." Das g i l t u n g e a c h t e t d e r T a t der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, N J W 1976, 2100 ff. (2105); Adalbert Podlech : Gehalt u n d F u n k t i o n des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, B e r l i n 1971, S. 41. 60 Z u diesem Problem ausführlich Kap. C. 1.1.; Z u r Sprache als Problem der Rechtswissenschaft: Hans-Joachim Koch: Das Postulat der Gesetzesbindung i m Lichte sprachphilosophischer Überlegungen, ARSP 61 (1975), 27 ff.; Paul Kirchhof: Rechtsänderung durch geplanten Sprachgebrauch?, Gedächtnisschr. f ü r Klein, München 1977, S. 227 ff.; Eis Oksaar: Sprache als Problem u n d Werkzeug des Juristen, ARSP 53 (1967), 91 ff.; Manfred Rack: Die Verfassung als Maßstab, B e r l i n 1978, S. 78 ff.; Franz-Jürgen Säcker: Die Konkretisierung vager Rechtssätze durch Rechtswissenschaft u n d Praxis, ARSP 58 (1972), 215 ff. 61 Norbert Achterberg: Bundesverfassungsgericht u n d Zurückhaltungsgebote, DöV 1977, 649 ff. (650); Herbert Bethge: Grundrechtskollisionen, S. 317; Karl Doehring: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, F r a n k f u r t a. M. 1976, S. 129; Winfried Hassemer: Rechtssystem u n d Kodifikation: Einführung i n die Rechtsphilosophie u n d Rechtstheorie der Gegenwart, H e i delberg u n d Karlsruhe 1977, S. 72 ff. (82 ff.); Herbert Krüger: Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart, Berlin, K ö l n u n d Mainz 1966, S. 292; HansJürgen Säcker, ARSP 58 (1972), 215 ff. (220); Wolf-Rüdiger Schenke: Der U m fang der bundesverfassungsgerichtlichen Überprüfung, N J W 1979, 1321 ff. (1322); Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 115. 62 s. u. Kap. C. I. 1. c). 68 Dies trotz der durch die sprachliche Fassung der N o r m bedingten Schwierigkeiten. 94 Vgl. auch Konrad Hesse: Grundzüge, § 1 I I I 3, S. 14 ff. 65 M i t Recht stellt daher Michael Kloepfer: Grundrechtstatbestand u n d Grundrechtsschranken i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts — dargestellt am Beispiel der Menschenwürde, i n : Bundesverfassungsgericht u n d Grundgesetz, B a n d I I , Tübingen 1976, S. 405 ff. (408) fest, daß i m V o r gang der verfassungsrechtlichen Subsumtion die trennende Stufung zwischen Grundrechtstatbestand u n d Grundrechtsschranken auf eine Begrenzung des Handlungsraumes des Verfassungsinterpreten zielt. ββ Charles Even Hughes: Adresses, New Y o r k 1908, S. 139 — Nachweis bei Ralf Dreier: Z u r Problematik u n d Situation der Verfassungsinterpretation,
24
Α . Einleitung
sache, daß d e r b e r u f e n e V e r f a s s u n g s i n t e r p r e t — das B u n d e s v e r f assungsg e r i c h t — l e t z t v e r b i n d l i c h u n d autoritativ® 7 ü b e r d e n G e h a l t d e r V e r f a s s u n g s n o r m e n entscheidet u n d m ö g l i c h e V e r l e t z u n g e n seiner f u n k t i o neilrechtlichen Grenzen v o n der Rechtsordnung nicht m e h r sanktioniert werden68. D e n n das Bundesverfassungsgericht i s t n u r deshalb g e g e n ü b e r d e n anderen staatlichen Organen u n d den B ü r g e r n zur verbindlichen A u s l e g u n g d e r V e r f a s s u n g ( v g l . § 31 B V e r f G G ) b e r u f e n u n d l e g i t i m i e r t , w e i l es selbst a n d i e V e r f a s s u n g g e b u n d e n i s t ( A r t . 1 A b s . 3, 20 A b s . 3, 97 G G ) 6 9 . Es i s t H ü t e r , n i c h t H e r r d e r V e r f a s s u n g 7 0 . V o n B i n d u n g a n das G r u n d g e s e t z k a n n aber d o r t n i c h t m e h r d i e Rede sein, w o d e r V e r f a s sungswortlaut zugunsten rational nicht nachvollziehbarer Dezision übergangen w i r d . D e r V e r f a s s u n g s i n t e r p r e t d a r f d a h e r n i c h t versuchen, „ k l ü g e r als d e r V e r f a s s u n g s g e b e r " 7 1 oder die V e r f a s s u n g zu sein 7 2 . W o u n t e r B e r u f u n g a u f angemessene Ergebnisse ü b e r das S y s t e m d e r a u s d i f f e r e n z i e r t e n , a u f j e einzelne G r u n d r e c h t e zugeschnittene V o r b e h a l t e h i n w e g g e g a n g e n w i r d 7 3 , w e r d e n diese i h r e r G e l t u n g s k r a f t b e r a u b t , w i r d d i e V e r f a s s u n g gebrochen, n i c h t ausgelegt 7 4 . i n Dreier / Schwegmann, Probleme der Verfassungsinterpretation, Baden-Baden 1976, S. 13 ff. (15). 67 Konrad Hesse: Grundzüge, § 2 I, S. 24; vgl. auch Klaus Stern: Staatsrecht, § 4 I I I 6, S. 105 f. 68 Die K o n t r o l l f u n k t i o n des Bundesverfassungsgerichts schließt eine K o m petenz f ü r Verfassungswandel u n d Verfassungsänderung aus — zutreffend Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1976, 2089 ff. (2099). 69 Horst Ehmke, W D S t R L 20 (1963), 53 ff. (63); Konrad Hesse: Grundzüge, § 2 I, S. 21 ; dem widerspricht nicht, daß angesichts der Bedeutungsoffenheit vieler verfassungsrechtlicher Begriffe das Bundesverfassungsgericht letztverbindlich darüber befinden muß, was das Grundgesetz an Aussagen bereith ä l t u n d sich insoweit i n einer Zwitterstellung befindet (vgl. Karl Doehring: Staatsrecht, S. 126 ff. u n d Friedrich E. Schnapp: JuS 1978, 729 ff., 729), solange n u r die Grenzfunktion des Verfassungstextes beachtet w i r d . 70 Α. A. Rüdiger Zuck,, DVB1. 1979, 383 ff. (388), der aus den umfangreichen Kompetenzen des Verfassungsgerichts den Schluß zieht, daß es sich v o m „ H ü t e r der Verfassung zu ihrem H e r r n " entwickelt habe. 71 So aber Prodomos Dagtoglou: Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung, JuS 1975, 753 ff. (761); kritisch dazu Franz-Jürgen Säcker, ARSP 58 (1972), 215 ff. (216). 72 Vgl. Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 231. Die Verfassung k a n n nicht klüger sein als der Verfassungsgeber. Allenfalls k a n n der dem G r u n d gesetz v o m Interpreten zugedachte Sinn v o m historisch Gewollten abweichen. 73 So etwa von Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 3; Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 444; s. a. Horst Ehmke, W D S t R L 20 (1963), 53 ff. (60). 74 Vgl. Konrad Hesse: Grundzüge, § 2 I I I 3, S. 31 u n d Friedrich E. Schnapp, Z B R 1977, 208ff. (209); s.a. Ernst Forsthoff: U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, S. 30, wonach sich die Grundrechte zur Sicherung individueller F r e i -
II. Vorbehaltssystem und Verfassungstext
25
Es ist daher auch sinnlos, die Vernünftigkeit der spezifizierten Vorbehalte anzuzweifeln 75 und sie i n ihren subtil abgestuften Ausprägungen als „Schrankenwirrwarr" 7 6 abzustempeln. Die Willkürlichkeit der Schrankenregelungen unterstellt, als verbindliches höchstrangiges Verfassungsrecht wären sie dennoch zu beachten 77 . Bedenklich ist es daher, wenn Bettermann 78 angesichts der nach seiner Meinimg weder konsequenten noch praktikablen Schrankenregelung des Grundrechtsteils eine Lehre zu entwickeln vorschlägt, die (man beachte die Reihenfolge) „erstens den Grundgedanken und Grundwerten des Grundgesetzes entspricht, die zweitens ein Höchstmaß an Praktikabilität verspricht und drittens sich soweit wie möglich dem Gesetzeswortlaut anpaßt." Hier w i r d die Normativität der Verfassung aufgelöst, ohne daß einsehbar gemacht wird, wie eine das Vorbehaltssystem sprengende Schrankenbestimmung noch m i t Grundgedanken und Grundwerten der Verfassung i n Einklang gebracht werden kann. E i n Hinweis auf die Funktion des Staates als „Schutzmacht und Sozialstaat" 7 9 genügt hierzu jedenfalls nicht, da die Vorbehalte für die Ausübung aller Staatsgewalt unabhängig von ihren Zwecken gelten und er außerdem zu vage ist, um den Umfang hoheitlicher grundrechtseinschränkender Befugnisse entsprechend der Schranken — Schrankenwirkung der Regelungsermächtigungen einsehbar zu limitieren.
heit einer spezifisch juristischen Technik bedienen, deren E f f e k t i v i t ä t davon abhängt, daß diese Technizität ernstgenommen w i r d . 75 So aber Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. I f f . ; etwas anderes g i l t natürlich, w e n n der geäußerte Zweifel A n l a ß oder G r u n d lage f ü r den Vorschlag einer Verfassungsänderung sein soll. 76 Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 3; zustimmend Herbert Bethge: Grundrechtskollisionen, S. 260; Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 243; Thilo Jeske: Unternehmensschädigungen durch Demonstration, j u r . Diss. Münster 1976, S. 255; Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 445; Friedrich Stüber: Innere Pressefreiheit u n d Grundrechtsinterpretation, j u r . Diss. Münster 1978, S. 59. 77 Manfred Lepa, DVB1. 1972, 161 ff. (164). Rudolf Wendt: Der Garantiegehalt der Grundrechte u n d das Übermaßverbot, AöR 104 (1979), 414 ff. (424); s. a. Friedrich E. Schnapp, Rezension, N J W 1978, 803 f. (804). 78 Grenzen der Grundrechte, S. 3. 79 Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 3.
Β. Die Grundrechtsvorbehalte A n der grundsätzlichen Beachtlichkeit der grundrechtlichen Vorbehalte i m Vorgang der Abwägung von Individual- und Gemeinschaftsinteressen ist nach alledem nicht zu zweifeln. Bevor nun der Frage nachgegangen wird, welche Folgerungen daraus für die verschiedenen Theorien und Methoden zur Ermittlung der Grundrechtsgrenzen zu ziehen sind, ob und inwieweit sie sich m i t den Aussagen des Schrankensystems vereinbaren lassen, sollen die Vorbehalte selbst näherer Betrachtung unterzogen werden. I n materieller Hinsicht werden sie darauf untersucht, inwieweit sie eine Verkürzung individueller Freiheit gestatten. Hier sind einfache, qualifizierte, Regelungs- und Ausgestaltungsvorbehalte und der Vorbehalt des allgemeinen Gesetzes zu unterscheiden. Ihre kompetenzielle Seite soll Aufschluß darüber geben, wer der zur Durchsetzung öffentlicher Interessen zuständige Entscheidungsträger ist 1 . Der Zweck der nachfolgenden Erörterungen ist nicht, für die je einzelnen Vorbehalte zu unanfechtbaren Ergebnissen zu gelangen. Es soll nur die Gesamtstruktur des Vorbehaltssystems ermittelt werden, u m daraus gegebenenfalls Schlußfolgerungen für das allgemeine Problem der Feststellung der Grundrechtsschranken ziehen zu können.
I. Der materielle Aspekt der Vorbehalte Der materielle Aspekt der grundrechtlichen Vorbehalte gibt Auskunft darüber, ob den jeweils kompetenten Organen i m Freiheitsbereich eine weit gesteckte oder eng umgrenzte Gestaltungsbefugnis eingeräumt ist, bzw. — aus der Perspektive des Bürgers — ob die Eingriffsermächtigungen durch ihre Schranken die persönliche Freiheit mehr oder weniger schützen.
1 Z u r Bedeutung der Vorbehalte als Zuständigkeitsregelungen Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 102 ff.
Walter
I.
e t e i e l l e Aspekt der Vorbehalte
27
1. Einfache Vorbehalte
Die weitgehendsten Eingriffsrechte vermitteln die einfachen Grundrechtsvorbehalte der A r t . 2 Abs. 2 Satz 3, 8 Abs. 2 und 10 Abs. 2 Satz 1 GG. Sie gestatten die Einschränkung der Grundfreiheiten zugunsten aller verfassungsrechtlich ausgewiesenen Zwecke. Aber selbst dort, wo die Freiheitsrechte durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes gänzlich vernichtbar erscheinen, können sie nicht vollständig ihrer Geltung beraubt werden 2 . Sämtlichen grundrechtlichen Vorbehalten — auch den einfachen — sind verfassungsrechtliche Kautelen angelegt, die die Ausnutzung der Eingriffsermächtigungen beschränken, also allgemeine SchrankenSchranken der Grundrechte bilden. Einmal gelten für jede Grundrechtsbegrenzung die Anforderungen des A r t . 19 Abs. 1 GG. Zum anderen sind die Ermächtigungen zu grundrechtsbegrenzenden Maßnahmen stets i m „Lichte der Bedeutung des Grundrechts" zu sehen3. Diese vom Bundesverfassungsgericht zutreffend erkannte Wechselwirkung zwischen dem Grundrecht und seiner Schranke bewirkt, daß auch bei Existenz einfacher Vorbehalte oder bei Vorliegen der besonderen Voraussetzungen der qualifizierten Eingriffsermächtigungen die Freiheitsrechte i m Rahmen des Möglichen zu berücksichtigen sind 4 . Der Vorbehalt ist — wie Konrad Hesse m i t Recht betont 5 — keine Blankovollmacht zu beliebiger Einschränkung. Nur ein besonders legitimiertes öffentliches Interesse vermag grundrechtlich gesicherte Freiheit zurückzudrängen. Allerdings sind an das öffentliche Interesse auch keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Der verbaüter unbeschränkte Vorbehalt sichert der Legislative ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit. Allerdings endet diese an der Wesensgehaltsperre des A r t . 19 Abs. 2 GG e , die einen Kernbereich personaler Lebensgestaltung gesetzgeberischem Zugriff versperrt. 2 Konrad Hesse: Grundzüge, § 10 I I 2 a, S. 134 f.; Friedrich E. Schnapp, JuS 1978, 729 ff. (731); vgl. auch Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 5, 17 f. 3 BVerfGE 7, 198 ff. (208 f.); 12, 113 ff. (124 f.); 32, 98 ff. (108); 34, 384 ff. (401); 42, 143 ff. (150); 163 ff. (169); 49, 24 ff. (58, 68); 50, 234 ff. (241); vgl. auch Konrad Hesse: Grundzüge, § 10 I I 2 a, S. 135; Rudolf Wendt, AöR 104 (1979), 414 ff. (424 ff.). 4 Konrad Hesse: Grundzüge, § 10 I I 2 a, S. 135; vgl. auch Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 245. 6 Grundzüge, § 10 I I 2 a, S. 135; s. a. Giesbert Uber: Freiheit des Berufs, H a m b u r g 1952, S. 67 ff. β Allerdings ist unklar, was unter dem Wesensgehalt eines Grundrechts zu verstehen ist. Dazu m i t ausführlicher Darstellung des Streitstandes Norbert Achterberg: Probleme der Funktionenlehre, München 1970, S. 191 ff., HansUwe Erichsen: Staatsrecht u n d Verfassungsgerichtsbarkeit I, 2. Aufl., M ü n -
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Β. Die Grundrechtsvorbehalte
Schließlich ist i n diesem Zusammenhang noch darauf hinzuweisen, daß die Vorbehalte zwar Auskunft über die zulässige Intensität freiheitsverkürzender Rechtsakte geben, die grundrechtslimitierende Gew a l t selbst aber nicht konstituieren. I m Bundesstaat bedarf nämlich jede wahrzunehmende Kompetenz nicht nur der Zuordnung zu einer Funktion — wie sie i n den Vorbehalten zumindest teilweise vorgenommen w i r d 7 — sondern auch der Zuweisung an einen Funktionsträger 8 . Die grundrechtlichen Eingriffsermächtigungen lassen aber die Frage der Verbandskompetenz offen. Es bedarf deshalb gesonderter Aufgabennormen, die bestimmen, welche Verfassungsschutzgüter durch welche Hoheitsträger gegen grundrechtlich geschützte Individualinteressen geltend gemacht werden können 9 . Erst die Aufgabennormen konstituieren die Staatsmacht, verfassen und begrenzen sie. N u r i m Umfang des jeweiligen Auftrags schafft die Verfassung rechtmäßige Staatsgewalt 10 . Daher ist den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zuzustimmen, i n denen eine Verletzung grundrechtlich geschützter Freiheit schon dann angenommen wird, wenn der eingreifende Hoheitsakt unter Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften zustandegekommen ist 1 1 . Auch auf Grund einfacher Vorbehalte sind Freiheitsbeschränkungen also nur i m Rahmen verfaßter Kompetenz zulässig 12 . 2. Vorbehalt der „allgemeinen Gesetze"
Den einfachen Gesetzesvorbehalten muß der Vorbehalt der „allgemeinen Gesetze" i n A r t . 5 Abs. 2 GG gleichgestellt werden 1 8 , wenn der Zuchen 1976, S. 181 ff. u n d Hartmut Jäckel: Grundrechtsgeltung u n d G r u n d rechtssicherung, insbes. S. 20 ff. 7 Z u m kompetenziellen Aspekt der Vorbehalte s. unten Kap. Β . I I . 8 Zutreffend daher auch Ulrich Scheuner: Normative Gewährleistungen u n d Bezugnahme auf Fakten i m Verfassungstext, Festschr. f ü r Scupin, B e r l i n 1973, S. 323 ff. (334 Fn. 30), wonach sich aus grundrechtlichen Vorschriften keine Ermächtigungen des Bundes zu ihrer Durchsetzung u n d Ausführung ableiten lassen. Z u m bundesstaatlichen Prinzip umfassend Klaus Stern: Staatsrecht, § 19, S. 477 ff. 9 Ob die Aufgabennormen unabhängig von den Vorbehalten ihrerseits auch Ermächtigungsgrundlage f ü r grundrechtsrelevantes Tätigwerden des Gesetzgebers sein können, ist an anderer Stelle zu erörtern; vgl. u n t e n Kap. D. I I I . 10 Konrad Hesse: Grundzüge, § 1 I I I 2 b , S. 13; s.a. Peter Badura: Verfassung, Staat u n d Gesellschaft i n der Sicht des Bundesverfassungsgerichts, i n : Bundesverfassungsgericht u n d Grundgesetz, Band I I , Tübingen 1976, S. 1 ff. (11). 11 BVerfGE 28, 364 ff. (373); 42, 20 ff. (27). 12 Vgl. die i n Kap. A . A n m . 56 angegebene L i t e r a t u r u n d BVerfGE 8, 104 ff. (115); s.a. Paul Kirchhof /Hannfried Walter: Die verfassungsrechtliche Problematik des rückzahlbaren Konjunkturzuschlags, N J W 1970, 1575 ff. (1581), die zu Recht die freiheitsverbürgende F u n k t i o n der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsordnung hervorheben.
I.
e t e i e l l e Aspekt der Vorbehalte
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satz „allgemein" auf einem Redaktionsversehen beruht und ohne eigenen Aussagewert ist 1 4 . Wie sich aus den Materialien des Grundgesetzes ergibt, kann davon jedoch nicht ausgegangen werden 16 . Die Begrifflichkeit signalisiert vielmehr Bedeutungsunterschiede, die auch normativ bestätigt werden, denn die Eingriffsermächtigungen zum Schutze der Jugend und des Rechts der persönlichen Ehre wären überflüssig, wollte man i n dem Vorbehalt der „allgemeinen Gesetze" lediglich eine terminologische Variation des einfachen Gesetzesvorbehaltes sehen 16 . Daraus ergibt sich, daß i n A r t . 5 Abs. 2 1. A l t . GG Anforderungen an die ermächtigten Organe aufgestellt werden, die über diejenigen der einfachen Vorbehalte hinausgehen, anders gewendet: Der Ermächtigungsrahmen für grundrechtseingreifende Regelungen ist enger gezogen. „Allgemein" kann daher nicht als Gegensatz zum Individuellen verstanden werden m i t der Folge, daß nur der generell-abstrakte, der nicht ausschließlich an eine Einzelperson gerichtete Rechtssatz die Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG zulässigerweise begrenzt 17 . Andernfalls würde i n A r t . 5 Abs. 2 GG nur etwas wiederholt, was sich umfassend für alle grundrechtseinschränkenden Maßnahmen schon aus A r t . 19 Abs. 1 Satz 1 GG ergibt 1 8 . 13 Vgl. PrOVGE 77, 512 ff. (519 f.); Walter Jellinek: Verwaltungsrecht, 3. Aufl., B e r l i n 1931, S. 371 A n m . 3, 482; Friedrich Kitzinger: Das Reichsgesetz über die Presse v o m 7. M a i 1874, Tübingen 1920, S. 203; Heinrich Vervier: Meinungsäußerungsfreiheit u n d Beamtenrecht, AöR 45 (1924), 1 ff. (4, 6). 14 Dazu f ü r den Begriff der „allgemeinen Gesetze" i n A r t . 118 Abs. 1 Satz 1 der Weimarer Reichsverfassung Karl Rothenbücher: Das Recht der freien Meinungsäußerung, W D S t R L 4 (1928), 5 ff. (18 f.). 15 Vgl. PR Drucks. Nr. 543 — wiedergegeben i n JöR 1 (1951), S. 87: Nach Auffassung des Redaktionsausschusses soll die Grenze des Rechts der freien Meinungsäußerung schlechthin i n den allgemeinen Gesetzen liegen. Danach „wäre auch ein Pressegesetz i m Rahmen des A r t . 6 zulässig. Verboten bliebe allerdings ein Spezialgesetz, das sich gegen eine bestimmte Meinung richte. Dies entspreche der Regelung der R V " . Ablehnend auch Karl August Bettermann: Die allgemeinen Gesetze als Schranke der Pressefreiheit, J Z 1964, 601 ff. (603); Hans-Uwe Erichsen: Staatsrecht I, S. 42; Günter Herrmann: Fernsehen u n d H ö r f u n k i n der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1975, S. 178; Roman Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, Grundgesetz, München Losebl. 1958 ff, A r t . 5 GG Rdn. 245 f.; Friedrich E. Schnapp, JuS 1978, 729 ff. (732); Werner Weber: Innere Pressefreiheit als V e r fassungsproblem, B e r l i n 1973, S. 47. 16 Hans-Uwe Erichsen: Staatsrecht I, S. 42; s. a. Roman Herzog, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 5 GG Rdn. 245 ff. 17 So aber Ernst Forsthoff: Der Verfassungsschutz der Zeitungspresse, F r a n k f u r t u n d B e r l i n 1969, S. 35 ff. 18 Hans-Uwe Erichsen: Staatsrecht I, S. 42; Günter Herrmann: Fernsehen u n d Hörfunk, S. 178 ff.; Roman Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 5 GG, Rdn. 246; Rupert Scholz: Koalitionsfreiheit, S. 336.
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Β. Die Grundrechtsvorbehalte
Dem Erfordernis der Allgemeinheit der grundrechtsbegrenzenden Regelungen w i r d auch die materielle Theorie m i t dem Postulat einer Güterabwägung auf Verfassungsebene nicht gerecht. Nach dieser vor allem von Rudolf Srnend 19 propagierten materiellen Auslegung 20 des A r t . 5 Abs. 2 1. A l t . GG muß das Recht der freien Meinungsäußerung der Allgemeinheit derjenigen Gemeinschaftswerte weichen, „die als solche den individualistisch gedachten Grundrechtsbetätigungen gegenüber den Vorrang haben, so daß ihre Verletzung eine Überschreitung, ein Mißbrauch des Grundrechts ist" 2 1 . Solange die vorrangigen Gemeinschaftsinteressen nicht genau bezeichnet werden und es bei dem Hinweis bleibt, daß „ein die Meinungsäußerung einschränkendes Gesetz jedes Gesetz ist, das diesen Vorrang vor der Äußerungsfreiheit verdient" 2 2 , w i r d lediglich die Objektivität der Verfassung durch die Subjektivität von Werturteilen ersetzt 23 . Es besteht die Gefahr, daß i n rational nicht kontrollierbarer Güterabwägung Gemeinwohlinteressen auf Kosten der Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG realisiert werden 2 4 . Das Grundrecht verliert seine Maßstäblichkeit gegenüber dem freiheitsverkürzenden Normgeber. I m Ergebnis führt die materielle Theorie zu einer Abschwächung, wenn nicht Negierung der Bindungsanordnung des A r t . 1 Abs. 3 GG und erweitert damit die Kompetenzen der zuständigen Organe über die i n den einfachen Vorbehalten zugestandenen Befugnisse hinaus 25 . Das steht nicht nur i m Widerspruch zur internen Schrankensystematik des A r t . 5 Abs. 2 GG 2 6 , son19
Das Recht der freien Meinungsäußerung, V V D S t R L 4 (1928), 44 ff. (51 ff.). Sie w i r d vertreten von Norbert Dittrich: Pressekonzentration u n d G r u n d gesetz, München 1971, S. 60 f.; Ernst Friesenhahn: Die Pressefreiheit i m Grundrechtssystem des Grundgesetzes, Festgabe f ü r Kunze, B e r l i n 1969, S. 21 ff. (36f.); Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 32; Eike von Hippel: Grenzen u n d Wesensgehalt, S. 25 f. u n d passim; Ulrich Scheuner, W D S t R L 22 (1965), I f f . (80f.); Roman Schnur: Pressefreiheit, V V D S t R L 22 (1965), 101 ff., (121 ff., 156 f.). 21 Rudolf Srnend: V V D S t R L 4 (1928), 44 ff. (52); dagegen Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 23 ff. 22 V V D S t R L 4 (1928), 44 ff. (53). 23 Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 25; kritisch auch Günter Herrmann: Fernsehen u n d Hörfunk, S. 182. 24 Vgl. Konrad Hesse: Grundzüge, § 2 I I I 2 c aa, S. 28; Friedrich Müller: Freiheit der Kunst, S. 20 f.; kritisch zur Güterabwägung auf Verfassungsebene: Hans-Lothar Graf: Die Grenzen der Freiheitsrechte ohne besondere Vorbehaltsschranke, j u r . Diss. München 1970, S. 62 f.; Peter Lerche: Übermaß, S. 129; Friedrich Müller: N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, S. 207 ff.; Helmut Willke: Grundrechtstheorie, S. 113; vgl. ferner Harald Schneider: Die Güterabwägung des Bundesverfassungsgerichts bei Grundrechtskonflikten, BadenBaden 1979. 25 s. a. Hans-Uwe Erichsen: Staatsrecht I, S. 43. 26 Der Begriff der „allgemeinen Gesetze" w i r d hier so ausgelegt, daß die beiden anderen i n A r t . 5 Abs. 2 GG spezifizierten Schranken überflüssig werden. 20
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e t e i e l l e Aspekt der Vorbehalte
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d e m auch zum erkennbaren Willen des Verfassungsgebers, die Grundfreiheiten als höchstrangige Verfassungsnormen (vgl. A r t . 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) auszuweisen und sie nicht i n den Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung einzubinden 27 . Der Begriff des „Allgemeinen" ist nach alledem i m Sinne der formellen Theorie 28 so auszulegen, daß aus der Ermächtigung zu den die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit einschränkenden Maßnahmen die „besonderen", speziell auf die Schutzgüter des A r t . 5 Abs. 1 GG zielenden Regelungen ausgenommen werden. Diese m i t der Entstehungsgeschichte des A r t . 5 GG i n Einklang stehende Interpretation 2 9 verbietet „Sondergesetze", die eine Äußerung oder eine sonstige Tätigkeit „allein wegen ihrer geistigen Zielrichtung und der dadurch hervorgerufenen schädlichen geistigen W i r k i m g " untersagen oder beschränken 80 . Kennzeichen des „allgemeinen Gesetzes" ist dessen „Neutralität gegenüber den Meinungen" 8 1 . Die Auslegung des Begriffs der „Allgemeinheit" i m Sinne der formellen Theorie entbindet die auf Grund des A r t . 5 Abs. 2 1. A l t . GG ergehenden Maßnahmen nicht von der Beachtung der „Fundamentalschranken" grundrechtsrelevanter Ausübung staatlicher Gewalt (Wesensgehaltsperre, Wechselwirkung, Kompetenzmäßigkeit). Deshalb muß ein Gesetz, auch soweit es sich nicht gegen eine bestimmte Meinung oder eine spezielle Meinungsäußerung richtet und daher „allgemein" 27 Treffend Herbert Krüger: Die Einschränkung v o n Grundrechten nach dem Grundgesetz, DVB1. 1950, 625 ff. (626): „ K o n n t e man f ü r die W e i m R V schlagwortartig formulieren: Grundrechte n u r i m Rahmen der Gesetze, so muß es heute heißen: Gesetze n u r i m Rahmen der Grundrechte." 28 Vertreten von BVerfGE 7, 198 ff. (209); 28, 175 ff. (185 f.); 33, 52 ff. (66); 50, 234 ff. (240 f.); B V e r w G N J W 1975, 1135 ff. (1142); BSGE 20, 169 ff. (178); Gerhard Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reiches v o m 11. August 1919, 14. Aufl., B e r l i n 1933, A r t . 118 A n m . 3, S. 553 ff.; Hans-Wolfgang Arndt! Henning von Olshausen: F o r u m : Nochmals: Verfassungsrechtliche Fragen zur inneren Pressefreiheit, JuS 1975, 485 ff. (486); Otto Bachof: Verbot des Werbefernsehens durch Bundesgesetz?, F r a n k f u r t a. M. u n d B e r l i n 1966, S. 36; Herbert Bethge: Probleme des Zitiergebots des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG, DVB1. 1972, 565 ff. (568); Hans-Uwe Erichsen: Staatsrecht I, S. 43; Kurt Häntzschel: Das Recht der freien Meinungsäußerung, H B D S t R I I , Tübingen 1932, S. 651 ff. (659 f.); Günter Herrmann: Fernsehen u n d Hörfunk, S. 181 f.; Konrad Hesse: Grundzüge, §12 I 5 b f f . , S. 163f.; Friedrich Klein, i n : v o n M a n g o l d t / K l e i n , Das Bonner Grundgesetz, Band I, F r a n k f u r t a. M. 1957, A r t . 5 GG, A n m . I X 3 a, S. 250 f.; Walter Leisner: Die schutzwürdigen Rechte i m Besonderen Gewaltverhältnis, DVB1. 1960, 617 ff. (625); Helmuth C. F. Liesegang: F o r u m : Verfassungsrechtliche Fragen der inneren Pressefreiheit, JuS 1975, 215 ff. (216); Theodor Maunz: Deutsches Staatsrecht, 22. Aufl., München 1978, § 15 I 3 c, S. 131; Helmut Ridder: Meinungsfreiheit, i n : Neumann / Nipperdey / Scheuner: Die Grundrechte I I , B e r l i n 1954, S. 243 ff. (282). 29
s. a. A n m . 15 u n d Günter Herrmann: Fernsehen u n d Hörfunk, S. 179 ff. Kurt Häntzschel, H B D S t R I I , S. 659 f.; zustimmend Hans-Uwe Erichsen: Staatsrecht I, S. 43. 31 Otto Bachof: Verbot des Werbefernsehens, S. 36. 30
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Β. Die Grundrechtsvorbehalte
i. S. d. A r t . 5 Abs. 2 1. A l t . GG ist, der Bedeutung des Grundrechts als konstituierendes Element des Gemeinwesens gemäß sein. Die „allgemeinen Gesetze" setzen zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken, sind aber ihrerseits aus der Erkenntnis der „wertsetzenden" Bedeutung des A r t . 5 GG i m freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und so i n ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder einzuschränken 32 . Die Grundfreiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG müssen auch beim Erlaß nicht meinungsspezifischen Sonderrechts i m Rahmen des Möglichen beachtet werden 33 . 3. Qualifizierte Vorbehalte
Nach der hier vertretenen formellen Theorie werden an die grundrechtsbegrenzenden Regelungen also besondere, über die allgemeinen, für alle Vorbehalte geltenden Schranken-Schranken hinausgehende A n forderungen aufgestellt. A r t . 5 Abs. 2 Satz 1 GG erweist sich damit als Ausprägung des qualifizierten Vorbehaltstyps 84 . Die gesonderte Behandlung des Vorbehalts der „allgemeinen Gesetze" rechtfertigt sich dadurch, daß er abweichend von den übrigen qualifizierten Eingriffsermächtigungen die Zulässigkeit freiheitsbeschränkender Normierungen nicht vom Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (so ζ. B. A r t . 13 Abs. 3 GG) oder von der Verfolgung bestimmter Zwecke (so ζ. B. A r t . 11 Abs. 2 GG) abhängig macht, sondern die staatlichen Kompetenzen ausschließlich negativ durch das Verbot meinungsspezifischen Sonderrechts begrenzt. M i t Ausnahme des A r t . 5 Abs. 2 1. A l t . GG nennen die qualifizierten Vorbehalte die grundrechtsbegrenzenden Verfassungsschutzgüter explizit (Rechte anderer: Art.2 Abs. 1 2. Hs. GG — Recht der persönlichen Ehre: A r t . 5 Abs. 2 3. A l t . GG — öffentliche Sicherheit und Ordnung: A r t . 13 Abs. 3 GG) oder setzen sie voraus (so ζ. B. die Volksgesundheit, wenn die Bekämpfung von Seuchengefahr i n A r t . 11 Abs. 2 GG als Bedingung der Zulässigkeit freiheitsverkürzender Rechtsetzungen angeführt wird). Die Gemeinwohlinteressen lassen sich danach differenzieren, ob sie Bestand und Sicherheit des Staates (Art. 11 Abs. 2, 12 a, 17 a, 18 GG) bzw. die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 2 Abs. 1 2. Hs, 5 Abs. 3 32
88 34
Vgl. auch A n m . 3 u n d 4.
Konrad Hesse: Grundzüge, § 12 I 5 b ff., S. 164.
Zutreffend Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 22: „Die Pressefreiheit steht nicht unter dem Vorbehalt beliebiger gesetzlicher Einschränkung, sondern n u r unter dem Schrankenvorbehalt von Gesetzen bestimmter Qualifikation, nämlich allgemeiner Gesetze"; s. a. Friedrich M ü l ler: Einheit der Verfassung, S. 206.
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e t e i e l l e Aspekt der Vorbehalte
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Satz 2, 9 Abs. 2, 11 Abs. 2 GG), die Belange der Allgemeinheit (Art. 5 Abs. 2, 7 Abs. 4 Satz 2—4, 11 Abs. 2, 12 Abs. 2, 13 Abs. 3, 14 Abs. 3 GG) oder die Interessen anderer Grundrechtsträger (Art. 2 Abs. 1 2. Hs, 5 Abs. 2, 6 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3, 9 Abs. 2, 13 Abs. 3 GG) ansprechen 86 . Eine solche Unterscheidung hat allerdings wegen des Ineinanders und der Verwobenheit der verschiedenen Gemeinwohlgüter kaum mehr als didaktischen Wert. Die qualifizierten Vorbehalte sind nicht immer Teil der Verfassungsnormen, die die einschränkbaren Grundfreiheiten bezeichnen, wenn dies auch zumeist der F a l l ist (ζ. B. i n A r t . 5 Abs. 2 2. und 3. Alt., 6 Abs. 3, 7 Abs. 4 Satz 2—4, 9 Abs. 2, 11 Abs. 2, 13 Abs. 2 und 3 GG). Sie können auch i n anderen Verfassungsbestimmungen enthalten sein (Art. 12 a, 15, 17 a, 18 GG), haben dann aber durch ihren Standort i m Verfassungstext (Art. 12 a, 15 GG) oder auf Grund ihres Regelungsinhalts (Art. 17 a, 18, s. a. 12 a Abs. 2 GG) einen unmittelbaren und unverkennbaren Bezug zu dem betroffenen Freiheitsrecht. I m einzelnen mag umstritten oder unklar sein, welche Eingriffsermächtigungen der Gruppe der qualifizierten Vorbehalte zuzurechnen sind. So kann die Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 2. Hs. GG ihr nur dann angehören, wenn der Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung" nicht die Summe aller verfassungsgemäßen Rechtssätze repräsentiert, weil sie ansonsten zum einfachen Gesetzesvorbehalt denaturieren w ü r de 36 . Wenig gesichert ist auch die Einordnung des A r t . 5 Abs. 3 Satz 2 GG und des A r t . 9 Abs. 2 GG, denen teilweise überhaupt der Charakter einer Vorbehaltsschranke abgesprochen w i r d 8 7 . Doch mögen die damit aufgeworfenen Fragen auf sich beruhen. Ihre Beantwortung ist weitgehend ein Problem der Dogmatik des jeweiligen Einzelgrundrechts, die hier nicht zu leisten ist. A n dieser Stelle genügt die grundsätzliche Feststellung, daß ein großer Teil der Freiheitsverbürgungen nicht zugunsten aller, sondern nur einzelner enumerativ aufgelisteter Gemeinwohlinteressen zurückgedrängt werden kann.
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Ä h n l i c h auch die Unterscheidung der Gemeinwohlinteressen bei Hans Ullrich Gallwas: Der Mißbrauch von Grundrechten, B e r l i n 1967, S. 32 f. 36 Z u r Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung s. u. Kap. D. I I . 2. 87 Vgl. z . B . Friedrich Klein, i n : v o n M a n g o l d t / K l e i n , A r t . 5 GG, A n m . X 6 k, S. 264; „ . . . Verdeutlichung der dem Begriff der Lehre bereits immanenten sachlichen Gewährleistungsschranken"; Ingo von Münch, i n : ders. (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, B a n d 1, F r a n k f u r t a. M . 1974, A r t . 5 Rdn. 77; Theodor Maunz: Staatsrecht, § 15 I 6 a, S. 135. 3 Wülfing
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Β. Die Grundrechtsvorbehalte 4. Regelungs- und Ausgestaltungsvorbehalte
Neben den einfachen, allgemeinen und qualifizierten Vorbehalten erweist sich die Einordnung der verbleibenden Ermächtigungen zu staatlichem Tätigwerden i m gesellschaftlichen Bereich (Art. 4 Abs. 3 Satz 2, 12 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1 Satz 2, 38 Abs. 3 GG) als teilweise äußerst schwierig. Unproblematisch sind nur die Ausführungsvorbehalte i n A r t . 4 Abs. 3 und 38 Abs. 3 GG. Sie ermächtigen den Gesetzgeber zur Regelung und Bestimmung des Näheren insoweit, als die unterverfassungsrechtlichen Normen m i t den Gewährleistungen des Kriegsdienstverweigerungsrechts und des Wahlrechts vereinbar sind 3 8 und die schon grundgesetzlich geprägten Gewährleistungsbereiche nicht verkürzen 39 . Ihrer Idee nach verpflichten sie die staatlichen Organe zum Erlaß der die Freiheitsverwirklichung ermöglichenden Verfahrensregelungen 40 . Dagegen räumen sie keine Befugnis zu grundrechtseingreifender Rechtsetzung ein. Weitaus diffiziler ist der Versuch, die materielle Relevanz der Vorbehalte der A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 und 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu ermitteln. I n der Lehre besteht Einigkeit lediglich darüber, daß Regelungs- und Bestimmungsermächtigung der A r t . 12 und 14 GG materiell nahezu gleichwertig sind 41 . Davon abgesehen stellen sie i n der Reihe der grundrechtlichen Vorbehalte die „schwer verdaulichsten Früchte" 4 2 des Verfassungsgebers dar. Diese Einschätzung erfährt ihre Berechtigung aus dem von den Vorbehalten erweckten Anschein, sie würden die Gesetzgebungsorgane zur Substantiierung und Konstituierung gerade dessen ermächtigen, woran diese gemäß A r t . 1 Abs. 3 GG wiederum gebunden sind. 38 BVerfGE 12, 45 ff. (53); Christian Gusy: Kriegsdienstverweigerung — das verwaltete Grundrecht — BVerfGE 48, 127, JuS 1979, 254 ff. (255). 39 BVerfGE 28, 243 ff. (259, 260); 32, 40 ff. (46 f.); 48, 127 ff. (163); vgl. auch Otto Bachof: Freiheit des Berufs, i n Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I I / l , B e r l i n 1958, S. 155 ff. (209); Roman Herzog, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 4 GG Rdn. 195; Friedrich E. Schnapp: Urteilsanmerkung, N J W 1976, 493 f. (493). 40 Vgl. Walter Kilian: Der Geltungsbereich des Zitiergebots i n A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes, j u r . Diss. Heidelberg 1966, S. 25 f. 41 Herbert Bethge: DVB1. 1972, 365 ff. (369); Karl August Bettermann: Die Verfassungsmäßigkeit von Versicherungszwang u n d Versicherungsmonopolen öffentlich-rechtlicher Anstalten insbesondere bei der Gebäudeversicherung, WirtschR 1973, 184 ff., 241 ff. (189); Manfred Gubelt, i n : v o n Münch (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, Band 1, F r a n k f u r t a. M. 1974, A r t . 12 GG Rdn. 38; Hans Peter Ipsen: Verfassungsfragen zur Handwerksordnung, DVB1. 1956, 358 ff. (360); Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 71 Rdn. 34, 88; Peter Lerche: Übermaß, S. 107 ff.; Ulrich Scheuner: Grundrechtsinterpretation u n d Wirtschaftsordnung, DöV 1956, 65 ff. (68); s.a. BVerfGE DVB1. 1979, 399 ff. (408). 42 Vgl. Peter Lerche: Übermaß, S. 107.
I. Der materielle Aspekt der Vorbehalte
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I n der Tat ist angesichts des klaren Wortlauts insbesondere des A r t . 14 Abs. 1 Satz 2 GG („Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt") eine gewisse grundrechtsprägende Funktion der Legislative nicht zu leugnen 48 . Dennoch gelten auch die Berufs-, Erb- und Eigentumsfreiheit nicht nur nach Maßgabe gesetzlicher Regelung. So ist i m Zweitsatz des A r t . 12 Abs. 1 GG der Gesetzgeber auf die Regelung der Berufsausübung beschränkt, m i t h i n auf die Form des Freiheitsgebrauchs, die sich i n der Sozialsphäre des Grundrechtsträgers am nachhaltigsten auswirkt 4 4 . M i t Recht bezieht das Bundesverfassungsgericht den Regelungsvorbehalt des A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG daher nicht gleichermaßen auf die Freiheit der Berufsausübung und der Berufswahl. Die Regelungsbefugnis ist „ u m der Berufsausübung w i l l e n gegeben und darf nur unter diesem Blickpunkt allenfalls auch i n die Freiheit der Berufswahl eingreifen. Inhaltlich ist sie u m so freier, je mehr sie reine Ausübungsregelung ist, u m so enger begrenzt, je mehr sie auch die Berufswahl berührt" 4 5 . Entsprechend ist auch die Ermächtigung des A r t . 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu verstehen. Es ist davon auszugehen, daß die ersten beiden Absätze des A r t . 14 GG eine Einheit bilden 4 6 . Demgemäß enthält Abs. 1 Satz 2 die formellen, Abs. 2 die materiellen Voraussetzungen des Vorbehalts 47 . Die Inhalts- und Schrankenbestimmung ist nichts anderes als die Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, anders gewendet: A r t . 14 Abs. 1 Satz 2 GG ermächtigt dort zu Rechtsetzungen, wo der Freiheitsgebrauch negative Auswirkungen auf das soziale Miteinander der Glieder der staatlichen Gemeinschaft hat oder haben kann 4 8 . Soweit dem Gesetzgeber hiernach Gestaltungsbefugnisse eingeräumt sind, müssen die Schranken aller Grundrechtsvorbehalte — insbesondere die Wesensgehaltsperre des A r t . 19 Abs. 2 GG — beachtet werden 49 . 43 Herbert Bethge, DVB1. 1972, 365 ff. (369), Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 254 f.; Hans Peter Ipsen, DVB1. 1956, 358 ff. (360). 44 Wilfried Berg: Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte i m Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes, B e r l i n u n d F r a n k f u r t a. M. 1968, S. 107; z u m Vorbehalt des A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG s. a. Giesbert Uber: F r e i heit des Berufs, S. 190 ff. 45 BVerfGE 7, 377 ff. (403). 46 Detlev Chr. Dicke, i n : v o n Münch (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, Band 1, F r a n k f u r t a. M. 1974, A r t . 14 Rdn. 36. 47 Ebd., A r t . 14 Rdn. 36. 43 s. a. BVerfGE DVB1. 1979, 399 ff. (402), wonach die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- u n d Schrankenbestimmung u m so weiter ist, je mehr das Eigentumsobjekt i n einem sozialen Bezug u n d einer sozialen F u n k t i o n steht. Z u r Sozialbindung der Eigentums- u n d Berufsfreiheit vgl. auch Norbert Achterberg: Die Gesellschaftsbezogenheit der Grundrechte, Festschr. f ü r Schelsky, B e r l i n 1978, S. 1 ff. (18 ff.). 49 Hans Peter Ipsen, DVB1. 1956, 358 ff. (360); Friedrich Klein, i n : v o n M a n g o l d t / K l e i n , A r t 12 GG, A n m . V 4, S. 378; Ulrich Scheuner: Das Grundrecht
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Β. Die Grundrechtsvorbehalte
A l l e i n i m Rahmen des A r t . 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und des A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG und der sonstigen Schranken grundrechtsrelevanter Tätigkeit sind die kompetenten staatlichen Organe zur Grundrechtsprägung und -konstituierung berufen. N u r insoweit erteilen sie einen Auftrag an den Gesetzgeber, unterverfassungsrechtliche Normen zur Effektuierung und Realisierung grundrechtlicher Freiheit zu schaffen 80 . Angesichts der vielfältigen Bindungen, denen der Normgeber dabei unterliegt, w i r d der höherrangige Verfassungsnormcharakter der Grundrechte aber nicht i n Frage gestellt 51 . Als Verbürgungen elementarer Freiheitsbereiche entfalten die A r t . 12 und 14 GG normative W i r k samkeit vor aller legislativen Ausgestaltung. Auch hier gelten also die Gesetze nach Maßgabe der Grundrechte, nicht die Grundrechte nach Maßgabe der Gesetze52. 5. Vorbehaltlose Grundrechte
Abschließend sei auf die Grundrechte hingewiesen, die keinen sie speziell betreffenden Vorbehalt aufweisen (Art. 4 Abs. 1 und 2, 5 Abs. 3 Satz 1, 6 Abs. 1, 7 Abs. 2 und 3, 9 Abs. 3, 16 Abs. 2, 17, 19 Abs. 4, 33 Abs. 1—3, 101—103 GG). Z u m Teil erfahren sie aber Einschränkungen durch die auf jeweils mehrere Grundfreiheiten bezogenen qualifizierten Vorbehalte des A r t . 17 a Abs. 1, der u. a. zu Eingriffen i n das Petitionsrecht (Art. 17 GG) ermächtigt, und des A r t . 18 GG, auf Grund dessen ζ. B. die Verwirkung des Asylrechts (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG) ausgesprochen werden kann. Gerade die vorbehaltlosen Grundrechte haben Anlaß zu der hier erörterten Frage nach den Grundrechtsschranken jenseits der positivierten Vorbehalte gegeben.
I I . Kompetenzieller Aspekt der Vorbehalte Die meisten Grundrechtsvorbehalte weisen neben einem die mögliche Intensität der Freiheitseinschränkung bestimmenden materialen auch einen kompetenziellen Gehalt auf, d. h., sie bestimmen, welche Funktion zum Erlaß grundrechtsrelevanter Regelungen zuständig ist 5 3 . der Berufsfreiheit, D ö V 1958, 65 ff. (69); vgl. auch Karl August Bettermann: WirtschR 1973, 184 ff. (190). 50 Herbert Bethge, DVB1. 1972, 365 ff. (370). 51 Herbert Bethge, DVB1. 1972, 365 ff. (370); das w i r d verkannt v o m B u n desverfassungsgericht (E 7, 377 ff., 403 f.), w e n n es annimmt, daß die Befugnis des Gesetzgebers zur Grundrechtsprägung die Freiheitsverbürgung des A r t . 12 GG entwerten w ü r d e ; zustimmend zur Entscheidung des Verfassungsgerichts Otto Bachof : Freiheit des Berufs, S. 208 ff.; ablehnend u n d überzeugend Peter Lerche: Übermaß, S. 108 Fn. 42. 62 Vgl. Herbert Krüger: DVB1. 1950, 625 ff. (626).
II. Kompetenzieller Aspekt der Vorbehalte
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I n aller Regel w i r d der Gesetzgeber als kompetentes Organ angesprochen. Das gilt sowohl für die Ermächtigungsnormen, die zur Setzung von Grundrechtsgrenzen durch Gesetz (Art. 5 Abs. 2 1. und 2. Alt., 8 Abs. 2, 9 Abs. 2 1. Alt., 10 Abs. 2 Satz 1 und 2, 11 Abs. 2, 14 Abs. 3, 15 und 17 a Abs. 1 und Abs. 2 GG) oder auf Grund eines Gesetzes (Art. 2 Abs. 2 Satz 3, 6 Abs. 3, 8 Abs. 2, 11 Abs. 2, 13 Abs. 3, 14 Abs. 3, 16 Abs. 1 Satz 2 GG) berechtigen, als auch für den Vorbehalt des allgemeinen Gesetzes (Art. 5 Abs. 2 1. A l t . GG) sowie für die Regelungs- (Art. 4 Abs. 3 Satz 2, A r t . 38 Abs. 3 GG) und Ausgestaltungsvorbehalte (Art. 12 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1 Satz 2 GG). 1. Allgemeiner Rechtssatzvorbehalt
Gelegentlich w i r d allerdings die Ansicht vertreten, i n A r t . 5 Abs. 2 GG, 12 Abs. 1 Satz 2 und 14 Abs. 1 Satz 2 GG sei nur ein allgemeiner Rechtssatzvorbehalt positiviert 5 4 . Der i n diesen Vorbehalten vorkommende Gesetzesbegriff erfasse alle materiellen Gesetze, also auch solche Rechtssätze, die einer formell-gesetzlichen Grundlage entbehrten. Z u r Begründung w i r d angeführt, daß nur ein hoheitlicher Eingriff i n Freiheit und Eigentum eines formellen Gesetzes oder formellgesetzlicher Ermächtigung bedürfe. U m eine Einschränkung der grundrechtlichen Freiheit gehe es hier aber nicht, denn die i n Frage stehenden Vorbehalte legitimierten nur eine verdeutlichende Nachzeichnung der bereits i n der Verfassung angelegten GrundrechtssGhranken 55 . Was die Funktion der Gesetzesvorbehalte anbelangt, kann sich diese Lehre auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Zitiergebot beruf en5*, i n denen es die A r t . 5 Abs. 2, 12 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1 53
Dazu Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 102 ff.; s. a. Friedrich E. Schnapp, JuS 1978, 729 ff. (730/731). 54 So von Hans-Jürgen Papier: Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte u n d das grundgesetzliche Demokratieprinzip, B e r l i n 1973, S. 31 f., 33 ff.; k r i tisch dazu Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 112; s.a. Dietrich Jesch: Gesetz u n d Verwaltung, S. 138. 55 Vgl. BVerfGE 8, 71 ff. (79); Karl August Bettermann, WirtschR 1973, 184 ff. (188 f.); Friedrich Klein, i n : v o n Mangoldt / K l e i n , A r t . 14 GG, A n m . V 1 c, S. 432. Inkonsequent Otto Bachof: Freiheit des Berufs, S. 211; nach seiner Auffassung verdeutlichen Regelungen i. S. d. A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG n u r die schon i m Wesen des Grundrechts selbst angelegten Grenzen, gleichwohl sollen sie nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der V e r w a l t u n g formell-gesetzlicher Ermächtigung bedürfen. Skeptisch gegenüber der Möglichkeit, zwischen Einschränkung „ v o n außen" u n d Ausgestaltung „ v o n innen" zu unterscheiden Eike von Hippel: Grenzen u n d Wesensgehalt, S. 54 A n m . 22; Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 114 f.; Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 35; s.a. Klaus Vogel: Gesetzgeber u n d Verwaltung-Schlußwort V V D S t R L 24 (1966), 247 ff. (250). M BVerfGE 13, 97 ff. (122); 21, 92 ff. (93); 24, 367 ff. (396); 28, 36 ff. (46); 282 ff. (289), 33, 52ff. (77f.); s.a. B V e r w G E 43, 48ff. (53f.); zustimmend Walter
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Β. Die Grundrechtsvorbehalte
Satz 2 GG dem Anwendungsbereich des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG entzogen hat 5 7 . Z u m Vorbehalt des A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG beispielsweise hat das Bundesverfassungsgericht i m Apotheken-Urteil ausgeführt, daß der Ausdruck „regeln", den der Grundgesetzgeber hier offenbar bewußt statt des i n den Grundrechtsbestimmungen sonst üblichen „beschränken" oder „einschränken" gebrauche, darauf hindeute, daß eher an eine nähere Bestimmung der Grenzen von innen her, d. h. der i m Wesen des Grundrechts selbst angelegten Grenzen gedacht sei als an Beschränkungen, durch die der Gesetzgeber über den sachlichen Gehalt des Grundrechts selbst verfügen könne 58 . Selbst wenn man dieser Rechtsprechung folgen^ und über den Zweifel, ob eine Unterscheidung zwischen Einschränkung „von außen" und Ausgestaltung „von innen" überhaupt möglich ist 59 , hinwegsehen wollte, wäre damit für die Auslegung des Gesetzesbegriffs der grundrechtlichen Vorbehalte wenig gewonnen. Es ist nämlich gar nicht ausgemacht, daß die Eingriffs- und Schrankenformel der konstitutionellen Staatsrechtsdoktrin6 0 mitsamt der von i h r vorgenommenen Kompetenzaufteilung zwischen Legislative und Exekutive auch für die Verfassungsordnung des Grundgesetzes gilt. Denkbar ist auch, daß unter der geltenden Verfassung sämtliche grundrechtsrelevanten — eingreifenden und nicht eingreifenden — Regelungen durch Gesetz oder auf Grund Gesetzes erfolgen müssen. Die Funktionenordnung ist kein „staatstheoretisches a priori" 8 1 , aus dem die Regelungsbefugnisse der einzelnen staatlichen Gewalten eindeutig und unabänderlich hervorgehen, sondern sie ist i n ihrer konkreten Gestalt von der jeweiligen Staatsgrundordnung abhängig 62 . Die Kilian: Geltungsbereich des Zitiergebots, S. 20 ff.; Gerhard Leibholz / HansJürgen Rinck: Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl., K ö l n 1975, A r t . 19 GG A n m . 3; Sigurd Hendrichs, i n : von Münch (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, Band 1, F r a n k f u r t a. M. 1974, A r t . 19 GG Rdn. 14. 57 Der Zusammenhang m i t dem Zitiergebot legt die V e r m u t u n g nahe, daß die Unterscheidung zwischen Ausgestaltung „ v o n innen" u n d Begrenzung „ v o n außen" n u r zur Vermeidung der Nichtigerklärung der auf dem P r ü f stand stehenden Gesetze entwickelt worden ist, vgl. Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, B e r l i n 1977, S. 158; ders.: JuS 1978, 729 ff. (731 f.). 58 BVerfGE 7, 377 ff. (404), allerdings nicht i m Zusammenhang m i t der Frage der Verletzung des Zitiergebots. 59 Vgl. A n m . 55 a. E. 60 Dazu Ernst-Wolfgang Böckenförde: Gesetz u n d gesetzgebende Gewalt, B e r l i n 1958, S. 211 ff., 226 ff.; Hans-Uwe Erichsen: Staatsrecht I, S. 22 ff.; Dietrich Jesch: Gesetz u n d Verwaltung, S. 117 ff.; Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 17 ff.; Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 66 ff. 61 Norbert Achterberg: K r i t e r i e n des Gesetzesbegriffs unter dem G r u n d gesetz, DÖV 1973, 289 ff. (290).
II. Kompetenzieller Aspekt der Vorbehalte
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Interpretation des Gesetzesbegriffes der A r t . 5 Abs. 2, 12 Abs. 1 Satz 2 und 14 Abs. 1 Satz 2 GG kann daher nicht von einer sich an der konstitutionellen Eingriffs- und Schrankendoktrin orientierenden Anschauung von der „richtigen" Zuständigkeitsverteilung zwischen den Verfassungsorganen abhängig gemacht werden, vielmehr ist umgekehrt die Funktionenordnung des Grundgesetzes auch durch die kompetenziellen Gehalte der grundrechtlichen Vorbehalte geformt 88 . Diese Feststellung läßt die Frage nach der zur Ausfüllung der Vorbehalte kompetenten „Gewalt" noch offen. Die Abhängigkeit der Funktionenordnung vom Grundgesetz macht aber deutlich, daß der Gesetzesbegriff nur aus dem Sinnzusammenhang des Verfassungsganzen ermittelt werden kann 6 4 , w e i l andernfalls autonome Funktionen durch ihre Normsetzungen über den eigenen Kompetenzbereich und damit das „grundgesetzliche Gewaltenteilungsschema" befinden könnten 6 5 . Ist zur Explikation des Gesetzesbegriffs auf die Regelungen der Verfassung abzustellen, muß m i t Norbert Achterberg konstatiert werden, daß hierfür einziges und hinreichendes K r i t e r i u m das Gesetzgebungsverfahren ist 6 *. I n den A r t . 76 ff. GG hat der Verfassungsgesetzgeber die Voraussetzungen für das verfahrensrechtlich ordnungsgemäße Zustandekommen eines Gesetzes aufgestellt 67 und m i t der Statuierung der formellen Erfordernisse den Begriff des „Gesetzes" definiert. Ein Gesetz ist demgemäß ein „vom Parlament i m Wege des verfassungsrechtlich hierfür vorgesehenen Verfahrens erlassener Hoheitsakt" 6 8 . Sollte der Gesetzesbegriff der grundrechtlichen Vorbehalte inhaltlich anders zu verstehen sein, müßten dafür i m Verfassungstext besondere Anhaltspunkte auf gewiesen werden. Der Verfassungswortlaut gibt jedoch für eine unterschiedliche Interpretation des Gesetzesbegriffs nichts 62 Norbert Achterberg: DöV 1973, 289 ff. (290); ders.: Probleme der F u n k t i o nenlehre, S. 1 f.; Dietrich Jesch: Gesetz u n d Verwaltung, S. 25 Fn. 72, 189 f., 220; Konrad Hesse: Grundzüge, § 13 I 2, S. 196; Christian-Friedrich Menger: Das verfassungsgerichtliche U r t e i l zu § 218 StGB. Gesetzgebung durch das BVerfG? VerwArch. 66 (1975), 397 ff. (400); Fritz Ossenbühl: V e r h a l t u n g s vorschriften u n d Grundgesetz, Bad Homburg, B e r l i n u n d Zürich 1968, S. 251. 63 Zutreffend daher Norbert Achterberg: Probleme der Funktionenlehre, S. 207; Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 114 ff. 64 Vgl. Norbert Achterberg, D ö V 1973, 289ff. (289), s.a. ders.: Probleme der Funktionenlehre, S. 1 A n m . 5. 65 Vgl. auch Kap. C. I. 2. a). M DöV 1973, 289 ff. (insbes. S. 297). 67 Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes g i l t auch f ü r die Landesebene. Das folgt aus der v o m Verfassungsgeber installierten Kompetenzverteilung zwischen B u n d u n d Ländern, die durch einen unterschiedlichen Gesetzesbegriff unterlaufen würde. Dazu wiederum Norbert Achterberg, DöV 1973, 289 ff. (297). 68 Ebd., S. 297.
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Β. Die Grundrechtsvorbehalte
her. Daher ist das förmliche Gesetz gemeint, wenn die grundrechtlichen Regelungsermächtigungen das hoheitliche Tätigwerden i n Gesetzesform fordern 69 . 2. Verfassungsunmittelbare Eingriffsermächtigungen der Exekutive und Judikative
a) Ausdrückliche
Kompetenzzuweisungen
Obwohl die meisten grand rechtlichen Vorbehalte Gesetzesvorbehalte sind, steht einer Verallgemeinerung dieser kompetenziellen Aussage entgegen, daß einige Schrankenbestimmungen explizit die Judikative (vgl. Art. 13 Abs. 2, i n A r t . 18 GG das Bundesverfassungsgericht) oder die Exekutive (Art. 13 Abs. 3, wohl auch A r t . 9 Abs. 2 GG) 7 0 zu freiheitsverkürzenden Anordnungen berechtigen oder (jeweils dem Wortlaut nach) überhaupt keinen Kompetenztitel aufweisen (so etwa A r t . 2 Abs. 1 2. Hs., 5 Abs. 2 3. Alt., 6 Abs. 2 Satz 2, 12 Abs. 2 und 3 GG). Was die die Zuständigkeit von Judikative und Exekutive begründenden Ermächtigungsnormen anbelangt, w i r d durch sie die Vermutung einer prinzipiellen legislativen Kompetenz zu grandrechtsbegrenzender Normierung eher bestätigt als widerlegt. Ist es nämlich Sinn und Zweck der Gesetzesvorbehalte als Ausprägungen des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots, die gesetzesgebundenen Funktionen an für den Bürger erkennbare, klar umrissene und meßbare Eingriffsvoraussetzungen zu binden 71 , ist die Statuierung parlamentarischer Zuständigkeiten dort überflüssig, wo diese Intention schon durch die Vorbehalte selbst realisiert wird. So könnten die Eingriffsvoraussetzungen des A r t . 13 Abs. 2 (Durchsuchungen) 72 und Abs. 3 GG (zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen) einfachgesetzlich kaum präziser gefaßt werden. Der Vorbehalt des Gesetzes w i r d hier durch den Vorbehalt der Verfassung ersetzt 78 .
89 Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 263; für den Ausgestaltungsvorbehalt des A r t . 14 Abs. 1 Satz 2 GG s. B V e r f G DVB1. 1979, 399 ff. (402). 70 s. a. Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 27. 71 Paul Kirchhof: Rechtsquellen u n d Grundgesetz, i n Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Band I I , Tübingen 1976, S. 50 ff. (79 f.). 72 Der Meinungsstreit u m die Auslegung des Begriffs der Durchsuchung (dazu Prodromos Dagtoglou, JuS 1975, 753 ff., 755 f.) spricht nicht gegen die hier vertretene Auffassung, da auch die Inhalte einfachgesetzlicher Regelungen keineswegs eindeutig sind. 73 Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 6.
II. Kompetenzieller Aspekt der Vorbehalte b) Kompetenziell
„offene"
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Vorbehalte
Problematischer ist dagegen die Einordnung derjenigen Vorbehalte, die i n kompetenzieller Hinsicht keine ausdrückliche Aussage treffen, die insoweit „offen" sind. Daß der Gesetzgeber von ihnen Gebrauch machen kann, ist unbestritten. Zweifelhaft ist aber, ob i n diesem Bereich auch die Exekutive i m Rahmen des materiell-rechtlich Zulässigen regelungsbefugt ist, m. a. W., ob hier nur das negative oder auch das positive Gesetzmäßigkeitsprinzip gilt 7 4 . Der Exekutive kommen i m grundrechtsrelevanten Bereich keine originären Rechtsetzungsbefugnisse zu, wenn neben den grundrechtlichen Vorbehalten das allgemeine Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes, wonach jeder Eingriff i n Freiheit und Eigentum eine formell-gesetzliche Ermächtigung erfordert, verfassungsrechtlich ausgewiesen ist und gegebenenfalls eine kompetenzielle Komplementärfunktion hinsichtlich der insoweit offenen grundrechtlichen Vorbehalte besitzt 75 . Allerdings gestaltet sich der Nachweis einer verfassungsrechtlichen Fundierung des Allgemeinvorbehalts schwierig. Die noch weit überwiegende Meinung sieht i m Rechtsstaatsprinzip (Art. 20, 28 Abs. 1 GG) seinen normativen Anknüpfungspunkt 7 ®, ist damit jedoch dem Einwand von Walter Krebs ausgesetzt, daß diese Staatsstrukturbestimmung als „überzeugender Nachweis der Existenz des Vorbehalts des Gesetzes i m heutigen Verfassungsrecht wohl doch zu vage" sei 77 . Zutreffend daran ist sicher, daß Allgemeinbegriffe — wie der Rechtsstaatsbegriff — i n erster Linie aus ihren dogmatisch faßbaren Konkretisierungen zu interpretieren sind, soll nicht der Kundgabe von subjektiven verfassungspolitischen Meinungen als geltendes Recht Tür und Tor geöffnet werden 78 . Soweit aber der Allgemeinvorbehalt durch 74 Z u r Begrifflichkeit Hans J. Wolff , i n : Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, § 30 I I , I I I , S. 177 ff., 183 ff. 75 Vgl. auch Ekkehart Stein: Staatsrecht, 6. Aufl., Tübingen 1978, § 14 I V , S. 101, wonach der klassische Eingriffsvorbehalt n u r noch die F u n k t i o n hat klarzustellen, daß die grundrechtlichen Vorbehalte m i t dem Begriff „Gesetz" ein förmliches Gesetz meinen. 76 Peter Badura: Verfassung, Staat u n d Gesellschaft, S. 19; Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 95; Ernst-Wolfgang Böckenförde: Die Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, B e r l i n 1964, S. 91 f.; Karl Doehring: Staatsrecht, S. 233; Theodor Maunz / Günter Dürig, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 20 Rdn. 128; Konrad Hesse: Grundzüge, § 6 I I 1 b, S. 81 f.; Hans Jürgen Papier: Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 27; Hans Heinrich Rupp: Bemerkungen zur V e r w i r k u n g von Grundrechten (Art. 18 GG), i n Festschr. f ü r Küchenhoff, B e r l i n 1972, S. 653 ff. (655); Klaus Stern: Staatsrecht, § 20 I V 4 b, S. 635: „Dieser Vorbehalt des Gesetzes f ü r die E i n griffsverwaltung ist aber als Grundsatz unbestritten Bestandteil des rechtsstaatlichen Prinzips." 77 Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 12 f.; so auch Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 248 f.
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Β. Die Grundrechtsvorbehalte
die grundrechtlichen Eingriffsermächtigungen ersetzt werden soll 79 , gibt dieser Ansatz für die Lösung des hier interessierenden Problems nichts her. Die A r t . 2 Abs. 1 2. Hs., 5 Abs. 2 3. Alt., 6 Abs. 2 Satz 2, 12 Abs. 2 und 3 GG vermögen die Frage nach dem zu Grundrechtseingriffen kompetenten Entscheidungsträger ja selbst nicht zu beantworten. Unter der grundgesetzlichen Ordnung darf es hinsichtlich der Zuständigkeitsverteilung ein „non liquet" aber nicht geben. Aus diesem Grund kann der Ansicht nicht gefolgt werden, der „Vorbehalt des Gesetzes" sei als besonderer Grundsatz neben dem Grundrechtssystem entbehrlich 80 . Es ist daher nur der Weg gangbar, nach dem von dem Verfassungsgeber m i t dem Rechtsstaatsbegriff verbundenen Inhalt zu fragen. Dieses Vorgehen rechtfertigt sich aus der Überlegung, daß auch imbestimmte Begriffe der Rechtssprache — und allen verfassungsrechtlichen Ausdrücken ist eine mehr oder minder große Unbestimmtheit eigen — einen fest umrissenen „Bedeutungskern" haben, d.h. stehende Gebrauchweisen, die sie bestimmten Sachverhalten oder Rechtsinstituten eindeutig zuordnen 81 . Die Ermittlung der Verwendungsregeln eines juristischen Begriffs kann der Normativität und Stabilität der Verfassung wegen nicht losgelöst vom historischen Willen des Gesetzgebers, der seinerseits erst vor dem Hintergrund einer langen Verfassungstradition verständlich ist, erfolgen 82 . Z u berücksichtigen ist daher, daß schon vor Inkrafttreten des Grundgesetzes der „Vorbehalt des Gesetzes" als allgemeines Verfassungsprinzip angesehen wurde 8 8 . So w a r die Geltung des Grundsatzes, 78 Ernst-Wolfgang Böckenförde: Organisationsgewalt, S. 91; vgl. auch Christian Starck: Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, Baden-Baden 1970, S. 281 ff.; Hans Schneider: Z u r Verhältnismäßigkeits-Kontrolle insbesondere bei Gesetzen, i n Bundesverfassungsgericht u n d Grundgesetz, B a n d I I , T ü b i n gen 1976, S. 390 ff. (391): „Die rechtsstaatliche Verfassung verlangt auch v o n ihrem Interpreten einen Preis: Präzisierung des normativen Ausgangspunkts u n d eine nachvollziehbare Gedankenkette zur Erkenntnis." 79 Vgl. Friedrich E. Schnapp, i n : Wertenbruch (Hrsg.), Bochumer K o m m e n tar zum Sozialgesetzbuch — Allgemeiner Teil, B e r l i n u n d N e w Y o r k 1979, § 31 A n m . 6. 80 Klaus Vogel: Gesetzgeber u n d Verwaltung, V V D S t R L 24 (1966), 125 ff. (151); ablehnend auch Peter Badura: Diskussionsbeitrag, V V D S t R L 24 (1966), 210 ff. (212 f.), Albert Bleckmann: Subordinationsrechtlicher Verwaltungsvertrag u n d Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, VerwArch. 63 (1972), 404 ff. (435); Eggert Schwan: Zuständigkeitsregelungen u n d Vorbehalt des Gesetzes, j u r . Diss. B e r l i n 1971, S. 9 ff.; zustimmend dagegen Friedrich E. Schnapp: A m t s recht u n d Beamtenrecht, S. 248 ff. 81 Ausführlich dazu Kap. C. I. 2. b). 82 Andernfalls wäre der Weg frei zum Verfassungswandel durch I n t e r pretation — dazu unten S. 57 ff.; vgl. auch Ernst-Wolfgang Böckenförde: Organisationsgewalt, S. 91 f. 83 Vgl. Dietrich Jesch: Gesetz u n d Verwaltung, S. 117 ff. m i t umfangreichen Nachweisen.
II. Kompetenzieller Aspekt der Vorbehalte
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daß der Exekutive kein originäres Recht zu Eingriffen i n die bürgerliche Sphäre zukommt, unter der Ägide der Weimarer Verfassung i m wesentlichen unbestritten 84 . Entsprechend ist der Allgemeinvorbehalt i n einer Mehrzahl von Landesverfassungen ausdrücklich positiviert worden 85 . Der Eingang des Vorbehaltsprinzips i n das Grundgesetz als Bestandteil des Rechtsstaatsgedankens kommt normativ i n A r t . 1 Abs. 3 und 19 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG zum Ausdruck. Diese Vorschriften erhöhen die Wirksamkeit der Freiheitsverbürgungen i m Vergleich zu früheren Verfassungsepochen 86. Ihrer ratio liefe die Freistellung exekutivischer Eingriffsakte von gesetzlicher Ermächtigung zuwider 8 7 . Die verstärkte Sicherung der Grundrechte verträgt sich nicht m i t gesetzesunabgeleiteter Exekutivgewalt i m Freiheitsbereich, die zudem auch der Forderung nach einem möglichst weitreichenden Rechtsschutz des Bürgers (Art. 19 Abs. 4 GG) widerstreiten würde 8 8 . Für die Geltung des Allgemeinvorbehalts spricht auch, daß andernfalls die Einschränkung der Meinungsfreiheit zum Schutz der persönlichen Ehre (Art. 5 Abs. 2 3. A l t . GG) durch gesetzesunabgeleitete Regelungen, die zugunsten des Jugendschutzes (Art. 5 Abs. 2 2. A l t . GG) nur durch oder auf Grund eines formellen Gesetzes erfolgen kann. Zu einer unterschiedlichen Behandlung der Schranken des A r t . 5 Abs. 2 GG besteht aber weder Anlaß noch ist sie von der Verfassung gewollt. Das ergibt sich aus A r t . 102 Abs. 2 GG, der den straf gerichtlichen Schutz der persönlichen Ehre (§§ 185 ff StGB) — und damit einen erheblichen Teil des staatlichen Ehrenschutzes überhaupt — dem Gesetzgeber vorbehält 8 9 . Ist der „Vorbehalt des Gesetzes" danach i m Rechtsstaatsprinzip verankert, ergänzt er die kompetenziell „offenen" grundrechtlichen Vorbehalte. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß bis auf wenige Ausnahmen 84
Statt vieler: Richard Thoma: Der Vorbehalt der Legislative u n d das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der V e r w a l t u n g u n d Rechtsprechung, H B D S t R I I , Tübingen 1932, S. 221 ff. 85 A r t . 58 Bad.-Württ. Verf., A r t . 70 Abs. 1 Bay. Verf., A r t . 2 Hess. Verf., A r t . 2 Rhl. Pf. Verf., A r t . 2 Saarl. Verf. 86 Zahlreichen Grundrechten der W R V w u r d e n u r Programmsatzcharakter zugesprochen, s. Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 45. 87 M i t Recht weist daher auch Dietrich Jesch: Zulässigkeit gesetzesvertretender Verordnungen?, AöR 84 (1959), 74 ff. (82 f.), darauf hin, daß i m Vergleich zu früher die Exekutivgewalt unter dem Grundgesetz nicht erweitert werden kann. 88 Dazu vgl. auch Norbert Achterberg: Probleme der Funktionenlehre, S. 207 f. 89 s.a. Roman Herzog, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog/Scholz, A r t . 5 GG, Rdn. 239.
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Β. Die Grundrechtsvorbehalte
nur die Legislative verfassungsunmittelbar zu Eingriffen i n die grundrechtlich geschützte Sphäre ermächtigt ist 9 0 .
I I I . Analyse Materieller und kompetenzieller Aspekt des Vorbehaltssystems sind eng miteinander verflochten. Die materielle kann von der funktionellen Seite nicht getrennt werden und umgekehrt. Die Festlegung der Reichweite der spezifizierten Eingriffsermächtigungen determiniert m i t der Bestimmung der Bürger-Staat-Relation auch die grundgesetzliche Funktionenordnung 91 . Der Beziehung von grundrechtlicher Freiheitsverbürgung und einschränkendem Gesetz korrespondiert die von Verfassungsgericht und parlamentarischem Gesetzgeber. Die Vorbehalte geben Maßstäbe (i. d. R.) für das Handeln der Legislative an und zwar Maßstäbe, die es dem Bundesverfassungsgericht ermöglichen, die Ubereinstimmung der Gesetzgebungstätigkeit m i t den i n den Vorbehalten zum Ausdruck kommenden Anforderungen der Verfassung zu prüfen 9 2 . Innerhalb des von der Verfassung gesetzten Rahmens ist das Parlament zur Ordnung und Gestaltung des Gemeinwesens berufen, hat es einen erheblichen Spielraum zur Durchsetzung politischer Wertvorstellungen und Überzeugungen. Überschreitet es diesen Rahmen, müssen seine A k t e nach verfassungsgerichtlicher Prüfung aufgehoben werden 98 . Gerade wegen des Ineinanders und der Verwobenheit der materiellen und kompetenziellen Aspekte gilt es, die Aussagen des Vorbehaltssystems ernst zu nehmen, da nur so Friktionen und Spannungen zwischen den verschiedenen Verfassungsorganen vermieden werden kön90
Die Anerkennung eines v o n den grundrechtlichen Vorbehalten unabhängigen Allgemeinvorbehalts impliziert nicht die Annahme, daß die Gesetzesvorbehalte der Freiheitsverbürgungen lediglich spezielle Ausprägungen des allgemeinen Vorbehaltsprinzips sind u n d f ü r sie daher auch die tradierten Einschränkungen dieses Prinzips gelten. A r t . 1 Abs. 3 GG b e w i r k t eine Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalten. Die spezifizierten G r u n d rechtsvorbehalte sind m i t h i n auch dort zu beachten, w o zur Regelung sog. Sonderstatusverhältnisse i n die bürgerlichen Freiheiten eingegriffen w i r d . 91 Zutreffend daher auch Wolfgang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 98: „Es ist n u n unverkennbar, daß eine Theorie immanenter Schranken zu einer Kompetenzverlagerung zugunsten der rechtsprechenden Gewalt u n d zu einer Depossedierung des Gesetzgebers führen muß." Vgl. a u d i Dietrich Jesch: Gesetz u n d Verwaltung, S. 123 ff. zum ideengeschichtlichen Zusammenhang von Grundrechten u n d Verteilung der Rechtsetzungskompetenz. „Beide sind rechtliche Erscheinungen der erkämpften Freiheit v o m Staat: die M e n schenrechte schaffen eine Individualsphäre, der Vorbehalt stellt diesen Bereich unter die K o n t r o l l e der Repräsentanten der Gesellschaft (S. 125)." 92 Z u den durch die Vorbehalte statuierten Grenzen richterlicher K o n t r o l l e s. Konrad Hesse: Grundzüge, § 10 I I 2 b, S. 136. 93 Vgl. A r t . 93, 100 GG.
III. Analyse
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nen M . Auch aus diesem Grund ist die Auffassung abzulehnen, die Gesetzesvorbehalte seien als fossiles Relikt des i m demokratischen Verfassungssystem überholten, auf dem Dualismus von Staat und Gesellschaft beruhenden Eingriffs- und Schrankendenkens 95 außer acht zu lassen und durch ein Geflecht von Güterabwägungen zu ersetzen9®. Sie nimmt wegen ihrer ausschließlichen Blickrichtung auf den materiellen Gehalt nicht wahr, daß die Vorbehalte wesentlicher Bestandteil der grundgesetzlichen Funktionenordnung sind und ihre Entnormativierung die Gewaltenbalance des Grundgesetzes i n Frage stellen muß 9 7 . Die ausdifferenzierten Vorbehalte haben Teil an der Ordnungs- und Stabilisierungsfunktion der Grundrechtsnormen 98 . Sie sind mitkonstituierend für das Verhältnis Individuum-Gemeinschaft, indem sie die Ermächtigungen an den Gesetzgeber nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß substantiieren, konkretisieren und limitieren. Sie fördern die Berechenbarkeit normierenden Verhaltens und dienen damit der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit 99 . Durch die Freiheitsverbürgungen und die Vorbehaltsschranken entstehen verfassungsrechtliche Fixpunkte 1 0 0 , die den Bereich unantastbarer oder jedenfalls nur mittels Gesetz einschränkbarer Freiheit festlegen 101 . Wo Grundrechte nicht mehr verkürzt werden können, kann persönliche Freiheit ohne Gefahr der Zurückweisung ausgeübt und gelebt werden 1 0 2 . Die Grundrechte gewähren Freiräume zur Sicherung, 94 Das übersieht Christian von Pestalozza: Der Garantiegehalt der K o m petenznorm, Der Staat 11 (1972), 161 ff. (179 f.), w e n n er die Normen des organisatorischen Teils der Verfassung nicht n u r als Ermächtigungsgrundlagen des grundrechtseingreifenden Gesetzgebers, sondern auch als Auslegungsrichtlinien zur interpretativen A u f h e l l u n g v o n Grundrechtsinhalten v e r standen wissen w i l l . 95 Z u r Dogmengeschichte des Eingriffsvorbehalts ausführlich Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 126 ff., 134 ff.; Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 16 ff. M Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 31 ff.; Eike von Hippel: Grenzen u n d Wesensgehalt, S. 27 ff. 97 K r i t i s c h zur Güterabwägung auf Verfassungsebene Hans Lothar Graf: Grenzen der Freiheitsrechte, S. 62 f.; Otto Ernst Kempen: Staatsräson über Verfassungsräson, J Z 1971, 452 ff. (453); Peter Lerche: Übermaß, S. 129; Friedrich Müller: N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, S. 207 ff.; Helmut Willke: Grundrechtstheorie, S. 113. 98 Diese F u n k t i o n teilen die Grundrechte m i t den anderen Verfassungsnormen, s. Klaus Stern: Staatsrecht, § 3 I I I 3, 4, S. 65 ff., 67 ff. 99 Vgl. Wolf gang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 48 f.; Friedrich Müller: Positivität, S. 55 ff. Die Verwerfung unberechenbarer u n d unbeschränkter Vorbehalte durch das Grundgesetz ist Ausdruck des Vertrauensverlustes der Gesellschaft auch i n die durch ihre Repräsentanten b e w i r k t e Gesetzgebung — s. Dietrich Jesch: Gesetz u n d Verwaltung, S. 134. 100 Das Entstehen freiheitssichernder Fixierungen ist M e r k m a l der geschriebenen Verfassung — s. Konrad Hesse: Grundzüge, § 1 I I I 3, S. 15. 101 Vgl. auch B V e r f G DVB1. 1979, 399 ff. (401).
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Β. Die Grundrechtsvorbehalte
Planung, Führung und Gestaltung der individuellen Lebensbedingungen. Es werden Erwartungen des Nichteingreifens verfassungsrechtlich fixiert, auf die der Bürger vertraut. Die Verläßlichkeit des Rechts gibt i h m Orientierungssicherheit. Er weiß, was er darf und was er zu unterlassen hat. Die grundrechtlichen Eingriffsermächtigungen sind damit Ausprägungen der rechtsstaatlichen Prinzipien Bestimmtheit und Rechtssicherheit, die mehr als jedes Wertsystem die Integration der Bürger i n die staatliche Gemeinschaft fördern 1 0 3 . Gewährleistung und Vorbehalt bewirken eine der Verfassung als Grundordnung gerecht werdende Stabilität des Staat-Bürger-Verhältnisses, die aber nichts m i t Beharrung oder Erstarrung zu t u n hat 1 0 4 , über die die Wirklichkeit früher oder später hinweggehen würde 1 0 5 . Gerade die Vorbehalte verbinden die Stabilität der Verfassung 106 m i t der für sie notwendigen Flexibilität und Elastizität 1 0 7 . Denn i n den von den Eingriffsermächtigungen gezogenen Rahmen ist die Verfassung offen, ist dem Gesetzgeber die freie Gestaltung der Sozietät aufgegeben, kann er Gemeinwohlbelange gegen Individualinteressen durchsetzen. Rechtssicherheit w i r d nicht nur durch unverbrüchliche Rechtsgarantien produziert, sie entsteht auch durch die Gewähr, daß vorhandene Rechtspositionen nur i n einem an demokratischen und rechtsstaatlichen Maximen orientierten Verfahren geschmälert oder vernichtet werden können 108 . Insofern ist es kein Zufall, daß die Eingriffsermächtigungen, die durch Abstufungen und Differenzierungen Berechenbarkeit und 102 A l s Schranken-Schranke gewinnt so auch die verfassungsrechtlich Z u ständigkeitsordnung freiheitsverbürgende Funktion, dazu Paul Kirchhof / Hannfried Walter, N J W 1970, 1575 ff. (1581); Peter Schwache: Grundrechtliche Spannungslagen, j u r . Diss. H a m b u r g 1973, S. 52. Zutreffend auch Ernst Forsthoff: U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, S. 36, wonach die Gewähr der gesetzmäßigen Freiheit erst durch Unterstellung der Staatsordnung selbst unter den rechtsstaatlichen Gesetzesbegriff geboten werden konnte. 103 s. a. Werner Kägi: Verfassung als rechtliche Grundordnung, S. 44: „Die Verfassung als normative Ordnung ist entstanden i n der Begrenzung der absoluten Gewalt; diese Begrenzung ist aber auch bleibende conditio sine qua non der Verfassung als rechtsnormativer Ordnung. Die Verfassung ist einerseits notwendig einheitsstif tende Ordnung, i h r Sinn der einer Integration; ihren rechtsnormativen Sinn, eben als gesetzliche objektive Ordnung dagegen entfaltet sie i n der Begrenzung u n d durch die Begrenzung der Staatsgewalt." 104 Z u m Verhältnis v o n Stabilität u n d D y n a m i k i m Verfassungsrecht Konrad Hesse: Grundzüge: § 1 I I I 4, S. 16; Werner Kägi: Verfassung als rechtliche Grundordnung, S. 81 ff. A u f das damit zusammenhängende Problem des Verfassungswandels w i r d noch einzugehen sein, s. u. S. 58 fï. 105 Vgl. Konrad Hesse: Grundzüge, § 1 I I I 4, S. 16. 106 I n diesem Sinne spricht auch Hartmut Jäckel: Grundrechtsgeltung, S. 33, der Grundrechtsordnung gerade wegen der ausdrücklich erklärten Vorbehalte stabile Geltungskraft zu. 107 Konrad Hesse: Grundzüge, § 10 I I 1 c, S. 133 f. io« v g l auch Dietrich Jesch: Gesetz u n d Verwaltung, S. 25.
III. Analyse
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Vorhersehbarkeit normierenden Verhaltens erzeugen, die Kompetenz zum Tätigwerden i m Grundrechtsbereich dem parlamentarischen Gesetzgeber zuordnen. Denn unabhängig von der durchgehenden — wenn auch teilweise nur mittelbaren — demokratischen Legitimation aller staatlichen Gewalten (Art. 20 Abs. 2 GG) 1 0 9 kommen prinzipiell nur die Gesetze i m Wege eines freien politischen Willensbildungsprozesses zustande 110 , der sich i n kontrollierender und machthemmender Publizität 1 1 1 vollzieht und wegen der optimalen Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen 112 die gefällte Entscheidung einsehbar und verständlich macht. Zudem garantiert das Gesetz schon wegen seiner Form (Art. 82 GG) Feststellbarkeit, Verständlichkeit und damit Rechtssicherheit i m Sinne eines Sicherseinkönnens darüber, was überhaupt an freiheitsbeschränkenden Regelungen existiert 1 1 3 . Die Verfassung intendiert also nicht nur Normenklarheit und Normenbestimmtheit hinsichtlich der statuierten Freiheitsrechte und Einschränkungsmöglichkeiten, sondern auch hinsichtlich der tatsächlich errichteten Freiheitsgrenzen (vgl. auch A r t . 80 Abs. 1 Satz 2 GG) 1 1 4 . Die Gesetze sollen dem Bürger zu erkennen geben, zugunsten welcher Gemeinschaftsbelange der Freiheitsgebrauch zurückzutreten hat. io» BVerfGE 49, 89 ff. (125); Albert Bleckmann, VerwArch. 63 (1972), 404 ff. (432); Ernst-Wolfgang Böckenförde: Organisationsgewalt, S. 79; Ernst-Wolfgang Böckenförde / Rolf Grawert: Sonderverordnungen zur Regelung besonderer Gewaltverhältnisse, AöR 95 (1970), 1 ff. (25); Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 110; Fritz Ossenbühl: Verwaltungsvorschriften, S. 228; s.a. Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 252; ders. Z B R 1977, 208 ff. (213). 110 Konrad Hesse: Grundzüge, § 14 I 1 b, S. 205; s. a. Christian-Friedrich Menger, VerwArch. 66 (1975), 397 ff. (401). 111 Zutreffend Christian Starck: Organisation des öffentlichen Schulwesens, N J W 1976, 1375 ff. (1377): „ M i t der Publizität des Gesetzgebungsverfahrens ist ein Stück Freiheit des Bürgers vor unterschwelliger einseitiger Einflußnahme gesichert." 112 Konrad Hesse: Grundzüge, § 14 I 1 b, S. 205. 113 Eben deshalb sieht Herbert Krüger: Allgemeine Staatslehre, S. 286 ff. (insbes. S. 289 f.) i m Gesetz auch die beste Gestalt der Norm. 114 Vgl. Friedrich Müller: Positivität, S. 55 Fn. 34 u n d ders.: Einheit der Verfassung, S. 122, wonach M e r k m a l einer formstrengen Verfassung die Berechenbarkeit des Verfassungsrechts w i e der verfassungsbestimmten Rechtsordnung f ü r den Normadressaten ist. F ü r Verordnungen ergibt sich das u n mittelbar aus A r t . 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Danach müssen „ I n h a l t , Zweck u n d Ausmaß" einer Ermächtigung zum Erlaß v o n Rechtsverordnungen i m Gesetz bestimmt sein. Dieselben Grundsätze gelten aber auch f ü r gesetzliche E r mächtigungen zum Erlaß v o n Einzelakten — vgl. BVerfGE 8, 71 ff. (76); 20, 150 ff. (158); 22, 330 ff. (345); 34, 165 ff. (192 f.) u n d Klaus Stern: Staatsrecht, §20 I V 4 b ß, S. 635 ff. m. w . N.; Dietrich Jesch: Gesetz u n d Verwaltung, S. 223 f. sieht i n A r t . 19 Abs. 4 GG das verfassungsrechtliche Fundament des Bestimmtheitsprinzips.
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Β. Die Grundrechtsvorbehalte
Die aus den grundrechtlichen Vorbehalten fließenden Anforderungen an Feststellbarkeit, Verständlichkeit und Gewißheit des Norminhalts wären freilich bedeutungslos, wenn die Freiheitsverbürgungen auf Grund beliebiger vom Interpreten zu bestimmender Auslegungsverfahren oder durch Statuierung zusätzlicher Eingriffsermächtigungen relativiert und limitiert werden könnten. Unerfüllt bliebe dann auch der aus der Abstufung der Vorbehalte und den daraus resultierenden unterschiedlichen Grundrechtsstärken 116 erkennbare Wille des Verfassungsgebers, den mangels ausreichender Eingriffsermächtigungen uneinschränkbaren Freiheiten höchstmöglichen Schutz zu geben 11 ·. Schon früher ist auf die differierenden Theorien und Methoden zur Bestimmung und Begrenzimg des von den Grundrechtsnormen jeweils geschützten Bereiche sachlicher Gegebenheiten hingewiesen worden, die wie ζ. B. die Mißbrauchslehren, die institutionellen oder demokratischfunktionalen Grundrechtstheorien zu durchaus unterschiedlichen Festlegungen des grundrechtlichen Gewährleistungsbereichs kommen 1 1 7 . Werden diese Theorien und Methoden vom berufenen Verfassungsinterpreten — dem Bundesverfassungsgericht — wahlweise i n den Vorgang der Grundrechtskonkretisierung einbezogen, entscheidet es m i t der Prägung der Freiheitsrechte über Ausmaß und Grenzen seiner Kontrollbefugnisse und legt dergestalt selbst fest, inwieweit es über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu befinden hat 1 1 8 . Der Umfang gesetzgeberischer Kompetenz und vice versa die Sphäre ungehemmten individuellen Wüllens und Beliebens würde dann nicht mehr von der Verfassung, sondern vom Interpreten bestimmt. Vom Vorbehaltssystem als grundgesetzlicher Anweisung, „ w i e typischerweise wiederkehrende Wertkonflikte i n typischen Bahnen aufgehoben und gelöst werden sollen" 1 1 9 , bliebe nicht mehr viel übrig. M i t der Vernachlässigung der Erfaßbarkeit und Nacfovollziehbarkeit bewirkenden Rationalität der Formalisierung von typischen Konfliktlösungen 1 2 0 wäre auch die Stabilität der Verfassung dahin. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Prozeß der Grundrechtskonkretisierung angesichts seiner materiell- und funk115 Vgl. Heiner Blaesing: Grundrechtskollisionen, S. 143 ff. ; Hans-Lothar Graf : Grenzen der Freiheitsrechte, S. 127 f.; Walter Leisner: Grundrechte u n d P r i vatrecht, München 1960, S. 391 f.; Manfred Lepa, DVB1. 1972, 161 ff. (167); Friedrich Müller: Einheit der Verfassung, S. 205; kritisch zur Möglichkeit unterschiedlicher Grundrechtsstärken Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 304 ff. 118 Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 247. 117 s. o. Kap. Α. I. 118 Vgl. auch Peter Badura: Verfassung, Staat u n d Gesellschaft, S. 1 u n d Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1976, 2089 ff. (2089 f.). 119 Peter Lerche, D ö V 1965, 212 ff. (213). 120 Ebd., S. 213.
I I I . Analyse tionellrechtlichen
Konsequenzen m i t
d e n A u s s a g e n des
49 Vorbehalts-
systems i n E i n k l a n g gebracht w e r d e n k a n n , ob es m . a. W . eine v e r f a s sungsgemäße, i m w e s e n t l i c h e n d u r c h d i e V o r b e h a l t e b e s t i m m t e G r u n d rechtstheorie o d e r A u s l e g u n g s m e t h o d e g i b t 1 2 1 .
121 Die Frage nach der verfassungsgemäßen Grundrechtstheorie u n d I n t e r pretationsmethode hat — soweit ersichtlich — erstmals Ernst-Wolfgang Bökkenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1536 f.) aufgeworfen; kritisch demgegenüber Ralf Dreier: Verfassungsinterpretation, S. 42 f., dessen E i n w a n d allerdings n u r unter der Prämisse stichhaltig ist, daß die der Verfassung zu entnehmenden Maßstäbe ständiger Wandlung u n d Fortschreibung unterliegen. I h r k a n n jedoch nicht zugestimmt werden, w e n n die N o r m a t i v i t ä t der Verfassung nicht i n Frage gestellt werden soll. Z u m Problem des Verfassungswandels s. u. S. 58 ff.
4 Wülfing
C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich I. Vorbehalte als Auslegungsregel Die Annahme einer Maßstabsfunktion der Vorbehalte i m Verfahren der Grundrechtskonkretisierung bedarf einer dogmatischen Begründung, die durch den Nachweis der Abhängigkeit des Umfangs und eventuell sogar der Geltung der Eingriffsermächtigungen von der Bestimmung des grundrechtlichen Gewährleistungsbereichs (allein) noch nicht geleistet wird. Die bloße Tatsache dieser Dependenz beweist für sich noch nichts. Denn einmal vermag sie nicht auszuschließen, daß die Freiheitsrechte aus sich selbst heraus zu verstehen sind, die Grundrechtsinhalte also irgendwie den juristischen Begriffen wie Meinung, Presse (Art. 5 Abs. 1 GG), Versammlung (Art. 8 GG), Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) oder Eigentum (Art. 14 GG) zu „entnehmen" sind. Zum anderen ist nicht nur die Wirksamkeit der Vorbehalte, sondern auch die Bedeutung anderer Verfassungsnormen durch die Auslegung der Freiheitsrechte determiniert. Je extensiver die Grundrechte interpretiert werden, um so geringer ist ζ. B. der den Hoheitsträgern zur effizienten Wahrnehmung ihrer Kompetenzen verbleibende Raum. Oder: Der Inhalt des Demokratieund Sozialstaatsprinzips ist wesentlich davon beeinflußt, ob man i n den A r t . 2 ff. GG dogmatisch faßbare Konkretisierungen der Staatsstrukturbestimmungen sieht, also der demokratisch-funktionalen oder der sozialstaatlichen Grundrechtstheorie folgt. Daher ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß die Sachbereiche der Freiheitsverbürgungen ohne Rücksicht auf die Normativität der Vorbehalte festzulegen sind. Die Geltungskraft der Eingriffsermächtigungen wäre dann von der Reichweite der Freiheitsverbürgungen, nicht aber umgekehrt die Auslegung der grundrechtlichen Gewährleistungsbereiche von den Vorbehalten abhängig. Unter welchen Bedingungen kann also den Vorbehalten die Funktion einer Auslegungsregel für die Interpretation der Grundrechte zuerkannt werden? Die erste Voraussetzung ist, daß die die Grundrechtsnormen ausmachenden Begriffe nicht eindeutig angeben, welche Sachverhalte i n ihren Gewährleistungsbereich fallen und welche nicht. Denn nur, wenn die Bestimmung des grundrechtlichen Gewährleistungsbereichs nicht
I. Vorbehalte als Auslegungsregel
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Aufspüren und Aufhellen des schon i n den Rechtsbegriffen Verborgenen, nicht juristische Entdeckung, sondern juristische Dezision, wenn „Rechtsanwendung" immer zugleich Rechtsbildung ist 1 , ist die Vorstellung von der Existenz der das Interpretationsverfahren begleitenden Denkgebote oder -verböte sinnvoll aufrechtzuerhalten. Ist dagegen die Beziehung zwischen dem juristischen Begriff und seiner Bedeutung dem Interpreten vorgegeben und damit von dezisiven Elementen frei, kann die Erkenntnis des Begriffsinhalts nicht regelgeleitet werden. Läßt sich dem Begriff der Presse beispielsweise eine unmittelbare Aussage darüber entlocken, ob i h m nur die politisch relevanten oder auch andere Druckerzeugnisse unterfallen, ist jeder Rekurs auf die die Interpretationsmöglichkeiten begrenzenden Auslegungsrichtlinien überflüssig. Gelingt der Nachweis, daß es sich bei der Grundrechtskonkretisierung u m einen Entscheidungsakt handelt, ist weiterhin die These zu belegen, daß dieser durch aus dem Verfassungsganzen zu gewinnende Interpretationsverbote gesteuert w i r d und daß aus der Fülle verfassungsrechtlicher Regelungen i m Prozeß der Grundrechtsinterpretation gerade die Vorbehalte maßgebend sind. 1. Auslegung als Entscheidungsvorgang
a) Subsumtionsideal Die Vorstellung von der Normenkonkretisierung als voluntativem A k t steht i n krassem Widerspruch zum sog. Subsumtionsideal. Diesem entspricht die Vorstellung, daß die Bedeutung der Rechtsregeln, nach denen der Rechtsanwender entscheidet, i m voraus festliegen, der Obersatz des syllogistischen Schlusses vorgegeben und nur noch i m Untersatz festzustellen ist, ob i m konkreten Sachverhalt die die Rechtsfolge bedingenden Tatbestandsmerkmale gegeben sind 2 . So „mechanistisch" ist Rechtsanwendung aber keinesfalls 8 . Verfassungsvollzug ist mehr als 1 Vgl. dazu Josef Esser: Vorverständnis u n d Methodenwahl i n der Rechtsfindung, F r a n k f u r t 1970, S. 176 ff.; Werner Krawietz: Juristische Entscheidung u n d wissenschaftliche Erkenntnis, Wien u n d N e w Y o r k 1978, S. 45 A n m . 109, 51; Walter Krebs: Z u r Rechtsetzung der Exekutive durch Verwaltungsvorschriften, VerwArch. 70 (1979), 259 ff. (268); Herbert Krüger: Allgemeine Staatslehre, S. 292; Franz Jürgen Säcker, ARSP 58 (1972), 215 ff. (215 f.). Bej a h t m a n eine rechtsfortbildende Aufgabe der Rechtsprechungsorgane, w i r d sie durch A r t . 97 ff. GG legitimiert — so auch Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 115. Abzulehnen aber Konrad Redeker: Legitimation u n d Grenzen richterlicher Rechtsetzung, N J W 1972, 409 ff. (412), der aus dem materiellen Gehalt des Begriffs der rechtsprechenden Gewalt auch die richterliche Rechtsetzung contra legem rechtfertigen w i l l . 2 Z u m Subsumtionsideal Martin Kriele: Theorie der Rechtsgewinnung, entwickelt am Problem der Verfassungsinterpretation, B e r l i n 1967, S. 47 ff. 3 Vgl. auch Peter Häberle: Verfassungsprinzipien „ i m " Verwaltungsverfahrensgesetz, Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Richard Boorberg V e r -
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
der Nachvollzug eines präexistenten Willens. Gerade die Grundrechtsnormen — grundsätzlich aber alle den Obersatz ausmachenden Rechtsbegriffe — sind so vage und unbestimmt, daß sie i n weiten Grenzbereichen keine eindeutige Entscheidung darüber zulassen, ob ein vorgegebener Sachverhalt i n ihren Geltungsbereich fällt oder nicht 4 . Das Problem besteht demgemäß darin, den „richtigen" Obersatz zu finden 5. Wenn auch die Feststellung der Unbestimmtheit der verfassungsrechtlichen Begriffe inzwischen erkenntnistheoretisches Allgemeingut ist* und die Staatsrechtswissenschaft dementsprechend i n breiter Front Abschied vom Subsumtionsideal genommen hat 7 , w i r d die naheliegende Schlußfolgerung, daß Grundrechtskonkretisierung Entscheidung des Interpreten innerhalb eines verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmens bzw. unter Beachtung von bestimmten Denkverboten ist 8 , nicht immer gezogen. Der Glaube an die Möglichkeit einer objektiven und intersubjektiv transmissiblen Ermittlung der Norminhalte ist noch weit verbreitet 9 . Kennzeichnend dafür ist ζ. B. der Ruf nach einer die W i l l k ü r lichkeit des Methodensynkretismus vermeidenden Festlegung der den speziellen oder generellen Vorgang der Normanwendung beherrschenden Prämissen, etwa durch Statuierung einer Rangordnung innerhalb der auf Savigny 1 0 zurückführenden grammatischen, systematischen und lages, Stuttgart, München u n d Hannover 1977, S. 47 ff. (52 f.) u n d Herbert Bethge: Grundrechtskollisionen, S. 317 m i t dem zutreffenden Hinweis, daß sogar i m Bereich der scheinbar r e i n deskriptiven Tatbestandsmerkmale w e gen der unvermeidbaren Mehrdeutigkeit einer nicht-formalisierten Sprache das Gesetz die Rechtsanwendung nicht einfach zugunsten schlichter Subsumt i o n u n d automatischem Syllogismus determiniert. 4 Adalbert Podlech: Gleichheitssatz, S. 41. 5 Martin Kriele: Theorie der Rechtsgewinnung, S. 50 f.; Peter Schwache: Grundrechtliche Spannungslagen, S. 21. « Walter Krebs, VerwArch. 70 (1979), 259 ff. (268). 7 Statt vieler Fritz Ossenbühl, N J W 1976, 2100 ff. (2105); a . A . noch Ernst Forsthoff: U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, S. 41. 8 Zutreffend Friedrich E. Schnapp: Z u Dogmatik u n d F u n k t i o n des staatlichen Organisationsrechts, Rechtstheorie 9 (1978), 275 ff. (297): „Die Aufgabe . . . (der) Rechtswissenschaft besteht also i n erster L i n i e nicht i n der E r m i t t l u n g v o n Denkgeboten f ü r den Rechtsanwender, sondern von Denkverboten. A m Anfang rechtswissenschaftlicher Überlegung steht m i t h i n die Frage: Welchen Spruch des Rechtsanwenders hat der Rechtsetzer durch den W o r t l a u t des Rechtssatzes ausgeschlossen." 9 I h m hängen alle an, die das Richterrecht als verborgene Weisheit des Gesetzes ausgeben, so etwa Claus Wilhelm Canaris: Systemdenken u n d Systembegriff i n der Jurisprudenz, entwickelt am Beispiel des deutschen Privatrechts, B e r l i n 1969, S. 146 ff. I m Ergebnis f ü h r t dieser Glaube dazu, die tatsächlichen Motive f ü r eine bestimmte Auslegung zu verdecken. Subjektive Stellungnahmen werden als m i t unangreifbarer Richtigkeit aus dem Gesetz abgeleitete Wahrheiten ausgegeben. Dadurch w i r d der rechtsstaatliche Begründungszwang (dazu Jürgen Brüggemann: Die richterliche Begründungspflicht, B e r l i n 1971, S. 91 ff.) umgangen. 10 Friednch Carl von Savigny: System des heutigen römischen Rechts, Band 1, B e r l i n 1840, S. 212 ff.
I. Vorbehalte als Auslegungsregel
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historisch-genetischen Auslegungselemente 11 , oder auch der Glaube, die Grenzen der Grundrechte seien i n der Verfassung schon vorgewußt und brauchten nach geheimnisvollem Plan vom Gesetzgeber oder Interpreten nur noch nachgezeichnet zu werden 12 . Zunehmend w i r d unter Rückgriff auf neuere Ergebnisse sprachwissenschaftlicher Forschung aber die vornehmlich voluntative Natur der Norminterpretation hervorgehoben 18 . b) Sprachtheorie I n der Tat scheint die Semantik den Schlüssel zu einem zutreffenden Verständnis des Interpretations- und Rechtsanwendungsprozesses liefern zu können 14 . Denn rechtliches Regeln setzt Sprache, setzt Begriffe ein, um Rechtswirkungen zu erzielen 15 . I n den Rechtssätzen w i r d nun keine formale Fachsprache benutzt, sondern auf das M i t t e l der natürlichen Sprache, der Primärsprache zurückgegriffen 16 . Es liegt deshalb nahe, bei Schwierigkeiten m i t der Auslegung verfassungsrechtlicher Begriffe die Sprachtheorie zu Rate zu ziehen, da diese sich m i t dem Problem der Bedeutung sprachlicher Zeichen und Zeichenfolgen befaßt 17 . A n dieser Stelle können und sollen nur die Ergebnisse moderner Sprachtheorie referiert werden. I n jüngeren Monographien sind die i n der Geschichte der Semantik vertretenen Bedeutungstheorien, ihre Entwicklung und Fundierung eindrucksvoll dargestellt worden 1 8 . Darauf kann hier verwiesen werden. Die Bedeutung eines Sprachzeichens ist seine Gebrauchsweise, w i r d durch seine Verwendungsregeln festgelegt 19 . Es existiert keine natür11
K r i t i s c h dazu Horst Ehmke: V V D S t R L 20 (1963), 53 ff. (59 f.). So w e n n v o n den Befürwortern institutioneller Grundrechtstheorien behauptet w i r d , alle verfassungsrechtlich zulässigen Schranken wohnten den Freiheitsverbürgungen wesensmäßig inne, seien ihnen immanent, s. a. Peter Lerche: Das Bundesverfassungsgericht u n d die Verfassungsdirektiven, A ö R 90 (1965), 341 ff. (349). 13 So v o n Hans-Joachim Koch, A R S P 61 (1975), 27 ff.; Manfred Rack : V e r fassung als Maßstab, S. 78 ff.; Franz-Jürgen Säcker, ARSP 58 (1972), 215 ff. 14 s. a. Hans-Joachim Koch: Seminar: Die juristische Methode i m Staatsrecht, F r a n k f u r t a. M. 1977, S. 28. 15 Paul Kirchhoff: Rechtsänderung, S. 230. 16 Eis Oksaar, ARSP 53 (1967), 91 ff. (95). 17 Manfred Rack: Verfassung als Maßstab, S. 81; Gerd Roellecke: G r u n d fragen der juristischen Methodenlehre u n d die Spätphilosophie L u d w i g W i t t gensteins, Festschr. f ü r G. Müller, Tübingen 1970, S. 323 ff. (323). 18 Manfred Rack: Verfassung als Maßstab, S. 78 ff.; Hans-Joachim Koch: Staatsrecht, S. 29 ff.; ders v ARSP 61 (1975), 27 ff. (29 ff.). 19 Hans-Joachim Koch: Staatsrecht, S. 39; Manfred Rack : Verfassung als Maßstab, S. 100; beide unter Berufung auf Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, F r a n k f u r t a. M . 1977, Ziff. 43, S. 41. Ausführliche D a r 12
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
liehe, von historischen Bedingtheiten unabhängige Beziehung zwischen sprachlichen Ausdrücken und ihrer Bedeutung; diese Relation ist vielmehr bestimmt durch die kulturelle Entwicklung einer Sprachgemeinschaft, die i n einer bestimmten Weise verlaufen ist, aber auch hätte anders verlaufen können 20 . Die Grundfunktion der Sprache ist m i t h i n nicht die Abbildung bestimmter Sachverhalte, nicht die Bezeichnung bestimmter Wesenheiten, Substanzen oder Essenzen, welche durch ihre Wesensmerkmale bestimmt sind und nur durch intuitive Einsicht und einer allein zutreffenden Wesensdefinition enthüllt werden können 21 . Nicht von den Sachverhalten hängt der korrekte Gebrauch der Wörter ab, sondern von den Sprachregeln, „die von den Sprachteilnehmern ausdrücklich geschaffen werden oder die sich inoffiziell i n einer intersubjektiv gültigen Praxis einspielen" 22 . Die Konstituierung der von einem Begriff gemeinten Gegenstandsklasse ist eine schöpferisch-synthetische Leistung der Sprachverwender 23 . Der (juristische) Begriff bezeichnet, was er bezeichnen soll. Ist hinsichtlich einer ins Blickfeld gerückten Seinsgegebenheit unklar, ob sie von einem Ausdruck mitumfaßt w i r d (oder umfaßt werden soll), muß darüber unter den Sprachteilnehmern eine Vereinbarung getroffen werden. Die Konstituierung der von den Begriffen bezeichneten Gegenstandsklasse ist ein Entscheidungsvorgang, die Bedeutung eines Begriffs sein Ergebnis 24 . Konkret: Ob der Begriff der Versammlung (Art. 8 GG) auch das unpolitische Meeting umfaßt 25 , die Garantie der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) sich auf die Publizierung von Sensationsberichten erstreckt 28 , die Verwirklichung individueller Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) zur Verletzung der Rechte anderer führen darf 2 7 , steht nicht von vornstellung der Philosophie Wittgensteins bei Wolfgang Stegmüller: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Band 1, 6. Aufl., Stuttgart 1978, S. 526 ff. 20 Hans-Joachim Koch: Staatsrecht, S. 29 f.; ders.: ARSP 61 (1975), 27 ff. (29). 21 Manfred Rack : Verfassung als Maßstab, S. 86 f. 22 Ebd., S. 100, 121 ff. m. w . N.; s. a. Karlheinz Rode: Was ist Sozialrecht?, ZSR 1969, 641 ff., 724 ff. (646 f.). 23 Manfred Rack: Verfassung als Maßstab, S. 140. 24 Ebd., S. 100, 134 ff. 25 So z.B. Karl Brinkmann: Grundrechts-Kommentar zum Grundgesetz, B e r l i n 1967 ff., A r t . 8 I 1 d; Roman Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 8 GG Rdn. 3; zum Versammlungsbegriff auch Rudolf-Werner Füßlein: Vereins- u n d Versammlungsfreiheit, i n Neumann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte I I , B e r l i n 1954, S. 425 ff. (443 ff.). 2e Bejahend Roman Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 5 GG Rdn. 127 f.; Ingo von Münch: Grundgesetzkommentar, A r t . 5 Rdn. 22; Ulrich Scheuner, V V D S t R L 22 (1965), 1 ff. (68 f.); a. A . BGH, N J W 1963, 665 ff. (667); Friedrich Klein, i n : v o n Mangoldt / Klein, A r t . 5 GG A n m . V I 3, S. 245. 27 Hier taucht die Frage auf, ob die Grundrechtsverbürgungen unter einen Mißbrauchsvorbehalt gestellt sind, dazu unten Kap. C. I I . ; vgl. auch B V e r f G E 32, 98 ff. (106 ff.).
I. Vorbehalte als Auslegungsregel
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herein fest, sondern muß durch Setzung der den Inhalt der Grundrechtsnormen bestimmenden Verwendungsregeln entschieden werden. c) Entscheidung und Verfassungsbindung Gegen die Auffassung vom Entscheidungscharakter der Grundrechtsauslegung läßt sich der Einwand denken, daß sie m i t positiviertem Verfassungsrecht, genauer: m i t der Bindungsanordnung des A r t . 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG unvereinbar sei 28 . Die Grundrechte haben auf Grund ihrer i n diesen Vorschriften festgelegten Höchstrangigkeit i n der Normenpyramide Maßstabsfunktion für die Rechtsetzungen aller staatlichen Gewalten, sie begrenzen die Kompetenzen der Legislative, Exekutive und Judikative. Es wäre jedoch speziell i m Falle des Bundesverfassungsgerichts paradox, es an etwas binden zu wollen, über dessen Gehalt es selbst bestimmen könnte 2 9 . Eine Verfassung, die maßgebend sein soll, darf nicht dispositiv sein. Die Bindungsanordnung w i r d indes nicht schon dadurch realisierbar, daß man auf A r t . 1 Abs. 3 GG und A r t . 20 Abs. 3 GG verweist und den Vorrang der Verfassung postuliert 3 0 . Hoheitliche Rechtsetzung nach Maßgabe der Grundrechtsverbürgungen setzt die Möglichkeit der Maßgebung voraus. Ist die Einsicht vom Entscheidungscharakter der Rechtsfindung richtig, dann kann eine strenge Auffassung der Rechtsbindung dieses Faktum nicht verändern, sondern allenfalls verschleiern 81 . Die Bindungsanordnung kann lediglich i n dem Maße Geltung beanspruchen, wie sie zu realisieren ist. Daher kann es — wenn sich der Vorrang der Grundrechte nicht durch Bindung an ihre angeblich einzig „richtigen" Inhalte verwirklichen läßt — nur darum gehen, die äußersten Grenzen des dem Rechtsanwender zustehenden Entscheidungsspielraums auszuloten 32 . Die Auffassung vom voluntativen Charakter der Grundrechtskonkretisierung lenkt dementsprechend die Aufmerksamkeit auf die das Auslegungsverfahren begleitenden Denkverbote, auf die Schranken der Interpretation. 28 I m gewaltengegliederten Rechtsstaat k o m m t der Frage nach der Möglichk e i t der B i n d u n g an das Grundgesetz eminente verfassungsrechtliche Bedeut u n g zu, vgl. Ralf Dreier: Verfassungsinterpretation, S. 15 Fn. 11 m. w . N. 29 Vgl. Herbert Bethge, DVB1. 1972, 365 ff. (370); Eberhard Grabitz: F r e i heit u n d Verfassungsrecht, S. 232; Hans-Lothar Graf: Grenzen der Freiheitsrechte, S. 51; Adalbert Podlech: Gleichheitssatz, S. 83 f.; Manfred Rack: V e r fassung als Maßstab, S. 47 f. u n d passim; Walter Schmidt: Die Freiheit v o r dem Gesetz, AöR 91 (1966), 42 ff. (59 f.); Helmut Willke: Grundrechtstheorie, S. 129. 30 Vgl. auch Franz-Jürgen Säcker, A R S P 58 (1972), 215 ff. (231 f.), der daraus aber zu weitgehend die Notwendigkeit grundrechtsvollziehender Gesetzgebung fordert. 31 s. a. Winfried Hassemer: Rechtssystem u n d Kodifikation, S. 82. 32 Vgl. auch Friedrich E. Schnapp, Rechtstheorie 9 (1978), 275 ff. (297).
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
Für diese Untersuchung ergibt sich daraus das Problem nachzuweisen, daß gerade die Vorbehalte Auslegungsregeln für die Ermittlung des grundrechtlichen Gewährleistungsbereichs aufstellen und folglich Maßstabsfunktion hinsichtlich der verschiedenen Grundrechtstheorien und Auslegungsmethoden besitzen. 2. Maßstabsfunktion der Vorbehalte
a) Auslegung aus dem Verfassungsganzen Die Frage nach den Schranken möglicher inhaltlicher Deutung von Grundrechtsnormen kann nur aus dem Verfassungsgesetz beantwortet werden 83 . Das ergibt sich aus folgender Überlegung: Die Bedeutung verfassungsrechtlicher Begriffe hängt von ihren Verwendungsregeln ab, ist also das Ergebnis des Konkretisierungsprozesses und damit (auch) eines Entscheidungsvorgangs. Würden nun die Grenzen des Interpretationsspielraums durch unterverfassungsrechtliche Normen gezogen, wäre das zum Erlaß dieser Rechtssätze kompetente Organ i n der Lage, m i t seinen Regelungen den Inhalt der Verfassung und damit die Verfassungsmäßigkeit seiner Rechtsakte selbst zu bestimmen 34 . Eine Begrenzung der Rechtsetzungen von Legislative, Exekutive und Judikative durch die Grundrechte wäre dann nicht mehr möglich, die Normativität der Verfassung aufgelöst. N i m m t man hingegen die Bindungsanordnung der A r t . 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG ernst und verschließt man auch vor sprachtheoretischen Erkenntnissen nicht die Augen, bleibt nur noch der Weg gangbar, den Vorrang der Grundrechte durch Bindung an die aus der Verfassungstotalität zu gewinnenden Schranken potentieller Inhaltsbestimmung zu sichern. Das heißt nun nicht, daß jede beliebige Verfassungsnorm i n sämtliche konkreten Interpretationsprozesse einbezogen werden könnte und müßte 35 . Prinzipiell ist aber jeder Verfassungsrechtssatz sowohl Entscheidungsnorm als auch Auslegungsrichtlinie 36 . Hier zeigt sich die Multifunktionalität von Rechtssätzen37. 33 M i t Recht behandeln daher Albert Bleckmann u n d Barthold Busse: Die Ausreisefreiheit der Deutschen, DVB1. 1977, 794 ff. das Problem der Ausreisefreiheit unter dem Gesichtswinkel der Verfassungsentscheidung f ü r eine „offene Staatlichkeit". 34 Zutreffend daher auch Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1537), wonach die Verfassung „ v o n einer bestimmten Idee des grundlegenden Beziehungsverhältnisses einzelner — staatliche Gemeinschaft ausgeht u n d i h r normativen Ausdruck verleiht". 35 Der Versuch einer Bestimmung des grundrechtlichen Gewährleistungsbereichs aus der Totalität der verfassungsrechtlichen Ordnung w ü r d e an mangelnder Rationalität des Konkretisierungsprozesses scheitern. 3β Walter Leisner: Betrachtungen zur Verfassungsauslegung, D ö V 1961, 641 ff. (646); Peter Lerche: Übermaß, S. 63; Christian von Pestalozza, Der
I. Vorbehalte als Auslegungsregel b) Verfassungsauslegung
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aus dem historischen Willen
Dafür, daß aus der Vielzahl verfassungsrechtlicher Bestimmungen gerade die Vorbehalte für die Festlegung des grundrechtlichen Sachbereichs relevant werden, spricht zwar die i m Verfassungstext hergestellte enge Beziehung zwischen Gewährleistung und Einschränkungsmöglichkeit, dennoch ist sie alles andere als selbstverständlich. Immerhin ist es ja auch denkbar, daß die Freiheitsrechte ζ. B. vorrangig i m Hinblick auf Staatsstrukturbestimmungen, also sozialstaatlich oder demokratisch-funktional zu interpretieren sind, oder daß den Kompetenznormen ein Interpretationsverbot zu entnehmen ist, wonach Grundrechte nicht in einer die zweckmäßige und effiziente Wahrnehmung der i n den Zuständigkeitsvorschriften statuierten Aufgaben hindernden Weise ausgelegt werden dürfen. I n diesem Fall wäre die Geltungskraft der Vorbehalte von der Reichweite der Freiheitsverbürgungen und nicht umgekehrt die Bestimmung des grundrechtlichen Schutzbereichs auch von den Vorbehalten abhängig. Die Frage ist also, was bestimmte Verfassungsnormen m i t welchem Inhalt zu Auslegungsrichtlinien und Interpretationsverboten für andere grundgesetzliche Vorschriften werden läßt. Die A n t w o r t kann sich — schon der Vermeidung der Bindungsparadoxie wegen — nur aus dem Verfassungstext ergeben. Damit fangen die Schwierigkeiten aber erst an, denn auch die den Vorgang der Grundrechtskonkretisierung steuernden Regeln sind sprachlich formuliert, müssen also unter Zuhilfenahme von Verfassungsrechtssätzen interpretiert werden, die ihrerseits wieder auslegungsbedürftig sind usw. Das scheint auf einen regressus ad infinitum hinauszulaufen. Dieses Problem ist nicht vollständig auflösbar, es relativiert sich aber durch folgenden Umstand. Empirisch ist nachweisbar, daß eine Verständigung mittels Sprache möglich ist, ohne daß sich die Kommunikationspartner ständig über die Bedeutung der von ihnen verwendeten Begriffe einigen müßten 38 . Ebenso entfalten Normen Wirkung, ohne daß sich der Gesetzgeber über den Gehalt jedes Gesetzesbegriffs erklärt hätte. Das hat seine Ursache darin, daß in der Alltagssprache und i n der juristischen Fachsprache für bestimmte Ausdrücke Inhalte angenommen werden können, die sich i n der Sprachpraxis herausgebildet haben und die Staat 11 (1972), 161 ff. (182 Anm. 88); vgl. auch Norbert Achterberg: Probleme der Funktionenlehre, S. 224 ff. zur Berücksichtigung der verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen bei der teleologischen Reduktion des A r t . 20 Abs. 2 GG. 37 Dazu Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 115 ff.; ders.: Rechtstheorie 9 (1978), 275 ff. (289 ff.). 38 Z u m Problem der „intersubjektiven Sprachpraxis" Manfred Rack : V e r fassung als Maßstab, S. 233 ff.
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
nicht erneut vereinbart werden müssen. Der Normsetzer nutzt diese alltags- und fachsprachlichen Übungen aus, wenn er m i t seinen Regelungen rechtliche Wirkung erzielen w i l l 8 9 . Das ist hinsichtlich der vom Normgeber intendierten Rechtsfolgeanordnung indes ein sehr schwankender Boden, wenn der Inhalt der von ihm verwendeten Begriffe sich aus den jeweiligen der Änderung i n der Zeit unterliegenden Gebrauchsweisen und nicht aus der historischen Sprechsituation des Regelnden und den von i h m u . U . speziell gesetzten und aus den Gesetzgebungsmaterialien zu ermittelnden Verwendungsregeln ergibt 4 0 . Die Festlegung des Norminhalts wäre dann weitgehend abhängig von den Anwendern des Rechtssatzes41. Für die Verfassung und die Grundrechte ist hier der m i t dem Schlagwort subjektive/objektive Auslegung umrissene Streit und damit auch das Problem des Verhältnisses von Verfassungswandel durch Interpretation und Verfassungsänderung durch den m i t qualifizierter Mehrheit entscheidenden Gesetzgeber angesprochen 42. Daß auch die Verfassungsnormen Eigenleben entfalten 48 , ihr Sinn und Gehalt sich nach dem A k t der Verfassungsgebung ändern können, ist unter Hinweis auf ihre Offenheit und die durch „sprachtheoretische Überlegungen bestätigte normierende K r a f t der Öffentlichkeit" 4 4 oft bejaht worden 4 5 . Das Verfassungsrecht sei „ l a w i n public action" 4 6 , die Gesellschaft der Verfassungsinterpreten offen 47 . Die Verfassung gehe 39
Paul Kirchhof : Rechtsänderung, S. 230. I n diesem F a l l besteht die Gefahr einer „Rechtsänderung durch geplanten Sprachgebrauch" — dazu der gleichnamige Beitrag von Paul Kirchhof i n der Gedächtnisschr. f ü r Klein, S. 227 f t 41 Treffend Paul Kirchhof: Rechtsänderung, S. 227: „Die Sprache überbringt nicht mehr die Rechtsinhalte, sondern die Rechtsinhalte folgen dem Sprachgebrauch." 42 Dazu Herbert Krüger: Verfassungsauslegung aus dem W i l l e n des V e r fassungsgebers, DVB1. 1961, 685 ff. u n d Wolf-Rüdiger Schenke, AöR 103 (1978), 566 ff. (585). 43 So Karl Doehring: Staatsrecht, S. 24. 44 Peter Häberle, ZfP 21 (1974), 111 ff. (134). 45 So von Konrad Hesse: Grundzüge, § 1 I I I 4, S. 16 f.; ders.: Grenzen der Verfassungswandlung, Festschr. f ü r Scheuner, B e r l i n 1973, S. 123 ff.; Peter Häberle, ZfP 21 (1974), 111 ff.; F. A. von der Heydte: Stiller Verfassungswandel u n d Verfassungsinterpretation, ARSP 39 (1950/51), 461 ff.; Werner Krawietz: Juristische Entscheidung, S. 42 f.; Peter Lerche: Stiller Verfassungswandel als aktuelles Politikum, Festgabe f ü r Maunz, München 1971, S. 285 ff.; Theodor Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, Grundgesetz, München Losebl. 1958 ff., A r t . 79 GG Rdn. 20; Wolf-Rüdiger Schenke, AöR 103 (1978), 566 ff. (585 ff.); Ulrich Scheuner, Normative Gewährleistungen, S. 338 ff. 4 « Peter Häberle, ZfP 21 (1974), 111 ff. (134). 47 Vgl. Peter Häberle: Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, J Z 1975, 297 ff.; s. a. Josef Isensee: Verfassungsgarantie ethischer Grundwerte 40
I. Vorbehalte als Auslegungsregel
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auch ohne f o r m e l l e Ä n d e r u n g m i t d e r Z e i t , i h r W a n d e l g a r a n t i e r e i h r e S t a b i l i t ä t , sichere i h r e G e l t u n g 4 8 . D a m i t k a n n h i e r f r e i l i c h n u r d e r E r h a l t des Verfassungstextes gem e i n t sein, die f o r m a l e K o n t i n u i t ä t g e h a l t l o s e r W o r t h ü l s e n . M i t dieser A r t „ S t a b i l i t ä t " d ü r f t e i m Z w e i f e l n i c h t v i e l a n z u f a n g e n sein 4 9 . Sie e n t s p r i c h t auch n i c h t p o s i t i v e m V e r f a s s u n g s r e c h t 5 0 . D a s G r u n d g e s e t z i s t eine f o r m s t r e n g e , eine „ r i g i d e " V e r f a s s u n g 5 1 . D u r c h A r t . 79 A b s . 1 Satz 1 G G s o l l e n V e r f a s s u n g s ä n d e r u n g e n u n m i ß v e r s t ä n d l i c h gemacht w e r d e n 5 2 . Die Verfassung darf m i t Ausnahme der unabänderlichen Grundsätze des A r t . 79 A b s . 3 G G n u r d u r c h solche Gesetze g e ä n d e r t w e r d e n , d i e d e n W o r t l a u t des Grundgesetzes a u s d r ü c k l i c h ä n d e r n oder ergänzen. E i n Gesetz nach A r t . 81 A b s . 4 oder 115 e A b s . 2 G G d a r f das G r u n d g e s e t z w e d e r ä n d e r n , noch ganz oder t e i l w e i s e außer K r a f t oder außer A n w e n d u n g setzen. S p e z i e l l f ü r d i e E i n s c h r ä n k u n g v o n G r u n d r e c h t e n d u r c h Vorbehaltsgesetze s t a t u i e r t A r t . 19 A b s . 1 Satz 2 G G e i n ausdrückliches Z i t i e r g e b o t . Jede Ä n d e r u n g d e r V e r f a s s u n g — u n d j e d e r W a n d e l i s t eine Ä n d e r u n g — 5 8 h a t d e n W e g e i n e r e x p l i z i t e n U m f o r m u l i e r u n g des Verfassungstextes z u beschreiten 5 4 . D i e V e r f a s s u n g v e r l a n g t rechtsstaatliche N o r m e n k l a r h e i t 5 5 . u n d gesellschaftlicher Konsens, N J W 1977, 545 ff. (546): I n einer Demokratie sei „jedermann ein geborener Verfassungsinterpret". 48 Prägnant Peter Häberle: Grundrechte i m Leistungsstaat, V V D S t R L 30 (1972), 43 ff. (69): „Grundrechtssichernde Geltungsfortbildung durch eine offene Dogmatik." s. a. Ingo von Pollern: Immanente Schranken des G r u n d rechts auf Asyl, B a y V B l . 1979, 200 ff. (209) u n d Wolf-Rüdiger Schenke, A ö R 103 (1978), 566 ff. (585): „Das Verfassungsrecht muß daher i n gewissem U m fang auch ohne formelle Änderungen m i t der Zeit gehen, gerade an dieser Fähigkeit zur Anpassung hat sich die Stärke der Verfassung zu erweisen." Dagegen Ernst Forsthoff: U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, S. 36; zurückhaltend auch Norbert Achterberg, DöV 1977, 649 ff. (654 A n m . 42). 49 M i t Recht sieht Carl Schmitt: Verfassungslehre, München u n d Leipzig 1928, S. 18, die Dauer u n d Stabilität der Verfassung durch ihre erschwerte Abänderbarkeit garantiert. 50 Ablehnend auch Werner Kägi: Verfassung als rechtliche Grundordnung, S. 121 f. u n d passim. 51 Wolf gang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 42 ff.; Friedrich Müller: Einheit der Verfassung, S. 90; ders.: Positivität, S. 72, s. a. Josef Isensee, N J W 1977, 545 ff. (548). Z u m Begriff der „rigiden Verfassung" Herbert K r ü g e r : A l l gemeine Staatslehre, S. 292 f. u n d Carl Schmitt: Verfassungslehre, S. 17 f. 52 Friedrich Müller: Einheit der Verfassung, S. 118. Vergleiche i n diesem Zusammenhang auch Konrad Hesse: Verfassungswandlung, S. 125, der die angeblich n u r geringe Bedeutung des Problems der Verfassungswandlung auf die Praxis häufiger Verfassungsänderungen zurückführt. Daraus ergibt sieb indes nichts f ü r die Zulässigkeit der Verfassungsänderung durch Interpretation. Das Gegenteil ist der Fall. Die Praxis widerlegt die behauptete Notwendigkeit des Verfassungswandels. 53 So Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1976, 2089 ff. (2096 Fn. 89); s. a Peter Häberle: ZfP 21 (1974), 111 ff. (133 Fn. 131): „Verfassungswandel ist i n sofern eine nichtformalisierte Verfassungsänderung." 54 Friedrich Müller: Einheit der Verfassung, S. 118.
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
Das war unter der Weimarer Verfassung noch ganz anders. Wurden die Verfahrenserfordernisse des A r t . 76 WRV beachtet, konnte eine „Verfassungsneugestaltung" bewirkt werden, ohne i n der Verfassungsurkunde textlich ihren Niederschlag zu finden 56. Was Verfassung war und welche Normen an ihrer Höchstrangigkeit teilhatten, w a r nicht mehr evident 57 . Es entstand eine Nebenverfassung 58 . Rechtsklarheit und Rechtssicherheit waren i n Frage gestellt. Unter dem Grundgesetz soll dagegen jeder erkennen können, was de constitutione lata gilt. Das Prinzip der „Urkundlichkeit und Einsichtbarkeit jeder Verfassungsänderung" 59 schließt den Verfassungswandel durch Interpretation aus 60 . Die Auslegung hat sich nach alldem am Willen des Verfassungsgebers zu orientieren. Den Normen des Grundgesetzes ist i n erster Linie das zu entnehmen, was der pouvoir constituant i n sie hineingedacht, durch sie entschieden hat 6 1 . Hieraus ergibt sich der besondere Stellenwert der historisch-genetischen Auslegung 62 , der Erforschung der Gesetzgebungsmaterialien 6 3 und des von Hans Nawiasky i n die Methodendiskussion eingeführten Prinzips des „vor(verfassungs)rechtlichen Gesamtbildes" 64 . 65 Ebd., S. 90 u n d passim. Da diese Anforderung positiv-rechtlich fundiert ist, geht die K r i t i k Alexander Hollerbachs, AöR 85 (1960), 241 ff. (247 f.) an Ernst Forsthoff fehl. 56 Friedrich Müller: Einheit der Verfassung, S. 118; Klaus Stern: Staatsrecht, § 5 I I 3, S. 129 f.; aus der älteren L i t e r a t u r : Alexander Graf zu Dohna: Zulässigkeit u n d F o r m von Verfassungsänderungen ohne Ä n d e r u n g der Verfassungsurkunde, Verhandlungen des 33. D J T , B e r l i n u n d Leipzig 1925, S. 31 ff. 57 Klaus Stern: Staatsrecht, § 5 I I 3, S. 130. 58 Friedrich Müller: Einheit der Verfassung, S. 118. 59 Ebd., S. 118. 60 s. a. Klaus Stern: Staatsrecht, § 4 I I I 8 e, S. 115. 81 Vgl. auch Karl Engisch: Einheit der Rechtsordnung, Heidelberg 1935, S. 89 ff.; Bernd Rüthers: Die unbegrenzte Auslegung, S. 181 f.; Franz-Jürgen Säcker, ARSP 58 (1972), 215 ff. (218); Klaus Stern: Staatsrecht, § 4 I I I 8, S. 114 f. • 6 2 M i t Recht hat daher das Bundesverfassungsgericht i m MitbestimmungsU r t e i l — DVB1. 1979, 399 ff. (409) — die Bedeutung der historischen E n t w i c k l u n g f ü r die Auslegung des A r t . 9 Abs. 3 GG hervorgehoben. Entscheidungsrelevanz hatte die historische Interpretationsmethode bei der Prüfung der Vereinbarkeit der lebenslänglichen Freiheitsstrafe m i t der Wesensgehaltgarantie des A r t . 19 Abs. 2 GG — B V e r f G E 45, 187 ff. (270 f.); vgl. auch BVerfGE 4, 96 (101, 106, 107); 18, 18 (28 f.); 19, 303 (314); 38, 386 (394); 44, 322 (347 f.). 63 Franz-Jürgen Säcker t ARSP 58 (1972), 215 ff. (219). 64 Allgemeine Rechtslehre als System rechtlicher Grundbegriffe, 2. Aufl., Zürich u n d K ö l n 1948, S. 137 f.; dazu kritisch Dietrich Jesch: Gesetz u n d V e r waltung, S. 73; Wolf-Rüdiger Schenke, AöR 103 (1978), 566 ff. (583 f.); Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 249 f.; s. a. Friedrich Müller: Juristische Methodik, S. 173 u n d Fritz Ossenbühl: Probleme u n d Wege der Verfassungsauslegung, DöV 1965, 649 ff. (656 f.).
I. Vorbehalte als Auslegungsregel
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Die Ergiebigkeit einer auf den Willen des Verfassungsgebers rekurrierenden Interpretationsmethode darf zwar nicht überschätzt werden. Ihre Problematik ergibt sich aus der durch politische Formelkompromisse nur notdürftig vertuschten Unentschlossenheit und Unentschiedenheit der Verfassungsväter ebenso wie aus Unklarheiten darüber, ob und ggf. i n welchem Umfang der i n den Erfahrungen der jüngeren geschichtlichen Vergangenheit wurzelnde „Novationswille" des Verfassungsgebers* 5 i n den Verfassungsinstituten seinen Ausdruck gefunden hat. Wie immer man aber auch Einzelfragen bewerten mag, m i t dem Gebrauch bestimmter verfassungsrechtlicher Begriffe sind auch bestimmte Inhalte i n das Grundgesetz aufgenommen worden. Dieser Mindeststand an Bedeutung bindet den Interpreten. Es bildet den nicht hinwegzudiskutierenden Gehalt der zu konkretisierenden und der das Interpretationsverfahren bestimmmenden Normen® 6. c) Historischer
Wille und Vorbehalte
Die Relevanz der Vorbehalte für die Konkretisierung der Grundrechtsnormen ist m i t h i n i m historischen Kontext zu ermitteln. Der subjektive Wille des Verfassungsgebers ist maßgebend, wenn es u m die Frage geht, ob die positivierten Eingriffsermächtigungen die Funktion von Interpretationsverboten haben. Beachtenswert ist deshalb, daß die speziellen auf die einzelnen Grundrechte zugeschnittenen Gesetzesvorbehalte nach dem zum Ausdruck gekommenen Willen der Verfassungsväter den Umfang hoheitlicher Eingriffsbefugnisse abschließend umschreiben und somit Rechtsgewißheit und Rechtsbestimmtheit i m Bürger-Staat-Verhältnis garantieren sollen. Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes ist insoweit eindeutig 67 . Hatte es i n A r t . 21 Abs. 3 und 4 des Verfassungsentwurfs von Herrenchiemsee noch geheißen: (3) Die Grundrechte sind, soweit sich aus i h r e m I n h a l t nichts anderes ergibt, i m Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung zu verstehen. (4) Die Einschränkung der Grundrechte ist n u r durch Gesetz u n d unter der Voraussetzung zulässig, daß es die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit oder Gesundheit e r f o r d e r t . . . 65 Dazu Walter Leisner: V o n der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, i n Recht u n d Staat, Tübingen 1964, S. 8; Wolf-Rüdiger Schenke: AöR 103 (1978), 566 ff. (584 A n m . 88); s. aber auch Karl August Bettermann, WirtschR 1973, 184 ff. (201): „Der Zulässigkeit des A r g u menta tionstopos des vorverfassungsrechtlichen Gesamtbildes steht A r t . 123 GG nicht entgegen, da der v o m Verfassungsgeber m i t aufgenommene Rechtszustand der Verfassung j a gerade nicht widerspricht." 66 Vgl. auch Fritz Ossenbühl, DöV 1965, 649 ff. (659). 67 Z u r Entstehungsgeschichte des Vorbehaltssystems JöR 1 (1951), 176 ff.
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
wurden diese Vorschriften i n dem Bestreben einer möglichst weitgehenden Sicherung der Grundrechte vor der Legislative später wieder gestrichen 68 . Aufschlußreich hierzu sind die Ausführungen Hermann von Mangoldts i n der 8. Sitzung des Grundsatzausschusses des Parlamentarischen Rates vom 7. Okt. 1948. Danach habe der Grundsatzausschuß „diesen Satz von der Geltung der Grundrechte i m Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung von vornherein für gefährlich gehalten und sich daher bemüht, i h n bei der Formulierung der Einzelgrundrechte zu konkretisieren, so daß er als Generalklausel wegfallen könne. Ebenso sei A r t . 21 Abs. 4 Satz 1 HChE durch die Konkretisierung bei den einzelnen Grundrechten vorweggenommen und dadurch eine stärkere Sicherung der Grundrechte erreicht worden" 6 9 . Hier w i r d deutlich, daß die differenzierte Ausgestaltung der grundrechtlichen Vorbehalte i n Zusammenhang m i t der Verstärkung des Grundrechtsschutzes durch A r t . 1 Abs. 3 sowie A r t . 19 Abs. 1, 2 und 4 GG zu sehen ist. I n bewußter Abkehr von der Weimarer Reichsverfassung sind die Freiheitsrechte zum Maßstab staatlichen Handelns erhoben worden, wobei sich die Mitglieder des Parlamentarischen Rates offenbar der Tatsache bewußt waren, daß der Vorrang der Grundrechte nur durch Bindung der Legislative, Exekutive und Judikative an besonders aufgelistete Eingriffszwecke und -Voraussetzungen zu erreichen ist. Daß keine noch so wichtigen öffentlichen Belange Freiheitsschranken jenseits der Gesetzesvorbehalte bilden sollten, geht implizit auch aus dem schriftlichen Bericht des Hauptausschusses zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland hervor 7 0 . Dort heißt es zu A r t . 8 (Versammlungsfreiheit): „ . . . Soweit z. Zt. nicht Gesetze i n K r a f t sind, die zum Einschreiten gegen Versammlungen unter freiem Himmel ermächtigen, besteht also bis zum Inkrafttreten des i n Abs. 2 vorgesehenen Gesetzes, also für eine sicherlich nicht unerhebliche Zeitspanne, keine Möglichkeit, Versammlungen unter freiem Himmel auch bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit, also selbst dann, wenn schwerste Schäden für das Gemeinwesen drohen, zu verbieten 71 ." Daraus ergibt sich als belegbarer historischer Wille: Die grundrechtlich geschützte Freiheit kann nur durch zuständigkeitsgemäßes Gebrauchmachen von den Vorbehalten eingeschränkt werden. Diese substantiieren und konkretisieren einerseits die Eingriffsbefugnisse nach Inhalt, Ziel und Ausmaß und legen andererseits durch ihre Schranken den Bereich unantastbarer privater Freiheit fest. K e i n noch so wichti88
s. a. Eike von Hippel: Grenzen u n d Wesensgehalt, S. 21 f. JöR 1 (1951), 177. 70 Parlamentarischer Rat Drucks. Nr. 850, 854. 71 S. 10 f. des v o n Hermann von Mangoldt verfaßten schriftlichen Berichts über den Abschnitt I — Die Grundrechte. 69
I. Vorbehalte als Auslegungsregel
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ges Gemeinschaftsgut legitimiert Freiheitsbeschränkungen jenseits der Vorbehalte. Z u r Sicherung des Grundrechtsschutzes balancieren die Vorbehalte Individual- und Gemeinschaftsinteressen abschließend aus, indem sie angeben, i n welchem Bereich der Gesetzgeber Konflikte zwischen privaten und öffentlichen Interessen zugunsten der letzteren entscheiden kann. Der vom Verfassungsgeber vorgesehene Schutz der Grundrechte durch abgestufte Eingriffsermächtigungen kann nur gewährleistet werden, wenn die m i t ihnen untrennbar verbundenen Schranken hoheitlicher Gewalt nicht durch willkürliche und restriktive Festlegung der Grundrechtsinhalte umgangen werden können. Daß die Vorbehalte durch Reduzierung des Schrankenproblems zu einer Definitionsfrage ihrer Wirksamkeit beraubt werden könne, kann aus sprachtheoretischer Sicht nicht zweifelhaft sein 72 . Die Reichweite des Freiheitsschutzes bemißt sich nach den die Bedeutung der grimdrechtlichen Begriffe festlegenden Verwendungsregeln. Diese können — falls die Vorbehalte keine Interpretationsverbote aufstellen — so gesetzt werden, daß den Eingriffsermächtigungen nur noch verminderte oder überhaupt keine Geltungskraft mehr zukommt. So verlieren ζ. B. die Vorbehalte zugunsten des Ehrschutzes (Art. 5 Abs. 2 GG) oder der Sicherheit des Bundes und der Länder (Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2 GG) als Grundlagen und Grenzen öffentlicher Macht jede rechtspraktische Bedeutung, wenn die Verletzung der Rechte anderer oder der verfassungsmäßigen Ordnung von vornherein aus dem Bereich grundrechtlich geschützten Verhaltens ausgeschlossen wird. I m Grunde kann jedes die i n den Vorbehalten aufgeführten öffentlichen Interessen beeinträchtigende Verhalten der Individuen als vom Grundrechtsschutz nicht mehr umfaßt begriffen werden. Deshalb ist dem Willen des Verfassungsgebers gemäß den Eingriffsermächtigungen das Verbot zu entnehmen, die Freiheitsrechte i n einer die Normativität der Vorbehalte berührenden Weise auszulegen. Die Eingriffsermächtigungen binden den Verfassungsinterpreten i m Prozeß der Grundrechtskonkretisierung. Es ist nun die Frage nach der durch die Vorbehalte bestimmten verfassungsgemäßen Grundrechtstheorie und Auslegungsmethode zu stellen. Sinnvoll ist sie nur, soweit von der Maßgeblichkeit des Verfassungstextes ausgegangen wird. N u r unter dieser Voraussetzung kommt eine Schrankenfunktion der Vorbehalte i n Betracht. Die Nichtbeachtung des Verfassungswortlauts 73 hat m i t der Aufhebung der Positivität der Vorbehalte auch ihre Nichtgeltung als verbindliche Auslegungsrichtlinien zur Folge. 72 73
Vgl. auch Ingo von Pollern, Dazu oben Kap. Α. I I .
B a y V B l . 1979, 200 ff. (203).
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
G i l t für die Freiheitsrechte also eine Mißbrauchsklausel, sind sie institutionell, demokratisch-funktional oder sozialstaatlich zu verstehen oder sind sie i m Wege hermeneutischer Vermittlung von Sein und Sollen auszulegen? I m Prozeß der Grundrechtsinterpretation können jedenfalls nur solche Auslegungsmethoden und Grundrechtstheorien wirksam werden, die den Grundgedanken des Vorbehalts-,,systems" gerecht werden, also der prinzipiell ausschließlich Eingriffsbefugnis des Gesetzgebers, der auf das je einzelne Grundrecht zugeschnittenen zulässigen Eingriffsintensität und der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns. I I . Grundrechtsmißbrauch Nach weit verbreiteter Auffassung ist die mißbräuchliche Freiheitsausübung nicht geschützt 74 . Umstritten ist allerdings, ob es sich beim Grundrechtsmißbrauch u m die sinn- und zweckwidrige Ausnutzung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheit 7 5 oder um die Realisierung privater Freiheit auf Kosten höherrangiger Interessen des Staates, der Allgemeinheit oder einzelner Individuen handelt 76 . Ob aber die Mißbrauchsschranken aus dem Inhalt des Rechts hergeleitet (Innentheorie) oder von außen an das Grundrecht herangetragen werden, dessen Inhalt aber unberührt lassen (Außentheorie) 77 , ist ein nicht entscheidbarer, w e i l auf einer Verkennung der Relation BegriffBedeutung beruhender Streit. Vor der Setzung der den grundrechtlichen Begriffen Sinn zuordnenden Verwendungsregeln gibt es keinen „Schutzbereich", der „von innen" nachgezeichnet werden könnte oder „von außen" einzuschränken wäre 7 8 . Der Mißbrauchslehre geht es aber 74 Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 11 ff.; Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 119 f.; Hans Ullrich Gallwas: Mißbrauch v o n Grundrechten, passim; Peter Lerche: Übermaß, S. 117 ff.; Rupert Scholz: Das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, A ö R 100 (1975), 80 ff., 265 ff. (283 F n 462); Rudolf Srnend, W D S t R L 4 (1928), 44 ff. (51 f.); Hans J. Wolff , i n : Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, § 33 V a 2, S. 320; s. a. BVerfGE 12, 1 ff. (4 ff.). 75 Karl-August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 11 ff.; Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 10; Hans J. Wolff , i n : W o l f f / B a c h o f , Verwaltungsrecht I, § 33 V a 2, S. 320. 76 Hans Ullrich Gallwas: Mißbrauch v o n Grundrechten, S. 35 u n d passim. Vgl. auch Eike von Hippel: Grenzen u n d Wesensgehalt, S. 25 f. u n d passim, wonach es sich bei dem Satz: Jede Grundrechtsnorm g i l t nur, w e n n u n d sow e i t dem geschützten Freiheitsinteresse keine höherwertigen Interessen entgegenstehen, u m eine naturrechtliche Klausel der Interessenabwägung handelt. 77 Z u dieser Frage Wilhelm Weber, i n : Staudinger, Kommentar zum B ü r gerlichen Gesetzbuch, I I . Band, Recht der Schuldverhältnisse, T e i l 1 b, B e r l i n 1961, § 242 D Rdn. 24 ff., S. 749 ff., m i t umfassenden Literaturnachweisen; s. a. Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 14.
III. Institutionelle Grundrechtstheorie
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gerade u m die Statuierung dieser Verwendungsregeln, genauer: um das Auffinden jener Auslegungsrichtlinie, die die Grenze zwischen verfassungsrechtlich geschütztem und nicht mehr geschütztem Freiheitsgebrauch angibt. Dazu ist die Mißbrauchsformel selbst völlig ungeeignet, da sie keine inhaltlichen Aussagen enthält 7 9 . Weder gibt sie Auskunft über den telos der Freiheitsverbürgungen 80 noch über die Rangordnung der differierenden Individual- und Gemeinschaftsinteressen 81 . Soll nicht verfassungsrechtliche Normativität durch interpretatorische Beliebigkeit m i t der Konsequenz einer Depossedierung des Gesetzgebers ersetzt werden, bedarf sie der Konkretisierung durch die Regelungen des Grundgesetzes, also auch durch die grundrechtlichen Vorbehalte. Das heißt nichts anderes, als daß eine verfassungsgemäße Mißbrauchsklausel nur deskriptiv auf die i n der Verfassung normierten Freiheitsschranken verweisen, zu ihrer Auffindung selbst aber nicht beitragen kann. Sie hat daher keinen besonderen Erkenntniswert 8 2 .
I I I . Institutionelle Grundrechtstheorie K a u m eine andere Modalität der Interpretation und Funktionsbestimmung der Freiheitsverbürgungen hat eine der institutionellen Grundrechtstheorie vergleichbare Beachtung und Gefolgschaft gefunden 83 , zu78 Problematisch daher auch die zuerst i m Apotheken-Urteil geäußerte A u f fassung des Bundesverfassungsgerichts — E 7, 377 fï. (404) —, der Ausdruck „regeln" i m Gesetzesvorbehalt des A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG deute darauf hin, „daß eher an eine nähere Bestimmung der Grenzen von innen her, d. h., der i m Wesen des Grundrechts selbst angelegten Grenzen gedacht (sei) als an Beschränkungen, durch die der Gesetzgeber über den sachlichen Gehalt selbst verfügen" könne. 79 s. a. Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 246. 80 Es f ü h r t auch nicht weiter, m i t Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 13 ζ. B. den Zweck der Pressefreiheit w i e der Meinungsfreiheit u n d der Freiheit von Wissenschaft, Forschung u n d Lehre i n der E r hellung u n d E n t w i c k l u n g des menschlichen Geistes, i m Dienst an der A u f k l ä r u n g u n d i n der Gewinnung besserer Einsichten zu sehen. H i e r w i r d n u r die Frage aufgeworfen, w e r darüber bestimmt, welche Einsichten die besseren sind. Die Verfassung w i r d der S u b j e k t i v i t ä t des Interpreten ausgeliefert 81 Z u der Möglichkeit der E r m i t t l u n g einer Rangordnung unter den V e r fassungsschutzgütern, s. u. Kap. C. I I I . 2. c). 82 Ablehnend zur Mißbrauchslehre auch Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 246 u n d Herbert Krüger: Mißbrauch u n d V e r w i r k u n g von Grundrechten, DVB1. 1953, 97 ff. (99). 83 E i n zumindest auch institutioneller Charakter w i r d den Grundrechten zugesprochen a) f ü r A r t . 2 Abs. 1 GG von Ernst Rudolf Huber: Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 1, 2. Aufl., Tübingen 1953, S. 663; Ludwig Raiser: Vertragsfreiheit heute, J Z 1958, 1 ff. (4 ff.) b) f ü r A r t . 3 Abs. 1 GG v o n Theodor Maunz: Deutsches Staatsrecht, § 16 I I I 6, S. 145; Ulrich Scheuner: Normative Gewährleistungen, S. 324
5 Wülfing
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
gleich aber auch so viele Probleme und Streitfragen aufgeworfen — ein Umstand, der die Prüfung der Vereinbarkeit des institutionellen Grundrechtsverständnisses m i t dem System abgestufter Gesetzesvorbehalte erheblich erschwert. c) f ü r A r t . 4 GG v o n Ulrich Scheuner: V V D S t R L 22 (1965), I f f . (56); Edzard Schmidt-Jortzig: Die Einrichtungsgarantien der Verfassung, Göttingen 1979, S 32 d) f ü r A r t . 5 Abs. 1 v o n B V e r f G E 10, 118 ff. (121); 12, 205 ff. (259 ff.); 36, 193 ff. (204); 50, 234 ff. (240); B G H Z 51, 236 ff. (248); Adolf Arndt: U m w e l t u n d Recht — Das öffentliche: 1. Die Gerichtsöffentlichkeit, 2. Die Verbände i m Bereich des öffentlichen, N J W 1960, 423 ff. (424); Günter Dürig: Grundrechtsverwirklichung auf Kosten v o n Grundrechten, S u m m u m ius — summa iniuria, T ü bingen 1963, S. 80 ff. (92); Rolf Groß: Z u r institutionellen Sicherung der Pressefreiheit u n d zu den Schranken der allgemeinen Gesetze, DVB1. 1966, 562 ff. (563); Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 84; Walter Leisner: Werbefernsehen u n d öffentliches Recht, B e r l i n 1967, S. 82 f. u n d 198 ff.; Peter Lerche: Rechtsprobleme i m Werbefernsehen, F r a n k f u r t 1965, S. 4 u n d 30; Helmut K. J. Ridder: Meinungsfreiheit, S. 249 ff.; Wolf gang Rüfner: Z u r Bedeutung u n d Tragweite des A r t . 19 Abs. 3 des Grundgesetzes, AöR 89 (1964), 261 ff. (296 f.); Ulrich Scheuner, V V D S t R L 22 (1965), I f f . (62 ff.); Edzard Schmidt-Jortzig: Einrichtungsgarantien, S. 32; Peter Schneider: Pressefreiheit u n d Staatssicherheit, Mainz 1968, S. 43 ff.; Ekkehart Stein: Staatsrecht, § 24 I, S. 246; Klaus Stern: Staatsrecht, § 4 I I 3 g, S. 99 f.; Werner Thieme: Der Finanzausgleich i m Rundfunkwesen, AöR 88 (1963), 38 ff. (44 f.); Hans J. Wolff , i n : W o l f f / B a c h o f , Verwaltungsrecht I, § 33 V d , S. 235; Karl Zeidler: Gedanken z u m Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts, AöR 86 (1961), 361 ff. (388 f.) e) f ü r A r t . 5 Abs. 3 GG von BVerfGE 35, 79 ff. (120); Gunther Abel: Die Bedeutung der Lehre v o n den Einrichtungsgarantien f ü r die Auslegung des Bonner Grundgesetzes, B e r l i n 1964, S. 40; Günter Dürig: Grundrechtsverwirklichung, S. 92; Andreas Gallas: Die Staatsaufsicht über die wissenschaftlichen Hochschulen, B e r l i n 1976, S. 80 f.; Willi Geiger: Z u r Diskussion über die Freiheit der Kunst, Festschr. f ü r Leibholz, 2. Bd., Tübingen 1966, S. 187 ff. (191 ff.); Hans Gerber: Das Recht der wissenschaftlichen Hochschulen, Bd. 1, Tübingen 1965, S. 20 f.; Konrad Hesse: Grundzüge, § 9 I I , S. 118; Hans H. Klein: Die Rundfunkfreiheit, München 1978, S. 47 ff.; Franz-Ludwig Knemeyer: Garantie der Wissenschaftsfreiheit u n d Hochschulreform, J Z 1969, 780 ff. (783); Friedrich Klein, i n : v o n Mangoldt / Klein, A r t . 5 GG A n m . X 2 b, S. 253 f.; Roman Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 5 GG Rdn. 11; Thomas Oppermann: Kulturverwaltungsrecht, Tübingen 1969, S. 439, 443; Arnold Köttgen: Freiheit der Wissenschaft u n d die Selbstverwaltung der Universität, i n Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I , B e r l i n 1954, S. 291 ff. (302 ff.); Hans Heinrich Rupp: Die Stellung der Studenten i n der Universität, V V D S t R L 27 (1969), 113 ff. (115 ff.); Christoph Sasse: Die V e r fassungsrechtliche Problematik v o n Steuerreformen, AöR 85 (1960), 423 ff. (441 f., 448) ; Ulrich Scheuner: Die institutionellen Garantien des Grundgesetzes, i n Recht, Staat, Wirtschaft I V , Düsseldorf 1953, 88 ff. (93); Edzard SchmidtJortzig: Einrichtungsgarantien, S. 32; grundlegend Rudolf Smend, V V D S t R L 4 (1928), 44 ff. (61 ff.) f) f ü r A r t . 6 Abs. 1 GG von BVerfGE 6, 55 ff. (72); 10, 59 ff. (66); 11, 64 ff. (69); 15, 328 ff. (332); 24, 119 ff. (135); 31, 58 ff. (68 ff.); Gunther Abel: Einrichtungsgarantien, S. 40; Konrad Hesse: Grundzüge, § 9 I I , S. 118; Eva Marie von Münch, i n : v o n Münch (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, Band 1, F r a n k f u r t a. M. 1974, A r t . 6 G G Rdn. 1, 5, 14; Friedrich Klein, i n : v o n Mangoldt / Klein, A r t . 6 GG A n m . I I I 3, S. 266 f.; Ulrich Scheuner: Die institutionellen Garantien, S. 93; ders.: Normative Gewährleistungen, S. 324, 329; Ekkehart Stein:
III. Institutionelle Grundrechtstheorie
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Die Schwierigkeiten beginnen schon bei der Explikation der Begriffe „ I n s t i t u t " oder „Institution" 8 4 , die wegen ihrer Bedeutungsvielfalt und ihrer unterschiedlichen, teilweise sogar widersprüchlichen Anwendung i n Rechtsprechung und Literatur 8 5 nicht ohne weiteres möglich ist. Staatsrecht, § 24 I I 3 c, S. 251; Klaus Stern: Staatsrecht, § 4 I I 3 g, S. 99 f.; Hans J. Wolff , i n : Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, § 33 V d 1, S. 253 f. g) f ü r A r t . 7 Abs. 1 GG von Friedrich Klein, i n : v o n Mangoldt / Klein, A r t . 7 GG A n m . I I 6, I I I 1, S. 280/281; Christoph Sasse: AöR 85 (1960), 423 ff. (444); Edzard Schmidt-Jortzig: Einrichtungsgarantien, S. 32; Klaus Stern: Staatsrecht, § 4 I I 3 g, S. 99 f. h) f ü r A r t . 7 Abs. 3 Satz 1 GG v o n Theodor Maunz: Deutsches Staatsrecht, § 13 I I 7, S. 108; Christoph Sasse, AöR 85 (1960), 423 ff. (444); Edzard SchmidtJortzig: Einrichtungsgarantien, S. 32 i) f ü r A r t . 7 Abs. 4 GG von B V e r f G E 6, 309 ff. (355); BVerwG, DöV 1969, 395 f. (396); Axel von Campenhausen: Erziehungsauftrag u n d staatliche Schulträgerschaft, Göttingen 1967, S. 63; Theodor Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 7 GG Rdn. 64, 66; Christoph Sasse, AöR 85 (1960), 423 ff. (448); Ulrich Scheuner: Normative Gewährleistungen, S. 329; Edzard Schmidt-Jortzig: Einrichtungsgarantien, S. 32 j) f ü r A r t . 8 GG v o n Rudolf-Werner Füßlein: Vereins- u n d Versammlungsfreiheit, S. 443; Roman Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 8 GG Rdn. 7; Walter Leisner: Grundrechte u n d Privatrecht, S. 397; Peter Lerche, Übermaß, S. 241 f., Fn. 336 k) f ü r A r t . 9 Abs. 1 GG von Rudolf-Werner Füßlein: Vereins- u n d Versammlungsfreiheit, S. 429 f.; Friedrich Klein, i n : von Mangoldt / K l e i n , A r t . 9 GG A n m . I I I 2, S. 318 1) f ü r A r t . 9 Abs. 3 GG von B V e r f G E 4, 96 ff. (105 ff.); 18, 18 ff. (26 f.); 20, 312 ff. (318 f.); Peter Badura / Fritz Rittner / Bernd Rüthers: Mitbestimmungsgesetz 1976 u n d Grundgesetz, München 1977, S. 234 ff.; Ernst Rudolf Huber: Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1. Bd., S. 250 Fn. 2, 381; Jürgen Knebel: K o a l i tionsfreiheit u n d Gemeinwohl, B e r l i n 1978, S. 50 ff.; Klaus Stern: Staatsrecht, § 4 I I 3 g, S. 99 f. m) f ü r A r t . 10 GG von Theodor Maunz: Deutsches Staatsrecht, § 13 I I 7, S. 108 n) f ü r A r t . 12 GG von Otto Bachof: Freiheit des Berufs, S. 155 f.; Peter Lerche: Grundrechtsbegrenzungen „durch Gesetz" i m Wandel des Verfassungsbildes, DVB1. 1958, 524 ff. (533 Fn. 94) o) f ü r A r t . 13 GG v o n Peter Lerche: Übermaß, S. 241 f.; Fn. 336; Hans J. Wolff , i n : Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, § 33 V d, S. 235 p) f ü r A r t . 14 Abs. 1 GG von BVerfGE 2, 380 ff. (401); 24, 367 ff. (389); 26, 215 ff. (222); Rolf Peter Callies: Eigentum als Institution, München 1962, Detlef Chr. Dicke: Grundgesetzkommentar, A r t . 14 GG Rdn. 10 f., 27, 33 f., 36,41, 43; Konrad Hesse: Grundzüge, § 12 I I I 1, S. 180 ff.; Arnold Erler: Maßnahmen der Gefahrenabwehr u n d verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie, B e r l i n 1978, S. 113 f.; Otto Kimminich, i n : Bonner Kommentar, Hamburg, Losebl. 1950 ff., A r t . 14 GG Rdn. 92 f., 95; Theodor Maunz: Deutsches Staatsrecht, § 13 I I 7, S. 108; § 22 I I 1, S. 185; Ludwig Raiser : JZ 1958, 1 ff. (5); Hans Heinrich Rupp: Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, Tübingen 1965, S. 235 ff.; Ulrich Scheuner, DöV 1971, 505 ff. (510); ders.: Die institutionellen Garantien, S. 93; Ekkehart Stein: Staatsrecht, § 24 I I 3 c, S. 251; Klaus Stern: Staatsrecht, § 4 I I 3 g, S. 99 f.; Hans J. Wolff, i n : Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, § 33 V d 2, S. 236; Werner Weber: Eigentum u n d Enteignung, i n Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I , B e r l i n 1954, S. 331 ff. (355 ff.); f ü r das österreichische Recht Josef Aicher: Grundfragen der Staatshaftung bei rechtmäßigen hoheitlichen Eigentumsbeeinträchtigungen, B e r l i n 1978, S. 82 ff. 84 Die h. M. unterscheidet Instituts- u n d institutionelle Garantien danach, ob p r i v a t - oder öffentlich-rechtliche Einrichtungen geschützt werden. Ob *
68
C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
Nach überkommener Auffassung sollen die Institutionen das Hergebrachte, m i t der Tradition Überlieferte schützen 86 . Sie enthalten danach immer Elemente einer Garantie des status quo 8 7 und bewahren i n ihrem Anknüpfen an Vorhandenes i n der Vergangenheit Wirksames für die Zukunft 8 8 . Andere sehen i n den Institutionen Variablen der normativen und sozialen Wirklichkeit 8 9 . Nach dieser Ansicht sind die Institutionen relativ stabile, zugleich aber auch relativ dynamische Gestalten i n der Zeit 9 0 : Die Vielzahl detaillierter, die grundrechtlichen Lebens Verhältnisse durchdringenden Rechtsnormen verleihe den Grundrechten als Instituten das Moment der Dauer 91 , ihre Formung durch Einbeziehung des Tatsächlichen bewirke, daß sie keinen statisch-starren, sondern einen verhältnismäßig elastischen Charakter besitzen 92 . Schließlich werden i n den Grundrechten als Institutsgarantien Steuerungsinstrumente für gesellschaftlichen Wandel gesehen93, prospektiv gedachte Modelle, welche zur Förderung oder Vermeidung bestimmter Prozesse i n die faktische Entwicklung eines Lebenssachverhaltes eingreifen 94 . Die durch die begrifflichen Unklarheiten bedingten Komplikationen müssen aber nicht zu einem resignierenden Zurückweichen gegenüber der „Institutionalisierung der Freiheit" führen, denn auch die mannigfachen, variierenden und differenzierenden Gehalte des Institutionenbegriffs vereiteln nicht jeden argumentativen Zugriff. diese Differenzierung sinnvoll ist, k a n n hier dahingestellt bleiben — zu dieser Frage Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 1 GG Rdn. 97. I m Rahmen dieser Untersuchung ist sie ohne Belang. 85 Konstatiert u n d k r i t i s i e r t von Otto Bachof: Freiheit des Berufs, S. 165; Karl August Bettermann: Rundfunkfreiheit u n d Rundfunkorganisation, DVB1.1963, 41 ff. (42: Nebel des Institutionellen); Ralf Dreier: Z u m Begriff der „ N a t u r der Sache", B e r l i n 1965, S. 86; Hans D. Jarass: Die Freiheit der Massenmedien, Baden-Baden 1978, S. 123; Herbert Krüger: Allgemeine Staatslehre, S. 172 f.; Niklas Luhmann: Grundrechte als Institution, S. 12 A n m . 14; Wolf gang Martens: Grundrechte i m Leistungsstaat, V V D S t R L 30 (1972), 7 ff. (32 f.); Manfred Rehbinder: Z u r Problematik der inneren Pressefreiheit, DVB1. 1966, 559 ff. (560); Hans Heinrich Rupp, V V D S t R L 27 (1969), 113 ff. (115); Rupert Scholz: Koalitionsfreiheit, S. 223; Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 133 ff. 86 Vgl. Gunther Abel: Einrichtungsgarantien, S. 56 ff.; Otto Bachof: F r e i heit des Berufs, S. 165; Friedrich Klein: Institutionelle Garantien u n d Rechtsinstitutsgarantien, Breslau 1934, S. 190; Carl Schmitt: Freiheitsrechte u n d institutionelle Garantien der Reichsverfassung, i n ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 140 ff. (155 ff.). 87 Carl Schmitt: Freiheitsrechte u n d institutionelle Garantien, S. 155. 88 Gunther Abel: Einrichtungsgarantien, S. 58 f. 89 Vgl. Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 171 u n d passim. 90 Peter Häberle: Allgemeine Staatslehre, Verfassungslehre oder Staatsrechtslehre?, ZfP 1965, 381 ff. (393). 91 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 165. 92 Vgl. ebd., S. 111. 93 So Helmut Willke: Grundrechtstheorie, S. 151 ff. 94 Ebd., S. 128.
III. Institutionelle Grundrechtstheorie
69
Es w i r d sich erweisen, daß die Diskussion der institutionellen Grundrechtstheorie i m Rahmen dieser Untersuchung möglich und sinnvoll ist, dies vor allem aus zwei Gründen: Einmal, weil die institutionelle Grundrechtstheorie nur unter dem Aspekt ihrer Verfassungsgemäßheit, insbesondere ihrer Vereinbarkeit m i t den Gesetzesvorbehalten beleuchtet wird. Der Versuch, sämtliche institutionellen Argumentationsmuster auf ihre Ursprünge, Ausgestaltungen, Implikationen und Konsequenzen zu befragen oder das „Wesen" der Institution zu erschauen, findet m i t h i n erst gar nicht statt 9 5 . Zum anderen lassen sich aus der Vielfalt institutioneller Grundrechtsdeutungen einige Grundströmungen herausdestillieren, deren Erkenntnis die Beantwortung der hier aufgeworfenen Frage merklich erleichtern wird. Die nachfolgenden Ausführungen sind zu einem erheblichen Teil von der Auseinandersetzung m i t den Thesen Peter Häberles bestimmt, die er i n seiner Freiburger Dissertation „ Z u r Wesensgehaltgarantie des A r t . 19 Abs. 2 Grundgesetz — Zugleich ein Beitrag zum institutionellen Grundrechtsverständnis und zur Lehre vom Gesetzesvorbehalt" 9® entwickelt und vorgetragen hat. Dies nicht etwa deshalb, w e i l Häberle als Vertreter einer „herrschenden Meinung" oder auch nur als maßgeblicher Repräsentant der Befürworter einer institutionellen Verfassungsdoktrin figurieren könnte — dazu sind seine Ansichten zu eigenwillig und neuartig —, sondern w e i l es i h m gelungen ist, die verschiedenen (im Ergebnis grundrechtslimitierenden) Spielarten institutioneller Argumentation aufzunehmen, umzuformen und zu einem geschlossenen, wenn auch nicht leicht zugänglichen und durchschaubaren System zu vereinigen, m i t dessen Hilfe er i m Ergebnis zu einer Deklassierung der grundrechtlichen Vorbehalte zur „staatsrechtlichen Reminiszenz" gelangt. 1. Geschichte des institutionellen Normverständnisses U m die Bedeutung der institutionellen Grundrechtstheorie für die Auslegung der subjektiven Freiheitsrechte ermessen, vor allem aber, u m die aktuelle Diskussion ihrer Verfassungsgemäßheit verstehen zu können, bedarf es eines kurzen rechtshistorischen Rückblicks 97 : 95 E r wäre auch, w i e neuere wissenschaftstheoretische Forschungen ergeben haben, äußerst fragwürdig, vgl. Norbert Hoerster: Grundthesen a n a l y t i scher Rechtstheorie, Jahrb. für Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie, 2 (1972), S. 115 ff.; S tig Jorgensen: N o r m u n d Wirklichkeit, Rechtstheorie 2 (1971), 1 ff. (6 ff.); Karl R. Popper: Das Elend des Historizismus, 3. Aufl., Tübingen 1971, insbes. S. 61 ff. Aus der hyperkomplexen Realität können n u r einzelne Aspekte erfaßt werden — vgl. auch Dietrich Jesch: Gesetz u n d Verwaltung, S. 41 Fn. 18; Friedrich E. Schnapp, Rechtstheorie 9 (1978), 275 ff. (280). 9β Karlsruhe 1972. 97 s. a. ausführlich Bernd Rüthers: Unbegrenzte Auslegung S. 278 ff.
C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
70
Der Gebrauch institutioneller Argumente zur Interpretation u n d E x p l i k a t i o n v o n N o r m e n h a t eine l a n g e T r a d i t i o n . I n d e r n e u e r e n Rechtsgeschichte w i r d d e r i n s t i t u t i o n e l l e D e n k a n s a t z v o n N a m e n w i e Friedrich Carl
von
Savigny
10
Martin
Hauriou
\
98
,
Friedrich Wolff
102
Julius
, Fritz
Stahl 99,
Fleiner
103
Philipp
Heck 100,
Maurice 104
u n d Erich Kaufmann
reprä-
sentiert. F ü r die V e r f a s s u n g s a u s l e g u n g ist e r v o n Carl
Schmitt
a u s g e f o r m t u n d f r u c h t b a r gemacht w o r d e n 1 0 5 . Schmitt schen i n s t i t u t i o n e l l e n
und
Institutsgarantien106.
systematisch
unterschied z w i -
Erstere
wurden
be-
s t i m m t als G e w ä h r l e i s t u n g e n „ f o r m i e r t e r u n d o r g a n i s i e r t e r u n d d a h e r umgrenzbarer u n d unterscheidbarer Einrichtungen öffentlich-rechtlichen C h a r a k t e r s 1 0 7 , l e t z t e r e als G e w ä h r l e i s t u n g e n p r i v a t r e c h t l i c h e r i n s t i t u t e i m S i n n e v o n t y p i s c h e n t r a d i t i o n e l l feststehenden
Rechts-
Normen-
k o m p l e x e n u n d Rechtsbeziehungen 1 0 8 . Z w e c k d e r A u s b i l d u n g u n d A u s g e s t a l t u n g verfassungsrechtlich v e r a n k e r t e r E i n r i c h t u n g s g a r a n t i e n w a r es, d i e n u r i m R a h m e n d e r Gesetze 98 System, § 5, S. 9 ff.; vgl. a. Hans Kiefner: L e x frater a fratre — I n s t i t u tion u n d Rechtsinstitut bei Savigny, Rechtstheorie 10 (1979), 129 ff. 99 Die Philosophie des Rechts, Band 2, 1. Abth., 4. Aufl., Heidelberg 1870, S. 192 ff. 100 Begriffsbildung u n d Interessenjurisprudenz, Tübingen 1932, S. 54 ff. 101 L a Theorie de l ' I n s t i t u t i o n et de la Fondation, Essai de Vitalisme social, Cahiers de la Nouvelle Journée 4 (1925), I f f . — Deutsche Übersetzung i n Roman Schnur: Die Theorie der Institution, B e r l i n 1965, S. 27 ff. Z u Haurious institutionellem Rechtsdenken s. a. Georges Gurvitch: Die Hauptideen Maurice Haurious, i n Schnur (Hrsg.), I n s t i t u t i o n u n d Recht, Darmstadt 1968, S. 23 ff. 102 Reichsverfassung u n d Eigentum, Festgabe f ü r K a h l , T e i l I V , Tübingen 1923. 103 Institutionen des deutschen Verwaltungsrecht, 8. Aufl., Neudruck Aalen 1960. 104 Die Gleichheit v o r dem Gesetz i m Sinne des A r t . 109 der Reichsverfassung, V V D S t R L 3 (1927), 2 ff. (15 ff.); Diskussionsbeitrag, V V D S t R L 4 (1928), 77 ff. (83); Grundrechte u n d Wohlfahrtsstaat, Gesammelte Schriften, G ö t t i n gen 1960, S. 589 ff. (591 ff.). los Verfassungslehre, S. 170 ff.; Freiheitsrechte u n d institutionelle Garantien, S. 140 ff. Knappe Darstellung seiner Lehre i n : I n h a l t u n d Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung, H B D S t R I I , Tübingen 1932, S. 572 ff. (596); Fortentwicklung der institutionellen Theorie z u m „konkreten O r d nungsdenken" i n : Über die drei A r t e n des rechtswissenschaftlichen Denkens, H a m b u r g 1934. Z u r Lehre Carl Schmitts, s. Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 171 ff. 106
Carl Schmitt: Freiheitsrechte u n d institutionelle Garantien, S. 149 ff., 160 ff.; ders., H B D S t R I I , S. 596. I n seiner Verfassungslehre (S. 170 ff.) findet sich diese Unterscheidung noch nicht. Undifferenziert w i r d hier v o n institutionellen Garantien gesprochen. 107 Carl Schmitt: Freiheitsrechte u n d institutionelle Garantien, S. 149; ders., H B D S t R I I , S. 596; vgl. auch Gunther Abel: Einrichtungsgarantien, S. 70 f. 108 Carl Schmitt, H B D S t R I I , S. 596; s. a. Gunther Abel: Einrichtungsgarantien, S. 70 f.
I I I . Institutionelle Grundrechtstheorie geltenden
Freiheitsverbürgungen
der
Weimarer
71
Reichsverfassung 109
gegen einen n a h e z u a l l m ä c h t i g e n Gesetzgeber i n i h r e m „ W e s e n s k e r n " zu schützen, w a r also l e t z t l i c h eine e r h ö h t e S i c h e r u n g d e r b ü r g e r l i c h e n F r e i h e i t e n m i t t e l s i h r e r A b s c h i r m u n g gegen l e g i s l a t i v e A k t e 1 1 0 . W e n n auch S c h m i t t s L e h r e i m staatsrechtlichen S c h r i f t t u m d e r W e i m a r e r Epoche n u r v e r e i n z e l t W i d e r s p r u c h g e f u n d e n h a t 1 1 1 u n d i m E r gebnis z u r fast u n b e s t r i t t e n e n A n w e n d u n g g e l a n g t e 1 1 2 , m u ß i h r e T r a n s p o n i e r u n g i n das B o n n e r G r u n d g e s e t z d e n n o c h überraschen. D i e d e n I n s t i t u t s - u n d i n s t i t u t i o n e l l e n G a r a n t i e n noch v o n Carl Schmitt zugedachte F u n k t i o n d e r S i c h e r u n g s u b j e k t i v e r G r u n d r e c h t e v o r i h r e r gesetzespositivistisch m ö g l i c h e n D e n a t u r i e r u n g 1 1 8 d u r c h d e n Gesetzgeber w i r d h e u t e d u r c h die W e s e n s g e h a l t g a r a n t i e des A r t . 19 A b s . 2 G G u n d die i n A r t . 1 A b s . 3, 20 A b s . 3 u n d 79 A b s . 3 G G a u s d r ü c k l i c h p o s i t i v i e r t e u n d auch i n d e n V o r b e h a l t e n z u m A u s d r u c k k o m m e n d e B i n d u n g des Gesetzgebers a n die V e r f a s s u n g e r f ü l l t 1 1 4 . E t w a s anderes e r g i b t sich n u r , w e n n den genannten Vorschriften hinsichtlich der Einrichtungsgarantien n u r d e k l a r a t o r i s c h e B e d e u t u n g z u e r k a n n t w i r d 1 1 6 , w a s a b e r dazu f ü h r t , 109 Treffend so Herbert Göttingen 1950, S. 12.
Krüger:
Grundgesetz u n d
Kartellgesetzgebung,
110 Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 1 GG Rdn. 98; Rupert Scholz: Koalitionsfreiheit, S. 233; s. a. Wolf gang Martens, V V D S t R L 30 (1972), 7 ff. (32); Edzard Schmidt-Jortzig: Einrichtungsgarantien, S. 14 ff. 111 So bei Fritz Stier-Somlo: A r t . 109 — Gleichheit vor dem Gesetz, i n : Die Grundrechte u n d Grundpflichten der Reichsverfassung, Band 1, B e r l i n 1929, S. 158 ff. (171 Fn. 24). 112 Vgl. Gunther Abel: Einrichtungsgarantien, S. 13, 20; die Lehre v o n den institutionellen Garantien w u r d e ausgebaut v o r allem von Gustav Boehmer: A r t . 154 — Erbrecht, i n : Die Grundrechte u n d Grundpflichten der Reichsverfassung, Band 3, B e r l i n 1930, S. 250 ff. (insbes. S. 255 ff.); Bodo Dennewitz: Die institutionelle Garantie, j u r . Diss. Jena 1932; Friedrich Klein: I n s t i t u t i o nelle Garantien; zustimmend auch Gerhard Anschütz: Verfassung des D e u t schen Reichs, Vorbem. 8 zum 2. Hauptteil, S. 519 f.; Ernst Rudolf Huber: Der Bedeutungswandel der Grundrechte, AöR 62 (1933), I f f . (37ff.); Richard Thoma: Die juristische Bedeutung der grundrechtlichen Sätze der deutschen Reichsverfassung i m allgemeinen, i n : Die Grundrechte u n d Grundpflichten der Reichsverfassung, Band 1, B e r l i n 1929, 1 ff. (14, 22, 33, 37 f.). 113 Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz. A r t . 1 GG Rdn. 98; Friedrich E. Schnapp: Beamtenstatus u n d Streikrecht, Herford u n d Bonn 1972, S. 47; ders.: Beamtenstreik — eine Zwischenbilanz, i n Nevermann / Richter (Hrsg.), Rechte der Lehrer, Rechte der Schüler, Rechte der Eltern, München u n d Zürich 1977, S. 76 ff. (82); vgl. schon Martin Wolff: Reichsverfassung u n d Eigentum, S. 6. 114 So auch Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 1 GG Rdn. 98; Hans-Uwe Erichsen: Staatsrecht I, S. 187; Manfred Rehbinder: Presserecht, Herne u n d B e r l i n 1967, S. 20; ders. DVB1. 1960, 559 ff. (561); Christoph Sasse, AöR 85 (1960), 423 ff. (436, 439), Roman Schnur, V V D S t R L 22 (1965), 101 ft. (117), zustimmend f ü r die Institutsgarantien i m Sinne Schmitts Helmut Willke: Grundrechtstheorie, S. 123 f. 115 So Gunther Abel: Einrichtungsgarantien, S. 39, wonach A r t . 19 Abs. 2 GG hinsichtlich der Institutsgarantien n u r nochmal erklärt, „was durch diese
72
C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
daß v o n der L e h r e e n t w i c k e l t e K o n s t r u k t e ü b e r die N o r m a t i v i t ä t v o n Rechtssätzen entscheiden u n d sie selbst n i c h t p o s i t i v - r e c h t l i c h l e g i t i m i e r t werden können116. A u f dieses P r o b l e m b r a u c h t h i e r n i c h t w e i t e r eingegangen z u w e r d e n . S ä h e n d i e P r o t a g o n i s t e n des i n s t i t u t i o n e l l e n G r u n d r e c h t s v e r s t ä n d n i s s e s i n d e n verfassungsrechtlichen E i n r i c h t u n g s g a r a n t i e n auch h e u t e noch bloße U m h e g u n g e n z u m Schutze i n d i v i d u e l l e r B e l i e b i g k e i t gegen legislatorische A k t e 1 1 7 , gäbe es k e i n e n A n l a ß zu d e r B e f ü r c h t u n g , daß m i t t e l s I n s t i t u t i o n a l i s i e r u n g d e r F r e i h e i t der g r u n d r e c h t l i c h e G e w ä h r l e i s t u n g s bereich u n t e r M i ß a c h t u n g d e r i n d e n V o r b e h a l t e n s t a t u i e r t e n A u s legungsverbote r e s t r i k t i v bestimmt w e r d e n könnte. D i e L e h r e v o m I n s t i t u t s c h a r a k t e r d e r G r u n d r e c h t e h a t aber e i n v ö l l i g neues Gesicht b e k o m m e n 1 1 8 . Was f r ü h e r als S c h u t z v o r r i c h t u n g gegen p a r l a m e n t a r i s c h e Rechtsetzungen i m G r u n d r e c h t s b e r e i c h gedacht w a r , dient heute der Ermöglichung v o n Eingriffen i n subjektive Freiheiten 119. U r s ä c h l i c h f ü r die g e w a n d e l t e A u f f a s s u n g v o n d e m „ W e s e n " u n d d e r F u n k t i o n der Institutionen dürfte v o r allem die Übernahme sozialwissenschaftlicher E r k e n n t n i s s e 1 2 0 i n die J u r i s p r u d e n z gewesen sein. SozioBestimmung bereits unmittelbar g i l t " . Dagegen zutreffend Helmut Willke, Grundrechtstheorie, S. 123. Die Institutsgarantie ist keine „Bestimmung, sondern ein von der Lehre entwickeltes Gebilde". Eine fortwirkende Bedeutung der Lehre von den institutionellen Garantien n i m m t auch Edzard SchmidtJortzig: Einrichtungsgarantien, S. 59 ff., an. 116 Schon wegen der kompetenziellen Aussagen der grundrechtlichen V o r behalte k a n n auch eine nahezu einhellige Literaturmeinung über die Existenz institutioneller Garantien deren positiv-rechtliche Fundierung nicht ersetzen. 117 So noch BVerfGE 24, 367 ff. (389). Nachdem das Verfassungsgericht die Bedeutung der Eigentumsgarantie als individuelles Recht f ü r die eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens herausgestellt hat, heißt es dort: „Die Garantie des Eigentums als Rechtseinrichtung dient der Sicherung dieses Grundrechts. Das Grundrecht des Einzelnen setzt das Rechtsinstitut ,Eigent u m ' voraus; es wäre nicht w i r k s a m gewährleistet, w e n n der Gesetzgeber an die Stelle des Privateigentums etwas setzen könnte, was den Namen »Eigent u m ' nicht mehr verdient." S. a. BVerfGE 35, 79 ff. (114) u n d B V e r f G DVB1. 79, 399 ff. (401) — Mitbestimmungsurteil, Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / H e r zog/Scholz, A r t . 1 GG Rdn. 98; Franz Ludwig Knemeyer, J Z 1969, 780 ff. (783); Peter Lerche: Übermaß, S. 109. 118 Fritz Ossenbühl, N J W 1976, 2100 ff. (2103). 119 U n d damit zusammenhängend auch der Legitimierung gesetzgeberischer Maßnahmen i m Grundrechtsbereich — vgl. Wolfgang Martens, V V D S t R L 30 (1972), 7 ff. (32). Z u der gesetzliche Regelungen fordernden u n d i n i h r e m I n halt determinierenden K r a f t der Grundrechtsgewährleistungen Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 126 ff.; Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 72 ff.; Ulrich Scheuner, DöV 1971, 505 ff. (509). 120 Vgl. Arnold Gehlen: Urmensch u n d Spätkultur, 3. Aufl., F r a n k f u r t 1975, S. 7 ff. ; ders. : Studien zur Anthropologie u n d Soziologie, Neuwied u n d B e r l i n 1963, S. 196 ff.; 215 ff. u n d passim; ders.: Mensch u n d Institutionen, i n : A n thropologische Forschung, Hamburg, 1961, S. 69 ff.; ders.: Die Seele i m technischen Zeitalter, H a m b u r g 1957, S. 116 ff.; Friedrich Jonas: Die Institutionenlehre A r n o l d Gehlens, Tübingen 1966; Wolfgang Lipp: I n s t i t u t i o n u n d V e r -
III. Institutionelle Grundrechtstheorie
73
logisch bezeichnet die Institution einen Komplex gesellschaftlicher Verhaltenserwartungen, sozialer Brauch-, Gruppen- und Organisationsbildungen, also den realen Gesamtverhalt einer gesellschaftlichen Einrichtung 1 2 1 , der — wie Bernd Rüthers zutreffend herausgestellt hat — 1 2 2 je nach der gewählten Perspektive eine faktische, eine normative und eine metaphysische Seite darbietet. Der einzelne ist i n die sozialen Institutionen eingefaßt 123 . Sie bestimmen und determinieren sein Handeln i n weitestem Umfang. I h r ZurVerfügung-Stehen bedeutet für das Individuum den weitreichenden Zwang, sich bei seinen Sozialkontakten ihren Ordnungsschemata unterzuordnen 124 . Ähnlich führt auch die Vorstellung vom institutionellen Charakter der Grundrechte zu einer Einbindung der individuellen Freiheiten i n allgemeinen Ordnungen und zu einer Reduzierung privater Freiheitsausübung auf Verwirklichung des institutionell objektiven Sinns der Freiheitsgewährleistung 125 . Das ist zwar verschiedentlich bestritten worden 1 2 6 . So stehen nach A n sicht Peter Häberles individualrechtliche und institutionelle Seite der Freiheitsrechte i n einem Verhältnis wechselseitiger, zu gegenseitiger Stärkung führender Bedingtheit 1 2 7 . Beide Seiten seien gleichwertig und anstaltung, B e r l i n 1968; vgl. auch die Beiträge i n Hans Dombois (Hrsg.): Recht u n d Institution, W i t t e n - R u h r 1956; Roman Schnur (Hrsg.): I n s t i t u t i o n u n d Recht, Darmstadt 1968; Helmut Schelsky (Hrsg.): Z u r Theorie der I n s t i tution, 2. Aufl., Düsseldorf 1973. 121 Vgl. dazu Arnold Gehlen: Mensch u n d Institutionen, S. 70 f.; Heinrich Henkel: Einführung i n die Rechtsphilosophie, 2. Aufl., München 1977, S. 357 ff.; Niklas Luhmann: Grundrechte als Institution, S. 12 f.; Bernd Rüthers: I n s t i tutionelles Rechtsdenken i m Wandel der Verfassungsepochen, Bad Homburg 1970, S. 38; Helmut Schelsky: Z u r soziologischen Theorie der Institution, 2. Aufl., Düsseldorf 1973, S. 9 ff. 122 Institutionelles Rechtsdenken, S. 34 ff.; zustimmend Rupert Scholz: Koalitionsfreiheit, S. 224; i n ähnlicher Weise spricht Heinhard Steiger: I n s t i tutionalisierung der Freiheit?, S. 109 f. von den drei Elementen einer I n s t i t u tion: Zweck, soziale W i r k l i c h k e i t u n d Rechtsordnung; vgl. auch schon Friedrich Julius Stahl: Philosophie des Rechts, S. 293; Die Rechtsinstitute sind „Komplexe von Thatsachen u n d thatsächlichen Beziehungen u n d ihren rechtlichen Normen, die sämtlich durch die Einheit der ihnen innewohnenden Bestimmung (telos) ein unauflösliches Ganzes bilden". 123 Heinrich Henkel: Rechtsphilosopie, S. 363. 124 Ebd., S. 364. 125 Die I n s t i t u t i o n bleibt m i t der E i n f ü h r u n g i n die rechtswissenschaftliche Diskussion m i t h i n nicht i m Bereich rechtswertfreier Faktizität, sondern erlangt selbst normative Relevanz — kritisch dazu Friedrich Müller: Normstruktur, S. 33; Rupert Scholz: Koalitionsfreiheit, S. 224; Heinhard Steiger: Institutionalisierung der Freiheit?, S. 108; vgl. auch Hans J. Wolff: Organschaft u n d juristische Person, Band 1, Juristische Person u n d Staatsperson, Nachdruck Aalen 1968, S. 251 f. zur Lehre v o m Staat als Institution. 126 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 71 f.; vgl. auch Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 72 ff. 127 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 71 f.
74
C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
bildeten erst i n ihrer Gesamtheit das Grundrecht 128 . Keinesfalls werde der individualrechtliche Aspekt der Freiheitsverbürgungen zur subjektiven Fern Wirkung oder bloßen Ausstrahlung des Objektiv-Institutionellen degradiert oder das Individuum zum Organ der überindividuellen Ordnungen und Lebensbezüge erniedrigt 1 2 9 . Doch kann die institutionelle Theorie ihrem Anspruch, (auch) individuelle Freiheit zu sichern und zu stärken, nicht gerecht werden. Sieht man nämlich genauer hin, untersucht man die praktischen Konsequenzen der geforderten Wechselwirkung und Gleichrangigkeit der beiden Grundrechtsaspekte, zeigt sich eine deutliche Präponderanz des objektiv-institutionellen Grundrechtsgehalts 180 . So heißt es bei dem eben noch die Gleichwertigkeit der beiden Grundrechtsseiten postulierenden Häberle wörtlich: „Das Thema institutionellen Denkens ist es aber, das Individuum und seine Freiheit in das Ubergreifende objektiver Ordnungen und Lebensverhältnisse einzubetten und umgekehrt die individuellen Schöpferkräfte und Gestaltungskräfte diesen Ordnungen zuzuführen 1 8 1 ", und an anderer Stelle: „Zwischen beiden Seiten der Grundrechte . . . kommt es zu einer Wechselwirkung: Den Schöpferkräften der einzelnen und der durch diese erfolgenden A k t u a l i sierung von Wertvorstellungen bleibt Raum i n dem objektiven Rahmen, der durch die Grundrechte als Institute vorgezeichnet ist 1 8 2 ." Die individuelle Freiheit kann sich hiernach nur i n den Institutionen entfalten und bewähren. Inhalt und Umfang der personalen Freiheit werden durch die objektiven Ordnungen bestimmt. Der Grundrechtsberechtigte ist i n sie eingefügt, ihrer Eigengesetzlichkeit unterworfen 1 8 8 . Erst durch die Institutionen empfängt die individuelle Freiheit Richtung und Maß, Sicherheit und Geborgenheit, Inhalt und Aufgabe 184 . Sie ist, wenn man so w i l l , nur noch Reflex der Institution 1 8 5 . Für diesen Sach128
Ebd., S. 71. Ebd., S. 72. 180 So auch Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1532); Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, Tübingen 1976, S. 231 f.; Klaus Kröger: Grundrechtstheorie als Verfassungsproblem, Baden-Baden 1978, S. 26; Rupert Scholz: Koalitionsfreiheit, S. 229; Heinhard Steiger: I n s t i t u t i o nalisierung der Freiheit?, S. 110 f.; vgl. a. Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 179. 131 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 80. 132 Ebd., S. 102. 183 Ebd., S. 100; vgl. auch Arnold Gehlen: Mensch u n d Institutionen, S. 71: „Der Mensch erlebt n u n i n der T a t eine I n s t i t u t i o n w i e das Eigentum oder die Ehe als ein überpersönliches vorgefundenes Muster, dem er sich einordnet." Das Moment der Eigengesetzlichkeit der Institutionen betont schon Erich Kaufmann i n V V D S t R L 3 (1927), 2 ff. (15). 134 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 98. 135 So z. B. Dieter Stammler: Verfassungs- u n d organisationsrechtliche Probleme des Kabelfunks, Tübingen 1977, S. 20 ff., f ü r die Presse- u n d R u n d 129
III. Institutionelle Grundrechtstheorie
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verhalt liefert Häberle selbst das treffende Bild: „Die Grundrechte als Institute sind i n der Ordnung des Gemeinlebens bereits gezeichnete K r e i s e . . . Die Grundrechte als subjektive Individualrechte bilden integrierende Bestandteile dieser Kreise 1 3 8 ." Es ist daher nur folgerichtig, Lehren die Grenzen individueller Lebensverhältnisse bestimmen 137 , noch m i t Sicherung und Stärkung
wenn die Anhänger institutioneller Freiheit i n bezug auf die objektiven wenn auch offenbleibt, was das alles personaler Freiheit zu t u n hat.
Begrenzen die Institutionen aber das subjektive Belieben, muß sich die institutionelle Grundrechtstheorie auf ihre Verfassungsgemäßheit 188 , konkret: auf ihre Vereinbarkeit m i t dem positi vierten System spezifizierter und abgestufter Gesetzesvorbehalte befragen lassen. Zu diesem Zweck w i r d i m folgenden danach differenziert, ob die Institution vornehmlich als Rechtseinrichtung 139 , als Teil sozialer Realität 1 4 0 oder als Wertkomplex 1 4 1 verstanden wird. Dabei w i r d nicht verkannt, daß die unterschiedlichen Ansichten über die Seinsweisen der Institution vielfach miteinander verwoben und verbunden sein können. Aber nur wenn die einzelnen Momente institutioneller Theorie verfassungsrechtlicher Prüfung standhalten, vermag es auch eine sie verbindende und zusammenfügende Betrachtungsweise. 2. Seinsweisen der Institution
a) Institution
als Rechtseinrichtung
Soweit die die subjektiven Freiheitsrechte umschließenden objektiven Ordnungen als Rechtseinrichtungen begriffen werden 1 4 2 , zielt das instifunkfreiheit; kritisch dazu Hans H. Klein: Rundfunkfreiheit, S. 48 f.; Ingo von Münch: Öffnungsklauseln bei Zeitungen u n d Zeitschriften, F r a n k f u r t 1977, S. 27 f. 186 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 99. 187 Vgl. ebd., S. 100; s. a. Helmut K. J. Ridder: Meinungsfreiheit, S. 259. Zurückhaltend Ulrich Scheuner, W D S t R L 22 (1965), I f f . (58): „Es k a n n freilich auch möglich sein, daß erst von der institutionellen Seite her der Blick auf die inneren Grenzen auch der subjektiven Berechtigung sich erschließt." 188 Vgl. Kap. C. I. 2.; s.a. Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1974, 1529ff. (1537). 189 Dazu sogleich 140 s. u. Kap. C. I I I . 2. b). 141 s. u. Kap. C. I I I . 2. c). 142 Vgl. BVerfGE 1, 264 ff. (278); 14, 263 ff. (277 f.); 20, 351 ff. (355); 24, 367 ff. (389); 26, 206 ff. (222); 31, 229 ff. (240 f.); B V e r f G DVB1. 1979, 399 ff. (409); Gunther Abel: Einrichtungsgarantien, S. 70 ff.; Josef Aicher: Staatshaftung, S. 86; Arnold Erler: Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie, S. 114; Gerhard Leibholz/Hans-Jürgen Rinck: Grundgesetz, A r t . 14 Erl. I I ; Manfred Lepa: Der I n h a l t der Grundredite nach der Rechtsprechung, 3. Aufl., K ö l n 1976, A r t . 14
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
tutionelle Grundrechtsverständnis darauf ab, Inhalt und Tragweite der Grundrechtsnormen m i t Hilfe unterverfassungsrechtlicher Hechtssätze festzulegen. Legitimiert w i r d die rechtsetzende Tätigkeit i m Freiheitsbereich m i t der vorgeblichen Notwendigkeit, die Grundrechte ihres generalklauselartigen Charakters 143 wegen auszugestalten und zu konkretisieren 14 4 . Die übliche Schematik, die der natürlichen, i m freien Willen begründeten subjektiven Beliebigkeit die durch parlamentarische Akte gesetzten Schranken gegenüberstellt, reiche zur angemessenen Beschreibung der Funktion der Legislative i m Grundrechtsbereich nicht aus 145 . Straf-, Zivil-, Presse-, Vereins- oder Eherechtsnormen enthielten keinen Eingriff i n die grundrechtlich verbürgte Freiheit, wenn sie inhaltlich durch die idee d'oeuvre des Grundrechts determiniert würden 1 4 6 , sie gehörten vielmehr zum Wesen oder Wesensgehalt der Grundrechte 147 . Soweit der Gesetzgeber zulässigerweise i m Grundrechtsbereich tätig werde, schränke er die Freiheitsrechte nicht ein, sondern konkretisiere ihre „immanenten" Grenzen 148 . Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der grundrechtsausgestaltenden gesetzgeberischen Tätigkeit ergibt sich nach dieser Auffassung aus dem institutionellen Charakter der verfassungsrechtlich positivierten Freiheitsverbürgungen 14 ®. GG Rdn. 4; Peter Lerche: Übermaß, S. 239ff.; Theodor Maunz, i n : M a u n z / D ü r i g / H e r z o g / S c h o l z , A r t . 14 GG Rdn. 30, Ludwig Raiser , J Z 1958, I f f . (5); Ekkehard Stein: Staatsrecht, § 24 I I 3 c, S. 251; Werner Weber: Eigentum u n d Enteignung, S. 355; Hans J. Wolff , i n : W o l f f / B a c h o f , Verwaltungsrecht I, §33 V d 2, S. 236. 143 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 102, 168; Ernst Hesse: Die B i n dung des Gesetzgebers an das Grundrecht des A r t . 2 I GG bei der V e r w i r k lichung einer „verfassungsmäßigen Ordnung", B e r l i n 1968, S. 91 f.; FranzJürgen Säcker, A R S P 58 (1972), 215 ff. (228); kritisch dazu Hans Lothar Graf : Grenzen der Freiheitsrechte, S. 50 f. u n d Friedrich Müller: Normstruktur, S. 202; ders.: Positivität, S. 81 f., die den Grundrechten eine gegenüber den Generalklauseln erhöhte normative Dichte zuerkennen. 144 Peter Häberle, AöR 95 (1970), 86 ff. (115); Josef Isensee, N J W 1977, 545 ff. (547); Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 95; Christian-Friedrich Menger, VerwArch. 66 (1975), 397 ff. (401); Christian von Pestalozza: Kritische Bemerkungen zu Methoden u n d Prinzipien der Grundrechtsauslegung i n der Bundesrepublik Deutschland, Der Staat 2 (1963), 425 ff. (440 f.); Rupert Scholz, AöR 100 (1975), 80 ff. (110); Peter Schwacke: Grundrechtliche Spannungslagen, S. 52. 145 v g i # Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 9, 11, 19, 27* 46, 90, 121 u n d 127, der dem liberalen bzw. individualistischen Grundrechtsverständnis eine klare Absage erteilt; s. a. Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 66 f. u n d Ulrich Scheuner, DöV 1956, 65 ff. (66); ders., DöV 1971, 505 ff. (509 f.). 146 s. a. BVerG DVB1.1979, 399 ff. (406). 147 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 14 ff., 24 ff., 51 ff. 148 Ebd., S. 183; f ü r das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit vgl. B V e r f G DVB1.1979, 399 ff. (406). 149 Kritisch dazu Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 139 ff.
III. Institutionelle Grundrechtstheorie
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Die institutionelle Seite der Freiheit werde durch das Recht konstituiert 1 5 0 . Der Gesetzgeber sei es daher, der die Grundrechte ausgestalte, der die Normenkomplexe schaffe, i n denen sich die Grundrechte als Institute verwirklichen würden 1 5 1 . Er gliedere die individuellen Rechte i n die übergreifenden objektiven Ordnungen ein 1 5 2 , da individuelle Freiheit und Spontaneität des Staatsbürgers ohne Normenkomplexe i n rechtsleeren Räumen wirkungslos seien 153 . Von „Institut", „institutionell" oder dergleichen könne nur dort die Rede sein, wo etwas rechtlich Ausgestaltetes vorhanden sei 154 . Rechtsfreie Räume bildeten keine Institute 1 5 5 . Die Verfassungsgemäßheit der Grundrechtskonkretisierung durch die Legislative m i t dem institutionellen Charakter der Freiheitsrechte begründen zu wollen, ist aber schon deshalb problematisch, weil die Verfassungsadäquanz der institutionellen Grundrechtstheorie selbst nicht außer Frage steht. Werden daher i m grundrechtlichen Bereich wirkende und sich entfaltende Gesetze unter Berufung auf die sich i n Gestalt von Rechtseinrichtungen präsentierenden Institutionen für verfassungsrechtlich unbedenklich erklärt, ist die Prüfung ihrer Vereinbarkeit m i t den Normen des Grundgesetzes zwar geschickt umgangen, nicht aber zu einem wirklichen Abschluß geführt worden 1 5 6 . Weitere Einwände ergeben sich aus der zirkelhaften Natur institutionellen Denkens 157 . Die Gesetze sollen die Grundrechte konkretisieren 1 5 8 , die hierzu erforderliche Legitimation sich aus der Daseinsweise der Grundrechte als Institute ergeben. Die Grundrechte als Institute bestehen aber gerade aus den durch die Leitidee der Freiheitsverbürgungen verbundenen unterverfassungsrechtlichen Rechtssätzen 159 . Also geben 150
Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 93. Ebd., S. 165; zur F u n k t i o n des Gesetzgebers als Verfassungsinterpret vgl. a. dens., J Z 1975, 297 ff. (299 f.) u n d ders.: Verfassungsprinzipien, S. 50f., 54f. 152 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 165. 153 Ebd., S. 98, 183 f.; Josef Isensee: Beamtenstreik, B o n n - B a d Godesberg 1971, S. 15 ff., 65 f.; kritisch dazu Helmut Willke: Grundrechtstheorie, S. 120, der m i t Recht darauf hinweist, daß ζ. B. künstlerische oder spielerische Spontaneität auf rechtsfreie Räume angewiesen ist, s. a. Hans H . Klein: Die Grundrechte i m demokratischen Staat, Stuttgart, Berlin, K ö l n u n d Mainz 1972, S. 70 Fn. 103; Walter Schmidt, AöR 91 (1966), 42 ff. (61); Rupert Scholz: Koalitionsfreiheit, S. 72 f.; Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 146 ff. 154 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 165. 155 Ebd., S. 165. 156 Zutreffend daher Roman Schnur: Rezension, DVB1. 1965, 489 ff. (490 f.), der die Frage aufwirft, w i e sich die Verfassung zu den Institutionen stellt. 157 Z u m Zirkelschluß vgl. Egon Schneider: L o g i k f ü r Juristen, 2. Aufl., M ü n chen 1972, § 66, S. 258 ff. 158 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 185. 159 Ebd., S. 93 f. 151
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
die die Freiheitsrechte formenden Gesetze gleichzeitig die zur Grundrechtsausgestaltung erforderliche Legitimation ab. Diese Argumentation ist nicht nur aus logischen Gründen falsch. Sie mißachtet auch die Funktion der Verfassung, verbindlicher Maßstab legislativer Regelungen zu sein, gesetzgebende Gewalt zu konstituieren und zu limitieren 1 6 0 . Schon an anderer Stelle ist auf A r t . 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG hingewiesen worden, die eine Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung postulieren 161 . Die normative Verbindlichkeit der Grundrechte wäre aufgehoben, wollte man sie als „Funktion einer Ausführungsgesetzgebung" 1 6 2 ansehen 183 . Die Grundrechte sind für den Gesetzgeber unmittelbar geltendes Recht, ihre authentische Interpretation ist i h m verwehrt 1 6 4 . Zutreffend hat daher das Bundesverfassungsgericht ausgeführt: „Nicht das System von Normen, Instituten und Institutionen i m Range unter der Verfassung bildet den Maßstab für die Auslegung verfassungsrechtlicher Bestimmungen, vielmehr liefern die letzteren umgekehrt die Grundlagen und den Rahmen, an den die übrigen Rechtsäußerungen und -erscheinungen sich anzupassen haben 165 ." Die Unterordnung der einfachgesetzlichen Regelungen unter die Verfassung kommt zusätzlich noch i n den A r t . 123 Abs. 1 und 79 Abs. 3 GG zum Ausdruck. Gemäß A r t . 123 Abs. 1 GG gilt nur das nicht gegen das Grundgesetz verstoßende vorkonstitutionelle Recht fort. Sinn und Zweck dieser Bestimmung verbieten die Annahme, der Maßstab für die Prüfung der Rechtsfortgeltung liege i m transformierten Gesetzesrecht, was der Fall wäre, wenn die subkonstitutionellen Regelungen die Verfassungsnormen konkretisieren würden 1 6 8 . A r t . 79 Abs. 3 GG schreibt für eine Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit der zuständigen gesetz160
Anders offenbar Theodor Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 30 GG Rdn. 7, der von einer prinzipiellen Allzuständigkeit des Staates ausgeht, die durch die Freiheitsrechte n u r negativ begrenzt werden soll. 181 s. o., Kap. C. 1.1. c); C. I . 2. a). 182 Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 131. 163 So auch Hans-Wolfgang Arndt / Henning von Olshausen, JuS 1975, 485 ff. (488); Herbert Bethge, DVB1.1972, 365 ff. (370); Hans-Lothar Graf: Grenzen der Freiheitsrechte, S. 51; Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, S. 232; Walter Schmidt, A ö R 91 (1966), 42 ff. (59 f.); Helmut Willke: G r u n d rechtstheorie, S. 129: Vernachlässigung der L e i t f u n k t i o n der Verfassung; vgl. a. Manfred Rack: Verfassung als Maßstab, S. 47 f. u n d die K r i t i k Adalbert Podlechs: Gleichheitssatz, S. 83 f. an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu A r t . 3 Abs. 1 GG, derzufolge der Gehalt des Gleichheitssatzes f ü r bestimmte Lebenslagen v o m Gesetzgeber festgelegt werden soll. 164 Friedrich Müller: Positivität, S. 81. tes BVerfGE 28, 243 ff. (260 f.). 1M Vgl. auch Roman Schnur, DVB1.1965, 489 ff. (491); Friedrich Müller: Juristische Methodik, S. 174 m i t A n m . 281. Denkbar ist freilich, daß der V e r fassungsgesetzgeber juristisches unterverfassungsrechtliches Begriffsverständnis rezipiert hat — vgl. Norbert Achterberg: Die Gesellschaftsbezogenheit der Grundrechte, S. 16.
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gebenden Körperschaften vor. Diese Vorschrift könnte bei einer für zulässig gehaltenen Ausgestaltung der Grundrechte durch Gesetze unterlaufen werden, da i n diesem Fall die m i t einfacher Mehrheit verabschiedeten Gesetze oder Gesetzesänderungen (auch) den Inhalt der Verfassung unter Umgehung der Kautelen des A r t . 79 Abs. 3 GG neu bestimmen würden 1 6 7 . Der durch gesetzliche Neuordnungen bewirkte Verfassungswandel steht der expliziten Verfassungsänderung i n seinen Auswirkungen qualitativ gleich 168 . Vor allem aber würde das System ausdifferenzierter Eingriffsermächtigungen aus den Angeln gehoben, imputierte man sämtlichen Grundrechtsnormen einen Regelungsauftrag zu ihrer Konkretisierung 1 6 9 . Konstituierung und Limitierung gesetzgebender Gewalt i m Freiheitsbereich wären überflüssig, die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bewirkende Normierung der Voraussetzungen und Zwecke hoheitlicher Eingriffsrechte erwiese sich als w i r kungslos, wenn die Legislative die Sphäre verfassungsrechtlich verbürgter Freiheit ausgestalten dürfte. I n ihrer Funktion als Auslegungsverbote stehen die Vorbehalte einer Konkretisierung der Grundrechte durch Gesetz entgegen. M i t alldem soll nicht gesagt sein, daß es dergleichen wie einen Verfassungsauftrag zur Ausgestaltung des Grundgesetzes überhaupt nicht gibt. Das Gegenteil ergibt sich aus den verfassungsgesetzlichen Bestimmungen, die wie A r t . 21 Abs. 3, 45 b Satz 2, 45 c Abs. 2, 48 Abs. 3 Satz 2, 53 a, 54 Abs. 7, 91 a Abs. 2 Satz 1, 94 Abs. 2 oder 109 Abs. 3 GG die Fälle zulässiger und sogar erforderlicher Verfassungskonkretisierung durch Gesetz selbst aufzeigen 170 . Eine Konkretisierungsbefugnis w i r d dem Parlament auch i n A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 und 14 Abs. 1 Satz 2 GG zuerkannt 1 7 1 . Aber auch hier hat die Verfassung dem Gesetzgeber Schranken gezogen. M i t Recht hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß der Gesetzgeber nicht befugt sei, „an Stelle des Privateigentums etwas zu setzen, was den Namen ,Eigentum' nicht mehr verdien(e)" 172 . Das Grundgesetz ist keine Verfassung nach Maßgabe der Gesetze, ist legislativem Zugriff nur unter erschwerten Voraussetzungen zugänglich. Deshalb können die subjektiven Freiheitsrechte auch nicht i n von 167
s. a. Klaus Stern: Staatsrecht, § 5 I I I 2 b, S. 131 f. Zutreffend Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1976, 2089 ff. (2096 Fn. 89), wonach es sich i n beiden Fällen u m eine Änderung des Verfassungsinhalts handelt. 169 Friedrich E. Schnapp, N J W 1976, 493 f. (493); vgl. auch Wilfried Berg: Konkurrenzen, S. 30 ff. 170 Auch diese Regelungsaufträge eröffnen nicht die Möglichkeit eines unbeschränkten Zugriffs auf die Verfassung, dazu Felix Ermacora: Der verfassungsrechtliche Gesetzesvorbehalt, D ö V 1960, 561 ff. 171 Dazu oben Kap. Β . I . 4. 172 BVerfGE 24, 367 ff. (389). 168
80
C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
einfachgesetzlichen Rechtssätzen durchwirkten und ausgestalteten Ordnungen eingebunden sein 173 . Die institutionelle Auffassung, die die objektiven Lebensverhältnisse als Rechtseinrichtungen begreift, ist daher abzulehnen. b) Institution
als Einrichtung
der sozialen
Lebenswirklichkeit
Die den faktischen Aspekt der Institutionen hervorhebende Lehre, die i n den durch die Grundrechte gewährleisteten Einrichtungen Partikel dei sozialen Lebenswirklichkeit sieht 174 , intendiert m i t der Hervorhebung des objektiv-rechtlichen Moments der Freiheitsverbürgungen zweierlei: Einmal werden die realen außernormativen Daten unmittelbar für die Interpretation der Grundrechtsnormen fruchtbar gemacht 175 . So sollen beispielsweise i n A r t . 6 Abs. 1 GG die wesentlichen Strukturprinzipien der vom Grundgesetz vorgefundenen Lebensform „Ehe" garantiert sein 176 . Insoweit ist einzuwenden, daß die Einbeziehung des Seins i n den Prozeß der Grundrechtskonkretisierung die Gefahr einer Aushöhlung des Geltungsanspruchs der Verfassung i n sich birgt. Das Grundgesetz soll das politische Gemeinwesen i n bestimmter Weise konstituieren und das Leben i n der Sozietät i n seinen Grundzügen dauerhaft ordnen 177 . Der normative Auftrag der Verfassung kann sich daher nicht darauf beschränken, die aktuale Konstitution der Gemeinschaft abzubilden, ihren jeweiligen Zustand zu spiegeln. Wie aber die gesellschaftliche Realität ohne die fatale Folge des Verlustes der verfassungsrechtlichen Normativität i n den Vorgang der Grundrechtskonkretisierung einbezogen werden soll, läßt die institutionelle Theorie offen. Insoweit produziert sie selbst methodische Probleme, ohne zu ihrer Lösung beizutragen. Schon deshalb ist sie zur Bestimmung des Gehalts positiver Grundrechtsnormen unbrauchbar. A u f methodische Rationalisierung der Uberwindung des Gegensatzes von Sein und Sollen zielt auch Friedrich Müllers hermeneutisch strukturierte Einbeziehung des beteiligten Sachgehalts i n den Konkretisierungsprozeß. Da Müller die institutionelle Auffassung jedoch ausdrücklich verwirft, w i r d auf seine Thesen erst an späterer Stelle eingegangen 178 . 173
s.a. Walter Schmidt, AöR 91 (1966), 42 ff. (59 ff.); Christian Starck: Das Fernsehen muß nicht bleiben, w i e es ist, F A Z v o m 9. Febr. 1980, S. 10 f. (10). 174 Vgl. dazu Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, S. 225 ff.; Bernd Rüthers: Institutionelles Rechtsdenken, S. 34 ff. 175 Vgl. B V e r f G E 31, 58 ff. (69f.); Eva Marie von Münch: Grundgesetzkommentar, A r t . 6 GG Rdn. 5; Christian von Pestalozza, Der Staat, 2 (1963), 425 ff. (442 ff.). 176 BVerfGE 31, 58 ff. (69); zustimmend Eva Marie von Münch: Grundgesetzkommentar, A r t . 6 Rdn. 5. 177 Z u r F u n k t i o n der Verfassung vgl. Konrad Hesse: Grundzüge, § 1, S. 3 ff. 178 s. u. Kap. C. V I .
III. Institutionelle Grundrechtstheorie
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Zum anderen führt das die soziale Lebenswirklichkeit einbeziehende institutionelle Denken zu einem Umbau der personenbezogenen Freiheitsrechte i n staatsgerichtete Verfassungsaufträge 179 . Staatliche Maßnahmen sollen die Realisierung der Freiheit durch den Grundrechtsberechtigten ermöglichen 180 . So weist Peter Häberle darauf hin, daß die Grundrechte ihren Institutscharakter verlören, wenn sie i n der sozialen Seinssphäre nicht oder nur unvollkommen verwirklicht würden 1 8 1 . Der Normativität der Freiheitsrechte habe ihre Normalität parallel zu gehen 182 . Ähnlich betont Helmut Willke, daß die institutionellen Garantien kein Ziel für sich seien, sondern M i t t e l zu dem Zweck einer optimalen Effektuierung der Grundrechte 183 . Der Staat umhegt nach dieser Ansicht den freiheitlichen Lebensprozeß 184 . Er garantiert die Freiheitsrechte und sorgt i m Falle ihrer Gefährdung für ihre Sicherung und Festigung 185 . Die Zuweisung dieser Aufgabe an den Staat findet ihre Begründung i n der gewandelten Stellung des Individuums i n der Gesellschaft. I n der modernen hochkomplexen Industriegesellschaft ist der vom einzelnen beherrschte Lebensraum auf ein M i n i m u m zusammengeschrumpft 188 . Dagegen ist seine wirtschaftliche und soziale Abhängigkeit von den Leistungen der Gemeinschaft gewachsen. Ohne öffentliche Hilfe ist der Bürger nicht mehr i n der Lage, sich die garantierten Freiheiten nutzbar zu machen 187 . Konsequenz ist nach dieser Spielart institutioneller Grundrechtstheorie die verfassungsrechtliche Legitimation grundrechts-,, eingreifender" Regelungen, die die Freiheitssicherung intendieren 188 . Die Grundrechts179 Vgl. Hans-Peter Bull: Staatsauf gaben, S. 155 ff.; Martin Löffler: Presserecht, Band I, München 1969, Erl. I Rdn. 38, S. 12; Wolf gang Rüfner, AöR 89 (1964), 261 ff. (296 f.); Ulrich Scheuner, V V D S t R L 22 (1965), 1 ff. (12 f., 43 f., 58); s. a. Edzard Schmidt-Jortzig: Einrichtungsgarantien, S. 50 f., der i n den institutionellen Garantien „verbindliche Zielbestimmungen f ü r alles Gestaltungsstreben des Staates" sieht; kritisch zu diesem Wandel des Grundrechtsverständnisses Erhard Denning er: Freiheitsordnung — Wertordnung — Pflichtordnung, J Z 1975, 545 ff. (550); Fritz Ossenbühl, N J W 1976, 2100 ff. (2102). 180 s. a. oben S. 19. 181 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 44 f., 123; ähnlich auch Hans Heinrich Rupp: V o m Wandel der Grundrechte, AöR 101 (1976), 161 ff. (174). 182 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 44. 183 Helmut Willke: Grundrechtstheorie, S. 152. 184 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 15. 185 Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 72 ff.; Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 117 ff. u n d passim. 186 Hans Heinrich Rupp, AöR 101 (1976), 161 ff. (173); Ulrich Scheuner, D ö V 1971, 505 ff. (510). 187 Peter Häberle, V V D S t R L 30 (1972), 43 ff. (54); Ernst Hesse: B i n d u n g des Gesetzgebers, S. 83 f.; Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 73; Ulrich Scheuner, DöV 1971, 505 ff. (510).
6 Wülfing
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
b e g r e n z u n g z u r G r u n d r e c h t s f ö r d e r u n g b e d a r f d e r E x i s t e n z d e r Gesetzesv o r b e h a l t e n i c h t 1 8 9 . Es i s t auch g l e i c h g ü l t i g , ob die f r e i h e i t s s i c h e r n d e W i r k u n g denjenigen Personen zugute k o m m t , die v o n dem E i n g r i f f bet r o f f e n sind. F o l g t m a n dieser A n s i c h t , i s t d i e V e r e i n i g u n g s f r e i h e i t ( A r t . 9 A b s . 1 G G ) k e i n H i n d e r n i s gegen das d e r A u f r e c h t e r h a l t u n g des f r e i e n W e t t b e w e r b s ( A r t . 2 A b s . 1 G G ) dienende K a r t e l l r e c h t m e h r 1 9 0 , schützen E i g e n t u m s - ( A r t . 14 A b s . 1 GG), M e i n u n g s - ( A r t . 5 A b s . 1 Satz 1 G G ) u n d Pressefreiheit ( A r t . 5 A b s . 1 Satz 2 G G ) des V e r l e g e r s n i c h t v o r e i n e r E n t f l e c h t u n g seines P r e s s e u n t e r n e h m e n s o d e r v o r S t a t u i e r u n g gesetzl i c h e r M i t b e s t i m m u n g s r e c h t e d e r J o u r n a l i s t e n oder d e r sonstigen i m V e r l a g B e s c h ä f t i g t e n i m D i e n s t e eines f r e i e n Pressewesens ( A r t . 5 A b s . 1 G G ) 1 9 1 , s i n d S t r a ß e n v e r k e h r s b e s t i m m u n g e n einschließlich des O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n r e c h t s z u r A u f r e c h t e r h a l t u n g eines g e o r d n e t e n V e r k e h r s flusses ( A r t . 2 A b s . 1 G G ) v ö l l i g u n b e d e n k l i c h 1 9 2 , j a zeigen sich sogar d i e L e b e n , F r e i h e i t u n d E i g e n t u m ( A r t . 2 A b s . 1, 14 A b s . 1 G G ) schützenden S t r a f r e c h t s n o r m e n ( u n d das d ü r f t e n d i e a l l e r m e i s t e n sein) als K o n s e quenz u n d Ausfluß der Grundrechte 193. 188 Vgl. Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 250; Peter Häberle, V V D S t R L 30 (1972), 43 fï. (84 f.); Peter Lerche: Stiller Verfassungswandel, S. 294; s. a. Hans-Peter Bull: Staatsauf gaben, S. 186, wonach effektive Freiheit f ü r alle intendierende Maßnahmen „tendenziell verfassungsmäßig" sind; ablehnend Hans-Wolf gang Arndt / Henning von Olshausen, JuS 1975, 485 ff. (488). 189 Helmuth C. F. Liesegang, JuS 1975, 215 ff. (219). 190 Vgl. Peter Häberle, V V D S t R L 30 (1972), 43 ff. (102); Hans Heinrich Rupp, AöR 101 (1976), 161 ff. (173); Ulrich Scheuner: Die staatliche Intervention i m Bereich der Wirtschaft. Rechtsformen u n d Rechtsschutz, V V D S t R L 11 (1954), 1 ff. (23 A n m . 59). 191 Rolf Groß: Schranken der Pressefreiheit, DVB1.1979, 833 ff. (836 f.); Peter Häberle, V V D S t R L 30 (1972), 43 ff. (109); Helmuth C. F. Liesegang, JuS 1975, 215 ff. (insbes. S. 219); ähnlich Erich Küchenhoff: Besondere Schranken der Pressefreiheit v o n Großverlegern?, ZRP 1970, 49f.; s.a. Werner Weber: Innere Pressefreiheit als Verfassungsproblem, B e r l i n 1973, S. 61 ff.; der m i t Recht darauf hinweist, daß angesichts des auf „allgemeine Gesetze" begrenzten Eingriffsvorbehalts (Art. 5 Abs. 2 GG) die institutionelle (Um-) I n t e r pretation der Pressefreiheit eine notwendige Voraussetzung f ü r gesetzliche Regelungen jeder A r t darstellt, die sich m i t „Innerer Pressefreiheit" oder publizistischen Pressekonzentrationen befassen. 192 Dagegen Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 142, der die V e r tauschung der Freiheit des einzelnen m i t der Freiheitlichkeit als Zustand des sozialen Ganzen rügt. 193 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 25 f. u n d passim. Vgl. auch schon Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Neuherausgabe F r a n k f u r t 1976, § 100, S. 190: „Die Verletzung, die dem Verbrecher widerfährt, ist nicht n u r an sich gerecht — als gerecht ist sie zugleich sein an sich seiender Wille, ein Dasein seiner Freiheit, sein Recht —, sondern sie ist auch ein Recht an den Verbrecher selbst, d. i. i n seinem daseienden Willen, i n seiner Handlung gesetzt; kritisch Wolf gang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 45 Fn. 42; Peter Lerche: Übermaß, S. 119;
III. Institutionelle Grundrechtstheorie
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Der hier dargestellten Meinung ist zuzugeben, daß gesetzliche Hegelungen die Freiheit nicht nur zu beschränken, sondern auch zu fördern vermögen 194 , ja, daß staatliche Hilfe zumindest i n Einzelfällen erforderlich sein kann, Grundrechtsausübung gegen freiheitsgefährdende Machtzusammenballungen zu schützen. Die Vertragsfreiheit ζ. B. ist dort nur noch formal gewährleistet, wo der Bürger lebensnotwendige Güter ausschließlich i n monopolistischen Betrieben erlangen kann. Wenn aber auch die Notwendigkeit öffentlicher Hilfe zum Schutze realer Freiheit konstatiert werden muß 1 9 5 , ist damit über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Grundrechtsbeschränkung zum Zwecke der Freiheitswahrung noch gar nichts ausgesagt 196 . M i t vollem Recht hat Albert Bleckmann darauf hingewiesen, daß die durch die freiheitsverwirklichenden Gesetze den Grundrechten gezogenen Schranken selbst wieder auf ihre Grundrechtsmäßigkeit überprüft werden müssen 197 . Der Verweis auf den Institutscharakter der Grundrechte, der deren reale Geltung fordere 198 , h i l f t nicht weiter, w e i l die institutionelle Grundrechtstheorie selbst Zweifeln ausgesetzt ist und daher Freiheitsbeeinträchtigungen nicht ohne weiteres zu rechtfertigen vermag. Deshalb muß auch hier wieder der Verfassungstext daraufhin analysiert werden, welche Intentionen des parlamentarischen Gesetzgebers Grundrechtsbeschränkungen i n welchem Ausmaß rechtfertigen. Insoweit gibt das ausdifferenzierte Vorbehaltssystem eine klare Antwort. Die grundrechtlichen Vorbehalte binden die staatlichen Organe bei EingrifFriedrich Müller: Freiheit der Kunst, S. 25; ders.: Positivität, S. 62 u n d Helmut Willke: Grundrechtstheorie, S. 113, der i n diesem Zusammenhang v o n einer „zynischen" Äußerung Peter Häberles spricht. 194 Diese Erkenntnis ist aber durchaus nicht neu, sondern w a r u n d ist auch den Repräsentanten des „Eingriffsdenkens" bekannt; ausführlich dazu Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 140; vgl. auch Wolf gang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 45; Niklas Luhmann: Grundrechte als Institution, S. 42. 195 Z u beachten ist aber, daß das Grundgesetz nicht einen bestimmten Sachverhalt garantiert, sondern n u r dessen Schutz. L o h n t sich z. B. der Bestand des Sachverhalts Presse wegen der Fortentwicklung anderer K o m m u n i k a tionsarten nicht mehr, ist der Staat keinesfalls z u m Tätigwerden verpflichtet; zutreffend Peter Lerche: Übermaß, S. 241 Fn. 238. Die Gegenmeinung f ü h r t i n ihrer Konsequenz zu einer Privilegierung bestimmter Erscheinungsformen der Grundrechtsgewährleistung — vgl. Ernst-Wolf gang Böckenförde, NJW 1974, 1529 ff. (1533); Klaus Kröger: Grundrechtstheorie, S. 26; Fritz Ossenbühl, N J W 1976, 2100 ff. (2104); Heinhard Steiger: Institutionalisierung der Freiheit, S. 113; Rupert Scholz: Koalitionsfreiheit, S. 237 f. Vor einer den Freiheitsgebrauch einseitig kanalisierenden u n d privilegierenden Verrechtlichung der Grundrechtsausübung w a r n t auch Herbert Bethge: Grundrechtskollisionen, S. 337. 196 Zutreffend Hans H. Klein: Grundrechte i m demokratischen Staat, S. 63; Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 139. 197 Allgemeine Grundrechtslehren, S. 180 f. 198 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 117. 6*
C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
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fen i n die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre an teilweise eng umgrenzte Voraussetzungen oder legen sie auf die Verfolgung bestimmter Zwecke fest (Art. 6 Abs. 2, 9 Abs. 2, 11 Abs. 2, 13 Abs. 2 und 3, 14 Abs. 3, 17 a GG) 1 9 9 . Die den Grundrechtseingriff nur i n begrenztem Umfang erlaubenden Gesetzesvorbehalte werden durch die institutionelle Grundrechtstheorie um einen alle Freiheitsverbürgungen treffenden Vorbehalt der „Grundrechtseffektuierung" erweitert 2 0 0 . Danach muß der Betroffene die Freiheitsbeeinträchtigungen dulden, durch die die Aktualisierung der Freiheit für andere Grundrechtsberechtigte erst ermöglicht werden soll. Da sich aber kaum eine Regelung denken läßt, die nicht i n irgendeiner Weise jemanden begünstigt, oder zumindest dessen allgemeine Handlungsfreiheit vergrößert (auch die Verfolgung von Gemeinwohlinteressen ist ambivalent, sie beschränkt nicht nur, sondern dient auch den Individualinteressen), w i r d der i n den grundrechtlichen Eingriffsermächtigungen zum Ausdruck gekommene Wille des pouvoir constituant, das gesetzgeberische Handeln i m Grundrechtsbereich durch Aufstellen besonderer Eingriffsvoraussetzungen zu binden, umgangen. Damit w i r d aber nicht nur das abgestufte System der Eingriffsvorbehalte eingeebnet, sondern der Grundrechtsschutz selbst relativiert 2 0 1 . M i t der Rechtsklarheit und Rechtsbestimmtheit sichernden Funktion der Vorbehalte geht auch die Gewißheit der Bürger darüber verloren, i n welchen Fällen i h r privates Belieben verfassungsrechtlich garantierten Vorrang vor den Gemeinwohlbelangen verdient 2 0 2 . Die von den Grundrechten samt den Vorbehalten bewirkte Stabilität des BürgerStaat-Verhältnisses w i r d aufgegeben zugunsten einer Grundrechtsordnung i m Rahmen wechselnder schwankenden Bedürfnissen angepaßter Gesetze 203 . Auch die die soziale Realität einbeziehende institutionelle Grundrechtstheorie ist aus den genannten Gründen abzulehnen. c) Institution
als Wertsystem
Eine weitere Möglichkeit, Institutionen zu begreifen, ist ihr Verständnis als Inbegriff der i n der staatlichen Gemeinschaft herrschenden und von der Majorität der i h r zugehörigen Personen zum verbindlichen Maßstab erhobenen Wertvorstellungen 204 . 199 Vgl. oben S. 32 ff. Daß das System der abgestuften u n d ausdifferenzierten Vorbehalte gegen die institutionelle Auffassung spricht, betonen auch Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, S. 234 u n d Hans-Lothar Graf: Grenzen der Freiheitsrechte, S. 54. 200 Y g i auch Hans-Wolfgang Arndt / Henning von Olshausen, JuS 1975, 485 ff. (485); Walter Schmidt, AöR 91 (1966), 42 ff. (58 ff., insbes. S. 64). 201
Hans-Wolfgang Arndt / Henning von Olshausen, JuS 1975, 485 ff. (485). Z u r diesbezüglichen F u n k t i o n der Vorbehalte s. a. Kap. B. I I I . 203 V g L Walter Schmidt, A ö R 91 (1966), 42 ff. (64). 202
III. Institutionelle Grundrechtstheorie
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Soweit die institutionelle Grundrechtstheorie diesen „metaphysischen" Aspekt 1 0 5 hervorhebt, gliedert sie die individuellen Abwehrrechte i n von verschiedenen Werten determinierte und durchwirkte „objektive" Ordnungen ein, ohne daß Einigkeit darüber besteht, ob die subjektive Freiheit ausschließlich durch die i n der Verfassung positivierten 2 0 6 oder auch durch Werte außerverfassungsgesetzlicher und damit naturrechtlicher Provenienz überwölbt ist 2 0 7 . Letztere Annahme sieht sich vor die Schwierigkeit gestellt, die Grundrechtsbegrenzung durch außernormative Sollensanordnungen zu legitimieren. I m Verfassungsstaat des Grundgesetzes sind die die Grundordnung ausmachenden Rechtssätze ranghöchste Normen. Die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit kann folglich nur i n einem von der Verfassung selbst zugelassenen Ausmaß eingeschränkt werden 2 0 8 . Muß alle Staatsgewalt vom Grundgesetz konstituiert werden 2 0 9 , bedarf auch die Durchsetzung (ursprünglich) naturrechtlicher Ordnungsvorstellungen gegen verfassungskräftig garantierte Freiheitsrechte grundgesetzlicher Legitimation, die i n den grundrechtlichen Instituten als rechtswissenschaftlichen Konstrukten nicht gefunden werden kann 2 1 0 . 204 Nach Rupert Scholz: Koalitionsfreiheit, S. 233, hat das institutionelle Wertedenken i m modernen institutionellen Verfassungsverständnis die f ü h rende Rolle übernommen. 205 So bezeichnet v o n Bernd Rüthers: Institutionelles Rechtsdenken, S. 35 ff. 206 Das Bundesverfassungsgericht stellt einen Zusammenhang zwischen verfassungsrechtlicher Wertordnung u n d Freiheitsrechten her i n BVerfGE 6, 389 ff. (433); 7, 198 ff. (205); 9, 338 ff. (343); 10, 89 ff. (102); 11, 150 ff. (162); 15, 235 ff (239); 21, 362 ff. (372); 22, 114 ff. (120); 25, 371 ff. (407); 28, 243 ff. (264); 30, I f f . (33 ff.); 173 ff. (193); 37, 217 ff. (240); 39, I f f . (41 f., 47); 49, 24 ff. (56); vgl. auch B V e r w G E 49, 202 ff. (208), Β G H Z 26, 349 ff. (356); Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, passim; Eike von Hippel: Grenzen u n d Wesensgehalt, S. 39; Alexander Hollerbach, AöR 85 (1960), 241 ff. (253); Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 114 f.; Theodor Maunz: Die gegenwärtige Gestalt des G r u n d gesetzes, BayVBl. 1979, 513 ff.; grds. zustimmend offenbar auch Hans Vorländer: Identität des Grundgesetzes nach 30 Jahren?, JuS 1979, 313 ff. (320). 207 Vgl. Ernst Rudolf Huber: Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Bd., 2. Aufl., Tübingen 1954, S. 215 f.; Hans-Ullrich Gallwas: Mißbrauch v o n Grundrechten, S. 35. 208 Konrad Hesse: Grundzüge, § 10 I I , S. 131; Friedrich E. Schnapp, JuS 1978, 729 ff. (729 f.). 209 Hans Peter Bull: Staatsaufgaben, S. 116 f., 133 f.; Ernst-Wolfgang Bökkenförde: Organisationsgewalt, S. 55 f.; Hans-Uwe Erichsen: Staatsrecht I, S. 110; Konrad Hesse: Grundzüge, § 1 I I I , S. 11 ff.; Arnold Köttgen: Organisationsgewalt — Schlußwort, V V D S t R L 16 (1958), 267 ff. (269); Walter Mallmann: Schranken nichthoheitlicher Verwaltung, V V D S t R L 19 (1961), 165 ff. (196 ff,); Wolf gang Martens: ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, Bad Homburg, B e r lin, Zürich 1969, S. 98; Fritz Ossenbühl: Verwaltungsvorschriften, S. 253; Walter Rudolf: Verwaltungsorganisation, i n : Erichsen / Martens (Hrsg.), A l l gemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., B e r l i n u n d N e w Y o r k 1978, § 56 I, S 473; Friedrich E. Schnapp: Bochumer Kommentar, § 31 Rdn. 2; zustimmend n u r f ü r die freiheitsverkürzende hoheitliche Gewalt Albert Bleckmann: Der V e r fassungsvorbehalt, JR 1978, 221 ff.
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
Denkbar ist allenfalls ein Rückgriff auf das i n A r t . 2 Abs. 1 2. Hs. GG als Grundrechtsschranke statuierte Sittengesetz, was insofern naheliegt, als der Begriff des Sittengesetzes nach h. M. die Summe derjenigen außerpositiven Normen repräsentiert, die die Allgemeinheit als richtig anerkennt und für ein Zusammenleben sittlicher Wesen als verbindlich betrachtet 211 . Selbst wenn man aber der These zustimmt, daß A r t . 2 Abs. 1 2. Hs. GG den Normen der Sitte und Moral rechtliche Relevanz verleiht, heißt das immer noch nicht, daß sie als Schrankenregelungen aller Freiheitsrechte angesehen werden können. Dazu bedarf es einer Generalisierung der Schrankentrias des „Hauptfreiheitsrechts", deren Zulässigkeit deshalb zweifelhaft ist, weil das Bundesverfassungsgericht 2 1 2 und m i t ihm ein Großteil der Literatur 2 1 8 i n A r t . 2 Abs. 1 GG die lex generalis zu A r t . 2 Abs. 2, 4 ff. GG sehen und die Übertragung der Schranke „Sittengesetz" auf die übrigen Freiheitsverbürgungen danach dem Grundsatz „leges speciales derogant legi generali" zuwiderläuft. Doch soll der Frage nach dem Anwendungsbereich der Schrankentrias hier nicht weiter nachgegangen werden. A u f sie w i r d an späterer Stelle zurückzukommen sein 214 . Vorerst genügt die Feststellung, daß die Möglichkeit einer Grundrechtslimitierung durch naturrechtliche Normen aus dem Begriff der „Institution" jedenfalls nicht gefolgert werden kann. Beide Alternativen der a u f w e r t e rekurrierenden institutionellen Theorie sind m i t ein und derselben Problematik konfrontiert, deren Bewältigung Bedingung der Zulässigkeit der Limitierung der Grundrechte durch ihre Einordnung i n „metaphysisch" bestimmte objektive Ordnungen ist. Rechtsstaatliche Klarheit des Rechtsfindungsvorganges fordert erkenntnisgewisse, also die von allen am Rechtsleben Beteiligten rational kontrollierbare Feststellbarkeit der zur Grundrechtsbegrenzung geeigneten Werte 2 1 5 . Dahinter stehen genau besehen zwei Postulate: Einmal muß die Wertfindung intersubjektiv transmissibel, zum anderen muß die Wertung, also die Bestimmung des Rangverhältnisses zwischen Wert und Freiheit, objektivierbar sein. 210 Vgl. Helmut Willke: Grundrechtstheorie, S. 123. Daß Moralnormen n u r durch eine transformierende Rechtsnorm i n das Rechtssvstem überführt w e r den können, betont Norbert Achterberg: Rechtsverhältnisse als S t r u k t u r elemente der Rechtsordnung, Rechtstheorie 9 (1978), 385 ff. (396). 211 Statt vieler: B V e r f G E 6, 389 ff. (434 f.) u n d Hildegard Niemöhlmann, in: von Münch (Hrsg.), Grundrechtskommentar, Bd. 1, F r a n k f u r t a. M. 1974, A r t . 2 GG Rdn. 34. 212 BVerfGE 4, 52 ff. (57); 28, 243 ff. (264); 45, 354 ff. (359); 47, 327 ff. (368 f.). 213 Statt vieler Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 2 Abs. 1 GG Rdn. 6 ff. Weitere Nachweise unten Kap. D. A n m . 6. 214 s. u. Kap. D. I I . 215 Vgl. Helmut Willke: Grundrechtstheorie, S. 116f.; s.a. Wolf-Rüdiger Schenke, N J W 1979, 1321 ff. (1327).
III. Institutionelle Grundrechtstheorie
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Bereits an der erstgenannten Forderung scheitert die Einbeziehung außerverfassungsgesetzlicher Werte i n die Grundrechtsdiskussion m i t tels Institutionalisierung der Freiheit. Werte, für deren verfassungsrechtlich erhebliche Existenz jeder normative Anhalt fehlt, die nur durch subjektive, auf individuelle Erfahrung gegründete A k t e ermittelt werden können 216 , sind mangels feststehender Richtigkeitskriterien der Werterfahrung nicht verifizierbar 217 . W i l l man daher die Grundrechtsbegrenzung nicht der Beliebigkeit der Verfassungsinterpreten überlassen, muß die Annahme grundrechtslimitierender nicht positivierter naturrechtlicher Normen abgelehnt werden 2 1 8 . Soweit die institutionelle Grundrechtslehre auf das verfassungsrechtliche Wertsystem, also die „materiale Allgemeinheit" der Werte i m Sinne Rudolf Smends rekurriert 2 1 9 , ist die Feststellung der Werte unproblematisch — sie ergeben sich eben aus den Normen der Verfassung —, bereitet aber die Bestimmung der Wertrangordnung Schwierigkeiten 220 . Soll sie nicht verfassungsheteronom festgelegt 221 und die Flucht i n den nicht verallgemeinerungsfähigen Bereich subjektiver Wertschätzung vermieden werden, muß die Frage der Vorzugsrelation 222 , die Frage also, welches Verfassungsrechtsgut welchem anderen vorrangig ist und i h m dementsprechend Schranken setzt, aus dem Grundgesetz selbst beantwortet werden. Ein dazu geeignetes, i n der Verfassung fundiertes Wertsystem ist indes bislang noch nicht m i t Erfolg konstruiert worden 223 . Zwar hat gerade das Bundesverfassungsgericht häufig auf die 216 Z u r Problematik der Werterfahrung Adalbert Podlech: Wertungen u n d Werte i m Recht, AöR 95 (1970), 185 ff. (202 ff.) m. w . N.; vgl. auch Ernst-Wolf gang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1534): „Die Bestimmung des G r u n d rechtsinhalts w i r d eine Frage der S i n n e r m i t t l u n g des darin ausgedrückten Wertes, was n u r geisteswissenschaftlich i n t u i t i v erreichbar erscheint." 217 Heinhard Steiger: Institutionalisierung der Freiheit, S. 110. Sie sind auch w o h l k a u m falsifizierbar, vgl. Arnold Brecht: Politische Theorie, Tübingen 1961, S. 59, 157; Karl R. Popper: L o g i k der Forschung, 5. Aufl., Tübingen 1973, S. 47 ff., 198 ff. 218 Vgl. auch Hans-Lothar Graf: Grenzen der Freiheitsrechte, S. 110. 219 V V D S t R L 4 (1928), 44 ff. (52). 220 V g l Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1534); Wolf gang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 39 f. 221
Kritisch dazu auch Helmut Goerlich: Wertordnung u n d Grundgesetz, Baden-Baden 1973, S. 141 f. 222 Adalbert Podlech, AöR 95 (1970), 185 ff. (196). 223 Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 25; Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1534); ders.: Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, i n ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, F r a n k f u r t a. M . 1976, S. 253 ff. (269); Helmut Goerlich: Wertordnung, S. 137 f.; Wolfgang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 40 f.; Peter Lerche, AöR 90 (1965), 341 ff. (349); Friedrich Müller: Positivität, S. 61 f.
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
verfassungsrechtliche Wertordnung zurückgegriffen 224 , die immer zugleich Wertrangordnung sei 225 , doch lassen die einschlägigen Entscheidungen eine tragfähige verfassungsorientierte Argumentation vermissen 226 . Angenommene Rangverhältnisse werden nicht begründet. Die Wertordnung bekommt auf diese Weise eine auch grundrechtslimitierende Funktion — wie i m Kriegsdienstverweigerungsbeschluß — 2 2 7 , ohne daß der hier untersuchte Begriff selbst kritischer Reflexion unterworfen wird. Damit erweist sich der Rückgriff auf die Wertordnung als Gebrauch eines Kryptoarguments 2 2 8 . Die wahren Entscheidungsgründe werden verdeckt, der Mangel verfassungstextbezogener Topoi w i r d kaschiert. Der Begriff des „Wertsystems" entpuppt sich als Blankettbegriff, dessen Verwendung nur der Wahrung des Scheins der Subsumtion dient 2 2 9 , indem von einem Obersatz ausgegangen wird, dessen Verwendung i n der konkreten Entscheidung jede conclusio rechtfertigt. Welche Folgen das haben kann, w i r d deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß angesichts der inhaltlichen Unbestimmtheit der Staatsstrukturbestimmungen und des Umfangs des i n den Kompetenzvorschriften festgelegten Aufgabenkatalogs nahezu jedes Rechtsgut zum Verfassungsrechtswert hochstilisiert und als (eventuell noch zu konkretisierende) Grundrechtsschranke ins Feld geführt werden kann 2 8 0 . Damit w i r d fast jeder Grundrechtseingriff verfassungsrechtlich unbedenklich, soweit nur die Höherrangigkeit des durch die Grundrechtsbeschränkung geschützten Rechtswertes behauptet wird. 224
s. o. A n m . 206. BVerfGE 7, 198 ff. (215). 226 Dazu m i t vielen Beispielen u n d eingehender Begründung Helmut Goerlich: Wertordnung, S. 99 ff., 140 ff. Darauf k a n n hier verwiesen werden. 227 BVerfGE 28, 243 ff. (261). 228 Erhard Denninger, J Z 1975, 545 ff. (546); Helmut Goerlich: Wertordnung, S. 140; kritisch auch Ernst Forsthoff: U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, S. 55; Hans Heinrich Rupp: Z u m „Mephisto-Beschluß" des Bundesverfassungsgerichts, DVB1. 1972, 66 f. (67); Fritz Ossenbühl, N J W 1976, 2100 ff. (2106 f.); Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 295 f.; Heinhard Steiger: Institutionalisierung der Freiheit, S. 110; zutreffend auch Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, S. 217: „ D a Werte selbst eine Begründung nicht leisten können, ist die Berufung auf sie selbst der Begründung bedürftig." Z u m Begriff des Kryptoarguments Wilhelm Scheuerle: Das Wesen des Wesens, AcP 163 (1964), 429 ff. (430). 229 Helmut Goerlich: Wertordnung, S. 54 A n m . 156, 63, 88; vgl. auch ErnstWolf gang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1534). 230 Otto Ernst Kempen, J Z 1971, 452 ff. (453); Walter Schmidt, AöR 91 (1966), 42 ff. (64); s. a. Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 249; Helmut Goerlich: Wertordnung, S. 99; Peter Lerche: Schranken der K u n s t f r e i heit, B a y V B l . 1974, 177 ff. (180); Rudolf Wendt, AöR 104 (1979), 414 ff. (434 f.). Z u der grundrechtslimitierenden F u n k t i o n der Staatsstrukturbestimmungen vgl. Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 35, 121, 178, 189 f.; u n d unten S. 91 ff., 96 ff. Z u den Kompetenznormen als Grundrechtsschranken Christian von Pestalozza: Der Staat 11 (1972), 161 ff. u n d unten Kap. D. I I I . 225
III. Institutionelle Grundrechtstheorie
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Von den grundrechtlichen Vorbehalten als verfassungsrechtlichen A n ordnungen, „wie typischerweise wiederkehrende Wertkonflikte i n typischen Bahnen aufgehoben und aufgelöst werden sollen" 231 , bleibt dergestalt nicht mehr viel übrig; die auf gegenseitige Hemmung und Balancierung der staatlichen Gewalten gerichtete verfassungsrechtliche Funktionenordnung w i r d zugunsten einer deutlichen Vorrangstellung der Judikative außer Kraft gesetzt. Denn wenn jede gesetzgeberische, auf Harmonisierung konfligierender Verfassungsrechtsgüter ausgerichtete Maßnahme vom Bundesverfassungsgericht auf ihre Ubereinstimmung m i t der Wertordnung der Verfassung überprüft werden kann, liegt die Entscheidung über Gültigkeit oder Ungültigkeit des Gesetzes i n der W i l l kür der Verfassungsinterpreten 232 . Entzieht sich nämlich der Maßstab für die Zulässigkeit legislatorischer Akte rationaler Kontrolle, ist auch das Urteil selbst nicht intersubjektiv nachprüfbar. Das Bundesverfassungsgericht w i r d so zum Herrn der Verfassung 233 . Die Gesetzgebungsorgane werden paralysiert, ihres eigenverantwortlichen politischen Gestaltungsauftrages beraubt. Wenn aber auch die Einbindung individueller Freiheit i n die durch die Totalität des verfassungsrechtlichen Wertsystems 234 gebildeten Institutionen aus den angeführten Gründen m i t den materiellen und kompetenziellen Anforderungen des grundgesetzlichen Vorbehaltssystems unvereinbar ist 2 3 5 , kann noch keine endgültige Aussage darüber getroffen werden, ob nicht einzelne Verfassungsrechtsgüter die Freiheitsrechte außerhalb der grundrechtlichen Vorbehalte zu „beschränken" vermögen. Deshalb werden i m weiteren Verlauf dieser Arbeit u. a. die Staatsstrukturbestimmungen wie das Demokratie- und Sozialstaatsprinzip sowie die Zuständigkeitsvorschriften auf ihre grundrechtsbegrenzende Wirksamkeit geprüft 2 3 6 . 231
Peter Lerche, DöV 1965, 212 ff. (213). So auch Wolf-Rüdiger Schenke, N J W 1979, 1321 ff. (1327). Vgl. auch Peter Häberle, V V D S t R L 30 (1972), 43 ff. (69), der betont, daß „Grundrechts"Wandlungen" vor allem solche ihrer Dogmatik seien, w e i l die Texte meist dieselben blieben. Damit dürfte aber dem Normativitätsanspruch der Verfassung nicht genügt sein. 233 Vgl. Ernst Forsthoff: U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, S. 38; vorsicht i g Friedrich Karl Fromme: Zurückhaltung m i t Widerhaken, F A Z v o m 15. März 1979, S. 10, demzufolge die Berufung auf die „Wertordnung" subjektiv bedingter Auslegung zuviel Auslauf gibt. 234 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 6; vgl. auch Walter Krebs: V o r behalt des Gesetzes, S. 50. 235 M i t dieser Feststellung ist nicht automatisch auch das Auslegungsprinzip der Einheit der Verfassung verworfen — dazu Horst Ehmke, V V D S t R L 20 (1963), 53 ff. (60); Ernst Friesenhahn: Wandel des Grundrechtsverständnisses, S. 4; Fritz Ossenbühl, DöV 1965, 649 ff. (654 f.); Christian von Pestalozza, Der Staat 2 (1963), 425 ff. (428 f.) — da es j a auch auf die grundrechtlichen V o r behalte verweist. 236 Dazu unten Kap. C. IV. u n d V.; D. I I I . 232
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
Der Geltung der Vorbehalte wegen reicht es aber nicht aus, auf die i n den organisatorischen Verfassungsnormen aufgeführten „Werte" hinzuweisen und diese schon auf Grund ihrer verfassungsrechtlichen Verankerung i n den Prozeß der Grundrechtskonkretisierung einzuführen. Das den grundrechtlichen Vorbehalten zu entnehmende Interpretationsverbot, demzufolge der Gewährleistungsbereich der Freiheitsverbürgungen nicht i n einer der W i r k k r a f t der Eingriffsermächtigungen abträglichen Weise festgelegt werden darf 2 3 7 , kann — wenn überhaupt — allenfalls i n Ausnahmefällen außer K r a f t gesetzt oder eingeschränkt werden, wobei vor allem dem historischen Willen des Verfassungsgebers Rechnung zu tragen ist. Die den Wertaspekt betonende institutionelle Grundrechtstheorie vermag aber nicht einmal einen Anhaltspunkt dafür zu geben, welche Verfassungsnormen m i t welchem Inhalt i n den Vorgang der Grundrechtsauslegung einbezogen werden dürfen. Auch insofern verweist sie nicht auf den Sachgehalt der Verfassung, sondern auf deren Interpreten. Zur Auslegung einer rigiden Verfassung ist sie m i t h i n unbrauchbar. d) Institution
als komplexe
Einrichtung
Nachdem die verschiedenen Seinsweisen der Institution auf ihre Eignung zur Bestimmung der Grenzen subjektiver Freiheit untersucht worden sind, soll die Form institutioneller Grundrechtsdeutung abgehandelt werden, die normative, faktische und metaphysische Aspekte i n ihre Argumentation aufnimmt 2 8 8 und den aus den differierenden Elementen konstruierten objektiven Lebensverhältnissen die personale Seite der Grundrechte einordnet. Groß angelegter Erörterungen bedarf es freilich nicht mehr. Das komplexe institutionelle Gefüge kann nicht besser sein als seine Teile. Wenn weder veränderliche reale Gegebenheiten noch wandelbare Rechtssatzinbegriffe, noch subjektiv erfahrene Wertordnungen den Vorgang der Grundrechtskonkretisierung zulässigerweise determinieren, dann auch die alle diese Momente umschließenden Institutionen nicht, die i n ihrer konkreten Gestalt allenfalls verschwommen sichtbar werden. Ist das Aufstellen einer Rangordnung unter den verfassungsrechtlichen Werten nicht verifizierbar 239 , weil Werte nur i n individuellen Akten zugänglich sind, und können die Bestandteile der normativen und faktischen Wirklichkeit kaum erfaßt und systematisiert werden, 237
Vgl. oben Kap. C. I. 2. c). So v o r allem Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, passim; siehe aber auch Christoph Sasse, AöR 85 (1960), 423 ff. (446 ff.). 239 s. o. Kap. C. I I I . 2. c). 238
IV. Die demokratisch-funktionale Grundrechtstheorie
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weil menschliche Erkenntnis nur Aspekte des Gegebenen zu erschöpfen imstande ist 2 4 0 , ist es vollends unmöglich, eine Vorzugsrelation zwischen Normen, Tatsachen und Werten aufzustellen, die bei Divergenz der unterschiedlichen institutionellen Seinsweisen die für die Grundrechtsauslegung maßgebenden Daten anzugeben vermöchte. M i t Recht hat Herbert Bethge daher konstatiert, daß die institutionelle Seite der Grundrechte „nicht nur an den Unstimmigkeiten, Unsicherheiten und Unebenheiten der allgemeinen Grundrechtsdiskussion partizipiert, sondern ihrerseits Unklarheiten produziert und potenziert" 2 4 1 . I m Ergebnis w i r d die Bestimmung von Inhalt und Grenzen subjektiver Freiheit interpretatorischem Belieben überantwortet. Maßstäbliche Auslegungsregeln zur Gewährleistung der Verfassungsbindung des I n terpreten werden nicht gegeben. Die Verbindlichkeit der Freiheitsrechte einschließlich ihrer Vorbehalte geht verloren. Damit entfällt die wichtigste Begrenzung verfassungsgerichtlicher Macht, nämlich das Erfordernis der Transparenz und der rational nachvollziehbaren Begründung des Judikats 2 4 2 . Der i n den Vorbehalten dem Gesetzgeber zugestandene Entscheidungsspielraum w i r d zugunsten umfassender Kontrolle des Verfassungsgerichts zurückgedrängt. Das institutionelle Grundrechtsverständnis ist m i t dem System positivierter Eingriffsermächtigungen nicht zu vereinbaren.
IV. Die demokratisch-funktionale Grundrechtstheorie 1. Stand der Diskussion Die Grundrechte sind nicht nur Abwehrrechte gegen den Staat, sondern führen den Bürger auch zur Gemeinschaft hin 2 4 3 . Sie sind konstituierende Faktoren der demokratischen Willensbildung „von unten nach oben" 244 . Sie ermöglichen und garantieren den sich ständig vollziehenden Prozeß staatlicher Einheitsbildung 2 4 5 . Die Teilhabe der Gesellschaft an der staatlichen Herrschaft ist ohne Meinungs-, Presse-, Versammlungsund Vereinigungsfreiheit nicht zu bewerkstelligen. Die Erkenntnis, daß 240
Dietrich Jesch: Gesetz u n d Verwaltung, S. 41 Fn. 18; vgl. auch Friedrich E. Schnapp: Rechtstheorie 9 (1978), 275 ff. (280). 241 Grundrechtskollisionen, S. 333. 242 Vgl. Wolf-Rüdiger Schenke, N J W 1979, 1321 ff. (1327); s. a. Helmut Goerlich: Wertordnung, S. 25 ff., 31, 64, der von einem Verfassungsgebot der Transparenz an einen autorisierten u n d damit authentischen Interpreten spricht. 243 Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 18. 244 Vgl. Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 159; Hans H. Klein: Grundrechte i m demokratischen Staat, S. 9 A n m . 7, 24, 44. 245 Friedrich Stüber: Innere Pressefreiheit, S. 114.
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
die Grundrechte funktionelle Grundlage der Demokratie sind 246 , liegt der demokratisch-funktionalen Grundrechtstheorie zugrunde 247 . Sie begnügt sich aber nicht damit, den i m öffentlichen Bereich wirksamen Freiheitsgebrauch als eine — wenn auch eminent wichtige — Alternative der Freiheitsausübung unter anderen herauszustellen, sondern privilegiert die i m Prozeß der Staatshervorbringung wirksamen A k t i v i täten oder schließt politisch indifferentes T u n sogar völlig vom Grundrechtsschutz aus. Die Freiheit des Bürgers, sich den Fährnissen des politischen Lebens zu entziehen und sich ausschließlich auf die Privatsphäre zu konzentrieren, w i r d dagegen vernachlässigt oder gänzlich negiert 2 4 8 . Über die genauen Auswirkungen einer Einbeziehung des Demokratieprinzips i n den Prozeß der Grundrechtsinterpretation sagt die Etikettierung eines Grundrechtsverständnisses als demokratischfunktional allerdings noch wenig aus. Insoweit bestehen durchaus unterschiedliche Auffassungen. Eine bloße Privilegierung des demokratiebezogenen Grundrechtsgebrauchs findet sich etwa i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 249 , besonders deutlich i m Lüth-Urteil 2 5 0 , i n dem zu der Frage Stellung zu nehmen war, ob die Anerkennung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften als „allgemeine" Gesetze i. S. d. A r t . 5 Abs. 2 GG die Meinungsfreiheit zu sehr einschränkt 251 . Dazu heißt es: „Diese Gefahr besteht i n der Tat. U m i h r zu begegnen, ist es aber nicht erforderlich, das bürgerliche Recht aus der Reihe der allgemeinen Gesetze auszuscheiden. Es muß auch hier der freiheitliche Gehalt des Grundrechts entschieden festgehalten werden. E r w i r d v o r allem dort i n die Waagschale fallen müssen, w o v o n dem Grundrecht nicht zum Zwecke privater Auseinandersetzungen Gebrauch gemacht w i r d , der Redende vielmehr i n erster L i n i e zur B i l d u n g der öffentlichen Meinung beitragen w i l l , so daß die etwaige W i r k u n g seiner Äußerung auf den privaten Rechtskreis eines anderen zwar eine unvermeidliche Folge, aber nicht das eigentliche Ziel der Äußerung darstellt. Gerade hier w i r d das Verhältnis v o n Zweck u n d M i t t e l bedeutsam. Der Schutz des privaten Rechtsguts k a n n u n d muß u m so mehr zurücktreten, je mehr es sich nicht u m eine u n m i t t e l b a r gegen dieses Rechtsgut gerichtete Äußerung, namentlich i m wirtschaftlichen Verkehr u n d i n Verfolgung eigen246
Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 17 ff. I m Ergebnis vertreten v o n BVerfGE 7, 198 ff. (211 f.); 12, 113 ff. (127); 20, 162 ff. (176 ff., 212); 24, 278 ff. (282 f.); B V e r f G N J W 1976, 1680 ff. (1681); B G H Z 45, 296 ff. (307 f.); Uwe Diederichsen / Peter Marburger: Die H a f t u n g f ü r Demonstrationsschäden, N J W 1970, 777 ff. (780 f.); Helmut K . J. Ridder: M e i nungsfreiheit, S. 256 ff.; Franz Schneider: Presse- u n d Meinungsfreiheit nach dem Grundgesetz, München 1962, S. 136 ff.; Friedrich Stuber: Innere Pressefreiheit, S. 113ff.; s.a. Herbert Krüger: Allgemeine Staatslehre, S. 536ff. 248 Kritisch dazu Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 159. 249 BVerfGE 7, 198 ff. (211 f.); 12, 113 ff. (127); 20, 162 ff. (176 ff,); 24, 278 ff. 247
(282 f.). 250 251
BVerfGE 7, 198 ff. I m konkreten F a l l ging es u m § 826 BGB.
IV. Die demokratisch-funktionale Grundrechtstheorie
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nütziger Ziele, sondern u m einen Beitrag i m geistigen Meinungskampf i n einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch einen dazu Legitimierten handelt, hier spricht die V e r m u t u n g f ü r die Zulässigkeit der freien Rede 2 5 2 ."
Welche Konsequenzen eine Bevorzugung des politischen Grundrechtsgebrauchs für die Grundrechtsinterpretation haben kann (nicht muß!), zeigt exemplarisch ein Beitrag von Uwe Diedrichsen und Peter Marburger zur Haftung für Demonstrationsschäden 258 . Danach kann sich ein Presseunternehmer um so weniger auf sein Grundrecht der Pressefreiheit gegenüber gewalttätigen Aktionen berufen, je mehr er den Meinungsmarkt beherrscht und die Ausschreitungen dazu dienen, die Öffentlichkeit auf die Gefährdung der für die demokratische Willensbildung unabdingbaren Informationsmöglichkeiten hinzuweisen 254 . Nicht zu Unrecht ist daher gegenüber der Privilegierung des politisch motivierten Freiheitsgebrauchs der Einwand erhoben worden, sie beschwöre die Gefahr herauf, daß die Freiheitsverbürgungen zu Grundrechten auf „gewaltsame Bekehrung und Erzwingung der Diskussion" umfunktioniert würden und sie deshalb „zur verfassungsrechtlichen Grundlage für Nötigungen, Sachbeschädigungen und Störungen der freien Gewerbeausübung" pervertierten 2 5 5 . Uber die Privilegierung politischer Freiheitsausübung geht eine i m Schrifttum vertretene Auffassung hinaus, die den Schutz der Grundrechte auf die Erfüllung ihrer staatshervorbringenden Funktion beschränkt, die beispielsweise die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) sachgegenständlich nur auf die politischen Meinungskundgebungen bezieht 256 oder den Schutz des A r t . 8 GG nur auf die den öffentlichen Angelegenheiten gewidmeten Versammlungen erstreckt 257 . Folgt man dieser Lehre, sind die Grundrechte keine Kompetenzverteilungsnormen zwischen Grundrechtsträgern und Staat mehr, sondern Kompetenzbegründungsnormen zur freien Teilnahme der Staatsbürger am politischen Prozeß 258 . W i r d die ausschließliche Funktion der verfassungsrechtlich geschützten Freiheit i n der Staatshervorbringung gesehen, kann die Grundrechtsausübung nicht dem Belieben des Rechtsinhabers anheimgestellt werden. Folgerichtig ist es von dieser Spielart demokratisch-funktionaler Auffassung aus kein großer Schritt mehr zur Inpflichtnahme des 252
BVerfGE 7, 198 ff. (211 f.); s. a. B G H Z 45, 296 ff. (308). N J W 1970, 777 ff. 254 Uwe Diederichsen / Peter Marburger, N J W 1970, 777 ff. (781). 255 Fritz Ossenbühl, N J W 1976, 2100 ff. (2103). 256 Die Unterhaltungs- u n d Sensationspresse w i r d dann v o m Grundrechtsschutz ausgenommen, vgl. die i n A n m . 26 angegebene Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r sowie Franz Schneider: Presse- u n d Meinungsfreiheit, S. 136 ff. 257 Rudolf-Werner Füßlein: Vereins- u n d Versammlungsfreiheit, S. 443 f. 258 Friedrich Stüber: Innere Pressefreiheit, S. 115. 253
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
Grundrechtsberechtigten zur Verwirklichung der durch die Grundrechte „aufgegebenen Freiheiten" 2 5 0 . Von den Staatsbürgern w i r d ein positives M i t w i r k e n an der Gestaltung der freiheitlich demokratischen Grundordnung erwartet und verlangt 2 * 0 . I m Spiegel-Beschluß 261 ist auch das Bundesverfassungsgericht von einer Konstruktion der Pressefreiheit als „Amtspflicht", von einer Beförderimg der Grundrechtsausübung zum organschaftlichen Handeln nicht mehr weit entfernt 2 6 2 . „Das Korrelat der Pressefreiheit", heißt es i n dieser Entscheidung, „ist eine verantwortungsbewußt arbeitende Presse. Namentlich steht i m freiheitlichdemokratischen Staat der Pressefreiheit die Mitverantwortung der Presse für die Staatssicherheit gegenüber 268 ." 2. Kritik Daß das Demokratieprinzip auch eine Begrenzungsfunktion für die grundrechtlichen Freiheiten hat, w i r d von den Vorbehalten zum Ausdruck gebracht, die die Grundrechtsausübung an die freiheitliche demokratische Grundordnung (Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2, 18 GG) oder an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 2 Abs. 1, 9 Abs. 2 GG) binden 2 * 4 . Daraus kann aber nicht auf die Verfassungsadäquanz der demokratisch-funktionalen Grundrechtstheorie geschlossen werden. Nach dem Vorbehaltssystem der Freiheitsverbürgungen darf der Gesetzgeber nur unter bestimmten (engeren oder weiteren) Voraussetzungen zur Verwirklichung des Gemeinwohls i n die grundrechtlich geschützte Privatsphäre eindringen 265 , öffentliche Interessen bilden nur dort Grundrechtsschranken, wo sie als solche normiert sind. Konkret: Wenn das Demokratieprinzip als gegen die Individualrechtsgüter durchzusetzendes Gemeinwohlgut nur i n einigen wenigen Vorbehalten genannt oder 259 Daß Freiheit nicht „aufgegeben" sein kann, betonen dagegen Roman Schnur, DVB1. 1965, 489 ff. (490 f.) u n d Rupert Scholz: Koalitionsfreiheit, S. 230. Z u m verfassungsrechtlichen Freiheitsbegriff vgl. Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, insbes. S. 137 ff.; Hans H. Klein: Grundrechte i m demokratischen Staat, S. 53 ff. 260 So von Walter Hamel: Deutsches Staatsrecht, Band 1, Grundbegriffe, B e r l i n 1971, S. 48 ff.; Herbert Krüger: Allgemeine Staatslehre, S. 543; Helmut K . J. Ridder: Meinungsfreiheit, S. 258, Friedrich Stüber: Innere Pressefreiheit, S. 114. 281 BVerfGE 20, 162 ff. 262 Dazu Fritz Ossenbühl, N J W 1976, 2100ff. (2103); s.a. Ulrich Scheuner, V V D S t R L 22 (1965), 1 ff. (75 f.) u n d Walter Schmitt-Glaeser: Die Freiheit der Forschung, WissR 7 (1974), 107 ff., 177 ff. (128). 263 BVerfGE 20, 162 ff. (212). Z u dieser Problematik ausführlich Wolfgang Martens: ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, S. 124 ff. 2β4 Ygi Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 61; Friedrich Stüber: Innere Pressefreiheit, S. 114. 265 z u r F u n k t i o n der grundrechtlichen Vorbehalte, s. o. Kap. B.
IV. Die demokratisch-funktionale Grundrechtstheorie
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vorausgesetzt ist, bildet es eben keine generelle Grundrechtsgrenze. Die Gegenmeinung übersieht die Schranken-Schranken-Funktion der Eingriffsermächtigungen 266 . Aber selbst dort, wo das demokratische Prinzip i n den Vorbehalten auftaucht, spricht nichts für die Verfassungsgemäßheit demokratischfunktionaler Interpretation der betreffenden Gewährleistungen. Denn die Vorbehalte zeigen an, daß die individuellen Freiheiten den normierten Gemeinwohlgütern erst nach legislatorischem Tätigwerden zu weichen haben. Es wäre jedoch widersinnig, der Legislative Eingriffe i n die Privatsphäre zum Schutz der demokratischen Ordnung zu ermöglichen, wenn sich die grundrechtliche Gewährleistung ohnehin nur auf die Freiheitsbetätigung zur Hervorbringung des von der Verfassung geforderten, m i t h i n des freiheitlich demokratischen Staatswesens beziehen würde. Daraus ergibt sich, daß die politische Instrumentalisierung der Freiheitsrechte den Gesetzgeber seiner Aufgabe zur Ausfüllung der grundrechtlichen Vorbehalte beraubt. Seine Kompetenzen werden ersetzt durch die Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur authentischen und letztverbindlichen Entscheidung darüber, wann eine Grundrechtsbetätigung politisch oder unpolitisch ist, die Öffentlichkeit wesentlich tangiert oder i n der Privatsphäre bleibt. Weil dem Begriff des „Politischen" zudem keine unbestrittenen Verwendungsregeln eignen 267 , die Kriterien seines Gebrauchs nicht ein für allemal feststehen und schon gar nicht i n den Grundrechtsnormen vorgegeben sind — die für die Zulässigkeit einer materiell-inhaltlichen Differenzierung der Freiheitsausübung gleich welcher A r t ohnehin nicht den geringsten Anhalt bieten — b e s t e h t die Gefahr des politisch motivierten Dezisionismus 269 . Die Freiheitsrechte werden anfällig und manipulierbar i m Hinblick auf metaphysisch aufgeladene Staatsideen 270 , Rechtsbestimmtheit und Rechtsklarheit bleiben auf der Strecke. Die die Verfassungsrechtsprechung erst legitimierende Bindung an die Verfassung geht verloren 2 7 1 . A n die Stelle positivierter Freiheitsverbürgungen t r i t t die W i l l k ü r der Verfassungsinterpreten. 2 M
s. a. Kap. B. I I I . Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1535); Hans H . Klein: Grundrechte i m demokratischen Staat, S. 46 f.; Klaus Kröger: G r u n d rechtstheorie, S. 27. 268 vgl a u c h Thilo Jeske: Unternehmensschädigungen, S. 257. 267
269 Das betont auch Ernst-Wolf gang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1535); s. a. Ulrich Scheuner, DöV 1971, 505 ff. (509). 270 Dieser E i n w a n d von Wolf-Rüdiger Schenke (NJW 1979, 1321 ff., 1328) gegenüber der institutionellen Grundrechtstheorie trifft auch hier. 271 s. o. Kap. A . A n m . 69.
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
M i t den grundrechtlichen Vorbehalten als i m Prozeß der Grundrechtskonkretisierung maßgebenden Interpretationsregeln läßt sich nach alldem ein demokratisch-funktionales Grundrechtsverständnis — i n welcher Ausprägung auch immer — nicht vereinbaren.
V. Sozialstaatliche Grundrechtstheorie Das sozialstaatliche Grundrechtsverständnis trägt dem Gesetzgeber die Sorge dafür auf, daß die Grundrechtsträger i n ihrer gesellschaftlichen Umwelt die tatsächlichen Voraussetzungen für die Freiheitsausübung finden, sucht somit zu verhindern, „daß die rechtliche Freiheit aller zur tatsächlichen Freiheit weniger verkümmert" 2 7 2 . Die Beschränkung der Grundrechte einzelner zur Effektuierung der Freiheit aller Grundrechtsberechtigten bedürfe der spezifizierten Vorbehalte nicht 2 7 8 . Die Sozialstaatsklausel ermächtige den Gesetzgeber zur umfassenden Ordnung der sozialen Realität, solange er die Sicherung der Normalität der Grundrechtsaktualisierung anstrebe 274 . Die sozialstaatliche Grundrechtstheorie knüpft damit an die den faktischen Aspekt der objektiven Lebens Verhältnisse berücksichtigende institutionelle Grundrechtsauffassung an 2 7 5 . Sie ist daher den gleichen Einwänden ausgesetzt wie diese, wenn sie das System abgestufter Vorbehalte, das die Rationalität der Austarierung von Individual- und Gemeinwohlinteressen verbürgt, i m Nebel des Postulats der „sozialen Gerechtigkeit" verschwinden läßt 2 7 6 , zumal das sozialstaatliche Prinzip nahezu jedem politischen Programm verfassungsrechtliche Legitimation verleihen kann 2 7 7 , m i t anderen Worten eine „Gemeinwohlklausel par 272
So Josef Isensee, N J W 1977, 545 ff. (547). Grundsätzlich zur sozialstaatlichen Grundrechtstheorie Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1535 f.); Karl Heinrich Friauf, DVB1. 1971, 674 ff. (675 ff.); Peter Häberle, V V D S t R L 30 (1972), 43 ff. (69 ff.); Hans H. Klein: Grundrechte i m demokratischen Staat, S. 59 ff.; Hans Heinrich Rupp, AöR 101 (1976), 161 ff. (176 ff.); s. a. Werner Schreiber: Das Sozialstaatsprinzip i n der Praxis der Rechtsprechung, B e r l i n 1972, S. 95 ff. 278 Vgl. Hans Ullrich Gallwas: Mißbrauch v o n Grundrechten, S. 48; Ingo von Pollern, B a y V B l . 1979, 200 ff. (204); Klaus Stern: Staatsrecht, § 21 I V 4 b, c, S. 722; Friedrich Stüber: Innere Pressefreiheit, S. 105 f. 274 Vgl. Karl Heinrich Friauf, DVB1. 1971, 674 ff. (676 f.); kritisch dazu HansWolf gang Arndt ! Henning von Olshausen, JuS 1975, 485 ff. (489); Roman Herzog: Z u r Auslegung des Sozialstaatsprinzips, B a y V B l . 1976, 161 ff. (165). 275 Dazu oben S. 81 ff. 276 Zutreffend auch Josef Isensee: Beamtenstreik, S. 131; „Aus der Sozialstaatsklausel läßt sich auch hier k e i n festes Programm zur Bewältigung gesellschaftlicher K o n f l i k t e deduzieren. Sie enthält den A u f t r a g zur sozialen Gerechtigkeit, aber nicht die Lösung, noch nicht einmal den Lösungsweg." 277 Vgl. Klaus Stern: Staatsrecht, § 21 I I 4, S. 709; Werner Weber: Die v e r fassungsrechtlichen Grenzen sozialstaatlicher Forderungen. Der Staat, 4
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s t t i e Grundrechtstheorie
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excellence" ist 2 7 8 . Immerhin hat das sozialstaatliche Freiheitsverständnis gegenüber institutionellen und Gemeinwohlvorstellungen den Vorteil, i n der verfassungsgesetzlichen Fixierung des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) einen normativen Anknüpfungspunkt aufweisen zu können, der dazu zwingt, das Verhältnis von grundrechtlicher Freiheit und Sozialstaatsprinzip 279 näher zu durchleuchten. Dabei ist an die bereits früher getroffene Feststellung zu erinnern, daß eine Verfassungsnorm und damit auch der Sozialstaatsgrundsatz nur dann eine Auslegungsrichtlinie für die Bestimmung der grundrechtlichen Gewährleistungsbereiche bereithält, wenn i h r diese über die Verfassungsgemäßheit der Grundrechtstheorien entscheidende Maßstabsfunktion vom pouvoir constituant zugedacht worden ist 2 8 0 . Insofern hat aber nach wie vor die Feststellung Werner Webers Gültigkeit, niemand könne sagen, daß die „Entstehungsgeschichte der Sozialstaatsklausel über den reinen Wortlaut der Klausel hinaus irgendwelche Aufschlüsse hinsichtlich des ihr von ihren Schöpfern beigelegten Sinnes lieferte" 2 8 1 . Erst recht gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß dem Sozialstaatsprinzip eigenwertige grundrechtslimitierende W i r k i m g zukommt. Somit erlangt die Funktion der Vorbehalte, Individual- und Gemeinschaftsinteressen prinzipiell abschließend auszubalancieren und so Rechtsbestimmtheit und Rechtsklarheit zu verbürgen, volle Geltung. Sozialstaatliche Forderungen an die künftige Sozialordnung können vom Gesetzgeber daher nur innerhalb der Vorbehaltsschranken, nicht aber über sie hinausgehend erfüllt werden 2 8 2 . Z u bedenken ist auch, daß die Sozialstaatsklausel sich gedanklich zwar i n Verbindung zu einigen anderen Verfassungsnormen und vor allem zu einigen Materien des Zuständigkeitskatalogs (vgl. A r t . 74 Nr. 6, 7, 9, 10, 10 a, 12, 13, 15, 16, 18, 19, 19 a, 20, 24 und 75 Nr. 4 GG) bringen läßt, längst aber nicht i n gleichem Maße wie das Rechtsstaats- und Bundesstaatsprinzip präzisiert und substantiiert ist 2 8 3 . Es ist daher subjektiver Wertung und interpretativer W i l l k ü r i n besonderer Weise zugäng(1965), 409 ff. (411 ff.); zutreffend daher Friedrich E. Schnapp: Beamtenstreik, S. 37: „Das Problem, w i e die Sozialstaatsklausel inhaltlich zu präzisieren ist, bleibt i m weiten Umfang sogar legislatorischer Entscheidung überlassen." 278 Klaus Stern: Staatsrecht, § 21 I I 4, S. 709. 279 Dazu auch Hermann Karl: Freiheit u n d Sozialstaat, j u r . Diss. Bochum 1970. 280 s. o. C. I . 2. b). 281 Der Staat 4 (1965), 409 ff. (412). 282 Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 18; ders., WirtschR 1973, 184 ff. (196 f.). 283 Roman Herzog, B a y V B l . 1976, 161 ff. (161); Werner Weber, Der Staat 4 (1965), 409 ff. (410); Klaus Stern: Sozialstaat, i n K u n s t / Herzog / Schneemelcher (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl., Stuttgart u n d B e r l i n 1975, Sp. 2405. 7 Wülfing
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
lieh. M i t der Überhöhung des sozialstaatlichen Prinzips geht daher ein Verlust an verfassungsnormativer Geordnetheit einher 284 . M i t den A n forderungen einer rigiden Verfassung ist das sozialstaatliche Grundrechtsverständnis nur schwer zu vereinbaren.
V I . Normbereichsanalyse I n der hermeneutisch strukturierten Einbeziehung des beteiligten Sachgehalts i n den Konkretisierungsprozeß glaubt Friedrich Müller eine Methode zur Bestimmung des grundrechtlichen Gewährleistungsbereichs gefunden zu haben, die der Tatsache vorbehaltloser Garantie einzelner Freiheitsverbürgungen ebenso wie der Abstufung positivierter Vorbehalte gerecht w i r d 2 8 5 . Die Grundrechtsvorschriften sind danach sachbestimmte Anordnungen 286 , die Ordnendes und zu Ordnendes umfassen 287 . Es gelte, die zu regelnde Wirklichkeit konkreter Lebensverhältnisse i n der vom normativen Leitgedanken der zu konkretisierenden Vorschrift (Normprogramm) 2 8 8 bestimmten Fragestellung i n ihrer sachlichen, oft auch rechtlich geformten Gestalt und Eigenart (Normbereich) zu erfassen 289 . Normprogramm und Normbereich seien prinzipiell gleichrangige Momente der Normenkonkretisierung 2 9 0 . Das Normprogramm müsse vom Normbereich, der Normbereich vom Normprogramm her verstanden werden. Der normative Leitgedanke und der normrelevante Sachverhalt bilde284 Vgl. auch Theodor Maunz, B a y V B l . 1979, 513 ff. (516); Werner Weber, Der Staat 4 (1965), 409 ff. (418). 285 vgl. Friedrich Müller: Normbereiche von Einzelgrundrechten i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, B e r l i n 1968; ders,: N o r m struktur, insbes. S. 114 ff.; ders.: Positivität, S. 40 ff.; ders.: Freiheit der Kunst, S. 49 ff., 67 ff.; ders.: Juristische Methodik, passim; i h m folgen: Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, S. 249 f.; Ernst Friesenhahn: Wandel, G 10 u n d G 28; Konrad Hesse: Grundzüge, § 2 I I I 2 a u n d b, S. 27 f.; Paul Kirchhof: Rechtsänderung, S. 232; Otto Majewski: Auslegung der Grundrechte durch einfaches Gesetzesrecht, B e r l i n 1971, S. 6 8 i L ; s.a. Walter SchmittGlaeser, WissR 7 (1974), 107 ff. (108 ff., 117 ff.). 286 Friedrich Müller: Normstruktur, S. 30; ders.: Einheit der Verfassung, S. 88 f.; vgl. auch Werner Hoppe: Z u r S t r u k t u r von Normen des Planungsrechts, DVB1. 1974, 641 ff. (645); Paul Kirchhof: Rechtsänderung, S. 232. 287 Friedrich Müller: Normstruktur, S. 107, 194 u n d passim; ders.: Juristische Methodik, S. 118; ähnlich auch Christian von Pestalozza, Der Staat 2 (1963), 425 ff. (427) : „Der Vorgang der Subsumtion vollzieht sich unter ständiger Wechselwirkung zwischen Obersatz u n d Untersatz; die N o r m als Obersatz w i r d m i t dem Blick auf den konkreten F a l l konstituiert, der wiederum als Untersatz nach dem unter seiner vorherigen M i t w i r k u n g aufgestellten Obersatz beurteilt w i r d . 288 Friedrich Müller: Normstruktur, S. 162. 289 290
Konrad Hesse: Grundzüge, § 2 I I I 2 b, S. 28. Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde: N J W 1976, 2089 ff. (2096).
VI. Normbereichsanalyse
99
ten sich gegenseitig und aneinander 291 . Da jedes Grundrecht einen sachlich limitierten Normbereich habe, sei auch die vorbehaltlose Gewährleistung nicht unbegrenzt 292 . Unter Verzicht auf pauschale Schrankenbestimmungen und metaphysische Ergänzungen oder Umdeutungen könnten die Grundrechtsgrenzen deshalb m i t Hilfe einer normativ gesteuerten Normbereichsanalyse entwickelt werden 2 9 3 . A n diesen Ansatz ist der Sicherung der Verfassungsbindung des Interpreten wegen die Frage zu stellen, ob er zu einer methodischen Rationalisierung der Grundrechtskonkretisierung führt. Denn nur die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Normbereichsanalyse verhindert, daß die grundrechtlichen Schutzbereiche nach subjektivem Belieben der Verfassungsinterpreten und damit i n einer dem Vorbehaltssystem vielleicht widersprechenden Weise konstruiert werden 2 9 4 . Wie also w i r d der Normbereich ermittelt und welche Relevanz erlangt er i m Prozeß der Grundrechtskonkretisierung? 1. Normprogramm Z u r Konkretisierung des den Normbereich aus der sozialen Realität heraushebenden Normprogramms greift Friedrich Müller auf die canones Friedrich Carl von Savignys* 95, also auf die grammatischen, systematischen, historisch-genetischen und (mit Einschränkungen) 296 teleologischen Auslegungsregeln zurück 297 , die aber nicht mehr als Topoi unter anderen sind. Die Anzahl der i m konkreten Fall zu verarbeitenden Topoi ist prinzipiell unbegrenzt 208 . Unter den verschiedenen Interpretationsregeln w i r d eine die Sicherheit der Rechtsanwendung steigernde Rangfolge nicht anerkannt 2 9 9 . Zwar w i r d der grammatischen Auslegung besonderes Gewicht beigemessen 300 , was aber ohne praktische Relevanz bleibt, weil ohne eine den Zuständigkeitsbereich der Grammatik und Philologie überschreitende deutende Vorwegnahme des Normsinns (?) die zutreffende juristische Bedeutung des auszulegenden Begriffs nicht zu ermitteln ist 8 0 1 . Maßstäbliche Auslegungsregeln werden so nicht gegeben. 291
Vgl. ebd., S. 2096. Friedrich Müller: Positivität, S. 55 f., 71 ff. 293 Ebd., S. 50. 294 Insofern zweifelnd auch Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 163. 295 System, S. 212 ff. 29β Vgl Friedrich Müller: Juristische Methodik, S. 163. 292
297 Friedrich Müller: Normstruktur, S. 74; vgl. auch Konrad züge, § 2 I I I 2 a, S. 27. 298 Friedrich Müller: Normstruktur, S. 74. 299 Ebd., S. 44, 74. eoo v g l . Friedrich Müller: 301
7*
Friedrich
Müller,
Juristische Methodik, S. 148.
N o r m s t r u k t u r , S. 45.
Hesse: G r u n d -
C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
100
2. Normbereich Der vom Normprogramm als Bestandteil des grundrechtlichen Normativbestandes „hervorgehobene" grundrechtliche Normbereich ist die grundrechtsspezifische Ausübungs- oder Zustandsform, die durch Typizität indiziert und durch strukturelle Notwendigkeit belegt w i r d 3 0 2 . Was sich hinter dieser Aussage verbirgt, bleibt allerdings i m Dunkeln. Denn das Typische kann nicht auf das Übliche eingeengt werden 3 0 3 . Je nach der Eigenart der Grundrechtsmaterie und nach der Formulierung des grundrechtlichen Normprogramms läßt es die grundrechtliche Garantie gerade frei, wie sie inhaltlich verwirklicht werden soll. . . . Innerhalb des strukturell Typischen kann gerade auch das inhaltlich A-Typische, das Spontane und i m höchsten Grade Individuelle geschützt sein 304 . Strukturell, notwendig oder sachspezifisch sind solche m i t dem grundrechtlichen Sachbereich i m Zusammenhang stehenden Handlungen nicht, die bei Gelegenheit der Grundrechtsausübung vorgenommen werden 3 0 6 oder die austauschbare Modalitäten der Freiheitsverwirklichung betreffen 306 . So w i r d ein Bildhauer, der für seine Plastik Holz stiehlt, von der Freiheitsgarantie des A r t . 5 Abs. 3 GG ebensowenig geschützt 307 , wie der auf der Straßenkreuzung zeichnende plein-air-Maler 3 0 8 . A u f die Freiheit der Kunst kann sich derjenige Komponist nicht berufen, der sich zu nächtlicher Stunde i m Mietshaus oder auf öffentlichen Wegen am Instrument inspirieren läßt 3 0 9 . Auch ein Predigtverbot oder ein Verbot politischer Meinungsäußerung auf der Straße ist danach kein Grundrechtsfall 310 . Daß die Wahl der Modalitäten des Freiheitsgebrauchs durch den Grundrechtsberechtigten verfassungsrechtlich nicht geschützt sein soll, berührt schon deshalb merkwürdig, w e i l die Vorbehalte den Eingriff i n die Privatsphäre nur zur Durchsetzung grundgesetzlich fixierter öffentlicher Interessen gestatten, die Normbereichsanalyse aber auch zum Ausschluß solcher Formen der Freiheitsverwirklichung vom Grund302 Vgl. Friedrich 303 804 305 306
Müller:
Positivität, S. 98 f.
Ebd., S. 98. Friedrich Müller: Freiheit der Kunst, S. 64. Ebd., S. 48, 100; Walter Schmitt-Glaeser, WissR 7 (1974), 107 ff. (118). Friedrich Müller: Positivität, S. 75; ders.: Freiheit der Kunst, S. 47, 63,
100, 102.
307 Friedrich Müller: Freiheit der Kunst, S. 57; ders.: Strafrecht, Jugendschutz u n d Freiheit der Kunst, J Z 1970, 87 ff. (91); vgl. auch ders.: Positivität, S. 56 f. 308 Friedrich Müller: Freiheit der Kunst, S. 48, 56 f., 65, 100, 124; ders., J Z 1970, 87 ff. (89); Positivität, S. 99 f. 309 Friedrich Müller: Freiheit der Kunst, S. 105; J Z 1970, 87 ff. (91); vgl. aber auch Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 229. 310 Friedrich Müller: Freiheit der Kunst, S. 60.
VI. Normbereichsanalyse
101
rechtsschutz führt, die Gemeinschaftsbelange nicht einmal tangieren, geschweige denn beeinträchtigen 311 . Selbst wenn man aber diese Bedenken beiseite schieben wollte, entscheidend ist, daß i n der Normbereichsanalyse kein methodischer Fortschritt i m Hinblick auf Steigerung der Objektivität des Rechtsfindungsvorganges gesehen werden kann 8 1 2 . Der Rekurs auf das „Spezifische", „Typische" oder „strukturell Notwendige" der Grundrechtsausübung überantwortet die Festlegung des Normbereichs subjektiver Spekulation 318 . Die genannten Kriterien ähneln sehr stark den Gesichtspunkten des „Wesens" oder der „ N a t u r der Sache" 314 , die als Kryptoargumente das Fehlen verfassungsorientierter Begründungszusammenhänge nur allzuoft verschleiern 315 . Eine verifizierbare Abgrenzung zwischen zulässigem und unzulässigem Freiheitsgebrauch läßt sich m i t ihrer Hilfe jedenfalls nicht finden. 3. Vermittlung von Normprogramm und Normbereich Wie löst nun die hermeneutische Rechtsnormtheorie das Problem der gegenseitigen Zuordnung von Fakten und Recht, welche Maßstäbe gibt sie dem Verfassungsinterpreten an die Hand, wenn er sich i n dem Z i r kel bewegt, das Normprogramm m i t Blick auf den Normbereich und den Normbereich m i t Blick auf das Normprogramm zu bestimmen? Insofern geht Friedrich Müller zunächst davon aus, daß der Normbereich normativ erfragt und differenziert, seine Analyse vom Normprogramm auswählend gesteuert w i r d 8 1 6 . Die i m konkreten Fall relevanten Grundstrukturen des Normbereichs werden i m Vorgang der praktischen Interpretation und Applikation von Rechtsnormen aus der summierenden Totalität der dem Sachbereich zuzurechnenden Fakten hervorgehoben und zu einem Bestandteil konkreter Normativität gemacht 317 . Das Normprogramm sucht seinen Regelungsbereich nicht nur 811
K r i t i s c h insoweit auch Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 161 f. Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1976, 2089 ff. (2096f.); Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 159 ff. 813 K r i t i s c h auch Hans Ryffel: Rezension, DVB1. 1971, 83 ff. (84); Walter Schmitt-Glaeser, WissR 7 (1974), 107 ff. (119); Harald Schneider: Güterabwägung, S. 215 f.; Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 162 f.; Max Wallerath, Rezension, D ö V 1971, S. 574 f. (575); Peter Wiehert: Z u m Problem der Kunstfreiheitsgarantie, j u r . Diss. K ö l n 1Ö73, S. 43. 314 Vgl. Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 162. 316 Dazu Wilhelm Scheuerle t A c P 163 (1964), 429ff.; s.a. Wolfgang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 115 f. 816 Friedrich Müller: Normstruktur, S. 177, 189 f., 197; s. a. Konrad Hesse: Grundzüge, § 2 I I I 2 b, S. 28; Werner Hoppe, DVB1. 1974, 641 ff. (645); Otto Majewski: Auslegung der Grundrechte, S. 69. »π Friedrich Müller: N o r m s t r u k t u r , S. 98; ders.: Juristische Methodik, S. 118 f. 812
102
C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich
aus 318 , sondern kann die Grundstruktur des Normbereichs auch normativ verändern 319 , ja schafft i h n zum Teil erst 320 . Wer daraus aber auf eine Präponderanz des Konkretisierungselements „Normprogramm" schließt 321 , sieht sich getäuscht. Denn der normative Leitgedanke einer Vorschrift kann — so Friedrich Müller — bei der Normenkonkretisierung nicht isoliert und abgeschlossen bestimmt und dem Normbereich ohne weitere Vermittlung oktroyiert werden. Vielmehr kann die Normbereichsanalyse auch dazu führen, daß bestimmte Sinnvariationen einer vorläufigen Sinnsynthese des Normprogramms dem Normbereich i m Lichte des konkreten Falles unangemessen sind 3 2 2 , wobei allerdings offenbleibt, wie dies vom Interpreten festzustellen ist, da doch die Normbereiche von „sehr verschiedenem Umfang, sachlicher Eigenständigkeit und Dichte sein können, ihre Einzelheiten nicht selten unklar, schwierig zu erfassen und umstritten sind" 3 2 3 . Die Zueinanderführung von Norm und Wirklichkeit eröffnet damit einen weiten Argumentationsspielraum, der dem Postulat der Verfassungsbindung auch des berufenen Verfassungsinterpreten nicht gerecht wird. Ein Weg zur rational kontrollierten Eruierung von Normprogramm und Normbereich ebenso wie zu deren objektivierbarer Verm i t t l u n g w i r d nicht gezeigt 324 . Damit besteht die Gefahr der Auflösung verfassungsrechtlicher Fixierungen i n der Ungewißheit subjektiven Meinens. Es h i l f t hier auch nicht, daß die Funktion des Normwortlauts hervorgehoben wird, den Spielraum normorientierter Konkretisierung zu begrenzen 325 , w e i l die Frage, wie das konkret zu geschehen hat, offengeiassen wird. I n diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß i n den juristischen Begriffen der Regelungs- und Maßstabsimpuls nicht verdinglicht, nicht substantiell anwesend ist 3 2 6 , juristische wie sprachliche 318
Friedrich Müller: Juristische Methodik, S. 117. Friedrich Müller: N o r m s t r u k t u r , S. 176, 193; ders.: Positivität, S. 87. Diese Aussage verträgt sich aber n u r schwer m i t folgender Feststellung (Normstruktur S. 190): „Die steuernde F u n k t i o n des Normprogramms darf nicht zu einer Verfälschung der Befunde der Normbereichsanalyse führen. Sie ist auswählend u n d begrenzend, nicht aber inhaltlich u m w e r t e n d konzipiert." 320 Friedrich Müller: Juristische Methodik, S. 117. 321 Vgl. H ans-Joachim Koch: Juristische Methode, S. 130. 322 Friedrich Müller: Normstruktur, S. 185; Otto Majewski: Auslegung der Grundrechte, S. 71. 319
323
Friedrich Müller: Normstruktur, S. 189. Vgl. oben A n m . 313; kritisch gegenüber hermeneutischen Auslegungsmethoden auch Franz-Jürgen Säcker, ARSP 58 (1972), 215 ff. (217 ff.). 325 Konrad Hesse: Grundzüge, § 2 I I I 3, S. 30; Friedrich Müller: N o r m s t r u k tur, S. 66, 70, 111, 151, 156 ff.; ders.: Juristische Methodik, S. 153 ff. 326 So auch Friedrich Müller: Normstruktur, S. 41, ders.: Juristische Methodik, S. 108. 324
VI. Normbereichsanalyse
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Begriffe sich insgesamt nur dazu eigenen, auf ihre Gebrauchsweisen und deren möglichst zuverlässige Abgrenzung h i n befragt zu werden 8 2 7 . Der Normtext steckt daher nur dann die äußerste Grenze funktionell vertretbarer und verfassungsrechtlich zulässiger Sinnvariationen ab 828 , wenn sich die Bedeutung der erfragten Begriffe nicht aus den jeweiligen sich gerade i m Gebrauch befindlichen Verwendungsregeln ergibt 8 2 9 — die sich j a wandeln oder auch bewußt geändert werden können 8 8 0 —, sondern wenn die Statuierung möglicher Gebrauchsweisen von verfassungsnormativen Begriffen selbst durch die Verfassung begrenzt w i r d und sich am objektivierten Willen des pouvoir constituant ausrichtet 881 . Geschieht dies nicht, ist es m i t der Grenzfunktion des Verfassungswortlauts nicht weit her, bestimmen die zur Verfassungsauslegung befugten Entscheidungsträger durch Festsetzung der den grundrechtlichen Begriffen Sinn zuordnenden Verwendungsregeln auch über die Schranken möglicher Inhaltsbestimmung 8 8 2 . Die Grundrechte können demnach so definiert werden, daß Spannungen zwischen Individual- und Gemeinschaftsinteressen kaum noch denkbar erscheinen 333 . Das Vorbehaltssystem steht zur Disposition der Verfassungsinterpreten und ist keineswegs — wie es richtig wäre — Maßstab ihres Vorgehens. Da die hermeneutische Rechtsnormtheorie zudem rechtsstaatlichen Rationalisierungsanforderungen nicht genügt, ist sie nicht akzeptabel.
327 Vgl. Friedrich Müller: Normstruktur, S. 20, 21; ders.: Juristische Methodik, S. 152. 328 So Friedrich Müller: Juristische Methodik, S. 153; s. a. Konrad Hesse: Verfassungswandlung, S. 139; Paul Kirchhof: Rechtsänderung, S. 232. 329 Anders aber Friedrich Müller: Normstruktur, S. 41. 330 A u f diese Gefahr hat jüngst Paul Kirchhof, Rechtsänderung, S. 227 ff. aufmerksam gemacht u n d deshalb m i t Recht eine objektive Verfestigung der Bedeutungsgrenzen f ü r Rechtssprache gefordert (S. 234). 331 Z u r Bedeutung der historisch-genetischen Auslegung vgl. oben Kap. C. I. 2. b). 332 E i n zusätzliches Moment der Unsicherheit über die Bedeutung des Normtextes als den die Grundrechtsbindung (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) realisierenden Ausgangspunkt der Verfassungsinterpretation ergibt sich daraus, daß Friedrich Müller: Normstruktur, S. 159, Juristische Methodik, S. 155 glaubt, über den klaren Verfassungswortlaut dann hinweggehen zu dürfen, w e n n er nachweislich falsch oder mißverständlich ist. Wie aber können Fehler oder Mißverständnisse erkannt werden? Doch w o h l n u r so, daß eine D i v e r genz zwischen T e x t u n d ratio der Vorschrift festgestellt w i r d . Das U n t e r stellen einer ratio, die i m W o r t l a u t der N o r m keinen A n h a l t s p u n k t findet, disqualifiziert sich indes als normgelöste subjektive Wertung. 333 Vgl. Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 163; ähnlich auch Wolfgang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 114 f.
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C. Der grundrechtliche Gewährleistungsbereich V I I . Bürgerlich-rechtsstaatliche Grundrechtstheorie
Die bisherigen Ausführungen haben folgendes gezeigt: Den Grundrechtsvorbehalten w i r d keine i m Prozeß der Grundrechtskonkretisierung wirksame Theorie oder Methode gerecht, die die Freiheit unreflektiert in das Verfassungsganze einordnet, sie unter Einbeziehung sich wandelnder Momente der sozialen Realität zu bestimmen sucht, sie zum Gegenstand gesetzgeberischer Ausgestaltung macht oder sie als aufgegebene Freiheit zur Verfolgung bestimmter Ziele und Zwecke (Staatshervorbringung, Verwirklichung des institutionell-objektiven Grundrechtsgehalts) begreift. Wenn aber richtig ist, daß der Inhalt subjektiver Freiheit außerhalb hoheitlicher Regelungskompetenz liegt, die i n die grundrechtlich geschützte Privatsphäre eindringende staatliche Gewalt prinzipiell begrenzt ist und die Vorbehalte Ausmaß und Umfang vornehmlich gesetzgeberischer Eingriffsbefugnisse abstecken, kann nur eine Theorie verfassungsgemäß sein, die sich i m Umkreis bürgerlich-rechtsstaatlichen Grundrechtsverständnisses bewegt 334 , die i n den Freiheitsverbürgungen also Kompetenzverteilungsnormen zwischen Bürger und Staat, individueller Beliebigkeit und politischer Herrschaft sieht 335 . Eine negativ verstandene Freiheit als Freiheit vor ungesetzlichem Zwang 3 3 6 kann das System der ausdifferenzierten Eingriffsermächtigungen nicht gefährden, da ja nur der von den Vorbehalten zugelassene Eingriffsakt „gesetzlich" ist. A u f diese Weise w i r d nicht der Freiheitsbereich von unterverfassungsrechtlichen Rechtsakten bestimmt, vielmehr empfangen diese umgekehrt Maß und Inhalt von der grundrechtlichen Freiheitsgewährleistung 337 , w i r d der Vorrang der Verfassung gewahrt. Der liberalen Grundrechtstheorie steht nicht entgegen, daß die Freiheitsrechte als Gemeinwohlgüter auch die staatlichen Funktionen i m Hinblick auf Freiheitssicherung und Freiheitsstärkung dirigieren, denn — wie schon gezeigt — auch die Wahrnehmung i m Ergebnis freiheitsfördernder Staatsaufgaben ist durch die subjektiven Abwehrrechte der Staatsbürger beschränkt 338 .
334 Dazu vor allem Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1530 f.); Hans H. Klein: Grundrechte i m demokratischen Staat, S. 53 ff., 73 ff.; vgl. auch Ernst Forsthoff: U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, S. 40 u n d passim; Fritz Ossenbühl, N J W 1976, 2100 ff. (2100 f.); Walter Leisner: Der Eigentümer als Organ der Wirtschaftsverfassung, DöV 1975, 73 ff. (75); Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 11 f.; Roland Wegener: Staat und Verbände i m Sachbereich Wohlfahrtspflege, B e r l i n 1978, 105 f. 335 Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1530). 336 Kritisch dazu Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, S. 137 ff. 337 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff. (1531). 338 Vgl. oben Kap. Α. I.
D. Eingriffsermächtigungen außerhalb der positivierten Vorbehalte I. Maßstäblichkeit der Vorbehalte Die prinzipiell abschließende und so Rechtsbestimmtheit und Rechtssicherheit verbürgende Ausbalancierung von Individual- und Gemeinschaftsinteressen durch die grundrechtlichen Vorbehalte kann nicht nur durch die Festlegung des grundrechtlichen Gewährleistungsbereichs, sondern auch durch die Konstruktion zusätzlicher Eingriffsermächtigungen unterminiert werden 1 . Das erhellt schon die Tatsache, daß jede Statuierung von Eingriffsbefugnissen „jenseits der Vorbehalte" deren Schranken-Schranken-Wirkung zumindest partiell negiert. Je weiter der Kreis der vorbehaltsexemte Grundrechtseingriffe legitimierenden Verfassungsschutzgüter gezogen wird, desto weniger bleibt von den Ausdifferenzierungen und Abstufungen der Vorbehalte übrig. Ähnlich wie bei der Ermittlung des verfassungsgemäßen Weges zur Bestimmung des Grundrechtsinhalts stellt sich daher die Frage, ob auch die Statuierung von Eingriffsermächtigungen „jenseits" der Vorbehalte m i t dem positivierten Schrankensystem vereinbar sein muß. Zur Lösung dieses Problems trägt die Erkenntnis bei, daß weder die Möglichkeit der Übertragung spezifizierter Vorbehalte einzelner Freiheitsverbürgungen auf andere Grundrechtsnormen noch die Zulässigkeit der Imputierung materieller grundrechtsrelevanter Teilgehalte i n Vorschriften des organisatorischen Verfassungsteils i m Wortlaut der Verfassung vorgegeben ist. Angesichts des Entscheidungscharakters der Normenkonkretisierung befindet vielmehr der Verfassungsinterpret innerhalb der seine Rechtsbindung sichernden Grenzen darüber, welche Verfassungsschutzgüter sich zur Grundrechtsbeschränkung eignen und welche nicht 2 . Dementsprechend ist nach den die Auslegung begleitenden Denkverboten zu fragen 8 , ist zu untersuchen, welche grundgesetzlichen Regelungen die Verfassungsbindung des Interpreten sichern 4 . 1
Vgl. oben S. 16 f. Z u m Entscheidungscharakter der Normeninterpretation s.o. Kap. C. I. l.b). 3 Vgl. auch Friedrich E. Schnapp, Rechtstheorie 9 (1978), 275 ff. (297). 4 Dazu, daß die Schranken möglicher inhaltlicher Deutung v o n Verfassungsnormen n u r i m Verfassungsgesetz gefunden werden können, s. o. Kap. C. I. 2. a). 2
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D. Eigriffsermächtigungen außerhalb der positivierten Vorbehalte
Der Objektivität des RechtsfindungsVorgangs wegen ist auch hier wieder auf den historischen Willen des pouvoir constituant abzustellen, d. h.: Prinzipiell geben die Vorbehalte abschließend an, welche Gemeinwohlinteressen durch welchen Entscheidungsträger gegen verfassungsrechtlich geschützte Freiheit durchgesetzt werden dürfen. Die positivierten Eingriffsermächtigungen sind also maßstäblich, soweit es beispielsweise um die Übertragbarkeit der Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 2. Hs. GG auf die „speziellen" Freiheitsrechte oder um die Bestimmung der materiellen grundrechtsbegrenzenden Regelungswirkung der Zuständigkeitsvorschriften oder sogenannter „sonderstatusbegründender" Normen geht. Daher ist jede Konstruktion zusätzlicher Eingriffsrechte der Staatsgewalt verfassungswidrig, die das grundrechtliche System subtil abgestufter Vorbehalte unterläuft. I I . Die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 2. Hs. GG als allgemeine Grundrechtsschranke Man könnte versucht sein, die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Transponierung des Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 2. Hs. GG auf alle Freiheitsrechte und damit der Anerkennung der „Rechte anderer", der „verfassungsmäßigen Ordnung" und des „Sittengesetzes" als elementare Freiheitsgrenzen 5 kurzerhand durch Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu A r t . 2 Abs. 1 GG zu lösen. Ist nämlich A r t . 2 Abs. 1 GG lex generalis zu den Freiheitsverbürgungen der A r t . 2 Abs. 2, 4 ff. GG e , widerspricht die Übertragung der Schrankentrias dem Grundsatz „leges speciales derogant legi generali" 7 . 6 Sie w i r d befürwortet v o n Otto Bachof: Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht i n der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Band I, 3. Aufl., Tübingen 1966, S. 14 f.; ders.: Freiheit des Berufs, S. 167 Anm. 47; Heiner Blaesing: Grundrechtskollisionen, S. 114 ff.; Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 2 GG Rdn. 69 ff.; Günter Erbel: Das Sittengesetz als Schranke der Grundrechte, B e r l i n 1971, S. 186 ff.; ders.: I n halt u n d A u s w i r k u n g e n der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie, Berlin, Heidelberg u n d New Y o r k 1966, S. 119 f.; Erich Fechner: Die soziologische Grenze der Grundrechte, Tübingen 1954, S. 3; Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 230; Andreas Hamann: Deutsches Wirtschaftsverfassungsrecht, Neuwied, B e r l i n u n d Darmstadt 1958, S. 83; Roman Herzog, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 8 G G Rdn. 77; Hartmut Jäckel: Grundrechtsgeltung, S. 31 f.; Hans Carl Nipperdey / Günther Wiese: Freie E n t f a l t u n g der Persönlichkeit, i n Bettermann / Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte IV/2; Berl i n 1962, S. 741 ff. (767 f.); Friedrich Klein, i n : v o n Mangoldt / K l e i n , G G V o r bem. Β X V 3 a, S. 130; Herbert Scholtissek: Innere Grenzen der Freiheitsrechte, N J W 1952, 561 ff. (563); Giesbert Uber: Freiheit des Berufs, S. 62 ff.; Josef M. Wintrich: Z u r Problematik der Grundrechte, K ö l n u n d Opladen 1957, S. 30 f.; Hans J. Wolff, i n : Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, § 33 V a 2, S. 219. Umstritten ist allerdings, auf welchem methodischen Weg die speziellen Freiheitsrechte der Schrankentrias unterstellt werden können, dazu Norbert Achterberg: Gesellschaftsbezogenheit der Grundrechte, S. 24 f. u n d Günter Dürig, a. a. O., A r t . 2 Abs. 1 GG Rdn. 69, A r t . 3 Abs. 1 GG Rdn. 253 A n m . 1.
I I . Die Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 2. Hs. GG
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E i n e solche A r g u m e n t a t i o n — so „ w i s s e n s c h a f t s ö k o n o m i s c h " 8 sie auch i m m e r sein m a g — sähe sich z u Recht d e m V o r w u r f ausgesetzt, d i e höchstrichterliche A u s l e g u n g v o n G e w ä h r l e i s t u n g u n d S c h r a n k e n des A r t . 2 Abs. 1 G G unkritisch zu übernehmen. Denn nur, w e n n m a n i n A r t . 2 A b s . 1 G G die d u r c h die „verfassungsgemäße R e c h t s o r d n u n g " b e s c h r ä n k b a r e „ a l l g e m e i n e H a n d l u n g s f r e i h e i t " v e r b ü r g t sieht 9 , l ä ß t sich d i e V o r s t e l l u n g eines d i e speziellen G r u n d r e c h t e u m s c h l i e ß e n d e n a l l g e m e i n e n Freiheitsrechts aufrechterhalten 10. « BVerfGE 4, 52 ff. (57); 6, 32 ff. (37), 9, 63 ff. (73), 338 ff. (343); 10, 55 ff. (58); 185 ff. (189); 11, 234 ff. (238); 13, 97 ff. (104); 13, 181 ff. (190); 17, 302 ff. (306); 19, 206 ff. (225); 21, 245 ff. (249); 22, 114 ff. (119); 23, 50 ff. (55 f.); 127 ff. (135); 24, 119 ff. (151); 236 ff. (252); 25, 88 ff. (101); 28, 243 ff. (264); 30, 173 ff. (192 f.); 32, 98 ff. (107); 36, 146 ff. (161); 37, 271 ff. (291), 44, 1 ff. (19), 37 ff. (54, 59); 45, 354 ff. (359); 47, 327 ff. (368 f.); zustimmend Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 2 Abs. 1 GG Rdn. 6 ff.; A r t . 3 Abs. 1 GG Rdn. 248; Dietrich Jesch: Gesetz u n d Verwaltung, S. 135; Wolf gang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 88; Herbert Scholtissek, N J W 1952, 561 ff. (563); Josef M. Wintrich: Z u r Auslegung u n d A n w e n d u n g des A r t . 2 Abs. 1 GG, Festschrift f ü r Apelt, M ü n chen u n d B e r l i n 1958, 1 ff. (7 ff.). 7 So Wolf gang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 89; Jürgen Müller: A u s w i r k u n g e n der unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter des A r t . 2 Abs. 1 GG u n d zu dessen Schranken, H a m b u r g 1972, S. 49; a. A . L V G Rhl.-Pf. A S 2 (1954), 49 ff. (57 f.) u n d Herbert Scholtissek, N J W 1952, 561 ff. (563). 8 Z u r Ökonomie der wissenschaftlichen K r i t i k staatsformender Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vgl. Wolfgang Knies: Schrank e n der Kunstfreiheit, S. 87 f. unter Berufung auf Peter Lerche: Amtshaftung u n d enteignungsgleicher Eingriff, JuS 1961, 237 ff. (240). s.a. Otto Bachof: Freiheit des Berufs, S. 167: „Da die Rechtspraxis der Ansicht des B V e r f G jetzt nahezu einhellig folgt, ist v o n i h r auszugehen." 9 BVerfGE 6, 32 ff. (36 ff.); 8, 274 ff. (328); 9, 83 ff. (88); 12, 341 ff. (347); 13, 230 ff. (235); 14, 288 ff. (305); 17, 306 ff. (313); 18, 224 ff. (236); 19, 206 ff. (215 f.); 20, 150 ff. (154); 21, 73 ff. (86 f.); 23, 12 ff. (30), 229 ff. (239); 24, 220 ff. (235); 25, 371 ff. (407); 28, 36 ff. (46); 29, 221 ff. (235); 260 ff. (266 f.); 30, 1 ff. (20); 31, 222 ff. (229); 34, 369 ff. (378); 36, 146 ff. (161); 37, I f f . (18); 39, 238 ff. (242); 44, 353 ff. (372); 45, 400 ff. (413); 46, 120 ff. (136 f., 158); 47, 130 ff. (138); Heiner Blaesing: Grundrechtskollisionen, S. 150; Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 2 Abs. 1 GG Rdn. 11; Ernst Hesse: B i n d u n g des Gesetzgebers, S. 24 ff.; Ernst Rudolf Huber: Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 660 f.; ders.: Der Streit u m das Wirtschaftsverfassungsrecht, D ö V 1956, 97 ff., 135 ff., 172 ff., 200 ff. (135); Herbert Krüger, DVB1. 1950, 625 ff. (627); ders.: Neues zur Entfalt u n g der Persönlichkeit u n d deren Schranken, N J W 1955, 201 ff. (202); Hermann von Mangoldt: Das Bonner Grundgesetz, B e r l i n u n d F r a n k f u r t 1953, A r t . 2 A n m . 2; Theodor Maunz: Deutsches Staatsrecht, § 14 I I I 1, S. 124; Hans Carl Nipperdey / Günther Wiese: Freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 768 ff. 10 Z u m Zusammenhang zwischen der Interpretation des A r t . 2 Abs. 1 GG und dessen Stellung i m „System" der Freiheitsrechte vgl. Jürgen Müller: Z u m Rechtscharakter des A r t . 2 Abs. 1 GG, S. 43 ff.; Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, S. 115 f.; s. a. Ulrich Scheuner: V V D S t R L 22 (1965), 1 ff. (42 ff.); zur Interdependenz der Auslegung des Gewährleistungsbereichs u n d der Schranken des A r t . 2 Abs. 1 GG vgl. Günter Erbel: Kunstfreiheitsgarantie, S. 120; Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, S. 125; Peter Lerche: Übermaß, S. 299; Jürgen Müller: Z u m Rechtscharakter des A r t . 2 Abs. 1 GG; S. 19 f., 30 f., 51 ff.; Friedrich E. Schnapp, JuS 1978, 729 ff. (730); Walter Schmidt, AöR 91 (1966), 42 ff. (46).
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D. Eigriffsermächtigungen außerhalb der
E r s t j ü n g s t h a t aber Friedrich
E. Schnapp11
ositivierten Vorbehalte d a r a u f h i n g e w i e s e n , daß
sich m i t d e m W o r t l a u t des A r t . 2 A b s . 1 G G d i e A u f f a s s u n g des B u n d e s verfassungsgerichts w e d e r b e l e g e n noch w i d e r l e g e n l ä ß t — w i e ü b r i g e n s die i n G e s t a l t d e r P e r s ö n l i c h k e i t s k e r n t h e o r i e a u f t r e t e n d e Gegenansicht auch n i c h t — , w a s d u r c h d e n i n z w i s c h e n J a h r z e h n t e w ä h r e n d e n S t r e i t u m die A u s l e g u n g des A r t . 2 A b s . 1 G G b e s t ä t i g t w i r d 1 2 . H i e r s o l l d a h e r d a r a u f v e r z i c h t e t w e r d e n , i n dieser A u s e i n a n d e r s e t z u n g S t e l l u n g zu beziehen. O b A r t . 2 A b s . 1 G G als „ M u t t e r g r u n d recht"13, „Hauptfreiheitsrecht" 14, „ A u f f a n g n o r m f ü r unbenannte Freiheit e n " 1 5 (sog. I n n o m i n a t r e c h t e ) 1 6 , „ R e c h t d e r P e r s ö n l i c h k e i t s e n t f a l t u n g " 1 7 oder als l e d i g l i c h o b j e k t i v r e c h t l i c h e r „ F r e i h e i t s r e c h t s l e i t s a t z " 1 8 r i c h t i g 11
JuS 1978, 729 ff. (730). Dazu Ernst Hesse: B i n d u n g des Gesetzgebers, S. 24 ff.; Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, S. 115 ff.; Walter Schmidt, A ö R 91 (1966), 42 ff. (43 u n d passim) ; Jürgen Müller: Z u m Rechtscharakter des A r t . 2 Abs. 1 GG, S. 10 ff.; Rupert Scholz: Das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 100 (1975), 80 ff., 265 ff. (82 ff., 89 ff.). 13 B G H Z 24, 72 ff. (78); Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 43; Günter Erbel: Kunstfreiheitsgarantie, S. 120; ders.: Sittengesetz, S. 188; Willi Geiger: Grundrechte u n d Rechtsprechung, München 1959, S. 51. 14 Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 1 Rdn. 11, A r t . 2 Rdn. 6; Hans Carl Nipperdey / Günther Wiese: Freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 758, 759. 15 Otto Bachof: Freiheit des Berufs, S. 167; Walter Schmidt, AöR 91 (1966), 42 ff. (46, 75 ff.); Josef M. Wintrich: Auslegung u n d Anwendung, S. 8; Günter Dürig: Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), 117 ff. (121 Fn. 9); zuletzt dazu Heinz-Gerd Sokolish: Nochmals: Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, JuS 1976, 776 ff. w So bezeichnet von Herbert Wehrhahn: Systematische Vorfragen einer Auslegung des A r t . 2 Abs. 1 des Grundgesetzes, AöR 82 (1957), 250 ff. (253). 17 Vgl. vor allem Hans Peters: Die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Verfassungsziel, Festschr. f ü r Laun, H a m b u r g 1953, S. 669 ff., insbes. S. 672 ff.; ders. : Die freie Entfaltung der Persönlichkeit i n der höchstrichterlichen Rechtsprechung, K ö l n u n d Opladen 1963, S. 47 ff. Danach ist die v o m Grundgesetz gewährleistete Entfaltungsfreiheit auf „die A u s w i r k u n g echten Menschentums i m Sinne der abendländischen Kulturauffassung" beschränkt, durch A r t . 2 Abs. 1 GG n u r die freie Entfaltung i m Kernbereich der geistig-sittlichen Person geschützt; vgl. auch BVerfGE 4, 7 ff. (15); kritisch dazu Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 2 Abs. 1 GG Rdn. 11. Ohne den Kernbereich personaler Entfaltung i n ethischer oder anthropologischer E i n seitigkeit (Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, S. 123) n u r auf die rein geistige oder sittliche Entfaltung zu beziehen, w i r d die Persönlichkeitskerntheorie auch vertreten von Horst Ehmke: V V D S t R L 20 (1963), 53 ff. (82 f.); ders.: Wirtschaft u n d Verfassung, Karlsruhe 1971, S. 34 A n m . 80; Konrad Hesse: Grundzüge, § 12 I 10, S. 173 ff.; Ulrich Scheuner, V V D S t R L 22 (1965), 1 ff. (39 A n m . 111); Helmut Schulz-Schaeffer: Der Freiheitssatz des A r t . 2 Abs. 1 Grundgesetz, B e r l i n 1971, S. 34 ff. 18 Dieter Haas: Freie Entfaltung der Persönlichkeit, DöV 1954, 70 ff. (71 f.); Friedrich Klein, i n : v o n Mangoldt / K l e i n , A r t . 2 GG A n m . I I I 5 a u n d b, S. 166 ff.; Wilhelm Wertenbruch: Der Grundrechtsbegriff u n d A r t . 2 Abs. 1 GG, DVB1. 1958, 481 ff.; ders.: Grundgesetz u n d Menschenwürde, K ö l n u n d B e r l i n 1958, S. 30 u n d S. 85 ff. 12
II. Die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 2. Hs. GG
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verstanden ist, bleibt i m folgenden dahingestellt. Es w i r d nicht der Versuch gemacht, aus der Gewährleistung des A r t . 2 Abs. 1 GG grundrechtsimmanente Auslegungsrichtlinien für die Interpretation der Schrankentrias zu gewinnen. Statt dessen werden die unterschiedlichen Konkretisierungen der Begriffe „Rechte anderer", „verfassungsmäßige Ordnung" und „Sittengesetz" daraufhin untersucht, ob sie i m Falle der Erstrekkung der Schranken des A r t . 2 Abs. 2 Abs. 1 2. Hs. GG auf die nachfolgenden Freiheitsverbürgungen m i t der von den abgestuften Vorbehalten geprägten Formtypik der Verfassung vereinbar sind. Aus dem sich daraus ergebenden Resultat kann zwar unmittelbar für die Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG nichts gewonnen werden. Ein anderes Ziel als festzustellen, ob und ggf. i n welcher Form die Schrankentrias als generelle Grundrechtsgrenze i n Betracht kommt, w i r d hier aber auch nicht anvisiert. 1. Rechte anderer Die Konkretisierung des Begriffs „Rechte anderer" w i r d von dem Gedanken geleitet, daß die Freiheitsausübung und somit die zulässige Berufung auf eine Grundrechtsgewährleistung dort ihre Grenze findet, wo die Rechtssphäre eines anderen Bürgers tangiert wird, da auch diesem ein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zusteht 19 . Folgerichtig zählen nach h. M. alle subjektiven privaten und öffentlichen Rechte zu den „Rechten anderer" 20 . I m Ergebnis werden mittels der Erhebung der „Rechte anderer" zur allgemeinen Grundrechtsschranke sämtliche Freiheitsrechte einfachgesetzlicher Disposition unterworfen 2 1 . Da der Gesetzgeber i n der Begründung subjektiver Rechte frei ist, bestimmt er den Rahmen, i n dem der Freiheitsgebrauch ohne Kollision m i t den rechtlichen Schutzbastionen anderer möglich ist 2 2 . Eine Freiheit nach Maßgabe der Gesetze widerspricht aber geltendem Verfassungsrecht 23 . M i t Peter Lerche 24 und Wolf gang Knies 25 ist noch auf ein weiteres Bedenken aufmerksam zu machen. Die Auffassung, wonach ein Grund19 Hildegard Niemöhlmann: Grundgesetzkommentar, A r t . 2 G G Rdn. 20; Hartmut Jäckel: Grundrechtsgeltung, S. 30 f. 20 Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 2 G G Rdn. 13; Günter Erbel: Kunstfreiheitsgarantie, S. 121; Lothar Graf: Ungeschriebene Grundrechtsschranken, B a y V B l . 1971, 55 ff. (56); Andreas Hamann, i n : H a m a n n / L e n z , Das Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland v o m 23. M a i 1949, 3. Aufl., Neuwied u n d B e r l i n 1970, A r t . 2 GG A n m . Β 5; Hans Carl Nipperdey I Günther Wiese: Freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 781; Hans J. Wolff, i n : Wolff / Bachof: Verwaltungsrecht I, § 33 V a 2, S. 220. 21 s. a. Heiner Blaesing: Grundrechtskollisionen, S. 112. 22 Vgl. Michael Kloepfer: Grundrechte als Entstehenssicherung, S. 21 Fn. 82. 23 Vgl. auch Franz-Christoph Zeitler: Immanente Grundrechtsschranken oder Normenkorkordanz, B a y V B l . 1971, 417 ff. (418).
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D. Eigriffsermächtigungen außerhalb der ositivierten Vorbehalte
recht nicht i n Anspruch genommen werden kann, wenn dadurch Rechte eines anderen verletzt werden, führt i n strenger Konsequenz dazu, daß immer das i n Anspruch genommene Grundrecht dem gefährdeten Recht weichen muß 26 . I m Extremfall kann sich danach derjenige auf sein Recht auf Leben oder körperliche Unversehrtheit nicht berufen, dessen Grundrechtsausübung beispielsweise Eigentumsrechte seiner Mitbürger bedroht. Das diffizile Problem der Interessenkollision w i r d also gelöst, indem die konfligierenden Rechtsgüter i n „angreifende" und „angegriffene" aufgeteilt werden und letzteren der Vorzug gilt 2 7 . Übersehen wird, daß i m Normalfall des Aufeinanderprallens zweier subjektiver Rechte eine solche Rollenverteilung kaum möglich ist 2 8 . Wie hat man sie sich ζ. B. vorzustellen, wenn ein Ehemann unter Berufung auf Glaubens- und Gewissensgründe eine erforderliche B l u t transfusion zugunsten seiner i n Lebensgefahr schwebenden Gattin verweigert 2 9 . Bedroht i n diesem Fall die Ausübung der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) oder gefährdet umgekehrt das Recht auf Leben die Glaubens- und Gewissensfreiheit? Jede Aufteilung der betroffenen Verfassungsrechtsgüter i n „angreifende" und „angegriffene" ist hier mehr oder minder willkürlich. Eine Rechtsgüterkollision kann deshalb nur gelöst werden, wenn der Vorrang einer der i m konkreten Fall beteiligten (Grundrechts-) Normen erwiesen wird 3 0 , wobei zu beachten ist, daß die nicht unter Gesetzesvorbehalt stehenden Grundrechte — wenn überhaupt — nur auf Verfassungsebene eingeschränkt werden können 3 1 und i m Falle einer Grundrechtskollision die engeren oder weiteren Eingriffsmöglichkeiten des Gesetzgebers die Stärke eines Freiheitsrechts indizieren 32 .
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Übermaß, S. 292 fï. Schranken der Kunstfreiheit, S. 94 ff. 28 Peter Lerche: Übermaß, S. 293. 27 Wolf gang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 95. 28 Heiner Blaesing: Grundrechtskollisionen, S. 16; Wolfgang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 95. 29 Ä h n l i c h der Sachverhalt i n BVerfGE 32, 98 ff. (105 ff.), i n der es u m die Frage ging, ob ein Ehemann, der seiner Frau aus religiösen Gründen nicht zur lebensrettenden Bluttransfusion rät, wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 330 c StGB strafbar sein kann. 30 Heiner Blaesing: Grundrechtskollisionen, S. 141 f. 31 BVerfGE 28, 243 ff. (260 f.); 30, 173 ff. (193); Konrad Hesse: Grundzüge, § 10 I I , S. 131; Friedrich E. Schnapp, JuS 1978, 729 ff. (729 f.). 32 Vgl. Heiner Blaesing: Grundrechtskollisionen, S. 141 ff.; Manfred Lepa, DVB1.1972, 161 ff. (167); Hans Lothar Graf: Grenzen der Freiheitsrechte, S. 128; Walter Leisner: Grundrechte u n d Privatrecht, S. 391. 25
II. Die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 2. Hs. GG
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I m einzelnen muß auf die Untersuchungen über die Grundrechtskollisionen verwiesen werden 33 . Ein allgemeiner Gesetzesvorbehalt zum Schutz der „Rechte anderer" ist jedenfalls abzulehnen. 2. Verfassungsmäßige Ordnung Die Bedeutung des Begriffs der „verfassungsmäßigen Ordnung" ist außerordentlich umstritten. Während er einerseits die gesamte verfassungsgemäße Rechtsordnung repräsentieren soll, bezieht er sich nach anderer Auffassung nur auf die elementaren Verfassungsgrundsätze und Grundentscheidungen des Verfassungsgebers. a) Verfassungsgemäße
Rechtsordnung
Der weiteren Interpretation des Begriffs der „verfassungsmäßigen Ordnung" folgt seit dem Elfes-Urteil vom 16. Januar 195734 i n ständiger Rechtsprechung das Bundesverfassungsgericht 35 . Danach fallen hierunter diejenigen Rechtssätze, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind. Diese auch von einem Großteil der Literatur 3 6 gebilligte Auslegung bezieht sich allerdings ausdrücklich auf den Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung" i n seiner Funktion als Schranke der „allgemeinen Handlungsfreiheit" 3 7 . N u r vereinzelt ist dagegen der Inbegriff der unterverfassungsrechtlichen Rechtssätze als Schranke sämtlicher Freiheitsverbürgungen angesehen worden 3 8 . Ist die „verfassungsgemäße Ordnung" eine Generalschranke aller Freiheitsrechte, sind diese einfachgesetzlichem Zugriff unterworfen, läuft der gesamte Grundrechtskatalog leer. Daß ein solches Resultat positivem Verfassungsrecht widerspricht, braucht hier nicht näher aus33 Dazu Herbert Bethge: Grundrechtskollisionen; Heiner Blaesing: G r u n d rechtskollisionen, u n d Manfred Lepa, DVB1.1972, 161 ff. 34 BVerfGE 6, 32 ff. 35 BVerfGE 6, 389 ff. (432 f.); 7, 111 ff. (119); 10, 89 ff. (99), 354 ff. (363); 17, 306 ff. (313); 20, 150 ff. (154, 159); 23, 288 ff. (300); 24, 75 ff. (103); 26, 246 ff. (258); 31, 222 ff. (229); 34, 165 ff. (200); 37, 314 ff. (324); 39, 156 ff. (166); 41, 88 ff. (116); 42, 20 ff. (27 f.); 191 ff. (205); 44, 59 ff. (69); 45, 400 ff. (413); 47, 130 ff. (138 f.); 49, 24 ff. (57); 168 ff. (180 f.); 50, 256 ff. (262). 36 Stellvertretend Ernst-Wolfgang Böckenförde / Gottfried Greiffenhagen: Der praktische Fall, öffentliches Recht: Der Stellvertreter Fall, JuS 1966, 359 ff. (362 A n m . 21); Franz Klein, i n : Schmidt-Bleibtreu / K l e i n : K o m m e n t a r zum Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl., B e r l i n u n d Neuwied 1977, A r t . 2 GG Rdn. 6. 37 Dazu Wolf gang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 90; Josef M. Wintrich: Problematik, S. 30. 38 O L G Düsseldorf, FamRZ 1965, 459 f. (459); L G Hamburg, N J W 1963, 675 f. (675); Ludwig Leiss: Die Bedeutung künstlerischer Gestaltung f ü r die Strafw ü r d i g k e i t einer Handlung, N J W 1962, 2323 ff. (2323).
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D. Eigriffsermächtigungen außerhalb der positivierten Vorbehalte
geführt zu werden. Grundrechtliche Freiheit besteht nicht nur nach Maßgabe des Gesetzes39. b)
Gemeinwohlklauseln
Enger als vom Bundesverfassungsgericht w i r d der Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung" von denjenigen gedeutet, die i n A r t . 2 Abs. 1 2. Hs. GG den verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt einer alle Freiheitsverbürgungen treffenden Gemeinwohlklausel sehen 40 . I n welcher Form sie aber auch auftreten mag, als Existenz- 41 , Zumutbarkeits- 4 2 oder Nichtstörungsklausel 43 oder sonst als Vorbehalt vordringlicher Allgemeininteressen 44 , die Gemeinwohlpflichtigkeit kann schon deshalb keine über die positivierten Eingriffsermächtigungen hinausgehende Freiheitsschranke bilden, w e i l sie viel zu unbestimmt ist, um der Normativität der Verfassung gerecht zu werden 45 . Sie führt zu einer Relativierung der Vorbehalte, weil kein Rechtsgut denkbar ist, das i m Gewand der Gemeinwohlklausel nicht zum grundrechtsbeschränkenden Verfassungsschutzgut aufsteigen könnte. Zudem legt der Umstand der Existenz so vieler nicht nur i n Randzonen, sondern i m K e r n differierender Gemeinwohlvorstellungen 46 den Verdacht nahe, daß die verschiedenen Klauseln dem Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung" unterschoben werden, u m subjektive Schrankenvorstellungen als geltendes Verfassungsrecht auszugeben 47 . 89 Vgl. Hans-Ingo von Pollern: Forum: Immanente Grundrechtsschranken — eine Bestandsaufnahme, JuS 1977, 644 ff. (646). Wie hier auch Norbert Achterberg: Gesellschaftsbezogenheit der Grundrechte, S. 22 f.; Horst Ehmke, V V D S t R L 20 (1963), 53 ff. (83); Roman Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog/ Scholz, A r t . 8 GG Rdn. 85; Hartmut Jäckel: Grundrechtsgeltung, S. 31 A n m . 53; Walter Schmidt, AöR 91 (1966), 42 ff. (50 ff., 78); Rupert Scholz, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 5 Abs. 3 Rdn. 60; Giesbert Uber: Freiheit des Berufs, S. 63. 40 Z u m Gemeinschaftsvorbehalt des Bundesverwaltungsgerichts vgl. Kap. A . A n m . 55. 41 So erstmals bezeichnet v o n Ernst Rudolf Huber, DöV 1956, 135 ff. (135); kritisch Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, S. 131. 42 BVerfGE 4, 7 ff. (16); 19, 93 ff. (96); 33, 303 ff. (334); 39, 334 ff. (367); kritisch Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 2 Abs. 1 G G Rdn. 70 u n d Hans-Ingo von Pollern, JuS 1977, 644 ff. (648). 43 Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 2 Abs. 1 GG Rdn. 69 ff.; ders.: A r t . 2 des Grundgesetzes u n d die Generalermächtigung zu a l l gemeinpolizeilichen Maßnahmen, AöR 79 (1953/54), 57 ff. 44 Vgl. z.B. Theodor Maunz, i n : M a u n z / D ü r i g / H e r z o g / S c h o l z , A r t . 13 GG Rdn. 22. 45 Vgl. Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 19. 48 s. Wolf gang Knies: Schranken der Kunstfreiheit, S. 104 f. 47 Ebd., S. 105; vgl. auch Eike von Hippel: Grenzen u n d Wesensgehalt, S. 33; Peter Lerche: Übermaß, S. 286.
II. Die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 2. Hs. GG
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c) Grundlegende Verfassungsentscheidungen und Verfassungsdirektiven Die Unzulässigkeit einfachgesetzlicher Disposition über die Grundfreiheiten kann ebenso wie das Gebot der Rechtssicherheit dafür sprechen, die „verfassungsmäßige Ordnung" als den Inbegriff grundlegender Verfassungsentscheidungen oder Summe der Verfassungsdirektiven zu verstehen 48 . So ist Friedrich Klein zufolge Sinn der Bindung des Individuums an die verfassungsmäßige Ordnung, die „Grundrechtsausübung i n denjenigen Fällen für unzulässig zu erklären, i n denen der Staatsbürger sie benutzt, um elementare Verfassungsgrundsätze und Grundentscheidungen des Verfassungsgesetzgebers anzugreifen und zu beseitigen, i n denen er also darauf ausgeht, diese Grundsätze und Grundentscheidungen zu bekämpfen 49 . Zu den freiheitslimitierenden Verfassungsgrundsätzen und Grundentscheidungen zählen nach Klein das demokratische, das bundes- und das rechtsstaatliche Prinzip, die Rechtsidee selbst, der Gleichheitssatz und diejenigen Grundrechte, die unmittelbarer Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit sind. Peter Lerche sieht vom Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung" alle Gesetze umfaßt, die von der Verfassung gefordert werden, die also i m Vollzug bestimmter Verfassungsaufträge ergehen 50 . Dem Kreis dieser Verfassungsdirektiven sind hiernach zuzurechnen: Teilinhalte der Art. 1 Abs. 1 Satz 2, 4 Abs. 2, 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 und 5, 9 Abs. 3,14 Abs. 1 Satz 1, der Fürsorgeauftrag des A r t . 131 GG, die Gestaltungsaufgaben nach A r t . 134 und A r t . 135 GG, der Regelungsauftrag gemäß Art. 33 Abs. 5 GG, das Anpassungsgebot des A r t . 117 Abs. 1 GG sowie jener Inhalt der Sozialstaatsklausel, dem der Gesetzgeber kontinuierlich Aufträge zur „Sozialgestaltung" entnehmen muß. Derartigen Aufträgen sollen jene Grundsatznormen verwandt sein, die ein stetiges Bemühen um Aufrechterhaltung sachgebundener Ordnungen erfordern. Schon ein Blick auf die unterschiedlichen Auffassungen Friedrich Kleins und Peter Lerches macht ein Manko der Beschränkung der verfassungsmäßigen Ordnung auf gewisse verfassungsgestaltende Grundentscheidungen und Verfassungsdirektiven deutlich: Dem Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung" kann nicht entnommen werden, welche elementaren Verfassungsschutzgüter er repräsentiert und welche nicht. 48 Günter Erbel: Kunstfreiheitsgarantie, S. 121; ders.: Sittengesetz, S. 187; Hartmut Jäckel: Grundrechtsgeltung, S. 31 f.; Friedrich Klein, i n : von M a n g o l d t / K l e i n , A r t . 2 GG Anm. I V 2 a, S. 181 f.; Peter Lerche: Ubermaß, S. 299 ff.; Hans J. Wolff , i n : W o l f f / B a c h o f : Verwaltungsrecht I, § 33 V a 2, S. 220. 49 I n von Mangoldt / Klein, A r t . 2 GG A n m . I V 2 a, S. 181 f. 50 Übermaß, S. 299 f. u n d S. 63 f.
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D. Eigriffsermächtigungen außerhalb der positivierten Vorbehalte
So haftet jeder Konkretisierung des i n Frage stehenden Begriffs das Moment des Willkürlichen, der interpretatorischen Beliebigkeit an 51 . Dam i t soll nicht gesagt werden, daß den genannten Verfassungsrechtsgütern grundrechtslimitierende Wirkung nicht zukommen kann, wenn auch unklar ist, wie beispielsweise die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten, also das Gebrauchmachen von rechtsstaatlichen Garantien, gegen das rechtsstaatliche Prinzip soll verstoßen können. Entscheidend ist aber, daß eine mögliche freiheitsbegrenzende Wirksamkeit der Verfassungsschutzgüter nicht ihrer Zuordnung zum Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung" entnommen werden kann. Da diese nicht i n der Verfassung vorgegeben ist, sondern durch Statuierung von Verwendungsregeln vorgenommen werden muß, könnte der Interpret andernfalls beliebige Verfassungsschutzgüter zu „grundlegenden Verfassungsentscheidungen" erheben und derart allen möglichen Gemeinwohlinteressen grundrechtsbegrenzende Wirksamkeit verleihen. Deshalb entspricht es dem System abgestufter Vorbehalte mehr, wenn die je einzelnen Verfassungsnormen analysiert und auf ihre materiellen Gehalte befragt werden, u m festzustellen, ob und i n welchem Umfang sie Eingriffe i n die grundrechtlich geschützte Freiheit jenseits der Vorbehalte legitimieren. Insoweit ist die mangelnde Eignung des Demokratie- und Sozialstaatsprinzips zur Bildung von Grundrechtsschranken bereits dargelegt worden 5 2 . Die Zuordnung von Gemeinschaftsgütern zum Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung" genügt jedenfalls nicht zur Konstruktion zusätzlicher Grundrechtsschranken. 3. Sittengesetz Bleibt noch das „Sittengesetz" als letztes Glied der Schrankentrias auf seine Eignung als generelle Freiheitsschranke zu untersuchen 53 . Unklar ist i n diesem Zusammenhang schon, ob das „Sittengesetz" unmittelbar oder erst mittels rechtssatzförmiger Konkretisierung grundrechtsbeschränkende Wirksamkeit erlangt 54 . Der kompetenzielle Aspekt des 51
Vgl. Eike von Hippel: Grenzen u n d Wesensgehalt, S. 33. s. o. Kap. C. I V . u n d V. Dazu Karl August Bettermann: Grenzen der Grundrechte, S. 10 f.; Günter Erbel: Sittengesetz, S. 145 ff.; Hans-Lothar Graf, B a y V B l . 1971, 55 ff. (56); Rupert Scholz, i n Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 5 Abs. 3 GG Rdn. 61. 54 Eine u n m i t t e l b a r grundrechtslimitierende F u n k t i o n des Sittengesetzes behaupten Günter Erbel: Sittengesetz, S. 199 f., 343; ders.: Der Streit u m die „öffentliche Ordnung" als polizeirechtliches Schutzgut, DVB1.1972, 475 ff. (479); Eberhard Grabitz: Freiheit u n d Verfassungsrecht, S. 123; Hans Carl Nipperdey / Günther Wiese: Freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 819 f.; dagegen fordern gesetzliche Konkretisierung Günter Dürig, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 2 Abs. 1 GG, Rdn. 16: Günter Hermann: Fernsehen u n d Hörfunk, S. 199; Friedrich E. Schnapp, JuS 1978, 729 ff. (730). 52
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II. Die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 2. Hs. GG
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Vorbehaltssystems 55 gibt hier die Antwort. Die Markierung der tatsächlichen Freiheitsgrenzen ist Aufgabe des Gesetzgebers, für die durch das Sittengesetz bestimmten Schranken kann insoweit nichts anderes gelten. Damit ist noch nichts darüber gesagt, zu welchen konkreten Rechtsetzungen der Vorbehalt des Sittengesetzes ermächtigt. Gemeinhin w i r d hier auf diejenigen sittlichen Normen verwiesen, die die Allgemeinheit als richtig anerkannt hat und für ein Zusammenleben sittlicher Wesen als verbindlich betrachtet 56 . Diese Formel bringt indes kaum neue Erkenntnisse, solange der Begriff des „Sittlichen" nicht definiert ist. Es muß aber bezweifelt werden, ob eine Explikation des Begriffs des „Sittengesetzes" überhaupt möglich ist, verweist dieser doch auf Moral- und Wertvorstellungen einer nicht klar umgrenzten Allgemeinheit 5 7 , deren unbestrittene Geltung i n einer pluralen Gesellschaft alles andere als selbstverständlich ist 5 8 . Schon Hans Kelsen hat auf die Relativität von Moralnormen hingewiesen, die zeit-, orts-, interessen- oder klassengebunden sowie von mancherlei anderen Umständen abhängig sind 59 . Ihre Anerkennung als allgemeine Grundrechtsschranke hätte zur Folge, daß der durch die Grundrechte gesicherte Freiheitsraum des Bürgers zur Funktion wechselnder Anschauungen würde, einer Variablen, die zudem für den berufenen Verfassungsinterpreten i n der gebotenen Momentaufnahme nur schwer bestimmbar sein dürfte. Die verfassungsrechtliche Grenzziehung zwischen Individual- und Gemeinschaftsinteressen würde flüssig, die Rigidität der Verfassung ginge verloren. Welche Gefahren hier drohen, w i r d deutlich, wenn man bedenkt, daß „herrschende" Wertvorstellungen auch durch staatliche Propaganda erzeugt oder beeinflußt werden können, der Vorbehalt das Sittengesetz derart zum Hebel hoheitlicher Einflußnahme i m gesellschaftlichen Bereich zu avancieren vermag. 55
Dazu oben Kap. Β . I I . u n d Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 102 ft. So oder ähnlich Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 2 Abs. 1 GG Rdn. 16; Günter Erbel: Kunstfreiheitsgarantie, S. 120; ders.: Sittengesetz, S. 342, Hans-Lothar Graf: Grenzen der Freiheitsrechte, S. 130. Die Bedeutung des Begriffs „Sittengesetz" i. S. d. A r t . 2 Abs. 1 GG entspricht damit weitgehend der Auslegung, die der Begriff der „öffentlichen Ordnung" i m polizeirechtlichen Schrifttum findet — dazu Norbert Achterberg: „öffentliche Ordnung" i m pluralistischen Staat, Festschr. f ü r Scupin, B e r l i n 1973, S. 9 fï. (28). Jener Begriff ist deshalb den gleichen Einwänden ausgesetzt w i e dieser. 57 Vgl. Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 2 Abs. 1 GG, Rdn. 16. 58 Norbert Achterberg: „öffentliche Ordnung", S. 9 fï.; Erhard Denninger: Polizei u n d demokratische Politik, J Z 1970, 145 ff. (148 ff.). Volkmar Götz: Allgemeines Polizei- u n d Ordnungsrecht, 5. Aufl., Göttingen 1978, S. 45 f. 59 Hans Kelsen: Reine Rechtslehre, 2. Aufl., W i e n 1960, S. 65 ff., 70; ebenso Norbert Achterberg: „öffentliche Ordnung", S. 26; Erhard Denninger, JZ 1970, 145 ff. (148); Hans H. Klein: Z u r Auslegung des Rechtsbegriffs der „öffentlichen Sicherheit u n d Ordnung", DVB1. 1971, 233 ff. (238). 56
8·
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D. Eigriffsermächtigungen außerhalb der positivierten Vorbehalte
Das Sittengesetz kann daher ebensowenig wie die „Rechte anderer" oder die „verfassungsmäßige Ordnung" als allgemeine Freiheitsgrenze angeführt werden, was auch dadurch bestätigt wird, daß das Rechtsgut der „öffentlichen Ordnung" als Ermächtigungsgrundlage zum Eingriff i n die grundrechtlich geschützte Sphäre ausdrücklich nur i n A r t . 10 Abs. 3 GG positiviert ist 6 0 . Der Vorbehalt des A r t . 2 Abs. 1 2. Hs. GG bildet nach alldem keine verfassungsrechtlich akzeptable Generalschranke grundrechtlicher Freiheit. I I I . Staatsaufgabennormen als Eingrififsermächtigungen 1. Freiheit und Kompetenz Die Verwirklichung der Staatsaufgaben ist unter der Geltung des Grundgesetzes nur i m Rahmen verfaßter Kompetenz zulässig 61 . Ausschließlich zur Wahrnehmung der ihnen von der Verfassung übertragenen Aufgaben dürfen die staatlichen Organe i n verfassungsrechtlich umhegte Freiheiten eingreifen 62 . Die die Staatsgewalt konstituierenden und sie durch ihre rechtliche Einbindung zugleich limitierenden Normen bilden Schranken-Schranken der bürgerlichen Privatsphäre und gewinnen so eine freiheitssichernde Funktion 6 3 . Eine andere Frage ist, ob die Kompetenznormen ihrerseits auch Freiheitsschranken errichten, also den Gesetzgeber und eventuell auch die Verwaltung oder die Rechtsprechung zu vorbehaltsexemten freiheitsverkürzenden Regelungen ermächtigen. I n Betracht kommen i n diesem Zusammenhang vor allem Einrichtungsgarantien 64 und Zuständigkeitsbestimmungen 65 . Die Einrichtungs60 Vgl. oben Kap. D. A n m . 56 zur Identität der Begriffe „Sittengesetz" u n d „öffentliche Ordnung". 81 Konrad Hesse: Grundzüge, § 11 I I I 2 b, S. 13. 62 Vgl. auch Kap. A . A n m . 56; B. A n m . 10. 63 Paul Kirchhof / Hannfried Walter, N J W 1970, 1575 ff. (1581). 64 Diese sollen das rechtliche Fundament von Sonderstatusverhältnissen b i l den. Aus der inzwischen unübersehbaren L i t e r a t u r zu den Sonderstatusverhältnissen seien n u r beispielhaft genannt: Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 251 ff.; Emst-Wolfgang Böckenförde / Rolf Grawert, AöR 95 (1970), 1 ff.; Hans-Uwe Erichsen: Grundrechtseingriffe i m besonderen Gewaltverhältnis, VerwArch. 63 (1972), 441 ff.; ders.: Besonderes Gewaltverhältnis u n d Sonderverordnung — Rückschau u n d Ausblick, Festschr. f ü r Wolff, München 1973, S. 219 ff.; Rolf Dame: Das Verhältnis der Grundrechte zu den besonderen Gewaltverhältnissen nach dem deutschen u n d französischen Staats- u n d Verwaltungsrecht, j u r . Diss. K ö l n 1965; Hans-Ulrich Evers: Das besondere Gewaltverhältnis, F r a n k f u r t a. M. 1972; Ernst-Werner Fuß, D ö V 1972, 765 ff.; Eberhard Kempf: Grundrechte i m besonderen Gewaltverhältnis — BVerfG, N J W 1972, 811, JuS 1972, 701 ff.; Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 127 ff.; Herbert Krüger ! Carl Hermann Ule: Das besondere
I I I . Staatsaufgabennormen als Eingriffsermächtigungen
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garantien gewährleisten die Existenz bestimmter Lebensverhältnisse (Bundeswehr, Schule, Universität) und umfassen die für ihren Bestand notwendigen Ordnungen 68 . Die Zuständigkeitsvorschriften verteilen die Gesetzgebungsbefugnisse zwischen Bund und Ländern und setzen die Möglichkeit der Ausübung der gegebenen und aufgegebenen Kompetenzen voraus 67 . I n beiden Fällen nennt das Grundgesetz Rechtsgüter, die der berufene Rechtsetzer einzubringen und zu bewahren hat 6 8 , bezeichnet es die Gemeinwohlgüter, die m i t grundrechtlich geschützten Interessen i n Konflikt geraten können. Diese materiale Wirkung der verfassungsrechtlichen Aufgabenbestimmungen, ihre über die Statuierung von Kompetenzen und Verteilung von Zuständigkeiten hinausgehende Relevanz für das Staat-BürgerVerhältnis läßt indes noch keine Schlußfolgerungen auf die Reichweite hoheitlicher Regelungsbefugnisse zu. A l l e i n die Feststellung, daß staatliche Institutionen ihnen angemessene Ordnungen und Zuständigkeitsbestimmungen ihre reale Geltung gewährleistende Kompetenzwahrnehmungsbefugnisse erfordern, gibt noch keine Auskunft darüber, ob sich der von den Aufgabennormen angesprochene Rechtsetzer bei der evtl. freiheitslimitierenden Durchsetzung der i h m überantworteten Gemeinwohlinteressen i m Rahmen der grundrechtlichen Vorbehalte bewegen muß oder über sie hinausgehen darf. Gewaltverhältnis, V V D S t R L 15 (1957), 109 ff., 133 ff.; Walter Leisner, DVB1. 1960, 617 ff.; Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, insbes. S. 23 ff.; ders.: Z B R 1977, 208 ff. 65 Vgl. BVerfGE 12, 45 ff. (50); 14, 105 ff. (111); 28, 243 ff. (260 f.); 32, 40 ff. (46); 41, 205 ff. (218); Karl August Bettermann, WirtschR 1973, 241 ff. (245 ff.); Herbert Bethge: Grundrechtskollisionen, S. 339 ff.; Horst Ehmke, V V D S t R L 20 (1963), 53 ff. (89 ff.); ders.: Wirtschaft u n d Verfassung, S. 25 f., 29 ff.; Peter Häberle: Wesensgehaltgarantie, S. 6, 32; Ernst Hesse: B i n d u n g des Gesetzgebers, S. 95; Friedrich Müller: N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, S. 29, 205 f.; ders.: Juristische Methodik, S. 174f.; ders.: Freiheit der Kunst, S. 24 f.; Peter Lerche, AöR 90 (1965), 341 ff. (347); Ingo von Münch: i n ders. (Hrsg.), G r u n d gesetzkommentar, Band 3, F r a n k f u r t a. M. 1978, A r t . 73 G G Rdn. 3, A r t . 74 GG Rdn. 2; Christian von Pestalozza, Der Staat 2 (1963), 425 ff. (439); Hans-Ingo von Pollern, JuS 1977, 644 ff. (648); ders., B a y V B l . 1979, 200 ff. (204); Ulrich Scheuner, V V D S t R L 11 (1954), I f f . (33 A n m . 90); ders.: Normative Gewährleistungen, insbes. S. 329 ff.; Rupert Scholz: Koalitionsfreiheit, S. 7; ders.: AöR 100 (1975), 80 ff. (109 f.); Klaus Stern: Staatsrecht, § 4 I I 3 a, S. 97. Soweit die materiale W i r k u n g von Zuständigkeitsregelungen hervorgehoben w i r d , ist allerdings nicht immer ganz klar, was darunter verstanden w i r d . 86 Vgl. Konrad Hesse: Grundzüge, § 10 I I I 1 b, S. 137. D a m i t ist noch keineswegs gesagt, daß diese Ordnungen Grundrechtsschranken jenseits der V o r behalte errichten. 87 Theodor Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 70 GG Rdn. 2. Soweit dazu ein Grundrechtseingriff erforderlich ist, müssen sie dem Bürger gegenüber die F u n k t i o n einer Ermächtigungsgrundlage erfüllen. Vgl. Ernst Hesse: Bindung des Gesetzgebers, S. 95, Ulrich Scheuner: Normative Gewährleistungen, S. 332. 88 Vgl. Peter Lerche, AöR 90 (1965), 341 ff. (347).
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D. Eiligriffsermächtigungen außerhalb der positivierten Vorbehalte
Sicher ist, daß die Freiheitsrechte nicht nur nach Maßgabe staatlicher Kompetenz gelten 69 . Nach dem für den Verfassungsinterpreten bindenden Willen des Verfassungsgebers bestimmen und begrenzen die Vorbehalte die Eingriffsmöglichkeiten der zuständigen Normgeber 70 . Das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft soll durch grundrechtliche Gewährleistungen und grundrechtliche Vorbehalte prinzipiell abschließend geordnet werden. Damit stünde jeder Schluß von einer Aufgabenzuweisung auf die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der Aufgabenwahrnehmung i m Widerspruch. Soweit es um die Substantiierung und Konkretisierung des materiellen grundrechtsrelevanten Teilgehalts der Kompetenznormen geht, sind die positivierten Eingriffsermächtigungen maßstäblich 71 . Gewiß ist andererseits aber auch, daß die verfassungsrechtliche Fundierung bestimmter staatlicher Aufgaben rechtlich nicht bedeutungslos sein kann. Denn es wäre sinnwidrig, i n der normativen Grundordnung des Staatsverbandes Kompetenzen auszuweisen, deren Verwirklichung nicht gewollt ist 7 2 . W i l l man also dem Verfassungsgeber nicht ein schlechtes Zeugnis ausstellen und ihm die Aufnahme irrelevanter und nichtssagender Worthülsen i n den Verfassungstext unterstellen, muß das Grundgesetz so interpretiert werden, daß jede einzelne seiner Anordnungen realisierbar ist 7 3 . Die die Staatsgewalt konstituierenden Normen haben deshalb zumindest dann eine freiheitslimitierende Funktion, wenn diese Bedingung der Wahrnehmung der zugewiesenen Staatsaufgaben ist. Daß solche ohne die Anerkennung grundrechtsbegrenzender Wirksamkeit leerlaufenden Verfassungsrechtssätze existieren, w i r d durch A r t . 105 ff. GG belegt 74 . Macht nämlich der Bund von seiner Befugnis zur Errichtung von Finanzmonopolen Gebrauch, greift er i n die Freiheit der Berufswahl ein, ohne sich auf die Ermächtigung des A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG stützen zu können 75 . Denn selbst wenn man m i t dem Bundesver69 Das ist m i t A r t . 1 Abs. 3 GG u n d dem System abgestufter Vorbehalte nicht zu vereinbaren; ablehnend auch Friedrich E. Schnapp, JuS 1978, 729 ff. (734). 70 Vgl. oben Kap. Β . I. 71 s. a. Hans-Wolfgang Arndt / Henning von Olshausen, JuS 1975, 485 ff. (486). 72 BVerfGE 30, 1 ff. (20); vgl. Christian von Pestalozza, Der Staat 11 (1972), 161 ff. (169); s. a. Herbert Krüger: Allgemeine Staatslehre, S. 259. 73 Peter Badura: Das Verwaltungsmonopol, B e r l i n 1963, S. 337; Karl August Bettermann, WirtschR 1973, 184 ff. (210); Christian von Pestalozza, Der Staat 11 (1972), 161 ff. (169 ff.); Fritz Ossenbühl: Verwaltungsvorschriften, S. 190. 74 Dazu v o r allem Christian von Pestalozza, Der Staat 11 (1972), 161 ff. (169 ff.). 75 A. A. Theodor Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t 105 GG Rdn. 37, der eine Verletzung der Wesensgehaltsperre annimmt.
I I I . Staatsaufgabennormen als Eingriffsermächtigungen
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fassungsgericht den Vorbehalt zur Regelung der Berufsausübung entgegen seinem Wortlaut auch auf die Berufswahl erstreckt 7®, ist eine Voraussetzung des Grundrechtseingriffs immer noch, daß der durch die Monopolisierung eines Wirtschaftszweiges bewirkte Zulassungsausschluß aller privaten Unternehmer 7 7 zur „Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlich schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut" erforderlich ist 7 8 . Davon kann jedoch bei der Errichtung von Finanzmonopolen keine Rede sein, weil diese vorwiegend dem Zweck dienen, der öffentlichen Hand weitere Einnahmequellen zu erschließen 79 . I n der durch die A r t . 105 ff. GG erfolgten verfassungsrechtlichen Anerkennung der Finanzmonopole liegt daher die Kompetenz zu grundrechtsbegrenzenden Maßnahmen außerhalb des Vorbehalts der Berufsfreiheitsgarantie eingeschlossen80. Daß es mehrere solcherart materiale Staatsaufgabenbestimmungen geben muß, A r t . 105 ff. GG folglich kein Einzelfall ist, erhellt aus der Tatsache, daß ein geordneter Strafvollzug (Art. 74 Nr. 1, 104 GG) nicht m i t dem Recht des Strafgefangenen zu vereinbaren ist, unter Berufung auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) an K u n d gebungen außerhalb der Haftanstalt (gleichgültig, ob i n geschlossenen Räumen oder nicht) teilzunehmen und daß weiter ein ungestörter A b lauf der Verwaltungstätigkeit (Art. 83 ff. GG) schlechthin undenkbar ist, wenn sich die Beamten ihrer Amtswahrnehmungspflicht zum Zweck der Ausübung grundrechtlicher Freiheiten gänzlich entziehen könnten 8 1 . Entfalten Zuständigkeitsvorschriften und Einrichtungsgarantien wenigstens i n Einzelfällen grundrechtsbegrenzende Wirksamkeit, kann die i n der Verwaltungsrechtslehre gängige Auffassung, wonach die gesetzliche Festlegung der Kompetenzen der staatlichen Organe ihnen noch keine Eingriffsbefugnisse einräume 82 , der Schluß von einer Aufgabenzuweisung auf eine Befugnisnorm m i t h i n unzulässig sei 88 , jedenfalls i n dieser 76
So ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 7, 377 ff. (400 ff.). Theodor Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 105 Rdn. 37. 78 BVerfGE 7, 377 ff. (407 f.); 11, 168 ff. (183); 12, 281 ff. (294 f.); 25, 1 ff. (11). 79 Theodor Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 105 GG Rdn. 36. 80 BVerfGE 14, 105 ff. (111); Christian von Pestalozza, Der Staat 11 (1972), 161 ff. (169); s. a. Karl August Bettermann, WirtschR 1973, 184 ff. (210), dessen Folgerung aus der verfassungsrechtlichen Anerkennung der Zulässigkeit von Monopolen, daß die m i t ihnen notwendig verknüpften Freiheitsbeschränkungen nicht an den Grundrechtsartikeln zu messen seien, aber zu weitgehend ist. 81 Vgl. auch Konrad Hesse: Grundzüge, § 10 I I I 2, S. 137 f. 82 Hans-Uwe Erichsen: Der Schutz der Allgemeinheit u n d der individuellen Rechte durch die polizei- u n d ordnungsrechtlichen Handlungsvollmachten, V V D S t R L 35 (1977), 171 ff. (191), u n d Hans J. Wolff, i n : W o l f f / B a c h o f : V e r waltungsrecht I, § 30 I I I a 3, S. 184. 83 s. a. Hans Peter Bull: Staatsauf gaben, S. 132 ff.; Leonhard Riegel: K o m m t dem besonderen Gewaltverhältnis i m Vergleich zum allgemeinen Gewaltverhältnis noch eigenständige Bedeutung zu?, München 1974, S. 101 f. 77
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D. Eigriffsermächtigungen außerhalb der positivierten Vorbehalte
Absolutheit nicht auf die Verfassungsrechtsebene übertragen werden 8 4 ; andernfalls müßte die Verfassung als mißlungenes Experiment beiseitegeschoben85 oder auf die problematische Figur einer „verfassungswidrigen Verfassungsnorm" zurückgegriffen werden 86 . I n beiden Fällen w ü r den i m Verfassungstext vorfindliche Anordnungen des Verfassungsgebers mißachtet oder freigiebig gegeneinander ausgespielt 87 . 2. Ausnahmecharakter zusätzlicher Eingriffsermächtigungen
a) Anforderungen
des Vorbehaltssystems
Die Schwierigkeit ist freilich, aus der Gesamtheit organisatorischer Regelungen die zur Grundrechtsbegrenzung geeigneten Staatsaufgabennormen herauszufinden, diejenigen Kompetenzzuweisungen auszumachen, denen ein freiheitsbeschränkender Regelungsgehalt innewohnt. Dies vor allem auch deshalb, weil Inhalt, Umfang und Reichweite der Staatsaufgaben von der Setzung der den kompetenzrechtlichen Begriffen Sinn zuordnenden Verwendungsregeln abhängen 88 . Dabei ist davon auszugehen, daß angesichts der Maßstäblichkeit abgestufter und differenzierter Vorbehalte i m Vorgang der Konkretisierung organisatorischer Verfassungsvorschriften 89 aus den Kompetenznormen nur i n eng begrenzten Ausnahmefällen Eingriffsbefugnisse abgeleitet werden können. Hat nämlich der pouvoir constituant i n den grundrechtlichen Vorbehalten das Verfahren zur Lösung typischer Interessenkonflikte zwischen Individual- und Gemeinschaftsbelangen zur Verfügung gestellt, muß die Regelungswirkung der Kompetenznormen — von noch näher zu erörternden Einzelfällen abgesehen — darauf beschränkt bleiben, die staatlichen Aufgaben festzulegen und die Zuständigkeiten im Bundesstaat zu verteilen 90 . Ausschließlich diese Auslegung nimmt die Positivität der Grundrechte ernst und w i r d der ausdifferenzierten Vorbehaltssystematik 84 a. A. Friedrich Klein, i n : von Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band I I , F r a n k f u r t a. M. 1966, A r t . 70 GG Vorbem. I I 6 a, S. 1338; Leonhard Riegel: Gewaltverhältnis, S. 101 f.; skeptisch gegenüber einer materiellen W i r k u n g von Zuständigkeitsnormen auch Niklas Luhmann: Grundrechte als Institution, S. 12 A n m . 13; Klaus Matthias Meessen, B B 1971, 928 ff. (929). 85 Vgl. Fritz Ossenbühl: Verwaltungsvorschriften, S. 190; Friedrich E. Schnapp, JuS 1978, 729 ff. (735). 86 Hierzu BayVGH, V G H 27, 153 ff. (157); s. a. Josef Isensee: Beamtenstreik, S. 63. 87 Kritisch zur Denkflgur einer verfassungswidrigen Verfassungsnorm Christian von Pestalozza, Der Staat 11 (1972), 161 ff. (172). 88 Z u m Entscheidungscharakter der Normenauslegung s. o. Kap. C. 1.1. 89 Vgl. oben Kap. D. I. 90 s. a. Peter Badura: Verwaltungsmonopol, S. 336 f.
I I I . Staatsaufgabennormen als Eingriffsermächtigungen
121
gerecht. Jede die materiale Wirksamkeit der Einrichtungsgarantien und Zuständigkeitsvorschriften überbetonende Interpretation führt zu einer unzulässigen Relativierung der kompetenziellen und materiellen Aussagen der Vorbehalte 91 . Die Imputierung von Ermächtigungen zu freiheitsverkürzenden Regelungen i n alle oder doch einen Großteil der Staatsaufgaben unterminiert den durch die Schranken-Schranken-Wirkung der Vorbehalte bewirkten Grundrechtsschutz. Die Anerkennung der Maßstäblichkeit der grundrechtlichen Vorbehalte i m Vorgang der Konkretisierung der materiellen grundrechtsbegrenzenden Teilgehalte der Staatsaufgabennormen erübrigt es auch, auf Prinzipien zu rekurrieren, die wie der Grundsatz „ i n dubio pro libertate" 9 2 oder der der „Grundrechtseffektivität" 9 8 zwar zu dem hier vertretenen oder einem vergleichbaren Ergebnis kommen, deren dogmatische Herleitung selbst aber zweifelhaft ist. So ist der Satz „ i n dubio pro liberiate", wonach bei der Lösung verfassungsrechtlicher Konfliktlagen dasjenige Ergebnis vorgezogen werden soll, das die beteiligten Rechte des Bürgers am wenigsten beeinträchtigt 94 , i n dieser Allgemeinheit nicht haltbar und m i t Recht heftig kritisiert worden 9 5 . Er wäre — worauf Fritz Ossenbühl hingewiesen hat 9 6 — allenfalls dann sachlich richtig, wenn das Grundgesetz i m Spannungsfeld Bürger-Staat den Individualismus betont hätte. Davon kann angesichts der Gesetzesvorbehalte keine Rede sein 97 . Der gleiche Einwand t r i f f t den inhaltlich verwandten 9 8 Grundsatz der Grundrechtseffektivität 99 , dessen Legitimität 91
Vgl. oben Kap. Α. I. Vertreten von Peter Schneider: Prinzipien der Verfassungsinterpretation, V V D S t R L 20 (1963), I f f . (31 ff.); Günter Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 2 Abs. 1 GG Rdn. 72; Eike von Hippel: Grenzen u n d Wesensgehalt, S. 18 Anm. 21; Jürgen Müller: Z u m Rechtscharakter des A r t . 2 Abs. 1 GG, S. 51; Giesbert Uber: Freiheit des Berufs, S. 21; kritisch zu diesem Prinzip Konrad Hesse: Grundzüge, § 2 I I I 2 c bb, S. 29; Horst Ehmke, V V D S t R L 20 (1963), 53 ff. (86); Peter Lerche: Übermaß, S. 33 A n m . 18; Friedrich Müller: Juristische Methodik, S. 177 f.; Fritz Ossenbühl, DöV 1965, 649 ff. (657); Klaus Stern: Staatsrecht, § 4 I I I 8 b, S. 109 f. 93 Vom Bundesverfassungsgericht zum Interpretationsprinzip erhoben i n E 6, 55 ff. (72). 94 Vgl. Friedrich Müller: Juristische Methodik, S. 177; Fritz Ossenbühl, DöV 1965, 649 ff. (657). 95 s. Anm. 92 u n d Christian von Pestalozza, Der Staat 2 (1963), 425 ff. (445 f.); Gerd Roellecke: Grundfragen der juristischen Methodenlehre, S. 326; Ulrich Scheuner, V V D S t R L 22 (1965), 1 ff. (37, 40 ff.); Walter Schmidt, AöR 91 (1966), 42 ff. (58); Jürgen Schwabe: Grundrechtsdogmatik, S. 62 ff. 96 DöV 1965, 649 ff. (658). 97 Ablehnend auch Ulrich Scheuner, V V D S t R L 22 (1965), 1 ff. (40 f.). 98 Michael Kloepfer: Grundrechte als Entstehungssicherung, S. 28; Friedrich Müller: Juristische Methodik, S. 177; Christian von Pestalozza, Der Staat 2 (1963), 425 ff. (445). 99 Danach muß diejenige Auslegung der Grundrechte bevorzugt werden, die ihnen die größte Bedeutung verleiht — vgl. Albert Bleckmann: Allgemeine Grundrechtslehren, S. 144. 92
122
D. Eigriffsermächtigungen außerhalb der positivierten Vorbehalte
deshalb noch zusätzlichen Zweifeln ausgesetzt ist, weil das Bundesverfassungsgericht 100 i h n unter fehlgehender Berufung auf Richard Thoma 1 0 1 zur Interpretationsregel erhoben hat. Die vom Verfassungsgericht zitierte Aussage bezieht sich nämlich nicht auf die Bestimmung der inhaltlichen Reichweite der Grundrechtsverbürgungen, sondern auf die heute durch A r t . 1 Abs. 3 GG überholte Alternative „Programmsatz" oder „aktueller Rechtssatz" 102 . Die Folgerung aus dem Prinzip der Grundrechtseffektivität, die Grundrechte müßten möglichst weit ausgelegt werden, ist gerade von Richard Thoma selbst als „grober I r r t u m " bezeichnet worden 1 0 8 . b) Freiheitsschranken
aus dem Verfassungsganzen
Sind Eingriffsermächtigung jenseits der Vorbehalte die Ausnahme, genügt zu ihrer Auffindung eine irrationale Ableitung von Eingriffsrechten aus beliebigen Verfassungsvorschriften nicht. Das Eingefügtsein der Grundrechte i n das Verfassungsganze ist kein Vorbehalt 1 0 4 . Bloße Hinweise auf die Totalität der Verfassung, auf ihre Sinneinheit genügen nicht, u m zusätzliche Eingriffsermächtigungen zu rechtfertigen 105 . Sie entziehen sich argumentativem Zugriff. Die Staatsaufgabennormen, die Freiheitsbeschränkungen legitimieren sollen, sind konkret zu bennenen. Das aus den grundrechtlichen Vorbehalten fließende Gebot der Bestimmtheit der Grundrechtsgrenzen und damit der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit 106 verbietet es auch, aus zusammenfassender Betrachtung mehrerer oder einer Vielheit von Verfassungsvorschriften abstrakte Verfassungsschutzgüter wie „Wohl des Staates" oder „Schutzwürdigkeit des Gemeinwesens" herauszudestillieren und i n die Schrankendiskussion einzuführen 107 . I n ihrer Unbestimmtheit führen sie zu einer Verminderung der freiheitssichernden Ordnungsfunktion des Verfassungsrechts 108 . Die Suche nach den grundrechtslimitierenden Verfas100 BVerfGE 6, 55 ff. (72); 32, 54 ff. (71), 39, 1 ff. (38); s. a. Friedrich von Mangoldt / Klein, Die Grundrechte, Vorbem. Β X I V 3, S. 118.
Klein,
in:
101
I n : Juristische Bedeutung, S. 9. Vgl. Horst Ehmke, V V D S t R L 20 (1963), 53 ff. (87); Friedrich Müller: Juristische Methodik, S. 178, ders,: Einheit der Verfassung, S. 207; Christian von Pestalozza, Der Staat 2 (1963), 425 ff. (443 f.). 103 Juristische Bedeutung, S. 13 f. 104 Vgl. Friedrich Müller: Positivität, S. 59. los vgl Friedrich Müller: Einheit der Verfassung, S. 202 ff. 102
106
Hierzu vgl. oben Kap. B. I I I . A u f die „durch das Grundgesetz geschaffene Gesamtordnung", das „ W o h l " oder die „Schutzwürdigkeit des Gemeinwesens" stellt dagegen die abweichende Meinung i m Eideszwang-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ab — vgl. BVerfGE 33, 35 ff. (36, 42); s. a. B V e r w G E 49, 202 ff. (209): „Sicherheit des Staates als verfaßter Friedens- u n d Ordnungsmacht u n d die von i h m zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung." 108 Kritisch auch Friedrich Müller: Einheit der Verfassung, S. 202. 107
I I I . Staatsaufgabennormen als Eingriffsermächtigungen
123
sungsnormen hat bei den einzelnen Kompetenzbestimmungen anzusetzen. Wenig förderlich ist es auch, wenn nur der materiale Zusammenhang zwischen den Grundrechten und den übrigen Verfassungsteilen aufgezeigt, die Möglichkeit der Begrenzung der Grundrechte jenseits der Vorbehalte durch verfassungsrechtlich ausgewiesene Gemeinwohlinteressen hervorgehoben, ein hinreichend bestimmtes Verfahren zur Eruierung der den Freiheitsrechten widerstreitenden Normen aber nicht angegeben wird. Deshalb h i l f t die i m Kriegsdienstverweigerungs-Urteil 109 erstmals ausgesprochene Formel des Bundesverfassungsgerichts 110 , daß „kollidierende Grundrechte Dritter und andere m i t Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte m i t Rücksicht auf die Einheit der Verfassung ausnahmsweise imstande (sind), auch uneinschränkbare Grundrechte i n einzelnen Beziehungen zu begrenzen", für sich gesehen nicht weiter 1 1 1 . Solange holistisch argumentiert und auf das Verfassungsganze verwiesen wird, besteht die Gefahr, daß grundrechtlich geschützte Freiheit staatlicher Kompetenzwahrnehmung zum Opfer fällt 1 1 2 . Ebensowenig nutzt es, wenn zwar einzelne Verfassungsschutzgüter konkret benannt werden, ihre freiheitslimitierende Wirkung aber nicht normativ und das heißt hier: gerade am Maßstab der Vorbehalte begründet wird. So sind materiale Teilgehalte gesehen worden i n den Zuständigkeitsregelungen der A r t . 73 Nr. 3 (Ein- und Auswanderung, Auslieferung) 113 , Nr. 4 (Währungswesen) 114 , Nr. 10 b und c (Verfassungsschutz) 115 , 74 Nr. 3 (Vereinsrecht) 116 , Nr. 4 (Aufenthalts- und Niederlassungsrecht für Ausländer) 117 , Nr. 11 (Recht der Wirtschaft) 118 , Nr. 12 (Ar109
BVerfGE 28, 243 ff. (261). s. a. BVerfGE 32, 98 ff. (107 f.); 33, 23 ff. (29); 44, 37 ff. (49 f.); zustimmend auch B V e r w G E 49, 202 ff. (208); s. a. Hans-Uwe Erichsen: V V D S t R L 35, 171 ff. (192), wonach das v o m Bundesverfassungsgericht entwickelte Prinzip noch konkretisierender A u f f ü l l u n g durch Güterabwägung bedarf, u n d Hans-Ingo von Pollern, JuS 1977, 644 ff. (647 f.); ders., B a y V B l . 1979, 200 ff. (201). 111 K r i t i s c h zum Kriegsdienstverweigerungs-Urteil auch Otto Ernst Kempen, J Z 1971, 452 ff. u n d Friedrich Müller: Einheit der Verfassung, S. 71 ff. 112 Zutreffend auch Friedrich Müller: Einheit der Verfassung, S. 189 f.: „Nicht das Einordnen einzelner Vorschriften i n einen (normativ begründeten u n d methodisch darlegbaren) Sinnzusammenhang ist illusionär, w o h l aber die naiv holistische oder die politisch hintersinnige Unterstellung, die Totalität dieses Sinnzusammenhangs f ü r die rechtsstaatliche Interpretation nutzen zu können. 113 Hans-Ingo von Pollern, B a y V B l . 1979, 200 ff. (205). 114 Horst Ehmke, V V D S t R L 20 (1963), 53 ff. (91). 115 BVerfGE 30, 1 ff. (20); Friedrich Klein, i n : v o n Mangoldt / Klein, A r t . 70 GG Vorbem. I I 6, S. 1340; Theodor Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 73 Rdn. 7; Klaus Stern: Staatsrecht, § 4 I I 3 a, S. 97 Fn. 78 u n d § 6 V I 3 a, S. 188. 116 Klaus Stern: Staatsrecht, § 6 V 8 b, S. 183. 117 Hans-Ingo von Pollern, B a y V B l . 1979, 200 ff. (205). 118 Horst Ehmke: Wirtschaft u n d Verfassung, S. 25 f., 30 f. 110
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D. Eigriffsermächtigungen außerhalb der positivierten Vorbehalte
beitsvermittlung, Arbeitsrecht) 119 , Nr. 16 (Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung) 120 , Nr. 19 GG (Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe) 121 sowie i n A r t . 105 ff. GG (Finanzmonopole) 122 und A r t . 109 GG (gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht) 123 . Bis auf wenige Ausnahmen 1 2 4 ist die freiheitslimitierende Funktion der Zuständigkeitsanordnungen aber nur behauptet, nicht nachgewiesen worden. Solange dies aber unterbleibt, nicht gesagt wird, warum gerade den genannten Bestimmungen die Ermächtigung zu grundrechtsbegrenzenden Maßnahmen immanent ist, w i r k t die Auswahl der materiell relevanten Staatsaufgabennormen zufällig. Es besteht die Gefahr, daß die Freiheitsverbürgungen beliebigen Gemeinwohlinteressen nach Maßgabe des für erforderlich Gehaltenen nachgeordnet und die Vorbehalte so zur Disposition der Interpreten gestellt werden 1 2 5 . c) „Sonderstatusbegründende"
Verfassungsvorschriften
Etwas anderes scheint aber zu gelten, wenn m i t der h. M. i n Rechtsprechung und Literatur denjenigen Normen eine freiheitslimitierende Funktion zuerkannt wird, die das grundgesetzliche Fundament sog. Sonderstatusverhältnisse bilden 1 2 6 . Denn einmal werden hier Verfassungsnormen konkret angegeben (z. B. A r t . 33 Abs. 4 und 5 GG für das Beamtenverhältnis, A r t . 12 a, 17 a, 73 Nr. 1 und 87 a GG für das Soldaten-, A r t . 74 Nr. 1, 104 GG für das Straf gefangenen Verhältnis, A r t . 7 GG für den Status der Schüler an öffentlichen Schulen und A r t . 5 Abs. 3 für den der Studenten) und zum anderen w i r d auch der Grund der besonderen Einschränkbarkeit der Grundrechte, die verfassungsrechtliche Begründung oder Anerkennung eines Sonderverhältnisses, i n dem der Bürger 119 Ulrich Battis : Schutz der Gewerberäume durch A r t . 13 GG u n d W i r t schafts-, Arbeits- u n d Steueraufsicht, JuS 1973, 25 ff. (28). 120 Herbert Krüger: Grundgesetz u n d Kartellgesetzgebung, S. 21 f.; Theodor Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 70 GG Rdn. 2, A r t . 74 GG Rdn. 92; Ulrich Scheuner, W D S t R L 11 (1954), 1 ff. (23 m i t A n m . 55, 33 m i t A n m . 90); Klaus Stern: Staatsrecht, § 4 I I 3 a, S. 97 A n m . 78. 121 BVerfGE 7, 377 ff. (401); Horst Ehmke, W D S t R L 20 (1963), 53 ff. (92); Ulrich Scheuner, W D S t R L 11 (1954), 1 ff. (23 A n m . 55). 122 BVerfGE 14, 105 ff. (111); Christian von Pestalozza f Der Staat 11 (1972), 161 ff. (171). 123 Ulrich Battis , JuS 1973, 25 ff. (28). 124 Vgl. Christian von Pestalozza, Der Staat 11 (1972), 161 ff. 125 Diese Gefahr dürfte auch der G r u n d f ü r die Zurückhaltung eines Großteils der L i t e r a t u r sein, eine materielle grundrechtsbegrenzende W i r k s a m k e i t der Zuständigkeitsvorschriften anzunehmen. 12 « B V e r w G E 14, 21 ff. (24); Albert Bleckmann, VerwArch. 63 (1972), 404 ff. (435); Konrad Hesse: Grundzüge, § 10 I I I 2, S. 137 ff.; Friedrich Klein, i n : von M a n g o l d t / K l e i n : Die Grundrechte — Vorbem. Β X V I 4, S. 136f.; Rupert Scholz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 5 Abs. 3 GG Rdn. 64; Klaus Stern: Staatsrecht, § 11 I V 4, S. 285 f.
I I I . Staatsaufgabennormen als Eingriffsermächtigungen
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zum Staat steht, genannt. I n der verfassungsrechtlichen Anerkennung der „Sonderstatusverhältnisse" bzw. i n älterer Terminologie „besondereren Gewaltverhältnisse" liegt danach die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeitserklärung ihrer funktionsbedingten Eigengesetzlichkeiten und damit auch die besondere zwecklegitimierte Begrenzimg oder Begrenzbarkeit der Grundrechte eingeschlossen127, denn „die Sonderstatusverhältnisse und die Ordnungen, i n denen sie rechtliche Gestalt gewinnen, könnten ihre Aufgabe i m Leben des Gemeinwesens oft nicht erfüllen, wenn der allgemeine durch die Grundrechte begründete verfassungsrechtliche Status des Einzelnen auch i m Sonderstatusverhältnis voll erhalten bliebe" 1 2 8 . Die „sonderstatus-" begründenden Verfassungsrechtsnormen kommen freilich nur dann als neben den Vorbehalten bestehende Eingriffsermächtigungen zur Durchsetzung von Gemeinwohlbelangen gegen individuelle Freiheiten i n Betracht, wenn sie sich sinnvoll von anderen Staatsaufgabennormen absetzen lassen, was wiederum die Möglichkeit der Unterscheidimg von allgemeinem und besonderem Verhältnis zwischen Bürger und Staat voraussetzt 129 . K a n n dagegen jede V e r w i r k lichung von Staatsauf gaben und jedwede Kompetenzwahrnehmung als eine Maßnahme ausgegeben werden, die den Bürger i n einer besonderen Beziehimg zum Hoheitsträger trifft, kann dem Argument der verfassungsrechtlichen Fundierung von Sonderstatusverhältnissen f ü r die Frage der Grundrechtsschranken kein Gewicht beigemessen werden, weil andernfalls sämtliche Kompetenzvorschriften zu Befugnisnormen avancierten und damit der durch die spezifizierten Vorbehalte bewirkte Grundrechtsschutz ausgehöhlt würde. Was also hat man sich unter dem besonderen und was unter dem allgemeinen Statusverhältnis vorzustellen? Die Lehre vom „besonderen Gewaltverhältnis" geht zurück auf Otto JViayer 130. Er definierte es als „die verschärfte Abhängigkeit, welche zugunsten eines bestimmten Zwecks öffentlicher Verwaltung begründet w i r d für alle einzelnen, die i n den vorgesehenen besonderen Zusammenhang treten" 1 3 1 . Gleichbedeutend werden auch heute noch als Sonderstatusverhältnisse diejenigen Relationen bezeichnet, die eine „engere Beziehung des Einzelnen zum Staat begründen und besondere, über die allgemeinen Rechte und Pflich127 So die Zusammenfassung der herrschenden Lehre von Hans-Uwe Erichsen: Besonderes Gewaltverhältnis, S. 235. 128 Konrad Hesse: Grundzüge, § 10 I I I 2, S. 137 f. 129 Dazu Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 56 ff. 130 Z u r geschichtlichen E n t w i c k l u n g der Lehre v o m besonderen Gewaltverhältnis s. Hans-Uwe Erichsen: Besonderes Gewaltverhältnis, S. 220 ff.; Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 45 ff. 131 Otto Mayer: Deutsches Verwaltungsrecht, 3. Aufl., B a n d 1, München u n d Leipzig 1924, S. 101 f.
126
D. Eigriffsermächtigungen außerhalb der positivierten Vorbehalte
ten des Staatsbürgers hinausgehende Pflichten, z.T. auch besondere Rechte entstehen lassen" 132 . I n Abgrenzung dazu w i r d das allgemeine Gewaltverhältnis als die grundlegende, jede einzelne Person umfassende Beziehung zum Staat beschrieben, kraft dessen der Staat i n der Lage ist, einseitig Pflichten aufzuerlegen und gegebenenfalls die Beachtimg und Befolgung seiner Befehle zu erzwingen, andererseits aber auch Rechte zu verleihen und sich durch den Verzicht auf Machtbefugnisse selbst zu binden 1 3 3 . Kurz: Es ist das durch die potentiell unbegrenzte Gewaltunterworfenheit geprägte Verhältnis zwischen dem herrschenden Subjekt Staat und dem unterworfenen Subjekt Individuum 1 3 4 . Z u dieser Konzeption ist das Erforderliche bereits von Friedrich E. Schnapp135 gesagt worden. Sie beruht auf einer Verwischung des rechtstheoretischen Unterschieds zwischen dem Staat als Rechtsordnungssubjekt (pouvoir constituant) und als Rechtssubjekt (pouvoir constitué) 136 und ist zudem auch verfassungsdogmatisch nicht zu rechtfertigen 137 . Die Vorstellung einer das allgemeine Gewaltverhältnis prägenden unbeschränkten Gehorsamspflicht ist nämlich nur i m Verhältnis zwischen dem Bürger und dem pouvoir constituant vorstellbar, für die Relation zwischen dem Bürger und dem durch das Grundgesetz konstituierten konkreten Staat aber nicht zu halten. Der Staat als Rechtsordnungssubjekt ist i n der Gestaltung der Verfassung des Gemeinwesens frei. Er kann den pouvoir constitué m i t unbegrenzten Zuständigkeiten und Befugnissen ausstatten. Dem Können des Rechtsordnungssubjekts Staat gegenüber ist subjektive Freiheit lediglich eine faktische Gegebenheit, keinesfalls aber eine rechtliche Schranke, besteht also eine unbeschränkte Unterworfenheit des Individuums 1 3 8 . Der grundgesetzlich verfaßte Staat ist hingegen m i t der Tatsache konfrontiert, daß dem einzelnen ein verfassungsrechtlicher Status gewährt ist 1 3 9 , der seinem unbeschränkten Verfügungsrecht entzogen ist 1 4 0 . Der 132
So statt vieler Konrad Hesse: Grundzüge, § 10 I I I 1 a, S. 136. Hartmut Oskar Wilhelm Paetzold: Die Abgrenzung von allgemeinem u n d besonderen Gewaltverhältnis, j u r . Diss. H a m b u r g 1972, S. 8; s. a. Herbert Krüger: Allgemeine Staatslehre, S. 940 ff. 134 Vgl. Konrad Hesse: Grundzüge, § 9 I I 1, S. 119 f. 135 Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 56 ff. 136 Z u dieser Unterscheidung Hans Kelsen: Z u r Lehre v o m öffentlichen Rechtsgeschäft, AöR 31 (1913), 190 ff. (191); Hans Nawiasky: Allgemeine Rechtslehre, S. 226 f.; Klaus Stern: Z u r Grundlegung einer Lehre des öffentlichen Vertrages, VerwArch. 49 (1958), 106 ff. (157). 137 Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 58. 138 Das g i l t aber n u r dem Staat als Rechtsordnungssubjekt, nicht i h m als Rechtssubjekt gegenüber. Dies beachtet Theodor Maunz, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 12 GG Rdn. 97 nicht, demzufolge die Zuständigkeit des Staates, über den Umkreis u n d das Ausmaß seiner eigenen Tätigkeit zu entscheiden (beispielsweise durch Schaffung eines Arbeitsvermittlungsmonopols) nicht durch A r t . 12 GG eingeschränkt werden kann. 133
I I I . Staatsaufgabennormen als Eingriffsermächtigungen
127
Staat als Rechtssubjekt ist ein gesellschaftliches Subsystem neben anderen, dem die Grenzen seiner Befugnisse durch die Verfassung gesteckt sind 141 . Weil Individuum und heteronom geordneter Staat gleichermaßen unter der Rechtsordnung stehen, besteht auch zwischen beiden Subjekten kein Uber- und Unterordnungs-, sondern ein Gleichordnungsverhältnis 142 . Das Grundgesetz als Grundlage konstituierter und damit begrenzter Staatsgewalt kennt demnach keine allgemeine Gehorsamspflicht des Bürgers, sondern grundsätzlich nur eine Pflicht zu Gehorsam gegenüber der verfassungsgemäßen, m i t h i n kompetenzmäßigen und den Grundrechtsschutz respektierenden Staatsgewalt 143 . Diese ist vor allem i n den A r t . 73 ff. GG statuiert und dementsprechend auf die Durchsetzung und Verfolgung explizit ausgewiesener Gemeinwohlinteressen programmiert. Wenn aber jede Ausübung von Staatsgewalt durch Regelungszweck und -gehalt der Staatsaufgabennormen beschränkt ist und schon deshalb nur einen qualifizierten Personenkreis erreicht, w e i l der i m Rahmen gegebener Zuständigkeiten erlassene Rechtsakt notwendigerweise an bestimmte Eigenschaften von Rechtssubjekten anknüpfen muß, die anderen Rechtssubjekten nicht zukommen 144 , bleibt nur die Lösung, alle Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Staat als Sonderrechtsverhältnisse zu begreifen 145 . Jede staatliche Kompetenzwahrnehmung führt — wenn man so w i l l — zur Errichtung einer besonderen Rechtsbeziehung 139 D e r Gewährung des staatsbürgerlichen Status durch den pouvoir constituant wegen sind — w i e Friedrich Müller: Einheit der Verfassung, S. 202 zutreffend hervorhebt — die Grundrechte nicht als überpositiv substantielle Gewährleistungen, sondern als rechtlich geschaffene u n d begrenzte Normen zu behandeln. 140 Ygi Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 59 f. mi ^ u r Konstituierung der Staatsgewalt durch das Grundgesetz vgl. die Nachweise oben, Kap. A . A n m . 56. 142 Vgl. Hans Nawiasky: Allgemeine Rechtslehre, S. 227; Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 60; Klaus Stern, VerwArch. 49 (1958), 106 ff. (157). 143 Aus diesem G r u n d ist den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zuzustimmen, i n denen eine Verletzung grundrechtlich geschützter F r e i heit schon dann angenommen w i r d , w e n n der eingreifende Hoheitsakt unter Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften zustandegekommen ist, vgl. BVerfGE 28, 364 ff. (373); 42, 20 ff. (27). 144 Vgl. auch Hans-Uwe Erichsen, VerwArch. 63 (1972), 441 ff. (444); Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 235. 145 Daher ist auch die Auffassung von Ernst-Wolf gang Böckenförde und Rolf Grawert, AöR 95 (1970), 1 ff. (16 ff.) nicht zu halten, die i n Sonderstatusverhältnissen ergehenden abstrakten u n d generellen Regelungen könnten als Sonderverordnungen u n d damit als selbständige Rechtsquellenkategorie v o n den Rechtsverordnungen abgehoben werden. Denn auch die Rechtsverordnungen sind i n ihrem Regelungsumfang u n d Regelungsinhalt v o n vornherein auf einen speziellen von anderen Verwaltungsagenden geschiedenen Zweck bezogen u n d durch diesen Zweck, der i. d. R. verfassungsrechtlich oder gesetzlich vorgegeben oder vorgeformt ist, begrenzt.
128
D. Eigriffsermächtigungen außerhalb der positivierten Vorbehalte
zwischen Individuum und Staat 148 . Dafür spricht auch, daß es kaum ein verwaltungsrechtliches Rechtsverhältnis gibt, das nicht irgendwann schon einmal der Kategorie des „besonderen Gewalt Verhältnisses" zugeschlagen worden ist 1 4 7 . Ist aber eine Differenzierung der Aufgabennorinen danach unmöglich, ob sie ein Sonderstatusverhältnis begründen oder nicht, ist auch eine daran anknüpfende Unterscheidung der Kompetenznormen bezüglich ihrer vorbehaltsexemten Eingriffswirkung nicht durchzuführen. Die gegenteilige Ansicht läuft auf eine Grundrechtsgeltung nach Maßgabe staatlicher Kompetenz hinaus. Das kann und muß nicht heißen, daß den Verfassungsschutzgütern wie dem „ ö f fentlichen Dienst", der „Bundeswehr" oder dem „Strafvollzug" keine grundrechtslimitierende K r a f t zukommt. Das Gegenteil ist — wie an anderer Stelle schon ausgeführt — der Fall 1 4 8 . N u r kann deren freiheitsbeschränkende Wirksamkeit eben nicht m i t dem Argument gestützt werden, hier seien Sonderrechtsverhältnisse m i t ihren zwecklegitimierten Freiheitsschranken i n das Grundgesetz aufgenommen worden. d) Maßstab der „notwendigen
Freiheitsbeeinträchtigung"
Wie kann nun die Schwierigkeit überwunden werden, einen materiellen Teilinhalt der Aufgabennormen nicht nur zu behaupten, sondern auch zu begründen? Zur Lösung dieses Problems ist noch einmal an die Maßstäblichkeit der Vorbehalte zu erinnern. Soweit es um die Festlegung der grundrechtsbegrenzenden Wirksamkeit der Kompetenzvorschriften geht, statuieren die positivierten Eingriffsermächtigungen Interpretationsverbote 1 4 9 . Danach ist jede die Geltung der Vorbehalte schmälernde Auslegung der Kompetenznormen unzulässig. Der Verfassungsgeber wollte i n den grundrechtlichen Vorbehalten Inhalt und Umfang, Zwecke und Voraussetzungen der hoheitlichen Eingriffsbefugnisse abschließend normieren. Dieser Absicht des pouvoir constituant ist der Verfassungsinterpret verpflichtet, weil die Beachtimg des historisch Gewollten Bedingung einer objektivierbaren Verfassungsinterpretation und damit der Möglichkeit der Verfassungsbindung überhaupt ist 1 5 0 . Statuiert der Verfassungsgeber also die für die Verfassungsauslegung maßgebenden Interpretationsregeln, können sie auch nur von i h m selbst außer Kraft gesetzt werden. D. h.: Die Kompetenznormen sind nur dann 146
Friedrich E. Schnapp: Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 64 f.; s. a. Adolf Allgemeines Verwaltungsrecht, Wien u n d B e r l i n 1927, S. 132 f. 147 Vgl. die Aufzählung bei Hartmut Oskar Wilhelm Paetzold: Gewaltverhältnis, S. 168 ff. 148 Vgl. oben Kap. D. I I I . 1. a. E. 149 Vgl. oben Kap. D. I. 150 Vgl. oben Kap. C. I. 2. b). Merkl:
I I I . Staatsaufgabennormen als Eingriffsermächtigungen
129
grundrechtsbegrenzend, wenn der Verfassungsgesetzgeber ihnen diese Wirkung beigelegt hat. N u n ist zwar nicht ersichtlich, daß sich die M i t glieder des Parlamentarischen Rates über die Funktion von Zuständigkeitsvorschriften und Einrichtungsgarantien als Eingriffsermächtigungen überhaupt irgendwelche Gedanken gemacht haben, jedenfalls haben sie aber der Aktualisierung der dem Staat zugewiesenen Kompetenzen prinzipielle verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit bescheinigt 151 . Daraus folgt: Die Staatsaufgabennormen entfalten dort — aber auch nur dort — grundrechtsbegrenzende Wirksamkeit, wo zu ihrer V e r w i r k lichung vorbehaltsexemte Grundrechtseingriffe erforderlich sind. Die Kompetenz impliziert die Zulässigkeit der Kompetenzausübung und damit die dazu unabweisbaren Freiheitsbeschränkungen 152 . Das heißt auch, daß die Verwendungsregeln kompetenzrechtlicher Begriffe nicht so gesetzt werden dürfen, daß all die Grundrechtsbeschränkungen „notwendig" sind, die zur Durchsetzung beliebiger Gemeinwohlinteressen gebraucht werden. Vollends darf die Reichweite der Aufgabennormen nicht aus unterverfassungsrechtlichen Normenkomplexen erschlossen werden. Das Gesetz hat der Verfassung, nicht aber umgekehrt die Verfassung dem Gesetz zu folgen 153 . Die kompetenzrechtlichen Begriffe sind gesetzesfest, ihre Bedeutung der Legislative vorgegeben 154 . Andernfalls hätte der Gesetzgeber eine (Kompetenz-) Kompetenz zur Bestimmung seiner Zuständigkeiten und wegen der m i t deren Ausübung verbundenen „Funktionsnotwendigkeiten" auch zur Beschränkung individuellen Beliebens. Durchbrechen die Zuständigkeitsvorschriften und Einrichtungsgarantien das System ausdifferenzierter Eingriffsermächtigungen lediglich in den Fällen, i n denen sie bei strikter Beachtung der Schranken-Schranken-Wirkung der Vorbehalte entgegen dem Willen des pouvoir constituant zur Geltungs- und Bedeutungslosigkeit verurteilt wären, dann auch nur insoweit, wie es zur Realisierung ihrer i m Wege historisch-genetischer Auslegung zu ermittelnden Zwecke unbedingt erforderlich ist. Welche organisationsrechtlichen Verfassungsrechtssätze einen dementsprechenden materialen grundrechtsbegrenzenden Teilgehalt haben, kann deshalb nicht m i t Hilfe irgendeiner Pauschalformel eruiert werden. A n dieser Stelle hat eine sorgfältige Analyse der Reichweite der je einzelnen Zuständigkeitsvorschriften und Einrichtungsgarantien einzusetzen 155 , die i m Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. 151 Peter Badura: Verwaltungsmonopol, S. 336 f.; Karl WirtschR 1973, 184 ff. (210). 152 Christian von Pestalozza, Der Staat 11 (1972), 161 ff. 153 s. a. Kap. C. I I I . 2. a). 154 Christian von Pestalozza, Der Staat 11 (1972), 161 ff. iss vgl. a u c j 1 Friedrich Müller: Einheit der Verfassung,
9 Wülfing
August (169 ff.). (186). S. 195 ff.
Bettermann,
130
D. Eigriffsermächtigungen außerhalb der positivierten Vorbehalte
Insoweit muß auf die (teilweise noch zu erstellende) Dogmatik der einzelnen Aufgabennormen und Freiheitsverbürgungen verwiesen werden 156 . Erinnert sei hier nur an die durch die Statuierung der Finanzmonopole (Art. 105 ff. GG) errichteten Grundrechtsschranken 157 . Festzustellen bleibt indes noch, daß das Erfordernis der „Notwendigkeit" zusätzlicher Grundrechtsgrenzen sowohl hinsichtlich des „Ob" als auch des „Wie" der Grundrechtseingriffe außerhalb der Vorbehalte gilt 1 5 8 . Jenseits der positivierten Eingriffsermächtigungen können die Grundrechte nur eingeschränkt werden, wenn und soweit dies zur Durchsetzung der i n der Verfassung ausgewiesenen Gemeinwohlinteressen unerläßlich ist 1 5 9 . Selbst wenn die Kompetenznormen die Zulässigkeit von Freiheitsverkürzungen voraussetzen, dann nicht i n unbegrenztem, sondern nur i n dem zur Wahrnehmung der Kompetenz unbedingt erforderlichen Maße. Die begrenzte materiale Wirksamkeit der Zuständigkeitsvorschriften ist auch vom Bundesverfassungsgericht zutreffend erkannt worden. So hat es trotz verfassungsrechtlicher Billigung der Finanzmonopole die Einzelzüge ihrer Organisationsformen nur insoweit akzeptiert, wie sie monopoltypisch und notwendig sind 1 6 0 . Entsprechend soll der Bürger bei seiner Einordnung i n verfassungsrechtlich vorgesehene Institutionen nur den Beschränkungen unterworfen sein, die zur Erreichung der i n ihnen zu realisierenden Ziele unerläßlich sind 1 6 1 . Was darunter zu verstehen ist, hat das Verfassungsgericht i n der Strafvollzugsentscheidung ausgeführt 162 . Der Begriff der unerläßlichen Maßnahme umfaßt jene Eingriffe i n die grundrechtlich geschützte Privatsphäre, die erforderlich sind, „ u m den Strafvollzug aufrechtzuerhalten und geordnet durchzuführen" 163 . Unerläßlich sind m i t anderen Worten „solche Maßnahmen, ohne die der Strafvollzug als Institution zusammenbrechen würde" 1 ® 4 . 156 Beispielhaft Christian von Pestalozza, Der Staat 11 (1972), 161 ff.; Friedrich E. Schnapp, Z B R 1978, 208 ff. 157 s.o.S. 118 f. 158 Vgl. auch Peter Badura: Verwaltungsmonopol, S. 337; Christian von Pestalozza, Der Staat 11 (1972), 161 ff. (183). 159 Stehen mehrere Möglichkeiten zum Schutz der Gemeinw o h l i n teressen zur Verfügung, muß diejenige gewählt werden, die den positivrechtlichen A n ordnungen des Grundrechtsteils am ehesten gerecht w i r d . Daraus folgt beispielsweise die Verfassungswidrigkeit des § 14 Abs. 1 Satz 2 A u s l G (str.!); dazu m i t umfangreichen Nachweisen Ingo von Pollern, B a y V B l . 1979, 200 ff. (203 ff.). 160 BVerfGE 14, 105 ff. (111). 161 BVerfGE 33, 1 ff. (13); s. a. Hans-Uwe Erichsen: Besonderes Gewaltverhältnis, S. 240f.; ders.: VerwArch. 63 (1972), 441 ff. (443); Eberhard Kempf, JuS 1972, 701 ff. (703 f.). 162 BVerfGE 13, 1 ff. lea BVerfGE 13, 1 ff. (13). 104 Vgl. Heinz Müller-Dietz: Grundrechtsbeschränkungen i m Strafvollzug — B V e r f G N J W 1976, 37, JuS 1976, 88 ff. (90).
III. Staatsaufgabennormen als Eingriffsermächtigungen
131
Unter Hervorhebung des Entscheidungsziels der Norm gelangen Peter Badura m und Josef Isensee m zu dem gleichen Ergebnis. I m Grundrechtsteil bilden danach die individuellen Freiheiten den unmittelbaren Gegenstand der Verf assungsdezision, während die Kompetenznormen ein völlig anderes Entscheidungsziel — die Statuierung von Staatsaufgaben und die Verteilung von Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern — vor Augen haben. Die Zulässigkeit der Kompetenzwahrnehmung werde von ihnen nur beiläufig vorausgesetzt 167 . Die Reichweite der Kompetenznormen könne nicht ohne besondere Anhaltspunkte über die aus dem Zweck derselben m i t Notwendigkeit erschließbaren Rechtsfolgen hinausgehen16®. Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß es keine allgemeinen Freiheitsschranken auf Grund eines materialen Zusammenhangs zwischen Freiheitsrechten und organisatorischem Verfassungsteil 169 , sondern nur durch das Erfordernis der Realisierbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften und Einrichtungsgarantien spezifizierte vorbehaltsexemte Schranken einzelner Freiheitsverbürgungen gibt 1 7 0 . Die Frage, welche zusätzlichen Grundrechtsbeschränkungen „notwendig" oder „unabdingbar" sind, stellt sich daher für jede verf aß te Staatsauf gäbe und für jeden möglichen Konflikt zwischen den konkretisierten Gemeinwohlund Individualinteressen neu. I n kompetenzieller Hinsicht bleibt noch zu bemerken, daß auch außerhalb der Vorbehalte nur der Gesetzgeber zu Grundrechtseingriffen ermächtigt ist 1 7 1 . Verstärken die kompetenzrechtlichen Regelungen der grundrechtlichen Vorbehalte die Freiheitsgarantien, w e i l gerade das Gesetz durch die A r t seines Zustandekommens die Berücksichtigung der subjektiven Rechte i n spezifischer Weise gewährleistet 172 , kann auf die Freiheitssicherung durch Forderung der positiven Gesetzmäßigkeit des Eingriffsaktes i n den Fällen nicht verzichtet werden, i n denen die Verfassung durch vorbehaltlose Rechtsgewährung besondere Vorsorge zum Schutz der Freiheit getroffen hat. 165 Verwaltungsmonopol, S. 336 f.; s. a. Christian 11 (1972), 161 ff. (183 f.). 166
von Pestalozza, Der Staat
Subsidiaritätsprinzip u n d Verfassungsrecht, B e r l i n 1968, S. 202 f. Josef Isensee: Subsidiaritätsprinzip, S. 202 f. 168 Peter Badura: Verwaltungsmonopol, S. 337. 169 Vgl. Friedrich Müller: Einheit der Verfassung, S. 197 ff. 170 s. a. Rudolf Wendt, AöR 104 (1979), 414 ff. (435); zutreffend auch Rupert Scholz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 5 Abs. 3 Rdn. 56: „Der G r u n d rechtskatalog des Grundgesetzes kennt keine generell gültige Schrankensystematik. Stattdessen g i l t f ü r alle Grundrechte das Prinzip der konkreten Schrankenbestimmung, d. h., f ü r jedes Grundrecht ist das Maß seiner zulässigen Beschränktheit gesondert zu ermitteln." 171 Friedrich E. Schnapp, Z B R 1977, 208 ff. (210); ders., JuS 1978, 729 ff. (735); Walter Krebs: Vorbehalt des Gesetzes, S. 102 ff. 172 Vgl. oben S. 46 f. 167
9*
E. Zusammenfassung und Ergebnis
Die vorstehenden Untersuchungen haben gezeigt, daß die Frage nach den Schranken der Grundrechte nicht losgelöst vom System abgestufter und ausdifferenzierter Vorbehalte zu beantworten ist. Schrankendogmat i k ist immer auch Vorbehaltsdogmatik. Deshalb ist den Grundgedanken des Vorbehaltssystems auch dort Geltung zu verschaffen, wo durch Festlegung des grundrechtlichen Gewährleistungsbereichs oder durch Erm i t t l u n g der aus dem Verfassungsganzen zu gewinnenden systematischen Grundrechtsgrenzen über dessen normative Relevanz entschieden wird. Dagegen müssen Versuche, die Vorbehalte unter Hinweis auf ihre mangelnde Praktikabilität oder ihre historische Verwurzelung i m spätkonstitutionellen Eingriffs- und Schrankendenken zu überspielen, zurückgewiesen werden. Die Gesetzesvorbehalte werden demnach auch i m Prozeß der Grundrechtskonkretisierung wirksam. Als Elemente des Auslegungsverfahrens bestimmen sie den Sachgehalt der Freiheitsverbürgungen mit. Sie statuieren Interpretationsverbote. Die durch sie positivierten Schranken hoheitlicher Gewalt dürfen nicht durch restriktive oder willkürliche Festsetzungen des grundrechtlichen Schutzbereichs umgangen werden. Deshalb müssen sich die verschiedenen Grundrechtstheorien daran messen lassen, ob sie den aus den Vorbehaltsregelungen fließenden Anforderungen an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gerecht werden. Insofern können institutionelle, demokratisch-funktionale und sozialstaatliche Grundrechtstheorien ebenso wie Mißbrauchs- und hermeneutische Lehren aber nicht befriedigen. Materielle und kompetenzielle Gehalte der auf je einzelne Freiheitsverbürgungen bezogenen Vorbehalte werden zumindest partiell vernachlässigt, wenn subjektive Freiheiten unreflektiert i n ein verfassungsrechtliches Wertsystem eingeordnet, unter Einbeziehung sich wandelnder Momente der sozialen Realität inhaltlich bestimmt oder als aufgegebene Freiheiten zur Verfolgung bestimmter Ziele und Zwecke begriffen werden. Den Vorbehalten w i r d daher nur eine Theorie gerecht, die sich i m Umkreis bürgerlich-rechtsstaatlichen Denkens bewegt, dies schon deshalb, weil dieses Freiheitsverständnis es ermöglicht, jeden Eingriff außerhalb der Eingriffsermächtigungen als „ungesetzlichen Zwang" und damit als verfassungsw i d r i g einzustufen.
E. Zusammenfassung u n d Ergebnis
133
Das System abgestufter Vorbehalte w i r d nicht nur durch beliebige Festlegungen des grundrechtlichen Gewährleistungsbereichs, sondern auch und gerade durch die Konstruktion von aus dem Verfassungsganzen zu gewinnenden zusätzlichen Freiheitsschranken gefährdet. Das gilt sowohl für die Übertragung der Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 2. Hs. GG auf die speziellen Freiheitsverbürgungen als auch für die Behauptung einer materiellen grundrechtsbegrenzenden Wirksamkeit der Vorschriften des organisatorischen Verfassungsteils. Weil der Verfassungsgeber durch die grundrechtlichen Vorbehalte Inhalt und Umfang, Zwecke und Voraussetzungen der hoheitlichen Eingriffsbefugnisse abschließend bestimmen wollte, genügen bloße Hinweise auf die Sinneinheit der Verfassung nicht, um Grundrechtsschranken zu rechtfertigen. Die Einordnung der Freiheitsrechte i n das Verfassungsganze ist kein Vorbehalt. Ein Gemeinwohlinteresse bildet nicht schon deshalb eine Freiheitsgrenze, weil es als Verfassungsschutzgut aufgeführt ist. Dennoch sind i n Ausnahmefällen Eingriffsbefugnisse jenseits der Vorbehalte anzuerkennen und zwar dort, wo sich die Verfassung andernfalls als mißlungenes Experiment erweisen würde. Soweit Freiheitsbeschränkungen zur sinnvollen Wahrnehmung einer Kompetenz oder zur „Umsetzung" einer Institution unabweisbar sind, müssen sie auch zulässig sein. Beispielsweise implizieren die A r t . 105 ff. GG die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der Errichtung von Finanzmonopolen, ohne daß die damit verbundenen Einschränkungen der Berufsfreiheit durch A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG legitimiert sind. Anzumerken ist noch, daß auch außerhalb der Vorbehalte individuelle Freiheiten nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden können.
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