Gewaltdarstellungen auf Videokassetten: Grundrechtliche Freiheiten und gesetzliche Einschränkungen zum Jugend- und Erwachsenenschutz. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung [1 ed.] 9783428478156, 9783428078158


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German Pages 433 Year 1993

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Gewaltdarstellungen auf Videokassetten: Grundrechtliche Freiheiten und gesetzliche Einschränkungen zum Jugend- und Erwachsenenschutz. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung [1 ed.]
 9783428478156, 9783428078158

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KAREL MEIROWITZ

GewaItdarstellungen auf Videokassetten

Schriften zu Kommunikationsfragen Band 18

Gewaltdarstellungen auf Videokassetten Grundrechtliche Freiheiten und gesetzliche Einschränkungen zum Jugend- und Erwachsenenschutz

Eine verfassungsrechtliche Untersuchung

Von

Dr. Karel Meirowitz

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Meirowitz, KareI: Gewaltdarstellungen auf Videokassetten: grundrechtliche Freiheiten und gesetzliche Einschränkungen zum Jugend- und Erwachsenenschutz ; eine verfassungsrechtliche Untersuchung / von Karel Meirowitz. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zu Kommunikationsfragen ; Bd. 18) Zug\.: Hamburg, Univ. , Diss., 1993 ISBN 3-428-07815-2 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4239 ISBN 3-428-07815-2

Meinen Eltern in Dankbarkeit gewidmet

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im April 1992 abgeschlossen. Für die Drucklegung habe ich Literatur und Rechtsprechung bis Januar 1993 nachgetragen. Meinem verehrten Lehrer und Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Ingo von Münch, der die Arbeit betreut und mit stetem Ansporn und vielen Anregungen gefördert hat, möchte ich an dieser Stelle sehr herzlich Dank sagen. Ich danke auch Herrn Prof. Dr. Jürgen Schwabe und Herrn Prof. Dr. Horst Dreier für die Übernahme des Zweit- und des Drittgutachtens. Ein herzlicher Dank gilt darüber hinaus Herrn Prof. Dr. Philip Kunig, der durch seine stetige Gesprächsbereitschaft und seinen guten Zuspruch bei der Entstehung der Arbeit wertvolle Unterstützung gewährt hat. Ferner danke ich meinen früheren Kolleginnen aus der Assistentenzeit, Frau Andrea Franke und Frau Annette Flormann-Pfaff, die durch fachliche Diskussion und inhaltlichen Rat mir vielfach geholfen haben. Hamburg, im Februar 1993

Karel Meirowitz

Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

Erster Teil

Technische, wirtschaftliche und sozialwissenschaftliche Grundlagen A. Die Entwicklung und Verbreitung des Videorecorders. . . . . . . . . . . . . . . . .

27

I. Die Entwicklung der magnetischen Aufzeichnungstechnik für den Einsatz in Rundfunkanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

11. Die Verbreitung außerhalb von Rundfunkanstalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

III. Die Entwicklung zum Heimvideorecorder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

IV. Der sog. "Video-Boom" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

B. Exkurs: Die Bildplatte ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

C. Die Nutzung des Heimvideorecorders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 40

I. Der Typus des Video-Nutzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

D.

11. Arten der Nutzung ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

l. Das sog. "zeitversetzte Fernsehen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

2. Das Betrachten fremdbespielter Videokassetten. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

.......................................

46 46

DerVideoprogramm-~arkt

I. Die Entwicklung des Programm-Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Die Art und Weise der Verbreitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

III. Der Videoprogramm-Markt als Vertriebsweg für Spielfilme ...........

52

E. Die sog. "Horror-Videos" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

I. Kategorien und Inhalte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

11. Der Konsum von Horror-Videos durch Kinder und Jugendliche. . . . . . . . .

62

l. Das Ausmaß des Videokonsums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

2. Die Motive der Jugendlichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

I. Die Wirkung der Massenmedien im allgemeinen ....................

67

11. Thesen zur Wirkung von Mediengewalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

l. Aggressionsmindernde Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

10

Inhaltsverzeichnis a) Katharsisthese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

b) Kognitive Unterstützung ..................................

70

c) Inhibitionsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

2. Aggressionsfördernde Effekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

a) Stimulationsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

b) Suggestionsthese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

c) Habitualisierungsthese....................................

73

d) Rechtfertigung von Verbrechen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

e) Lerntheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

3. These der allgemeinen Erregung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

4. These der Wirkungslosigkeit ...... '. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

III. Langfriststudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

IV. Aktuelle Forschungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

1. Die Wahrnehmung von Mediengewalt durch die Zuschauer. . . . . . . . .

81

2. Erzeugung angstbesetzter Weltbilder bei Vielsehern . . . . . . . . . . . . . . .

83

3. Wirkungen von "Horror-Videos" ..............................

83

V. Fazit.......................................................

87

Zweiter Teil Grundrechtliche Freiheiten A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

I. Die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG). . . . . . . . . .

92

11. Die Freiheit der Massenmedien Presse, Rundfunk und Film (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) ............................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

1. Problemstellung............... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

2. Methodische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

a) Die Regeln der Verfassungsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

b) Die Rolle des einfachen Gesetzes bei der Interpretation der Verfassung ..................................................

100

3. Der Begriff der Presse im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG . . . . . . ..

101

a) Der Pressebegriff der einfachen Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

101

b) Der verfassungsrechtliche Pressebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

103

aa) Der enge Pressebegriff des älteren Schrifttums. . . . . . . . . . . ..

104

(1) Die Beschränkung auf die periodische Presse ...........

104

(2) Die Beschränkung auf die "seriöse" Presse . . . . . . . . . . . ..

106

bb) Der weite Pressebegriff der herrschenden Meinung . . . . . . . . ..

108

Inhaltsverzeichnis

11

cc) Ergebnis............................................

109

c) Die Zuordnung bespielter Videokassetten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

109

4. Der Begriff des Rundfunks im Sinne von Art. 5 Abs. I Satz 2 GG ....

112

a) Der Rundfunkbegriff der einfachen Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . ..

112

aa) Die femmelderechtliche Komponente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

112

bb) Die kulturel1e Komponente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

114

b) Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

116

aa) Wortbedeutung und Entstehungsgeschichte. . . . . . . . . . . . . . ..

116

bb) Die Funktion des Rundfunks im Kommunikationsprozeß . . . ..

118

cc) Die Elemente des Rundfunkbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

119

dd) Ergebnis..... .......... .. .... . ..... .................

123

c) Die Zuordnung bespielter Videokassetten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

123

5. Der Begriff des Films im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. . . . . . . ..

126

a) Der Filmbegriff in einfachen Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

126

b) Der verfassungsrechtliche Filmbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

127

aa) Wortbedeutung und Entstehungsgeschichte. . . . . . . . . . . . . . ..

127

bb) Die Funktion des Films im Kommunikationsprozeß . . . . . . . ..

130

cc) Die Elemente des Filmbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

132

dd) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

137

c) Die Zuordnung bespielter Videokassetten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

137

6. Der Umfang des Schutzes durch die Filmfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . ..

140

7. Das Verhältnis der Filmfreiheit zur Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

144

111. Die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

145

1. Die Vorschriften der al1gemeinen Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

145

a) Der Begriff der al1gemeinen Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

145

b) Die Wechselwirkungslehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

147

2. Das Recht der persönlichen Ehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

149

3. Die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend. . . . . . . . . ..

150

IV. Verfassungsimmanente Schranken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

152

V. Das Zensurverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

153

B. Der Schutz durch die Kunslfreiheil des Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . ..

156

I. Der Begriff der Kunst im Sinne des Grundgesetzes. . . . . . . . . . . . . . . . . ..

156

1. Problemstel1ung....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

156

2. Kunstdefinitionen in Literatur und Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . ..

159

a) Der materiale Kunstbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

159

12

Inhaltsverzeichnis b) Der formale Kunstbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

161

c) Der zeichentheoretische Ansatz fortgesetzter Interpretationsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

164

d) Das künstlerische Selbstverständnis und die Anerkennung durch Dritte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

165

e) Das topische Verfahren in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 166 3. Stellungnahme..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

c.

168

4. Spezifische Definition der Filmkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

171

a) Das persönliche individuelle Gepräge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

172

b) Die Bedeutung der spezifisch filmischen Formensprache . . . . . . . ..

173

c) Die vielfältige Interpretationsmöglichkeit über den vordergründigen Inhalt hinaus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

174

d) Fazit ................................................. ,

176

II. Der Umfang des Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

177

III. Die Schranken der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

181

1. Ältere Schrankenkonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

181

2. Die grundrechtsimmanenten Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

182

3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

187

IV. Das Verhältnis der Kunstfreiheit zu Art. 5 Abs. 1 GG.................

190

Der Schutz durch die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs.1 GG). . . . . . . . . . . . . . ..

192

I. Der Schutzbereich der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

192

II. Die Schranken der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

194

III. Das Verhältnis der Berufsfreiheit zu Art. 5 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

196

D. Der Schutz durch die Freiheit des Eigentums (Art. 14 GG). . . . . . . . . . . . .. 198 1. Eigentum im Sinne des Grundgesetzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

198

II. Die Schranken der Eigentumsfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

202

III. Das Verhältnis der Eigentumsfreiheit zu Art. 5 und Art. 12 GG . . . . . . . ..

205

E. Der Schutz durch die Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz I, 2. Halbsatz) auf seiten der Rezipienten ......................................... 207 F. Ergebnis des zweiten Teils. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 209

Inhaltsverzeichnis

13

Dritter Teil

Die gesetzlichen Einschränkungen zum Jugend- und Erwachsenenschutz im Lichte des Grundgesetzes A. Filmjugendschutz nach § 7 in Vbg. m. § 6 JÖSchG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 211 I. Die gesetzliche Regelung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 211 1. Das Erfordernis der Freigabe und Kennzeichnung von Bildträgern durch die obersten Landesbehörden gemäß § 7 in Vbg. m. § 6 JÖSchG ..... 211 2. Folgeregelungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

213

3. Das Freigabeverfahren: Filmprüfung durch die FSK . . . . . . . . . . . . . ..

214

4. Die Zulässigkeit der Jugendfreigabe durch die FSK. . . . . . . . . . . . . . ..

218

11. Gesetzgebungskompetenzen ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 220 111. Die materielle Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Beschränkungen ..................................................... 222 1. Das Abgabeverbot an Kinder und Jugendliche mit Freigabevorbehalt "

222

a) Vereinbarkeit mit der Filmfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

222

aa) Der Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

222

bb) Die Schranke des Jugendschutzes gemäß Art. 5 Abs. 2 GG. . ..

223

(1) Das gesetzgeberische Ziel des § 7 JÖSchG . . . . . . . . . . . ..

223

(2) Die Eignung der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

224

(a) Die Gewaltwirkungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . ..

224

(b) Das Problem der "Ersatzbeschaffung" ............ "

227

(3) Die Erforderlichkeit des Mittels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

229

(4) Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. . . . . . . . . . . ..

229

ce) Das Zensurverbot .................................. "

231

dd) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

234

b) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit ........... . . . . . . . . . . . . ..

234

c) Vereinbarkeit mit der Freiheit des Eigentums. . . . . . . . . . . . . . . . .. 235 d) Vereinbarkeit mit der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

236

aa) Die Verletzung des Schutzbereichs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

236

bb) Der Jugendschutz als verfassungsimmanente Schranke ..... "

237

ce) Ergebnis............................................

239

e) Vereinbarkeit mit der Informationsfreiheit der ausgeschlossenen Jugendlichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

239

f) Vereinbarkeit mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG . . . . . . . ..

242

g) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . ..

243

h) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

244

14

Inhaltsverzeichnis 2. Die Vertriebsbeschränkungen des § 7 Abs. 3 Nr. 2 JÖSchG . . . . . . . .. 244 a) Vereinbarkeit mit der Filmfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 244 aa) Der Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 244 bb) Die Schranken des Jugendschutzes gemäß Art. 5 Abs. 2 GG...

245

b) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

248

c) Vereinbarkeit mit der Freiheit des Eigentums. . . . . . . . . . . . . . . . .. 249 d) Vereinbarkeit mit der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 250 e) Vereinbarkeit mit der Informationsfreiheit der Rezipienten. . . . . ..

250

f) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . ..

251

g) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

252

3. Das Automatenvertriebsverbot des § 7 Abs. 4 JÖSchG . . . . . . . . . . . ..

252

a) Vereinbarkeit mit der Filmfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

252

aa) Der Zweck des Verbotes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

253

bb) Die Erforderlichkeit der Regelung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

253

(1) Die Geltung für Automaten jeglicher Art . . . . . . . . . . . . . ..

253

(2) Die Geltung für Bildträger jeglicher Art. . . . . . . . . . . . . . .. 255 cc) Die Zumutbarkeit der Regelung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

256

b) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

257

c) Vereinbarkeit mit der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 257 d) Vereinbarkeit mit der Informationsfreiheit des erwachsenen Publikums .................................................. 258 e) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . .. 258 f) Ergebnis...............................................

260

B. Jugendmedienschutz nach dem GjS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

260

I. Die gesetzliche Regelung ...................................... 260 1. Die Indizierung jugendgefährdender Medien gemäß § 1 GjS. . . . . . . ..

260

a) Voraussetzungen der Indizierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 262 b) Ausnahmevorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

264

2. Schwer jugendgefährdende Medien gemäß § 6 GjS . . . . . . . . . . . . . . .. 266 3. Die Verbote der §§ 3-5 GjS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

268

a) Das Abgabe- und Präsentationsverbot gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 GjS .................................. 268 b) Die Vertriebsverbote des § 4 GjS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 269 c) Das eingeschränkte Vermietverbot des § 3 Abs. 1 Nr. 3 GjS ...... 269 d) Das Werbeverbot des § 5 GjS .............................. 270 e) Die Strafdrohung des § 21 GjS.............................. 275

Inhaltsverzeichnis

15

4. Die Anwendbarkeit des GjS neben §§ 6,7 JÖSchG. . . . . . . . . . . . . . . ..

275

11. Gesetzgebungskompetenzen ...................................

277

111. Die materielle Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Verbote ...... 278

1. Das Abgabeverbot an Kinder und Jugendliche gemäß § 3 Abs. I Nr. I GjS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

278

a) Vereinbarkeit mit der Filmfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

278

aa) Eignung............................................ 279 bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 280 ce) Zumutbarkeit................................. . . . . . .. 281 b) Vereinbarkeit mit der Berufs- und Eigentumsfreiheit . . . . . . . . . . .. 282 c) Vereinbarkeit mit der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 283 d) Vereinbarkeit mit Informationsfreiheit und Elternrecht. . . . . . . . . ..

286

e) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

286

f) Ergebnis...............................................

287

2. Das eingeschränkte Vermietverbot gemäß § 3 Abs. I Nr. 3 GjS ...... 287 a) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

288

b) Vereinbarkeit mit der Filmfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

290

c) Vereinbarkeit mit der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 291 d) Vereinbarkeit mit der Informationsfreiheit ............... . . . .. 291 e) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. I GG . . . . .. 292 f) Ergebnis...............................................

292

3. Exkurs: Erstrebte Regelungsverschärfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 293 a) Das generelle Vermietverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

294

aa) Vereinbarkeit mit der Filmfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 294 bb) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 299 ce) Vereinbarkeit mit der Eigentumsfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . ..

300

dd) Vereinbarkeit mit der Kunstfreiheit ............ . . . . . . . . .. 301 ee) Vereinbarkeit mit der Informationsfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . ..

302

ff) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG .. 303 gg) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 304 b) Das eingeschränkte Einzelhandelsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 304 4. Das Werbeverbot des § 5 Abs. 2 GjS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

305

a) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit ............ . . . . . . . . . . . ..

305

b) Vereinbarkeit mit der Filmfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

310

c) Vereinbarkeit mit der Eigentumsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 311 d) Vereinbarkeit mit derInformationsfreiheit .................... 312

16

Inhaltsverzeichnis e) Vereinbarkeit mit der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

313

f) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . ..

314

g) Ergebnis...............................................

316

5. Die Vertriebsverbote des § 4 Abs. 1 GjS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

316

C. Das Gewaltdarstellungsverbot des § 131 8tGB ........................ 319 I. Die gesetzliche Regelung .............................. . . . . . . .. 319 1. Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

319

2. Der Tatbestand des § 131 StGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 324 a) Der Tatgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

324

aa) Schriften, die zum Rassenhaß aufstacheln . . . . . . . . . . . . . . . ..

324

bb) Gewaltdarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 324 (1) Die Schilderung grausamer oder sonst unmenschlicher Ge-

walttätigkeiten gegen Menschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

325

(2) Ausdruck von Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

328

(3) Die Darstellung in einer die Menschenwürde verletzenden Weise...........................................

329

(4) Die Reichweite des Tatbestands: Zur Möglichkeit straffreier Darstellung exzessiver Gewalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 333 b) Die Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

337

c) Ausnahmen von der Strafbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 339 aa) Das Berichterstatterprivileg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

339

bb) Das Erzieherprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

340

3. Rechtsfolgen der Tat, Strafverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

341

11. Gesetzgebungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

344

III. Die materielle Verfassungsmäßigkeit des Gewaltdarstellungsverbots des § 131 8tGB ..............................................

345

1. Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

345

2. Vereinbarkeit mit der Filmfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 350 a) Der Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

350

b) Die Schranken der Filmfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

350

aa) Das gesetzgeberische Ziel des § 131 StGB. . . . . . . . . . . . . . . ..

350

(1) Schutz des öffentlichen Friedens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

350

(2) Schutz der Jugend. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

351

(3) Signal gegen Mediengewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

352

bb) Der Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . ..

353

Inhaltsverzeichnis

17

(I) § 131 als Gesetz zum Schutz der Jugend .............. ,

353

(2) § 131 und das Recht der persönlichen Ehre . . . . . . . . . . . ..

354

(3) § 131 als allgemeines Gesetz ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 354 cc) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Wechselwirkungslehre ........................................ "

358

(1) Die Eignung der Regelung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 358 (2) Die Erforderlichkeit des Eingriffs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

361

(3) Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. . . . . . . . . . . ..

361

c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

363

3. Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 364 4. Vereinbarkeit mit der Eigentumsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

365

5. Vereinbarkeit mit der Informationsfreiheit der Rezipienten. . . . . . . . ..

367

6. Vereinbarkeit mit der Kunstfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

372

a) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

372

b) Schranken der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 376 aa) Das Gebot der Achtung der Menschenwürde. . . . . . . . . . . . . ..

377

(I) Funktion und Bedeutung der Menschenwürde im Sinne des

Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 378

(2) Verletzung der Menschenwürde als Grundrecht. . . . . . . . .. 381 (a) Die Menschenwürde der Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

382

(b) Die Menschenwürde der Darsteller. . . . . . . . . . . . . . ..

384

(c) Die Menschenwürde der Zuschauer. . . . . . . . . . . . . . ..

384

(d) Die Menschenwürde der Allgemeinheit. . . . . . . . . . . ..

385

(3) Verletzung der Menschenwürde als abstrakter Rechtswert . 386 bb) Der öffentliche Frieden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

389

c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

392

7. Gesamtergebnis dieses Abschnitts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

394

Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

395

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

398

Anhang: Nach § 131 StGB bundesweit beschlagnahmte Filme. . . . . . . . . . . . .. 427

2 Meirowitz

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. Abs. a. F. AfP AG AK-GG AK-StGB AöR ARD Art. Aufl. AV BayObLG BayObLGSt BayVbl BayVerfGHE BayVGH Bd. BGB BGBI. BGH BGHSt BGHZ BK BPS BRats-Drs. BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG

anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz alte Fassung Archiv für Presserecht Amtsgericht Alternativkommentar: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Alternativkommentar: Kommentar zum Strafgesetzbuch Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Artikel Auflage Audiovision Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Bayerische Verwaltungsblätter Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (amtliche Sammlung) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (amtliche Sammlung) Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften B undesrats-Drucksache B undestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung) Bundesverwaltungsgericht

Abkürzungsverzeichnis BVerwGE BVV bzw. ders. dies. DJT DÖV DVBI DVI ebd. EStG EuGRZ FAG FAZ FBW FFG Fn. FSK GA GewArch GewO GfK GG GGK GjS GRUR GÜFA GÜV GVBI. Hdb. HGB Hrsg. JA JöR JÖSchG JR JURA JUS

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (amtliche Sammlung) Bundesverband Video beziehungsweise derselbe dieselben Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsches Video Institut ebenda Einkommensteuergesetz Europäische Grundrechte-Zeitschrift Fernmeldeanlagengesetz Frankfurter Allgemeine Zeitung Filmbewertungsstelle Filmförderungsgesetz Fußnote Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft Goltdammer's Archiv für Strafrecht Gewerbearchiv Gewerbeordnung Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung e.V., Nürnberg Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1 hrsg. von Ingo von Münch und Philip Kunig, Bd. 2 u. 3 hrsg. von Ingo von Münch Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gesellschaft zur Übernahme und Wahrnehmung von Filmaufführungsrechten mbH, Düsseldorf Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote Gesetz- und Verordnungsblatt Handbuch Handelsgesetzbuch Herausgeber Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung

19

20 JZ Kap. LG LK LPG

M/K

M/K/S MAZ MDR MPAA m.w.N. NJW NStZ NVwZ OLG OVG RdJB Rdnr. RGBI. RGSt RuF SchlHA SDR SK sog. SPIO StGB StPO UFITA UrhG VBlBW VCR VG VGH vgl. VHS VVDStRL WDR WRP

Abkürzungsverzeichnis Juristenzeitung Kapitel Landgericht Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von HansHeinrich Jescheck Landespressegesetz v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar Magnetische Aufzeichnung Monatsschrift für Deutsches Recht Motion Picture Association of America mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Recht der Jugend und des Bildungswesens Randnummer Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Rundfunk und Fernsehen Schleswig-Holsteinische Anzeigen. Justizministerialblatt für Schleswig-Holstein Süddeutscher Rundfunk Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Hans-Joachim Rudolphi u.a. sogenannt( e) Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Urheberrechtsgesetz Verwaltungsblätter Baden-Württemberg Video Cassetten Recorder Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Video Horne System Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Westdeutscher Rundfunk Wettbewerb in Recht und Praxis

Abkürzungsverzeichnis WRV z.B. ZBIJugR ZDF ZRP ZStW ZUM

Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel Zentralblatt für Jugendrecht Zweites Deutsches Fernsehen Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht

21

Einleitung In den Jahren 1983 und 1984 geriet eine Kategorie von Filmen in das Blickfeld der Öffentlichkeit, die Gewaltdarstellungen von bisher ungewohnter Brutalität und Menschenverachtung darboten. "Brutale Gewalt, sadistische Quälerei, von Todesröcheln und Angstgeschrei untermalt - wer, um Himmels willen, schaut sich so etwas an und gibt dafür noch Geld aus?" fragte verständnislos die Frankfurter Allgemeine Zeitung. I Und ,Die Zeit' schrieb warnend: "Das römische Weltreich zerfiel, seit es Gewalt nicht mehr allein gegen die Unterworfenen übte, sondern sie den eigenen Bürgern als ergötzliches Spektakel vorführte.,,2 Die umstrittenen Filme hatten allerdings nicht auf der Kinoleinwand Anstoß erregt, für die sie hergestellt und wo sie einige Zeit zuvor längst ohne größeres öffentliches Interesse zu sehen gewesen waren. Statt dessen war es ihre Verbreitung auf Videokassetten zum Abspiel auf dem heimischen Fernsehgerät, die Empörung auslöste und das neue Medium Video nachhaltig in Verruf brachte. Denn bedingt durch Regelungslücken und Unkenntnis vieler Erwachsener konnten Horrorfilme von exzessiver Brutalität durch den Videovertrieb auch in die Hände von Kindern und Jugendlichen gelangen. Dies weckte vielerorts die Befürchtung, daß dadurch das Gemeinwesen insgesamt Schaden erleiden könnte. Die Boulevard-Presse wußte: "Immer mehr Morde sind offensichtlich von Horror-Videos inspiriert" und verbreitete Schlagzeilen wie: "Menschenfleisch in Dosen - war's ein Video-Kannibale?,,3 ,Die Zeit' forderte: "Leute, die mit lustvollen Morddarstellungen Geschäfte machen, sollten den Rauschgifthändlern gleichgestellt werden, die ihren Stoff in Kenntnis seiner tödlichen Wirkung unter die Menschen bringen". 4 Andere wiederum warnten vor einseitigem Kulturpessimismus und wiesen darauf hin, daß neue Medien im Anfang immer zu der Besorgnis negativer Auswirkungen vor allem auf Kinder und Jugendliche geführt hätten. Sei es der Kinofilm nach der Jahrhundertwende, 5 die Comics in den 30er J!lhren, das Fernsehen in den 50er Jahren6 oder jetzt FAZ vom 10. Dez. 1983, S. 25. 2 Die Zeit, 14. Dez. 1984, S. 1. 3 Zitate aus Kölner Express und Bild-Zeitung, vgl. Der Spiegel v. 12. März 1984, S.37. 4 Die Zeit, a.a.O. 5 Dem Kino wurde vorgeworfen, es sei ein Scheiterhaufen für die Kulturtradition (v gl. M. Stoffers, Jugendschutz 1982, 97), es leite zu Verbrechen an (vgl. M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 4 f.), und das Flimmern der Bilder könne gesundheitliche Schäden I

24

Einleitung

der Videorecorder - einseitige Verteufelung sei dem jeweiligen Medium noch in keinem Fall gerecht geworden. 7 Der Gesetzgeber wurde tätig und versuchte mit einer Anpassung des Jugendschutzrechts die Exzesse auf dem Videomarkt zu beheben. 8 Es gelang ihm jedoch nicht völlig, den Video-Bereich dadurch zu "befrieden". Weitere Gesetzentwürfe mit Regelungsverschärfungen wurden eingebracht9 und die Diskussion riß bis heute nicht ab. 1O Ein wichtiger, wenn nicht gar zentraler Aspekt in der rechtlichen und politischen Auseinandersetzung betraf stets den verfassungsrechtlichen Rahmen, in den die getroffenen bzw. erwünschten Regelungen einzupassen sind. Meist berief man sich global auf die Freiheitsrechte des Art. 5 Abs. I GG auf der einen und den Schutz der Jugend oder das Gebot der Achtung der Menschenwürde auf der anderen Seite als den Videobereich überlagernde Grundrechtsbestimmungen. Eine dezidierte Untersuchung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Medium Video erfolgte bislang jedoch nicht. Dies hat sich die vorliegende Arbeit zur Aufgabe gemacht. Denn verschiedene Punkte bedürfen einer Klärung. Zunächst fragt sich, ob und wie die Verbreitung eines Filmwerks mittels Video grundsätzlich von der Verfassung geschützt wird und welche Eingriffe die Schranken einschlägiger Grundrechte hierbei zulassen. Sodann ist zu untersuchen, wie die bestehenden gesetzlichen Einschränkungen der Herstellung und Verbreitung von Gewaltdarstellungen auf Videokassetten im einzelnen den verfassungsrechtlichen Anforderungen standhalten. Dies darf jedoch nicht geschehen, ohne vorher Klarheit über den Lebenssachverhalt zu schaffen, auf den das Recht hier einwirkt. Damit rechtliche Bewertungen nicht auf der Grundlage gängiger Meinungen und Vorurteile, sondern allein aufgrund der nüchternen Tatsachen erfolgen, ist ein fundiertes Tatsachenwissen unerläßlich. verursachen (vgl. H. Scarbath, in: ders./Straub (Hrsg.), Die heimlichen Miterzieher, S. 13 ff. [14]). 6 Ein gängiges Schlagwort lautete damals: "Femsehkinder sind dumme Kinder" (vgl. M. Stoffers, Jugendschutz 1982,97). 7 Vgl. H. Lukesch u.a., Jugendmedienstudie, S. 283 f.; ders., Video im Alltag der Jugend, S. 11 f.; ähnlich K. Barteis, RuF 1984, 491 ff.; H. Scarbath, in: ders./Straub (Hrsg.), Die heimlichen Miterzieher, S. 13 ff.

8 Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit vom 25. Feb. 1985, BGBL I, S. 425 ff. 9 Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften, BT-Drs. 10/4682 vom 16. 1. 1986; BT-Drs. 11/638 vom 23. 7.1987; BRats-Drs. 921/90 vom 1. 3.1991. 10 So steht die Jahrestagung 1991 der Deutschen Gesellschaft für Jugendschutz (DGJ) unter dem Motto "Mediale GewaItdarstellungen und ihre Bekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa" .

Einleitung

25

Die vorliegende Untersuchung wird daher zunächst den zugrundeliegenden Sachverhalt ausleuchten. Dazu wird sie die technische Entwicklung des Mediums Video nachzeichnen, Eigenart und Strukturen des Videoprogramm-Marktes darstellen, einen Blick auf die sog. Gewalt-Videos werfen und sich schließlich mit den Wirkungen von Mediengewalt auf die Zuschauer beschäftigen, wobei diesen Ausführungen in bezug auf die folgende rechtliche Würdigung vor allem dienende Funktion zukommt. Im zweiten Teil der Arbeit werden die für das Medium Video maßgeblichen grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen herausgearbeitet. Hier geht es zunächst um die Anwendung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2, der die Freiheit der herkömmlichen Massenmedien Presse, Rundfunk und Film gewährleistet. Daneben ist aber auch auf die Freiheit der Kunst (Art. 5 Abs. 3) einzugehen. Außerdem ist zu fragen, ob Berufs- und Eigentumsfreiheit, die speziell auf wirtschaftliche Aspekte ausgerichtet sind, gleichfalls Wirkung entfalten. Der dritte Teil schließlich behandelt die gesetzlichen Einschränkungen, die auf Gewaltdarstellungen auf Videokassetten Anwendung finden. Dies sind die Bestimmungen der §§ 6 und 7 des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG), das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS) und § 131 StGB, die vor dem Hintergrund der zuvor gefundenen Ergebnisse auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüft werden. Dabei ist es ein Anliegen der Arbeit, die Filmfreiheit, die bislang eher ein Schattendasein führt, angesichts des Mediums Video mit neuem Leben zu erfüllen. Der zweite Teil der Untersuchung entwickelt daher ihren Gewährleistungsbereich allgemein im Verhältnis zu den anderen einschlägigen Grundrechten, während der dritte Teil Gelegenheit gibt, die Filmfreiheit in konkreten Anwendungsfällen zu erleben und dergestalt ihre Einsatzmöglichkeit, Schutzrichtung und Reichweite in einzelnen zu verdeutlichen. Wenn es im folgenden um Gewaltdarstellungen geht, so ist im Vorwege der Begriff der Gewalt anzusprechen. Die Verwendung dieses Begriffs erfolgt insgesamt nicht einheitlich. In den Sozialwissenschaften ist er von dem ursprünglich gemeinten körperlichen Angriff gegen Personen ausgeweitet worden auf Angriffe gegen Sachen, auf psychische Gewalt, die keine Einwirkung auf den Körper sondern auf den Willen darstellt, und auf die sog. strukturelle Gewalt. Bei letzterer handelt es sich um Zwangsmerkmale in sozialen Systemen, die aus prinzipiell ungleichen Herrschafts- und Machtverhältnissen resultieren. Der Begriff der strukturellen Gewalt erfaßt größtenteils jede Art der Verhinderung von menschlichen Entfaltungsmöglichkeiten in der Gesellschaft und dient damit vorwiegend als politischer Kampfbegriff. 11 Auch der strafrechtliche Gewaltbegriff 11 Vgl. zum obigen H. D. SchwindlJ. Baumann u.a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band I, Endgutachten, Rdnm. 22 ff., Band 11, Erstgutachten UK Psychologie, Rdnrn. 5 ff.; B. Schorb/ H. Theunert, medien + erziehung 1982, 322 ff. (323 f.); H. J. Schneider, JZ 1992,385 ff. (387).

26

Einleitung

wurde durch eine "Entmaterialisierung" ausgeweitet. Anläßlich der strafrechtlichen Beurteilung von Sitzblockaden hatte die Rechtsprechung auf das Merkmal der Einwirkung auf den Körper des Opfers verzichtet und eine die Willensfreiheit beeinträchtigende Zwangswirkung als ausreichend angesehen. 12 Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung entschärft sich die begriffliche Problematik jedoch. Soweit das Gewaltdarstellungsverbot des § 131 StGB angesprochen ist, enthält jene Vorschrift eine tatgestandliche Eingrenzung auf die Schilderung grausamer oder sonst unmenschlicher Gewalttätigkeiten gegen Menschen, womit die sonstigen oben angesprochenen Gewaltformen ausdrücklich ausscheiden. Soweit es um die Gefährdung der Jugend durch Gewaltdarstellungen geht, ist nur die jugendschutzrelevante Komponente des Gewaltbegriffs von Bedeutung. Diese beschränkt sich ebenfalls auf die Anwendung körperlicher Gewalt gegen Personen. 13 Unter Gewaltdarstellungen sind demnach vorliegend nur Darstellungen von Gewalt im ursprünglichen physischen Sinne zu verstehen.

12 BGHSt 23, 46 (54) - Laepple-Urteil; BVerfGE 73, 206 (239 f.) - Mutlanger Sitzblockaden; siehe dazu auch H. D. Schwind/J. Baumann u.a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band I, Endgutachten, Rdnm. 27 ff.; H. J. Schneider, JZ 1992, 385 ff. (387); vgl zum strafrechtlichen Gewaltbegriff auch O. Boeckmann, JZ 1986, 1050 f.; R. Keller, JUS 1984, 109 ff. 13 So auch G. Kaiser, in: OehlerlSüssmuth u.a., Jugendschutz und Medien, S. 67 ff. (78).

Erster Teil

Technische, wirtschaftliche und sozialwissenschaftliche Grundlagen A. Die Entwicklung und Verbreitung des Videorecorders I. Die Entwicklung der magnetischen Aufzeichnungs· technik für den Einsatz in Rundfunkanstalten

Die apparative Grundlage für das Medium Video ist der Videorecorder. Obwohl der Begriff Video (1at.: ich sehe) erst in den achtziger Jahren zum Schlagwort für ein neues Medium und für ein potentielles gesellschaftliches Gefährdungsmoment wurde, das den Gesetzgeber zu entsprechenden Regelungen veranlaßte, hat der Videorecorder eine weitaus längere Geschichte. Videorecorder fanden erstmals 1956 bei Rundfunkanstalten in den USA Verwendung. Ihre Entwicklung steht in engem Zusammenhang mit den technischen Anfängen des Fernsehens, dem es in den ersten Jahren seines Bestehens an einem adäquaten Mittel zur Speicherung von Fernsehbildern fehlte. 14 In seiner Funktionsweise basiert der Videorecorder auf der Tonbandtechnik, einer deutschen Entwicklung der dreißiger Jahre aus dem Hause AEGffelefunken, die nach Kriegsende in den USA von der Ampex Electric Corporation weiterentwikkelt worden war. 15 Nach mehrjähriger Entwicklungszeit gelang es schließlich, auch Bilder magnetisch aufzuzeichnen. Ähnlich wie bei einem Tonbandgerät werden dabei in elektrische Impulse umgewandelte Bild- und Tonsignale auf magnetischem Wege auf einem Trägermaterial (dem Videoband) gespeichert. 16 Am 14. April 1956 präsentierte die Firma Ampex in Chicago den ersten "Video Tape Recorder". Das Gerät mit dem Namen "Mark IV" hatte die gleiche 14

S.lO.

S. Zielinski. Geschichte des Videorecorders, S. 66 ff.; P. Lanzendorf. Videofilmen,

15 S. Zielinski. Geschichte des Videorecorders, S. 68 ff.; K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 102. 16 Grundlegend zum Verfahren der magnetischen Aufzeichnung vgl. B. Gruber/M. Vedder. Handbuch der Video-Praxis, S. 145 ff.; H. Bahr. Alles über Video, Abschn. 2.2 (S. 33 f.).

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I. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

Bandgeschwindigkeit wie ein professionelles Tonbandgerät (38 cm pro Sekunde) und verwendete auf Spulen von 30 cm Durchmesser ein 2 Zoll (51 mm) breites Magnetband, das durch vier quer zur Bandrichtung in hoher Geschwindigkeit rotierende Magnetköpfe beschrieben wurde. 17 Es ermöglichte Fernsehaufzeichnungen von maximal einer Stunde Dauer in schwarz-weiß und wurde sofort von allen großen US-Fernsehgesellschaften angeschafft. 18 Der erste Einsatz des Video Tape Recorders fand am 30. November 1956 im Nachrichtenprogramm der CBS statt, deren Sendegebiet sich über verschiedene Zeitzonen erstreckt. Eine fünfzehn Minuten lange abendliche Nachrichtensendung wurde wie üblich in New York produziert und live ausgestrahlt. Gleichzeitig wurde sie an die Westküste überspielt und dort mittels Videorecorder aufgezeichnet. Drei Stunden nach der Ausstrahlung an der Ostküste wurde das Programm dann für die Zuschauer an der Westküste gesendet. 19 Binnen kurzer Zeit konnte sich der Videorecorder auf diese Weise als Mittel zur Speicherung von Programmen für deren zeitversetzte Ausstrahlung etablieren. Dabei wies das System technisch noch wesentliche Einschränkungen auf. Schnittmöglichkeiten waren nicht entwickelt, so daß eine wie beim Film übliche Montage einzelner Einstellungen nicht durchführbar war. Es konnten nur komplette Programme in einem Stück aufgezeichnet werden. 20 Zum anderen gab es noch beträchtliche Probleme bei der Herstellung des Bandmaterials, denn hierbei war höchste Präzision erforderlich. Erst ab Frühjahr 1957 konnte der Hersteller des Videobandes, die Firma 3M, mit dessen serienmäßiger Produktion beginnen. Im April 1957 standen überhaupt erst 50 Spulen mit einer Aufnahmedauer von je einer Stunde zur Verfügung. 21 Dennoch machte die Integration des Videorecorders in den Fernsehbetrieb rasche Fortschritte. Die Geräte wurden währenddessen technisch weiter verbessert, kompakter in den Aus~aßen und farbtüchtig. 1958 erwarb als erste bundesdeutsche Rundfunkanstalt der Südwestfunk einen Videorecorder. Der Ersteinsatz erfolgte am 9. Dezember des Jahres im ARDAbendprogramm, indem ein vorher aufgezeichnetes 35-minütiges Feature über Vincent van Gogh vom Band ausgestrahlt wurde. Schon bald wurden weitere 17 Zur verwendeten Aufnahmetechnik des sog. Querspur- oder Quadruplex-Verfahrens vg!. ausführlich J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, Abschn. E 3.5.1; R. v. Wezel, Video-Handbuch, Abschn. 6.3.2 (S. 260 ff.); B. Gruber/M. Vedder, Handbuch der Video-Praxis, S. 153 f. 18 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 84 ff.; H. Bahr, Alles über Video, Abschnitt 1.2.2 (S. 3 f.); K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 102 f. 19 H.-M. Glogger, Videohandbuch, S. 37; S. Zielinski. Geschichte des Videorecorders, S.104. 20 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 105; J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, Abschn. E 3.12. 21 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 103.

A. Die Entwicklung und Verbreitung des Videorecorders

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Videorecorder in den Rundfunkanstalten eingesetzt, um die Fernsehproduktionen vom Sendetermin loszulösen und so eine bessere Ausnutzung der Studioanlagen und Personalmittel zu erreichen.22 Im Jahre 1962 hatte sich auch in der Bundesrepublik der Integrationsprozeß des Videorecorders vollzogen. 23 Seither hat die magnetische Bildaufzeichnung (abgekürzt "MAZ") neben Live-Sendungen und Filmbeiträgen ihren festen Platz unter den Produktionsverfahren der Rundfunkanstalten. Der Anteil der mit Videotechnik produzierten Sendungen am Gesamtprogramm der ARD betrug im Jahre 1990 48 Prozent. 24 11. Die Verbreitung außerhalb von Rundfunkanstalten

Die Ampex-Geräte der ersten Generation waren noch teuer und schwerfallig. 25 Der Weg zur Vereinfachung, Verkleinerung und Verbilligung der Technik konnte langfristig nur mit einem anderen Aufnahmeverfahren beschritten werden, dem sog. "Schrägspur" - oder "Helical Scan" -Verfahren. Diese Technik beruhte auf einem Patent des Telefunken-Ingenieurs Eduard Schüller aus dem Jahre 195326 und wurde von der japanischen Firma Toshiba zur Produktreife entwickelt. Im Unterschied zum Querspur-Verfahren der Ampex-Geräte werden die Videosignale hier nicht im rechten, sondern im spitzen Winkel, diagonal zum Bandverlauf geschrieben, wobei das Band um eine schrägstehende und rotierende Kopftrommel herumgeführt wird, die die Magnetköpfe enthält. 27 Damit ist diese Technik bereits die Grundlage für die heutigen Heimvideorecorder. Konsequenz dieses Verfahrens ist bei leicht verminderter Aufzeichnungsqualität eine bessere Ausnutzung des Bandmaterials und eine weniger aufwendige technische Ausstattung und einfachere Bedienung der Geräte. 28 Das erste Modell von Toshiba aus dem Jahre 1962 benötigte nur noch 1 Zoll breites Videoband. 29 22 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. l31 ff.; ders., Communications 1/1985,45 ff. (46); K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 103. 23 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 142 24 ARD-Jahrbuch 91, S. 423.

J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, Abschn. E 3.6 (S. 465). H.-M. Glogger, Videohandbuch, S. 20, 38 (auf S. 19 ist ein Faksimile der Patentschrift Schüllers abgedruckt). 27 Nähere Einzelheiten zu dieser Technik finden sich bei J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, Abschn. E 3.6; P. LanzendorJ, Videofilmen, S. 14 f.; R. v. Wezel, Video-Handbuch, Abschn. 6.3.3 (S. 270 ff.); B. Gruber/M. Vedder, Handbuch der Video-Praxis, S. 154 ff.; H. Bahr, Alles über Video, Abschn. 1.2.3 (S. 4 ff.); S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 160 ff. 28 P. Lanzendorf, Videofilmen, S. 16; R. v. Wezel, Video-Handbuch, Abschn. 6.3.3 (S.271). 29 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 165. 25

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1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

Weitere Schrägspurgeräte wurden im Laufe der sechziger Jahre von mehreren Firmen auf den Markt gebracht. Sie breiteten sich außerhalb der Rundfunkanstalten im industriellen bzw. institutionellen Einsatz aus, wo die Höchstqualität der großen Ampex-Geräte nicht erforderlich war. 30 In der Medizin, beim Militär oder im Bereich des Marketing bediente man sich schnell der neuen Medientechnik. Die Einsatzgebiete waren sehr unterschiedlich: magnetische Aufzeichnungsgeräte wurden für Zwecke der Forschung genutzt, für die Aus- und Weiterbildung, zur Überwachung und Beobachtung von Objekten, Prozessen oder Personen, sowie ganz generell auch für die betriebsinterne oder -externe Informationsverteilung. Anwendungsbereiche erschlossen sich auch beim Sport, bei Ballett und Theater, sowie in vielen Bereichen der Wissenschaft. 3 ! Die durch die Videotechnik geschaffenen Darstellungsmöglichkeiten haben auch verschiedene Künstler dazu bewegt, sich mit dem Videorecorder zu beschäftigen. So ist schon in den sechziger Jahren vornehmlich durch die Arbeiten des Koreaners Nam June Paik die Videokunst propagiert worden. Vor allem in den USA sind Videokunstgruppen entstanden, die mit Hilfe der Videotechnik herkömmliche visuelle Ausdrucksformen erweitern. 32 Andere Videogruppen bildeten sich, um mit dem Videorecorder alternative Medienarbeit zu betreiben. Auch diese Entwicklung stammt aus den USA. Dort entstand Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre die Bewegung des "Guerilla Television", das sich mit politischem Engagement beispielsweise der Probleme sozialer Minderheiten annahm. In der Bundesrepublik bildeten sich damit vergleichbare Stadtteilgruppen und Medienwerkstätten, die bald auch in den offenen Kanälen der verschiedenen Kabelnetze eid Forum fanden. 33

30 Zum institutionellen/industriellen Einsatz der Video-Technik siehe ausführlich D. Fahry/K. Palme, Video-Technik, Kap. 2 (S. 14-41), sowie S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 179 ff. 3! Diese Anwendungsbereiche existieren weiterhin. Im Jahre 1984 beschrieb der "Stern" (Heft Nr. 9 vom 23. Februar 1984, S. 60) griffig: "Busfahrer werden geschult, Haare gefärbt, Autos gebaut, Warenhäuser bemustert, Operationen gefilmt, Sportler getrimmt, Glücksspieler gelockt, Manager ausgebildet, Patienten belehrt, Menüs gekocht, Gebäude überwacht, Demonstranten identifiziert, Soldaten gedrillt, Produkte verkauft, Heiratswünsche erfüllt - alles per Video". Vg!. auch H. Bahr, Alles über Video, Abschn. 6.2,6.3 (S. 221 ff.). 32 Vg!. D. Ratzke, Handbuch der Neuen Medien, S. 274 f.; S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 189 ff. 33 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 191 ff.; K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 115 ff.; D. Ratzke, Handbuch der Neuen Medien, S. 274; G. Gericke, Media Perspektiven 1980,279 ff. (284).

A. Die Entwicklung und Verbreitung des Videorecorders

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III. Die Entwicklung zum Heimvideorecorder

Ein weiterer Schritt zur Vereinfachung der Geräte bestand in der Entwicklung der Videocassette, die das komplizierte manuelle Einfadeln des Bandes entbehrlich machte. Zwei Cassetten-Systeme wurden in kurzem Abstand in den Markt eingeführt: der U-Matic Videorecorder von Sony und der Video Cassetten Recorder (VCR) von Philips.34 Das U-Matic System, im Jahre 1969 vorgestellt und 1971 eingeführt, verwendete eine Cassette mit 3/4 Zoll breitem Videoband. 35 Das VCR System von Philips, das auf der Internationalen Funkausstellung 1971 in Berlin einer breiten Öffentlichkeit präsentiert wurde, benutzte Cassetten mit einem nur 1/2 Zoll breiten Videoband auf übereinander liegenden Bandwickeln.36

Zwar konnte es qualitativ mit dem U-Matic System nicht mithalten, dafür waren die VCR-Geräte jedoch preiswerter: Preisen von 4.000.- bis 8.000.- DM für ein U-Matic Gerät standen Preise zwischen 2.000.- und 2.800.- DM für einen VCRRecorder gegenüber. Das U-Matic System wurde schnell zum Standard für den institutionellen und industriellen Video-Einsatz, wofür es bis heute noch verwendet wird. 37 Dem VCR-System war die Funktion zugedacht, den Videorecorder als Konsumgut für den Massenmarkt zu etablieren. Denn Anfang der siebziger Jahre gingen euphorische Einschätzungen bereits davon aus, daß für die breite Öffentlichkeit ein "neues Medienzeitalter" unmittelbar bevorstehe. Unter den Stichworten "Kassettenfernsehen" und "Audiovision" wurden Konzepte vorgestellt und diskutiert, die es alsbald ermöglichen sollten, daß "jedermann sein eigener Programmdirektor" werden könne. 38 Besonders bei großen Verlagshäusern kam es zur Neugründung verschiedener Tochtergesellschaften,39 die mit dem Vertrieb von Audiovisionsprogrammen einen Gegenpol zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk schaffen sollten. 40 Auch im Bereich Bildung und Unterricht wurden große Umwälzungen vorausgesagt. Bestimmte Informationen glaubte man durch die Audiovisionstechnologie

34 Vgl. dazu S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 174 ff.; K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 104. 35 Eine technische Beschreibung des U-Matic Systems findet sich bei J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, Abschn. E 3.7.1. 36 Zur Technik des VCR Systems siehe näher H. Bahr, Alles über Video, Abschn. 3.1 (S. 45 ff.). 37 P. Lanzendorj, Videofilmen, S. 11; S. Zielinski, Communications 1/1985,45 ff. (51 f.). 38 Vgl. R. Bücken, Media Perspektiven 1978, 1; G. Brugger/L. Wedel, UFITA Bd. 65 (1972), 159; J. H. KnolI, Rundfunk und Fernsehen 1971, 155 ff. (157). , 39 B. Schiphorst, Audiovision - Portrait einer Branche, S. 15 f.; Media Perspektiven 1975,28 ff. (30 f.) ohne Namensangabe; ausführlich auch ZDF (Hrsg.), Fernsehen und Kassette, S. 12 ff. 40 C. A. Weber, Film und Recht 1970, 145.

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1. Teil: Technische, wirtschaftl. und sozialwiss. Grundlagen

besser als auf herkömmliche Weise vermitteln zu können; zudem würde der Lernende die für ihn optimale Lerngeschwindigkeit selbst frei bestimmen können. 41 Speziell im Universitätsbereich existierten Hoffnungen, mit Hilfe audiovisueller Systeme die anstehende Studentenlawine bewältigen zu können, indem ein und dieselbe Lehrveranstaltung zeitgleich oder nacheinander an verschiedenen Orten verfügbar sein sollte.42 Gerätebasis all dieser Überlegungen war nicht nur der Videorecorder, sondern daneben waren auch andere Bildaufzeichnungssysteme vorgestellt worden, die den Massenmarkt erschließen sollten. Außer dem VCR System waren das die Bildplatte und der Super-8 Film, sowie das sog. EVR- und das Selecta-Vision Verfahren. 43 Die in sie gesetzten hohen Erwartungen konnten diese Systeme jedoch alle nicht erfüllen; statt dessen erwiesen sie sich weitgehend als kommerzielle Mißerfolge.44 Auch das VCR System konnte die angestrebte Verbreitung 41 C. A. Weber, Film und Recht 1970, 145 f.; K. Brepohl, Film und Recht 1970, 128 ff. (133 f., 136); H. Jedele, in: K. v. Bismarck/G. Herrrnann u.a., Zum Thema Kassettenfernsehen, S. 23 ff. (25); J. H. KnolI, Rundfunk und Fernsehen 1971, 155 ff. (163). 42 Vgl. K. Brepohl, Film und Recht 1970, 128 ff. (134); J. H. KnolI, Rundfunk und Fernsehen 1971, 155 ff. (163); ausgehend von amerikanischen Beispielen bezogen sich die Überlegungen auch darauf, juristische Examenskurse über den Bildschirm abzuhalten - es wurde sogar mit dem Gedanken gespielt, anstelle von Hochschullehrern Schauspieler einzusetzen; vgl. M. Rehbinder, Film und Recht 1970, 68. 43 Eine anschauliche Übersicht über diese Verfahren gibt G. Drechsler, ZDF-Jahrbuch 1970, S. 102 ff,; siehe auch K. Brepohl, Film und Recht 1970, 128 ff. (131 f.); G. Brugger/L. Wedel, UFITA Bd. 65 (1972), 159 ff. (161 ff.); G. Brugger, Die neuen audio-visuellen Systeme, S. 17 ff.; K. v. Bismarck, in: K. v. Bismarck/G. Herrrnann u.a., Zum Thema Kassettenfernsehen, S. 7 ff. (8 f.); ZDF (Hrsg.), Fernsehen und Kassette, S.7 ff.; sowie H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 23 ff.; M. Emmes, Rechtliche Probleme lokaler Prograrnmtätigkeit mittels Videorecordertechnik, S. 9 ff. Vgl. im übrigen zum Super-8 Film: G. Jacoby, Film und Recht 1971, 387 ff. (389); R. Bücken, Media Perspektiven 1978, 1 ff. (9); siehe hierzu ausführlich auch H. Bahr, Alles über Video, Abschn. 1.3.5 (S. 23 f.). Zur Bildplatte siehe näher: H. Bahr, a.a.O. Abschn. 1.3.1 (S. 6 f.); J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, Abschn. F (S. 555 f.); D. Ratzke, Handbuch der Neuen Medien, S. 289. Nähere Einzelheiten zum EVR System siehe bei H. Bahr, a.a.O., Abschn. 1.3.6 (S. 25); G. Brugger, UFITA Bd. 56 (1970), 1 ff. (2 ff.); vgl. dazu auch G. Koch, Zur Frage der Zuordnung der neuen audiovisuellen Medien, S. 56 f. Nähere Einzelheiten zu Selecta-Vision siehe bei H. Bahr, a.a.O., Abschn. 1.3.6 (S. 25 f.); M. Rehbinder, Film und Recht 1970,68; vgl. auch G. Koch, a.a.O., S. 57 ff. 44 Dazu S. Zielinski, Communications 1/1985,45 ff. (51). Die Medienberichte der Bundesregierung von 1974 und 1978 hielten bei ihrer Bestandsaufnahme der Medienlandschaft die A V-Medien noch nicht für darstellungswürdig und behielten deren Behandlung späteren Berichten vor (vgl. die Berichte der Bundesregierung über die Lage von Presse und Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland 1974, BT-Drs. 7/2104, S. 4, und 1978, BT-Drs. 8/2264, S. 1). Erst im Medienbericht 1985 sollte ein Abschnitt der Audiovision gewidmet werden, der sich dann in erster Linie mit dem Videorecorder zu befassen hatte

A. Die Entwicklung und Verbreitung des Videorecorders

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als Heimvideorecorder nicht erreichen.45 Gründe dafür waren die noch zu hohen Geräte- und Bandkosten, eine zu geringe Aufnahmekapazität, die es nicht erlaubte, längere Fernsehsendungen oder Spielfilme an einem Stück aufzuzeichnen, sowie die Schwerfälligkeit und Kompliziertheit der Geräte. 46 Dies sollte sich erst mit der Einführung der Systeme VHS, Betamax und Video 2000 ändern, die den Videorecorder endgültig zu einem Erzeugnis der Unterhaltungselektronik werden ließen. Technisch geschah dies durch eine Variante des Schrägspurverfahrens, mit der die Bandgeschwindigkeit erheblich verringert und der Bandverbrauch wesentlich reduziert werden konnte, was die Aufnahmekapazität steigen ließ. 47 Die beiden Systeme VHS und Betarnax wurden kurz nacheinander in den Markt eingeführt: 1975 waren die ersten BetaRecorder48 von Sony in Japan und den USA erhältlich, 1976 folgte dort die Einführung des Video Horne Systems (VHS) durch Hitachi und im Jahre 1978 kamen beide Systeme in die Bundesrepublik.49 Untereinander unterscheiden sich Beta- und VHS-Systeme nur geringfügig. 50 Gegenüber dem europäischen VCR-Standard besaßen beide Formate aber gleichermaßen große Vorteile: Der Aufzeichnungskapazität einer VCR-Cassette von maximal 69 Minuten standen Kapazitäten von etwa 3 Stunden bei VHS und Beta gegenüber, die mit der Zeit durch dünnere Bandsorten noch gesteigert wurden. 51 Zudem waren die Bandkosten wesentlich niedriger. 52 Die VCR-Hersteller Philips und Grundig reagierten (v gl. den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Medien in der Bundesrepublik Deutschland (1985) - Medienbericht '85, BT-Drs. 10/5663, S. 72 ff.). 45 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 210. Noch 1976/77 war der einzig existierende Markt für Videorecorder in der Bundesrepublik der industrielle bzw. institutionelle Markt, vgl. J. AuJermann/M. Knoche/B.-P. Lange/A. Zerdick, Media Perspektiven 1977,445 ff. (451). 46 S. Zielinski, Communications 1/1985,45 ff. (46). 47 Nähere Einzelheiten dazu finden sich bei B. Gruber/M. Vedder, Handbuch der Video-Praxis, S. 156 ff.; J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, Abschn. E 3.8.3; P. Lanzendorf, Videofilmen, S. 16, 18. 48 "Beta" ist der japanische Ausdruck für "dicht an dicht", womit auf die Technik der Aufzeichnung angespielt wird, vgl. P. LanzendorJ, Videofilmen, S. 25; B. Gruber/M. Vedder, Handbuch der Video-Praxis, S. 42. 49 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 204 f.; H. Bahr, Alles über Video, Abschn. 3.4, 3.5 (S. 65, 67). 50 Zu den technischen Einzelheiten von VHS und Beta sowie deren Unterschieden vgl. J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, Abschn. E 3.8.3.1, 3.8.3.2; P. Lanzendorf, Videofilmen, S. 25 ff.; H. Bahr, Alles über Video, Abschn. 3.4, 3.5 (S. 64 ff.); H.-M. Glogger, Videohandbuch, S. 51 f. 51 Die Spielzeit beträgt bei Beta-Kassetten bis zu 215 Min., bei VHS-Kassetten bis zu 240 Min. (vgl. B. Gruber/M. Vedder, Handbuch der Video-Praxis, S. 44 f.; P. Lanzendorf, Videofilmen, S. 28, 31). 52 Die Kosten pro Aufnahmestunde betrugen beim VCR-Format rund 86.- DM, bei 3 Meirowitz

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1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

nach kurzlebigen Zwischenlösungen53 im Jahre 1979 mit der Präsentation von Video 2000 als der europäischen Alternative zu Beta und VHS. 54 Damit waren die Systeme geschaffen, die zur verstärkten Ausbreitung des Videorecorders im Massenmarkt führen sollten. Die drei verschiedenen Formate waren untereinander jedoch nicht kompatibel, das heißt Kassetten des einen Systems konnten auf Geräten eines anderen Systems nicht abgespielt werden, was einen Kampf um Marktanteile zur Folge hatte. Eine großzügige Lizenzpolitik des VHS-Entwicklers JVC bewirkte dabei langfristig, daß der größte Teil der geräteproduzierenden Industrie VHS-Recorder anbot. Das VHS-System entwikkelte sich mit der Zeit zum de-facto Standard und hat mittlerweile die anderen Systeme verdrängt. 55 Der Trend zur Verkleinerung, Vereinfachung und technischen Verbesserung der Geräte setzte sich auch weiterhin fort. Daneben wurde von Sony unter dem Namen "Video 8" (bzw. in der später verbesserten Version "Video Hi-8") ein weiteres Videosystem eingeführt, das ein Magnetband von nur noch 8 mm Breite verwendet und dessen Videokassetten nicht größer als herkömmliche Tonbandkassetten sind.56 Video 8 konnte sich zwar als Standard für Heimrecorder nicht durchsetzen, hat jedoch bei Kamerarecordern einen Marktanteil von 50 Prozent erreicht. 57

VHS und Beta dagegen ca. 19.- und 17.- DM; vg!. S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 211; vg!. auch R. Bücken, Media Perspektiven 1978, 1 ff. (4 f.); K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 105. 53 Jede Firma brachte eine Variante des VCR-Systems mit vergrößerter Aufnahmekapazität heraus: VCR-Longplay (Philips) und SVR (Grundig). Die Systeme waren jedoch zum ursprünglichen VCR-Standard nicht mehr kompatibel, so daß alte VCR-Cassetten auf den neuen Geräten nicht mehr abgespielt werden konnten, vg!. H. Bahr, Alles über Video, Abschn. 3.2, 3.3 (S. 58 ff.); S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 208 f.; P. Lanzendorf, Videofilmen, S. 12; H.-M. Glogger, Videohandbuch, S. 50 f.; R. Bücken, Media Perspektiven 1978, 1 ff. (2 f.). 54 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 209; K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 106; P. Lanzendorf, Videofilmen, S. 12; H. Bahr, Alles über Video, Abschn. 2 (S. 28). Zu den technischen Einzelheiten siehe H. Bahr, a.a.O., Abschn. 3.7 (S. 75 ff.); J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, Abschn. E 3.8.3.3; P. Lanzendorf, a.a.O., S. 33 ff.; H.-M. Glogger, Videohandbuch, S. 53. 55 K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 202 f.; ders., Media Perspektiven 1991,810; S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 238 ff.; J. HackforthlK. Schönbach, Video im Alltag, S. 6 f.; ehr. Wild, Media Perspektiven 1986, 183 ff. (184 f.); R. Bücken, Media Perspektiven 1980,21 ff. (23). 56 Vg!. R. Bücken, Media Perspektiven 1985, 317 ff. (325 f.); S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 219 ff. 57 K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 202 f.; ders., Media Perspektiven 1991,810.

A. Die Entwicklung und Verbreitung des Videorecorders

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IV. Der sog. "Video-Boom"

Bald nachdem die Systeme VHS und Beta in den Markt eingeführt waren, begann der Absatz an Geräten sprunghaft zu steigen. Ende 1977 belief sich der Bestand der in der Bundesrepublik zur privaten Nutzung angeschafften Videorecorder auf etwa 48.000 Stück,58 von denen 30.000 überhaupt erst im Jahre 1977 gekauft worden waren. 59 1978 begann mit dem Absatz von etwa 70.000 Geräten langsam der Aufschwung. Als "Boomphase" wird die Zeit ab 1980 bezeichnet. 60 Im Jahre 1981 überschritt der Bestand der insgesamt vorhandenen Geräte die Millionengrenze, 1982 überschritten die jährlichen Verkaufszahlen erstmals die Million. 61 1987 überschritten sie die Marke von 2 Millionen Stück pro Jahr und 1991 liegt der Absatz in den alten Bundesländern bei 2,6 Millionen Geräten (siehe das folgende Schaubild).

Absatz von Videorecordern in der Bundesrepublik

Tsd. Stück

(Geräteabsatz der Industrie an den Handel, alte und neue Bundesländer)

3 .000

2.600

2.500 2.000 1.500 1.000 500

70 0 . -......._ 1978

....

1979

1980

1981

1982

1983

1984

1985

1986

1987

1988

1989

1990

1991

Quelle: Zahlen bis 1988: K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 204 und Media Perspektiven 1989, S. 278. Zahlen ab 1988: Filmstatistisches Taschenbuch 1992, Tabelle 60

Mit der zunehmenden Massenproduktion sanken die Preise der Systeme. Betrug der durchschnittliche Anschaffungspreis für Videorecorder im Jahre 1978 noch rund 2.800 DM,62 so waren im Jahre 1988 Videorecorder schon ab 600,- DM 58 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 229. 59 N. Thurow, Film und Recht 1981, 70 unter Berufung auf den "Spiegel" Nr. 48 vom 24. November 1980, S. 44; Bericht der Bundesregierung über die Lage der Medien in der Bundesrepublik Deutschland (1985) - Medienbericht '85, BT-Drs. 10/5663, S. 73. 60 J. HackforthlK. Schönbach, Video im Alltag, S. 4; vgl. auch "Der Spiegel" Nr. 48 vom 24. November 1980, S. 42. 61 Zahlen über den Geräteabsatz finden sich im Medienbericht '85, BT-Drs. 10/5663, S. 73; sowie bei K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 204; ders., Media Perspektiven 1989, 277 ff. (278); S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 234; J. HackforthlK. Schönbach, Video im Alltag, S. 6.

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1. Teil: Technische, wirtschaftl. und sozialwiss. Grundlagen

erhältlich.63 Auch die Preise für das Bandmaterial sanken beträchtlich. 1992 lagen die Bandkosten pro Stunde in preisgünstigen Angeboten bei etwa 3,- DM. Im Winter 1981/82 lag die Haushaltssättigung mit Videorecordern in der Bundesrepublik bei etwa 5 Prozent und stieg bis zum Winter 1983/84 auf 11 Prozent an. 64 1986 hatte sie 20 Prozent erreicht,65 1987 waren es 25 Prozent und 1990 lag die Marktsättigung bei 40 Prozent66 (siehe das folgende Schaubild).

Haushaltssättigung mit Videorecordern in Prozent

(alte und neue Bundesländer)

40

40

30

20

10

o

1981

1984

1987

1990

Quelle für die Zahlenangaben: ehr. Wild, Media Perspektiven 1986, 184; ders., Media Perspektiven 1988,447 f.; ders., Media Perspektiven 1991, 819, 823; W. Darschin/B. Frank, Media Perspektiven 1991, 192

Prognosen zufolge soll diese Quote 1995 51 Prozent und bis zum Jahr 2005 66 Prozent erreicht haben. 67 Diese Steigerung ist zwar stetig, doch im Vergleich zu anderen Neuentwicklungen des Medienbereichs nicht übermäßig steil. Das Farbfernsehen erreichte in der Bundesrepublik schon nach 10 Jahren die Sättigungsrate von 50 Prozent. 68 Stärker verlief der Video-Anstieg dagegen in den 62 Vgl. S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 249; Medienbericht '85, BT-Drs. 10/5663, S. 73. 63 K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 205; ders., Media Perspektiven 1989,277. 64 Vgl. J. Pfifferling/J. Wiedemann, Media Perspektiven 1983, 570 ff. (571); J. Wiedemann, Media Perspektiven 1984, 706 f.; Chr. Wild, Media Perspektiven 1986, 183 f. Siehe auch S. Zielinski, Communications 1/1985,45 ff. (48 f.). 65 Chr. Wild, Media Perspektiven 1988,447 f; W. Darschin/B. Frank, Media Perspektiven 1988,214 ff. (226). 66 W. Darschin/B. Frank, Media Perspektiven 1991, 178 ff. (\92). Etwas höhere Zahlen nennen das Filmstatistische Taschenbuch 1992, Tabelle 60, und das Deutsche Video Institut. 67 So die Delphi-Studie der Europäischen Gemeinschaften, vgl. M. Knoche/W. Seufert, Media Perspektiven 1987, 111 ff. (\ 18 f.); K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 204; ders., Media Perspektiven 1989,277 ff. (278).

A. Die Entwicklung und Verbreitung des Videorecorders

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neuen Bundesländern, wo im Herbst 1990 bereits eine Quote von 17 Prozent erreicht war. 69 Auch in anderen Ländern fanden Videorecorder eine starke Verbreitung. Der weltweite Bestand an Videorecordern wurde 1983 vom Londoner International Institute of Communication (IIC) auf über 40 Millionen Stück geschätzt, Ende 1984 nach einer Berechnung der MPAA (Motion Picture Association of America) auf 56 Millionen. Davon standen 13,3 Millionen in Japan und 13,2 Millionen in den USA. 70 1990 hatten in den USA und Großbritannien jeweils 70 bzw. 72 Prozent der Fernsehhaushalte einen Videorecorder; in Japan waren es 73 Prozent. Sättigungsraten von 53 bis 60 Prozent fanden sich in Finnland, in Schweden und in der Schweiz. Bei 43 und 25 Prozent Recorderdichte lagen die Länder Frankreich und ltalien. 71 Das Land mit der weltweit höchsten Sättigungsrate ist Kuwait, das schon 1983 90 Prozent Recorderdichte erreicht hatte. Hier und in anderen arabischen Ländern sind Videorecorder ein Mittel, das aufgrund der religiösen Vorschriften des Islam stark eingeschränkte öffentliche Unterhaltungsangebot zu erweitern. Die Länder Südostasiens, deren Massenmedien eine sehr schlecht entwickelte Infrastruktur haben, wiesen schon 1984 eine Recorderanzahl von 2,6 Millionen Geräten auf, wobei Taiwan und Hongkong an der Spitze stehen. Video hat dort rasch das Kino als Verteilmedium für Filme überflügelt. Denn die Geräte werden vornehmlich zur öffentlichen Filmvorführung eingesetzt, sei es in Gaststätten, eigenen Vorführstätten oder öffentlichen Verkehrsmitteln. In Indien kommen auf-ein Kino zwei Videoabspielstellen. 72 Die Verbreitung privater Videorecorder in autoritären Staaten bereitet zudem den Nährboden für eine audiovisuelle Gegenkultur und bietet die Möglichkeit, die staatliche Informationspolitik zu unterlaufen und per Videokassetten einen freien Informationsaustausch zu organisieren. 73 So wird in Indien als bedeutsamer Gegenpol zum staatlich gelenkten Fernsehen ein monatliches Video-Nachrichtenmagazin ("Newstrack") herausgegeben. 74 Auch in Ländern wie Chile oder Sri Lanka bedienen sich oppositionelle Gruppen der Videokassette als Informationsträger. Ebenso wird häufig auch die staatliche Filmzensur mit Videokassetten aus dem Ausland umgangen. Dabei spielen nicht nur Sexfilme eine Rolle, sondern in Ländern wie Kuba, Vietnam und der Sowjetunion standen etwa im Jahre 68

69

S. Zielinski, Media Perspektiven 1987,507 ff. (509). ehr. Wild, Media Perspektiven 1991,819,823.

70 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 302 f.; ders., Communications 1/1985,45 ff. (50 f.). 71 Filmstatistisches Taschenbuch 1992, Tabelle 54. 72 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 302 f.; ders., Communications 1/1985,45 ff. (50 f.). 73 Zum folgenden ausführlich Time-Magazine vom 11. 9. 1989, S. 42 ff. 74 Vgl. hierzu auch Time-Magazine vom 10. 12. 1990, S. 64.

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1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

1986 auch Hollywood-Filme wie "Rambo" auf der Hitliste des Video-Schwarzmarktes. 75

B. Exkurs: Die Bildplatte Dem weltweiten Siegeszug des Videorecorders steht das Scheitern der Bildplatte gegenüber, die eine dem Videorecorder vergleichbare Bedeutung bisher nicht erlangen konnte. Dennoch wird der Bildplatte von vielen Seiten die Fähigkeit zugesprochen, sich zu einem audiovisuellen Massenmedium zu entwickeln. Sie ist in großen Stückzahlen bei geringen Materialkosten preiswert herzustellen. Die Abspielgeräte können relativ einfach konstruiert sein und sind deshalb in der Herstellung nicht besonders aufwendig. 76 Es ist nicht ausgeschlossen, daß zukünftige Systeme einmal ähnlich wie der Videorecorder den Massenmarkt erschließen. Daher soll an dieser Stelle kurz auch auf die Bildplatte eingegangen werden. Das erste zur Serienreife gebrachte Bildplattensystem war die von Telefunken im Jahre 1970 vorgestellte TED-Bildplatte. Sie bestand aus einer nur 0,1 mm dicken PVC-Folie, die wie eine Schallplatte mit einem Diamanten mechanisch abgetastet wurde. Ihre Spiel dauer betrug 10 Minuten.77 Die Markteinführung der TED-Bildplatte erfolgte nach einigen Verzögerungen erst 1975. Das System erwies sich als kommerzieller Fehlschlag. Es fanden sich nur einige tausend Käufer und nach einem halben Jahr wurde die Serienfertigung eingestellt. Lediglich im institutionellen Bereich fand die Platte später noch in kleinem Rahmen Verwendung. 78 Dennoch wurde die Entwicklung von Bildplatten-Systemen weiter vorangetrieben. Mitte der siebziger Jahre waren über zwanzig Systeme gleichzeitig bei verschiedenen Herstellern in der Entwicklung.79 Verschiedene Prognosen sagten große Absatzsteigerungen für Bildplatten in den achtziger Jahren voraus. In der westlichen Welt sollte sich danach der Bildplattenmarkt von 1982 bis 1986 Vg!. auch Time-Magazine vom 11. 8. 1986, S. 33. D. Ratzke, Handbuch der Neuen Medien, S. 286, 292; G. Gericke, Media Perspektiven 1980, 279 ff. (281). 77 Zu den techno Einzelheiten vg!. H. Bahr, Alles über Video, Abschn. 1.3.1 (S. 6 f.); J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, S. 555 f.; G. Drechsler, ZDF-Jahrbuch 1970, S. 102 ff. (107 ff.); D. Ratzke, Handbuch der Neuen Medien, S. 289; G. Brugger, Die neuen audio-visuellen Systeme, S. 25 f. 78 R. Bücken, Media Perspektiven 1985, 317 ff. (329); ders., Media Perspektiven 1978, I ff. (7 f.); H. Bahr, Alles über Video, Abschn. 1.3.1 (S. 6). 79 Vg!. R. Bücken, Media Perspektiven 1980, 21 ff. (27); eine Aufstellung der verschiedenen Systeme findet sich bei D. Ratzke, Handbuch der Neuen Medien, S. 287 f. 75

76

B. Exkurs: Die Bildplatte

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verzehnfachen, in der Bundesrepublik sollten bis zum Jahre 1990 rund 16 Millionen Bildplattenspieler abgesetzt werden. 80 Die Wirklichkeit dagegen sah anders aus. Drei Bildplattensysteme wurden Anfang der achtziger Jahre vorgestellt, von denen keines sich durchsetzen konnte: Die CED-Bildplatte "Selecta Vision,,81 von RCA mit einer Spiel dauer von 2 mal 60 Minuten wurde 1981 in den USA eingeführt,82 und da sie ihre Absatzerwartungen nicht erfüllen konnte, wurde die Produktion im Jahre 1984 wieder eingestellt. 83 In der Bundesrepublik ist sie gar nicht erst vertrieben worden. Das zweite Bildplattensystem, die VHD-Bildplatte (Video High Density)84 der Firma JVC wurde zwar auf der internationalen Funkausstellung 1981 in Berlin der Öffentlichkeit präsentiert, jedoch ebenfalls nicht in der Bundesrepublik sondern nur in Japan eingeführt. Lediglich das dritte Verfahren, Laser-Vision bzw. VLP (Video Long Play) von Philips und MCA, gelangte 1982 in die Bundesrepublik. Es handelt sich um ein optisches Bildplattensystem. Die Informationen sind in digital kodierter Form in mikroskopisch kleinen Vertiefungen (sog. "Pits") auf der Platte eingraviert und werden mit einem Laserstrahl berührungsfrei ausgelesen. Dadurch unterliegt die Platte keinerlei Verschleiß oder Abnutzung. Die Spieldauer beträgt bis zu 60 Minuten je Seite. 85 Im Jahre 1985 wurde das System vom bundesdeutschen Markt genommen, da es sich trotz verschiedener Preissenkungen nicht wie erwartet durchgesetzt hatte. Nur im institutionellen Bereich wurde die Bildplatte noch eingesetzt. Bis dahin hatte sich lediglich in Japan ein Bildplattenmarkt etablieren können, der sich auf das VHD-System und die Laser-Bildplatte aufteilte. 86 Trotz dieser Mißerfolge werden der Bildplatte von Experten weiterhin Zukunftschancen zugesprochen. Nach einer Prognose der Europäischen GemeinD. Ratzke, Handbuch der Neuen Medien, S. 287. 81 CED steht als Abkürzung für "Capacitance Electronic Disk". Nähere Einzelheiten finden sich bei H. Rahr, Alles über Video, Abschn. 1.3.2 (S. 8 f.); J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, S. 556 f.; D. Ratzke, Handbuch der Neuen Medien, S. 289, 291. 82 J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, S. 556; D. Ratzke, Handbuch der Neuen Medien, S. 287, 291. 83 Time-Magazine vom 16. April 1984, S. 37. 84 Vgl. hierzu näher H. Rahr, Alles über Video, Abschn. 1.3.2 (S. 8 f.); J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, Abschn. F 2; D. Ratzke, Handbuch der Neuen Medien, S. 291 f. 85 Vgl. H. Rahr, Alles über Video, Abschn. 1.3.3 (S. 10 ff.), 7 (S. 244 ff.); J. Webers, Handbuch der Film- und Videotechnik, Abschn. F 1; D. Ratzke, Handbuch der Neuen Medien, S. 290. 86 R. Rücken, Media Perspektiven 1985, 317 ff. (329 f.). 80

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1. Teil: Technische, wirtschaftl. und sozialwiss. Grundlagen

schaft soll die Verbreitung von Bildplattensystemen in Europa im Jahre 2005 bei durchschnittlich 20 bis 30 Prozent liegen. 87 Mit einer Weiterentwicklung der Laser-Vision, der "LaserDisk", die über eine verbesserte Bildqualität und digitalen Ton verfügt, versuchte die Bildplatte 1991 einen neuen Start im Massenmarkt. Ob es diesmal zu einer höheren Verbreitung kommen wird, muß die Zukunft zeigen.

C. Die Nutzung des Heimvideorecorders I. Der Typus des Videonutzers

Das Nutzungsverhalten der Besitzer von Videorecordern ist in der Bundesrepublik seit 1978 Gegenstand verschiedener empirischer Untersuchungen; seit 1985 bildet die Videorecordernutzung einen Teil der kontinuierlichen Zuschauerforschung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. 88 In mehreren dieser Untersuchungen wurde versucht, die Nutzer von Videorecordern zu typisieren. Hierbei ergab sich das folgende Bild: Über einen langen Zeitraum hinweg waren die Käufer der Geräte vorwiegend Männer im Alter zwischen 30 und 49 Jahren mit höherem Einkommen, gehobenem Bildungsgrad und Interesse an technischen Dingen. 89 Allmählich bewegte sich das Käuferprofil dann auf den Bevölkerungsdurchschnitt zu. 9O Dabei fanden die Geräte in einkommensschwächere Schichten zunächst recht langsam Eingang,91 im Zuge des fallenden Preisgefüges wurden jedoch auch dort vermehrt Anschaffungen getätigt.92 Untersuchungen aus der ersten Hälfte der achtziger Jahre beschrieben den typischen Videonutzer als ungezwungen und kontaktfähig, medienorientiert und neuen Kommunikationstechnologien gegenüber aufgeschlossen. Er hat ein aktives Freizeit- sowie ein eher nach außen gerichtetes Sozialverhalten. 93 Videorecor87 Vgl. M. KnochelW. Seujert, Media Perspektiven 1987, 111 ff. (120). Chr. Wild, Media Perspektiven 1986, 183; W. DarschinlB. Frank, Media Perspektiven 1986, 209 ff. (220 ff.). . 89 Vgl. dazu K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 231 ff.; Chr. Wild, Media Perspektiven 1988, 447 ff. (448 f.); J. HackforthlK. Schönbach, Video im Alltag, S. 8, 19 ff.; S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 245 ff.; J. Wiedemann, Media Perspektiven 1984, 706 ff. (707); N. Thurow, Film und Recht 1981, 70 ff. (72); M. Buß, Media Perspektiven 1980,745 ff. (746, 749 f.). 88

90 J. HackjorthlK. Schönbach, Video im Alltag, S. 8; S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 246; ders., Communications 1/1985,45 ff. (48); DVI (Hrsg.), Videokursbuch '87, S. 8. 91

J. HackforthlK. Schönbach, Video im Alltag, S. 35 ff., 43 f.

92

H. Lukeseh, Jugendmedienstudie, S. 93 f.

93

V gl. W. Neumann-Bechstein, Rundfunk und Fernsehen 1985, 456 ff. (458); J.

C. Die Nutzung des Heimvideorecorders

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derhaushalte sind größer und kinderreicher als Haushalte im Bevölkerungsdurchschnitt. Nur ein kleiner Teil der Videohaushalte (je nach Untersuchung zwischen 7 und 16 Prozent) sind Einpersonenhaushalte; der überwiegende Teil der Haushalte besteht aus 2 bis 4 Personen.94 Dementsprechend ist die Nutzung des Videorecorders oft ein Kollektiverlebnis - die Haushaltsmitglieder schauen sich Programme gemeinsam an. Der durchschnittliche Videonutzer ist insgesamt kein in die soziale Isolation geratener Vielseher.95 Neben dem so beschriebenen Typ hat eine Untersuchung noch zwei weitere Gruppen von Videonutzern herausgearbeitet: 96 Der sog. extravertierte Videonutzer, zu dem 32 Prozent der Videobesitzer gehören, zeichnet sich durch sehr aktive Freizeitgestaltung aus und geht häufig und gern ins Kino. Für ihn ist der Videorecorder ein Instrument der Befreiung, das es ihm gestattet, seine Freizeitaktivitäten noch weiter zu entfalten. Dagegen bilden 16 Prozent der Videobesitzer den sog. introvertierten Typen mit wenig Außenkontakten und geringen Aktivitäten. Er ist wenig an Kinofilmen interessiert, sondern erhöht durch Videoaufzeichnungen aus dem Fernsehen seinen Fernsehkonsum. Er empfindet schneller Langeweile als die anderen Befragten und sucht bequeme, passive Unterhaltung. Kennzeichen dieses Typs sind ein eher geringerer Bildungsgrad und ein größerer Haushalt mit überdurchschnittlich vielen Kindern. Seit Mitte der achtziger Jahre ist auch der Zeitaufwand für die Videonutzung Gegenstand von Untersuchungen. Die durchschnittliche Verweildauer vor dem Videorecorder betrug 1987 pro Haushalt knapp 90 Minuten, das heißt, der Videorecorder war rund eineinhalb Stunden in Betrieb, was etwa einer Spielfilmlänge entspricht. Auf alle Personen im Haushalt umgerechnet betrug die Videosehdauer bei Erwachsenen 17 Minuten pro Tag und bei Kindern 22 Minuten. 97 Unter den Kindern sehen Jungen länger als Mädchen und Hauptschüler wiederum mehr als Gymnasiasten. 98 1990 war die durchschnittliche Videosehdauer demgegenüber deutlich gesunken und belief sich bei Erwachsenen nur noch auf 8 Minuten pro Tag und bei Kindern auf 7 Minuten. Bezogen auf die Erwachsenen und PfifferlingIJ. Wiedemann, Media Perspektiven 1983, 570 ff. (572); GÜFA, Film und Recht 1983,410 ff. (411); M. Ruß, Media Perspektiven 1980,745 ff. (749). 94 K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 232 f.; J. HackforthlK. Schänbach, Video im Alltag, S. 19 f.; Chr. Wild, Media Perspektiven 1991,819,824. 95 M. Ruß, Media Perspektiven 1980,745 ff. (748 f.). 96 Zum folgenden J. HackforthlK. Schänbach, Video im Alltag, S. 40 ff. 97 W. DarschinlR. Frank, Media Perspektiven 1988, 214 ff. (227). Für die Zeit vor 1987 siehe dies., Media Perspektiven 1987, 197 ff. (208); dies., Media Perspektiven 1986,209 ff. (221); Chr. Wild, Media Perspektiven 1986, 183 ff. (188); J. Wiedemann, Media Perspektiven 1984,706 ff. (712). 98 H. Lukeseh, Rundfunk und Fernsehen 1987,92 ff. (94 f.); D. Orwaldi, BPS-Report 3/1984, 25 ff. (26 f.); ders., in: Aktion Jugendschutz (Hrsg.), No future - but video, S. 5 ff. (6).

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1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

Kinder, die tatsächlich den Videorecorder benutzt haben, betrug die durchschnittliche Videoverweildauer nur noch 73 bzw. 64 Minuten. 99 11. Arten der Nutzung

Der Videorecorder eignet sich für verschiedene Arten der Nutzung: Er gestattet die Aufnahme von Fernsehsendungen, die Aufnahme eigener Bilder mittels einer Videokamera und die Wiedergabe eigener oder fremdgefertigter Aufzeichnungen. Für die daraus resultierenden Gebrauchsmöglichkeiten ergibt sich folgende Bedeutungsreihenfolge: An erster Stelle steht für die Recorder-Besitzer das zeitversetzte Fernsehen, das heißt das Aufzeichnen von Fernsehsendungen und die Wiedergabe zu einem späteren Zeitpunkt. Danach folgt das Abspielen fremdbespielter kommerzieller Programmkassetten. Sonstige Nutzungsmöglichkeiten wie das Herstellen eigener Videofilme oder der Aufbau eines persönlichen Programmarchivs haben nur eine untergeordnete Bedeutung. 100 1. Das sog. "zeitversetzte Fernsehen"

Die Möglichkeit, den Videorecorder zum zeitversetzten Fernsehen zu nutzen, ist für die meisten Gerätebesitzer das Hauptmotiv zur Anschaffung gewesen. 101 Fernsehsendungen können mit dem Recorder aufgezeichnet und der Zeitpunkt der Rezeption kann frei bestimmt werden. Aufnahmen können in Abwesenheit des Nutzers erfolgen oder gleichzeitig während er im Fernsehen eine andere Sendung ansieht. Rund die Hälfte des gesamten Videokonsums besteht aus der Wiedergabe selbst aufgezeichneter Fernsehsendungen. 102 Nicht jedes aufgezeichnete Programm wird jedoch später auch wiedergegeben. Wird das Programm in der ersten Woche nach der Ausstrahlung nicht angesehen, so wird die Chance, daß es noch zur Vorführung kommt, im Laufe der Zeit immer geringer. 103 1987 wurden 20 bis 25 Prozent der Aufnahmen nicht wieder abgespielt; 104 1990 waren 99 W. Darschin/B. Frank, Media Perspektiven 1991, 178 ff. (192); siehe auch Chr. Wild, Media Perspektiven 1991,819 ff. (821, 826). 100 Vg!. dazu J. Hackjorth/K. Schönbach, Video im Alltag, S. 8 f.; S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 252 ff.; J. Wiedemann, Media Perspektiven 1984,706 ff. (708); J. Pfifferling/J. Wiedemann, Media Perspektiven 1983,570 ff. (572); K. MüllerNeuhof, in: A. Rucktäschel/R. Stefen (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 107 ff. (109 f.). 101 DVI (Hrsg.), Videokursbuch '87, S. 8; S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 252 f.; J. Wiedemann, Media Perspektiven 1984, 706 ff. (708); J. Pfifferling/J. Wiedemann, Media Perspektiven 1983,570 ff. (572); N. Thurow, Film und Recht 1981, 70 ff. (72); M. Buß, Media Perspektiven 1980,745 ff. (746). 102 W. Darschin/B. Frank, Media Perspektiven 1991, 178 ff. (192); dies., Media Perspektiven 1988, 214 ff. (228); dies., Media Perspektiven 1987, 197 ff. (208); Chr. Wild, Media Perspektiven 1988,447 ff. (456).

C. Die Nutzung des Heimvideorecorders

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es zwei Drittel aller Aufzeichnungen, die entweder ungesehen gesammelt oder gleich wieder überspielt wurden. 105 Die am häufigsten aufgezeichneten Programme sind Spielfilme, gefolgt von Fernsehserien und sonstigen Unterhaltungssendungen. 106 Diese Sparten bildeten Ende 1985 zusammen einen Anteil von 72 Prozent aller aufgezeichneten Programme. Informationssendungen wie Nachrichten und politische bzw. Wirtschaftsmagazine hatten daneben einen Anteil von lediglich 16 Prozent. 107 Untersuchungen aus den Jahren 1983 und 1984 ermittelten für Informationssendungen sogar nur einen Anteil von 6,7 und 7,6 Prozent. 108 Der Videorecorder bot damit seinem Besitzer die Möglichkeit, den Fernsehkonsum selbstgewählten inhaltlichen Schwerpunkten anzupassen. Die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten betrachteten dies zunächst nicht ohne Besorgnis. So hegten sie die Befürchtung, der Videorecorder könnte die Akzeptanz ihrer Sendungen sowie auch der Fernsehwerbung negativ beeinflussen. 109 Es zeigte sich jedoch mit der Zeit, daß der Besitz eines Videorecorders das laufende Fernsehprogramm nicht uninteressant werden läßt. Der reguläre Fernsehkonsum, d. h. ohne das zeitversetzte Fernsehen, ist in Videohaushalten nicht geringer sondern sogar leicht höher als in anderen Haushalten. I 10 103 Chr. Wild, Media Perspektiven 1991, 819 ff. (823); ders., Media Perspektiven 1986, 183 ff. (190 ff.); vgl. auch J. HackjorthlK. Schönbach, Video im Alltag, S. 9. 104 Chr. Wild, Media Perspektiven 1988,447 ff. (456). 105 W. DarschinlB. Frank, Media Perspektiven 1991, 178 ff. (192); siehe auch Chr. Wild, Media Perspektiven 1991,819 ff. (822). 106 Vgl. dazu W. DarschinlB. Frank, Media Perspektiven 1991, 178 ff. (192); dies., Media Perspektiven 1986,209 ff. (221); Chr. Wild, Media Perspektiven 1991,819 ff. (822,828); ders., Media Perspektiven 1988,447 ff. (453 f.); ders., Media Perspektiven 1986, 183 ff. (189 f.); J. HackjorthlK. Schönbach, Video im Alltag, S. 9, 30 f.; S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 258; J. Wiedemann, Media Perspektiven 1984, 706 ff. (709 f.); J. Pfifferlingll. Wiedemann, Media Perspektiven 1983,570 ff. (574 f.); N. Thurow, Film und Recht 1981, 70 ff. (73); M. Buß, Media Perspektiven 1980,745 ff. (748). 107 Chr. Wild, Media Perspektiven 1986, 183 ff. (189). 108 J. Wiedemann, Media Perspektiven 1984, 706 ff. (709). 109 W. Neumann-Bechstein, Rundfunk und Fernsehen 1985,456 ff. (458). Schon 1970nl zeigte sich die Kassettenkommission des ZDF kritisch eingestellt gegenüber eigener Programmgestaltung durch das Femsehpublikum: Der Zuschauer, der Sendungen mitschneidet, um sich vom Programmablauf unabhängig zu machen, werde zu jemandem, "der den programmhoheitlichen Status der Sendeanstalten sozusagen als Einzelgänger unterläuft", vgl. ZDF (Hrsg.), Fernsehen und Kassette, S. 28. Auch heute wird angesichts der zunehmenden Anzahl von Fernsehkanälen zuweilen ein "Unterhaltungsslalom durch die Programme" beklagt; so beispielsweise vom Programmdirektor Fernsehen von Radio Bremen H.-w. Conrad, in: D. Oehler/R. Süssmuth u.a., Jugendschutz und Medien, S. 15 ff. (23).

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I. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

2. Das BetrachtenJremdbespielter Videokassetten

Die zweite Präferenz bei der Video-Nutzung ist das Anschauen von eigens auf Videokassetten vertriebenen Programmen. Diese Art der Nutzung erlangte im Zuge des Videobooms eine steigende Bedeutung. Wurden im Jahre 1980 Programmkassetten nur relativ selten geliehen oder gekauft,lll so war diese Möglichkeit nach einer Umfrage aus dem Jahre 1982 schon für jeden fünften Nutzer der wichtigste Grund zum Kauf eines Recorders. ll2 1983 bestanden drei Viertel des häuslichen Videoprogramms noch aus eigenen Aufzeichnungen aus dem Fernsehprogramm, 113 1985 lag dieser Anteil nur noch zwischen zwei Dritteln und der Hälfte aller Abspielvorgänge. 114 Der restliche Teil des Programms wurde mit geliehenen oder gekauften Programmkassetten bestritten. Nach einer Studie des Bundesverband Video von 1989 115 leihen 24 Prozent aller Recorderbesitzer dreimal im Monat oder häufiger Videofilme in der Videothek aus, 19 Prozent leihen 1 bis 2 mal monatlich eine Kassette, 18 Prozent leihen seltener und 39 Prozent haben noch nie bespielte Programmkassetten bezogen oder machten dazu keine Angaben. Die intensivsten Videothekennutzer kommen aus den Berufsgruppen der Arbeiter und Angestellten mit einem Haushaltsnetto-Einkommen über 2.500,- DM. 1990 ist der Anteil der "Heavy User", die mindestens 3 mal im Monat Videofilme ausleihen, auf 15,5 Prozent gesunken. I 16 Im Gegensatz zum Kinopublikum, das zu 67 Prozent jünger als 24 Jahre ist, haben 70 Prozent der Videothekenkunden ein Alter von über 24 Jahren. 117 Betrachtet man die Inhalte der fremdbespielten Kassetten, so spielt auch hier 110 W. Darschin/B. Frank, Media Perspektiven 1988,214 ff. (228); dies., Media Perspektiven 1987, 197 ff. (207); dies., Media Perspektiven 1986,209 ff. (221); vg!. auch ehr. Wild, Media Perspektiven 1988,447 ff. (456 f.); ders., Media Perspektiven 1986, 183 ff. (193); sowie J. Wiedemann, Media Perspektiven 1984, 706 ff. (713 f.); J. Pfifferling/l. Wiedemann, Media Perspektiven 1983, 570 ff. (580 f.); M. Buß, Media Perspektiven 1980,745 ff. (749). 111 M. Buß, Media Perspektiven 1980, 745 ff. (748); Th. Radevagen/S. Zielinski, Media Perspektiven 1982, 153. 112 GÜFA, Film und Recht 1983,410 ff. (412). 113 J. Wiedemann, Media Perspektiven 1984, 706 ff. (710); siehe aber J. Pfifferling/l. Wiedemann, Media Perspektiven 1983, 570 ff. (580), wo noch von anderen Ergebnissen berichtet wird. 114 ehr. Wild, Media Perspektiven 1986, 183 ff. (192); W. DarschinfB. Frank, Media Perspektiven 1986,209 ff. (221). 115 Zitiert bei K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 235 f.; ähnliche Zahlen bei ehr. Wild, Media Perspektiven 1988,447 ff. (449). Ders., Media Perspektiven 1991,819 f., 825, berichtet für die jüngste Zeit jedoch von sinkenden Prozentsätzen. 116 K. Hoffmann, BPS-Report 3/1991, I ff. (3). 117 W. Geike, in: G. Poil (Hrsg.), Videorecht, Videowirtschaft, S. 33,38.

C. Die Nutzung des Heimvideorecorders

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der Spielfilm eine überragende Rolle. Kategorien wie "Freizeit und Hobby" oder "Aus- und Weiterbildung" haben nur geringe Bedeutung. 1l8 Unter den Spielfilmen nehmen die Kategorien Abenteuer, Action, Thriller und Komödie wie schon bei aus dem Fernsehen aufgezeichneten Filmen die größten Anteile ein. 119 Hier finden sich mit Horror- und Sexfilmen jedoch auch Filme, die von den Rundfunkanstalten nicht ausgestrahlt werden. Der Anteil der Sexfilme am Programmkassetten-Bestand der Videohaushalte stieg von 14,4 Prozent im Jahre 1979 120 auf um die 20 Prozent im Jahre 1982,121 fiel dann aber 1983 auf 13 und 1984 auf 11,2 Prozent ab. I22 Eine Umfrage zum Abspielverhalten aus dem Jahre 1983 ergab für Sexfilme einen Anteil am Programmabspiel von durchschnittlich 6 Prozent und für Horrorfilme einen Anteil von 9 Prozent. 123 Demgegenüber ergab eine Umfrage von 1988, daß Pornographie einen Anteil von 18 Prozent am Umsatz der Videotheken ausmacht. 124 Zusammenfassend läßt sich folgendes festhalten: Der Videorecorder ergänzt das Fernsehprogramm, indem er von dessen zeitlichem Zwang und dessen inhaltlichen Vorgaben befreit,125 und er ermöglicht die räumliche Unabhängigkeit vom Filmtheater. Er erleichtert den Zugang zu sonst schwerer erreichbaren Inhalten als auch das wiederholte Sehen bestimmter Programme, da er die Flüchtigkeit des Bildschirmprograrnms aufhebt. Video erhält damit seine Bedeutung in der qualitativen Veränderung der Bildschirmnutzung durch seine Eigenschaft als zeitdisponibles, prograrnrnunabhängiges Distributionsrnittel filmischer Produkte. 126 118 J. HackforthlK. Schön bach, Video im Alltag, S. 9 f.; J. Wiedemann, Media Perspektiven 1984, 706 ff. (710). 119 J. Wiedemann, Media Perspektiven 1984,706 ff. (710 f.); siehe auch die Nutzerstudie des BVV 1989, BPS-Report 2/1990, U3. Die ersten 20 Titel der Video-Hitparade der umsatzstärksten Filme des Jahres 1991 (veröffentlicht in: VideoWoche Nr. 7 vom 7. 2. 1992, S. 160, mit denen in der Regel rund 70 Prozent des Jahresumsatzes der Videotheken bestritten wird, enthalten 9 Komödien und 7 Titel des Action-Genres. Zwei Titel aus den Top 20 (und 11 Titel aus den Top 100) sind indiziert. 120 N. Thurow, Film und Recht 1981,70 ff. (73); diese Zahl gilt jedoch nicht unwidersprochen, vgl. M. Ruß, Media Perspektiven 1980, 745 ff. (748): "Die so gern zitierten Pornofilme spielen wohl weithin keine Rolle." 121 Vgl. GÜFA, Film und Recht 1983,410 ff. (415), die unter den Sexfilmen noch die Gruppe Porno- und Hardcore bildet und dieser 10 - 14 % am Bestand aller Kassetten ausweist. 122 J. Wiedemann, Media Perspektiven 1984, 706 ff. (711). 123 J. Wiedemann, a.a.O. 124 K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 228; ders., Media Perspektiven 1989, 277; ähnlich S. Zielinski, Media Perspektiven 1987,507 ff. (508). 125 N. Thurow, Film und Recht 1981,70 ff. (71). 126 J. HackforthlK. Schönbach, Video im Alltag, S. 9; W. Neumann-Rechstein, Rundfunk und Fernsehen 1985,456 ff. (460 f.).

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1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

D. Der Videoprogramm-Markt I. Die Entwicklung des Programm-Angebots

Als der Videorecorder 1977/78 begann, zu einem Gerät für den Massenmarkt zu werden, stand ihm ein entsprechendes Angebot an fertigen Programmen für ein Massenpublikum vorerst nicht zur Seite. Das Programm angebot hatte sich bis dahin an kleinere Zielgruppen in den verschiedensten Bereichen gerichtet und bestand im wesentlichen aus Aus- und Weiterbildungsprogrammen für Verkaufs schulung, Fremdsprachen, Medizin und vieles andere. So gab es zum Beispiel für Ärzte und Zahnärzte sowohl Serien von medizinischen Fortbildungsprogrammen als auch Kassetten, die zur Wiedergabe in den Wartezimmern bestimmt waren und gesundheitliche Aufklärungsfilme für die Patienten enthielten. 127 Andere Anbieter wiederum lieferten Hobby-, Sport- und Kinderprogramme sowie Serien von "Telekolleg"-Sendungen des Bildungsfernsehens. 128 Mit der stärkeren Verbreitung der Videorecorder zum Ende der siebziger Jahre wuchs der Bedarf an Kassetten mit Unterhaltungsprogrammen. Entsprechende Ware stand jedoch noch nicht zur Verfügung. Die Inhaber der Rechte der publikumswirksamen Spielfilme nahmen - ähnlich wie seinerzeit bei der Einführung des Fernsehens - eine abwartende Haltung ein und bedienten diesen Markt zunächst nicht. 129 So mußten die Programmanbieter ihre Lieferanten unter den Herstellern zweitrangiger Kinoprodukte suchen und nahmen in den Jahren 1979 bis 1981 hauptsächlich Erzeugnisse des billigen Genre-Kinos, sog. "BPictures" in ihr Angebot auf. 130 Dabei handelt es sich zumeist um Filme, die ohne Aufwand, Stars, bekannte Regisseure oder gute Drehbücher hergestellt werden, sondern sich stattdessen einzig durch ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Filmkategorie auszeichnen, und die im Filmtheater kaum noch Auswertungschancen haben. Hierzu zählen fernöstliche Karate- oder Kung-Fu-Filme, Italowestern, namenlose Kriegs- und Science-Fiction-Filme sowie die deutschen Sexfilm-Serien nach Art der "Hausfrauen-" und "Schulmädchenreporte".131 In diesem Zuge gelangten auch pornographische und die später berüchtigt geworde127

ZDF (Hrsg.), Fernsehen und Kassette, S. 15 f.

V g!. S. Zielinski, Communications 1/1985, 45 ff. (52 f.); ders., Geschichte des Videorecorders, S. 281 ff. Bei B. Schiphorst, Audiovision - Portrait einer Branche, S. 33 ff. werden 50 Programmanbieter und deren Angebot im Jahre 1974 ausführlich vorgestellt. 128

129 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 288; ders., Communications 1/1985, 45 ff. (56). 130 S. Zielinski, Communications 1/1985,45 ff. (53 f.); ders., Geschichte des Videorecorders, S. 291 ff.; Th. Radevagen/S. Zielinski, Media Perspektiven 1984,372; U. Scheele, in: G. Poil (Hrsg.), Videorecht, Videowirtschaft, S. 15 ff. (18).

131 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 293; ders., Communications 1/1985, 45 ff. (53 f.).

D. Der Videoprogramm-Markt

47

nen Zombie- und Kannibalenfilme zur Auswertung auf Video. 132 Diese Filme waren zwar alle bereits in Sex- und Bahnhofskinos zu besichtigen gewesen, standen aber nun denen, die diese Abspielstätten scheuten, zur Rezeption im eigenen Heim zur Verfügung. 133 Mit der Zeit wurde der Video-Markt für die großen internationalen Filmgesellschaften interessanter. Im Jahre 1981 belieferte Warner Communications Inc. als erste amerikanische Filmgesellschaft bundesdeutsche Anbieter durch ihr Tochterunternehmen Warner Horne Video mit einer Filmstaffel. Die anderen Major Companies gaben allmählich auch ihre Zurückhaltung auf und begannen ebenfalls den Videosoftware-Markt zu versorgen. 134 Damit war das Programmangebot bald von den publikumswirksamen internationalen Kinoproduktionen bestimmt und die anonymen Genre-Filme verschwanden an den Rand des Marktes. 135 Der Anteil der Sexfilme, der 1979 noch 80 Prozent ausgemacht hatte, sank bis 1983 auf 12 Prozent. 136 Das Verhältnis von familientauglichen Filmprograrnrnen zu speziellen Erwachsenenprograrnrnen stellte sich bis 1985 auf 70:30. 137 Mittlerweile steht in den Videotheken ein Programmangebot von insgesamt über 10.000 Titeln zur Verfügung, dessen überwiegender Anteil aus Spielfilmen besteht. Bei den restlichen Programmen handelt es sich um Musikvideos, audiovisuelle Film- und Männermagazine (wie z. B. die Videoausgabe des "Playboy"132 Eine Einteilung des gesamten Spielfilmangebotes von 1780 Filmen im Dez. 1981 in Filmgenres ergab folgende Zahlen: Unterhaltung aller Art: 764 Titel, Sex und Erotik: 330 Titel, Brutal-Filme/EasternlHorror: 307 Titel, Western/Krimi: 260 Titel, 118 Titel. Harte Action/Krieg: Siehe dazu Th. Radevagen/S. Zielinski, Media Perspektiven 1982, 153 ff. (161); siehe auch S. Zielinski, Communications 1/1985,45 ff. (54 f.). 133 S. Zielinski, Communications 1/1985,45 ff. (56). 134 Th. Radevagen/S. Zielinski, Media Perspektiven 1982, 153 ff. 159; S. Zielinski, Communications 1/1985,45 ff. (56 f.); ders., Geschichte des Videorecorders, S. 296 f.; U. Scheele, in: G. Poil (Hrsg.), Videorecht, Videowirtschaft, S. 15 ff. (18). 135 S. Zielinski, Communications 1/1985,45 ff. (57); ders., Geschichte des Videorecorders, S. 298; Th. Radevagen/S. Zielinski, Media Perspektiven 1984, 372 ff. (372, 380, 386); K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 221. 136 J. Hackforth/K. Schönbach, Video im Alltag, S. 7 unter Hinweis auf den "Spiegel" Nr. 19 vom 9. Mai 1983, S. 47. Kritisch zu sinkenden Zahlen jedoch Th. Radevagen/S. Zielinski, Media Perspektiven 1984,372 ff. (386 FN. 2) und S. Zielinski, Communications 1/1985,45 ff. (57). K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 228 und Media Perspektiven 1989, 277 weist darauf hin, daß 1988 von einem Gesamtangebot von mindestens 4000 Titeln an pornographischen Kassetten auszugehen ist und Videotheken knapp 18 Prozent ihres Umsatzes mit Pornographie erzielen. !37 J. Köhler, Jugendschutz 1985, 182 ff. (185).

48

1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

Magazins) oder US-Fernsehserien, die von den bundesdeutschen Sendeanstalten nicht ausgestrahlt wurden (z. B. Episoden der Krimiserie "Miami Vice,,).138 Programm-Angebot 1979 - 1991 Jahr

Neuersch.

1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991

233 716 800 1300 1150 1000 780 816 1175 1043 780 694 720

davon

Video-Prem.

233 316 808 712 489 444 461

Quelle: Zahlen bis 1988: K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 219; Zahlen ab 1989: Filmstatistisches Taschenbuch 1992, Tabelle 61

Unter den jährlich rund 700-1000 neu hinzukommenden Titeln ist, wie die obige Tabelle zeigt, seit 1985 regelmäßig ein Anteil sog. Video-Premieren zu finden. Dabei handelt es sich um Filme, die zwar für das Kino hergestellt wurden, die aber in Deutschland nicht in die Kinoauswertung kommen, sondern nur auf Videokassetten erstveröffentlicht werden. 139 Des weiteren gibt es ein Angebot von knapp 8000 "Special Interest" Titeln wie z.B. Anleitungsfilme für den Bereich HDbby und Heimwerker, Fortbildungsprogramme, Informationskassetten privater und staatlicher Institutionen und ähnliches. Diese Programme sind weniger in Videotheken sondern in Bücherhallen, Hobby- und Heimwerkermärkten oder Buchhandlungen erhältlich. Das Deutsche Video Institut nennt für 1992 ein Gesamtangebot von insgesamt 16.323 Titeln, bestehend aus 8.485 Spielfilmen und 7.838 Special Interest-Titeln, wobei zu berücksichtigen ist, daß von der Bundesprüfstelle indizierte Filme nicht mitgezählt werden. 140 Eine Aufschlüsselung der Spielfilme nach ihrem Genre zeigt das folgende Schaubild. 138 Vg!. hierzu S. Zielinski, Media Perspektiven 1987, 507 ff. (514); DVI (Hrsg.), Videokursbuch '87, S. 13; Th. Radevagen/S. Zielinski, Media Perspektiven 1984,372 ff. (372,376,384); dies., Media Perspektiven 1982, 153 ff. (154). 139 Vg!. K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 222 f.; ders., Media Perspektiven 1989, 277 ff. (280). 140 Zahlenangaben gemäß dem Videoprogrammverzeichnis '92, hrsg. vom Deutschen Video Institut. Siehe dazu auch K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 218; ders., Media Perspektiven 1989,277 ff. (278 f.); ders., Media Perspektiven 1991,810 ff. (811). Einen eindeutigen Überblick über das tatsächliche Videoangebot in der Bundesrepublik zu bekommen ist mit Schwierigkeiten verbunden, vg!. dazu schon kritisch Th. Radevagen/S. Zielinski, Media Perspektiven 1984, 372 ff. (378 f.) und S. Zielinski, Communications 1/1985,45 ff. (61).

49

D. Der Videoprogramm-Markt

Titelstruktur Spielfilm 1992

Action Abenteuer Drama Erotik Kinder Horror Klassiker Komödie Krieg Krimi Science Fiction Unterhaltung Western

15555=4=1=6==~~ 723 ••••••• 249

1534

1306 ii~37:9 302 ===~ 1403 173

411 CE202 422

965

Quelle tür die Zahlenangaben: Deutsches Video Institut (Hrsg.), Video-Programm-Verzeichnis

'92

Die Zahl der Videoverleih- und Verkaufs stellen in den alten Bundesländern wuchs bis 1983 auf 6.100 an 141 und liegt nach einem Höchststand im Jahre 1987 von 7.800 im Jahre 1991 bei 5.500. 142 Die Videotheken bilden hiervon einen Anteil von rund 75 Prozent. 143 Währenddessen bewegte sich die Zahl der ortsfesten Filmtheater in dem Bereich zwischen 3.200 und 3.600. 144 In den neuen Bundesländern sind mittlerweile etwa 3.000 Videotheken dazugekommen. 145 Hier besteht ein beachtliches Nachholbedürfnis nach West-Filmen, die man bisher nicht sehen konnte. 146 Der jährliche Absatz bespielter Programmkassetten an den Handel stieg von 3 Millionen Stück im Jahre 1983 147 auf 6,5 Millionen im Jahre 1988 und liegt 1990 bei 9,7 Millionen Kassetten 148 (siehe das folgende Schaubild). 141 Vgl. S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 291; ders., Communications 1/1985,45 ff. (61); Th. Radevagen/S. Zielinski, Media Perspektiven 1984, 372 ff. (384). 142 Filmstatistisches Taschenbuch 1992, Tabelle 63; siehe auch K. Hoffmann, Media Perspektiven 1991,810 ff. (811). 143 K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 206 f.; ders., Media Perspektiven 1989,277 ff. (280); siehe auch die Medienstatistik 1988/89 des DVI in BPS-Report 2/1989, U4. 144 Filmstatistisches Taschenbuch 1992, Tabelle 20. 145 K. Hoffmann, BPS-Report 3/1991, 1 ff. (2); ders., Media Perspektiven 1991,810 ff. (812); Filmstatistisches Taschenbuch 1992, Tabelle 63. 146 J. v. Gottberg, BPS-Report 1/1991,47. 147 Filmstatistisches Taschenbuch 1987, Tabelle 54; siehe auch K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 221. 148 Filmstatistisches Taschenbuch 1992, Tabelle 61.

4 Meirowitz

1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

50

Absatz von bespielten Programmkassetten an den Handel Mio. Stück

9,7

10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

o

1983

1984

1985

1986

1987

1988

1989

1990

Quelle tür die Zahlenangaben: Filmstatistisches Taschenbuch 1987, Tabelle 54 und 1992, Tabelle 61

11. Die Art und Weise der Verbreitung

Die Verbreitung der Videoprogramme erfolgt größtenteils dadurch, daß sie in den Videotheken tageweise an die Endverbraucher vermietet werden. Ihr durchschnittlicher Mietpreis verringerte sich seit 1981 um mehr als die Hälfte und liegt bei ca. 6,- DM pro Tag/ 49 wobei für ältere Programme zum Teil auch nur noch 1,- DM verlangt wird. 150 Der Videohändler seinerseits kauft die Kassetten von den Programmanbietem und kann sie dann zeitlich unbegrenzt auswerten. 151 Andere Vertriebskonzepte sehen vor, daß der Händler die Kassetten nur für einen bestimmten Zeitraum zur Auswertung erhält. Dafür entrichtet er ein einmaliges Entgelt oder führt einen Prozentsatz seiner Verleihmieten an den Lieferanten ab und gibt nach Ablauf der Vertragszeit diesem die Kassetten zurück. 152 Damit ähnelt die Auswertung 149 Vg!. J. HackforthlK. Schänbach, Video im Alltag, S. 7; Medienbericht '85, BT-Drs. 10/5663, S. 73; R. Berrang, in: G. Poil (Hrsg.), Videorecht, Videowirtschaft, S. 22 ff. (24). 150 Zu den sog. ,,1,- DM Videotheken" vg!. K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 214 f.; ders., Media Perspektiven 1989,277 ff. (284). 151 K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 209, 212; ders., Media Perspektiven 1989, 277 ff. (281,283). 152 H. v. Hartlieb, Handbuch des Film-, Femseh- und Videorechts, Kap. 202, Rdnr. 5, Kap. 207 ff.; K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 210 f.; ders., Media Perspektiven 1989, 277 ff. (281 f.); S. Zielinski, Communications 1/1985,45 ff. (65); Th. RadevagenlS. Zielinski, Media Perspektiven 1984,372 ff. (380, 383); dies., Media Perspektiven 1982, 153 ff. (159, 161); Cl. Degand, Film und Recht 1983,355 ff. (361).

D. Der Videoprogramm-Markt

51

der Videofilme in etwa dem Verfahren beim Filmverleih. Von dort stammt auch das Prinzip des sog. Block- oder Staffelbuchens. Hierbei nimmt der Händler ein Paket von etwa 20 Filmen ab, auf dessen Zusammensetzung er keinen Einfluß hat. Darin werden mit geschäfts starken Filmen meist auch weniger erfolgreiche Filme gebündelt. 153 Die Programmanbieter erwerben die Auswertungsrechte ihrerseits von den sog. Lizenzgebern, die meist in einer Hand die Rechte für die Theater-, Fernsehund Videoauswertung besitzen. Dies geschieht zum einen auf den einschlägigen "Filmbörsen" von Cannes, Mailand, Berlin etc. Zum anderen stehen neben diesem sog. freien Markt die amerikanischen Major Companies, die ihre Lizenzen ausschließlich an ihre deutschen Tochtergesellschaften vergeben, die sie als inländische Videoanbieter eingesetzt haben. 154 Eine Auswertung durch Verkauf von Kassetten an die Videokonsumenten war lange Zeit nur von geringer Bedeutung - zu etwa 90 bis 95 Prozent bestand das Geschäft aus Vermietungen. 155 Verkauft wurden vorwiegend ältere unverleihbar gewordene Spielfilme sowie Sexfilme oder "Special Interest"-Programme (d. h. Bildungs- oder Anleitungskassetten, die für ein wiederholtes Sehen geeignet sind).156 Seit 1990 wandelt sich dieses Bild jedoch. Der Anteil der Kaufkassetten betrug in diesem Jahr 25 Prozent des Gesamtumsatzes l57 und steigt weiter an. 158

Verkauft werden vor allem Spielfilme (zu 45 Prozent) und Kinder/Jugendvideos (zu 36 Prozent), 159 zu Preisen zwischen DM 10,- und DM 40,-. Publikumswirksame Titel wie "Pretty Woman", "Susi u. Strolch", und "Arielle, die Meerjungfrau" erreichen jeweils Verkaufs zahlen von einer Million und mehr. 160 Das BestsellerPrinzip des Buchhandels hat damit auch bei der Videoauswertung Eingang gefunden. Der Absatz der Kaufkassetten erfolgt allerdings weniger über Video153 Vgl. S. Zielinski. Communications 1/1985,45 ff. (61 f.); Th. Radevagen/S. Zielinski. Media Perspektiven 1984,372 ff. (384); dies., Media Perspektiven 1982, 153 ff. (159 f.); Cl. Degand. Film und Recht 1983, 355 ff. (361); vgl. zum Blockbuchen auch H. v. Hartlieb. Handbuch des Film-, Femseh- und Videorechts, Kap. 131 Rdnr. 12, Kap. 135 Rdnr. 3. Nach R. Berrang. in: G. Poil (Hrsg.), Videorecht, Videowirtschaft, S. 22 f. sind Paketverkäufe mittlerweile vom Markt weitgehend verschwunden. 154 R. Berrang. in: G. Poil (Hrsg.), Videorecht, Videowirtschaft, S. 22. 155 K. Hoffmann. Am Ende Video, S. 229 f.; ders., Media Perspektiven 1989,277 ff. (286); S. Zielinski. Media Perspektiven 1987,507 ff. (511). 156 Th. Radevagen/S. Zielinski. Media Perspektiven 1984,372 ff. (384). 157 K. Hoffinann. BPS-Report 3/1991, 1 ff. (3). 158 Nach Angaben des Bundesverband Video; siehe auch K. Hoffmann. Media Perspektiven 1991,810 ff. (814). 159 Nach Angaben des Bundesverband Video, bezogen auf das Jahr 1991. 160 Nach Angaben des Bundesverband Video; vgl. auch K. Hoffmann. Media Perspektiven 1991,810 ff. (815).

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1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

theken, sondern vor allem über Supermärkte und Discount-Ketten, den Elektrofachhandel und Warenhäuser. 161 IH. Der Videoprogramm-Markt als Vertriebsweg für Spielfilme

Die Videoauswertung von Spielfilmen über den Videoprogramm-Markt ist demnach im Laufe der Entwicklung als weiterer Vertriebs weg für die Verbreitung von Filmwaren neben die traditionelle Filmauswertung im Kino getreten. 162 Die Videokassette wurde damit zum Zweitauswertungsmedium für Kinofilme, mit deren Hilfe dem Film ein zusätzliches Zuschauerpotential erschlossen werden konnte. Ausgehend von den USA bildete sich für Filmproduktionen folgende Verwertungs- und Verbreitungsreihenfolge heraus: Am Anfang steht die Auswertung im Filmtheater, für die die meiste Werbung betrieben wird und durch welche der Film in der Öffentlichkeit bekannt wird. Danach folgt die Auswertung des Films als Videokassette und an dritter Stelle steht schließlich die Fernsehausstrahlung, wobei gegebenenfalls zunächst eine Ausstrahlung in Pay-TV Kanälen erfolgt. 163 1984 machten durch diese Vertriebs strategie die Videoeinnahmen für die großen US-amerikanischen Filmgesellschaften, die "Major Companies", etwa 10 bis 14 Prozent des Umsatzes aus. 164 Einkünfte aus der Videoauswertung wurden dadurch schnell zu einem kalkulierbaren Faktor bei der Herstellung neuer Spielfilme. Mittlerweile liegt bei neuen Kinofilmen der Finanzierungsanteil der Produktionskosten durch den Verkauf von Videorechten in der Regel bei 30 bis 40 Prozent. 165 Der Vertrieb von Videokassetten wurde somit insgesamt zu einem Marktfaktor mit steigender Bedeutung. In einigen Einzelfällen werden durch die Videoauswertung von Spielfilmen international Einnahmen in zweistelliger Millionenhöhe erzielt. l66 In der Bundesrepublik war schon 1984 die Zahl der Vermietvorgänge 161 K. Hojfmann, Am Ende Video, S. 230; ders., BPS-Report 3/1991, 1 ff. (3); ders., Media Perspektiven 1991,810 ff. (815). Siehe zu alldem auch: Bundesverband Video (Hrsg.), Marktpotential und Perspektive für die Video-Kaufkassette, S. 2 ff. 162 S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 298 ff.; ders., Communications 1/1985,45 ff. (58, 63); Th. Radevagen/S. Zielinski, Media Perspektiven 1984, 372 ff. (372,385); Medienbericht '85, BT-Drs. 10/5663, S. 74. 163 Th. Radevagen/S. Zielinski, Media Perspektiven 1982, 153 ff. (164); K. Hoffmann, Media Perspektiven 1984, 767 ff. (769 f.); DVI (Hrsg.), Videokursbuch '87, S. 9; S. Zielinski, Geschichte des Videorecorders, S. 299. 164 Vg!. Th. Radevagen/S. Zielinski, Media Perspektiven 1984,372 ff. (385); TIMEMagazine vom 24. Dez. 1984, S. 52. 165 S. Zielinski, Media Perspektiven 1987, 507 ff. (509); K. Hojfmann, Am Ende Video, S. 187 f.; BPS-Report 6/1988, S. 39. 166 Dazu mit vielen Beispielen: S. Zielinski, Communications 1/1985, 45 ff. (61); ders., Media Perspektiven 1987,507 ff. (511).

E. Die sog. "Horror-Videos"

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von Videofilmen etwa gleichgroß wie die Zahl der verkauften Kinokarten. 167 1986 überstieg nach Angaben des Bundesverband Video erstmals der Umsatz aus dem Verleih und Verkauf von bespielten Videokassetten die an den Kinokassen getätigten Umsätze. 168 Mittlerweile werden mehr Filminteressierte über das Medium Video erreicht als über die traditionellen Kinos.1 69 Im Zuge dessen tritt der Videomarkt als Verbreitungsbasis für Spielfilme gleichberechtigt neben das Filmtheater. Während in deutschen Kinos jährlich etwa 300 bis 350 Film-Erstaufführungen plaziert werden können,l7o werden in den USA und Europa rund doppelt soviele Filme hergestellt. Der Videomarkt bietet sich dafür als Abspielbasis an. 17I 1991 befanden sich unter den 720 SpielfilmNeuerscheinungen auf Videokassetten insgesamt 461 sog. Videopremieren, d. h. Filme, die nicht zuvor im Filmtheater zu sehen waren (nach einem Höchststand von 808 Videopremieren bei 1175 Neuerscheinungen im Jahre 1987; siehe dazu die Tabelle auf S. 48). Damit hat die Videokassette ihre Rolle als reiner Zweitauswerter hinter sich gelassen und sich neben dem Filmtheater als ein weiteres Erstaufführungsmedium etabliert. 172

E. Die sog. "Horror-Videos" In der Öffentlichkeit in Verruf geraten ist das Medium Video vor allem durch die sog. "Horror-Videos". Wie im vorigen Abschnitt deutlich geworden ist, handelt es sich dabei eher um eine Randerscheinung. Denn betrachtet man den Videomarkt insgesamt, so bietet er ein Abbild des internationalen Spielfilmangebots, was bedeutet, daß längst nicht jede Videokassette einen der berüchtigten Horrorfilme enthält. 173 Die Horrorfilme machen jedoch Gefahren und Probleme des Mediums Video in besonderem Maße deutlich.

167 DVI (Hrsg.), Videokursbuch '87, S. 9. 168 S. Zielinski, Media Perspektiven 1987,507 ff. (509); vgl. auch BPS-Report 3/1986, S. 24; kritisch hierzu jedoch K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 220; ders., Media Perspektiven 1989, 277 ff. (279), der den Einwand erhebt, daß die genannten Zahlen nicht vergleichbar seien. 169 W. Geike, in: G. Poil (Hrsg.), Videorecht, Videowirtschaft, S. 33. 170 Filmstatistisches Taschenbuch 1992, Tabelle 9. 171 W. Geike, in: G. Poil (Hrsg.), Videorecht, Videowirtschaft, S. 33 ff. (34 ff.). 172 K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 222 f. und Media Perspektiven 1989, 277 ff. (280) sowie Media Perspektiven 1991, 810 ff. (812), betont jedoch, daß der Videomarkt nach wie vor auf den großen Kinohit als Umsatzträger angewiesen sei und seine Zukunft daher in der Zweitauswertung liege. 173 Vgl. auch K. Hoffmann, Am Ende Video, S. 221.

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1. Teil: Technische, wirtschaftl. und sozialwiss. Grundlagen

I. Kategorien und Inhalte Der Horrorfilm existiert, seit es das Kino gibt. Er hat durch Filme wie "Nosferatu" von F. W. Murnau und dessen Neuverfilmung von Werner Herzog auch eine deutsche Tradition. Seine Quellen reichen zurück zu den Märchen, Legenden und Mythen der Vergangenheit. Seine Vorläufer sind die spätromantischen Schauerromane des 18. und 19. Jahrhunderts (im angelsächsischen Kulturkreis "gothic novels" genannt).174 Zu seinen Elementen zählen Imagination, Poesie, Erotik, Zauberei, Surrealismus, Morbidität, Aberglauben und auch Gewalt. 175 Horrorfilme reflektieren die Zeit, in der sie geschaffen worden sind: Sie lassen Rückschlüsse zu auf den Zustand des Publikums, für das sie produziert wurden und das sie schockieren sollen; Phantasien und Ängste bestimmter Epochen und Gesellschaften spiegeln sich in ihnen wider. Die Themen des Horrorfilms liegen seit jeher in den Grenzbereichen von Moral und Ethik. Der Horrorfilm spricht das Unaussprechliche aus; 176 er entwickelt Kreativität außerhalb legitimer Bahnen. 177 Der Filmanalytiker G. Seeßlen schreibt: "Ein Horrorfilm, der nicht an ein Tabu stößt, ist entweder langweilig oder er ist gar keiner." 178 Schon immer haben Horrorfilme heftige Kritik und Ablehnung erfahren und Forderungen nach Zensur ausgelöst. Der Kritiker, der einen Film mit den Worten verurteilte, er sei "nur für Sadisten" und "unter dem halben Dutzend der widerwärtigsten Filme, die mir je begegnet sind", meinte keines der heutigen exzessiven Machwerke, sondern den Film "Frankensteins Fluch" aus dem Jahre 1957 aus der Reihe der britischen "Hammer Productions".179 Diese Filme, mit Schauspielern wie Peter Cushing oder Christopher Lee, werden heute mehr oder weniger regelmäßig als relativ harmlose britische Vertreter des Genres im bundesdeutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt. In jüngerer Zeit hat sich allerdings eine neue Generation von Horrorfilmen herausgebildet, die sog. "Splatter-Movies".180 Begründer dieses Genres war der Film "Blood Feast" von Herschell Gordon Lewis aus dem Jahre 1963. 181 SplatterFilme sprengen alle bisherigen Konventionen 182 und entwickeln eine nihilistische Ästhetik des Scheußlichen. In einer Gesellschaft, in der ein Menschenleben den 174 So etwa Mary Shelleys "Frankenstein" aus dem Jahre 1818, oder Bram Stokers "Dracula" von 1897. 175 G. Seeßlen, medium 10/1981,4; A. Oe/jen, BPS-Report 5/1990, 42. 176 T. Mi/ne/P. Willemen, The Aurum Film EncycIopedia, Vol. 3, S. VIII. 177 G. Seeßlen, medium 10/1981,4. 178 G. Seeßlen, a.a.O., S. 7. 179 Vgl. T. Mi/ne/P. Willemen, The Aurum Film EncycIopedia, Vol. 3, S. VIII. 180 "Splatter" ist eine englische Wortschöpfung, die lautmalerisch das Spritzen von Blut und Gedärmen umschreibt. 181 Vgl. dazu N. Stresau, Der Horror-Film, S. 156 f.

E. Die sog. "Horror-Videos"

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höchsten Achtungsanspruch genießt, schüttet diese Variante des Genres "dem Wohlanständigen einen Eimer Blut und Gedärme vor die Füße und verhöhnt den Glauben an Humanismus, Menschenrechte und Zivilisation.,,183 Der ehemalige Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPS) Rudolf Stefen beschreibt das Genre folgendermaßen: "Da werden lebende Menschen aufgeschlitzt und ausgeweidet, ihnen werden Ohren, Brüste und Penisse abgeschnitten und sofort schmatzend als Leckerbissen verzehrt. Da werden Menschen bei vollem Bewußtsein die Schädeldecken mit Sägen abgetrennt und ihr Hirn auf andere verpflanzt. Sollten die Opfer dabei zu sehr schreien, werden ihnen die Stimmbänder bei GroßeinsteIlung der Kamera durchtrennt, damit der ,Operateur' in Ruhe ,arbeiten' kann. Müttern werden die Embryos aus den Leibern gerissen und mit Teilen von ihnen selbst grunzend verzehrt.... Die Kamera ist in Großeinstellurig auch dabei, wie ein Mann an einem Hebearm über einem riesigen Fleischwolf hängt und von seinem Peiniger nach angeblichen Straftaten ausgefragt wird, während er langsam im Fleischwolf verschwindet und unten als Hackfleisch herauskommt - nur seine Uhrkette ist unbeschädigt geblieben.,,184 Ein besonders berühmt-berüchtigter Vertreter dieser Welle ist die amerikanische Produktion "Tanz der Teufel". Der Film, 1982 von einer Gruppe von College-Abgängern als "Vorzeigestück" für den Einstieg in die Filmindustrie l85 nach dem Roman "The Evil Dead" des amerikanischen Bestsellerautors Stephen King gedreht und mit mehreren Festivalpreisen bedacht,186 besteht größtenteils aus Szenen wie der nachfolgenden, die von der Bundesprüfstelle in ihrer Indizierungsentscheidung folgendermaßen geschildert wird: 187 "Als Scott nach seiner verletzten Freundin Shelly sehen will, wird er plötzlich von einem Wesen angegriffen, das ihm mit langen und spitzen Krallen die Kopf- und Gesichtshaut von oben nach unten aufreißt und das Fleisch bloßlegt. Blutströme fließen und besudeln Gesicht und Kopf des jungen Mannes. Scott kämpft mit dem Wesen, dessen Gestalt Ähnlichkeit mit seiner Freundin Shelly hat. Es gelingt ihm, den Kopf des Wesens in das offene Kaminfeuer zu halten. In Großaufnahme wird das widerliche Bild des verbrennenden Kopfes gezeigt. Eine abstoßende Mischung aus blutigem Fleisch und brandigen Wunden. Als Scott den Körper wieder aus dem Feuer zieht, greift das Wesen ihn erneut an und würgt ihn. Scott wehrt sich mit einem 182 Zu den Stilmerkmalen des klassischen gothischen Horrorfilms vgl. G. Seeßlen, medium 10/1981,4 ff. (7 f.). 183 G. Seeßlen, medium 10/1981,4 ff. (6).

R. Stefen, in: A. Rucktäschel/ders. (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 9 ff. (31). 184

185 Vgl. T. Mi/ne/P. Willemen, The Aurum Film Encyclopedia, Vol. 3, S. 367. 186 "Bester Film bei dem Festival in Knokke, bester Film bei dem Sitges Festival, erster Preis der Jury und erster Preis des Publikums auf dem Pariser Filmfest", vgl. BPS-Report 4/1984, S. 28. 187 Entsch. Nr. 1902 (V) vom 25.4. 1984, BPS-Report 4/1984, S. 28 f.; eine Inhaltsangabe enthält auch das Urteil des LG München I vom 7. 10. 1985 zur Einziehung des Films, BPS-Report 6a/1985, 12 ff. (13 f.).

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1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen langen Messer und sticht auf den anderen Körper ein. Nun kommt es zu einer widerwärtigen und abstoßenden Selbstzerfleischungs- und Kannibalismusszene. Das Wesen beißt in sein Handgelenk und fangt an, das Fleisch in großen Stücken herauszureißen. In Großaufnahme sieht man, wie sich die Zähne in den Ann verbeißen, das Fleisch sich dehnt und dann mit schmatzenden Geräuschen sich vom Knochen löst. Sehnen und Adern hängen in Fetzen heraus. Schließlich ist die Hand völlig vom Ann getrennt und fallt zu Boden. Immer noch hält die abgefressene Hand das lange Messer umklammert. Scott ergreift das Messer nun und stößt es dem Wesen bis zum Heft in den Rücken. Nun versucht das Wesen mit der unversehrten Hand und dem Annstumpf das Messer aus seinem Rücken herauszuziehen, was ihm nicht gelingt. Ekelhaft der Anblick, wie auch der blutige Annstumpf sich bemüht, an das Messer heranzukommen. Der taumelnde, zerfleischte Körper der jungen Frau wird in einer langen Szene gezeigt. Ebenfalls das völlig verzerrte Gesicht. Diese abstoßenden Bilder werden mit einer entsprechenden Geräuschkulisse, die aus Schreien und undefinierbaren Tönen besteht, unterstützt. Flüssigkeiten spritzen aus dem Annstumpf, und Blut fließt aus dem Gesicht des Wesens. Obwohl es voller Wunden und teilweise zerfleischt ist, steht es wieder auf und wankt auf Scott zu. Diesem gelingt es dann endgültig, es außer Gefecht zu setzen, indem er mit der Axt ein noch größeres Blutbad anrichtet. In detaillierten Aufnahmen wird gezeigt, wie Scott mit der Axt das Wesen völlig zerstückelt. Die abgehackten Gliedmaßen liegen am Boden und werden von der Kamera deutlich herausgestellt. Schließlich noch einmal eine abschließende Großaufnahme der noch immer blubbernden und sich bewegenden Gewebeteile. Am Ende bleibt nur eine blutige Masse, die Scott in ein Bettuch füllt und im Garten vergräbt."

Wie schon ihre klassischen Vorgänger wurden auch diese Filme ursprünglich für das Kino produziert. Öffentliche Aufmerksamkeit erregten sie in der Bundesrepublik allerdings erst auf Videokassetten. Die Filme können in folgende Kategorien eingeteilt werden: a) Zombiefilme Die wohl berühmt-berüchtigtsten Vertreter der Horror-Videos sind die Zombiefilme. 188 Diese sind in der Geschichte des Horrorfilms nicht ohne Tradition. Der erste Zombiefilm stammt aus dem Jahr 1932. 189 Die Figur des Zombie war ursprünglich nach einer haitianischen Legende ein durch Voodoo-Magie wieder zum Leben erweckter Toter. Ein britisches Filmlexikon aus dem Jahre 1972 beschreibt Zombies noch folgendermaßen: ,,(They) ... shamble along with sightless eyes, looking pretty awful but doing no real damage".I90 Ein vielbeachteter Zombiefilm der damaligen Zeit war der amerikanische Titel ,,1 walked with a

188 Typische Titel dieser Gattung sind: ,,zombie", "Invasion der Zombies", "Großangriff der Zombies", "Ein Zombie hing am Glockenseil" (Inhaltsangaben dieser Filme siehe bei D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 30 ff.). 189 "White Zombie" (USA 1932) mit Bela Lugosi, Regie: Victor Halperin, vg!. T. Mi/ne/P. Willemen, The Aurum Film Encyclopedia, Vo!. 3, S. 55. 190 ,,(Sie) watscheln umher mit blicklosen Augen und sehen ziemlich fürchterlich aus, richten jedoch keinen großen Schaden an", L. Halliwell, The Filmgoer's Companion, S. 1065.

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Zombie" aus dem Jahre 1943 von Jacques Tourneur, ein atmosphärischer und stimmungsvoller von Zurückhaltung geprägter Horrorfilm, in dem der Schrecken kaum sichtbar war und nur dezent angedeutet wurde. 191 Modeme Zombiefilme beruhen jedoch weder auf einer Voodoo-Legende noch zeichnen sie sich durch besondere Zurückhaltung aus. Ihr Zeitalter begann 1968 mit George A. Romero's "Nacht der lebenden Toten" - ein amerikanisches Erstlingswerk, das für wenig Geld an mehreren Wochenenden in Pittsburg gedreht wurde. Hier wurden Zombies erstmals durch Nuklearstrahlung zum Leben erweckt und als gefährliche "Killerwesen" dargestellt. Der Film, dem noch subtile Ironie bescheinigt wird, sollte zum Vorbild für die meisten heutigen Zombie-Produktionen werden. 192 "Modeme" Zombies sind ekelerregende, scheußlich anzusehende, in den Anfängen der Verwesung befindliche unmenschliche Kreaturen mit spastischen Bewegungen, die Menschen anfallen und deren Fleisch verzehren. Sie treten gewöhnlich in Scharen auf, und ihre Zahl wird im Laufe eines Filmes immer größer. Zombies verbreiten sich unaufhaltsam wie eine tödliche Epidemie. Die Ursache für ihr Auftreten sind meist Technologie-Unfälle (Nuklearkatastrophen, Folgen neuartiger Insektenvernichtung etc.). Zombies werden damit zum Fluch der modemen Zivilisation. 193 Ihr einziges Ziel besteht darin, Menschen zu töten. Sie selbst sind nahezu unverwundbar und können nur vernichtet werden, indem ihr Kopf zertrümmert und das Gehirn zerstört wird. Dies geschieht zuweilen "dekorativ" mit einem Preßlufthammer oder einer Schiffsschraube. 194 Die endgültige Ausrottung der Zombies gelingt jedoch nie. In Zombiefilmen siegt am Schluß nicht das Gute, sondern das Ende bleibt offen, die Bedrohung geht weiter und es deutet sich an, daß Zombies irgendwann die gesamte Menschheit vernichten werden. 195 b) Schlitzer- oder Psychopathenfilme: Schlitzer-Filme l96 handeln von psychopatischen, sadistischen Mördern, die auf brutale und grausame Art und Weise ihre Opfer quälen und töten. Meist hat das 191 L.-A. Bawden (Hrsg.), Buchers Enzyklopädie des Films, S. 782; E. Katz, The International Film Encyc\opedia, S. 1143. 192 Vgl. T. Mi/ne/P. Willemen, The Aurum Film Encyc\opedia, Vol. 3, S. 198. 193 D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 33 f. 194 R. Stefen, in: A. Rucktäschellders. (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 9 ff. (32). 195 D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 33.

196 Titel z.B. "Das Horror-Hospital", Mondo Brutale", "Muttertag", "Freitag, der 13." (Inhaltsangaben bei D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 40 ff.), "Maniac", "Absurd", "Der New York Ripper" (Inhaltsangabe zum letzteren bei H. B. Brosius, Rundfunk und Fernsehen 1987,71 ff. (80)).

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Verhalten des Mörders seine Ursache in dessen Kindheit. Die Filme sind häufig mit primitiven psychologischen Klischees durchsetzt. Dies dient jedoch nur als Vorwand für die ausführliche Schilderung exzessiver Grausamkeiten. So durchbohrt etwa ein Mann einer sich verzweifelt wehrenden Krankenschwester den Kopf mit einem Drillbohrer, den er neben dem rechten Ohr ansetzt und solange rotieren läßt, bis er neben dem linken Ohr wieder austritt, wobei Blut und Hirn heftig heraussprudeln. Einem anderen Mann wird in dem gleichen Film der Kopf mit einer elektrischen Kreissäge gespalten. 197 Der Psychopathenfilm ist eine besonders sadistische Variante des klassischen Psycho-Thrillers. In diesen Filmen wird eine anfanglieh heile Welt durch den plötzlichen Einbruch von Gewalt zerstört. Häufig wird die Idylle nicht wiederhergestellt, wie es sonst üblicherweise der Fall ist. Zuweilen wird an dem Täter schreckliche Rache genommen, was als durchaus legitimes Verhalten dargestellt wird. Obwohl auf den ersten Blick nicht unbedingt erkenntlich, haben Psychopathenfilme ihre Wurzeln in Alfred Hitchcock's Meisterwerk "Psycho". Dort wurden viele der Stilelemente erstmals verwendet, die jetzt in den verschiedenen Filmen endlos variiert werden. Schon in "Psycho" verwendete der Mörder ein langes Messer, mit dem er seine Opfer niedermetzelte, was jedoch damals nicht in allen Einzelheiten zu sehen war. Die Handlung spielt nicht an exotischen Schauplätzen oder in femen Zeiten, sondern in der Gegenwart und im ganz normalen Alltag. Die Gewalt richtet sich gegen alleinstehende unabhängige emanzipierte Frauen, die einem herkömmlichen traditionellen Frauenbild widersprechen. 198 Häufig weisen Filme dieser Gattung deutlich frauenfeindliche Tendenzen auf. 199 c) Kannibalenfilme: Kannibalenfilme200 schildern das Aufeinandertreffen von moderner Zivilisation mit barbarischen Wilden, die in detaillierten Großaufnahmen kannibalistische Grausamkeiten begehen. Meist begibt sich in diesen Filmen eine Gruppe Großstadt-Menschen auf eine Expedition oder eine sonstige Mission in den Dschungel, wo sie auf animalische Kannibalenstämme treffen, was Anlaß für in aller Breite ausgeschlachtete Kannibalismusszenen iSt. 201 Kannibalenfilme haben oft deutlich rassistische Tendenzen und vermitteln eine Herrenmenschen197 R. Stefen, in: A. Rucktäschellders. (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 9 ff. (32, 35). 198 Vg!. T. Mi/ne/P. Willemen, The Aurum Film Encyclopedia, Vo!. 3, S. XII; D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 42 f. 199 A. Oetjen, BPS-Report 5/1990, 42 f. 200 Typische Filmtitel: "Todesschrei der Kannibalen", "Die Rache der Kannibalen", "Lebendig gefressen" (Inhaltsangaben bei D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 35 ff.; zum letzten Film siehe auch ehr. Me/chers/W. Seifert, medium 6/1984, 21 ff. [24ff.]). 201 D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 37 f.

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Ideologie. Sie propagieren das Recht des Stärkeren und verbreiten das Prinzip vom "Fressen und Gefressen werden".202 Ein besonders übler Vertreter der Kannibalismus-Kategorie ist der Film "Man-Eater": In der Schlußszene wird dem "Menschenfresser" mit einer Spitzhacke in den Bauch geschlagen, so daß seine Eingeweide herausquellen, woraufhin er beginnt, seine eigenen Gedärme zu verzehren. Bei den folgenden Kategorien handelt es sich nicht mehr um Horror-Filme im strengen Sinne. Sie sollen aber Erwähnung finden, da sie genauso wie die Horror-Filme regelmäßig von exzessiven Grausamkeiten geprägt sind. d) Frauenlager-Filme: Gewalt gegen Frauen präsentieren auch die sog. Frauenlager-Filme,203 die Gewalt mit Sex mischen. Sie handeln meist davon, daß eine Gruppe junger Frauen in ein Frauenlager kommt, welches von einer sadistischen Aufseherin schikaniert wird. Tagsüber müssen die Frauen in Steinbrüchen, Fiebersümpfen oder ähnlichen Schauplätzen Zwangsarbeit leisten, nachts werden sie von Aufsehern oder Mitgefangenen vergewaltigt. Gegen Ende des Films findet ein Ausbruchsversuch statt, bei dem viele Gefangene auf brutale Weise getötet werden.204 e) Endzeitwestern: Diese Filme 205 spielen in der Zukunft, jenseits des Jahres 2000. In einer Zukunft jedoch, in der die Erde durch einen Atomkrieg verwüstet ist und in der nur noch das Recht des Stärkeren gilt. Die Rohstoffreserven sind knapp geworden, so daß sich darum ein gnadenloser Kampf entwickelt. Dieser wird mit hochmodernen Waffen ausgetragen, was zu monströsen Kampfszenen führt und die Möglichkeit bietet, spekulative Verletzungen zu präsentieren. 206 f) Selbstjustizfilme: Die Helden der sog. Selbstjustizfilme207 sind Einzelkämpfer oder Gruppen junger Leute, die um ein Unrecht zu sühnen einen Privatkrieg führen und fortlaufend Terror ausüben, der jedoch als gerechtfertigt und "einer guten Sache dienend" dargestellt wird. 208

202 D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 38 f. 203 Titel z.B. "Das Frauencamp", "Frauen im Foltercamp", "Das Frauenlager", "Das Frauen-Zuchthaus" . 204 R. Stefen, in: A. Rucktäschel/ders. (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 9 ff. (36). 205 Auslöser war der australische Film "Mad Max". 206 E. Monssen-Engberding, Film und Recht 1984,634 ff. (637). 207 Typische Titel sind etwa: "Ein Mann sieht rot", "Die Frau mit der 45er Magnum", "Auge um Auge". 208 E. Monssen-Engberding, Film und Recht 1984,634 ff. (637).

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Diese Aufzählung von Kategorien ist nicht abschließend,209 sondern nur beispielhaft. Neue Trends im Filmgeschehen können jederzeit zur Bildung weiterer Kategorien führen. Darüberhinaus können exzessive Grausamkeiten auch in Western oder Science-Fiction-Filmen enthalten sein. Die beschriebenen Beispiele dürften jedoch hinreichend deutlich gemacht haben, um welche Inhalte es bei den betreffenden Videofilmen geht. Die Filme sind insgesamt von unterschiedlicher Qualität. Einige unter ihnen sind von anerkanntem cineastischen Interesse (für die Regie zeichnen Talente verantwortlich wie Tobe Hooper, David Cronenberg, Sam Raimi, Wes Craven) und weisen dabei über das Vordergründige weit hinausreichende Bezüge auf, wie etwa die Zombie-Trilogie21O von George A. Romero, in der die Welt der Zombies als sich selbst zerstörendes Gesellschaftssystem und die verschiedenen Reaktionen der Protagonisten auf diese Bedrohung als faschistische und anarchistische Lösungsmodelle zu erkennen sind. 211 Bei vielen anderen Filmen dagegen handelt es sich um sog. "exploitation pictures",2I2 d.h. vorwiegend drittklassige Erzeugnisse ihrer Gattung, in kürzester Zeit schnell heruntergedreht und auf einer gerade aktuellen Welle mitschwimmend. Durch die Fortschritte auf dem Gebiet der Spezialeffekte ist es möglich geworden, auch in billigeren Produktionen das Publikum höchst wirkungsvoll zu schockieren. Und diese Möglichkeit wird weidlich ausgenutzt um in solchen Filmen Höhepunkte zu erzeugen; meist aufgrund des Unvermögens, dramatische Höhepunkte auf andere Weise zu erreichen. Die Dialoge sind hier regelmäßig auf ein Minimum reduziert und weitgehend bedeutungslos. Emotionen werden durch eine eher einfallslose und plumpe Filmmusik erzeugt (harmonische Klänge bei idyllischen Szenen, aggressive Musik bei Gewalt), die Schnittfolge ist kurz und schnell und erfolgt insbesondere bei Gewaltszenen oft urivorbereitet, so daß es kaum möglich ist, rechtzeitig wegzuschauen.213 Die Gewaltszenen sind meist selbstzweckhaft und kontextlos; die Filmhandlung ist eigentlich nebensächlich und leitet mehr schlecht als recht zur nächsten Gewaltdarstellung über. 214 Das 209 So nennt E. Reß, Die Faszination Jugendlicher am Grauen, S. 15 ff. beispielsweise noch: Streetgang-Filme, Barbaren-Filme, Eastem, Massakerrrerror/Kriegs-Filme und Sado-Filme. 210 Die Nacht der lebenden Toten (Night of the Living Dead, 1968), Zombie (Dawn of the Dead, 1979), Zombie 11 - Das letzte Kapitel (Day of the Dead, 1985). 211 Vgl. dazu ausf. N. Stresau, Der Horror-Film, S. 197 ff.; ähnlich R. Eckert u.a., Videowelten, S. 321 ff. 212 Vgl. T. Mi/ne/P. Willemen, The Aurum Film Encyc1opedia, Vol. 3, S. XIII. 213 Vgl. Chr. Melchers/W. Seifert, medium 6/1984, 21 ff. (24); D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 29 f. 214 Chr. Melchers/W. Seifert, medium 6/1984, 21 ff. (25); H. Scarbarth, in: A. RucktäscheljR. Stefen (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 45 ff. (48).

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Objekt der Gewalt ist nicht selten seiner Menschlichkeit beraubt - ein primitiver Wilder oder ein entmenschlichter Zombie215 und Gewalt wird oft als gerechtfertigte Reaktion auf erlittenes Übel legitimiert. Ein häufig verwendetes Stilmittel besteht darin, am Ende des Films nicht das Gute gewinnen, sondern den Schrecken fortdauern und dadurch den Zuschauer keine Befreiung von dem Bösen erleben zu lassen. 216 In der Zeit von Ende der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre kamen viele der Filme aus Italien217 - dem Land, dessen Filmindustrie in den sechziger Jahren mit dem "Italo-Western" schon die Ausbeutbarkeit des amerikanischen Western-Genres unter Beweis gestellt hatte. In letzter Zeit werden Horror-Filme dagegen hauptsächlich in den USA hergestellt, wo 77 Prozent der Weltproduktion des Jahres 1987 entstanden. Für die Darstellung von Gewalttätigkeiten gelten dort generell freizügigere Maßstäbe als hierzulande, während umgekehrt bei der Darstellung von Sexualität engere Maßstäbe als bei uns angelegt werden. Es existieren aber auch einzelne deutsche Horror-Produktionen. 218 Die Anzahl der jährlich hergestellten Horrorfilme ist insgesamt nach einem leichten Rückgang Mitte der achtziger Jahre wieder im Ansteigen begriffen. Dies hat auch in der Bundesrepublik ein vermehrtes Angebot von Horrorfilmen auf Videokassetten zur Folge. 219 Eine für das Bundesinnenministerium gefertigte Studie gliedert das Publikum von Horror-Videos in vier Typen mit unterschiedlichem Grad der Teilnahme an der Sozialwelt der Horror-Fans: Den "Fremden", den "Touristen", den "Buff' und den "Freak,,?20 Der Fremde kann mit Horror-Filmen nichts anfangen, er ist angewidert und empfindet sie als ekelhaft. Ihm fehlen adäquate Aneignungsformen und spezifische Relevanzsysteme zur Verarbeitung der medialen Reize. Nuancenreichturn und Differenziertheit der Filme, so sie im Einzelfall vorhanden sind, werden nicht erkannt. Der Tourist sucht in Horror-Szenarien nach gelegentlichen außeralltäglichen Erfahrungen. Er verfügt über eine ausreichende "Horror-Literarität", um sich in dieser Welt zurechtzufinden. Er ist in der Lage, adäquatere Interpretationsrahmen zu entwickeln als der Fremde und auf die 215 H. Scarbarth, in: A. Rucktäschel/R. Stefen (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 45 ff. (49). 216 D. Mieth, in: A. Rucktäschel/R. Stefen (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 87 ff. (95); E. Monssen-Engberding, Film und Recht 1984,634 ff. (637); G. Seeßlen, medium 10/1981,4 ff. (6). 217 A. Oetjen, BPS-Report 5/1990, 42 f.; siehe auch E. Monssen-Engberding, Film und Recht 1984,634 ff. (636). 218 Mit Titeln wie etwa "Nekromantik", "Zombie 90" oder "Hitchhiker Massaker". 219 Vgl. W. Glogauer, BPS-Report 3/1989, 7; ders., Kriminalisierung von Kindern und Jugendlichen durch Medien, S. 58 f. 220 R. Eckert u.a., Videowelten und ihre Fans, S. 76 ff., 117 ff.

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verschiedenen Filme anzuwenden. Der Tourist ist aber nicht an einer tiefergehenden Spezialisierung und dem systematischen Aufbau von Insider-Wissen interessiert,z21 Dieses zeichnet vielmehr den "Buff' aus. Er sammelt und archiviert Horrorfilme, ist in Fanclubs organisiert und widmet dem Thema Horror einen großen Teil seiner Freizeit. Er nimmt jeden Film vor dem Hintergrund der Entwicklung des Genres wahr und erkennt "intertextuelle Bezüge" in den Werken. 222 Der "Freak" schließlich kümmert sich um das Fortbestehen und Funktionieren dieser Spezialwelt. Er organisiert Clubtreffen, gibt Fan-Magazine heraus oder schreibt Filmkritiken. Er besitzt meist umfangreiches Fachwissen und genießt innerhalb der Szene großes Ansehen. 223 11. Der Konsum von Horror-Videos durch Kinder und Jugendliche 1. Das Ausmaß des Videokonsums

Ersten alannierenden Presseberichten zufolge sollten zum Konsumentenkreis exzessiver Horrorfilme insbesondere auch Kinder und Jugendliche gehören. Diese sollten zum Teil regelrechte Mutproben veranstalten, bei denen es darum ging, möglichst lange möglichst brutale "Schocker" auszuhalten. 224 Durch diese Meldungen aufgeschreckt wurden bald nach dem Aufkommen der Horror-Videos einzelne systematische Untersuchungen eingeleitet. Zu Anfang waren es einzelne Schulen, Kreisjugendämter oder Stadtverwaltungen, die Umfragen durchführten; später beschäftigten sich auch empirische Sozialforscher mit Studien über den Videokonsum des jungen Publikums. Eine Befragung aus dem Jahre 1983 von 250 Hauptschülern aus der siebten bis neunten Klasse in Delmenhorst ergab, daß 90 Prozent der Befragten bereits Videofilme gesehen hatten. 60 Prozent der gesehenen Filme gehörten in die Sparte gewalttätiger Videofilme. Einzelne Schüler sahen bis zu 20 Filme pro Woche. 225 Eine umfangreichere Befragung aus dem gleichen Jahr von 2500 Kindern und Jugendlichen aller Schulgattungen der Kreisverwaltung Altenkirchen ergab, daß 81 Prozent der Befragten gern Videofilme sehen. 67 Prozent mögen gern 221 222

R. Eckert u.a., a.a.O. S. 127 ff. R. Eckertu.a., a.a.O. S. 141 ff.

223 R. Eckertu.a., a.a.O. S. 151 ff. 224 Siehe etwa Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. 12. 1983, S. 25; Der Spiegel

v. 12.3. 1984,S. 34. 225 D. Orwaldi, BPS-Report 3/1984, S. 25 ff. (26); ders., Aktion Jugendschutz (Hrsg.), No future - but video, S. 5 ff. (5 f.).

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Horror- und Kung-Fu-Filme. Nur 15 Prozent der Befragten hatten jedoch einen Videorecorder zu Hause zur Verfügung. 30 Prozent sahen daher bei Verwandten, 40 Prozent bei Freunden Videofilme. 226 Eine Befragung von 310 Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren unterschiedlicher Schulzweige und sozialer Herkunft 227 brachte 1984 folgende Ergebnisse: 83 Prozent der Befragten sehen gelegentlich oder häufiger Videofilme. Davon haben 74 Prozent schon einmal einen grausamen Horrorfilm gesehen. Die meisten sehen jedoch nicht mehr als einmal pro Woche Video. Der Anteil der Viel seher, die häufiger Video konsumieren, beträgt 11 Prozent. Von diesen Viel sehern haben 91 Prozent zu Hause einen Videorecorder zur Verfügung,228 was darauf hindeutet, daß Vielseher Video meist zu Hause konsumieren. 229 Weibliche Jugendliche sehen weniger Video als männliche und Gymnasiasten sehen weniger als Jugendliche anderer Bildungszweige. 230 Von den Befragten bevorzugte Filmgenres sind an erster Stelle Actionfilme vor Western und Krimis. Zombie- und Kannibalenfilme stehen in der Beliebtheit insgesamt an 14. und vorletzter Stelle (vor Pornofilmen an 15. Stelle) und werden von der Mehrheit der Befragten sogar abgelehnt. Sie sind jedoch in der Gruppe der Viel seher (11 Prozent der Befragten) beliebter. Ein exzessiver Konsum von Horror-Videos ist danach nur bei einer Minderheit von Jugendlichen anzutreffen. 23 ! Eine Untersuchung aus dem Jahre 1985 von 382 Realschülern zwischen 13 und 18/19 Jahren ergab ebenfalls, daß die von den Befragten am meisten konsumierten Videofilme der Kategorie Actionfilm (20 Prozent) angehörten. 232 Danach folgten Komödien (14 Prozent). Horrorfilme nahmen hier jedoch den dritten Platz ein (11 Prozent). Bei den Jugendlichen beliebt sind auch Musikvideos. 41 Prozent der Befragten haben von der BPS als jugendgefährdend indizierte Videofilme gesehen; insgesamt 63 indizierte Filmtitel wurden angegeben. Darunter stellen den größten Anteil Horror-Filme (58 Prozent) vor Action- (22 Prozent) und Erotik-Filmen (11 Prozent). Der meistgenannte Titel unter den Horrorfilmen war "Tanz der Teufel".233 Die Konsumenten der indizierten Videofilme waren größtenteils im Alter zwischen 15 und 17 Jahren. Viele haben einzelne Filme 226 D. Orwaldi, BPS-Report 3/1984, S. 25 ff. (26); ders., Aktion Jugendschutz (Hrsg.), No future - but video, S. 5 ff. (6). 227 D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 63 ff. 228 D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 78. 229 So auchH. Lukeseh, Rundfunk und Fernsehen 1987,92 ff. (96). 230 Hierzu und zum folgenden D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 67 ff. 23! D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 73 f., 78.

232 Vgl. zum folgenden W. Glogauer, BPS-Report 6/1985, I ff.; über ähnliche Ergebnisse einer anderen Untersuchung berichtet ders., in BPS-Report 3/1989, 7. 233 Siehe zu diesem Film den vorigen Abschnitt (S. 55 f.).

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1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

mehrmals gesehen. Einige der von den Jugendlichen gesehenen Filme waren zum Zeitpunkt der Befragung bereits seit einem Jahr wegen Verstoßes gegen § 131 StGB bundesweit beschlagnahmt. Zwei umfangreiche Studien wurden 1985 und 1988 von Helmut Lukesch durchgeführt. 234 Befragt wurden jeweils rund 4000 Kinder und Jugendliche von 13 bis 16 Jahren (1985) und von 13 bis 18 Jahren (1988) aus verschiedenen Schulgattungen in Bayern. 1985 hatten ca. 75 Prozent der Befragten die Möglichkeit, sich Videofilme anzuschauen, 1988 waren es 90 Prozent. 235 Der Zugang zum Medium Video erfolgt größtenteils bei Freunden (1985: 41 Prozent, 1988: 54 Prozent), aber auch zu Hause in der Familie (1985: 27 Prozent, 1988: 46 Prozent). Ein kleiner aber wachsender Anteil der Befragten besitzt einen eigenen Videorecorder (1985: 2 Prozent, 1988: knapp 8 Prozent). Unter den jugendlichen Videonutzern sind 16 Prozent (1985) bzw. 21 Prozent (1988) Intensivseher, die täglich oder mehrmals in der Woche Videofilme anschauen. Jungen sehen häufiger Video als Mädchen, Hauptschüler häufiger als Gymnasiasten und Einwohner einer Großstadt häufiger als Jugendliche aus ländlichen Gegenden. Am meisten schauen die Befragten sich Actionfilme und KlamaukfilmeIKomödien an. Dabei handelt es sich allerdings nicht nur um Filme aus der Videothek, sondern zu einem großen Teil auch um Aufzeichnungen aus dem Fernsehen. Auf die Frage, welche in letzter Zeit gesehenen Videofilme den jungen Zuschauern gut gefallen haben, wurden 1985 und 1988 jeweils von rund 32 Prozent der Videonutzer ein oder mehrere indizierte Filme genannt. 236 Darüberhinaus gaben 5 Prozeq.t im Jahre 1985 und 10 Prozent im Jahre 1988 an, einen bundesweit beschlagnahmten Film gesehen zu haben. 237 Hauptbezugsquelle für diese Filme waren Freunde. Allerdings haben nach eigenen Angaben 1988 17 Prozent der Jugendlichen indizierte Filme und 8 Prozent der Jugendlichen beschlagnahmte Filme in Videotheken selbst ausgeliehen. Die Konsumenten jugendgefahrdender Videofilme sind meist männlichen Geschlechts, um die 16 Jahre alt, und Berufsoder Hauptschüler. 1988 gehörten aber auch 19 Prozent der 12 bis 13 jährigen zu den Konsumenten indizierter Filme.

234 Zur Erhebung von 1985: H. Lukesch u.a., Jugendmedienstudie, 1989; eine Zusammenfassung findet sich bei dems., Jugendschutz 2/1987, 2 ff.; zur Erhebung von 1988: H. Lukeseh, Video im Alltag der Jugend, 1989. 235 Hierzu und zum folgenden: H. Lukesch u.a., Jugendmedienstudie, S. 93 ff.; ders., Video im Alltag der Jugend, S. 30 ff. 236 Vg!. zum folgenden H. Lukesch u.a., Jugendmedienstudie, S. 128 ff.; ders., Video im Alltag der Jugend, S. 73 ff. 237 Dabei ist jedoch zu bedenken, daß es zur Zeit der Untersuchung 1985 lediglich 5 beschlagnahmte Titel gab, Mitte des Jahres 1988 aber bereits 47.

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2. Die Motive der Jugendlichen

Als Motiv der jungen Zuschauer für den Konsum von Videogewalt kommen verschiedene Gründe in Betracht. Der Konsum von Videofilmen geschieht häufig in Gleichaltrigengruppen.238 Das Anschauen von Grausamkeiten kann das Solidaritätsgefühl innerhalb der Gruppe fördern und zur Abgrenzung von der Erwachsenenwelt dienen, indem man etwas tut, was die Erwachsenen verurteilen. 239 Es stärkt das eigene Selbstbewußtsein, denn der Zuschauer beweist "Durchhaltevermögen", kann anderen davon berichten und sie dadurch beeindrucken. 240 Das Betrachten von Videogewalt dient vielleicht als selbstgewählter "Initiationsritus" auf dem Weg zum Erwachsenwerden. 241 Als Mutprobe unter Freunden finden Videofilme entgegen anderslautenden Presseberichten aber nur in geringem Maße Verwendung. 242 Beweggrund der Jugendlichen ist zudem auch die Lust an der Angst, der Spaß am "sich gruseln", am Nervenkitzel, der Jugendliche auch in die Achterbahnen und Geisterbahnen der Rummelplätze treibt. 243 Sodann ist es der Reiz des Tabus, an das viele Horrorfilme stoßen, indem sie zeigen, was im Fernsehen undenkbar wäre. 244 Sie bieten den Reiz des Verbotenen und damit insbesondere ein hochwirksames Mittel gegen Langeweile.245 Denn während des Videofilms hat der Jugendliche das Gefühl, daß etwas sehr aufregendes passiert. Schließlich wird auch die Faszination an der filmischen Tricktechnik, an dem was heute an Spezialeffekten möglich ist, von Jugendlichen als Motiv für den Konsum von H orror- V I'deos genannt. 246 238 D. Orwaldi, BPS-Report 3/1984,25 ff. (31); D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 89 f.; H. Lukesch u.a., Jugendmedienstudie, S. 112 ff.; H. B. Brosius/J. Schmitt, Rundfunk und Fernsehen 1990,536 ff. (539 f.). 239 D. Orwaldi, BPS-Report 3/1984,25 ff. (31); D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 51 f., 89 f. 240 D. Orwaldi, BPS-Report 3/1984, 25; ders., Aktion Jugendschutz (Hrsg.), No future - but video, S. 5. 241 Th. Wegner, in: H. ScarbathlV. Straub (Hrsg.), Die heimlichen Miterzieher, S. 33 ff. (41 ff.). 242 H. Lukesch u.a., Jugendmedienstudie, S. 144 ff.; ders., Video im Alltag der Jugend, S. 104 ff. 243 D. Henningsen/A. Strohmeier, GewaItdarstellungen, S. 53 ff., 91 f.; D. Orwaldi, BPS-Report 3/1984, 25 ff. (31); H. Lukesch u.a., Jugendmedienstudie, S. 143 f.; ders., Video im Alltag der Jugend, S. 93 f.; H. B. Brosius/J. Schmitt, Rundfunk und Fernsehen 1990,536 ff. (541, 543). 244 D. Henningsen/A. Strohmeier, GewaItdarstellungen, S. 57 f., 93 f.; H. B. Brosius/J. Schmitt, Rundfunk und Fernsehen 1990,536 ff. (541). 245 D. Henningsen/A. Strohmeier, GewaItdarstellungen, S. 58 ff., 94 ff. 246 D. Henningsen/A. Strohmeier, Gewaltdarstellungen, S. 61 f., 96. 5 Meirowitz

1. Teil: Technische, wirtschaftI. und sozialwiss. Grundlagen

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Eine Untersuchung jüngeren Datums stellt ein mehrschichtiges Ursachenmodell für den Videokonsum auf: 247 Ein wenig vertrauensvolles Verhältnis zu den Eltern und eine stärkere Zuwendung zu Gleichaltrigengruppen verändern das Freizeitverhalten und beeinflussen zunächst Art und Ausmaß des allgemeinen Medienkonsums. Es wird sowohl vermehrt ferngesehen als auch Video konsumiert. Dabei wird die Präferenz der Jugendlichen, auch infolge gruppendynamischer Prozesse, in Richtung auf spannungs- und actionreiche Filme verschoben. Dies führt der Untersuchung zufolge dann zu steigendem Horrorkonsum.

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen Nach der Darstellung von Art und Inhalt der Videogewalt und ihrem Konsum durch Kinder und Jugendliche stellt sich die Frage nach den Wirkungen derartiger Darstellungen. Entsprechende Fragestellungen haben eine lange Tradition. Schon Platon warnte vor negativen Einflüssen, die zu seiner Zeit die Märchen auf Kinder ausüben könnten, und trat dafür ein, nur tugendhafte Inhalte zuzulassen, denn "die Vorstellungen, die man in diesem Alter aufnimmt, werden gern fast unaustilgbar und unverrückbar. Darum muß man wohl den größten Wert darauf legen, daß die Erzählungen, die sie zuerst hören, möglichst schön auf die Tugend hinweisen" ?48 Goethe dagegen sagte zu Eckermann: "Es müßte schlimm zugehen, wenn ein Buch unmoralischer wirken sollte, als das Leben selber, das täglich der skandalösesten Szenen im Überfluß, wo nicht vor unseren Augen, doch vor unseren Ohren entwickelt. Selbst bei Kindern braucht man wegen der Wirkungen eines Buches oder eines Theaterstückes keineswegs so ängstlich zu sein. Das tägliche Leben ist, wie gesagt lehrreicher als das wirksamste Buch". 249 Ähnlich divergierende Ansichten sind auch in der modemen Wirkungsforschung anzutreffen. Die Erforschung der Wirkung von Mediengewalt ist ein Teilbereich der allgemeinen Wirkungsforschung, die unter den Kommunikationswissenschaften anzusiedeln ist. Die Medienwirkungsforschung hat im Laufe ihrer Entwicklung einen erheblichen inhaltlichen Wandel vollzogen, der zu sehr unterschiedlichen Wirkungsmodellen führte und sich auch in den unterschiedlichen Positionen der Gewaltwirkungsforschung widerspiegelt. Darum wird, zum besseren Verständnis und um das notwendige Hintergrundwissen zu liefern, zunächst ein Blick auf die allgemeine Medienwirkungsforschung geworfen.

Dazu H. B. Brosius/J. Schmitt, Rundfunk und Fernsehen 1990,536 ff. (544 f.). 248 Der Staat, 377 B-C, 379 A, in: Platon, Sämtliche Werke, Zweiter Band, S. 72, 74. 249 Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, in: Goethe, Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, Band 19, S. 668. 247

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen

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I. Die Wirkung der Massenmedien im allgemeinen

In den Anfängen der Wirkungsforschung Ende der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts wurde die Masse als hoch beeinflußbar eingeschätzt. Massenmedien wurde daher eine hohe Wirksamkeit zugeschrieben. Man sprach von der Allmacht der Medien. 250 Dem lag die Annahme zugrunde, daß die modeme Industriegesellschaft als Massengesellschaft die überkommenen Kleingruppen wie Familie und Nachbarschaft ihrer Funktion beraube, die Menschen vereinzele und so dem Einfluß der Massenmedien ausliefere. Die Medien wurden für fähig gehalten, den Einzelnen unmittelbar zu beeinflussen und damit ganze Gesellschaften "gleichschalten" zu können. So beschrieb es das sog. "Stimulus-ResponseModell" (S-R-Modell) der Massenkommunikation. Danach bedurfte es nur des Reizes (Stimulus) durch die Massenmedien, um in einem einfachen Kausalprozeß bei jedem Empfanger direkt und linear eine identische Reaktion (Response) in dem vom Verursacher gewollten Sinne zu bewirken. 251 Das damalige Verständnis von den Massenmedien wird entsprechend in Äußerungen aus der Zeit des Nationalsozialismus deutlich, in denen die Rolle der Medien für Staat und Gesellschaft umrissen wird. So bezeichnete Propagandaminister Joseph Goebbels in einer Rede im März 1933 den Rundfunk als "das allermodernste und ... allerwichtigste Massenbeeinflussungsinstrument, das es überhaupt gibt." Der Rundfunk müsse das Volk "so innerlich durchtränken mit den geistigen Inhalten unserer Zeit, daß niemand mehr ausbrechen kann.,,252 In der Wirkungsforschung wurde das S-R-Modell trotz der Propagandaerfolge der Nationalsozialisten und anderer autoritärer Herrschaftssysteme jedoch mit der Zeit als zu einfach widerlegt. Man erkannte, daß individuelle Unterschiede in der Persönlichkeit der Menschen die Wirkung der Massenmedien beeinflussen können. Daher wurde die Persönlichkeitsstruktur des einzelnen Rezipienten bald als ein "Filter" zwischen Stimulus und Reaktion verstanden, der die Wirkung modifizieren kann. 253 In den sechziger Jahren schlugen die Anschauungen der Wirkungsforschung mit der These von der Wirkungslosigkeit der Massenmedien von Joseph Th. Klapper254 ins Gegenteil um. Danach waren Massenmedien im Normalfall weder 250 G. Maletzke. Media Perspektiven 1982.741 ff. (744); J. Hackforth. Media Perspektiven 1976, 527 ff. (528). 251 M. Kunczik. Massenkommunikation, S. 114 f.; G. Maletzke. Massenkommunikationstheorien, S. 3 ff. 252 Aus einer Goebbels-Rede während der Konferenz der Rundfunkintendanten am 25. März 1933, abgedruckt bei A. Diller, Rundfunkpolitik im Dritten Reich, S. 143 ff. (144). 253

M. Kunczik. Massenkommunikation, S. 116; ders., Gewalt und Medien, S. 37.

254

J. Th. Klapper. The Effects of Mass Communication, S. 18 ff.

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1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

als notwendige noch als hinreichende Bedingung für das Auftreten von Wirkungen anzusehen. Allenfalls sollten sie bereits vorhandene Einstellungen der Rezipienten verstärken können. 255 Heute wird Massenkommunikation als ein hochkomplexes Geflecht interdependenter Faktoren begriffen. Man geht davon aus, daß keine einfache MonoKausalität zwischen Inhalt und Wirkung besteht, sondern daß eine Fülle von Gegenkräften und Korrekturfaktoren (sog. intervenierende Variablen) im Kommunikationsprozeß mitbeteiligt sind und sich auswirken. Dies sind vor allem die vorgegebenen Einstellungen des Rezipienten und seine Zugehörigkeit zu sozialen Kleingruppen, die heute als wesentlicher Einflußfaktor anerkannt wird. Weiterhin die in seiner Gruppe geltenden Gruppennonnen, die persönliche Kommunikation sowie das Verhalten bestimmter "Meinungsführer". 256 Als "Wirkungen" werden heute alle Veränderungen bei Individuen und in der Gesellschaft angesehen, die durch Aussagen der Massenkommunikation oder durch die Existenz von Massenmedien entstehen. 257 Neben dem reinen Wirkungsansatz fließt gegenwärtig auch der sog. Nutzenansatz (uses and gratification approach)258 in die Untersuchungen mit ein. Dieser weicht von der bisherigen Anschauung, die Medien würden die Rezipienten "benutzen", ab und widmet sich stattdessen der Frage, wie die Rezipienten mit den Medien umgehen. 259 Damit wird berücksichtigt, daß der Rezipient selbst aktive Einflußnahme auf den Wirkungsprozeß nehmen kann. Es wird davon ausgegangen, daß die Nutzung der Medien durch die Rezipienten selektiv ist und der Befriedigung bestimmter Bedürfnisse dient. An einem konkreten Beispiel erläutert: Nicht die Tabak- und Alkoholwerbung sei es, die entsprechenden Konsum auslöse oder verstärke, sondern der Konsument von Tabak oder Alkohol suche sich diejenigen Infonnationen aus dem Gesamtangebot heraus, die seinen Bedürfnissen entsprechen. 260 255 J. Th. Klapper, The Effects of Mass Communication, s. 49 f.; siehe auch W. J. McGuire. in: G. Lindzey, E. Aronson (Hrsg.). Handbook of Social Psychology, Vo!. III, S. 136 ff. (227 ff.). 256 Vg!. G. Maletzke. Psychologie der Massenkommunikation, S. 78 ff.; ders., Media Perspektiven 1983, 114 ff. (116); ders., Media Perspektiven 1982,741 ff. (744 f.); M. Kunczik. Media Perspektiven 1980,803 ff. (804). 257 G. Maletzke. Media Perspektiven 1982,741; siehe auch: ders., Psychologie der Massenkommunikation, S. 189 f.; ders., Ziele und Wirkungen der Massenkommunikation, S. 209; ähnlich, aber weiter K. Lüscher. Media Perspektiven 1982,545 sowie Verhandlungen des 54. Deutschen Juristentages 1982, Bd. 11, Teil H, S. 21 ff. (24 f.). 258 Dazu G. Maletzke. Media Perspektiven 1982, 741 ff. (747 f.); K. Renckstorf, Rundfunk und Fernsehen 1973, 183 ff. (188 ff.). 259 M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 39; ders., Massenkommunikation, S. 152 ff.; G. Maletzke. Massenkommunikationstheorien, S. 23 ff.

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen

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11. Thesen zur Wirkung von Mediengewalt

Die Gewaltwirkungsforschung ist gekennzeichnet von einer kaum noch überschaubaren Anzahl von Untersuchungen,261 und von auf den ersten Blick widersprüchlichen Ergebnissen. Letzteres liegt zum einen an der schon erwähnten Komplexität des Wirkungsprozesses, zum anderen an unterschiedlichen Untersuchungsansätzen und Untersuchungsmethoden. Ein Teil der Untersuchungen verwendet Laborexperimente, bei denen in einer genau kontrollierbaren Umgebung bestimmte Versuchsbedingungen variiert werden können. Ein anderer Teil besteht aus Feldstudien, die in der natürlichen Umwelt der Versuchsteilnehmer durchgeführt werden und die dort herrschenden realen Bedingungen erfassen wollen. Feldstudien befassen sich meist mit den langfristigen Wirkungen von Gewaltdarstellungen, während die kurzfristigen Wirkungen überwiegend im Laborexperiment untersucht werden. Häufigste Fragestellung der Arbeiten ist die Auswirkung von Gewaltdarstellungen auf ein aggressives Verhalten der Zuschauer. Im Laufe der Zeit entstanden verschiedene Thesen, von denen ein Teil eine aggressionsmindernde Wirkung, ein anderer eine aggressionsfördernde Wirkung und ein dritter schließlich die Wirkungslosigkeit von Mediengewalt annimmt. 262 Sie sollen im folgenden dargestellt werden.

1. Aggressionsmindernde Effekte a) Katharsisthese Die Katharsisthese besagt, daß Gewaltdarstellungen eine Ventilfunktion bzw. eine reinigende Wirkung auf den Zuschauer haben und etwa vorhandenes Aggressionspotential auf harmlose Weise ableiten. Durch das Mitvollziehen von Gewalt an fiktiven Modellen soll beim Zuschauer der Anreiz zu eigenen Aggressionshandlungen gemindert werden. 263 Diese These (Katharsis = "Reinigung der Affekte") geht auf Aristoteles zurück, der bezogen auf die antike Tragödie 260 H. Scarbath, Videokonsum und pädagogische Verantwortung, S. 37. 261 Die Gesamtzahl der Veröffentlichungen zu diesem Thema wird mit 2.500 bis 3.000 angegeben (vgl. M. Kunczik, Gewalt und Medien, Vorwort S. VII sowie S. 175; siehe auch I. Horn/P. Habermann, Media Perspektiven 1983, 325). Allein zwischen 1975 und 1979 sind H. Haase, Media Perspektiven 1979, 797 zufolge zum Thema Medienwirkungen auf Kinder und Jugendliche etwa 1.000 Titel erschienen. 262 Zusammenfassungen der verschiedenen den Thesen zugrunde liegenden Untersuchungen in deutscher Sprache finden sich bei: H. Kellner!l. Horn, Gewalt im Fernsehen, S. 10 ff., 32 ff.; M. Kunczik, Gewalt und Medien, S.46 ff.; sowie in chronologischer Reihenfolge bei H. Lukesch u.a., Jugendmedienstudie, S. 283 ff. 263 H. Kellner/I. Horn, Gewalt im Fernsehen, S. 10 f.

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l. Teil: Technische, wirtschaftl. und sozialwiss. Grundlagen

feststellt: "Es ist also die Tragödie eine nachahmende Darstellung einer würdigernsten und abgeschlossenen Handlung ... in einer Weise, daß diese Darstellung durch Furcht und Mitleid eine Reinigung von eben dieser Art von Affekten erzielt. ,,264 In den sechziger Jahren wurde die These von dem amerikanischen Psychologen Seymour Feshbach265 vertreten, der feststellte, daß aggressiv gestimmte Zuschauer nach dem Konsum von Mediengewalt verbal weniger aggressiv reagierten als nach einer neutralen Mediendarstellung, wenn bei ihnen ein Aggressionsanreiz kurz vor oder zugleich mit dem Medienkonsum ausgelöst wurde. Grundlage war ein Experiment mit männlichen College-Studenten. Die Studenten wurden durch Beleidigungen verärgert und bekamen sodann einen Boxkampf vorgeführt, eine andere Gruppe einen als neutral eingestuften Film. Danach wurde durch Befragungen und Wort-Assoziations-Tests die Aggression der Teilnehmer gemessen. Bei den Zuschauern des aggressiven Films fanden sich weniger Aggressionsanzeichen als bei den Zuschauern des neutralen Films. Diese These war lange Zeit umstritten und wurde von vielen Autoren angegriffen. 266 Das zugrundeliegende Experiment wurde als unzureichend und nicht aussagekräftig kritisiert. Die These gilt heute als durch weitere Forschungsergebnisse empirisch widerlegt. 267 Auch Feshbach selbst ist mittlerweile von der Katharsisthese abgerückt, da sie nur unter speziellen Bedingungen gültig sei, die nicht einer normalen Rezeptionssituation entsprechen.268 b) Kognitive Unterstützung Eine Variante der Katharsisthese ist die These der kognitiven Unterstützung. Danach kann die Fähigkeit, sich in Phantasietätigkeit zu ergehen, als ein Mechanismus betrachtet werden, um innere Impulse zu kontrollieren und eventuell zu verschieben. 269 Persönlichkeiten mit niedriger Intelligenz und schwächerer Phantasie benötigten für diesen Mechanismus externe Quellen zur Phantasieanregung, Aristoteles, Werke, Band 4: Über die Dichtkunst, Abschn. 6 [2] (S. 91). S. Feshbach, Journal of Abnormal and Social Psychology 63 (1961), 381 ff. 266 Kritisch zu der These H. Scarbath, in: A. Rucktäschel/R. Stefen (Hrsg.), VideoProvokation ohne Antwort?, S. 45 ff. (55); ders., Videokonsum und pädagogische Verantwortung, S. 30 f.; M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 46 ff.; H. Selg, in: H. ScarbathN. Straub (Hrsg.), Die heimlichen Miterzieher, S. 73 ff. (75); ders., BPS-Report 1/1987,2 ("schlicht absurd"); H. Kellner/l. Horn, Gewalt im Fernsehen, S. 11 (m. w. N.). 267 M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 46 f.; L. R. Huesmann, in: National Institute of Mental Health (Hrsg.), Television and Behavior, Vol. Il, S. 126 ff. (134). 268 S. Feshbach, in: J. Groebel/p. Winterhoff-Spurk (Hrsg.), Empirische Medienpsychologie, S. 65 ff. (71 f.). 269 S. Feshbach, Journal of Social Issues 32/4 (1976), 71 ff. (79 ff.). 264

265

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen

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wie etwa fiktive Filme im Fernsehen. Somit bewirke das Fernsehen mit GewaltdarsteIlungen eine sog. kognitive Unterstützung bei dem Mechanismus, aggressive Impulse zu kontrollieren. Zum Beweis dieser These diente ein Experiment von Feshbach und Singer/7o in welchem eine Gruppe Jugendlicher, die ihre als aggressiv eingestuften Lieblingssendungen im Fernsehen eine Zeitlang nicht sehen durfte, mit einer anderen Gruppe Jugendlicher verglichen wurde, für die das Verbot nicht galt. Die letztere Gruppe erwies sich als weniger aggressiv als die erste Gruppe und innerhalb dieser zeigte sich Aggressivität insbesondere bei Jugendlichen aus der Unterschicht, die in Heimen wohnten. 27I Die These erfuhr ebenfalls Kritik - sowohl hinsichtlich des Versuchsaufbaus und der Datengewinnung als auch hinsichtlich der Interpretation der Ergebnisse. 272 Es sei auch möglich, so wurde eingewendet, den Aggressivitätsunterschied zwischen den beiden Gruppen als Aggressivitätszunahme der in ihren Fernsehwünschen frustrierten ersten Gruppe zu deuten. 273 c) Inhibitionsthese Ein anderer Begründungsversuch für aggressionsmindernde Wirkungen von Mediengewalt ist die Inhibitionsthese. Danach führt das Betrachten aggressiver Filme aufgrund von Angst und Schuldgefühlen zu einer Hemmung von Aggressionstendenzen des Zuschauers. 274 Insbesondere sehr realistische Gewaltdarstellungen, die die Folgen der Gewalt und das Leiden des Opfers deutlich zeigen, führen eher zu Angst als zu eigener Gewaltbereitschaft des Betrachters. 275 Auch diese These wird in der Diskussion eher mit Zurückhaltung gewertet, da weitere Forschungen eine Aggressionsreduktion nicht bestätigen konnten. 276 270 S. FeshbachlR. D. Singer, Television and Aggression: An Experimental Field Study, S. 49 ff.; auch S. Feshbach, in: Mass Media and Violence, A Staff Report to the National Commission on the Causes and Prevention of Violence, Appendix III-E, S. 461 ff. (463 ff.). 271 S. FeshbachlR. D. Singer, Television and Aggression, S. 140 ff.; S. Feshbach, in: Mass Media and Violence, Appendix III-E, S. 461 ff. (467 ff.). 272 Vgl. etwa H. Selg, Über Gewaltdarstellungen in Massenmedien, S. 20 f.; sowie M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 51.; H. Haase, Film und Recht 1980, 472 ff. (480). 273 M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 51.; H. Haase, Film und Recht 1980,472 ff. (480). 274 L. BerkowitzlE. Rawlings, Journal of Abnormal and Social Psychology 66 (1963), 405 ff. (406,411 f.); L. BerkowitzlR. CorwinlM. Heironimus, Public Opinion Quarterly 1963,217 ff. (226 ff.). 275 B. H. Kniveton, Fernsehen und Bildung 1978, 41 ff. (42 ff.); D. P. Hartmann, Journal ofPersonality and Social Psychology, Vol. 11 (1969),280 ff. (286 f.).

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1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

2. Aggressionsfördernde Effekte a) Stimulationsthese Ein entgegengesetztes Wirkungsmodell mit aggressionsfördernden Effekten beschreibt die Stimulationsthese. Sie besagt, daß das Ansehen von als gerechtfertigt dargestellter Gewalt bei vorheriger emotionaler Erregung des Zuschauers oder sonstigen aggressionsbegünstigenden Eigenschaften zu einem Ansteigen von Aggressivität führt. Sie beruht auf einer Reihe von Experimenten von L. Berkowitz mit folgendem typischen Versuchsaufbau277 : Zunächst wurden Versuchspersonen verärgert, indem ihnen Elektroschocks verabreicht wurden. Daraufhin sahen sie einen gewalttätigen Film (einen Boxkampf) oder einen neutralen Film. Als nächstes wurde ihre Aggressivität gemessen, indem sie Gelegenheit erhielten, die Person, die sie vorher verärgert hatte, nun ihrerseits mit Elektroschocks zu bestrafen. Aus den Ergebnissen entnahm Berkowitz eine Steigerung der Aggressivität der Versuchspersonen durch das Betrachten des aggressiven Films. 278 Eine andere Studienreihe279 untersuchte in den USA und in Belgien die Auswirkung violenter Filme auf straffällig gewordene männliche Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, die in Erziehungsheime eingewiesen worden waren. Ihnen wurde an fünf Tagen nacheinander je ein gewalttätiger Film gezeigt (anderer Fernsehkonsum war in dieser Zeit nicht zugelassen). Eine Kontrollgruppe sah in dieser Zeit fünf als neutral eingestufte Filme. Am Ende der Versuchsreihe wurde die Experimentalgruppe für aggressiver befunden als die Kontrollgruppe?80 b) Suggestionsthese In eine ähnliche Richtung deutet die Suggestionsthese. Danach können bestimmte Medieninhalte bestimmte jugendliche und erwachsene Zuschauer zur Nachahmung des Gezeigten anregen, und zwar vor allem bei der Schilderung von Selbstmorden. Diese These beschreibt den sog. "Werther-Effekt,,/81 d. h. 276 Vgl. etwa H. Se/g, Über Gewaltdarstellungen in Massenmedien, S. 22; M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 48.; H. Kellner/l. Horn, Gewalt im Fernsehen, S. 26. 277 Siehe dazu L. Berkowitz, in: nebraska symposium on motivation 1970, S. 95 ff. (114 ff., 123 ff.); ders./R. Geen, Journal of Personality and Social Psychology, Vo!. 3 (1966),525 ff.; R. Geen/L. Berkowitz, Journal of Personality 34 (1966), 456 ff. (458 ff.). 278 Kritisch demgegenüber jedoch H. Haase, Film und Recht 1980,472 ff. (478). 279 R. D. Parke/L. Berkowitz u.a., in: L. Berkowitz (Hrsg.), Advances in Experimental Sodal Psychology, Vo!. 10 (1977), S. 135 ff. (142 ff.). 280 Kritisch zu dem Versuch jedoch M. Kunczik, Media Perspektiven 1980, 803 ff. (807). 281 Nach Goethes "Leiden des jungen Werther", die seinerzeit eine Selbstmordwelle bei jungen Männem in ähnlicher Lebenssituation ausgelöst haben sollen.

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen

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das Phänomen, daß die Selbstmordrate nach Berichten über Selbstmorde berühmter Personen oder spektakulärer Art ansteigen kann. Einige Untersuchungen in den USA und Großbritannien wollen einen solchen Effekt nachgewiesen haben. Dabei steige auch die Zahl der tödlichen Autounfälle mit nur einem Insassen sowie entsprechender Unfälle mit Privatflugzeugen, die als "verkappte Selbstmorde" interpretiert werden könnten. Der gleiche Effekt läßt sich bei der Schilderung von Selbstmorden in populären Fernsehserien beobachten. 282 Eine deutsche Studie 283 untersuchte die Folgen der sechsteiligen ZDF-Serie "Tod eines Schülers" aus dem Jahre 1981, die beim Publikum großen Anklang fand. Darin wirft sich ein neunzehnjähriger junger Mann vor einen fahrenden Zug. Es wurde festgestellt, daß während des Ausstrahlungszeitraums und unmittelbar danach die Zahl der Eisenbahnsuizide erheblich anstieg. Die Steigerung war am größten bei der Bevölkerungsgruppe, die der Serien-Figur am nächsten war, nämlich bei 15 bis 19 jährigen männlichen Jugendlichen. Hier betrug der Anstieg in dem Zeitraum von 70 Tagen während und nach der Serie 175 Prozent. Die Autoren sind überzeugt, daß sich nicht nur die ohnehin zum Suizid entschlossenen Zuschauer getötet haben, sondern daß auch anderen jungen Männern die Serie als Anleitung zu einer vermeintlichen Problem lösung gedient hat. Entsprechende Suggestionswirkungen werden auch nach anderen Medieninhalten wahrgenommen. So soll nach größeren Boxkämpfen (z.B. Schwergewichtsmeisterschaften) ein Ansteigen von Tötungsdelikten zu verzeichnen gewesen sein, nach Berichten über Gerichtsverhandlungen in Mordfällen und über Exekutionen sollen Tötungsdelikte demgegenüber kurzfristig zurückgegangen sein, so daß in Einzelfällen auch eine Aggressionsminderung bewirkt worden . 284 seI. c) Habitualisierungsthese Die Habitualisierungsthese beschreibt Wirkungen auf die Einstellung des Zuschauers zu Gewalt. Sie geht davon aus, daß das Betrachten von Mediengewalt zu einer Gewöhnung führt und den Zuschauer auch gegenüber realer Gewalt abstumpfen läßt. 285 Diese These betont damit kumulative langfristige Wirkungen von Gewahdarstellungen. So werde der empirisch abgesicherten Tatsache Rech282 D. P. Phi/Ups, Arnerican Sociological Review 39 (1974), 340 ff.; ders., Arnerican Journal of Sociology, Vol. 87 (1982), 1340 ff. (1347 ff.); ders./J. E. Hensley, Journal of Cornrnunication 34/3 (1984),101 ff. (102 f.). 283 A. SchmidtkelH. Häfner, Der Nervenarzt 1986, 502 ff. (504 ff.); siehe auch: A. Finzen, BPS-Report 5/1986,9 f. 284 D. P. Phillips, Arnerican Sociological Review 48 (1983), 560 ff. (561 ff.); ders./J. E. Hensley, Journal of Cornrnunication 34/3 (1984),101 ff. (104, 113). 285 M. H. Thomas u.a., Journal of Personality and Social Psychology 35 (1977), 450 ff. (457); D. Zillmann, in: National Institute of Mental Health (Hrsg.), Television

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1. Teil: Technische, wirtschaftl. und sozialwiss. Grundlagen

nung getragen, daß eine einzelne Gewaltdarstellung kaum in der Lage ist, beim Zuschauer dauerhafte Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur zu bewirken. 286 Als Beleg für diese These dienten Experimente, die ergaben, daß der Konsum gewalttätiger Fernsehsendungen bei Kindern zu größerer Toleranz gegenüber von Gleichaltrigen gezeigtem gewalttätigen Verhalten führte. 287 Eine Langfriststudie von Belson288 kam zu dem Ergebnis, daß zwar keine Veränderung in der Einstellung gegenüber Gewalt festgestellt werden konnte, daß das tatsächliche Verhalten der untersuchten Jugendlichen sich durch Mediengewalt aber faktisch verändert hatte. Insoweit ergaben sich Anhaltspunkte für einen unbewußten Prozeß auf der Verhaltensebene. d) Rechtfertigung von Verbrechen Einen anderen Ausgangspunkt nimmt die These der Rechtfertigung von Verbrechen: Straftäter haben danach häufig die Tendenz, den Grund für ihre Straffälligkeit in äußeren Umständen zu sehen und ihr Tun als fremdbestimmt darzustellen. Dadurch weisen sie die Verantwortung für ihr Handeln von sich und bewahren ein günstiges Selbstbild, welches Selbstvorwürfe abhält.289 So werden häufig soziale, ökonomische, politische oder psychologische Argumente zur Rechtfertigung von Straftaten herangezogen. Daneben werden auch gewalttätige Medieninhalte als fremdbestimmende Kraft angeführt. 290 Zu diesem Phänomen wird die Auffassung vertreten, daß Gewalttäter Mediengewalt konsumieren, um ihr eigenes Verhalten noch als normal einstufen zu können und sich wie Fernsehhelden fühlen zu können. 291 Dabei besteht nicht and Behavior, Vol. 11, S. 53 ff. (61 ff.); vgl. auch H. D. Schwind/J. Baumann u.a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band I, Endgutachten, Rdnr. 218. 286 Die Habitualisierungsthese wird von H. KellnerJl. Horn als Begründung für das Ausbleiben aggressiver Reaktionen auf MediengewaIt, also für aggressionsmindernde Effekte angeführt (Gewalt im Fernsehen, S. 12) und an die Seite der Katharsisthese gestellt. Zu dieser Einordnung kritisch jedoch H. Selg, Über Gewaltdarstellungen in Massenmedien, S. 23 f.; sowie anderer Ansicht m. w. N. auch M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 61 ff. 287 R. S. Drabman/M. H. Thomas, in: Developmental Psychology 10 (1974), 418 ff.; M. H. Thomas/R. S. Drabman, Merrill-Palmer Quarterly 21 (1975),227 ff. 288 W. A. Belson, Television Violence and the Adolescent Boy, S. 15 ff. 289 G. M. SykeslD. Matza, in: F. Sack/R. König (Hrsg.), Kriminalsoziologie, S. 360 ff. (365 ff.); L. R. Huesmann, in: National Institute of Mental Health (Hrsg.), Television and Behavior, Vol. II, S. 126 ff. (134). 290 Von einem Mitglied der "Charles-Manson Gang", die die Schauspielerin Sharon Tate ermordet hat, stammt die Aussage: "We are what you have made uso We were brouht up on your TV. We were brouht up watching Gunsmoke, Have Gun-Will Travel, FBI, Combat. Combat was my favorite show." (Vgl. M. Kunczik, Gewalt und Medien, S.79).

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen

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nur die Möglichkeit einer derartigen nachträglichen Rechtfertigung, sondern dieser Medienkonsum kann auch einer Straftat vorausgehen und sie erst ermöglichen, indem er die Ausführung der Tat bei gleichzeitiger Wahrung eines positiven Selbstbildes begünstigt. 292 e) Lerntheorie

In jüngerer Zeit zunehmend vertreten wird die Lerntheorie. Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Mediengewalt auf Kinder und nimmt an, daß Gewaltdarstellungen bei Kindern Lerneffekte auslösen und daß das beobachtete aggressive Verhalten unter bestimmen Bedingungen in eigenes Verhalten umgesetzt werden kann. Diese These geht davon aus, daß aggressives Verhalten wie menschliches Verhalten überhaupt - überwiegend gelerntes Verhalten ist. Das Lernen geschieht durch Beobachten des gezeigten Modells. 293 Aus der Betrachtung verschiedener Modelle können Regeln abstrahiert werden. Gewalttätige Filme versorgen danach die Zuschauer mit entsprechenden Handlungsrnustern, die nachgeahmt werden können. 294 Die Lerntheorie ist geprägt von Albert Bandura, der in einem vielbeachteten Experiment 295 Kindern aus einem amerikanischen Universitäts-Kindergarten im Alter von vier bis sechs Jahren einen Film zeigte, in welchem eine Person in aggressiver Weise mit einer aufblasbaren Plastikpuppe ("Bobo-doll") spielt, die die Eigenschaft hat, sich nach dem Umkippen immer wieder aufzurichten. Die Person setzt sich auf die Puppe, boxt sie auf die Nase, schlägt ihr mit einem Holzhammer auf den Kopf, wirft sie in die Luft. Nach Betrachten des Films wurden die Kinder frustriert, indem ihnen zunächst zum Spielen angebotenes attraktives Spielzeug wieder entzogen wurde. Danach wurden sie in eine dem Film ähnliche Situation gebracht, d.h. sie konnten nun selbst mit einer "BoboPuppe" spielen, und ihr Verhalten wurde mit dem zuvor gesehenen Modell verglichen. Dabei zeigte sich, daß die Kinder das Verhalten des Modells weitgehend imitierten?96 291 292

J. D. Halloran u.a., Fernsehen und Kriminalität, S. 164 f. M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 77, 80.

293 A. Bandura, Sozial-kognitive Lerntheorie, S. 31 ff.; ders., Aggression, S. 85 ff.; vgl. auch H. Kellner/l. Horn, Gewalt im Fernsehen, S. 17 ff.; H. Selg, Über Gewaltdarstellungen in Massenmedien, S. 14 f., 24 f. 294 A. Bandura, Aggression, S. 293 ff.; H. Selg, in: Scarbath/Straub (Hrsg.), Die heimlichen Miterzieher, S. 73 ff. (74); M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 64 f.; L. R. Huesmann, in: National Institute of Mental Health (Hrsg.), Television and Behavior, Vol. 11, S. 126 ff. (128 ff.). 295 A. BanduralD. Ross/S. A. Ross, Journal of Abnormal and Social Psychology 63 (1961),575 ff.; siehe auch dies., Journal of Abnormal and Social Psychology 66 (1963), 3 ff. (4 ff.).

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I. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

Weitere Forschungen gelangten zu einer schärferen Differenzierung zwischen Lerneffekt und Nachahmung durch eigenes Verhalten. Die Umsetzung in tatsächliches Verhalten erfolgt nur unter bestimmten Bedingungen. Ein Faktor ist dabei die Ähnlichkeit zwischen Spielsituation und Realität. Je mehr real erlebte Situationen mit vorher gesehenen Modellen übereinstimmen, desto stärker ist der Trend zur Nachahmung der Modelle. Daneben ist jedoch auch bedeutsam, ob die Gewalt im Modell erfolgreich ist oder ob sie bestraft wird und ob in der Realität positive Anreize für eine Nachahmung durch den Beobachter vorhanden sind oder nicht. 297 Die Lerntheorie führt damit zu einem praktischen medienpädagogischen Ratschlag: Wenn das Aneignen unerwünschter Verhaltensweisen aus dem Medienkonsum verhindert werden soll, dann kann mit nachfolgenden Gesprächen über das Gesehene und Bezugnahmen auf wünschenswerteres Verhalten "gegengesteuert" werden. 298 3. These der allgemeinen Erregung

Einen anderen Effekt von Gewaltdarstellungen beschreibt die Theorie der allgemeinen Erregung (emotional arousal). Daß filmische Darstellungen im allgemeinen beim Zuschauer emotionale Erregung bewirken können, und zwar unabhängig von etwaigen gewalttätigen Inhalten, ist unbestritten. 299 Der Zuschauer erlebt in der filmischen Handlung eine "Gefühlsgeschichte". Er wünscht zum Beispiel einen bestimmten (günstigen) Ablauf der geschilderten Ereignisse und muß nun im Verlauf des Films miterleben, wie sich verschiedene Hindernisse in den Weg stellen. Es kommt zu einem Mitvollziehen der Emotionen der im Film handelnden Person und zwar um so stärker, je realitätsnaher oder nachvollziehbarer die filmische Situation für den Zuschauer ist, und je mehr der Zuschauer persönliche Erfahrungen mit der Handlung in Beziehung setzen kann. 3°O Nach einer These von Tannenbaum undZillmann 30I sind Aggressivitätssteige296 Kritisch zu der Interpretation dieses Experiments M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 69 f.; ders., Media Perspektiven 1980, 803 ff. (805 f.); H. Haase, Film und Recht 1980,472 ff. (477 f.). 297 A. Bandura, Sozial-kognitive Lerntheorie, S. 101 ff.; ders.lD. Ross/S. A. Ross, Journal of Abnormal and Social Psychology 67 (1963), 601 ff. (605 ff.); siehe auch: H. Selg, in: Scarbath/Straub (Hrsg.), Die heimlichen Miterzieher, S. 73 ff. (75); ders., BPSReport 1/1987, I ff. (2). 298 M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 66 f.; H. Kellner, Jugendschutz 1974, 16 ff. (20). 299 M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 57; N. D. Feshbach, in: J. Groebel/p. WinterhoffSpurk (Hrsg.), Empirische Medienpsychologie, S. 76 ff. (80 f.). 300 Vg!. dazu M. Kunczik, Gewalt im Fernsehen, S. III f.; C. B. Melchers/W. Seifert, medium 6/1984,21 ff. (23 f.).

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen

77

rungen nach dem Ansehen von Gewaltdarstellungen nicht die Folge der Gewalt, sondern die Folge der allgemeinen emotionalen Erregung, die von der Art des Inhalts unabhängig ist und auch durch ganz andere Inhalte bewirkt werden kann. Diese Erregung führt, wenn sie noch nicht abgebaut ist, in späteren Situationen zu generell intensiverem Verhalten, das nicht notwendig aggressiv sein muß, sondern ebensogut prosozial sein kann. Ein emotional erregender - nicht aggressiver - erotischer Film kann danach beispielsweise mehr Aggressivität bewirken als ein weniger stark erregender aggressiver Film. 302 Andererseits ist nach dem Konsum von emotional erregenden aggressiven Filmen auch gesteigerte Hilfsbereitschaft möglich anstatt gesteigerter Aggressivität. 303 Erregung kann auch durch vom Inhalt unabhängige formale Gestaltungsmittel gefördert werden wie harte Schnitte, reißerische Musik, Geräusche etc. 304 4. These der Wirkungslosigkeit

Nach der These der Wirkungslosigkeit ist fiktive Gewalt in den Medien außer bei pathologischen Individuen für die Entstehung realer Gewalt bedeutungslos.305 Lediglich kurzfristige emotionale Erregungen könnten durch Gewaltdarstellungen bewirkt werden, was aber auch durch jeden anderen Inhalt geschehen könne. Darüberhinausgehende Wirkungen seien jedoch nicht festzustellen. Aggressivität werde nicht durch Mediengewalt, sondern durch externe Faktoren beeinflußt.306 Die anderen Wirkungstheorien beruhten entweder darauf, daß die künstlichen 301 P. H. Tannenbaum, Fernsehen und Bildung 1978, 184 ff. (185 ff.); ders., in: Television and Social Behavior, S. 309 ff.; ders./D. Zillmann, in: L. Berkowitz (Hrsg.), Advances in Experimental Social Psychology, Vol. 8 (1975), S. 149 ff. (160 ff.); siehe dazu auch: H.-B. Brosius. Rundfunk und Fernsehen 1987,71 ff. (76 f.); H. Haase, Film und Recht 1980,472 ff. (476, 478 f.). 302 P. H. Tannenbaum, Fernsehen und Bildung 1978, 184 ff. (186); ders., in: Television and Social Behavior, S. 309 ff. (328 ff.); ders./D. Zi/lmann, in: L. Berkowitz (Hrsg.), Advances in Experimental Social Psychology, Vol. 8 (1975), S. 149 ff. (163 ff.); D. Zillmann, Journal of Experimental Social Psychology 7 (1971),419 ff. (423 ff.); ders., in: National Institute of Mental Health (Hrsg.), Television and Behavior, Vol. 11, S. 53 ff. (60). 303 C. MuellerlR. NelsonlE. Donnerstein, Psychological Reports 40 (1977), 775 ff. (777 f.); C. MuelierlE. Donnerstein, Journal of Experimental Socia! Psychology 17 (1981), 31 ff. 304 H. Haase, Media Perspektiven 1979, 797 ff. (806). 305 W. McGuire, in: G. Comstock (Hrsg.), Public Communication and Behavior, Vol. 1, S. 173 ff. (233 f.); M. Kunczik, Gewalt im Fernsehen, S. 687 ff.; ders., Brutalität aus zweiter Hand, S. 100 ff.; ders., Media Perspektiven 1983, 338; ders., Media Perspektiven 1980,803 ff. (813). 306 S. Mi/gramlR. L. Shotland, Television and Antisocial Behavior, S. 65 ff.; R. M. KaplaniR. D. Singer, Journal of Social Issues 32/4 (1976), 35 ff. (62 ff.); A. L. CarlislelR. J. Howell, Psychological Reports 34 (1974), 1259 ff.; A. G. Greenwald, Psychological

1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

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Situationen im Laborexperiment mit der Realität nur wenig vergleichbar seien/07 oder darauf, daß die gefundenen Ergebnisse überinterpretiert würden. Bisher habe keine langfristig angelegte Wirkungsstudie den wirklichen Nachweis erbracht, daß Gewaltdarstellungen in den Massenmedien ein Ansteigen der tatsächlichen Gewalt nach sich ziehen. 308 Eine Langfriststudie von Milavsky und anderen 309 untersuchte über einen Zeitraum von drei Jahren 2400 Jungen und Mädchen im Alter von sieben bis zwölf Jahren und 800 männliche Jugendliche im Alter von zwölf bis sechzehn Jahren auf einen Zusammenhang zwischen Fernsehkonsum und Aggressivität. Zur Überraschung der Untersuchungsieiter 310 konnte kein derartiger Zusammenhang festgestellt werden. 311 Zuweilen wird auch vorgebracht, es würden weit mehr Untersuchungen die Wirkungslosigkeit von Mediengewalt feststellen, als veröffentlicht werden, denn die Tatsache, daß man gerade keine Ergebnisse erhalte, sei oftmals ein Hinderungsgrund für eine Veröffentlichung. 312 Die Gegenansicht weist darauf hin, daß Untersuchungen mit Kindern gleichwohl ergeben hätten, daß Mediengewalt bei Vorliegen entsprechender Randbedingungen einen Beitrag zur Herausbildung violenter Persönlichkeiten liefern könne. Aus diesem Grunde bezeichnet einer der bisherigen Hauptvertreter der These der Wirkungslosigkeit im deutschen Raum, Michael Kunczik, sie inzwischen als "wohl nicht länger haltbar".313 111. Langfriststudien

Untersuchungen, die sich mit langfristigen Wirkungen von Gewaltdarstellungen befassen, wurden bereits bei den verschiedenen Wirkungsthesen angeBulletin 82 (1975), 1 ff.; M. Kunczik, Gewalt im Fernsehen, S. 696; ders., Brutalität aus zweiter Hand, S. 102 f. 307 W. McGuire, in: G. Comstock (Hrsg.), Public Communication and Behavior, Vo!. I, S. 173 ff. (1940; H. Haase, Film und Recht 1980,472 ff. (480 f.); ders., Kinder, Jugendliche und Medien, S. 228 f. 308 M. Kunczik, Gewalt im Fernsehen, S. 689 f.; W. McGuire, in: G. Comstock (Hrsg.), Public Communication and Behavior, Vo!. 1, S. 173 ff. (195 0. 309 J. R. Milavsky u.a., Television and Aggression: A Panel Study, S. 6 f., 13 ff., 293 ff. 310 J. R. Milavskyu.a., Journal ofCommunication 34/1 (1984), 182 ff. (183). 311

J. R. Milavskyu.a., Television and Aggression, S. 482, 484, 486.

H. B. Brosius, Rundfunk und Fernsehen 1987, 71 ff. (73); H. Haase, Film und Recht 1980,472 ff. (480). 312

9.

313

M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 83. Kritisch auchH. Se/g, BPS-Report 4/1984,

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen

79

sprochen. So berufen sich die Habitualisierungsthese und die These der Wirkungslosigkeit zu ihrer Begründung auf Langzeitstudien. Darüber hinaus gibt es noch verschiedene andere Untersuchungen, die sich mit den Auswirkungen des Fernsehkonsums auf aggressives Verhalten von Kindern und Jugendlichen beschäftigen, und die sich nicht einer bestimmten Wirkungsthese zuordnen lassen, sondern den Interpretationen offen bleiben. Langfriststudien liegt eine andere Untersuchungsmethode zugrunde, als den Laborexperimenten. An die Stelle von Versuchen unter genau kontrollierten Laborbedingungen treten Feldstudien mit Befragungen und Beobachtungen, die wiederholt erfolgen und einen längeren Zeitraum erfassen können. Sie haben den Vorteil, daß die natürliche Umwelt der Untersuchungsteilnehmer in den Studien mit erfaßt wird und die Untersuchungsbedingungen - wie oft gefordert - dadurch realistischer sind als im Laborversuch. Zudem ist die Zahl der Teilnehmer üblicherweise erheblich größer als bei Laborexperimenten (meist mehrere hundert oder tausend Personen). Jedoch ist die Genauigkeit der Ergebnisse aufgrund der vielen möglichen und nicht gänzlich beherrschbaren Einflußfaktoren der natürlichen Umweltsituation begrenzt. 314 Eine Untersuchung aus den fünfziger Jahren über Einflüsse des Fernsehens auf 10 bis 14-jährige Schulkinder in Großbritannien 315 konnte auf langfristige Sicht keine Beziehung zwischen Gewaltkonsum und kindlichem Aggressionsverhalten aufdecken. Man stellte allerdings fest, daß unter den Kindern, die viel und gern Gewaltprogramme sahen, auffallend häufig "schwierige" Kinder waren, d.h. Kinder, die zu sich selbst, zu Eltern oder zu Gleichaltrigen gestörte Beziehungen hatten. Ein Kausalzusammenhang zwischen Mediengewalt und psychischen Störungen ließ sich jedoch nicht begründen. 316 Aggressivität wurde durch Mediengewalt nicht verursacht, sondern allenfalls bei schon bestehenden entsprechenden Neigungen unter Umständen durch Mediengewalt verstärkt.317 Nachfolgende anderweitige Untersuchungen konnten die Aussage, daß keine Zunahme von Aggressivität durch Mediengewalt feststellbar sei, bestätigen. 318 Auch die bereits oben bei der These der Wirkungslosigkeit erwähnte Studie von Milavsky besagt, daß Fernsehgewalt keinen Einfluß auf die Herausbildung aggressiven Verhaltens bei jungen Menschen habe, wenn es auch zu kurzfristigen Wirkungen kommen könne. 319 H. Kellner/I. Horn, Gewalt im Fernsehen, S. 20 f. H. T. Himmelweit/A. N. Oppenheim/P. Vince, Television and the Child, An empirical study of the effect of television on the young, 1958. 316 H. T. Himmelweitu.a., a.a.O, S. 20, 169 ff. 317 H. T. Himmelweitu.a., a.a.O, S. 260 f. 314

315

318 319

Nachweise bei M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 93 f. J. R. Milavskyu.a., Television and Aggression, S. 482, 484, 486.

80

1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

Andere Untersuchungen wiederum kommen zum gegenteiligen Ergebnis: Eine Studie von Lefkowitz und anderen320 untersuchte bei 875 Kindern im Alter von 8 bis 9 Jahren die Vorliebe für Gewaltdarstellungen und die Verhaltensaggressivität und wiederholte die Untersuchung zehn Jahre später bei 427 und weitere 10 Jahre später bei 409 der früheren Teilnehmer. Es ergab sich ein Zusammenhang zwischen der Vorliebe für Gewaltdarstellungen im Alter von 8 bis 9 Jahren und der Verhaltensaggressivität in späteren Jahren. Aus den gewonnenen Daten entnahmen die Autoren, daß Aggressivität in der Kindheit - auch durch das Fernsehen - geprägt wird und dann als Handlungsbereitschaft konstant vorhanden bleibt. Bei weiblichen Jugendlichen gehen sie jedoch von einer Aggressivitäts. 321 322 mmderung durch Fernsehgewalt aus. Eine andere Untersuchung wurde in fünf Staaten (Polen, Israel, Australien, Finnland, USA) mit Volksschulkindern durchgeführt. 323 Die Staaten wiesen unterschiedliche Gesellschaftsfonnen und verschieden starke Anteile von Mediengewalt in ihren Fernsehprogrammen auf. Es ergab sich, daß das Fernsehen nur einen Faktor unter mehreren für das Auftreten von Aggression darstellte. Andere Faktoren waren die Nonnen der Eltern, das nähere sozio-kulturelle Umfeld und die allgemeine Kultur des Landes. Fernsehgewalt habe jedoch das Auftreten von Aggression bei Kindern begünstigen können. Diese Tendenz ist in allen Staaten der Untersuchung ähnlich. 324 Untersuchungen aus unterschiedlichen Ländern lassen sich demzufolge mit dem Einwand nicht vergleichbarer nationaler Gegebenheiten nicht ohne weiteres ablehnen. Schon im Rahmen der Habitualisierungsthese erwähnt wurde die in London durchgeführte Studie von Belson 325 mit 12 bis 17 jährigen männlichen Jugendlichen. Sie ergab, daß ein hoher Konsum von Fernsehgewalt mit einer häufigen 320 M. Lejkowitz u.a., Growing Up to be Violent: A Longitudinal Study of the Development of Aggression, S. 35 ff., 113 ff., 200 ff.; L. D. EronlL. R. HuesmannlM. LejkowitzlL. O. Walder, American Psychologist 27 (1972), 253 ff.; L. R. HuesmannlL. D. EronlM. LejkowitzlL. O. Walder, Developmental Psychology 20 (1984),1120 ff. (1123 ff., 1131 ff.); L. R. HuesmannlL. D. Eron, Television and the Aggressive Child: A CrossNational Comparison, S. 8 f. 321 M. Lejkowitz u.a., Growing Up to be Violent, S. 121. 322 Kritisch zu Methodik und Interpretation der Daten: M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 95 ff.; ders., Media Perspektiven 1980, 803 ff. (808 ff.); H. Haase, Film und Recht 1980,472 ff. (479); R. M. KaplanIR. D. Singer, Journal of Social Issues 32/4 (1976), 35 ff. (51 f.). 323 L. R. HuesmannlL. D. Eron, Television and the Aggressive Child: A Cross-National Comparison, S. 240 ff., 275 ff. 324 L. R. HuesmannlL. D. Eron, Television and the Aggressive Child, S. 255. 325 W. A. Belson, Television Vio1ence and the Adolescent Boy, S. 15 ff.; vg!. dazu auch: H. Haase, Media Perspektiven 1979,797 ff. (800 ff.); H. Kellner, Media Perspektiven 1977,669 ff. (670 ff.).

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen

81

Verwicklung in Gewalttätigkeiten verbunden ist. In beschränktem Maße konnte auf eine Imitation von Fernsehgewalt geschlossen werden. Wesentlicherer Befund war aber die Enthemmung der eigenen Aggressivität durch den langfristigen Konsum von Fernsehgewalt. Dabei ergab sich jedoch keine Veränderung der bewußten Einstellung der Jugendlichen zur Gewalt. Das Verhalten der Jugendlichen änderte sich, ohne daß sie sich dieser Tatsache bewußt waren. Aus dem Gesamtmuster der Befunde der Langzeitstudien können bei der gegebenen Widersprüchlichkeit folgende Grundtendenzen entwickelt werden: Für die Herausbildung aggressiver Persönlichkeiten kann der Einfluß von Fernsehgewalt wohl negiert werden; es ist nicht eindeutig nachgewiesen worden, daß gewalttätige Persönlichkeiten durch Gewaltdarstellungen geformt worden sind. Andererseits ist ein bestimmter Einfluß des Fernsehens auf spätere Aggressivität von Zuschauern, wenn auch nur als ein Faktor unter mehreren, vorhanden. Vorher bereits aggressive Individuen erfahren durch Mediengewalt eine Bekräftigung und bevorzugen zudem aggressive Medieninhalte - ein sich eventuell selbst verstärkender Prozeß. Langfristiger Gewaltkonsum kann insoweit die Wahrscheinlichkeit des Auftretens aggressiven Verhaltens erhöhen. 326 IV. Aktuelle Forschungsbereiche

1. Die Wahrnehmung von Mediengewalt durch die Zuschauer

In jüngerer Zeit ist man zu der Ansicht gelangt, daß die Wirkung von medialen Darstellungen nicht allein vom Inhalt abhängig ist, sondern daß es für den Wirkungsprozeß auch auf die Wahrnehmung durch den Zuschauer ankommt. Wahrnehmung ist ein selektiver Prozeß. Damit eine Darstellung "wirken" kann, braucht sie einerseits die volle Aufmerksamkeit des Zuschauers. Andererseits kann ein und dieselbe Darstellung von unterschiedlichen Zuschauern vollkommen unterschiedlich aufgenommen werden. 327 Daher trifft eine "objektive" Inhaltsanalyse durch Wissenschaftler noch keine verbindliche Aussage über spätere Zuschauerreaktionen auf den Film. Die von Untersuchungsleitern aufgestellten Kategorienschemata entsprechen nicht unbedingt der Wahrnehmung des Rezipienten. Es hat sich gezeigt, daß die Einstufung der Aggressivität eines Films nicht von der numerischen Anzahl der gezeigten Gewaltakte ("Leichenzählen") abhängt, sondern die Wahrnehmung bestimmter Verhaltensformen als gewalttätig ist auch von dem jeweiligen Filmgenre, der Involviertheit des Rezipienten, seiner Lebenserfahrung und Persönlichkeitsstruktur und von Identifikationsmöglichkeiten mit dem Filmgeschehen abhängig. 328 326

327

Vgl. M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 111 ff.

M. Kunczik, Media Perspektiven 1983, 338.

6 Meirowitz

1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

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Ein nach herkömmlicher Kategorisierung relativ gewaltfreier Film ("üur Mother's House"), der für Jugendliche aber viele Identifikationsmöglichkeiten bot (zerbrochene Ehe, Tod der Mutter, Geheimnisse vor Erwachsenen haben), wurde von jugendlichen Zuschauern als violenter eingestuft, als der harte Kriegsfilm "The Dirty Dozen", der eine Vielzahl grausamer Szenen enthält. 329 Auch Gewalttaten in Wildwestfilmen werden vom Betrachter als zum Filmgenre dazugehörend, als ritualisierte Handlungssequenzen wahrgenommen, die mit der Realität wenig zu tun haben. 330 Gewaltakten in Unterhaltungssendungen, in denen man derartiges erwartet (wie Kriminalfilme etc.), wird von vornherein . B edeutung belgemessen. . 331 wemg Des weiteren gibt es Unterschiede zwischen Zuschauern verschiedener AItersgruppen. Insbesondere bei Zeichentrickfilmen konnte festgestellt werden, daß die Wahmehmung von Kindern und Erwachsenen differiert. Was Erwachsene als violent bezeichneten, wurde von Kindern als lustig eingestuft. 332 Bei einer Untersuchung wurden Kindern acht gewalttätige Filme vorgeführt. Es handelte sich um 4 Zeichentrickfilme, 2 Kriminalfilme und 2 Abenteuerfilme. Die Kriminalfilme wurden als realistisch und violent eingestuft, stärker als die anderen Filme. Die "objektiv" violenteren Zeichentrickfilme wurden nicht als gewalttätig eingeschätzt. Sie wurden für wenig realitätsnah gehalten und nicht ernst genommen. Denn Zeichentrickfilme sind bei Kindern beliebt, weil sie stark auf Bewegung, Aktivität und Musik basieren, semi-abstrakt sind, Charaktere beinhalten, die dem Geschmack von Kindern entsprechen, normale physikalische Gesetze ignorieren und Kinder zum Lachen bringen. 333 Kinder nehmen erst im Alter von 10 bis 12 Jahren Inhalte wie Erwachsene auf. Es zeigte sich, daß bei Kindern im Vorschulalter emotionale Störungen umgekehrt sogar von "familienfreundlichen" Filmen ausgehen können. Starke empathische Reaktionen bewirken Zeichentrickfilme wie "Bambi" oder "Heidi" oder Kinderfilme mit Szenen, in denen Verlassenheit gezeigt wird. Dagegen bewirken Slapstick-Filme wie "Dick und Doof' keine Erregung, obwohl sie zahlreiche Gewaltakte enthalten. 334

328 P. Edgar, Children and Screen Violence, S. 198 f., 212 f.; vg!. dazu auch B. Schorb/H. Theunert, medien + erziehung 1982,322 ff. (328 ff.). 329 P. Edgar, Children and Screen Violence, S. 197 ff.

H. Se/g, Über Gewaltdarstellungen in Massenmedien, S. 20 f. H. Theunert, Gewalt in den Medien - Gewalt in der Realität, S. 185 f.; P. Edgar, Children and Screen Violence, S. 197,212. 332 M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 89. 333 Vg!. M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 91 f.; ders., Media Perspektiven 1983, 338 ff. (339, 341). 330

331

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen

83

2. Erzeugung angstbesetzter Weltbilder bei Vielsehern

Ein neuerer Forschungszweig behandelt Auswirkungen von Mediengewalt auf das allgemeine Weltbild des Zuschauers. Entsprechende Untersuchungen von Gerbner 335 befaßten sich mit Menschen in den USA, die einen hohen Fernsehkonsum aufwiesen. Da Fernsehkonsum in den USA größtenteils wenig selektiv erfolgt und meist wahllos das laufende Programm angesehen wird, das von einem hohen Anteil an Mediengewalt geprägt ist, sollte untersucht werden, inwieweit das Weltbild von Vielsehern dem durch das Fernsehen vermittelten Weltbild entspricht. Gerbner entnahm den Ergebnissen, daß starker Fernsehkonsum dazu führe, daß die Umwelt als furchterregend und gefährlich angesehen wird. Vielseher glauben häufiger als andere Bevölkerungsgruppen, selbst einmal das Opfer eines Verbrechens werden zu können. 336 Auch diese These hat Einwände ausgelöst. 337 Kritiker bringen vor, daß der Wirkungsverlauf auch umgekehrt sein könne, nämlich daß ängstliche, die Umwelt fürchtende Personen zu stärkerem Medienkonsum als Folge ihrer Angst neigen könnten. 338 Oder, daß die Angst eher die Folge sozialer Isoliertheit als die Folge starken Medienkonsums sei. Untersuchungen im deutschen Raum ergaben, daß Persönlichkeitsmerkmale und die jeweilige Situation einen größeren Einfluß auf die Angst haben als der Fernsehkonsum.339 Jedoch kann der Fernsehkonsum verstärkend wirken. 3. Wirkungen von "Horror-Videos"

Die bisher beschriebenen Untersuchungen befaßten sich mit Gewaltdarstellungen im alltäglichen Fernsehprogramm oder verwendeten Boxkämpfe sowie Spielszenen, in denen sich Kinder aggressiv verhalten, als Ausdruck von Mediengewalt. Gewaltdarstellungen auf Videokassetten sind wie oben gesehen jedoch wesentlich grausamer. Bisher haben sich nur wenige Untersuchungen speziell mit der Gewalt der Horror-Videos befaßt. Unmittelbare Wirkungsforschung, etwa in der Art, daß Kindern zu Testzwecken exzessive Kannibalismus- und Zombiefilme vorgeführt werden, ist insoweit nicht möglich. Aus Befragungen, 334 M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 90 f.; ders., Media Perspektiven 1983,338 ff. (340 f.). 335 G. Gerbner, Fernsehen und Bildung 1978, 48 ff.; ders./L. Gross, Fernsehen und Bildung 1981, 17 ff. 336 G. Gerbner/L. Gross, Fernsehen und Bildung 1981, 17 ff. (22 f.). 337 Vgl. P. M. Hirsch, Fernsehen und Bildung 1981,43 ff. 338 H. Haase, Media Perspektiven 1979,797 ff. (799 f.). 339 J. Groebel, Fernsehen und Bildung 1981, 114 ff. (125 ff.); ders., Publizistik 1982, 152 ff. (162 ff.); siehe auch: ders., Jugendschutz 1985, 158 ff. (161).

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I. Teil: Technische, wirtschaftl. und sozialwiss. Grundlagen

Beobachtungen und Feldstudien können jedoch bestimmte Ergebnisse gewonnen werden. So zeigt Scarbath folgende Effekte von Video-Gewalt bei Kindern und Jugendlichen auf: 340 a) Psychische Traumatisierung. Ein Trauma (= seelische Verwundung) ist ein Ereignis, das der Betroffene nicht zu verarbeiten vermag, wie beispielsweise die Beobachtung eines Unfalls. Zur Wiedergewinnung seiner seelischen Stabilität muß er immer wieder Anläufe unternehmen, der Erfahrung Herr zu werden und sie abzureagieren. Er ist auf das Trauma fixiert und ein beträchtlicher Teil seiner inneren Aktivität ist daran gebunden. Symptome sind Schlafstörungen, wiederkehrende Alpträume, Wiederholung des traumatisierenden Ereignisses. Eine solche psychische Traumatisierung durch Gewalt-Videos ist insbesondere bei Kindern zu befürchten und kann zuweilen nach dem Konsum entsprechender Filme bei ihnen beobachtet werden. 341 Häufig sichtbares Symptom ist das Ausleben im Spiel durch Nachspielen von Szenen aus Horror-Videos auf dem Schulhof. b) Lernender Erwerb inhumaner Disposition. Der Lerntheorie folgend beschreibt Scarbath mittel- und langfristige Lernprozesse, die sich, einander verstärkend, bei wiederkehrendem Videokonsum einstellen können. Dabei wirken sich weniger die exzessiven Grausamkeiten aus, sondern die sonst kaum bemerkten immer wieder gleichen "Strickmuster" der Filme. Dazu gehören insbesondere die Rechtfertigung von Selbstjustiz, die Vermittlung einer faschistoiden Untermenschen-Ideologie, die Vorstellung eines Gegenmodells zu Mitleid und Erbarmen, die Präsentation von Verhaltensmustern des sofortigen, rücksichtslos-blindwütigen Ausagierens von Affekten und Impulsen. 342 Entsprechende Szenen sind im Hinblick auf den Lerneffekt gefährlicher, wenn das vorgestellte Verhalten im Film mit Erfolg ausgestattet wird. 343 c) Abstumpfung und Eskalationsbedürfnis. Ein anderer Wirkungsgesichtspunkt ist der Gewöhnungseffekt. Die Fähigkeit zum Mitleiden mit anderen wird fortschreitend reduziert. Um den "Nervenkitzel" nicht zu verlieren müssen immer härtere Filme konsumiert werden. Möglich ist, 340 H. Scarbath, Videokonsum und pädagogische Verantwortung, S. 39 ff.; ders., in: A. Rucktäschel/R. Stefen (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 45 ff. (55 ff.). 341 H. Scarbath, Videokonsum und pädagogische Verantwortung, S. 39 f.; ders., in: A. Rucktäschel/R. Stefen (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 45 ff. (55 f.). 342 H. Scarbath, Videokonsum und pädagogische Verantwortung, S. 42; ders., in: A. Rucktäschel/R. Stefen (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 45 ff. (48 f., 57 f.). 343 H. Scarbath, Videokonsum und pädagogische Verantwortung, S. 41 ff.; ders., in: A. Rucktäschel/R. Stefen (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 45 ff. (57 ff.).

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen

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daß ein Wiederholungszwang entsteht. Da die Filme die Bedürfnisse des Zuschauers nicht wirklich befriedigen können, kommt es jedes Mal zu der Hoffnung, der nächste Film "bringe es".344 d) Schwächung des kindlichen und jugendlichen Ichs. Durch zuviel destruktive Aggressivität werden junge Menschen überfordert. Dadurch mindere sich die Fähigkeit, eine zunehmend auf Realität und Mitmenschen bezogene Triebbewältigung zu leisten. 345 Im Zusammenhang mit diesen Effekten kann die Beobachtung verschiedener Jugendschützer gesehen werden, daß die allgemeine Bereitschaft zur Gewaltanwendung bei Kindern und Jugendlichen im Ansteigen begriffen sei. Hätten früher Schlägereien auf dem Schulhof eher den Charakter ritualisierter Kämpfe gehabt, so sei heute eine zunehmende Verrohung festzustellen. Kinder hörten nicht mehr auf zu schlagen, wenn der Unterlegene sich nicht mehr wehrt oder blutend am Boden liegt; Jugendliche bewaffneten sich mit Messern oder BaseballSchlägern. Videogewalt wird zwar nicht als alleinige Ursache für diese Entwicklung angesehen, ihr wird aber eine beträchtliche Verstärkerfunktion zugesprochen. 346 Von Helmut Lukesch stammt eine empirische Untersuchung zum Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen, der Befragungen von 4000 Schülern in Bayern zugrunde liegev. 347 Hierin bestätigte sich zunächst, daß mit dem häufigen Konsum grausamer Videofilme bei jugendlichen Zuschauern eine Zunahme von Alpträumen zu verzeichnen ist. 348 Die Studie fragte auch nach dem Zusammenhang von Gewaltkonsum und Aggressivität. Sie unterscheidet hierbei zwischen spontaner Aggressivität, die sich in Handlungen äußert wie dem Auslösen einer Rauferei oder dem Beschädigen eines parkenden Autos, und reaktiver Aggressivität, die etwa zu Tage tritt, wenn man Ärger mit jemandem hat oder sich in Notwehrsituationen befindet. 349 Es wurde festgestellt, daß hoher Gewaltkonsum von Minderjährigen eine höhere spontane Aggressivität nach sich zieht, dagegen die reaktive Aggressivität nur wenig beeinflußt. Noch wirksamer als Videogewalt 344 H. Scarbath, Videokonsum und pädagogische Verantwortung, S. 43 ff.; ders., in: A. Rucktäschel/R. Stefen (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 45 ff. (59 f.). 345 H. Scarbath, Videokonsum und pädagogische Verantwortung, S. 45 f. 346 Vgl. D. Baacke, BPS-Report 6/1991, I ff. (2); Stadtjugendamt Flensburg, in BPSReport 5/1991, 10; vgl. auch Hamb. Abendblatt v. 25. 1. 1992, S. 11; sowie G. Berendes, in der Anhörung des Bundestages zur Neuregelung des Jugendschutzes, stenograph. Bericht über die 24. Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit vom 27. Juni 1984, Protokoll Nr. 24, Teil II, S. 43; M. Rux, ebd. S. 58 f.; H. Scarbath, ebd. S. 79; kritisch demgegenüber S. Cobler, ebd. S. 63 f. 347 Vgl. dazu schon oben Abschnitt E 111 (S. 64). 348 H. Lukesch u.a., Jugendmedienstudie, S. 148 f. 349 H. Lukesch u.a., a.a.O., S. 524.

1. Teil: Technische, wirtschaftl. und sozialwiss. Grundlagen

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erwies sich dabei der Gewaltkonsum im Kino. Allerdings zeigte sich, daß eine Reihe intervenierender Variablen wie Geschlecht, Alter, Schulartzugehörigkeit etc. ebenfalls von großer Bedeutung sind. 350 Über die reine Aggressivität hinaus konnte auch ein Zusammenhang zu jugendlicher Straffälligkeit aufgezeigt werden. 351 Über durch Gewaltkonsum hervorgerufene Straftaten berichtet auch eine Studie von Glogauer.352 Dort wird der Zusammenhang zwischen Mediengewalt und Delinquenz dadurch zu begründen versucht, daß aus Aktenmaterial der Justiz einzelne Straftaten geschildert werden, bei denen den Gerichtsakten zufolge Bezüge zu vorausgegangenem Gewaltkonsum ersichtlich wurden. Dabei geht es um verschiedene Tötungshandlungen nach "Rambo"- und "Ninja"- Manier353 und um jugendliche Täter, die angeben, extrem häufig Horror-Videos konsumiert zu haben. 354 Der Nachweis, daß es sich bei diesen Fällen "nur um die Spitze des Eisberges" handele 55 und nicht um einzelne Sonderfalle, gelingt der Untersuchung jedoch nicht gänzlich überzeugend. Zwei weitere Studien beschäftigen sich mit der Wirkung von Videogewalt auf Erwachsene. Melchers und Seifert zeigten 30 Zuschauern im Alter von 18 bis 46 Jahren einen exzessiven Horrorfilm ("Lebendig gefressen") und befragten sie über ihre Empfindungen während und nach der Vorführung. 356 Ein Fünftel der Zuschauer verließ den Film vorzeitig; von den Verbliebenen zeigte sich ein Drittel hochgradig verstört und berichtete von Bewältigungsproblemen. Das Erleben der Gewaltdarstellungen stellte sich dar als Kampf zwischen dem Standhalten und dem Fliehen vor den Bildern. Verunsichernd wirkte insbesondere die mangelhafte Sinnentfaltung des Films. Das Geschehen auf der Leinwand erschien nur schwer nachvollziehbar und die Grausamkeiten kamen plötzlich und unerwartet. Der seelische Haushalt der Zuschauer wurde durch den Film nicht unerheblich belastet. Es bedurfte einer gewissen inneren Anstrengung, um die normale Ausgeglichenheit wieder zu erlangen. Dabei zeigten sich "vorbelastete" Zuschauer, die Gewalt selbst einmal persönlich erfahren hatten, nur begrenzt in der Lage, entsprechende Bilder zu betrachten. Die anderen Teilnehmer reagierten entweder mit Empörung H. Lukesch u.a., a.a.O., S. 321 ff., 331 ff. Jedenfalls bezogen auf Kleinkriminalität wie Ladendiebstähle und ähnliches. Vgl. dazu H. Lukesch u.a., a.a.O., S. 372 ff., 383 ff. 352 W. Glogauer, Kriminalisierung von Kindern und Jugendlichen durch Medien, S. 73 ff.; ders., ZRP 1990, 376 ff. (377 ff.). 353 W. Glogauer, a.a.O., S. 79 ff., 90 ff.; ders., ZRP 1990, 376 ff. (378 f.). 354 W. Glogauer, a.a.O., S. 88 f., 93 ff. 350

351

355 356

W. Glogauer, a.a.O., S. 74; ders., ZRP 1990, 376 ff. (378). Zum folgenden C. B. Melchers/W. Seifert, medium 6/1984, 21 ff. (24 ff.).

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen

87

auf die Vorführung oder sie spielten das Gesehene herunter und demonstrierten intellektuelle Überlegenheit. Ein Experiment von Brosius 357 untersuchte die Auswirkungen von HorrorVideos auf die Einstellungen zu Gewalt von 75 Versuchspersonen. Ein realistischer ("New York Ripper") und ein realitätsferner Horror-Film ("Zombie") wurden vorgeführt und deren Einflüsse auf die Legitimation von Gewalt durch die Zuschauer gemessen. Es ergab sich, daß nach drei Wochen die Legitimation von Gewalt in der Gruppe, die den realitätsfernen Film gesehen hatte, angestiegen war, während sie in der Gruppe der Rezipienten des realitätsnahen Films abgenommen hatte. 358 Aufschlüsselungen nach Altersgruppen ergaben, daß jüngere Probanden (deren. Durchschnittsalter bei 20 Jahren lag) nach beiden Filmen mehr Gewalt legitimierten als die Gruppe der älteren Zuschauer (mit einem Durchschnittsalter von ca. 48 Jahren), die nur nach dem realitätsfernen Film mehr Gewalt legitimierten, nach dem realitätsnahen Ripper-Film jedoch weniger. Diese Untersuchung kommt damit je nach Realitätsnähe der Gewaltdarstellung und Persönlichkeit der Zuschauer zu einem Aktivationseffekt bzw. sogar zu einem Katharsiseffekt. 359 Die jungen Zuschauer ließen bei beiden Filmen gleichennaßen ein "Mitgehen" mit der Handlung erkennen, während die älteren bei dem realistischen Film eher Betroffenheit und bei dem realitätsfernen ZombieFilm eher Verärgerung darüber zeigten, was ihnen zu betrachten zugemutet wurde. V. Fazit

Wie die obigen Ausführungen zeigten, werden sehr unterschiedliche Auffassungen zu den Auswirkungen von Gewaltdarstellungen auf den Rezipienten vertreten. Es gibt wenige andere Forschungsfelder, in denen so verschiedenartige und widersprüchliche Thesen entwickelt wurden. 36O Dabei ist jedoch zu bedenken, daß die beschriebenen Studien sehr unterschiedliche Ausgangspunkte hatten. So untersuchten einige von ihnen kurzfristige, andere langfristige Wirkungen; die einen Auswirkungen auf die Einstellungen, die anderen Auswirkungen auf das tatsächliche Verhalten der Versuchsteilnehmer. Manche Untersuchungen betrafen nur Kinder oder Jugendliche, andere wiederum beschäftigten sich mit der Reaktion von Erwachsenen, und Feldstudien standen neben Laborexperimenten. Zudem gibt es in der Literatur drei verschiedene Grundthesen über das Entstehen menschlicher Aggression an sich,361 die als Ausgangspunkt für Wirkungsstudien dienen: Nach der Triebtheorie362 geht Aggression auf einen angeborenen Aggres357

H. B. Brosius, Rundfunk und Fernsehen 1987,71 ff.

359

Zum folgenden H. B. Brosius, Rundfunk und Fernsehen 1987,71 ff. (84 ff.). H. B. Brosius, Rundfunk und Fernsehen 1987,71 ff. (88 f.).

360

H. Haase, Film und Recht 1980,472 ff. (473).

358

88

1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

sionstrieb zurück, nach der Frustrationstheorie 363 sind Aggressionen Folge von Frustrationen und nach der Lerntheorie364 werden sie durch Nachahmung oder Erfolg gelernt. Schließlich sind die verschiedenen Untersuchungsmethoden ihrerseits nicht frei von Kritik geblieben, die bei der Wertung der Ergebnisse berücksichtigt werden muß. So wird gegenüber Laborexperimenten auf verschiedene Schwachpunkte hingewiesen: Die Situation im Experimentallabor sei eine künstlich geschaffene, die nicht identisch ist mit realen Lebensumständen.365 Die Versuchspersonen eines Laborexperimentes seien nicht unbedingt repräsentativ für normale Rezipienten, die gezeigten Filme nicht repräsentativ für sonstige Mediengewalt, und etwaige vorher verursachte Frustrationen nicht repräsentativ für die Situation des alltäglichen Medienkonsums. 366 Die im Laborexperiment gefundenen Ergebnisse besagten mit Sicherheit nur, daß unter den dort aufgestellten Bedingungen der Eintritt der beschriebenen Wirkungen möglich sei. Über die Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Wirkungen in anderen Situationen sei damit noch nichts 367 ausgesagt. Feldstudien seien insoweit zwar realistischer, da sie die Versuchsteilnehmer in der wirklichen Welt beobachten, aber auch sie haben in ihrer Aussagekraft Grenzen. Da Feldstudien nur beobachten, können sie einzelne Bestimmungsfaktoren nicht variieren, um deren Wirkung zu überprüfen. Sie können lediglich das Vorgefundene beschreiben und müssen versuchen, festgestellte Veränderungen zu interpretieren. Dabei können die Untersuchungen durch von den Forschern nicht kontrollierbare Faktoren beeinflußt werden. Meist sind zudem aus den Ergebnissen mehrere Alternativen der Interpretation möglich und Kausalzusam361 Vgl. dazu A. Bandura, Aggression, S. 26 ff.; eine kürzere Zusammenfassung findet sich bei H. Selg, Über Gewaltdarstellungen in Massenmedien, S. 12 ff.; siehe auch W. Beeker, Jugendschutz 1973, 81 ff. (83 f.); sowie H. Böttcher, Jugendschutz 1970, 161 ff. 362 U. JakobilH. Selg/W. Belschner, in: H. Selg (Hrsg.), Zur Aggression verdammt?, S. 37 ff. 363 H. Selg, in: ders. (Hrsg.), Zur Aggression verdammt?, S. 11 ff. 364 W. Belschner, in: H. Selg (Hrsg.), Zur Aggression verdammt?, S. 54 ff. 365 H. Haase, Film und Recht 1980,472 ff. (474); G. Maletzke, Massenkommunikationstheorien, S. 5. Schon im Jahre 1946 schrieb H. LassweIl, in: Smith/Lasswell/Casey, Propaganda, Communication and Public Opinion, S. 95 ff. (111), Laborexperimente seien "of seriously limited usefulness". 366 R. D. Parke/L. Berkowitz u.a., in: L. Berkowitz (Hrsg.), Advances in Experimental Social Psychology, Vol. 10 (1977), S. 135 ff. (136 ff.); R. M. Kaplan/R. D. Singer, Journal of Social Issues 32/4 (1976), 35 ff. (37 ff.); J. Haekforth, Media Perspektiven 1976,527 ff. (533); auch: H. Kellner/I. Horn, Gewalt im Fernsehen, S. 8 f. 367 H. Haase, Film und Recht 1980,472 ff. (481); ders., Media Perspektiven 1979, 797 ff. (799).

F. Die Wirkung von Gewaltdarstellungen

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menhänge nicht eindeutig nachweisbar. Daß Jugendliche mit hohem Konsum von Mediengewalt aggressiv sind, kann entweder bedeuten, daß Mediengewalt aggressiv macht oder daß vorhandene Aggressivität umgekehrt zum Konsum von Mediengewalt reizt. 368 Weder Laborexperimente noch Feldstudien geben schließlich Auskunft über die tatsächlichen psychologischen Prozesse während des Betrachtens eines Films. Die Trennung in "vorher" und "nachher" bei der Untersuchung klammert vom Konzept her das Wesentliche aus und überläßt diesen Faktor dem Theoretisieren. 369 Ein anderer Gesichtspunkt der Kritik betrifft die unterschiedlichen oder zuweilen sogar mangelnden Definitionen von Gewalt und Aggressivität in den verschiedenen Studien. Gewalt wird in sehr vielen Untersuchungen gar nicht definiert, sondern es wird unterstellt, jeder wisse, was damit gemeint sei. 370 Aggressives Verhalten wird auf unterschiedlichste Weisen bestimmt und gemessen. Als Aggressivität gelten unter anderem folgende Phänomene: Schlagen einer Plastik-Puppe ("Bobo-Doll"), Wort-Assoziations-Tests, Austeilen von Elektroschocks, hohe Werte in einem Fragebogentest, Raufen mit Spielkameraden, Einstufungen durch Eltern oder Selbstangabe aggressiven Verhaltens. 371 Das kann im Extremfall dazu führen, daß der Leser einer Studie, die Aggressionssteigerungen feststellt, von seiner eigenen Vorstellung über aggressives Verhalten ausgeht, während das Experiment in Wirklichkeit nur "das Umstürzen von Bauklötzen" betrae72 Liefert also die Wirkungsforschung mit ihren verschiedenen Modellen nur ein "buntes Verwirrspiel,,373 oder eine "Sammlung von Scheinerklärungen" , die einen "guten Grund" bieten, "es nicht länger mit der Wissenschaft zu versuchen,,?374 Ist als einziges Ergebnis festzuhalten, daß es kein Ergebnis gibt, oder muß man sich auf die schon im Jahre 1949 formulierte Position zurückziehen: "Some kinds of communication on some kinds of issues, brought to the attention of some kinds of people under some kinds of conditions, have some kinds of effects,,375? 368 Dazu: H. Haase, Film und Recht 1980,472 ff. (4740; ders., Media Perspektiven 1979,797 ff. (799 f.); H. Kellner/I. Horn, Gewalt im Fernsehen, S. 20 f.; M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 11 f.; H. Lukesch u.a., Jugendmedienstudie, S. 328. 369 C. B. Melchers/W. Seifert, medium 6/1984, 21 ff. (22). 370 Vgl. M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 14. 371 Dazu M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 14 f.; H. Haase, Film und Recht 1980, 472 ff. (475); ders., Kinder, Jugendliche und Medien, S. 132; auch R. M. Kaplan/R. D. Singer, Journal of Social Issues 32/4 (1976), 35 ff. (40,43 f.). 372 H. Haase, Film und Recht 1980,472 ff. (475). 373 H. Haase, Film und Recht 1980,472 ff. (473); ähnlich W. Becker, Film und Recht 1981,252 ff. (254). 374 C. B. Melchers/W. Seifert, medium 6/1984, 21.

1. Teil: Technische, wirtschaft!. und sozialwiss. Grundlagen

90

Deutliche Kritik an derartigen Folgerungen äußert Selg, der die widersprüchlichen Wirkungsthesen für "Unsinn" und eine "Irreführung der Öffentlichkeit" hält, da sich nur zwei Grundpositionen gegenüberstünden, die alle Hypothesen umfassen würden, nämlich die Katharsisthese und die sozial-kognitive Lerntheorie. Von diesen beiden müsse die Katharsisthese als empirisch widerlegt betrachtet werden. Dies ergebe sich auch daraus, daß anderenfalls konsequenterweise zu fordern sei, Triebtätern besonders viele Vergewaltigungsszenen zu zeigen, um dadurch ihre Neigungen abzubauen, was aber niemand ernsthaft vertreten könne. So dürfe einzig die Lerntheorie Gültigkeit beanspruchen. 376 Abschließend ist jedenfalls festzuhalten, daß - wie auch schon die Ausführungen zur allgemeinen Wirkungsforschung gezeigt haben - es die Wirkung auf den Zuschauer nicht gibt,377 und daß immer mehrere Faktoren bedeutsam sind, insbesondere die Persönlichkeit des Rezipienten und sein soziales Umfeld. 378 In jüngster Zeit gewinnt allerdings die sozial-kognitive Lerntheorie als Erklärungsmodell für die Wirkung von Mediengewalt größere Anhängerschaft. 379 Daneben können folgende Erkenntnisse als allgemein gesichert angesehen werden: Eine kurzfristige Wirkung von Gewaltdarstellungen ist zunächst die emotionale Erregung des Zuschauers, die bei extremen Horror-Videos entsprechend stärker ausfallt. Des weiteren sind aggressionsfördernde Effekte jedenfalls bei Kindern und Jugendlichen in sozial schwierigem Umfeld nicht auszuschließen. Mediengewalt kann Lerneffekte bewirken, wobei es jedoch von weiteren Faktoren abhängt, ob das beobachtete Verhalten auch umgesetzt wird. 380 Bei Persönlichkeiten mit entsprechender Disposition kann durch langfristigen Gewaltkonsum das Auftreten von Aggressivität begünstigt werden.

B. Berelson, in: W. Schramm (Hrsg.), Mass Communications, S. 527 ff. (531). vg!. H. Selg, BPS-Report 4/1984,9 ff.; auch: ders., BPS-Report 6/1991, 6 ff. (8); ders., in: Scarbath/Straub (Hrsg.), Die heimlichen Miterzieher, S. 73 ff. (75 f.); ebenso H. Lukesch, Video im Alltag der Jugend, S. 14. 377 J. Groebel, Jugendschutz 1985, 158 ff. (159); J. Hackforth, Media Perspektiven 1976,527; H. Kellner, Jugendschutz 1974, 16 ff. (20). 378 H. D. Schwind/J. Baumann u.a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band 11, Erstgutachten der UK Psychiatrie, Rdnr. 71. 379 Von Selg schon länger nachdrücklich vertreten (vg!. H. Selg, BPS-Report 4/1984, S. 9 ff. (10); ders., in: Scarbath/Straub (Hrsg.), Die heimlichen Miterzieher, S. 73 ff. (76); ders., BPS-Report 1/1987, 1; ders., BPS-Report 6/1991, 6 ff.), nimmt sie nun auch Kunczik als theoretischen Rahmen an (vg!. M. Kunczik, Gewalt und Medien, S. 175 ff.). Vgl. auch H. Scarbath, in: Rucktäschel/Stefen (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort? S. 45 ff. (52 f.); H. Lukesch u.a., Jugendmedienstudie, S. 304; W. WoodlF. WonglG. Chachere, Psychological Bulletin 109 (1991), 371 ff. (380). 380 H. D. Schwind/J. Baumann u.a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Band I, Endgutachten, Rdnr. 217; vgl. auch H. J. Schneider, JZ 1992, 499 ff. (502 f.). 375

376

Zweiter Teil

Grundrechtliche Freiheiten Nach der Darstellung des Lebenssachverhalts und des darauf bezogenen sozialwissenschaftlichen Erkenntnisstandes geht es im folgenden um die grundrechtlichen Freiheiten, die für das Medium Video Wirkung entfalten. Es wird danach gefragt, welche grundrechtlichen Schutzbereiche sich auf den Videofilm erstrecken und welche Grundrechtsschranken zur Geltung kommen. Die als einschlägig erkannten Grundrechte werden dann als Maßstab heranzuziehen sein, wenn im darauffolgenden Abschnitt die den Videofilm betreffenden gesetzlichen Einschränkungen zum Jugend- und Erwachsenenschutz einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen werden. Eine erste gedankliche Aufteilung läßt sich in folgender Hinsicht treffen: Da der Videofilm ein Kommunikationsmittel ist, sind zwei Gruppen von Rechtsträgern angesprochen: Die Hersteller und Vertreiber bespielter Videokassetten als Kommunikatoren auf der einen Seite und die Nutzer dieser Produkte als Rezipienten auf der anderen Seite. Die Untersuchung beginnt mit dem Schutz der Kommunikatoren und behandelt danach die Rechte der Rezipienten. Grundrechtsschutz der Kommunikatoren ist unter mehreren Gesichtspunkten möglich. Zunächst kommen die Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG in Betracht, insbesondere die Freiheit von Presse, Rundfunk und Film. Der Videofilm weist daneben jedoch noch weitere Bezüge auf, die für einen grundrechtlichen Schutz bedeutsam sein können. Videokassetten enthalten häufig Werke der Filmkunst, die den Schutz der Kunstfreiheit gern. Art. 5 Abs. 3 GG auslösen können. Gleichzeitig stellen Videofilme ein Wirtschaftsgut dar. Ihre Herstellung und ihr Vertrieb sind gewerbliche Tätigkeiten, die durch die Grundrechte der Art. 12 oder Art. 14 geschützt sein können.

A. Der Schutz durch Artikel 5 Abs. 1 GG Im Rahmen der Diskussion der gesetzlichen Regelungen zum Schutze der Jugend im Videobereich wird in der Literatur zuweilen nur pauschal vermerkt, daß durch diese Regelungen "die Rechte des Art. 5 Abs. 1 GG" berührt seien. 1

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Um welche Rechte es sich im einzelnen handelt, und wie weit diese Rechte im Falle bespielter Videokassetten reichen, bedarf jedoch genauerer Klärung. Art. 5 Abs. 1 GG enthält fünf selbständige Grundrechte: die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit in Satz 1, die Pressefreiheit, die Rundfunkfreiheit und die Filmfreiheit in Satz 2. Zunächst kommen auf seiten des Kommunikators das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Freiheiten von Presse, Rundfunk und Film in Betracht. Da die Meinungsfreiheit das "Urgrundrecht,,2 aller anderen Verbürgungen des Art. 5 Abs. 1 GG darstellt, soll die Untersuchung mit der Behandlung dieser Gewährleistung beginnen. I. Die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG)

Die allgemeine Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet das Recht, die eigene Meinung in Wort, Schrift oder Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Diese Gewährleistung ist bestimmt von zwei Komponenten: 3 Zunächst beinhaltet die Meinungsfreiheit das Individualrecht des Einzelnen "zur freien Entfaltung seiner geistigen Persönlichkeit,,4. Damit ist dieses Grundrecht "eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt"S; Rudolf Smend beschrieb es in einer oft wiederholten Sentenz als "ein Stück sittlich notwendiger Lebensluft" .6 Daneben enthält das Grundrecht der Meinungsfreiheit eine freiheitlich-demokratische Komponente. Gemeinsam mit den anderen Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 ist es eng verknüpft mit dem Demokratieprinzip, da es die Voraussetzung für eine in einem freiheitlichen Staatsgefüge unentbehrliche freie öffentliche Meinung schafft.? Das Bundesverfassungsgericht beschreibt diese Bedeutung des Grundrechts mit den Worten: "Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige 1 B. Schraut. Film und Recht 1984, 416 (419); siehe auch H. v. Hartlieb, ZUM 1986, 111 (113); ders., NJW 1985,830 (833); R. Stelen, ZUM 1986, 115; ders., BPS-Report 4/1986, 1. 2 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, rr Rdnr. 1.

3 Zum folgenden auch K. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 387; P. Badura, Staatsrecht, Abschn. C Rdnr. 60; E. Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. des Staatsrechts, Bd. VI, § 141 Rdnm. 2 ff.; sowie W. Brugger, EuGRZ 1987, 189 ff. (197 f.). 4 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, rr Rdnr. 3. S BVerfGE 7, 198 (208) - Lüth-Urteil; 12, 113 (125). 6 R. Smend, VVDStRL 4 (1928), 44 ff. (50). 7 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, rr Rdnr. 5; H. Ridder, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte rr, S. 243 ff. (249 ff.); P. Tettinger, JZ 1990, 846 ff. (847); M. Kloepler, in: IsenseelKirchhof (Hrsg.), Hdb. des Staatsrechts, Bd. 11, § 35 Rdnr. 11.

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

93

geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist. Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt."s Beide Komponenten der Meinungsfreiheit sind bei der Auslegung des Grundrechts zu berücksichtigen, ohne daß der einen gegenüber der anderen ein genereller Vorrang zukommt. 9 Darstellungen auf Videokassetten müßten dem Begriff Meinung unterfallen, um vom Grundrechtsschutz umfaßt zu werden. Der Begriff Meinung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 betrifft vom Wortlaut her zunächst Werturteile. 1O Bestimmend für jene ist "das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung". 11 Videofilme beschränken sich in der Regel auf das Erzählen einer Geschichte, um den Zuschauer zu unterhalten. Nur in wenigen Fällen werden sie als Stellungnahme im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung anzusehen sein. Wird der Begriff Meinung in diesem engen Sinne verstanden, so werden Videofilme und insbesondere die sog. Horrorvideos größtenteils nicht erfaßt. Schon seit langem wird daher die Frage diskutiert, ob dem Begriff der Meinung darüberhinausgehend auch Tatsachenmitteilungen unterfallen können. Die früher herrschende Ansicht lehnte dies unter Berufung auf den Wortlaut und das Weimarer Schrifttum ab. 12 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß eine klare Trennung zwischen Meinung und Tatsachenmitteilung nicht möglich ist. Schon die Auswahl und die Gestaltung der Tatsachenmitteilung sind von Werturteilen geprägt. Denn bereits die bloße Mitteilung einer Tatsache beinhaltet das Werturteil, daß diese Tatsache mitteilenswert ist. Andererseits enthält ein fundiertes Werturteil oft erhebliches Tatsachenwissen, das in das Werturteil eingeflossen ist und hiermit untrennbar zum Ausdruck kommt. Die Beschränkung des Grundrechtsschutzes auf reine Werturteile würde außerdem dazu führen, daß zwar jede subjektive Meinung geschützt wäre, nicht jedoch die Mitteilung objektiver Tatsachen, die unerläßliche Voraussetzung für die Bildung von Meinungen ist. Ein weiteres Argument liefert der Blick auf den Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, der die Berichterstattung durch die Massenmedien Rundfunk und Film geWährleistet. Hier sind aufgrund der Verwendung des Begriffs "Berichterstattung" Tatsachenmeldungen ausdrücklich geschützt. Es ist aber nicht einzu-

S

BVerfGE 7,198 (208) - Lüth-Urteil.

9

I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 1,3. Aufl., Rdnr. 1 zu Art. 5. BVerfGE 61, 1 (7).

10 11

BVerfGE 61, 1 (8); 65, 1 (41) - Volkszählung.

H. Ridder, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 243 ff. (264); Hamann/Lenz, Anm. BI zu Art. 5; K. G. Wernicke, Bonner Kommentar (Erstbearb.), Anm. II 1 b zu Art. 5; v. Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Anm. III 1 zu Art. 5. 12

94

2. Teil: Grundrechtliehe Freiheiten

sehen, warum nur die genannten Massenmedien bei der Berichterstattung über Tatsachen geschützt sein sollen, der einzelne Bürger dagegen nicht. 13 Aus diesen Gründen umfaßt der Begriff Meinung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nach heute herrschender Ansicht auch die Mitteilung von Tatsachen. Ausgenommen sind Tatsachenmitteilungen nur dann, wenn sie nicht untrennbar mit Werturteilen verbunden sind und ihnen im Einzelfall nicht die Funktion zukommt, als Voraussetzung für die Bildung von Meinungen zu dienen. Ausgenommen ist insbesondere auch die bewußte Behauptung unwahrer Tatsachen. 14 Inhaltliche Anforderungen an die Meinung bzw. Tatsachenmitteilung bestehen im übrigen für den Grundrechtsschutz nicht. Es ist gleichgültig, auf welchen Gegenstand sich eine Äußerung bezieht; er kann politischer oder unpolitischer Natur sein, private oder öffentliche Angelegenheiten betreffen. 15 Es kommt auch nicht darauf an, ob die Meinungsäußerung "wertvoll" oder "mitteilenswert" ist. Der Wert, die Richtigkeit oder die Vernünftigkeit einer Äußerung ist für den Grundrechtsschutz unbeachtlich. 16 Jede Meinung, ob "wertvoll" oder "wertlos", ist in einem pluralistisch strukturierten Staatsgefüge schutzwürdig. 17 Somit ist der Begriff Meinung sehr umfassend zu verstehen. Dem Schutz unterfallen generell alle wertenden und fast alle berichtenden Äußerungen. Eingeschlossen ist auch die Darstellung fiktiver Inhalte. 18 Die Meinungsfreiheit schützt damit das Recht des einzelnen zur freien Mitteilung an andere im weitesten Sinne. 19 Demzufolge unterfallen alle denkbaren Inhalte von Videokassetten, soweit ein Mitteilungswille vorhanden ist, dem Begriff Meinung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. 20 13 Vgl. zum obigen R. Wendt, in: v. MünchIKunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 9 zu Art. 5; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnm. 51 ff.; Chr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 138; W. Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Rdnr. 21 zu Art. 5 I, 11; E. Stein, Staatsrecht, § 13 11 2. 14 BVerfGE 85, 1 (14 f.) - Kritische Bayer-Aktionäre; 61, 1 (8 f.); auch BVerfGE 65, 1 (41) - Volkszählung; W. Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Rdnr. 21 zu Art. 5 I, II; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 5 Rdnm. 2 f.; Chr. Starck, MIK/S, Art. 5, Rdnm. 19 f.; K. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 391; P. Badura, Staatsrecht, Abschn. C Rdnr. 60; P. Tettinger, JZ 1990,846 ff. (848). Andere AnsichtE. Schmidt-Jortzig, in: IsenseeIKirchhof (Hrsg.), Hdb. des Staatsrechts, Bd. VI, § 141 Rdnr. 20. 15 PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 625; P. Tettinger, JZ 1990, 846 ff. (848); H. D. Jarass, in: Jarass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 2 16 BVerfGE 65, 1 (41) - Volkszählung; 61, 1 (8).

BVerfGE 30, 336 (347) - Sonnenfreunde; 33, 1 (15) - beleidig. Gefangenenbrief. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, II Rdnr. 55 a. Zurückhaltender jedoch W. Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Rdnr. 122 zu Art. 5 I, II, der reine Unterhaltung bzw. musikalische Inhalte ausschließen will, wenn sie nicht gleichzeitig Ausdruck einer Meinungsäußerung sind. 19 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, II Rdnr. 55. 17 18

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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Im weiten Sinne zu verstehen sind auch die geschützten Äußerungsformen "Wort, Schrift und Bild". Der Begriff "Wort" bezieht sich auf alle hörbaren Äußerungen einschließlich der auf Tonträger wie Schallplatte oder Tonband übertragenen;21 "Schrift" bezeichnet alle denkbaren Schriftarten und unter "Bild" werden alle bildlichen Darstellungen einschließlich der Fotografie verstanden. 22 Diese Aufzählung ist jedoch nur beispielhaft; auch andere Äußerungs formen (z. B. Gesten) werden erfaßt. 23 Anders ausgedrückt umfaßt der Grundrechtsschutz alle Arten von Äußerungen, die der Mensch hören, lesen oder anschauen kann. Damit wird ohne Beschränkung auf bestimmte Äußerungsformen jede denkbare Art der Übermittlung von Gedankeninhalten geschützt. Darunter fallt grundsätzlich auch die Übermittlung durch den Film. 24 Ebenfalls erfaßt werden neuere technische Übermittlungsverfahren wie das Medium Video. Die geschützten Tätigkeiten "äußern" und "verbreiten" geWährleisten ein umfassendes Kommunikationsrecht. 25 Damit wird der Schutz des sich Äußernden abgerundet durch die Gewährleistung, daß der Adressat der Äußerung diese auch empfangen kann. 26 Filmische Darstellungen auf Videokassetten unterfallen somit dem Schutz der allgemeinen Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG im oben beschriebenen weiten Sinne. Die Äußerungsform der Darstellung auf Videokassetten wird von den vielfaltigen geschützten Äußerungsformen umfaßt; auf den Inhalt kommt es, wie dargelegt, nicht an. Dies ist jedoch lediglich ein Zwischenergebnis. Denn neben der Meinungsfreiheit ist vor allem der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 20 An einem Mitteilungswillen fehlte es beispielsweise, wenn die Videokassette lediglich die Ansicht eines Kaminfeuers oder eines Aquariums enthält (entsprechendes wird zuweilen aus den USA berichtet), und damit allenfalls die Funktion hätte "Wohnkultur" zu vermitteln.

21 R. Herzog, in: Maunz!Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 70 spricht insoweit von "geronnenem Schall". Wenn man stattdessen mit RG St 47,223 (224) die Rillen der Schallplatte als eine Art "Diamantschrift" betrachtet, wäre eine Einordnung von Tonträgern auch unter "Schrift" möglich. 22 R. Wendt, in: v. MünchIKunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 15 zu Art. 5; R. Herzog, in: Maunz!Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnrn. 70 ff.

23 R. Herzog, in: Maunz!Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 73; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 632; I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. 1, Rdnr. 337; H. D. Jarass, in: JarassIPieroth, Art. 5 Rdnr. 5; K. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 392;E. Schmidt-Jortzig, in: IsenseeIKirchhof (Hrsg.), Hdb. des Staatsrechts, Bd. VI, § 141 Rdnr. 23. 24 K. G. Wernicke, Bonner Kommentar (Erstbearb.), Anm. 11 1 b zu Art. 5; v. Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Anm. III 3 zu Art. 5; P. Bär, Filmfreiheit, S. 23. 25 Zur Frage, ob zwischen "äußern" und "verbreiten" ein Unterschied besteht bzw. welche Unterscheidung getroffen wird, vgl. im einzelnen R. Wendt, in: v. MünchIKunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 17 zu Art. 5 m.w.N. 26 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 634; W. Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Rdnr. 24 zu Art. 5 I, 11.

2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

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Satz 2 zu prüfen und dann das Konkurrenzverhältnis zur allgemeinen Meinungsfreiheit zu klären. Das gleiche gilt schließlich für die Kunstfreiheit.27 11. Die Freiheit der Massenmedien Presse, Rundfunk und Film (Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG)

1. Problemstellung

Für die Herstellung und Verbreitung bespielter Videokassetten kommt auch und gerade der Schutz durch die Pressefreiheit bzw. die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film, die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 gewährleistet werden, in Betracht. Der Videofilm weist gewisse Bezüge zu jedem dieser vom Grundgesetz namentlich genannten Massenmedien auf. Bespielte Videokassetten sind körperliche Gegenstände, die zur Informationsaufnahme in den Besitz der Rezipien.ten gelangen wie ein Presseerzeugnis. Die Rezeption des Inhalts erfolgt über den Bildschirm des heimischen Fernsehgerätes. Der Inhalt selbst ist regelmäßig ein Produkt der Filmwirtschaft, das häufig bereits im Filmtheater zu sehen war. Im Schrifttum herrschen dementsprechend unterschiedliche Auffassungen darüber, ob und wie der Videofilm den in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG genannten Medien Presse, Rundfunk und Film zugeordnet werden kann. Es wird sowohl die Zuordnung zur Presse28 als auch zum Rundfunk29 als auch zum Film 30 vertreten, wobei in bezug auf den Film eine Zuordnung sowohl unmittelbar, als auch per Anall'>gie31 vorgeschlagen wird. 32 Eine andere Auffassung versteht Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG über den Wortlaut hinaus als einheitliche Gewährleistung der Freiheit der Massenmedien33 • Die Nennung von Presse, Rundfunk und Film sei nur eine beispielhafte Aufzählung. 27

Dazu unten Abschnitt B (S. 156 ff.).

28 Für die Zuordnung zur Presse: ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnm. 38, 99; R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 51 ff.; M. Bullinger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts VI, § 142 Rdnr. 2; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 61 zu Art. 5. 29 Für die Zuordnung zum Rundfunk: G. Koch, Zur Frage der Zuordnung, S. 319, 327. 30 Für die Zuordnung zum Film: I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 1,3. Aufl., Rdnr. 39 zu Art. 5; R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 38 f.; P. Teuinger, Neue Medien, S.24. 31 SoR. Herzog, in: Maunz!Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 198. 32 Der obige Meinungsstreit wird an dieser Stelle vorwiegend zur Verdeutlichung der Problematik erwähnt. Siehe dazu ausführlicher unten Abschnitte 3c (S. 110 f.), 4c (S. 124 f.), 5c (S. 139). 33 W. Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art 5 I, 11, Rdnr. 119; ders., in: BendalMaiho-

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG könne darüberhinaus auch vergleichbare nicht ausdrücklich genannte Massenmedien aufnehmen,34 die dadurch nicht mehr einem der genannten Medien explizit zugeordnet werden müßten. Dem steht eine weitere Meinung gegenüber, die das Medium Video als mit Presse, Rundfunk oder Film nicht vergleichbar ansieht, sondern es als Medium "sui generis" versteht. 35 Dessen Zuordnung könne nicht bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfolgen, sondern sei bei Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG anzusiedeln. 36 Wenn die Ergebnisse dieser Zuordnungen auch differieren, so ist doch zu bedenken, daß für sämtliche angesprochenen Grundrechte mit dem Vorbehalt des Art. 5 Abs. 2 jeweils dieselben Grundrechtsschranken gelten. Dennoch ist die definitorische Zuordnung kein "juristisches Glasperlenspiel,,37. Denn die verschiedenen Medienfreiheiten sind mit unterschiedlich starkem Freiheitsgehalt ausgestattet. So ist die Veranstaltung von Rundfunk aufgrund der Besonderheiten dieses Mediums bestimmten organisatorischen Restriktionen unterworfen, von denen Presse und Film frei sind. 38 Daher wäre es verfehlt, auf jeglichen Zuordnungsversuch unter Hinweis auf die letztendlich gleichen Schranken zu verzichten. Dies gilt auch deswegen, weil der Umfang der grundrechtlichen Schutzbereiche nicht in jedem Fall deckungsgleich ist. So gewährleistet etwa die Pressefreiheit alle wesensmäßig mit der Pressearbeit zusammenhängenden Tätigkeiten von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht. 39 Die allgemeine Meinungsfreiheit hingegen schützt nicht die Informationsbeschaffung.40

2. Methodische Vorüberlegungen Die Untersuchung hat demnach ihren Ausgangspunkt bei der Frage zu nehmen, ob das Medium Video einer der genannten Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unmittelbar zugeordnet werden kann. Erst wenn dies zu verneinen ist, kommt eine Ausweitung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auf eine allgemeine Freiheit der Massenmedien in Betracht oder, falls erforderlich, die Suche nach einer anderen ferNogel (Hrsg.), Hdb. des Verfassungsrechts, S. 390,404 ff.; H. D. Jarass, Die Freiheit der Massenmedien, S. 188; E. König, Teletexte, S. 82 f. 34 W. Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art 5 I, 11, Rdnrn. 124 ff.; ders., in: BendaIMaihoferNogel (Hrsg.), Hdb. des Verfassungsrechts, S. 406; H. D. Jarass, Die Freiheit der Massenmedien, S. 194; E. König, Teletexte, S. 82. 35 H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 91. 36

H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 151 ff. (171).

37 Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 99. 38 Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 a.a.O. 39 R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 33 zu Art. 5; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnm. 135 ff. 40 Vgl. dazu näher unten Abschnitt 7 (S. 144). 7 Meircwitz

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Zuordnungsnonn. Zunächst müssen daher die Elemente der Verfassungs begriffe Presse, Rundfunk und Film herausgearbeitet werden, und es ist zu prüfen, ob bespielte Videokassetten einem dieser Medien zugeordnet werden können. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß die Begriffe Presse, Rundfunk und Film im Grundgesetz nicht definiert werden. Gerade durch das Fehlen einer Legaldefmition sind sie jedoch für eine lebendige Weiterentwicklung offen. Sie wurden vom Verfassungsgeber nicht auf einer bestimmten Entwicklungsstufe festgeschrieben, sondern lassen dem Fortschreiten der Technik angemessenen Raum. 41 Es handelt sich jeweils um einen Typus42 , der typgerecht interpretiert und kontinuitätsgerecht weiterentwickelt werden kann. Neue Medien müssen daher nicht von vornherein als Medium "sui generis" eingestuft werden.43 Vielmehr ist zunächst ein Zuordnungsversuch bezüglich der benannten Verfassungsbegriffe zu unternehmen. a) Die Regeln der Verfassungsauslegung Die Methoden der Verfassungsauslegung sind in der verfassungsrechtlichen Diskussion sehr strittig. 44 Bislang hat sich eine einheitliche Auffassung nicht herausbilden können. Das Bundesverfassungsgericht folgt in seiner Methodik der klassisch-henneneutischen Interpretationslehre, die es folgendennaßen umschreibt: "Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit der nach den angegebenen Grundsätzen ennittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können.,,45 Der "objektivierte Wille des Gesetzgebers" ist zu 41 R. Schatz, Audiovisuelle Medien, S. 28 f.; M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 188 ff.; siehe auch K. Hesse, Grundzüge, Rdnrn. 22 f.; sowie M. Bullinger, Kommunikationsfreiheit, S. 57 f.; U. Scheuner, Rundfunkfreiheit, S. 48, 50; P. Tettinger, JZ 1984,405 f.; B.-O. Bryde, Verfassungswandel S. 286; für den Pressebegriff auch M. Löffler, Presserecht, Bd. 1, § 1 LPG Rdnrn. 22, 59. 42 Zu der Unterscheidung zwischen Begriff und Typus vgl. G. Krause-Ablass, RuF 1971,284 ff.; G. Koch, Zur Frage der Zuordnung, S. 142 ff.; K. Larenz, Methodenlehre, S. 461 ff. 43 M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 187. 44 Eine Darstellung der verschiedenen Strömungen findet sich bei E. W. Böcken!örde, NJW 1976,2089 ff. (2090 ff.); vgl. auch Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 49 ff.; I. v. Münch, Grundbegriffe des Staatsrechts, Bd. I, Rdnr. 29.

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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ermitteln durch Abstellen auf den Wortlaut der Norm (wörtliche Auslegung), den Zusammenhang, in dem die Norm steht (systematische Auslegung), Sinn und Zweck der Norm (teleologische Auslegung) und hilfsweise die Entstehungsgeschichte der Norm (historische Auslegung), wobei die einzelnen Elemente einander stützen und ergänzen können. 46 Diese Grundsätze wendet das Gericht auch auf die Auslegung der Verfassung selbst an. 47 Obwohl nicht unstreitig,48 kann dieses Vorgehen doch im Grundsatz anerkannt werden49 und soll jedenfalls für die Zwecke dieser Arbeit den folgenden Untersuchungen zugrunde liegen. Bei der Auslegung der Grundrechte darf der konkrete Lebenssachverhalt, auf den das Grundrecht bezogen ist, nicht unberücksichtigt bleiben. Seine Besonderheiten müssen Beachtung finden, wenn man die Problemlage, um deren Bewältigung es bei der Verfassungsauslegung geht, nicht verfehlen will. Gerade eine Materie, die so in tatsächlichem Wandel begriffen ist wie die Massenmedien, erfordert besondere Hinwendung zum Faktischen. 50 Darum wird im folgenden stets ein Rückgriff auf die tatsächlichen Grundlagen erfolgen, wenn dies der Begriffsfindung dienlich sein kann. Sind seit Entstehung des Grundgesetzes Veränderungen in der Verfassungswirklichkeit eingetreten, so ist die teleologische Auslegung, die auf Sinn und Zweck der Norm abstellt, eine besonders sachgerechte Auslegungsmethode. Durch sie kann der materielle Sinngehalt der Verfassung gerade mit neuen Entwicklungen im technischen oder gesellschaftlichen Bereich . BeZle . hung gesetzt werden. 51 In 45 BVerfGE 1, 299 (312); siehe auch BVerfGE 6, 55 (75); 10, 234 (244); 11, 126 (130 f.); 33, 265 (294); 35,263 (278). 46 BVerfGE 11, 126 (130 f.). 47 Vgl. als Beispiel für die Anwendung dieser Grundsätze durch das Bundesverfassungsgericht auf eine Norm des Grundgesetzes: BVerfGE 39, 1 (37 ff.) - Fristenlösung; 51, 97 (106 ff.) - Gerichtsvollzieher. 48 K. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 56, merkt kritisch dazu an, daß das Abstellen auf den "objektivierten Willen des Gesetzgebers" in Fällen, in denen die Verfassung eine Frage nicht ausdrücklich beantwortet, verkennt, daß zu diesem Punkt der Verfassungsgesetzgeber gerade keinen Willen hatte, er eine Entscheidung eben nicht getroffen hat. 49 Die klassische Lehre wird in der Literatur etwa vertreten von E. Forsthoff, in: Festschrift für earl Schmitt, S. 35 ff. (36 f., 50 ff.); ders., Zur Problematik der Verfassungsauslegung, S. 39 f.; K. Doehring, Staatsrecht, Abschn. A IV (S. 23 ff.); vgl. dazu auch K. Larenz, Methodenlehre, S. 360 ff., 363; siehe auch!. v. Münch, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Vorbem. Art. 1-19, Rdnr. 50; ders., Grundbegriffe des Staatsrechts, Bd. 1, Rdnm. 27 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 9; vgl. auch Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 6 III 1. 50 Vgl. BVerfGE 73, 118 (154) - Nieders. Landesrundfunkgesetz; siehe auch K. Hesse, Grundzüge, Rdnm. 45 f.; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 7 II; W. Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art. 5 I, 11, Rdnm. 108, 119.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

b) Die Rolle des einfachen Gesetzes bei der Interpretation der Verfassung Wenn auch das Grundgesetz keine Begriffsbestimmungen für die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 genannten Massenmedien enthält, so finden sich Definitionen doch im einfachen Recht: Verschiedene einfache Gesetze enthalten Begriffsbestimmungen für das Presse- und Rundfunkwesen. Insofern stellt sich die Frage, ob und inwieweit diese Legaldefinitionen für die Konkretisierung der Reichweite der jeweiligen Verfassungs begriffe herangezogen werden können. Das einfache Gesetz normiert nicht nur Eingriffe in den Schutzbereich von Grundrechten, sondern hat häufig auch die Aufgabe, den grundrechtlich gewährleisteten Schutzbereich auszugestalten und zu konkretisieren. 52 Dies ist erforderlich schon wegen des knappen Wortlauts der Verfassung. 53 Einfache Gesetze können Regelungen jedoch nur nach Maßgabe der Verfassung treffen und nicht umgekehrt der Verfassung bestimmte Inhalte vorgeben. Das wäre eine Umkehrung der Normenhierarchie. Denn gemäß Art. 20 III GG ist die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, d.h. die Normen der Verfassung,54 gebunden; nach Art. 1 III GG binden die Grundrechte die Gesetzgebung als unmittelbar geltendes vorrangiges Verfassungsrecht. Entgegenstehende Rechtsnormen sind nichtig. 55 Es ist demnach nicht zulässig, durch einfaches Recht Grundrechte wie etwa die Pressefreiheit oder die Rundfunkfreiheit einzuschränken oder zu erweitern. 56 Ebenso verbietet die Rangfolge der Normen, aus unterverfassungsrechtlichen Regelungen zwingende Schlüsse auf den Inhalt des Verfassungsrechts zu ziehen. Einfache Gesetze, die Begriffe definieren, bilden also nicht den Maßstab oder die authentische Interpretation des Verfassungsinhalts. 57 Es ist sowohl denkbar, 51 Näheres zu der Thematik bei B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 254 ff., 286 ff. 52 PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnrn. 241 ff.; K. Hesse, Grundzüge, Rdnm. 303 ff. So enthält etwa § 2 Abs. 1 VereinsG eine Legaldefinition des Vereins im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG, § 2 Abs. 1 ParteiG definiert den Begriff der Partei im Sinne des Art. 21 GG; vgl. dazu W. Löwer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 24 zu Art. 9; I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 2, Rdnr. 3 zu Art. 21. 53 O. Majewski, Auslegung der Grundrechte, S. 86 f.; R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 45 f.; H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 44. 54 Vgl. F. E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 35 zu Art. 20; K.-H. Seifert, in: Seifert/Hömig, Art. 20, Rdnr. 9. Der Begriff "verfassungsmäßige Ordnung" ist in diesem Zusammenhang anders und enger zu verstehen als in Art. 2 I GG, wo er die der Verfassung gemäße Rechtsordnung bezeichnet. 55 Vgl. etwa BVerfGE 21, 271 (291) - Südkurier.

56 In Bezug auf die Pressefreiheit: M. Löffler, Presserecht, Bd. 1, § I LPG Rdnr. 35. W. Lieb, Kabelfernsehen und Rundfunkgesetze, S. 106 f.; P. Lerche, Rundfunkmonopol, S. 17 f.; W. Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze, S. 63 ff.; siehe in Bezug auf das Verhältnis von § 2 Abs. 1 ParteiG zu Art. 21 GG auch I. v. Münch, in: 57

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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daß derartige Begriffsbestimmungen enger sind als der Verfassungs begriff und damit nur einen Teilbereich abdecken, als auch, daß sie weiter sind und den Verfassungsbegriff unzulässig ausdehnen. Insoweit wären sie verfassungswidrig. Einfachen Gesetzen kommt daher allenfalls konkretisierende Bedeutung zu. Sie können Anhaltspunkte liefern, den entsprechenden Normenkomplex verdeutlichen und so die Ermittlung des verfassungsrechtlichen Begriffsinhalts unterstützen. 58 Die Interpretation der Verfassungsbegriffe hat jedoch vorrangig aus der Verfassung selbst zu erfolgen. Mit dieser Maßgabe kann ein Blick auf Begriffsbestimmungen der Massenmedien im einfachen Recht für eine mögliche Verfassungsinterpretation zunächst erste Anhaltspunkte geben. Der eigentliche Inhalt der Verfassungsbegriffe Presse, Rundfunk und Film und der Umfang des Schutzbereiches dieser Freiheiten müssen dagegen vorrangig aus der Verfassung selbst ermittelt werden. 3. Der Begriff der Presse im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG

a) Der Pressebegriff der einfachen Gesetze Für den Bereich der Prl!sse ist zunächst der Blick auf eine historische Legaldefinition hilfreich. Eine einschlägige Begriffsbestimmung im einfachen Recht fand sich in § 2 Satz-l des Reichspressegesetzes vom 7. Mai 187459 • Diese Vorschrift definierte als "Druckschriften" im Sinne des Gesetzes: "alle Erzeugnisse der Buchdruckerpresse, sowie ... alle anderen, durch mechanische oder chemische Mittel bewirkten, zur Verbreitung bestimmten Vervielfältigungen von Schriften und bildlichen Darstellungen mit oder ohne Schrift, und von Musikalien mit Text oder Erläuterungen."

Diese frühe Begriffsbestimmung ist sehr umfassend. Sie beschränkt sich weder auf die sog. periodische Presse noch auf die Erzeugnisse der "Buchdruckerpresse" im engeren Sinne, sondern erstreckt sich auch auf alle sonstigen Vervielfältigungsstücke von Schriften und ähnlichen Produkten. Druckschriften werden damit von einer rein formalen Betrachtung her umschrieben. Nach allgemeiner Ansicht fiel auch die Schallplatte unter die Definition des Reichspressegesetzes, soweit sie einen geistig erfaßbaren Inhalt aufwies, der zur Verbreitung bestimmt war.60 Diese weite Definition der Druckschriften war getragen von dem Regeders. (Hrsg.), GGK Bd. 2, Rdnr. 4 zu Art. 21; Ph. Kunig, in: IsenseelKirchhof (Hrsg.), Hdb. des Staatsrechts, Bd. H, § 33 Rdnr. 14. 58 H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 44; R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S.45 f.; auch OVG Münster, DÖV 1978, 519 (zum Verhältnis einfacher Gesetze zum verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff), sowie I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 1,3. Aufl., Rdnr. 38a zu Art. 5. 59 RGBI. Nr 16 von 1874, S. 65.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

lungszweck des Gesetzes. Da alle genannten Vervielfältigungen durch ihre Verbreitung geistige Massenwirkungen erzeugen konnten, war ihre rechtliche Gleichbehandlung geboten. 61 Das Reichspressegesetz galt nach 1949 als Landesrecht fort62 und wurde bis 1966 durch weitgehend übereinstimmende Landespressegesetze der einzelnen Bundesländer abgelöst. 63 Die heutigen Landespressegesetze gehen für die Bestimmung des Pressebegriffs von dem Begriff des "Druckwerks" aus, den sie (meist in § 7)64 definieren als: "alle mittels der Buchdruckerpresse oder eines sonstigen zur Massenherstellung geeigneten Vervielfältigungsverfahrens hergestellten und zur Verbreitung bestimmten Schriften, besprochenen Tonträger, bildlichen Darstellungen mit und ohne Schrift und Musikalien mit Text oder Erläuterungen."

Diese Definition schreibt damit die umfassende Begriffsbestimmung des Reichspressegesetzes fort. Sie geht ebenfalls von einer weiten und formalen Betrachtungsweise aus. Zwar ist diese Bestimmung der Landespressegesetze ebensowenig wie die frühere Definition des Reichspressegesetzes eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung des Pressebegriffs. Dieser wurde vom Gesetzgeber gerade nicht definiert. Der Rechtsbegriff der Presse orientiert sich jedoch an dem weitgefaßten Begriff des "Druckwerks" im Sinne des § 7 der Landespressegesetze. 65 Damit weist der Pressebegriff des einfachen Rechts folgende Merkmale auf: Wesentlich ist zunächst, daß das Druckerzeugnis einen geistigen Sinngehalt besitzt. Gerade wegen dieses geistigen Sinngehalts der Druckschrift wurde das Presserecht geschaffen. 66 Dieser Sinngehalt muß stofflich verkörpert sein. Die Formen der stofflichen Verkörperung sind durch die Legaldefinition weit gefaßt. 60 Die Rillen der Schallplatte wurden als eine Art "Diamant-Schrift" angesehen, wodurch diese einer Druckschrift gleichgesetzt war. Vg!. RGSt 47, 223 (224); auch RGSt 38,345 (347 f.) und RGSt 47, 404 (405 ff.); sowie K. Häntzschel, Reichspreßgesetz, § 2 Anm. 2 c, f; M. Löffler, Presserecht, 1. Aufl., § 2 RPreßG, Anm. 22. 61 Vg!. K. Häntzschel, Reichspreßgesetz, § 2 Anm. 1. 62 Vg!. BVerfGE 7,29 (37 ff.). 63 Die Bundesländer haben insoweit die Gesetzgebungsbefugnis, da Art. 75 Nr. 2 GG dem Bund auf dem Gebiet des Pressewesens lediglich die konkurrierende Rahmengesetzgebungskompetenz zuweist und der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht bisher keinen Gebrauch gemacht hat. 64 § 7 I LPG in Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein; § 6 I LPG in Berlin und Bayern; § 4 I in Hessen. 65 M. Löffler, Presserecht, Bd. I, Ein!. Rdnrn. 17, 24, § 1 LPG Rdnr. 62, § 7 LPG Rdnrn. 12, 17. 66 M. Löffler, Presserecht, Bd. 1, § 7 LPG Rdnr. 22.

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. I GG

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Besprochene Tonträger wie Schallplatten und Tonbänder sind durch die Landespressegesetze nun ausdrücklich in die Begriffsbestimmung aufgenommen.67 Darüberhinaus unterstellen einige Landespressegesetze in ihrem § 7 dem Begriff des Druckwerks ausdrücklich auch Bildträger. 68 Die verkörperten Stücke müssen weiterhin durch Massenvervielfaltigungsverfahren hergestellt worden sein. Diese sind nicht auf die klassischen Druckverfahren beschränkt, sondern umfassen alle Verfahren, die zur Massenvervielfaltigung geeignet sind. 69 Schließlich müssen die Vervielfaltigungsstücke zur Verbreitung bestimmt sein. Mit Verbreitung ist das körperliche Zugänglichmachen des Vervielfaltigungsstücks gemeint. 70 Mit der Aufnahme des Begriffs "Bildträger" in die Definition des Druckwerks durch einige Landespressegesetze werden auch bespielte Videokassetten durch einfaches Gesetz der Presse zugeordnet. 71 Gleiches geschieht auch durch § 11 Abs. 3 StGB und § 1 Abs. 3 GjS. Diese Zuordnung im einfachen Recht ist jedoch nicht allgemeinverbindlich. Sie gilt nur soweit, wie die Reichweite des jeweiligen einfachen Gesetzes sich erstreckt. Im Urheberrecht werden demgegenüber Bildträger als Bild- und Tonfolgen gern. §§ 16 Abs. 2, 95 UrhG dem Film zugeordnet. 72 b) Der verfassungsrechtliche Pressebegriff Nachdem das einfache Gesetzesrecht erste Anhaltspunkte geliefert hat, stellt sich die Frage nach dem Begriffsverständnis der Verfassung. Ein Blick auf die Materialien des Grundgesetzes fördert zunächst wenig zu Tage. Der Verfassungsgeber hat keine eigenen Überlegungen zur Bestimmung des Pressebegriffs angestellt, sondern den Begriff Pressefreiheit so übernommen, wie er sich historisch entwickelt hatte. Der Abgeordnete von Mangoldt wies am 24. Nov. 1948 im 67 Die Erwähnung besprochener Tonträger fehlt jedoch in der Definition in § 6 I LPG in Bayern und in § 4 I LPG in Hessen. 68 So in Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, SchleswigHolstein. 69 M. Löffler, Presserecht, Bd. 1, § 7 LPG Rdnr. 29. 70 BGHSt 18, 63 (64); M. Löffler, Presserecht, Bd. 1, § 7 LPG Rdnr. 25; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 1. Kap. Rdnr. 23. 71 Nach Ansicht vonM. Löffler, Presserecht, Bd. 1, § 7 LPG Rdnm. 34 ff. unterfallen Bildplatten und Videokassetten bereits dem Begriff "bildliehe Darstellungen" und gehören schon deshalb zu den Druckwerken. Die gesonderte Aufführung der "Bildträger" in den Landespressegesetzen sei daher überflüssig. Für die generelle Zuordnung der Kassetten zum Druckwerkbegriff ist auch M. Rehbinder, UFITA Bd. 60 (1971), 161 ff. (167); sowie OLG Koblenz, NStZ 1991,45; BayObLG, Beschl. v. 14. 10. 1986, BayYBl 1987, 378 f. Andere Ansicht W. Lorenz, BayYBl 1987,379 f.; sowie BayObLG, Urt. v. 2. 10. 1987, BPS-Report 6/1987, 11 f. 72 Yg1 dazu auch G. Roeber, Film und Recht 1982,403; ders., Film und Recht 1973, 311 (314); R. Dünnwald, NJW 1970, 1996 (1997 f.).

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates darauf hin, daß es sich beim Begriff Pressefreiheit um einen "terminus technicus" handele, und zwar um einen "ganz eingeführten Begriff'. 73 Von der Wortbedeutung her klingt bei dem Begriff "Presse" zunächst das technische Element der Druckerpresse an. Dies könnte insofern für ein ähnlich weites und formales Begriffsverständnis sprechen, wie es den Rechtsbegriff der Presse im Sinne der Landespressegesetze auszeichnet. Im allgemeinen Sprachgebrauch herrscht jedoch ein engeres Begriffsverständnis. Hier wird unter dem Begriff "Presse" die Gesamtheit der regelmäßig erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften verstanden74 und damit nur die sog. periodische Presse. Wortzusammensetzungen wie "Tagespresse, Fachpresse, Presseagentur" oder "Pressekonferenz" verdeutlichen dieses Wortverständnis. Auch in der Publizistikwissenschaft wird der Begriff "Presse" als die periodische Presse definiert. 75 Daneben bezeichnet der Begriff "Presse" im allgemeinen Sprachgebrauch aber auch die Presse als Institution.76 So läßt sich feststellen, daß für den Pressebegriff insgesamt keine einheitliche Wortbedeutung existiert.

aa) Der enge Pressebegriff des älteren Schrifttums (1) Die Beschränkung auf die periodische Presse An den engen umgangssprachlichen Wortgebrauch anknüpfend geht eine ältere Ansicht davon aus, daß der verfassungsrechtliche Pressebegriff nicht nach dem weiten formalen Verständnis des einfachen Rechts zu bestimmen sei, sondern ebenfalls nur die periodische Presse und damit nur Zeitungen und Zeitschriften umfasse. Das Buch und sonstige Druckerzeugnisse sollen nach dieser Ansicht aus dem Pressebegriff ausgeschlossen sein. Zur Begründung wird angeführt, daß die Pressefreiheit vor allem die freie öffentliche Meinungsbildung gewährleisten solle und von daher auf Kriterien wie Aktualität, Periodizität, Publizität und Universalität der Inhalte abzustellen sei, wie sie die periodische Presse aufweise. 77 Gegen diese Ansicht spricht jedoch, daß sie den Pressebegriff ohne gebotenen 73

JöR Bd. 1 (1951),79 ff. (82).

Vgl. Der Duden, Band 10: Bedeutungswörterbuch, 2. Aufl. 1985; sowie Band 7: Etymologie, Herkunftswörterbuch, 1963; siehe auch M. Löffler, Presserecht, Bd. 1, Einl. Rdnr. 24, § 1 LPG Rdnr. 60. 75 D. Czajka, Pressefreiheit, S. 14 f. 74

76

M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 156.

v. Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Anm. VI 3 zu Art. 5; F. Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 55 ff., 58, 61, 64; M. Rehbinder, Presserecht, S. 13; B. Rebe, Die Träger der Pressefreiheit, S. 17 ff., 22; E. Stein, Staatsrecht, § 13 IV 2 (S. 111). 77

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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Anlaß und entgegen Sinn und Zweck des Grundrechtsschutzes einseitig verengt. Denn gerade der Schutzzweck gebietet ein weites Grundrechtsverständnis. Die Pressefreiheit ist eines der politisch stärksten Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die freie Presse als das Wesenselement eines freiheitlichen Rechtsstaates. 78 Sie ist ein unentbehrliches Organ der Kontrolle und Kritik der staatlichen Herrschaft, ein eminent wichtiger Faktor der öffentlichen Meinungsbildung und sichert generell die geistige Freiheit in der modernen Gesellschaft. Ebenso wie das Grundrecht der freien Meinungsäußerung und die anderen Grundrechte des Art. 5 I 2 GG ist sie für eine freiheitliche Demokratie "schlechthin konstituierend".79 Nicht von ungefähr ist die erste Maßnahme aller Diktatoren regelmäßig die Beseitigung der Pressefreiheit gewesen. Die Pressefreiheit hat insofern eine Sicherungsfunktion auch gegenüber allen anderen bürgerlichen Freiheiten und ist damit unentbehrlich für das grundSätzliche Funktionieren unseres demokratischen Systems. 80 Diese Gewährleistung wäre unvollständig abgesichert, wenn die Pressefreiheit nur die periodische Presse erfassen würde. Das Buch und sonstige Presseerzeugnisse sind - ganz abgesehen davon, daß die Geschichte des gedruckten Wortes mit dem Buchdruck und nicht mit dem Zeitungsdruck begann81 - ebenso Bestandteil einer geistigen Freiheit wie das Zeitungswesen. Bücher leisten einen nicht minder schutzwürdigen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, denn ihre Inhalte unterliegen im allgemeinen nicht der Kurzlebigkeit der periodischen Presse, sondern wirken "über den Tag hinaus". Die ihre Zeit beeinflussenden großen geistigen Strömungen wurden hauptsächlich durch das Buch vermittelt und weniger durch Zeitungen und Zeitschriften. Deutlich wird die für einige Herrschaftssysteme unbequeme Brisanz des Buches in den Bücherverbrennungen des Nationalsozialismus und der Stalin-Ära. 82 Das Buch hat daher das gleiche Schutzbedürfnis wie das Zeitungswesen. 78 BVerfGE 20, 162 (174 f.) - Spiegel; 36, 321 (340) - MWSt auf Schallplatten; 50, 234 (239); 52, 283 (296). 79 BVerfGE 10, 118 (121); 12,205 (260 f.) - Deutschland Fernsehen; 20, 162 (174 f.) - Spiegel; 35, 202 (221) - Lebach; 27,71 (81 f.) - Leipziger Volks zeitung; M. Bullinger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts VI, § 142 Rdnrn. 145 f. Siehe dazu auch oben Abschnitt I. BO BVerfGE 50, 234 (239 f.); 35,202 (222) - Lebach; 25,256 (265); 20, 162 (174) Spiegel; 20,56 (97 f.); siehe auch M. Löffler, Presserecht Bd. I, § 1 LPG, Rdnrn. 14 ff., 112. 81 Das Zeitungswesen entstand erst im 17. Jahrhundert; vorher erschienen vor allem Bücher und Flugschriften. Siehe dazu Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 4. Kap. Rdnrn. 17 ff. 82 Beispielhaft ist insoweit auch der Tötungsaufruf des iranischen Mullah-Regimes vom Februar 1989 gegen den Schriftsteller Salrnan Rushdie, Autor des Romans "Satanische Verse".

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2. Teil: Grundrechtliehe Freiheiten

Zudem ist das Buch heute gegenüber der periodischen Presse nicht notwendigerweise stets von geringerer Aktualität. Modeme Produktionstechniken gestatten die Herstellung von Büchern innerhalb weniger Tage und Wochen, was häufig bei Dokumentationen in Buchform nach politischen Ereignissen oder Sportereignissen sichtbar wird. 83 Insofern kommt dem Buch bei der öffentlichen Meinungsbildung und der Gewährleistung geistiger Freiheit eine nicht minder wichtige Funktion zu als der periodischen Presse. Dasselbe muß ebenso für sonstige Druckerzeugnisse gelten, denn auch sie können eine dem Buch vergleichbare Funktion ausüben. 84 Faßte der Obrigkeitsstaat früherer Zeiten den Pressebegriff weit, um jedwede Massenvervielfältigung von Ideen, die als staatsgefährlich angesehen wurde, den strengen Ordnungsbestimmungen der Pressegesetze zu unterwerfen, so verlangt heute umgekehrt die rechts staatliche Freiheitsgewährleistung des Grundgesetzes ein weites Begriffsverständnis, um allen Vervielfältigungen von Ideen den Schutz der Pressefreiheit zuzubilligen. Der enge verfassungsrechtliche Pressebegriff ist daher abzulehnen. 85 (2) Die Beschränkung auf die "seriöse" Presse Eine andere Ansicht will den verfassungsrechtlichen Pressebegriff auf einer inhaltlichen Ebene einschränken, indem sie nur der "seriösen" Presse den Schutz der Pressefreiheit zuerkennt. Damit sind Veröffentlichungen im Rahmen eines allgemeinen öffentlichen Interesses gemeint, die sich auf politisch - kulturell weltanschauliche Inhalte beziehen. Veröffentlichungen im reinen Unterhaltungsund Sensationsinteresse der Leser sollen der Pressefreiheit des Art. 5 I 2 GG nicht unterfallen, da damit nicht der öffentlichen Meinungsbildung gedient werde. 86 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß eine solche Unterscheidung in schutzfahige politisch - kulturell - weltanschauliche Presseerzeugnisse und nicht geschützte "unseriöse" Presseerzeugnisse eine inhaltliche Bewertung verlangt, die 83

Vg!. auch H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 59.

Man denke an Schallplatten und Tonbandkassetten mit politischen Reden oder mit Liedern politisch engagierter "Liedermacher". 85 So auch die heute überwiegende Ansicht, vg!. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 1,11 Rdnm. 129 ff.; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 30 zu Art. 5; Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 38; K. Hesse. Grundzüge, Rdnr. 394; M. Löffler, Presserecht Bd. 1, Ein!. Rdnr. 24, § 1 LPG Rdnrn. 61 f.; U. Scheuner, VVDStRL 22 (1965), 1 ff. (67); H. D. Jarass, Die Freiheit der Massenmedien, S. 195; D. Czajka, Pressefreiheit, S. 143 f.; BVerwGE 39, 159 (164). 84

86 v. Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Anm. VI 3 zu Art. 5; F. Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 136 ff.; D. Czajka, Pressefreiheit, S. 148 f.; K. Hesse, Grundzüge, Rdnr.394.

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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mit dem Schutzgedanken der Pressefreiheit nur schwer vereinbar ist.87 Abgesehen von Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall würde eine derartige qualitative Sortierung eine Bestimmung dessen voraussetzen, was im allgemeinen öffentlichen Interesse zu liegen und auf welchem Niveau eine öffentliche Diskussion zu erfolgen habe. Eine solche inhaltliche Eingrenzung auf der Ebene des Schutzbereiches des Grundrechts ließe eine Umgehung des Zensurverbots befürchten. 88 Zudem ist der Grundrechtsschutz des Grundgesetzes von seiner Natur her nicht auf diese Weise teilbar. Die Grundrechte schützen nicht nur "die hochgezüchteten Bedürfnisse einer bestimmten Eliteschicht" , sondern grundsätzlich "die vitalen körperlichen, ökonomischen und geistigen Bedürfnisse auch des letzten Staatsbürgers".89 Insoweit dienen die Grundrechte des Art. 5 I GG auch den Bedürfnissen des "gar nicht geistigen Menschen".9O Dazu kommt, daß die Grundrechte des Art. 5 I GG anders als etwa die Kunstfreiheit des Art. 5 III GG ihren Schutz nicht um bestimmter Inhalte willen entfalten, sondern um einen freien Kommunikationsprozeß als solchen zu gewährleisten und dadurch einer freien öffentlichen Meinungsbildung zu dienen. Öffentliche Meinungsbildung geschieht aber nicht allein durch politische und kulturelle Information. Gerade die publikumswirksamen und auflagenstarken Unterhaltungsprodukte tragen wesentlich mit zur Bildung der öffentlichen Meinung bei.91 Somit ist der Schutz der Pressefreiheit wertneutral. Auf inhaltliche Kriterien kommt es bei der Bestimmung des Pressebegriffs nicht an. Sowohl die seriöse als auch die unseriöse Presse bzw. die reine Unterhaltungspresse werden geschützt. 92 Der Inhalt kann allenfalls bei einer Abwägung im Rahmen der Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG von Bedeutung sein. 93

87 Vgl. BVerfGE 34, 269 (283) - Soraya; 66, 116 (134) - Wallraff/BILD. 88 Vgl. R. Herzog, in: Maunz!Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 128; Chr. Starck, M/KIS, Art. 5 I, 11 Rdnr. 39. 89 R. Herzog, in: Maunz!Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 128; vgl. auch M. Löffler, Presserecht,

§ 1 LPG, Rdnrn. 64, 115, 131.

R. Herzog, in: Maunz!Dürig, a.a.O. M. Löffler, Presserecht, § 1 LPG, Rdnr. 113. 92 R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 31 zu Art. 5; R. Herzog, in: Maunz!Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 128; Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 39; H. D. Jarass, in: Jarass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 21; M. Löffler, Presserecht, § 1 LPG, Rdnrn. 64, 115, 131; U. Scheuner, VVDStRL 22 (1965),1 ff. (68 f.); P. Tettinger, JZ 1990,846 ff. (849); M. Bullinger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. des Staatsrechts, Bd. VI, § 142 90

91

Rdnr. 16; BVerfGE 25, 296 (307); 33, 1 (14) - beleidig. Gefangenenbrief; 34,269 (283) - Soraya; 50, 234 (240); 66, 116 (134) - Wallraff/BILD.

93 R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 31 zu Art. 5; siehe auch BVerfGE 34, 269 (283) - Soraya; 50, 234 (240); 66, 116 (134) - Wallraff/BILD.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

bb) Der weite Pressebegriff der herrschenden Meinung

Zu Recht geht deshalb die heute überwiegende Ansicht94 von einem weiten und inhaltlich neutralen Pressebegriff aus, der allein auf das Herstellungs- und Vervielfaltigungsverfahren abstellt und damit alle Druckerzeugnisse in der Breite der Definition der Landespressegesetze umfaßt. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt dies, indem es feststellt, daß der Begriff Presse "weit und formal" auszulegen ist. 95 Somit unterfallen dem Pressebegriff generell alle verkörperten Gedankenerklärungen mit geistigem Sinngehalt, die in Massenvervielfältigungsverfahren erstellt wurden und zur Verbreitung bestimmt sind. 96 Hierzu gehören nicht nur Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch Bücher, Plakate, Flugblätter und ähnliches. 97 Die Presse im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist dabei nicht auf die Erzeugnisse der "Gutenbergschen Buchdruckerpresse" beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle Verfahren, die zum visuellen Eindruck des gedruckten Wortes führen, einschließlich Rotaprint-, fotomechanischer und moderner elektronischer Druckverfahren. 98 Wenn das gedruckte Wort auch sicherlich den Kernbereich der Pressefreiheit darstellt,99 so sind die Druckerzeugnisse des Pressebegriffs doch in einem weiten Sinne zu verstehen und umfassen auch solche Produkte, die mit dem eigentlichen Buchdruck nichts zu tun haben wie etwa Fotographien und auch Schallplatten. 100 94 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, n Rdnrn. 129 ff.;R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 30 zu Art. 5; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, II Rdnr. 38; ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, II, Rdnrn. 296 ff.; F. Klein, in: SchmidtBleibtreu/Klein, Rdnr. 8 zu Art. 5; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 646; M. Löffler, Presserecht Bd. 1, Einl. Rdnr. 24, § I LPG Rdnrn. 61 f.; U. Scheuner, VVDStRL 22 (1965), 1 ff. (66 f.); H. D. Jarass, Die Freiheit der Massenmedien, S. 195 f.; BVerwGE 39, 159 (164). 95 BVerfGE 34, 269 (283) - Soraya; 66, 116 (134) - Wallraff/BILD. 96 M. Löffler, Presserecht Bd. 1, § 1 LPG, Rdnr. 62, § 7 LPG Rdnrn. 22 ff.; ähnlich auch ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, II Rdnr. 38. 97 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, II Rdnr. 132; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 30 zu Art. 5; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, II Rdnr. 38; H. D. Jarass, in: larass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 20. 98 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, II Rdnr. 130; ähnlich BVerwGE 39, 159 (164). 99 Vgl. R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 43 f. 100 Vgl. ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 38; R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 49; sowie M. Löffler, Presserecht Bd. 1, § 1 LPG, Rdnr. 62, der allerdings noch weiter geht und auch Filmstreifen in den Pressebegriff einbeziehen will (siehe auch ebd. § 7 LPG Rdnrn. 24a, 37). Das Bundesverfassungsgericht stellt, obwohl es Schallplatten noch nicht ausdrücklich dem Pressebegriff zugeordnet hat, in BVerfGE 36, 321 (338) (MwSt. auf Schallplatten) anläßlich einer Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG fest, zwischen der

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Entscheidend ist jeweils, daß durch das Herstellungsverfahren eine Vervielfältigung erreicht wird. Dem Pressebegriff unterfallen keine Einzelstücke ohne Veröffentlichungsabsicht. Es muß eine Mehrzahl von Vervielfältigungsstücken hergestellt werden, auch wenn dies nur in zahlenmäßig beschränkter Auflage erfolgt. 101 Die Vervielfältigungsstücke müssen zur Verbreitung bestimmt sein. Die Verbreitung wird durch das körperliche Zugänglichmachen der Vervielfältigungsstücke bewirkt. 102 Sie erfolgt somit in körperlicher Form und unterscheidet sich dadurch von der Vorführung eines Filmes oder der Ausstrahlung von Rundfunksendungen. 103 Dieser so beschriebene weite Pressebegriff ist nicht auf den Bereich des Art. 5 GG beschränkt, sondern gilt einheitlich für das Grundgesetz. Wenn Art. 75 Nr. 2 GG die Gesetzgebungskompetenz für die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse regelt, so hat der Begriff Presse dort den gleichen Inhalt wie in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. 104 ce) Ergebnis

Der Begriff der Presse im Sinne des Grundgesetzes ist weit und formal auszulegen und vom Herstellungs- und Verbreitungsverfahren her zu bestimmen. Er ist damit im Sinne der Begriffsbestimmung der Landespressegesetze zu verstehen. Der Schutzbereich der Pressefreiheit erstreckt sich auf körperliche Vervielfältigungsstücke, die die Verstofflichung eines geistigen Sinngehalts darstellen. Sie müssen mittels zur Massenvervielfältigung geeigneter Vervielfältigungsverfahren hergestellt worden und zur Verbreitung bestimmt sein. Wenn die Presse im Kern auch ein Textmedium ist, so kann sie sich gleichermaßen auf andere Darstellungsformen wie etwa Schallplatten und Tonbandkassetten erstrecken. c) Die Zuordnung bespielter Videokassetten Für eine Zuordnung bespielter Videokassetten zur Presse könnten verschiedene Gesichtspunkte sprechen. So zeigt ein Blick auf das einfache Gesetzesrecht, daß Schallplatte und Buch, Zeitung und Zeitschrift bestehe die "stärkste relative Gleichheit". Anderer Ansicht ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 298; PierothlSehlink, Grundrechte, Rdnr. 646. 101 ehr. Starek, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 38; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, II Rdnr. 131.

102 BGH St 18,63 (64); M. Löffler, Presserecht, Bd. 1, § 7 LPG Rdnr. 25; LöfflerlRieker, Handbuch des Presserechts, 1. Kap. Rdnr. 23. 103 M. Löffler, Presserecht Bd. 1, § 7 LPG, Rdnr. 24a. 104 I. v. Müneh, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 3, Rdnr. 21 zu Art. 75; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 75 Rdnr. 85; R. Seholz, Audiovisuelle Medien, S. 27.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

in § 1 Abs. 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefahrdender Schriften (GjS) und in § 11 Abs. 3 StGB Bildträger den Schriften gleichgestellt werden. Unter Bildträgern sind als Bildfolgen gespeicherte Bewegtbilder mit dazugehöriger Tonkomponente, mit anderen Worten also bespielte Videokassetten und Bildplatten zu verstehen. Wie oben 105 gesehen wurde auch in einigen Landespressegesetzen eine ausdrückliche Einbeziehung von Bildträgern in die Definition des Druckwerks lO6 und damit eine Zuordnung von bespielten Videokassetten und Bildplatten zur Presse vorgenommen. Diese Zuordnung durch einfache Gesetze präjudiziert noch nicht die Zuordnung auf Verfassungsebene. Da jedoch der verfassungsrechtliche Pressebegriff an die weite Begriffsbestimmung der Landespressegesetze angelehnt ist, scheint eine Zuordnung durchaus möglich. Filme auf Videokassetten zeigen zunächst viele Gemeinsamkeiten mit der Presse im Sinne des Grundgesetzes. Mit dem auf ihnen gespeicherten Filmwerk weisen bespielte Videokassetten einen geistigen Sinngehalt auf. Dieser Sinngehalt ist durch den Speichervorgang auf der Kassette "verkörpert". Er liegt damit als körperliches Substrat vor, ähnlich wie bei der Schallplatte oder der Tonbandkassette. Die Speicherung erfolgt zwar nicht durch übliche Druckverfahren, sondern mittels der magnetischen Aufzeichnungstechnik. Dies ist beim Tonband jedoch nicht anders und bedeutet somit keinen entscheidenden Unterschied. Sicherlich bilden Erzeugnisse der Buchdruckerpresse oder vergleichbarer Druckverfahren den wesensmäßigen Schwerpunkt der Presse. Wie jedoch die Beispiele von Schallplatte u~d Tonband zeigen, scheiden anders hergestellte Erzeugnisse nicht allein aufgrund des technischen Herstellungsverfahrens aus dem Presse begriff 107 aus. Das Verfahren zur Herstellung bespielter Videokassetten ist ein Massenvervielfaltigungsverfahren. Von einem Filmwerk werden in Form bespielter Videokassetten viele Vervielfaltigungsstücke hergestellt, die zur Vermietung oder zum Verkauf an die Endnutzer und damit zur Verbreitung bestimmt sind. Die Verbreitung der Videokassetten erfolgt durch Übergabe der Vervielfaltigungsstücke an die Rezipienten anläßlich des Verkaufs oder der Vermietung. Damit gestaltet sich der Vertrieb der Kassetten ähnlich wie beim Buch oder der Schallplatte. Es handelt sich um die typische Verbreitungsform für Presseerzeugnisse. Auch von der Funktion im Kommunikationsprozeß her sind Videokassetten mit dem Buch 105

V gl. Abschnitt a) (S. 103).

Nach Ansicht von M. Löffler, Presserecht, Bd. I, § 7 LPG Rdnm. 34 ff. und M. Rehbinder, UFITA Bd. 60 (1971), 161 ff. (167) sind sie auch ohne Verwendung des 106

Begriffs "Bildträger" der Presse zuzuordnen. Siehe hierzu schon oben Fußnote 71.

107 Vgl. ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 38; R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 49; M. Löffler, Presserecht Bd. I, § 1 LPG, Rdnr. 62; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 30 zu Art. 5.

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vergleichbar. Es spricht somit viel dafür, Videokassetten als zur Verbreitung bestimmte verkörperte Massenvervielfältigungsstücke mit geistigem Sinngehalt im Sinne des verfassungsrechtlichen Pressebegriffs anzusehen. Die Übermittlung des geistigen Gehalts an die Rezipienten erfolgt zwar erst durch das Abspielen der Kassetten auf einem Videorecorder. Die Sichtbarmachung findet hierbei auf einem Fernsehbildschirm statt. Der Inhalt der Kassetten unterliegt damit nicht dem unmittelbaren menschlichen Zugriff, so wie etwa der Inhalt eines Buches oder einer Zeitschrift, der durch Lesen erfaßt werden kann, sondern es ist ein technischer Abspielvorgang erforderlich, durch den der Inhalt der Kassette sich dem Rezipienten erst erschließt. Eines solchen Abspielvorgangs bedarf es aber auch bei Tonband und Schallplatte, ohne daß dadurch die Zuordnung zur Presse verloren ginge. Auch die Nutzung der Videokassetten durch die Rezipienten erfolgt ähnlich wie die Nutzung anderer Presseerzeugnisse, das heißt sie geschieht individuell und unter voller Beherrschbarkeit des Nutzungsvorganges durch den Nutzer. Er entscheidet wann, wo, wie lange und in welcher Weise er die Videokassette nutzt und ihren Inhalt rezipiert. Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten wird verschiedentlich eine verfassungsrechtliche Zuordnung bespielter Videokassetten zur Presse gefolgert. 108 Dabei wird jedoch die Art des auf dem körperlichen Substrat gespeicherten geistigen Inhalts nicht ausreichend gewürdigt. Die Videokassette ist ein audiovisuelles Speichermedium, das heißt sie speichert Ton und Bewegtbild. Dadurch unterscheidet sie sich von allen anderen Presseerzeugnissen. Zwar erstreckt sich die Presse wie ausgeführt auf reine Tonträger wie Schallplatte und Tonband. Außerdem ist sie nicht an Sprache und Text gebunden, sondern umfaßt auch Bilder wie Fotografien und Illustrationen. Die einzelnen Komponenten des audiovisuellen Mediums sind also jeweils Bestandteil des verfassungsrechtlichen Pressebegriffs. Eine audiovisuelle Darstellung ist jedoch mehr als die Summe ihrer Bestandteile. Zum einen besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen der Bildkomponente eines audiovisuellen Mediums und der Fotografie im Sinne der herkömmlichen Presse. Letztere erzeugt ein Standbild, erstere dagegen ein Bewegtbild. Obwohl dies technisch gesehen lediglich aus einer schnellen Abfolge einzelner Standbilder besteht, ist seine Wirkung jedoch eine gänzlich andere. Die "lebenden Bilder" eines Videofilms sind nicht mit einer Sammlung von einzelnen Fotografien zu 108 So von R. Schotz, Audiovisuelle Medien, S. 51 ff.; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnm. 38, 99; M. Bullinger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. des Staatsrechts, Bd. VI, § 142 Rdnr. 2; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnm. 30, 61 zu Art. 5.

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2. Teil: Grundrechtliehe Freiheiten

vergleichen. Das Bewegtbild ist neben der herkömmlichen Fotografie eine eigene und selbständige Form optischer Darstellung. Zum anderen bilden Bewegtbild und Ton eine Einheit, die über die übliche Kombination von Text und Bild in der Presse hinausgeht. Dort dient das Bild zur Erläuterung des Textes oder der Text zur Erläuterung des Bildes. Bei audiovisuellen Medien jedoch verschmelzen Bewegtbild und Ton zu einer Einheit und bilden die dieser Darstellungsform eigene filmische Realität. Anders als die einzelne Fotografie ist die Kombination aus Ton und Bewegtbild der Presse wesensfremd. 109 Für die Presse ist vielmehr ein textlicher oder bildlicher Inhalt prägend. Ein audiovisuelles Medium ist die Presse nicht. Daher können bespielte Videokassetten nicht dem Pressebegriff zugeordnet werden. 110 4. Der Begriff des Rundfunks im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG

a) Der Rundfunkbegriff der einfachen Gesetze aa) Die fernmelderechtliche Komponente

Scheidet eine Zuordnung zur Presse aus, bleiben Rundfunk oder Film als Zuordnungsobjekte zu untersuchen. Wie schon für die Presse, so finden sich auch für den Rundfunk Begriffsbestimmungen im einfachen Gesetzesrecht. Rundfunk zeichnet sich durch die Eigenschaft aus, daß er sich zur Übermittlung seiner PrograIpme des Fernmeldewesens bedient. Daher wird zwischen fernmelderechtlicher und kultureller Komponente des Rundfunks unterschieden. Für Begriffsbestimmungen der fernmelderechtlichen Komponente kommt zunächst das Fernmeldeanlagengesetz (FAG/ ll in Betracht. Gemäß § 1 Abs. I Satz 1 FAG unterfallen Fernmeldeanlagen in Telegraphenanlagen für die Vermittlung von Nachrichten, in Fernsprechanlagen und in Funkanlagen. Funkanlagen werden in § 1 Abs. 1 Satz 2 FAG definiert als: "elektrische Sendeeinrichtungen sowie elektrische Empfangseinrichtungen, bei denen die Übermittlung oder der Empfang von Nachrichten, Zeichen, Bildern oder Tönen ohne Verbindungsleitungen oder unter Verwendung elektrischer, an einem Leiter entlang geführter Schwingungen stattfinden kann."

Derartiger Funkanlagen bedient sich zu seiner Verbreitung auch der Rundfunk. Fernmelderechtlich wird er somit von der Begriffsbestimmung des § 1 Abs. 1 109 Vg\. auch ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnrn. 730, 735; H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 81; M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 215, 217. Andere Ansicht M. Löffler, Presserecht Bd. 1, § 1 LPG, Rdnr. 62 sowie § 7 LPG Rdnrn. 24a, 37, der Filmstreifen der Presse unterfallen lassen will. 110 So auch H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 5 Rdnr. 20. 111 Gesetz über Fernmeldeanlagen in der Fassung vom 3. Juli 1989 (BGB\. I, S. 1455).

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

113

Satz 2 Fernmeldeanlagengesetz erfaßt. 1I2 Jedoch beschränkt sich diese Definition nicht auf den Rundfunk allein. Funkanlagen im Sinne des Fernmeldeanlagengesetzes nutzen auch andere Dienste wie der Übermittlungsdienst für Presseinformationen von Nachrichtenagenturen, der Funkdienst für die Seeschiffahrt oder gewerbliche Wirtschafts- und Börsendienste. 113 Die Definition des Fernmeldeanlagengesetzes ist also wesentlich umfassender; es liegt zum Rundfunk keine Spiegelbildlichkeit vor. Eine andere fernmelderechtliche Definition ist in Randnummer 2012 der Anlage 2 zum Internationalen Fernmeldevertrag vom 6. Nov. 1982114 enthalten. Dort wird der Begriff "Rundfunkdienst" definiert als: "Funkdienst, dessen Aussendungen zum unmittelbaren Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt sind. Dieser Funkdienst kann Tonsendungen, Fernsehsendungen oder andere Arten von Sendungen umfassen."

Damit wird der Rundfunk fernrneiderechtlich abgegrenzt von anderen Funkdiensten, die nur an einzelne Empfänger oder einen eng umgrenzten Empfängerkreis gerichtet sind. Kein Rundfunkdienst ist danach etwa der Richtfunk, der nur auf einen bestimmten Empfangspunkt gerichtet ist, und außerhalb dessen nicht empfangen werden kann. Gleiches gilt für den Fernmeldesatelliten, der nur mit aufwendigen Antennenanlagen empfangbar ist, die der durchschnittliche Rezipient nicht vorhalten kann. Der Internationale Fernmeldevertrag ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der nach der Umsetzung in innerstaatliches Recht durch das Zustimmungsgesetz gern. Art. 59 Abs. 2 GG im Rang eines einfachen Bundesgesetzes steht. 115 Der Bund hat gern. Art. 73 Nr. 7 GG die (ausschließliche) Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des Fernmeldewesens. An einer Kompetenz zur Regelung des Rundfunks über die fernmelderechtliche Komponente hinaus in inhaltlich-kultureller Hinsicht fehlt es dem Bund jedoch. 116 Daher kann durch Normen des Bundesrechts wie den Internationalen Fernmeldevertrag und das Fernmeldeanla-

112 Vgl. dazu H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 63 ff.; M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 57 ff. 113 Eine Aufstellung von Sonderfunkdiensten des Fernmeldewesens findet sich in § 4 Abs. 1 Nr. 2 Telekommunikationsordnung (TKO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Juli 1987 (BGBI. Teil I, S. 1761 ff.). Die TKO nennt insoweit: den Übermittlungsdienst für Presseinformationen, den Übermittlungsdienst für den Warndienst, den Telekommunikationsdienst "Funknachrichten an einen oder mehrere Empfänger", den besonderen Funkdienst für die Seeschiffahrt, den Übermittlungsdienst für Rundfunkprogramme. Vgl. dazu im einzelnen die Regelungen des Teil II, Abschnitt 3 der TKO. 114 BGBI. 11 1985, S. 425 ff. (489).

115 116

o. Rojahn, in: I. v. Münch (Hrsg.), GGK Bd. 2, Rdnr. 43 zu Art. 59. BVerfGE 12,205 (228 ff.) - Deutschland Fernsehen.

8 Meirowitz

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

gengesetz eine Legaldefinition des Rundfunks in kultureller Hinsicht nicht erfolgen.

bb) Die kulturelle Komponente Eine Begriffsbestimmung des Rundfunks in kultureller Hinsicht und damit in seiner Funktion als Massenkommunikationsmittel ist bei den Regelungen des Rundfunkwesens auf Landesebene zu suchen. Eine Legaldefinition findet sich hier in § 2 Abs. 1 des Rundfunkstaatsvertrages 117 der Bundesländer vom 31. Aug. 1991. Dort heißt es: "Rundfunk ist die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters." Diese Definition findet sich auch in § 1 Abs. 2 des Gesetzes über Radio Bremen,118 in § 3 Abs. 1 WDR-Gesetz,119 in § 2 Abs. 1 Bremisches Landesmediengesetz, 120 § 2 Abs. I Nr. 1 Hessisches Privatrundfunkgesetz,121 § 2 Abs. 1 Landesrundfunkgesetz Nordrhein-Westfalen,122 § 3 Abs. 1 Rundfunkgesetz Mecklenburg-Vorpommem,123 § 3 Abs. 1 Gesetz über den ,,Rundfunk Brandenburg,,/24 § 2 Abs. 1 Nr. 1 Thüringer Privatrundfunkgesetz,125 sowie in § 3 Abs. 1 Nr. 1 117 Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31. Aug. 1991, abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-O StV; sowie RuF 1991,556 ff. Diese Begriffsbestimmung war bisher in Art. 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages (in der Fassung vom 5. Dez. 1974; vgl. GVBI. Hamburg 1975, S. 23) enthalten. Im Zuge der Neufassung vom 31. Aug. 1991 (abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-I 1.1) wurde sie dort entfernt.

118 Gesetz über die Errichtung und die Aufgaben einer Anstalt des öffentlichen Rechts - Radio Bremen vom 18. Juni 1979 (Brem. GBI. S. 245), abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-IV. 119 Gesetz über den "Westdeutschen Rundfunk Köln" (WDR-Gesetz) i.d. Fassung der Bekanntmachung vom 11. Jan. 1988 (GV. NW. S. 27), abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-IV. 120 Bremisches Landesmediengesetz vom 14. Feb. 1989 (GVBI. S. 77), abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-VI. 121 Hessisches Privatrundfunkgesetz (HPRG) vom 30. Nov. 1988 (GVBI. S. 385), abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-VI. 122 Rundfunkgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (LRG NW) i.d. Fassung der Bekanntmachung vom 11. Jan. 1988 (GV. NW. S. 6), abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-VI. 123 Rundfunkgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern (RGMV) vom 9. Juli 1991 (GVBI. S. 194), abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-VI. 124 Gesetz über den ,,Rundfunk Brandenburg" (RBr-Gesetz) vom 25. Sept. 1991 (GVBI. Brbg. S. 472), abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-VI. 125 Thüringer Privatrundfunkgesetz (TPRG) vom 31. Juli 1991 (GVBI. S. 255), abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-VI.

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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Privatrundfunkgesetz Sachsen-Anhalt. 126 Ähnliche Begriffsbestimmungen ftnden sich in § I Satz I des Rundfunkgesetzes über den SDR 127 und in § 3 Abs. 3 des Staatsvertrages über den Südwestfunk. 128 Das Landesmediengesetz von BadenWürttemberg l29 ergänzt in § lAbs. 2 Nr. I die Deftnition des Rundfunkstaatsvertrages mit der Bestimmung, daß die Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen "in planvoller und zeitlich geordneter Abfolge zum gleichzeitigen Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt" sein muß. Somit weist der Rundfunkbegriff folgende Merkmale auf: Inhaltlich vermittelt Rundfunk "Darbietungen aller Art" in Wort, Ton und Bild. Eine "Darbietung" ist jede Mitteilung, die einen kommunikativen Sinngehalt besitzt. 130 Diese muß für die Allgemeinheit bestimmt sein. Unter "Allgemeinheit" ist eine beliebige Öffentlichkeit zu verstehen, die aus einer Vielzahl räumlich voneinander getrennter Personen als Empfänger der Sendung besteht. 131 Diese Empfänger sind untereinander nicht durch enge Sonderbeziehungen verknüpft und bilden keinen abgegrenzten Personenkreis. Durch das Merkmal der Allgemeinheit grenzt sich der Rundfunk von gewerblichen Funksonderdiensten ab, die nicht an die Allgemeinheit, sondern an einen bestimmten eng umgrenzten Adressatenkreis ge126 Gesetz über privaten Rundfunk in Sachsen-Anhalt vom 22. Mai 1991 (GVBI. LSA S. 87), abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-VI. 127 Rundfunkgesetz - SDR vom 21. Nov. 1950 (Reg. BI. 1951), S. 1, abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-IV; § 1 S.1 lautet: "Der Rundfunk im Sinne dieses Gesetzes umfaßt die Veranstaltung und Übermittlung von Darbietungen aller Art unter Benützung elektrischer Schwingungen in Wort, Ton und Bild, soweit sie sich an die Allgemeinheit wenden." 128 Staatsvertrag über den Südwestfunk vom 27. Aug. 1951 (GVBI. RheinI.-Pfalz 1952, S. 71), abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-IV; § 3 m lautet: ,,Aufgabe des Südwestfunks ist die für die Allgemeinheit bestimmte Verbreitung von Nachrichten und Darbietungen erbauender, bildender, belehrender und unterhaltender Art in Wort, Ton und Bild unter Benutzung elektrischer Schwingungen, die ohne Verbindungsleitungen oder längs eines Leiters (Drahtfunk) übermittelt werden." 129 Landesmediengesetz Baden-Württemberg vom 16. Dez. 1985 (GBL S. 539) i.d. Fassung vom 17. März 1992 (GBI. S. 189), abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-VI; § 1 11 lautet: "Eine Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters ist 1. Rundfunk, wenn sie, auch verschlüsselt oder gegen besonderes Entgelt, in planvoller und zeitlich geordneter Abfolge zum gleichzeitigen Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt ist." 130

H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 66.

P. Lerche, Rundfunkmonopol, S. 22 ff., 25 ff.; W. Lieb, Kabelfernsehen und Rundfunkgesetze, S. 113 ff., 127 f., 143 ff., 169 f.; G. Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 44 ff.; G. Papistella, DÖV 1978,495 (499 f.); R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 34; E. U. Schwandt, DÖV 1972,693 (695 ff., 699); D. Stammler, Probleme des Kabelrundfunks, S. 9 f.; OVG Münster, DÖV 1978,519 (520 f.); BGRZ 36,171 (176). 131

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

richtet sind. Die Verbreitung der Darbietungen an die Allgemeinheit geschieht unter Benutzung elektrischer Schwingungen und damit im Gegensatz zur Presse in unkörperlicher Form. Sie kann drahtlos oder vermittels eines Leiters erfolgen und umfaßt damit auch den Kabelrundfunk. Die Kommunikationsrichtung des Rundfunks ist einseitig vom Veranstalter an die Allgemeinheit gerichtet. Dadurch unterscheidet sich Rundfunk vom gegenseitigen Funken und damit von der Individualkommunikation. \32 b) Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff aa) Wortbedeutung und Entstehungsgeschichte

Es fragt sich, ob dieses Begriffsverständnis aus dem einfachen Gesetzesrecht auch im Verfassungsrecht Bestand haben kann. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln. Der Begriff "Rundfunk" ist von der Wortbedeutung her ursprünglich ein technischer Begriff. Er wurde im Jahre 1921 von Hans Bredow geprägt und sollte den Gegensatz zur wechselseitigen "Funktelegraphie" herstellen, bei der die Geräte gleichzeitig auf Sendung und Empfang eingerichtet sind. 133 Das Wortelement ,,Funk" bezeichnet die Übertragung durch elektromagnetische Hertz'sche Wellen. 134 Das Element "Rund" bezeichnet den Vorgang der räumlichen Ausbreitung der Wellen nach allen Seiten hin. 135 Die technische Komponente des Rundfunkbegriffs geriet mit der Zeit in den Hintergrund. Der Begriff wurde später vermehrt auch im institutionellen Sinne verwendet, sowie zur Kombination beider Elemente. Außerdem diente er zur Bezeichnung der verbreiteten Inhalte. 136 Rundfunk als Rechtsbegriff umfaßt heute sowohl den Hörfunk als auch das Fernsehen. 137 Im umgangssprachlichen Bereich \32 Vgl. P. Lerche, Rundfunkmonopol, S. 24; W. Lieb, Kabelfernsehen und Rundfunkgesetze, S. 115 ff. m.w.N. 133

P. Lerche, Rundfunkmonopol, S. 24; H. Demme, Kabelfernsehen, S. 13 f.

Genaugenommen war diese Bezeichnung schon bei Ausstrahlung der ersten Rundfunksendungen technisch veraltet, denn sie knüpft an die Erzeugung der elektromagnetischen Wellen durch Funkentladungen an. Dieses frühe Verfahren der Schwingungserzeugung war für den Einsatz beim Rundfunk jedoch nicht geeignet und wurde schon bald durch die Verwendung von Röhrensendern ersetzt. Vgl. dazu M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 97 f.; G. Koch, Zur Frage der Zuordnung, S. 156 f., jeweils m.w.N. 134

135 Diese Kennzeichnung ist sprachlich nicht ganz zutreffend, denn die Wellen breiten sich dreidimensional nach allen Richtungen aus und damit ,,radial". Von dieser Ausbreitungsart her stammt auch die Bezeichnung ,,Radio". Vgl. M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 98; G. Koch, Zur Frage der Zuordnung, S. 157.

136 M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 100 f. m.w.N.; G. Koch, Zur Frage der Zuordnung, S. 157 ff. 137

BVerfGE 12,205 (226) - Deutschland-Fernsehen; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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wird Rundfunk dagegen nur als Hörfunk verstanden. 138 Der Duden definiert den Rundfunk als "Einrichtung, bei der akustische Sendungen drahtlos ausgestrahlt und mit Hilfe eines Empfängers gehört werden",139 und beschränkt Rundfunk damit nicht nur auf den Hörfunk sondern auch auf drahtlos übertragene Sendungen unter Ausschluß der Verbreitung durch Kabelnetze. Es ist somit von der Wortbedeutung her ein divergierendes Begriffsverständnis festzustellen. Die Fassung des Wortlauts des Art. 5 Abs. I Satz 2 GG ,,Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk" ist ebenfalls mehrdeutig. Rundfunk kann in diesem Zusammenhang als technisches Verbreitungsmiuel angesprochen sein 140 oder auch als Institution. 141 Auch die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes bietet keine ausdrücklichen Antworten auf die Frage nach dem Inhalt des Rundfunkbegriffs. Im Parlamentarischen Rat und seinen Ausschüssen fand eine Erörterung des Begriffs ,,Rundfunk" nicht statt. 142 Im Verfassungstext des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG wurden mit der Nennung von Presse, Rundfunk und Film die drei im Jahre 1949 bei Entstehung des Grundgesetzes bereits existenten Massenmedien aufgezählt. Diese genannten Massenmedien waren damals schon seit langem eingeführt und unterschieden sich in ihrem Erscheinungsbild deutlich voneinander. Damit wurden bei der Schaffung von Art. 5 Abs. 1 Begriffe verwendet, die bereits hinreichend mit Inhalt gefüllt und dadurch handhabbar waren. Jedoch führen neue technische Entwicklungen insow-eit häufig zu Zweifelsfallen. Das galt zunächst für das Fernsehen. Rundfunk war bei Entstehung des Grundgesetzes auf den Hörfunk beschränkt; das Fernsehen wurde erst einige Jahre später eingeführt. Der Parlamentarische Rat erwähnt das Fernsehen nicht. Seine Verhandlungen geben jedoch Hinweise, daß die Garantie der institutionellen Rundfunkfreiheit entwicklungsoffen gehalten werden sollte. 143 Damit verträgt es sich nicht, den Rundfunkbegriff auf einen bestimmten Entwicklungsstand festzuschreiben. l44 (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 57 zu Art. 5; G. Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 22; eine entsprechende Legaldefinition enthält auch Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des bayerischen Medienerprobungs- und -entwicklungsgesetzes (MEG); siehe auch § 1 lides Rundfunkgebührenstaatsvertrages in der Fassung vom 31. Aug. 1991 (abgedr. bei Ring, Medienrecht, C-I 1.1). 138 Vgl. PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 654; G. Krause-Ablass, Rundfunk u. Fernsehen 1971, 284.

139

Vgl. Der Duden, Band 10: Bedeutungswörterbuch, 2. Aufl. 1985, S. 533.

140

So ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 62.

141

Vgl. G. Koch, Zur Frage der Zuordnung, S. 169 f.

142

Zur Entstehungsgeschichte des Artikel 5 vgl. JÖR Bd. 1 (1951), S. 79 ff.

Vgl. die Stellungnahmen der Abg. Dr. Heuß und Dr. Süsterhenn zur Rundfunkorganisation, JÖR Bd. 1 (1951), S. 86. 144 OVG Münster, DÖV 1978,519 (520). 143

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

bb) Die Funktion des Rundfunks im Kommunikationsprozeß Die Funktion des Rundfunks als Massenmedium im Staatsgefüge ähnelt der im vorigen Abschnitt l45 beschriebenen Funktion der Presse. Der Rundfunk gehört in gleicher Weise wie die Presse zu den unentbehrlichen Massenkommunikationsmitteln, denen sowohl für die Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen als auch für die Kontrolle letzterer als auch für die Integration der Gemeinschaft eine maßgebende Bedeutung zukommt. Sie verschaffen dem Bürger die erforderliche Information über das Zeitgeschehen und über Entwicklungen im Staatswesen sowie im gesellschaftlichen Leben. Sie ermöglichen die öffentliche Diskussion und halten sie in Gang, indem sie Kenntnis von den verschiedenen Meinungen vermitteln und indem sie dem Einzelnen und den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Gelegenheit geben, an der öffentlichen Meinungsbil. . k en. 146 dung mltzuwrr Der Rundfunk erfüllt als Massenmedium zwei Funktionen: Er vermittelt Informationen und Meinungen Einzelner und gesellschaftlicher Gruppen und wirkt zudem selbst meinungsbildend. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet daher den Rundfunk nicht nur als "Medium", sondern stets auch als eminenten ,,Faktor" der öffentlichen Meinungsbildung. 147 Insofern hat die Freiheit des Rundfunks einen hohen Rang. Sie ist ebenso wie die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Presse schlechthin konstituierend für eine freiheitliche demokratische Grundordnung. 148 Sie bildet unter den Bedingungen der modernen Massenkommunikation eine notwendige Ergänzung und Verstärkung der Freiheit der Meinungsbildung und ist insoweit eine "dienende" Freiheit. 149 Sie wird um einer freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung willen gewährt und dient somit der gleichen Aufgabe wie alle Garantien des Art. 5 Abs. 1 GG. lSO 145

Siehe oben S. 105.

BVerfGE 35, 202 (222) - Lebach; auch BVerfGE 12,205 (260 f.) -DeutschlandFernsehen; M. Bullinger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 142 Rdnrn. 145 f. 146

147 BVerfGE 12,205 (260) - Deutschland-Fernsehen; 57,295 (320) - Freie Rundfunk AG (FRAG) im Saarland; 59, 231 (257 f.) - Freie Mitarbeiter (WDR); 73, 118 (152) Niedersächsisches Landesrundfunkgesetz; 74, 297 (323) - Radio Stuttgart; 83, 238 (296) - WDR-Urteil. . 148 Seit BVerfGE 12,205 (260 f.) (Deutschland-Fernsehen) ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. etwa BVerfGE 77, 65 (74) - Beschlagnahme von Sendematerial. Siehe dazu auch oben S. 105. 149 BVerfGE 57, 295 (320) - Freie Rundfunk AG (FRAG) im Saarland; 74, 297 (323 f.) - Radio Stuttgart; 83,238 (295 f.) - WDR-Urteil. 150 BVerfGE 57, 295 (319) - Freie Rundfunk AG (FRAG) im Saarland; 59, 231 (257) - Freie Mitarbeiter (WDR); 73, 118 (152) - Niedersächsisches Landesrundfunkgesetz; 74, 297 (323) - Radio Stuttgart

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

119

Mit der Entwicklung der Fernsehtechnik ist der Rundfunk zu einem besonders mächtigen Kommunikationsmittel und Massenmedium geworden. 151 Durch die Kombination von Bild und Ton kann der Zuschauer durch den Rundfunk übermittelte Ereignisse am heimischen Fernsehschirm mit eigenen Augen und Ohren ,,miterleben". Dadurch erhält insbesondere die Berichterstattung eine hohe Glaubwürdigkeit. Das Fernsehen besitzt als audiovisuelles Medium nach dem Grundsatz "seeing is believing" eine besondere Überzeugungskraft. 152 Hinzu kommt, daß der Zuschauer nur geringe Vorleistungen im Hinblick auf die Rundfunknutzung erbringen muß. Erforderlich ist nur die einmalige Anschaffung eines Empfangsgerätes; danach sind Rundfunkprogramme stets verfügbar. 153 Die große Bedeutung des Rundfunks im Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung zeigt auch ein Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse: So sind Anfang der neunziger Jahre in den alten und neuen Bundesländern 31 Millionen angemeldete Fernsehempfangsgeräte und 34 Millionen angemeldete Hörfunkempfangsgeräte vorhanden. l54 Die durchschnittliche Einschaltdauer pro Tag beträgt im Jahre 1991 für Fernsehgeräte 263 Minuten/ 55 das sind mehr als 4 Stunden. Die durchschnittlichen Einschaltquoten des Fernsehens liegen im Hauptabendprogramm bei etwa 10 Millionen Zuschauern; publikumswirksame Fernsehsendungen können Sehbeteiligungen von bis zu 20 Millionen Zuschauern erzielen. 156 Auflagenstarke Produkte der Tagespresse wie etwa die ,,Bild-Zeitung" erreichen dagegen im Vergleich Auflagen von ca. 4 bis 5 Millionen Exemplaren. 157 ce) Die Elemente des Rundfunkbegriffs

Aus alldem ergeben sich Folgerungen für Inhalt und Umfang der Rundfunkfreiheit, für die Art und Weise ihrer Sicherung und auch für die Auslegung des Rundfunkbegriffs. Für den Rundfunkbegriff ergibt sich zunächst das folgende: Wenn der Grundrechtsschutz um der skizzierten Funktion des Rundfunks als So auch BVerfGE 31,314 (325) - Umsatzsteuer. W. Lieb, Kabelfernsehen und Rundfunkgesetze, S. 222; G. Koch, Zur Frage der Zuordnung, S. 237. 153 G. Koch, Zur Frage der Zuordnung, S. 233 f. 151

152

154

17.10.

Vgl. Statistisches Jahrbuch 1992 für die Bundesrepublik Deutschland, Tabelle

Vgl. W. DarschinlB. Frank, Media Perspektiven 1992, 172. 156 Dies gilt für ARD und ZDF, vgl. zu den Durchschnittsquoten W. DarschinlB. Frank, Media Perspektiven 1992, 172 ff. (176 ff.). Zuschauerzahlen für einzelne Sendungen werden von der GfK-Fernsehforschung im Auftrag von ARD und ZDF ermittelt und über Videotext veröffentlicht. 157 Eine Statistik über die Auflagen von Zeitungen und Zeitschriften findet sich in BPS-Report 2/1990, S. U2. 155

120

2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Massenmedium und seiner Bedeutung im Kommunikationsprozeß willen erfolgt, so ist es augenscheinlich, daß gerade das Fernsehen zentraler Bestandteil des verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriffs ist. 158 Das bedeutet, daß die Ausdrucksmittel des Rundfunks jedenfalls Bewegtbild und Ton umfassen. Rundfunk ist ebenso wie der Film ein audiovisuelles Medium. Ob darüberhinaus auch reine Textdienste im Rahmen der Neuen Medien von der Ausdrucksform her Rundfunk sein können,159 ist für die vorliegende Fragestellung nicht von Interesse. Aus dem oben Erwähnten ergibt sich weiterhin, daß anders als auf der Ebene der einfachen Gesetze durch Art. 5 Abs. 1 GG vor allem die kulturelle Komponente des Rundfunks angesprochen wird. 160 Den fernmeldetechnischen Einrichtungen kommen heute für das Massenmedium Rundfunk nur noch untergeordnete, dienende Funktionen zu. Der Rundfunk als Massenkommunikationsmittel ist nicht Teil, sondern "Benutzer" der Einrichtungen des Fernmeldewesens. 161 Dabei steht der funktionelle Aspekt der Massenkommunikation im Vordergrund. Welche Fernmeldetechniken dazu verwendet werden, ist nebensächlich. 162 Wesentlich ist in diesem Zusammenhang allein, daß der Rundfunk durch eine irgendwie geartete "Ausstrahlung" und damit auf unkörperliche Art und Weise verbreitet wird. 163 Dies geschieht beim derzeitigen Stand der Technik durch Verwendung elektromagnetischer Wellen, könnte aber im Zuge des Fortschrittes der Glasfasertechnologie genauso durch Lichtwellen erfolgen. Die technischen Einzelheiten der Übertragung spielen verfassungsrechtlich keine Rolle. Zum Rundfunk gehört daher die Verbreitung an die Empfänger durch Kabelnetze oder Satelliten. 158 Ganz allgemeine Auffassung, vgl. BVerfGE 12,205 (226) - Deutschland-Fernsehen; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 57 zu Art. 5; G. Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, s. 22. R. Herzog, in: MaunzlDürig, Art. 5 I, 11, Rdnr. 197, schreibt, daß der Parlamentarische Rat das Fernsehen in Art. 5 I 2 GG ausdrücklich genannt hätte, wenn er daran gedacht hätte. 159 Dies ist umstr.; es wird vertreten von: H. D. Jarass, in: Verhandl. d. 56. DIT, Bd. I, Teil G, Rdnr. 13; St. Ory, Freiheit der Massenkommunikation, S. 167 ff.; G. Papistella, DÖV 1978, 750 (753); J. Scherer, NJW 1983, 1832 ff. (1836). Andere Ansicht: H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 87 ff.; G. Koch, Zur Frage der Zuordnung, S. 281 ff.; M. Bullinger, NJW 1984,385 ff. (389); ders., Kommunikationsfreiheit, S. 99; R. Groß, DVB11982, 561; siehe auch E. König, Teletexte, S. 188 ff., 200 ff. 160 Siehe auch H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 69 f. 161 BVerfGE 12,205 (226 f.) - Deutschland-Fernsehen. 162 So das OVG Münster, DÖV 1978, 519 (520) im Hinblick auf Kabelrundfunk; siehe auch G. Krause-Ablass, RuF 1971,284 (287). 163 Wenn jedoch beim Empfänger ein verkörpertes Endprodukt entstehen soll (Faksimilezeitung) , liegt kein Rundfunk vor. Vgl. St. Ory, Freiheit der Massenkommunikation, S. 167 f.; a.A.: W. Rudolf, in: I. v. Münch (Hrsg.), Bes. VerwaltungsR. (8. Aufl.), 12. Abschn. III 1 b (S. 901).

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Erforderlich ist aber - und das ist ein weiteres wesentliches Element des Rundfunkbegriffs - daß die Ausstrahlung an die Allgemeinheit adressiert ist und von der Allgemeinheit empfangen werden kann. l64 Zwar will eine Ansicht auf das Element der Bestimmung für die Allgemeinheit verzichten und die Grenzen des Rundfunks erst bei der Individualkommunikation ziehen, so daß Sonderdienste für bestimmte Empfängergruppen einbezogen werden. Zur Begründung wird angeführt, daß die Beschränkung des Rundfunks auf Sendungen an die Allgemeinheit allein gebührenrechtlich motiviert sei. 165 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß der Rundfunk erst durch seine Allgemeinbezogenheit an der öffentlichen Meinungsbildung teilnehmen kann. Zum "Medium" und eminenten "Faktor" der Meinungsbildung wird Rundfunk erst, wenn eine beliebige Öffentlichkeit und damit die Allgemeinheit ihn empfangen kann. 166 Zuweilen wird für den Rundfunkbegriff auch verlangt, daß ein kontinuierliches Programm veranstaltet werden müsse und daß der Veranstalter institutionalisiert sein müsse. 167 Dies entsprach bisher der tatsächlichen Situation im Rundfunkbereich, denn kaum ein Veranstalter nahm den notwendigen technischen und finanziellen Aufwand auf sich, ohne ein auf Dauer angelegtes Programm zu veranstalten. Die tatsächlichen Gegebenheiten werden zukünftig jedoch durch die Möglichkeit von Fensterprogrammen, offenen Kanälen und der Aufteilung einer Frequenz auf mehrere Betreiber größere Flexibilität erlauben. Ein kontinuierliches Programm wird von der Verfassung nicht verlangt. l68 Sporadische Sendungen und einzelne Programmveranstaltungen können ebenso zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen wie ein regelmäßiges auf Dauer angelegtes Vollprogramm. 169 Ein Vollprogramm wird zwar schon durch seine Kontinuität und durch die Gewohnheiten der Zuschauer mehr Empfänger erreichen als punktuelle Programme. Dennoch können auch diese "Medium" und eminenten "Faktor" der öffentlichen Meinungsbildung darstellen. Dazu ist auch nicht erforderlich, daß sie von einem institutionalisierten Kommunikator veranstaltet werden. Das Grundgesetz gewährleistet vom Wortlaut her nur die Freiheit der "Be164 OVG Münster, DÖV 1978,519 (520); R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11, Rdnr. 195.

165 ehr. Starck, M!K/S, Art. 5 I, 11, Rdnr. 62; vgl. auch H. D. Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 78. 166 OVG Münster, DÖV 1978,519 (520 f.); H. D. Jarass, in: Verhandl. d. 56. DIT, Bd. I, Teil G, Rdnr. 9; G. Papistella, DÖV 1978,495 (499 f.). 167 G. Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 28 ff.; E. König, Teletexte, S. 120; K. Berendes, Staatsaufsicht, S. 34 f.; G. Koch, Zur Frage der Zuordnung, S. 243; auch W. Lieb, Kabelfernsehen und Rundfunkgesetze, S. 174. 168 G. Papistella, DÖV 1978, 495 (499); D. Stammler, AfP 1975, 742 ff. (749 f.); ausdrücklich offengelassen noch von OVG Münster, DÖV 1978,519 (520). 169 So auchM. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 143 f.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

richterstattung" durch Rundfunk. Das läßt darauf schließen, daß an den Rundfunk und seinen Schutz inhaltliche Maßstäbe zu legen seien. Demgemäß verlangt eine Ansicht,170 daß Rundfunk für die öffentliche Meinungsbildung relevant sein müsse. Relevanz hätten nur Sendungen mit publizistischer Aussage, die politisch-gesellschaftliche Themen von allgemeinem Interesse betreffen. Musikalischen Darbietungen etwa komme diese Eigenschaft nicht ohne weiteres zu. Hierzu fmdet jedoch das schon im vorigen Abschnitt l71 zur Pressefreiheit gesagte Anwendung. Nach inhaltlichen Kriterien läßt sich danach auch die Rundfunkfreiheit nicht eingrenzen. Die einzige inhaltliche Anforderung an Rundfunksendungen kann darin bestehen, daß die Sendungen einen Sinngehalt und einen Mitteilungswillen besitzen müssen. 172 Dies entfällt allenfalls bei der Ausstrahlung von Testbildern. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, daß sich die Rundfunkfreiheit trotz der engen Fassung des Wortlauts ("Berichterstattung") nicht wesensmäßig von der Pressefreiheit unterscheidet. Sie gilt in gleicher Weise für rein berichtende Sendungen wie für Sendungen anderer, insbesondere meinungsbildender Art. 173 Denn die Vermittlung von Information und Meinung ist nicht auf eine bestimmte Sendeform beschränkt und läßt sich in der Praxis gar nicht sauber trennen. "Meinungsbildung vollzieht sich nicht nur durch Nachrichtensendungen, politische Kommentare oder Sendereihen über Probleme der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft, sondern ebenso in Hör- und Fernsehspielen, musikalischen Darbietungen oder Unterhaltungssendungen",174 sogar "bis hinein in die szenische Gestaltung einer Darbietung".175 Schon Auswahl und Gestaltung der Sendung geben dem Programm eine gewisse meinungsbildende Wirkung. 176 170 G. Papistella, DÖV 1978,495 (500); v. MangoldtlKlein, 2. Aufl., Anm. VII 1, VI 3 zu Art. 5; siehe auch das "Schliersee-Papier" der Rundfunkreferenten der Länder vom 29.4. 1975, abgedr. bei Ring, Medienrecht, Abschn. D-l, zu Ziffer I, b). 171 Abschnitt 3 b) aa) (2) (S. 106 f.). 172 M. Emmes, Probleme lokaler Prograrnmtätigkeit, S. 145; siehe auch D. Stammler, AfP 1975,742 ff. (749). 173 BVerfGE 12, 205 (260) - Deutschland-Fernsehen; 31,314 (326) - Umsatzsteuer; 35,202 (222) - Lebach; 57, 295 (319) - Freie Rundfunk AG (FRAG) im Saarland; 59, 231 (258) - Freie Mitarbeiter (WDR); 73, 118 (152) - Niedersächsisches Landesrundfunkgesetz; auch: R. Wendt, in: v. MünchlKunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 44 zu Art. 5; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnm. 200 f.; ehr. Starck, MIK/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 65; H. D. Jarass, in: Jarass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 30; ders., in: Verhandl. d. 56. DIT, Bd. I, Teil G, Rdnr. 14; W. HoJfmann-Riem, in: Benda/MaihoferNogel (Hrsg.), Hdb. d. Verfassungsrechts, S. 393. 174 BVerfGE 73, 118 (152) - Niedersächsisches Landesrundfunkgesetz; siehe auch U. Scheuner, Rundfunkfreiheit, S. 47 f. 175 BVerfGE 12,205 (260) - Deutschland-Fernsehen. 176 BVerfGE 12,205 (260) - Deutschland-Fernsehen; 31, 314 (326) - Umsatzsteuer; 35,202 (222) - Lebach; 59, 231 (258) - Freie Mitarbeiter (WDR).

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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Ebensowenig kann die Qualität der Darbietung ein Abgrenzungskriterium sein. "Eine Beschränkung auf ,seriöse', einem anerkennenswerten privaten oder öffentlichen Interesse dienende Produktion liefe am Ende auf eine Bewertung und Lenkung durch staatliche Stellen hinaus, die dem Wesen dieses Grundrechts gerade widersprechen würde.,,177 dd) Ergebnis

Rundfunk im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist somit ein unkörperlicher elektronischer Verteildienst, der geistige Sinngehalte jeglicher Art in Bild und Ton an die Allgemeinheit durch physikalische Wellen überträgt. Damit ist Rundfunk durch Elemente gekennzeichnet, die auch die Definition des Rundfunkstaatsvertrages im einfachen Recht bestimmen. Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff wird durch den Rundfunkstaatsvertrag und die gleichlautenden Landesmediengesetze insoweit zutreffend beschrieben. 178 Inhaltliche Anforderungen bestehen darüberhinaus nicht; Rundfunk ist nicht nur in Fonn von berichterstattenden Sendungen geschützt. c) Die Zuordnung bespielter Videokassetten Filme auf Videokassetten stellen aufgrund ihrer Komponenten Bewegtbild und Ton audiovisuelle Darbietungen dar. Diese Darbietungen müßten, um unter den Rundfunkbegriff zu fallen, an die Allgemeinheit im Sinne einer beliebigen Öffentlichkeit gerichtet sein. Hier wird zuweilen eingewendet, die Rezeption von Videokassetten erfolge privat und es handele sich dabei insofern um bestimmbare und individuell erfaßte nicht-öffentliche Empfangerkreise. 179 Diese Ansicht kann bei näherer Betrachtung jedoch nicht überzeugen. Zwar geschieht die private Rezeption im einzelnen Haushalt regelmäßig vor individuell bestimmbarem Empfangerkreis. Das ist jedoch bei Hörfunk und Fernsehen nicht anders und mit dem Merkmal der Allgemeinheit im übrigen nicht gemeint. Die Allgemeinheit bildet sich vielmehr aus der Gesamtheit aller Empfangerhaushalte. Diese könnten bei Videokassetten allenfalls dadurch individuell abgegrenzt sein, daß die Kassetten durch privatrechtliche Rechtsgeschäfte, nämlich Vennietung 177

BVerfGE 35, 202 (222) - Lebach; vgl. auch BVerfGE 25, 296 (307).

So auch H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 71; Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 62; H. Bethge, in: Fuhr/Rudolf/Wasserburg (Hrsg.), Recht der Neuen Medien, S. 74 ff. (95 f.); Chr. Schwarz-Schilling, ZUM 1989,487 ff. (489), wenngleich sich diese Quellen noch auf den Rundfunkgebührenstaatsvertrag alter Fassung als Träger der Legaldefinition beziehen. 179 R. Schotz, Audiovisuelle Medien, S. 34; ähnlich auch R. Herzog, in: MaunzlDürig, Art. 5 I, 11 Rdnrn. 198, 195. 178

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

und Verkauf, an die Empfänger vertrieben werden. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß es sich bei der Empfängerschaft um eine beliebige Öffentlichkeit handelt; nur dies ist für das Merkmal der Allgemeinheit ausschlaggebend. Die Rezipienten von Videofilmen bilden in gleicher Weise eine beliebige Öffentlichkeit wie die Rezipienten von Hörfunk und Fernsehen, obwohl letztere zumindest in gebührenrechtlicher Hinsicht individuell feststellbar sind und dadurch von der Gruppe der Nicht-Rundfunkteilnehmer "abgrenzbar" sind. Entscheidend ist einzig, daß jedermann, der den Wunsch dazu' hegt, Rundfunk empfangen kann. Genauso kann jeder, der dies möchte, Videokassetten rezipieren. Er muß lediglich als Vorleistung einen Videorecorder erwerben. Dies ist jedoch bei Hörfunk und Fernsehen durch das Erfordernis eines Empfangsgerätes nicht anders und im übrigen auch deswegen unschädlich, weil die Preise für Videorecorder nicht so hoch sind, daß sie für einen überwiegenden Teil der Bevölkerung unerschwinglich wären, sondern mit den Anschaffungskosten für Fernsehempfangsgeräte vergleichbar sind. Es fehlt für die Zuordnung zum Rundfunk bei Videokassetten jedoch an dem Merkmal der körperlosen Verbreitung durch physikalische Wellen. IBO Zwar geschieht die Übermittlung der Bild- und Tonsignale vom Videorecorder zum Fernsehgerät, auf dem die Sichtbarmachung erfolgt, körperlos mittels elektronischer Wellen längs eines Verbindungskabels. 181 Hierbei handelt es sich jedoch nur um die näheren Modalitäten des Abspielvorgangs, die unbeachtlich sind. Entscheidend ist statt dessen der Verbreitungs vorgang. Dieser erfolgt mittels der Videokassette in verkörperter Form. 182 Daß der Inhalt der Videokassette auf einem Fernsehgerät sichtbar gemacht wird, ist nicht von Bedeutung, sondern stellt sich als unbeachtliche Nebennutzung des Fernsehgerätes dar. Bespielten Videokassetten fehlt es somit an dem für den Rundfunk typischen Übertragungsverfahren. 183 Einer Gegenansicht zufolge soll der technischen Art und Weise der Verbreitung des Rundfunks keine wesentliche Bedeutung zukommen. Sie soll als entscheidendes Abgrenzungskriterium ungeeignet sein, so daß für das Medium Video im Ergebnis eine Zuordnung zum Rundfunk bejaht wird. l84 Zur Begründung wird das Bundesverfassungsgericht zitiert, welches im ersten Fernsehurteil ausführte, daß die Übertragungstechnik des Rundfunks heutzutage in den Hintergrund getreten ist und der Benutzung fernmeldetechnischer Einrichtung für den Rundfunk nur noch untergeordnete, dienende Funktion zukommt. 185 Außerdem betont IBO

H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 82.

181

Vgl. dazu auch M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 193.

182

So auchR. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 34.

183

Vgl. auch ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 730.

184

G. Koch, Zur Frage der Zuordnung, S. 309 ff.

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

125

diese Ansicht, daß zwischen Presse, Rundfunk und Film noch andere tiefgreifende Unterschiede bestünden als lediglich die technischen Besonderheiten, so daß es willkürlich sei, gerade den fernmeldetechnischen Aspekt als wesentlich herauszuheben. 186 Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar die fernmeldetechnische Komponente des Rundfunks in den Hintergrund gerückt; damit hat es diese jedoch nicht völlig aus dem Begriffsinhalt des Rundfunkbegriffs ausgeschlossen. 187 Die typische Übertragungsweise des Rundfunks ist nach wie vor als sein besonderes Kennzeichen anzusehen und gibt dem Rundfunk sein ihm eigenes Gepräge. Sie ist daher für den Rundfunk begriffswesentlich. 188 Allein auf die technischen Einzelheiten kommt es dabei weniger an. Aus diesem rundfunktypischen körperlosen Verbreitungsverfahren durch physikalische Wellen resultieren einige der Wesensmerkmale des Rundfunks wie dessen massenhafte gleichzeitige Verminlungsfähigkeit: Die vom Programmveranstalter ausgestrahlte Sendung wird im gesamten Sendegebiet von jedem Empfänger zur seI ben Zeit und zwar zeitgleich mit der Ausstrahlung empfangen. 189 Dadurch hat der Rundfunk: einen hohen Aktualitätswert, der besonders bei Direktübertragungen (Live-Sendungen) wichtiger Ereignisse deutlich wird. 190 Folge der körperlosen Verbreitung ist auch die Flüchtigkeit des Programms. 191 Es ist ohne Zuhilfenahme anderer Medien beim Empfänger nicht reproduzierbar. Demgegenüber steht beim Medium Video die materiale Verkörperung des Videofilms auf der Kassette als typisches Merkmal im Vordergrund. 192 Dies hat weder Flüchtigkeit des Inhalts noch Gleichzeitigkeit der Inhaltsvermittlung zur Folge. Somit ist als Ergebnis festzustellen, daß mangels rundfunktypischer Übertragungsweise bespielte Videokassetten dem Rundfunk nicht zugeordnet werden können. 186

BVerfGE 12,205 (227) - Deutschland-Fernsehen. G. Koch, Zur Frage der Zuordnung, S. 311.

187

Vgl. dazu ausführlichM. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 202 f.

185

188 So die h. M., vgl. G. Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 33; P. Lerche, Rundfunkrnonopol, S. 21; W. Lieb, Kabelfernsehen und Rundfunkgesetze, S. 91; G. Papistella, DÖV 1978,495 (497); P. Tettinger, Neue Medien, S. 21 f.; M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 203. 189 Dazu vgl. G. Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 230; W. Schmidt, ZRP 1980, 132 ff. (135); W. Lieb, Kabelfernsehen und Rundfunkgesetze, S. 89 f. 190 M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 137; W. Lieb, Kabelfernsehen und Rundfunkgesetze, S. 221 f. 191 Dazu R. Schotz, Audiovisuelle Medien, S. 35; G. Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 230 f., 307; W. Lieb, Kabelfernsehen und Rundfunkgesetze, S. 223; D. Stammler, AfP 1978, 123 ff. (128); W. Schmidt, ZRP 1980, 132 ff. (135). 192 Vgl. auch R. Schotz, Audiovisuelle Medien, S. 35; H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 82.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß Rundfunkanstalten bei der Erstellung ihrer Programme selbst zu einem großen Anteil die Videotechnik in der Form von MAZ-Aufzeichnungen einsetzen. Dadurch wird der Vorgang der Programmübermiulung als solcher nicht berührt. Es handelt sich statt dessen um einen rein internen Bezug auf die Studiotechnik, der für die . . 193 Frage der Z uordnung ungeeignet 1St. Ebenfalls unbeachtlich für die Zuordnung ist es, wenn sich Rundfunkanstalten selbst als Vertreiber bespielter Videokassetten betätigen oder über Tochtergesellschaften an einem solchen Vertrieb beteiligt sind. Derartige Betätigungen194 unterfallen nicht dem Programmbetrieb der Rundfunkanstalten, sondern stellen wirtschaftliche Nebenerwerbs- oder -verwertungstätigkeiten dar, die für die Frage der Zuordnung nicht ins Gewicht fallen. 195

5. Der Begriff des Films im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG a) Der Filmbegriff in einfachen Gesetzen Als letztes der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bleibt die Filmfreiheit zu behandeln. Anders als bei Presse und Rundfunk gibt es für die Ermittlung des verfassungsrechtlichen Filmbegriffs keine Anknüpfungspunkte im einfachen Recht. Die bestehenden den Film betreffenden einfach-gesetzlichen Regelungen enthalten keine gesetzliche Begriffsbestimmung, sondern setzen den Begriff des Films voraus. So erstreckt das Urheberrechtsgesetz seine Geltung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 6 auch auf Filmwerke, deren urheberrechtlicher Schutz in den §§ 88 ff. UrhG ausgestaltet wird, ohne daß jedoch eine Definition für Filmwerke gegeben wird. Auch das Filmförderungsgesetz (FFGi 96 hilft nicht weiter. Es enthält zwar in § 15 FFG einige Begriffsbestimmungen; so zur Frage, wann ein Film prograrnmfüllend und wann ein Film als deutscher Film anzusehen ist. Es bestimmt allerdings nicht den Begriff des Films als solchen. Ebenso verhält es sich mit dem Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG). § 6 JÖSchG regelt den Jugendschutz bei der öffentlichen Vorführung von Filmen, § 7 JÖSchG regelt den Jugendschutz in bezug auf 193 Siehe dazu auch H. BisTIUlrk, Neue Medientechnologien, S. 83; R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 33 f.; M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 205 f. 194 Zu Verflechtungen der Rundfunkanstalten WDR und SDR mit einem Anbieter bespielter Videokassetten, der in sein Programm zeitweilig auch von der Bundesprüfstelle indizierte Horror- und Sexfilme aufgenommen hatte, vgl. BPS-Report 4/1985, S. 14 f. 195 H. BisTIUlrk, Neue Medientechnologien, S. 83 f.; R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S.33. 196 Gesetz über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Filmförderungsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Nov. 1986 (BGBl. I, S. 2046 ff.).

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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bespielte Videokassetten, Bildplatten und vergleichbare Bildträger - jeweils ohne nähere Begriffsbestimmung. Damit werden zwar für Filme und Videokassetten gesonderte Regelungen getroffen; eine Trennung auf begrifflicher Ebene wird damit jedoch nicht impliziert. Denn § 6 Abs. 5 JÖSchG bestimmt, daß die Regelungen des § 6 "für die öffentliche Vorführung von Filmen unabhängig von der Art der Aufzeichnung und Wiedergabe" gelten. Daher kommt es weder darauf an, ob der Film auf Zelluloid oder Magnetband gespeichert wird, noch ob er auf einer Leinwand oder einem Bildschirm wiedergegeben wird, so daß auch bespielte Videokassetten diesem Filmbegriff unterfallen, soweit sie öffentlich vorgeführt werden. 197 Für den Bereich des Jugendschutzes ergeben sich daraus Anhaltspunkte für einen grundsätzlich weiten Filmbegriff. b) Der verfassungsrechtliche Filmbegriff aa) Wortbedeutung und Entstehungsgeschichte

Von der Wortbedeutung her bezeichnete der Begriff "Film" zunächst das fotografische Speichermaterial, den Filmstreifen, der während der Filmaufnahmen belichtet und dadurch zum Bildträger wird. Sodann wird der Begriff für das durch die Filmaufnahmen geschaffene und auf dem Bildträger verkörperte Werk verwendet. "Film" in diesem Sinne bezeichnet die auf dem Filmstreifen erstellte schöpferische Gestaltung. Schließlich dient Film auch als abstrakter Begriff zur Bezeichnung des Filmwesens insgesamt in seinem wirtschaftlichen und künstlerischen Tätigkeitsfeld. 198 Den Materialien zum Grundgesetz l99 läßt sich keine ausdrückliche Begriffsbestimmung des Films entnehmen. Der Parlamentarische Rat hielt eine ausdrückliche Definition nicht für erforderlich. Der Film hatte als Massenmedium ein Erscheinungsbild, das bei den Verhandlungen zum Grundgesetz bereits seit geraumer Zeit fest umrissen war. Dieses Erscheinungsbild kann durch einen Blick auf die geschichtliche Entwicklung des Films verdeutlicht werden, was zudem der weiteren Begriffsfmdung dienlich sein wird. Jene Entwicklung begann im Jahre 1895, als die Gebrüder Lumiere mit ihrem "Cinematographen" in Paris die erste öffentliche Filmvorführung veranstalteten. 200 Das Konzept der laufenden Bilder beruhte auf unter197 Vgl. auch GernertlStoffers, § 6 JÖSchG, Anm. zu Abs. 1 (S. 81 f.) u. Abs. 5 (S. 99); H. v. Hartlieb, Handbuch, 10. Kap. Rdnr. 3. 198 G. RoeberlG. Jacoby, Handbuch der filmwirtschaftlichen Medienbereiche, S. 51; J. Wilke, in: E. Noelle-Neumann u.a. (Hrsg.), Publizistik, S. 15.

199

VgLJÖR Bd. 1 (1951), S. 79 ff.

200

F. v. Zglinicki, Der Weg des Films, S. 215 ff.; J. Monaco, Film verstehen, S. 218 f.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

schiedlichen Erfindungen, die verschiedenen Urhebern zugeschrieben werden. 201 Wesentliche Entwicklungsarbeiten wurden dabei in den USA von Thomas Edison geleistet. Im Hinblick auf die Filmwiedergabe jedoch hatte er zunächst einen anderen Weg eingeschlagen als die Gebrüder Lumiere, die Filme vor ihrem Publikum auf einer großen Leinwand projizierten. Edison hatte 1892 das "Kinetoskop" entwickelt, einen schrankgroßen Apparat, der jeweils einer Einzelperson das Betrachten eines in ihm abgespielten Films ermöglichte. 202 Dieses Konzept sollte sich jedoch nicht durchsetzen, sondern wich der Filmvorführung nach Art der Gebrüder Lumiere mittels eines Projektors auf eine große Leinwand. Filmvorführungen waren in der Anfangszeit Attraktionen in Variete-Theatern, auf Rummelplätzen und im Zirkus; sie wurden von Schaustellern veranstaltet, die mit ihren Apparaturen durch die Lande zogen. 203 Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts wandelte sich das Erscheinungsbild des Kinos von einer Jahrmarktattraktion zu einer eigenständigen Wirtschafts- und Kunstform. Hatten die ersten Filme anfangs noch aus kurzen Dokumentaraufnahmen bestanden (mit Titeln wie: "Fabrikarbeiter verlassen das Lumiere-Werk", oder: "Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof von Ciotat") und wurden dann später vielfach kleine Humoresken hergestellt (die damals beliebten Slapstick-Komödien), so markierten insbesondere die Werke von D. W. Griffith den Übergang zum abendfüllenden Langfilm. 204 Griffith' Filme "Birth of a Nation" (1915) und "Intolerance" (1916) begründeten dabei in vielen Aspekten von Kameraführung und Schnittechnik die noch heute gültigen Stilmittel des Films. In zunehmendem Maße wurden ortsfeste Filmtheater gegründet. Schon während des Ersten Weltkriegs wurden die Filmprogramme von Wochenschauen eingeleitet, die aktuelle Berichterstattungen von den damaligen Kriegsschauplätzen lieferten.2os Im Jahre 1929 wurde der Tonfilm eingeführt. Damit konnte sich der Film endgültig als breites Massenunterhaltungs- und Informationsmedium etablieren. Nachdem die Filmwirtschaft in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland vollständig in staatliche Hände übergegangen war,206 wurde der Film aufgrund 201 Namen, die in diesem Zusammenhang genannt werden, sind neben den Gebrüdem Lumiere: Louis Le Prince, Thomas A. Edison, Max Skladanowsky, Oskar Meßter. Siehe dazu näher P. Kandorfer, Filmgestaltung, Abschn. 2.2; J. Monaco, Film verstehen, S. 218 ff.; F. v. Zglinicki, Der Weg des Films, S. 194 ff., 201 ff., 232 ff. 202 P. Kandorfer, Filmgestaltung, Abschn. 2.2; J. Monaco, Film verstehen, S. 218 f. 203 F. v. Zglinicki, Der Weg des Films, S. 295 ff. 204 J. Monaco, Film verstehen, S. 215,256 ff. 20S F. v. Zglinicki, Der Weg des Films, S. 330 ff. (337 ff.). 206 Siehe dazu das Gesetz über die Errichtung einer vorläufigen Filmkammer vom 14. 6. 1933 (RGBI. I, S. 483) und das Lichtspielgesetz vom 16. 2. 1934 (RGBI. I, S. 95); siehe dazu im einzelnen auch F. CourtadelP. Cadars, Geschichte des Films im Dritten. Reich, S. 21 ff.

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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seiner Massenwirksamkeit vor allem für die Zwecke des NS-Regimes eingesetzt. Propagandaminister Joseph Goebbels verdeutlichte die damalige Rolle des Films mit folgenden Worten: "Wir sind der Überzeugung, daß der Film eines der modernsten Mittel zur Beeinflussung der Massen ist. Eine Regierung darf daher den Film nicht sich selbst überlassen.,,207 "Der Film ist kein bloßes Unterhaltungsmittel, er ist ein Erziehungsmittel. ... Allerdings ist es dabei sehr ratsam, diese pädagogische Aufgabe zu verschleiern, sie nicht sichtbar zutage treten zu lassen, nach dem Grundsatz zu handeln, daß wir die Absicht nicht merken sollen, damit man nicht verstimmt wird.,,208 Zur Erreichung dieses Zwecks war das nationalsozialistische Filmwesen nicht nur von strenger staatlicher Zensur geprägt, sondern die Beeinflussung erstreckte sich schon im Vorfelde auf Drehbuchentwürfe und die Planung von Filmvorhaben.209 Der NS-Staat erteilte auch ganz gezielt Aufträge, bestimmte Filme mit bestimmter momentan erwünschter Tendenz herzustellen. 210

207 Ansprache 1. Goebbels' am 9.2. 1934 vor Filmschaffenden, zitiert nach P. Kandorfer, Filmgestaltung, Abschn. 1.2 (S. 23). 208 Rede Goebbels' anläßlich der Kriegstagung der Reichsfilmkammer am 15.2. 1941, abgedr. bei: G. Albrecht (Hrsg.), Der Film im 3. Reich, S. 70 ff. (75 f.), auch im Vorwort des Herausgebers, Abschn. III. 209 Das Lichtspielgesetz vom 16.2.1934 (RGBI. I, S. 95) enthielt folgende Bestimmungen: § l. Spielfilme, die in Deutschland hergestellt werden, müssen vor der Verfilmung dem Reichsfilmdramaturgen im Entwurf und im Drehbuch zur Begutachtung eingereicht werden .... § 2. Der Reichsfilmdramaturg hat folgende Aufgaben: 1. die Filmindustrie in allen dramaturgischen Fragen zu unterstützen, 2. die Filmherstellung bei dem Entwurf (Manuskript) und bei der Umarbeitung von Filmstoffen zu beraten, 3. Filmstoffe, Manuskripte und Drehbücher, die ihm von der Industrie vorgelegt werden, daraufhin vorzuprüfen, ob ihre Verfilmung mit den Bestimmungen dieses Gesetzes vereinbar ist, 4. die Hersteller verbotener Filme bei der Umarbeitung zu beraten, 5. rechtzeitig zu verhindern, daß Stoffe behandelt werden, die dem Geist der Zeit zuwiderlaufen. 210 So bekam der Regisseur Veit Harlan von Reichsminister Goebbels im Jahre 1943 eine Anweisung mit folgendem Wortlaut: "Hiermit beauftrage ich Sie, einen Grossfilm , Kolberg , herzustellen. Aufgabe dieses Films soll es sein, am Beispiel der Stadt, die dem Film den Titel gibt, zu zeigen, dass ein in Heimat und Front geeintes Volk jeden Gegner überwindet. Ich ermächtige Sie, alle Dienststellen von Wehrmacht, Staat und Partei, soweit erforderlich, um ihre Hilfe und Unterstützung zu bitten und sich dabei darauf zu berufen, dass der hiermit von mir angeordnete Film im Dienste unserer geistigen Kriegsführung steht." (abgedr. bei: V. Harlan, Im Schatten meiner Filme, S. 183). 9 Meirowitz

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

bb) Die Funktion des Films im Kommunikationsprozeß Der Mißbrauch des Mediums Film für propagandistische Zwecke in der NS-Zeit erhellt die Schutzrichtung, die das Grundgesetz der Filmfreiheit zunächst zuweist. Der Grundrechtsschutz der Filmfreiheit verbietet zuvorderst jegliche staatliche Einflußnahme und gewährleistet ein freiheitliches Filmschaffen. Dies geschieht der Funktion wegen, die der Film mit den anderen Massenmedien des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG teilt. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet den Film im Lüth-Urteil aus dem Jahre 1958 als Massenunterhaltungsmittel, das fast gleichzeitig Millionen von Zuschauern im In- und Ausland erreicht,211 und stellt ihn damit von der Reichweite her auf die gleiche Stufe wie die Massenmedien Presse und Rundfunk. Durch die Entwicklung des Fernsehens hat jedoch der Film als Medium der Information und Meinungsbildung im öffentlichen Leben an Bedeutung verloren. Betrug die Anzahl der jährlichen Filmbesuche in der Bundesrepublik im Jahre 1956 noch 817 Millionen, so liegt sie im Jahre 1991 bei 119 Millionen Besuchern pro Jahr. Die Zahl der durchschnittlichen Filmbesuche pro Einwohner betrug 195615,1 für das Bundesgebiet und 28,0 für Berlin (West); im Jahre 1991 war diese Zahl auf 1,5 (alte und neue Bundesländer) gesunken. 212 Gehörten früher zu einer Filmveranstaltung neben dem Hauptfilm auch ein Vorprogramm mit Kulturfilm und Wochenschau, so sind diese Bestandteile heute aus dem Filmtheater verschwunden. Der Film hat sich zu einem Medium entwickelt, das an mehr oder weniger breite Zielgruppen gerichtet ist, vorwiegend an ein jüngeres Publikum. Den Altersgruppen der 14-19jährigen und der 20-29jährigen gehören insgesamt rund 75 Prozent der heutigen Kinobesucher an. 213 Insofern wird der Filmfreiheit derzeit neben der Presse- und Rundfunkfreiheit zuweilen nur ein geringer Stellenwert beigemessen. 214 Dem Film wird dabei insbesondere auch das "spezifisch politische Moment" von Presse und Rundfunk abgesprochen. 215 Dies scheint dadurch Bestätigung zu finden, daß das Bundesverfassungsgericht noch keine grundsätzlichen Aussagen zur Filmfreiheit treffen mußte. 211 BVerfGE 7, 198 (228) v. 15. 1. 1958. Das Urteil betraf einen Boykouaufruf von Erlch Lüth gegen einen Nachkriegsfilm des Regisseurs Veit Harlan, der in der NS-Zeit durch "Kolberg" und ,,Jud Süß" bekanntgeworden war. 212 Die Zahlen entstammen dem Statistischen Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1958, S. 94 und dem Filmstatistischen Taschenbuch 1992, Tabelle 31. 213 Filmstatistisches Taschenbuch 1992, Tabelle 30; vgl. auch B. Frank, Media Perspektiven 1985,784; H. Lukesch, Jugendmedienstudie, S. 152. 214 ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, H, Rdnr. 28; W. Leisner, DÖV 1967, 693 ff. (698 f.). 215 U. Scheuner, VVDStRL 22 (1965), 1 ff. (13).

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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Diese Sichtweise ist jedoch zu eng. Sie läßt außer Acht, daß der Film zumindest ein politisches Potential aufweist. Wenn dies auch nicht immer realisiert wird, so ist der Film von seiner Natur her doch jederzeit in der Lage, zum Faktor der öffentlichen Meinungsbildung zu werden. 216 Viele Filme, insbesondere viele Werke des neuen deutschen Films, sind von der ausdrücklichen Absicht getragen, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten. 217 Der sogenannte engagierte Film will nach seinem Selbstverständnis das Publikum gerade nicht mit reiner Unterhaltung zerstreuen, sondern will beim Zuschauer Denkprozesse in Gang setzen. Gesellschaftlich und politisch relevante Themen werden präsentiert, problematisiert, und später oftmals von anderen Medien aufgegriffen und diskutiert. Filme können durch ihre Inhalte zuweilen harte Kontroversen auslösen. Immer wieder geschieht es, daß Filme in der Gesellschaft Proteste hervorrufen oder daß sie von gesellschaftlichen Gruppen regelrecht bekämpft werden. 218 Aber selbst wenn ein Film nicht ausdrücklich politisch oder gesellschaftlich relevante Themen behandelt, kann er zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen. Wie oben beim Rundfunk erwähnt, beschränkt sich Meinungsbildung dort nicht auf Nachrichtensendungen oder Dokumentationen, sondern geschieht darüberhinaus auch in Fernsehspielen, musikalischen Darbietungen oder Unterhaltungssendungen?19 Diese auf den Rundfunk bezogene Feststellung gilt in gleicher Weise für den Film. Wie das Beispiel der NS-Zeit verdeutlicht, wurde damals die Möglichkeit der "indirekten" Meinungsbildung durch den Film erkannt und zielgerecht instrumentalisiert. Diese Fähigkeit hat der Film nicht verloren. 220 216 Ähnlich auch H. Bismark, Neue Medientechno1ogien, S. 111 f.; ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 736. 217 Als Beispiele seien genannt: ,,40 qm Deutschland" (1986) von Tevfik Baser als Beitrag zur Situation von Ausländern in der Bundesrepublik; "Der Kandidat", ein abendfüllender Dokumentarfilm aus dem Wahljahr 1980 über den Kanzlerkandidaten der CDU/CSU Franz J. Strauß; "Deutschland im Herbst", ein Gemeinschaftswerk mehrerer Regisseure aus dem Jahre 1977, einem Jahr, das von terroristischen Gewalttaten gezeichnet war; "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", von Volker Schlöndorf (1975) nach der Kurzgeschichte von Heinrich Böll. 218 Aus früheren Zeiten ist auf die Aktivitäten der "Aktion Saubere Leinwand" zu verweisen, die sich gegen Filme wie "Die Sünderin" richteten, oder auf die Kontroversen um den Ingmar Bergmann Film "Das Schweigen" aus dem Jahre 1962. Beispiele aus jüngerer Zeit sind der Film "Die rote Flut" (1984), der eine Invasion der USA durch die UdSSR schilderte und dessen Aufführung von Gruppen der Friedensbewegung militant und erfolgreich bekämpft wurde, oder der Martin Scorsese Film "Die letzte Versuchung Christi" (1988), der zu Protesten religiöser Fundamentalisten führte. 219 Siehe BVerfGE 12,205 (260) - Deutschland-Fernsehen; 31,314 (326) - Umsatzsteuer; 35, 202 (222) - Lebach; 57,295 (319) - Freie Rundfunk AG (FRAG) im Saarland; 59, 231 (258) - Freie Mitarbeiter (WDR); 73, 118 (152) - Niedersächsisches Landesrundfunkgesetz. Siehe auch oben S. 122. 220 J. Wilke, in: E. Noelle-Neumann u.a. (Hrsg.), Publizistik, S. 17, schreibt dazu: ,,Mit dem Film können propagandistische Ziele in ästhetisch anspruchsvoller, ja raffinierter 9·

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Auch heute können Filme vordergründig der Unterhaltung dienen und etwa zu einem Ausflug in ferne Science Fiction- oder Fantasy-Welten einladen oder sich in das Genre des Westerns oder Kriminalfilms einkleiden und dennoch mittelbar einen Beitrag zu Problemen des Zeitgeschehens leisten. Bestimmte Charaktere, bestimmte Handlungsweisen oder bestimmte Nationen 221 können je nach Tendenz als positiv oder negativ herausgestellt werden; insbesondere Gewaltanwendung kann durch einen Film jeweils gerechtfertigt oder verurteilt werden. 222 Schließlich ist das Medium Film durch die Kombination von Bild und Ton nach wie vor ein Medium von hoher Suggestivkraft. Durch zielgerichteten Einsatz der filmischen Stilelemente Kameraführung, Beleuchtung, Schnittechnik (Montage) und Musik kann die Wirkungskraft des Films noch gesteigert werden. 223 Die Vorführung im Filmtheater ist zudem so gestaltet, daß das Filmerlebnis durch keinerlei Störfaktoren beeinflußt wird. Die Projektion erfolgt auf eine große blickfeldfüllende Leinwand in abgedunkeltem Raum ohne Fremdgeräusche. Der Film wirkt auf diese Weise hauptsächlich emotional. Er spricht die Sinne des Zuschauers an, bevor dieser in der Lage ist, seine Intellekt einzusetzen. Der Film hat somit nach wie vor die Fähigkeit, auf die öffentliche Meinungsbildung zu wirken. 224 ee) Die Elemente des Filmbegriffs

Von diesem Ausgangspunkt aus sind die Elemente des verfassungsrechtlichen Filmbegriffs zu umschreiben. Film wird in der Literatur meist von seinem herkömmlichen Erscheinungsbild her definiert. Als Film werden danach zur Projektion bestimmte Bilderreihen angesehen, die auf Zelluloid oder ähnlichem Trägermaterial fixiert sind. 225 Zusätzlich wird herausgestellt, daß auch der Ton in den Form verfolgt werden; und die Absicht der suggestiven Beeinflussung läßt sich mit dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums wirkungsvoll in Einklang bringen." 221 Im amerikanischen Film war dies häufig die Sowjetunion. Siehe als Beispiel etwa Filme wie "Die rote Flut" oder "Rambo m". Die Aufführung des Michael Cimino-Films "The Deer Hunter" auf den Berliner Filmfestspielen 1979 führte dazu, daß der Ostblock wegen der Darstellung des Vietkong in diesem Film die Teilnahme an den Festspielen absagte. Zuvor hatte im Jahre 1970 der Vietnam-Film "OK" von Michael Verhoeven auf den Festspielen zu Spannungen geführt; damals fühlten sich allerdings die USA durch jenen Film brüskiert. 222 Als Beispiel sei auf den Film "Ein Mann sieht rot" verwiesen, der eine Serie von Selbstjustizfilmen einleitete. 223 Zur Psychologie des Films siehe näher P. Kandorfer, Filmgestaltung, Abschn. 1.4. 224

S.34.

So auch H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 79 f.; P. Bär, Filmfreiheit,

225 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 198; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 61 zu Art. 5; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 99; R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 36.

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Filmbegriff einbezogen ist, daß also neben dem Bildstreifen auch das entsprechende Tonband oder die Tonspur erfaßt werde. 226 Bezüglich der Verbreitung an die Allgemeinheit wird häufig gefordert, daß diese durch öffentliche Vorführung im Filmtheater erfolgen müsse. 227 Die Begriffsbestimmung hat zutreffend vom herkömmlichen Herstellungsund Verbreitungsverfahren des Films auszugehen, ohne jedoch die Verfassung auf einen bestimmten technischen Stand festzuschreiben. Film ist von seinem Wesen her ein audiovisuelles Medium, das auf einem Trägermaterial verkörpert ist und zur Sichtbarmachung einen technischen Vorführprozeß erfordert. Herkömmlicherweise geschieht diese Verkörperung durch Bilderreihen und Tonspur auf einem Filmstreifen und die Sichtbarmachung durch Projektion der Bilder auf eine Leinwand und Abspielen des Tons. Sollten allerdings andere technische Verfahren das gleiche bewirken, so wären auch sie umfaßt. 228 Dies gilt zunächst für die elektronische Speicherung von Bild und Ton auf Magnetband; denkbar ist in Zukunft auch eine digitale Speicherung auf geeignetem Trägermaterial. Die Vorführung des Films ist ebenfalls nicht auf die optische Projektion beschränkt, sondern kann auch in anderen Formen auf einem Bildschirm erfolgen. Als audiovisuelles Medium besteht der Film aus den Komponenten Bild und Ton, wobei mit "Bild" das bewegte Bild gemeint ist. Typisch und bestimmend für den Film ist also das "lebende" Bild. Insofern wird auch der reine Stummfilm erfaßt, also allein die Bildkomponente ohne den Ton, was heute, da historisch bedingt, allerdings nur von geringer Bedeutung ist. Jedoch unterfallt reiner Ton ohne die Bildkomponente nicht dem Filmbegriff. Die Mitwirkung an der öffentlichen Meinungsbildung ist nur möglich, wenn der Film in der Öffentlichkeit verbreitet wird. Die Verbreitung in der Öffentlichkeit ist somit Bestandteil des verfassungsrechtlichen Filmbegriffs. Der Film erreicht diese Verbreitung durch das Moment der Kopierbarkeit und der Reproduzierbarkeit. Von dem Originalexemplar des Filmwerks werden zur Verbreitung mehrere Kopien angefertigt. Diese werden wiederholt vorgeführt, das heißt, der darauf gespeicherte Inhalt reproduziert. Die Vorführungen erfolgen vor wechselndem unbestimmten Publikum. So erreicht der Film seine Massenwirksarnkeit. Daher fällt der Schmalfilm des Filmamateurs trotz Identität des Substrats nicht unter 226 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 a.a.O.; ehr. Starck, M/K./S, Art. 5 I, 11 a.a.O.; R. Scholz, a.a.O.

227 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 a.a.O.; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 a.a.O.; H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 77 ff.; vgl. auch M. Bullinger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 142 Rdnm. 5, 86. 228 Vgl. auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 198; ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 731; H. D. Jarass, in: Iarass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 41; R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 39; M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 225.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

den verfassungsrechtlichen Filmbegriff. Denn der selbst gedrehte Amateurfilm wird nicht als Massenmedium genutzt, da keine Kopien angefertigt werden und das Original nur im privaten Kreis vorgeführt wird. Eine Verbreitung in der Öffentlichkeit vor einem unbestimmten Publikum findet dabei nicht statt. 229 Der Schmalfilm des Filmamateurs findet seinen Schutz vielmehr durch die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz I GG. Das Merkmal der Verbreitung in der Öffentlichkeit verlangt nicht, daß diese ausschließlich auf eine öffentliche Vorführung im Filmtheater beschränkt ist. Dies ist zwar die klassische Form der Verbreitung von Filmen. Sollte ein gleicher Verbreitungsvorgang jedoch auf andere Weise erzielt werden, so führt dies nicht allein deshalb zum Herausfallen aus dem Filmbegrifr,230 Die Grenze ist erst dort erreicht, wo vom Wesen her ein anderes Massenmedium genutzt wird: So ist die Ausstrahlung von Spielfilmen im Fernsehen Rundfunk und nicht mehr Film. 231 Das Kriterium der öffentlichen Vorführung wird von einer Gegenansicht als notwendiges Erfordernis des Filmbegriffs angesehen. 232 Zur Begründung wird angeführt, daß die öffentliche Vorführung auf einer Leinwand vor größerem Publikum die spezifisch mediale Form des Films sei. Schon die historische Entwicklung bestätige dies, da der Film von seinen Anfängen an vor Publikum öffentlich vorgeführt worden sei. Die Vorführung im Filmtheater auf einer großen Leinwand führe zu einer anderen Erlebensqualität als etwa die Sichtbarmachung auf einem kleinen Fernsehschirm. Der Film werde von seinen Ausdrucksformen her gerade für die Vorführung im Filmtheater konzipiert. Das dort erzielte Gemeinschaftserlebnis des Publikums sei prägend für die kommunikative Wirkungsweise des Films. Auch die Struktur der Filmwirtschaft, das heißt die Glie229 So auch ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 734. Andere Ansicht: R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 37 f., der auch den "privat hergestellten und/oder zur Vorführung gelangenden Film" unter Art. 5 I 2 GG fallen läßt. Hierbei differenziert er jedoch nicht zwischen selbst hergestelltem Schmalfilm und dem für die private Vorführung gekauften oder gemieteten fremdproduzierten Schmalfilm. Der erste ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, letzterer dagegen wohl. Seine Öffentlichkeit besteht in der Vielzahl der privaten Haushalte, die ihn erwerben. 230 H. D. Jarass, in: Jarass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 41. So im Ergebnis auch H. v. Hartlieb, Handbuch, I. Kap. Rdnr. 2. Für ihn ergibt sich dies allerdings dadurch, daß er den Begriff der öffentlichen Vorführung des Films extrem weit faßt und dadurch überdehnt: Seiner Ansicht nach sollen auch Femsehausstrahlungen eine öffentliche Filmvorführung darstellen. Gleicher Ansicht auch H. G. Bamberger, Einf. in das Medienrecht, S. 5. 231 R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 61 zu Art. 5; ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 28; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 99; ders., NJW 1980, 1359 ff. (1363). 232 ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 99; H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 80; M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 178; M. Bullinger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 142 Rdnm. 3,5.

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derung in die Sparten Produktion, Verleih, Filmtheater zeige die Bedeutung der theatermäßigen Vorführung für den Film. Zudem zielten frühere Zensurbestimmungen gerade auf die öffentliche Vorführung im Filmtheater ab. 233 Diese Argumente überzeugen letztlich jedoch nicht. Aus früheren Zensurbestimmungen läßt sich für die vorliegende Problematik nichts entnehmen, da sie aus einer Zeit stammen, in der andere Verbreitungswege als das Filmtheater für den Film nicht existent und auch nicht vorhersehbar waren. Die historische Entwicklung hat mit dem bereits auf S. 128 erwähnten "Kinetoskop" von Edison vielmehr gezeigt, daß die Projektion auf eine Leinwand vor größerem Publikum nicht die einzige Möglichkeit ist, Filme der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie ist allerdings, und das ist unbestritten, die qualitativ beste und ästhetisch ansprechendste. Bestimmte technische Eigenschaften des Films wie Breitwandformat und Raumklang sind gerade auf die Vorführung im Filmtheater zugeschnitten. Der Filmbegriff des Grundgesetzes umschreibt den Film jedoch als Massenkommunikationsmedium, ohne daß es dabei auf eine bestimmte, wenngleich wünschenswerte Qualität der Darbietung ankommen kann. Denn das Grundgesetz gewährleistet die Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 I 2 nicht um der ästhetischen, sondern um der kommunikativen Wirkungsweise der Massenmedien willen. Viele Filme werden in der Praxis auch nicht mehr auf die Vorführung im Filmtheater hin konzipiert, sondern da ihre spätere Rundfunkausstrahlung bereits fest eingeplant ist,234 werden sie so gestaltet, daß sie auch auf dem Fernsehschirm angemessen zur Geltung kommen können. Das Publikum eines Filmtheaters rezipiert den vorgeführten Film zwar gleichzeitig, aber nicht "als Gemeinschaft", sondern ein jeder für sich, anonym im dunklen Raum. Ein Gemeinschaftserlebnis ist vielmehr die Vorführung eines Fernseh- oder Videofilms in einer Gruppe, da dort während des Sehens gegenseitige Kommunikation stattfinden kann. Auch die Gliederung der Filmwirtschaft ist nicht aussagekräftig für den verfassungsrechtlichen Filmbegriff. Neue Vertriebswege bewirken die Bildung neuer Wirtschafts zweige, die dadurch die Wirtschaftsstruktur erweitern und verändern können. Die öffentliche Vorführung vor einem größeren Publikum im Filmtheater ist somit nicht unabdingbare Voraussetzung, sondern Regelbeispiel für den Filmbegriff. Die Filmfreiheit ist nicht verengt auf die Freiheit des Filmtheaters, sondern 233 Zum obigen vgl. H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 77 ff.; M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 175 ff. 234 Siehe dazu auch Teil 1, Abschnitt D III (S. 52). Das Fernsehen beteiligt sich häufig als Koproduktionspartner an der Herstellung neuer Spielfilme, um diese später nach der Kinoauswertung ins Programm nehmen zu können. Zuweilen wird zusammen mit der Kinofassung auch gleich eine mehrteilige Fernsehserie produziert (so geschehen bei dem Film "Das Boot" nach dem Roman von Lothar-Günther Buchheim).

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

postuliert eine "Freiheit für Filme". Damit ist nicht in erster Linie die Abspielstätte angesprochen, sondern das abgespielte Produkt. Wesentlich ist dessen Verbreitung an die Öffentlichkeit. Dies kann durch öffentliche Vorführung im Filmtheater oder auch durch andere Verbreitungskanäle erfolgen, solange diese nicht in den Bereich der anderen Massenmedien fallen. Was die inhaltliche Reichweite der Filmfreiheit anbelangt, so vertrat das Bundesverwaltungsgericht in älterer Rechtsprechung die Auffassung, daß dem Wortlaut der Verfassung streng zu folgen sei und demgemäß nur die "Freiheit der Berichterstattung durch ... Film" gewährleistet werde. 235 Berichterstattung durch Film sollte nur Wochenschauen und ähnliches erfassen. Kultur- und Dokumentarfilme sollten hingegen als Meinungsäußerung anzusehen sein. 236 Spielfilme, die eine frei erdachte Handlung wiedergeben, zu den in ihnen dargestellten Vorgängen aber selbst nicht Stellung nehmen, betrachtete es zunächst weder als Berichterstattung noch als Meinungsäußerung, so daß sie überhaupt nicht unter die Vorschriften des Art. 5 Abs. 1 fallen sollten. Stattdessen seien sie ungeachtet ihres künstlerischen Wertes Erzeugnisse der Kunst in gleicher Weise, wie etwa ein Roman oder ein Theaterstück, die erdachte Handlungen zum Gegenstand haben, ohne zugleich erkennbar eine bestimmte Stellung zu irgendwelchen Problemen zu beziehen. 237 Diese Ansicht hat das Gericht in einem späteren Urteil zu Recht jedoch korrigiert, indem es einräumte, daß nicht alle Erzeugnisse, die erdachte Handlungen zum Gegenstand haben, bereits deshalb Erzeugnisse der Kunst seien und auch keineswegs mit diesem Kriterium in den Rang eines Kunstwerkes erhoben werden sollten. So sollten zum Beispiel "Groschenromane" und ähnliches schon deshalb nicht unter den Begriff der Kunst fallen, weil sie selbst nicht den Anspruch erheben, als künstlerische Erzeugnisse bewertet zu werden. 238 Heute ist es dagegen allgemeine Ansicht, daß der Wortlaut "Berichterstattung durch ... Film" ebenso zu verstehen ist, wie schon bei der Rundfunkfreiheit beschrieben. 239 Danach unterfallen der Filmfreiheit nicht nur berichterstattende, sondern auch meinungsbildende Inhalte. Meinungsbildung kann sich auch beim Film in den verschiedensten Darstellungsformen vollziehen. 240 Somit unterfallen 235 Ebenso Hamann/Lenz, Anm. B 7 zu Art. 5; v. Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Anm. VII 3 zu Art. 5; F. Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Rdnr. I1b zu Art. 5. 236 BVerwGE23, 194 (199) vom 28. 1. 1966-DiePamir. 237

BVerwGE 1,303 (305) vom 21. 12. 1954 - Die Sünderin.

238

BVerwGE 23, 104 (106 f.) vom 12. 1. 1966 - Die Rechnung ohne den Wirt.

Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 99; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnm. 200 ff.; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 61 zu Art. 5; Chr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, H, Rdnm. 26 f.; H. D. Jarass, in: IarasslPieroth, Art. 5 Rdnr. 42. 240 Vgl. dazu schon oben S. 122. 239

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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nicht nur Wochenschauen und Dokumentarfilme, sondern insbesondere auch Spielfilme der Filmfreiheit.241 Bei künstlerischem Gehalt des Films kann die Filmfreiheit allerdings durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG verdrängt werden. 242 Gleiches gilt im übrigen auch bei Presse und Rundfunk. Die Filmfreiheit ist damit inhaltlich ebenso weit zu verstehen wie schon die Presse- und Rundfunkfreiheit. Sie umfaßt daher grundsätzlich auch Gewaltdarstellungen. dd) Ergebnis

Film im Sinne von Art. 5 I 2 GG erfaßt alle auf einem Trägermaterial verkörperten audiovisuellen Gedankenerklärungen, die zur Verbreitung an die Öffentlichkeit bestimmt sind, und zwar durch öffentliche Vorführung im Filmtheater oder auf ähnliche Weise. Inhaltliche Anforderungen bestehen darüberhinaus nicht, insbesondere ist der Schutz der Filmfreiheit nicht auf berichterstattende Filme beschränkt. c) Die Zuordnung bespielter Videokassetten In bestimmten Regelungsbereichen des einfachen Rechts werden bespielte Videokassetten dem Film zugeordnet. So unterfallen sie im Urheberrecht nach allgemeiner Ansicht den Filmwerken im Sinne des Urhebergesetzes. 243 Ähnlich verhält es sich im Bereich des Filmförderungsgesetzes (FFG). Dieses Gesetz regelt die wirtschaftliche Förderung des deutschen Films und schöpft seine Fördermittel aus einer Filmabgabe, die gemäß § 66 FFG den Veranstaltern gewerblicher Filmvorführungen abverlangt wird. Gemäß § 66a FFG wird auch Videotheken eine Filmabgabe auferlegt. 244 Insoweit werden herkömmlicher Film und Videofilm zumindest zur Erzielung des Mittelaufkommens für die Zwecke des Gesetzes gleichbehandelt. Diese Zuordnungen auf der Ebene des einfachen Rechts sind jedoch nur für den jeweiligen begrenzten speziellen einfach-gesetzlichen Regelungsraum von Bedeutung. Sie besagen aus sich heraus noch nichts für die Zuordnung im Bereich des Grundgesetzes. 245 241 PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 663; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 61 zu Art. 5; Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 99; Chr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 731; P. Badura, Staatsrecht, Abschn. C Rdnr. 66. Zu weit jedoch H. v. Hartlieb, Handbuch, 1. Kap. Rdnr. 8, der auch FernsehLivesendungen dem Filmbegriff unterstellen will.

242

Siehe zum Konkurrenzverhältnis eingehender unten Abschnitt B IV (S. 190 ff.).

Siehe dazu: G. Roeber, Film und Recht 1982, 403; ders., Film und Recht 1973, 311 ff. (314); G. BruggerlL. Wedel, UFITA 65 (1972), 159 ff. (163 f.); R. Dünnwald, NJW 1970, 1996 ff. (1997 f.). 244 Dazu im einzelnen: P. Weides, DVB11986, 868 ff.; G. Poil, ZUM 1985,483 ff. 243

245

So auch H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 85 f.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Da bespielte Videokassetten Bild- und Tonfolgen enthalten, die auf der Kassette als körperlichem Substrat gespeichert sind, besteht eine enge Verwandtschaft zum herkömmlichen Film. Allerdings bestehen Unterschiede in der technischen Art und Weise der Speicherung. Beim herkömmlichen Film erfolgt die Aufzeichnung optisch durch Lichteinwirkung auf das Filmmaterial. Die Bildfolgen werden auf fotochemischem Wege auf dem Filmstreifen fixiert. Das Medium Video hingegen wandelt Bild- und Ton auf elektronischem Wege in Spannungsimpulse um, die durch magnetische AUlzeichnungstechnik auf einem Magnetband gespeichert werden. Diese Unterschiede sind für den verfassungsrechtlichen Filmbegriff jedoch ohne Belang. Dieser ist nicht auf den herkömmlichen Filmstreifen fixiert, sondern für vergleichbare Techniken offen?46 So wäre es für den herkömmlichen Film verfassungsrechtlich unerheblich, wenn bei dessen Herstellungsprozeß Magnetband verwendet würde. Bei herkömmlichem Film wie bei bespielten Videokassetten erfolgt die Sinnvermittlung erst durch die Vorführung. Die Vorführung des Films geschieht durch optische Projektion auf eine Leinwand, die Vorführung der Videokassetten durch Abspielen auf einem Videorecorder und Sichtbarmachung in elektronischer Weise auf einem Bildschirm. Auch dieser Unterschied ist unbedeutend. Insbesondere ist die Sichtbarmachung des audiovisuellen Inhalts der Kassetten auf dem Bildschirm eines Fernsehgerätes ohne Belang, da dies nur eine individuelle Nebennutzung des Fernsehgerätes zur "Filmprojektion" darstellt. 247 Somit handelt es sich bei bespielten Videokassetten also um auf einem Trägermaterial verkörperte audiovisuelle Gedankenerklärungen im Sinne des verfassungsrechtlichen Filmbegriffs. Weiteres Merkmal des Filmbegriffs ist die Verbreitung an die Öffentlichkeit, die durch öffentliche Vorführung im Filmtheater oder auf vergleichbare ähnliche Weise geschehen kann. Hier bestehen jedoch Unterschiede zwischen Film und Video, die von Bedeutung sein könnten. Der herkömmliche Film ist durch die öffentliche Vorführung im Filmtheater gekennzeichnet, während bespielte Videokassetten regelmäßig im privaten Bereich abgespielt werden. Filmvorführungen sind Massenveranstaltungen vor unbestimmtem Publikum, während Videovorführungen als Einzelveranstaltungen in den privaten Haushalten stattfinden. 248 Aus diesem Unterschied resultieren verschiedene Modalitäten in der Nutzungsmöglichkeit von Film und Video. So ist beim herkömmlichen Film der Zuschauer an die Terminvorgaben und Vorführungszeiten des Filmtheaters gebunden. Bespielte Videokassetten hingegen sind für den Nutzer beliebig zeitlich einsetzbar. Da der Videonutzer die Herrschaft über den Vorführvorgang besitzt, ist der 246 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 198; R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 39; M. Emmes, Probleme lokaler Programmtätigkeit, S. 225. 247 R. Schotz, Audiovisuelle Medien, S. 38. 248

H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 84 ff.

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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Inhalt der Videokassetten für ihn unbeschränkt wiederholbar. 249 Die Nutzbarkeit der Kassetten ähnelt damit der Nutzbarkeit von Presseprodukten. Die unterschiedlichen Nutzungsmodalitäten sind jedoch nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Wesentlich ist stattdessen der Aspekt der Verbreitung an die Öffentlichkeit. Dazu ist die Frage zu klären, ob die Verbreitung der Kassetten mit der Verbreitung von Filmen durch öffentliche Vorführung vergleichbar ist. Dies wird vereinzelt in der Literatur verneint. So hält Herzog 250 die Art der Öffentlichkeit bei bespielten Kassetten für eine andere als beim Film und will im Ergebnis die Zuordnung zum Film nur per Analogie erfolgen lassen. I. v. Münch läßt den Spielfilm auf Videokassetten der Filmfreiheit zwar unmittelbar unterfallen, dies jedoch "trotz fehlender Öffentlichkeit".251 Dazu ist folgendes anzumerken: Wie oben 252 erwähnt ähnelt die Verbreitung von Videokassetten der Verbreitung von Presseerzeugnissen. Auch diese werden nicht öffentlich, sondern individuell im privaten Rahmen rezipiert. Insgesamt liegt darin jedoch eine Verbreitung an die Öffentlichkeit. Das gleiche gilt für bespielte Videokassetten. Diese sind für jeden Interessenten öffentlich zugänglich. Durch das System von Verkauf und Vermietung durch Videotheken erreichen sie ein ebenso unbestimmtes Publikum wie der traditionelle Kinofilm durch die Vorführung im Filmtheater. Im ersten Teil der Arbeie53 wurde überdies deutlich, daß durch den Vertrieb bespielter Videokassetten zahlenmäßig sogar eine größere Öffentlichkeit erreicht werden kann als durch Vorführungen im Filmtheater. Wie gesehen 254 erreicht der herkömmliche Film seine Verbreitungs wirkung durch seine Kopierbarkeit und Reproduzierbarkeit. Die gleichen Elemente bestimmen den Verbreitungsvorgang bespielter Videokassetten. Der Inhalt wird durch Herstellung einer Anzahl von Kopien vervielfältigt. Diese Kopien werden von den Videotheken zur Abgabe an die Nutzer bereitgehalten und im Rahmen der Vermietvorgänge, die den Hauptanteil des Verbreitungsprozesses ausmachen, nacheinander vor wechselnden Zuschauern reproduziert. 255 Daher ist die Verbreitung von Videokassetten mit der öffentlichen Vorführung herkömmlicher Filme im Filmtheater vergleichbar. 256 Filme und Videokassetten 249

H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 85 f.

R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 198. Andere Ansicht (für direkte Zuordnung) aber Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 75 Rdnr. 112 251 I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 1 (3. Aufl.), Rdnr. 39 zu Art. 5. 252 Vgl. Abschnitt 3 c)(S. 110 f.). 250

253 Vgl. oben Teil 1, Abschnitt D III (S. 53). 254 Dazu oben Abschnitt b ce) (S. 133). 255 Eine grundsätzlich andere Bewertung würde sich hieraus aber auch nicht ergeben, wenn Videokassetten überwiegend durch Verkauf verbreitet würden. 256 So auch ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 732.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

erreichen eine ähnliche Öffentlichkeit. Somit sind die Merkmale des verfassungsrechtlichen Filmbegriffs durch bespielte Videokassetten erfüllt. 257 Diese sind also dem Film im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zuzuordnen.258 Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Tatsache, daß die Inhalte bespielter Videokassetten zum überwiegenden Teil aus für das Kino hergestellten Spielfilmen bestehen. Damit hat der Videofilm die gleiche Funktion im Kommunikationsprozeß eingenommen wie der herkömmliche Kinofilm. Somit ist also festzustellen, daß bespielte Videokassetten, die durch Verkauf oder Vermietung an die Allgemeinheit vertrieben werden, dem Filmbegriff im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und damit dem Schutzbereich der Filmfreiheit unterfallen. Daß bespielte Videokassetten einer der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG genannten Freiheiten eindeutig zugeordnet werden können, bedeutet zugleich, daß sie nicht als ,,medium sui generis" zu betrachten sind. 6. Der Umfang des Schutzes durch die Filmfreiheit

Nach der Zuordnung bespielter Videokassetten zum Filmbegriff stellt sich die Frage nach dem durch die Filmfreiheit geschützten Verhalten. Da dieses Grundrecht den gleichen Schutzzweck wie die Presse- und Rundfunkfreiheit hat, indem es wie diese der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung dient, empfiehlt sich ein Blick auf den Gewährleistungsumfang jener beiden Grundrechte, um daraus Rückschlüsse für die Filmfreiheit ziehen zu können. Nach allgemeiner Anschauung schützt die Pressefreiheit die institutionelle Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet mit anderen Worten alle wesensmäßig mit der Pressearbeit zusammenhängenden Tätigkeiten. 259 Dieser Schutz umfaßt die gesamte Spanne von der Herstellung des Presseerzeugnisses bis zu seiner Verbreitung in der Öffentlichkeit. Dabei 257 Andere Ansicht H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 86, der die öffentliche Vorführung für den Filmbegriff als begriffswesentlich und nicht ersetzbar erachtet. Ebenso ehr. Starck, MOOS, Art. 5 I, 11 Rdnr. 99. 258 So auch R. Scholz, Audiovisuelle Medien, S. 38 f.; I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. I (3. Aufl.), Rdnr. 39 zu Art. 5; ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnrn. 732, 735; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 5 Rdnr. 41; P. Tcttinger, Neue Medien, S. 24. 259 BVerfGE 10, 118 (121); 12,205 (260) - Deutschland Fernsehen; 20, 162 (176)Spiegel; 36, 193 (204); 62, 230 (243) - Boykottaufforderung; 66, 116 (133) - WallraffIBILD; 77, 346 (354) - Presse-Grossist; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnrn. 135 f. mit vielen Beispielen; R. Wendt, in: v. MünchlKunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 33 zu Art. 5; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, II Rdnr. 41; M. Bullinger, in: IsenseelKirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 142 Rdnr. 15; H. D. Jarass, in: Jarass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 22; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnrn. 647 f.

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

141

sind sowohl die Arbeiten im Vorfeld der Veröffentlichung, die diese vorbereiten oder erst ermöglichen, in den Schutz einbezogen wie auch neutrale nicht unmittelbar inhaltsbezogene pressetechnische Hilfstätigkeiten. 260 Auch und gerade die Verbreitung unterfällt dem Gewährleistungsumfang, denn die Pressefreiheit wäre weitgehend wirkungslos, wenn die Presseprodukte nicht vertrieben werden könnten. 261 Im einzelnen kommt es für die Reichweite des Schutzbereiches darauf an, was notwendige Bedingung für das Funktionieren einer freien Presse ist. 262 Für den Umfang der Rundfunkfreiheit gelten die gleichen Grundsätze wie für die Pressefreiheit. Auch hier umfaßt der Grundrechtsschutz alle wesensmäßig mit der Rundfunkarbeit zusammenhängenden Tätigkeiten. Dies reicht von der Beschaffung der Information und der Produktion und dem Erwerb von Sendungen aller Art bis hin zu ihrer Verbreitung. 263 In bezug auf bestimmte neutrale Hilfstätigkeiten hat das Bundesverfassungsgericht in einer jüngeren Entscheidung zur Pressefreiheit allerdings Einschränkungen vorgenommen. Da der Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. I Satz 2 GG im Interesse einer freien Meinungsbildung besteht, fordert das Gericht einen ausreichenden Inhaltsbezug der Tätigkeit. In diesem Zusammenhang unterscheidet es zwischen presseinternen und presseexternen Hilfstätigkeiten. Bei presseinternen Hilfstätigkeiten sei der Inhaltsbezug regelmäßig durch den organisatorischen Zusammenhalt des Presseunternehmens gegeben. Bei presseexternen Hilfstätigkeiten gelte dies nur, wenn die Hilfstätigkeit typischerweise pressebezogen ist, in enger organisatorischer Bindung an die Presse erfolgt, für das Funktionieren einer freien Presse notwendig ist und wenn sich die staatliche Regulierung dieser Tätigkeit zugleich einschränkend auf die Meinungsverbreitung auswirkt. 264 Als presseexterne Hilfstätigkeit, die diese Anforderungen erfüllt, betrachtete das Verfassungsgericht in der genannten Entscheidung die Vertriebstätigkeit des Presse-Grossisten. Die Filmfreiheit darf insgesamt keinen geringeren Schutzumfang als die Presseund Rundfunkfreiheit haben. Dies ergibt sich schon aus den geschichtlichen 260 So etwa: Buchhaltung, vgl. BVerfGE 25, 296 (304); oder Anzeigenaufnahme, BVerfGE 64, 108 (114 f.). Siehe auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 140; M. Löffler, Presserecht Bd. 1, § 1 LPG, Rdnrn. 79 ff. 261 Dazu auch M. Löffler, Presserecht Bd. 1, § 1 LPG, Rdnr. 106. 262 BVerfGE 66,116 (134) - Wallraff/BILD; 77, 346 (354) - Presse-Grossist. 263 R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 45 zu Art. 5; ehr. Starck, MOOS, Art. 5 I, 11 Rdnr. 67; H. D. Jarass, in: larass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 32; ders., in: Verhandl. d. 56. DJT, Bd. I, Teil G, Rdnr. 16; hinsichtlich der Verbreitung von Rundfunksendungen auch W. Hoffmann-Riem, in: Festschr. f. Wassermann, S. 455 ff. (466 ff.); siehe auch BVerfGE 78,101 (103); 77, 65 (74) - Beschlagnahme von Sendematerial; 12,205 (260) - Deutschland-Fernsehen. 264 BVerfGE 77, 346 (354) - Presse-Grossist

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Erfahrungen mit den weitreichenden staatlichen Einflußnahmen auf das Filmwesen im Dritten Reich. 265 Die zur Rundfunk- und Pressefreiheit aufgestellten Grundsätze sind daher entsprechend auf die Filmfreiheit anzuwenden. Der Schutzumfang der Filmfreiheit ist danach folgendermaßen zu umreißen: Die Filmfreiheit schützt die institutionelle Eigenständigkeit des Films. Sie gewährleistet ein freiheitliches Filmwesen frei von staatlicher Beeinflussung sowohl des Schaffensprozesses als auch des Verbreitungsprozesses. Sie erstreckt sich auf alle wesensmäßig mit der Filmarbeit zusammenhängenden Tätigkeiten von der Planung und Herstellung der Filmwerke bis zu ihrer Verbreitung und Vorführung vor dem Publikum. 266 Die Filmfreiheit gewährleistet eine Inhalts- und eine Gestaltungs-, eine Herstellungs- und Verbreitungsfreiheit. Gerade der Bereich der Verbreitung an die Öffentlichkeit bildet einen wirksamen Ansatzpunkt für mögliche Eingriffe gegen die Freiheitsgewährleistung. Denn jegliche Freiheit bei der Filmherstellung würde wenig nützen, wenn der Film die Öffentlichkeit nicht erreichen könnte. Die Filmfreiheit wäre demnach nur unvollständig ausgestaltet, wenn sie die Verbreitung an die Öffentlichkeit nicht erfassen würde. Das Filmwesen zeichnet sich in der Verfassungswirklichkeit dadurch aus, daß es in drei eigenständige Sparten aufgegliedert ist: die Filmproduktion, den Filmverleih und die Filmtheater. 267 Die Filmproduktion stellt die Filmwerke her; der Filmverleih fertigt die Kopien für die Filmtheater, erstellt bei ausländischen Filmen die deutsche Fassung und organisiert Werbung und Öffentlichkeitsarbeit; die Filmtheater führen die Filme vor. Entsprechend ist auch die Videowirtschaft strukturiert. Die Aufgaben des Filmverleihs übernehmen hier die Videovertriebsfirmen (die Programmanbieter), anstelle der Filmtheater finden sich die Videoverleih- und -verkaufsstellen (die Videotheken).268 Grundrechtsträger können daher neben den Filmherstellern auch Verleihgesellschaften und Filmtheaterbetriebe sein 269 sowie Videovertriebsgesellschaften und Videotheken.270 Der Grund265 Siehe dazu oben S. 128 f. 266 Siehe auch Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 1,11 Rdnr. 100 f.; H. D. Jarass, in: Jarass/Pie-

roth, Art. 5 Rdnr. 42; Chr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 737.

267 Siehe dazu H. v. Hartlieb, Handbuch, Abschn. 7 - 9. Diese Aufteilung ist das Resultat der Entflechtung des sog. Studiosystems. Jenes zeichnete sich dadurch aus, daß jeweils einzelne große Produktionsgesellschaften den gesamten Bereich der Filmherstellung und des Vertriebs abdeckten bis hin zum Absatz ihrer Filmerzeugnisse in eigenen Kinoketten. In Deutschland bildete die 1917 gegründete UFA (Universum Film AG) einen derartigen Filmkonzern, der in der NS-Zeit in Gestalt der UFA Film GmbH (UFI) zur staatlichen Holdinggesellschaft für die gesamte deutsche Filmindustrie ausgebaut wurde. Nach dem Ende des Dritten Reiches wurde das Filmwesen von den Alliierten entflochten. Vgl. dazuH. Diederichs, Konzentration in den Massenmedien, S. 131 ff.; G. Roeber/G. Jacoby, Handbuch der filmwirtschaftlichen Medienbereiche, S. 78 ff., 147 ff.; J. Wilke, in: E. Noelle-Neumann u.a. (Hrsg.), Publizistik, S. 19 ff. 268 Vgl. H. v. Hartlieb, Handbuch, 202. Kapitel, Rdnrn. 5 ff.

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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rechtsschutz der Filmfreiheit erstreckt sich grundsätzlich auch auf deren Tätigkeitsfeld. Er umfaßt gleichermaßen den Filmimport, die Herstellung von Kopien für Filmtheater und von Videokassetten, die Werbung für Filme und Videokassetten und die Filmvorführung im Kino bzw. die Verbreitung der Kassetten an Videonutzer. Allerdings haben vertriebsbezogene Tätigkeiten zum Teil wenig Inhaltsbezug zum Film. Das Filmwerk fungiert in diesen Sparten als Ware, die zur Erzielung von Einkünften dient. Der Schutz der Filmfreiheit besteht jedoch im Interesse der freien Meinungsbildung. Wirtschaftliche Erwerbstätigkeiten hingegen fallen in den Bereich des Art. 12 bzw. Art. 14 GG. Daher ist bei Eingriffen in vertriebsbezogene Tätigkeiten die Filmfreiheit nur tangiert, wenn der Eingriff Inhalts bezug hat oder filmspezifisch ist. Letzteres ist der Fall, wenn er die Kommunikation durch Film berührt, d.h. wenn das durch den Eingriff beschränkte Verhalten für das Funktionieren eines freiheitlichen Filmwesens notwendig ist und die Regelung sich zugleich einschränkend auf die Meinungsverbreitung auswirkt. Kein filmspezifischer Eingriff liegt vor, wenn der Film allein und ausschließlich in seiner Eigenschaft als Handelsware betroffen wird oder die Vertriebstätigkeit in einer Weise reguliert wird, wie es die Vertriebstätigkeit mit anderen Waren zu reinen Erwerbszwecken auch treffen kann. Nicht filmspezifisch sondern neutral sind danach etwa Regelungen des Arbeitsschutzes, des Feuerschutzes in Filmtheatern oder der Öffnungszeiten von Videotheken an Sonnund Feiertagen. Auf solche filrnneutralen Regelungen erstreckt sich die Filmfreiheit nicht mehr, sondern hier greifen andere Grundrechte wie insbesondere die Berufsfreiheit. 271 Zuweilen wird vertreten, daß die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit auch die Rezeption durch den Leser bzw. Zuschauer gewährleisten würde. 272 Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Der Zuschauer wird in seinen Rechten vielmehr durch die Informationsfreiheit geschützt. 273

269

Vgl. auch W. Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art. 5 I, II, Rdnr. 132.

270

ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, II, Rdnr. 737.

Vgl. dazu auch OVG Münster, NJW 1985,449, das die Auffassung vertritt, das Gebot der Sonntagsruhe für Videotheken sei eine Berufsausübungsregelung und die Filmfreiheit allenfalls am Rande berührt. Demgegenüber sieht das BVerwG, NJW 1990, 1059 (1060 f.) Art. 5 Abs. 1 durch das Gebot der Sonntagsruhe für Pressegrossisten berührt. 272 P. Bär, Filmfreiheit, S. 33. 271

273

So in Bezug auf die Rundfunkfreiheit auch BVerfG, NJW 1990, 311.

144

2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

7. Das Verhältnis der Filmfreiheit zur Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Da oben die Schutzbereiche sowohl der allgemeinen Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG als auch der Filmfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als einschlägig erkannt wurden, bleibt zu erörtern, welches Konkurrenzverhältnis zwischen diesen bei den Grundrechten besteht. Zunächst kann festgestellt werden, daß die Rechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG keinen Unterfall der allgemeinen Meinungsfreiheit bilden, sondern eigenständige grundrechtliche Schutzbereiche darstellen. 274 Die Filmfreiheit ist also im Verhältnis zur Meinungsäußerungsfreiheit ein selbständiges Grundrecht. Während die Beziehung zwischen Meinungsfreiheit und Filmfreiheit im Schrifttum selten angesprochen wird, finden sich häufiger Aussagen zum Verhältnis von Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Hier wird teilweise die Auffassung vertreten, daß die Pressefreiheit kumulativ zur allgemeinen Meinungsfreiheit hinzutrete, so daß man sich sowohl auf das eine als auch auf das andere Grundrecht berufen könne. 275 Das überwiegende Schrifttum ist jedoch der Ansicht, daß die Pressefreiheit gegenüber der Meinungsfreiheit lex specialis ist und jene kraft Spezialität verdrängt. 276 Dies gilt allerdings nur in den Fällen, in denen wirklich beide Grundrechte der Sache nach einschlägig sind. Die Schutzbereiche von Meinungs- und Pressefreiheit überschneiden sich zwar, sind aber nicht deckungsgleich. So schützt die Meinungsfreiheit nur die reine Kommunikation, die Pressefreiheit reicht dagegen weiter und schützt alle wesensmäßig mit der Pressearbeit zusammenhängenden Tätigkeiten, insbesondere auch die Beschaffung der Information. Insofern ist die Pressefreiheit also mehr als ein Spezialfall der Meinungsfreiheit. 277 Spezialität herrscht nur im Überschneidungsbereich der beiden Grundrechte. Da 274 R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 1 zu Art. 5; in Bezug auf die Pressefreiheit auch: U. Scheuner, VVDStRL 22, 1 ff. (65); BVerfGE 10, 118 (121). 275 M. Löffler, Presserecht Bd. 1, § 1 LPG, Rdnrn. 53, 104 unter Berufung auf BVerfGE 10, 118 (121); F. Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 90 f. Vgl. auch W. HoffmannRiem, in: AK-GG, Art. 5 I, 11, Rdnr. 122 sowie ders., in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Hdb. d. Verfassungsrechts, S. 407 allgemein zum Verhältnis der Meinungsfreiheit zu den Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. 276 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, II Rdnr. 154; I. v. Münch, Grundbegriffe Bd. 1, Rdnr. 219; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 650; H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 105. 277 Vgl. dazu R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 154; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 650 sowie Rdnr. 390; siehe auch BVerfGE 85, 1 (11 f.) - Kritische Bayer-Aktionäre; 86, 122 (128).

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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in diesem Fall Meinungsäußerungen durch das zusätzliche Merkmal erfaßt werden, daß sie durch die Presse erfolgen, ist dieser Ansicht zuzustimmen. Diese Grundsätze gelten aufgrund der Gleichartigkeit der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur für die Pressefreiheit, sondern auch für die Rundfunk- und die Filmfreiheit.278 Somit herrscht im Verhältnis von Meinungsfreiheit und Filmfreiheit im Überschneidungsbereich dieser beiden Grundrechte Spezialität der Filmfreiheit, so daß die Meinungsfreiheit verdrängt wird. Die Filmfreiheit allein wird angesprochen in den Fällen, in denen der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht mehr greift, weil es um Hilfs- und Vorbereitungstätigkeiten außerhalb des reinen Kommunikationsprozesses geht. Umgekehrt ist nur die Meinungsfreiheit einschlägig bei Darstellungen auf Videokassetten außerhalb der Film- und Videowirtschaft, bei denen die Videokassette nicht zur massenhaften Verbreitung an die Öffentlichkeit bestimmt ist, wie etwa bei privat hergestellten Videoaufnahmen des einzelnen Bürgers. Für den Spielfilm auf Videokassetten läßt sich damit festhaIten, daß die Meinungsfreiheit durch die Filmfreiheit verdrängt wird. 111. Die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG

Die vorigen Ausführungen haben gezeigt, daß der Schutz der Filmfreiheit lückenlos ist; er ist jedoch nicht grenzenlos. Die Verfassung legt fest, daß die Rechte des Art. 5 Abs. 1 GG und damit auch die Filmfreiheit in bestimmten Fällen zurückstehen müssen. Der Grundrechtsschutz findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Art. 5 Abs. 2 GO enthält damit einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt für die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG.

1. Die Vorschriften der allgemeinen Gesetze a) Der Begriff der allgemeinen Gesetze Der Begriff der "allgemeinen Gesetze" fand sich bereits in Art. 118 Abs. 1 Satz 1 der Weimarer Reichsverfassung. Seine Auslegung war in der Weimarer Zeit strittig. Nach der sog. Sonderrechtslehre wurden nicht-allgemeine Gesetze darin gesehen, daß sie "eine an sich erlaubte Handlung allein wegen ihrer geistigen Zielrichtung und der dadurch hervorgerufenen schädlichen geistigen Wirkung verbieten oder beschränken,,279; nicht-allgemeine Gesetze lagen danach vor bei "Sonderrecht gegen die Meinungsfreiheit,,280. Andere Auffassungen verstanden 278 Vgl. auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 204; H. Bismark, Neue Medientechnologien, S. 106. 10 Meirowitz

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

unter allgemeinen Gesetzen solche, "die dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgutes dienen,,281 oder Gesetze, "die deshalb den Vorrang vor Art. 118 haben, weil das von ihnen geschützte gesellschaftliche Gut wichtiger ist als die Meinungsfreiheit,,282. Das Bundesverfassungsgericht kombinierte im Jahre 1958 im Lüth-Urteie83 diese Ansätze und beschreibt allgemeine Gesetze seitdem in ständiger Rechtsprechung als diejenigen Gesetze, "die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen, dem Schutz eines Gemeinschaftswertes, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat.,,284 Die Bestandteile dieser Definition treffen, wie ein Vergleich der letztgenannten Abwägungsformel mit den vorangegangenen zeigt, für sich durchaus unterschiedliche Aussagen. Die Literatur verzichtet demgegenüber vielfach auf das Kriterium der Güterabwägung, stimmt aber ansonsten im wesentlichen mit der Rechtsprechung überein. 285 So schreibt von Münch,286 ein allgemeines Gesetz liege nicht vor, wenn es sich gegen eine bestimmte Meinung richtet/87 oder wenn es sich, ohne eine bestimmte Meinung treffen zu wollen, nur im Schutzbereich eines der in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 genannten Grundrechte auswirkt. 288 279 K. Häntzschel, in: G. Anschütz/R. Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts 11, S. 651 ff. (659 f.); ähnlich ders., AöR 10 (1926),228 ff. (233). 280 K. Häntzschel, in: G. Anschütz/R. Thoma (Hrsg.), a.a.O.; ders., AöR 10 (1926), 228 ff. (232). 281 K. Rothenbücher, VVDStRL 4 (1928), 6 ff. (20). 282 R. Smend, VVDStRL 4 (1928), 44 ff. (52). 283 BVerfGE 7,198 ff. vom 15. 1. 1958. 284 BVerfGE 7, 198 (209 f.) - Lüth; 28,282 (292) - SoldatenG; 50, 234 (241) Ausschluß aus Gerichtsverhandlung; 59, 231 (263 f.) - Freie Rundfunkmitarbeiter; 62, 230 (243 f.) - Boykottaufruf; 71, 206 (214) - Wörtliche Veröffentlichung aus Anklageschriften; auch BGHZ 76, 55 (67) - 3. G zur Änderung des GWB. 285 Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnrn. 127 f.; Chr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnrn. 103 ff. Kritisch allerdings J. A. Frowein, AöR 105 (1980), 169 ff. (182 f.); R. Groß, DÖV 1992,981 ff. (986 f.). 286 I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 1 (3. Aufl.), Rdnr. 48 zu Art. 5; ders., Grundbegriffe Bd. I, Rdnr. 354; vgl. auch R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 71 zu Art. 5. 287 Als Beispiel nennt er das Gesetz gegen die Verbreitung der Lehre des Darwinismus im US-Staat Arkansas von 1928 sowie § 11 des Ges. gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie v. 21. Okt. 1878 (RGBI. S. 351 ff.). 288 Letzteres unter Berufung auf BVerfGE 21, 271 (280) - Südkurier, wo es heißt, daß ein gesetzliches Verbot den allgemeinen Gesetzen nicht unterfällt, wenn die im

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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Andere Stimmen 289 sprechen davon, daß ein allgemeines Gesetz meinungsneutral sein müsse und spalten diese Bedingung in drei Prüfschritte auf, denen zufolge ein allgemeines Gesetz nicht den Zweck verfolgen dürfe, den einzelnen zu bestimmten Meinungsinhalten zu bekehren oder von bestimmten Meinungsinhalten abzubringen (Verbot des missionarischen Eingriffszwecks), sowie nicht das Mittel einsetzen dürfe, die Wertlosigkeit oder Schädlichkeit von Meinungsinhalten zu Tatbestandsvoraussetzungen von Eingriffen zu machen (Verbot des diskriminierenden Eingriffsmittels), und schließlich sich als geeignet und notwendig zur Erreichung eines legitimen Zwecks begründen lassen müsse, ohne daß die Begründung auf den inhaltlichen Wert und die geistige Wirkung von Meinungsinhalten abstellt. Allgemeine Gesetze können Gesetze im formellen wie auch im materiellen Sinne sein. Damit fallen auch Rechtsverordnungen und Satzungen unter diese Schranke. 290 b) Die Wechselwirkungslehre Neben der formalen Zugehörigkeit zur Gruppe der allgemeinen Gesetze hat das Bundesverfassungsgericht im Lüth-Urteil noch weitere Anforderungen an die Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 aufgestellt, nämlich die sog. Wechselwirkungslehre und das Gebot der Güterabwägung im Einzelfall. Die Wechselwirkungslehre beschreibt es folgendermaßen: "Die allgemeinen Gesetze müssen in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, daß der besondere Wertgehalt dieses Rechts, der in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben, führen muß, auf jeden Fall gewahrt bleibt. Die gegenseitige Beziehung zwischen Grundrecht und ,allgemeinem Gesetz' ist also nicht als einseitige Beschränkung der Geltungskraft des Grundrechts durch die ,allgemeinen Gesetze' aufzufassen; es findet vielmehr eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, daß die ,allgemeinen Gesetze' zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen Verbot bezeichnete Tätigkeit nur der Presse und nicht auch jedermann verboten ist. Angesprochen ist also Sonderrecht gegen die Presse. 289 B. Schlink, Der Staat 1976,335 ff. (354 f.); PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 675; zustimmend G. Hager, NJW 1988, 1694 ff. (1695); auch W. Hoffmann-Riem, in: Benda/MaihoferNogel (Hrsg.), Hdb. d. Verfassungsrechts, S. 419. 290 R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 73 zu Art. 5; OVG Münster, DVBI 1972,509; E. Schwark, Der Begriff der "Allgemeinen Gesetze", S. 132; Andere Ansicht: HamannlLenz, Anm. B 10 zu Art. 5.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen. ,,291 Zum Gebot der Güterabwägung im Einzelfall führt das Verfassungsgericht aus: "Das Recht zur Meinungsäußerung muß zurücktreten, wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt werden. Ob solche überwiegenden Interessen anderer vorliegen, ist auf Grund aller Umstände des Falles zu ermitteln. ,,292 Diese Rechtsprechung hat im Schrifttum überwiegend Zustimmung gefunden. 293 Im Ergebnis handelt es sich insoweit um eine besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen des Art. 5, die geeignet ist, dem Schutzzweck des Art. 5 angemessene Geltung zu verschaffen. Für die Auslegung des einschränkenden Gesetzes "im Lichte das Art. 5" hat die Rechtsprechung bestimmte Kriterien herausgearbeitet: Danach ist die Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 GG besonders stark, wenn Informationen oder Beiträge als Mittel des geistigen Meinungskampfes in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage eingesetzt werden, wenn der Grundrechtsausübung also die Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit zugrunde liegt und sie in erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen soll. Anderes dagegen kann gelten, wenn der Öffentlichkeitsbezug fehlt, bei privaten Auseinandersetzungen, bei der Verfolgung eigennütziger Interessen, vor allem wirtschaftlicher Art, oder wenn lediglich das Interesse des Publikums nach Sensationen oder oberflächlicher Unterhaltung befriedigt werden soll.294 Größer sind schließlich auch Eingriffsmöglichkeiten, wenn allein die Form der Äußerung betroffen ist und nicht der Inhalt. 295 291 BVerfGE 7, 198 (208 f.) - Lüth; siehe auch BVerfGE 12, 113 (124 f.) - Pressefehde Schmid; 20, 162 (176 f.) - Spiegel; 59,231 (265) - Freie Mitarbeiter (WDR); 60, 234 (240) - Kredithai; 61,1 (10 f.) - Wahlkampf; 71, 206 (214) - Wörtliche Veröffentlichung aus Anklageschriften. 292 BVerfGE 7, 198 (210 f.) - Lüth; siehe auch BVerfGE 28, 191 (202) - Fall Pätsch; 35,202 (221) - Lebach; BVerwGE 43, 9 (24) - Aufruf zur Befehlsverweigerung; 64, 55 (62) - Spruchband "Mörderbande" vor Botschaft. 293 Zustimmend zur Wechselwirkungslehre und dem Gebot der Güterabwägung: R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 76 zu Art. 5; F. Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Rdnr. 12 zu Art. 5; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 677; MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 2411 2 f) (S. 197 f.). Kritisch jedoch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 260; P. Bär, Filmfreiheit, S. 94 ff.; J. A. Frowein, AöR 105 (1980), 169 ff. (180 ff.); E. Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. des Staatsrechts, Bd. VI, § 141 Rdnr.43. 294 Dazu BVerfGE 7, 198 (212, 215) - Lüth; 25, 256 (264) - Blinkfüer; 34, 269 (283) - Soraya; 60, 234 (240) - Kredithai; 71, 206 (219 f.) - Wörtl. Veröffentlichung aus Anklageschriften. Siehe auch H. D. Jarass, in: Jarass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 48; ders., Die Freiheit der Massenmedien, S. 167 ff., 181 ff., 225 ff.; MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 24 11 2 f) (S. 198).

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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Die Wechselwirkungs lehre hat zwischenzeitlich auch über den Bereich des Art. 5 Abs. 2 hinaus Anwendung gefunden. Schon im Jahre 1968 gab W. Rüfner zu bedenken, daß die Wechselwirkungslehre im Grunde Selbstverständliches aussagt und sich daher auch auf andere Freiheitsrechte übertragen läßt. 296 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Einsicht in seine Rechtsprechung einfließen lassen und wendet mittlerweile die Wechselwirkungslehre entsprechend auch außerhalb des Art. 5 GG an, so etwa beim Femmeldegeheimnis des Art. 10 GG. 297 2. Das Recht der persönlichen Ehre Das Bundesverfassungsgericht neigt dazu, die beiden anderen Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG, d.h. die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre, lediglich als Unterfall der allgemeinen Gesetze zu betrachten. 298 Hierfür spricht die Überlegung, daß auch diese Schranken letztlich dem Schutz von schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtswerten dienen - Gemeinschaftswerten also, die gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang haben. 299 Die überwiegende Literatur hingegen sieht die drei Schranken des Art. 5 Abs. 2 als selbständige Grundrechtsschranken an. 3oo Angesichts der Tatsache, daß Jugendschutz und Recht der persönlichen Ehre im Grundgesetz gleichberechtigt und eigenständig neben den allgemeinen Gesetzen aufgeführt werden, ist letzterer Ansicht zuzustimmen. Persönliche Ehre bedeutet inneren Wert und äußere Geltung des Menschen, das heißt sein Ruf innerhalb der Gesellschaft seiner Kommunikationspartner.301 Anders als der Wortlaut andeutet, muß auch das "Recht" der persönlichen Ehre 295 296

H. D. Jarass, in: larass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 48; BVerfGE 42, 143 (149 f.). W. Rü!ner, Der Staat Bd. 7 (1968), 41 ff. (55 ff.).

297 BVerfGE 67, 157 (172 f.) - Telefonkontrolle mit Warschauer Pakt-Staaten. Zu Gesichtspunkten der Wechselwirkungslehre im Rahmen der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG vgl. unten S. 184. 298

BVerfGE 11, 234 (238); wohl auch BVerfGE 30, 336 (353) - Sonnenfreunde;

ebensoJ. Wente, ZUM 1991,561 ff. (564).

299 So die Umschreibung der allgemeinen Gesetze im Lüth-Urteil, BVerfGE 7, 198 (209 f.). Für das Recht der persönlichen Ehre auch ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, II, Rdnr. 118.

300 R. Herzog, in: Maunz!Dürig, Art. 5 I, II Rdnrn. 244 f., spricht hinsichtlich der drei Schranken von dreien sich schneidenden Kreisen. Vgl. auch R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 83 zu Art. 5; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, II Rdnr. 117; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 683; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 24 II 2 f) (S. 197); G. v. der Decken, NJW 1983, 1400 ff. (1401). 301

ehr. Starck, MIK/S, Art. 5 I, II Rdnr. 132.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

gesetzlich nonniert sein. Unter dem Recht der persönlichen Ehre sind daher die zivilrechtlichen und strafrechtlichen Ehrschutzbestimmungen der §§ 185 ff. StGB in Vbg. m. §§ 374 ff. StPO und der §§ 823 ff. BGB zu verstehen. 302 3. Die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend Gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend sind solche Regelungen, die bestimmt und geeignet sind, die Jugend auf sittlichem Gebiet zu schützen,303 d.h. Nonnen, die sich gegen Einflüsse und Beeinträchtigungen der seelischen Entwicklung und der sozialen Orientierung Jugendlicher wenden. 304 Diesbezügliche Gefahren gehen mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts von Erzeugnissen aus, "die Gewalttätigkeiten oder Verbrechen glorifizieren, Rassenhass provozieren, den Krieg verherrlichen oder sexuelle Vorgänge in grob schamverletzender Weise darstellen und deswegen zu erheblichen, schwer oder gar nicht korrigierbaren Fehlentwicklungen führen können. ,,305 Demgegenüber wird in den Sozialwissenschaften zuweilen die These vertreten, daß es sich bei Kindheit und Jugend gar nicht um schützenswerte Sonderzustände handeln soll. Die Kindheit sei keine biologische Kategorie, sondern ein gesellschaftliches Kunstprodukt der Neuzeit und damit, wie jede gesellschaftliche Institution, auch wandelbar. Die Idee der Kindheit sei verknüpft mit Schamgefühl und der Abschinnung von den Geheimnissen der Erwachsenen. Der Unterschied zwischen Kindheit und Erwachsensein sei der, daß der Erwachsene Dinge wisse und zu Dingen Zutritt habe, die für das Kind als "unziemlich erachtet würden".306 Durch die elektronischen Kommunikationsmedien, insbesondere das Fernsehen, das von Kindern ohne jegliche Vorbedingungen konsumiert werden könne, würden alle Geheimnisse des Erwachsenenlebens jedoch preisgegeben und die Kindheit sei dadurch im Verschwinden begriffen.307 Damit sei auch die Notwendigkeit der Erziehung vergangen. Kinder und Jugendliche sollten statt dessen wie kleine, jeden Tag größer werdende Erwachsene behandelt werden. 308

R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 82 zu Art. 5. R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 79 zu Art. 5; F. Bauer, JZ 1965,41 ff. (44); ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 1,11 Rdnrn. 131 ff. 304 BVerfG, NJW 1986, 1241 (1242) - Werbeverbot für indizierte Videofilme. 305 BVerfGE 30, 336 (347) - Sonnenfreunde. 306 Neil Postman, Das Verschwinden der Kindheit, S. 61. 307 Zu all dem Neil Postman, Das Verschwinden der Kindheit, S. 8, 13 ff., 19,61, 94 f., 97 ff., 137 ff.; kritisch zu dieser These jedoch H. Scarbath, Videokonsum und pädagogische Verantwortung, S. 15 ff. 308 Vg!. H. Giesecke, Das Ende der Erziehung, S. 10,77; ders., in: ScarbathlStraub, Die heim!. Miterzieher, S. 59 ff. (71). 302 303

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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Diese Erwägungen, die sich ursprünglich als Medienkritik vor dem Hintergrund der amerikanischen Medienlandschaft verstehen, welche mit der unsrigen (noch) nicht vergleichbar ist, mögen zwar geeignet sein, den Jugendmedienschutz kritisch zu hinterfragen. Sie können jedoch nicht dazu führen, Jugendschutz im rechtlichen Sinne als repressiven Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Kindes und als Ungleichbehandlung gegenüber Erwachsenen umzudeuten und auf jeglichen Rechtsschutz für Kinder und Jugendliche gänzlich zu verzichten. Denn damit könnten auch die Verbote der Kinderarbeit, des sexuellen Mißbrauchs von Kindern und der Kindesrnißhandlung zur Disposition gestellt werden. 309 Das Grundgesetz hält den Jugendmedienschutz im übrigen für wichtig genug, um ihn als Schranke der Medienfreiheiten ausdrücklich vorzusehen. Es besteht demnach kein Anlaß, den Schutzgedanken des Jugendschutzes aufzugeben. Anders als die allgemeinen Gesetze können sich die Vorschriften zum Schutze der Jugend auch unmittelbar gegen bestimmte Meinungsinhalte wenden (z. B. gegen die Verherrlichung des Krieges oder der Gewalt).310 Der Jugendschutz darf allerdings nicht nur Deckmantel für das einschränkende Gesetz sein. 311 Ausformung dieses Gesetzesvorbehaltes ist insbesondere das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS).312 Weitere Bestimmungen zum Schutz der Jugend finden sich in den §§ 6, 7 JÖSchG,313 den §§ 131 Abs. 1 NT. 3, 184 Abs. 1 NT. 1-5 StGB und in vielen rundfunkrechtlichen Regelungen. 314 Auch bei den Schranken des Jugendschutzes ist die Wechselwirkungslehre zu ?eachten. Wie bei den allgemeinen Gesetzen ist hier zur Rechtfertigung eines 309 G. Kaiser. in: Oehler/Süssmuth u.a., Jugendschutz und Medien, S. 67 ff. (68 f.). 310 Maunz/Zippelius. Deutsches Staatsrecht, § 2411 2 f) (S. 197); ehr. Degenhart. in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 131. 311 R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 79 zu Art. 5; F. Bauer, JZ 1965,41 ff. (44). 312 In der Fassung der Bekanntmachung vom 12.7. 1985 (BGBl. 11985, S. 1502 ff.). 313 Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit Ld.F. vom 25.2. 1985 (BGBl. I 1985,425 ff.). 314 So etwa in Art. 1 § 3 Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland (Rundfunkstaatsvertrag) vom 31. Aug. 1991 (Brem. GVBl. S. 275), abgedr. bei Ring, Medienrecht, Abschn. C-O StV; § 3 Abs. 2-4 Rundfunkgesetz für das Saarland i.d.F. der Bekanntmachung vom 11. Aug. 1987 (Amtsbl. S. 1005); Art. 4 Abs. 3 Gesetz über die Erprobung und Entwicklung neuer Rundfunkangebote und anderer Mediendienste in Bayern (MEG) i.d.F. vom 8. Dez. 1987 (GVBl. S. 431); §§ 11 Abs. 3-4, 14 Niedersächsisches Landesrundfunkgesetz vom 16. März 1987 (Nieders. GVBl. S. 44); §§ 12 Abs. 3, 14 Rundfunkgesetz für das Land Schleswig-Holstein in der Fassung vom 18. Dez. 1989 (GVBl. S.225); § 55 Landesmediengesetz Baden-Württemberg vom 17. März 1992 (GBl. S. 189); § 15 Landesrundfunkgesetz Rheinland-Pfalz vom 28. Juli 1992 (GVBl. S. 247); § 6 WDR-Gesetz L d. Fassg. d. Bekanntmachung vom 11. Jan. 1988 (GV. NW. S. 27); § 8 ZDF-Staatsvertrag vom 31. Aug. 1991. Alle abgedr. bei Ring, Medienrecht, Abschn. C.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Grundrechtseingriffs erforderlich, daß die einschränkende gesetzliche Regelung - im Lichte des Art. 5 ausgelegt - der Bedeutung des eingeschränkten Grundrechts ausreichend Rechnung trägt und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. 315 In diesem Rahmen können der Regelung ihrerseits durch Art. 5 Abs. 1 GG Schranken gesetzt werden. Zudem darf die Regelung den Zweck des Jugendschutzes nicht überschreiten. Verbote zum Schutz der Jugend dürfen demgemäß interessierte Erwachsene nicht völlig vom Bezug entsprechender Medien ausschließen. Sie dürfen sich auf Erwachsene nur insoweit erstrecken, als ein wirksamer Jugendschutz anders nicht möglich iSt. 316 IV. Verfassungsimmanente Schranken

Obwohl Art. 5 Abs. 2 einen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt enthält, können die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 daneben auch durch die sog. verfassungsimmanenten Schranken begrenzt werden. Dabei handelt es sich um diejenigen Schranken, die in der Verfassung selbst angelegt sind und die das Bundesverfassungsgericht zunächst nur bei vom Wortlaut her vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten wie Art. 4 Abs. 1 und 2 oder Art. 5 Abs. 3 entwickelt hat. Als grundrechtsimmanente Schranken sieht es diejenigen Schranken an, die mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und der von ihr geschützten gesamten Wertordnung sowie dem Menschenbild des Grundgesetzes von der Verfassung selbst bestimmt werden. Solche immanenten Schranken werden durch kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte gebildet. 317 Auch diese Schranken bedürfen der Ausfüllung durch ein Gesetz. Aufgrund ihrer Herleitung können sie auch bei den Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 neben dem Gesetzesvorbehalt wirksam werden. 318 Als im Rahmen der immanenten Schranken insbesondere zu beachtender Grundwert kommt die in Art. 1 GG garantierte Würde des Menschen in Betracht,319 315 BVerfGE 30, 336 (347 f., 353) - Sonnen freunde; siehe auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnm. 283, 292; R. Wendt, in: v. MünchlKunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 81 zu Art. 5; Th. Maunz, Festschrift für K. Obermayer 1986, S. 85 ff. (92); F. Bauer, lZ 1965,41 ff. (46). 316 BVerfGE 30, 336 (348 f.) - Sonnenfreunde; OVG Saarlouis, DVBI 1962,346 (347); vgl. auch Chr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnm. 134, 289; Chr. Starck, MIK/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 129. 317 Vgl. BVerfGE 28, 243 (261) - Kriegsdienstverweigerung; 30, 173 (193) - Mephisto; I. v. Münch, in: v. MünchlKunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Vorbem. zu Art. 1-19, Rdnm. 56 f. 318 BVerfGE 66, 116 (136) - Wallraff/Bild; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 293; E. Schmidt-Jortzig, in: IsenseelKirchhof (Hrsg.), Hdb. des Staatsrechts, Bd. VI, § 141 Rdnr. 49; H. D. Jarass, in: larass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 53; ders., Freiheit der Massenmedien, S. 158 f.; P. Tettinger,lZ 1990,846 ff. (852). 319 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 294.

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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die die Herabwürdigung und Erniedrigung der menschlichen Persönlichkeit verbietet. 32o Zwar wird diesem Verbot häufig bereits durch den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze oder das Recht der persönlichen Ehre Rechnung getragen. Ausgeschlossen ist der Rückgriff auf Art. 1 Abs. I deshalb jedoch nicht. Dies gilt insbesondere dann, wenn der ausdrückliche Gesetzesvorbehalt dem Schutzauftrag des Menschenwürdesatzes im Einzelfall nicht vollständig gerecht wird. 321 V. Das Zensurverbot

Art. 5 Abs. 1 Satz 3 lautet: "Eine Zensur findet nicht statt." Damit soll eine durch Kontrolle bewirkte Einschüchterung der kommunikationsbereiten Bürger sowie eine Beengung des Kommunikationsspektrums und die Gefahr der Meinungslenkung abgewehrt werden. 322 Beim Zensurverbot handelt es sich nicht um ein weiteres Freiheitsrecht, sondern um eine zusätzliche Eingriffsschranke, eine sog. "Schrankenschranke", an der Eingriffe in die Rechte des Art. 5 Abs. 1 GG gemessen werden, die ansonsten Ausdruck der Schranken des Art. 5 Abs. 2 sind. 323 Die systematische Stellung des Zensurverbots in Art. 5 Abs. 1 ist insoweit irreführend. Nach allgemeiner Ansicht ist das Zensurverbot seinerseits durch die Schranken des Art. 5 Abs. 2 nicht beschränkbar. 324 Wenn also ein Eingriff in die Rechte des Art. 5 Abs. 1 durch die Schranken des Art. 5 Abs. 2 gedeckt wird, so ist als weiterer Schritt zu prüfen, ob der Eingriff nicht das Zensurverbot verletzt. Zensur im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG ist nur die Vorzensur. 325 Eine 320 321 322

BVerfGE 30, 173 (194) - Mephisto.

R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 294. W. Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art. 5 I, 11 Rdnr. 75; ders., in: Benda/MaihoferNogel

(Hrsg.), Hdb. d. Verfassungsrechts, S. 426. Eine Darstellung staatlicher Zensurmaßnahmen in der Weimarer Republik und zur Zeit des NS-Regimes findet sich bei B. Meyding, Film und Recht 1982,413 ff. (415 ff.). 323 Heute ganz herrschende Ansicht, vgl. R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 66 zu Art. 5; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnm. 78, 296; ehr. Starck, MOOS, Art. 5 I, 11 Rdnr. 104; ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnm. 30, 136; H. D. Jarass, in: Jarass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 52; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnm. 688, 690. 324 BVerfGE 33, 52 (72) - "Der lachende Mann"; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 1,11 Rdnm. 284, 302; ehr. Starck, MOOS, Art. 5 I, 11 Rdnr. 104; H. D. Jarass, Freiheit der Massenmedien, S. 209 m.w.N.; W. Hoffmann-Riem, in: Benda/MaihoferNogel (Hrsg.), Hdb. d. Verfassungsrechts, S. 426; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 690. Andere Ansicht früher H. Ridder, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, 2. Bd., S. 283; v. MangoldtlKlein, 2. Aufl., Anm. IX 3 b) zu Art. 5. 325 BVerfGE 33, 52 (71) m.w.N. - "Der lachende Mann"; 47, 198 (236) - Wahlwerbespot KPD/ML; BVerfG, EuGRZ 1992, 614 (619) - "Tanz der Teufel"; auch BVerwG, JR 1973,436 (437); siehe auch R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 62

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Nachzensur, das heißt Kontroll- und Repressivmaßnahmen nach der Veröffentlichung von Meinungsinhalten, wird vom Zensurverbot nicht erfaßt. Derartige Maßnahmen sind allein anband der Grundrechtsschranken des Art. 5 Abs. 2 GG zu beurteilen.326 Unter Vorzensur sind "einschränkende Maßnahmen vor der Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerkes, insbesondere das Abhängigmachen von behördlicher Vorprüfung und Genehmigung seines Inhalts (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt)" zu verstehen. 327 In Bezug auf Filmwerke bedeutet Zensur "das generelle Verbot, ungeprüfte Filme der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, verbunden mit dem Gebot, Filme, die öffentlich vorgeführt werden sollen, zuvor der zuständigen Behörde vorzulegen, die sie anhand von Zensurgrundsätzen prüft und je nach dem Ergebnis ihrer Prüfung die öffentliche Vorführung erlaubt oder verbietet (sog. formeller Zensurbegriff). ,,328 Der so beschriebene formelle Zensurbegriff weist damit folgende Eigenschaften auf: Er verlangt zunächst eine inhaltliche Prüfung des Geisteswerkes vor seiner Veröffentlichung auf Gefahren durch den Meinungsinhalt mit der Folge von Er:laubnis oder Verbot. Andere Einschränkungen aufgrund inhaltsunabhängiger Gefahren, die lediglich aus der Art und Weise der Verbreitung entstehen können, werden vom Zensurbegriff nicht erfaßt (so etwa Verbote des Abwerfens von Druckwerken aus Flugzeugen wegen Verkehrsgefährdung).329 Reine Anzeigeund Vorlagepflichten, die nicht mit einem Verbot gekoppelt sind, stellen ebenfalls keine Zensur dar. 330 Zensur kann des weiteren nur durch die staatliche Exekutive zu Art. 5; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, II Rdnm. 78, 298; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, II Rdnr. 102; ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, II, Rdnr. 29; K. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 397; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 24 H 2 e) (S. 196); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 689; H. v. Hartlieb, Handbuch, 1. Kap. Rdnm. 5 f. Andere Ansicht jedoch W. Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art. 5 I, II Rdnm. 78 f.; ders., in: Benda/MaihoferNogel (Hrsg.), Hdb. d. Verfassungsrechts, S. 426 f.; Hamann/Lenz, Anm. B 8 zu Art. 5; K. G. Wernicke, Bonner Kommentar (Erstbearb.), Anm. II I f) zu Art. 5; M. Löffler, Presserecht Bd. I, § I LPG, Rdnm. 147 f.; J. Noltenius, Freiwillige Selbstkontrolle, S. 108 f. 326 BVerfGE 33, 52 (72) - "Der lachende Mann"; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 62 zu Art. 5; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, II Rdnr. 298; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, II Rdnr. 103. 327 BVerfGE 33, 52 (72) - "Der lachende Mann"; 47, 198 (236) - Wahlwerbespot KPD/ML; 73,118 (166) - Nieders. Landesrundfunkgesetz; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 62 zu Art. 5; ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, H, Rdnr. 29; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, H Rdnr. 299; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 689; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 24 II 2 e) (S. 196). 328 BVerfGE 33, 52 (72) - "Der lachende Mann"; siehe auchJ. Noltenius, Freiwillige Selbstkontrolle, S. 32, 106 m.w.N.; sowie ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, II Rdnr. 102. 329 R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 63 zu Art. 5; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, II Rdnr. 105.

A. Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG

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ausgeübt werden und nur durch hoheitliches Handeln. 331 Fiskalisches Handeln oder Handlungen von nichtbehördlicher Seite bilden keine Zensur. 332 Ein darüber hinausgehender sog. materieller Zensurbegriff, der auch sonstige Meinungsbeschränkungen erfaßt,333 wird von der allgemeinen Ansicht zu Recht abgelehnt. 334 Nicht unter das Zensurverbot fallen repressive Maßnahmen, die bestimmte Äußerungen ahnden, sei es im Wege zivilrechtlicher, strafrechtlicher oder verwaltungsrechtlicher (disziplinarrechtlicher) Verfolgung. Das Wesen der Zensur besteht in der Prävention bestimmter staatlicherseits unerwünschter Geisteswerke, nicht in deren nachträglicher Sanktionierung. In letzterem Falle verbleibt die vorherige Prüfung, ob der Tatbestand für Sanktionen erfüllt sein werde, beim sich Äußernden und dieser trägt auch die Entscheidung, das Risiko von Repressivmaßnahmen auf sich zu nehmen. Eine Zensur beläßt dem Kommunikator diese Handlungsmöglichkeit gerade nicht. 335 Mit diesen Ausführungen zum Zensurverbot endet die allgemeine Erarbeitung der den Videofilm betreffenden Freiheitsgewährleistungen durch Art. 5 Abs. 1 GG und der Eingriffsmöglichkeiten nach Art. 5 Abs. 2. Dies sind jedoch nicht die einzigen grundrechtlichen Freiheiten, die auf bespielte Videokassetten Wirkung entfalten können. Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich mit weiteren Freiheitsrechten.

R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 299; BVerfGE 33, 52 (74). I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 1 (3. Aufl.), Rdnr. 42 zu Art. 5; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 106. Andere Ansicht: W. Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art. 5 I, 11 Rdnr. 80 sowie in: Benda/MaihoferNogel (Hrsg.), Hdb. d. Verfassungsrechts, S. 427, der das Zensurverbot auch auf faktische, eingriffs gleiche Maßnahmen ausdehnen will. 332 I. v. Münch, a.a.O. 330 331

333 Vgl. dazu J. Noltenius, Freiwillige Selbstkontrolle, S. 106 ff.; P. Bär, Filmfreiheit, S. 80 ff. m.w.N.; siehe auch BVerwGE 23, 194 (199) - "Die Pamir"; sowie OLG Frankfurt, NJW 1963, 112. 334 R. Wendt, in: v. MünchlKunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 65 zu Art. 5; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, Il Rdnrn. 298 f.; ehr. Starck, MIK/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 105; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 2411 2 e); H. v. Hartlieb, Handbuch, I. Kap. Rdnm. 5,17. 335 Vgl. dazu ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 103; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 299; M. BreitbachlU. Rühl, NJW 1988,8 ff. (12); BVerfGE 33, 52 (73) - "Der lachende Mann"; BVerfG, EuGRZ 1992,614 (620) - "Tanz der Teufel".

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

Für die Hersteller und Vertreiber bespielter Videokassetten kommt neben dem Grundrechtsschutz durch Art. 5 Abs. 1 GG auch der Schutz durch die Kunstfreiheit in Betracht. Denn bei den auf Videokassetten gespeicherten Filmen kann es sich um Werke der Kunst im Sinne der Verfassungsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG handeln. Diese Vorschrift stellt in kurzen apodiktischen Worten fest, Kunst ist frei, und wirft damit 'nicht wenige Probleme auf. Die Frage nach Schutzbereich und Schranken dieses Grundrechts und insbesondere nach der juristischen Definition des Phänomens "Kunst" beschäftigt die rechtliche Diskussion bereits seit langem und ist noch heute trotz mannigfaltiger Ansätze ohne übereinstimmend akzeptierte Lösung geblieben. I. Der Begriff der Kunst im Sinne des Grundgesetzes

1. Problemstellung

Zunächst ist die Frage, wie der Begriff Kunst zu definieren ist, nur mit beträchtlichen Schwierigkeiten zu beantworten. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß hierbei nicht an einen gefestigten Begriff der Kunst im außerrechtlichen Bereich angeknüpft werden kann. Kunsttheorie und Ästhetik sowie die ausübenden Künstler selbst sehen sich außerstande, das Phänomen Kunst konsensfähig zu umschreiben. I Zu verschiedenartig sind die vielfältigen Manifestationen von Kunst, die im Gefolge der Modeme das Kunstleben bereichern2 und zu stark ist das Mißtrauen der Künstler und Kunsttheoretiker gegen starre Formen und strenge Konventionen. 3 Kunst ist nicht nur das Wahre, Schöne und Gute, sondern Kunst steht auch für das Irrationale, Emotionale bis hin zu Unordnung und Chaos. 4 Pablo Picasso erwiderte im Jahre 1926 auf die Frage, wie er Kunst definiere: "Wenn ich es wüßte, würde ich es für mich behalten.'.s Goethes Faust enthält den vielzitierten Satz: "Wenn ihr's nicht erfühlt, ihr werdet's nicht erjagen.',6 Dagegen steht die verschiedentlich Josef Beuys zugeschriebene The-

I Vgl. dazu BVerfGE 67, 213 (224 f.) - Anachronistischer Zug; G. Erbei, ZUM 1985,283 ff. (284); J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351 ff. (353 f.).

2 Siehe dazu D. Wellershoff, Die Auflösung des Kunstbegriffs, S. 28 ff.; ders., in: Merkur, Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 1975, S. 627 ff., 740 ff. 3 So BVerfGE 67, 213 (225) - Anachronistischer Zug. 4 H. v. Hartlieb, ZUM 1986,37. 5 Pablo Picasso, Wort und Bekenntnis, S. 26. 6 Johann Wolfgang v. Goethe, Faust, Erster Teil, Vers 534.

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

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se,7 alles sei Kunst und jeder Mensch ein Künstler. Und für Marcel Duchamp ist "jede gelebte Sekunde, jeder Atemzug ein Kunstwerk."g Diese Vorgaben erweisen sich als Hypothek für die rechtliche Bewältigung von Kunst als Verfassungsbegriff. Auch ein Blick auf das einfache Recht liefert keinen brauchbaren Anknüpfungspunkt für die verfassungsrechtliche Begriffsbestimmung. Zwar enthalten einige einfach-gesetzliche Rechtsnormen kunstbezogene Regelungen und verwenden dabei den Rechtsbegriff Kunst als Tatbestandsmerkmal. Entsprechende Normierungen finden sich etwa im Gewerberecht (§ 33a GewO), im Handelsrecht (§ 429 Abs. 2 HGB), im Steuerrecht (§ 18 Abs. 1 Satz 2 EStG), im Urheberrecht (§§ 1,2 UrhG) und im Jugendschutzrecht (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS). 9 Definiert wird der Begriff Kunst in diesen Bestimmungen jedoch nicht. Zudem sind diese Normen deutlich zielgerichtet und so auf den jeweiligen Regelungsbereich bezogen, daß von Rechtsprechung und Literatur dazu entwikkelte Definitionen nicht ohne weiteres auf die Verfassungsebene zu übertragen sind. 1O So schützt das Urheberrecht gemäß §§ 1,2 UrhG Werke der Literatur, der Wissenschaft und der Kunst. Da die Literatur hierbei als eigenes Schutzgut genannt wird, braucht der Kunstbegriff des Urheberrechts literarische Werke nicht zu umfassen. Zudem führt der Regelungszweck des Urheberrechts, der auf persönliche geistige Schöpfungen abstellt, zu einer Unterscheidung zwischen individuellem Eigengut, das die geistige Selbständigkeit des Künstlers dokumentiert und urheberrechtlich geschützt wird, und Gemeingut, welches das Kunstschaffen früherer Epochen repräsentiert und nicht den gleichen Schutz genießt. 11 Außerdem stellt das Urheberrecht auf das fertige Werk ab, während das Verfassungsrecht die künstlerische Tätigkeit als solche erfaßt, auch wenn das Kunstwerk 7 So von Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 185 Fußn. 29, und Th. Würtenberger, NJW 1983, 1144 ff. (1145 Fußn. 24), unter Berufung auf: lose! Beuys, Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1977/78,79, S. 135 ff., sowie dens. im Spiegel-Gespräch, Der Spiegel Nr. 45 vom 5. 11. 1979, S. 268 ; auch D. WellershoJ!, in: Merkur, Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 1975, S. 740 ff.; ders., Die Auflösung des Kunstbegriffs, S. 28, 119. Dazu jedoch E. Denninger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 146 Rdnr. 3 Fußn. 13. g P. Cabanne, Gespräche mit Marcel Duchamp, S. 109. 9 Siehe auch die ausführliche Übersicht bei G. Erbe!, ZUM 1985,283 ff. (291 f.). 10 BVerfGE 67, 213 (225) - Anachronistischer Zug; l. F. Hensche!, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351 ff. (354); Th. Würtenberger, in: Festschrift für Dreher 1977, S. 79 ff. (80); C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 19; G. Zöbe!ey, NJW 1985,254 ff. (256); M. Schick, JZ 1970,645; G. Erbe!, Kunstfreiheitsgarantie, S. 93; ders., -ZUM 1985,283 ff. (292). Zu den unterschiedlichen Zielrichtungen von UrhG und GjS vgl. auch BVerwGE 25, 318 (327 f.) - Dein Sohn läßt grüßen. 11 Vgl. dazu C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 20 f.; G. Erbe!, ZUM 1985, 283 ff. (292).

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

unvollendet bleibt. 12 Ähnliche Unterschiede bestehen auch im Einkommensteuerrecht. § 18 Abs. 1 Satz 2 EStG unterscheidet zwischen künstlerischer und schriftstellerischer Tätigkeit. Der Autor eines Theaterstücks etwa ist danach im steuerrechtlichen Sinne nicht künstlerisch tätig. Zudem regelt das Steuerrecht nicht den Schutz der freien künstlerischen Betätigung, sondern die staatliche Teilhabe an ihrem ökonomischen Erfolg. Nicht auf Erwerb gerichtete Kunst ist für das Steuerrecht somit bedeutungslos. 13 Ganz anders ist dagegen Kunst im Sinne des Grundgesetzes strukturiert. Die Freiheit der Kunst schützt alle Kunstschaffenden und alle an der Darbietung und Verbreitung von Kunstwerken Beteiligten vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt in den künstlerischen Bereich. Sie enthält zugleich eine objektive Wertentscheidung zugunsten eines freiheitlichen Kunstlebens. 14 Sinn und Aufgabe der Kunstfreiheit ist vor allem, die auf der Eigengesetzlichkeit der Kunst beruhenden, von ästhetischen Rücksichten bestimmten Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen von jeglicher Ingerenz öffentlicher Gewalt freizuhalten. Der künstlerische Schaffensprozeß soll sich frei entfalten können. 15 Der verfassungsrechtliche Kunstbegriff ist daher gegenüber den einfach-gesetzlichen Begriffsverständnissen autonom. 16 Zudem wirkt er beeinflussend auf die Auslegung des einfachen Rechts und nicht umgekehrt das einfache Recht beeinflussend auf ihn. I? In der verfassungsrechtlichen Diskussion um den Kunstbegriff stehen sich verschiedene Meinungsrichtungen gegenüber, die im folgenden dargestellt werden.

12

(292).

C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 22 f.; G. Erbel, ZUM 1985,283 ff.

13 Siehe dazu C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 20 f.; G. Erbel, ZUM 1985, 283 ff. (293); P. Kirchhof, NJW 1985, 225 ff. (228). Demgegenüber will im Gewerberecht eine Ansicht nur die "brotlose Kunst" als Kunst anerkennen, vgl. Sieg/Leijermann, Gewerbeordnung (4. Aufl. 1978), § 1 Bem. 2 e). Andere Ansicht jedoch OVG Münster, NVwZ 1988, 1147 (1148). 14 BVerfGE 36, 321 (331); 67, 213 (224) - Anachronistischer Zug; R. Schatz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnrn. 16 f.; G. Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 99 ff.; W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 177 ff. 15 BVerfGE 30, 173 (190) - Mephisto; 31,229 (238 f.); BVerwGE 39, 197 (208)Die Sünden der Söhne; G. Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 100; Ph. Kunig/K. Meirowitz, JUS 1984, 288 ff. (290). 16 J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassennann 1985, S. 351 ff. (354). 17 Dazu auch G. Erbel, ZUM 1985, 283 ff. (293) sowie oben Abschn. A II 2 b) (S.l00 f.).

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

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2. Kunstdefinitionen in Literatur und Rechtsprechung

a) Der materiale Kunstbegriff Nach dem von einem Großteil der Literatur 18 und vom Bundesverfassungsgericht in der "Mephisto" -Entscheidung l9 vertretenen materialen Begriffs verständnis wird Kunst mit inhaltlichen, ästhetischen und wertbezogenen Kriterien umschrieben. Das Bundesverfassungsgericht nennt als das Wesentliche der künstlerischen Betätigung "die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers. ,,20 Merkmale von Kunst sind danach die schöpferische Gestaltung, die Formensprache, der Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Gestaltenden. Eine ähnliche Beschreibung liefert Scholz, indem er Kunst definiert als jeden "schöpferisch-individualen Akt sinnlich-anschaulicher Formgebung, der der ,objektivierte' Ausdruck eines persönlichen Erlebnisses seines Schöpfers ist und auf kommunikative Sinnvermiulung nach außen gerichtet iSt.,,21

In Varianten dieser Auffassung wird Kunst zuweilen enger, zuweilen weiter definiert. Einige Autoren mit engerem Begriffsverständnis fügen mehr oder weniger weitreichende qualitative Kriterien hinzu, um Kunst von Nichtkunst zu unterscheiden. So wird die Begriffsbestimmung des Bundesverfassungsgerichts zuweilen um "das Erfordernis meisterhaften Könnens" erweitert22 oder Kunst 18 So etwa von R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnm. 24, 29; Chr. Starck, MOOS, Art. 5 III Rdnr. 186; H. v. Hartlieb, Die Freiheit der Kunst und das Sittengesetz, S. 21 ff.; Th. Würtenberger, in: Festschrift für Dreher 1977, S. 79 ff. (89 ff.); ders., NJW 1982, 610 ff. (613 f.); W. Geiger, in: Festschrift für Leibholz 1966, Bd. H, S. 187 ff. (191); C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 26 ff.; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 24 11 3 (S. 199). 19 BVerfGE 30, 173 ff. - Beschluß vom 24.2. 1971. 20 BVerfGE 30, 173 (189) - Mephisto; siehe auch BVerfGE 67, 213 (226) - Anachronistischer Zug. Dem folgend: OVG Münster, NVwZ 1988, 1147 (1148) - Maler in Fußgängerzone; OLG Frankfurt, NJW 1986, 1272 (1273) - Verunglimpfung der Bundesflagge; OLG Hamburg, JR 1983,508 (509) - "Die Hexenjagd", das jedoch die Definition der Mephisto-Entscheidung als formalen Kunstbegriff bezeichnet (siehe dazu auch Anm. H. Otto,'JR 1983,511; ders., NJW 1986, 1206 ff. [1207 ff.]); vgl. auch BGHZ 16,4 (6); BGH, GRUR 1974,669 (671).

21 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 29.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

wird beschrieben als "diejenige Gestaltung eines seelisch-geistigen Gehalts, deren Wesensmerkmale in der Phantasie und im Ästhetischen liegen, und die ein Mindestmaß an gestalterischer Qualität aufweist.,,23 Manchmal wird auch betont, es gelte, den Kunstbereich vom "durch Dilettantismus und Stümperhaftigkeit gekennzeichneten bloßen ,Machwerk'" zu trennen. 24 Andere Autoren mit weiterem Begriffsverständnis fordern lediglich das "individuelle, auf Entfaltung der schöpferischen Persönlichkeitskräfte gerichtete Schaffen und Publizieren, ohne Rücksicht auf den Inhalt, die Stilrichtung oder die Schaffenshöhe der Gestaltung,,25 oder als einziges Kriterium, "daß der ,Stoff', was immer das sein mag, in ,Form gebracht' wird.,,26 Starck verlangt einen "schöpferischen Akt, der sich durch eine wie auch immer geartete erkennbare geistige Struktur in kunsttypischer oder in ähnlicher neuer Formgebung auszeichnet und der als solcher nicht unter den besonderen Schutz anderer Grundrechte fällt. ,,27 Kritiker des materialen Kunstverständnisses werfen den Anhängern dieser Auffassung vor, daß sie sich in inhaltsarmen Leerformeln ergingen. Es bliebe die Schwierigkeit, festzustellen, was schöpferisch sei und was nicht, was noch Sinngehalt habe und was nicht mehr und welche Mindestanforderungen an die Formgebung zu stellen seien. 28 Gerade im Zweifelsfall würden die verschiedenen Definitionen nicht weiterhelfen 29 und noch viel Raum für richterliche Subjektivität und Dezisionismus lassen. 3o Zuweilen wird sogar gescholten, es handele 22 Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 24 II 3 (S. 199). 23 H. v. Hartlieb, Die Freiheit der Kunst und das Sittengesetz, S. 24; zu der Anschauung

von Kunst als Qualitätsbegriff vgl. auch C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 31 f. Auch das Bundesverwaltungsgericht stellt ausdrücklich fest, daß eine untere Grenze zur Nichtkunst festgelegt werden müsse und Art. 5 Abs. 3 nur die daTÜberliegende gehobene Kunst schütze, vgl. BVerwGE 23, 104 (107 f.) - Die Rechnung ohne den Wirt. 24 Th. Würtenberger, NJW 1982, 610 ff. (615); siehe auch OLG Frankfurt, NJW 1986, 1272 (1274) - Verunglimpfung der Bundesflagge. 25 G. Erbei, Kunstfreiheitsgarantie, S. 94; ähnlich auch OLG Stuttgart, NJW 1989, 396 - Schlüsselroman "Barfuß im Sand". 26 W. Geiger, in: Festschrift für Leibholz 1966, Bd.II, S. 187 ff. (191).

27 Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 186. Diese Definition bewegt sich schon auf den sogleich zu behandelnden formalen Kunstbegriff zu. Die Vorauflage des Kommentars verwendete noch den häufig als Leerformel kritisierten Kunstbegriff des "Großen Brockhaus", indem sie Kunst definierte als: "die Gestaltung eines seelisch-geistigen Gehalts durch eine eigenwertige Form nach bestimmten Gesetzen." (v. Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Anm. X 3 zu Art. 5; so auch Hamann/Lenz, Anm. 13 zu Art. 5). 28 G. Zöbeley, NJW 1985,254 ff. (255); P. Bär, Filmfreiheit, S. 112 f.; J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351 ff. (356). 29 1. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 1 (3. Aufl.), Rdnr. 60c zu Art. 5. 30 Chr. Prause, Kunst und Politik, S. 75 f.

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

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sich um "semantischen Unsinn, von dem eine unerträgliche Rechtsunsicherheit ausgeht.'.:!! Darüberhinaus wird auch das aus vielen Definitionen sprechende idealistische Kunstverständnis der Ästhetik gerügt, da der Kunstbegriff des Grundgesetzes nicht ästhetische Regeln juristisch absegnen dürfe, sondern wertneutral sein müsse. Nur dadurch könne die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG zur Geltung gebracht werden. 32 b) Der formale Kunstbegriff Als Gegenposition zum materialen Kunstverständnis ist der formale Kunstbegriff entstanden. Seine Vertreter lassen für die Kunsteigenschaft genügen, daß bei formaler, typologischer Betrachtung die Gauungsanforderungen eines bestimmten Werktyps erfüllt sind. 33 Kunst ist danach kein qualitativer Wertbegriff, sondern ein Anknüpfungs- und Verweisungsbegriff, der lediglich zur Folge hat, daß das Grundrecht der Kunstfreiheit als Maßstab einschlägig wird. Dies sei noch keine generelle Freistellung des Kunstschaffenden von der allgemeinen Rechtsordnung, denn über seine eventuelle Privilegierung werde letztlich erst im Rahmen der Grundrechtsschranken entschieden. Nur so könne die Freiheitlichkeit des Kunstbereichs gewährleistet und die ästhetische Neutralität des Staates aufrechterhalten werden. 34 Im übrigen sei Kunst so unterschiedlich und weise je nach Werktyp so verschiedenartige Strukturen auf, daß ein umfassender Allgemeinbegriff versagen müsse und nur strukturelle Umschreibungen für einzelne WerkgaUungen möglich seien.35 Kunst ist hiernach also "jede Arbeit, von der die formaltypischen allgemeinen Gattungsanforderungen eines Werktyps erfüllt werden ...36 Angeknüpft wird allein an die Tätigkeit des MaIens, Musizierens, Bildhauens, Dichtens, Herstellens von Spielfilmen usw. ohne Rücksicht auf die Qualität des jeweils Geschaffenen. 37 W. D. von Noorden, Die Freiheit der Kunst, S. 62. F. Müller, Freiheit der Kunst, S. 35 ff.; ders., JZ 1970, 87 ff. (89); W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 216 f.; G. Zöbeley, NJW 1985,254 ff. (255); M. Schick, JZ 1970, 645 f.; R. Schotz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 28; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 186. 33 F. Müller, Freiheit der Kunst, S. 40 ff.; ders., JZ 1970,87 ff. (89); auch W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 219 f.; Th. Maunz, in: Festschrift für K. Loewenstein 1971, S. 343 ff. (346 f.); ders., BayVBl 1970, 354 ff. (355); zustimmend L. Zechlin, NJW 1984, 1091 ff. (1092); K.-H. Ladeur, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 11, Rdnr. 10; J. Hoffmann, NJW 1985, 237 ff.; B. J. d'Heur, Der Strafverteidiger 1991, 165 ff. (166). In der Rechtsprechung auch BVerwGE 1, 303 (305) - Die Sünderin, wo der Spielfilm generell der Kunst zugeordnet wurde; vgl. aber BVerwGE 23, 104 (106). 34 F. Müller, Freiheit der Kunst, S. 37 ff. 35 F. Müller, Freiheit der Kunst, S. 40 f.; ders., JZ 1970, 87 ff. (89). 36 F. Müller,JZ 1970,87 ff. (89); dazu auchJ. Hoffmann, NJW 1985,237 f. 3!

32

11 Meirowitz

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Es liege dabei im Belieben des einzelnen, "ob er von der Kunstfreiheit einen guten oder schlechten Gebrauch macht"; das Werk des Genies wie das Produkt des Stümpers sollen vor der Verfassung die gleiche Existenzberechtigung haben, das gleiche Freiheitsrecht stehe "dem Urheber eines ,Hamlet' -Films und dem Produzenten eines ,Western' zu". 38 Insoweit bestehe Ähnlichkeit zu Art. 5 Abs. 1 GG, der gute und schlechte Meinungen schützt und der sowohl die seriöse politische Presse als auch die Skandalpresse in seine Gewährleistung einbezieht. 39 Erst die Nichtzugehörigkeit zu einer anerkannten oder anerkennungsfähigen Kunstgattung bzw. die Zugehörigkeit zu einer Nicht-Kunstgattung verhindere die Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 3 GG. 4O Aus der Freiheitsgarantie für die Kunst entwickelt Knies ein qualitatives Definitionsverbot für den Kunstbegriff. 41 Rechtliche Freiheit sei dadurch gekennzeichnet, daß der Staat den Inhalt dieser Freiheit gerade nicht definiert und dadurch determiniert. Was Freiheit ist, könne in letzter Instanz nur derjenige entscheiden, der frei sein sol1.42 Dies sei vom Bundesverfassungsgericht für die Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs 1 GG ausdrücklich anerkannt worden, da der Staat dort dem Bürger keine bestimmte Glaubensrichtung vorschreiben dürfe. 43 Kritiker dieser Ansicht postulieren hingegen umgekehrt für die Kunst ein Definitionsgebot. 44 Da die Kunstfreiheit einen Schutz gegen Eingriffe in ihren Freiheitsbereich gewährleisten solle, müsse dieser Bereich definierbar sein. Denn was der Staat nicht definieren kann, das könne er auch nicht schützen. 45 Zwar dürfe der Inhalt der Freiheit nicht festgelegt werden, sondern müsse wertneutral 37 W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 220; F. Müller, Freiheit der Kunst, S. 41 f. 38 W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 220 f. 39 W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 222. 40 F. Müller, Freiheit der Kunst, S. 44. 41 W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 217 f.; zustimmendB. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 202; G. Hartmann, JUS 1976,649 ff. (651);J. Hoffmann, NJW 1985,237 f.; K.-H. Ladeur, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 II, Rdnr. 10; zurückhaltender H. Ouo, NJW 1986, 1206 ff. (1209). 42 W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 218. 43 W. Knies, a.a.O., unter Berufung auf BVerfGE 12, 1 (4) - Tabak für Kirchenaustritt.

44 R. Schotz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 25; H. Bethge, ZUM 1989, 492 ff. (494); J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351; G. Zöbeley, NJW 1985, 254; Th. Würtenberger, NJW 1982, 610 ff. (614); ders., NJW 1983, 1144 ff. (1145); G. Greiffenhagen, in: F.- L. Knemeyer/G. Greiffenhagen, Der Staat 8 (1969), 240 ff. (249 f.); H. v. Hartlieb, ZUM 1986,37; C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 9 ff.; P. Bär, Filmfreiheit, S. 123; G. Erbei, DVBI 1969, 863 ff. (864, 866); J. Würkner, JA 1988, 183 ff. (185); ders., NVwZ 1987, 841 ff. (843 f.); P. Emmerich/J. Würkner, NJW 1986, 1195 ff. (1199); auch BGH, NJW 1975, 1882 (1884); BVerfGE 75, 369 (377) - Schweinchen-Karikatur; 67, 213 (225) - Anachronistischer Zug.

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bleiben. Der Freiheitsbereich als solcher jedoch sei definitions bedürftig, so wie bei jedem anderen Verfassungsbegriff auch (wie zum Beispiel "Glaube", "Gewissen", "Meinungsäußerung"), unabhängig vom geschützten Inhalt. Kunst im Sinne des Grundgesetzes sei ein Rechtsbegriff, dessen Merkmale bestimmt werden müßten.46 Gegen das Anknüpfen an Phänotypen wird vorgebracht, daß damit neue Kunstformen kaum erfaßt werden könnten. Bei der Bestimmung der Phänotypen müsse auf etablierte, allgemein anerkannte Kunstgattungen zurückgegriffen werden. Dadurch bekomme der formale Kunstbegriff eine konservative Tendenz und könne so die künstlerische Avantgarde, die sich hergebrachten Werktypen nicht zuordnen lasse, nur schwer einbeziehen. 47 Zudem sei der formale Kunstbegriff auch nicht frei von qualitativen Wertungen. Diese würden lediglich an anderer Stelle einfließen, nämlich bei der Bildung jener Phänotypen. 48 Deutlich werde dies, wenn "Romanschreiben" als Kuristgattung anerkannt werde,49 Kurzgeschichten, Features, Glossen und Satiren jedoch nicht. Und wenn "Herstellen von Spielfilmen" Kunst sein soll,50 so stelle sich die Frage, warum andere Filmgattungen wie Kurzfilme, Kulturfilme etc. von vornherein als Nichtkunst qualifiziert würden. 51 Schließlich führe das reine Abstellen auf die verwendete Ausdrucksform ohne Ansehung des damit verfolgten Zwecks dazu, daß der Kunstbegriff völlig konturlos werde. So erfasse der formale Kunstbegriff letztlich auch das Erzeugen von Mißtönen auf einem Musikinstrument, nur "um im Garten die Vögel zu verscheuchen".52 45 J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351; G. Zäbeley, NJW 1985,254; A. Arndt, NJW 1966,25 ff. (28). 46 G.Greiffenhagen, in: F.- L. Knemeyer/G. Greiffenhagen, Der Staat 8 (1969), 240 ff. (249 f.); C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 10; H. v. Hartlieb, ZUM 1986, 37; ders., Die Freiheit der Kunst und das Sittengesetz, S. 65 ff.; E. Denninger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 146 Rdnr. 1. 47 Vgl. dazu G. Greiffenhagen, in: F.- L. Knemeyer/G. Greiffenhagen, Der Staat 8 (1969),240 ff. (249); J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351 ff. (357); G. Zäbeley, NJW 1985,254 ff. (255); C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 18,23; H. OUo, IR 1983, 1 ff. (9 f.); E. Denninger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 146 Rdnr. 6. G. Erbei, DVB1 1969, 863 ff. (866) und C.-H. Heuer, a.a.O. S. 23 f. erkennen den formalen Kunstbegriff jedoch als Hilfsmittel bzw. widerlegbare Vermutung für künstlerische Betätigung an. 48 G. Greiffenhagen, in: F.- L. Knemeyer/G. Greiffenhagen, Der Staat 8 (1969), 240 ff. (249); Chr. Prause, Kunst und Politik, S. 80. 49 So bei W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 220. 50 W. Knies, a.a.O.

51 G. Greiffenhagen, in: F.- L. Knemeyer/G. Greiffenhagen, Der Staat 8 (1969), 240 ff. (249); P. Bär, Filmfreiheit, S. 118 f. 52 G. Erbei, DVBl1969, 863 ff. (865). 11"

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

c) Der zeichentheoretische Ansatz fortgesetzter Interpretationsmöglichkeit Einen anderen Weg geht von Noorden53 in seiner Dissertation aus dem Jahre 1969, die bis zu ihrer Berücksichtigung im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts von 1984 zum "anachronistischen Zug,,54 nur wenig Beachtung fand. Von Noorden sieht das kennzeichnende Merkmal der künstlerischen Darstellung in der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts, die es ermöglicht, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiter reichende Bedeutungen zu entnehmen, so daß sich eine praktisch unerschöpfliche vielstufige Informationsvermittlung ergibt.55 Er unterscheidet zunächst künstlerische und schlichte, nicht-künstlerische Darstellungen. Beide hätten gemein, daß sie aus stofflichen Zeichen bestünden, die eine Bedeutung vermitteln, dadurch, daß in dem jeweiligen Zeichensystem gemeinsame semantische Regeln für ihren Gebrauch bestehen und angewendet werden. Die schlichte Darstellung vermittle jedoch nur eine einfache Aussage, bei der die verwendeten Zeichen nicht über ihre alltägliche Bedeutung hinausweisen. Ihre Interpretation ist begrenzt und kommt bald zu ihrem Ende. Die Projektion des darzustellenden Sachverhalts in ein anderes Zeichensystem (etwa vom Buch zum Film) bereitet wegen der einfachen Bedeutungsebene keinerlei Schwierigkeiten. Die künstlerische Darstellung jedoch vermittle eine "Bedeutungsquantität", die sich erst bei einer mehrstufigen Reflexion voll entfalten könne. 56 Zur Veranschaulichung dieser Überlegungen dient ihm ein Vergleich zwischen einem schlichten Kriminalroman und den Werken von Dostojewsky. Der durchschnittliche Kriminalroman werde nach aller Spannung, mit der er den Leser in Atem hält, am Schluß nach der Auflösung aller Fragen belanglos. Die künstlerischen Kriminalromane von Dostojewsky hingegen entfalteten eine unerschöpfliche Fülle psychologischer, religiöser, soziologischer Bedeutungen und Deutungsmöglichkeiten; die in ihnen enthaltenen Sinn- und Formbezüge seien mit Auflösung der äußeren Handlungsspannung keineswegs an ihr Ende gelangt, so daß diese Werke immer wieder neu gelesen und interpretiert werden könnten. 57 53 W. D. von Noorden, Die Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz (Art. 5 Abs. 3 Satz I GG) und die Strafbarkeit der Verbreitung unzüchtiger Darstellungen (§ 184 Abs. I Nr. I StGB), Diss. Köln 1969. 54 BVerfGE 67, 213 (225, 227). 55 W. D. von Noorden, Die Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz, S. 87; siehe dazu auch W. Emrich, in: Universitätstage 1964: Gesellschaftliche Wirklichkeit im 20. Jahrhundert und Strafrechtsreform, S. 159 ff. (163 ff.); und - auf Emrich Bezug nehmend - BVerwGE 23, 104 (107) - Die Rechnung ohne den Wirt. 56 Zu alldem W. D. von Noorden, Die Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz, S. 82 ff.

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Diese Auffassung resultiert jedoch in einem weitgehend engen Kunstbegriff. Im Ergebnis soll hiernach der überwiegende Teil der durch Schallplatten, Tageszeitungen, Wochenmagazine, Groschenromane u.a. verbreiteten Darstellungen "den schützenden Arm der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie nicht erreichen".58 Bedenken verursacht die hierin vermutete versteckte Qualitätsbeurteilung sowie der Ausschluß jeglichen fehlgeschlagenen künstlerischen Bemühens. Zudem besteht auch die Gefahr, daß derzeit noch unverständliche avangardistische Kunst ausgenommen bleibt, da sie mangels Verständnisses keine vielstufige Informationsvermittlung entfalten könne. 59 d) Das künstlerische Selbstverständnis und die Anerkennung durch Dritte Andere Lösungsansätze wollen das Selbstverständnis und den ernsthaften subjektiven Gestaltungswillen des Künstlers oder die Auffassung der "Kunstszene" als ausschlaggebend ansehen, da nur dem Kunstschaffenden selbst eine Beurteilungskompetenz zugebilligt werden könne. 6O Des weiteren wird auch das Kriterium der "Drittanerkennung" eingeführt, womit die Anerkennung des Kunstwerkes durch einen !n Kunstfragen kompetenten Sachverständigen gemeint ist. 61 Das zu beurteilende Werk müsse dem kompetenten Dritten als Ergebnis einer Bemühung erscheinen, die sich als künstlerisch bezeichnen läßt. 62 Zuweilen wird auch als hinreichend angesehen, daß alternativ entweder das eine oder das andere Kriterium vorliegt. Kunst ist danach das von seinem Schöpfer ernsthaft und glaubwürdig als Kunst Bezeichnete oder das durch Dritte Anerkannte.63 Von Münch geht zunächst von der subjektiven Behauptung des Künstlers aus, läßt diese allein jedoch nicht ausreichen, da ein Definitionsmonopol des Künstlers64 die völlige Auflösung des Begriffs Kunst und damit dessen juristische 57 W. D. von Noorden, Die Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz, S. 86, unter Berufung auf W. Emrich, a.a.O., S. 159 ff. (164). 58 W. D. von Noorden, Die Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz, S. 88. 59 J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351 ff. (357); G. Zöbeley, NJW 1985,254 ff. (255 f.). 60 S. Ott, Kunst und Staat, S. 88, 115; ders., NJW 1981,2397 ff. (2398); P. Bär, Filmfreiheit, S. 135 f.; siehe auch G. Erbei, DVB1 1969, 863 ff. (865); dazu auch P. Häberle, AöR 110 (1985), 577 ff. (598 f.). 61 M. Schick, JZ 1970,645 ff. (646 f.); H. Leonardy, NJW 1967,714 ff. (715); siehe dazu auch BVerwGE 23, 194 (200 f.) - Die Pamir; 25, 318 (327) - Dein Sohn läßt grüßen. 62 M. Schick, JZ 1970,645 ff. (646). 63 P. Bär, Filmfreiheit, S. 136 ff. 64 Gegen ein solches auch BVerwGE 23,104 (111) - Die Rechnung ohne den Wirt;

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Unbrauchbarkeit herbeiführen würde. 65 In Zweifelsfällen soll es auf das Urteil des in Kunstfragen kompetenten Dritten ankommen. Um die Gefahr mißbräuchlicher Restriktionen auszuschließen, sei allein entscheidend, ob der Sachverständige es für vertretbar halte, das fragliche Gebilde noch als Kunstwerk anzusehen. 66 Kritiker dieses Rückgriffs auf Sachverständige machen geltend, daß er die staatliche Entscheidungsverantwortung verlagere und die Verantwortlichkeit verschleiere, der sich der Jurist nicht entziehen dürfe. 67 Darüberhinaus sprechen sie von Auslieferung an eventuelle Vorurteile eines Dritten, vom begrenzten Sachverstand und häufigen Irrtümern der Experten und von teilweiser Orientierungslosigkeit der Kunsttheorie in bezug auf Grenzziehungen. 68 Wenn Sachverständige lediglich eine Interpretations- und Entscheidungshilfe für den Juristen darstellen, werden sie jedoch vielfach akzeptiert. 69 e) Das topische Verfahren in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht machte seine Ausführungen zum wertbezogenen materialen Kunstbegriff im Mephisto-Beschluß 70 seinerzeit vor dem Hintergrund, daß Instanzgerichte und alle Beteiligten dem betroffenen Roman von Klaus Mann von vornherein Kunsteigenschaft zugebilligt hatten. 71 Das Gericht wies in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, daß Reichweite und Bedeutung R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 26; M. Schick, JZ 1970,645 ff. (646); J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351 ff. (353, 356). 65 I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 1 (3. Aufl.), Rdnm. 60 f. zu Art. 5; vgl. auch R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1 (4. Aufl.), Rdnm. 90 f. zu Art. 5. 66 I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 1 (3. Aufl.), Rdnr. 60b zu Art. 5; siehe auch ders., Grundbegriffe Bd. 1, Rdnr. 358; vgl. auch R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1 (4. Aufl.), Rdnr. 92 zu Art. 5. 67 C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 13; P. Bär, Filmfreiheit, S. 115. Dagegen führt I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 1 (3. Aufl.), Rdnr. 60c zu Art. 5 jedoch zu Recht an, daß mit der Drittanerkennung letztlich das den Streitfall unter Beiziehung von Sachverständigen entscheidende Gericht gemeint sei. 68 Siehe dazu J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351 ff. (356); G. Zöbeley, NJW 1985,254 ff. (256); S. Olt, NJW 1981,2397 ff. (2398); c.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 12 ff.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 26; W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 162 ff.; P. Bär, Filmfreiheit, S. 114 f. 69 J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351 ff. (358); G. Zöbeley, NJW 1985,254 ff. (258); H. Bethge, ZUM 1989,492 ff. (494); C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 16; Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 186; auch E. Denninger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 146 Rdnm. 8, 10. 70 BVerfGE 30, 173 (188 f.) - Mephisto. 71 BVerfGE 30, 173 (189 f.).

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

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der Kunstfreiheitsgarantie nicht in einer für alle Kunstgattungen gleichermaßen gültigen Weise festgelegt werden könnten. 72 In seiner Entscheidung zum "anachronistischen Zug" knüpft es hieran an und betont, daß es unmöglich sei, Kunst generell zu definieren. 73 An einen gefestigten Kunstbegriff im außerrechtlichen Bereich lasse sich nicht anknüpfen. Die verschiedenen Begriffsbestimmungen der verfassungsrechtlichen Literatur beträfen lediglich Teilaspekte und könnten nur für einzelne Sparten künstlerischer Betätigung Geltung beanspruchen. Immerhin enthielten sie jedoch tragfähige Gesichtspunkte, die in ihrer Gesamtheit die Entscheidung ermöglichten, ob im Einzelfall Kunst vorliegt oder nicht. 74 Daher verzichtet das Gericht auf eine einheitliche Kunstdefinition und greift statt dessen - bei stets gebotenem weiten Kunstverständnis - den materialen Kunstbegriff, den formalen Kunstbegriff und den zeichentheoretischen Lösungsweg fortgesetzter Interpretationsmöglichkeit als konsensfähige Ansatzpunkte auf und untersucht den fraglichen Sachverhalt anhand deren jeweiliger Merkmale.75 Dieser "Rückzug auf eine Lösung im topischen Verfahren,,76 erfährt in der Literatur Rechtfertigung77 wie auch Kritik. 78 Einerseits wird er als der "einzige Weg aus der Sackgasse ergebnisloser Definitionsversuche" angesehen/ 9 der der Offenheit des Kunstbegriffs angemessen Rechnung trage, ästhetische Vorurteile abmildere und zu vertretbaren Lösungen führe. 80 Von anderer Seite wird die Ansicht von der UJlmöglichkeit, Kunst generell zu definieren, als "Irrlehre" und "nicht der Weisheit letzter Schluß,,81 bezeichnet, und dem topischen Ver72

BVerfGE a.a.O. (189).

73 BVerfGE 67, 213 (224, 225) - Anachronistischer Zug; auch BVerfGE 75, 369

(377) - Schweinchen-Karikatur. 74 BVerfGE 67, 213 (224 ff.) - Anachronistischer Zug. 75 BVerfGE 67, 213 (226 f.); auch BVerfGE 81, 278 (291) - Laßt mich bloß in Frieden; 81, 298 (305) - Deutschlandlied '86; 83, 130 (138) - Josefine Mutzenbacher. Siehe zum ,,Prüfungsschema" des Bundesverfassungsgerichts J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351 ff. (357 f.); ders., NJW 1990, 1937 ff. (1938 f.); G. Zöbeley, NJW 1985,254 ff. (257 f.). Auf diese Rechtspr. des Verfassungsgerichts berufen sich auch BVerwGE 77, 75 (82, 85) - Der stählerne Traum; BVerwG, NJW 1987, 1836 f. - Straßenkunst; LG Stuttgart, ZUM 1989,365 (366 ff.) und LG Lübeck, BPS-Report 6/1986,22 f. - Henry Millers Opus Pistorum; VGH Mannheim, NJW 1989, 1299 f. Straßenkunst; OVG Münster, NVwZ 1992, 396 f. - Zärtliche Rituale. 76 G. Zöbeley,NJW 1985,254 ff. (255). 77 Gerechtfertigt und erläutert wird er von Bundesverfassungsrichter J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351 ff. (357 f.); und seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter G. Zöbeley, NJW 1985,254 ff.; sowie G. Erbei, ZUM 1985,283 ff. (294 f.). 78 Kritik erfahrt er in mehreren Beiträgen von J. Würkner, in: NVwZ 1987, 841 ff. (844); NJW 1988,317 ff. (318); ZUM 1988, 171 ff. (175); JA 1988, 183 ff. (185). 79 G. Zöbeley, NJW 1985,254 ff. (255). 80 J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351 ff. (357 f.); G. Zöbeley, NJW 1985,254 ff. (257 f.).

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

fahren wird vorgeworfen, es stelle die Freiheit der Kunst zur freien Disposition der Gerichte. 82 Als Ausweg wird dagegen eine generelle Rahmendefinition vorgeschlagen, die als funktionale Zweckschöpfung das Territorium absteckt, innerhalb dessen sich Kunst frei verwirklichen läßt, und die den Begriff Kunst als "kreative Kommunikation interpretationsfahiger Struktur" umschreibt. 83 3. Stellungnahme

Eine Bewertung der verschiedenen Lösungsansätze muß von folgenden Gesichtspunkten ausgehen: Im Bereich der persönlich-geistigen Freiheiten schützt und unterscheidet das Grundgesetz die Meinungsäußerungsfreiheit, die Glaubensfreiheit, die Wissenschaftsfreiheit und die Kunstfreiheit. Es handelt sich hierbei um einzelne spezielle Freiheitsrechte, die sich ihrerseits alle von der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 unterscheiden. Daraus ergibt sich zunächst, daß der Satz "Alles ist Kunst,,84 auf der Ebene der Verfassung aufgrund der Systematik der Grundrechte keinen Rückhalt findet. 85 Kunst im Sinne des Grundgesetzes ist nicht "alles" oder "jedes Handeln", sondern nur ein ganz spezieller Bereich menschlicher Tätigkeit. Eine gegenteilige Auffassung würde zur Gleichsetzung der Kunstfreiheit mit der allgemeinen Handlungsfreiheit führen. 86 Insofern unterscheidet sich der Kunstbegriff des Verfassungsrechts deutlich von dem Kunstbegriff einiger Vertreter der Kunsttheorie. Für den verfassungsrechtlichen Kunstbegriff resultiert daraus zudem ein Definitionsgebot. Das Grundgesetz unterscheidet zwischen wissenschaftlichen, religiösen, meinungsäußernden und künstlerischen Handlungen. Insofern bedarf es rechtlicher Kriterien, um menschliches Verhalten diesen Bereichen jeweils zuordnen zu können. 87 In bezug auf die Kunstfreiheit bedeutet dies, daß es für die 81

J. Würkner, NJW 1988,317 ff. (318); dazu auch ders., ZUM 1988, 171 ff. (175 f.).

82 J. Würkner, ZUM 1988, 171 ff. (175); ders., JA 1988, 183 ff. (187); ders., NVwZ

1987,841 ff. (844). Siehe auch ders., NVwZ 1992, 1 ff. (70, wo er auf eine mögliche Überforderung der Fachgerichte durch diesen offenen Kunstbegriff hinweist. 83 P. Emmerich/J. Würkner, NJW 1986,1195 ff. (1199); J. Würkner, NVwZ 1987, 841 ff. (844); ders., JA 1988, 183 ff. (185); ders., ZUM 1988, 171 ff. (176 Fn. 42); ähnlich E. Denninger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. des Staatsrechts, Bd. VI, § 146 Rdnm. 1,11 ff. (17). 84 Vgl. dazu oben Abschnitt 1 (S. 156 f.). 85 So auch H. Ouo, NJW 1986, 1206 ff. (1209); M. Maiwald, JZ 1990, 1141 ff. (1142). 86 So auch E. Denninger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. des Staatsrechts, Bd. VI, § 146 Rdnr. 3. 87 Wenn auch bei aller Schwierigkeit jeweiliger Begriffsbildungen. Vgl. dazu I. v. Münch, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnm. 18 f. zu Art. 4; R. Wendt, ebd., Rdnr. 100 zu Art. 5.

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

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Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 3 GG darauf ankommt, Kunst von "Nichtkunst" zu trennen. 88 Dies gilt in dem gleichen Maße, in dem es nötig ist, Wissenschaft zu definieren und von Nicht-Wissenschaft abzugrenzen. Denn die Wissenschaftsfreiheit schützt nur die Freiheit wissenschaftlichen Denkens, nicht die Gedankenfreiheit schlechthin. Nicht jeder, der denkt und seine Gedanken niederschreibt, ist ein Wissenschaftler. Genausowenig ist jeder, der malt, ein Künstler. 89 Dies bedeutet jedoch nicht, daß deshalb enge qualitative Wertmaßstäbe an die Bestimmung des Kunstbegriffs anzulegen wären. Kunst ist ein Qualitätsbegriff nur insoweit, als künstlerische Äußerungen von nichtkünstlerischen und nur in diesem einzigen Sinne "schlichten" Meinungsäußerungen abzugrenzen sind genauso wie wissenschaftliche und religiöse Äußerungen von Meinungsäußerungen zu trennen sind. Innerhalb der jeweiligen Schutzbereiche selbst wird nicht nach "wertvollen" und "wertlosen" Inhalten ausgesondert. Die Glaubensfreiheit schützt christliche wie nicht-christliche Glaubensentscheidungen,9O die Meinungsfreiheit erfaßt wertvolle und wertlose, "richtige" und "falsche" Meinungen. 91 Ebenso schützt die Kunstfreiheit nicht nur das Meisterwerk, die "gehobene" Kunst oder nur das nach anerkannten Regeln der Ästhetik Geschaffene. Eine Stil-, Niveau- und Inhaltskontrolle der Kunst, ein "staatliches Kunstrichtertum" sind unzulässig. Lediglich eine äußere Grenze zur "Nichtkunst" ist abzustecken. 92 Der Kunstbegriff ist daher inhaltlich weit zu fassen. In gleicher Weise ist er offen zu halten für neue Entwicklungen. Die Definition von Kunst bezweckt also keine rechtliche Belohnung für besonders niveauvolle Kunst, sondern dient der Abgrenzung des Schutzbereichs im Hinblick auf andere Grundrechte. Wenn ein Verhalten dem Kunstbegriff nicht unterfällt, so ist dies dementsprechend kein Unwerturteil, sondern besagt lediglich, daß stattdessen andere Grundrechte einschlägig sind. In diesem Sinne ist Kunst mit Müllers Worten ein "Anknüpfungsund Verweisungsbegriff' .93 Allerdings ist bei dieser Anknüpfung eine rein formale Betrachtungsweise abzulehnen. Das alleinige Abstellen auf die Tätigkeit des Romanschreibens etwa würde auch den "Groschenroman" erfassen, der überwiegend der Kunstfreiheit jedoch nicht unterfällt,94 sondern seinen Schutz Kritisch dazu jedoch H. OUo, NJW 1986, 1206 ff. (1209). C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 22. 90 I. v. Münch, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 20 zu Art. 4; R. Zippelius, in: Bonner Kommentar, Art. 4 (Drittbearb.) Rdnr. 30. 91 BVerfGE 66, 116 (151) - WallraffIBild; 61, 1 (7); 33, 1 (14 f.) - beleidigender Gefangenenbrief; siehe auch oben Abschnitt A I (5.94). 92 Vgl. auch BVerfGE 75, 369 (377) - Schweinchen-Karikatur; BVerwGE 23, 104 (108) - Die Rechnung ohne den Wirt; R. Scholz, in: Maunz!Dürig, Art. 5 III Rdnr. 39; J. F. Henschel, NJW 1990, 1937 ff. (1939); H. Bethge, ZUM 1989, 492 ff. (499); Th. Würtenberger, NJW 1982,610 ff. (615). 93 F. Müller, Freiheit der Kunst, S. 38. 88

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 GG findet. Zudem ist das fonnale Kunstverständnis neuen Kunstrichtungen gegenüber nicht aufgeschlossen genug. Allerdings kann das Anknüpfen an eine Betätigung in einer anerkannten Kunstgattung ein Hilfsmittel sein, um Kunst von Nichtkunst zu unterscheiden.95 Abzulehnen ist auch das alleinige Abstellen auf das Selbstverständnis des Künstlers. Da es bei der Einschätzung als Kunst nicht um "Bewertung" sondern um Zuordnung zu Grundrechten geht, bleibt der Jurist aufgefordert, diese Zuordnung vorzunehmen. Das künstlerische Selbstverständnis kann hierbei aber eine wertvolle Erkenntnishilfe darstellen. Bei manchen Autoren erfolgt die Bestimmung des Kunstbegriffs mit einem vorausschauenden Blick auf die Schranken der Kunstfreiheit und ist geprägt von dem jeweiligen Schrankenverständnis. Wird das Grundrecht für kaum einschränkbar gehalten, so wird der Schutzbereich eher eng und restriktiv ausgelegt. Wird umgekehrt das Grundrecht für leichter beschränkbar erachtet, so wird der Kunstbegriff entsprechend weiter gefaßt. 96 Diese Auslegung auf bestimmte Ergebnisse hin mag Vorteile haben, ist aus grundrechtsdogmatischer Sicht jedoch nicht nachahmenswert. Die Gegenüberstellung der verschiedenen Kunstbegriffe hat gezeigt, daß jede Kunstdefinition Ansatzpunkte zur Kritik enthält. Insofern gibt es unter den verbleibenden Ansichten keine Definition, die den anderen überlegen wäre. Daher ist dem Bundesverfassungsgericht und seiner neueren Rechtsprechung zuzustimmen, die von der Unmöglichkeit spricht, Kunst generell, das heißt allumfassend für jede Kunstrichtung, zu definieren.97 Die Erscheinungsfonnen der Kunst sind zu verschiedenartig, die Eigengesetzlichkeiten der jeweiligen Kunstrichtungen zu unterschiedlich, so daß eine generelle Rahmenfonnel kaum handhabbare und überzeugende Kriterien bieten könnte. Je genereller eine Fonnel gefaßt wird, desto nichtssagender gerät sie. Daher versprechen nur solche Definitionen Erfolg, die auf eine oder einige verwandte Kunstgattungen zugeschnitten sind. Die vorliegende Arbeit wird, ihrem Thema gemäß, Merkmale der Filmkunst 94 Obwohl im Einzelfall einige Groschenromane als klassische Exponenten dieses Genres durchaus Kunsteigenschaft haben können. 95 G. Erbet, DVBI 1969, 863 ff. (866); C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 23 f. 96 Vgl. etwa W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 217 ff., 230 ff.; K. Doehring, Staatsrecht, S. 316; siehe dazu auch J. F. Henschel, in: Festschrift für R. Wassermann 1985, S. 351 ff. (352). 97 Auch das Bundesverwaltungsgericht spricht davon, daß Kunst ein der Rechtsordnung vorgegebener Begriff ist, "der als solcher einer generellen und objektiven Bestimmung nicht zugänglich ist", vgl. BVerwGE 39, 197 (207) - Die Sünden der Söhne. Siehe auch G. Erbet, ZUM 1985,283 ff. (294).

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

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zu entwickeln versuchen. Dazu können als Gesichtspunkte die Mephisto-Fonnel des Bundesverfassungsgerichts sowie der zeichentheoretische Ansatz von Noordens herangezogen werden. Die Mephisto-Fonnel wurde anhand eines literarischen Kunstwerkes entwickelt und enthält Elemente, die auch für den Film fruchtbar gemacht werden können und sich gerade dort zu handhabbaren Kriterien ausbilden lassen. Ebenso verhält es sich mit der Fonnel von Noordens. Schließlich wird der Kunstsachverständige im Sinne von Starck als Erkenntnishilfe für den zuständigen Rechtsanwender98 einzubeziehen sein.

4. Spezifische Definition der Filmkunst Film überhaupt als Kunst anzusehen ist nicht ohne Widerspruch geblieben. Thomas Mann schrieb: "Mit Kunst hat ... der Film nicht viel zu schaffen, und ich halte es für verfehlt, mit der Sphäre der Kunst entnommenen Kriterien an ihn heranzutreten ... Das ist Stoff, das ist durch nichts hindurchgegangen, das lebt aus erster, wanner, herzlicher Hand.,,99 Auch in der Rechtsliteratur wird dem Film verschiedentlich Kunsteigenschaft abgesprochen. Ihm wird vorgeworfen, er sei in erster Linie ein Wirtschaftsgut mit kommerziellem Charakter; zu seiner Herstellung und Wiedergabe seien technische Mittel und eine Vielzahl von Personen erforderlich; Ausgangspunkt des Films sei die "außerkünstlerische 100 Fotografie"; es gebe beliebige Vervielfältigungsmöglichkeiten; der Film könne die Wirklichkeit nur scheinbar wiedergeben. lol Überwiegend wird jedoch allgemein anerkannt, daß ein Film Kunstwerk sein kann. Dies gilt nicht nur für die Filmtheorie, 102 sondern auch für das juristische Schrifttum. In letzterem wird vereinzelt der Film generell als siebte Kunst angesehen,103 meist allerdings für die Kunsteigenschaft von Filmen auf den Einzelfall abgestellt. 104 Zur Abgrenzung dienen dann die allgemeinen Kunstdefinitionen. Chr. Starck. M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 186. 99 Thomas Mann. Über den Film, in: Gesammelte Werke in 12 Bänden, Bd. 10: Reden und Aufsätze 2. S. 898 ff. (899 f.). 100 Dagegen legt G. Zöbeley. in: Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 2, S. 1525 ff. (1528 ff.) eindrücklich dar, daß auch die Fotographie Kunstwerk sein kann. 101 Vgl. dazu näher P. Bär. Filmfreiheit, S. 141 f. m.w.N. Siehe auch M. Saenger. Filmfreiheit, S. 89 f. 102 P. Kandorfer. Lehrbuch der Filmgestaltung, S. 19 f.; J. Monaco. Film verstehen, S. 11 ff. 103 P. Bär. Filmfreiheit, S. 140 ff., stellt ihn neben die 6 "Urkünste" Malereijbildende Kunst, Musik, Theater, Tanz, Baukunst und Literatur; siehe bezogen auf den reinen Kinofilm auchJ. Hoffmann. Kunstfreiheitsgarantie. S. 262. 104 BVerfGE 33, 52 (70) - Der lachende Mann; Chr. Starck. M/K/S Art. 5 I, 11 Rdnr. 99; H. v. Hartlieb. Handbuch, 1. Kap. Rdnr. 7; M. Saenger. Filmfreiheit, S. 89 ff.; J. Noltenius. Freiwillige Selbstkontrolle, S. 113 f. Wobei zu berücksichtigen ist, daß das 98

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2. Teil: GrundrechtIiche Freiheiten

Ohne Bezugnahme auf die Eigengesetzlichkeiten des Films gibt ein solches Vorgehen jedoch nur wenig konkrete Anhaltspunkte zur Unterscheidung an die Hand und läuft Gefahr, in formelhaften Redewendungen stecken zu bleiben. Darum sind im folgenden Kriterien zu entwickeln, um im Bereich des Films Kunst von Nichtkunst zu trennen. a) Das persönliche individuelle Gepräge Erstes diesbezügliches Merkmal ist das persönliche, individuelle Gepräge eines Films. Kunst ist individualgebundenes höchstpersönliches Schaffen. 105 Jeder Künstler hat einen besonderen, nur ihm eigenen Stil. Das Bundesverfassungsgericht spricht von der freien schöpferischen Gestaltung als unmittelbarem "Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers".I06 Wenn ein Film höchstpersönliches Schaffen erkennen läßt, wenn er die typische Handschrift seines Schöpfers aufweist und nicht nur ein austauschbares Massenprodukt darstellt, so besitzt er Kunsteigenschaft. Individualität in diesem Sinne impliziert Originalität. Ein Film mit individuellem Gepräge ist stets ein Original. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, daß ein Film in der Regel nicht das Werk eines einzelnen ist, sondern Produkt einer Gruppe. An seiner Herstellung ist eine Vielzahl Mitwirkender beteiligt, ein Film besteht aus mehreren Komponenten, die jede für sich das Potential zur Kunst haben könnten (zu nennen sind etwa: Filmmusik, Kameraführung, Montage, Filmarchitektur, Schauspielkunst, Drehbuch). Allerdings ist all dies Teil des Gesamtkonzeptes und verschmilzt durch den Film zu einer Einheit. Der Film wird zu einem Gesamtwerk, das sich nicht mehr in einzelne Komponenten und Beiträge aufspalten läßt und das am Ende mehr ist als die Summe seiner Teile. 107 Ein typisches Beispiel ist die Filmmusik. Sie ist für die Wirkung des Films unverzichtbar, wird jedoch häufig gar nicht bewußt wahrgenommen. So stellt in einigen der bekanntesten Filme Alfred Hitchcocks die Musik von Bemard Herrmann ein wichtiges Stilmittel dar. 108 Sie entfaltet ein symphonisches Klangbild, das die emotionale Wirkung der Filme vielfach verstärkt. Die Musik verliert durch den Film jedoch ihre Abstellen auf den Einzelfall natürlich dazu führen kann, daß die Mehrzahl der Filme Kunstschutz genießt, vgl. dazu R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 61 zu Art. 5. Die frühere Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, daß generell alle Spielfilme mit erdachten Handlungen Kunst darstellten (BVerwGE 1,303 [305] - "Die Sünderin"; zurückgenommen in BVerwGE 23, 104 [106 f.]) wird heute nicht mehr vertreten. 105 Vgl. C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 26 f.

106 BVerfGE 30, 173 (189) - Mephisto; 67,213 (226) - Anachronistischer Zug. 107

P. Bär, Filmfreiheit, S. 147 f.

So etwa in: Der Mann, der zuviel wußte (1955), Vertigo (1958), Der unsichtbare Dritte (1959), Psycho (1960). 108

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

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Eigenständigkeit; sie verschmilzt mit dem Bild auf der Leinwand und wird unselbständiger Teil des Gesamtwerkes. Geht es also um das persönliche individuelle Gepräge eines Films, so ist auf den Film als Ganzes abzustellen. In der Praxis trägt häufig genug das Gesamtwerk deutlich eine höchstpersönliche Handschrift. 109 Es ist in dieser Hinsicht zu fragen, ob der betreffende Film wohl genauso ausgefallen wäre, wenn ihn jemand anders geschaffen hätte. 11o Kann dies nicht ausgeschlossen werden, so ist er weder höchstpersönliche Schöpfung noch Original, sondern industrielle Massenware. b) Die Bedeutung der spezifisch filmischen Formensprache In engem Zusammenhang zu diesem Kriterium steht die Beachtung der spezifischen Formensprache des Films. Im Laufe seiner Entwicklung haben sich filmeigene Stilmittel herausgebildet, die zusammengenommen die "Sprache" des Films bilden. lll So wie in der Literatur der Künstler für seine künstlerische Gestaltung die Sprache verwendet und den gewünschten Ausdruck durch die Art und Weise der Benutzung dieser Sprache erzielt, so gestaltet auch der Filmkünstler sein Werk mit den ihm zu Gebote stehenden filmischen Ausdrucksmitteln. Der Filmschaffende hat ähnlich wie der Maler eine leere Bildfläche zu füllen. Er benutzt dazu die filmischen Mittel der Bildkomposition wie Kameraeinstellung (Großaufnahme, Totale, etc.), Perspektive, Kamerabewegung, Ausleuchtung, Farbkomposition, sowie zusätzlich die Mittel des Tons (Musik, Geräusche, Dialog) und die Montage (der "Film schnitt" bzw. die Abfolge der Bilder nacheinander).112 Bei literarischen Kunstwerken ist nicht nur von Interesse, was der Schriftsteller beschreibt, sondern auch die Art und Weise, wie er es beschreibt. Dies spielt auch beim künstlerischen Film eine Rolle. Nicht nur das Geschilderte an sich, sondern auch die Art, wie es geschildert wird, die Auswahl und Anwendung der filmischen Stilelemente, kann Quelle des Kunstgenusses sein. Ein Kriterium

109 Die typische Handschrift ihres Schöpfers tragen beispielsweise die Filme von Ernst Lubitsch (man spricht in diesem Zusammenhang vom sog. "Lubitsch-Touch"), oder von Alfred Hitchcock, Ingmar Bergmann, Stanley Kubrick. 110 Ein aktuelles Beispiel für zwei sehr unterschiedlich ausgefallene Verfilmungen ein und desselben Stoffes sind die Filme "Gefährliche Liebschaften" von Stephen Frears und "Valmont" von Milos Forman, jeweils aus dem Jahr 1989. Beiden Filmen liegt der Roman "Gefährliche Liebschaften" von Choderlos de Lac10s zugrunde, der auch schon 1960 von Roger Vadim verfilmt wurde. 111 Siehe dazu ausführlich D. Arijon, Grammar of the Film Language; J. V. Mascelli, The Fiye C's of Cinematography; sowie J. Monaco, Film verstehen, S. 158 ff.; P. Kandorjer, Lehrbuch der Filmgestaltung, Abschn. 1.5, 1.6, 3.9, 3.11. 112 Dazu W. I. Pudowkin, Filmtechnik, S. 7 ff., 105 ff.; vgl. auch M. Saenger, Filmfreiheit,

S.91.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

für Filmkunst ist daher, daß die Fonn der filmischen Darstellung eigene Bedeutung erlangt. Dies ist besonders dann der Fall, wenn die Umsetzung in andere Kunstgattungen nur mit Schwierigkeiten möglich wäre. So läßt sich beispielsweise ein Gemälde von van Gogh nicht gänzlich mit Worten beschreiben. Bei einer derartigen Transponierung ginge von dem ursprünglichen Kunstwerk viel verloren. Insofern unterscheidet es sich von einer den dargestellten Inhalt lediglich dokumentierenden Fotografie. Hier kann die reine Sachinfonnation ohne Veränderung ihres Gehalts leicht in andere Gattungsfonnen übertragen werden. Nicht so im Bereich der Kunst. Dies zeigt sich auch bei der Verfilmung von Literatur. Die Eigenheiten eines literarischen Kunstwerkes können bei seiner Verfilmung nicht gleichwertig durch den Film reproduziert werden. Der Film kann nur nachempfinden und auf seine Weise versuchen, das Kunstwerk neu entstehen zu lassen. Daher ist es im umgekehrten Fall ein Anzeichen für das Vorliegen von Filmkunst, wenn ein Film seinerseits nicht ohne Verluste in andere Kunstgattungen übertragen werden könnte. Durch seine eigenen spezifischen Stilmittel sind dem Film Möglichkeiten eröffnet, die andere Kunstgattungen in dieser Art nicht bieten. Ein Beispiel hierfür ist die Eröffnungssequenz in dem Film "Das Fenster zum Hof' (A. Hitchcock 1954), in der mit einer einzigen Kamerafahrt durch das Zimmer des Protagonisten und der Hervorhebung einzelner Gegenstände in diesem Zimmer dem Zuschauer erklärt wird, wo er sich befindet, warum und mit wem er sich dort befindet, was passiert ist, um ihn dorthin zu bringen, wer die anderen Personen der Geschichte sind und was möglicherweise geschehen wird - all dies in wenigen Sekunden und ohne ein gesprochenes Wort. Ganze Kapitel Prosa sind auf wenige Filmbilder verdichtet. 113 Dies macht den Film einzigartig und ließe sich in Romanfonn auf gleiche Weise nur schwer nachvollziehen. Ein Film hat demgemäß keine Kunstqualität, wenn er vollständig durch andere Gattungsfonnen ersetzbar wäre. c) Die vielfältige Interpretationsmöglichkeit über den vordergründigen Inhalt hinaus Ein weiteres Kriterium für die Kunsteigenschaft eines Films ist die vielfältige Interpretationsmöglichkeit über den vordergründigen Inhalt hinaus. Dieser von Emrich und von Noorden entwickelte Gedanke bedarf jedoch der Modifikation. In seiner ursprünglichen Fassung führt er zu einem sehr engen Kunstverständnis. Er nimmt seinen Ausgangspunkt bei Werken, die sich über Jahrhunderte oder Jahrtausende als Kunst behauptet haben und grenzt Werke, die im Laufe der Zeit aus dem Kunstkanon der Weltgeschichte ausscheiden, obwohl sie zu ihrer 113

Siehe dazu auch J. Monaco, Film verstehen, S. 197.

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GO

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Zeit als Kunstwerke gefeiert wurden, als "Modeerscheinungen" aus. Diese Gebilde hätten nicht die Bedeutungen und den Wert, der für alle späteren Zeiten erhalten bleibt, sie seien in diesem Sinne nicht unausschöpfbar, sondern ihre Inhalte und Formen seien begrenzt und schnell durchschau bar und verschwänden wie die Zeit verschwindet, die ihnen verhaftet war. 114 Ein Kunstwerk sei nur jenes Werk, welches einen Bedeutungsreichtum entfalte, der nie zu Ende reflektiert werden kann und repräsentative bzw. symbolische Bedeutung auch für andere Lebensformen, Zeiten und Vorstellungen aus sich zu entwickeln vermag. ll5 Damit qualifiziert sich eindeutig nur das historische Kunstwerk, das seine Zeitlosigkeit durch die Epochen schon bewiesen hat. Es stellt sich jedoch die Frage, wie beurteilt werden soll, ob ein Werk der Gegenwart Sinn- und Formbezüge enthält, die weit über das von der Zeit Empfundene und Gepriesene hinausweisen. Eine solche Betrachtung wäre nur aus der Rückschau möglich. Das Grundgesetz ist jedoch in dieser Hinsicht gegenwartsbezogen. Wenn ein Werk in heutiger Zeit als Kunstwerk gepriesen wird, so kann ihm der Schutz durch Art. 5 Abs. 3 nicht mit der Begründung versagt werden, im nächsten Jahrhundert werde seine Bewertung als Kunst vielleicht anders ausfallen. Der Film ist zudem noch eine zu junge Kunstgattung, als daß eine solche Betrachtungsweise zu sachgerechten Ergebnissen führen würde. Daher ist für den Film dieses Kriterium unter Berücksichtigung eines notwendigen weiten Kunstverständnisses wie folgt zu fassen: Ein Film ist ein Werk der Kunst, wenn die jeweiligen Gehalte und Formen in ein Beziehungsgeflecht gebracht werden, das einen Bedeutungsreichtum entfaltet, der über alltägliche und vordergründige Bedeutungsebenen hinausreicht. Nichtkunst liegt vor, wenn ein Film zu weiterreichenden Reflexionen keinen Anlaß bietet, wenn er sich in der reinen Vermittlung seines Handlungsinhalts erschöpft, sich nach einmaligem Ansehen restlos "verbraucht" hat und keinerlei weiterführende Bedeutungen entfaltet. Die Rezeption eines künstlerischen Films ist "Begegnung" und "Beschäftigung" mit seinem Bedeutungsreichtum, die Rezeption eines nichtkünstlerischen Films erschöpft sich in der reinen Kenntnisnahme seines Inhalts. In diesem Sinne entsteht auch beim Film "Zeitlosigkeit" in der Weise, daß einige Filme wiederholtes Ansehen nicht "lohnen", andere dagegen nach Jahren noch mit Genuß wiedergesehen werden können. Unter Umständen erfahren sie sogar erst später die ihnen angemessene Würdigung. 116 114 W. Emrich, in: Universitätstage 1964: Gesellschaftliche Wirklichkeit im 20. Jahrhundert und Strafrechtsreform, S. 159 ff. (162 ff.). 115 W. Emrich, a.a.O., S. 159 ff. (164). 116 So zum Beispiel die heute als "Kultfilm" bezeichnete Komödie "Eins, Zwei, Drei" von Billy Wilder aus dem Jahre 1961, die bei ihrer Erstaufführung ein Mißerfolg war und ersrMitte der achtziger Jahre "wiederentdeckt" wurde. Ein anderes Beispiel ist der Film "Heaven's Gate" von Michael Cimino, der ebenfalls bei seiner Uraufführung 1980 durchfiel und wenige Jahre später zum Kultfilm wurde.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

In Ansehung dessen qualifiziert sich nicht allein derjenige Film, der an die Zielgruppe der Cineasten gerichtet ist, sondern auch und gerade ein solcher Film kann Kunst sein, der ein breites Publikum lediglich unterhalten will. d) Fazit Zusammenfassend ergeben sich somit folgende Kriterien für die Kunsteigenschaft des Films: Ein Film ist ein Werk der Kunst, wenn ihn ein höchstpersönliches individuelles Gepräge auszeichnet, die Form der filmischen Darstellung eigenen Gehalt aufweist und dadurch die Umsetzung in andere Kunstgattungen erschwert, oder der Film einen über das Vordergründige hinausweisenden Bedeutungsreichtum entfaltet, der vielfältige Interpretationsmöglichkeiten eröffnet. Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist grundsätzlich ein weites Kunstverständnis zugrunde zu legen. Indiz für die Kunsteigenschaft eines Films ist dabei die Auszeichnung auf einem Filmfestival, die Vergabe eines Prädikats, ll7 oder die positive Aufnahme bei der Filmkritik. 118 Das darin verkörperte Sachverständigenvotum bietet einen wichtigen Anhaltspunkt bei der Einordnung unter Kunst oder Nichtkunst. Gleichermaßen bedeutsam ist es, wenn der Film in der einschlägigen Fachliteratur, in Monographien, die eine Stilrichtung oder eine Epoche des Filmgeschehens im Zusammenhang und in ihren filmgeschichtlichen Bezügen behandeln, als besonders wichtig herausgestellt wird. Anhaltspunkte kann auch der Blick auf das Gesamtwerk des betreffenden Filmschaffenden liefern. Wenn damit ein Gesamtkonzepi verfolgt wird und der einzelne Film als notwendiger Teil dieses Ganzen anzusehen ist, so liegt auch darin ein Indiz für die Kunsteigenschaft des Films. 119 Und schließlich kann der Anklang, den der Film beim Publikum gefunden hat, eine Rolle spielen. Steigt ein Film für die Zuschauer zum "Kultfilm" auf, so läßt das auf besondere Originalität und über das Vordergründige hinausreichenden Bedeutungsreichtum schließen. Filmkunst hat im übrigen nicht zur Voraussetzung, daß der Film von seinem Schöpfer als Kunstwerk gewollt ist. 120 Aufgrund seiner untrennbaren Bezüge zum Wirtschaftsgut und zum Handwerk kann ein Film seinen Ursprung in rein 117 So sprach das OVG Münster, Urt. v. 31. 10. 1991, Az. 20 A 2078/90, S. 6 f. des Umdrucks, dem Videofilm ,,Rambo III" Kunstqualität zu, dem zuvor die FBW das Prädikat" wertvoll" erteilt hatte. 118 Ebenso H. v. Hartlieb, Handbuch, 1. Kap. Rdnr. 7. 119 Ähnlich in anderem Zusammenhang LG Stuttgart, ZUM 1989,365 (368) - Henry Millers Opus Pistorum. 120 ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 189; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 90 zu Art. 5; ähnlich auch C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 21. Andere AnsichtJ. Würkner, NVwZ 1987, 841 ff. (845).

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

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kommerziellen Motiven genommen haben, aber darüber zum Kunstwerk "geraten" sein. Insoweit bestehen Parallelen zur "Industriekunst".I2J Demgemäß kann auch eine sog. Auftragsproduktion ein Kunstwerk sein, obwohl sie in fremdem Auftrag hergestellt wurde und der Schaffensimpuls nicht vom Schöpfer des Werkes ausging. Auch Mozart und Verdi wurden beauftragt, Musik zu komponieren. Daß es sich bei den so entstandenen Werken um Auftragsarbeiten handelte, ändert an der Kunsteigenschaft nichts. Kunst entsteht vielmehr in Erfüllung des Auftrages. 122 In Ansehung dieser Grundsätze werden zwar viele Filme als Kunstwerke anzusehen sein, aber längst nicht alle. Film ist ein vielgestaltiges Medium und umfaßt nicht nur den Spielfilm, sondern auch den Dokumentarfilm, den Werbefilm, den Kulturfilm, den Experimentalfilm. 123 In jeder dieser Filmkategorien können Kunstwerke entstehen, müssen es jedoch nicht zwangsläufig. Sicherlich werden vor allem in der Gruppe der Spielfilme viele Kunstwerke zu finden sein. Sie sind jedoch auch beim Dokumentarfilm 124 und sogar beim Werbefilm 125 möglich. Für die Kunsteigenschaft ist es im übrigen unerheblich, ob ein Film im Filmtheater vorgeführt oder auf Videokassetten vertrieben wird. Der Vertrieb auf Videokassetten ändert am Kunstcharakter des betreffenden Films nichts. Für alle nicht als Kunst anzusehenden Filme ist zu bemerken, daß ihre Einschätzung als "Nichtkunst" im Rahmen des Art. 5 Abs. 3 GG keine Abwertung oder "Disqualifizierung" der betreffenden Filme bedeutet und sie auch nicht schutzlos beläßt, sondern lediglich zur Folge hat, daß diese Filme statt der Kunstfreiheit dem Schutzbereich der Filmfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) unterfallen. 11. Der Umfang des Grundrechtsschutzes

Ist der Kunstbegriff erfüllt, so wirkt der Schutz der Kunstfreiheit umfassend. Die Gewährleistung erstreckt sich sowohl auf den "Werkbereich" als auch auf den "Wirkbereich" der Kunst. 126 Unter "Werkbereich" ist die künstlerische Betätigung als solche zu verstehen, der "Wirkbereich" bezeichnet die Vorgänge der Dazu R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 90 zu Art. 5. Vgl. auch LG Stuttgart, ZUM 1989, 365 (367) bezügl. der literarischen Werke Henry Millers. 123 Vgl. dazu P. Bär, Filmfreiheit, S. 14 ff. 124 Beispiele für in Filmtheorie und -geschichte allgemein als Kunstwerke anerkannte Dokumentarfilme sind etwa: "Nanook of the North" (Robert Flaherty 1922), "The General Line" (Sergei Eisenstein 1928), "Drifters" (John Grierson 1929), "A propos de Nice" (Jean Vigo 1931). 125 Indiz für künstlerische Werbefilme sind Preise auf entsprechenden Festivals. Vgl. allgemein zur Frage, ob Werbung Kunst sein kann, bejahend: E. Denninger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 146 Rdnr. 15; verneinend: P. Lerche, Werbung und Verfassung, S. 90 f. 121

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12 Meirowitz

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2. Teil: Grundrechtliehe Freiheiten

Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks, durch die der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk verschafft wird. Beide Bereiche bilden in bezug auf den Grundrechtsschutz eine unlösbare Einheit. 127 Im Werkbereich schützt die Kunstfreiheit vor Einwirkungen der öffentlichen Gewalt auf Inhalte, Methoden und Tendenzen künstlerischer Tätigkeit. 128 Geschützt ist auch schon die Vorbereitung des künstlerischen Schaffensvorganges. 129 Sinn und Aufgabe der Kunstfreiheit ist es, die auf der Eigengesetzlichkeit der Kunst beruhenden, von ästhetischen Rücksichten bestimmten Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen von jeglicher Ingerenz öffentlicher Gewalt freizuhalten. Der künstlerische Schaffensprozeß soll sich frei entfalten können. Den Wirkbereich bezeichnet das Bundesverfassungsgericht als den "Boden, auf dem die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG vor allem erwachsen ist". 130 Er ist sachnotwendig für die Begegnung mit dem Kunstwerk und insoweit wesentlich für einen effektiven Grundrechtsschutz, denn ohne Erstreckung auf den Wirkbereich würde das Grundrecht weitgehend leerlaufen. 131 Somit gestaltet sich der Schutzbereich der Kunstfreiheit ähnlich weitreichend wie der Schutzbereich der Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG. Er schützt einerseits den künstlerischen Schaffensprozeß als solchen und andererseits auch den Vermittlungsprozeß zwischen Künstler und Publikum. Auf die Kunstfreiheit können sich neben dem ausübenden Künstler selbst also auch die durch Vervielfältigung, Verbreitung und Veröffentlichung von Kunstwerken eine entsprechende Mittlerfunktion ausübenden publizistischen Medien berufen,132 bzw. alle diejenigen, die daran mitwirken, das Kunstwerk geschäftsmäßig zu vertreiben,133 wie etwa 134 135. der Roman-Verleger, der Schallplattenhersteller, der Galenst oder der Buch126 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 81, 298 (305) - Deutschlandlied '86; 77, 240 (251) - Herrnburger Bericht; 67, 213 (224) Anachronistischer Zug; 36, 321 (331) - Mwst. auf Schallplatten; 30,173 (189) - Mephisto. Siehe auch R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 93 zu Art. 5; R. Schatz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 17; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnm. 187 ff.; F. Müller, Freiheit der Kunst, S. 97 ff.; ders., JZ 1970, 87 ff. (90); G. Erbel, ZUM 1985,283 ff. (294). 127 ZustimmendJ. Haffmann, NJW 1985,237 ff. (241). 128 BVerfG, NJW 1984, 1293 (1294) - Der Sprayer von Zürich; BVerfGE 31, 229 (238 f.). 129 ehr. Starck,M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 188; G. Erbei, ZUM 1985,283 ff. (294). 130 BVerfGE 30, 173 (189) - Mephisto.

BVerfG a.a.O. BVerfGE 77, 240 (251) - Herrnburger Bericht; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 190; G. Erbei, ZUM 1985,283 ff. (294); P. EmmerichlJ. Würkner, NJW 1986, 1195 ff. (1199); J. F. Henschel, NJW 1990, 1937 ff. (1939 f.). Andere Ansicht R. Schatz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 13. 133 BVerfGE 81, 278 (292) - Laßt mich bloß in Frieden. I3I

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B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

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händler. 136 Dies gilt ebenso für die Hersteller und Vertreiber bespielter Videokassetten. Beim Schutz des Vermittlungsprozesses ist jedoch eine Einschränkung vorzunehmen. Dieser Schutz gilt nur insoweit, als es zur Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und Publikum eines Vermittlers bedarf; er erstreckt sich also nur auf die unentbehrliche Mittlerfunktion. I37 Insofern ist zu unterscheiden zwischen unentbehrlicher Vermittlung von Kunstwerken und deren wirtschaftlicher Verwertung. Letztere unterfällt dem Schutz der Kunstfreiheit nicht. So hatte das Bundesverfassungsgericht über § 46 UrhG zu entscheiden, der den Abdruck von Kunstwerken in Schulbüchern vergütungsfrei zuläßt. 138 Art. 5 Abs. 3 GG hierauf anzuwenden lehnte das Gericht ab. Dazu führte es aus, daß § 46 UrhG voraussetzt, daß die Werke erschienen sind, also Vervielfältigungen der Öffentlichkeit bereits angeboten und in Verkehr gebracht sind. Die Vorschrift berührt also nicht die Möglichkeit, die Werke der Öffentlichkeit überhaupt wahrnehmbar zu machen, und daher ist der Schutzbereich der Kunstfreiheit nicht betroffen. Hier geht es vor allem um die wirtschaftliche Verwertung; dafür ist Art. 14 GG einschlägig. 139 Anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn die wirtschaftliche Verwertung derart beschränkt wird, daß eine freie künstlerische Betätigung nicht mehr möglich ist. 140 Überträgt man dies auf bespielte Videokassetten, so könnte die Ansicht vertreten werden, daß nur die Erstauswertung l41 von Spielfilmen auf Video der Gewährleistung des Art. 5 Abs. 3 GG unterfallen könne. Herstellung und Vertrieb von Videokassetten im Rahmen der Zweitauswertung von Spielfilmen würden danach aus dem Schutzbereich der Kunstfreiheit ausscheiden, da diese Werke bereits "erschienen" seien, und nur deren Erstauswertung als unentbehrliche Vermittlung an das Publikum geschützt gewesen sei. Dieser Einwand erweist sich bei näherer Betrachtung jedoch als unbegründet, da derjenige, der einen Film während der 134 BVerfGE 30, 173 (191) - Mephisto; LG Stuttgart, ZUM 1989,365 (369) - Opus Pistorum. I35 BVerfGE 36, 321 (331) - Mwst. auf Schallplatten. 136 PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 699. 137 BVerfGE 30, 173 (191) - Mephisto; 36,321 (331) - Mwst. auf Schallplatten; insoweit auch zutreffend F. Müller, JZ 1970,87 ff. (90), der darlegt, daß im Wirkbereich nur die grundsätzliche Möglichkeit der Kunstvermittlung geschützt wird, nicht jedoch jede beliebige einzelne Verbreitungsart. Darauf gäbe es keinen grundrechtlichen Anspruch. 138 BVerfGE 31, 229 ff. - Urheber-Vergütungsfreiheit für Schulbücher. 139 BVerfGE 31, 229 (239); so auch R. Scholz, in: MaunzlDürig, Art. 5 III Rdnr. 18. Andere Ansicht G. Erbei, Kunstfreiheitsgarantie, S. 84; P. Bär, Filmfreiheit, S. 162 f. 140 BVerfGE 31, 229 (240); J. F. Henschel, NJW 1990, 1937 ff. (1939). 141 Zur Erstauswertung und Zweitauswertung von Spielfilmen vgl. vorne Teil I, Abschnitt D III (S. 52 f.).

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Erstauswertung im Filmtheater nicht gesehen hat, außer durch die Videokassette keine Möglichkeit hat, Zugang zu dem Werk zu bekommen. Ein Buch ist mit seinem Erscheinen fortan allgemein zugänglich, sei es durch den Buchhandel oder über Bibliotheken. Der Kinofilm ist jedoch nur während seiner Laufzeit im Filmtheater für die Öffentlichkeit zugänglich, danach nicht mehr. So erfüllt also auch die Zweitverwertung auf Videokassetten die für den Schutz durch Art. 5 Abs. 3 GG geforderte unentbehrliche Mittlerfunktion. 142 Dem Schutzbereich der Kunstfreiheit unterfällt auch die Werbung für ein Kunstwerk. Die Werbung vermittelt zwar nicht das Kunstwerk selbst oder seinen Inhalt. Da die Kunst jedoch auf öffentliche Wahrnehmung angewiesen ist, wird auch die Werbung für ein Kunstwerk als zum Wirkbereich gehörend in die grundrechtliche Gewährleistung einbezogen. 143 Sie erfüllt insoweit für die Kunst eine Annexfunktion. l44 Eine Ansicht schränkt den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG dahingehend ein, daß nicht alle Modalitäten bei Gelegenheit der Grundrechtsausübung garantiert sein sollen. 145 So soll etwa der Maler auf der verkehrsreichen Straßenkreuzung in dieser Art der Betätigung nicht durch die Kunstfreiheit geschützt werden. Auch soll sich die Gewährleistung von vornherein nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme oder Beeinträchtigung fremden Eigentums zum Zwecke der künstlerischen Entfaltung erstrecken. 146 Diese Ansicht vermischt jedoch Schutzbereich und Schrankenfragen. Es ist zwar richtig, daß der Schutzbereich sauber abgegrenzt werden muß und schon dadurch manches Verhalten gegebenenfalls herausfallt. 147 Jedoch ist der Konflikt mit anderen Grundrechtspositionen wie im Falle der Inanspruchnahme fremden Eigentums allein ein Schrankenproblem. 148

142 Dies wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn in der Zukunft etwa Filmabrufdienste erschienene Filme auf Verlangen jederzeit auf den heimischen Bildschirm überspielen könnten. 143 BVerfGE 77,240 (251) - Hermburger Bericht; F. Müller, JZ 1970,87 ff. (91). 144 BVerfG a.a.O. (257). 145 F. Müller, Freiheit der Kunst, S. 104 ff.; ders., JZ 1970, 87 ff. (89, 91); L. Zechlin, NJW 1984, 1091 ff. (1092). 146 So der Vorprüfungsausschuß des Bundesverfassungsgerichts in BVerfG, NJW 1984, 1293 (1294) - Der Sprayer von Zürich; zustimmend J. Hoffmann, NJW 1985, 237 ff. (239 ff.); siehe auchJ. F. Henschel, NJW 1990,1937 ff. (1942). PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 700 nehmen die Sprayer-Entscheidung zum Anlaß, den Schutzbereich der Kunst nach dem Vorbild der Berufsfreiheit auf ansonsten erlaubtes Verhalten zu beschränken. 147 So zutreffendF. Müller, JZ 1970,87 ff. (89,91). 148 Vgl. auch F. Hufen, JUS 1989, 136 f. (137); R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 283 ff.; A. Bleckmann, Grundrechte, § 12 11 2 e) (S. 333); J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 159 ff.; kritisch auch J. Würkner, NJW 1987, 1793 ff. (1795).

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

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Zuweilen wird der Schutz der Kunstfreiheit auch auf den Kunstadressaten oder Rezipienten ausgedehnt. 149 Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß der Staat, anstatt eine Theateraufführung zu verbieten, den gewünschten Effekt auch dadurch erreichen kann, daß er den Zuschauern den Besuch dieser Aufführung verbietet. Die Aufführung selbst kann dann vor leerem Hause ruhig stattfinden. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Der Rezipient steht nicht im gleichen Verhältnis zu dem Kunstwerk wie der ausübende Künstler oder der Mittler. Die Kunstfreiheit schützt den künstlerischen Schaffens- und Vermittlungsprozeß, der zwar auf die Begegnung des Rezipienten mit dem Kunstwerk gerichtet ist. Die Begegnung des Rezipienten selbst allerdings ist Teil von dessen Informationsfreiheit. 150 III. Die Schranken der Kunstfreiheit

J. Ältere Schrankenkonstruktionen

Art. 5 Abs. 3 GG ist ein Grundrecht, das vom Wortlaut her vorbehaltlos gewährleistet ist. Dennoch besteht Einigkeit darüber, daß die Kunstfreiheit nicht schrankenlos sein kann. 151 Unterschiedliche Ansichten bestanden früher über die Herleitung dieser Grundrechtsschranken. Zum Teil wurde vertreten, für die Kunstfreiheit die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG, also den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze, der gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und des Rechts der persönlichen Ehre heranzuziehen. 152 Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Die systematische Trennung der Gewährleistungsbereiche in Art. 5 Abs. I und Abs. 3 weist die Kunstfreiheit als lex specialis und nicht als Unterfall zu Art. 5 Abs. I aus und verbietet deshalb die Anwendung der Schranken des Art. 5 Abs. 2 auf die Kunstfreiheit. 153 149 J. Hoffmann, Kunstfreiheitsgarantie, S. 230 f., 235; ders., NJW 1985, 237 ff. (241); C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 68 f.; offenbar auch J. Schwabe, Probl. der Grundrechtsdogmatik, S. 161. 150 So auch E. Denninger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 146 Rdnr. 23. 151 Andere Ansicht früher jedoch OVG Münster, NJW 1959,1890 (1892); AG Darmstadt, JZ 1971, 140 (141) - Roman "Barbara"; sowie F. Bauer, Anm. zum Urteil des BGH v. 23.3.1965 (BGHSt 20,192) in JZ 1965,491 f.; S. Ott, NJW 1963, 617ff. (618). 152 W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 230 ff., 257 ff. (261 f.); W. Geiger, in: Festschrift für Leibholz 1966, Bd.II, S. 187 ff. (198 f.); P. Lerche, Werbung und Verfassung, S. 91; K. Oettinger, UFITA Bd. 71 (1974), 15 ff. (32); K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 27; ähnlich K. Doehring, Staatsrecht, S. 314. Nach Ansicht von Knies enthält Art. 5 Abs. 3 nur eine objektiv-rechtliche Komponente. Das Individualrecht der Kunstfreiheit soll in Art. 5 Abs. 1 mit angesiedelt sein und daher auch den Schranken des Art. 5 Abs. 2 unterfallen, vgl. Knies, a.a.O. S. 233 ff.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Einer anderen Ansicht zufolge sollte die Kunstfreiheit ihre Grenzen in der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1, 2. Halbsatz finden, das heißt in den Rechten anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Sittengesetz. 154 Diese Schranken sollten über den unmittelbaren Bereich des Art. 2 Abs. 1 GG hinaus einen allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt darstellen, der auch Wirkung auf die Kunstfreiheit entfaltet. Dies entspricht jedoch nicht dem heute weitgehend unbestrittenen Grundrechtsverständnis des Art. 2 Abs. I GG, demzufolge dieses Grundrecht als eine den anderen Spezialgrundrechten gegenüber subsidiäre Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit gilt, dessen Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung dementsprechend weit ausgedehnt wird. 155 Die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG sind daher nicht auf andere Grundrechte anwendbar. 156 2. Die grundrechtsimmanenten Schranken

Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Kunstfreiheit schrankenlos gewährleistet wäre. Art. 5 Abs. 3 GG geht wie alle Grundrechte vom Menschenbild des Grundgesetzes aus, das heißt vom Menschen als eigenverantwortlicher Persönlichkeit, die sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltet. 157 Schranken 153 BVerfGE 30,173 (191) - Mephisto; 67, 213 (224, 228) - Anachronistischer Zug; BVerwGE 1,303 (307) - "Die Sünderin"; R. Schotz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 54; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 95 zu Art. 5; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 206; H. Bethge, ZUM 1989,492 ff. (495); F. Müller, Freiheit der Kunst, S. 12,53; ders., JZ 1970, 87 ff. (89); G. Erbei, Kunstfreiheitsgarantie, S. 117; P. Bär, Filmfreiheit, S. 168 f. 154 K. G. Wernicke, Bonner Kommentar (Erstbearb.), Anm. II 3 c) zu Art. 5, i.V.m. Anm. II 1 b) zu Art. 2; v. Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Anm. X 6 g, h, i) zu Art. 5; H.-R. Ropertz, Freiheit der Kunst, S. 98 ff. (101); G. Erbei, Kunstfreiheitsgarantie, S. 118 ff.; BGH, GA 1961,240 - Missa profana; dem folgend LG Hamburg, NJW 1963,675 Notre Dame des Fleurs. 155 Vgl. dazu mit weiteren Nachweisen Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnrn. 12 ff., 22 f. zu Art. 2; ehr. Degenhart, JUS 1990, 161 ff.; ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 6,32 (36 ff.) - Elfes-Urteil; z. B. BVerfGE 54, 143 (144, 146) - Taubenfütterungsverbot; neuerdings auch BVerfGE 80, 137 (152 ff.) - Reiten im Walde, aber mit Sondervotum Grimm, a.a.O., 164 ff. Vgl. dazu Ph. Kunig, JURA 1990,523 ff. (526). 156 BVerfGE 30, 173 (192 f.) - Mephisto; 67, 213 (228) - Anachronistischer Zug; auch ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 III, Rdnr. 206 unter Aufgabe der in der Vorauflage vertretenen Auffassung; sowie I. v. Münch, Grundbegriffe Bd. 1, Rdnr. 258; ders., in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Vorbem. zu Art. 1-19, Rdnr. 58; Ph. Kunig, ebd., Art. 2 Rdnr. 90; R. Wendt, ebd., Art. 5 Rdnr. 95; R. Schotz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 56; H. Bethge, ZUM 1989,492 ff. (495); H. v. Hartlieb, Die Freiheit der Kunst und das Sittengesetz, S. 40 ff.; F. Müller, Freiheit der Kunst, S. 53; P. Bär, Filmfreiheit, S. 171. 157 BVerfGE 30, 173 (193) - Mephisto. Die gleiche Formulierung verwendet das

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

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der Kunstfreiheit sind mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts insoweit "logische Folge eines geordneten menschlichen Zusammenlebens". 158 Ein Konflikt ist "nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems durch Verfassungsauslegung zu lösen" .159 Die Grenzen der Kunstfreiheit sind nach heute übereinstimmender Auffassung also nur aus der Verfassung selbst zu entwickeln, sie liegen mit anderen Worten nur in anderen Verfassungsbestimmungen,16O die allerdings stets der Ausfüllung durch ein Gesetz bedürfen. Als solche Verfassungsbestimmungen kommen kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte in Betracht. 161 Die allgemeine Rechtsordnung bzw. einfaches Gesetzesrecht läßt sich damit als Schranke nicht heranziehen. Statt dessen müssen bei der Schrankenprüfung anhand einzelner Grundgesetzbestimmungen die konkret verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter herausgearbeitet werden, die bei realistischer Einschätzung der Tatumstände der Wahrnehmung der Kunstfreiheit widerstreiten, und in Konkordanz zu ihr gebracht werden. 162 Zudem ist der Gewährleistung des Art. 5 Abs. 3 dadurch Rechnung zu tragen, daß die inkriminierte Handlung anhand der der jeweiligen Kunstgattung eigenen Strukturmerkmale beurteilt wird, denn bereits dabei kann sich ergeben, daß eine fühlbare Beeinträchtig!lng anderer Verfassungsgüter von vornherein ausscheidet oder jedenfalls als strukturtypisch hinzunehmen ist. Kunst ist interpretationsfähig und -bedürftig. Dabei müssen "werkgerechte" Maßstäbe angelegt werden, wobei Bundesverfassungsgericht beispielsweise auch im Rahmen des Art. 4 Abs. 1, vgl. BVerfGE 32,98 (107 f.) - Evangelische Brüder. 158 BVerfGE 77,240 (253) - Hermburger Bericht. 159 BVerfGE 30,173 (193) - Mephisto. 160 BVerfGE 81, 278 (292 f.) - Laßt mich bloß in Frieden; 77, 240 (253) - Hermburger Bericht; 67, 213 (228) - Anachronistischer Zug; 30, 173 (193) - Mephisto; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 96 zu Art. 5; I. v. Münch, Grundbegriffe Bd. 1, Rdnr. 361; R. Scholz, in: Maunz!Dürig, Art. 5 III Rdnr. 57; G. Erbei, ZUM 1985, 283 ff. (295); L. Zechlin, NJW 1984, 1091 ff. (1092); G. Zäbeley, NJW 1985, 254 ff. (256); Th. Würtenberger, NJW 1982, 610 ff. (615). Kritisch jedoch Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 715. 161 I. v. Münch, Grundbegriffe Bd. 1, Rdnr. 259; ders., in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Vorbem. zu Art. 1-19, Rdnr. 57 unter Berufung auf BVerfGE 28, 243 (261) - Kriegsdienstverweigerung. Vgl. auch BVerfGE 83,130 (139) - Josefine Mutzenbacher; 33,52 (71) - Der lachende Mann; BVerwG, NJW 1987, 1836 (1837) - Straßenkunst; BVerwGE 77, 75 (82) - Der stählerne Traum; ähnlich schon BVerwGE 1,303 (307) Die Sünderin; siehe auch R. Scholz, in: Maunz!Dürig, Art. 5 III Rdnr. 58; H. Bethge, ZUM 1989,492 ff. (496); G. Erbei, ZUM 1985,283 ff. (295); E. Denninger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 146 Rdnr. 39. 162 BVerfGE 77,240 (255) - Hermburger Bericht; 81,278 (293) - Laßt mich bloß in Frieden; J. F. Henschel, NJW 1990, 1937 ff. (1941).

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

die prägenden Eigenheiten der in Rede stehenden Kunstgattung zu berücksichtigen sind. Erst wenn dies ergibt, daß entgegenstehende Verfassungsgüter beeinträchtigt sind, ist eine Abwägung notwendig. 163 Dabei muß der kollidierende Verfassungswert "im Lichte des Art. 5 Abs. 3 Satz I GG ausgelegt werden, damit ein den Wertvorstellungen des Grundgesetzes entsprechender Ausgleich der widerstreitenden, verfassungsrechtlich geschützten Interessen gefunden werden kann."I64 Es muß eine auf den Einzelfall bezogene Güterabwägung stattfinden, bei der die Kunstfreiheit ihrerseits dem kollidierenden Verfassungswert Grenzen ziehen kann. 165 In diesem Punkt verwendet das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zur Kunstfreiheit ähnliche Formulierungen, wie es sie seinerzeit bei der Herausarbeitung der Wechselwirkungslehre im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 GG eingeführt hat. 166 Einem Güterausgleich jedoch nicht zugänglich sind Eingriffe in den durch Art. lAbs. 1 geschützten Kern der menschlichen Persönlichkeit. Keinem Künstler darf es erlaubt sein, den von seinem Werk Betroffenen seiner Würde als Mensch zu entkleiden. 167 Im Hinblick auf bespielte Videokassetten kommt als Rechtswert mit Verfassungsrang, der im Rahmen der grundrechtsimmanenten Schranken zur Einschränkung der Kunstfreiheit führen kann, insbesondere der Jugendschutz in Betracht. Dies folgt nicht etwa daraus, daß der Schutz der Jugend auch bei anderen Grundrechten als Schranke dient (so bei Art. 11 Abs. 2, Art. 13 Abs. 3 und insbesondere Art. 5 Abs. 2) und etwa schon deshalb als Rechtswert mit Verfassungsrang anzusehen wäre. Vielmehr zeigt der Verzicht des Grundgesetzes, die 163 Vgl. dazu J. F. Henschel, NJW 1990, 1937 ff. (1941 f.); BVerfGE 75,369 (376 ff.) - Schweinchen-Karikatur; 81,298 (308) - Deutschlandlied '86. 164 BVerfGE 77, 240 (253) - Herrnburger Bericht; 81, 278 (292) - Laßt mich bloß in Frieden; vgl. auch BVerfGE 75, 369 (380) - Schweinchen-Karikatur. Kritisch gegenüber einer Güterabwägung jedoch J. Hoffmann, NJW 1985, 237 ff. (243 f.), der die darin liegende Unsicherheit für den Grundrechtsträger beklagt. 165 So in Bezug auf das Verhältnis zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht BVerfGE 67, 213 (228) - Anachronistischer Zug; siehe auch BVerwGE 77, 75 (82) Der stählerne Traum; sowie G. Erbei, ZUM 1985,283 ff. (295). Zur Einzelfallbezogenheit der Abwägung auch H. Bethge, ZUM 1989,492 ff. (496 f.). 166 H. Otto spricht daher zutreffend davon, daß die Güterabwägung bei der Kunstfreiheit methodisch genau wie im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 GG verläuft, ohne daß die beiden Abwägungenjedoch identisch seien, vgl. H. Otto,NJW 1986, 1206 ff. (1210); ders., JR 1983,511 ff. (513); ders., JR 1983, 1 ff. (10). Siehe dazu auch G. Zöbeley, NJW 1985, 254 ff. (256); J. F. Henschel, NJW 1990, 1937 ff. (1941). Die zu Art. 5 Abs. 2 entwickelte Wechselwirkungslehre wendet das Verfassungsgericht inzwischen auch außerhalb des Art. 5 an, so etwa bei Art. 10, siehe dazu BVerfGE 67, 157 (172 f.) - Telefonkontrolle mit Warschauer Pakt-Staaten. 167 J. F. Henschel, NJW 1990, 1937 ff. (1942); sowie BVerfGE 75, 369 (380) Schweinchen-Karikatur; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 209, Art. 1 I Rdnr. 28; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1 Rdnr. 10; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 413.

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

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Kunstfreiheit unter einen ausdrücklichen Vorbehalt des Jugendschutzes zu stellen, daß der Jugendschutz als Schranke der Kunst eben nicht den gleichen Stellenwert haben darf wie etwa im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 GG. Statt dessen wird der Schutz der Jugend durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 und durch Art. 6 Abs. 2 als zur Beschränkung der Kunstfreiheit fähiger Verfassungswert legitimiert. 168 Art. 6 Abs. 2 gewährleistet das Erziehungsrecht der Eltern, wonach allein jene über die Erziehung ihrer Kinder bestimmen. Staatlicher Jugendschutz soll im Hinblick darauf sicherstellen, daß Medien, die sich auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen schädlich auswirken können, diesen nur mit Zustimmung ihrer Eltern zugänglich gemacht werden. 169 Zu nennen ist auch das staatliche "Wächteramt" über die Erziehung der Kinder (Art. 6 Abs. 2 Satz 2), demzufolge der Staat die Aufgabe hat, sittlich gefährdende Erziehungseinflüsse zurückzudrängen. l7O Dies ergibt sich auch daraus, daß der junge Mensch als Wesen mit eigener Menschenwürde und dem Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit des Schutzes und der Hilfe bedarf, um sich zu einer dem Menschenbild des Grundgesetzes entsprechenden eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln zu können. Dieses "Menschwerdungsgrundrecht"l7l des Kindes gewährleisten Art. lAbs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. I72 Der Schutz der Jugend steht der Kunstfreiheit insoweit gleichrangig gegenüber. Weder besteht ein genereller Vorrang des Jugendschutzes gegenüber der Freiheit der Kunst noch ein genereller Vorrang der Kunstfreiheit gegenüber Maßnahmen des Jugendschutzes. Darum findet weder der Satz "Kunstschutz geht vor Jugendschutz,,173 noch seine Umkehrung eine Rechtfertigung im Verfassungsrecht. Statt 168 BVerfGE 83, 130 (139 f.) - Josefine Mutzenbacher; BGHSt 37, 55 (62 f.) - Opus Pistorum; R. Schotz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 70; P. Lutz, NJW 1988, 3194 ff. (3195). Kritisch dazu M.-E. Geis, NVwZ 1992,25 ff. (260, der den Vorwurf erhebt, daß damit der Art. 5 Abs. 2 quasi durch die Hintertür doch wieder als Schranke eingeführt werde. 169 BVerfGE 83, 130 (139 f.) - Josefine Mutzenbacher. 170 Vgl. BGHSt 37, 55 (63) - Opus Pistorum; BVerwGE 77, 75 (82) - Der stählerne Traum; Chr. Ditzen, NJW 1989,2519. Gegen eine Ableitung des Jugendschutzes aus Art. 6 jedoch LG Stuttgart, ZUM 1989, 365 (369) - Opus Pistorum. 17l Chr. DUzen, NJW 1989,2519. I72 BVerfGE 83, 130 (140) - Josefine Mutzenbacher; BGHSt 37, 55 (63) - Opus Pistorum; BVerwGE 77, 75 (82) - Der stählerne Traum; 39,197 (208) - Die Sünden der Söhne; R. Schotz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 70; W. Gernert, RdJB 1987, 135 ff. (140); siehe in anderem Zusammenhang auch BVerfGE 24, 119 (144 f.); 79, 51 (63). 173 Diesen Grundsatz hatte das Bundesverwaltungsgericht bei der Auslegung des Kunstvorbehalts des § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS in BVerwGE 23, 104 (110) - "Die Rechnung ohne den Wirt" aufgestellt (zustimmend H. Leonardy, NJW 1967, 714 ff. [715]), später in BVerwGE 39, 197 (207) -"Die Sünden der Söhne" allerdings eingeschränkt (ablehnend dazu S. Ou, NJW 1972, 1219 ff. (1222)). Von dieser Rechtsprechung wich es in BVerwGE 77, 75 (81 ff.) - "Der stählerne Traum" zugunsten des Kunstschutzes wieder ab. Siehe

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

dessen müssen Kunstfreiheit und Jugendschutz beide mit dem Ziel der Optimierung zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden. Dies kann nur durch eine Abwägung der widerstreitenden Belange im Einzelfall unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geschehen. 174 Das Schrifttum favorisiert in diesem Zusammenhang eine weitere Differenzierung: Danach kann der Jugendschutz den Wirkbereich der Kunst, die Verbreitung einschränken, nicht aber den Werkbereich. 175 Eine Ansicht will neben den Rechten anderer und obersten Verfassungswerten noch das Sittengesetz als zusätzliche Schranke der Kunstfreiheit etablieren l76 und damit einen Teil der Schranken des Art. 2 Abs. 1 zumindest mittelbar für die Kunstfreiheit nutzbar machen. So wie die Rechte anderer eine "allen Grundrechten geradezu rechtslogisch immanente Schranke" seien,177 so müsse das Sittengesetz als eine allen Grundrechten "ethisch immanente Schranke" angesehen werden, deren Nennung in Art. 2 Abs. 1 nur deklaratorischen Charakter habe. 178 Den Gefahren dieses unbestimmten Begriffs l79 soll durch die Forderung begegnet werden, es dürfe nicht dazu kommen, daß "unsittlicher" bzw. "unzüchtiger" Kunst der Kunstschutz versagt werde, denn der Kunstbegriff als solcher sei sittlich-neutral. Es komme vielmehr stets auf die konkreten Gegebenheiten an. Das Sittengesetz könne insoweit jedoch Einfluß auf die zulässige Verbreitungsform nehmen. 180 Eine solche ethische Bindung der Kunst ist in dieser Form abzulehnen. Die Schwäche dieser Konstruktion zeigt sich schon in der Notwendigkeit, die Schranke dazu auch P. Lutz, NJW 1988,3194 f. Noch stärkeren Kunstschutz fordert F. Sieger, ZUM 1989,567 f. 174 BVerfGE 83, 130 (143, 146) - Josefine Mutzenbacher; BGHSt 37, 55 (64) - Opus Pistorum 175 H. D. Jarass, in: Jarass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 74; Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 215; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 70; I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 1 (3. Aufl.), Art. 5 Rdnr. 65, unter Berufung auf BVerwGE 39, 197 (208). 176 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 64; auch Chr. Prause, Kunst und Politik, S. 47 ff. 177 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 59, unter Berufung auf G. Dürig, ebd., Art. 2 I Rdnr. 73. 178 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 61, unter Berufung aufG. Dürig, ebd., Art. 2 I Rdnr. 74; sowie G. Erbei, Das Sittengesetz, S. 186 ff.; H.-R. Ropertz, Freiheit der Kunst, S. 111 ff.; P. Bär, Filmfreiheit, S. 177 ff. Siehe auch H. v. Hartlieb, Die Freiheit der Kunst und das Sittengesetz, der jedoch zwischen dem Begriff des Sittengesetzes LS.d. Art. 2 Abs. 1 und einem engeren Begriff der "ethischen Grundnormen" differenziert (S. 32, 38), und nicht das Sittengesetz sondern nur letztere als immanente Schranke der Kunstfreiheit anerkennt (S. 47 ff., 53 f.). 179 Der mit G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 I Rdnr. 16, als die sittlichen Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft verstanden wird. 180 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 61.

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im Moment ihrer Herleitung zugleich wieder einzuschränken. Letztlich bleibt es hiernach doch bei einer Einzelfallabwägung anhand von Grundsätzen, die einer Verortung in einer gesonderten Schranke der Ethik nicht bedürfen. Konflikte lassen sich auch ohne dieses Vorgehen unter Rückgriff auf die Wertordnung des Grundgesetzes und insbesondere unter Rückgriff auf die Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG lösen. Zu bedenken ist hierbei auch, daß es gerade Bestandteil der Kunstfreiheit ist, sich um der Kunst willen über herkömmliche Begriffe von Moral und Ethik hinwegzusetzen. Durch die Kunstgeschichte zieht sich ein zuweilen leidenschaftlich umkämpfter Gegensatz zwischen dem ästhetischen und dem ethischen Menschen. Der Künstler stellt häufig soziale und ethische Wertvorstellungen auf die Probe, um ein umfassenderes Bild vom Menschen zu gewinnen oder um der "Wahrheit" willen, der er sich verpflichtet fühlt. 181 In diesem Zusammenhang ist auf die Worte Max Webers zu verweisen, "daß etwas durch Kunst schön sein könne, nicht obwohl, sondern indem es böse sei". 182 Im Hinblick darauf wäre es bedenklich, die Kunst unter einen Vorbehalt der Ethik zu stellen. Die Kunst braucht nur solche Vorbehalte zu dulden, die ihren ausdrücklichen Niederschlag im Grundgesetz gefunden haben. 3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Die grundrechtsimmanenten Schranken der Kunstfreiheit unterstehen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als "Schrankenschranke".183 Beschränkungen der Kunstfreiheit sind also im Rahmen der Güterabwägung einer Prüfung auf ihre Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit zu unterziehen. Sie dürfen nicht weiter gehen, als für einen Güterausgleich notwendig ist. Dabei ist zu klären, ob die Beeinträchtigung der kollidierenden Verfassungsgüter durch die Kunstausübung derart schwerwiegend ist, daß die Freiheit der Kunst zurückzutreten hat. Eine geringfügige Beeinträchtigung oder die bloße Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung reichen angesichts der hohen Bedeutung der Kunstfreiheit nicht aus. 184 Diese Formel wurde vom Bundesverfassungsgericht zum Spannungsverhältnis zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht bei Beleidigungen entwickelt, sie hat darüberhinausgehend jedoch allgemeine Bedeutung. 185 181 Vgl. dazu W. Emrich, in: Universitätstage 1964: Gesellschaftliche Wirklichkeit im 20. Jahrhundert und Strafrechtsreform, S. 159 ff. (168 ff.). 182 Zitiert beiA. Arndt, NJW 1966, 25 ff. (28). 183 R. Schalz, in: MaunzlDürig, Art. 5 III Rdnr. 65; ehr. Prause, Kunst und Politik, S. 57; Th. Würtenberger, NJW 1982,610 ff. (615); BVerfGE 77, 240 (257) - Hermburger Bericht 184 BVerfGE 67, 213 (228) - Anachronistischer Zug; VGH Mannheim, NJW 1989, 1299 (1301) - Straßenkunst; LG Stuttgart, ZUM 1989,365 (369) - Opus Pistorum; siehe auchJ. Würkner, NJW 1989, 1266 f. (1267).

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

In diesem Zusammenhang wird meist zwischen Beschränkungen der Kunstfreiheit im Werkbereich und solchen im Wirkbereich der Kunst differenziert. Im Werkbereich, dem Bereich der Schöpfung des Kunstwerks, soll der Kunstschutz absolut sein und nur in Ausnahmefällen Beschränkungen rechtfertigen. Im Wirkbereich, dem Bereich der Darbietung und kommunikativen Vermittlung des Kunstwerks, soll der Schutz relativ sein und damit im Rahmen der Schrankenvorbehalte Einschränkungen ermöglichen. 186 Zur Begründung wird angeführt, daß die Schöpfung des Kunstwerks sich in der Zone des HöchstpersönlichIndividualen vollziehe und dort keine freiheitsbeschränkenden Eingriffe dulde. Die kommunikative Vermittlung des Kunstwerks hingegen geschehe in der sozialen Freiheitssphäre und könne Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit tangieren. Nur wenn Schöpfung und Darbietung der Kunst zusammenfielen sei der Werkbereich in gleichem Maße wie der Wirkbereich beschränkbar. 187 Eine andere Auffassung stellt eine Stufentheorie dergestalt auf, daß der Werkbereich der Kunst nur durch verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter, insbesondere die Grundrechte, einschränkbar sein soll, der Bereich der Vorbereitung und Verbreitung des Kunstwerks hingegen auch an die allgemeine Rechtsordnung gebunden sei, was mit der Privilegienfeindlichkeit einer demokratischen Rechtsordnung begründet wird, der auch der Künstler unterworfen sei. 188 Letzterer Ansicht tritt das Bundesverfassungsgericht zu Recht entgegen. 189 Werk- und Wirkbereich der Kunst dürften nicht mit getrennten Schranken unterlegt werden, sondern bildeten aufgrund der Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheitsgarantie eine Einheit. Dies ergebe sich schon daraus, daß bei bestimmten Kunstäußerungen Werk- und Wirkbereich zusammenfallen, die Übergänge zwischen beiden Bereichen vielfach fließend sind, dem Wirkbereich je nach Art der Kunstgattung höchst unterschiedliche Bedeutung zukommt und die Vermittlung der Kunst selbst mehr oder weniger Bezug zum Kunstwerk haben kann. 19O Zwar entspreche es den Wertvorstellungen der Verfassung, die eigentliche Kunst185 So überträgt das Bundesverwaltungsgericht diese Formel der Sache nach auf den Jugendschutz, vgl. BVerwGE 77,75 (82 f.) - Der stählerne Traum. Siehe dazu auch D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (110). 186 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 65; Chr. Prause, Kunst und Politik, S. 57 f.; unter anderer Prämisse auch F. Müller, Freiheit der Kunst, S. 97 ff.; ders., JZ 1970, 87 ff. (90 f.). 187 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 65. 188 Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnrn. 207 f. Eine Stufentheorie hat offenbar auch Heuer im Sinn, wenn er davon spricht, daß die Grundrechtsschranken "entsprechend der ebenfalls vorbehaltlos gesicherten Berufsfreiheit zu ziehen" seien, vgl. C.-H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst, S. 69. 189 BVerfGE 77, 240 (254) - Hermburger Bericht. Dem folgend VGH Mannheim, NJW 1989, 1299 (1300 f.) - Straßenkunst. 190 BVerfGE 77,240 (254) - Hermburger Bericht.

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GO

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schöpfung für weniger einschränkbar zu halten als die Kommunikation zwischen Künstler und Außenwelt, da die Kunstfreiheit um des künstlerischen Schaffens willen gewährleistet wird, und die Vermittlung des Kunstwerkes demgegenüber dienende Funktion hat. 191 Jedoch ergibt sich dafür, daß die Kunstfreiheit im Werkbereich eher Vorrang genießt als im Wirkbereich, nur eine tatsächliche Vermutung. Erforderlich bleibt immer, auf die Gegebenheiten des Einzelfalles abzustellen. Der Prüfungsmaßstab bleibt für Beschränkungen des Werk- und des Wirkbereiches derselbe. Die tatsächlichen Umstände, der Grad der Außenwirkung und die Stärke des Kunstbezuges beeinflussen lediglich die Gewichtung der verfassungsrechtlich geschützten Belange und damit das Abwägungsergeb• 192 ms. Die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG enthalten, wie oben 193 erwähnt, als zusätzliche Schrankenschranke das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 Satz 3. Zuweilen wird vertreten, dieses Zensurverbot auch auf die Kunstfreiheit anzuwenden. 194 Wenn es schon für die Rechte des Art. 5 Abs. 1 GG gelte, so müsse es erst recht für die mit erhöhtem Grundrechtsschutz ausgestattete Kunstfreiheit gelten. 19S Dies ist in dieser Form jedoch abzulehnen. Zwar ist es richtig, daß die Kunstfreiheit im Ergebnis auch vor staatlicher Zensur schützen muß. Dies folgt aber nicht aus der Anwendung des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 auf die Kunstfreiheit. Art. 5 Abs. 3 GG ist ein selbständiges Grundrecht, auf das die Schrankensystematik anderer Grundrechte keine Anwendung findet. Statt dessen geht das Zensurverbot in der Schrankenregelung des Art. 5 Abs. 3 auf. Ein Zensurverbot im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 als gesonderte Schrankenschranke - das ja nur als zusätzliche Sicherung bei solchen Eingriffsmaßnahmen zum Zuge kommt, die ansonsten Ausdruck der Schranken sind - ist wegen des erhöhten Grundrechtsschutzes der Kunstfreiheit und den daraus resultierenden engeren Grundrechtsschranken nicht erforderlich. Maßnahmen der Zensur sind genauso wie andere Eingriffe an den Schranken der Kunstfreiheit zu messen.

191 BVerfG a.a.O. (253) - Herrnburger Bericht; J. F. Hensche!, NJW 1990, 1937 ff. (1942). 192 BVerfG a.a.O. (254 f.) - Herrnburger Bericht; vgl. dazu J. Würkner, NJW 1988, 327 f. (328), der selbst die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts noch als Stufentheorie kritisiert und eine gleiche Schutzintensität für das Kunstschaffen sowie die Kunstvermittlung fordert. Ähnlich auch U. Karpen/K. Hafer, JZ 1992,951 ff. (953 f.) und E. Denninger, in IsenseelKirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 146 Rdnr. 44. Hiergegen aber J. F. Hensche!, NJW 1990, 1937 ff. (1942 f.). 193 Siehe Abschnitt A V (S. 153 ff.). 194 R. Schatz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 12; G. Erbe!, Kunstfreiheitsgarantie, S. 187; W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 238 ff. 19S G. Erbe!, Kunstfreiheitsgarantie, S. 187.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

IV. Das Verhältnis der Kunstfreiheit zu Art. 5 Abs. 1 GG

Soweit bespielte Videokassetten den Schutz der Kunstfreiheit auslösen, ist nach dem Verhältnis von Art. 5 Abs. 3 zu Art. 5 Abs. 1 GG zu fragen, da letzterer wie oben gesehen196 ebenfalls einschlägig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich im Sünderin-Urteil l97 mit dieser Problematik zu befassen und dabei die Meinung vertreten, ein Spielfilm, der eine frei erfundene Handlung wiedergibt, zu den Vorgängen aber selbst nicht Stellung nimmt, sei kein berichterstattender Film und auch keine Meinungsäußerung, sondern vielmehr ein Werk der Kunst. 198 Dies deutete darauf hin, daß ein Werk nur entweder ein Kunstwerk oder eine Meinungsäußerung oder Berichterstattung darstellen könne, daß also Art. 5 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 GG sich gegenseitig ausschließen sollten. Hiergegen wandte sich das OVG Münster,199 das der Ansicht war, in der Veröffentlichung eines Kunstwerks liege zugleich auch eine Meinungsäußerung. Kunst und Meinungsäußerung würden sich demgemäß nicht ausschließen, sondern seien notwendige Bestandteile eines der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Kunstwerks. Dieses falle daher gleichzeitig unter Art. 5 Abs. 3 und Art. 5 Abs. I GG. 2OO Das Gericht zog hieraus jedoch die Konsequenz, daß aufgrund der meinungsäußernden Elemente die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG anwendbar sein sollten. 201 Dem trat in einer späteren Entscheidung wiederum das Bundesverwaltungsgericht entgegen, das den Standpunkt einnahm, trotz meinungsbildender Elemente solle nur Art. 5 Abs. 3 auf ein Kunstwerk anwendbar sein. Die Kunst dürfe allein dadurch,' daß sie eine Meinungsäußerung enthalte, nicht den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG verlieren. Meinungsäußerungen seien in Kunstwerken häufig enthalten. Diese deshalb unter Art. 5 Abs. 3 und Art. 5 Abs. I gleichzeitig fallen zu lassen, liefe dem Grundgesetz zuwider. Dies ergebe sich auch aus einem Vergleich mit der ebenfalls in Art. 5 Abs. 3 GG gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit, die ohne Meinungsäußerung gar nicht denkbar sei. Wolle man unterstellen, daß meinungsbildende Elemente die Anwendung von Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 erlauben würden, so müßte dies für die Wissenschaftsfreiheit stets gelten; ihr Schutz durch Art. 5 Abs. 3 stünde dann nur auf dem Papier?02 196 Siehe Abschnitt A (S. 91 ff.). 197 BVerwGE 1,303 ff. - "Die Sünderin". 198 BVerwGE 1,303 (305) - "Die Sünderin". 199 OVG Münster, NJW 1959, 1890 (1892). 200 Zustimmend A. Arndt, NJW 1966,25 ff. (28); O. Katholnigg, NJW 1966, 1574 f. (1575). 201 Kritisch dazu Hamann in seiner Anmerkung zu dieser Entscheidung, NJW 1959, 1890 f. (1891); sowie A. Arndt, NJW 1966, 25 ff. (28). Siehe hierzu auch oben S. 181. 202 BVerwGE 25,318 (329 f.) - Dein Sohn läßt grüßen.

B. Der Schutz durch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG

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Die gleiche Ansicht vertrat auch das Bundesverfassungsgericht. In der Mephisto-Entscheidung führte es zunächst aus, daß künstlerische Aussagen gegenüber Meinungsäußerungen ein "aliud" seien, auch wenn sie Meinungsäußerungen enthielten. Einzelne Teile eines Kunstwerks könnten nicht aus seinem Zusammenhang gelöst und als Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 angesehen werden. Der Bereich der "engagierten Kunst" sei von der Kunstfreiheit nicht ausgenommen. Die Kunstfreiheit sei kein Unterfall der Meinungsfreiheit, sondern es handele sich um zwei selbständige Regelungsbereiche, wobei Art. 5 Abs. 3 gegenüber Art. 5 Abs. 1 lex specialis sei. 203 In späteren Entscheidungen ergänzte es, daß eine Meinung durchaus in der Form künstlerischer Betätigung kundgetan werden könne. Dies nehme dem Werk nicht die Eigenschaft als Kunstwerk. Maßgebliches Grundrecht bleibe vielmehr Art. 5 Abs. 3 als lex specialis. 204 Diese Ansicht wird auch im Schrifttum überwiegend geteilt. 205 Bei den obigen Ausführungen ging es vornehmlich um inhaltliche Überschneidungen in der Form, daß Kunstwerke meinungsbildende Elemente enthalten. Daneben ist jedoch auch der Fall zu betrachten, daß Kunstwerke über die Massenmedien Presse, Rundfunk und Film verbreitet werden. Für die herrschende Ansicht gilt auch hier die Kunstfreiheit als lex specialis, jedenfalls solange sich der Eingriff gezielt und ausschließlich gegen das verbreitete Kunstwerk richtet. Die Massenmedien erfüllen insoweit nur eine "instrumentale Kommunikationsfunktion".206 Scholz hingegen will den Vorrang der Kunstfreiheit nur für den Künstler selbst gelten lassen. Für den Verleger, den Filmproduzenten oder den Rundfunkveranstalter soll Art. 5 Abs. 1 maßgebend sein, da jene lediglich als Medienträger tätig werden. Nach dieser Ansicht wären also Art. 5 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 beide anwendbar, wenn auch in der Person verschiedener Grund203 BVerfGE 30, 173 (191 f., 200) - Mephisto; vgl. auch BVerfGE 33, 52 (70 f.) Der lachende Mann; auch BVerfGE 67, 213 (227 f.) - Anachronistischer Zug; unklar dagegen BVerfGE 35, 202 (244) - Lebach. Siehe dazu auch H.-R. Ropertz, Freiheit der Kunst, S. 84 f. 204 BVerfGE 75,369 (377) - Schweinchen-Karikatur; 81,278 (291) - Laßt mich bloß in Frieden; zustimmend J. Würkner, JA 1988, 183 ff. (188). 205 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnrn. 13, 50; Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 191; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Art. 5 Rdnr. 95. Andere Ansicht Chr. Prause, Kunst und Politik, S. 142 ff., die aus dem Bereich engagierter Kunst einen Bereich extrem engagierter Kunst herausnehmen und Art. 5 Abs. 1 unterstellen will.

206 Vgl. G. Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 94 ff. m.w.N.; vgl. auchR. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 13; BVerfGE 81, 298 (305 f.) - Deutschlandlied '86. Die Mephisto-Entscheidung, die einen Roman betraf (also ein Druckwerk, das unter den Pressehegriff des Art. 5 Abs. 1 fallen würde), ging auf diesen Aspekt nicht ein, sondern lehnte Art. 5 Abs. 1 schon deshalb ab, "weil diese Bestimmung mangels Vorliegens einer Meinungsäußerung nicht anzuwenden ist" (BVerfGE 30, 173 [200]). Siehe aber BVerfGE 33, 52 (70 f.) - Der lachende Mann.

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2. Teil: GrundrechtIiche Freiheiten

rechtsträger. 207 Bei Verbreitung durch die Massenmedien würden gegenüber dem Kunstwerk folglich die Schranken des Art. 5 Abs. 2 zum Zuge kommen. 208 Diese Ansicht vermeidet zwar die Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen Kunst und Nichtkunst, soweit es um die Verbreitung durch die Massenmedien geht, und liefert den Medienträgern die Gewißheit, sich jeweils nur im Bereich des Art. 5 Abs. 1 zu bewegen. Dennoch vermag sie letztlich nicht zu überzeugen. Die Rechte des Art. 5 Abs. 1 stellen weder an den Inhalt noch die Form der Äußerung besondere Anforderungen, so daß sie grundsätzlich auch künstlerische Äußerungen aufnehmen könnten. 209 Demgegenüber ist die Kunstfreiheit aber gerade um des künstlerischen Gehalts willen gewährleistet. Insofern enthält sie gegenüber Art. 5 Abs. 1 noch zusätzliche Merkmale, ist also diesem gegenüber lex specialis. 210 Die Kunstfreiheit schützt somit auch die Vermittlung des Kunstwerks durch die Massenmedien. Für Kunstwerke auf bespielten Videokassetten bedeutet dies, daß sowohl der Künstler den Schutz der Kunstfreiheit genießt, als auch der Videovertreiber. Die Filmfreiheit tritt somit in diesem Fall zurück. C. Der Schutz durch die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) Grundrechtsschutz für die Herstellung und den Vertrieb bespielter Videokassetten kommt auch unter dem Gesichtspunkt der Berufsfreiheit in Betracht. Staatliche Reglementierungen der gewerblichen und beruflichen Beschäftigung mit bespielten Videokassetten müßten dann die Anforderungen erfüllen, die die Berufsfreiheit des Art. 12 GG für berufsregelnde Maßnahmen aufstellt. I. Der Schutz bereich der Berufsfreiheit

Beruf im Sinne von Art. 12 Abs. 1 ist jede auf Dauer angelegte und auf Erzielung von Gewinn gerichtete erlaubte Tätigkeit, die Lebensaufgabe und Lebensgrundlage des einzelnen ist. 2lI Dabei ist von einem weit auszulegenden offenen Berufsbegriff auszugehen. 212 Dieser verbietet eine zu enge Auslegung 207 R. Scholz, in: Maunz!Dürig, Art. 5 III Rdnr. 13; ders., Audiovisuelle Medien, S. 41 f.; vgl. dazu auch J. F. Henschel, NJW 1990, 1937 ff. (1943). Andere Ansicht ehr. Starck, M/KIS, Art. 5I11 Rdnr. 191. 208 R. Scholz, in: Maunz!Dürig, Art. 5 III Rdnr. 14. 209

210

So zutreffendR. Scholz, in: Maunz!Dürig, Art. 5 III Rdnr. 13. Vgl. insoweit allgemein PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 389.

211 I. v. Münch, Grundbegriffe Bd. 1, Rdnr. 435; M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 8 zu Art. 12; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnm. 905 ff.; R. Scholz, in: Maunz!Dürig, Art. 12 Rdnr. 18; BVerfGE 7, 377 (397) - Apothekenurteil; BVerwGE 22, 286 (287) - bremische Verordnung gegen das Wahrsagen von 1934.

C. Der Schutz durch die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG)

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der einzelnen Merkmale des Berufsbegriffs. So erfaßt das Merkmal der Gerichtetheit auf eine gewisse Dauer auch noch gelegentliche Tätigkeiten. 213 Und daß die Betätigung der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienen soll, bedeutet nicht, daß eine Nebentätigkeit nicht einbezogen wäre. 214 Auch erstreckt sich der Berufsbegriff sowohl auf selbständige wie unselbständige Beschäftigungen.215 Er erfaßt nicht nur traditionelle Berufsbilder, sondern auch neu entstandene Betätigungen. 216 Das Kriterium, daß nur erlaubte Tätigkeiten einen Beruf im Sinne von Art. 12 Abs. 1 darstellen können, ist einschränkend auszulegen. Es darf nicht dazu führen, daß der Gesetzgeber eine Tätigkeit allein dadurch, daß er sie gesetzlich verbietet, aus dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. I ausschließen und so dem Maßstab dieses Grundrechts entziehen kann. Daher ist dieses Kriterium nicht im Sinne von "gesetzlich erlaubt" zu verstehen. Erlaubt sind vielmehr alle Tätigkeiten, die nach den Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft nicht allgemein gemeinschaftsschädlich sind. 217 Das gewerbsmäßige Herstellen und Vertreiben von bespielten Videokassetten ist danach ein Beruf im Sinne von Art. 12 Abs. I GG. Die Videoanbieter und die Videothekare fallen in ihrer Berufstätigkeit also unter den Schutzbereich der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1. Die Berufsfreiheit gewährleistet dem einzelnen das Recht, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen, und sie schützt die freie berufliche Betätigung in dem gewählten Beruf. 218 Der Schutz richtet sich allerdings nur gegen solche Eingriffe, die eine berufsregelnde Tendenz aufweisen. Das ist dann der Fall, wenn der Eingriff gerade auf eine Berufsregelung abzielt oder, bei berufsneutraler Zielsetzung, sich entweder unmittelbar auf die berufliche Tätigkeit auswirkt oder in seinen mittelbaren Auswirkungen von einigem Gewicht ist. 219 212 R. Schotz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnr. 18; I. v. Münch, Grundbegriffe Bd. I, Rdnr. 435; BVerfGE 7,377 (397) - Apothekenurteil; 14, 19 (22) - Automatenaufsteller. 213 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnr. 19; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 907. 214 M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 15 zu Art. 12; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 907. 215 M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 17 zu Art. 12; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 907; BVerfGE 7,377 (398 f.) - Apothekenurteil. 216 PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 905. 217 BVerwGE 22, 286 (288 f.) - bremische Verordnung gegen das Wahrsagen von 1934; vgl. auch VGH Bad.-Württ. VB1BW 1985, 178 ff.; M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 9 zu Art. 12; I. v. Münch, Grundbegriffe Bd. 1, Rdnr. 437; R. Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 147 Rdnr. 44. Ähnlich auch R. Schotz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnr. 26. Kritisch jedoch PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnm. 905 f. 218 BVerfGE 13, 181 (185) - Schankerlaubnissteuer; 7, 377 (397) - Apothekenurteil.

13 Meirowitz

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

11. Die Schranken der Berufsfreiheit

Eingriffe können die Berufsausübung betreffen oder die Freiheit der Berufswahl einschränken. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 legt fest, daß die Berufsausübung durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden kann. Unter "Gesetz" ist ein Gesetz im formellen Sinne zu verstehen.220 Da Regelungen gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 auch "auf Grund" eines solchen Gesetzes möglich sind, können auch untergesetzliche Normen wie Rechtsverordnungen und Satzungen und darauf gestützte Verwaltungsakte Eingriffe in die Berufsfreiheit enthalten. Erforderlich ist jedoch, daß sie ihrerseits auf einer Ermächtigung in einem formellen Gesetz beruhen. 221 In bezug auf Rechtsverordnungen ist im übrigen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 zu beachten. 222 Der Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 könnte zu der Ansicht verleiten, daß allein die Berufsausübung unter einem Regelungsvorbehalt223 durch den Gesetzgeber stünde, die Freiheit der Berufswahl dagegen schrankenlos sei. Es herrscht jedoch Übereinstimmung darüber, daß auch die Freiheit der Berufswahl grundrechtlichen Schranken unterliegt. 224 Das Bundesverfassungsgericht hat im Apothekenurteil festgestellt, daß die Freiheiten der Berufswahl und der Berufsausübung nicht sauber zu trennen sind. Vielmehr enthält Art. 12 Abs. 1 ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit. In diesem wirkt der für die Berufsausübung ausdrücklich vorgesehene Regelungsvorbehalt auch auf die Freiheit der Berufswahl. Jedoch sind die Anforderungen der Grundrechtsschranken je nach Regelungsintensität des Eingriffs verschieden. Der Grundrechtsschutz ist um so stärker, je mehr der Eingriff die Freiheit der Berufswahl berührt, da diese vom Wortlaut her unbeschränkt gewährleistet ist. Die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers ist um so freier, je mehr der Eingriff eine reine Ausübungsregelung darstellt. 225 219 PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 918; H. Rittstieg, in: AK-GG, Art. 12 Rdnr. 84; BVerfGE 13, 181 (185 f.) - Schankerlaubnis steuer; 38,61 (79) - "Leberpfennig"; 46, 120 (137) - Öffentliches Direktrufnetz für digitale Datenübertragung; 47, 1 (21 f.); 49,24 (47 f.) - Kontaktsperregesetz; 54, 251 (270); 61, 291 (308) - Tierpräparatoren; BVerwGE 71, 183 (191 ff.) - Veröffentlichung von Arzneimittel-Transparenzlisten. Andere Ansicht: R. Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 148 Rdnm. 29 ff. m.w.N. 220 M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 73 zu Art. 12; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnr. 305. 221 M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 74 zu Art. 12. 222 PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 938; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnm. 294, 314. 223 Zu den Begriffen Regelungsvorbehalt und Grundrechtsschranke vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnm. 296 ff.; M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 42 zu Art. 12; I. v. Münch, ebd., Vorbem. zu Art. 1-19, Rdnr. 54; BVerfGE 7, 377 (403 f.) - Apothekenurteil. 224 Vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnr. 295.

C. Der Schutz durch die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG)

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Zur Abstufung der so verstandenen Regelungsbefugnis und zum Ausgleich zwischen dem Schutz der Freiheit des einzelnen auf der einen Seite und dem Schutz der Gemeinschaft vor den Gefahren gänzlich freier Berufsausübung auf der anderen Seite entwickelte das Bundesverfassungsgericht die Drei-StufenLehre als besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.226 Darin unterscheidet es Beschränkungen der Berufsausübung und Beschränkungen der Berufswahl durch subjektive Zulassungsvoraussetzungen und durch objektive Zulassungsvoraussetzungen. Am strengsten sind die Anforderungen, die an objektive Zulassungsvoraussetzungen zu stellen sind, an Voraussetzungen also, die nicht in der Person des einzelnen liegen und auf deren Erfüllung er daher keinen Einfluß hat. Derartige Beschränkungen sind grundsätzlich unzulässig; eine Ausnahme besteht nur zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut. Die darunter liegende Stufe bilden die sog. subjektiven Zulassungsvoraussetzungen. Dies sind solche Voraussetzungen, die in der Person des Bewerbers liegen, wie eine besondere Ausbildung oder bestimmte Eigenschaften. Subjektive Zulassungsvoraussetzungen sind zulässig, soweit der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter dies zwingend erfordert. Am freiesten ist der Gesetzgeber auf der niedrigsten Stufe, der Stufe reiner Ausübungsregelungen. Eine Regelung, die nur die Art und Weise der Berufsausübung betrifft, ohne auf die Freiheit der Berufswahl zurückzuwirken, ist zulässig, wenn sachgerechte Erwägungen des Gemeinwohls dies zweckmäßig erscheinen lassen. 227 Insoweit können den Berufsangehörigen Beschränkungen auferlegt werden, um Nachteile und Gefahren für die Allgemeinheit abzuwehren. 228 Es dürfen lediglich keine sachwidrigen Zwecke verfolgt werden. Der Eingriff muß zur Erreichung des gesetzgeberischen Zwecks geeignet, erforderlich und den Betroffenen zumutbar sein. 229 Je schwerwiegender die Beeinträchtigung der Berufsausübung ausfällt, desto gewichtiger müssen die dahinter stehenden Gemein225

BVerfGE 7, 377 (400 ff.) - Apothekenurteil.

Dazu BVerfGE 7, 377 (405 ff.) - Apothekenurteil; vgl auch I. v. Münch, Grundbegriffe Bd. 1, Rdnrn. 441 ff.; Pierath/Schlink, Grundrechte, Rdnrn. 939 ff.; R. Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 148 Rdnrn. 20 ff. Kritisch zur Stufenlehre: M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 46 zu Art. 12; H. H. Rupp, AöR 92 (1967), 212 ff. (232 ff.);P. Häberle, AöR 95 (1970), 86 ff. (98 ff.);J. Schwabe, JA 1981,318 ff.; ders., DÖV 1969,734 ff.; B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 48 ff., 68 ff. Siehe auch R. Schatz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnrn. 319 ff. 22? Vgl. BVerfGE 28, 21 (31 f.); 30, 1 (32). 226

228 Vgl. dazu auch BVerfGE 30, 292 (316 f.) - Mineralölbevorratung; 39, 210 (225) m.w.N. - Mühlenstrukturgesetz. 229 BVerfGE 30, 292 (315 f.) - Mineralölbevorratung; 37, 1 (18 f.) - Stabilisierungsfonds; 61, 291 (312); 71, 162 (173); 76, 196 (207).

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

schaftsinteressen sein. Greift eine Regelung in die Freiheit der Berufsausübung empfindlich ein, so kann der Eingriff nicht mit jeder vernünftigen Erwägung des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden, sondern nur mit solchen Interessen, die so schwer wiegen, daß sie den Vorrang vor der Berufsbehinderung des Betroffenen verdienen. 23o Als ein solches Interesse des Allgemeinwohls kommt unter anderem auch der Jugendschutz in Frage. Die Erreichung eines effektiven Schutzes der Jugend kann ein sachgerechter Grund sein, der gesetzliche Beschränkungen der Berufsausübung zu rechtfertigen vermag.231 Damit wird sichtbar, daß Jugendschutz als Grundrechtsschranke nicht auf den Rahmen des Art. 5 beschränkt ist, sondern auch gegenüber anderen Grundrechten Anwendung finden kann. III. Das Verhältnis der Berufsfreiheit zu Art. 5 GG

Der Berufsbegriff des Art. 12 Abs. 1 ist weitgehend offen und enthält keine Anforderungen an den speziellen Inhalt der berufsmäßig ausgeübten Tätigkeit. Daher kann er auch Berufe aufnehmen, deren Tätigkeit inhaltlich durch andere Grundrechte geschützt wird. Presse-, Rundfunk- und Filmberufe sind danach ebenfalls Berufe im Sinne von Art. 12 Abs. 1. Fraglich ist jedoch, ob hierfür Art. 12 und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 zusammen anwendbar sind oder ob die Presse-, Rundfunk- oder Filmfreiheit als lex specialis die Berufsfreiheit verdrängt. Im Schrifttum werden beide Möglichkeiten vertreten. Nach der einen Ansicht umfaßt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 auch die berufliche Seite der Medienfreiheiten und ist gegenüber Art. 12 Spezialvorschrift, so daß die Berufsfreiheit daneben keine Anwendung mehr findet. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 fungiert danach generell als Spezialgrundrecht für den gesamten Bereich der Massenmedien. 232 Die Gegenansicht will auf Presse-, Rundfunk- und Filmberufe die Art. 12 und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 nebeneinander anwenden. Die Berufsfreiheit und die entsprechende Medienfreiheit stehen hiernach in Idealkonkurrenz zueinander. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 fungiert insoweit als tatbestandliehe Komplettierung zur Berufsfreiheit des Art. 12. 233 Dieser Ansicht ist zu folgen, da sie den Grundrechtsträgern weiterreichenden 230 BVerfGE 16, 147 (167); 17,232 (242); 17,269 (276); 30, 336 (351) - Sonnenfreunde; 36,47 (59) - Nachnahmeversendung lebender Tiere; 41, 378 (395) - örtliche Begrenzung der Erlaubnis zur Rechtsberatung. 231 BVerfG, NJW 1986, 1241 (1242) - Werbung für indizierte Videofilme; BVerfGE 47, 109 (117) - PAM-Kinos; 30, 336 (351) - Sonnenfreunde; 11,234 (239); B. Schraut, Film und Recht 1984,416 ff. (419). 232 I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 1 (3. Aufl.), Rdnr. 78 zu Art. 5; F. Kübler, Verhand!. des 49. DJT, D 1 ff. (49); R. Ricker, ZRP 1976, 113 ff. (115); E. Forsthoff, Der Verfassungsschutz der Zeitungspresse, S. 43 f.; U. Scheuner, VVDStRL 22 (1965), 1 ff. (72 Anm. 211); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnm. 389 f.

C. Der Schutz durch die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG)

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Schutz gewährleistet, indem sie ihren Grundrechtsschutz auf mehrere Grundlagen stellt. Allerdings ist hier eine Einschränkung zu machen. Idealkonkurrenz herrscht nur im tatsächlichen Überschneidungsbereich bei der Grundrechte. Nicht jede Beschränkung beruflicher Tätigkeiten auf dem Gebiet der Massenmedien trifft jedoch diesen Überschneidungsbereich und löst den Schutz beider Grundrechte aus. 234 Eingriffe ohne berufsregelnde Tendenz liegen nicht mehr im Schutzbereich der Berufsfreiheit und sind von daher allein nach anderen Grundrechten zu beurteilen. Ebenso können Eingriffe außerhalb des Schutzbereiches von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 liegen. Die Medienfreiheiten dienen der Gewährleistung einer freien öffentlichen Meinungsbildung. Konkret auf die Filmfreiheit bezogen bedeutet dies, daß sie nur vor Eingriffen schützt, die Inhaltsbezug haben oder filmspezifisch sind, die also mit anderen Worten den Kommunikationsprozeß durch Film berühren. 235 Filmneutrale Regelungen unterfallen der Filmfreiheit nicht, sondern tangieren allein die Berufsfreiheit.236 Berührungspunkte ergeben sich ebenso zwischen Berufsfreiheit und Kunstfreiheit, da auch der Künstler seine Tätigkeit als Beruf ausüben kann. Das Verhältnis von Art. 12 zu Art. 5 Abs. 3 ist dabei gleichfalls umstritten. Eine Ansicht betrachtet die Kunstfreiheit als lex specialis, welches die Berufsfreiheit verdrängt. 237 Eine and~re Ansicht unterscheidet zwischen Werkbereich und Wirkbereich der Kunst: Geht es um den Akt der Kunstschöpfung, so soll als lex specialis allein die Kunstfreiheit Anwendung finden. Im Bereich der Verbreitung bzw. Verwertung der Kunstwerke sollen Kunstfreiheit und Berufsfreiheit in Idealkonkurrenz nebeneinander stehen. 238 Daneben existiert ein anderer Ansatzpunkt, der nach der Zielsetzung der Maßnahme fragt. Ist die Zielsetzung der Maßnahme nur oder ganz überwiegend auf 233 R. Herzog, in: Maunz!Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 142; R. Schotz, ebd., Art. 12 Rdnrn. 161 ff.; ders., in: Festschrift Maunz 1981, S. 337 ff. (356 ff.); ders., Pressefreiheit und Arbeitsverfassung, S. 83 f.; H. D. Jarass, in: Jarass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 19; M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 95 zu Art. 12; R. Wendt, ebd., Rdnr. 115 zu Art. 5; R. Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 147 Rdnr. 99; P. Schneider, in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 211 ff. (220 f.); M. Degen, Pressefreiheit, Berufsfreiheit, Eigentumsgarantie, S. 199 ff. (247 f.). 234 Dazu allgemein auch M. Lepa, DVBlI972, 161 (163 f.). 235

Siehe dazu schon oben Abschnitt A 116 (S. 143).

Ähnlich auch M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 95 zu Art. 12. 236

237 ehr. Starck, MIK/S, Art. 5 III Rdnr. 193; H. D. Jarass, in: Jarass/pieroth, Art. 5 Rdnr. 66; beschränkt auf die Berufsausübungsfreiheit W. Geiger, in: Festschrift für Leibholz 1966, Bd. 11, S. 187 ff. (195). 238 R. Scholz, in: Maunz!Dürig, Art. 5 III Rdnr. 50 und Art. 12 Rdnrn. 171 f.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

den Schutzbereich eines dieser Grundrechte gerichtet, so ist der Eingriff allein nach Maßgabe dieses Grundrechts zu beurteilen. Erstreckt sich der Eingriff auf beide Grundrechte mit gleicher Intensität, so ist er auch an beiden Grundrechten zu messen. 239 Bei Eingriffen in den Vertrieb soll Art. 5 eingreifen, soweit es um den Inhalt der vertriebenen Werke geht, Art. 12 hingegen soll anwendbar sein, soweit der Vertrieb als solcher in Frage steht. 240 Betrachtet man speziell das Verhältnis der Berufsfreiheit zur Filmkunst, so erscheint es weniger ratsam, die Konkurrenzen nach Werk- und Wirkbereich unterschiedlich zu beurteilen. Der mögliche Überschneidungsbereich der Grundrechte ist im Werk- und Wirkbereich der Kunst gleich. Demgemäß sollte die Entscheidung, welches Grundrecht in diesem Überschneidungsbereich Anwendung findet, ebenfalls einheitlich erfolgen. Die Tätigkeit des Filmregisseurs ist nicht weniger "Beruf' als diejenige des Filmverleihers oder des Videoanbieters. Art. 12 betrifft also alle Tätigkeiten im Filmbereich gleichermaßen. Allerdings ist der Filmregisseur der ausübende Künstler selbst, während Filmverleiher und Videoanbieter lediglich die Funktion haben, das Kunstwerk zu vermitteln. Der Schutz der Kunstfreiheit umfaßt aber sowohl den Künstler selbst als auch den Mittler zwischen Künstler und Publikum. Sachgerechter erscheint daher die Ansicht, die nach der Zielsetzung der Maßnahme fragt. Zu beachten ist jedoch wie auch schon oben im Verhältnis der Berufsfreiheit zur Filmfreiheit, daß zunächst die Reichweite der betreffenden Schutzbereiche genau zu bestimmen ist. Konkurrenzprobleme entstehen nur im tatsächlichen Überschneidungsbereich der Schutzbereiche. D. Der Schutz durch die Freiheit des Eigentums (Art. 14 GG) Ein Grundrechtsschutz durch die Freiheit des Eigentums gemäß Art. 14 GG kommt unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Verwertung bespielter Videokassetten in Betracht. I. Eigentum im Sinne des Grundgesetzes Art. 14 kommt im Gesamtgefüge der Verfassung die Aufgabe zu, dem Grundrechtsträger durch Zubilligung und Sicherung von Herrschafts-, Nutzungs- und Verfügungsrechten einen Freiheitsraum im verrnögensrechtlichen Bereich zu 239 M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 95 zu Art. 12; M. Lepa, DVBI1972, 161 (164). 240 M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 95 zu Art. 12; O. Bachof, in: Beuennann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte Bd. 111/1, S. 169 f.; siehe auch W. Rü!ner, Der Staat 7 (1968),41 ff. (59 f.).

D. Der Schutz durch die Freiheit des Eigentums (Art. 14 GG)

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gewährleisten und ihm damit die Entfaltung und eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen; insoweit steht die Vorschrift in einem inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit.241 Eigentum im Sinne von Art. 14 ist demzufolge jedes privatrechtliche vermögenswerte Recht.242 Damit geht der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff weit über das Sacheigentum des § 903 BGB hinaus. Er urnfaßt neben dem Eigentum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches auch den Besitz, privatrechtliche Forderungen, Anteilsrechte an Gesellschaften etc. 243 Geschützt ist aber stets nur das jeweilige konkrete vermögenswerte Recht, nicht das Vermögen als solches. 244 Kern der Gewährleistung des Art. 14 ist die grundsätzliche Zuordnung der betreffenden Eigentumsposition an den Rechtsträger und dessen Freiheit, in eigener Verantwortung über sein Eigentum verfügen zu können. Die Eigentumsgarantie bewahrt den konkreten, vor allem den durch Arbeit und Leistung erworbenen Bestand an vermögenswerten Gütern vor ungerechtfertigten Eingriffen durch die öffentliche Gewalt und sichert damit vor Maßnahmen, durch die eine geschützte Eigentumsposition entzogen wird. 245 Der Schutzbereich wird daneben auch von Eingriffen tangiert, die die Nutzung einer Eigentumsposition beschränken. 246 Einige Autoren247 weisen in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, daß die Mehrzahl menschlicher Handlungen BVerfGE 24, 367 (389); 31, 229 (239); 50, 290 (339) - Mitbestimmung. B.-O. Bryde, in: v. Münch!Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 11 zu Art. 14; H.-i. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 57; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rdnr. 31; Schmidt-BleibtreuIKlein, Art. 14 Rdnr. 3; P. Badura, in: Benda/MaihoferNogel (Hrsg.), Hdb. d. Verfassungsrechts, S. 654 ; K. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 444; E. Stein, Staatsrecht, § 27 II; MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 28 II 3) (S. 245 f.); K. Doehring, Staatsrecht, S. 345; I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. 1, Rdnr. 455; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 999. 243 K. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 444; MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 28 II 3); I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. 1, Rdnr. 455; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 999. 244 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 23 zu Art. 14; H.-i. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 150; H. Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14/15 Rdnr. 125. Andere Ansicht: O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rdnr. 61; W. Leisner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 149 Rdnm. 124 ff. 245 BVerfGE 31, 229 (239 ff.); 50, 290 (339) - Mitbestimmung; B.-O. Bryde, in: v. Münch!Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 31 zu Art. 14. 246 BVerfGE 31, 229 (241) - Urhebervergütungsfreiheit für Schulbücher; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 61 zu Art. 14; H. D. iarass, in: Jarass/pieroth, Art. 14 Rdnr. 13; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 1007; W. Leisner, in: Isensee/Kirchhof, Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 149 Rdnr. 52; F. Ossenbühl, AöR 115 (1990), S. 1 ff. (25). 247 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 13 zu Art. 14; H. Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14/15 Rdnr. 79; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnm. 1008 f. 241

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

mit oder durch Gegenstände vorgenommen wird, insoweit also immer eine Nutzung dieser Gegenstände darstellt. Eine solche Nutzung des persönlichen Eigentums soll daher nicht generell in den Schutzbereich des Art. 14 fallen. Vielmehr sind diese Handlungen als Ausübung von Freiheit schlechthin den Schutzbereichen derjenigen Grundrechte zuzuordnen, denen sie nach ihrer sozialen Funktion zugehören. Vielfach wird das allein die allgemeine Handlungsfreiheit sein. Nur wenn die soziale Funktion die jeweilige Handlung der Eigentums- und Vermögenssphäre zuordnet, wenn die Handlung sich als Betätigung innerhalb des von Art. 14 gewährleisteten vermögensrechtlichen Freiraums darstellt, ist der Schutzbereich der Eigentumsfreiheit betroffen. So ist etwa die Lektüre einer gekauften Zeitung nicht Ausübung der Eigentumsfreiheit des Art. 14 sondern Ausübung der Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. 248 Zu den von Art. 14 geschützten vermögenswerten Rechten gehört auch das Urheberrecht als "geistiges Eigentum".249 Das Bundesverfassungsgericht betrachtet dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte wie Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte an Tonträgern gleichfalls als Eigentum im Sinne von Art. 14 GG. 250 Der Funktion des Art. 14 entsprechend erstreckt sich der Grundrechtsschutz nicht nur auf den Bestand, sondern umfaßt auch die Verwertung dieser Rechte. Dies gilt jedoch mit einer Einschränkung: Die Anerkennung der Urheberrechts als Eigentum bedeutet nicht, daß damit jede nur denkbare Verwertungsmöglichkeit grundrechtlich gesichert sei. Die Eigentumsfreiheit gebietet nur, eine der Natur und der sozialen Bedeutung des Rechts entsprechende Nutzung und angemessene Verwertung sicherzustellen. 251 Unter den Schutzbereich der Eigentumsgarantie hat die herrschende Meinung auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gefaßt. 252 248 PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 1009. 249 Welches insoweit aber nur vennögensrechtlich geschützt wird, vgl. BVerfGE 31, 229 (238 f.) - Urhebervergütungsfreiheit für Schulbücher; 31, 270 (272); 49, 382 (392); B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 17 zu Art. 14; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 187; H. Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14/15 Rdnm. 110 ff.; P. Badura, in: Festschrift für Maunz 1981, S. 1 ff. (9 ff.). 250 BVerfGE 81, 12 (16); für das Leistungsschutzrecht des ausübenden Künstlers: BVerfGE 81, 208 (219 f.). 251 BVerfGE 31, 229 (241) - Urhebervergütungsfreiheit für Schulbücher; BVerfG, NJW 1988, 1371 f. (1372); BVerfGE 81,12 (17); 81, 208 (220). 252 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 18 zu Art. 14; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnm. 96 ff.; o. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rdnm. 77 ff.; Schmidt-BleibtreuIKlein, Art. 14 Rdnr. 3; W. Leisner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 149 Rdnm. 108 f.; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 17 4b); P. Badura, AöR 98 (1973), 153 ff.; BGHZ 23, 157 (162 f.); BVerwG, NJW 1982,63 f. Kritisch jedoch neuerdings BVerfGE 58,300 (353); 51, 193 (221 f.); zur früheren Rechtsprechung siehe BVerfGE 13, 225 (229); 1, 246 (277 f.). Ablehnend auch H. Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14/15 Rdnr. 100.

D. Der Schutz durch die Freiheit des Eigentums (Art. 14 GG)

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Um eine Ausuferung dieses generalklauselartigen Rechts zu vermeiden, wird sein Schutz jedoch beschränkt auf den Gewerbebetrieb in seiner Substanz und in bestimmten Ausstrahlungen. Unter Substanz und Ausstrahlungen des Betriebs versteht die Rechtsprechung die den Betrieb bildende Sach- und Rechtsgesamtheit, die gesamte Erscheinungsform und den Tätigkeitskreis, die geschäftlichen Verbindungen und Beziehungen, den Kundenstamm, "kurz alles das, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des konkreten Gewerbebetriebes ausmacht. ,,253 Diese weit klingende Formulierung 254 ist jedoch durch die Einschränkung zu relativieren, daß bloße Chancen, Interessen und Verdienstmöglichkeiten durch die Eigentumsgarantie nicht erfaßt werden. 255 Geschützt sind nur die Vorteile, auf deren Fortbestand der Betriebsinhaber vertrauen kann. 256 Zudem ist das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu unterscheiden von der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit, die nicht von Art. 14 geschützt wird, sondern in den Bereich von Art. 12 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 1 fallt. 257 Nutzungs- und Verwertungsrechte an Filmen sind nach alldem vermögenswerte Rechte im Sinne des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs und unterfallen dem Schutzbereich des Art. 14 GG. 258 Dieser garantiert damit eine angemessene Verwertung auch auf Videokassetten und sonstigen Bildträgern. Ein Eigentumsschutz kommt ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des Rechtes am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht. Hersteller und Vertreiber bespielter Videokassetten haben mit ihrem Gewerbebetrieb in seiner Substanz und in seinen Ausstrahlungen Anteil an der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie. Der Filmbestand des Betriebes unterfiillt auch in dieser Hinsicht dem Schutzbereich des Art. 14 GG.

BGHZ 23, 157 (163); 45, 83 (87); 55, 261 (263). Kritisch insoweitB.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 18 zu Art. 14. 255 BGHZ 48, 58 (61); 45, 150 (155); H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 100; H. D. Jarass, in: larass/pieroth, Art. 14 Rdnr. 14; W. Leisner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 149 Rdnr. 110; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 17 4b). Kritisch B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 21 zu Art. 14. 256 BGHZ 23, 157 (164 f.); B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 20 zu Art. 14; P. Badura, AöR 98 (1973), 153 ff. (167 ff.). 257 Hierzu F. Ossenbühl, AöR 115 (1990), 1 ff. (3 f., 5). 258 Vgl. BGH, NJW 1964, 769 f. - Märchenfilme. 253

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten 11. Die Schranken der Eigentumsfreiheit

Art. 14 enthält eine zweifache Schrankensystematik, jeweils mit eigenen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit des Eingriffs. Letzterer kann entweder als Eigentumsbeschränkung am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 2 zu messen sein oder als Enteignung am Maßstab des Art. 14 Abs. 3 GG. 259 Welche der beiden Schranken des Art. 14 zur Anwendung kommt, hängt davon ab, ob es sich bei dem Eingriff um eine Enteignung handelt oder um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2. Der Enteignungsbegriff erfaßte ursprünglich nur solche Eingriffe, bei denen Eigentum an Grund und Boden durch Verwaltungsakt auf ein im öffentlichen Interesse liegendes Unternehmen übertragen wurde. 26O Heute ist der Begriff der Enteignung weiter zu fassen. Gegenstand von Enteignungen ist nicht mehr ausschließlich Grundeigentum, sondern jedes vermögens werte Recht im Sinne von Art. 14 kommt in Betracht.261 Nicht allein die Übertragung des Eigentums auf andere und damit der Totalentzug für den Betroffenen, sondern auch schwerwiegende Beeinträchtigungen können Enteignungen darstellen. Schließlich kann eine Enteignung anstatt durch Verwaltungs akt auch durch Gesetz und im übrigen auch zugunsten von privaten Trägern erfolgen. 262 Zur Abgrenzung zwischen der Enteignung und der Inhalts- und Schrankenbestimmung im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 wurden verschiedene Theorien entwickelt. 263 Nach der modifizierten Einzelaktstheorie des BGH264 ist Enteignung jeder Eingriff, der den Beteiligten im Vergleich zu den anderen 259 Seit BVerfGE 52, 1 (27 f.) - Kleingarten ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; vgl. etwa BVerfGE 58, 300 (330 f.) - Naßauskiesung; siehe dazu auch H. D. Jarass, in: Jarass/pieroth, Art. 14 Rdnrn. 26 f.; R. Hendler, DVBl 1983, 873 ff. (874 ff.); H. Rittstieg, NJW 1982,721 ff. (722 f.); F. Baur, NJW 1982, 1734 ff.; G. Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 15 ff., 25 ff. Eine dogmatisch andere Auffassung vertrat die ältere Rechtsprechung vor allem des BGH. Siehe dazu m.w.N. B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnrn. 5, 52 zu Art. 14; o. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rdnrn. 183,224 ff. 260 BGHZ 6,270 (276); I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. 1, Rdnr. 466; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 171); vgl. auchH.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 292. 261 Der BGH stellte in BGHZ 6, 270 (278) dazu fest: "Wenn die staatliche Enteignung nach dem ganzen Vermögen der Bürger greift, muß die Eigentumsgarantie und der Eigentumsschutz auch das ganze Vermögen der Bürger decken." 262 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 53 zu Art. 14; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 293; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 18 1); I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. 1, Rdnr. 467; K. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 450. Siehe auch BVerfGE 74, 264 (284 ff.) - Daimler-Teststrecke Boxberg; 66, 248 (257). 263 Siehe dazu näher H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnrn. 295 ff.; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rdnrn. 190 ff.; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 53 zu Art. 14; W. Leisner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb.

D. Der Schutz durch die Freiheit des Eigentums (Art. 14 GG)

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ungleich trifft und ihn zu einem besonderen Opfer für die Allgemeinheit zwingt, das den übrigen nicht zugemutet wird. Eine Inhalts- und Schranken bestimmung liegt hingegen vor, wenn die für jedermann geltenden Grenzen aus der Allgemeinbezogenheit des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 2 konkretisiert werden. Nach der Schwere- bzw. Zumutbarkeitstheorie des Bundesverwaltungsgerichts liegt eine Enteignung vor, wenn der Eingriff schwer und von besonderer Tragweite für den Betroffenen und damit für ihn unzumutbar ist. 265 Das Bundesverfassungsgericht trifft in seiner neueren Rechtsprechung demgegenüber eine formelle Abgrenzung. Eine Inhalts- und Schranken bestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 ist danach die generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber hinsichtlich solcher Rechtsgüter, die als Eigentum zu verstehen sind. 266 Enteignung ist demgegenüber die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter Eigentumspositionen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben - entweder als Legalenteignung, die einem bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis konkrete Eigentumsrechte entzieht, oder als Administrativenteignung, bei der die Exekutive die gesetzliche Ermächtigung erhalten hat, konkretes Eigentum einzelner zu entziehen. 267 Die Rechtmäßigkeit einer Enteignung beurteilt sich nach Art. 14 Abs. 3. Die Enteignung bedarf einer gesetzlichen Grundlage, in der zudem die Entschädigung für das enteignete Gut geregelt ist. 268 Die Eigentumsgewährleistung wandelt sich dadurch von einer Bestandsgarantie in eine Wertgarantie. Enteignungen d. Staatsrechts, Bd. VI, § 149 Rdnrn. 149 ff.; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 182); I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. 1, Rdnr. 470. 264 BGHZ 6, 270 (279 f.); siehe auch H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnrn. 298 ff.; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rdnrn. 193 ff.; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 182 b aa). 265 Ständige Rechtsprechung des BVerwG seit BVerwGE 5, 143 (145). Vgl. auch H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 303; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rdnr. 197. 266 BVerfGE 52, 1 (27 f.) - Kleingarten; 58, 137 (144 f.) - Pflichtexemplar; 58, 300 (330) - Naßauskiesung; 72, 66 (76) - Flughafen Salzburg; MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 28 II 4). 267 BVerfGE 52, 1 (27) - Kleingarten; 58, 137 (144 f.) - Pflichtexemplar; 58, 300 (330 f.) - Naßauskiesung; 70, 191 (199 f.); 71, 137 (143); 72, 66 (76) - Flughafen Salzburg; 74, 264 (280) - Daimler-Teststrecke Boxberg; vgl. dazu auch R. Hendler, DVBl 1983, 873 ff. (874 ff.); J. Ipsen, DVBI 1983, 1029 ff. (1030); H. Rittstieg, NJW 1982,721 ff. (723 f.); G. Schwerdtjeger, JUS 1983, 104 ff. (108 f.); H. D. Jarass, in: Jarass/pieroth, Art. 14 Rdnrn. 52 f.; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 1016; MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 28 II 5). Kritisch H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnrn. 313 ff. 268 Dazu B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnrn. 76, 87 ff. zu Art. 14; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnrn. 470 ff.; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnrn. 1032 ff.

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

sind des weiteren nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig?69 Schließlich ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. 27o Die Enteignung muß geeignet und erforderlich sein und darf nicht außer Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck stehen. Auch Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. 271 Die Formulierung des Art. 14 Abs. 1 Satz 2, daß nicht nur die Schranken, sondern auch der Inhalt des Eigentums durch die Gesetze bestimmt werden, ist mißverständlich. Damit ist nicht gemeint, daß der Eigentumsschutz völlig zur Disposition des einfachen Gesetzgebers gestellt würde. Vielmehr trägt diese Formulierung der Tatsache Rechnung, daß der Schutzbereich "Eigentum" mehr als andere Grundrechte normgeprägt ist. Denn Eigentum ist ein Rechtsbegriff und knüpft nicht wie andere Grundrechte an tatsächliche Lebenssachverhalte an. 272, Das Begriffspaar "Inhalt und Schranken" ist als zusammengehörig zu betrachten. Die Schranken definieren den Inhalt und die Inhaltsbestimmung enthält notwendig Schranken. 273 Der Eigentumsschutz des Grundgesetzes besteht aber gerade auch gegenüber dem Gesetzgeber. Die Gewährleistung des Eigentums durch die Verfassung setzt daher einer beliebigen Schrankenbestimmung durch den Gesetzgeber Grenzen. 274 Beschränkungen können jedoch unter dem Gesichtspunkt der Sozialbindung des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 2 erfolgen. Auch hier ist allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. 275 Der Gesetzgeber hat eine Abwägung und einen gerechten Ausgleich zwischen 269 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 81 zu Art. 14; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnm. 495 ff.; I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. I, Rdnr. 465; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnm. 1036 ff.; MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 28 11 5). 270 BVerfGE 74,264 (286) - Daimler-Teststrecke Boxberg; 24, 367 (404 f.) - Deichordnungsgesetz; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnm. 507 f.; H. Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14/15 Rdnm. 208 ff.; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 193). 271 PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 1021.

272 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 50 zu Art. 14; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rdnr. 133. 273 Vgl. dazuB.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 51 zu Art. 14; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 251; H. Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14/15 Rdnm. 160 ff. 274 BVerfGE 14, 263 (277 f.); H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 252; O. Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14 Rdnr. 135; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnrn. 50, 59 zu Art. 14. 275 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 63 zu Art. 14; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnm. 258 ff.; I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. 1, Rdnr. 458; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnm. 1022 ff.; K. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 448. Kritisch H. Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14/15 Rdnr. 167.

D. Der Schutz durch die Freiheit des Eigentums (Art. 14 GG)

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den Interessen des Eigentümers und den Belangen des Allgemeinwohls zu treffen?76 Je höher der soziale Bezug der betreffenden Eigentumsposition ist bzw. je mehr durch sie die Belange anderer berührt werden, desto geringer ist der grundrechtliche Schutz.277 Je stärker hingegen das Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des einzelnen wiegt und je mehr die Nutzung der konkreten Eigentumsposition in der Sphäre des Eigentümers bleibt, desto ausgeprägter ist sein Schutz.278 III. Das Verhältnis der Eigentumsfreiheit zu Art. 5 und Art. 12 GG

Zur Lösung von Grundrechtskonkurrenzen zwischen der Eigentumsfreiheit und der Filmfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG sind drei Möglichkeiten denkbar. Einerseits ist auf die schon oben im Rahmen des Art. 12 angeführte279 Auffassung zu verweisen, die Art. 5 Abs. 1 Satz 2 als Spezialvorschrift für den gesamten Bereich der Massenmedien ansieht. Danach soll Art. 5 Abs. 1 Satz 2 auch das Eigentum an den Produktionsmitteln der Medien sowie dessen Nutzung erfassen und auch vor Eingriffen in das Eigentum der Medienunternehmen schützen, soweit dort im Hinblick auf ihre Medientätigkeit eingegriffen wird. 280 Nach der Gegenansicht unterfällt die ökonomische Entfaltung des Medieneigentums nicht mehr Art. 5, sondern Art. 14. 281 Der dritte Lösungsweg besteht in der Annahme von Idealkonkurrenz zwischen beiden Grundrechten. 282 276 BVerfGE 25, 112 (117 f.); 31,229 (242); 37, 132 (140); 52, 1 (29) - Kleingarten; 58, 137 (147) - Pflichtexemplar; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 59 zu Art. 14; H.-I. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnm. 254 ff.; H. Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14/15 Rdnr. 169; I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. 1, Rdnr. 458; P. Badura, in: Benda/MaihoferNogel (Hrsg.), Hdb. d. Verfassungsrechts, S. 672 f.; G. Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 20. 277 BVerfGE 79, 292 (302) - Eigenbedarf; 52, 1 (32) - Kleingarten; MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 28 II 4). Kritisch dazu jedoch W. Leisner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 149 Rdnm. 161 ff. 278 BVerfGE 50,290 (340 f.) - Mitbestimmung; 68, 361 (368) - Eigenbedarfskündigung; 37, 132 (140 f.) - Wohnraumkündigungsschutzgesetz; I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. 1, Rdnr. 459; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnm. 1027 f.; K. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 448. 279 Siehe oben S. 196.

280 Diese Ansicht wird meist im Hinblick auf die Presse vorgetragen. Vg!.l. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 1 (3. Aufl.), Rdnr. 78 zu Art. 5; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1 (4. Aufl.), Rdnr. 109 zu Art. 14; F. Kühler, Verhand!. des 49. DJT, 049 f. 281 W. Hoffmann-Riem, in: Benda/MaihoferNogel (Hrsg.), Hdb. d. Verfassungsrechts, S.397. 282 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, II Rdnr. 142 Fn. 2; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 115 zu Art. 5; R. Scholz, Pressefreiheit und Arbeitsverfassung,

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2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Wie schon oben im Verhältnis von Art. 5 zu Art. 12 ausgeführt, ist dieser letzte Weg vorzuziehen, allerdings nur im tatsächlichen Überschneidungsbereich der Grundrechte. Dabei ist die Reichweite des jeweiligen Schutzbereichs genau zu beachten. Eingriffe in die reine wirtschaftliche Verwertung von Filmen, die nicht den Kommunikationsprozeß als solchen tangieren, fallen nicht mehr unter Art. 5, sondern allein unter Art. 14. 283 Gleiches gilt auch für das Verhältnis der Eigentumsfreiheit zur Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG. 284 Die Kunstfreiheit schützt nur die unentbehrliche Vermittlung des Kunstwerks an das Publikum; nicht mehr jedoch die rein wirtschaftliche Verwertung. 285 Für das Verhältnis der Eigentumsfreiheit zur Berufsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht die Formel aufgestellt: Art. 14 schützt das Erworbene, das Ergebnis der Betätigung, Art. 12 dagegen schützt den Erwerb, die berufliche Betätigung selbst. 286 Obwohl diese Formel griffig klingt und auch im Schrifttum Aufnahme gefunden hat/ 87 beschreibt sie das Verhältnis von Art. 12 zu Art. 14 doch nur verkürzt. Die Schutzfunktion der Eigentumsfreiheit wird dadurch zu sehr auf einen reinen Bestandsschutz reduziert. Art. 14 gewährleistet jedoch wie gesehen nicht nur den Bestand des Eigentums, sondern auch die Nutzung. Damit schützt die Eigentumsfreiheit auch die Nutzung des Erworbenen zu weiterem Erwerb. Insoweit können sich die Schutzbereiche von Art. 12 und Art. 14 also überschneiden. 288 Zutreffender ist daher folgende Unterscheidung: Die Berufsfreiheit schützt personenbezogen die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit, die Eigentumsfreiheit schützt objektbezogen die Innehabung und Verwendu~g vorhandener Vermögensgüter. 289

S. 83 f.; ders., in: Festschrift Maunz 1981, S. 337 ff. (356); P. Schneider, in: Festschrift für Annbruster 1976, S. 211 ff. (220 f.); M. Degen, Pressefreiheit, Berufsfreiheit, Eigentumsgarantie, S. 199 ff. (247 f.). 283 Siehe oben Abschnitt A 11 6 (S. 143). 284 Ähnlich J. F. Henschel, NJW 1990, 1937 ff. (1943). 285 Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 194; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 18; BVerfGE 31, 229 (238 f.); 49, 382 (392); andere Ansicht G. Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 84. Eingriffe in den künstlerischen Schaffensprozeß unterfallen jedoch allein Art. 5 III GG, vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 50; Chr. Starck, M/K/S, Art. 5 III Rdnr. 194. 286 BVerfGE 30, 292 (335) - Mineralölbevorratung; 38, 61 (102); 65, 237 (248); BVerfG, NJW 1992,36 (37). 287 Vgl. B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 21 zu Art. 14; H. Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14/15 Rdnrn. 100, 124; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rdnr.139. 288 Vgl. auch H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 208; R. Scholz, ebd., Art. 12 Rdnrn. 122 f.; F. Ossenbühl, AöR 115 (1990), 1 ff. (25).

E. Der Schutz durch die Informationsfreiheit (Art. 5 11,2. Hs.)

207

E. Der Schutz durch die Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz) auf seiten der Rezipienten Die Kommunikation mit bespielten Videokassetten wird auch aus einer anderen Richtung her grundrechtlich geschützt, nämlich auf seiten der Rezipienten durch deren Informationsfreiheit. 290 Die Informationsfreiheit gewährt das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Informationsquelle kann dabei jeder denkbare Träger von Informationen sein. 291 "Allgemein zugänglich" ist eine Quelle dann, wenn sie technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, d.h. einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen. 292 Typische allgemein zugängliche Quellen in diesem Sinne sind die Massenmedien Presse, Rundfunk und Film. 293 Zur Verbreitung an die Allgemeinheit bestimmte Videokassetten unterfallen daher dem Begriff der allgemein zugänglichen Quellen. Die Allgemeinzugänglichkeit stellt nur auf die tatsächliche Eignung und Bestimmung zur Information der Allgemeinheit ab. Vertriebs verbote oder sonstige staatliche Maßnahmen nehmen einer Informationsquelle nicht die an sich gegebene allgemeine Zugänglichkeit. Der Staat kann daher nicht durch rechtliche Regelungen, die die Möglichkeit des allgemeinen Zugangs beeinträchtigen, bestimmte Quellen vom Schutzbereich der Informationsfreiheit ausschließen. 294 Die Informationsfreiheit gewährleistet das Recht, sich ungehindert zu unterrichten. "Ungehindert" bedeutet frei von staatlicher Abschneidung, Behinderung, 289 Ähnlich im übrigen BVerfGE 30, 292 (335); siehe dazu auch D. Dörr, NJW 1988, 1049 ff. (1050). 290 Vgl. auch oben S. 181. 291 R. Herzog, in: Maunz!Dürig, Art. 5 I, II Rdnr. 87; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 22 zu Art. 5; E. W. Fuhr, in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 117 ff. (126). 292 BVerfGE 27, 71 (83) - Leipziger Volkszeitung; 27, 104 (108); 33, 52 (65) - Der lachende Mann; BVerwGE 47,247 (252). 293 R. Herzog, in: Maunz!Dürig, Art. 5 I, II Rdnr. 91; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Rdnr. 23 zu Art. 5; I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. I, Rdnr. 340; E. Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 141 Rdnr. 30; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 641; W. Geiger, in: Festschrift für A. Amdt 1969, S. 119 ff. (125). In Bezug auf den Film auch BVerfGE 33, 52 (65) - Der lachende Mann. 294 BVerfGE 27, 71 (83 f.) - Leipziger Volkszeitung; R. Herzog, in: Maunz!Dürig, Art. 5 I, II Rdnm. 89 f.; ehr. Starck, M/K/S Art. 5 I, II Rdnr. 29; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 23 zu Art. 5; I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. 1, Rdnr. 340; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 640; P. Teuinger, JZ 1990, 846 ff. (849); W. Geiger, in: Festschrift für A. Amdt 1969, S. 119 ff. (126).

208

2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

Lenkung oder Verzögerung. 295 Damit werden Eingriffe verboten, die nach ihrer Eigenart und nach der Eigenart der Informationsquelle sowie der Informationsmethode imstande sind, den gewünschten Informationsvorgang unmöglich zu machen oder doch wesentlich zu erschweren. 296 Das Sichunterrichten erfaßt sowohl die passive Entgegennahme wie auch die aktive Beschaffung der Information. 297 Die Informationsfreiheit gewährleistet auch das Recht der freien Auswahl zwischen mehreren zur Verfügung stehenden Informationsquellen. 298 Der Schutz durch die Informationsfreiheit ist genauso wie bei der Meinungsfreiheit inhaltlich nicht begrenzt. Grundrechtlich geschützt ist nicht nur die Aufnahme wertvoller bzw. politisch, gesellschaftlich oder kulturell nützlicher Informationen, sondern die Aufnahme von Informationen jeglicher Art. Das Grundrecht schützt ganz allgemein den Wissensdurst des Menschen, der zum Kern der menschlichen Persönlichkeit gehört. 299 Diese Ausweitung des Schutzbereichs verkennt nicht, daß historischer Anlaß der Informationsfreiheit die zur nationalsozialistischen Regierungspraxis gehörenden Informationsbeschränkungen, die staatliche Meinungslenkung, die staatlichen Abhörverbote für ausländische Rundfunksender und die Literatur- und Kunstverbote waren. 3OO Das Bundesverfassungsgericht beschreibt Sinn und Zweck der Informationsfreiheit mit folgenden Worten: "Das Grundrecht der Informationsfreiheit ist wie das Grundrecht der freien Meinungsäußerung eine der wichtigsten Voraussetzungen der freiheitlichen Demokratie. Erst mit seiner Hilfe wird der Bürger in den Stand versetzt, sich selbst die notwendigen Voraussetzungen zur Ausübung seiner persönlichen und politischen Aufgaben zu verschaffen, um im demokratischen Sinne verantwortlich handeln zu können. Mit zunehmender Informiertheit erkennt der Bürger Wechselwirkungen in der Politik 295 R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 27 zu Art. 5; I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. I, Rdnr. 341; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, II Rdnm. 98 f.; H. D. Jarass, in: larasslPieroth, Art. 5 Rdnr. 16; zum letztgenannten Merkmal BVerfGE 27,88 (98) - Der Demokrat. 296 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, II Rdnr. 98; E. Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hdb. d. Staatsrechts, Bd. VI, § 141 Rdnr. 34; ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, II Rdnr. 274. 297 BVerfGE 27, 71 (82 f.) - Leipziger Volkszeitung; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 95; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Rdnr. 26 zu Art. 5; I. v. Münch, Grundbegriffe, Bd. 1, Rdnr. 341; MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 2411 2 d). 298 BVerfGE 15, 288 (295) sowie PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnm. 644 f. am Beispiel des Strafgefangenen, dem der Rundfunkempfang mit der Begründung verweigert wird, es stehe ihm frei, Zeitungen zu halten. 299 R. Herzog, in: Maunz!Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnm. 85 f.; H. D. Jarass, in: larasslPieroth, Art. 5 Rdnr. 12. 300 BVerfGE 27, 71 (80) - Leipziger Volkszeitung.

F. Ergebnis des zweiten Teils

209

und ihre Bedeutung für seine Existenz und kann daraus Folgerungen ziehen; seine Freiheit zur Mitverantwortung und zur Kritik wächst.,,301 Aus diesen Erwägungen ist jedoch keine Verkürzung des Schutzbereichs abzuleiten, sondern sie spielen bei der Rechtsgüterabwägung im Lichte des Art. 5 im Rahmen der Grundrechtsschranken ihre Rolle. Der Schutz der Informationsfreiheit beschränkt sich im übrigen nicht auf die einmalige Aufnahme einer Information, sondern gewährleistet auch das wiederholte Aufnehmen derselben Information. So gehört zur Ausübung der Informationsfreiheit auch das mehrfache Ansehen eines Films, den man bereits einmal gesehen hat. Selbst wenn der Betrachter dadurch keine neuen Informationen hinzuerhält, wird ihm von diesem Grundrecht nicht verwehrt, sich mehrfach über denselben Gegenstand zu unterrichten. Aus diesem Grunde ist die Informationsfreiheit auch angesprochen, wenn es um die Begegnung mit einem Kunstwerk geht, und zwar sowohl bei der ersten Begegnung, als auch bei wiederholtem Kunstgenuß mit demselben Kunstwerk. Die Schranken der Informationsfreiheit ergeben sich aus Art. 5 Abs. 2 GG. Einschränkungen können durch allgemeine Gesetze, Bestimmungen zum Schutze der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre erfolgen. Dies sind die gleichen Schranken wie für die anderen Grundrechte des Art. 5 Abs. 1. Für Einzelheiten kann daher insoweit nach oben 302 verwiesen werden.

F. Ergebnis des zweiten Teils Der obige Abschnitt hat den Rahmen abgesteckt, den das Grundgesetz für gesetzliche Einschränkungen im Video-Bereich vorgibt. Als einschlägige Freiheitsgewährleistung entfaltet zunächst die Filmfreiheit ihre Wirkung, die nicht auf den herkömmlichen Kinofilm begrenzt ist, sondern auch das Medium Video erfaßt. Die Filrnfreiheit ist neben den anderen Grundrechten des Art. 5 nicht zur Bedeutungslosigkeit reduziert, sondern hat in bezug auf den Kino- und den Videofilm eine notwendige freiheitssichernde Aufgabe zu erfüllen. Dies gilt auch in Ansehung der Kunstfreiheit. Nicht jeder Spielfilm ist ohne weiteres ein Erzeugnis der Kunst. Wenn er aber ein höchstpersönliches individuelles Gepräge aufweist, die filmische Formensprache als eigenständiges und bedeutsames Element in die Gestaltung einbezieht oder einen über das Vordergründige hinausreichenden Bedeutungsreichtum entfaltet, dann unterf,illt er dem stärkeren Schutz durch die Freiheit der Kunst. Da der Videofilm nicht nur Kommunikationsmittel oder Kunsterzeugnis, son301 BVerfGE 27, 71 (81 f.) - Leipziger Volkszeitung. 302 Siehe Abschnitt A III (S. 145 ff.). 14 Meirowitz

210

2. Teil: Grundrechtliche Freiheiten

dem auch Wirtschaftsgut ist, kommen außerdem die Berufs- und die Eigentumsfreiheit als Schutznormen in Betracht. Der Blick auf die Schranken dieser Grundrechte hat gezeigt, daß Eingriffe in den grundrechtlich geschützten Bereich zur Wahrung wichtiger Gemeinschaftsinteressen möglich sind. Dies gilt insbesondere für den Jugendschutz, der nicht nur Beschränkungen der Filmfreiheit rechtfertigt. Da er mit Verfassungsrang ausgestattet ist, kann er nach entsprechender Abwägung auch der Kunstfreiheit Grenzen setzen. Nachdem dergestalt die verfassungsrechtlichen Vorgaben erarbeitet wurden, soll im folgenden Teil die konkrete Anwendung des Gefundenen erfolgen. Dazu werden die für Gewaltdarstellungen auf Videokassetten einschlägigen gesetzlichen Regelungen der §§ 6, 7 JÖSchG, der §§ 1 ff. GjS und des § 131 StGB einer Prüfung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz unterzogen.

Dritter Teil

Die gesetzlichen Einschränkungen zum Jugendund Erwachsenenschutz im Lichte des Grundgesetzes A. Filmjugendschutz nach § 7 in Vbg. m. § 6 JÖSchG I. Die gesetzliche Regelung

1. Das Erfordernis der Freigabe und Kennzeichnung von Bildträgern durch die obersten Landesbehörden gemäß § 7 in Vbg. m. § 6 JÖSchG

Für öffentliche Filmvorführungen im Filmtheater galt gemäß § 6 des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) von jeher, daß die Anwesenheit von Kindern und Jugendlichen nur gestattet ist, wenn die Filme für sie freigegeben sind. Dieses Erfordernis der Jugendfreigabe wurde durch das Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit vom 25. Feb. 1985 1 auch auf Videokassetten und vergleichbare Bildträger ausgedehnt. Vor Einführung dieser Regelung bedurfte es auf dem Videomarkt keiner Jugendfreigabe. Dies führte in Einzelfällen dazu, daß ein Film, der im Filmtheater nur in geschnittener Fassung vorgeführt worden war, auf dem Videomarkt die beanstandeten Szenen wieder enthielt. 2 Ein solcher Film konnte zwar von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert werden. 3 Dies war jedoch nur nach seinem Erscheinen möglich, so daß er bis zur Indizierung frei zugänglich war. Nunmehr dürfen gemäß § 7 Abs. 1 JÖSchG bespielte Videokassetten, Bildplatten und vergleichbare Bildträger Kindern und Jugendlichen in der Öffentlichkeit nur zugänglich gemacht werden, wenn die darauf befindlichen Programme von den obersten Landesbehörden für ihre Altersstufe freigegeben und gekennzeichnet worden sind. Der Sache nach handelt es sich hierbei um ein Verbot mit Erlaubnisvorbehal{ Das Zugänglichmachen von Bildträgern an Kinder und 1

BGBI. I, S. 425 ff.

2

J. Braun, Jugendschutz 1985,228 f.

3

Dazu näher unten Abschnitt B I (S. 260 ff.).

14"

212

3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

Jugendliche ist generell untersagt, steht aber unter einem individuellen Erlaubnisvorbehalt in Gestalt der Freigabe und Kennzeichnung von Filmen. Ausgenommen von dieser Regelung sind lediglich Bildträger, die zu nichtgewerblichen Zwecken hergestellt wurden, solange sie nicht gewerblich genutzt werden (§§ 7 Abs. 2, 6 Abs. 6 JÖSchG).5 Unter Zugänglichmachen ist die Ermöglichung der Kenntnisnahme vom Inhalt des Bildträgers zu verstehen. Erfaßt werden die unmittelbare Vorführung des Programms oder die Schaffung einer Situation, die es dem anderen ermöglicht, selbständig durch Abspielen Kenntnis vom Inhalt des Bildträgers zu nehmen. Dazu zählen Vermietung, Verkauf oder sonstige Gebrauchsüberlassungen.6 Die zur Freigabe und Kennzeichnung zuständigen obersten Landesbehörden sind nach der Geschäftsverteilung in den Ländern die obersten Landesjugendbehörden, d.h. die für Jugendfragen zuständigen Landesminister. Die Freigabe und Kennzeichnung von Videokassetten geschieht gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 JÖSchG in gleicher Weise wie die Freigabe und Kennzeichnung von Filmen, die zur öffentlichen Vorführung im Filmtheater vorgesehen sind. Die Freigabe erfolgt aufgrund einer inhaltlichen Prüfung der Filme und ist nach Altersgruppen abgestuft. Maßstab der Prüfung ist die Jugendbeeinträchtigung. Filme, die geeignet sind, das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen, dürfen nicht zur Vorführung vor ihnen freigegeben werden (§ 6 Abs. 2 JÖSchG). Das Ergebnis der Prüfung lautet "Freigegeben ohne Altersbeschränkung", "Freigegeben ab sechs Jahren", "Freigegeben ab zwölf Jahren", "Freigegeben ab sechzehn Jahren" oder "Nicht freigegeben unter achtzehn Jahren" (§ 6 Abs. 3 Satz I JÖSchG). Die Kennzeichnung der Bildträger aufgrund der Jugendprüfung erfolgt gemäß

§ 7 Abs. 2 JÖSchG durch ein fälschungssicheres Zeichen, das auf die Alters-

einstufung hinweist. Der Inhaber der Nutzungsrechte hat es auf dem Bildträger und auf der Hülle in deutlich sichtbarer Form anzubringen, bevor der Bildträger an den Handel geliefert oder in sonstiger Weise gewerblich verwertet wird. 7

4 P. Weides, NJW 1987, 224 ff. (226); ders., in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. (303); H. v. Hartlieb, NJW 1985, 830 ff. (833); ders., Handbuch, 10. Kap. Rdnr. 14; ehr. Hölzet, GewArch 1985,209 ff. (210). 5 Dazu näher H. v. Hartlieb, NJW 1985, 830 ff. (831); ders., Handbuch, 10. Kap. Rdnr. 13; R. Greger, NStZ 1986,8 ff. (13); J. Braun, Jugendschutz 1985,228 ff. (230); B. Schraut, UFITA 102 (1986),89 ff. (101). 6 Vgl. dazu GernertlStof!ers, Anm. zu § 7 Abs. 1 JÖSchG (S. 113); Rainer Scholz, Jugendschutz, § 7 JÖSchG, Anm. 2; H. v. Hartlieb, NJW 1985, 830 ff. (831); R. Stelen, BPS-Report 2/1985, 24 f. 7 Siehe dazu näher R. Greger, NStZ 1986, 8 ff. (13); GernertlStof!ers, Anm. zu § 7 Abs. 2 JÖSchG (S. 114 f.).

A. Filmjugendschutz nach § 7 in Vbg. m. § 6 JÖSchG

213

2. Folgeregelungen

Bildträger, die für Kinder und Jugendliche freigegeben und gekennzeichnet wurden, dürfen gemäß § 7 Abs. 1 JÖSchG in der Öffentlichkeit nur Angehörigen der betreffenden Altersgruppe zugänglich gemacht werden. Für den nichtöffentlichen Bereich wirkt diese Beschränkung nicht; hier hat die Alterseinstufung keinen Verbots-, sondern lediglich Hinweischarakter.8 Bildträger, die nicht gekennzeichnet oder mit "Nicht freigegeben unter achtzehn Jahren" gekennzeichnet worden sind, dürfen gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 1 JÖSchG Kindern oder Jugendlichen nicht angeboten, überlassen oder sonst zugänglich gemacht werden. Diese Vorschrift ist nicht lediglich eine wiederholende Klarstellung der Regelung des § 7 Abs. 1 JÖSchG,9 sondern hier kommt es auf das Merkmal der Öffentlichkeit nicht mehr an, so daß auch das Zugänglichmachen im nichtöffentlichen Bereich untersagt ist. 10 Nicht gekennzeichnete oder nicht unter achtzehn Jahren freigegebene Bildträger unterliegen ferner gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 2 JÖSchG bestimmten generellen Vertriebsbeschränkungen: Sie dürfen nicht im Versandhandel und nicht im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, angeboten oder überlassen werden. Diese Beschränkungen gelten wohlgemerkt nicht nur für Filme, die wegen ihrer Jugendbeeinträchtigung nicht freigegeben wurden, sondern auch für solche, die gar nicht zur Freigabe vorgelegt worden sind. Gemäß § 7 Abs. 4 JÖSchG dürfen außerdem bespielte Bildträger ohne Ausnahme in der Öffentlichkeit nicht in Automaten angeboten werden. Für gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 JÖSchG gekennzeichnete Bildträger dürfen zur Bekanntmachung der Alterseinstufung ausschließlich die gesetzlichen Kennzeichnungen verwendet werden (§ 11 Satz 2 JÖSchG). Bei der Ankündigung und bei der Werbung für gekennzeichnete Bildträger darf weder auf jugendgefährdende Inhalte hingewiesen werden ll noch darf die Ankündigung oder die Werbung in jugendgefährdender Weise erfolgen (§ 11 Satz 4 JÖSchG).12 Ankündigung und Werbung haben vielmehr gegenstandsneutral zu sein. I3 Bildträger, die für Kinder und Jugendliche unter achtzehn Jahren freigegeben und gekennR. Greger, NStZ 1986, 8 ff. (13). So aber GernertISto!fers, Anm. zu § 7 Abs. 3 JÖSchG (S. 116). 10 Vgl. B. Schraut, UFITA 102 (1986), 89 ff. (108); Rainer Scholz, Jugendschutz, § 12 JÖSchG, Anm. 6c; R. Greger, NStZ 1986, 8 ff. (14). 8

9

11 Zum Beispiel durch Anpreisungen wie "Schwer jugendgefährdend!" oder "Brutalität ohne Grenzen". 12 Vormals § ll Satz 3 JÖSchG bis zur Einführung eines neuen Satz 3 durch Art. 21 des Dritten Rechtsbereinigungsgesetzes v. 28. 6. 1990 (BGBI. I, S. 1221). 13 Siehe dazu LG München I, BPS-Report 6/1987, 12 f. - Videofilm "Fröhliche Weihnacht".

214

3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

zeichnet worden sind, unterliegen gemäß § 7 Abs. 5 JÖSchG nicht mehr der Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. 14 Verstöße gegen das Verbot des Zugänglichmachens nicht freigegebener Bildträger an Kinder und Jugendliche in der Öffentlichkeit gemäß § 7 Abs. 1 JÖSchG, gegen die Kennzeichnungspflicht für geprüfte Bildträger gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 u. 3 JÖSchG, gegen die Vertriebsbeschränkungen für nicht gekennzeichnete oder nicht freigegebene Bildträger gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 2 JÖSchG, gegen das Automatenvertriebsverbot gemäß § 7 Abs. 4 JÖSchG und gegen die Gebote des § 11 JÖSchG werden nach § 12 Abs. 1 JÖSchG als Ordnungswidrigkeiten geahndet. Dies gilt zunächst für die Verstöße von Veranstaltern und Gewerbetreibenden; gemäß § 12 Abs. 2 JÖSchG jedoch auch für das Verhalten von anderen Personen über achtzehn Jahren und hier ebenfalls für das Verbot des § 7 Abs. 3 Nr. 1 JÖSchG. Damit ist auch die Weitergabe von nicht freigegebenen Bildträgern an Kinder und Jugendliche im privaten Bereich bußgeldbewehrt. 15 Nicht ordnungswidrig handeln jedoch Personensorgeberechtigte l6 , die gegen das Verbot des § 7 Abs. 3 Nr. 1 JÖSchG verstoßen (§ 12 Abs. 2 Satz 2 JÖSchG). Die Ordnungswidrigkeiten können gemäß § 12 Abs. 3 JÖSchG mit einer Geldbuße bis zu 30.000 DM geahndet werden. Gemäß § 12 Abs. 4 JÖSchG können bei Hinzutreten von erschwerenden Umständen die Verstöße des § 12 Abs. 1 JÖSchG auch als Straftaten mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet werden. Dies ist der Fall bei vorsätzlichen Zuwiderhandlungen von Veranstaltern oder Gewerbetreibenden, wenn dadurch wenigstens leichtfertig ein Kind oder Jugendlicher in seiner Entwicklung schwer gefährdet wird oder wenn der Verstoß aus Gewinnsucht begangen oder beharrlich wiederholt wird. Die Höhe der Geldstrafe kann gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 StGB maximal 360 Tagessätze zu je zehntausend DM und damit bis zu 3,6 Mio. DM betragen. 17 3. Das Freigabeverfahren: Filmprüjung durch die FSK

Die Obersten Landesbehörden führen entgegen dem gesetzlichen Leitgedanken keine eigenen Filmprüfungen und Jugendfreigaben durch. 18 Statt dessen haben 14 Siehe dazu näher Abschnitt B I 4 (S. 275 f.). Kritisch hierzu D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (103 ff.); ders., ZRP 1984,127 ff. (130 f.). 15 Vgl. auch Rainer Schotz, Jugendschutz, § 12 JÖSchG, Anm. 6c. 16 Siehe dazu §§ 1626, 1671, 1672, 1705 BGB. 17 Siehe dazu auch Rainer Schotz, Jugendschutz, § 12 JÖSchG, Anm. 8. 18 Möglich wäre eine gemeinsame FilmpTÜfungssteJle der Länder, vgl. D. Schefold/H. Viets, RdJB 1987,194 ff. (201); c. v. Heyl, BPS-Report 1/1987,6.

A. Filmjugendschutz nach § 7 in Vbg. m. § 6 JÖSchG

215

die Bundesländer zur Durchführung der Filmprüfung eine Verwaltungsvereinbarung 19 geschlossen, deren Artikel 1 bestimmt: "Die Obersten Landesbehörden bedienen sich bei der Freigabeentscheidung nach §§ 6,7 des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (Jugendschutzgesetz - JÖSchG) vom 25. Februar 1985 (BGBI. I S. 425) der Prüftätigkeit der Ausschüsse der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft - Jugendprüfstelle (FSK/J) als gutachterlieher Stelle. Die Prüfungsvoten der FSK/J sind von den Obersten Landesbehörden als eigene Entscheidung übernommen und die Filme und Bildträger sind gemäß §§ 6,7 JÖSchG von ihnen gekennzeichnet, soweit nicht Oberste Landesbehörden für ihren Bereich ausdrücklich eine abweichende Entscheidung treffen."

Gemäß Art. 2 dieser Vereinbarung bestellen die Obersten Landesbehärden, um die Position der Länder in der FSK zu stärken, im Benehmen mit der Filmund Video wirtschaft einen Ständigen Vertreter der Obersten Landesbehärden bei der FSK, der die mit der Jugendprüfung nach §§ 6 u. 7 JÖSchG in Zusammenhang stehenden Aufgaben wahrnimmt. 20 Die FSK ist eine seit 1949 bestehende unselbständige Abteilung der "Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e. V." (SPIO),21 die bereits 1951 nach Inkrafttreten des ersten Jugendschutzgesetzes von den Ländern mit der Einstufung der Kinofilme betraut wurde. 22 Die Filmprüfung geschieht auf Antrag des Auswertungsberechtigten und ist gebührenpflichtig. Maßstab der Jugendprüfung 23 ist die JugendbeeinträchtiguOg im Sinne von § 6 Abs. 2 JÖSchG?4 Die Entscheidung 19 Vereinbarung der Länder über die Freigabe und Kennzeichnung von Filmen, Videokassetten und vergleichbaren Bildträgern, Bundesanzeiger Nr. 170 vom 10. Sept. 1988, S. 4111; auch abgedruckt bei Rainer Schotz, Jugendschutz, Anhang 8, und bei H. v. Hartlieb, Handbuch, 16. Kap. Rdnr. 2. 20 Zur rechtlichen Stellung des Ständigen Vertreters siehe D. SchefoldlH. Viets, RdJB 1987, 194 ff. (198 ff.). 21 Seit 1985 ist auch der Bundesverband Video (BVV) an der Trägerschaft der FSK beteiligt; vgl. § 1 der Grundsätze der FSK. 22 Siehe allgemein zur FSK: J. Noltenius, Freiwillige Selbstkontrolle, S. 10 ff.; W. Kalb, Jugendschutz bei Film und Fernsehen, S. 112 ff.; H. v. Hartlieb, Handbuch, 17. Kap.; P. Bär, Filmfreiheit, S. 180 ff.; E. Krüger, Film u. Recht 1974,487 ff.; A. Rudolph, Film u. Recht 1978,21 ff.; W. Becker, Film u. Recht 1979,283 ff.; R. Stefen, BPS-Report 2/1985,24 f.; J. Braun, Jugendschutz 1985,228 ff. 23 Vgl. zum Prüfungsverfahren §§ 1 ff., 27 ff. der Grundsätze der FSK i. d. Fassg. v. 1. Feb. 1992, abgedr. in BPS-Report 4/1992, S. 39 ff. (LV.m. BPS-Report 1/1987, S. 11 ff. bzw. UFITA 115 [1991], 257 ff.). Siehe auch R. Stefen, BPS-Report 1/1985, 16 ff. (17 f.); C. v. Heyl, BPS-Report 1/1987,6 ff. (8 ff.). 24 Vgl. die Ausformung dieser Vorschrift in § 29 Abs. 2 Nr. 3 FSK-Grds.: "Das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern und Jugendlichen können insbesondere Filme oder Bildträger beeinträchtigen, welche die Nerven überreizen, übermäßige Belastungen hervorrufen, die Phantasie über Gebühr erregen, die charakterliche, sittliche (einschließlich religiöse) oder geistige Erziehung hemmen, stören oder schädigen, zu falschen und abträglichen Lebenserwartungen verführen oder die Erziehung zu verant-

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

über die Freigabe wird durch den Arbeitsausschuß getroffen, der aus sieben Mitgliedern besteht, davon drei Vertreter der Film- und Videowirtschaft und vier Vertreter der öffentlichen Hand. 25 Den Vorsitz im Arbeitsausschuß führt bei der Jugendprüfung der zu den Vertretern der öffentlichen Hand gehörende Ständige Vertreter der Obersten Landesbehörden bei der FSK, der von den Ländern gemäß Art. 2 ihrer Verwaltungsvereinbarung im Benehmen mit der Film- und Videowirtschaft bestellt wird. Die Ausschuß-Mitglieder sind in ihrer Prüftätigkeit unabhängig und an Weisungen nicht gebunden (§ 13 FSK-Grundsätze). Die Freigabe für eine bestimmte Altersgruppe kann an die Erfüllung von Auflagen geknüpft werden (§ 15 FSK-Grundsätze).26 Als solche kommen insbesondere Schnittauflagen 27 in Betracht, nach denen einzelne Szenen aus dem Film zu entfernen sind. 28 Gegen die Entscheidung des Arbeitsausschusses ist Berufung zum Hauptausschuß der FSK eröffnet (§ 41 FSK-Grundsätze). Nach abgeschlossenem Prüfungsverfahren kann jede oberste Landesbehörde unbefristet im sog. Appellationsverfahren vor dem Appellationsausschuß der FSK Abänderung der getroffenen Entscheidung verlangen (§ 46 FSK-Grundsätze).29, 30 wortungsbewußten Menschen in der Gesellschaft hindern." Dazu auch GernertlStoffers, Anm. zu § 6 Abs. 2 JÖSchG (S. 94 f.). Kritisch gegenüber der Handhabung dieser Maßstäbe durch die FSK als zu großzügig: D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (102 ff.). 25

J. Braun, Jugendschutz 1985,228 ff. (229); P. Weides, NJW 1987,224 ff. (227).

26 Siehe dazu C. v. Heyl, BPS-Report 1/1987,6 ff. (9 f.). 27 Da die Schnittauflage nach Sinn und Zweck wesentlich ist für die Freigabe für eine bestimmte Altersstufe und diese Freigabe ohne Schnittauflage nicht erfolgen soll, handelt es sich in Wirklichkeit nicht um eine Auflage, sondern um eine Bedingung. Vgl. zu Auflage und Bedingung allg. H. Maurer, Allg. VerwR., § 12 Rdnrn. 6 ff.; H.-V. Erichsen, in: ders.IMartens (Hrsg.), Allg. VerwR., § 13 Rdnrn. 4 ff.

28 Als Beispiel für eine Freigabe mit Schnittauflagen vgl. die FSK-Entscheidung "Rambo III" vom 28. 6. 1988, abgedr. in BPS-Report 4/1988, S. 7. Der Film wurde freigegeben ab 16 Jahren mit folgenden Schnittauflagen: ,,1) Aus der Szene mit der Selbstoperation von Rambo in einer Höhle am Feuer ist zu entfernen: die zweite Nahaufnahme mit dem Daumen auf der Wunde an der Seite und dem Herausdrücken des blutigen Pfeils aus der vorderen Wunde und dem Herausziehen des Pfeils ganz aus der Wunde (Nahaufnahmen, 5. Akt). 2) Aus dem Zweikampf zwischen Rambo und einem russischen Soldaten auf einem Bergrücken ist zu entfernen: die Nahaufnahme, in der Rambo mit seinen Fingern an der Augenpartie seines Gegners ist, und die beiden Nahaufnahmen mit dem blutverschmierten und schmerzverzerrten Gesicht des Russen (6. Akt). Sonst: nicht freigegeben unter 18 Jahren." Diese Entscheidung wurde allerdings später abgeändert, vgl. dazu sogleich.

29 Im Fall "Rambo III" wurde die ursprüngliche Freigabe ab 16 nach Appellation durch die Länder Bayern und Berlin geändert in "Nicht freigegeben unter 18 Jahren", vgl. BPS-Report 5/1989, S. 39. Zur Appellation vgl. auch P. Linhart, BPS-Report 4/1985, 1 ff. und dies., BPS-Report 6/1987, 1. 30 Bezüglich des Appellationsverfahrens ist auf folgendes hinzuweisen: Die Freigabe eines Films ist ein begünstigender Verwaltungs akt. Es besteht daher grundSätzlich die

A. Filmjugendschutz nach § 7 in Vbg. m. § 6 JÖSchG

217

Ergibt die Prüfung, daß eine Jugendfreigabe nicht in Betracht kommt, so nimmt die FSK als reine Selbstkontrolleinrichtung der Wirtschaft ohne Beteiligung der öffentlichen Hand eine Filmprüfung für Erwachsene vor. 31 Die Erwachsenenprüfung dient dem Schutz der Filmwirtschaft vor staatlichen Maßnahmen, die die Filmauswertung beeinträchtigen würden. Möglichkeit seiner Autbebung durch die Länder nach den Regeln über den Widerruf von begünstigenden Verwaltungsakten. P. Weides (Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. [320 f.] m.w.N.) weist jedoch darauf hin, daß die Filmfreigabe als Vollzug eines Bundesgesetzes stets bundesweite Wirkung entfaltet. Auch eine eventuelle selbständige Freigabe durch ein einzelnes Bundesland bleibt nicht auf dessen Bereich beschränkt, sondern wirkt bundesweit. Daher ist es zunächst sinnvoll, daß die Länder wie geschehen bei der Freigabe stets gemeinsam handeln. Genauso würde die Autbebung einer Filmfreigabe durch ein einzelnes Land aber bundesweit wirken. Daher muß auch diese stets gemeinschaftlich erfolgen. Das wird durch das Appellationsverfahren sichergestellt. Demgemäß wird die Ansicht vertreten, das Appellationsverfahren sei auf Entschluß der Länder an die Stelle des Widerrufs der Filmfreigabe getreten (Vgl. U. Pöschke, Film u. Recht 1972, 65 ff. (71); ähnlich GernertlSto!fers, Anm. zu § 6 Abs. 1 JÖSchG (S. 87); siehe auch P. Bär, Filmfreiheit, S. 213. Andere Ansicht: R. Stefen, BPS-Report 2/1985,24). 31 Die FSK prüft im Rahmen der Erwachsenenfreigabe, ob ein Film gegen die Generalklausel des § 2 der FSK-Grds. verstößt, welcher bestimmt: "Die FSK hat die im Grundgesetz geschützten Werte, im besonderen die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie die in Art. 5 GG eingeräumte Freiheit zu beachten. In diesem Rahmen darf kein Film oder Bildträger a) das sittliche und religiöse Empfinden oder die Würde des Menschen verletzen, entsittlichend oder verrohend wirken und gegen den grundgesetzlich gewährleisteten Schutz von Ehe und Familie verstoßen, im besonderen brutale und sexuelle Vorgänge in übersteigerter, anreißerischer oder aufdringlich selbstzweckhafter Form schildern; b) die freiheitlich demokratische Grundordnung gefährden oder die Menschenrechte oder Grundrechte mißachten, in besonderem durch totalitäre oder rassenhetzerische Tendenzen; c) das friedliche Zusammenleben der Völker stören und dadurch die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten gefährden, imperialistische oder militaristische Tendenzen fördern oder das Kriegsgeschehen verherrlichen oder verharmlosen." Statt dieser Prüfung kann auch lediglich ein strafrechtliches Unbedenklichkeitszeugnis durch die FSK-Juristenkommission (JK) ausgestellt werden. Siehe zur Juristenkommission H. v. Hartlieb, Handbuch, 19. Kap. Als Beispiele für Erwachsenenfreigaben siehe die FSK-Entscheidungen "Lebendig gefressen" und "Zombies unter Cannibalen", abgedr. in BPS-Report 4/1986, S. 20. In beiden Fällen handelte es sich um Freigaben ab 18 Jahren unter Schnittauflagen. Im zweiten Fall bestimmten die Auflagen: ,,3. Akt: Bei der Tötung eines Eingeborenen Entfernung der Bilder, die ein Buschmesser in seinem blutigen Schädel steckend zeigen. 3. Akt: Bei der Tötung eines Zombies mittels einer Motorschraube Entfernung aller Bilder, mit denen das Anbohren seines Kopfes gezeigt wird. 5. Akt: Bei der Operation Entfernung folgenden Textes von O'Brian: ,Jetzt stört mich Dein Gebrüll nicht mehr bei der Arbeit, ich habe Deine Stimmbänder durchtrennt. '" Nach der Neufassung der FSK-Grds. vom 1. Feb. 1992 darf die Freigabe ab 18 Jahren nicht mehr mit Schnittauflagen verbunden werden (§ 28 Abs. 5 FSK-Grds.). Kritisch gegenüber der Zulässigkeit einer Erwachsenenprüfung: P. Bär, Filmfreiheit, S. 200 ff.; M. Saenger, Filmfreiheit, S. 297 f.; J. Noltenius, Freiwillige Selbstkontrolle, S. 131 ff. Siehe auchR. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnrn. 207 f.

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

4. Die Zulässigkeit der lugendfreigabe durch die FSK Umstritten ist im Rahmen der FSK-Jugendfreigabe deren Rechtsnatur und die Zulässigkeit der Verlagerung dieser Tätigkeit auf die FSK. Nach dem Gesetz sind allein die obersten Landesbehörden für die Jugendfreigabe von Filmen zuständig. Demzufolge wird die Ansicht vertreten, die Übertragung der Jugendfreigabe auf die FSK stelle eine sog. konseryierende Delegation dar, die einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Da eine solche Ermächtigung fehlt, liege ein Verstoß gegen §§ 6, 7 JÖSchG VOr. 32 Eine andere Meinung beruft sich auf die Regelung in der Verwaltungsvereinbarung der Länder, nach der die FSK nur gutachterlieh tätig wird. Eine solche gutachterliehe Tätigkeit durch die FSK sei zulässig. 33 Ebenfalls für zulässig erachtet eine dritte Ansicht die Freigabetätigkeit der FSK, jedoch mit der Begründung, die FSK handele nicht als Gutachter, sondern ihr sei ein Mandat übertragen worden. 34 Eine nähere Betrachtung der Rechtslage ergibt folgendes: Die Verwaltungsvereinbarung der Länder sieht in Art. 1 zwar vor, daß die Länder sich der FSK als gutachterlieher Stelle bedienen; das gleiche besagt auch § 27 Abs. 2 der FSK-Grundsätze. Wesensmerkmal der Stellung eines Gutachters ist jedoch stets, daß er lediglich zur Vorbereitung einer Entscheidung tätig wird. Die Entscheidung selbst wird nicht von ihm, sondern von seinem Auftraggeber getroffen, dem es freisteht, dem Gutachten zu folgen oder auch nicht. 35 Im vorliegenden Fall übernehmen die Obersten Landesbehörden die Prüfvoten der FSK von vornherein als eigene Entscheidungen; die von der FSK freigegebenen Filme gelten als von den Obersten Landesbehörden freigegebenen und gekennzeichnet. Die FSK stellt gemäß § 49 Abs. 1 der FSK-Grundsätze eine Bescheinigung über die Freigabe mit folgendem Wortlaut aus:

32 D. SchefoldlH. Viets, RdJB 1987, 194 ff. (204); D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (114 f.); ders., ZRP 1984, 127 ff. (129); GernertlStoffers, Anm. zu § 6 Abs. 1 JÖSchG (S. 86 f.). 33 H. v. Hartlieb, ZUM 1986, 111 ff. (113); ders., NJW 1985, 830 ff. (832); ders., Handbuch, 17. Kap. Rdnrn. 9 f.; R. Greger, NStZ 1986, 8 ff. (13); Rainer Scholz, Jugendschutz, § 6 JÖSchG, Anm. 1; F. Harrer, § 6 JÖSchG Rdnr. 3; B. Schraut, UFITA 102 (1986), 89 ff. (100); R. Stefen, BPS-Report 1/1985, 16 ff. (17); ders., BPS-Report 2/1985,24; C. v. Heyl, BPS-Report 1/1987,6. 34 P. Weides, NJW 1987,224 ff. (227); ders., in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. (307 ff., 315); G. Erbei, Kunstfreiheitsgarantie, S. 196 f.; M. Saenger, Filmfreiheit, S. 288; U. Pöschke, Film u. Recht 1972, 65 ff. (69 f.); A. Rudolph, Film u. Recht 1978, 21 ff. (25); W. Becker, Film u. Recht 1979, 283 ff. (285 f.); J. Noltenius, Freiwillige Selbstkontrolle, S. 136 f.; W. Kalb, Jugendschutz bei Film und Fernsehen, S. 141 ff.; G. Potrykus, Jugendschutzgesetz, § 6 JÖSchG Anm. 9. 35 U. Pöschke, Film u. Recht 1972,65 ff. (70); P. Weides, in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. (310); W. Kalb, Jugendschutz bei Film und Fernsehen, S. 139.

A. Filmjugendschutz nach § 7 in Vbg. m. § 6 JÖSchG

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"Der Film/Bildträger ist gemäß §6/§7 JÖSchG vom 25.2.1985 geprüft und freigegeben ohne Altersbeschränkung freigegeben ab sechs Jahren freigegeben ab zwölf Jahren freigegeben ab sechzehn Jahren nicht freigegeben unter achtzehn Jahren. Der Film/Bildträger ist von der Obersten Landesbehörde gemäß der Vereinbarung der Länder über die Freigabe und Kennzeichnung von Filmen, Videokassetten und vergleichbaren Bildträgern entsprechend freigegebenen und gekennzeichnet."

Damit erstellt die FSK kein Gutachten für einen anderen, sondern trifft selbst die Entscheidung im Namen ihres Auftraggebers. Jener wird seinerseits überhaupt nicht mehr tätig. Die FSK handelt somit nicht als gutachterliche Stelle.36 Eine Delegation der Entscheidungskompetenz auf die FSK liegt im Ergebnis jedoch auch nicht vor. Von einer Delegation spricht man, wenn ein Verwaltungsträger eine ihm zugewiesene Kompetenz auf einen anderen Verwaltungsträger überträgt. Jener wird daraufhin in eigenem Namen tätig. 37 Im Falle der sog. konservierenden oder bewahrenden Delegation verbleibt dem Inhaber der regulären Zuständigkeit diese konkurrierend für beliebige Einzelfälle, so daß eine "primäre Zuständigkeit des Deleganten" und eine "sekundäre Zuständigkeit des Delegatars" besteht. 38 Da die Delegation eine Änderung der Zuständigkeitsordnung bewirkt, bedarf sie einer ausdrücklichen gesetzlichen Ennächtigung. 39 Die Delegation auf Private ist Beleihung.40 Im vorliegenden Fall ist eine gesetzliche Grundlage für die Delegation der Freigabekompetenz auf die FSK nicht vorhanden. Die FSK wird aber nicht in eigenem Namen tätig, sondern verweist in den Freigabebescheinigungen nach § 49 Abs. 1 der FSK-Grundsätze auf die Obersten Landesbehörden als fonnelle Träger der Entscheidung. 36 Vgl. dazu auch P. Weides, in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. (310 f., 314); ders., NJW 1987,224 ff. (227); D. SchefoldlH. Viets, RdJB 1987, 194 ff. (203 f.); GernertlStojJers, Anm. zu § 6 Abs. 1 JÖSchG (S. 86).

37 WolfflBachof, VerwRecht 11 (4. AufI.), § 72 IV b 2); P. Weides, in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. (306 f.); H. Triepel, Delegation und Mandat, S. 23, 26; W.-R. Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 ff. (120 f.).

38 WolfflBachof, VerwRecht 11 (4. AufI.), § 72 IV b 2 beta); H. Triepel, Delegation und Mandat, S. 53 f.; W.-R. Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 ff. (121). 39 WolfflBachof, VerwRecht 11 (4. AufI.), § 72 IV b 2); P. Weides, in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. (306); D. SchefoldlH. Viets, RdJB 1987, 194 ff. (204); H. Triepel, Delegation und Mandat, S. 29, 111; W. Kalb, Jugendschutz bei Film und Fernsehen, S. 141.

40 P. Weides, in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. (306); U. Pöschke, Film u. Recht 1972,65 ff. (69); D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (115). Vgl. zur Beleihung auch WolfflBachoftStober, VerwRecht 11 (5. AufI.), § 104; W. Rudolf, in: Erichsen/Martens, Allg. VerwRecht, § 56 Rdnr. 26; H. Maurer, Allg. VerwRecht, § 23 Rdnrn. 56 ff.; S. v. Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 30 ff.

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

Daher ist der dritten Ansicht zuzustimmen, nach welcher die FSK ein Mandat ausübt. Im Falle des Mandats beauftragt ein Verwaltungsträger einen anderen Verwaltungsträger, eine dem ersteren zustehende Kompetenz in dessen Namen auszuüben. Der Beauftragte handelt dabei in fremdem Namen; sein Handeln wird dem Auftraggeber zugerechnet. Die Zuständigkeitsordnung wird durch das Mandat nicht berührt. Das Handeln des Mandatars gilt als Maßnahme des Mandanten als des eigentlichen Inhabers der Zuständigkeit. 41 Ein Mandat kann auch Personen des Privatrechts erteilt werden. Dadurch wird die Zuständigkeitsordnung ebenfalls nicht berührt. Denn sie soll der Aufgabenverteilung zwischen den Behörden dienen, nicht aber festlegen, in welchem Ausmaß für eine bestimmte Behörde sonstige Personen handeln dürfen. Einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf das Mandat daher nicht.42 Da die FSK bei der Jugendfreigabe im Namen der Obersten Landesbehörden handelt, wird sie in Ausübung eines entsprechenden Mandats tätig. 43 Dies wird auch daran deutlich, daß bei einer Klage gegen die Freigabeentscheidung nicht mehr die FSK, sondern die Obersten Landesbehörden Prozeßgegner sind. 44 Die Tätigkeit der FSK ist als Mandatsausübung daher zulässig. 11. Gesetzgebungskompetenzen

Im folgenden geht es um die Verfassungsmäßigkeit der genannten gesetzlichen Bestimmungen. Im Rahmen der formellen Verfassungsmäßigkeit sind dabei zunächst die Gesetzgebungskompetenzen zu überprüfen. Der Bundesgesetzgeber hat für die Regelungen der §§ 6, 7 JÖSchG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz. Diese ergibt sich in erster Linie aus Art. 74 Nr. 7 GG, der die "öffentliche Fürsorge" betrifft. Der Begriff der öffentlichen Fürsorge erfaßt zwar in seinem Kern die öffentliche Hilfe bei wirtschaftlicher Notlage. Im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip ist der Begriff jedoch weit auszulegen. Er umfaßt auch Hilfe bei anderen als wirtschaftlichen Notlagen und 41 Wolff/Bachoj, VerwRecht 11 (4. Aufl.), § 72 IV b 5); P. Weides, in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. (307); U. Pöschke, Film u. Recht 1972, 65 ff. (69); H. Triepel, Delegation und Mandat, S. 23, 26 f.; W.-R. Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 ff. (148). 42 Vgl. dazu P. Weides, in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. (309 f.); W. Kalb, Jugendschutz bei Film und Fernsehen, S. 142 f.

43 So auch P. Weides, in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. (315); ders., NJW 1987,224 ff. (227); W. Becker, Film u. Recht 1979,283 ff. (286); a.A.D. SchefoldlH. Viets, RdJB 1987, 194 ff. (204 f.). 44 Dazu P. Weides, in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. (317 f.); siehe auch H. v. Hartlieb, Handbuch, 17. Kap. Rdnr. 11; C. v. Heyl, BPS-Report, 1/1987,6; W. Becker, Film u. Recht 1979, 283 ff. (286).

A. Filmjugendschutz nach § 7 in Vbg. m. § 6 JÖSchG

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ist damit nicht nur im Sinne der sozialen Fürsorge zu verstehen, sondern erstreckt sich auch auf die Jugendfürsorge. Zudem sind nicht nur im Nachhinein abhelfende, sondern auch vorbeugende Maßnahmen zur Abwehr drohender Gefahren eingeschlossen. Daher unterfällt auch der Jugendschutz der öffentlichen Fürsorge und demnach auch zum Schutz der Jugend ergangene Gesetze wie das JÖSchG diesem Regelungsgebiet. 45 Daneben ist auch Art. 74 Nr. 1 einschlägig, der das Strafrecht nennt. Zwar werden nach § 12 JÖSchG Verstöße gegen dieses Gesetz grundsätzlich als Ordnungswidrigkeiten geahndet und nur für schwere Fälle von Zuwiderhandlungen wird durch § 12 Abs. 4 JÖSchG ein Straftatbestand geschaffen. 46 Unter das Gebiet des Strafrechts im Sinne des Art. 74 Nr. 1 fällt jedoch auch das Ordnungswidrigkeitenrecht. 47 Da die Sachgebiete des Art. 74 nicht in einem strengen Spezialitätsverhältnis zueinander stehen,48 ergibt sich die Bundeszuständigkeit schließlich auch aus Art. 74 Nr. 11, dem Recht der Wirtschaft. 49 Da die betreffenden Regelungen des JÖSchG sich an Gewerbetreibende richten und deren Gewerbefreiheit einschränken, handelt es sich um Vorschriften auch gewerberechtlicher Natur, die dem Recht der Wirtschaft angehören. 50 Bei den in Rede stehenden gesetzlichen Bestimmungen besteht auch ein Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung, so daß die Voraussetzung des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt ist. Es ginge nicht an, daß der Jugendschutz vor Videofilmen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt wäre. Damit steht dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis zu. Eine ältere Gegenansicht,51 die dem Bund eine Kompetenz für den Jugendschutz, insbesondere nach Art. 74 Nr. 7, generell absprach und ihm demzufolge auch 45 BVerwGE 19,94 (96 f.); 23, 112 (113); B. Pieroth, in: Jarass/pieroth, Art. 74 Rdnm. 17 f.; I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 3, Art. 74 Rdnm. 24 f.; rh. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 74 Rdnm. 106, 108; P. Weides, NJW 1987,224 ff. (226); ders., in: Festschrift für Armbruster 1976,301; G. Potrykus, NJW 1958, 1937; ders., Jugendschutzgesetz, vor § 1, § 3 Anm. 2. 46 Siehe oben S. 214. 47 BVerfGE 27, 18 (32 f.); 29, 11 (16); 31, 141 (144); B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 74 Rdnr. 4; I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 3, Art. 74 Rdnr. 7; rh. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 74 Rdnr. 65. 48 I. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), GGK Bd. 3, Art. 74 Rdnr. 120; rh. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 74 Rdnr. 51. 49 Vgl. VG Köln, NJW 1987,274 (275); G. Potrykus, Jugendschutzgesetz, § 3 Anm. 2.

50 Vgl. BVerwG, NJW 1958, 1937 (1938).

K. A. Bettermann, AöR Bd. 83 (1958), 91 ff.; in jüngerer Zeit aber auch ehr. Hölzel, GewArch 1985,209 ff. (210). 51

222

3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

keinerlei Kompetenzen für das JÖSchG zubilligen wollte, ist Mindermeinung 52 .• geblieben und zu Recht auf Ablehnung gestoßen. Es besteht auch Ubereinstimmung, daß der Jugendschutz im Filmbereich nicht unter Art. 75 Nr. 2 GG (die allgemeinen Rechtsverhältnisse des Films) fällt, dem Bund also nicht lediglich die konkurrierende Rahmengesetzgebungskompetenz zukommt. 53

III. Die materielle Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Beschränkungen

In diesem Abschnitt sollen die auf Bildträger bezogenen Bestimmungen der §§ 6,7 JÖSchG auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten überprüft werden. Dabei sind die oben im zweiten Teil dieser Arbeit gefundenen Ergebnisse heranzuziehen. Ausgangspunkt der Untersuchungen ist zuerst die Grundregelung, nach der das Zugänglichmachen von Bildträgern an Kinder und Jugendliche einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterworfen ist.

1. Das Abgabeverbot an Kinder und Jugendliche mit Freigabevorbehalt a) Vereinbarkeit mit der Filmfreiheit

aa) Der Eingriff in den Schutzbereich Auf der Seite der Videoanbieter kommt als betroffenes Grundrecht zunächst die Filmfreiheit in Betracht. Da das Grundrecht nicht nur für natürliche Personen, sondern gemäß Art. 19 Abs. 3 auch für juristische Personen gilt, ist die Rechtsform von Unternehmen auf der Anbieterseite ohne Belang. Die Videoanbieter sind Grundrechtsträger der Filmfreiheit. Bespielte Videokassetten und vergleichbare Bildträger, die zur Verbreitung in der Öffentlichkeit bestimmt sind, unterfallen wie oben gesehen54 dem Filmbegriff des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Filmfreiheit gewährleistet Inhalts- und Gestaltungs-, Herstellungs- und Verbreitungsfreiheit. Sie schützt also auch die Verbreitung von Filmen auf Videokassetten. Das Verbot des Zugänglichmachens von bespielten Videokassetten an Kinder und Jugendliche mit Freigabevorbehalt tangiert die Verbreitungsfreiheit. Ohne entsprechende Freigabe können bespielte Videokassetten nicht jedermann zugänglich gemacht werden. Gleichzeitig stellt die mit dem Freigabevorbehalt verbundene Filmprüfung einen Eingriff in die Inhalts- und Gestaltungsfreiheit dar. Denn ob der Film allgemein zugänglich 52

Vgl. BVerwGE 19,94 (96); 23, 112 (113 f.).

53

BVerwGE 23, 112 (113); Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 75 Rdnr. 115.

54

Siehe Teil 2, Abschnitt All 5 c) (S. 137 ff.).

A. Filmjugendschutz nach § 7 in Vbg. m. § 6 JÖSchG

223

sein wird, hängt von seinem Inhalt ab. Deutlich wird dies besonders bei Freigaben unter Schnittauflagen. bb) Die Schranke des Jugendschutzes gem. Art. 5 Abs. 2 GG

(1) Das gesetzgeberische Ziel des § 7 JÖSchG Die Filmfreiheit steht unter dem Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG. Einschränkungen sind danach möglich durch gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend. Dies sind solche Gesetze, die die Abwehr von Gefahren für die ungestörte Entwicklung der Jugend bezwecken. Die grundrechtseinschränkende Regelung des § 7 JÖSchG hat nach der amtlichen Begründung zum Ziel, "Auswüchse" auf dem Videokassetten-Markt zu bekämpfen. 55 Sie ist gesetzgeberische Reaktion auf die im ersten Teil der Arbeit beschriebene Entwicklung der Videotechnik und der bespielten Videokassette zu einem weiteren Filmvertriebskanal, der neben dem klassischen Filmtheater und dem Fernsehen einen neuen Distributionsweg für Spielfilme eröffnete. 56 Jungen Menschen wurde dadurch der Zugang zu Filmen erleichtert, die für sie nicht geeignet sind und ihnen vorher auch nicht zugänglich waren. 57 Die gesetzliche Regelung bezweckt, Kinder und Jugendliche vor negativen Auswirkungen des Konsums jugendbeeinträchtigender Videokassetten zu schützen, indem die Verbreitung entsprechender Filme an Kinder und Jugendliche beschränkt wird. Dieser Schutz soll einerseits präventiv im Rahmen einer Vorkontrolle der Filme verwirklicht werden, andererseits soll er dadurch, daß die Zugänglichkeit der Bildträger nur für die tatsächlich gefährdeten Altersgruppen beschränkt wird, altersspezifisch wirken und damit auf die verschiedenen Entwicklungsstufen des jungen Menschen Rücksicht nehmen. Schutzgut der Regelung ist also möglichst effektiver und differenzierter Jugendschutz. Damit handelt es sich um ein Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2. Der Gesetzesvorbehalt zum Schutze der Jugend bedeutet jedoch keinen absoluten Vorrang jeder einschränkenden Regelung. Ein Grundrechtseingriff ist nur gerechtfertigt, wenn die gesetzliche Regelung im Rahmen der Wechsel wir55 Siehe den Gesetzentwurf zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit, BT-Drs. lOn22, S. 1, 7; vgl. auch Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit, BT-Drs. 10/2546, S. 1, 17 und die Beratungen im Bundestag, Plenarprotokoll 10. WP., 47. Sitzg. 19. Jan. 1984, S. 3390 ff. (3391 f.); 108. Sitzg. 6. Dez. 1984, S. 8000 f. Siehe zur Situation vor der Neuregelung auch die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage zur Jugendgefährdung durch VideopI'ogramme, BT-Drs. 9/2302. 56 Siehe dazu oben Teil 1 Abschnitt D III (S. 52). 57 Siehe oben Teil 1 Abschnitt E 11 1 (S. 62 ff.).

224

3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

kungslehre der Bedeutung des eingeschränkten Grundrechts ausreichend Rechnung trägt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. 58 In diesem Rahmen muß die Grundrechtsbegrenzung geeignet sein, den Schutz des betreffenden Rechtsgutes zu bewirken, sie muß erforderlich sein und der verfolgte Zweck muß in angemessenem Verhältnis zu den Einbußen stehen, die der Grundrechtseingriff mit sich bringt, wobei Gewicht und besondere Bedeutung der Filmfreiheit zu berücksichtigen sind.59 (2) Die Eignung der Regelung (a) Die Gewaltwirkungsproblematik Das gesetzgeberische Mittel ist geeignet, wenn mit sem(,r Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. In diesem Zusammenhang wird die Frage relevant, ob das Betrachten von Videokassetten, die der Gest:lzgeber Kindern und Jugendlichen vorenthalten will, überhaupt ungünstige Einflüsse auf die Entwicklung junger Menschen ausüben kann. Hier ist der Bereich der Medienwirkungen angesprochen, der auf diese Weise verfassungsrechtliche Bedeutung erlangt. Die Wirkungsforschung und dabei insbesondere die Erforschung der Wirkung von Gewaltdarstellungen ist oben ausführlich dargestellt worden,6O wobei ein sehr breites und zum Teil widersprüchliches Meinungsbild sichtbar wurde. Soweit von einigen Stimmen Auswirkungen von Mediengewalt auf die Gesellschaft negiert 61 oder Gewaltdarstellungen als aggressionsmindernd eingestuft wurden, 58

Siehe dazu oben Teil 2 Abschn. A III 3 (S. 151 f.).

Zu den Schritten der Verhältnismäßigkeitsprüfung vgl. I. v. Münch, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Vorbem. zu Art. 1-19 Rdnr. 55 m.w.N.; ders., Grundbegriffe Bd. 1, Rdnrn. 254 ff.; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnrn. 318 ff.; D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (117). Siehe auch BVerfGE 77,65 (75); 71,206 (214); 59, 231 (265). 59

60

Siehe dazu Teil 1 Abschnitt F (S. 66 ff.).

Dies geschieht zuweilen auch weniger vor dem Hintergrund der Wirkungsforschung, als vielmehr mit kulturgeschichtlicher (siehe dazu K. Bartels, RuF 1984, 491 ff. [503, 506]) oder auch mit gesellschaftspolitisch - ideologischer Argumentation: So hält F. Dröge, in: No future - but video, S. 55 ff. (58 f.) den Jugendmedienschutz für ein falsches Mittel zur Bekämpfung steigender gesellschaftlicher Aggressivität, weil Gewaltkriminalität, Terrorismus und Jugendverwahrlosung Probleme in nahezu allen westlichen Ländern seien. Diese Phänomene hätten weniger mit den verschiedenen Mediensystemen, als mit "der eigendynamischen Zerstörung der system strukturellen Grundlagen" zu tun. Die Debatte um den Jugendmedienschutz sei nichts als eine "Nebelgranate". Gesellschaftliche Aggressivität sei "schon deshalb nicht wirkungsvoll zu bekämpfen, weil sie konstitutives Merkmal menschlicher Subjektivität in einer kapitalistischen Konkurrenzoder, wie man heute lieber sagt: Leistungsgesellschaft ist". Anderer Ansicht dagegen E. Schwarz, Jugendschutz 1970,97 ff. (99), der keinen Zweifel hat, daß der jugendgefährdende Film "einer der Faktoren (ist), die unsere gesellschaftlichen Pathologien verursachen". 61

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könnte dies in diesem Zusammenhang als Argument für die Ungeeignetheit des gesetzlichen Jugendmedienschutzes gelten. 62 Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Zwecktauglichkeit von Gesetzen ist allerdings zu beachten, daß der Gesetzgeber einen gewissen Einschätzungsund Gestaltungsspielraum hat. Dieser gilt sowohl für die Beurteilung der Situation und die Frage, ob der Gesetzgeber tätig werden will oder nicht, als auch für die Auswahl seiner Mittel. 63 Das Ausmaß des gesetzgeberischen Spielraums hängt ab von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, der Möglichkeit, sich ein hinreichend sicheres, empirisch abgestütztes Urteil zu bilden und der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter. 64 Das Bundesverfassungsgericht hatte sich häufig bei wirtschafts lenkenden Maßnahmen, aber auch im Bereich der Gefahrenabwehr und speziell beim Jugendschutz mit der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu befassen und es hielt zu Recht in den meisten Fällen nur eine Vertretbarkeitskontrolle für zulässig. Danach kommt es nur darauf an, ob die Einschätzung des Gesetzgebers von seiner Warte aus sachgerecht und vertretbar war. 65 Der Gesetzgeber muß dabei die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft haben, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelung so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können. 66 Seine Entscheidung darf nicht von unrichtigen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen sein und nicht mit der Verfassung in Widerspruch stehen.67 Der dem Gesetzgeber zustehende Rahmen ist nur dann überschritten, wenn seine Erwägungen so offensichtlich fehlsam waren, daß sie vernünftigerweise keine Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen abgeben können. 68 62 Kritisch dem Jugendmedienschutz gegenüber insoweit H.-D. Kübler, Jugendschutz 1986, 66 ff. (76 f.); vgl. dazu auch D. Schejold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (118); kritisch zum Jugendschutz im Bereich der Sexualität auch R. Lautmann, Der Zwang zur Tugend, S. 87 ff. 63 Zu letzterem: BVerfGE 30, 336 (347) - Sonnenfreunde; 30, 292 (317, 319) Mineralölbevorratung; 25, 1 (12) - Mühlengesetz; auch F. Ossenbühl, in: Festgabe BVerfG 1976 Bd. I, 458 ff. (515).

BVerfGE 83, 130 (141) - Josefine Mutzenbacher; 50, 290 (332 f.) - Mitbestimmung. BVerfGE 30, 250 (263 f.) - Absicherungsgesetz; 50,290 (333 f.) - Mitbestimmung; speziell zum Jugendschutz: BVerfG, NJW 1986, 1241 (1242) - Werbeverbot für Videofilme; BVerfGE 83, 130 (140 ff.) - Josefine Mutzenbacher. Zustimmend J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 40; E. Stein, in: AK-GG, Einleitung 11, Rdnrn. 69 ff. Andere Ansicht: F. Ossenbühl, in: Festgabe BVerfG 1976 Bd. 1,458 ff. (506 ff.) und U. Seetzen, NJW 1975,429 ff. (430 ff.), die den Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers nach "Wertigkeit und Stärke" der betroffenen Grundrechte sowie nach Gefahrenbreite, Gefahrenintensität und Gefahrenwahrscheinlichkeit abstufen wollen. 66 BVerfGE 50, 290 (334) - Mitbestimmung. 67 BVerfGE 71, 206 (215) - Wörtl. Veröffentlichung aus Anklageschriften; unter Berufung auf BVerfGE 13,97 (113) - Befähigungsnachweis für das Handwerk. 64

65

68

BVerfGE 30, 292 (317) - Mineralölbevorratung; 25, 1 (17) - Mühlengesetz; ähnlich

15 Meirowitz

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

Eine solche offensichtliche Fehleinschätzung liegt der hier fraglichen Regelung nicht zugrunde. Der Gesetzgeber hat im Rahmen seiner Beratungen die Stellungnahmen von Sachverständigen zur Frage der Auswirkung des Videokonsums auf Kinder und Jugendliche eingeholt69 und damit die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen hinreichend ausgenutzt. Dabei wurden die bereits oben im ersten Teil dargestellten verschiedenen Thesen zur Wirkung von Mediengewalt aufgezeigt und es wurde mehrfach darauf hingewiesen, daß neben psychischer Traumatisierung bei Kindern und Jugendlichen insbesondere Lerneffekte nicht ausgeschlossen sind und daß bei Vorhandensein bestimmter Prädispositionen die Herausbildung violenter Persönlichkeiten gefördert werden kann, wenngleich ebenso eingeräumt wurde, daß abschließende Erkenntnisse noch ausstünden. 70 Bei dieser Sachlage kann nicht davon gesprochen werden, daß eine Beeinträchtigung Jugendlicher nach dem Stand der Wissenschaft vernünftigerweise auszuschließen wäre. 71 Der Gesetzgeber ist demgemäß nicht von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen. In einer solchen mit gewisser Ungewißheit belasteten Situation liegt es grundsätzlich in seiner Verantwortung, die von ihm für zweckmäßig erachteten Entscheidungen zu treffen. Von Verfassungs wegen kann in diesen Bereich nicht eingegriffen werden, da insoweit die rechtlichen Maßstäbe fehlen.72 Schäden für Kinder und Jugendliche durch das Betrachten von Videokassetten müssen demnach nicht mit letzter Sicherheit empirisch nachgewiesen sein, bevor der Gesetzgeber handeln darf. 73 Dies ergibt sich auch aus der Bedeutung des Jugendschutzes als betroffenem Rechtsgut. 74 Dieser ist durch seine Verankerung BVerfGE 83, 130 (142) - Josefine Mutzenbacher. Siehe auch F. Bauer, der in JZ 1965, 41 ff. (44) schreibt: "Ist das Gesetz Mittel zu einem Zweck, unterliegt auch die Rationalität seines instrumentalen Charakters richterlicher Nachprüfung. Steht das Mittel im Widerspruch zu Vernunft und Verstand oder ist es exzessiv, so entbehrt das Gesetz der Legitimität." 69 Vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit, BT-Drs. 10/2546, S. 16; sowie die öffentliche Anhörung während des Gesetzgebungsverfahrens, Stenograph. Bericht über die 24. Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit des Deutschen Bundestages vom 27. Juni 1984, Protokoll Nr. 24, Teil 11, S. 38 - 101. 70 Vgl. ausführlich den stenograph. Bericht über die 24. Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit des Deutschen Bundestages vom 27. Juni 1984, Protokoll Nr. 24, Teil 11, S. 38 ff. Siehe zur Wirkungsproblematik im übrigen auch die Darstellung des Erkenntnisstandes im schriftlichen Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zum 4. StrRG, BT-Drs. V1/3521, S. 5 f. 71 So zur Frage der Gefährdung Jugendlicher durch Pornographie auch BVerfGE 83, 130 (141) - Josefine Mutzenbacher. 72 BVerfGE 49,89 (131) - Schneller Brüter. 73 So auch P. Lerche in der öffentlichen Anhörung während des Gesetzgebungsverfahrens, Stenograph. Bericht über die 24. Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie

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in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 ein Rechtswert von hohem Rang und zudem vom Grundgesetz über Art. 5 Abs. 2 ausdrücklich dafür vorgesehen, die Rechte des Art. 5 Abs. 1 zu begrenzen. Außerdem liegt der Sinn des Jugendschutzes gerade in der Prävention. Sein vorrangiges Ziel ist es, den Eintritt von Gefährdungen zu verhindern, nicht aber, nach entstandenem Schaden die Verantwortlichen zu verfolgen. 75 Daher ist die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung Minderjähriger ausreichend. 76 (b) Das Problem der "Ersatzbeschaffung" Im Rahmen der Geeignetheit des Mittels könnte allerdings fraglich sein, ob mit der gesetzlichen Regelung der Zugang von Kindern und Jugendlichen zu jugendbeeinträchtigenden Videokassetten tatsächlich überhaupt wirksam verhindert werden kann. 77 Denn anders als bei der Filmvorführung im Filmtheater findet die Rezeption von Videokassetten und anderen Bildträgern zu Hause im privaten Bereich statt. Der Filmkonsum als solcher ist dadurch weitgehend staatlicher Einflußnahme entzogen. Insofern besteht das Problem der sog. "Ersatzbeschaffung,,78 jugendgefährdender Filme. Damit ist der Umstand gemeint, daß dritte Personen wie ältere Freunde oder der ältere Bruder, denen gegenüber keine Abgabebeschränkungen bestehen, Videokassetten besorgen und an Kinder und Jugendliche weitergeben können, wodurch die gesetzlichen Zugangsregelungen unterlaufen werden. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu bedenken, daß die Eignung zur Zweckerreichung nicht verlangt, daß der gewünschte Erfolg in jedem Einzelfall tatund Gesundheit des Deutschen Bundestages vom 27. Juni 1984, Protokoll Nr. 24, Teil 11, S. 105 f.; sowie Müller-Dietz, ebd., S. 111 f.; W. Hassemer, ebd., S. 120. Andere Ansicht jedoch S. Cobler, ebd., S. 97 f. Kritisch auch F. Bauer, JZ 1965,41 ff. (44 ff.). 74

Vgl. BVerfGE 83, 130 (142) - Josefine Mutzenbacher.

75 BVerfGE 30, 336 (350) - Sonnenfreunde. 76 So für Gewaltdarstellungen auch BVerfG, NJW 1986, 1241 (1242) - Werbeverbot für Videofilme (wobei das Gericht hier eine Problematisierung unterläßt); für pornographische Schriften: BVerfGE 83, 130 (141 f.) - Josefme Mutzenbacher; dazu auch BVerfGE 47,109 (117) - PAM-Kinos. Siehe im übrigen auch BVerwGE 39,197 (200) - Die Sünden der Söhne; G. Kaiser, in: Oehler/Süssmuth u.a., Jugendschutz und Medien, S. 67 ff. (85); D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (118); P. Weides, NJW 1987, 224 ff. (225); GernertlStoffers, Anm. zu § 6 Abs. 1 JÖSchG (S. 80); W. Gernert, ZBlJugR 1989,473 ff. (474). Kritisch jedoch S. Oft, NJW 1972,1219 (1220). 77 Kritisch insoweit K. Rolinski, ZUM 1986, 120 f. Siehe auch P. Weides, NJW 1987, 224 ff. (228).

78 Siehe zu dem Begriff H. v. Hartlieb, ZUM 1986, 111 ff. (114); ders., NJW 1985, 830 ff. (831); P. Weides, NJW 1987,224 ff. (228); siehe auch K. Rolinski, ZUM 1986, 120 f.; J. Köhler, Jugendschutz 1985, 182 ff. (186). IS"

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

sächlich eintreten muß. Ausschlaggebend ist allein, daß der Erfolg generell gefördert wird. Die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung genügt daher. Aus der Tatsache, daß der erstrebte Rechtsgüterschutz möglicherweise nur in begrenztem Umfang gewährleistet wird, lassen sich verfassungsrechtliche Einwände nicht herleiten. Das gesetzgeberische Mittel darf lediglich nicht "schlechthin" ungeeignet sein. 79 Aufgrund der vorliegenden Regelung wird der Zugang von Kindern und Jugendlichen zu nicht für sie freigegebenen Videokassetten zwar nicht völlig unmöglich gemacht, aber jedenfalls erschwert. Der Zweck, die Verbreitung jugendbeeinträchtigender Videokassetten an junge Menschen zu beschränken, wird dergestalt gefördert. Die gesetzliche Regelung ist daher nicht schlechthin ungeeignet. 80 Zudem beinhaltet sie eine Vorprüfung der Bildträger. Vorprüfungen werden auch außerhalb der Bundesrepublik in vielen anderen Staaten praktiziert und sind ein international übliches Instrument des Jugendschutzes. 81 Da sie vor der Marktauswertung der Filme erfolgen, geWährleisten sie einen effizienteren Jugendschutz als etwa eine Nachkontrolle. 82 Außerdem wirkt die Alterseinstufung auf den Bildträgern nach Übergabe an die Endverbraucher als warnender Hinweis auf mögliche jugendgefährdende Eigenschaften der Filme. 83 Erziehungsberechtigte bekommen so im Voraus verläßliche Anhaltspunkte über den Inhalt der in ihrem Haushalt vorhandenen Kassetten an die Hand. Das Jugendverbot mit Freigabevorbehalt für Videokassetten ist also ein geeignetes Mittel, den gewünschten Erfolg zu fördern.

79 Ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfG, NJW 1986, 1241 (1242)Werbung für indizierte Videofilme; BVerfGE 71, 206 (215, 217 f.) - Wörtl. Veröffentlichung aus Anklageschriften; siehe auch BVerfGE 67, 157 (175) - Telefonkontrolle mit Warschauer Pakt-Staaten; sowie BVerfGE 61, 291 (313 f.) - Tierpräparatoren; 50, 142 (163); 30, 250 (263 f.) - Absicherungsgesetz; 19, 119 (126 f.). In BVerfGE 47, 109 (118 f.) - PAM-Kinos schreibt das Verfassungsgericht: "Wenn ein Gesetz Möglichkeiten bietet, legal ,durch die Maschen zu schlüpfen', dann rechtfertigt dies für sich allein noch nicht ohne weiteres den Schluß auf seine Zweckuntauglichkeit. Erfüllt es im übrigen weitgehend seinen Zweck, so kann seine generelle Geeignetheit nicht verneint werden." 80 Siehe auch P. Weides, NJW 1987,224 ff. (228). 81 Siehe zur Filmfreigabe in anderen Staaten ausführlich H. v. Hartlieb, Handbuch, 23. Kap. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Empfehlungen des Europarates über die Grundsätze des Vertriebs von Videoprogrammen mit gewalttätigem, brutalem oder pornographischem Inhalt, Empfehlung Nr. R (89) des Ministerkomitees, Bulletin Nr. 86, S. 753 ff. v. 6. Sept. 1989, abgedr. in BPS-Report 6/1989, S. 37 f. 82 Vgl. H. v. Hartlieb, ZUM 1986, 111 f.; ders., NJW 1985, 830 ff. (833); ders., Handbuch, 10. Kap. Rdnr. 17; P. Weides, NJW 1987,224 ff. (226). 83 R. Greger, NStZ 1986,8 ff. (13).

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(3) Die Erforderlichkeit des Mittels Das Mittel ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber kein milderes, weniger einschneidendes Mittel hätte wählen können, das genauso geeignet wäre. Ein solches ist nicht ersichtlich. Eine Nachkontrolle bietet keinen gleichermaßen wirksamen Schutz, da bis zum Eingreifen staatlicher Maßnahmen jugendgefährdende Programme unbeschränkt zugänglich wären. Zudem sieht der bestehende Freigabevorbehalt eine Freigabe nach Altersstufen vor. Dies gewährleistet einen besonders differenzierten Jugendschutz und ist zugleich eine möglichst schonende Lösung. Ist ein Film nur für bestimmte Altersgruppen unzuträglich, so bleibt die Zugänglichkeit für andere Altersgruppen dennoch möglich. Die Verbreitung wird nur für diejenigen Altersgruppen beschränkt, die durch den betreffenden Bildträger tatsächlich gefährdet werden. 84 Dadurch wird dem Verbreitungsinteresse der Anbieter und dem Informationsinteresse der jungen Zuschauer gleichermaßen Rechnung getragen. (4) Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Schließlich darf die gesetzliche Regelung bei einer Gesamtabwägung der betroffenen Belange im Lichte des eingeschränkten Grundrechts nicht unzumutbar sein. Maßgebend sind_dabei Gewicht und Bedeutung der Filmfreiheit sowie der durch den Grundrechtseingriff geschützten Rechtsgüter, die Wirksamkeit des mit der Regelung erstrebten Rechtsgüterschutzes sowie Ausmaß und Schwere des zu diesem Zweck getroffenen Grundrechtseingriffs. Die Maßnahme des Gesetzgebers darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten; die Grundrechtsbeschränkung darf nicht außer Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck stehen. 85 Das Ziel des Eingriffs besteht darin, Kinder und Jugendliche in ihrem Entwicklungsprozeß vor Schäden zu schützen. Angesichts dessen, daß Tabuzonen und Anstandsgrenzen sich im Filmbereich, insbesondere bei Horrorfilmen, im Laufe der Zeit vermindert haben und entsprechende Werke immer exzessiver wurden, sind bei Kindern und Jugendlichen negative Auswirkungen in ernstzunehmendem Ausmaß durch den unkontrollierten Konsum derartiger Filme auf Videokassetten und sonstigen Bildträgern zu befürchten. Die Gefahren für den Jugendschutz durch moderne Horror-Videos sind nicht gering. Die Verfassung weist dem Schutz der Jugend einen wichtigen Rang zu. Dies wird schon daraus deutlich, daß eine Reihe von Grundrechten zum Schutze der Jugend ausdrücklich einschränkbar ist (neben Art. 5 Abs. 2 ist der Jugendschutz in Art. 11 Abs. 2 84 Dazu auch H. v. Hartlieb, ZUM 1986, 111 ff. (112); ders., NJW 1985, 830 ff. (833); ders., Handbuch, 10. Kap. Rdnr. 17; P. Weides, NJW 1987,224 ff. (226). 85 Ständ. Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfGE 77, 65 (75); 71, 206 (218); 68, 193 (219); 67, 157 (178); 59, 231 (265).

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

und Art. 13 Abs. 3 als Schranke nonniert).86 Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß das Kind und der Jugendliche sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln können soll, so wie es dem Menschenbild des Grundgesetzes entspricht. Dies folgt aus seiner Menschenwürde und seinem Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit. In diesem Rahmen ist der Staat verpflichtet, positiv die Lebensbedingungen für ein gesundes Aufwachsen von jungen Menschen zu schaffen. 87 Dies gilt auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Gesellschaft vor violenten Persönlichkeiten. Allerdings ist der Schutz dieser Güter durch die gesetzliche Regelung nicht vollkommen, da im Wege der "Ersatzbeschaffung" nicht freigegebene Videokassetten dennoch an Kinder und Jugendliche gelangen können. Dies wird aber nicht der Regelfall sein. Da der Filmkonsum als solcher bei Videokassetten im privaten Bereich stattfindet, sind der Wirksamkeit von Maßnahmen aus der Natur der Sache heraus Grenzen gezogen. Zudem ist zu berücksichtigen, daß Eltern aufgrund des Art. 6 Abs. 2 das Recht haben, ihren Kindern im Rahmen der Erziehung nicht freigegebene Filme zugänglich zu machen. 88 Ein Totalverbot aller jugendgefährdenden Bildträger auch für Erwachsene wäre zu weitgehend und damit verfassungswidrig. Angesichts dessen ist es insgesamt hinnehmbar, daß der gewünschte Erfolg durch den vorliegenden Eingriff nicht restlos erreicht werden kann. Auf der anderen Seite ist die Bedeutung der Filmfreiheit zu beachten. Die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG entfalten einen besonders starken Schutz, wenn die freie öffentliche Meinungsbildung berührt ist. 89 Anderes kann gelten, wenn lediglich das Interesse der Zuschauer nach Sensationen oder oberflächlicher Unterhaltung befriedigt wird. 90 Dieser ratio des Art. 5 bei Konflikten mit anderen Rechtsgütern unterliegt auch die Filmfreiheit, so daß auch ihre Schutzwirkung besonders stark ist, wenn es um freie öffentliche Meinungsbildung geht. Bei Spielfilmen auf Videokassetten wird die Filmfreiheit hingegen weniger zur Infonnation und Meinungsbildung, sondern hauptsächlich zu Unterhaltungszwekken genutzt. Das Interesse der Anbieter, ihre Bildträger an die gesamte Öffent86 Dazu BVerfG, NJW 1986, 1241 (1242) - Werbeverbot für indizierte Videofilme; siehe auch BVerfGE 30, 336 (348) - Sonnenfreunde. Allerdings weist Th. Maunz, in: Festschrift für K. Obermayer 1986, S. 85 ff. (92 f.), darauf hin, daß der Jugendschutz trotz aller Bedeutung nicht wie Art. 5 Abs. 1 "schlechthin konstituierend" für die demokratische Staatsordnung ist. 87 So in anderem Zusammenhang BVerfGE 24, 119 (144 f.); 79, 51 (63); vgl. auch Chr. Ditzen, NJW 1989,2519, die insoweit vom "Menschwerdungsgrundrecht" des Kindes spricht. 88 Siehe dazu eingehender unten S. 242. 89 Vgl. auch Chr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 133. 90 BVerfGE 7, 198 (212) - Lüth; 34, 269 (283) - Soraya; 71, 206 (220) - Wörtl. Veröffentlichung aus Anklageschriften. Siehe auch oben Teil 2, S. 148.

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lichkeit unbegrenzt verbreiten zu dürfen, ist zudem meist ein wirtschaftliches. Dennoch können wie gesehen91 Werke der Unterhaltung durchaus Bedeutung für den Meinungsbildungsprozeß gewinnen. Die fraglichen Beschränkungen behindern jedoch die öffentliche Meinungsbildung als solche kaum, da für Kinder und Jugendliche nicht freigegebene Videokassetten Erwachsenen nach wie vor zugänglich sind. Von seinem Ausmaß her trifft der Eingriff die Anbieter von Videokassetten nicht übermäßig schwer. Denn da die Altersfreigabe differenziert wirkt, werden nicht stets alle Kinder und Jugendlichen insgesamt ausgeschlossen, sondern nur die gefährdeten Altersgruppen. Die mit der Freigabe verbundene Vorprüfung der Filme ist freiwillig. Es bleibt dabei der Entscheidung der Anbieter überlassen, sich dem Freigabeverfahren zu unterziehen oder auf einen Teil des potentiellen Publikums zu verzichten. Die Vorkontrolle bringt für den Anbieter im übrigen Rechtssicherheit. Wird der Film für Altersgruppen unter 18 Jahren freigegeben, so muß aufgrund von § 7 Abs. 5 JÖSchG nicht mehr mit eventuellen nachträglichen Eingriffen wie Indizierungen durch die BPS gerechnet werden. Wirtschaftliche Dispositionen sind dadurch mit weniger Risiken behaftet.92 Eine Rechtsgüterabwägung ergibt hiernach, daß das Interesse des Jugendschutzes überwiegt und die Grundrechtsbeschränkung nicht außer Verhältnis zu dem damit bezweckten Erfolg steht. Die Grenzen der Zumutbarkeit sind insgesamt nicht überschritten. Die Freigaberegelung ist also im Lichte der Filmfreiheit durch die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG gerechtfertigt. ce) Das Zensurverbot

Wie oben gesehen 93 ist bei Grundrechtseingriffen, die ansonsten dem Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG unterfallen, das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG als Schrankenschranke zu beachten. Die Freigaberegelung für Bildträger darf also, selbst wenn sie Ausdruck der Schranken ist, nicht den Zensurbegriff erfüllen, denn Eingriffe in die Rechte des Art. 5 Abs. 1 dürfen nicht im Wege der Zensur erfolgen. Typisches Merkmal des Zensurbegriffs ist laut Bundesverfassungsgericht die Konstruktion des Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt. 94 Da auch die Freigaberegelung derartig konstruiert ist, hält eine Ansicht sie für echte staatliche Zensur und damit für verfassungswidrig. 95 Daß die Freigabelösung dem Schutz der Jugend 91

V gl. oben Teil 2, S. 131 f.

92

H. v. Hartlieb. ZUM 1986, 111 ff. (112).

93

Siehe oben Teil 2, Abschnitt A V (S. 153 ff.).

94 BVerfGE 33, 52 (72) ~ Der lachende Mann; 47, 198 (236) - Wahl werbe spot KPD/ML.

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

dient, ändere an dem Ergebnis nichts, da das Zensurverbot selbst nicht den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt. 96 Überwiegend wird jedoch ein Verstoß gegen das Zensurverbot verneint, wenn auch nicht immer mit zutreffenden Argumenten. So wird vereinzelt die dogmatisch fehlgehende Behauptung aufgestellt, der Jugendschutz könne als Schranke die Zensurfreiheit begrenzen. 97 Des weiteren wird vorgebracht, Kinder und Jugendliche unterlägen wegen ihres mangelnden Reifegrades auch hinsichtlich der Ausübung anderer Grundrechte gewissen Beschränkungen. Darum seien auch beim Betrachten von Bildträgern Einschränkungen für bestimmte Altersgruppen wegen deren Konstitution keine Zensur. 98 Dieses Argument vermengt einerseits Gesichtspunkte der Zensur mit denen der Grundrechtsmündigkeit. 99 Andererseits übersieht es, daß diese Erwägungen allenfalls im Hinblick auf die Informationsfreiheit von Kindern und Jugendlichen angestellt werden können, nicht jedoch im Rahmen der Filmfreiheit der Video-Anbieter. Insoweit ist zu beachten, daß das Zensurverbot nur für denjenigen rechtliche Wirkung entfaltet, der sich aktiv am Kommunikationsprozeß durch Abgabe von Äußerungen beteiligt. Für denjenigen, der sich durch Entgegennahme dieser Äußerungen informieren will, schafft Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG lediglich einen Rechtsreflex.1'lO Eine andere Begründung hebt hervor, daß es sich bei der Filmfreigabe aufgrund 95 D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (111 ff.); ders., ZRP 1984, 127 ff. (129 f.); GernertlStof!ers, Anm. zu § 6 Abs. 1 JÖSchG (S. 87 ff.); A. Rapsch, ZBIJugR 1985, 112 ff. (116); siehe auch R. Steinberg in den Anhörungen während des Gesetzgebungsverfahrens, Stenograph. Bericht über die 24. Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit des Deutschen Bundestages vom 27. Juni 1984, Protokoll Nr. 24, Teil 11, S. 150 f. Verfassungsrechtliche Bedenken äußert auch ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 741. 96 D. Schefold, a.a.O.; R. Steinberg a.a.O. 97 H. v. Hartlieb, ZUM 1986, 111 ff. (113); ähnlich P. Lerche, Stenograph. Bericht über die 24. Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit des Dt. Bundestages vom 27. Juni 1984, Protokoll Nr. 24, Teil 11, S. 106 f. Dagegen jedoch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 284; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 104. 98 H. v. Hartlieb, ZUM 1986, 111 ff. (112); ders., NJW 1985, 830 ff. (833); ders., Handbuch, 10. Kap. Rdnr. 17. 99 Siehe zur Grundrechtsmündigkeit ausführlich I. v. Münch, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Vorbem. zu Art. 1-19 Rdnrn. 11 ff.; ders., Grundbegriffe Bd. 1, Rdnrn. 130 ff.; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 III Rdnrn. 16 ff.; A. Bleckmann, Grundrechte, § 17; U. Fehnemann, Die Innehabung und Wahrnehmung von Grundrechten im Kindesalter, S. 32 ff.; M. Roell, Die Geltung der Grundrechte für Minderjährige, S. 23 ff.; sowie unten S. 239 f. 100 BVerfGE 27, 88 (102) - Der Demokrat; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 301; ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 102; P. Tettinger, JZ 1990,846 ff. (852).

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der Einschaltung der FSK um private Selbstkontrolle und nicht um staatliche Zensur handele. 101 Dagegen ist jedoch einzuwenden, daß maßgebend das in § 7 i.V.m. § 6 JÖSchG statuierte gesetzliche Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ist. Die Freigabeentscheidung der FSK ergeht - abgesehen davon, daß die öffentliche Hand in der FSK maßgeblich beteiligt ist - in Ausübung eines Mandats aufgrund öffentlichen Rechts. Die Jugendfreigabe ist damit Ausdruck öffentlicher Gewalt. 102 Wirksam entkräftet wird der Zensurvorwurf allerdings mit folgenden Erwägungen: Zensur ist nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts lediglich das generelle Verbot, ungeprüfte Filme der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 103 Zensur ist daher nur dann gegeben, wenn ohne Freigabe für einen Film überhaupt keine Möglichkeit bestünde, an die Öffentlichkeit zu gelangen. Die Freigabelösung hingegen beschränkt nur den Zugang von Kindern und Jugendlichen, während er Erwachsenen nach wie vor möglich bleibt. Es handelt sich nicht um ein unter Erlaubnisvorbehalt stehendes Verbot der Veröffentlichung, sondern lediglich um ein Verbot der Abgabe an Jugendliche. Eine solche "partielle"l04 oder "sektorale"105 Vorzensur, die nur einen bestimmten Adressatenkreis und nicht die gesamte Öffentlichkeit ausschließt, unterfällt dem formellen Zensurbegriff des Grundgesetzes nicht. Die öffentliche Meinungsbildung wird durch diese Regelung nicht unterbunden. 106 Zudem ist die Vorprüfung der Bildträger nicht obligatorisch. Filme brauchen überhaupt nicht zur Prüfung eingereicht zu werden, wenn der Wunsch nach Freigabe für Kinder und Jugendliche nicht besteht. 107 Der Anbieter kann selbst entscheiden, ob er die Freigabe beantragen H. v. Hartlieb, Handbuch, 17. Kap. Rdnr. 10. Dazu auch P. Weides, in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. (305 f.); D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (112 f.); A. Rapsch, ZBIJugR 1985, 112 ff. (116). 103 BVerfGE 33, 52 (72) - Der lachende Mann; 47, 198 (236 f.) - Wahlwerbespot KPD/ML. 104 P. Weides, in: Festschrift für Armbruster 1976, S. 301 ff. (304); ders., NJW 1987, 224 ff. (226). 105 GernertlStojfers, Anm. zu § 6 Abs. 1 JÖSchG (S. 88). 106 Vgl. auch P. Weides, in: Festsehr. für Armbruster 1976, S. 301 ff. (303 ff.); ders., NJW 1987,224 ff. (226); H. v. Hartlieb, ZUM 1986, 111 ff. (112 f.); ders., NJW 1985, 830 ff. (833); R. J. Wabnitz, ZBIJugR 1983, 109 ff. (116 f.); H. D. Jarass, in: Jarasstpieroth, Art. 5 Rdnr. 52a; ehr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 289; P. Bär, Filmfreiheit, S. 210; P. Lerche, Stenograph. Bericht über die 24. Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit des Dt. Bundestages vom 27. Juni 1984, Protokoll Nr. 24, Teil 11, S. 106, 164; siehe auchJ. Noltenius, Freiwillige Selbstkontrolle, S. 135. 107 BVerfG, EuGRZ 1992,614 (619) - "Tanz der Teufel"; R. Greger, NStZ 1986, 8 ff. (13); H. v. Hartlieb, NJW 1985,830 ff. (833); ders., Handbuch, 10. Kap. Rdnr. 17. Daß alle Mitglieder der SPIO sich verpflichtet haben, ihre Filme der FSK vorzulegen, ist eine rein zivilrechtliche, keine hoheitliche Verpflichtung. Dies gesteht auch D. Schefold, ZRP 1984, 130 zu, ohne jedoch verfassungsrechtlich die Konsequenzen zu ziehen. 101

102

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

oder die Beschränkungen für nicht freigegebene Bildträger in Kauf nehmen will. Diese eigene Entscheidung ist einer Zensur aber gerade wesensfremd. 108 Bedenken hinsichtlich einer Zensur können sich allenfalls aus dem Umstand ergeben, daß Filmfreigaben zuweilen unter Schnittauflagen ergehen. Geschnittene Sequenzen sind auch Erwachsenen nicht mehr zugänglich. Eine öffentliche Auseinandersetzung mit diesen Szenen wird gänzlich unterbunden. Wie oben gesehen,l09 sind Schnittauflagen jedoch entgegen ihrer Bezeichnung Bedingungen der Freigabe für eine bestimmte Altersstufe. Ohne Ausführung der Schnitte wird der Film nur für eine höhere Altersstufe bzw. gar nicht für Jugendliche freigegeben. Ob die Schnitte durchgeführt werden, bleibt wiederum der Entscheidung des Filmanbieters überlassen. Daher stellt auch dies keine Zensur im Sinne des Grundgesetzes dar. 110 Die Freigabelösung verstößt also nicht gegen das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG. dd) Ergebnis Die Freigabelösung für Videokassetten und sonstige Bildträger des § 7 LV.m. § 6 JÖSchG tangiert den Schutzbereich der Filmfreiheit, ist jedoch Ausdruck der Schranken zum Schutze der Jugend gemäß Art. 5 Abs. 2 und stellt keine verbotene Zensur im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG dar. Die Regelung verletzt das Grundrecht der Filmfreiheit daher nicht. b) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit Das Abgabeverbot trifft neben der Filmfreiheit auch die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Betreiber von Videoverleih- und -verkaufs stellen. Deren freie berufliche Betätigung wird durch diese Regelung eingeschränkt. Das Verbot und die Kennzeichnungspflicht für freigegebene Kassetten haben insoweit berufsregelnden Charakter. Sie gelten gemäß § 12 Abs. 1 JÖSchG speziell für Gewerbetreibende und Veranstalter und zielen damit gerade auf eine Berufsregelung ab. Bei diesen Vorschriften handelt es sich um reine Berufsausübungsregelungen im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 2. Solche Regelungen sind zulässig, wenn sachgerechte Erwägungen des Gemeinwohls sie zweckmäßig erscheinen lassen und sie keine unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen darstellen. II I Aus den oben im Rahmen des Art. 5 angestellten Erwägungen 112 ergibt sich, 108

Siehe oben Teil 2 Abschnitt A V (S. 155).

109 Siehe oben S. 216 Fußn. 27. 110

Vgl. auch P. Bär, Filmfreiheit, S. 210 Fußn. 75.

111 Vgl. BVerfGE 76, 196 (207); 71, 162 (173); 68, 155 (171); 68, 272 (282); 61, 291 (312); 30, 336 (351); 7, 377 (405 f.).

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daß im Ergebnis auch die Berufsfreiheit über den Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 durch die Freigabelösung wirksam eingeschränkt wird. Das Ziel des Gesetzgebers, junge Menschen vor jugendgefährdenden Bildträgern zu schützen, liegt in allgemeinem Interesse. Aus dem Fehlen gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Auswirkungen jugendgefährdender Medien auf Minderjährige folgt nicht das Fehlen jeglichen Risikos schädlicher Folgen. Gerade wenn es darum geht, Gefahrenlagen und Risiken einzuschätzen und darauf zu reagieren, kommt dem Gesetzgeber eine gewisse Beurteilungs- und Handlungsfreiheit zu. 113 Die Regelung ist durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Sie ist zur Verwirklichung des Jugendschutzes geeignet und erforderlich und wahrt die Grenzen der Zumutbarkeit für die in ihrer Berufstätigkeit Betroffenen. Deren wirtschaftliches Interesse an ungehinderten Vertriebsmöglichkeiten für Videokassetten muß, soweit dadurch Beeinträchtigungen für junge Menschen entstehen können, hinter den Gesichtspunkten des Jugendschutzes zurückstehen. Art. 12 begründet keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Vorhaltung des bestmöglichen Marktes. Da das Zugangsverbot nach Altersgruppen differenziert, entsteht dadurch insgesamt keine übermäßige Beeinträchtigung. Daneben ist auch zu berücksichtigen, daß die Auferlegung gesetzlicher Pflichten zum Schutz der Jugend die betroffenen Gewerbetreibenden möglicherweise vor öffentlicher Diskreditierung und pauschaler Verurteilung bewahren kann, da unter Bezugnahme auf einzelne schwarze Schafe nun nicht mehr ohne weiteres der gesamte Berufsstand in Zweifel gezogen werden kann. Dadurch hätte die Regelung nicht ausschließlich belastende Wirkung, sondern verbesserte zugleich das öffentliche Ansehen der Betroffenen. 114 Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG liegt im Ergebnis nicht vor. c) Vereinbarkeit mit der Freiheit des Eigentums Art. 14 Abs. 1 GG könnte unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in die Nutzung und Verwertung des erworbenen Filmbestandes berührt sein. Wenn Videokassetten bestimmten Altersgruppen nicht zugänglich gemacht werden können, liegt darin für die Inhaber der Auswertungsrechte eine Beschränkung der freien Verwertbarkeit. Allerdings gewährleistet Art. 14 nicht jede nur denkbare Verwertungsmöglich112

113

Siehe oben Abschnitt a) bb) (S. 223 ff.). BVerfG, NJW 1986, 1241 (1242) - Werbeverbot für indizierte Videofilme.

So R. Scholz während des Gesetzgebungsverfahrens im Bundesrat, siehe Anlage 3 zur 546. Sitzung des BRats vom 7. 2. 1985, Verhandl. des Bundesrates 1985, Stenograph. Berichte S. 42. 114

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

keit, sondern nur eine der Natur und der sozialen Bedeutung des Rechts entsprechende angemessene Verwertung. l1S Zudem sind die Gewerbetreibenden durch die gesetzliche Regelung weniger als Eigentümer eines Unternehmens, sondern in erster Linie in der Ausübung ihres Berufes getroffen. Der Eingriff berührt schwerpunktmäßig die Freiheit der individuellen Erwerbstätigkeit. Er ist damit tätigkeitsbezogen und nicht objektbezogen. Damit findet Art. 14 hier neben Art. 12 keine Anwendung mehr. 116 d) Vereinbarkeit mit der Kunstfreiheit

aa) Die Verletzung des Schutzbereichs Als weiteres durch die Freigabelösung tangiertes Grundrecht kommt die Freiheit der Kunst gemäß Art. 5 Abs. 3 GG in Betracht, da Filme wie erwähnt unter Zugrundelegung eines weiten Kunstverständnisses und nach Maßgabe der oben entwickelten Kriterien Kunstwerke sein können. 117 Die Verbreitung auf Videokassetten oder sonstigen Bildträgern ändert an der Kunsteigenschaft der Werke nichts. Die Kunstqualität eines Films ist zwar Frage des Einzelfalles. Insoweit jedoch Kunstwerke vorliegen, wirken die gesetzlichen Regelungen der §§ 6,7 JÖSchG in den Bereich der Kunst hinein. Einen Kunstvorbehalt enthalten die Vorschriften nicht. Die Anbieter von Videokassetten, die die Verbreitung an die Videonutzer übernehmen, sind als Vermittler zwischen Kunstwerk und Publikum Träger der Kunstfreiheit. Das Verbot, Filmkunst auf Videokassetten Kindern und Jugendlichen ohne Freigabe zugänglich zu machen, berührt unmittelbar den Wirkbereich der Kunst. Denn dadurch wird die Verbreitung des Kunstwerks, der Vermittlungsprozeß zwischen Film und Publikum tangiert. Ein Teil des Publikums, nämlich Kinder und Jugendliche, wird von der Begegnung mit dem Film ausgeschlossen. Neben dem Eingriff in den Wirkbereich strahlt die Freigabelösung auch auf den Werkbereich der Kunst aus. Art. 5 Abs. 3 GG soll gewährleisten, daß der künstlerische Schaffensprozeß sich frei entfalten kann, daß die auf der Eigengesetzlichkeit der Kunst beruhenden, allein von ästhetischen Rücksichten bestimmten Prozesse und Entscheidungen von jeglicher Ingerenz öffentlicher Gewalt 115 BVerfGE 31, 229 (240 f.) - Urhebervergütungsfreiheit für Schulbücher; BVerfG, NJW 1988, 1371 f. (1372); BVerfGE 81, 12 (17); 81, 208 (220). 116 Vgl. demgegenüber aber BGH, NJW 1964,769 f. - Miirchenfilme. Dort ging es darum, daß das Verbot der Vorführung von Kinofilmen vor Kindern unter 6 Jahren ein Unternehmen traf, das die Auswertung von Filmen für eben diese Zielgruppe betrieb. Hier sah der BGH die Nutzung und Verwertung des Filmbestandes berührt und prüfte dies an Hand von Art. 14, verneinte aber die Verletzung einer als Eigentum geschützten Rechtsposition. Siehe dazu auch unten Abschnitt B II13 a cc) (S. 300 f.). 117 Vgl. oben Teil 2, Abschnitt B 14 (S. 171 ff.).

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freigehalten werden. 118 Der künstlerische Schaffensprozeß wird durch die gesetzliche Regelung jedoch mit Erwägungen belastet, die der Kunst apriori fremd sind, wenn etwa mit Blick auf eine erstrebte Jugendfreigabe bei der Herstellung eines Films inhaltliche Zugeständnisse gemacht werden. bb) Der Jugendschutz als verfassungsimmanente Schranke Die Freiheit der Kunst ist im Rahmen der verfassungsimmanenten Schranken einschränkbar durch kollidierende Grundrechte Dritter oder sonstige mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte. Wie oben im zweiten Teil dieser Arbeit bereits dargelegt/ 19 ist ein solcher Rechtswert auch der Schutz der Jugend. Der mit der Kunstfreiheit kollidierende Verfassungswert muß seinerseits im Lichte des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 ausgelegt werden, damit ein angemessener Ausgleich der widerstreitenden verfassungsrechtlich geschützten Interessen gefunden werden kann. 120 Auch hier sind also Verhältnismäßigkeitserwägungen anzustellen. Auch Kunsterzeugnisse können - selbst bei werkgerechter Interpretation negative Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen haben. Eignung und Erforderlichkeit der Freigaberegelung für den Schutz der Jugend sind bereits im Rahmen der Schranken der Filmfreiheit bejaht worden. 121 Dieses Ergebnis behält auch hier seine Gültigkeit. Die Güterabwägung zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz im Lichte des Art. 5 Abs. 3 GG hat nach Maßgabe folgender Grundsätze zu erfolgen: Die Freiheit der Kunst ist als vorbehaltlos gewährleistete Verbürgung ein Grundrecht von hohem Rang. Da ein Gesetzesvorbehalt wie jener in Art. 5 Abs. 2 ihr nicht beigefügt wurde, soll sie auch nicht in gleichem Maße durch Gesetze zum Schutz der Jugend beschränkbar sein wie die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1. Die Kunstfreiheit ist nach den Wertvorstellungen der Verfassung jedoch in erster Linie um des künstlerischen Schaffensprozesses willen gewährleistet. Die Vermittlung des Kunstwerkes hat demgegenüber dienende Funktion. Die Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 3 GG ist um so stärker, je mehr der Bereich des Kunstschaffens und damit der Kern der Kunstfreiheit tangiert ist. Die eigentliche Kunstschöpfung ist zudem naturgemäß meist weniger geeignet, die Rechte Dritter oder sonstige bedeutende Rechtsgüter zu beeinträchtigen als die Vermittlung des Kunstwerks, die zwangsläufig Außenwirkung beansprucht. Von daher können Einschränkungen der Kunstfreiheit in letzterem Bereich leichter gerechtfertigt 118 BVerfGE 30, 173 (190) - Mephisto; BVerwGE 39, 197 (208) - Die Sünden der Söhne. 119 Siehe dazu oben Teil 2, S. 184 f. 120 BVerfGE 77, 240 (253) - Hermburger Bericht; 75, 369 (380) - SchweinchenKarikatur. 121 Siehe oben S. 224 ff.

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

werden. Insofern wird an dieser Stelle relevant, in welchem Grad der Werkoder der Wirkbereich der Kunst betroffen ist. Gegenüber Eingriffen in den Werkbereich hat die Freiheit der Kunst nur zurückzutreten, wenn die Beeinträchtigung der kollidierenden Verfassungswerte durch die Kunstausübung schwerwiegend ist. Geringfügige Beeinträchtigungen oder die bloße Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung reichen dazu angesichts der Bedeutung der Kunstfreiheit nicht aus. 122 Diese Formel wurde vom Bundesverfassungsgericht zum Spannungsverhältnis zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht bei Beleidigungen aufgestellt, sie hat darüberhinausgehend jedoch allgemeine Bedeutung. 123 Bei der Gewichtung der verfassungsrechtlich geschützten Belange muß somit die Außenwirkung der Grundrechtsausübung und die Stärke ihres Kunstbezuges berücksichtigt werden. 124 Für den Jugendschutz auf der anderen Seite gilt, daß er sich im Rahmen seines Verfassungsauftrages aus Art. 6 und Art. I Abs. I GG halten muß, den er nicht überschreiten darf. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn Jugendschutzmaßnahmen auch Erwachsenen gegenüber unverhältnismäßige Beschränkungen bringen. 125 Da zudem ein Kunstwerk nur durch seine Verbreitung zur Gefahr für die Jugend werden kann, rechtfertigt der Schutz der Jugend nur Eingriffe in den Bereich der Vermittlung von Kunst und grundSätzlich nicht in den Schaffensprozeß. Nur wo Werk- und Wirkbereich untrennbar zusammenfallen, darf auch die Kunstschöpfung beschränkt werden. 126 Die vorliegende Regelung betrifft im wesentlichen nur die Verbreitung von und damit die Grundrechtsausübung mit der meisten Außenwirkung. Dem steht ein nur geringer Kunstbezug gegenüber, denn die Tätigkeit der Verbreitung auf Videokassetten ist deutlich vom filmischen Schaffensprozeß als solchem getrennt. Soweit Erwägungen des Jugendschutzes auch auf den Schaffensprozeß durchschlagen, so liegen darin nur sehr geringfügige Beeinträchtigungen. Der Kunstschaffende bleibt letztlich frei, das ihm wichtig Erscheinende jederzeit zu verwirklichen. Zudem schließt der Eingriff Erwachsene Kunsterzeugni~sen

122 BVerfGE 67, 213 (228) - Anachronistischer Zug; 75, 369 (380) - SchweinchenKarikatur; VGH Mannheim, NJW 1989, 1299 (1301) - Straßenkunst; LG Stuttgart, ZUM 1989,365 (369) - Opus Pistorum; ähnlich BVerwGE 77,75 (82 f.) - Der stählerne Traum; siehe auch J. Würkner, NJW 1989, 1266 f. (1267). 123 So überträgt das Bundesverwaltungsgericht diese Formel der Sache nach auf den Jugendschutz, vgl. BVerwGE 77,75 (82 f.) - Der stählerne Traum. Siehe dazu auch D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (110). 124 Vgl. BVerfGE 77, 240 (253 ff.) - Hermburger Bericht; VGH Mannheim, NJW 1989,1299 (1300 f.) - Straßenkunst. 125 R. Scholz, in: Maunz!Dürig, Art. 5 III Rdnr. 70; A. Rapsch, ZBlJugR 1985, 112 ff. (116); Chr. Starck, M!K/S, Art. 5 III, Rdnr. 216. 126 R. Scholz, in: Maunz!Dürig, Art. 5 III Rdnr. 70; Chr. Starck, M/KIS, Art. 5 III, Rdnr. 215; F. Müller, JZ 1970,87 ff. (91); A. Rapsch, ZBlJugR 1985, I 12ff. (116).

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von der Begegnung mit den Kunstwerken nicht aus. Der Rahmen, der dem Jugendschutz gegenüber der Kunst gezogen ist, wird nicht überschritten. Im übrigen sind durch die Altersabstufung bei der Filmfreigabe auch nicht stets alle Kinder und Jugendlichen insgesamt ausgeschlossen, sondern nur die jeweils gefährdeten Altersgruppen. Der Eingriff in den Wirkbereich der Kunst ist daher im Ergebnis schonend und wiegt nicht schwer. Angesichts der negativen Einflüsse jugendgefährdender Filme auf minderjährige Betrachter ist der Eingriff aus Gründen des Jugendschutzes gerechtfertigt. 127 Die Freigaberegelung ist somit Ausdruck der Schranken des Art. 5 Abs. 3 GG. ce) Ergebnis

Das Freigabeerfordernis tangiert zwar den Schutzbereich der Kunstfreiheit, ist jedoch durch die verfassungsimmanenten Schranken des Art. 5 Abs. 3 GG gerechtfertigt. Die Freiheit der Kunst wird durch die Regelung der §§ 6,7 JÖSchG nicht verletzt. e) Vereinbarkeit mit der Informationsfreiheit der ausgeschlossenen Jugendlichen Das Zugänglichkeitsverbot wirkt sich auch auf seiten der Rezipienten aus und berührt hier die Informationsfreiheit der vom Filmkonsum ausgeschlossenen Minderjährigen. Grundrechtsträger der Informationsfreiheit sind auch Kinder und Jugendliche. Die Grundrechtsfähigkeit natürlicher Personen kennt keine Graduierungen nach Altersstufen. 128 Die Frage nach Altersgrenzen stellt sich lediglich im Rahmen der Grundrechtsmündigkeit, d.h. der Fähigkeit des Grundrechtsträgers, das Grundrecht selbständig auszuüben. 129 Die Grundrechtsmündigkeit ist zu beachten bei der Geltendmachung von Grundrechten im Rahmen 127 Gleicher Ansicht auch ehr. Starck, MOOS, Art. 5 III, Rdnr. 216 sowie R. Schalz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 70 zur gleichgelagerten Problematik der Jugendfreigabe von Kinofilmen zur öffentlichen Vorführung. Siehe dazu auch F. Müller, JZ 1970, 87 ff. (91), für den jedoch schon der Schutzbereich nicht verletzt ist. Andere AnsichtH. Leanardy, NJW 1967, 714 ff. (715), der das Anwesenheitsverbot für Jugendliche im Filmtheater (seinerzeit § 6 Abs. 3 JÖSchG a.F.) mangels Kunstvorbehaltes für verfassungswidrig hält. Allerdings will auch er nicht gänzlich auf Jugendschutz verzichten, sondern will ihn lediglich "entstaatlichen" und auf Elternschaft und Filmwirtschaft bzw. deren freiwilliger Selbstkontrolle verlagern. 128 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 III Rdnr. 13; M. Raell, Die Geltung der Grundrechte für Minderjährige, S. 15 f., 22. 129 ~iehe zur Grundrechtsmündigkeit ausführlich I. v. Münch, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Vorbem. zu Art. 1-19 Rdnrn. 11 ff.; ders., Grundbegriffe Bd. 1, Rdnrn. 130 ff.; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 III Rdnrn. 16 ff.; U. Fehnemann, Die Innehabung und Wahrnehmung von Grundrechten im Kindesalter, S. 32 ff.; M. Raell,

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

einer Verfassungsbeschwerde sowie im Verhältnis der Grundrechte der Kinder und dem elterlichen Erziehungsrecht. Im unmittelbaren Verhältnis des Minderjährigen zur öffentlichen Gewalt gibt es jedoch keine Abstufungen der staatlichen Grundrechtsbindung nach dem Alter des Betroffenen. 130 Staatliche Maßnahmen, die in den Kommunikationsprozeß eingreifen, sind auch dann an der Informationsfreiheit zu messen, wenn sie nur Minderjährige treffen. Die Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. I Satz I GG schützt das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Zur Verbreitung an die Allgemeinheit bestimmte Videokassetten sind allgemein zugängliche Quellen in diesem Sinne und zwar unabhängig von staatlicher Freigabe.!31 Allerdings richtet sich das Verbot des Zugänglichmachens nicht an die Jugendlichen selbst, sondern an Gewerbetreibende und sonstige Erwachsene. Den Kindern und Jugendlichen werden keine Pflichten auferlegt, sie handeln auch nicht ordnungswidrig bei Verstößen. Dennoch sind sie durch die tatsächlichen Auswirkungen dieser Regelung unmittelbar betroffen. Da das Zugänglichkeitsverbot das Recht der ausgeschlossenen Altersgruppen auf ungehinderte Unterrichtung beschneidet, liegt ein Eingriff in den Schutzbereich der Informationsfreiheit vor. Die Schranken des Grundrechts sind die gleichen wie bei der Filmfreiheit. Danach ist die Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 2 GG einschränkbar durch gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend. An dieser Stelle ergibt sich allerdings die Besonderheit, daß nicht ein Grundrecht anderer zum Schutze der Jugend eingeschränkt wird, weil der Jugendschutz durch die Grundrechtsbetätigung der anderen gefährdet wird, sondern hier wird das Grundrecht der Jugendlichen selbst zu ihrem eigenen Schutz und in ihrem eigenen "wohlverstandenen Interesse" beschränkt. Diese Problematik wird auch mit dem Schlagwort "Grundrechtsschutz gegen sich selbst" bezeichnet. 132 In derartigen Konfliktfällen sind Eingriffe im allgemeinen unter drei Gesichtspunkten zulässig: Wenn das Verhalten des Grundrechtsträgers nicht auf seine persönliche Sphäre beschränkt bleibt, sondern dadurch Rechte anderer verletzt werden, dann dient der Eingriff nicht mehr allein dem Selbstschutz und kann zum Schutz Dritter gerechtfertigt sein. Wenn dem Verhalten zum anderen keine eigene wirklich freie Entscheidung des Grundrechtsträgers zugrunde liegt, kann er sich nicht auf sein grundsätzlich anzuerkennendes Selbstbestimmungsrecht berufen. Im übrigen Die Geltung der Grundrechte für Minderjährige, S. 23 ff. Ablehnend: K. H. Hohm, NJW 1986,3107 ff. (3108 ff.); dagegen aber J. Martens, NJW 1987,2561 f. 130 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 III Rdnr. 18; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnm. 152 f.; K. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 285. Vgl. auch BVerfGE 47, 46 (74) Sexualkundeunterricht; sowie in anderem Zusammenhang BVerfGE 24, 119 (144); 79, 51 (63). !3l Siehe oben Teil 2, S. 207. m Vgl. dazu ausführlich!. v. Münch, in: Festschrift für H. P. Ipsen 1977, S. 113 ff.

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hat dieses Recht dort seine Grenzen, wo dem Handelnden endgültige, nicht reparable Schäden entstehen. I33 An einer wirklich freien Selbstentscheidung, die die Tragweite eigenen Verhaltens in allen Konsequenzen abschätzen kann, fehlt es unter anderem dann, wenn die Grundrechtsträger Kinder und Jugendliche sind. Diese befinden sich noch im Prozeß der Heranreifung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft. In dieser Entwicklung verdienen sie Schutz auch gegen ihren Willen, insbesondere wenn es um ein Verhalten geht, das eben diese Entwicklung nachteilig beeinflussen könnte. 134 Hinzu kommt, daß Fehlentwicklungen von Kindern und Jugendlichen, die zur Herausbildung von violenten Persönlichkeiten führen, nicht auf deren eigene Sphäre beschränkt bleiben, sondern auch Belange der Allgemeinheit berühren. 135 Vandalismus, Gewalttaten gegen Personen und daraus erwachsende Folgelasten für das staatliche Gemeinwesen sind insoweit mögliche "Außenwirkungen". Im übrigen läßt sich zur Entscheidung der vorliegenden Konfliktlage auch Art. 5 unmittelbar heranziehen: Wenn die Informationsfreiheit ausdrücklich der Schranke des Jugendschutzes unterstellt ist, so gilt dies auch für die Informationsfreiheit der Jugendlichen selbst, die damit Beschränkungen in deren eigenen Interesse unterworfen sein kann. Die einschränkende Regelung ist wie dargelegt 136 geeignet und erforderlich, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Auch die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist gewahrt. Da die Funktion der Informationsfreiheit hier weniger auf öffentliche Meinungsbildung als auf Unterhaltung gerichtet ist, entfaltet das Grundrecht gegenüber Eingriffen keine höhere Schutzwirkung. Zwar zielt die Regelung darauf ab, junge Menschen von gewünschten Informationen in der Öffentlichkeit gänzlich auszuschließen. Dies ist jedoch kein totales Verwehren und damit möglicherweise ein besonders schwerer Eingriff, sondern ein "Vertrösten auf später", da dem Betroffenen das Begehrte dann zugänglich wird, wenn er die Altersstufe erreicht, für die der Bildträger freigegeben ist. Dies ist durch Gesichtspunkte des Jugendschutzes gerechtfertigt. Die Informationsfreiheit ist daher nicht verletzt.

I33 I. v. Münch, in: Festschrift für H. P. Ipsen 1977, S. 113 ff. (127 f.); auch BVerwG, NJW 1989,2960 f. Siehe zu dieser Problematik auch in anderem Zusammenhang unten S. 369 f. 134 Vgl. ehr. Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 122 ff. 135 In dieser Hinsicht ist dem Gesichtspunkt von K. Rolinski, ZUM 1986, 120 f. (121) zuzustimmen, daß Jugendschutz im übrigen auch Schutz der (restlichen) Gesellschaft ist. 136 Siehe oben S. 224 ff. 16 Meirowitz

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

f) Vereinbarkeit mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG

Gemäß Art. 6 Abs. 2 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern. Die Eltern können danach frei von staatlichen Einflüssen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. Diese Freiheit wird allerdings nicht als persönliches Selbstbestimmungsrecht der Eltern, sondern im Interesse des Kindes gewährt. Das Elternrecht ist damit Grundrecht und Grundpflicht zugleich. Es ist ein dienendes Grundrecht, eine im echten Sinne anvertraute treuhänderische Freiheit. 137 Im Verhältnis der Eltern zum Staat wirkt es als Abwehrrecht, in das der Staat nur im Rahmen seines Wächteramtes gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 eingreifen darf. 138 Zum Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung der Kinder gehört die Bestimmung des Erziehungsziels und der Erziehungsmiuel. Grenzen bestehen aus dem Gedanken der Pflichtgebundenheit dieses Rechts insofern, als die Erziehung dem Wohle des Kindes zu dienen hat. 139 In diesem Rahmen dürfen Eltern den Schutzraum des staatlichen Jugendmedienschutzes modifizieren und aus der Kenntnis der individuellen Entwicklung ihres Kindes heraus selbst entscheiden, welche filmischen Inhalte ihm zu welcher Zeit zur Auseinandersetzung angeboten werden können. Der Verfassung nach haben Eltern also das Recht, ihren Kindern Filme und Bildträger zugänglich zu machen, die staatlicherseits nicht für sie freigegeben sind. 140 Dieses Recht wird durch die Regelung des JÖSchG jedoch nicht beschränkt. § 12 Abs. 2 Satz 2 JÖSchG enthält einen Ausnahmevorbehalt für die Eltern, die beim Zugänglichmachen gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 1 JÖSchG nicht ordnungswidrig handeln. 141 Ein Eingriff in das Elternrecht liegt daher nicht vor.

137 BVerfGE 64, 180 (189); 59, 360 (376 f.) - Bremisches Schulverwaltungsgesetz; 56,363 (3810; 24,119 (143). 138 BVerfGE 56,363 (382); 24, 119 (138); 7, 320 (323); 4, 52 (54); E. M. v. Münch, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Art. 6 Rdnr. 25. 139 E. M. v. Münch, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. I, Art. 6 Rdnr. 27; H. Peters, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte Bd. IV/I, S. 369 ff. (382); B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 6 Rdnr. 20. 140 Vgl. BVerfGE 83, 130 (140) - Josefine Mutzenbacher, im Hinblick auf Schriften im Sinne von § 6 GjS. Ähnlich BVerfGE 7, 320 (322 ff.) hinsichtlich des Rechts der Eltern, ihren Kindern Schriften zugänglich zu machen, die "durch Bild für Nacktkultur werben"; vgl. auch B. Schraut, Film und Recht 1984,416 ff. (419); D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (102). 141 Vgl. dazu Rainer Scholz, Jugendschutz, § 2 JÖSchG, Anm. 2 a).

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g) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Die Freigabelösung des JÖSchG könnte als Ungleichbehandlung von Videokassetten und sonstigen Bildträgern gegenüber Büchern und Schriften gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, da es für Schriften und Bücher ein präventives Jugendverbot mit Freigabevorbehalt nicht gibt. Wie oben dargelegt 142 bestehen zwischen der bespielten Videokassette und dem Buch viele tatsächliche Gemeinsamkeiten. Bei bei den handelt es sich um verkörperte Massenvervielfältigungsstücke mit geistigem Sinngehalt, die zur Verbreitung bestimmt sind. In verschiedenen Regelungen werden Videokassetten und sonstige Bildträger demgemäß Büchern und Schriften rechtlich gleichgestellt: So werden Bildträger in einigen Landespressegesetzen ausdrücklich in die Legaldefinition des Druckwerkbegriffs einbezogen 143 und in § 11 Abs. 3 StGB sowie in § 1 Abs. 3 GjS den Schriften gleichgestellt. Die Beschränkungen des GjS und der §§ 131, 184 StGB gelten dementsprechend für Biloträger und Schriften in gleicher Weise. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG stellt das Gebot auf, tatbestandlich Gleiches rechtlich gleich zu behandeln. l44 Das Bundesverfassungsgericht verwendet in ständiger Rechtsprechung die Formel vom Gebot, "weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln".145 Diese Pflichten treffen auch den Gesetzgeber. Der Gleichheitsgrundsatz ist verletzt bei Ungleichbehandlungen ohne sachgerechten Grund. Letzterer beurteilt sich nach Gesichtspunkten, die sich aus der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ergeben. 146 Der Gesetzgeber hat hier jedoch einen weiten Ermessens- und Gestaltungsspielraum. Dieser ist erst überschritten, wenn für die Regelung sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr erkennbar sind. 147 In neuerer Rechtsprechung wird auch darauf abgestellt, ob Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. 148 Vorliegend ergibt sich ein sachgerechter Grund für die unterschiedliche Be142 Siehe oben Teil 2, Abschnitt A 11 3 c) (S. 110 f.). 143 Siehe oben Teil 2, Abschnitt A 11 3 a) (S. 103). 144 I. v. Münch, Grundbegriffe Bd. 1, Rdnr. 405. 145 Siehe etwa BVerfGE 49, 148 (165); 47,109 (124) - PAM-Kinos; 4, 144 (155). 146 BVerfGE 80, 109 (118); 75, 108 (157); 52, 264 (273); Chr. Gusy, NJW 1988, 2505 ff. (2507). 147 BVerfGE 66, 84 (95); 64, 158 (168 f.); 47, 109 (124 f.) - PAM-Kinos; 38, 154 (166) m.w.N.; Chr. Gusy, NJW 1988,2505 ff. (2507 f.). 148 BVerfGE 82, 60 (86); 55, 72 (88). 16·

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

handlung von Büchern und Videokassetten aus Erwägungen des Jugendschutzes. Wie oben gesehen 149 bestehen zwischen Büchern und Bildträgern nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch wesentliche Unterschiede. Das audiovisuelle Element, die Einheit von Bewegtbild und Ton ist dem Buch und der Schrift wesensfremd. Dies begründete stärkere Ähnlichkeiten zum Film als zum Buch, dies verursacht auch eine ganz andere Intensität der Wirkung auf den Rezipienten mit der Möglichkeit größerer Gefahren für den Jugendschutz. Audiovisuelle Darstellungen können wesentlich eindringlicher ausfallen als entsprechende Druckerzeugnisse. Zudem setzen sie zu ihrer Rezeption weit weniger persönliche Vorbildung beim jungen Betrachter voraus als Bücher und Schriften, können also viel früher zur Gefahr werden als entsprechende literarische Werke. Dies rechtfertigt die unterschiedliche Behandlung von Büchern und Videokassetten. Der Gleichheitssatz ist daher nicht verletzt. h) Ergebnis Damit läßt sich als Zwischenergebnis festhalten, daß das gesetzliche Verbot des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 JÖSchG, bespielte Videokassetten und vergleichbare Bildträger Kindern und Jugendlichen ohne vorherige Freigabe zugänglich zu machen, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. 2. Die Vertriebsbeschränkungen des § 7 Abs. 3 Nr. 2 JÖSchG § 7 Abs. 3 Nr. 2 JÖSchG verbietet für Bildträger, die nicht oder mit "nicht freigegeben unter achtzehn Jahren" gekennzeichnet sind, den Vertrieb im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, den Vertrieb in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, sowie den Vertrieb im Versandhandel. Diese Verbote sind inhaltsgleich mit den Vertriebsverboten des § 4 Abs. 1 Nr. 1-3 GjS für jugendgefährdende Schriften und des § 184 Abs. 1 Nr. 3 StGB für Pornographie. Im Unterschied zum Abgabeverbot an Kinder und Jugendliche beschränken sich diese Maßnahmen in ihrer Verbotswirkung nicht auf Minderjährige, sondern sie schließen auch Erwachsene vom Bezug betroffener Bildträger auf den genannten Vertriebswegen aus.

a) Vereinbarkeit mit der Filmfreiheit aa) Der Eingriff in den Schutzbereich

Die Filmfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG urnfaßt die Freiheit der Verbreitung der Filmwerke. Durch ein Verbot bestimmter Vertriebswege werden die Verbrei149

Vgl. oben Teil 2, Abschnitt A II 3 c) (S. 111 f.).

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tungsmöglichkeiten für Videokassetten und sonstige Bildträger beeinträchtigt. Dadurch wird die freie und ungehinderte Verbreitung von Filmen tangiert. Da diese Beschränkungen nur aufgrund des Inhalts der Bildträger bestehen, ist ein Bezug zur Filmfreiheit gegeben. 150 Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist durch die Vertriebsverbote berührt. 151 bb) Die Schranken des Jugendschutzes gem. Art. 5 Abs. 2 GG

Die Filmfreiheit ist nach Art. 5 Abs. 2 GG beschränkbar durch Gesetze zum Schutze der Jugend. Die vorliegenden Vertriebsverbote sind jedoch absolute Verbote, die nicht allein Jugendlichen gegenüber wirksam werden, sondern die auch den Vertrieb an Erwachsene einschränken. Insoweit ist fraglich, ob die Vertriebsverbote noch dem Gesetzesvorbehalt zum Schutze der Jugend unterfallen. Seine Regelungsbefugnis im Bereich des Jugendschutzes würde der Gesetzgeber überschreiten, wenn die Regelung zur Folge hätte, daß auch Erwachsene völlig vom Bezug nicht freigegebener Bildträger ausgeschlossen werden. 152 Eine solche Situation liegt hier nicht vor. Erwachsenen verbleibt noch auf andere Weise - insbesondere über den Ladenhandel- genügend Zugang zu den betreffenden Medien. Das gesetzgeberische Ziel der Vertriebsverbote liegt im Schutz der Jugend. Das Verbot des Vertriebs von Bildträgem im ambulanten Handel sowie in Kiosken und ähnlichen Verkaufsstellen bezweckt, den Vertrieb in der Öffentlichkeit unter freiem Himmel und damit unter den Augen von Kindern und Jugendlichen zu unterbinden. 153 Zudem soll sich der Handel nicht "im Vorbeigehen" vollziehen, da dies für junge Menschen einen Anreiz bilden könnte, an nicht freigegebene Bildträger zu gelangen, weil die Zugangsschwelle des geschlossenen Ladenlokals entfällt. 154 Das Verbot des Vertriebs im Versandhandel trägt der Tatsache Rechnung, daß hier ein persönlicher Kontakt, bei dem man sich von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht, fehlt. 155 Aufgrund der daraus resultierenden UnperDazu oben Teil 2, Abschnitt A 116 (S. 143). Vgl. in anderer Sache BVerfGE 30, 336 (347) - Sonnenfreunde: Hier stellte das Bundesverfassungsgericht für das inhaltsgleiche Versandhandelsverbot für jugendgefährdende Schriften gern. § 4 Abs. 1 Nr. 3 GjS fest, dies berühre den in Art. 5 Abs. 1 GG grundrechtlich geregelten Lebensbereich. 152 BVerfGE 30, 336 (348) - Sonnenfreunde; vgl. auch OVG Saarlouis, DVBI 1962, 346 (347). 153 Vgl. R. Stefen zum inhaltsgleichen Verbot des § 4 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 GjS in den Erl. zum GjS in: Das Dt. Bundesrecht, Teil VG 50, S. 21; sowie E. Uschold. NJW 1976, 2249. 154 Vgl. GernertIStoffers,Anrn. zu § 7 Abs. 3 JÖSchG; Th. Lenckner. in: Schönke/Schröder, § 184 StGB Rdnr. 21. 155 Vgl. OLG Hamburg, Atp 1987,433. 150

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sönlichkeit und Anonymität des Versandverfahrens und der Unmöglichkeit zuverlässiger Alterskontrollen kann nicht ausgeschlossen werden, daß Minderjährige auf diesem Wege Zugang zu nicht freigegebenen Bildträgern erhalten. 156 Die Vertriebsverbote sollen also insgesamt das Ziel des § 7 Abs. 1 JÖSchG, junge Menschen vom Zugang zu nicht freigegebenen Videokassetten auszuschließen, als flankierende Maßnahme unterstützen. Die Vertriebs verbote sind geeignet, das gesetzgeberische Ziel zu fördern. Zwar wird vereinzelt darauf hingewiesen, daB das Verbot des Vertriebs in Kiosken und anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, nicht für Verkaufsstände in Warenhäusern gilt, obgleich die Situation dort kaum anders ist als beim Erwerb an einem Kiosk im Freien. 157 Wenn hierin auch eine Regelungslücke liegen mag, so macht dies doch das Verbot in Bezug auf die vom Gesetz erfaBten Kioske nicht zweckuntauglich. Das Verbot des ambulanten Handels, des Handels in Kiosken und des Versandhandels mit nicht freigegebenen Bildträgern nimmt Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, über diese Vertriebswege Zugang zu entsprechenden Bildträgern zu erlangen. Es handelt sich um ein geeignetes Mittel, das Abgabeverbot an Minderjährige zu unterstützen und den Schutz der Jugend zu fördern. Generelle und damit auch Erwachsene treffende Verbote wie diese sind jedoch nur zulässig, wenn anders die Jugend nicht wirksam geschützt werden kann. 158 Eine Ansicht im Schrifttum steht den Vertriebs verboten mit Ausnahme des Versandhandelsverbotes in dieser Beziehung kritisch gegenüber, weil die Verbote über den Zweck des Jugendschutzes erheblich hinausgehen würden. 159 Der Kioskhändler etwa, der jugendgefährdendes Material "unter dem Ladentisch" verwahrt und nur nach Vorlage des Personalausweises abgibt, handele, was die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Jugendliche angehe, nicht einmal gefährlich oder jedenfalls nicht gefährlicher als bei den erlaubten Vertriebsformen. Daß die Abgabe an Erwachsene von Jugendlichen beobachtet werden kann, rechtfertige keine andere Beurteilung, da diese Möglichkeit auch in jedem Ladengeschäft bestehe. Die Vertriebsverbote seien daher restriktiv auszulegen. Wenn zuverlässige Alterskontrollen gegeben sind, müßten die Verbote entfallen, 156 GernertISto!fers, Anm. zu § 7 Abs. 3 JÖSchG; vgl. auch Rainer Scholz, Jugendschutz, § 4 GjS, Anm. 4; F. Harrer, § 4 GjS Rdnr. 3; vgl. auch BVerfGE 30, 336 (349) Sonnenfreunde; BVerwG, NJW 1977, 1411; BVerwG, DVBl1977, 501 (502); H. Laufhütte, in: LK, § 184 StGB Rdnr. 27; Th. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 184 StGB Rdnr. 22. 157 B. Brockhorst-Reetz, S. 25; im Rahmen des inhalts gleichen § 184 Abs. 1 Nr. 3 StGB siehe Th. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 184 StGB Rdnr. 21; H. Laujhütte, in: LK, § 184 StGB Rdnr. 26. 158 OVG Saarlouis, DVBI 1962, 346 (347). 159 Zum folgenden siehe Th. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 184 StGB Rdnr. 17; MaurachlSchroederlMaiwald, Strafrecht BT/l, § 23 Rdnr. 9 in Ansehung des inhaltsgleichen § 184 Abs. 1 Nr. 3 StGB.

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da sonst ein Bezug zum geschützten Rechtsgut nicht mehr bestehe. Auch Schwierigkeiten der Überwachung würden hieran nichts ändern, da sie nicht unüberwindlich seien. Verbote, die nur den Zweck haben, den Behörden die Überwachung zu erleichtern, seien prinzipiell unzulässig. Im übrigen bedürfe auch ein absolutes Verbot einer stichprobenartigen Überwachung. Wenn man dieser Meinung folgt, so müßte man zu dem Ergebnis kommen, daß die Vertriebsverbote neben dem Abgabeverbot gegenüber Minderjährigen nicht mehr erforderlich wären und ein unverhältnismäßiges Übermaß darstellten. Dieser Einwand ist jedoch abzulehnen. l60 Was den Vertrieb am Kiosk anbelangt, so erläutert die Gegenansicht zutreffend, daß jener für den Jugendschutz generell gefabrlicher ist als die erlaubten Vertriebsarten. Nicht nur ist nicht auszuschließen, daß Minderjährige die Vertriebs objekte beim Erwerb durch Erwachsene zu Gesicht bekommen, darüberhinaus kann ein Vertrieb am Kiosk ohne Ausstellung des Angebotes kaum ertragreich gestaltet werden. Die Versuchung, sich über etwaige Präsentations- und Werbeverbote hinwegzusetzen, ist hier demgemäß größer, als in Ladengeschäften. 161 Es beim Abgabeverbot an Kinder und Jugendliche zu belassen wäre zwar ein milderes Mittel, aber nicht ebenso tauglich für den Jugendschutz wie das Verbot bestimmter Vertriebswege. Eine andere Ansicht wollte auch das Versandhandelsverbot einschränkend auslegen und auch dieses nur gelten lassen, wenn keine zuverlässigen Alterskontrollen getroffen werden. 162 Auch dies ist abzulehnen. 163 Für das Versandhandelsverbot haben Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht zutreffend klargestellt, daß es kein verfassungswidriges Übermaß darstellt. l64 Der Geschäftsverkehr wickelt sich hier schriftlich ab. Ein persönlicher Kontakt, der exakte Alterskontrollen an Hand des Personalausweises ermöglicht, findet nicht statt. Der Gesetzgeber konnte ohne Verfassungsverstoß davon ausgehen, daß andere Methoden der Altersprüfung wie Selbstauskünfte der Besteller, Kontrollen an Hand von Adress- und Telefonbüchern oder die Möglichkeit, Auskunfteien oder Einwohnerämter einzuschalten, für die sichere Kontrolle nicht ausreichten bzw. aufwendige, wenig praktikable Maßnahmen darstellten, die ihrerseits von 160 So auch OLG Stuttgart, NJW 1976,529 (530); K. Lackner, § 184 StGB, Rdnr. 6; E. Horn, in: SK § 184, Rdnm. 2, 25. 161 OLG Stuttgart, NJW 1976,529 (530). Dieses Argument trifft jedoch besonders die Vertriebsverbote der §§ 4 I Nr. 3 GjS und 184 I Nr. 3 StGB, da dort eben auch Präsentationsund Werbeverbote bestehen. 162 F. Bauer, JZ 1965,41 ff. (46 f.). 163

(161).

So auch OLG Düsseldorf, NJW 1984, 1977 (1978); E.-J. Lampe, IR 1985, 159 ff.

164 Siehe zum folgenden BVerfGE 30, 336 (349 f.) - Sonnenfreunde, für schwer jugendgefährdende Schriften; BVerwG, DVBI 1977,501 (502); BVerwG, NIW 1977, 1411 für einfach jugendgefahrdende Schriften.

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

amtlichen Stellen nur schwer überwachbar wären. 165 Weniger einschneidende Alternativen zum Verbot des Versandhandels wie besondere Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Versandhändler, Verbote der Inseratenwerbung oder Verbote postlagernder Sendungen reichten für einen effektiven Jugendschutz ebenfalls nicht aus. Auch sonstige repressive Mittel zur Sicherung des Abgabeverbots wie verschärfte Strafandrohungen oder Berufsverbote versprechen allein keinen Erfolg und entsprechen zudem nicht dem Sinn des Jugendschutzes. Dessen Ziel ist vorrangig die Abwehr von Gefahren, nicht aber, nach Eintritt des Schadens die Verantwortlichen zu verfolgen. Auch das Versandhandelsverbot ist somit ein zum Schutz der Jugend erforderliches gesetzgeberisches Mittel. l66 Schließlich stehen die Vertriebsverbote auch bei einer Gesamtabwägung im Lichte der betroffenen Filmfreiheit nicht außer Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck. Das Interesse der Anbieter, ihre Erzeugnisse auf jedem möglichen Vertriebsweg zu verbreiten, ist überwiegend wirtschaftlicher Art. Der Ausübung der Filmfreiheit liegt hier weniger die Sorge um politische, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit zugrunde, sondern hauptsächlich sollen dem Publikum nur möglichst bequeme Bezugsmöglichkeiten verschafft werden. Die Möglichkeit öffentlicher Meinungsbildung wird durch die Vertriebs verbote nicht unzumutbar beschnitten, da noch genügend sonstige Verbreitungsmöglichkeiten für Bildträger zur Verfügung stehen. Zwar beschränken sich die Verbote nicht auf Jugendliche, sondern wirken sich auch gegenüber Erwachsenen aus. Daraus erwächst jedoch keine schwerwiegende Beeinträchtigung, da Erwachsenen der Bezug auf andere Weise noch möglich bleibt. Angesichts des hohen Ranges des Jugendschutzes ist daher der Eingriff im vorliegenden Fall nicht unzumutbar. Die Beschränkung der Filmfreiheit ist demnach durch den Gesetzesvorbehalt zum Schutze der Jugend gerechtfertigt. Die Vertriebsverbote sind damit Ausdruck der Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG. Die Filmfreiheit ist hierdurch nicht verletzt. b) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit Die Vertriebsbeschränkungen des § 7 Abs. 3 Nr. 2 JÖSchG greifen auch in die berufliche Betätigungsfreiheit der dadurch betroffenen Berufsgruppen ein, indem diesen das Vertreiben nicht freigegebener Bildträger generell untersagt wird. Durch seine Ausrichtung speziell auf Gewerbetreibende hat der Eingriff berufsregelnde Tendenz, so daß der Schutzbereich der Berufsfreiheit tangiert ist. Die verbotenen Tätigkeiten sind weder eigenständige Berufe,167 noch stellt die gesetzliche Regelung objektive oder subjektive Zulassungsschranken für die Berufsaufnahme auf. Bei den Eingriffen handelt es sich vielmehr um Berufsaus165 Ähnlich auch OLG Hamburg, AfP 1987, 433 f. 166 Vgl. auch ehr. Starck, M/K/S, Art. 5 I, 11 Rdnr. 129.

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übungsregelungen. 168 Solche Regelungen sind zulässig, wenn vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls dies zweckmäßig erscheinen lassen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. 169 Ein effektiver Jugendschutz liegt in allgemeinem Interesse. 17o Das Ziel der Vertriebsbeschränkungen, den Zugang junger Menschen zu nicht freigegebenen Bildträgern zu unterbinden, ist ein sachgerechter Grund des Allgemeinwohls, der Regelungen der Berufsausübung zulässig macht. 17l Die Regelungen sind wie oben dargelegt l72 zur Erreichung ihres Zwecks geeignet und erforderlich. Es handelt sich zwar für die betroffenen Händler um relativ schwerwiegende Eingriffe, da hierdurch der Handel mit einer bestimmten Warengruppe gänzlich untersagt wird und dadurch ein möglicherweise besonders gewinnbringender Markt generell verschlossen bleibt. Dennoch müssen die wirtschaftlichen Interessen der Händler hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einem wirkungsvollen Jugendschutz zurückstehen. Die Vertriebsbeschränkungen stehen daher insgesamt nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck. l73 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist gewahrt. Die Vertriebsverbote sind als Berufsausübungsregelungen Ausdruck der Schranken des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Berufsfreiheit ist somit nicht verletzt. c) Vereinbarkeit mit der Freiheit des Eigentums Denkbar wäre noch, daß die Vertriebsverbote unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in die wirtschaftliche Verwertung von Filmen auf Videokassetten die Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 GG tangieren. Art. 14 schützt zwar Bestand und Nutzung von vermögens werten Rechten, nicht jedoch bloße Chancen und Verdienstmöglichkeiten. 174 Die Vertriebsverbote des § 7 Abs. 3 Nr. 2 JÖSchG betreffen weniger die 167 Sonst müßte es etwa den Versandhandel allein mit nicht gekennzeichneten und nicht freigegebenen Bildträgem als Berufsbild geben - mit der Konsequenz, daß Erzeugnisse nach ihrer Freigabe aus dem Sortiment zu nehmen wären. 168 So für das Verbot des Versandhandels nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 GjS BVerfGE 30, 336 (350 f.) - Sonnenfreunde. 169 BVerfGE 76, 196 (207); 71, 162 (173); 61, 291 (312); 30, 336 (351); 7, 377 (405 f.). 170 BVerfG, NJW 1986, 1241 (1242) - Werbeverbot für indizierte Videofilme. 171 Vgl. auch oben S. 235.

Siehe oben S. 246 ff. So BVerfGE 30, 336 (352) - Sonnenfreunde, in Bezug auf das Verbot des Versandhandels anläßlich der Prüfung des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GjS. 174 Siehe oben Teil 2, S. 201. l72 l73

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

Innehabung und Verwendung vorhandener Vermögensgüter, sondern statt dessen die Freiheit der individuellen Erwerbstätigkeit. Der Eingriff ist nicht objektbezogen, sondern tätigkeitsbezogen. Er berührt die Betroffenen nicht als Eigentümer eines Unternehmens, sondern im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Berufes. Art. 14 schützt zwar die wirtschaftliche Verwertung vermögenswerter Güter, garantiert jedoch nicht jede mögliche Art und Weise der Verwertung und nicht die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit als solche. Daher ist hier neben Art. 12 der Schutzbereich des Art. 14 nicht mehr tangiert. d) Vereinbarkeit mit der Kunstfreiheit Soweit es sich bei den auf Videokassetten und sonstigen Bildträgern verkörperten Inhalten um Kunstwerke handelt, kommt die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG als Prüfungsmaßstab in Betracht. Da der Grundrechtsschutz auch den Wirkbereich der Kunst umfaßt, könnten Vertriebsbeschränkungen für Kunsterzeugnisse auf den ersten Blick in den grundrechtlich geschützten Lebensbereich der Kunstfreiheitsgarantie fallen. Allerdings schützt Art. 5 Abs. 3 GG bei Regelungen im Wirkbereich der Kunst wie erwähne 75 nur die unentbehrliche Vermittlung des Kunstwerks an sein Publikum. Die vorliegenden Vertriebsbeschränkungen beschneiden nicht die Möglichkeit, das Kunstwerk den Rezipienten überhaupt wahrnehmbar zu machen, da andere wesentliche Verbreitungsmöglichkeiten für Bildträger hierdurch nicht betroffen werden. 176 Der Schutzbereich der Kunstfreiheit wird daher durch das Verbot des Versandhandels und des ambulanten Handels gern. § 7 Abs. 3 Nr. 2 JÖSchG nicht verletzt. e) Vereinbarkeit mit der Informationsfreiheit der Rezipienten Bei bespielten Videokassetten, die zur Verbreitung an die Öffentlichkeit bestimmt sind, handelt es sich um allgemein zugängliche Quellen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG. Die Informationsfreiheit schützt das Recht der Rezipienten, sich aus diesen Quellen ungehindert zu unterrichten. Ungehindert bedeutet frei von staatlicher Abschneidung, Behinderung oder Lenkung. 177 Damit werden Eingriffe verboten, die nach ihrer Eigenart und nach der Eigenart der 175

Siehe oben Teil 2, S. 179.

Andere Ansicht R. Schotz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 70, der das generelle, auch für Erwachsene wirkende Verbot bestimmter Vertriebsarten in Bezug auf die Kunstfreiheit für problematisch hält. Siehe auch F. Müller, Freiheit der Kunst, S. 122. 176

177

R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Art. 5 Rdnr. 27.

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Infonnationsquelle sowie der Infonnationsmethode imstande sind, den gewünschten Infonnationsvorgang unmöglich zu machen oder doch wesentlich zu erschweren. 178 Die fraglichen Vertriebsbeschränkungen haben diese Wirkung nicht. 179 Weder machen sie den Bezug von Videokassetten und sonstigen Bildträgern gänzlich unmöglich noch erschweren sie ihn wesentlich, da noch genügend andere Möglichkeiten des Bezuges offenbleiben. Mit dem Verbot des Versandhandels und den anderen Beschränkungen werden zwar möglicherweise für die Rezipienten besonders bequeme Bezugsmethoden unterbunden; dies allein reicht für einen Eingriff in den Schutzbereich jedoch nicht aus. Die Infonnationsfreiheit gewährt kein Anrecht auf die jeweils bequemste Infonnationsmethode, sondern garantiert den Infonnationsprozeß als solchen. Dies wird auch daran deutlich, daß sich aus der Infonnationsfreiheit kein Anspruch auf kostenlose Verschaffung von Informationen ableiten läßt. 18o Das Grundgesetz geht vielmehr davon aus, daß der Rezipient durchaus eine Leistung erbringen soll, um eine gewünschte Infonnation erhalten zu können - sei es in finanzieller oder in tatsächlicher Hinsicht. Allerdings geWährleistet die Infonnationsfreiheit das Recht der Auswahl zwischen mehreren zur Verfügung stehenden Infonnationsquellen. 181 Hierbei ist jedoch zwischen Infonnationsquelle und Infonnationsmethode zu unterscheiden. Die Vertriebs beschränkungen treffen nur die Infonnationsmethode, d.h. die Art und Weise des Bezugs, nicht jedoch das grundsätzliche Recht, Bildträger als Infonnationsquelle zu wählen. Damit wird die Informationsfreiheit durch die Vertriebsverbote nicht beschränkt. I 82 f) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG

Das Verbot der genannten Vertriebswege stellt keine willkürliche Ungleichbehandlung gegenüber den erlaubten Vertriebswegen dar, denn die Vertriebsverbote 178 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 I, 11 Rdnr. 98; Chr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 274. 179 Andere Ansicht ohne nähere Begründung jedoch BVerfGE 30, 336 (347) - Sonnenfreunde. 180 R. Wendt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Art. 5 Rdnr. 28; I. v. Münch, Grundbegriffe Bd. 1, Rdnr. 341; BVerwG, DVB11968, 658 - Rundfunkgebühr. 181 Dazu oben Teil 2 S. 208, wo das Beispiel des Strafgefangenen erwähnt wird, dem der Rundfunkempfang mit der Begründung verweigert wurde, es stehe ihm frei, Zeitungen zu halten. 182 Andere Ansicht Chr. Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 I, 11, Rdnr. 290, der die Informationsfreiheit eingeschränkt sieht, dies aber letztlich als Ausdruck der Schranken für gerechtfertigt hält.

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

betreffen wie gesehen für den Jugendschutz gefährlichere Vertriebsformen. Zweifel könnten allenfalls dort aufkommen, wo zwischen verbotenem und erlaubten Vertriebsweg im Einzelfall kaum ein Unterschied besteht, wie etwa beim Vertrieb in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, und beim Vertrieb in Verkaufsständen im Warenhaus. I83 Hierbei ist jedoch zu beachten, daß bei typisierenden Regelungen stets auch marginale Ungerechtigkeiten auftreten können, die verfassungsrechtlich kaum Relevanz entfalten,184 zumal dem Gesetzgeber ein gewisser Gestaltungsspielraum zusteht. 185 Es kommt nicht darauf an, ob der Gesetzgeber die jeweils gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat, sondern ob für die Regelung sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr zu erkennen sind. 186 Letzteres ist hier jedoch nicht der Fall. Art. 3 Abs. 1 GG wird durch die Vertriebsverbote nicht verletzt. g) Ergebnis .Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten, daß auch die Vertriebsbeschränkungen des § 7 Abs. 3 Nr. 2 JÖSchG für nicht oder mit "nicht freigegeben unter achtzehn Jahren" gekennzeichnete Bildträger mit dem Grundgesetz in Einklang stehen. Die Filmfreiheit und die Berufsfreiheit werden zwar in ihrem Schutzbereich tangiert, der Eingriff ist jedoch als Maßnahme des Jugendschutzes Ausdruck der jeweiligen Schranken. Die Kunstfreiheit und die Informationsfreiheit der Rezipienten werden nicht berührt, da noch genügend Möglichkeiten verbleiben, die Bildträger zu beziehen. 3. Das Automatenvertriebsverbot des § 7 Abs. 4 JÖSchG

a) Vereinbarkeit mit der Filmfreiheit § 7 Abs. 4 JÖSchG bestimmt: "In der Öffentlichkeit dürfen bespielte Bildträger nicht in Automaten angeboten werden." Da sich der Schutz der Filmfreiheit auch auf die Verbreitung bespielter Bildträger erstreckt und das Automatenvertriebsverbot des § 7 Abs. 4 JÖSchG die freie und ungehinderte Verbreitung von

183 Siehe dazu schon oben S. 246. Vgl. auch B. Brockhorst-Reetz, S. 25; Th. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 184 StGB Rdnr. 21; H. Laufhütte, in: LK, § 184 StGB Rdnr. 26. 184 BVerfGE 26, 265 (275 f.); M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Art. 3 Rdnr. 26. 185 BVerfGE 3, 162 (182); 25, 269 (292 f.); 36, 102 (117); M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGK Bd. 1, Art. 3 Rdnr. 23. 186 BVerfGE 59, 287 (300); 64, 158 (168 f.); 66, 84 (95); I. v. Münch, Grundbegriffe Bd. 1, Rdnr. 405; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 508.

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Bildträgern aufgrund ihres Inhalts einschränkt, ist der Schutzbereich der Filmfreiheit tangiert. aa) Der Zweck des Verbotes

Die Filmfreiheit ist jedoch gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch Gesetze zum Schutz der Jugend beschränkbar. Das Automatenvertriebsverbot trägt dem Umstand Rechnung, daß die übliche Anonymität des Vertriebs durch Automaten eine Alterskontrolle in der Regel unmöglich macht. Es will deshalb verhindern, daß Kinder und Jugendliche unter Ausnutzung dieser Anonymität sich unkontrolliert Zugang zu Bildträgern verschaffen können, die für ihre Altersgruppe nicht freigegeben sind. 187 Die Vorschrift dient der Absicherung des Zugangsverbotes und ist somit ein Gesetz zum Schutze der Jugend im Sinne des Art. 5 Abs. 2GG. Die Regelung hat zwar auch zur Folge, daß Erwachsenen der Bezug von Bildträgern aus Automaten verwehrt wird. Dies ändert an der Zielrichtung des Gesetzes jedoch nichts. Ein unzulässiger Erwachsenenschutz wird damit nicht eingeführt, da die sonstigen Bezugsmöglichkeiten für Bildträger Erwachsenen weiterhin offenstehen. Vielmehr will die Regelung einen möglichst effektiven Jugendschutz sicherstellen. 188 Aufgrund der Auswirkungen auf Erwachsene sind jedoch strenge Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit zu stellen. Die Regelung ist ein geeignetes Mittel, ihren Zweck zu fördern, da mit dem Automatenvertrieb verbundene Jugendschutzlücken durch das Verbot wirkungsvoll beseitigt werden. bb) Die Erforderlichkeit der Regelung (1) Die Geltung für Automaten jeglicher Art

Fraglich ist jedoch die Erforderlichkeit des Verbots. Dieses gilt für Automaten jeglicher Art und läßt keine Ausnahmen zu. Eine Ansicht verneint daher die Erforderlichkeit mit dem Vorwurf, den Belangen des Jugendschutzes wäre auch dann noch Genüge getan, wenn das Verbot auf solche Automaten beschränkt worden wäre, zu denen Jugendliche freien Zugang haben. Sie verweist auf § 4 Abs. 3 JÖSchG, der ein Automatenvertriebsverbot für alkoholische Getränke aufstellt und eine derartige Einschränkung enthält. § 4 Abs. 3 Satz 2 JÖSchG ..

Vg!. auch GernertlSto!fers, Anm. zu § 7 Abs. 4 JOSchG; H. v. Hartlieb, NJW 1985, ~30 ff. (832, 835); J. Steindorf, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrecht!. Nebenges., J 215, § 7 Anm. 7. 188 BVerfG, GewArch 1988,369 (370) unter Berufung auf BVerfGE 30, 336 (348)Sonnenfreunde. Anderer Ansicht dagegen G. H. Baruschke, BPS-Report 2/1991, 44. 1~

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

bestimmt nämlich, daß das Automatenverbot nicht gelten soll, wenn ein Automat in einem gewerblich genutzten Raum aufgestellt ist und durch Vorrichtungen oder durch ständige Aufsicht sichergestellt ist, daß Kinder und Jugendliche alkoholische Getränke nicht aus dem Automaten entnehmen können. Entsprechende Vorrichtungen seien auch und gerade bei Videoautomaten einsetzbar. Dort seien jugendschutzgerechte Automaten längst entwickelt worden. 189 Denn der typische Videoverleihautomat von heute, der im Ausland ohne Beanstandungen Verwendung finde, funktioniere nach dem Prinzip der Bargeldautomaten bei Banken und zeichne sich durch folgende Merkmale aus: Der Zugang zum Bedienungs-Terminal sei durch Sicherheitsglas geschützt und werde nur eröffnet mit einer codierten Magnetkarte, die nur an Personen über achtzehn Jahren nach persönlicher Registrierung unter Vorlage des Personalausweises ausgegeben wird. Die Ausleihe selbst erfolge am Automaten erst nach Eingabe einer nur persönlich bekannten Geheimzahl. 19O Da von solchen Automaten keine Jugendgefährdungen mehr ausgingen, sei ein Verbot, das diese Automaten ausspart, ein gleich wirksames, aber das Grundrecht weniger einschränkendes Mittel. Angesichts dessen sei das bestehende generelle Verbot nicht erforderlich. Das Bundesverfassungsgericht, das über eine Verfassungsbeschwerde gegen das Automatenvertriebsverbot zu entscheiden hatte, teilte diese Auffassung nicht. Es sah in den beschriebenen Automaten einen untypischen Sonderfall, der keineswegs jede Jugendgefährdung ausschließe und dessen Zulassung Kontrollrnaßnahmen erforderlich machte, die jedoch den Betrieb unzulässiger Automaten nicht wirksam ausschließen könnten. Daher dürfe der Gesetzgeber im Interesse der Praktikabiiität und Effektivität seiner Gesetze eine generalisierende Regelung treffen, die sich auf die typische Erscheinungsform von Warenautomaten und ihre Gefahren für den Jugendschutz beschränkt. 191 Dies kann jedoch nicht unwidersprochen bleiben. Kritik ist daran zu üben, daß das Bundesverfassungsgericht auf das typische Erscheinungsbild von Warenautomaten allgemein abstellt und die erwähnten Videoautomaten als untypischen Sonderfall abtut. Bei einer Regelung des Vertriebs von Bildträgern ist bei der rechtlichen Würdigung jedoch speziell auf diesen Lebensbereich abzustellen. Und hier ist die beschriebene Automatengattung durchaus nicht untypisch. Allerdings ist dem Gericht zuzustimmen, soweit es darauf hinweist, daß auch diese Automaten nicht jede Jugendgefährdung verhindern. Denn es ist nicht ausgeschlossen, daß Codekarte und Geheimnummer vom Berechtigten an Minderjährige 189 G. H. Baruschke. BPS-Report 2/1991, 44. Im gleichen Sinne die der Entscheidung BVerfG, GewArch 1988,369 f. zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde, die von einem Unternehmen eingelegt worden war, das dementsprechende Videoautomaten aufstellen und vertreiben wollte. 190 Vgl. G. H. Baruschke. BPS-Report 2/1991,44. 191 BVerfG, GewArch 1988, 369 (370) - Automatenvertriebsverbot für Videofilme.

A. Filmjugendschutz nach § 7 in Vbg. m. § 6 JÖSchG

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weitergegeben werden. Die damit eingeräumte Verfügungs befugnis ist bei einem Videoautomaten weit weniger weitreichend, als sie es etwa bei einem Bargeldautomaten der Banken sein würde. Demnach wäre ein Ausnahmevorbehalt für eine bestimmte Automatenart zwar weniger einschneidend, aber auch weniger wirksam als ein generelles Verbot und beseitigt daher dessen Erforderlichkeit nicht. 192 (2) Die Geltung für Bildträger jeglicher Art

Ein anderer Vorwurf richtet sich dagegen, daß § 7 Abs. 4 JÖSchG den Vertrieb jeglicher bespielter Bildträger durch Automaten verbietet und damit auch solche Bildträger betrifft, die Kinder und Jugendliche in keiner Weise beeinträchtigen und die daher ohne jede Altersbeschränkung freigegeben sind. Damit erstreckt sich das Verbot beispielsweise auch auf Kinderfilme, Reisefilme und Do-it-yourself-Anleitungsvideos für Heimwerker. Derartige Bildträger werden auch von den anderen Vertriebsverboten des JÖSchG nicht erfaßt, vielmehr sind sie Minderjährigen sonst uneingeschränkt zugänglich. Da von diesen Filmen keinerlei Jugendgefährdung ausgehe, sei der Schutz der Jugend keine Rechtfertigung, sie vom Automatenvertrieb fernzuhalten. 193 Das Bundesverfassungsgericht läßt auch diesen Einwand nicht gelten und verweist darauf, daß der Gesetzgeber die Grundrechte des Art. 5 durch eine präventiv-generalisierende Regelung für bestimmte Vertriebsarten einschränken dürfe, wenn ohne eine solche Regelung ein effektiver Jugendschutz nicht sichergestellt sei. Da Jugendschutz der Gefahrenabwehr diene, bedürfe es in erster Linie wirkungsvoller Präventivmaßnahmen, um die Jugend vor erkannten Gefahren wirksam zu schützen. 194 Die dem Verbot zugrundeliegende Erwägung des Gesetzgebers, daß eine Jugendschutzkontrolle wie bei Videotheken oder Filmtheatern beim Automatenvertrieb wegen dessen Besonderheiten und der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Aufstellplätze für solche Automaten nicht möglich sei,195 hält das Bundesverfassungsgericht zumindest für vertretbar. 196 Dem ist aber entgegenzuhalten daß bei der Erstreckung des Verbots auch auf für jedermann freigegebene Bildträger ein Bezug zum eigentlich geschützten 192 Anderer Ansicht jedoch LG Berlin, Urt. v. 31. 10. 1986 (wiedergegeben bei H. v. Hartlieb, Handbuch, 10. Kap. Rdnr. 25), das das Automatenvertriebsverbot aus diesem

Grunde für verfassungswidrig hält. 193 P. Weides, NJW 1987,224 ff. (228); G. H. Baruschke, BPS-Report 2/1991,44. 194 BVerfG, GewArch 1988,369 (370) unter Berufung auf BVerfGE 30,336 (349 f.) - Sonnenfreunde. 195 So auch H. v. Hartlieb, NJW 1985, 830 ff. (832, 835); ders., Handbuch, 10. Kap. Rdnr. 16; J. Steindorf, in: ErbslKohlhaas, Strafrecht!. Nebenges., J 215, § 7 Anm. 7. 196 BVerfG, GewArch 1988,369 (370) - Automatenvertriebsverbot für Videofilme.

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

Rechtsgut nicht mehr besteht. Die Situation ist insoweit anders als bei den oben behandelten Vertriebs verboten des § 7 Abs. 3 Nr. 2 JÖSchG, da jene gerade nicht für sämtliche, sondern von vornherein nur für nicht freigegebene Bildträger gelten. Ein polizeirechtlicher Grundsatz besagt, daß der Erlaß einer Polizeiverordnung nur zu dem Zweck, der Behörde die Überwachung zu erleichtern, unzulässig iSt. 197 Aber auch nach den Verhältnismäßigkeitskriterien des Verfassungsrechts rechtfertigen Überwachungsschwierigkeiten jedenfalls keinen Eingriff in die Verbreitung von Bildträgern unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes, wenn von einer entsprechenden Gefährdung durch die betroffenen Bildträger gar keine Rede sein kann. Die Probleme bei der Kontrolle, ob nicht unzulässigerweise jugendgefährdende Bildträger in Automaten angeboten werden, können zudem durch weniger einschneidende Maßnahmen behoben werden. So kann die Vielfalt der Aufstellplätze durch eine entsprechende Meldepflicht des Betreibers transparent gemacht werden. Eine Inhaltskontrolle der Automaten würde praktizierbar durch Einführung der Pflicht, die Kennzeichnung der angebotenen Bildträger außen am Automaten deutlich lesbar anzubringen. Wenn wie zuweilen vorgebracht das wirtschaftliche Interesse der Videobranche am Automatenvertrieb uneingeschränkt freigegebener Bildträger eher gering ausfällt, so dürfte die Anzahl aufgestellter Automaten kaum so groß werden, daß Überwachungsstellen mit der Kontrolle überlastet wären. Als weitere Absicherung könnten besondere Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Betreiber dienen. Schließlich kämen auch verschärfte Strafandrohungen bei Verstößen und Berufsverbote in Betracht. Letztere Möglichkeiten wären bei grundsätzlicher Anerkennung des Vorrangs von Präventivmaßnahmen auf dem Gebiet des Jugendschutzes allerdings hauptsächlich als flankierende Maßnahme zu verstehen. Nach alldem liegt in der Beschränkung des Automatenvertriebs auf nicht uneingeschränkt freigegebene Bildträger ein milderes, das Grundrecht weniger belastendes Mittel, das mit den erwähnten Ergänzungen unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes von gleicher Tauglichkeit wäre wie das bestehende Totalverbot. Letzteres ist daher nicht erforderlich und verletzt das verfassungsrechtliche Übermaßverbot. ce) Die Zumutbarkeit der Regelung

Demzufolge steht das Totalverbot auch in keiner angemessenen Mittel-ZweckRelation im Rahmen der Zumutbarkeit. Zwar hat das Interesse der Allgemeinheit an einem wirksamen Jugendschutz grundsätzlich dann Vorrang vor den Interessen 197 Dazu in anderem Zusammenhang auch Th. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 184 StGB Rdnr. 17. Vgl. allgemein zur Polizei verordnung im übrigen K. H. Friauf, in: I. v. Münch/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes. VerwR. (9. Aufl.), 2. Abschn., Rdnm. 187 ff.

A. Filmjugendschutz nach § 7 in Vbg. m. § 6 JÖSchG

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der betroffenen Anbieter, wenn diese Interessen vorwiegend wirtschaftlicher Art sind. Dies gilt aber nur dort, wo der Eingriff für einen wirkungsvollen Jugendschutz wirklich unerläßlich ist. Daß auch jugendfreie Filme in das Automatenvertriebsverbot einbezogen sind, nur um den zuständigen Stellen entsprechende Kontroll- und Überwachungstätigkeit zu ersparen, macht die fragliche Regelung jedenfalls unverhältnismäßig. 198 Dabei wäre vielleicht gerade das Erscheinen von jugendgeeigneten Videoautomaten im öffentlichen Straßenbild eine Möglichkeit, der häufig anzutreffenden Meinung entgegenzuwirken, der Vertrieb von Videokassetten gehe stets mit einer Gefährdung des Jugendschutzes einher. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß § 7 Abs. 4 JÖSchG in seiner Erstreckung auch auf uneingeschränkt jugendfreie Bildträger das Übermaßverbot verletzt und daher einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Filmfreiheit darstellt. b) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit Aus dem gleichen Grunde stellt die Regelung auch eine Verletzung der Berufsfreiheit dar. Das Verbot des Automatenvertriebs ist im Blickwinkel des Art. 12 Abs. 1 eine Regelung der Berufsausübung. 199 Videotheken wird damit die Möglichkeit genommen, über die Öffnungszeiten hinaus ein Angebot an Filmen bereitzuhalten; sonstigen Vertriebs stellen wie Einzelhandelsunternehmen und Tankstellen wird die Möglichkeit verwehrt, zusätzlichen Umsatz zu erzielen; Automatenherstellern wird das entsprechende Marktsegment verschlossen. Eine solche Regelung muß durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein. Der Schutz der Jugend ist ein Gemeinschaftsgut, das zwar grundsätzlich in der Lage ist, das wirtschaftliche Interesse an freier und ungehinderter Berufsausübung in Schranken zu weisen. Dies gilt jedoch nur, wenn der Eingriff im übrigen verhältnismäßig ist. Da letzteres aus den dargelegten Gründen nicht der Fall war, ist auch der Eingriff in die Berufsfreiheit durch die Grundrechtsschranken nicht gerechtfertigt. c) Vereinbarkeit mit der Kunstfreiheit Das Bundesverfassungsgericht sah in seiner Entscheidung zu § 7 Abs. 4 JÖSchG - ohne ausdrücklich eine Verletzung des Schutzbereichs zu bejahen das Verbot als Ausdruck der verfassungsimmanenten Schranken der Kunstfreiheit an. Der Schutz der Jugend sei wegen seines Verfassungsranges grundSätzlich zur Begrenzung der Kunstfreiheit fähig, wobei dem Kunstschutz kein genereller Vorrang vor dem Jugendschutz zukomme. Vielmehr müsse der Kunstschutz 198

Vgl. auch P. Weides, NJW 1987,224 ff. (228).

199

BVerfG, GewArch 1988,369; P. Weides, NJW 1987,224 ff. (228).

17 Meirowitz

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

gegenüber solchen Beschränkungen zurücktreten, die einem effektiven Jugendschutz dienten, sich auf den Wirkbereich der Kunst beschränkten und sich auch im übrigen als verhältnismäßig erwiesen. 2OO Demgegenüber ist jedoch darauf hinzuweisen, daß - wie schon an anderer Stelle dargelegeO I - bei Regelungen im Wirkbereich der Kunst nur die unentbehrliche Vermittlung des Kunstwerks geschützt wird. Bei Beschränkungen bestimmter Vertriebswege wird der Schutzbereich der Kunstfreiheit dann nicht verletzt, wenn ansonsten ausreichende Möglichkeiten des Zugangs zu den Kunsterzeugnissen bestehen bleiben. Das ist hier der Fall, da das Automatenverbot die anderen Verbreitungsmöglichkeiten für Videofilme unberührt läßt. Demgemäß ist nach der hier vertretenen Auffassung bereits der Schutzbereich der Kunstfreiheit nicht verletzt, so daß dieses Grundrecht als Prüfungsmaßstab ausscheidet. d) Vereinbarkeit mit der Informationsfreiheit des erwachsenen Publikums Gleiches gilt für die Informationsfreiheit des interessierten Publikums. Die Möglichkeit zum Bezug von Videofilmen, um sich daraus zu unterrichten, ist durch das Automatenverbot nur unwesentlich beeinträchtigt. Die Informationsfreiheit gewährt jedoch kein Anrecht auf die jeweils bequemste Informationsmethode, sondern garantiert nur den Informationsprozeß als solchen. Die Situation ist hier insoweit die gleiche wie bei den oben behandelten Vertriebsbeschränkungen des § 7 Abs. 3 Nr. 2 JÖSchG, so daß auf das dort Gesagte verwiesen werden kann. 202 Der Schutzbereich der Informationsfreiheit wird durch das Automatenvertriebsverbot somit gar nicht betroffen. e) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. I GG Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. I GG könnte durch die unterschiedlich starke Belastung der Betreiber von Videoautomaten durch § 7 Abs. 4 JÖSchG einerseits und der Betreiber von Getränkeautomaten durch § 4 Abs. 3 JÖSchG andererseits verletzt sein. Ein Unterschied besteht darin, daß Getränkeautomaten im Gegensatz zu Videoautomaten nicht verboten sind, wenn sie Vorrichtungen aufweisen, die eine Abgabe an Minderjährige verhindern. Allerdings können 200 BVerfG, GewArch 1988, 369 (370) - Automatenvertriebsverbot für Videofilme. Auch wenn man diesem Weg folgte, so würde es nach der hier vertretenen Auffassung dennoch an der Verhältnismäßigkeit mangeln. 201 Siehe oben Teil 2 S. 179. 202

Dazu oben Abschnitt 2 e) (S. 250 f.).

A. Filmjugendschutz nach § 7 in Vbg. m. § 6 JÖSchG

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derartige Vorrichtungen wie oben erwähnt eine Abgabe an Minderjährige nicht in jedem Fall unterbinden. Eine illegal bezogene jugendgefährdende Videokassette kann jedoch aufgrund der Möglichkeit des Abspielens vor einer Vielzahl von Jugendlichen eine größere Gefahrdung darstellen als eine illegal bezogene Bierdose. Daher ist diese unterschiedliche Behandlung von Video- und Getränkeautomaten aus Gründen des Jugendschutzes gerechtfertigt. Ein anderer Unterschied liegt darin, daß bei Getränkeautomaten mit dem Vertrieb alkoholischer Getränke nur die schädlichen Produkte verboten sind, bei Videoautomaten aber Bildträger jeglicher Art vom Verbot erfaßt werden. Das Verfassungsgericht rechtfertigt diese Unterscheidung damit, daß bei Videokassetten die Abgrenzung des jugendgefährdenden vom nicht jugendgefährdenden Angebot ungleich schwerer sei. Zudem habe das öffentliche Interesse an einer von Ladenschlußzeiten und Ladengeschäften unabhängigen Versorgung der Bevölkerung mit Getränken den Gesetzgeber zu Rücksichten veranlassen müssen, die er bei Videokassettenautomaten nicht zu beachten brauchte. 203 Ob diese Erwägungen jedoch wirklich sachgerechte Gründe für die Differenzierung darstellen können, ist auch bei Berücksichtigung eines grundSätzlich weiten Ermessensspielraums zweifelhaft. Wenn einerseits ein Interesse an der Versorgung der Bevölkerung mit Getränken aus Automaten anzunehmen ist, so stellt sich die Frage, warum andererseits ein gleichgerichtetes Interesse an einer Versorgung mit Videoprogrammen abzulehnen sein soll. Auch gestaltet sich die Unterscheidung von jugendfreiem und jugendgefährdendem Angebot bei Videoautomaten nicht so viel schwerer als bei Getränkeautomaten. Zwar sind Getränkeautomaten schon durch Bauweise und Erscheinungsbild leicht zu unterscheiden. Videoautomaten machen aber die Abgrenzung durch die obligatorische Alterskennzeichnung des Angebots gleichfalls durchführbar. Wenn auch die Überprüfung eines Videoautomaten einen graduellen Mehraufwand erfordern mag, so rechtfertigt dies dennoch nicht die in dem Totalverbot liegende ungleich stärkere Belastung. Eine weitere Ungleichbehandlung ergibt sich im Verhältnis zum Versandhandelsverbot des § 7 Abs. 3 Nr. 2 JÖSchG, das auch nicht für Bildträger jeglicher Art gilt, sondern nur für solche, die nicht oder mit "Nicht freigegeben unter achtzehn Jahren" gekennzeichnet worden sind. Wie beim Automatenvertrieb fehlt auch beim Versandhandel der persönliche Kontakt mit dem Kunden, bei dem man sich von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht, so daß auch bei dieser Vertriebs art mangels wirksamer Alterskontrollen der Bezug von Videokassetten durch Minderjährige nicht ausgeschlossen werden kann. Hier hält man es aber für durchführbar, zu kontrollieren, ob im zulässigen Versandhandel auch wirklich nur für Jugendliche freigegebene Bildträger angeboten werden. Da 203

17·

BVerfG, GewArch 1988, 369 (370) - Automatenvertriebsverbot für Videofilme.

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

diese Kontrolle wie dargelegt auch beim Automatenvertrieb praktizierbar ist, fehlt ein sachgerechter Grund für die Differenzierung. Wenn zudem der Versandhandel mit Filmen nicht verboten ist, die erst ab zwölf oder sechzehn Jahren freigegeben sind, dann ist nicht einsichtig, warum ein Automatenvertrieb nicht wenigstens für solche Filme erlaubt sein soll, die ohne jede Altersbeschränkung freigegeben sind. Abschließend ist demnach festzuhalten, daß die Erstreckung des Automatenvertriebsverbots auch auf uneingeschränkt freigegebene Bildträger eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber der Regelung des Automatenvertriebs von Getränken und gegenüber der Regelung des Versandhandels von Bildträgem darstellt. Damit ist das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. f) Ergebnis

Das Automatenvertriebsverbot des § 7 Abs. 4 JÖSchG ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, soweit es auch für Bildträger Geltung beansprucht, die ohne jede Beschränkung für alle Altersgruppen freigegeben und gekennzeichnet sind. Die Einbeziehung dieser Bildträger ist von Erwägungen des Jugendschutzes nicht mehr gedeckt und stellt ein gesetzliches Übermaß dar, welches die Filmfreiheit und die Berufsfreiheit verletzt. Auch gegen das Gleichheitsgebot wird damit verstoßen.

B. Jugendmedienschutz nach dem GjS I. Die gesetzliche Regelung

1. Die 1ndizierung jugendgefährdender Medien gemäß § 1 GjS

Gemäß § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS) sind Schriften, die geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden, in eine Liste aufzunehmen (sog. Indizierung). Die Indizierung erfolgt durch die BundespTÜfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPS). Den Schriften stehen gemäß § 1 Abs. 3 GjS Ton- und Bildträger gleich, so daß auch bespielte Videokassetten der Indizierung durch die BundespTÜfstelle unterlie204 gen. 204 Bis 1982 gingen nur vereinzelt Indizierungsanträge gegen Videofilme bei der BundespTÜfstelle ein. Das änderte sich unvermittelt, als Ende März 1982 das Stadtjugendamt Neuss einen Sammelantrag gegen 744 Videofilme stellte und damit zahlreiche weitere Indizierungsanträge auslöste. Vgl. R. Stefen, Jugendschutz 1985,222 ff. (224); E. Monssen-

B. Jugendmedienschutz nach dem GjS

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Eine Indizierung ist erst nach Erscheinen der Schrift bzw. Videokassette möglich. Sie ergeht auf Antrag. Antragsberechtigt sind die obersten Jugendbehörden der Länder, die Landesjugendämter, die Jugendämter und der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit,205 Im Gegensatz zum JÖSchG, das ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt statuiert, Kindern und Jugendlichen also generell den Filmkonsum untersagt, es sei denn, die Filme sind ausdrücklich für sie freigegeben, folgt das GjS dem Grundsatz der freien Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt,206 Bis zur Indizierung unterliegen Schriften und Bildträger nach dem GjS keinerlei Beschränkungen.207 Die als Rechtsfolge der Indizierung vorgesehenen Verbote der §§ 3-5 GjS208 treten mit der Bekanntgabe der Indizierung im Bundesanzeiger in Kraft (§ 19 GjS).209 Die Bundesprüfstelle entscheidet über die Indizierung in einem gerichtsähnlichen Verfahren 210 (§§ 12 ff. GjS, §§ 3 ff. DurchführungsVO zum GjS) in einer Besetzung, die vermutete Fachkenntnisse und Elemente gesellschaftlicher Repräsentanz verbindet, Den Entscheidungsgremien gehören nicht weisungsgebundene Vertreter der Kunst, Literatur, des Buchhandels, der Verleger, der Jugendverbände, Jugendwohlfahrt, Lehrerschaft und der Kirchen an (§ 9 Abs. 1 u. 2, § 10 GjS),z11 Aufgrund dessen steht der BPS ein Beurteilungsspielraum zu, so daß Indizierungsentscheidungen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sind. 212 Engberding, Film und Recht 1984, 634. Zur Tätigkeit der BPS vor dem Videoboom: W. Ehlers, Film und Recht 1978,833 ff.; ders., Film und Recht 1982,626 ff.; W. Becker, Film und Recht 1980, 469 ff. Bis Anfang 1993 hat die Bundesprüfstelle über 2250 Videofilme indiziert. 205 Siehe § 2 der DurchführungsVO zum GjS v. 4.3. 1954 (BGBl. I, S. 31, zuletzt geändert durch ÄnderungsVO v. 5. 5. 1978, BGBl. I, S. 607). Näheres dazu bei R. Stefen, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 123 ff. (147 f.); ders., ZUM 1986, 115 ff. (116 f.); ders., BPS-Report 2/1985, I ff. (2 f.). 206 Abgesehen allerdings von den Fällen des § 6 GjS, dazu unten 2) (S. 266 f.). 207 Ausnahme: § 5 Abs. 1 GjS, der bereits im Vorfeld einer Indizierung verbietet, damit zu werben, daß ein Indizierungsverfahren anhängig ist. 208 Dazu unten 3) (S. 268 ff.). 209 Vgl. dazu auch P. Weides, UFITA 75 (1976), 53 ff. (75); ders., NJW 1987,224 ff. (229). 210 Dazu R. Stefen, in: A. Rucktäschel/R. Stefen (Hrsg.), Video - Provokation ohne Antwort?, S. 9 ff. (24 f., 28 f.). 211 Dazu R. Stefen, in: Oehler/Süssmuth u.a., Jugendschutz und Medien, S. 25 ff. (40 f.). Derzeit ist geplant, die Videobranche durch eine Änderung des GjS einzubeziehen.; vgl. BRats-Drs. 689/92 vom 16. Okt. 1992. 212 BVerwGE 39, 197 (203 f.) - Die Sünden der Söhne; 77,75 (84 f.) - Der stählerne Traum. Siehe zum Umfang der gerichtlichen Überprüfbarkeit von BPS-Entscheidungen auch BVerwG, NJW 1988, 1864 - Brettspiel "Risiko"; BVerwG, NJW 1987, 1431 (1432 f.) - Wahrheit für Deutschland; BVerwG, NJW 1987, 1434 - Die Schlacht von Avranches; VG Köln, NJW 1989,3171 f. - Computerspiel "Gunship"; VG Köln, BPS-

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen a) Voraussetzungen der Indizierung

Voraussetzung der Indizierung ist, daß Videokassetten "geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden" (§ 1 Abs. 1 GjS). Nach der Legaldefmition des § 1 Abs. 4 GjS ist Kind, wer noch nicht vierzehn, und Jugendlicher, wer vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alt ist. Die "sittliche" Gefährdung bezieht sich nicht allein auf den sexuellen, sondern auf den allgemein ethischen Bereich. Gemeint sind damit Einflüsse, die "die Jugend zu einer sittlichen Fehlhaltung gegenüber Erscheinungen des menschlichen Lebens, insbesondere des Gemeinschaftslebens führen".213 Das Bundesverwaltungsgericht spricht insoweit von "sozialethischer Begriffsverwirrung,,214 bzw. "Fehlorientierung,,215, die Bundesprüfstelle legt ihrer Entscheidungspraxis den Begriff "sozialethische Desorientierung" zugrunde?16 Umschrieben wird hiermit insgesamt eine der Wertordnung des Grundgesetzes zuwiderlaufende Fehlentwicklung von Jugendlichen. 217 Einen Beispielkatalog für sittlich gefährdende und damit sozialethisch desorientierende Inhalte enthält § 1 Abs. 1 Satz 2 GjS. Danach zählen hierzu vor allem unsittliche (hier im sexuellen Sinne gemeine I8 ), verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhaß anreizende und den Krieg verherrlichende2l9 Schriften. 22o Ist eines dieser Merkmale gegeben, so folgt daraus die Report 4/1989, 43 ff. - NS-Schallplatte. Kritisch zum Beurteilungsspielraum jedoch S. Oft, NJW 1972, 1219 (1220 ff.); P. Weides, NJW 1987, 224 ff. (229); P. Lutz, NJW 1988,3194 (3195 f.); M.-E. Geis, NVwZ 1992,25 ff. (28 f.). 213 BVerwGE 23, 112 (114) - Ein sonderlicher Haufen. 214 BVerwGE 39,197 (198, 206) - Die Sünden der Söhne; 25, 318 (320) - Dein Sohn läßt grüßen; 23, 112 (115) - Ein sonderlicher Haufen. 215 BVerwG, NJW 1987,1431 (1432) - Wahrheit für Deutschland 216 R. Stefen, Er!. zum GjS, in: Das Dt. Bundesrecht, Teil VG 50, S. 14; ders., ZUM 1986, 115 ff. (118); siehe aus der Entscheidungspraxis der BPS z.B. BPS-Entsch. vom 11.5.1989, BPS-Report 5/1989, 39 (41 f.) - Rambo III; BPS-Entsch. vom 25. 1. 1988, BPS-Report 2/1988, 51 (52) - Riffifi am Karfreitag; BPS-Entsch. vom 3.3.1987, BPSReport 3/1987,13 (14) - Phantomkommando; BPS-Entsch. vom 26.9.1986, BPS-Report 1/1987,25 (26) - Ghoulies. Kritisch zur Terminologie D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (117). 217 R. Stefen, Er!. zum GjS, in: Das Dt. Bundesrecht, Teil VG 50, S. 14; vg!. auch J. Steindorf, in: ErbslKohlhaas, Strafrecht!. Nebenges., J 214, § 1 Anm. 3. Zu eng war die Auslegung des BGH in BGHSt 8, 80 (83) - Tom Mix Comic Strips, der als Schutzgut die "christlich-abendländische Weltanschauung" annahm. Siehe ausführlich auch F. Bauer, JZ 1965,41 ff. (42 ff.). 218 BVerwGE 25,318 (320) - Dein Sohn läßt grüßen; 23, 112 (114) - Ein sonderlicher Haufen; Rainer Scholz, Jugendschutz, § 1 GjS, Anm. 5a. 219 Zum Begriff der Kriegsverherrlichung siehe BVerwGE 23, 112 (115 f.) - Ein sonderlicher Haufen. 220 Siehe zu alldem näher Rainer Scholz, Jugendschutz, § I GjS, Anm. 5; J. Steindorf,

B. Jugendmedienschutz nach dem GjS

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widerlegliche Vermutung der Jugendgefährdung. 22I Diese Liste ist nicht erschöpfend,222 sondern es sind auch andere Inhalte denkbar, die zu sozialethischer Desorientierung führen können, wie etwa die Aufwertung und Rehabilitierung des NS-Regimes und seiner Ideologie,223 die Verletzung der Menschenwürde, die Diskriminierung von Frauen, die Förderung von Drogenkonsum oder die Verletzung des Toleranzgebots gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen. 224 Als im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 GjS verrohend wirkend gelten in der Indizierungspraxis der Bundesprüfstelle insbesondere folgende Inhalte: 225 Wenn Grausamkeiten als gerechtfertigt erscheinen, weil sie im Dienste einer guten Sache oder im Namen des Gesetzes begangen werden; wenn gewalttätige Personen gezeigt werden, mit denen sich ein Jugendlicher leicht identifizieren kann;226 wenn Gesetzeshüter selbst schwere Gewalttaten begehen, um Schurken unschädlich zu machen; wenn Gewalt im großen Stil und in epischer Breite geschildert wird;227 wenn Gewalt als normales Element in persönlichen Beziehungen dargestellt wird; und wenn Gewalt so realistisch gezeigt wird, daß sie nicht als erfunden, sondern als glaubwürdig und normal erlebt wird. Als jugendgefährdend werden darüberhinaus auch Inhalte angesehen, die die Selbstjustiz rechtfertigen. 228 Unter der "Eignung" derartiger Inhalte zur sittlichen Gefährdung ist zu verstein: Erbs/Kohlhaas, Strafrecht!. Nebenges., J 214, § I Anm. 7 ff. Kritisch zu den Begriffsbestimmungen Th. Maunz, in: Festschrift für K. Obermayer 1986, S. 85 ff. (88 ff.). 221 BVerwGE 25, 318 (320) - Dein Sohn läßt grüßen; R. Stefen, Er!. zum GjS, in: Das Dt. Bundesrecht, Teil VG 50, S. 15. 222 BVerwGE 23, 112 (114) - Ein sonderlicher Haufen; J. Steindorf, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrecht!. Nebenges., J 214, § I Anm. 6. 223 BVerwG, NJW 1987, 1431 f. - Wahrheit für Deutschland; VG Köln BPS-Report 4/1989, 43 (45) - NS-Schallplatte; siehe auch Rainer Scholz, Jugendschutz, § I GjS, Anm. 5f; R. Stefen, Er!. zum GjS, in: Das Dt. Bundesrecht, Teil VG 50, S. 17. 224 Rainer Scholz, Jugendschutz, § I GjS, Anm. 5f; R. Stefen, Er!. zum GjS, S. 17 f.; ders., ZUM 1986, 115 ff. (118); vg!. auch W. Gernert, RdJB 1987, 135 ff. (144 f.). 225 Vg!. R. Stefen, in: OehIer/Süssmuth u.a., Jugendschutz und Medien, S. 25 ff. (43 f.); ders., BPS-Report 2/1985, I ff. (5). 226 So beispielsweise in den Fällen "Rambo III", BPS-Entsch. vom 11. 5. 1989, BPS-Report 5/1989, 39 (42 f.); "Phantomkommando", BPS-Entsch. vom 3. 3. 1987, BPS-Report 3/1987, 13 (15 f.); "Rambo II - Der Auftrag", BPS-Entsch. vom 27. 1. 1986, BPS-Report 3/1986, 15 (18 f.). 227 Vg!. dazu zum Beispiel "Phantomkommando", BPS-Entsch. vom 3. 3. 1987, BPSReport 3/1987, 13 (15 f.); "Rambo II - Der Auftrag", BPS-Entsch. vom 27. 1. 1986, BPS-Report 3/1986, 15 (18); "Seven - Die Superprofis", BPS-Entsch. vom 24.7. 1986, BPS-Report 5/1986, 28 f. 228 VgI. "Die Frau mit der 45er Magnum", BPS-Entsch. vom 25. 4. 1984, BPS-Report 2/1985,30 (32); "Auge um Auge", BPS-Entsch. vom 10. 5. 1984, BPS-Report 4/1984, 24 (26 f.); "McQuade - Der Wolf", BPS-Entsch. vom 7.6. 1984, BPS-Report 5/1984, 27 (29 f.).

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

hen, daß der mutmaßliche Eintritt einer sittlichen Gefährdung genügt. Es ist nicht erforderlich, daß eine sozial ethische Desorientierung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfolgen wird. 229 Das Kriterium der Jugendgefährdung im Sinne von § 1 Abs. 1 GjS ist nach alldem nicht identisch mit dem Freigabemaßstab des § 6 Abs. 2 JÖSchG, welcher danach fragt, ob Filme "geeignet sind, das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen". Der Begriff der Jugendgefährdung des § 1 Abs. 1 GjS ist, wie sich aus dem Beispielkatalog des Satz 2 ergibt, strenger als der Begriff der Jugendbeeinträchtigung im Sinne des § 6 Abs. 2 JÖSchG. Mit anderen Worten: Jugendgefährdende Medien sind insoweit schädlicher als jugendbeeinträchtigende. Eine Jugendbeeinträchtigung liegt bereits in der Hemmung oder Störung der gedeihlichen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Dies kann durch übermäßige Erregung oder seelische Belastung geschehen, etwa durch Überforderung der kindlichen Fähigkeit zu emotionaler Bewältigung. 23o Eine Jugendgefährdung hingegen liegt erst beim mutmaßlichen Eintritt einer sozialethischen Fehlentwicklung vor, einer Entwicklung also, die zu einer der Wertordnung des Grundgesetzes widersprechenden Haltung führen würde.23I Dementsprechend sieht das GjS eine Abstufung nach Altersgruppen, wie das JÖSchG sie kennt, nicht vor. Die einer Indizierung folgenden gesetzlichen Verbote gelten stets für alle Altersgruppen unter achtzehn Jahren einheitlich. b) Ausnahmevorbehalte Ausnahmen von der Indizierung für bestimmte Schriften bzw. Bildträger enthält § lAbs. 2 Nr. 1-3 GjS. Danach darf die Indizierung eines Objektes nicht erfolgen allein wegen seines politischen, sozialen, religiösen oder weltanschauli229 BVerwGE 39,197 (198, 205) - Die Sünden der Söhne, in Abweichung zu BVerwGE 25,318 (321) - Dein Sohn läßt grüßen; R. Stelen, in: Oehler/Süssmuth u.a., Jugendschutz und Medien, S. 25 ff. (42); ders., ZUM 1986, 115 ff. (119); ders., BPS-Report 2/1985, 1 ff. (4); andere Ansicht H. v. Hartlieb, Handbuch, 12. Kap. Rdnr. 10. 230 GernertlStof!ers, Anm. zu § 6 Abs. 2 JÖSchG (S. 94 f.); vgl. auch die Ausformung in § 29 Abs. 2 Nr. 3 FSK-Grds.: "Das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern und Jugendlichen können insbesondere Filme oder Bildträger beeinträchtigen, welche die Nerven überreizen, übermäßige Belastungen hervorrufen, die Phantasie über Gebühr erregen, die charakterliche, sittliche (einschließlich religiöse) oder geistige Erziehung hemmen, stören oder schädigen, zu falschen und abträglichen Lebenserwartungen verführen oder die Erziehung zu verantwortungsbewußten Menschen in der Gesellschaft hindern." 231 Siehe zu alldemH. v. Hartlieb, Handbuch, 12. Kap. Rdnrn. 4 ff.; ders., NJW 1985, 830 (832); R. Stelen, in: Oehler/Süssmuth u.a., Jugendschutz und Medien, S. 25 ff. (28); B. Brockhorst-Reetz, Repressive Maßnahmen, S. 11 ff.; ausführlich auch P. Weides, UFITA 75 (1976),53 ff. (72 ff.) (zwar zu § 6 Abs. 3 JÖSchG alter Fassung, die jedoch keine grundsätzlich andere Regelung enthielt).

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chen Inhalts (sog. Tendenzschutzklausel, Abs. 2 NT. 1)232, wenn es der Kunst oder Wissenschaft233 dient (Abs. 2 Nr. 2), oder wenn es im öffentlichen Interesse liegt, es sei denn, daß die Art der Darstellung zu beanstanden ist (Abs. 2 Nr. 3). Die Auslegung des Kunstvorbehalts gemäß § 1 Abs. 2 NT. 2 GjS hat sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Laufe der Zeit mehrmals gewandelt. Ursprünglich hatte das Bundesverwaltungsgericht auf Grund der absoluten Formulierung der Kunstfreiheitsgarantie im Grundgesetz aus dem Kunstvorbehalt im GjS den Grundsatz abgeleitet "Kunstschutz geht vor Jugendschutz".234 Später hat es dies dahingehend eingeschränkt, daß nicht jedes Kunsterzeugnis schlechthin dem Jugendschutz vorgehe, sondern nur Kunstwerke mit bestimmtem künstlerischen Niveau. Ein solches beurteile sich nicht allein nach ästhetischen Kriterien, sondern auch nach dem Gewicht, welches das Kunstwerk für die pluralistische Gesellschaft nach deren Vorstellungen über die Funktion von Kunst hat. Dies sollte sich daraus ergeben, daß § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS nur diejenige Schrift von der Indizierung ausnimmt, die der Kunst "dient".235 Von dieser Ansicht ist das Bundesverwaltungsgericht jedoch wieder abgerückt. In seiner jüngeren Rechtsprechung 236 führt es aus, daß der Kunstvorbehalt des GjS dieselbe Reichweite hat wie die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG. Beiden liege derselbe Kunstbegriff und auch dieselben Einschränkungsmöglichkeiten zugrunde. 237 Damit gilt für den Kunstvorbehalt des GjS der weite Kunstbegriff des Verfassungsrechts.

232 Vgl. dazu Th. Maunz, in: Festschrift für K. Obermayer 1986, S. 85 ff. (90 ff.); BVerwG, NJW 1987,1431 (1434) - Wahrheit für Deutschland. 233 Dazu BVerwG, NJW 1987, 1431 (1433 f.) - Wahrheit für Deutschland. 234 BVerwGE 23, 104 (110) - Die Rechnung ohne den Wirt; 23, 112 (119) - Ein sonderbarer Haufen. 235 BVerwGE 39, 197 (207) - Die Sünden der Söhne. Ablehnend dazu S. Ou, NJW 1972,1219 (1222); kritisch auchD. Schefold, RdJB 1978, 121 ff. (126). 236 BVerwGE 77,75 (81 ff.) - Der stählerne Traum; zustimmend P. Lutz, NJW 1988, 3194 f.; kritisch J. Würkner, NVwZ 1992, 1 ff. (5). In neuester Rechtsprechung hat es einen weiteren Wandel gegeben: In zwei Entscheidungen vom 26. 11. 1992 (Az. 7 C 22.92 - Zärtliche Rituale, und 7 C 23.92 - Rambo III, z. Zt. der Drucklegung dieser Arbeit noch nicht veröffentlicht) rückt das Bundesverwaltungsgericht von seiner bisherigen Ansicht ab, daß bei Vorliegen eines Kunstwerks der Kunstvorbehalt des § lAbs. 2 Nr. 2 GjS eine Indizierung generell untersagt. Statt dessen bedarf es einer Abwägung zwischen den Belangen des Jugendschutzes und denen der Kunst. 237 So auch P. Weides, NJW 1987,224 ff. (230); vgl. auch D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (108); U. Karpen/K. Hafer, JZ 1992, 1060 ff. (1061 f.); andere Ansicht ehr. Starck, MOOS, Art. 5 III Rdnr. 214.

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

2. Schwer jugendgefährdende Medien gemäß § 6 GjS Für jugendgefährdende Schriften und Bildträger im Sinne des § 1 Abs. 1 GjS entfalten die hierfür vorgesehenen Verbote des GjS ihre Wirkung erst, nachdem die Schrift bzw. Videokassette in die Liste indizierter Medien aufgenommen und die Aufnahme im Bundesanzeiger bekanntgemacht worden ist. Daneben bestimmt § 6 GjS, daß die Verbote und die Strafdrohungen des GjS in drei Fällen unmittelbar kraft Gesetzes eintreten, ohne daß es einer Indizierung bedarf: Erstens bei Medien, die die Voraussetzungen des § 131 StGB erfüllen, indem sie zum Rassenhaß aufstacheln oder grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorganges in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt (§ 6 Nr. 1 GjS), zweitens im Falle von pornographischen Schriften im Sinne des § 184 StGB (§ 6 Nr. 2 GjS) und drittens bei sonstigen Schriften, die offensichtlich geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich schwer zu gefährden (§ 6 Nr. 3 GjS). Die im letzten Fall verlangte schwere Jugendgefährdung setzt eine sozialethische Desorientierung in besonders erheblichem Umfang voraus, betrifft mit anderen Worten schwer erziehungsfeindliche Inhalte.238 "Offensichtlich" schwer jugendgefährdend bedeutet, daß die Gefährdung jedem unbefangenen Beobachter ohne besondere Sachkunde erkennbar sein muß. Damit ist klargestellt, daß Grenzfälle durch diese Vorschrift nicht erfaßt werden. Zudem muß die Gefährdung auch ohne detaillierte Kontrolle der Schrift ersichtlich sein; sie muß sich vielmehr aus dem Gesamteindruck oder aus besonders ins Auge springenden Einzelheiten ergeben. 239 Die schwere Jugendgefährdung nach § 6 Nr. 3 GjS muß dem Gefährdungsgrad entsprechen, der in den beiden ersten Fallgruppen des § 6 zum Ausdruck kommt. 24O Beispiele offensichtlich schwerer Jugendgefährdung sind den Drogen238 Rainer Scholz, Jugendschutz, § 6 GjS, Anm. 4; F. Harrer, § 6 GjS Rdnr. 6; H. Laujhütte, JZ 1974,46 ff. (51); BVerwG, NJW 1987,1435 (1436) -Josefme Mutzenbacher. Die ältere Rechtsprechung nahm eine schwere Jugendgefährdung an, wenn "die Erziehung der jungen Menschen zu sittlich verantwortungsbewußten Persönlichkeiten unmittelbar in Frage gestellt wird, weil die Jugendlichen durch das Lesen von Schriften dieser Art der nahen Gefahr ausgesetzt werden, daß sie eine dem Erziehungsziel entgegengesetzte Haltung einnehmen"; vg!. Urteil des BGH v. 14.7. 1955 BGHSt 8, 80 (83) - Tom Mix Comic Strips; OLG Köln, NJW 1971,255. 239 Vg!. BVerfGE 77, 346 (357 f.) - Presse-Grossist; 11,234 (238); BGHSt 8,80 (87) - Tom Mix; OLG Düsseldorf, NJW 1964, 652; G. Potrykus, Ges. über die Verbreitg. jugendgef. Sehr., § 6 Anm. 5; J. Steindorf, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrecht!. Nebenges., J 214, § 6 Anm. 5; R. Stefen, Er!. zum GjS, in: Das Dt. Bundesrecht, Teil VG 50, S. 24; ders., in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 123 ff. (133 f.); H. v. Hartlieb, Handbuch, 12. Kap. Rdnr. 11. 240 H. Laujhütte, JZ 1974,46 ff. (51); Rainer Scholz, Jugendschutz, § 6 GjS, Anm. 4.

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mißbrauch verherrlichende, zu schweren Straftaten anleitende oder sonst Verbrechen verherrlichende Schriften bzw. Videokassetten. 241 Da die Verbote der §§ 3-5 GjS ohne Indizierungsverfahren kraft Gesetzes eintreten, müssen Gewerbetreibende in eigener Verantwortung prüfen, ob ein Fall des § 6 GjS vorliegt. 242 Eine Indizierung bleibt aber dennoch zu deklaratorischen Zwecken möglich. 243 Ob für offensichtlich schwer jugendgefährdende Medien der Kunstvorbehalt des § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS Anwendung findet, wurde im Laufe der Zeit unterschiedlich beantwortet. Früher wurde die Ansicht vertreten, der Kunstvorbehalt gelte grundsätzlich auch für Schriften im Sinne des § 6 GjS, sein Eingreifen hänge jedoch vom Einzelfall ab. 244 Das Bundesverwaltungsgericht lehnte in jüngerer Rechtsprechung245 die Geltung des Kunstvorbehalts für schwer jugendgefährdende Medien jedoch ab, da hier das Anliegen des Jugendschutzes gegenüber der Kunstfreiheit überwiege. Die Preisgabe der Belange, die der Kunstfreiheit gegenüberstehen, liefe der Wertordnung des Grundgesetzes in diesem Falle noch mehr zuwider als die Beschränkung der Kunstfreiheit. Der Kunstvorbehalt gelte daher nur für "schlicht" jugendgefährdende Schriften im Sinne des § 1 Abs. 1 GjS und nicht für schwer jugendgefährdende im Sinne des § 6 GjS?46 241 Rainer Scholz, Jugendschutz, § 6 GjS, Anm. 4; H. Laujhütte, JZ 1974, 46 ff. (51). In der aktuellen Entscheidungspraxis der BPS wird offensichtliche schwere Jugendgefahrdung im Sinne des § 6 Nr. 3 GjS etwa angenommen bei Verletzung der Menschenwürde in eklatanter Weise durch Aneinanderreihungen von Brutalitäten und brutalen Morden (BPS-Entsch. vom 11. 11. 1987, BPS-Report 2/1989,36 f. - Videofilm "Fröhliche Weihnacht"; BPS-Entsch. vom 22. 2. 1988, BPS-Report 2/1989, 37 f. - Videofilm "Stille Nacht - Horror-Nacht"); - bei Filmen, die bei Minderjährigen menschenverachtende und menschenvernichtende Einstellungen hervorrufen oder verstärken können (BPS-Entsch. vom 9.2. 1989, BPS-Report 1/1990,32 f. - Videofilm ,,Running Man"); - bei Schilderung sadomasochistischer Sexualpraktiken auf eine Art und Weise, die den Eindruck vermittelt, derartiges Sexualverhalten sei erstrebenswert (BPS-Entsch. vom 1. 9. 1988, BPS-Report 5/1988,37 ff. - "Ich war Domina") bzw. Propagierung als Mittel zur Erlangung höchster Lust und größten Glücks (BPS-Entsch. vom 10. 3. 1988, BPS-Report 4/1988, 14 ff. "Die Liebe, mein Herr"). 242 BVerfGE 77,346 (357 f.) - Presse-Grossist; BGHSt 8,80 (89) - Tom Mix. 243 Rainer Schatz, Jugendschutz, § 6 GjS, Anm. 1; R. Stefen, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 123 ff. (134); BVerwG, NJW 1987, 1435 (1436)Josefine Mutzenbacher; VG Köln, NVwZ 1992, 402 - Opus Pistorum. Als Beispiele hierfür siehe die Indizierungen der Videofilme "Fleisch und Blut - Flesh and Blood" vom 7. 12. 1989, BPS-Report 1/1990,34 ff.; "Running Man" vom 9.2. 1989, BPS-Report 1/1990, 32 f.; "Stille Nacht - Horror-Nacht" vom 22. 2. 1988, BPS-Report 2/1989, 37 f.; "Fröhliche Weihnacht" vom 11. 11. 1987, BPS-Report 2/1989, 36 f. 244 OLG Stuttgart, NJW 1969, 1779; OLG Düsseldorf, NJW 1964,562 f.; H. Riede!, NJW 1954, 1260 f.; F. Harrer, § 6 GjS Rdnr. 7; auch BVerfGE 30, 336 (350) Sonnenfreunde. 245 BVerwGE 77,75 (82 f.) - Der stählerne Traum; BVerwG BPS-Report 2/1987, 1 ff. (4 f.) - Josefine Mutzenbacher (= NJW 1987, 1435 f., wo jedoch der betr. Teil nicht abgedr. ist).

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Dem haben der BGH247 und das Bundesverfassungsgeriche48 in neuester Rechtsprechung widersprochen. Danach verbiete Art. 5 Abs. 3, für eine bestimmte Art von Schriften dem Jugendschutz generell den Vorrang einzuräumen. Statt dessen sei eine Abwägung der widerstreitenden Belange im jeweiligen Einzelfall vorzunehmen. Der Kunstvorbehalt des § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS sei daher verfassungskonform so auszulegen, daß er auch im Falle des § 6 GjS eingreift, aber der Kunst keinen generellen Vorrang einräumt, sondern zu einer Abwägung im Einzelfall verpflichtet. 249 3. Die Verbote der §§ 3-5 GjS

a) Das Abgabe- und Präsentationsverbot gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 GjS Folgen der Indizierung nach § 1 Abs. 1 GjS und dem Vorliegen schwerer Jugendgefährdung gemäß § 6 GjS sind Abgabe- und Präsentations-, Vertriebsund Werbeverbote (§§ 3-5 GjS). Das Abgabeverbot des § 3 Abs. 1 Nr. 1 GjS bestimmt, daß jugendgefährdende Medien Kindern und Jugendlichen nicht angeboten, überlassen oder zugänglich gemacht werden dürfen. Das Zugänglichmachen meint hier wie schon im Rahmen des § 7 Abs. 1 JÖSchG die Ermöglichung der Kenntnisnahme vom Inhalt der Videokassette. 25o Neben dem konkreten Zugänglichkeitsverbot des § 3 Abs. 1 Nr. 1 enthält das Präsentationsverbot des § 3 Abs. 1 Nr. 2 GjS ein abstraktes Zugänglichkeitsverbot, welches bereits verhindern soll, daß jugendgefährdende Medien in den Wahrnehmungsbereich von Minderjährigen gelangen. 251 Das Präsentationsverbot bestimmt, daß jugendgefährdende Erzeugnisse nicht an Orten, die Kindern und Jugendlichen zugänglich sind oder von ihnen eingesehen werden können, ausgestellt, angeschlagen, vorgeführt oder sonst zugänglich gemacht werden dürfen. Die Verbote des § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GjS sind inhaltsgleich mit § 184 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB (Verbreitung pornographischer Schriften). 246 Kritisch hierzu D. Schefold, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (110); ablehnend auch F. Sieger, ZUM 1989,567 f. 247 BGHSt 37, 55 (64) - Henry Millers Opus Pistorum. 248 BVerfGE 83, 130 (143 ff.) - Josefine Mutzenbacher; mit zust. Anm. W. Kuner, AfP 1991, 384 ff. (385 f.); kritisch jedoch K. Borgmann, JUS 1992,916 ff. (918). 249 BVerfGE 83,130 (144 f.) - Josefine Mutzenbacher; dem folgend VG Köln, NVwZ 1992,402 - Opus Pistorum; dazu auch D. Schefold, in: B. DankertlL. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 93 ff. (109 f.); U. Karpen/K. Hofer, JZ 1992, 1060 ff. (1061). 250 Siehe schon oben S. 212; vgl. auch E. Uschold, NJW 1976,2249. 251 Th. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 184 StGB Rdnr. 10; E. Horn, in: SK § 184 StGB, Rdnr. 16; BT-Drs. 10/2546, S. 24; E. Uschold, NJW 1976, 2249 (2250); F. Harrer, § 3 GjS Rdnr. 5.

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b) Die Vertriebsverbote des § 4 GjS Als flankierende Maßnahmen zu den Abgabe- und Präsentationsverboten des § 3 Abs. I Nr. 1 u. 2 GjS untersagt § 4 GjS bestimmte Formen des Vertriebs. Verboten ist gemäß § 4 Abs. 1 GjS der Vertrieb von indizierten Schriften bzw. Videokassetten im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen (dem sog. ambulanten Handel), in Kiosken und anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, im Versandhandel sowie in gewerblichen Leihbüchereien252 und Lesezirkeln. Für Verleger und Zwischenhändler besteht ein Lieferverbot an Inhaber derartiger Betriebe und ambulante Händler (§ 4 Abs. 2 GjS). Schließlich dürfen gemäß § 4 Abs. 3 GjS jugendgefährdende Medien nicht im Wege des Versandhandels importiert werden. c) Das eingeschränkte Vermietverbot des § 3 Abs. 1 Nr. 3 GjS Durch das Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeie53 vom 25. 2. 1985 wurde ein beschränktes Vermietverbot ins GjS eingeführt. Danach ist die gewerbliche Vermietung von indizierten Videokassetten auch an Erwachsene bis auf eine Ausnahme generell verboten. Die Ausnahme gilt für Ladengeschäfte, die Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich sind und von ihnen nicht eingesehen werden können (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 GjS). Unter dem Begriff "Ladengeschäft" ist ein räumlich und organisatorisch eigenständiges Einzelhandelsgeschäft zu verstehen, das einen unmittelbaren Zugang zur Straße oder zu allgemein zugänglichen Verkehrsflächen hat. Kein Ladengeschäft in diesem Sinne ist ein separater Raum oder eine selbständige Abteilung im Geschäftsinnern einer Videothek (sog. "shop in the shop,,)?54 Mit dieser Regelung sollte eine Markttrennung zwischen allgemein zugänglichen "Familienvideo252 Vgl. dazu Rainer Scholz, Jugendschutz, § 4 GjS, Anm. 5. 253 BGBI. I, S. 425 ff. 254 So die ganz herrschende Ansicht in der Rechtsprechung zu § 3 I Nr. 3 GjS und dem gleichlautenden § 184 I Nr. 3a StGB. Vgl. BGH, NJW 1988, 272; LG Hamburg, NJW 1989, 1046; VGH Mannheim, NJW 1987, 1445 f.; LG Verden, NStZ 1986, 118; BayObLG, NJW 1986, 1701; BayObLG, BPS-Report4/1986, 16 f.; BayObLG, BPS-Report 4/1986,47; OLG Stuttgart, BPS-Report 1/1987,24 f.; LG Stuttgart, BPS-Report 1/1986, 14 f.; LG Stuttgart, MDR 1986,424. Siehe auch B. Brockhorst-Reetz, Repressive Maßnahmen, S. 33 ff.; P. Weides, NJW 1987,224 ff. (226); E. Führich, NJW 1986, 1156; K. Finke, BPS-Report 6/1985, S. 5; R. Greger, NStZ 1986, 8 ff. (12); K. R. Maatz, NStZ 1986, 174 f.; R. Stefen, in: B. Dankert/L. Zechlin (Hrsg.), Literatur vor dem Richter, S. 123 ff. (144); ders., BPS-Report 2/1985, I ff. (6 f.); GernertlStojfers, Anm. zu § 3 Abs. l' GjS (S. 158 f.); K. Lackner, § 184 StGB, Rdnr. 6; DreherlTröndle, § 184 StGB Rdnr. 20c; Th. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 184 Rdnr. 24c. Andere Ansicht LG Essen, NJW 1985,2841 f.; H. v. Hartlieb, NJW 1985,830 ff. (832); ders., Handbuch, 11. Kap. Rdnr. 7,13. Kap. Rdnr. 22; E. Horn, in: SK § 184 StGB, Rdnr. 29.

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3. Teil: Die gesetzlichen Einschränkungen

theken" und Spezialgeschäften mit jugendgefährdenden Erzeugnissen bewirkt werden. 255 Die Bestimmung des § 3 Abs. 1 Nr. 3 GjS, die mit dem ebenfalls neu eingeführten § 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB inhaltsgleich ist, hat folgende Vorgeschichte: Zwar verbietet schon § 4 Abs. 1 Nr. 4 GjS den Vertrieb indizierter Schriften in

gewerblichen Leihbüchereien. Nach einer Entscheidung des BGH256 ist jedoch der Begriff "Leihbücherei" im Wortsinne zu verstehen, so daß spezielle Filmund Videoverleihbetriebe davon nicht erfaßt werden. Das Schließen dieser Regelungslücke sei Sache des Gesetzgebers. Das Vertriebsverbot des § 4 Abs. 1 Nr. 4 GjS für Leihbüchereien betrifft danach nur Printmedien. Der Gesetzgeber wollte die Regelungslücke schließen, indem er auch für indizierte Bildträger zunächst ein uneingeschränktes Vermietverbot vorsah. 257 Dieses Vorhaben löste jedoch im Gesetzgebungsverfahren Bedenken aus und stieß auf Widerstände in allen Fraktionen des Bundestages, da hierdurch der Zugang Erwachsener zu indizierten Bildträgern als zu stark beeinträchtigt empfunden wurde. 258 Als Kompromißlösung wurde daher das vorliegende eingeschränkte Vermietverbot ins Gesetz aufgenommen.259 d) Das Werbeverbot des § 5 GjS § 5 Abs. 2 GjS statuiert ein umfassendes Werbeverbot, wonach indizierte Medien nicht öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften angeboten, angekündigt oder angepriesen werden dürfen. Ausgenommen ist nach § 5 Abs. 3 GjS lediglich der Geschäftsverkehr mit dem einschlägigen Handel sowie Werbung an für Kinder und Jugendliche nicht zugänglichen und nicht einsehbaren Ürten. 255 Vgl. Dt. Bundestag, 10. Wp., 108. Sitzung, Abg. Eimer, Stenogr. Ber. S. 8006 A; Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit, 13. Ausschuß, BT-Drs. 10/2546, S. 20 f., 24 f.; siehe auch OLG Hamm, NStZ 1988,415; VGH Mannheim, NJW 1987, 1445; R. Greger, JR 1989, 29 f. (30); GernertIStof!ers, Anm. zu § 3 Abs. 1 GjS (S. 159). Allerdings ist der Verkauf von jugendgefährdendem Material im "shop in the shop" weiterhin zulässig, vgl. R. Greger, NStZ 1986, 8 ff. (12); Th. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 184 StGB Rdnr. 24c. 256 BGHSt 27,52 (54 f.); Rainer Scholz, Jugendschutz, § 4 GjS Anm. 5; Th. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 184 StGB Rdnr. 23; H. Laujhütte, in: LK, § 184 StGB Rdnr. 29; siehe auch BayObLGSt 1976, 169 ff.; OLG Stuttgart, JZ 1976,215 f. Anderer Ansicht früher OLG Karlsruhe, NJW 1976,2232; OLG Karlsruhe, JZ 1974,514 (516); F.-C. Schroeder, JR 1977,231 ff. Vgl. dazu auch G. Weber, Film u. Recht 1976,852 ff.; ders., Film u. Recht 1977,278 f. 257 Vgl. den Gesetzentwurf vom 1. 12. 1983, BT-Drs. 10/722, S. 6,12. 258 V gl. dazu Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit, 13. Ausschuß, BT-Drs. 10/2546, S. 23 f. 259 Vom Bundesrat gingen auch nach Erlaß des Gesetzes weitere Initiativen für ein totales Vermietverbot aus. Siehe dazu unten Abschnitt III 3 (S. 293 f.).

B. Jugendmedienschutz nach dem GjS

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Auch im Vorfeld einer Indizierung darf nicht werbend darauf hingewiesen werden, daß ein Indizierungsverfahren anhängig ist oder gewesen ist (§ 5 Abs. 1 GjS). Werbung bedeutet, daß "das wohlwollende Interesse des Publikums am Gegenstand der Werbung geweckt oder gefördert" werden soll. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem indizierten Medium in der Presse ist dagegen keine Werbung. 260 Umstritten ist die Frage, ob § 5 Abs. 2 GjS auch die sog. gegenstandsneutrale Werbung verbietet. Damit ist Werbung gemeint, die ihrerseits weder jugendgefährdend ist noch auf den jugendgefährdenden Inhalt des beworbenen Mediums hinweist. Das Bundesverwaltungsgericht bejahte die Frage, da es ein Verbot neutraler Werbung aus Gründen des Jugendschutzes für erforderlich hielt. Da Werbung immer auch Jugendliche erreiche und dort ihren Anreiz ausübe, mache auch gegenstandsneutrale Werbung Minderjährige auf die beworbenen Erzeugnisse aufmerksam und vergrößere so die Zahl der Jugendlichen, die sich um den Bezug dieser Produkte bemühten.261 Der BGH schloß sich - jedenfalls für indizierte einfach jugendgefährdende Schriften im Sinne des § 1 GjS - dieser Ansicht an. 262 Dies unter Hinweis darauf, daß § 5 Abs. 2 GjS anders hätte gefaßt werden müssen, wenn die Vorschrift Hinweise auf den jugendgefährdenden Inhalt der beworbenen Produkte verlangen sollte. 263 Anderes gilt nach der Rechtsprechung des BGH und der überwiegenden Ansicht im Schrifttum jedoch für pornographische Medien im Sinne des § 6 Nr. 2 GjS und § 184 Abs. 1 StGB, für die neutrale Werbung erlaubt sein soll. Die Vorschrift des § 184 Abs. 1 Nr. 5 StGB enthält ein dem § 5 Abs. 2, 3 GjS inhaltsgleiches Werbeverbot. 264 Beide Werbeverbote untersagen nach dieser Ansicht nur solche 260 BGHSt 34,218 (220) - Gesichter des Todes; Th. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 184 StGB Rdnr. 31. 261 BVerwG, NJW 1977, 1411 und BVerwG, DVBI1977, 501 (503); gleicher Ansicht P. Weides, NJW 1975, 1845; R. Stelen, Er\. zum GjS, in: Das Dt. Bundesrecht, Teil VG 50, S. 22 f.; F. Harrer, § 5 GjS Rdnr. 2; Rainer Schotz, Jugendschutz, § 5 GjS, Anm. 2. Anderer Ansicht H. v. Hartlieb, Handbuch, 11. Kap. Rdnr. 6. 262 BGHSt 33, 1 ff.; so auch die Vorinstanz LG München I, BPS-Report 3/1984, 8. 263 Ein Werbeverbot, das gegenstandsneutrale Werbung ausdrücklich ausnimmt, ist demgegenüber in § 11 Satz 4 JÖSchG enthalten. Dem Wortlaut dieser Vorschrift zufolge "darf bei der Ankündigung und bei der Werbung weder auf jugendgefährdende Inhalte hingewiesen werden noch darf die Ankündigung oder die Werbung in jugendgefährdender Weise erfolgen." 264 Wobei nach herrschender Ansicht die inhaltsgleichen Vorschriften des GjS gegenüber § 18