273 90 21MB
German Pages [600] Year 2005
de Gruyter Lehrbuch
Grundkurs Strafrecht Die einzelnen Delikte von
Harro Otto 7., neu bearbeitete Auflage
W DE G RECHT
De Gruyter Recht · Berlin
Dr. jur. Dr. h.c. Harro Otto, em. Professor an der Universität Bayreuth
Zitiervorschlag: Otto, Grundkurs Strafrecht, BT, 7. Aufl. 2005, § 31 Rdn. 10
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 3-89949-228-5 Bibliografische
Information
Der Deutschen
Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © Copyright 2005 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz, D-06773 Gräfenheinichen Druck und Bindearbeiten: Druckhaus »Thomas Müntzer« GmbH, Bad Langensalza Umschlaggestaltung: Hansbernd Lindemann, 10785 Berlin
Vorbemerkung Lerntheoretisches Ziel, Anlage und Methode dieses Teils des Grundkurses Strafrecht entsprechen denen der Allgemeinen Strafrechtslehre. Allerdings ließen diese sich nicht ohne weiteres auf die Beschreibung der einzelnen Delikte übertragen. Die Eigenart des Stoffes verlangte gewisse Modifizierungen und die Verlagerung einzelner Akzente: Der Allgemeinen Strafrechtslehre geben nämlich die Prinzipien der Zurechnungslehre ihren durchgehenden systematischen Zusammenhang. Ihre Wirksamkeit gilt es in den verschiedenen Problemkreisen des Allgemeinen Teils zu erkennen und in ihrer Bedeutung im sozialen Raum abschätzen zu lernen. Der Verschiedenheit des jeweiligen Aspekts der Zurechnung entsprechen die verschiedenen Lernziele. Die einzelnen Problemstellungen bezeichnen den jeweils zu erschließenden Raum. Eine vergleichbare Problementfaltung ist bei der Beschreibung der einzelnen Delikte nur dort von Nutzen, wo ein übergreifender Zusammenhang die einzelnen Delikte einer Gruppe in ihrem Wesen entscheidend prägt, ohne dass dies dem Wortlaut der einzelnen Gesetzestatbestände ausdrücklich zu entnehmen ist. In diesem Bereich muss das Lernziel der Einblick in die Art und Weise der Wirksamkeit dieses Zusammenhangs sein. Im Übrigen kann aber das Lernziel der einzelnen Abschnitte vorweg definiert werden: Kenntnis der Art und des Umfangs des Schutzes der Rechtsgüter der einzelnen Deliktstatbestände. Innerhalb des so gewonnenen, jeweils überschaubaren Rahmens ist die Beschäftigung mit den einzelnen Delikten sodann die Fortsetzung der in der Allgemeinen Strafrechtslehre begonnenen Einübung in das strafrechtliche Denken, dessen normativ-begrifflicher Aspekt stets der Ergänzung durch eine faktische Abschätzung der Probleme und ihrer Bedeutung im sozialen Bereich bedarf. Beide Betrachtungsweisen sind jedoch schon in der begrifflichen Begrenzung des Schutzumfangs der einzelnen Delikte weit enger miteinander verbunden, als es vielleicht den Anschein hat. Die Bestimmung des Schutzumfangs der Tatbestände und des Inhalts der einzelnen Begriffe ist heute bereits das Ergebnis harter, langer Arbeit am Begriff durch Lehre und Rechtsprechung in steter Auseinandersetzung mit einer Vielzahl verschiedener Problemstellungen. Vor allem in den gerichtlichen Entscheidungen werden die einzelnen Begriffe einer steten Bewährungsprobe unterzogen. In die Bestimmung, Modifizierung oder völlige Neuschöpfung einzelner Begriffsinhalte gehen umfangreiche kriminologische Überlegungen, kriminalpolitische Zwecksetzungen und sozialpolitische Stellungnahmen ein, auch wenn darüber nicht jeweils Rechenschaft abgelegt wird. - Der Rechtsprechung kommt daher in diesem Bereich besondere Bedeutung zu, die auch in der konkreten Zielsetzung des Grundkurses Ausdruck finden musste: nicht nur der „fertige Jurist", auch schon der Anfanger muss die Entscheidungen, die die Praxis als besonders bedeutsam ansieht, kennenlernen. Er muss sie nicht auswendig lernen, sich aber mit ihnen auseinandersetzen, um die eigene Meinung zu begründen. In dieser Verflechtung von Theorie und Praxis ist die Eigenart dieses Bandes des Grundkurses begründet. Im Übrigen ist der Umfang der Darstellung der einzelnen Deliktsgruppen nach der Bedeutung der Delikte in Ausbildung und Praxis differenziert. Der Schwerpunkt des Grundkurses aber liegt in dem Bemühen, den Leser auf wesentliche Probleme und ihre Lösungsmöglichkeiten hinzuweisen, in die selbstständige Auseinandersetzung mit strafrechtlichen Problemen einzuüben und Wege zur weiteren Vertiefung zu zeigen. Der Leser
V
Vorbemerkung soll am Prozess der Meinungsbildung beteiligt werden, sich aber nicht zur freundlichen Bedienung mit fremden Meinungen eingeladen fühlen. In der Neuauflage wurden Rechtsprechung und Schrifttum auf den aktuellen Stand gebracht. Gesetzesänderungen und -ergänzungen wurden eingearbeitet, so z.B. das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 12. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (§§ 129 a, 261 Abs. 1 Nr. 5), das 35., 36. und das 37. Strafrechtsänderungsgesetz und das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften. Weitere Schwerpunkte bilden daneben die Auseinandersetzung über Inhalt und Grenzen der Heimtücke, über die Sterbehilfe, den Begriff des gefahrlichen Werkzeugs, den Waffen- und Bandenbegriff und die Gewalt durch Unterlassen bei Raub und räuberischer Erpressung im Falle der Nichtbeseitigung einer zuvor begründeten Zwangslage. Für ihre Mitarbeit danke ich sehr herzlich meinen Assistenten, den Herren Stefan Arnold, Frank Beckstein, Hagen Christmann sowie Tobias Liebau und fur die Erstellung der Druckvorlage meiner Sekretärin Frau Gabriele Krampf. Bayreuth, März 2005
VI
Harro Otto
Inhaltsverzeichnis Schrifttum
XIX
1. Teil: Einführung
1
§ 1: Die I. II. III.
1 1 3 3
einzelnen Tatbestände und das System des Besonderen Teils Unrecht und strafbares Unrecht Die Rechtsgutsbeeinträchtigung als Kern des Straftatbestandes Die Legalordnung
2. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
4
1. Kapitel: Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter
4
1. Abschnitt: Delikte gegen das Leben
4
§ 2: Die Systematik der Tötungsdelikte
4
§ 3: Totschlag
11
§ 4: Mord I. Die rechtliche Zuordnung der Mordqualifikationen II. Die einzelnen Qualifikationsmerkmale III. Vorsatzprobleme
12 12 12 28
§ 5: Der minder schwere Fall des Totschlags I. Die beiden Fallgruppen des § 213 II. Das Verhältnis des §213 zu §211
29 29 31
§ 6: Tötung auf Verlangen I. Die Auslegung des § 216 II. Die Problematik der Sterbehilfe III. Tötung auf Verlangen, Suizid und Fremdtötung IV. Zur Teilnahmeproblematik
32 32 35 43 47
§ 7: Kindestötung
48
§ 8: Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte I. Prämissen der Entscheidung II. Zur Einübung
48 48 49
§ 9: Fahrlässige Tötung
51
§10: Aussetzung I. Das geschützte Rechtsgut und Einzelheiten des Tatbestandes II. Besondere Probleme des Tatbestandes
54 54 55
VII
Inhaltsverzeichnis §11: Völkermord
56
§ 12: Zur Wiederholung
56
2. Abschnitt: Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben
58
§ 13: Abbruch der Schwangerschaft
58
I. Die gesetzliche Regelung II. Abbruch der Schwangerschaft III. Der gerechtfertigte Schwangerschaftsabbruch, § 218 a Abs. 2, 3 IV. Strafausschluss und Absehen von Strafe, § 218 a Abs. 4
58 62 66 67
V.
68
Flankierende Maßnahmen zum Schutz ungeborener Kinder
VI. Zur Konkurrenz zwischen Schwangerschaftsabbruch, Tötungs- und Körperverletzungsdelikten
69
3. Abschnitt: Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit
72
§14: Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut
72 72
II.
Die Systematik des Gesetzes
§ 15: Die Körperverletzung I. Einfache Körperverletzung, § 223 II. III. § 16: Die I. II. III. IV.
72 72
Zur Rechtswidrigkeit Zur Bestrafung
75 78
gefährliche Körperverletzung Der Unrechtsgehalt des § 224 Die einzelnen Tatmittel Vorsatz Sonderproblem Aids
78 78 79 80 81
§ 17: Schwere Körperverletzung I. Der Aufbau des § 226 II. III.
72
83 83
Die einzelnen Merkmale Versuch und Täterschaft
83 85
§ 18: Körperverletzung mit Todesfolge I. Der Aufbau des § 227 II. Der Strafrahmen des § 227 Abs. 2
85 85 87
§19: Körperverletzung im Amt
88
§ 20: Mißhandlung von Schutzbefohlenen I. Das geschützte Rechtsgut des § 225 II. Einzelheiten zur Interpretation III. Zur sozialen Relevanz des § 225
89 89 90 90
VIII
Inhaltsverzeichnis §21: Fahrlässige Körperverletzung
91
§ 22: Vergiftung
91
§ 23: Beteiligung an einer Schlägerei I. Das Wesen der Tat II. Einzelheiten der Regelung III. Zur Einübung
91 91 91 92
§ 24: Konkurrenzprobleme I. Die Konkurrenzen innerhalb der Körperverletzungsdelikte II. Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten
93 93 94
§25: Zur Wiederholung
95
4. Abschnitt: Delikte gegen die persönliche Freiheit
96
§ 26: Rechtsgut und Systematik der Freiheitsdelikte I. Das Rechtsgut der Freiheitsdelikte II. Die Systematik der Freiheitsdelikte
96 96 96
§27: Nötigung I. Der objektive Tatbestand II. Der subjektive Tatbestand III. Die Rechtswidrigkeit der Nötigung IV. Versuch und Vollendung V. Besonders schwere Fälle der Nötigung
97 97 103 103 108 109
§ 28: Freiheitsberaubung I. Rechtsgut und Tathandlung des § 239 II. Rechtswidrigkeit III. Erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung IV. Das Verhältnis der Freiheitsberaubung zur Nötigung V. Menschenraub, § 234 VI. Menschenhandel
109 109 111 111 112 113 113
§ 29: Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme I. Rechtsgut der §§ 239 a, 239 b II. Tatbestandsvoraussetzungen III. Erfolgsqualifizierung nach §§ 239 a Abs. 3,239 b Abs. 2 IV. Tätige Reue, §§ 239 a Abs. 4, 239 b Abs. 2 i.V.m. § 239 a Abs. 4 V. Konkurrenzen
115 115 115 117 118 118
§ 30: Zur Wiederholung
118
IX
Inhaltsverzeichnis 5. Abschnitt: Delikte gegen die Ehre
119
§31: Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte I. Das Rechtsgut der ehrverletzenden Delikte II. Der Verletzte der Straftaten gegen die Ehre
119 119 121
§ 32: Die I. II. III. IV. V. VI.
123 123 125 126 128 134 134
einzelnen ehrverletzenden Delikte Beleidigung, § 185 Üble Nachrede, § 186 Qualifizierte ehrverletzende Tatbestände Rechtfertigung Die Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände Erfordernis des Strafantrags
§ 33: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener
135
6. Abschnitt: Delikte gegen den persönlichen Friedens- und Geheimnisbereich
136
§ 34: Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs I. Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 II. Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs, § 201 a III. Verletzung des Briefgeheimnisses § 202 IV. Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 V. Verwertung fremder Geheimnisse, § 204 VI. Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, § 206 VII. Verletzung des Steuergeheimnisses, § 355 VIII. Datenschutz, §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204, 202 a
136 136 139 140 141 144 144 146 146
§35: Hausfriedensbruch I. Der Grundtatbestand, § 123 II. Schwerer Hausfriedensbruch, § 124
148 148 151
§ 36: Bedrohung I. Das geschützte Rechtsgut II. Die Tathandlung
152 152 152
§ 37: Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat I. Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a II. Anwerben für fremden Wehrdienst, § 109 h
153 153 153
X
Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel: Delikte gegen übertragbare Rechtsgüter (Vermögen)
154
1. Abschnitt: Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte
154
§ 38: Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte I. Das geschützte Rechtsgut II. Die systematische Gliederung der Vermögensdelikte III. Die praktische Bedeutung der Vermögensdelikte 2. Abschnitt: Die Vermögensentziehungsdelikte
154 154 156 156 158
§ 39: Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut II. Systematischer Überblick
158 158 159
§ 40: Diebstahl I. Der objektive Tatbestand II. Der subjektive Tatbestand
159 159 167
§ 41: Schwere Fälle des Diebstahls I. Besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243 Abs. 1 II. § 243 Abs. 2: Ausschluss der Strafschärfung III. Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl, §244 IV. Schwerer Bandendiebstahl, § 244 a
177 177 183 185 190
§ 42: Unterschlagung I. Einfache Unterschlagung, § 246 Abs. 1 II. Veruntreuung, § 246 Abs. 2
191 191 197
§ 43: Haus- und Familiendiebstahl
197
§ 44: Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen
199
§ 45: Entziehung elektrischer Energie
200
§ 46: Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer I. Rechtsgut und Systematik des Gesetzes II. Raub, §249 III. Schwerer Raub, § 250 IV. Raub mit Todesfolge, § 251 V. Räuberischer Diebstahl, § 252 VI. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 3 1 6 a
201 201 202 206 208 210 213
§ 47: Sachbeschädigung I. Sachbeschädigung, §303 II. Besondere Fälle der Sachbeschädigung
215 215 218 XI
Inhaltsverzeichnis III. Schutz von Daten und Datenverarbeitung IV. Strafantrag
219 222
§ 48: Strafbare Gebrauchsanmaßungen I. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b II. Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290
222 222 225
§ 49: Zur Wiederholung
225
§ 50: Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte I. Pfandkehr, § 289 II. Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 III. Wilderei, §§ 292 ff
226 226 227 229
§51: Betrug I. Rechtsgut und Gesetzessystematik II. Der gesetzliche Tatbestand III. Der objektive Tatbestand IV. Der subjektive Tatbestand V. Versuch, Vollendung und Besonderheiten der Strafverfolgung VI. Besonders bezeichnete Betrugsfalle
231 231 232 232 252 254 256
§ 52: Betrugsähnliche Tatbestände I. Gebühren-, Abgabenüberhebung und Leistungskürzung, §§ 352,353 II. Erschleichen von Leistungen, § 265 a III. Computerbetrug, § 263 a
264 264 265 267
§ 53: Erpressung und räuberische Erpressung I. Erpressung, § 253 II. Räuberische Erpressung, § 255
273 273 278
§ 54: Untreue und untreueähnliche Delikte I. Rechtsgut und Aufbau des Untreuetatbestandes II. Die beiden Alternativen des Untreuetatbestandes III. Mißbrauch von Scheck- und Kreditkarten, § 266 b IV. Veruntreuung von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 3
279 279 281 286 290
§ 55: Strafbare Vermögensgefahrdung I. Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, § 284 II. Qualifikationstatbestand, § 284 Abs. 3 III. Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel, § 285 IV. Unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder Ausspielung, § 287 V. Gefahrdung von Schiffen, Kraft- und Luftfahrzeugen
291 291 293 293 293 294
XII
Inhaltsverzeichnis 3. Abschnitt: Die Perpetuierungsdelikte
295
§ 56: Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte I. Der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte II. Die Systematik der Perpetuierungsdelikte
295 295 297
§ 57: Begünstigung I. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur II. Einzelheiten des Tatbestandes III. Die Regelung des § 257 Abs. 4
298 298 298 301
§ 58: Hehlerei I. Hehlerei, § 259 II. Qualifikationstatbestände, §§ 260, 260 a III. Fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO
301 301 309 309
§ 59: Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte
309
3. Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
312
1. Kapitel: Delikte gegen nichtstaatliche überindividuelle Rechtsgüter
312
1. Abschnitt: Delikte gegen die Wirtschaftsordnung
312
§ 60: Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht
312
§61: Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch I. Versicherungsmissbrauch, § 265 II. Subventionsbetrug, § 264 III. Kreditbetrug, § 265 b IV. Kapitalanlagebetrug, § 264 a V. Vorenthalten von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 1,2 VI. Insolvenzdelikte, §§ 283-283 d VII. Wucher, § 291 VIII. Straftaten gegen den Wettbewerb
314 314 315 319 320 325 327 335 338
2. Abschnitt: Delikte gegen die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens
346
§ 62: Delikte gegen den äußeren Frieden
346
§ 63: Delikte gegen den inneren Frieden I. Landfriedensbruch, §§ 125, 125 a II. Störung öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, § 126 III. Volksverhetzung, § 130 IV. Belohnung und Billigung von Straftaten, § 140 V. Anleitung zu Straftaten, § 130 a VI. Gewaltdarstellung, § 131 VII. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111
347 347 349 350 352 353 354 355 XIII
Inhaltsverzeichnis 3. Abschnitt: Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens.. 358 § 64: Delikte gegen das Pietätsempfinden
358
§ 65: Delikte gegen die familiäre Ordnung I. Personenstandsfälschung, § 169 II. Doppelehe, § 172 III. Beischlaf zwischen Verwandten, § 173 IV. Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 V. Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, § 171 VI. Entziehung Minderjähriger, § 235 VII. Kinderhandel, § 236
361 361 362 363 364 366 366 368
§ 66: Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung I. Geschütztes Rechtsgut und systematische Gliederung II. Die sexuelle Handlung, § 184 f III. Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne IV. Strafbarer Missbrauch institutioneller Abhängigkeit V. Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person VI. Sexuelle Belästigung Unbeteiligter VII. Förderung und Ausnutzung der Prostitution VIII. Verbreitung pornographischer Schriften, §§ 184, 184 a-c
369 369 370 371 375 377 381 383 384
§ 67: Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität I. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c II. Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs-und Nothilfemitteln, § 145 III. Nichtanzeige geplanter Straftaten, §§ 138,139
386 386 388 389
§ 68: Zur Wiederholung
392
4. Abschnitt: Delikte gegen die Sicherheit des Rechts- und Geldverkehrs
394
§ 69: Rechtsgut und Schutzrichtung der Urkundendelikte
394
§ 70: Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde I. Urkundenfälschung, § 267 II. Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 III. Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahrzeugpapieren, §§ 275,276 a IV. Vorbereitung des Gebrauchs von falschen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahrzeugpapieren, §§ 276, 276 a V. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 2. und 3. Alt., § 279 in Verb, mit § 277
394 394 406
XIV
409 409 409
Inhaltsverzeichnis §71: Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde I. Falschbeurkundung im Amt, § 348 II. Mittelbare Falschbeurkundung, § 271 III. Vorbereitung des Gebrauchs falscher Beurkundungen, §§ 276,276 a IV. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 1. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 V. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 278
410 410 412 414
§ 72: Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels I. Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt II. Unterdrückung beweiserheblicher Daten, § 274 Abs. 1 Nr. 2 III. Veränderung einer Grenzbezeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 3
415 415 417 417
§ 73: Angriffe gegen die bestimmungsgemäße Verwendung eines Beweismittels
418
§ 74: Fälschung technischer Aufzeichnungen I. Rechtsgut und Schutzbereich II. Der Begriff der technischen Aufzeichnung, § 268 Abs. 2 III. Die Tathandlung IV. Zur Unterdrückung einer technischen Aufzeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt
419 419 419 421
§ 75: Geldfälschung I. Rechtsgut und Angriffsobjekt der §§ 146,147,149,152 II. Geldfälschung, § 146 III. Vorbereitung der Fälschung von Geld, § 149 Abs. 1,1. Alt IV. Inverkehrbringen von Falschgeld, § 147 V. Wertpapierfalschung, § 151 VI. Fälschung von Zahlungskarten, Schecks und Wechseln § 152 a VII. Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken für Euroschecks, § 152 b
422 422 423 425 426 426 427
§ 76: Wertzeichenfalschung I. Wertzeichenfälschung, § 148 II. Vorbereitung der Fälschung von Wertzeichen, § 149 Abs. 1,2. Alt
428 428
414 415
422
428
429
§ 77: Zur Wiederholung
430
5. Abschnitt: Gemeingefährliche Delikte
432
§ 78: Systematischer Überblick I. Der Begriff des gemeingefährlichen Delikts II. Die gemeingefährlichen Delikte (Überblick) III. Nicht gemeingefährliche Delikte im 27. Abschnitt des StGB
432 432 433 436 XV
Inhaltsverzeichnis § 79: Brandstiftungsdelikte I. Inbrandsetzen und Zerstören durch Brandlegung II. Brandstiftung, § 306 III. Schwere Brandstiftung, § 306 a IV. Besonders schwere Brandstiftung, § 306 b V. Brandstiftung mit Todesfolge, § 306 c VI. Fahrlässige Brandstiftung, § 306 d VII. Herbeifuhren einer Brandgefahr, § 306 f. VIII. Tätige Reue, § 306 e
437 437 438 438 439 440 440 440 441
§ 80: Gefahrdungen des Verkehrswesens I. Delikte gegen die Sicherheit des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs, §§ 315, 315 a II. Delikte gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs, §§ 315 b, 315 c, 316 III. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 IV. Angriff auf den Luft- und Seeverkehr, § 316 c
441 441 443 448 453
§ 81: Vollrausch I. Rechtsgut und Deliktsnatur des § 323 a II. Die Voraussetzungen des Tatbestandes
453 453 454
6. Abschnitt. Straftaten gegen die Umwelt
460
§ 82: Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen.. I. Die kriminalpolitischen Ziele der Umweltstrafnormen II. Die grundsätzlichen Problemstellungen des Umweltstrafrechts III. Das geschützte Rechtsgut IV. Die einzelnen Schutzbereiche
460 460 461 466 467
2. Kapitel: Delikte gegen staatliche Rechtsgüter
476
1. Abschnitt: Delikte gegen den Bestand des Staates
476
§ 83: Hochverrat I. Rechtsgut und Aufbau des Gesetzes II. Die einzelnen Tatbestände
476 476 476
§ 84: Gefahrdung des demokratischen Rechtsstaats I. Gesetzessystematik der §§ 84-91 II. Die einzelnen Tatbestände
477 477 477
§ 85: Landesverrat und Gefahrdung der äußeren Sicherheit I. Angriffsgegenstand und Gesetzessystematik II. Das Staatsgeheimnis III. Die landesverräterische Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen
482 482 482
XVI
482
Inhaltsverzeichnis IV. Die landesverräterische Konspiration
484
§ 86: Delikte gegen ausländische Staaten I. Rechtsgut II. Die einzelnen Tatbestände III. Voraussetzungen der Strafverfolgung, § 104 a
486 486 486 486
§ 87: Delikte gegen die demokratische Willensbildung und die Willensbetätigung der Verfassungsorgane I. Rechtsgut und Gesetzessystematik der §§ 105-108 d II. Die einzelnen Tatbestände
487 487 487
§ 88: Delikte gegen die Landesverteidigung I. Der Schutzbereich II. Die einzelnen Tatbestände
489 489 489
2. Abschnitt: Delikte gegen die Staatsgewalt
492
§ 89: Gefährdungen der staatlichen Autorität I. Verletzung amtlicher Bekanntmachungen, § 134
492 492
II. Missbrauch von Ausweispapieren, § 281 III. Amtsanmaßung, § 132 IV. Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, § 132 a
492 492 494
§ 90: Gefährdung der Staatsgewalt
495
§91: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte I. Rechtsgut und geschützter Personenkreis der §§ 113,114 II. Der Unrechtstatbestand des § 113 Abs. 1 III. Der Irrtum des Widerstandleistenden IV. Besonders schwere Fälle, § 113 Abs. 2 V. Das Verhältnis des § 113 zu § 240
498 498 499 501 502 502
§ 92: Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei I. Gefangenenbefreiung, § 120 II. Gefangenenmeuterei, § 121
503 503 504
§ 93: Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch I. Verwahrungsbruch, § 133 II. Verstrickungs- und Siegelbruch, § 136 III. Zur Einübung
505 505 507 508
3. Abschnitt: Delikte gegen wichtige öffentliche Interessen
510
§ 94: Gefahrdung öffentlicher Interessen
510
XVII
Inhaltsverzeichnis 4. Abschnitt: Delikte gegen die Rechtspflege
512
§ 95: Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat I. Falsche Verdächtigung, § 164 II. Vortäuschen einer Straftat, § 145 d
512 512 514
§ 96: Strafvereitelung und Geldwäsche I. StrafVereitelung, § 258 II. StrafVereitelung im Amt, § 258 a III. Sabotage gerichtlicher Entscheidungen IV. Geldwäsche, Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte, § 261
516 516 520 521
§ 97: Aussagedelikte I. Rechtsgut, Deliktsnatur und systematischer Überblick
526 526
II. Das relevante Angriffsverhalten III. Die einzelnen Aussagedelikte IV. Teilnahme und mittelbare Täterschaft bei den Aussagedelikten V. Strafmilderung und Absehen von Strafe § 98: Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren I. Rechtsbeugung, § 339 II. Aussageerpressung, § 343 III. IV. V. VI.
Verfolgung Unschuldiger, § 344 Vollstreckung gegen Unschuldige, § 345 Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, § 353 d Parteiverrat, § 356
522
527 533 540 544 547 547 549 549 550 551 552
5. Abschnitt: Delikte gegen den öffentlichen Dienst
555
§ 99: Bestechungsdelikte I. Rechtsgut, Gesetzessystematik und Tatbeteiligte II. Vorteilsannahme, § 331 III. Bestechlichkeit, § 332 IV. Vorteilsgewährung, § 333
555 555 556 559 560
V.
Bestechung, § 334
561
§100: Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 357
561
Paragraphenregister
563
Sachregister
567
XVIII
Schrifttum zum Studium des Strafrechts, Besonderer Teil Der Bezug auf den Grundkurs Strafrecht, A.T., betrifft den Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl. 2004. I. Älteres Schrifttum 1. Lehrbücher BINDING V. LISZT/SCHMIDT
Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, 2 Bde., 1./2. Aufl. 1902-1905 Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 25. Aufl. 1927
2. Kommentare FRANK V. O L S H A U S E N
Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. 1931 Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 1927, 12. Aufl. (nur bis § 246) 1942/43
II. Neueres Schrifttum 1. Lehrbücher und Grundrisse ARZT/WEBER BLEI BOCKELMANN
ESER
GÖSSEL/DÖLLING GÖSSEL HAFT HÄUF
HOHMANN/SANDER
Strafrecht, Besonderer Teil, 2000 Strafrecht II, Besonderer Teil, 12. Aufl. 1983 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 2. Aufl. 1982 Bd. 2: Delikte gegen die Person, 1977 Bd. 3: Ausgewählte Delikte gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit, 1980 Strafrecht, Bd. 3: Delikte gegen die Person und Gemeinschafts werte, 2. Aufl. 1981 Bd. 4: Vermögensdelikte, 4. Aufl. 1983 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1, 2. Aufl. 2004 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 2, 1996 Strafrecht, Besonderer Teil, 7. Aufl. 1998 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 2. Aufl. 2002 Bd. 2: Straftaten gegen Persönlichkeitswerte, 1997 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 2. Aufl. 2000 Bd. 2: Delikte gegen die Person und gegen die Allgemeinheit, 2000
XIX
Schrifttum KINDHÄUSER
KREY
KREY/HELLMANN KÜPER KÜPPER
MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD
MITSCH
RENGIER
SCHMIDHÄUSER SCHROTH WELZEL WESSELS/HETTRNGER WESSELS/HILLENKAMP
Strafrecht, Besonderer Teil Bd. I, Straftaten gegen Persönlichkeitsrechte, Staat und Gesellschaft, 2. Aufl. 2005 Bd. II, Straftaten gegen Vermögensrechte, 4. Aufl. 2005 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte, 12. Aufl. 2002 Bd. 2: Vermögensdelikte, 13. Aufl. 2002 Strafrecht, Besonderer Teil, Definitionen mit Erläuterungen, 5. Aufl. 2002 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Delikte gegen Rechtsgüter der Person und Gemeinschaft, 2. Aufl. 2001 Strafrecht, Besonderer Teil, Tbd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Vermögenswerte, 9. Aufl. 2003 Tbd. 2: Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, 8. Aufl. 1999 Strafrecht, Besonderer Teil Bd. 2/1: Vermögensdelikte, (Kernbereich), 2. Aufl. 2003 Bd. 2/2: Vermögensdelikte, (Randbereich), 2001 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. I: Vermögensdelikte, 7. Aufl. 2005 Bd. II: Delikte gegen die Person und gegen die Allgemeinheit, 6. Aufl. 2004 Strafrecht, Besonderer Teil, 2. Aufl. 1983 Strafrecht, Besonderer Teil, Examensrelevantes Wissen, 3. Aufl. 2000 Das deutsche Strafirecht, 11. Aufl. 1969 Strafrecht, Besonderer Teil/1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 28. Aufl. 2004 Strafrecht, Besonderer Teil/2: Straftaten gegen Vermögenswerte, 27. Aufl. 2004
2. Kommentare JOECKS KINDHÄUSER KOHLRAUSCH/LANGE LACKNER/KÜHL LEIPZIGER KOMMENTAR (LK) MÜNCHENER KOMMENTAR
(ΜΚ) NOMOS KOMMENTAR ( N K ) PFEIFFER/MAUL/ SCHULTE
XX
Strafgesetzbuch - Studienkommentar, 5. Aufl. 2004 Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar, 2. Aufl. 2005 Strafgesetzbuch mit Erläuterungen und Nebengesetzen, 43. Aufl.1961 StGB, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 25. Aufl. 2004 Großkommentar zum Strafgesetzbuch, 11. Aufl. 1992 ff., hrsg. von Jähnke, Laufhütte und Odersky. Strafgesetzbuch, Bd. 2, 2, 2005 Bd. 3,2003 Kommentar zum Strafgesetzbuch, Stand: Nov. 2003. Strafgesetzbuch, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, 1969
Schrifttum PREISENDANZ SCHÖNKE/SCHRÖDER SYSTEMAT. KOMMENTAR ZUM STRAFGESETZBUCH ( S K ) TRÖNDLE/FISCHER
Strafgesetzbuch, Lehrkommentar, 30. Aufl. 1978 Strafgesetzbuch, bearb. von Lenckner, Eser, Cramer, Stree, Heine, Perron und Sternberg-Lieben, 26. Aufl. 2001 bearb. v. Rudolphi, Horn, Samson, Günther und Hoyer Bd. II, Besonderer Teil, Stand: Okt. 2004. Strafgesetzbuch und Nebengesetze,
52.
Aufl.
2004
III. Verzeichnis der im Text angeführten Festschriften/Gedächtnisschriften ANDROULAKIS, NIKOLAOS K . Festschrift, 2003 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1992 BAUMANN, JÜRGEN Festschrift zum 70. Geburtstag, 1997 BEMMANN, GÜNTER Festschrift zum 70. Geburtstag, 1979 BOCKELMANN, PAUL Festschrift zum 65. Geburtstag, 1976 BOSCH, F R . W . Ehrengabe, 1999 BRAUNECK, A N N E - E V A B R O H M , WINFRIED Festschrift zum 70. Geburtstag, 2002 BRUNS, HANS-JÜRGEN Festschrift zum 70. Geburtstag, 1978 B R U N S , RUDOLF Gedächtnisschrift, 1980 BUNDESGERICHTSHOF Festschrift zum 25jährigen Bestehen, 1975 BUNDESGERICHTSHOF 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe der Wissenschaft, BUNDESGERICHTSHOF
BRANDNER, ERICH DREHER, EDUARD DÜNNEBIER, H A N N S DÜRIG, GÜNTER ENGISCH, KARL GALLAS, WILHELM GEERDS, FRIEDRICH 1 4 0 JAHRE GOLTDAMMER'S ARCHIV FÜR STRAFRECHT GÖPPINGER, H A N S GÖSSEL, K A R L HEINZ GRÜNWALD, GERALD HEIDELBERG HEINITZ, ERNST HELMRICH, HERBERT HENKEL, HEINRICH VON HENTIG, H A N S HIRSCH, HANS-JOACHIM HÜBNER, HEINZ JAUCH, G E R D JESCHECK, HEINRICH KAISER, GÜNTHER
Bd. IV, 2000 Festschrift aus Anlaß des Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, 2000 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1996 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1977 Festschrift zum 75. Geburtstag, 1982 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1969 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1973 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1995 Eine Würdigung zum 70. Geburtstag von Paul-Günter Pötz, 1993 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2002 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1999 Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprechts-Karl-Universität Heidelberg, 1986 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1972 Festschrift zum 60. Geburtstag, 1994 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1974 Festschrift zum 80. Geburtstag, 1967 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1999 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1984 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2 Bde., 1985 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1998 XXI
Schrifttum KAUFMANN, ARMIN KAUFMANN, HILDE KLEINKNECHT, THEODOR KLUG, ULRICH KOCHENHOFF, GUNTHER KRIELE, MARTIN LACKNER, KARL LAMPE, ERNST-JOACHIM LANGE, RICHARD LEFERENZ, HEINZ LENCKNER, THEODOR LOBKOWICZ, NICOLAUS MAHRENHOLZ, ERNST GOTTFRIED MAURACH, REINHART MAYER, HELLMUTH MEURER, DIETER MEYER, KARLHEINZ METZGER, EDMUND MIDDENDORF, WOLF NISHIHARA, HARUO NOLL, PETER O L G CELLE OEHLER, DIETRICH PALLIN, FRANZ PETERS, KARL PFEIFFER, GERD REBMANN, KURT REIMERS, WALTER REMMERS, WALTER RIEB, PETER ROXIN CLAUS RUDOLPHI, HANS-JOACHIM SARSTEDT, WERNER SCHAFFSTEIN, FRIEDRICH SCHLÜCHTER, ELLEN SCHMID, NIKLAUS SCHMIDT, EBERHARD SCHNEIDER, PETER SCHREIBER, HANS-LUDWIG SCHRÖDER, HORST SCHÜLER-SPRINGORUM, HORST SCHULTZ, HANS SCHWINGE, ERICH SONNENSCHEIN, JÜRGEN SPENDEL, GÜNTER
XXII
Gedächtnisschrift, 1989 Gedächtnisschrift, 1986 Festschrift zum 75. Geburtstag, 1985 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2 Bde., 1983 Gedächtnisschrift, 1987 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1997 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1987 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2003 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1976 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1983 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1998 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1996 Festschrift für Ernst Gottfried Mahrenholz, 1994 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1972 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1966 Gedächtnisschrift, 2002 Gedächtnisschrift, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1954 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1986 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1998 Gedächtnisschrift, 1984 Göttinger Festschrift zum 250jährigen Bestehen, 1961 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1985 Festschrift zum 80. Geburtstag, 1989 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1974 Festschrift zum Abschied aus dem Amt als Präsident des Bundesgerichtshofes, 1988 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1989 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1979 Festschrift für Walter Remmers, 1995 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2002 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2001 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2004 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1981 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1975 Gedächtnisschrift, 2002 Festschrift zum 65. Geburtstag, 2001 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1961 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1990 Festschrift zum 70. Geburtstag, 2003 Gedächtnisschrift, 1978 Festschrift zum 65. Geburtstag, 1993 Festgabe zum 65. Geburtstag, 1977 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1973 Gedächtnisschrift, 2003 Festschrift zum 70. Geburtstag, 1992
Schrifttum
STREE, WALTER/
Festschrift zum 70. Geburtstag, 1993
WESSELS, JOHANNES TRÖNDLE, HERBERT WEBER, ULRICH WELZEL, H A N S WOLF, ERNST WOLFF, ERNST AMADEUS WÜRTENBERGER, THOMAS ZIPF, HEINZ
Festschrift zum 70 . Geburtstag, Festschrift zum 70 Geburtstag, Festschrift zum 70 . Geburtstag, Festschrift zum 70 . Geburtstag, Festschrift zum 70 , Geburtstag, Festschrift zum 70 , Geburtstag. Gedächtnisschrift, 1999
1989 2004 1974 1985 1998 1977
XXIII
Erster Teil Einführung § 1 Die einzelnen Tatbestände und das System des Besonderen Teils I. Unrecht und strafbares Unrecht 1. Die fragmentarische Natur des Strafrechts In der Einführung in die Allgemeine Strafrechtslehre wurde klargestellt, dass Strafrechtsnormen als Mittel der Verhaltenssteuerung und Erwartungssicherung, die auf eine gerechte Ordnung abzielen, bestimmten Grundsätzen genügen müssen, sollen sie den zur Entwicklung nötigen Handlungsspielraum des Einzelnen und der Gesamtheit garantieren, Rechtssicherheit gewähren und Willkür vorbeugen: (1) Sie müssen hinreichend bestimmt gefasst sein, Art. 103 Abs. 2 GG. (2) Sie müssen gleiche Sachverhalte in gleicher Weise regeln, Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 GG. (3) Nur soweit Strafe als ultima ratio zur Sicherung des sozialen Miteinanders unerlässlich erscheint, sind Strafrechtsnormen legitim. a) Die angemessene Berücksichtigung dieser drei Grundsätze führt nun nicht zur gleichen Bestrafung aller Rechtsgutsbeeinträchtigungen gleicher Intensität, sondern im Gegenteil, sie macht eine Differenzierung nach der über die Rechtsgutsbeeinträchtigung hinausgehenden Sozialschädlichkeit der verschiedenen Verhaltensweisen nötig. Das Unrecht, die Sozialschädlichkeit eines Verhaltens, erschöpft sich nicht in der Rechtsgutsbeeinträchtigung, sondern manifestiert sich lediglich in dieser! - Doch auch das gleiche Maß der Sozialgefahrlichkeit oder -Schädlichkeit und damit der Strafwürdigkeit begründet dort noch keine Strafbarkeit, wo es an der Strafbedürftigkeit fehlt, weil andere, wirksamere oder gleich wirksame Mittel zur Verfügung stehen, dem strafwürdigen Verhalten zu begegnen (fragmentarische Natur des Strafrechts). b) Strafbares Unrecht ist demnach durch seine besondere Beschreibung in den Gesetzestatbeständen des Besonderen Teils jeweils als besonders vertyptes Unrecht gekennzeichnet und damit aus der Masse des allgemeinen Unrechts herausgehoben, weil der Gesetzgeber dieses Unrecht als strafwürdig und strafbedürftig ansieht.
1
2
3
4
Z u r W i e d e r h o l u n g : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 R d n . 4 8 - 5 0 .
c) Ein Tatbestand: „Wer das Vermögen eines anderen schädigt, wird ... bestraft", würde durchaus dem Bestimmtheits- und auch dem Gleichheitsgrundsatz genügen. Er würde aber zahllose Verhaltensweisen umfassen, die keineswegs mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden müssen, z.B. jede vermögensschädigende Vertragsverletzung. Die Einzeltatbestände, z.B. im Bereich des Vermögensstrafrechts, haben gegenüber einem einzigen umfassenden Tatbestand den kriminalpolitischen Vorzug eines gezielteren und damit sachgerechteren Vorgehens. Die damit verbundene Abgrenzungsproblematik ist nicht zu umgehen, soll der strafbare Raum möglichst scharf von dem nicht strafbaren Bereich abgegrenzt werden.
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§1
Erster Teil: Einführung
2. Die strafrechtlichen Deliktstypen Die Vertypung der einzelnen Straftaten geht auf das Erlebnis der Strafwürdigkeit bestimmter Verhaltensweisen zurück. Diese werden als derart sozialschädlich empfunden, dass versucht wird, ihnen mit dem stärksten zur Verfügung stehenden Abwehrmittel, der Strafe, zu begegnen. Und zwar wird die Sozialschädlichkeit, das Unrecht, nicht nur quantitativ, sondern mehr noch qualitativ erlebt. Gerade das unterschiedliche qualitative Erlebnis fuhrt zur Unrechtsvertypung, in der sich allerdings im sozialen Erlebnis zunächst ein persönlicher Typ durchsetzt: der des Mörders, Diebes, Räubers usw. 8 Von diesem Kern anschaulicher kriminologischer Typen geht das Strafrecht in seinen Anfangen aus. Sie werden in ihrer Eigenart, aber auch in ihrer betonten Verschiedenheit als bekannt vorausgesetzt. - Im Zuge der Rechtsentwicklung ist eine derartige Gesetzestechnik aus Rechtssicherheitsgründen nicht mehr tragbar. Die Maxime „nullum crimen sine lege" fordert die abstrakte, kriminologieferne Tatbestandsfassung, d.h. den Übergang von der bloßen Kennzeichnung des Täters zur auflösenden (analysierenden) und zugleich abstrahierenden Beschreibung von Taten. 9 Der Prozess dieser legislatorischen Wandlung wird im geltenden StGB noch deutlich in der Verwendung normativer, d.h. wertausfüllungsbedürftiger Begriffe neben den deskriptiven Merkmalen; vgl. z.B. „niedrige Beweggründe" in § 211. In Einzelfällen hat der Gesetzgeber sogar noch gänzlich von einer Tatbeschreibung abgesehen, wie z.B. in § 185: „Die Beleidigung wird ... bestraft." 10 Die im Erlebnis der Strafwürdigkeit eines Sachverhalts begründete Vertypung von Straftatbeständen folgt allerdings nicht - vergleichbar dem Zurechnungsprinzip, das den Aufbau der Allgemeinen Strafrechtslehre strukturiert - einer einheitlichen Idee. Dennoch stehen die einzelnen Tatbestände der verschiedenen Deliktsgruppen nicht isoliert, unsystematisch nebeneinander. Als Ausdruck des gleichen Erlebnisses der Strafwürdigkeit eines umfassenderen Sachverhaltes sind sie aufeinander bezogen und damit systematisch miteinander verbunden. 7
3. Gesetzestatbestand und Unrechtstypus 11 Die einzelnen im Gesetzestatbestand erfassten Merkmale des „Unrechtstypus" beschreiben die jeweilige Rechtsgutsbeeinträchtigung und ihre Modalitäten, d.h. spezifisches, strafwürdiges Unrecht unter der Voraussetzung, dass das Verhalten überhaupt Unrecht ist. So beschreiben z.B. die Tatbestände der Tötungsdelikte in den § § 2 1 1 ff spezifisches Tötungsunrecht unter der Voraussetzung, dass die konkret zu bewertende Tötung Unrecht ist. Die einzelnen Gesetzestatbestände der Vermögensdelikte kennzeichnen spezifische Angriffe gegen das Vermögen als bestimmtes strafwürdiges Unrecht, vorausgesetzt, der Eingriff in das Vermögen ist rechtswidrig. 12 Der Gesetzestatbestand selbst ist insoweit wertfrei, als er keine Auskunft darüber gibt, ob das von ihm beschriebene Verhalten rechtswidrig ist. Er „indiziert" auch nicht die Rechtswidrigkeit. - Er ist wertbezogen, insofern er ein Verhalten beschreibt, das auf die Prüfung der Rechtswidrigkeit bezogen ist. Ob ein rechtswidriger Eingriff einer Person in strafrechtlich geschützte Rechtsgüter einer anderen vorliegt, ergibt die Prüfung des Unrechtstatbestandes, dessen Bestandteil der Gesetzestatbestand ist. Z u r W i e d e r h o l u n g : G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 5 R d n . 1 - 2 1 .
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Die einzelnen Tatbestände und das System des Besonderen Teils
§1
II. Die Rechtsgutsbeeinträchtigung als Kern des Straftatbestandes Aus der Natur des Strafrechts als Schutzrecht folgt, dass bestimmte Rechtsgüter gegen be- 13 stimmte Angriffe geschützt werden, weil der Schutz dieser Rechtsgüter Voraussetzung für die Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft innerhalb des staatlichen Gefüges ist. Diese Güter (Werte) werden demnach nicht geschützt, weil sie als absolute Werte anerkannt werden, wobei ihre Werthaftigkeit gerade außerhalb jeder Kritik stände, sondern weil sich im steten Vollzug des Soziallebens gezeigt hat, dass bestimmte soziale Funktionseinheiten (Werte) Voraussetzung eines sozialen Zusammenlebens sind. Mit dem Wandel der Stellung zu diesen sozialen Werten ist auch eine Wandlung der strafrechtlichen Auffassung von der Schutzwürdigkeit dieser Werte verbunden. So wurde im Jahre 1969 der Straftatbestand des Ehebruchs, § 172, aus dem StGB entfernt, und die Tatbestände der Unzucht zwischen Männern, §§ 175, 175 a StGB a.F., wurden wesentlich geändert, später wurden diese Tatbestände aufgehoben. Derartige Wandlungen rechtzeitig zu erfassen, gelingt dem Strafgesetzgeber nicht immer. Oft vollzieht sich eine Rechtsänderung auch ohne Gesetzesänderung, da eine Verschiebung des individuellen oder kollektiven Aspekts eines Rechtsguts zu einer anderen Auslegung der Vorschrift fuhrt. Das geschützte Rechtsgut ist dem Wortlaut der einzelnen Tatbestände in der Regel nicht 14 unmittelbar zu entnehmen, es ist durch Auslegung des einzelnen Tatbestandes oder der gesamten Deliktsgruppe zu ermitteln. Die Auslegung der einzelnen Merkmale eines Tatbestandes wiederum erfolgt im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut, denn seinen Schutz gegen bestimmte Angriffe sollen diese Merkmale gerade sicherstellen. Z u r W i e d e r h o l u n g : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 R d n . 2 6 - 4 7 .
III. Die Legalordnung Innerhalb einer stark differenzierten Rechtsordnung, die zahlreiche Straftatbestände ent- 15 hält, müssen diese in einer gewissen Ordnung stehen. Möglich wäre durchaus eine Einteilung nach der Schwere der angedrohten Strafe oder nach dem bei der Tat eingesetzten Angriffsmittel (z.B. Gewalt, Täuschung, List usw.). Gegen eine derartige Einteilung spricht jedoch, dass Praktikabilität und Übersichtlichkeit, aber auch der für die Auslegung der einzelnen Tatbestände höchst relevante Sachzusammenhang zwischen den einzelnen Delikten in höherem Maße Berücksichtigung finden können, wenn eine Ordnung nach der materiellen Angriffsrichtung der Delikte, d.h. nach dem geschützten Rechtsgut der einzelnen Tatbestände, angestrebt wird. Abweichungen innerhalb dieser Ordnung, die z.B. durch die Art des Angriffs (gemeingefährliche und gemeinlästige Straftaten) bedingt sind, können dabei durchaus als Ausnahme von der Regel erfasst werden. Unmittelbar in das Strafgesetzbuch sind Deliktsgruppen aufgenommen worden, deren 16 Bedeutung im Laufe der historischen Entwicklung besonders in das allgemeine Bewusstsein gedrungen ist. Es sind im Wesentlichen Tatbestände, die die Grundlagen jeglichen sozialen Miteinander sichern. Sie können weitgehend auf die Richtlinien des Dekalogs zurückgeführt werden. Die Tatsache des größeren Bekanntheitsgrades dieser Tatbestände darf aber nicht von der Relevanz des Strafrechts ablenken, das in anderen Gesetzen normiert ist, auch wenn diese Strafgesetze vielfach im Gegensatz zu den Vorschriften des StGB als Nebenstrafrecht bezeichnet werden. Nebenstrafrecht ist nicht nebensächliches Strafrecht! Es handelt sich vielmehr um Strafrecht, das oftmals nur von bestimmten Tätern verwirklicht werden kann. Schon das zeigt, dass es hier nicht um Bagatellstrafrecht geht. Zur W i e d e r h o l u n g : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 1 R d n . 4 - 7 .
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Zweiter Teil Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen Erstes Kapitel Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter Erster Abschnitt Delikte gegen das Leben § 2 Die Systematik der Tötungsdelikte Zur Einführung: 1
BGHSt 23 S. 119: Α erschlug die schlafende M, mit der er bis dahin zusammengelebt hatte, mit einem Beil. BGH: Mord, § 211. - Strafe: Lebenslange Freiheitsstrafe. BGH NStZ-RR 2000 S. 369: Der Α hatte sich über den 2 % Jahre alten Y geärgert. Deshalb trat er dem auf dem Rücken liegenden Kind mit seinem nackten Fuß so auf den Bauch, dass die Bauchdecke ca. 15 cm tief eingedrückt wurde. A war sich der Lebensgefährlichkeit seines Verhaltens bewusst. - Y starb. BGH: Totschlag, § 212. - Strafrahmen: 5-15 Jahre Freiheitsstrafe. BGHSt 25 S. 223: Α geriet bei einer Unterredung mit der Β in heftige Erregung, als diese abfällige Bemerkungen über die Söhne des Α machte. Hierdurch zum Zorne gereizt, erwürgte A die B. BGH: Minder schwerer Fall des Totschlags, § 213. - Strafrahmen: 1 Jahr - 10 Jahre Freiheitsstrafe.
2
Frage: Ist es sachgerecht, im Falle der vorsätzlichen Verletzung desselben Rechtsguts Leben - besonders schwere und - unabhängig von der Schuld des Täters - minder schwere Delikte neben dem Grunddelikt zu unterscheiden?
1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Tötungstatbestände ist das menschliche Leben. - Angriffsobjekt ist der geborene Mensch. 4 a) Das Leben als Mensch fangt mit dem Beginn der Geburt an. Dieses ergab sich früher aus dem Wortlaut des § 217 a. F. („Kind in oder gleich nach der Geburt tötet"), ist aber nach Aufhebung des § 217 a.F. durch das 6. StrRG strittig geworden, gleichwohl ist der Zeitpunkt sachgerecht.1 Versuche, den Beginn des Lebens auf den Beginn der Lebensfähigkeit des Kindes nach Trennung von der Mutter oder auf den vollständigen Austritt des Kindes aus dem Mutterleib festzulegen, bzw. den Strafrechtsschutz gegenüber der Mutter und Dritten zu differenzieren, begründen jedoch de lege lata Schutzlücken und Auslegungsprobleme, so dass ihnen nur de lege ferenda Bedeutimg zukommt.' a
3
1
V g l . d a z u HILGENDORF B r o h m - F S , S. 4 0 0 ; HIRSCH E s e r - F S , S. 3 1 4 ff; 3 2 2 ; INGELFINGER G r u n d l a g e n u n d G r e n z b e r e i c h e d e s T ö t u n g s v e r b o t s , 2 0 0 4 , S. 124 ff; KÜPER G A 2 0 0 1 S. 5 2 9 ; PAEFFGEN N K , § 2 2 3 R d n . 4 ; SCHMOLLER G ö s s e l - F S , S. 3 7 2 ; SCHNEIDER M K , V o r 2 1 1 f f R d n . 6 f.
Ia
Vgl. GROPP GA 2000 S. 7 f, 13 (Lebensfähigkeit); R. HERZBERG/A.I. HERZBERG JZ 2001 S. 1112 f; R.
4
Die Systematik der Tötungsdelikte
§2
Als Beginn der Geburt ist das Einsetzen der sog. Eröffnungswehen anzusehen.111 Bei einer operativen Entbindung ist der die Eröffnungsperiode ersetzende Eingriff entscheidend, d.h. bei einer Schnittentbindung die Öffnung des Uterus. 2 Das Kind muss im Zeitpunkt der Geburt gelebt haben, nicht erforderlich ist dagegen seine weitere Lebensfähigkeit. Geschützt wird daher auch die unreife und die missgestaltete Leibesfrucht, nicht aber das krankhaft entartete Ei, die sogenannte Mole.
5
Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 10 S. 5: Die Einwirkung der Α auf ihre Leibesfrucht führte zu einer nicht lebensfähigen Frühgeburt.
6
BGH: Strafbarkeit der Α nur wegen eines Schwangerschaftsabbruchs, nicht aber wegen eines Tötungsdelikts. bb) BGHSt 13 S. 21: Infolge der Einwirkung der Β auf die Leibesfrucht kommt es zu einer Frühgeburt. Das Kind wird sogleich nach der Geburt getötet. BGH: Β hat einen versuchten Schwangerschaftsabbruch und einen vollendeten Totschlag in Realkonkurrenz begangen. 3 cc) BGHSt 32 S. 194: Α warf die schwangere S, bei der die Eröflhungswehen schon eingesetzt hatten, einen Hang hinunter. S starb, die Geburt wurde nicht mehr vollendet. BGH: Zwei vollendete Tötungsdelikte, nämlich Tötung der S und des Kindes.
Außerhalb des Schutzbereichs der Tötungsdelikte liegen Eingriffe in exkorporal befruchtete Eier sowie in in-vitro erzeugte Embryonen vor einem eventuellen Embryonentransfer. Strafrechtlichen Schutz gegen einzelne Eingriffe bietet hier das EmbryonenschutzG vom 13.12.1990 sowie das Gentechnikgesetz v. 16.12.1993.4 Problematisch ist die Erfassung von schädigenden Handlungen, die vor der Geburt eines Kindes vorgenommen werden, aber erst nach der Geburt zum Tode des Kindes fuhren. Entscheidend ist hier hinsichtlich der Schädigung des Kindes nicht der Zeitpunkt der Handlung, sondern der, in dem sich die Handlung bei dem Kind auswirkt, d.h. in dem die schädigende Einwirkung stattfindet. Handlungen, die dazu fuhren, dass ein lebendes, aber nicht überlebensfahiges Kind geboren wird, sind daher nicht als Tötung, sondern nur als Schwangerschaftsabbruch zu erfassen. 5 Bei der Infizierung eines ungeborenen Kindes mit AIDS, die zum späteren Tod des geborenen Kindes fuhrt, kommt es danach darauf an, ob die relevante Einwirkung bereits in HERZBERG in: Bernsmann/Ulsenheimer (Hrsg.), Bochumer Beiträge zu aktuellen Strafrechtsthemen, 2003, S. 46 ff, 60; MERKEL NK, § 218 Rdn. 34, 40 ff (vollständiger Austritt); SCHMOLLER Gössel-FS, S. 370 ff (Schutz gegenüber Dritten mit Geburt, Schutz gegenüber Mutter erst mit Abschluss der Geburt); dazu OTTO Jura 2003 S. 613 f. - Auf den Beginn der Presswehen stellt ab: NEUMANN NK, Vor § 2 1 1 Rdn. 9 . lb
Vgl. BGHSt 31 S. 348; 32 S. 194; dazu ARZT FamRZ 1983 S. 1019 f; GÖSSEL Androulakis-FS, S. 186 f; HIRSCH J R 1 9 8 5 S. 3 3 6 f f ; INGELFINGER G r u n d l a g e n , S. 129 f f ; KÜPER G A 2 0 0 1 S. 5 3 7 ; LÜTTGER
NStZ 1983 S. 481 ff. - Auf den Beginn der Presswehen stellt ab: NEUMANN NK, Vor § 211 Rdn. 9. 2
V g l . INGELFINGER G r u n d l a g e n , S. 132 f f ; JÄHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n . 3 ; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1
Rdn. 3; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 1 Rdn. 8; weitergehend LÜTTGER Heinitz-FS, S. 3 6 6 . 3
4
Dazu auch KREY B.T.l, Rdn. 6; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 6 Rdn. 28; SCH/SCH/ESER § 2 1 8 Rdn. 2 4 . B G B l . I S. 2 7 4 6 ; d a z u DEUTSCH N J W 1991 S. 7 2 1 f f ; JUNG JUS 1991 S. 4 3 1 f f ; KELLER/GÜNTHER/
KAISER EmbryonenschutzG, 1992. 5
Vgl. dazu BGHSt 31 S. 352; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 4; LÜTTGER NStZ 1983 S. 483; NEUMANN N K , V o r § 2 1 1 R d n . 13; STERNBERG-LIEBEN J u S 1 9 8 6 S. 6 7 5 .
5
7
8
9
§2
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
der Infizierung oder erst im Ausbruch der Krankheit gesehen wird. - Da das Ereignis, aus dem sich die weiteren Folgen zwingend und ohne Möglichkeit ihrer Abwendung entwikkeln, die Infizierung ist, liegt in dieser die relevante Schädigung, nicht erst im Ausbruch der Krankheit. Das Kind wird bereits mit dem Schaden geboren. 6 Darin liegt der Unterschied zu dem Fall einer vor Geburt bereits in Gang gesetzten Gefahrdung von außen, die sich erst nach der Geburt realisiert, z.B. beim Versehen des Kinderzimmers mit einem giftigen Anstrich. 10 b) Als Ende des Lebens wurde früher der endgültige Stillstand von Kreislauf und Atmung angesehen. Nach heute h.M. gilt als Todeszeitpunkt der sog. Hirntod, d. h. der vollständige und irreversible Zusammenbruch der Gesamtfiinktion des Gehirns bei noch aufrechterhaltener Kreislauffunktion im übrigen Körper.7 11 Taugliches Tötungsobjekt können demnach auch der Todgeweihte und der Sterbende sein. Es gibt kein lebensunwertes oder minder schutzwürdiges Menschenleben. Auch „unaufhaltsam verlöschendes", „infolge irreversiblen Bewusstseinsverlustes geschädigtes Leben" ist geschützt. 8 12 Geschützt ist auch der Anencephalus. Ihm fehlen zwar Groß-, Zwischen- und Mittelhirn, doch wegen der Funktion des Stammhirns ist der Anencephalus nicht einem Hirntoten gleichzustellen. Auch er ist, als zur Gattung Mensch zugehörig, als Mensch strafrechtlich geschützt. 9 13
In der Auseinandersetzung über die Regelungen der nötigen Einwilligung zu einer Transplantation (Einwilligung allein des Betroffenen: enge Zustimmungslösung; auch Einwilligung von Angehörigen und Vertretern relevant: weite Zustimmungslösung) wurde die h.M. zum Todeszeitpunkt zunehmend in Frage gestellt. Argumentiert wurde und wird, dass der Tod ein oft langsam voranschreitender Prozess ist, in dessen Verlauf der Ausfall einzelner Organe jeweils ein Stadium dieses schrittweise verlaufenden Prozesses darstelle. Erst mit dem unwiderruflichen Ausfall aller Organe, die an der Konstituierung des menschlichen Organismus als Einheit wesentlich beteiligt sind - Herz, Lunge, Hirn - trete daher der Tod ein.^® - Konsequent durchdacht
"
7
Nach geltendem Recht bleibt daher die Schädigung des Kindes straflos, da nach h.M. die Trennung zwischen den Rechtsgütern der Mutter und des Kindes auch in derartigen Fällen streng durchzuhalten ist; vgl. dazu eingehender § 13 Rdn. 65 ff. Dazu Wiss. Beirat der BÄK, Dt.ÄrzteBl 1982 S. 45; 1986 S. 2940; 1993 S. 1975; 1997 S. Β 1032; vgl. a u c h INGELFINGER G r u n d l a g e n , S. 155 f f , 163; JÄHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n . 7; KLUTH Z f L 1 9 9 6 S. 8; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 R d n . 4 ; MERKEL J u r a 1 9 9 9 S. 1 1 3 f f ; NEUMANN N K , V o r § 2 1 1 R d n . 2 4 f f ;
ONDUCU in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, 2. Aufl. 2001, S. 223 ff; SCH/SCH/ESER Vor § 2 1 1 R d n . 19; SCHNEIDER M K , V o r § § 2 1 1 f f R d n . 16; SCHREIBER R e m m e r s - F S , S. 5 9 5 ; STERNBERGLIEBEN J A 1 9 9 7 S. 8 0 f f ; WESSELS/HETTINGER Β . T . / l , R d n . 2 1 . - Krit. d e m g e g e n ü b e r : BAVASTRO Z R P 1 9 9 9 S. 114 f f ; BECKMANN Z R P 1 9 9 6 S. 2 1 9 ff; GALLWAS J Z 1 9 9 6 S. 8 5 1 ; HÖFLING J Z 1 9 9 5 S. 2 6 f;
RIXEN Lebensschutz am Lebensende, 1999, S. 269 ff; TRÖNDLE Hirsch-FS, S. 783 ff; R. WEBER ZfL 2002 S. 94 ff. 8
Der Entscheidung BGH NStZ 1992 S. 333 ist keine entgegengesetzte Auffassung zu entnehmen; vgl. JOERDEN N S t Z 1 9 9 3 S . 2 6 8 ; MITSCH J u S 1 9 9 5 S. 7 8 9 f; OTTO J K 9 3 S t G B § 2 2 6 / 4 ; PUPPE J R 1 9 9 2 S .
513; a. A. DENCKER NStZ 1992 S. 311 ff. - Allerdings geht BGH NStZ-RR 1996 S. 356 davon aus, dass es strafmildernd zu berücksichtigen sei, wenn der Täter dem Tod des Opfers lediglich „vorgegriffen" hat; dagegen aber SPENDEL JZ 1997 S. 1186 ff. 9
Dazu auch HÖFLING JZ 1995 S. 30; ISEMER/LILIE MedR 1988 S. 67; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 6; WOLFSLAST M e d R 1 9 8 9 S . 1 6 3 . - A . A . HAUCK N o l l - G e d S , S . 2 0 4 ; HIERSCHE M e d R 1 9 8 4 S. 2 1 5 .
10
V g l . BECKMANN Z R P 1 9 9 6 S. 2 2 5 ; GREWEL Z R P 1 9 9 5 S. 2 1 7 f; HÖFLING J Z 1 9 9 5 S . 2 8 f f ; DERS. J Z
1996 S. 617 ff; HÖF/IN DER SCHMITTEN in: Hof/in der Schmitten (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?, 1995, S. 153 ff; JÖRRIS in: Hof/in der Schmitten, Mensch, S. 362 ff; RIXEN ZRP 1995 S. 462 ff; TRÖNDLE Z f L 1 9 9 7 S. 3 f f ; R . WEBER Z f L 2 0 0 2 S . 9 4 f f .
6
Die Systematik der Tötungsdelikte
§2
führt diese Ansicht aber entgegen der Auffassung ihrer Vertreter nicht zwingend zur engen Zustimmungslösung, sondern zu einem Schutz gegen todbringende Organentnahmen auch nach dem Hirntod, d.h. letztlich zum Verbot jeglicher Transplantationen. Das bloße Sterbenlassen durch Abbruch einer Intensivbehandlung und die „Abkürzung" des Sterbeprozesses durch Organentnahme sind nämlich nicht identisch, denn die todbringende Organentnahme ist ein zielgerichteter lebensverkürzender Eingriff. 1 ' Wird die Transplantation dennoch zugelassen, so findet in ihr ein - nach dem Hirntod - verminderter Schutz des Lebens seinen Ausdruck. Insofern ist es in der Tat fraglich, ob das Hinausschieben des Todeszeitpunktes über den Himtod hinaus dem Menschen wirklich dient/ 12 Das Transplantationsgesetz vom 5.11.1997 (BGBl. I, S. 2631) trifft keine gesetzliche Regelung zum Todeszeitpunkt, verbietet aber eine Organentnahme vor dem Hirntod, § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG.
2. Die Systematik der vorsätzlichen
Tötungsdelikte
a) Nach h.L. ist der Totschlag, § 212, als Grundtatbestand der Tötungsdelikte anzusehen. 14 Der Mord, § 211, ist demgegenüber eine Qualifizierung; dazu weiter § 4 Rdn. 1 ff. - Die Tötung auf Verlangen, § 216, stellt eine Privilegierung dar. 13 Der minder schwere Fall des Totschlags, § 213, enthält in seinem ersten Teil (Reizung 15 zum Zorn) eine Privilegierung, in seinem zweiten Teil (sonst ein minder schwerer Fall) eine bloße Strafzumessungsregel. 14 Die h.M. interpretiert auch die 1. Alt. des § 213 als bloße Strafzumessungsregel und damit als unbenannten Strafänderungsgrund. Das überzeugt nicht. - Innerhalb der Systematik der Strafänderungsgründe unterscheidet das Gesetz benannte und unbenannte Strafänderungsgründe. Da der strafmildernde Sachverhalt in § 213, 1. Alt. zwingend festgelegt wird, handelt es sich insoweit um einen benannten Strafmilderungsgrund, d. h. um eine Privilegierung. Zwingende Beispiele unbenannter Strafänderungsgründe gibt es innerhalb dieser Systematik nicht, denn dieses wären benannte Fälle unbenannter Strafänderungsgründe! Nach der Änderung des Strafmaßes des § 213 durch das 6. StrRG hat die Unterscheidung ihre praktische Bedeutung verloren, da nunmehr auch der Versuch des § 213, 1. Alt. StGB strafbar ist.
16
b) Der BGH hat zunächst in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass 17 §211 und § 212 als selbstständige Tatbestände anzusehen sind, die isoliert nebeneinander stehen. 15 Das hat den 1. Strafsenat des BGH jedoch nicht daran gehindert, die Möglichkeit von Mord und Totschlag durch Mittäter, die jeweils nur das eine der beiden Delikte verwirklicht haben, anzuerkennen. Damit ist die These, dass beide Tatbestände selbstständige, von einander unabhängige Delikte beschreiben, in der Sache aufgegeben. 16 Sie wurde je11
Dazu vgl. BOTTKE in: Bottke/Fritsche/Huber/Schreiber (Hrsg.), Lebensverlängerung aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht, 1996, S. 79 ff; STEFFEN NJW 1997 S. 1619; WAGNER/BROCKER ZRP 1996 S. 229 f; WOLFSLAST MedR 1989 S. 163 f.
12
D a z u OTTO Z f L 1 9 9 7 S. 7 f ; SCHNEIDER M K , V o r § § 2 1 1 f f R d n . 2 5 ; STEFFEN N J W 1 9 9 7 S. 1 6 2 0 .
13
V g l . GÖSSEL/DÖLLING Β . Τ . 1 , § 1 R d n . 7 ; KÜPPER M e u r e r - G e d S , S . 124 f; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 R d n . 2 4 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 6 0 f; WELZEL L b , § 3 8 ; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , R d n . 6 9 . - F ü r S o n d e r d e l i k t : SCH/SCH/ESER V o r § 2 1 1 R d n . 7 ; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 1 6 R d n . 2 .
14
Str., so auch BOCKELMANN B.T./2, § 4 I, § 2 III; DECKERS Rieß-FS, S. 667; KINDHÄUSER StGB, § 213 Rdn. 1. - Die h.M. sieht den § 213 einheitlich als bloße Strafzumessungsregel an, vgl. GEILEN DreherF S , S. 3 5 8 ; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 1 R d n . 11; JÄHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n . 3 9 ; KREY B . T . l , R d n . 5 0 ; LACKNER/KÜHL § 2 1 3 R d n . 1; MITSCH J u S 1 9 9 6 S. 2 8 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 3 R d n . 1.
15
Vgl. dazu BGHSt 1 S. 370, 372; 2 S. 255; 6 S. 329; 22 S. 377; 24 S. 108; BGH StV 2003 S. 26 mit Anm. OTTO JK 02, StGB § 211/37; sowie zu den Konsequenzen BGHSt (GrSSt) 30 S. 105.
16
Vgl. BGHSt 36 S. 231 mit Anm. BEULKE NStZ 1990 S. 278 f, GEPPERT JK 90, StGB § 211/18, KÜPPER JuS 1991 S. 639 ff, TLMPE JZ 1990 S. 97 f. - Krit. Analyse der Rechtsprechung durch KÜPER JZ 1991, S. 761 ff, 862 ff, 910 ff.
7
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§2
doch bereits zuvor vom BGH nicht durchgehalten, da er davon ausging, dass der Teilnehmer an einer Mordtat aus niedrigen Beweggründen wegen Teilnahme am Mord bestraft werden kann, wenn er in Kenntnis der niedrigen Beweggründe des Haupttäters oder selbst aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat;17 dazu weiter unter § 8 Rdn. 1 ff. 18 § 213 enthält nach Auffassung der Rechtsprechung lediglich eine Strafzumessungsregel gegenüber § 212. - § 216 wird als Sondertatbestand bezeichnet, doch meint die Rechtsprechung damit wegen des beschränkten Täterkreises ein unechtes Sonderdelikt, d.h. in den praktischen Auswirkungen einen privilegierten Tatbestand.18 19 c) Zu den Konsequenzen der einzelnen Auffassungen in der Teilnahmelehre vgl. § 8. 3. Die sachliche Berechtigung der Differenzierung und ihre Konsequenzen 20 Die Sachgerechtigkeit der im deutschen Strafrecht schon in der Carolina und in vielen ausländischen Rechtsordnungen ausgeprägten Differenzierung zwischen einem Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötungsdelikte und einem qualifizierten Tatbestand sowie privilegierten Tötungsdelikten wird bestritten. Unabhängig von der Frage nach der Richtigkeit einzelner Entscheidungen wird die Berechtigung der Dreiteilung als solche in Zweifel gezogen. Vorgeschlagen wird eine Differenzierung lediglich zwischen nicht privilegierter Tötung und privilegierten Tötungsfallen.19 Der Dreiteilung ist gleichwohl der Vorzug zu geben, denn in ihr findet ein Differenzierungsbedürfnis Ausdruck, das in der unterschiedlichen sozialethischen Beurteilung der Tötungstaten begründet ist. 21
Diese sozialethische Betrachtung, die jedem rechtserheblichen Ereignis zuteil wird, weil es sich zugleich um eine sozial erhebliche Tatsache handelt, begründet die unterschiedliche Klassifizierung der Tötungsdelikte: Je bedeutsamer, verständlicher oder zwingender z.B. der Anlass zur Tat erscheint, um so geringer wird ihr Unwert als Störung der sozialen Beziehungen der Rechtsgenossen untereinander empfunden. Innerhalb dieser Wertung wird die vorsätzliche Tötung ganz nüchtern als ein Mittel zur Lösung bestimmter sozialer Konflikte bewertet. Motive, Zweck, Art und Weise der Anwendung des Mittels, Aufkommen der Konfliktsituation und Stellung des Täters in ihr werden zum gewählten Mittel der Problemlösung ins Verhältnis gesetzt. Egoistische und altruistische Strebungen innerhalb der Konfliktsituation werden gegenübergestellt.
22
Der Grundtatbestand der Tötungsdelikte, Totschlag, ist erfüllt, wenn diese Beurteilung zu dem Ergebnis führt, dass die Tat Ausdruck einer sozialethisch schwer beeinträchtigten Gesinnung des Täters ist, weil die eigenen Interessen rechtlich unerträglich, rücksichtslos den Interessen anderer vorgezogen werden. - Ein qualifizierter Fall des Totschlags, ein Mord, liegt hingegen vor, wenn die Tat ein derartiges Maß an Sozialgefährlichkeit des Täters erweist, dass sie nur noch als Ausdruck des krassesten und primitivsten Egoismus des Täters und einer über die Tötung selbst hinausweisenden sozialen Gefährlichkeit des Täters angesehen werden kann. - Ein privilegierter Tötungsfall ist hingegen anzunehmen, wenn die Tat als ausnahmsweise Entgleisung eines Menschen erscheint, „die Gesinnung neben dem natürlichen Egoismus jedes Individuums auch hinreichend entwickelte soziale Tendenzen enthält, so daß man von einer ethisch guten, anständigen und deshalb auch rechtlichen Gesinnung dieses Menschen reden kann" ( B I N D E R ) .
23 Diese sozialethische Differenzierung basiert auf der Würdigung der verwerflichen Motive und Zwecksetzung des Täters - Verwerflichkeitsprinzip - sowie seiner in der Tat zum Ausdruck gekommenen Gefährlichkeit - Gefährlichkeitsprinzip -.
17
Vgl. BGH NStZ 1996 S. 384 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 211/30.
18
Vgl. dazu Rdn. 42.
1 9
V g l . E S E R 5 3 . D J T - G u t a c h t e n , 1 9 8 0 , D 1 0 6 ff; BECKMANN G A 1 9 8 1 S . 3 3 7 f f .
2 0
NJW 1953
S.
1440;
GOSSEL/DÖLLING
B.T.l, § 1 Rdn. 17 ff;
JÄHNKE
LK, Vor § 211
Eingehender dazu BINDER SchwZStr 67 (1952) S. 312 ff; OTTO ZStW 83 (1971) S. 43 ff; SCHNEIDER
MK, Vor
8
BGH
§§211
ff Rdn.
143.
Die Systematik der Tötungsdelikte
§2
Im Gegensatz zu dieser Auffassung wird vielfach in der Lehre versucht, die quali- 24 fizierten Totschlagsfalle nur als besonders verwerfliche Tötungen zu erfassen (Verwerflichkeitsprinzip). Die Verwerflichkeit wird zum einen in der Niedrigkeit der Motivation des Täters (Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, sonstige niedrige Beweggründe), zum anderen im Tatzweck (Ermöglichung oder Verdeckung einer Straftat) und in der Art der Tatausfuhrung (heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln) gesehen. - Eine neuere Lehre erkennt demgegenüber das maßgebende Kriterium allein in der besonders gefährlichen Einstellung des Täters gegenüber Leib und Leben anderer (Gefahrlichkeitsprinzip). 21 Weder die Verwerflichkeit der Gesinnung des Täters noch seine Gefährlichkeit allein sind geeignet, Tötungsfälle im Bereich der vorsätzlichen Tötung als besonders qualifiziertes Unrecht zu charakterisieren. Schon der Totschlag ist durch eine verwerfliche Gesinnung des Täters gekennzeichnet, und die Tat kann auf eine besondere Gefährlichkeit des Täters hindeuten, sie muss es aber nicht, wie gerade die in der Literatur genannten Fälle besonderer Gefährlichkeit, z.B. die „Mehrfachtötung", die „Tötung mit unerlaubt mitgeftihrter Schusswaffe" oder die „Tötung bei bandenmäßiger Begehung", zeigen. - Die einzelnen Fallgestaltungen könnten als Regelfallbeispiele brauchbar sein, als tatbestandliche Qualifikationsmerkmale müssen sie zu unbefriedigenden Zufallsergebnissen filhren. Die Tatsache, dass z.B. jemand einen anderen mit einer unerlaubt in seinem Besitz befindlichen Waffe tötet, der ihn zuvor schwer gekränkt hat, macht die Tötung noch nicht zu einem schlechthin sozial unerträglichen Tötungsfall, gibt ihr vor allem kein anderes Gepräge als einer Tat mit erlaubt mitgeflihrter Waffe. Gleiches gilt für eine Tötung durch eine Bande oder für eine Mehrfachtötung als solche.
25
Der BGH geht davon aus, dass der Mordtatbestand in § 211 Abs. 2 abschließend die Ta- 26 tumstände jener Tötungen beschreibt, die nach dem Willen des Gesetzgebers zwingend als besonders verwerflich anzusehen sind. Eine zusätzliche Verwerflichkeitsprüfung bzgl. der einzelnen Tat komme daher nicht in Betracht, und deshalb sei eine „Typen-" oder „Tatbestandskorrektur" ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen eines Mordmerkmals erfüllt sind, auch wenn die Tötungshandlung aufgrund umfassender Gesamtwürdigung aller Tatumstände und der Täterpersönlichkeit als nicht besonders verwerflich erscheint. Ausnahmsweise eröffnet der BGH jedoch ein Abweichen von der lebenslangen Strafe in Tötungsfallen, in denen das Merkmal „Heimtücke" erfüllt ist, aber „außergewöhnliche Umstände vorliegen, aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint. In diesen Fällen ist wegen Mordes zu verurteilen, jedoch ist der Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzuwenden". 22 Diese Flucht in eine Generalklausel anstelle des Versuchs, die Mordmerkmale unter ei- 27 ner gemeinsamen leitenden Hinsicht zu interpretieren, vermag weder dogmatisch noch kriminalpolitisch zu überzeugen. Zum einen müsste die „Verhältnismäßigkeitskorrektur"
21
Zur Auseinandersetzung: HEINE Tötung aus „niedrigen Beweggründen", 1988, S. 183 ff, 195 ff.
22
BGHSt (GrSSt) 30 S. 105; dazu kritisch ALBRECHT JZ 1982 S. 697 ff; ARZT/WEBER B. T., § 2 Rdn. 17; B R U N S J R 1 9 8 1 S . 3 5 8 f f ; DERS. K l e i n k n e c h t - F S , S . 4 9 ff; E S E R JR 1 9 8 1 S . 1 7 7 ff; DERS. N S t Z S . 3 8 3 f f ; FÜNFSINN Jura 1 9 8 6 S . 1 3 6 fT; G Ü N T H E R N J W
1981
1 9 8 2 S . 3 5 3 f f ; DERS. JR 1 9 8 5 S . 2 6 8 ff;
H A S S E M E R J Z 1 9 8 3 S. 9 6 7 ff; KINDHÄUSER S t G B , § 2 1 1 R d n . 5 ; K Ö H L E R J u S 1 9 8 4 S. 7 6 2 f f ; K R E Y
B.T.l, Rdn. 67 ff; KÜPER JuS 2000 S. 746 f; LACKNER NStZ 1981 S. 348 ff; LANGER Ernst Wolf-FS, S . 3 3 5 f f ; M I T S C H J u S 1 9 9 6 S . 1 2 2 ; M Ü L L E R / D I E T Z N i s h i h a r a - F S , S. 2 5 4 f f ; N E U M A N N N K , V o r § 2 1 1 R d n . 1 4 9 ; O T T O Jura 1 9 9 4 S . 1 4 3 f; PAEFFGEN G A 1 9 8 2 S . 2 5 5 ff; S O N N E N J A 1 9 8 1 S . 6 3 8 fT; SPEN-
DEL JR 1983 S. 271 ff; VEH Mordtatbestand und verfassungskonforme Rechtsanwendung, 1986, S. 123 ff. - Zustimmend: FROMMEL StV 1982 S. 533 ff; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 4 Rdn. 12 ff; JÄHNKE Spendel-FS, S. 539 ff; KRATZSCH JA 1982 S. 401 ff; RENGIER NStZ 1982 S. 225 ff; DERS. NStZ 1984 S. 21 ff; SCHNEIDER MK, § 211 Rdn. 43 ff. - Im sachlichen Anliegen zustimmend: BÖGERS JR 2004 S. 1 4 0 ff.
9
§2
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
fur alle Mordmerkmale gelten,23 so dass hier die abgelehnte Typenkorrektur unter anderen Aspekten neu belebt würde, zum anderen ist auf diesem Weg nicht sicherzustellen, dass Fälle, die nach ihrem Sinngehalt unter § 213 fallen, aus dem Anwendungsbereich des Mordtatbestandes herausgehalten werden, wie gerade die Praxis zeigt; dazu weiter unter § 5 Rdn. 15 ff. 28 Die hier vertretene Lösung bietet bei der Anwendung des Mordtatbestandes ein höheres Maß an Sachgerechtigkeit und Rechtssicherheit und prägt zugleich die Auslegung des § 212 Abs. 2, da die Mordqualifikationen Beispielcharakter für die Anwendung des § 212 Abs. 2 haben. Damit wird gewährleistet, dass im Mordtatbestand Fälle gleicher Schwere in gleicher Weise erfasst werden. Soweit ein Fall nicht die Merkmale des § 211 Abs. 2 erfüllt, bleibt es möglich, ihn als besonders schweren Fall des Totschlags gemäß 212 Abs. 2 einzuordnen. - Die Situationen privilegierter Tötungen heben sich demgegenüber deutlich ab: in ihnen kann niemals ein unerträglicher Egoismus des Täters und eine über die Tötung selbst hinausgehende Gefahr des Täters für die Sozietät ihren Ausdruck finden. Mord und privilegierte Tötungsfalle schließen sich demgemäß sachlich aus, weil die Tatbestände unterschiedliche, nicht vergleichbare Fallsituationen beschreiben.24 29 4. Zur Reform der Tötungsdelikte a) Seit langem wird in der Literatur eine Reform der Tötungsdelikte gefordert; vgl. dazu ARZT ZStW 83 ( 1 9 7 1 ) S. 1 ff; ESER 5 3 . D J T - G u t a c h t e n , D 3 4 ff; FUHRMANN 5 3 . D J T - S i t z u n g s b e r i c h t , Μ 7 ff; GEILEN J R 1 9 8 0 S. 3 0 9 ff; GÖSSEL D R i Z 1 9 8 0 S . 2 8 1 f f ; GRABBERGER M s c h r K r i m 1 9 9 9 S. 1 4 7 ff; GRIBBOHM Z R P 1 9 8 0 S. 2 2 2 ff; JÄHNKE M D R 1 9 8 0 S. 7 0 5 ff; KARGL J Z 2 0 0 3 S. 1141 ff; LACKNER J Z 1 9 7 7 S. 5 0 2 ff; DERS. 5 3 . D J T - S i t z u n g s b e r i c h t , Μ 2 5 ff; OTTO Z S t W 8 3 ( 1 9 7 1 ) S. 3 9 ff; RÜPING J Z 1 9 7 9 S. 6 2 1 ; SESSAR R e c h t l i -
che und soziale Prozesse einer Definition der Tötungskriminalität, 1981, S. 21 ff; WEHUNG JZ 1981 S. 109 f; WOESNER N J W 1 9 7 8 S. 1 0 2 5 ff; DERS. N J W 1 9 8 0 S . 1 1 3 6 ff; ZLPF W ü r t e n b e r g e r - F e s t s c h r i f t , S. 151 f.
Rechtsvergleichend: ESER7KOCH ZStW 92 (1980) S.491 ff; Moos ZStW 89 (1977) S. 796 ff; RENGIER ZStW 92 (1980) S. 459 ff; SIMSON/GEERDS Straftaten gegen die Person und Sittlichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht, 1969. b) Das Bundesjustizministerium hat im März 2001 einen Arbeitsentwurf zur Reform der Tötungsdelikte vorgelegt, der eine Umgestaltung der Tötungsdelikte zum Gegenstand hat. Danach soll § 211 wegfallen, in § 212 wird neben der jetzigen Regelung eine Strafmilderung in minder schweren Fällen aufgenommen. Der Mordtatbestand wird mit dem Inhalt des bisherigen § 211 und der Möglichkeit einer Strafmilderung im Falle der Heimtücke zu § 213. § 214 erhält den Wortlaut des § 216. - Diese Reformvorschläge sind von einer grundsätzlichen Reform der Tötungsdelikte weit entfernt. 2 4 3
5. Zur verfassungsrechtlichen Problematik der lebenslangen Freiheitsstrafe 30
B V e r f G E 4 5 S . 1 8 7 ff m i t A n m . BECKMANN G A 1981 S. 3 3 7 ff, SCHMIDHÄUSER J R 1 9 7 8 S. 2 6 5 ff; ERICHSEN N J W 1 9 7 6 S. 1721 ff; GRÜNWALD B e m m a n n - F S , S . 161 ff; KÖHNE J R 2 0 0 3 S. 5 ff; MÜLLER-
DIETZ Jura 1983 S. 573 ff.
23
Gerade das aber lehnt der BGH ausdrücklich ab, vgl. BGHSt 42 S. 304; zust. DÖLLING JR 1998 S. 160 f; krit. demgegenüber BÖGERS JR 2004 S. 145, Fn. 69; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 4 Rdn. 12; JÄHNKE L K , § 2 1 1 R d n . 7 2 .
24
Vgl. auch BERNSMANN JZ 1983 S. 45 ff; JÄHNKE LK, Vor § 211 Rdn. 37; RIEß NJW 1968 S. 630.
24a Vgl. dazu auch OTTO Jura 2003 S. 621 f.
10
Totschlag
§3
§ 3 Totschlag 1. Der objektive Tatbestand a) Tötung eines Menschen Der objektive Tatbestand des Totschlags, § 212, erfordert die Tötung eines Menschen. Der Täter ist in eigener Sicht „er selbst", nicht aber „ein Mensch". Aus der Gesetzesformulierung in Übereinstimmung mit dem Willen des historischen Gesetzgebers, den Suizidversuch nicht unter Strafe zu stellen, ist demgemäß davon auszugehen, dass das Opfer des Totschlags ein anderer Mensch als der Täter sein muss. Der Suizid erfüllt nicht den Tatbestand des § 212. Da die „rechtswidrige Tat" (Haupttat) i.S. der §§ 26, 27 fehlt, entfallt die Möglichkeit, Anstiftung oder Beihilfe zum Suizid als Tötungsdelikt zu bestrafen 25 ; dazu weiter unter § 6 Rdn. 41 ff.
1
b) Die Tathandlung Tathandlung ist jede Herbeiführung des Todes, d.h. jede Verkürzung des Lebens und damit auch die Verkürzung schon todgeweihten Lebens.
2
2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz in Bezug auf die Merkmale des objektiven Tatbestandes; bedingter Vorsatz genügt. 26
3
3. Hinweis zur Subsumtion Mit den Worten: „ohne Mörder zu sein" in § 212 wollte der Gesetzgeber allein daraufhinweisen, dass die Prüfung des § 211 nicht übersehen werden darf. Dieser Hinweis ist bei der Subsumtion des § 212 selbst ohne jede Bedeutung und daher keinesfalls als Tatbestandsmerkmal anzusehen mit der Konsequenz, dass in der Prüfung des § 212 der ganze § 211 zu erörtern wäre.
4. Besonders schwere Fälle des Totschlags Nach § 212 Abs. 2 kann in besonders schweren Fällen eines Totschlags lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden. Zu beachten ist aber, dass § 211 als spezielle Regelung vorgeht und diese Regelung sich auf die Auslegung des § 212 Abs. 2 dahingehend auswirkt, dass als besonders schwerer Fall nur eine Tat aufgefasst werden kann, die im Unrechtsund Schuldgehalt den in § 211 erfassten Sachverhalten gleichkommt. Es genügt daher nicht, dass die Tatumstände den Mordmerkmalen nur nahe kommen. 27
25
H.M., vgl. dazu OTTO 56. DJT-Gutachten, 1986, D 18 ff m.e.N. - A.A. BRINGEWAT ZStW 87 (1975) S. 6 2 3 ff; KLINKENBERG J R 1 9 7 9 S. 183 f; SCHMIDHÄUSER W e l z e l - F S , S. 8 0 1 ff.
26
In Fällen hochgradiger Erregung, Wut oder Alkoholisierung fordert der BGH allerdings „bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen" als zusätzliches subjektives Erfordernis des bedingten Vorsatzes die Überschreitung der „gegenüber einer Tötung bestehenden hohen Hemmschwelle"; dazu im Einzelnen GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 7 R d n . 4 1 , F n . 3 4 .
27
Dazu BVerfC JR 1979 S. 28 mit Anm. BRUNS S. 28 ff; BGH NStZ 1981 S. 258 f; BGH JR 1983 S. 28 mit Anm. BRUNS S. 28 ff; BGH StV 1987 S. 296 f; BGH NStZ 1991 S. 431; BGH StV 1993 S. 354; BGH NStZ 2001 S. 647. - Enger MOMSEN NStZ 1998 S. 487 ff.
11
4
5
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§4
§ 4 Mord I. Die rechtliche Zuordnung der Mordqualifikationen 1
Den Tatbestand des Mordes, § 211, erfüllt, wer einen Totschlag unter bestimmten, im Gesetz abschließend aufgezählten qualifizierenden Umständen begeht. 28 Gemeinsam ist den Merkmalen, die diese Tatumstände beschreiben, dass es Unrechtsmerkmale und nicht bloße Schuldmerkmale sind, da in ihnen neben der besonderen Verwerflichkeit der Tat eine erhöhte, über den einzelnen Totschlag hinausgehende Gefährlichkeit des Täters ihren Ausdruck findet.29
2
Zum Teil werden die Mordqualifikationen dagegen insgesamt als Schuldmerkmale interpretiert.·'® Von anderen werden die subjektiv geprägten Mordmerkmale dem Schuldtatbestand, die objektiv ausformulierten dem Unrechtstatbestand zugeordnet. 3 ' Wieder andere interpretieren einzelne Mordmerkmale als komplexe, Unrecht und Schuld betreffende Merkmale.·' 2
II. Die einzelnen Qualifikationsmerkmale 3
Der Gesetzgeber hat die Mordmerkmale in drei Gruppen unterteilt:
1. Niedrige Motive des Täters Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs und Habgier sind im Gesetz ausdrücklich als Beispiele sonstiger niedriger Beweggründe genannt. a) Mordlust 5 Nach neuerer Auffassung - auch der Rechtsprechung - liegt Mordlust vor, wenn die Tötung als solche Zweck der Tat ist. - Hier sind daher die Fälle einzuordnen, in denen es dem Täter allein darauf ankommt, einen Menschen sterben zu sehen, sei es, dass er die Tötung aus Mutwillen, Langeweile oder Angeberei begeht oder sie als Stimulans für seine abgestumpften Nerven bzw. als „sportliches Vergnügen" betrachtet.33 Über die konkrete Tat hinaus ist der aus dieser Motivation handelnde Täter für die Sozietät gefahrlich, da einem Menschenleben aus seiner Sicht nur noch Wert als Unterhaltungs- oder Zeitvertreibsobjekt zukommt. 4
Kritisch zum täterschaftlichen Mord durch Unterlassen: ARZT Roxin-FS, S. 856 ff. 2 9
V g l . FUHRMANN J u S 1963 S. 19 ff; HORN S K II, § 2 1 1 R d n . 3 ; JAHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n . 4 6 ff; KINDHÄUSER S t G B , § 2 1 1 R d n . 16, 2 8 , 3 2 ; OTTO J u r a 1994 S. 1 4 3 ; ROPING J Z 1 9 7 9 S. 6 1 9 f; SCHNEIDER M K , V o r § § 2 1 1 f f R d n . 145.
3 0
ENGISCH G A 1955 S. 161 ff; LANGE S c h r ö d e r - G e d S , S. 2 2 1 .
31
V g l . z . B . GALLAS Z S t W 6 7 ( 1 9 5 5 ) S. 4 6 ; JESCHECK L K , V o r § 13 R d n . 74; LANGER D a s S o n d e r -
verbrechen, 1972, S. 359; SCH/SCH/LENCKNER Vor § 13 Rdn. 122. 32
Vgl. LAMPE Das personale Unrecht, 1967, S. 242; SCHMIDHÄUSER Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1975, 8/93.
3 3
V g l . B G H S t 4 7 S. 133 f; HORN S K II, § 2 1 1 R d n . 9; KINDHÄUSER B . T . I, § 2 R d n . 10; KÜPER B . T . , S. 2 2 3 ; MITSCH J u S 1 9 9 6 S. 123; NEUMANN N K , § 2 1 1 R d n . 8; OTTO Z S t W 8 3 ( 1 9 7 1 ) S. 5 8 f f ; ROPING J Z 1 9 7 9 S. 6 2 0 ; SCHROEDER JUS 1 9 8 4 S. 2 7 7 f. - Krit. FABRICIUS S t V 1995 S. 6 3 7 f; GROTEN-
DIEK/GÖBEL NStZ 2003 S. 118 ff. - Handelt der Täter in dem Bewusstsein, keinen Grund filr eine Tötung zu haben, so sieht der BGH das Merkmal der niedrigen Beweggründe verwirklicht; vgl. BGH NStZ-RR 2004 S. 332.
12
Mord
§4
Zur Verdeutlichung: aa) BGHSt 34 S. 59: Der Α hielt sich angetrunken in einer Bahnhofsgaststätte auf. Als er dort die Toilette aufsuchte, kam er auf den Gedanken, dass es niemand hören und bemerken würde, wenn an diesem abgelegenen Ort ein Mensch umgebracht würde. In diesem Moment ging die W an ihm vorbei zur Toilette. A dachte bei sich: J e t z t oder nie, und meinte dabei bei sich selbst, entweder er bringe diese Frau jetzt um oder er lasse es überhaupt bleiben." Er folgte der W und versuchte, sie zu erwürgen.
6
bb) BGH VRS 63 S. 119: Der Α warf von einer Brücke Steine hinunter, wenn sich Fahrzeuge näherten. Er rechnete damit, dass die Steine die Windschutzscheibe des Fahrzeugs durchschlagen und den Fahrer treffen würden. Er hoffte, dass in einem solchen Fall der Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren und ein Massenunfall mit unübersehbarem Sach- und Personenschaden entstehen w ü r d e . 3 4 cc) FAZ vom 3.6.1983, S. 7: Drei junge Männer im Alter von 17, 19 und 22 Jahren, die im November vergangenen Jahres einen 23 Jahre alten Stadtstreicher auf dem Bonner Venusberg zu Tode gequält hatten, sind in Bonn wegen gemeinschaftlichen Mordes zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das Opfer war, so stellte es das Gericht fest, getreten, mit Knüppeln geschlagen und stranguliert worden. Die Täter hatten den Stadtstreicher gezwungen, brennende Zigarettenkippen zu schlucken und ihm mit einer abgebrochenen Bierflasche in den Kehlkopf gestochen. dd) FAZ vom 12.9.1983, S. 7: Ein belgischer Reisebus und ein nachfolgender Personenwagen sind am Samstagmorgen auf dem Autobahnring München-Ost beschossen worden. Die Polizei teilte mit, ein Geschoss sei in die Windschutzscheibe des Omnibusses eingeschlagen und durch ein Seitenfenster wieder ausgetreten. Die Windschutzscheibe sei zertrümmert worden. Sowohl der Fahrer als auch der Beifahrer des Busses seien durch Splitter verletzt worden. Bei dem Personenwagen wurde die Motorhaube getroffen. Die Fahndung nach dem Täter, der von einem Feld aus auf die Autobahn geschossen hatte, blieb ohne Erfolg. ee) FAZ vom 23.5.1990, S. 9: Die Polizei nahm drei junge Männer fest, die am Ostersonntag einen 30 kg schweren Gullydeckel auf die Autobahn geworfen hatten. Nach der Verhaftung gaben die drei lakonisch an: „Wir wollten nur mal sehen, wie einer so ein Ding richtig vor die Birne kriegt". ff) BGH NStZ 1994 S. 239: Nachdem K, D, Frau W und andere gemeinsam Alkohol genossen hatten, entschloss sich K, Frau W zu töten, weil es ihm Spaß machte, andere zu schlagen und seiner Gewalttätigkeit ausgeliefert zu sehen. Er schlug auf sie ein, trat sie mit Füßen und versuchte, ihr den Bauch mit einer Gartenschere aufzuschneiden. Schließlich wurde Frau W stranguliert.
b) Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs tötet der Täter, der das Töten als ein Mittel zur geschlechtlichen Befriedigung einsetzt. Drei Fallgruppen sind zu unterscheiden: aa) Der Täter befriedigt seinen Geschlechtstrieb durch Töten, bb) Der Täter tötet, um sich an der Toten zu vergehen. BGHSt 7 S. 353: Der Α fasste in anhaltender geschlechtlicher Erregung den Plan, ein Mädchen durch betäubende Schläge „still" zu machen, um mit der Bewusstlosen den ununterbrochenen Beischlaf ausüben zu können. Dieses Vorhaben führte er aus; er steckte ein Beil zu sich, schlug im Dunkeln eine radfahrende Frau von seinem Rade aus nieder, schleppte die Bewusstlose beiseite, tötete sie, weil sie sich noch bewegte, und er es deshalb für notwendig hielt, mit weiteren kräftigen Beilschlägen und befriedigte sich sodann an der Leiche.
cc) Der Täter nimmt den Tod als Folge der Gewaltanwendung beim Geschlechtsverkehr in Kauf. BGHSt 19 S. 101: Α überfiel die Oberschülerin E, um sie geschlechtlich zu missbrauchen, und würgte sie, bis sie das Bewusstsein verlor. Um sie wehrlos zu halten und ungestört mit ihr geschlechtlich verkehren zu kön34
35
Vergleichbare Sachverhalte: FAZ v. 26.1.1995, Nr. 22, S. 1; FAZ v. 21.2.1995, Nr. 44, S. 9; FAZ v. 8.3.1997, Nr. 57, S. 9; FAZ v. 29.2.2000, Nr. 50, S. 13; FAZ v. 2.3.2000, Nr. 52, S. 13; FAZ v. 29.11.2000, Nr. 278, S. 13; FAZ v. 29.5.2001, Nr. 123, S. 13; BGH v. 10.7.2001 - 4 StR 175/01. - Zur Annahme der Heimtücke in derartigen Fällen vgl. BGH NStZ-RR 1997 S. 294. Vergleichbarer Sachverhalt (Steinigung): FAZ v. 9.5.1996, Nr. 108, S. 13.
13
7 3
§4
Z w e i t e r Teil: D e l i k t e g e g e n R e c h t s g ü t e r d e s E i n z e l n e n
nen, schnürte er ein Taschentuch um ihren Hals, zog zu, so fest er konnte, und verknotete es zweimal. A erkannte, dass das Mädchen dadurch ersticken konnte, wollte aber auf jeden Fall - auch um den Preis des Lebens seines Opfers - zum ungestörten Geschlechtsverkehr kommen. Er führte an der mit offenen Augen krampfhaft atmenden Bewusstlosen den Geschlechtsverkehr aus. Nach dem Verkehr bemerkte er, dass die Ε nicht mehr atmete. Er erschrak und löste das Taschentuch. Das Mädchen war an der Drosselung erstickt.-®^ 9
10
11
G e h t e s d e m Täter nicht u m s e x u e l l e B e f r i e d i g u n g , s o n d e r n nur u m s e x u e l l e Erregung, s o wird - j e nach den Tatumständen - Mordlust oder Tötung aus niedrigen B e w e g g r ü n d e n vorliegen.37 D a s Tatopfer m u s s d i e P e r s o n sein, a u f d i e das s e x u e l l e B e g e h r e n d e s Täters gerichtet ist. D i e T ö t u n g v o n P e r s o n e n , d i e a u s der S i c h t d e s Täters d e m v o n i h m g e w ü n s c h t e n G e s c h l e c h t s v e r k e h r m i t e i n e r dritten P e r s o n e n t g e g e n s t e h e n , erfüllt d a s M e r k m a l zur B e friedigung d e s G e s c h l e c h t s t r i e b s n i c h t . 3 8 c) H a b g i e r Habgier als b e s o n d e r e s r ü c k s i c h t s l o s e s u n d s o z i a l e t h i s c h a n s t ö ß i g e s Streben n a c h G e w i n n b e d e u t e t e i n H a n d e l n u m e i n e s m a t e r i e l l e n V o r t e i l s w i l l e n in einer H a n d l u n g s s i t u a t i o n , in der der erstrebte V o r t e i l in e i n e m unerträglichen M i s s v e r h ä l t n i s z u m angerichteten S c h a d e n steht. D a s ist der Fall, w e n n der Täter a l l e i n u m e i n e s V e r m ö g e n s v o r t e i l s w i l l e n e i n M e n s c h e n l e b e n v e r n i c h t e t . 3 9 Er z e i g t d a m i t „ e i n G e w i n n s t r e b e n , d a s in seiner R ü c k s i c h t s l o s i g k e i t d e s g e w ö h n l i c h e M a ß w e i t überschreitet." 4 0 D a s Streben n a c h d e m V o r t e i l m u s s d i e Tat w e s e n t l i c h p r ä g e n . 4 1
Zur 12
Verdeutlichung:
aa) BGHSt 29 S. 317: Α tötete den Z, weil er in den Besitz von 1 Gramm Heroin im Wert von DM 200.gelangen wollte, das Ζ besaß. BGH: Α erstrebte den Vorteil auch um den Preis eines Menschenlebens, daher handelte er habgierig. Dem ist zuzustimmen. Insoweit liegt ein typischer Fall des Raubmordes vor: Der Täter tötet das Opfer, um sich einen Vermögenswert zu verschaffen. - Im konkreten Fall (Täter rauschgiftsUchtig) wäre allerdings zu erwägen, ob krankhafte Suchtabhängigkeit das Ergebnis ändern könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn die Sucht so stark gewesen wäre, dass der Täter nicht mehr in der Lage gewesen wäre, sich der Diskrepanz zwischen dem erstrebten Vermögensvorteil und dem Wert eines Menschenlebens bewusst zu werden, bb) OLG Hamburg NJW 1947/48 S. 350: Α hatte einen Anspruch gegen die S. Da sie nicht zahlte, suchte er sie auf, um sein Geld zu erhalten. Eine Pistole nahm er vorsichtshalber mit. Als S auch bei dem Besuch die Zahlung verweigerte, erschoss Α sie. OLG Hamburg: Keine Habgier, denn die beabsichtigte Gewinnerzielung müsse rechtswidrig sein.
36
Weitere Beispielsfälle: BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 102; BGH NJW 1982 S. 2565; BGH bei Miebach, NStZ 1992 S. 229.
3 7
V g l . JÄHNKE L K , § 2 1 1 R d n . 7 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 3 2 ; SCH/SCH/ESER § 2 1 1 Rdn. 16.
38
Vgl. dazu BGH GA 1963 S. 84. - A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 32.
3 9
V g l . a u c h ARZT/WEBER B . T . , § 2 R d n . 5 6 ; JÄHNKE L K , § 2 1 1 R d n . 8 ; KÜPER B . T . , S . 1 7 8 f; OTTO
Jura 1994 S. 145. - Einschränkend SCH/SCH/ESER § 211 Rdn. 17, der „auf das von Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit getriebene und nicht auf bloße Behebung einer singulären Konfliktlage gerichtete Streben nach Vermögensmehrung" abstellt. 40
BGHSt 10 S. 399.
41
BGH StV 1 9 8 6 S. 4 7 ; BGH StV 1 9 8 9 S. 150.
4 2
D a z u a u c h ALWART J R 1 9 8 1 S. 2 9 3 ff; FRANKE J Z 1 9 8 1 S. 5 2 5 ff; PAEFFGEN G A 1 9 8 2 S . 2 6 9 .
14
Mord
§4
Kritik: Im Ergebnis ist dem zuzustimmen, nicht aber in der Begründung. Der Anspruch allein schließt ein habgieriges Verhalten nicht per se aus. Wohl aber wird das Vorliegen eines bestehenden oder vermeintlich bestehenden Anspruchs die Wertung der Situation zugunsten des Täters beeinflussen, wenn es etwa zur Tötung kommt, nachdem der Schuldner die Erfüllung des Anspruchs verweigert hat, obwohl ihm die Zahlung möglich ist, oder wenn er den Gläubiger fortweist mit dem Bemerken, dieser werde seine Forderung in einem Prozess nicht beweisen können. Hier prägt nicht allein das Streben nach dem Vorteil die Tat, sondern auch das Bewusstsein der Hilflosigkeit angesichts eines nicht aussichtsreichen Rechtsweges u . Ä . 4 3 cc) B G H S t 10 S. 399: Α tötete die B, um von der Unterhaltslast für das von Β erwartete Kind freizukommen. B G H : Α handelte h a b g i e r i g . 4 4 dd) B G H JZ 1981 S. 283: Μ suchte jemand, der ihr beim Selbstmord helfen sollte, dafür wollte sie ihn bezahlen. Sie flehte den Α an, sie gegen Zahlung von D M 500.- umzubringen. Α führte die Tat aus. B G H : Keine Habgier, da nicht die Absicht, einen Vorteil zu erlangen, die Tat wesentlich prägte, sondern andere Motive. ee) B G H N J W 1993 S. 1664: X hatte zwei Ausländerinnen kennengelernt und sie dazu gebracht, in der Bar des Α der Prostitution nachzugehen. Mit Α hatte X vereinbart, dass dieser ihm j e ein Viertel des Verdienstes der Frauen überlassen werde. Später wandten sich die Frauen von X a b und dem Α zu. Α stellte die Zahlungen an X ein und wies entsprechende Forderungen des X ab. Daraufhin erschoss X den A. BGH: X handelte nicht aus Habgier, denn das setzt voraus, dass sich das Vermögen des Täters - objektiv oder zumindest nach seiner Vorstellung - durch den Tod des Opfers unmittelbar vermehrt oder dass durch die Tat jedenfalls eine sonst nicht vorhandene Aussicht auf eine unmittelbare Vermögensvermehrung entsteht.
d) Niedrige Beweggründe Hinter der seit BGHSt 3 S. 132 weitgehend anerkannten, jedoch pathetisch überladen for- 13 mulierten Definition der niedrigen Beweggründe als „Beweggründe, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose triebhafte Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich, ja verächtlich sind", verbirgt sich nichts anderes als die nüchterne Feststellung, dass Beweggründe niedrig sind, „wenn zwischen dem Anlass der Tat und ihren Folgen ein unerträgliches Missverhältnis besteht ", 45 Entsprechende Motive können Rachsucht, Neid, Hass, Wut, Eifersucht und Selbstsucht sein, sie müssen es aber nicht. Stets ist zu prüfen, ob diese Beweggründe ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen oder ob sie in der konkreten Situation menschlich verständlich erscheinen, weil sie Ausdruck von Verzweiflung, innerer Ausweglosigkeit oder berechtigtem Ärger sind. 46 Die Bewertung der Beweggründe hat in einer Gesamtwürdigung zu erfolgen, in der das Missverhältnis zwischen Anlass und Erfolg der Tat, besondere emotionelle Erregungen und ihr Anlass, sowie Persönlichkeitsgegebenheiten zu berücksichtigen sind.
4 3
V g l . d a z u e i n e r s e i t s : A R Z T / W E B E R B . T . , § 2 R d n . 6 0 ; SCHMIDHAUSER R e i m e r s - F S , S . 4 4 6 f f ; W E L Z E L
Lb., § 3 8 II 1. - Andererseits: JÄHNKE LK, § 211 Rdn. 8; KÜPER Meurer-GedS, S. 199 ff, 204; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . l , § 2 R d n . 3 3 ; SCHNEIDER M K , § 2 1 1 R d n . 6 4 ; S C H / S C H / E S E R § 2 1 1 Rdn. 1 7 . 4 4
S o a u c h ARZT/WEBER B . T . , § 2 R d n . 6 0 ; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 4 R d n . 4 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 1 1 R d n . 4 ; N E U M A N N N K , § 2 1 1 R d n . 2 2 ; SCHNEIDER M K , § 2 1 1 R d n . 6 5 ; W E S S E L S / H E T T I N G E R B . T . / l ,
Rdn. 94. - Bei bloßer Absicht, den Besitzstand zu wahren, lehnen Habgier ab: ALWART JR 1981 S. 293 f ; K Ü P E R M e u r e r - G e d S , S . 2 0 6 f ; M Ü S C H J U S 1 9 9 6 S . 1 2 4 f ; PAEFFGEN G A
1 9 8 2 S. 2 5 5 ; TRÖND-
LE/FISCHER § 2 1 1 R d n . 8 . 45
B G H bei Daliinger, M D R 1975 S. 725; vgl. auch B G H M D R 1993 S. 1102 f; dazu auch MITSCH JUS
46
Vgl. dazu B G H StV 1997 S. 291; B G H StV 1998 S. 25; B G H StV 2001 S. 229; B G H StV 2003 S. 670.
1 9 9 6 S. 125.
15
§4
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
14
Der Täter muss sich der Umstände, die sein Verhalten als besonders verwerflich erscheinen lassen, bewusst sein und die Bedeutung seiner Beweggründe und Ziele fur die Bewertung der Tat erfassen; dass er sie selbst als verwerflich bewertet, ist nicht nötig.
15
Spielen bei der Tat gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen eine Rolle, so muss der Täter in der Lage sein, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern, damit dem Täter die Niedrigkeit seiner Handlung vorgeworfen werden k a n n . W a r e n mehrere Motive für die Tat maßgeblich (Motivbündel), so ist die Tat nur dann auf niedrige Motive zurückzuführen, wenn diese das Hauptmotiv waren oder der Tat ihr Gepräge gaben.4**
16
aa) BGHSt 3 S. 180: Der 39jährige verheiratete Α verspürte Lust zum Geschlechtsverkehr mit der 19jährigen B. Diese wies ihn entrüstet ab. Er erstach sie daraufhin, weil auch kein anderer die Β haben sollte.
Zur Verdeutlichung:
BGH: Beweggrund niedrig
49
bb) BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 542: A, der als unbesiegbarer Schläger galt, provozierte den Β durch Belästigungen, um „in eine tätliche Auseinandersetzung zu kommen." Als diese begann, musste Α erkennen, dass Β stärker war. Dies „konnte Α nicht verwinden" und stieß dem Β deshalb wütend, schnell und mit aller Kraft die Klinge seines Taschenmessers in die Brust. Der tödliche Ausgang dieses Angriffs war ihm recht. BGH: Wut und Enttäuschung darüber, dass er in der Auseinandersetzung mit dem sich vollkommen rechtmäßig verhaltenden Β nicht als Sieger hervorging, sind als niedrige Beweggründe anzusehen.^® cc) BGH NStZ 2002 S. 369: Die Angekl. sind, wie auch das Tatopfer A, kurdischer Abstammung. A war durch eine Schussverletzung querschnittgelähmt, als er die 17jährige D kennen lernte, die auch aus einer kurdischen Familie stammte. Α und D wollten heiraten. Das lehnte der Vater der D ab. Mehrere Versuche des Vaters, das Paar zu trennen, schlugen fehl. D zog im Mai 1999 in die Wohnung des A, und Anfang Juni heirateten Α und D. In den kurdischen Kreisen Bremens galt die Beziehung als unehrenhaft. Daher fühlte sich der Gebietsverantwortliche der PKK zur Lösung des Problems aufgerufen. Er befahl den Angekl., den Α und die D zu töten. Diese waren über den Befehl konsterniert, führten ihn aber aus. BGH: Die Angekl. handelten aus niedrigen Beweggründen. - „Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat .niedrig' sind, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen. Dabei ist der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes grundsätzlich den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt, zu entnehmen."*' dd) BGH NStZ 1985 S. 454: A, der Schwierigkeiten in Ehe und Beruf hatte, beschloss „auszusteigen und unterzutauchen". Um einen Unfall vorzutäuschen, tötete er den X, setzte die Leiche in seinen Wagen und zündete diesen an. BGH: Wer einen ihm unbekannten Menschen tötet, um statt seiner als tot zu gelten, sich damit aus seinen familiären und beruflichen Bindungen zu lösen und - frei von der damit einhergehenden Verantwortung - ein „neues Leben" beginnen zu können, offenbart damit vielfach ein derart erhebliches Maß an Menschenverachtung, dass sein Beweggrund für die Tötung sittlich auf tiefster Stufe steht und damit niedrig im Sinne des Mordtatbestandes ist.
47
48
BGH StV 1 9 8 7 S. 1 5 0 ; BGH StV BGH NStZ 1996 S. 384.
1987
S.
296;
BGH MDR
1989
S.
654;
BGH MDR
1994
S.
1102;
Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1984 S. 441 f; BGH NStZ 1997 S. 81; LACKNER/KÜHL § 211 Rdn. 5 c. A . A . ALWART G A 1 9 8 3 S. 4 3 3 ff; SCH/SCH/ESER § 2 1 1 R d n . 18.
49
Vgl. auch BGH bei Miebach, NStZ 1992 S. 229.
50
Vgl. auch BGH NStZ 1995 S. 181 einerseits, BGH StV 1995 S. 301 andererseits.
51
Dazu auch BGH NJW 2004 S. 1466; MOMSEN NStZ 2003 S. 237 fF; Otto JK 03, StGB § 211/39; SAUGER StV 2003 S. 22 ff. - Zur Tötung, um die „Familienehre zu retten", vgl. BGH NStZ-RR 2000 S. 168; BGH NStZ-RR 2004 S. 362.
16
Mord
§4
ee) B G H N S t Z 1993 S. 182: Α hatte Anstoß genommen daran, dass der Obdachlose S sich unter einer Brücke eingerichtet hatte und dort die Umgebung verunreinigte. Er hatte ihn bereits einmal mit Gewalt vertrieben. Als er ihn dort wieder antraf, erschoss er ihn aus Wut, Zorn und Verärgerung. B G H : Nach den Feststellungen des Sachverständigen handelt es sich bei Α um einen Menschen, der seine Ansichten und Überzeugungen zum alleinigen Maßstab für Recht und Ordnung macht und sich deshalb zum Herrn über Leben und Tod eines aufgrund seiner Lebensweise ihm missliebigen Mitmenschen aufschwingt. Eine derartige Persönlichkeitsstruktur ist - für sich genommen - nicht geeignet, die Tötung eines Menschen in der beschriebenen Situation menschlich verständlich erscheinen zu lassen und bietet keinen beachtlichen Grund, der der Wertung der Handlungsantriebe des Α als auf sittlich tiefster Stufe stehend, entgegenwirken könnte. ff) B G H N S t Z 1993 S. 341: Aus „Protesthaltung" gegen Bau und Betrieb der Startbahn 18-West des Frankfurter Flughafens erschoss der Α zwei Polizeibeamte, die die Startbahn gegen Demonstranten sicherten. BGH: Niedrige Beweggründe sind nicht ersichtlich: Das O L G hat die Frage, o b der Α die Schüsse aus einer Gesinnung heraus abgegeben hat, die „ein willkürliches Aufwerfen zum Herrn über die körperliche Unversehrtheit der Polizeibeamten bedeutet hätte und deshalb als sittlich auf tiefster Stufe stehend zu werten gewesen wäre", geprüft und ausdrücklich verneint. Angesichts des Hintergrundes der im Zusammenhang mit einer Konfrontation begangenen Tat ist das im Ergebnis nicht zu beanstanden. Kritik•. Die Entscheidung liegt durchaus auf der Linie der h.M. Diese beurteilt die Tötung eines politischen Gegners wegen seiner Überzeugung oder Betätigung oder weil er der Durchsetzung der eigenen Überzeugung entgegensteht, bzw. diejenigen repräsentiert, die die entgegengesetzte Auffassung vertreten, nicht grundsätzlich als niedriges Motiv. Sie stellt im konkreten Fall vielmehr darauf ab, welchen Zweck der Täter mit der Tat für sich persönlich erstrebt und wie sich dieser Zweck zu der Tötung als dem hierfür eingesetzten Mittel v e r h ä l t . " - Diese Differenzierung wird der Tötung aus politischen Motiven jedoch kaum gerecht. Egoistische Ziele im Sinne einer persönlichen Bereicherung, der Erlangung einer persönlichen Machtstellung o.Ä. sind keine Kennzeichen der politischen Motivation. Relevant sind hier die Fälle, in denen der Täter zum Mittel der Tötung greift, um politisch Andersdenkende zu vernichten oder zu zeigen, dass er seine politischen Ziele konsequent weiterverfolgt und durchsetzt, auch wenn die Mittel des demokratischen Rechtsstaates ihm dieses nicht ermöglichen, so dass er dem Rechtsstaat Gewalt und die Tötung jener Personen entgegensetzt, die diesen Staat und seine Ideen repräsentieren. Der politische Gegner oder die Repräsentanten eines abgelehnten politischen Systems werden ihrer Überzeugung wegen vernichtet, um die Durchsetzung der eigenen Position zu fördern oder kenntlich zu machen, dass die eigenen Ideen weiter verfolgt werden. Diese Haltung jedoch verweist auf eine über die Einzeltat hinausgehende Gefahr für die anderen Mitglieder der Gesellschaft und ist daher als niedrig zu beurteilen, soweit nicht die Voraussetzungen des Widerstandsrechts, Art. 20 Abs. 4 GG, oder Gegebenheiten, die diesem sachlich nahe kommen, vorliegen.^ gg) B G H N S t Z 1997 S. 81: A, der mit der X ein intimes Verhältnis hatte, wollte die Beziehung beenden. Daraufhin drohte X, die sado-masochistischen Neigungen des Α zu offenbaren und von ihm dabei gefertigte Videoaufnahmen herumzuzeigen. A, der fürchtete, dass diese Offenbarung zum Scheitern seiner Ehe und zum Verlust seines sozialen Ansehens führen würde, tötete die X. B G H : Die Tötung eines Menschen zur Wahrung des eigenen sozialen Ansehens ist ein niedriger Beweggrund. Gleiches gilt, wenn sich der Täter durch die Tötung der Verantwortung für vorangegangenes Tun entziehen will.^ 4 hh) B G H N S t Z 1999 S. 129: Um einer Gruppe junger Leute, die Streit mit einem Gastwirt angefangen hatten, zu imponieren, stach Α den Gastwirt nieder. BGH: Tötung aus Imponiergehabe kann niedriger Beweggrund sein.
5 2
5 3
V g l . B G H N S t Z 2 0 0 4 S . 9 0 ; NEUMANN N K , § 2 1 1 R d n . 3 9 ; v . SELLE N J W 2 0 0 0 S . 9 9 6 ; ZLELKE J R 1 9 9 1 S . 1 3 7 ; DERS J R 1 9 9 2 S . 2 3 0 f. V g l . a u c h BROCKER J R 1 9 9 2 S . 13 f; DERS. N S t Z 1 9 9 4 S . 3 3 f ; JÄHNKE L K , § 2 1 1 R d n . 2 7 . - Z u r T ö -
tung aus rassistischen Motiven: B G H N J W 1994 S. 395. - Zu terroristischen Motiven als niedrige Beweggründe vgl. jetzt B G H N J W 2004 S. 3054. 54
Vgl. auch B G H bei Altvater, NStZ 1999 S. 19; B G H NStZ-RR 1999 S. 234 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 211/33. - Krit. dazu WALTER N S t Z 1997 S. 36 ff.
17
§4
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
ii) BGHSt 47 S. 128 5 4 a : L, W und V hatten zusammen mit G erheblich dem Alkohol zugesprochen. Nachdem V sich für kurze Zeit entfernt hatte, bekam L, der den G bisher für einen Deutschen gehalten hatte, mit, dass G tatsächlich Pole war. Hierauf geriet L dermaßen in Wut, dass er auf G einprügelte und ihm - als G am Boden lag - gemeinsam mit W mehrfach ins Gesicht trat. Auslöser des Gewaltausbruchs bei L war, dass sich nach seiner Auffassung der G als jemand zu erkennen gegeben hatte, den L als sozial noch tiefer stehend ansah als sich selbst. W handelte aus ähnlichen Motiven. Als V zurückkam, beteiligte er sich an den Misshandlungen des G, obwohl er selbst keinen Grund für die Tötung hatte. - G starb an den Verletzungen. BGH: Im Hinblick auf die Motivation von G und W ist zu beachten, „dass die Tötung eines anderen allein deshalb, weil er in der Wertvorstellung des Täters als geringer eingeordnet wird, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und besonders verachtenswert ist." - Im Hinblick auf die Motivation von V ist zu berücksichtigen, „dass ein niedriger Beweggrund auch dann gegeben sein kann, wenn der Täter in dem Bewusstsein handelt, keinen Grund für eine Tötung zu haben oder zu brauchen. Eine solche Einstellung, bei der der Täter meint, nach eigenem Gutdünken über das Leben des Opfers verfügen zu können, steht auf sittlich niedrigster Stufe und ist besonders verachtenswert."
2. Art der Tatausführung a) Heimtücke 17 Heimtückisch tötet nach ständiger Rechtsprechung, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. 55 18 Arglos ist, wer beim Eintritt der Tat in das Versuchsstadium von dem Täter keinen Angriff auf Leib oder Leben befurchtet. Wehrlos ist, wer in seiner Abwehrbereitschaft oder fahigkeit im Augenblick der Tat stark eingeschränkt ist; wobei die Wehrlosigkeit auf der Arglosigkeit beruhen muss. - Das Merkmal der feindlichen Willensrichtung blieb in der Rechtsprechung des BGH unscharf, denn es diente zunächst nur dazu, Fälle des sog. Mitnahmesuizids aus dem Mordtatbestand herauszuhalten: Der lebensmüde, verzweifelte Täter glaubt, „in krankhafter Verblendung", „zum Besten" seines Opfers zu handeln, wenn er ihm, statt es allein zurückzulassen, dasselbe Schicksal bereitet, das er sich selbst zugedacht hat. Das Fehlen der „feindlichen Willensrichtung" führte aber auch dazu, einen in die NSEuthanasieaktionen verstrickten Arzt 56 und später Klinikpersonal bei sog. Mitleidstötungen vom Mordvorwurf zu entlasten. Inzwischen aber begnügt sich der BGH in Fällen sog. Mitleidstötungen nicht mehr mit dem Fehlen einer „feindlichen Willensrichtung", sondern fordert eine objektiv nachvollziehbare Wertung, die der Beendigung schwerster Leiden Vorrang gibt. - Ein Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn der Täter sich der tatsächlichen Umstände, die die Tötung zu einer heimtückischen machen, bewusst ist in dem Sinne, dass er gedanklich erfasst, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. 57 19 Die Begriffsbestimmung der Heimtücke ist wegen ihrer Weite, aber auch wegen der in ihr angelegten wenig überzeugenden Differenzierung verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, die der BGH durch verschiedentliche Randkorrekturen auszugleichen versuchte. 54a
Mit Anm. NEUMANN JR 2002 S. 471 ff, OTTO JZ 2002 S. 567 f, SAUGER StV 2003 S. 38 ff.
55
BGHSt 32 S. 383 f m. w. N.; BGHSt 41 S. 78 f. - Dazu auch KÜPER JUS 2000 S. 740 ff; DERS. B. T., S. 181 fT.
56
BGH JZ 1974 S. 511.
57
Dazu BGHSt 6 S. 121; 11 S. 144; 22 S. 80; BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 487; BGH StV 1984 S. 511; BGH NStZ 1987 S. 554; BGH NStZ 1997 S. 491; BGH NStZ-RR 2001 S. 296; BGH StV 2004 S. 596 mit Anm. SEEBODE S. 596 ff.
18
Mord
§4
So hat der B G H zunächst angenommen, dass Arglosigkeit schon entfalle, wenn der Täter dem Opfer bei einer nur verbalen Auseinandersetzung in offener Feindschaft g e g e n ü b e r t r i t t . ^ Inzwischen hat der B G H diese Aussage allerdings eingeschränkt und lässt einen verbalen Angriff nicht genügen, wenn das Opfer bezüglich eines Angriffs auf Leib und Leben arglos b l e i b t . 5 9 - Allerdings soll es der Arglosigkeit nicht entgegenstehen, wenn das Opfer die Gefahr erst im letzten Moment erkennt, so dass ihm keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu b e g e g n e n . 5 9 2 - Unterschiedlich beantwortet der B G H nunmehr jedoch die Frage, ob das Opfer nicht mehr arglos ist, wenn es den Angriff hätte erkennen können, oder ob es die Angriffsabsicht des Täters erkannt haben muss59k. Die Basis tatsächlicher Gegebenheit der Arglosigkeit wird verlassen, wenn diese „normativ" begründet w i r d . 5 9 c
20
Eine Ausnahme von der Voraussetzung, dass das Opfer bei Beginn des Versuchs arglos sein muss, machte der B G H für den Fall, dass der Täter das Opfer „nach einem wohl überlegten Plan mit Tötungsvorsatz in einen Hinterhalt lockt" Das soll allerdings nur dann gelten, wenn der Täter das Opfer „unentrinnbar" durch die von langer Hand geplante Tat in seine Gewalt gebracht h a t . 6 '
21
Schließlich mildert der B G H die lebenslange Strafe über § 49 Abs. 1 in Fällen, in denen außergewöhnliche Umstände die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen l a s s e n . 6 2 Bei diesen außergewöhnlichen Umständen muss es sich um Sachverhalte handeln, „die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen (z.B. bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit oder bei entschuldigendem Notstand i.S. von § 35 I S. 2 StGB) v e r g l e i c h b a r " 6 ^ oder so außergewöhnlich sind, dass von einem Grenzfall gesprochen werden kann.®''
22
An Überzeugungskraft hat die Argumentation durch diese Modifizierungen nicht ge- 23 wonnen. Die vom BGH erkannte besondere Gefährlichkeit des Täters, der die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt, vermag nämlich den Vorwurf eines über das Unrecht einer vorsätzlichen Tötung hinausweisenden Unrechts nicht einmal im Ansatz zu begründen. Die besondere Gefährlichkeit soll im Vorgehen des Täters liegen: „Er überrascht das Opfer in einer hilflosen Lage und hindert es dadurch, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen, den Angreifer umzustimmen, in sonstiger Weise dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder die Durchführung wenigstens durch solche Bemühungen zu erschweren." 65 Diese Erwägungen bringen jedoch keine über die der vorsätzlichen Tötung typischen Gefahrenmomente zum Ausdruck. JESCHECK hat durchaus zu Recht darauf hingewiesen, dass ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit nicht zwangsläufig auf Verschlagenheit, List und Tücke schließen lasse; ein solches Verhalten könne auch die Waffe des Schwachen und Unterlegenen gegen Übermacht, Gewalt und Brutalität sein. 66 58
Vgl. BGHSt 27 S. 324; B G H NStZ 1983 S. 35.
59
Vgl. BGHSt 30 S. 113 f; 33 S. 363; B G H N J W 1991 S. 1963 mit Anm. OTTO JR 1991 S. 382 f; B G H NStZ-RR 1996 S. 322; B G H NStZ-RJR 1997 S. 168; B G H StV 1998 S. 543; B G H NStZ-RR 2000 S. 14.
59a
Vgl. B G H NStZ-RR 2004 S. 16.
59b
Vgl. einerseits B G H NStZ-RR 2002 S. 233, andererseits B G H NStZ 2002 S. 368; BGH NStZ 2003 S. 146; dazu OTTO Jura 2003 S. 619.
59c
Dazu Rdn. 35 a.
60
B G H S t 22 S. 77; B G H NStZ 1984 S. 261. - Dazu KÜPER JuS 2000 S. 743 f.
61
B G H N S t Z 1989 S. 354 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 211/19.
62
BGHSt (GrSSt) 30 S. 105; eingehend dazu oben § 2 Rdn. 26 f.
63
B G H M D R 1982 S. 1033.
64
Dazu auch B G H JR 1983 S. 301; B G H N S t Z 1983 S. 553; BGH N S t Z 1995 S. 231; BGH NStZ-RR 2004 S. 294.
65
BGHSt 11 S. 143.
66
JESCHECK JZ 1957 S. 387.
19
§4
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Und schon der grundsätzliche Ansatz geht fehl. Das typische Unrecht des Totschlags wird nicht durch den edlen Ritter realisiert, der nach Ansage der Fehde dem Gegner Zeit gewährt, sich entsprechend zu rüsten. Schon der Totschlag ist Ausdruck einer sozialethisch schwer beeinträchtigten Gesinnung des Täters, weil dieser die eigenen Interessen rechtlich unerträglich, rücksichtslos den Interessen anderer vorzieht. Damit ist es aber noch die typische, dem Totschläger eigene Gefahr, dass er eine Handlungssituation sucht, die ihm die größten Erfolgschancen bietet. Diese Einstellung vermag das Unrecht seiner Tat nicht über das Unrecht der vorsätzlichen Tötung hinaus zu steigern. 67 24 Die Literatur bietet kein einheitliches Bild. - Zum einen wird nur die Ausnutzung eines bestehenden Vertrauensverhältnisses oder der Missbrauch entgegengebrachten Vertrauens als Heimtücke anerkannt 68 . Zum anderen wird ein heimliches und tückisches Verhalten gefordert. 69 Schließlich wird auf das Fehlen eines „achtenswerten Grundes" 70 , auf eine „besonders weitgehende, dem Opfer nicht erkennbare Tätervorbereitung" 71 oder auf den Missbrauch „sozial-positiver Verhaltensmuster" 72 abgestellt. 25 Die Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses oder der Missbrauch begründeten Vertrauens des Opfers zur Ausführung der Tat erscheint hier als das wesentliche Qualifikationskriterium. Die Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses (Freundschaft, Liebe, Ehe o.Ä.) zur Durchfuhrung der Tat oder der Missbrauch begründeten Vertrauens des Opfers, das der Täter arglos gemacht hat, stellt einen über die konkrete Tötung hinausgehenden Angriff auf die Vertrauensgrundlage der Rechtsgesellschaft dar. Der bloße Missbrauch sozial-positiver Verhaltensmuster (Hilfsbereitschaft und freundliches Entgegenkommen) erscheint demgegenüber als noch nicht so gravierende Verletzung dieser Vertrauensgrundlagen. 26 Die hier vorgeschlagene Definition der Heimtücke fuhrt zu einer Begrenzung des Anwendungsbereiches dieses Merkmals, keineswegs aber zu einer unerträglichen Einengung des Anwendungsbereiches des Mordtatbestandes, denn aufgrund ihrer Motivation können Tötungen, bei denen der Täter die Arg- oder Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt, durchaus Fälle der Tötung aus niedrigen Beweggründen oder Mordlust sein. Die Tatsache, dass der sog. Meuchelmord nicht als heimtückische Tötung erfassbar ist, schließt nicht aus, solche Taten überhaupt als Mord zu bewerten! Zur Verdeutlichung: 27
aa) BGHSt 3 S. 183: Der Α hat seinen Stiefvater, den Landwirt Z, mit einem Prügel erschlagen. Er hatte, in einem Kornfeld versteckt, ihm aufgelauert. Als Z, wie erwartet, ahnungslos und wehrlos auf seiner Mähmaschine an ihm vorbeigefahren war, war er herausgesprungen und hatte ihn hinterrücks überfallen. BGH: Α handelte heimtückisch. Kritik: Von einer Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses oder dem Missbrauch entgegengebrachten Vertrauens zur Durchfiihrung der Tat kann hier keine Rede sein.
28
bb) BGHSt 9 S. 385: A, dem ein Verfahren wegen Unterschlagung drohte, beschloss Selbstmord zu begehen und Frau und Tochter, die er sehr liebte, mit in den Tod zu nehmen. Er glaubte, dass seine Familie die Entehrung und die Not, die er über sie gebracht hatte, nicht ertragen könnte. Deshalb meinte er, seiner Familie eine
67
Eingehender dazu OTTO Brauneck-EG, S. 28 ff; vgl. auch KARGL Jura 2004 S. 193.
6 8
V g l . SCHMIDHÄUSER B . T . , 2 / 2 0 .
69
Vgl. VEH Mordtatbestand und verfassungskonforme Rechtsanwendung, 1986, S. 161 ff, 177.
7 0
SCHWALM M D R 1 9 5 7 S . 2 6 0 .
71
SCHMOLLER ZStW 99(1987) S . 3 8 9 ff, 414 ff.
7 2
V g l . z . B . M . - K . MEYER JR 1 9 7 9 S . 4 8 5 ff; DIES. JR 1 9 8 6 S . 1 3 5 ff.
20
Mord
§4
Wohltat zu erweisen, wenn er sie auslösche. Nach Tötung der Tochter und dem Versuch, die Ehefrau zu töten, brach er sein Vorhaben ab. BGH: Zwar Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer, dennoch keine Heimtücke, weil Α glaubte, zum Besten seiner Opfer zu handeln. 73 Kritik: Die Formulierung, eine Tötung könne nicht Mord sein, wenn der Täter meint, „zum Besten des Opfers zu handeln", ist einfach schief. In der Sache geht es darum, ob der Täter sich bewusst war, das ihm entgegengebrachte Vertrauen auszunutzen bzw. zu missbrauchen, weil er davon ausging, dass „die Schande" die Familie härter treffen würde als der Tod. cc) BGHSt. 37 S. 376: Die A war Fachschwester für Anästhesie und Intensivpflege in der Intensivstation eines Krankenhauses. Während ihres Dienstes hat sie fünf schwerstkranken Patienten dieses Krankenhauses heimlich tödliche Injektionen verabreicht, um ihnen aus Mitleid weiteres, von ihr als sinnlos angesehenes Leiden und einen Todeskampf zu ersparen, obwohl weder die Patienten noch deren Angehörige darum gebeten hatten.
29
BGH: „Allerdings reicht nicht bei jeder Krankenhaustötung Schwerstkranker eine Mitleidsmotivation aus, um eine die Heimtücke prägende feindselige Haltung des Täters aus Rechtsgründen auszuschließen. Bei der Prüfung, ob das Tatmotiv als feindselig zu werten ist, können normative Gesichtspunkte nicht außer Betracht bleiben. In oberflächlich vorhandener Mitleidsmotivation kann sich Feindseligkeit gegenüber dem Lebenswert Schwerstkranker offenbaren. Daher kann Mitleid in Fällen dieser Art die Annahme des Heimtückemerkmals nur dann ausschließen, wenn es sich aus einer objektiv nachvollziehbaren Wertung des Täters ableitet, die der Vermeidung schwersten Leidens den Vorrang gibt." 7 4 Kritik'. Sachlich ist der normativen Interpretation der feindlichen Willensrichtung voll zuzustimmen. Ob damit im konkreten Fall ein sachgerechtes Ergebnis, nämlich die Ablehnung des Mordtatbestandes überzeugend begründet werden konnte, bleibt offen. Die Analyse der einzelnen, in dem angefochtenen Urteil geschilderten Fälle weist keineswegs auf ein Handeln aus objektiv nachvollziehbarem Mitleid hin. Im Gegenteil, Mitleid scheint hier sehr fern gelegen zu haben. - Das materielle Unrechtskorrektiv der feindlichen Willensrichtung scheint sachgerechte Fallösungen daher kaum zu fördern.7^ dd) BGHSt 8 S. 216: Die Α tötete ihr drei Wochen altes Kind, indem sie Schlaftabletten unter die Babynahrung mischte. Den E, der dem Kind geholfen hätte, täuschte sie über dessen Zustand. BGH: Einem ganz kleinen Kind gegenüber kann der Täter in der Regel nicht heimtückisch handeln, weil es nicht fähig ist, anderen Vertrauen entgegenzubringen. Wer ein Schlafmittel in die Nahrung eines solchen Kindes mischt, handelt aber heimtückisch, wenn er es tut, weil das Kind anderenfalls das Mittel seines Geschmacks wegen nicht zu sich nehmen würde. Möglich ist in derartigen Fällen auch ein heimtückisches Verhalten gegenüber einem schutzbereiten Dritten. Dieses setzt nicht voraus, dass der Täter dessen Arglosigkeit herbeiführt; es genügt, dass er sie ausnutzt. Die Arglosigkeit schutzbereiter Dritter tritt jedoch nur an die Stelle der Arglosigkeit des Opfers bei Personen, die unfähig sind, Arg zu empfinden und Abwehr zu leisten, z.B. bei Kleinkindern.^^ Kritik: Im Ergebnis ist dem BGH hier zuzustimmen. Auffällig ist allerdings, dass er in seiner Begründung gleichfalls auf den Vertrauensbruch abstellt, auch wenn er die Heimtücke nicht ausdrücklich mit dem Missbrauch eines Vertrauensverhältnisses begründet.
73
Vgl. auch BGH StV 1989 S. 390. - Anders aber beim Handeln des Täters gegen den Willen des Opfers; v g l . B G H N S t Z - R R 2 0 0 0 S. 3 2 7 m i t A n m . OTTO J K 0 1 , S t G B § 2 1 1 / 3 5 .
74
Vgl. auch BGH NStZ-RR 1997 S. 42; BGH NStZ-RR 2000 S. 327 mit Anm. OTTO JK Ol, StGB § 211/35.
7 5
76
V g l . a u c h GEILEN S p e n d e l - F S , S. 5 2 7 f f ; LANGER J R 1 9 9 3 S. 133 ff, 136 f; OTTO J K 9 2 , § 2 1 1 / 2 1 ; ROXIN N S t Z 1 9 9 2 S. 3 5 f; SCHNEIDER M K , § 2 1 1 R d n . 148.
StGB
Dazu auch FAHL JA 1999 S. 284 ff; BGHSt 18 S. 37; BGH NStZ 1995 S. 230 mit Anm. FOERSTER N S t Z 1 9 9 6 S. 3 2 f, GEPPERT J K 9 6 , S t G B § 2 1 1 / 2 7 .
21
30
§4 31
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
ee) BGHSt 23 S. 119: Der Α hat Frau Μ und den gemeinsamen Sohn, mit denen er bis dahin zusammengelebt hat, während beide schliefen, mit einem Beil erschlagen. BGH: Heimtückisch handelt in der Regel, wer einen Schlafenden tötet: „Der Schlafende ist in aller Regel arglos, wenn er einschläft. Wer sich zum Schlafen niederlegt, nimmt die Arglosigkeit mit in den S c h l a f . Anders soll es beim Eintritt von Bewusstlosigkeit sein, da in diesem Falle die Wehrlosigkeit nicht auf der Arglosigkeit beruht. Kritik: Die Entscheidung nach dem Kriterium des Vertrauensmissbrauchs ist hier eindeutig: Da sowohl Frau Μ als auch S darauf vertrauten, dass ihnen von Α keine Gefahr drohe, als sie sich in der Wohnung, in der sich auch Α befand, zum Schlafen niederlegten, missbrauchte Α ihm entgegengebrachtes Vertrauen. - Dringt hingegen ein Dritter von außen ein, so läge kein Missbrauch eines Vertrauensverhältnisses vor. Eine Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers müsste hingegen bejaht werden. - Unabhängig davon überzeugt die Differenzierung zwischen Schlafendem und Bewusstlosem nicht, die schon dann nicht mehr durchgehalten werden kann, wenn jemand gegen seinen Willen vom Schlaf übermannt wird. Entweder man verlangt für die Arglosigkeit das positive Bewusstsein der Sicherheit, das fehlt dem Schlafenden und Bewusstlosen, aber auch Kleinkindern, oder man lässt das Fehlen von aktuellem Argwohn genügen. 7 7
3 2 ff) BGHSt (GrSSt) 30 S. 105: Der S, ein Onkel des A, hatte die Ehefrau des Α vergewaltigt. Diese wollte sich daraufhin scheiden lassen. Sie unternahm mehrere Selbstmordversuche. Der S brüstete sich sogar noch mit der Tat dem Α gegenüber. - Eines Abends, als S in einer Gaststätte mit anderen Karten spielte und nichts Böses ahnte, erschoss Α ihn. BGH: Es liegt ein Fall heimtückischer Tötung vor, doch gebieten hier die außergewöhnlichen Tatumstände eine Milderung der lebenslangen Freiheitsstrafe; § 49 Abs. 1 Nr. 1 analog. Kritik: Gerade diese Entscheidung zeigt die Schwächen der Konstruktion. Obwohl der Täter der Situation des § 213 weit näher steht als der des Mordes, bleibt eine Anwendung des § 213 versagt. Die nach § 49 Abs. 1 mögliche Milderung des Strafrahmens bietet jedoch keinen Ersatz. Im konkreten Fall wurde Α nach erneuter Hauptverhandlung zu 12jähriger Haft verurteilt. 7 8 Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensmissbrauchs ist dies ein unproblematischer Fall: Heimtücke ist abzulehnen. 7 9 33
gg) LG Dortmund Ks 9 Js 51/92, 14 (Sch) R 1/93: Der in Scheidung befindliche Α lernte die Ζ kennen, die gleichfalls vor der Scheidung stand. Ζ war von ihrem Ehemann M, der im Zuhältermilieu verkehrte, bedroht und wiederholt so geschlagen worden, dass sie erheblich verletzt wurde. Μ verbot ihr, trotz der Erheblichkeit der Verletzungen einen Arzt aufzusuchen. Wenn Μ die Ζ zusammengeschlagen hatte, verkehrte er gelegentlich gegen ihren Willen geschlechtlich mit ihr. Die Gewalttaten und Brutalitäten erfolgten regelmäßig. Z.T. wurde Ζ morgens mit Schlägen, mitunter mit einer Reitpeitsche, geweckt. Die Brutalitäten steigerten sich. Im Jahre 1991 reichte Ζ die Scheidung ein. Μ wollte zu dieser Zeit auswandern und begab sich in die USA. In dieser Zeit lernte A die Ζ kennen und erfuhr von ihrem Schicksal. Ζ wurde am 4.11.91 geschieden. Am 6.11.91 kam Μ zurück. Die Brutalitäten, Quälereien und Vergewaltigungen der Ζ setzte er sogleich fort. Ihre Situation war schlimmer denn je. Sie musste jetzt ernsthaft um ihr Leben fürchten. Den Kontakt mit Α verbot der Μ der Z. Nach einer Reihe von weiteren Quälereien, die mit Todesangst der Ζ verbunden waren, lauerte Α dem Μ auf, als dieser nachts nach Hause kam, und erschlug den M, der sich der Gefahrensituation nicht bewusst war, von hinten. LG Dortmund: Α wird zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt. - „Der Α hat sich gemäß § 211 StGB wegen Mordes strafbar gemacht, denn die Tat erfolgte heimtückisch"... „Gleichzeitig ist nicht zu verkennen, daß es sich um eine allein altruistisch motivierte Tat handelt. Mit der unwiderlegbaren Einlassung des Α muss davon ausgegangen werden, daß es ihm allein darum ging, die Ζ aus dem Martyrium ihres Mannes zu befreien. - Die Motivation ist zu billigen. Mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, daß der Getötete die Ζ über Jahre hinweg in schwerer Weise missbraucht, vergewaltigt und so terrorisiert hatte, daß sie sich nicht mehr zu wehren wagte...".
77
Vgl. zum Streitstand: FAHL Jura 1998 S. 457 f; KÜPER JUS 2000 S. 745; OTTO Jura 2003 S. 619 m.w.N. - Zum Schwerkranken, dessen Bewusstsein getrübt ist: BGH NStZ 1997 S. 490 mit Anm. OTTO JK 98, StGB §211/31.
78
LG Münster 8 Ks 30 Js 37/79 - 2 / 8 1 .
79
Zur Auseinandersetzung mit BGHSt 30 S. 105, vgl. auch unter § 4 Rdn. 23 ff.
22
Mord
§4
Hinweis: Der Sachverhalt und das Strafmaß sprechen für sich. Dass aber eine in der Tat menschlich verständliche, vom Schwurgericht sogar als billigenswert bezeichnete Motivation das schwerste Tötungsunrecht kennzeichnen soll, das das Gesetz kennt, charakterisiert die Sachgerechtigkeit der Definition der Heimtücke hinreichend. hh) BGHSt 32 S. 382: Die Η hatte sich von der Α im Laufe einer harmlosen Auseinandersetzung fesseln lassen. Später kam es zu einem ernsten Streit zwischen Η und A. Dabei entschloss Α sich spontan, die H, die sich nicht wehren konnte, zu töten. Sie nahm vor den Augen der Η ein großes Kopftuch aus dem Schrank, faltete es durch mehrfaches Umschlagen auf 7 cm Breite zusammen und schritt, das Tuch an den Enden in den Händen haltend, von vom auf die auf einer Matraze hockende Η zu. Dieser war bereits beim Falten des Tuches klar geworden, was die Α vorhatte. Sie rief in Todesangst um Hilfe, jedoch ohne Erfolg. Die Α kniete hinter Η nieder, legte ihr das gefaltete Tuch um den Hals und erdrosselte sie.
34
BGH: Keine heimtückische Tötung, da Η bei Versuchsbeginn nicht mehr arglos war. Kritik: Die Auffassung des BGH, dass in der Tötung der Η kein erhöhter Unrechtsgehalt lag, weil Α die Tötung ohne jegliche Heimlichkeit oder List vor den Augen des Opfers vorbereitete und ausführte, kann nicht gefolgt werden. Hier wurde - nach dem bisherigen Verhältnis der Beteiligten - begründetes Vertrauen in sozial unerträglicher Weise missbraucht. ii) BGH NStZ 1989, 364 mit Anm. Otto JK 90, StGB § 211/19: Α hatte seine geschiedene Ehefrau G unter einem Vorwand in sein Auto gelockt. Er fuhr mit ihr in einen Wald, wo er sie tötete. Während der Fahrt hatte A die G ständig mit dem in der rechten Hand gehaltenen Messer bedroht und damit daran gehindert, aus dem fahrenden Wagen zu springen.
35
BGH: Ob Heimtücke vorlag bedarf erneuter Prüfung, denn G wäre nicht wehrlos gewesen, „wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, auf den Α selbst einzuwirken, um ihn - nicht von vornherein ohne jede Erfolgsaussicht - von der Tötungshandlung abzubringen". Kritik: Hier kommt es offenbar für die Beurteilung der Tat als Mord darauf an, ob G in ihrer Todesangst die „richtigen Worte" gefunden hätte oder nicht. Das hat mit dem Unrecht der Tat nichts mehr zu tun. j j ) B G H S t 4 8 S. 2 0 7 m i t A n m . BENDERMACHER J R 2 0 0 4 S. 3 0 1 f f , GEPPERT JK 0 3 , S t G B § 2 1 1 / 4 1 , ROXIN JZ 2 0 0 3 S. 9 6 6 ff, QUENTIN N S t Z 2 0 0 5 S. 1 2 8 f f , ZACZYK JUS 2 0 0 4 S . 7 5 0 ff: Α w u r d e v o n Μ erpresst. U M
seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, begab sich Μ mit einem Begleiter zu Α und drohte dem Α dort, seine Wohnungseinrichtung zu zerstören. A, der wütend war, dass Μ ihm sein angespartes Geld wegnehmen wollte, trat hinter M, fasste „den völlig überraschten M" am Kopf und schnitt ihm von hinten mit einem Küchenmesser durch den Hals. Μ starb. BGH: Keine Arglosigkeit des M: „Mit seinem konkreten Angriff hat das spätere Opfer des Gegenangriffs in aller Regel seine Arglosigkeit bereits zuvor verloren. Er ist der wirkliche Angreifer. Dem Angegriffenen gesteht die Rechtsordnung das Notwehrrecht zu. Mit dessen Ausübung muss jeder Angreifer in solcher Lage grundsätzlich rechnen. Das ist von der strafrechtlichen Werteordnung und damit normativ prägend vorgegeben. Dem entspricht, dass das Notwehrrecht generell im Rechtsbewusstsein der Bevölkerung tief verwurzelt ist. Der Erpresser ist deshalb unter den hier gegebenen Umständen regelmäßig nicht gänzlich arglos. Das Mordmerkmal der Heimtücke ist einer solchen, auch normativ orientierten einschränkenden Auslegung zugänglich. Diese gründet mit darin, dass der Gegenwehr hier ersichtlich nicht das Tückische in einem Maße innewohnt, welches den gesteigerten Unwert dieses Mordmerkmals kennzeichnet. Kritik: Das Ergebnis hat durchaus etwas für sich. - Mit den bisherigen Prämissen des BGH zur Bestimmung des Heimtückebegriffs ist es jedoch nicht in Einklang zu bringen - dazu auch Altvater NStZ 2004 S. 26; BÜRGER JA 2004 S. 299 f; HILLENKAMP Rudolphi-FS, S. 466 f - und es überzeugt nicht, dass der BGH im Falle der Tötung eines Haustyrannen, der seine Ehefrau über Jahre gequält und gemartert hatte und keine Gegenwehr befürchtete, weil er das Gewaltverhältnis als absolut ansah, davon ausgeht, der Haustyrann habe seine Arglosigkeit mit in den Schlaf genommen, als er sich zum Schlaf hinlegte.**1
80
Vgl. zur Kritik auch JAKOBS JZ 1984 S. 996 ff; ZACZYK JuS 2004 S. 750 ff; M.-K. MEYER JR 1986 S. 133 ff; OTTO JK, StGB §211/11.
81
BGHSt 48 S. 255 mit Anm. HILLENKAMP JZ 2004 S. 48 ff, OTTO NStZ 2004 S. 142 ff, RENGIER NStZ 2004 S. 233 ff, ROTSCH JuS 2005 S. 12 ff, WLDMAIER NJW 2003 S. 2788 ff; dazu vgl. auch GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 Rdn. 1 8 6 , Fall 6 .
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35a
§4
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
b) Grausam 36 Nach herrschender Meinung handelt der Täter grausam, der dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufugt, die über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen. 82 Dieser Definition ist zuzustimmen, denn im Erfordernis der gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung kommt das über den Unrechtsgehalt einer Tötung hinausweisende Unrechtselement zum Ausdruck. Die bloße Zufügung von Schmerzen oder Qualen, die über das zur Tötung erforderliche Maß hinausgehen, genügt diesen Anforderungen nicht. 83 37 Die Grausamkeit muss nicht notwendig in der eigentlichen Ausfuhrungshandlung des Täters liegen, sie kann sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Tötung eingeleitet und vollzogen wird. Lediglich grausame Verletzungen, die mit Körperverletzungsvorsatz zugefügt werden und an die sich eine Tötung anschließt, genügen allerdings nicht. Notwendig ist ein vom Tötungsvorsatz getragenes Verhalten, in dem die Herbeiführung des Todes den Schlusspunkt einer Entwicklung darstellt. 84 Zur Verdeutlichung: 38
aa) LG Hamburg DRiZ 1967 S. 19 ff: Der W hatte befohlen, dass der Straftäter P, der im Oktober 1943 mit einem Schiff von Japan nach Deutschland gebracht werden sollte, nicht in Feindeshand fallen dürfte, sondern bei Selbstversenkung des Schiffes mit diesem untergehen sollte. Als das Schiff aufgebracht wurde, blieb Ρ in seiner Zelle eingeschlossen. Er ging mit dem Schiff unter. Der W, in seemännischer Tradition erzogen, sah es als normalen Tod an, mit dem Schiff unterzugehen, wenn keine Rettung möglich ist. LG Hamburg: W war sich zwar der Qualen des Ρ bewusst, die dieser beim Tod des Ertrinkens leiden würde, er handelte aber nicht aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung.
39
bb) BGH NJW 1971 S. 1189: Auf Anordnung der Haupttäter wurden Personen, denen bekannt war, dass sie in ein Vernichtungslager verbracht werden sollten, auf engem Raum zusammengetrieben, wo sie bei großer Hitze auf den Transport warten und ansehen mussten, wie alte und kranke Menschen erschossen wurden und wo sie selbst erbarmungslosen Schlägen mit Ochsenziemern und Reitpeitschen ausgesetzt waren. Sodann wurden sie abtransportiert und getötet. BGH: Tötung erfolgte grausam, denn „die Grausamkeit muß nicht notwendig in der eigentlichen Ausführungshandlung der Tötung liegen, sie kann sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Tötung eingeleitet und vollzogen wird".
40
cc) BGHSt 37 S. 40: Α schoss dem Κ mit Tötungsvorsatz in den Hals. Anschließend fügte er ihm „zusätzlich zu der durch den Schuß hervorgerufenen schweren, möglicherweise tödlichen Verletzung Qualen körperlicher und seelischer Art zu". BGH: Grausames Verhalten hätte nur vorgelegen, wenn das der Tötungshandlung (Schuss) nachfolgende Verhalten geeignet war, den Tod herbeizuführen oder zu beschleunigen oder wenn Α davon ausgegangen war, durch dieses Verhalten könne der Tod eintreten, gefördert oder mitverursacht werden.
c) Gemeingefährliche Mittel 41 Gemeingefährliche Mittel sind Mittel, deren Wirkungen auf Leib und Leben anderer Menschen der Täter nach den konkreten Umständen ihres Einsatzes nicht in der Hand hat. - Der Täter muss die gemeingefährliche Situation selbst schaffen, ihre bloße Ausnutzung genügt 82
H.M. BGHSt 3 S. 180; BGH NStZ 1982 S. 379 f; BGH NJW 2004 S. 2318 f; JÄHNKE LK, § 211 Rdn. 5 3 f f ; KÜPER B . T . , S . 1 7 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 1 1 R d n . 1 0 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
B.T.l,
§ 2 R d n . 4 7 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 1 R d n . 2 3 . 8 3
A . A . NEUMANN N K ,
§ 211
R d n . 7 7 ; RÜPING J Z
1 9 7 9 S . 6 2 0 ; SCHNEIDER M K ,
§ 211
Rdn.
III;
SCH/SCH/ESER § 2 1 1 R d n . 2 7 . 84
So auch BGHSt 37 S. 41; BGH NJW 1971 S. 1190; JÄHNKE LK, § 211 Rdn. 56; LACKNER/KÜHL § 211 Rdn. 10. - A.A. Grausame Gesinnung muß bei Beginn der Tatausführung, d.h. bei Beginn des Versuchs v o r l i e g e n : B G H N J W 1 9 8 6 S . 2 6 5 m i t a b l . A n m . OTTO J K , S t G B § 2 1 1 / 1 4 ; KÜPER B . T . , S . 1 7 7 f.
24
Mord
§4
nicht. 85 Die bloß abstrakte Gefährlichkeit des Mittels - z.B. Feuer, Sprengstoff, Gift reicht nicht aus. Andererseits braucht auch noch keine konkrete Gefahr fur weitere Personen real eingetreten zu sein. Es ist vielmehr erforderlich, dass in der konkreten Tatsituation der Täter das abstrakt gefahrliche Tatinstrument nicht so beherrscht, dass eine Gefahrdung weiterer Menschen ausgeschlossen ist. 86 Das ist nicht der Fall, wenn zwar mehrere Personen in den Gefahrenbereich geraten, die Gefahrdung sich aber nur in der Person eines der Betroffenen realisieren kann. Zur Verdeutlichung: aa) BGH VRS 63 S. 119: Α warf von einer Brücke Steine auf Kraftfahrzeuge und war sich der Tatsache bewusst, dass es nach einem Treffer zu einem Massenunfall kommen könnte.
42
BGH: Α handelte mit gemeingefährlichen Mitteln. Hingegen: Wirft Α mit einem Stein auf den einsamen Spaziergänger X, so liegt keine Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels vor. bb) BGH NJW 1985 S. 1477: Α warf 3 Brandflaschen in ein von zwei Personen bewohntes Zimmer eines Wohnheimes. Die beiden Bewohner kamen zu Tode. Weitere Personen wurden dank der feuersicheren Bauweise des Gebäudes nicht gefährdet. Α hatte sich aber nicht vorher überzeugt, wie viele Personen überhaupt im Zimmer waren.
43
BGH: „A setzte eine Gefahr für eine unbestimmte Zahl von Personen, die dort hätten sein können. Jedenfalls dann, wenn der Täter, der ein seiner Natur nach gemeingefährliches Mittel einsetzt, nicht dessen gewiss ist, die Wirkung der von ihm entfalteten Kräfte so beschränken zu können, daß der Eintritt der Gemeingefahr ausgeschlossen ist, begeht er einen Mord". cc) BGHSt 38 S. 353: Α schoss mit einer Pistole in Tötungsabsicht auf B, der sich in einem mit ca. 70 Personen besetzten Lokal befand. Der Schuss ging fehl und traf den X.
44
BGH: Α setzte kein gemeingefährliches Mittel zur Tötung ein: „Die auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Schusswaffe, mit der nur ein Schuss abgegeben werden soll, bedeutet ihrer Natur nach keine unberechenbare Gefahr filr eine unbestimmte Vielzahl von Menschen." 8 7
3. Verfolgte Zwecke: Um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken a) Tötung zur Ermöglichung einer Straftat Eine Tötung zur Ermöglichung einer Straftat liegt nicht nur vor, wenn die Tötung Mittel 45 zur Begehung der Straftat ist, sondern bereits dann, wenn der Täter meint, die Straftat aufgrund der Tötung schneller oder leichter begehen zu können. - Die andere Straftat muss eine Straftat im engeren Sinne des Wortes sein. Ordnungswidrigkeit, Disziplinarvergehen o.Ä. genügen dem nicht, doch kommen dann niedrige Beweggründe in Betracht. - Es reicht aus, dass der Täter sich vorstellt, er ermögliche oder verdecke eine Straftat (subjektives Merkmal!). - Die andere Straftat braucht keine eigene Tat des Täters zu sein. - Die bezweckte Tat kann mit der Tötung tateinheitlich zusammenfallen, so z.B. typischerweise der Raub mit der Tötung beim sog. Raubmord.
85
BGHSt 34 S. 13.
8 6
V g l . a u c h v . DANNWITZ J u r a 1 9 9 7 S . 5 7 5 ; KÜPER B . T . , S. 2 2 2 ; NEUMANN N K , § 2 1 1 R d n . 8 5 ;
SCHNEIDER MK, § 211 Rdn. 102, 103. - A.A. RENGIER STV 1986 S. 406 f (konkrete Gefährdung Dritter erforderlich). 87
Vgl. auch GEPPERT JK 93, StGB § 211/23; RENGIER JZ 1993 S. 364 f.
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§4
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Zur Verdeutlichung: 46
aa) B G H G A 1963 S. 84: Α wollte ein Mädchen vergewaltigen. Er legte sich in einsamer Gegend auf die Lauer. Als sich ein Paar, die Β und der C, näherte, schoss Α auf den C, um ihn zu töten, weil er fürchtete, dieser werde der Β zur Hilfe kommen.
47
bb) BGHSt 39 S. 159: Α und Μ hatten den Ζ in dessen Wohnung überfallen und mit Chloroform betäubt, um ihn ausrauben zu können. Nach ca. 30 Minuten erholte sich das Opfer. Α entschloss sich nunmehr, „auf andere Weise als durch Beibringung von Chloroform endgültig dafür zu sorgen, daß sie die weitere Suche nach Geld und Wertgegenständen ... ungestört fortsetzen konnten". Er würgte sein Opfer massiv am Hals und erkannte dabei und billigte auch, dass sein Handeln zum Tode fuhren könnte. Der Tod trat dann auch „im Minutenbereich" ein. Frühestens 15 Minuten später verließen die Täter die Wohnung.
B G H : Tötung zur Ermöglichung einer Straftat (Vergewaltigung).
BGH: Die Angekl. handelten, um eine andere Straftat zu ermöglichen: „Bedingter Tötungsvorsatz steht der Annahme des Mordmerkmals ,Töten zur Ermöglichung einer anderen Straftat' nicht entgegen. Die ,Tötung' muss nicht .notwendiges' Mittel zur Begehung der anderen Straftat sein (Aufgabe der Senatsentscheidung vom 26. Februar 1980, mitgeteilt bei Holtz M D R 1980, 629); vielmehr genügt es, daß sich der Täter deshalb für die zum T o d e führende Handlung entscheidet, weil er glaubt, auf diese Weise die andere Straftat schneller oder leichter begehen zu können. Es genügt, daß nicht der Tod des Opfers, sondern die zur Tötung geeignete Handlung vom Täter als Mittel zur Begehung der weiteren Straftat angesehen w i r d . " 8 ^
48 b) Tötung zur Verdeckung einer Straftat Bei der Tötung zur Verdeckung einer Straftat ist Tatmotiv das Bestreben des Täters, durch die Tötung die Aufdeckung bzw. Aufklärung einer anderen Straftat zu verhindern. 89 Die bloße Absicht, sich der Strafverfolgung zu entziehen, genügt nicht. Die Absicht, eine andere Straftat zu verdecken, ist deshalb als qualifizierendes Merkmal problematisch, weil die „Selbstbegünstigungsabsicht" in anderen Tatbeständen des Gesetzes - vgl. z.B. §§ 257 Abs. 3 S. 1, 258 Abs. 5 - durchaus privilegierend berücksichtigt wird. Verallgemeinern oder auch nur auf die Tötungsdelikte übertragen lässt sich jedoch die Wertung, der „Selbstbegünstigungsabsicht" entlastende Bedeutung zuzumessen, nicht. Gerade die §§ 257, 258 zeigen, dass dort die Tatsituation eine ganz andere ist. Dort versucht der Täter die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes zu verhindern bzw. sich der Strafverfolgung zu entziehen, ohne den zuvor begründeten Schaden zu vergrößern. Hier aber kommt es zu einer weiteren schweren Rechtsgutsverletzung. Aber nicht allein in der Verknüpfung von Unrecht mit weiterem Unrecht durch den Täter ist der Qualifikationsgrund der Verdeckungsabsicht zu erkennen. Hier geht es auch um eine Schutzfunktion des Staates bestimmten Personen gegenüber und um die Klarstellung, dass der Staat den Täter, der zur Vereitelung des staatlichen Strafanspruchs „über Leichen geht" mit der schwersten verfügbaren Strafe belegt. - Die Schutzfunktion, die gegenüber den Strafverfolgungsorganen offensichtlich ist, berührt einen jeden Bürger als Zeugen einer Straftat. Diese Personen, aber auch jeder Bürger, der aus der Sicht des Täters der Vereitelung des Strafanspruchs im Wege steht, wären unerträglichen Risiken ausgesetzt, wenn die Selbstbegünstigungsabsicht privilegierend berücksichtigt würde. Die Wertung der Verdeckungsabsicht als sozial besonders unerträglich und unakzeptabel ist daher unter Rechtsschutzgesichtspunkten zu verteidigen. 893 88
Dazu GEPPERT JK 94, StGB § 211/25; GRAUL JR 1993 S. 510 ff; SCHROEDER JuS 1994 S. 294 ff; vgl. auch B G H NStZ 1998 S. 352.
89
Dazu BGH N J W 1999 S. 1039, 1041 mit Anm. MOMSEN JR 2000 S. 29 f, SCHÖCH NStZ 1999 S. 554 f; KÜPER B.T., S. 326.
89a
Vgl. auch GEPPERT Jura 2004 S. 243; HEINE Brauneck-EG, S. 328 f; KÜPER JZ 1995 S. 1158 ff; L A C K N E R / K Ü H L § 2 1 1 R d n . 1 2 ; RENGIER B . T . II, § 4 R d n . 5 6 ; S C H / S C H / E S E R § 2 1 1 R d n . 3 1 ; S O W A D A
JZ 2000 S. 1035 ff; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , Rdn. 123.
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Mord
§4
Wie bei der Absicht, eine andere Straftat zu ermöglichen, muss es sich bei der zu ver- 49 deckenden Straftat um eine Straftat im Sinne des § 12 StGB handeln. 90 Es genügt aber auch hier die Vorstellung des Täters, eine andere Straftat zu verdecken (subjektives Merkmal). Die andere Tat kann eine eigene Straftat oder die eines Dritten sein. Die Vortat kann mit der Tötung tateinheitlich zusammenfallen. Es muss sich aber um eine andere Tat handeln. Das ist nicht der Fall, wenn Vorgeschehen und Tötung eine einheitliche Tötung bilden, jedoch kann eine andere Tat auch vorliegen, wenn der Plan zu dieser Tat von Anfang an bestand. BGH N J W 2001 S. 763 mit Anm. OTTO JK 01, StGB § 211/36: Α und Β beschlossen, den C zu berauben und anschließend zur Verdeckung des Raubes zu töten. Ihren Plan führten sie aus. BGH: Verdeckungsmord.
Zur
Verdeutlichung:
aa) BGH JR 1991 S. 212: Α hatte die Β mit bedingtem Tötungsvorsatz gewürgt und getreten. Danach war ihm bewusst geworden, dass Β anderen von der Tat erzählen könnte, wenn sie überlebte. Deshalb tötete Α die Β nunmehr mit direktem Vorsatz.
50
BGH: Der Übergang vom bedingten zum unbedingtem Vorsatz macht die vor dem unbedingten Vorsatz liegenden Tatteile nicht zu einer anderen Tat. Die begonnene Tötung wurde nur vollendet. Allerdings ist ein Motivwechsel im Rahmen einer einheitlichen Tötung nicht irrelevant, denn auch wenn der Täter in dieser Situation keine andere Straftat verdecken kann, so kann der erneute Beweggrund doch als niedriger Beweggrund bedeutungsvoll s e i n . 9 ' bb) B G H N J W 1992 S. 583: Α ließ die schwerverletzte M, die er aus Unachtsamkeit angefahren hatte, am Unfallort ohne Hilfe liegen, obwohl ihm bewusst war, dass Μ lebensgefährlich verletzt war. Er wollte nicht wegen des Unfalls zur Rechenschaft gezogen werden. BGH: Wenn Α die Rettungsmaßnahmen unterließ, weil er die Aufdeckung der Vortat verhindern wollte, so liegt Verdeckungsabsicht vor, denn maßgeblich ist das Unterlassen der pflichtgemäßen H a n d l u n g . 9 ' 3 cc) BGHSt 41 S. 8: Α hatte dem Μ die Lieferung von 5 kg Haschisch versprochen und bereits eine Vorauszahlung von 10.000.- DM erhalten, obwohl er wusste, dass er nicht liefern konnte. Als Μ auf Lieferung drängte, befürchtete A, der davon ausging, dass Μ ihn nicht anzeigen würde, Repressalien durch M. Um die Aufdeckung des Betrugs zu verhindern, tötete Α daher den M. BGH: Α handelte in Verdeckungsabsicht, denn diese erfordert nicht, dass der Täter für den Fall des Bekanntwerdens seiner vorangegangenen Straftat mit Strafverfolgung rechnet. Es genügt, dass es ihm um die Vermeidung außerstrafrechtlicher Konsequenzen geht.
""
Bei der Verdeckung anderer, z.B. ehrenrühriger Sachverhalte, können jedoch niedrige Beweggründe in Betracht kommen, vgl. dazu B G H NStZ 1999 S. 243 mit Anm. OTTO JK 99, StGB § 211/32, sowie oben Rdn. 16, Fall gg) mit Fn. 54.
91
Zur Entwicklung der Rechtsprechung - Überblick: BGHSt 35 S. 118 ff - vgl. zunächst: BGHSt 7 S. 325, sodann: BGHSt 27 S. 346, und schließlich: BGHSt 28 S. 77, 80, 82; BGH N J W 1992 S. 919; BGH NStZ 2000 S. 498; BGH NStZ 2002 S. 253 mit Anm. FREUND JuS 2002 S. 640 ff, OTTO JK 02, StGB § 211/38. - Dazu auch GEPPERT Jura 2004 S. 244 f; HEINE Brauneck-EG, S. 326 ff; HOHMANN/MATT JA 1 9 8 9 S. 134 ff; KÜPPER B . T . I , I § 1 R d n . 5 7 ; LABER M D R 1 9 8 9 S. 8 6 1 ff; OTTO J u r a 2 0 0 3 S. 6 2 0 f;
SCHMIDHÄUSER NStZ 1989 S. 55 ff; TLMPE NStZ 1989 S. 70 ff; WEIß Die Problematik der Verdekkungsabsicht im Mordtatbestand, 1997, S. 270 ff. 91a
Str., vgl. im Einzelnen GEPPERT Jura 2004 S. 245 f; KÜPER B.T. S. 329 f. - War die Vortat bereits auf Tötung des Opfers gerichtet, so sieht der BGH im Begehungsdelikt und nachfolgenden Unterlassen nur eine Tat; vgl. B G H N J W 2003 S. 1060 mit Anm. FREUND NStZ 2004 S. 123 ff, OTTO J K 03, StGB § 211/40; STEIN JR 2004 S. 79 ff. - Mehr überzeugt es, hier eine Garantenstellung abzulehnen; dazu eingehender OTTO Gössel-FS, S. 102 ff sowie GEPPERT Jura 2004 S. 246. - Zur grundsätzlichen Ablehnung eines Verdeckungsmordes durch Unterlassen vgl. HAAS Weber-FS S. 240 ff m. N.
27
51
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§ 4
Kritik: Der BGH lässt es hier für die Verdeckungsabsicht genügen, dass der Täter Unrecht mit weiterem Unrecht verknüpft. 9 2 Damit wird der bisher anerkannte Schutzbereich verlassen und willkürlich ausgedehnt, denn offen bleibt, warum die Verknüpfung von Tötungsunrecht allein mit „Verdeckungsunrecht" hier qualifizierend wirken soll und anderes Unrecht nicht zu dieser Konsequenz ftlhrt. 52
dd) BGHSt 41 S. 358: Α hatte den W erstochen. Um die Tatspuren zu beseitigen, beschloss er, das Haus, in dem die Tat geschehen war, in Brand zu setzen, obwohl er wusste, dass dabei zwei in dem Hause schlafende Frauen zu Tode kommen würden. BGH: Auch beim Verdeckungsmord kommt es auf die zum Tode eines Menschen führende Verdeckungshandlung an. Der Tatbestand kann daher auch erfüllt sein, wenn von dem Getöteten selbst Entdeckung nicht zu befürchten ist. 9 4
III. Vorsatzprobleme 53 1. In der 1. Gruppe der Mordqualifikationen (niedrige Motive) muss der Täter sich der Umstände bewusst sein, die seine Tat als sozialethisch unerträglich erscheinen lassen. Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen ist daher grundsätzlich auch mit bedingtem Vorsatz möglich. 54
Das gilt auch für das Merkmal der Mordlust. Auch derjenige handelt aus Mordlust, der Pflastersteine von einer Brücke auf die Autobahn wirft, um es „einmal so richtig krachen zu hören", auch wenn er sich nur der tödlichen Gefahr für die Autofahrer bewusst ist, nicht aber davon ausgeht, dass der Tod mit Sicherheit eintritt.95
55 2. In der 2. Gruppe der Mordqualifikation muss der Täter die objektiven Merkmale (Vertrauensverhältnis, Wirkung des eingesetzten Mittels) kennen; bei der Verwirklichung des Merkmals „grausam" muss es ihm aufgrund seiner Gesinnung auf die Schmerzzufügung ankommen (dolus directus 1. Grades). 56 3. Bei den verfolgten Zwecken, 3. Gruppe, muss sich die Absicht im engeren Sinne auf den Zweck beziehen. Die Tötung selbst hingegen braucht nur bedingt gewollt zu sein. - Zu beachten ist aber, dass nach den Gegebenheiten des Sachverhalts bedingter Vorsatz dann logisch ausgeschlossen ist, wenn der Täter seinen Zweck nur mit dem Tode des Opfers erreichen kann und den Zweck in jedem Fall erreichen will. 57
a) BGH NStZ 1996 S. 81: Nach einem Streit mit seinem Bruder Β beschloss Α, der keinen Führerschein besaß, mit dem Pkw seiner Lebensgefährtin herumzufahren, um sich abzureagieren. Als er sich in den Wagen setzte, legte sich Β quer vor dem Pkw auf den Boden, um ihn daran zu hindern, loszufahren. Α bemerkte das und überrollte den B, sodann legte er den Rückwärtsgang ein und überführ den Β ein zweites Mal, wobei es ihm gleichgültig war, was dem Β passierte. - Der schon verletzte Β starb. BGH: Die Tötung braucht nur bedingt gewollt zu sein, doch ist hinsichtlich der Straftat, die durch die Tötung ermöglicht werden soll, Absicht im Sinne eines zielgerichteten Wollens erforderlich. Daran fehlte es dem A, denn sein Wollen war zielgerichtet auf Herumfahren gerichtet. Dass er dieses Ziel nur durch strafbares Han-
92
So auch BGH NStZ 1999 S. 615; FUHRMANN JUS 1963 S. 19; KINDHÄUSER B.T. 1, § 2 Rdn. 43; JÄHNKE L K , § 2 1 1 R d n . 15; JOECKS S t G B , § 2 1 1 R d n . 3 0 ; SAUGER Z S t W 109 ( 1 9 9 7 ) S. 3 0 5 f f ; DERS. StV 1 9 9 8 S. 19 f.
93
Eingehender zur Kritik vgl. BROCKER MDR 1996 S. 228 f; KÜPER JZ 1995 S. 1158 ff; NEUMANN NK, § 211 Rdn. 104; OTTO JK 95, StGB § 211/26; SCHNEIDER MK, § 211 Rdn. 178; SOWADA JZ 2000 S. 1035 ff.
94
Dazu auch FISCHER NStZ 1996 S. 416 ff; MITSCH JuS 1997 S. 788 ff; OTTO JK 96, StGB § 211/28;
95
Vgl. OTTO JK, StGB § 211/15. - A.A. LACKNER/KÜHL § 211 Rdn. 15; TRÖNDLE/FLSCHER § 211 Rdn.
SAUGER Z S t W 109 ( 1 9 9 7 ) S. 3 1 7 ff; DERS. S t V 1 9 9 8 S. 2 2 ff; SCHROEDER J Z 1 9 9 6 S. 6 8 8 .
33.
28
Der minder schwere Fall des Totschlags
§5
dein erreichen konnte, macht die strafbare Handlung nicht zum Handlungsziel des A. Zu prüfen war vielmehr, ob Α die Verkehrsstraftat nicht lediglich als notwendige Begleiterscheinung der durch die Tötung erstrebten Handlung in Kauf nahm. 9 6 b) BGH StV 1988 S. 486: Der Α hatte die Ν schwer misshandelt und verletzt, nachdem er sie der Freiheit beraubt hatte. Obwohl er sich des lebensgefährlichen Zustandes der Ν bewusst war, hielt er sie weiter gefangen, weil er verhindern wollte, dass er als Täter entdeckt würde, wenn der Zustand der Ν bekannt würde.
58
Ergebnis: Verdeckungsabsicht liegt vor. 9 7 c) BGH GA 1983 S. 565: Α wurde bei einem Einbruch von S überrascht. Um nicht von ihr später wiedererkannt zu werden, schoss er auf sie.
59
BGH: Kann der Täter die erstrebte Verdeckung der Straftat nur durch den Tod des Opfers erreichen, so ist die Verwirklichung der Verdeckungsabsicht nur mit direktem Tötungsvorsatz möglich. 9 ®
4. Zur Konkurrenz von Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz vgl. unter § 24 Rdn. 4
ff.
60
§ 5 Der minder schwere Fall des Totschlags I. Die beiden Fallgruppen des § 213 1. § 213, 1. Alt.: ein privilegiertes Tötungsdelikt In seiner 1. Alt.: „War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefugte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden", enthält der Tatbestand einen benannten Strafmilderungsgrund, d.h. eine Privilegierung gegenüber § 212; vgl. dazu auch § 2 Rdn. 15 ff. Das Unrecht der Tat wird in dieser Alternative durch drei Faktoren geprägt: (1.) Das spätere Opfer fugt dem späteren Täter oder einem seiner Angehörigen bewusst ein erhebliches Unrecht zu, (2.) der Täter gerät dadurch in einen - seine Entscheidungsfreiheit wesentlich einengenden - Erregungszustand und (3.) den Täter trifft keine Schuld daran, dass ihm ein Unrecht zugefügt worden ist. Nicht nur der schuldmindernd zu berücksichtigende Erregungszustand und ein begrenzter Bereich auslösender Faktoren kennzeichnen die Situation, sondern diese wird zugleich bestimmt durch „die Schuld des Opfers an der Tat". Die Tat erscheint daher gegenüber einer „typischen" Tötung als geringere Störung der sozialen Beziehungen. Insoweit beruht die Regelung des § 213 darauf, dass er zwar Tötungsunrecht unter Strafe stellt, jedoch im Verhältnis zu § 212 minder schweres Tötungsunrecht. Die Schwere der Provokation ist unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen zwischen Täter und Opfer zu ermitteln. Der Tatvorgeschichte kann daher Bedeutung zukommen. 9 9 Auch aus der Wiederholung von Beschimpfungen kann sich die Schwere der Beleidigung ergeben. 100 96
Dazu auch F i s c h e r NStZ 1996 S. 416 ff; O t t o JK 96, StGB 211 /29.
97
Dazu BGHSt 11 S. 269; 15 S. 291 mit Anm. JESCHECK JZ 1961 S. 752; BGH VRS 24 S. 184; BGH StV 1998 S. 24; BGH NJW 2000 S. 1734 mit Anm. OTTO JK 01, StGB § 211/34; BGH NStZ 2004 S.
496; KÜPER B.T., S. 330. 98
Vgl. auch BGHSt 21 S. 284 f; BGH NStZ 1985 S. 166; BGH NJW 1992 S. 583.
99
BGH NJW 1987 S. 3143.
100
BGH NStZ 1983 S. 365.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§5 5
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Ohne eigene Schuld handelt der Täter, der die beleidigende Äußerung des Opfers im gegebenen Augenblick entweder überhaupt nicht oder aber nicht vorwerfbar veranlasst hat. 101 Hierbei ist jedoch nur ein Verhalten relevant, das „zu dem Verhalten des Getöteten in dem entscheidenden Augenblick genügende Veranlassung gegeben hatte" 102 , und zwar derart, dass „das Verhalten des Opfers eine verständliche Reaktion auf vorangegangenes schuldhaftes Tun des Täters darstellt" 103 . Eine Misshandlung kann körperlich oder seelisch erfolgen, denn sie ist nicht als tatbestandsmäßige Körperverletzung zu verstehen. 104 - Beleidigung ist nicht als terminus technicus i.S. einer Ehrverletzung gemäß §§ 185 ff gemeint, sondern als schwere Kränkung. In Betracht kommt z.B. ein Vertrauensbruch, etwa ein Ehebruch. 105 Maßgebend ist der objektive Erklärungswert des Verhaltens, nicht allein die Vorstellung des Täters, gekränkt worden zu sein, da es hier um die Feststellung des vom späteren Opfer verwirklichten Unrechts geht. 106 Die Beleidigung muss dem Täter oder einem seiner Angehörigen zugefügt worden sein. Eine analoge Anwendung auf nahestehende Personen ist aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen. Sie ist kriminalpolitisch auch nicht notwendig, da in einschlägigen Fällen die 2. Alternative des § 213 in Betracht kommt. 107 Auf der Stelle reagiert der Täter, der noch voll unter dem Einfluss des erlittenen Unrechts steht. Zwischen Beleidigung und Reaktion kann daher durchaus ein gewisser Zeitraum liegen. Auch kann sich das beleidigende Verhalten über längere Zeit erstrecken. Es genügt, dass das Verhalten unmittelbar vor der Tat „der Tropfen war, der das Faß zum Uberlaufen brachte". 108 Durch die Provokation ist der Täter auch dann zur Tat hingerissen worden, wenn neben der Reizung zum Zorn noch andere Motive zur Tatauslösung beigetragen haben, sofern sie den Zorn nicht in eine unerhebliche Rolle verdrängt haben. 109 Die Rechtsprechung hält daran fest, dass Verhältnismäßigkeit zwischen der Schwere der Kränkung und der im Zorn verübten Tat nicht gegeben zu sein braucht. Hier ist jedoch zu beachten, dass in Fällen, in denen die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben ist, die Reaktion des Täters auf das Verhalten des Opfers kaum als verständlich beurteilt werden kann. 110
2. § 213, 2. Alt.: ein unbenannter Strafmilderungsgrund 11 Ein sonstiger minder schwerer Fall i.S. des § 213 braucht sozialethisch nicht auf der Ebene 1 0 1
B G H STV 1 9 8 4 S . 2 8 3 .
102
BGH NStZ 1981 S. 300; BGH NStZ 1983 S. 554.
103
BGH NStZ 1981 S. 479; BGH NJW 1983 S. 293.
104
BGH NJW 1995 S. 1910; BGH bei Holtz, MDR 1997 S. 20.
105
BGH bei Holtz, MDR 1978 S. 110; BGH StV 1990 S. 265.
106
BGH NStZ 1982 S. 27; BGH NStZ 1986 S. 455; BGH NStZ 1996 S. 33; BGH NStZ 2004 S. 632.
107
V g l . LACKNER/KÜHL § 2 1 3 Rdn. 4 ; OTTO J K , S t G B § 11/2. - A.A. STRATZ F a m R Z 1980 S. 3 0 8 ; T R Ö N D L E / F I S C H E R § 11 R d n . 1 0 .
108
BGH NStZ 1982 S. 27; BGH StV 1991 S. 105; BGH NStZ 1995 S. 83; BGH StV 1998 S. 131.
109
Vgl. BGH StV 1983 S. 60; BGH StV 1983 S. 198; dazu auch GEILEN JR 1978 S. 341 ff; DERS. Dreher-
FS, S. 357 ff. 110
Vgl. dazu einerseits: BGH NStZ 1982 S. 27; BGH NStZ 1985 S. 216; BGH bei Holtz, MDR 1991 S. 483; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 Rdn. 56; andererseits: GEILEN Dreher-FS, S. 374 ff; NEUMANN Zurechnung und „Vorverschulden", 1985, S. 253; DERS. N K , § 2 1 3 Rdn. 16.
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Der minder schwere Fall des Totschlags
§5
der Umstände des § 213, 1. Alt. zu liegen. Entscheidend ist allein, ob „das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist". 111 Nach Aufhebung des § 217 StGB a.F. kann § 2 1 3 , 2 . Alt. bei der Tötung eines Kindes in oder gleich nach der Geburt eingreifen. 1 1 2
12
3. Irrtum des Täters über die Beleidigung durch das Opfer a) Wird - wie es hier geschehen ist - § 213, 1. Alt. als privilegierender Tatbestand ge- 13 genüber § 212 anerkannt, so liegt ein Fall des § 16 Abs. 2 vor. 113 Sachgerecht ist diese Lösung jedoch nicht. Sie würde zwar überzeugen, wenn die Privilegierung allein in schuldmindernden Erwägungen läge, denn in diesem Fall ist die psychische Situation des Täters identisch, gleichgültig, ob die objektiven Voraussetzungen vorliegen oder nicht. Ist der Grund der Privilegierung aber zumindest auch in einem das Unrecht der Tat mindernden Verhalten des Opfers zu sehen, so wird dieses Verhalten über die Anwendung des § 16 Abs. 2 in bestimmten Fällen für irrelevant erklärt. b) Soweit § 213 insgesamt als Strafzumessungsregel interpretiert wird, kann in einem Irr- 14 tumsfall „ein anderer mildernder Umstand" i.S. des § 213, 2. Alt. gesehen werden. 114
II. Das Verhältnis des § 213 zu § 211 1. Werden die Mordqualifikationen - wie hier dargelegt - als Ausdruck einer sozialethisch besonders unerträglichen, weil gefahrlichen Gesinnung interpretiert, so schließen die §§211, 213 einander aus. Die Tat kann nicht zugleich Ausdruck einer schlechthin unerträglichen und einer doch menschlich verständlichen Einstellung zu dem Geschehen sein. Wer z.B. aus unbarmherziger Gesinnung einem anderen besondere Schmerzen bei der Tötung zufugt, wer das Vertrauen eines anderen missbraucht oder wer eine andere Straftat verdecken will, tötet das Opfer genauso wenig aufgrund der Erregung über ein ihm selbst zugefügtes Unrecht, wie derjenige, der mit gemeingefährlichen Mitteln Dritte in Gefahr oder zu Tode bringt, die ihm nichts Böses getan haben. 115 2. Wird die jeweils über den konkreten Fall hinausweisende Gefährlichkeit des Täters nicht bereits in der Definition einzelner Qualifikationen erfasst, so können in diesem Bereich sowohl die Voraussetzungen des § 211 als auch die des § 213 vorliegen. a) Nach Auffassung des BGH, der § 213 nur auf § 212 bezieht, weil er insoweit § 211 als Sondertatbestand auffasst, schließt § 211 den § 213 aus. 116 b) Soweit § 211 als Qualifizierung und § 213 als Privilegierung - allerdings nur die erste Alternative - des § 212 angesehen wird, erfolgt eine Bestrafung nur aus § 213. Grundsatz: Die Privilegierung geht der Qualifizierung vor. 117 c) Auch soweit §213 nur als unbenannter Strafmilderungsgrund interpretiert wird, soll 111
B G H bei Holtz, M D R 1976 S. 633; B G H NStZ-RR 2002 S. 140.
112
Dazu B G H NStZ-RR 2004 S. 80; JÄHNKE LK, § 213 Rdn. 15.
113
So auch ESER NStZ 1984 S. 53.
114
Dazu B G H S t 1 S. 203, 205 f; 34 S. 37, 38; JÄHNKE LK, § 213 Rdn. 9; TRÖNDLE/FLSCHER § 213 Rdn. 12.
115
Im Ergebnis übereinstimmend: BERNSMANN JZ 1983 S. 49 ff; RIESS N J W 1968 S. 630.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§6
sein Vorliegen die Anwendung des §211 ausschließen, wenn aufgrund einer negativen Typenkorrektur - Berücksichtigung von Faktoren, die der mordtypischen Verwerflichkeit entgegenstehen - die Tötung insgesamt als nicht besonders verwerflich erscheint. 118
§ 6 Tötung auf Verlangen I. Die Auslegung des § 216 1
1. Die Grundlagen der Auslegung Der Tatbestand stellt eine Form der Mitwirkung an einer Selbsttötung eines anderen unter Strafe. - Das ausdrückliche und ernstliche Verlangen ist eine qualifizierte Einwilligung. Das Unrecht der Tötung ist zwar durch diese „Einwilligung" nicht ausgeschlossen, wohl aber gemindert. Es bleibt jedoch Tötungsunrecht, deshalb ist der Tatbestand als privilegiertes Tötungsdelikt anzusehen. 119 2. Voraussetzungen des
Tatbestandes
2
a) Die Tathandlung ist täterschaftliche Tötung Selbsttötung eines anderen genügt nicht. - Der den eigenen Tod als so existenziell an, „daß er anderen nicht zulassen will". 120 Problematisch hier relevante Vollzugsakt anzusehen ist.
3
Da die Situation der Tötung auf Verlangen zum einen wesentlich durch den Willen des Opfers geprägt wird, zum anderen das Opfer in Bezug auf die Ausfiihrungshandlung gerade abhängig ist vom Willen des Täters, ist die Differenzierung problematisch. Die Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 216 auf die Fälle, in denen der Getötete nur eine Anstiftungshandlung begangen h a t ' 2 1 , führt zu willkürlichen Unterscheidungen, denn ein gewisses Maß an Mitwirkung an der Tötungshandlung ist für die Situation typisch; ihr Fehlen hingegen ändert nicht den gesamten Unrechtsgehalt. - Auch der Versuch, nach Kriterien der Tatherrschaft über das Tötungsgeschehen oder nach dem Täterwillen zu differenzieren 1 2 2 , geht fehl, denn in der Situation des § 216 sind Täter- und Opferwille so miteinander verwoben, dass Täter und Opfer als Mitträger der Tatherrschaft angesehen werden müssen. - Gleichfalls ist die Unterscheidung nach dem „Schwergewicht des Tatbeitrags" abhängig von Zufälligkeiten bei der Tatausführung.
4
Als maßgebliches Kriterium bietet sich die Herrschaft über den Akt an, mit dem über das Leben verfügt wird. Ausgangspunkt der Beurteilung ist daher die letzte Handlung des an-
116 D ^
eines anderen. Bloße Teilnahme an der Gesetzgeber sieht die Entscheidung über die Abschiebung des Vollzugs auf einen ist jedoch, welcher konkrete Akt als der
B G H S t 2 S. 2 5 8 f f ; 11 S. 139, 142 f; e b e n s o : ARZT/WEBER B . T . , § 2 R d n . 7 8 ; LACKNER/KÜHL
Vor §211 Rdn. 23. 117
Dazu BOCKELMANN B.T./2, § 5 1 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 2 Rdn. 55 („Sperrwirkung des milderen Tatbestandes").
1 1 8
V g l . GEILEN D r e h e r - F S , S. 3 8 3 f f ; HASSEMER JUS 1971 S. 6 3 0 ; HORN S K II, § 2 1 1 R d n . 6; SCH/SCH/ESER § 2 1 1 R d n . 10, § 2 1 3 R d n . 3. - A . A . B G H S t 9 S. 3 8 5 ; 3 0 S. 114 f; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 4 R d n . 11; JÄHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n . 3 8 ; KREY B . T . 1, R d n . 5 4 ; MLTSCH J u S 1 9 9 6 S. 121 f.
119
So auch JÄHNKE LK, Vor §211 Rdn. 45; LACKNER/KÜHL §216 Rdn. 1; RACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 6 1 ; WELZEL L b . , § 3 8 III. - A l s e i g e n s t ä n d i g e s
delikt interpretieren § 216: BGHSt 2 S. 258; SCH/SCH/ESER § 216 Rdn. 2. 120
SCHROEDER ZStW 106 (1994) S. 574.
121
V g l . DREHER M D R 1 9 6 4 S. 3 3 8 .
122 vgl. dazu KUTZER NStZ 1994 S. 110 flf.
32
MAUSonder-
Tötung auf Verlangen
§6
deren. Hatte der Getötete nach diesem Tatbeitrag des Partners noch die freie Entscheidung über Leben oder Tod durch eigene Verhaltensmöglichkeiten, z.B. durch das Verlassen des Raumes, das Ausspucken einer Tablette o.Ä., so hat das Unterlassen dieser Handlungsmöglichkeiten Verfügungscharakter über das Leben. Es liegt ein Suizid vor, an dem sich der andere straflos beteiligt hat. Liegt in der Handlung des Partners selbst hingegen die unmittelbare Verfugung über das Leben, weil nach seinem Tatbeitrag kein Raum mehr ist fur eine freie Entscheidung des Getöteten über Leben oder Tod, sondern die Entscheidung durch den Tatbeitrag selbst getroffen wurde - z.B. durch eine tödliche Injektion, einen Schuss mit einer Waffe o.Ä. -, so liegt in diesem Tatbeitrag die strafbare täterschaftliche Tötung eines anderen. 123 - Die Möglichkeit einer Tatverwirklichung durch Unterlassen ist hier nicht gegeben. 124 b) Das ausdrückliche und emstliche Verlangen ist eine qualifizierte Einwilligung. Es ist das wohlüberlegte eigene Verlangen, das ausdrücklich, d.h. nicht notwendig mit Worten, aber unmissverständlich erklärt sein muss.
5
aa) RGSt 68 S. 306: Der Α rief in der S Selbstmordgedanken hervor. Um S seinen Wünschen gefiigig zu machen, redete er vier Stunden auf sie ein. Auf seine Aufforderung hielt schließlich die S ihren Arm hin, und nun brachte Α ihr die Schnitte bei, die ihren Tod herbeiführen sollten.
6
RG: Bloßes Einverstandensein ist kein ausdrückliches und ernstliches Verlangen i.S. des § 216: „Einverstandensein bedeutet die Billigung des bekannten Vorhabens des anderen, also zwar mehr als ein bloßes Hinnehmen und ein bloßes Geschehenlassen, aber doch nur den Ausdruck der Übereinstimmung der eigenen inneren Stellungnahme mit der des anderen. Verlangen i.S. des § 216 StGB schließt demgegenüber begrifflich eine Betätigung mit dem Ziel der Einwirkung auf den anderen ein." bb) B G H N J W 1987 S. 1092: Der 70jährige schwerkranke Ο war zur Selbsttötung entschlossen, die er mit einem Betäubungsmittel herbeiführen wollte. Dies teilte er seinem Neffen Α mit und fragte ihn zugleich, ob er ihm behilflich sein würde, wenn er es nicht mehr schaffen sollte, seinen Plan zu verwirklichen. Als er sah, wie erschrocken A war, lenkte er jedoch sofort ein und versprach, den Α aus der Sache herauszuhalten. Einige Tage später kam Α zu Ο und bemerkte, dass dieser seinen Entschluss in die Tat umgesetzt hatte. Aufgrund der näheren Umstände befürchtete er aber, dass der Selbsttötungsversuch fehlschlagen könnte. Er entschloss sich daher, das Leben des Ο durch eine weitere Spritze mit Sicherheit zu beenden und führte diesen Plan aus.
7
B G H : Α handelte aufgrund eines ausdrücklichen und emstlichen Verlangens.
Aus dem Wesen des „Verlangens" als qualifizierter Einwilligung folgt, dass - abgesehen von der Fähigkeit des Verlangenden, über das betroffene Rechtsgut verfugen zu können die Voraussetzungen der Einwilligung in vollem Umfang vorliegen müssen. Das Verlangen muss daher insbesondere frei von Willensmängeln sein und der Verlangende muss sich der Tragweite seiner Entscheidung bewusst sein. 1 2 5 Ist das Verlangen nicht wirksam, weil es durch Täuschung erschlichen wurde oder der Verlangende gar nicht in der Lage war, die Tragweite seiner Entscheidung abzuschätzen, so ist der Tatbestand des § 216 nicht gegeben. Je nach den tatsächlichen Gegebenheiten liegen §§ 212, 211 vor.
8
Fall: Α leidet an einem harmlosen Magenleiden. Er selbst meint aber, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein. Die Beteuerungen des Arztes und seiner Ehefrau hält er für schonungsvolle Lügen. Inständig bittet er daher die E, ihn zu erlösen. Als er sein Verlangen immer eindringlicher geltend macht und von nichts anderem
10
123
Eingehender dazu INGELFINGER Grundlagen, S. 230 ff; JAKOBS in: Bayr. Akad. d. Wissenschaften, Philos.-hist. Klasse, Sitzungsberichte, 1998, Heft 2, S. 24; KÜPPER B.T. 1, I § 1 Rdn. 61; NEUMANN N K , V o r § 2 1 1 R d n . 4 8 f f ; OTTO T r ö n d l e - F S , S . 1 5 9 f f ; RENGIER B . T . II, § 8 R d n . 8 ; ROXIN 1 4 0 J a h r e G A - F S , S. 1 7 7 f f , 1 7 8 ; SCHNEIDER M K , § 2 1 6 R d n . 4 8 . - A . A . SCHROEDER Z S t W 1 0 6 ( 1 9 9 4 ) S . 5 7 6 .
1 2 4
V g l . d a z u a u c h H Ä U F B . T . I, S . 3 6 ; KÜPPER B . T . 1 , 1 § 1 R d n . 6 2 ; SCH/SCH/ESER § 2 1 6 R d n . 10.
1 2 5
I m E i n z e l n e n d a z u v g l . GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 R d n . 1 0 6 f f .
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9
§6
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
mehr redet, gibt Ε seinem Verlangen nach. - § 216 ist nicht anwendbar, denn A war sich deshalb der Tragweite seiner Entscheidung nicht bewusst, weil er seine Entscheidung von falschen Voraussetzungen her traf und Ε dieses wusste.
11 c) Der Täter muss durch das Verlangen zur Tat bestimmt worden sein, d.h. das Verlangen muss als entscheidender Tatantrieb gewirkt haben. Die Initiative kann aber durchaus von dem Täter ausgehen, wenn deutlich bleibt, dass erst die Entscheidung des „Opfers" die Tatsituation grundsätzlich gestaltet und diese Entscheidung in den eigenen Überlegungen des „Opfers" ihren Grund hat. 12
aa) Fall: Der schwerkranke Τ leidet fürchterliche Schmerzen. Seine Ehefrau Ε erfüllt dies gleichfalls mit Schmerz und auch Mitleid. Sie deutet dem Τ gegenüber an, dass sie bereit sei, ihm eine erlösende Spritze zu geben, falls er es wünsche. Τ bittet sogleich darum. Er hatte es nicht gewagt, der Ε gegenüber ein derartiges Verlangen zu äußern. Ergebnis: § 216 anwendbar.
1 3 bb) Wie unter aa), doch Ε ist bereits fest entschlossen, den Τ zu töten, als Τ sie plötzlich um diese Gefälligkeit bittet. H.M.: § 216 ist nicht anwendbar, da Ε bereits zuvor zur Tat entschlossen war. - Die Sachgerechtigkeit des Ergebnisses ist zweifelhaft, denn an dem durch das Verlangen des Τ geminderten Unrecht der Tat ändert der vorgefasste Plan nichts. - Anwendbarkeit des § 213, 2. Alt. ist daher geboten.
3. Die Motivierung durch das Verlangen 14 a) Das „Verlangen" ist ein unrechtsmindernder Sachverhalt. Die Motivierung durch dieses Verlangen ist ein persönliches Merkmal, jedoch kein Sonderpflichtmerkmal, und daher kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28. 1 2 6 Fall: Α bittet den Β um Gift, weil er dem Verlangen des C, ihn zu töten, nachkommen will. B, dem das Schicksal des C egal ist und der dem Α einen Gefallen tun will, gibt dem Α das Gift. Α führt die Tat aus. Ergebnis: A: § 216; B: §§ 216, 27. Nach h.M. wäre Β gemäß §§ 216, 27,28 Abs. 2 aus §§212, 27 zu bestrafen.
15 b) Geht der Täter von einem ausdrücklichen Verlangen aus, obwohl es nicht vorliegt, so kommt gem. § 16 Abs. 2 gleichfalls nur eine Bestrafung aus § 216 als Vorsatztat in Betracht.127 Über die Sachgerechtigkeit dieser Lösung lässt sich streiten, denn das unrechtsmindernde Element der Einwilligung des Betroffenen wird damit für die Anwendung des Tatbestandes auf diesen Fall für irrelevant erklärt. Systemgerechter wäre eine Lösung über § 213, 2. Alt.
16 c) Handelt der Täter in Unkenntnis des Verlangens, so haftet er nach §§ 212,211. 4. Die kriminalpolitische Berechtigung des Tatbestandes a) Beseitigung des § 216 17 Die vereinzelt geforderte Beseitigung der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen ist weder dogmatisch noch kriminalpolitisch geboten. - Da die höchstpersönlichen Rechtsgüter dem Einzelnen zugeordnet werden, weil diese Zuordnung seiner Entwicklung und der der Rechtsgesellschaft am angemessensten entspricht, kann aus der Zuordnung kein Argument
126
A.A. die h.M., die aber § 28 nicht auf Sonderpflichtmerkmale - dazu eingehend OTTO Jura 2004 S. 472 f - b e s c h r ä n k t ; z . B . : JÄHNKE L K , § 2 1 6 R d n . 10; LACKNER/KÜHL § 2 1 6 R d n . 2 ; MLTSCH J u S 1 9 9 6 S. 2 7 ; SCH/SCH/ESER § 2 1 6 R d n . 18; d i f f e r e n z i e r e n d : ROXIN L K , § 2 8 R d n . 5 4 ; SCHÜNEMANN J u r a 1 9 8 0 S. 5 7 9 f.
1 2 7
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V g l . JÄHNKE L K , § 2 1 6 R d n . 2.
Tötung auf Verlangen
§6
für eine unbeschränkte Verfügungsmacht über das Rechtsgut hergeleitet werden. Eine Beschränkung der Verfügungsmacht trotz Zuordnung des Rechtsguts zur Person des Einzelnen ist daher dogmatisch durchaus vertretbar, und auch kriminalpolitisch erscheint die Aufrechterhaltung des Tötungstabus im weitestmöglichen Umfang angemessen. 128 b) Erweiterung des § 216 Der Alternativentwurf Sterbehilfe hat eine Erweiterung des § 216 dahin vorgeschlagen, 18 dass das Gericht unter den Voraussetzungen des § 216 Abs. 1 von Strafe absehen kann, wenn die Tötung der Beendigung eines schwersten, vom Betroffenen nicht mehr zu ertragenden Leidenszustandes dient, der nicht durch andere Maßnahmen behoben oder gelindert werden kann.'2^ Diese Erweiterung des Gesetzes erscheint nicht notwendig, da die Lösung, der hier relevanten Fällen über § 34 StGB zu finden ist; vgl. dazu weiter unter Rdn. 33 f.
II. Die Problematik der Sterbehilfe 1. Sterbehilfe und Selbstbestimmung Die Problematik der Sterbehilfe im Sinne der Einflussnahme auf den Sterbeprozess eines 19 unheilbar Erkrankten ist in ihrer rechtlichen Dimension bereits aufgrund der Unterschiede im tatsächlichen Bereich differenziert zu beurteilen. Darüber hinaus aber wird die Ausgangssituation durch das grundgesetzlich garantierte Recht einer jeden Person, selbst zu bestimmen, ob und wie weit andere Eingriffe an ihrem Körper vornehmen dürfen, rechtlich gestaltet. BVerfGE 52 S. 178: „Im Lichte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist das Institut der Einwilligung demgegenüber inhaltlich so zu bestimmen, daß das Recht des Patienten gewahrt bleibt, entsprechend seinen ureigensten Maßstäben seine Einwilligung zu erteilen oder zu verweigern; hierüber ist er von Verfassungs wegen allenfalls sich selbst, nicht aber dritten Personen und ihren Maßstäben Rechenschaft schuldig. Dieses Recht verdient von Verfassungs wegen Achtung und Schutz zumal dort, wo es sich - etwa wegen der Schwere seiner Krankheit, der Notwendigkeit des Eingriffs oder auch des Risikos, das mit ihm oder seinem Unterbleiben verbunden ist - um eine existentielle Entscheidung des Patienten über seine eigene Integrität handelt."
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2. Sterbehilfe ohne Lebensverkürzung Die Sterbehilfe ohne Lebensverkürzung betrifft die Hilfe beim Sterben. Eine derartige Hil- 21 fe durch schmerzstillende oder -vermindernde Maßnahmen ist durch die Einwilligung des Betroffenen gerechtfertigt, auch wenn sie zu einer Beeinträchtigung des Bewusstseins des Betroffenen führt. Verweigert der Betroffene hingegen die Einwilligung, so ist die entsprechende Maßnahme rechtswidrig. Ob der Betroffene Schmerz und Pein auf sich nehmen will, weil er auch im Leid Sinn verwirklicht sieht oder nicht, ist allein von seiner Entscheidung abhängig.
128 vgl. auch ENGISCH H. Mayer-FS, S. 412; DERS. Schaffstein-FS, S. 1 ff; DERS. Dreher-FS, S. 318; HIRSCH W e l z e l - F S , S. 7 7 5 f f ; INGELFINGER G r u n d l a g e n , S. 195 f; JÄHNKE L K , § 2 1 6 R d n . 1; MÖLLE-
RING Der Schutz des Lebens und Recht auf Sterben, 1977, S. 93; RIELINGER GA 1997 S. 418; STERNBERG-LIEBEN Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, 1997, S. 117 ff; WLLMS/JÄGER ZRP 1988 S. 41 ff. - A.A. MARX Zur Definition des Begriffs „Rechtsgut", 1972, S. 64, 82; R. SCHMITT Maurach-FS, S. 118; DERS. JZ 1979 S. 462 ff. - Krit. auch KÜPPER Jb.RE 11 (2003) S. 75. Altemativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe, vorgelegt von BAUMANN u.a., 1986, S. 34 ff. - Krit. dazu LAUTER/MEYER MschKrim 1988 S. 370 ff.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
3. Passive Sterbehilfe 22 Die passive Sterbehilfe bezeichnet den Verzicht auf lebensverlängernde Therapie oder die Einstellung einer begonnenen lebensverlängernden Therapie. 23 Hat ein Arzt die Behandlung eines Patienten übernommen, so ist er grundsätzlich verpflichtet, das ihm Mögliche zu tun, um das Leben des Patienten zu erhalten, und zwar auch dann, wenn feststeht, dass die lebensverlängernden Maßnahmen das Ende nur um einen absehbaren Zeitraum hinausschieben. Unterlässt der Arzt eigenmächtig diese Lebenserhaltung vorsätzlich oder fahrlässig, so kann er für die dadurch begründete Lebensverkürzung wegen eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Tötungsdelikts durch Unterlassen haftbar sein. 129a 24 a) Hilfe beim Sterben/Passive Sterbehilfe im engeren Sinne Ist das Grundleiden eines Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) und hat bereits einen tödlichen Verlauf angenommen, so dass der Tod in kurzer Zeit eintreten wird, so darf auf lebensverlängernde Maßnahmen, wie Beatmung, Bluttransfusion oder künstliche Ernährung, verzichtet werden, wenn auch der Bewusstseinverlust irreversibel ist. - Es gibt keine Rechtspflicht zur Erhaltung des Lebens um jeden Preis. 1 3 0 b) Passive Sterbehilfe im weiteren Sinne aa) Einverständnis des Betroffenen 25 Hat der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt, kennt der Patient jedoch seine lebensgefahrliche Situation und bringt er klar zum Ausdruck, dass er weitere lebensverlängemde Maßnahmen oder die Einleitung einer neuen Therapie, die Vornahme einer Operation o.Ä., nicht wünscht, so bindet sein Wille auch den behandelnden Arzt. Das gilt auch im Hinblick auf die Einstellung einer eventuellen „künstlichen Ernährung", denn die Differenzierung zwischen dem Entzug der Nahrung und anderen lebenserhaltenden Maßnahmen Z.B. dem Abstellen des Respirators - ist unter dem Gesichtspunkt der Autonomie des Patienten nicht akzeptabel. 13 ' Die mit der Übernahme der Behandlung begründete Garantenposition des Arztes dem Patienten gegenüber ändert die Sach- und Rechtslage nicht. Durch Betrauung des Arztes mit der Behandlung räumt der Patient dem Arzt den zur Durchführung der übernommenen Aufgabe nötigen tatsächlichen Einfluss und Herrschaftsbereich ein. Mit der Übernahme der Behandlung entsteht eine „Beschützergarantenstellung" des Arztes gegenüber dem Patienten. Die Garantenpflicht ist auf Hilfe gegenüber dem Patienten angelegt und in Umfang und Existenz abhängig vom Willen des Patienten. Sie berechtigt nicht zu einer Bevormundung des Patienten oder gar zu körperlichen Eingriffen gegen seinen Willen. Der Versuch, den Prozess des Sterbens gegen den Willen des Betroffenen zu beeinflussen, ist der Versuch, den eigenen Tod des Betroffenen durch einen fremdbestimmten Tod zu ersetzen. Der Arzt, der sich über den Willen des Betroffenen hinwegsetzt, handelt rechtswidrig. 132 ! 2 9 a D a z u HANACK in: Hiersche (Hrsg.), Euthanasie, 1975, S. 136; DERS. Gynäkologe 1982 S. 109; RJEGER Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch, 1998, S. 44 ff. 130
Dazu vgl. auch BGHSt 40 S. 257, 260; 32, 367, 379 f; OTTO ZfL 2002 S. 43 m.N.
131
Vgl. dazu MERKEL ZStW 107 (1995) S. 561 f; OTTO Jura 1999 S. 437; DERS. ZfL 2002 S. 43; ROXIN in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, 2. Aufl. 2001, S. 109; SAUGER JuS 1999 S. 20; TAUPITZ Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, 2000, A 48 f.
132
Vgl. im Einzelnen dazu BGHSt 32 S. 376; BADE Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht, 1988, S. 140 ff; BAUMANN JZ 1975 S. 202 f; BUSCHENDORF Die strafrechtliche Problematik der Euthanasie und der Freigabe „lebensunwerten Lebens", in: Valentin (Hrsg.), Die Euthanasie, 1969, S. 59; V.
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Die Entscheidung des Betroffenen bindet auch dann noch, wenn der Betroffene bewusstlos geworden ist oder einen eigenverantwortlichen Willen nicht mehr bilden kann. Seine Willensentscheidung sollte nämlich gerade auch diese Situation seinem Willen gemäß gestalten. Ob der Behandlungsabbruch durch positives Tun - z.B. Abschalten des Reanimationsgeräts - oder durch Unterlassen - weitere therapeutische Maßnahmen werden nicht ergriffen - erfolgt, ist rechtlich irrelevant. Die Einstellung der Behandlungsmaßnahmen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten ist rechtmäßig, denn dieses Verhalten realisiert das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, sein Grundrecht auf Behandlungsfreiheit als Ausdruck seiner Handlungsfreiheit und seines Rechts auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GG. 1 3 3 Das Abschalten eines Geräts, um eine Behandlung abzubrechen oder zu beenden, ist keine Unterlassung, sondern positives Tun. 134 Wenn in der Lehre gleichwohl versucht wird, dieses Tun in ein Unterlassen umzudeuten, 135 so ist die Motivation - Begründung eines Unterschieds zur sog. aktiven Sterbehilfe - zwar anerkennenswert, die Umdeutung aber weder dogmatisch notwendig, da es allein auf die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens ankommt, noch begrifflich haltbar, denn mit der Einfuhrung des „Unterlassens durch Tun" wird der begriffliche Unterschied zwischen Tun und Unterlassen aufgehoben. 136 bb) Der gemutmaßte Wille des Betroffenen Ist eine Entscheidung des Betroffenen über die Fortfuhrung oder Aufnahme einer Therapie nicht möglich, weil der Betroffene nicht oder nicht mehr in der Lage ist, eine rechtsverbindliche Erklärung abzugeben, so ist der individuelle gemutmaßte Wille des Betroffenen zu ermitteln. Da es sich hierbei um die Ermittlung des realen Willens des Betroffenen DELLINGSHAUSEN Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes, 1981, S. 360 ff; ENGISCH Dreher-FS, S. 322 ff; DERS. Bockelmann-FS, S. 534; GEILEN Euthanasie und Selbstbestimmung, 1 9 7 5 , S . 12 f; GIESEN J Z 1 9 9 0 S . 9 2 9 f f ; HANACK G y n ä k o l o g e 1 9 8 2 S . 1 0 9 f ; HIRSCH W e l z e l - F S , S . 7 9 6 F n . 6 8 ; JÄHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n . 1 3 ; ARTHUR KAUFMANN J Z 1 9 8 2 S . 4 8 5 ; KREY B . T . 1, R d n . 9 ; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 R d n . 8 ; NEUMANN N K , V o r § 2 1 1 R d n . 1 0 3 f f ; OTTO, G u t a c h t e n D 3 8 F n . 8 6 m . w . N ; DERS. Z F L 2 0 0 2 S. 4 3 f. 133
Vgl. BGHSt 40 S. 260; LG Ravensburg NStZ 1987 S. 229 mit Anm. HERZBERG JZ 1988 S. 185 ff, O T T O J K 8 7 , S t G B § 2 1 6 / 3 , ROXIN N S t Z TRÖNDLE G ö p p i n g e r - F S , S . 5 9 5 f f .
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1 9 8 7 S. 3 4 8 f f , STOFFERS M D R
1 9 9 2 S. 6 2 1 ff, 6 2 5 ff;
Vgl. BAUMANN/WEBER/MITSCH A.T.,11. Aufl. 2003, § 15 Rdn. 33; BOCKELMANN Strafrecht des Arzt e s , 1 9 6 8 , S . 1 1 2 , 1 2 5 F n . 4 5 ; DERS. W M W 1 9 7 6 S . 1 4 9 ; GROPP S c h l ü c h t e r - G e d S , S. 181 f f ; JÄHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n . 18; JESCHECK/WEIGEND A . T . , 5 . A u f l . 1 9 9 6 , § 5 8 II 2 ; LANGER R e c h t l i c h e
Aspekte bei der Sterbehilfe, in: Kruse/Wagner (Hrsg.), Sterbende brauchen Solidarität, 1986, S. 123 f; MAURACH/GÖSSEL/ZIPF A . T . 2 , 7 . A u f l . 1 9 8 9 , § 4 5
R d n . 3 2 ; RUDOLPH! S K I, V o r § 13 R d n .
47;
SAMSON Welzel-FS, S. 601 f; SAX JZ 1975 S. 137 ff; STRATENWERTH SchwZStR 95 (1978) S. 67; ZIMMERMANN N J W 1 9 7 7 S . 2 1 0 4 . 135
So BOTTKE ZEE 1981 S. 126; ENGISCH Gallas-FS, S. 177 f; ESER Sterbehilfe und Euthanasie in rechtlicher Sicht, in: Eid (Hrsg.), Euthanasie oder soll man auf Verlangen töten, 1975, S. 60; GEILEN FamRZ 1 9 6 8 S . 1 2 6 F n . 3 5 ; DERS. J Z 1 9 6 8 S . 1 5 1 ; DERS. H e i n i t z - F S , S . 3 8 3 F n . 2 2 ; HANACK G y n ä k o l o g e 1 9 8 2 S . 1 1 2 ; ARTHUR KAUFMANN R o x i n - F S , S . 8 5 0 ; K R E Y B . T . l , R d n . 11; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 1 R d n . 3 7 ; NEUMANN N K , V o r § 2 1 1 R d n . 1 2 2 ; SCHMIDHÄUSER Α . Τ . , S t u b . , 2 . A u f l .
1984, 12/54; C. SCHNEIDER Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Beh a n d l u n g , 1 9 9 7 , S . 1 4 4 f f , 1 7 4 f f ; SCHNEIDER M K , V o r § § 2 1 1 f f R d n . 1 0 9 . 136
Dazu eingehend OTTO Gutachten, D 42 ff. - Methodisch zulässig ist es hingegen, ein Tun einem Unterlassungstatbestand zu unterstellen, wenn normative Gründe dieses gebieten sollten; dazu ROXIN Strafrecht, A.T. II, 2003, § 31 Rdn. 99 f, 115 ff.
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handelt, ist dieser - wenn er festgestellt werden kann - in gleicher Weise verbindlich wie der ausdrücklich erklärte Wille. Das folgt daraus, dass der durch Mutmaßungen festgestellte Wille des Betroffenen in gleicher Weise Ausdruck seiner Autonomie ist wie der ausdrücklich erklärte Wille. Objektive Kriterien, insbes. die Beurteilung einer Maßnahme als gemeinhin „vernünftig" oder „normal" sowie den Interessen eines verständigen Patienten üblicherweise entsprechend, haben keine eigenständige Bedeutung. Sie können lediglich Anhaltspunkte für die Ermittlung des individuellen hypothetischen Willens sein. 137 30 Schriftlichen und mündlichen früheren Äußerungen des Kranken kommt in diesem Zusammenhang besonderes Gewicht zu, doch keine ausnahmslose, zwingende Verbindlichkeit. Existentielle Entscheidungen sind stets auch durch die Situation geprägt, so dass die Möglichkeit, eine Willensänderung zu berücksichtigen, nicht ausgeschlossen werden darf, wenn konkrete Indizien für eine Willensänderung vorliegen. 138 Daher handelt es sich hier nicht um Indizien neben anderen, sondern um besonders bedeutsame Indizien, deren Gewicht und Verbindlichkeit durch Auslegung zu ermitteln ist. cc) Der mutmaßliche - hypothetische - Wille des Betroffenen 31 Fehlen Anhaltspunkte, aus denen sich der reale Wille des Betroffenen erschließen lässt, „so kann und muss auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen. Dabei ist jedoch Zurückhaltung geboten; im Zweifel hat der Schutz menschlichen Lebens Vorrang vor persönlichen Überlegungen des Arztes, des Angehörigen oder einer anderen beteiligten Person. Im Einzelfall wird die Entscheidung naturgemäß auch davon abhängen, wie aussichtslos die ärztliche Prognose und wie nahe der Patient dem Tode ist: Je weniger die Wiederherstellung eines nach allgemeinen Vorstellungen menschenwürdigen Lebens zu erwarten ist und je kürzer der Tod bevorsteht, um so eher wird ein Behandlungsabbruch vertretbar erscheinen". 139 Liegen daher keine Anhaltspunkte für eine andere Entscheidung des Betroffenen vor, so „wird allerdings davon auszugehen sein, daß sein (hypothetischer) Wille mit dem übereinstimmt, was gemeinhin als normal und vernünftig angesehen wird". 140 32 Grundsätzlich ist danach dem Lebensschutz Vorrang einzuräumen, wenn der reale Wille des Betroffenen nicht festgestellt werden kann, keineswegs aber geht es darum, den Patienten zu zwingen, das Leiden bis zum bitteren Ende durchzustehen. Steht fest, dass die Verlängerung des Sterbeprozesses mit Schmerzen verbunden ist, die ein bewusstes Erfassen der Umwelt, geschweige denn eine Auseinandersetzung mit ihr, unmöglich machen, so endet die Pflicht des Arztes, das Leben zu erhalten. Gleiches gilt, wenn der irreversible Bewusstseinsverlust eingetreten ist oder durch eine mögliche Operation eintreten wür-
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Vgl. dazu auch BGHSt 35 S. 246, 249; 40 S. 257, 263; BGH NJW 2000 S. 885, 886; COEPPICUS NJW 1998 S. 3384; SCHÖCH NStZ 1995 S. 155; VERREL JR 1999 S. 7. Vgl. BGH(Z) NJW 2003 S. 1588, 1591 mit Anm. OTTO JK 04, StGB § 216/6,VERREL NStZ 2003 S. 4 4 9 ff; COEPPICUS N J W 1 9 9 8 S. 3 3 8 4 ; DÖLLING M e d R 1 9 8 7 S. 8; HEINE JR 1 9 8 6 S. 3 1 7 ; HIERSCHE M e d R 1 9 8 7 S. 83; HIRSCH L a c k n e r - F S , 1 9 8 7 S. 6 0 4 ; ARTHUR KAUFMANN M e d R 1 9 8 3 S. 123; KUTZER
ZRP 1997 S. 118; OTTO Gutachten, D 41, Fn. 92; RIEGER Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch, 1998, S. 85 ff, 93; SCHÖCH NStZ 1995 S. 155; SCH/SCH/ESER Vor §§ 211 ff Rdn. 28; TAUPITZ Gutachten, A 105 ff; VERREL JR 1999 S. 7. - Für Verbindlichkeit des sog. Patiententestaments: ROTH JZ 2004 S. 494 ff; STERNBERG/LIEBEN NJW 1985 S. 2735. 139
BGHSt 40 S. 257, 263; dazu auch LIPP DRiZ 2000 S. 234.
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BGHSt 35 S. 246, 249 f; BGH NJW 2000 S. 885, 886; GEPPERT JZ 1988 S. 1026; OTTO Jura 1999 S. 438 f.
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de. 141 In dieser Situation „wird ein Leben nicht mehr gewonnen oder aufrechterhalten, sondern der Verelendungsprozeß durch technische Möglichkeiten hinausgezögert. Das ist vom Behandlungsauftrag nicht gedeckt. Es wird nicht das Leben verlängert, sondern das Sterben". 142 dd) Gegen den Willen des Betroffenen: „Übermäßiger Lebensverlängerungswunsch" Die grundsätzliche Pflicht des Arztes zur Erhaltung und/oder Verlängerung des Lebens endet auch gegen den Willen des Betroffenen, wenn die Todesursache definitiv gesetzt und der Bewusstseinsverlust nachweislich irreversibel ist. Die Erhaltung eines „personal entleerten Gefäßes des Humanum"(THLELLCKE), das selbst nicht mehr Subjekt, sondern nur noch Objekt sein kann, in der Situation definitiv gesetzter Todesursache, bedeutet nicht mehr Achtung der Würde der Person des Betroffenen, sondern Verletzung seiner Personenwürde durch Verweigerung des ihm als Person eigenen Todes. 143 ee) Entscheidung eines Betreuers und/oder des Vormundschaftsgerichts Vor dem Hintergrund der weitreichenden und konsequenten Anerkennung und Achtung der Autonomie des Patienten, ist es aus strafrechtlicher Sicht bereits schief, wenn in der Literatur davon ausgegangen wird, dass der Betreuer „anstelle des Betroffenen die Entscheidung für das Sterben trifft" 144 , weil die beiden Einwilligungsmöglichkeiten „eigenständig und unabhängig nebeneinander stehen". 145 Das erweckt den Eindruck, als wenn bei der Entscheidung über den Behandlungsabbruch an Stelle der ureigensten Entscheidung des Kranken die ureigene Entscheidung des Betreuers treten kann oder soll. Bei der Entscheidung des Betreuers kann es nämlich nur darum gehen, der Autonomie des Kranken Achtung zu verschaffen. Das bedeutet aber, dass die Kriterien nach denen der Betreuer zu entscheiden hat, gerade nicht in dessen ureigensten Maßstäben begründet sein können, sondern dass es hier allein darum gehen kann, dem gemutmaßten Willen des Kranken Geltung zu verschaffen oder - wenn dieser Wille nicht zu ermitteln ist - den auch sonst hier maßgeblichen „allgemeinen Wertvorstellungen". 146 Im Rahmen des Schutzes der Autonomie des Betroffenen kommt dem Vormundschaftsgericht die Bedeutung einer Kontrollinstanz zu. Das legitimiert die Anwendung des § 1904 BGB: Sie ermöglicht die Prüfung der Entscheidung des Betreuers durch eine amtliche unabhängige und sachverständig beratene Stelle. 147 141
Vgl. auch BGH(Z) N J W 2003 S. 1588, 1591; ANSCHÜTZ MedR 1985 S. 19; BOTTKE Z E E 1981 S. 126; V. DELLINGSHAUSEN Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes, 1981, S. 425 f; DETERNIG JUS 1 9 8 3 S . 4 1 9 ; D I E S E N B A C H S U n i v e r s i t a s 1 9 8 7 S . 9 1 2 ; DÖRNER Z R P 1 9 9 6 S . 9 5 f; ESER
Euthanasie, S. 59 f; GEILEN Euthanasie, S. 20 f; HANACK Gynäkologe 1982 S. 110 f; KREY B.T. 1, Rdn. 9 f; LAUFS N J W 1998 S. 3400; MERKEL ZStW 107 (1995) S. 573; NEUMANN N K , Vor § 211 Rdn. 120; OTTO Gutachten, D 50 f; ROXIN Medizinstrafrecht, S. 108 f; SCHÖCH N S t Z 1995 S. 155; SPÖTTL Altenpflege 1994 S. 296. 142 143
COEPPICUS N J W 1998 S. 3386, mit eingehender Schilderung einzelner Fallgruppen S. 3385 f. Dazu auch BOTTKE Z E E 1981 S. 123 ff; ESER in: Jens/Küng (Hrsg.), Menschenwürdig Sterben, 1995, S . 1 5 3 ; HANACK G y n ä k o l o g e 1 9 8 2 S . 1 0 9 f; K R E Y B . T . 1, R d n . 8 f; O T T O G u t a c h t e n , D 3 7 ; DERS. J u r a 1 9 9 9 S . 4 3 9 ; DERS. Z f L 2 0 0 2 S . 4 6 ; ROXIN M e d i z i n s t r a f r e c h t , S . 1 0 3 f; VERREL J R 1 9 9 9 S . 8 .
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SEITZ Z R P 1998 S. 240.
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COEPPICUS N J W 1 9 9 8 S . 3 3 8 3 .
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D a z u B G H ( Z ) N J W 2 0 0 3 S . 1 5 8 9 f m i t A n m . O T T O J K 0 4 , S t G B § 2 1 6 / 6 , VERREL N S t Z 2 0 0 3 S . 4 4 9 f f ; RIEGER E i n w i l l i g u n g , S . 1 1 6 f f , 1 3 2 f f ; VERREL J R 1 9 9 9 S . 8.
147
Eingehend dazu B G H ( Z ) N J W 2003 S. 1591 ff; OLG Frankfurt JZ 1998 S. 799 f; im Übrigen vgl. BERNAT R d M 1 9 9 8 S . 1 8 8 f ; COEPPICUS N J W 1 9 9 8 S . 3 3 8 3 ; FRÖSCHLE J Z 2 0 0 0 S . 7 9 ; HELGARTH J R
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c) Invasive Weiterbehandlung 37 Unter dem Aspekt des Schutzes und der Gewährleistung der Autonomie des Patienten ist insbes. bei Patienten mit irreversiblem apallischem Syndrom oder bei Patienten in kontinuierlicher Abhängigkeit von der Substitution vital wichtiger Funktionen, nicht erst der Abbruch der Behandlung relevant, sondern die invasive Weiterbehandlung, indem etwa eine zuvor oral direkt erfolgende Ernährung nun über eine perkutante Magensonde durch die Bauchdecke oder durch eine Nasensonde erfolgt. 148 38 Ist in dieser Situation ein entsprechender Patientenwille zu ermitteln, so ist er nach dem entscheidenden Kriterium der Privatautonomie maßgeblich. Der Eingriff hat zu unterbleiben, wenn er nicht durch die Einwilligung des Patienten gedeckt ist. 149 - Kann der reale Wille des Patienten nicht ermittelt werden, so ist der hypothetische Wille des Patienten zu erforschen, wobei keineswegs vorauszusetzen ist, dass der mutmaßliche Wille auf Lebenserhalt gerichtet ist. Der Lebenserhalt ist zwar der Leitaspekt in dem Schulfall, in dem nach einem Unfall ein bewusstloser Verletzter in die Klinik eingeliefert wird und der Arzt vor der Frage steht, ob er eine lebensrettende Bluttransfusion veranlassen soll oder nicht, obwohl er keinerlei Anhaltspunkte für den Willen des Betroffenen hat und weiß, dass die Mehrheit der Betroffenen in dieser Situation einer Bluttransfusion zustimmen, eine Minderheit sie ablehnen würde. Die „vernünftige" Entscheidung richtet sich hier - in Ermangelung anderer Kriterien - nach dem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad, den Willen des Betroffenen zu treffen. - Dieses Kriterium, nicht aber der Vorrang des Lebensschutzes muss jedoch auch verbindlich bleiben, wenn empirisch erwiesen ist, dass die überwiegende Mehrheit von Patienten - und zwar auch gerade solche, die an der Schwelle eines entsprechenden Risikos standen - beim Eintritt eines apallischen Syndroms nicht in eine lebenserhaltende Behandlung einwilligen würden und eine gleichwohl aufgenommene eingestellt wünschten. 150 39 Damit aber verschieben sich die Gewichte innerhalb der nötigen vernünftigen Interessenabwägung. Diese hat nämlich nicht nur unter dem Aspekt eines Rechts zum Behandlungsabbruch zu erfolgen, sondern vorrangig unter dem einer Pflicht zum Abbruch der Behandlung, weil bei vernünftiger Abwägung der Interessen des Patienten nicht mehr von einer mutmaßlichen Einwilligung in die zur Fortführung der Behandlung notwendigen Eingriffe ausgegangen werden kann. 151 4. Aktive Sterbehilfe a) Begriff der aktiven Sterbehilfe 40 Aktive Sterbehilfe ist die bewusste Verkürzung des verlöschenden Lebens durch aktive über den Behandlungsabbruch hinausgehende - Einflussnahme auf den Krankheitsprozess. Als Tathandlung kommt nur aktives Tun in Betracht. Das Selbstbestimmungsrecht des 1 9 9 5 S . 3 4 0 ; DÖRNER Z R P 1 9 9 6 S. 9 6 ; OTTO Jura 1 9 9 9 S. 4 4 0 ; RJEGER E i n w i l l i g u n g , S. 121 ff; SAUGER JUS 1 9 9 9 S. 18 f; DERS. K r i t V 1 9 9 8 S . 1 1 8 ff; SCHÖCH NSTZ 1 9 9 5 S. 1 5 6 ; TAUPITZ G u t a c h t e n , A 8 1 ff; VERREL JZ 1 9 9 6 S. 2 2 9 ; DERS. J R 1 9 9 9 S . 8; VOGEL M D R 1 9 9 5 S . 3 3 7 f; WEIßAUER/OPDERBECKE M e d R 1 9 9 5 S. 4 5 9 ; ZIELINSKI A r z t R 1 9 9 5 S. 193. 148
Dazu eingehender COEPPlCUS NJW 1998 S. 3385 f; MERKEL ZStW 108 (1995) S. 559 ff.
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Dazu auch GEILEN Euthanasie, S. 8 ff; KREY Strafrecht, B.T. 1, Rdn. 9 f; LIPP DRiZ 2000 S. 236;
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Vgl. dazu die Angaben bei MERKEL ZStW 107 (1995) S. 559, Fn. 39.
MERKEL Z S t W 1 0 7 ( 1 9 9 5 ) S. 5 5 9 ff; OTTO, Jura 1 9 9 9 S . 4 3 6 ; SCHMITT JZ 1 9 8 5 S . 3 6 7 f.
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V g l . MERKEL Z S t W 1 0 7 ( 1 9 9 5 ) S. 5 7 3 ; ROXIN M e d i z i n s t r a f r e c h t , S. 1 0 8 f; SAUGER K r i t V 2 0 0 1 S. 4 2 8
f; SCHÖCH Hirsch-FS, S. 702.
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Tötung auf Verlangen
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aufgeklärten und im Rechtssinne frei verantwortlichen Betroffenen entbindet Garanten von ihrer Handlungspflicht. - Ist der Wille des Betroffenen hingegen nicht im Rechtssinne frei, so fehlt es an einem rechtlich bedeutsamen „ausdrücklichen und ernstlichen Verlangen" i.S. des § 216 StGB und das Verhalten kann als vorsätzliche Tötung nach §§ 212, 211 relevant werden. 152 b) Schmerzlindernde, lebensverkürzende Sterbehilfe Eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation bei einem sterbenden Patienten, die 41 aber als unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigt - sog. indirekte Sterbehilfe -, stellt eine Verkürzung des verlöschenden Lebens durch aktive Einflussnahme auf den Krankheitsverlauf dar und damit eine aktive Sterbehilfe. Gleichgültig, ob der Handelnde die lebensverkürzende Wirkung seiner Maßnahmen nur als mögliche oder unvermeidbare Nebenfolge ansieht oder nicht, er handelt vorsätzlich, wenn er das konkrete Risiko der Lebensverkürzung erkannt hat oder die Lebensverkürzung sogar als unvermeidliche Begleiterscheinung seiner für geboten erachteten schmerzlindernden Therapie ansieht. 153 Es ist auch nicht möglich, das Verhalten in diesen Fällen aus dem Schutzbereich der Tötungsdelikte zu eliminieren, denn die Tötungshandlung steht hier außer Frage. 154 In Betracht kommt in diesen Fällen jedoch eine Rechtfertigung über § 34 StGB, weil die 42 Achtung der menschlichen Würde die lebensverkürzende Schmerzlinderung legitimiert. Bedrohen Schmerz, Pein und Qual den Einzelnen in der Situation definitiv gesetzter Todesursache derart, dass ihm eine geistige Auseinandersetzung mit seiner Umwelt und/oder sich selbst nicht mehr möglich ist, weil der Schmerz das Bewusstsein überlagert, so kann der Arzt das höhere Interesse wahrnehmen, wenn er die zur Schmerzlinderung erforderlichen Maßnahmen trifft, selbst wenn diese nicht nur mit der abstrakt möglichen, sondern mit der konkreten Gefahr einer sicheren Lebensverkürzung verbunden sind. Die Achtung der menschlichen Würde auch im Sterben kann diese Hilfe legitimieren, deren Maß und Umfang vom Erfordernis der zur Schmerzlinderung unabweisbar nötigen Maßnahmen bestimmt wird. Sie ermöglicht es dem Betroffenen, als Person zu sterben, nicht aber als ein nur noch vom Schmerz beherrschtes Wesen, das sich seiner selbst nicht mehr bewusst werden kann. 155 152 Vgl. auch BOCKELMANN Strafrecht, B.T./2, § 4 II 2 a; DETERING JUS 1983 S. 419; SCH/SCH/ESER Vorb e m . § 2 1 1 R d n . 2 8 , § 2 1 6 R d n . 10; K.REY B . T . l , R d n . 12 f; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 R d n . 15. 153
Vgl. dazu auch ESER in: Auer/Menzel/Eser, S. 88; GEILEN Bosch-FS, S. 283; HANACK in: Hiersche (Hrsg.), Euthanasie, 1975, S. 132, 147; DERS. Gynäkologe 1982 S. 113; JÄHNKE LK, Vor §211 Rdn. 15; KRKY B.T.l, Rdn. 12 ff; OTTO Gutachten, D 54 ff. - A.A. BOCKELMANN Strafrecht des Arztes, S. 25, 70.
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V g l . d a z u DÖLLING J R 1 9 9 8 S. 161; MERKEL J Z 1 9 9 6 S. 1 1 4 8 ff; OTTO G u t a c h t e n , D 5 5 ; DERS. J u r a
1999 S. 440; RoxrN Medizinstrafrecht, S. 96 f; SCHNEIDER MK, Vor §§ 211 ff Rdn. 97 ff. - A.A. Herzb e r g N J W 1 9 9 6 S. 3 0 4 9 ; INGELFINGER G r u n d l a g e n , S. 2 7 3 ; JÄHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n . 16; KREY
B.T.l, Rdn. 14 ff; WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 32. 155
Dazu vgl. BGHSt 42 S. 301, 305 mit Anm. DÖLLRNG JR 1998 S. 160 ff, OTTO JK 97, StGB § 212/3, SCHÖCH N S t Z 1 9 9 7 S . 4 0 9 ff, VERREL M e d R 1 9 9 7 S. 2 4 8 ff; B G H N J W 2 0 0 1 S. 1 8 0 2 , 1 8 0 3 ; BADE
Arzt, S. 111 ff; BUSCHENDORF in: Valentin, Euthanasie, S. 55 ff; V. DELLINGSHAUSEN S. 185 ff; ENGISCH Euthanasie und Vernichtung lebensunwerten Lebens in strafrechtlicher Beleuchtung, 1948, S . 5 f; ESER in: A u e r / M e n z e l / E s e r S. 8 9 f; GEILEN E u t h a n a s i e , S . 2 3 , 2 6 ; GIESEN J Z 1990 S. 9 3 5 f; HANACK G y n ä k o l o g e 1982 S. 113; HIRSCH W e l z e l - F S , S. 7 9 5 ; KUTZER Z R P 1 9 9 7 S. 119; DERS. S c h l ü c h t e r - G e d S , S. 3 5 2 ; LANGER A s p e k t e , S. 1 4 5 ; MERKEL J Z 1 9 9 6 S. 1 1 4 8 ff; MOLLERING S c h u t z d e s L e -
bens - Recht aufSterben, 1977, S. 30 ff; NEUMANN NK, Vor § 211 Rdn. 99; OTTO Gutachten, D 56 ff; ROXIN, M e d i z i n s t r a f r e c h t , S. 9 7 ; SCHREIBER N S t Z 1 9 8 6 S. 3 4 0 ; SIMSON S c h w i n g e - F S , S. 110; WIMMER
41
§6
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
c) Beendigung von Leiden durch gezielte Tötung 43 Eine grundsätzliche Rechtfertigung einer Tötung aus Barmherzigkeit - selbst in hoffnungslosen Fällen - kommt nach der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers in § 216 nicht in Betracht. Auch wenn einem Arzt eine weitere Schmerzlinderung unmöglich ist, so geht er über den Heilauftrag hinaus, wenn er den Todkranken tötet, um dessen Leiden ein Ende zu bereiten. In dieser Situation wird aber nicht ausnahmslos das Unrecht eines Tötungsdelikts verwirklicht. In seltenen Ausnahmesituationen kann die Achtung menschlicher Würde der Achtung des Lebens vorgehen, weil der Sterbeprozess in ein Stadium gelangt ist, in dem der Schmerz jeden anderen Bewusstseinsinhalt verdrängt und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis der Betroffene der Unerträglichkeit der Schmerzen erliegt. 44
Fall: Ein Lastkraftwagenfahrer und sein Beifahrer waren mit dem Lastkraftwagen unterwegs. Es kam zu einem Unfall, der Wagen geriet in Brand. Der Fahrer, der hinter dem Steuerrad eingeklemmt war, begann am lebendigen Leib zu verbrennen. Der nur leicht verletzte Beifahrer hatte keine Chance, den Fahrer herauszuziehen oder sonst aus seiner Situation zu befreien. Nachdem die Brandverletzungen einen tödlichen Grad erreicht hatten und dem um Erlösung flehenden Fahrer die Stimme bereits versagte, erschlug der Beifahrer den Fahrer.
45 In derart extremen Ausnahmesituationen kommt eine Rechtfertigung nach § 34 in Betracht. 156 5. Zum Sterbenlassen
Schwerstgeschädigter
Neugeborener
(Früheuthanasie)
46 Auch das schwerstgeschädigte, missgebildet geborene Kind hat als Träger der Menschenwürde Lebensrecht. In Ausnahmesituationen kann aber auch hier die Pflicht, das Leben des Kindes zu erhalten, unter dem Gesichtspunkt der Achtung menschlicher Würde begrenzt sein. Maßgeblicher Gesichtspunkt ist hier, ob dem Kind eine Lebensverlängerung zugemutet werden kann, ob sinnvolles Leben überhaupt zu ermöglichen ist. 47 Die „Einbecker Empfehlung" der Akademie für Ethik in der Medizin, Deutsche Gesellschaft fur Kinderheilkunde und Deutsche Gesellschaft fur Medizinrecht stellt hier zutreffend darauf ab, dass die ärztliche Behandlungspflicht nicht allein durch die Möglichkeiten der Medizin bestimmt wird, sondern ebenso an humanethischen Beurteilungskriterien und am Heilauftrag des Arztes auszurichten ist. Eine Ausschöpfung der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten wird abgelehnt, „wenn nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erfahrungen und menschlichem Ermessen das Leben des Neugeborenen nicht auf Dauer erhalten werden kann, sondern ein in Kürze zu erwartender Tod nur hinausgezögert wird". - Ein Beurteilungsrahmen für die Indikation von medizinischen BehandlungsmaßFamRZ 1975 S. 438 f. - Für eine Abwägung des Lebens im biologischen Sinn unter quantitativen und qualitativen Aspekten: SCHNEIDER MK, Vor §§211 ff Rdn. 103. 156
Vgl. dazu BUSCHENDORF in: Valentin, Euthanasie, S. 64 f; GEILEN Euthanasie, S. 26 ff; DERS. BoschFS, S. 288; GIESEN JZ 1990 S. 935; HEINITZ Rechtliche Fragen der Organtransplantation, 1970, S. 17; HERZBERG N J W 1986 S. 1639; HIRSCH W e l z e l - F S , S. 7 9 5 f; JAKOBS A r t h u r - K a u f m a n n - F S , S. 4 7 0 f; ARTHUR KAUFMANN R o x i n - F S , S. 8 5 2 ; M E R K E L J Z 1 9 9 6 S . 1 1 5 1 ; DERS. J u r a 1 9 9 9 S. 1 2 1 ; NEUMANN
N K , Vor § 211 Rdn. 127; OTTO Gutachten, D 60 f; DERS. Jura 1999 S. 4 4 1 ; DERS. Z f L 2002 S. 4 8 f;
SCHEFFLER in: Joerden (Hrsg.), Studien zur Ethik in Ostmitteleuropa, Bd. 2, 2001, S. 45 f; SCHROEDER ZStW 106 (1994) S. 580. - Gegen eine Rechtfertigung: ACHENBACH Jura 2002 S. 548; BADE Arzt, S . 1 1 6 f f , 1 2 4 f; BAUMANN J Z 1 9 7 5 S . 2 0 2 ; BOCKELMANN S t r a f r e c h t d e s A r z t e s , S . 2 4 ; DERS. B . T . / 2 ,
§ 2 II 3; BOTTKE Z E E 1981 S. 121 ff; ESER Suizid, S. 4 0 0 ; DERS. in: A u e r / M e n z e l / E s e r , S. 91; GÖSSEL/DÖLLING Β . Τ . 1 , § 2 R d n . 4 0 ; INGELFINGER G r u n d l a g e n , S . 3 4 0 ; JÄHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n .
14; LACKNER/KÜHL V o r § 211 Rdn. 7; LANGER Aspekte, S. 119 f; ROXIN in: Blaha u.a., Schutz, S. 93;
SCHICK Zipf-GdS, S. 393; WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 28. - Für eine Entschuldigung: v. DELLINGSHAUSEN S. 3 3 7 ff, 3 5 3 ; LANGER A s p e k t e , S. 122 f; RUDOLPHI W e l z e l - F S , S. 6 2 8 .
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Tötung auf Verlangen
§6
nahmen wird dem Arzt eingeräumt, „wenn diese dem Neugeborenen nur ein Leben mit äußerst schweren Schädigungen ermöglichen würden, für die keine Besserungschancen bestehen. Es entspricht dem ethischen Auftrag des Arztes zu prüfen, ob die Belastung durch gegenwärtig zur Verfugung stehende Behandlungsmöglichkeiten die zu erwartende Hilfe übersteigt und dadurch der Behandlungsversuch ins Gegenteil verkehrt wird". 157
III. Tötung auf Verlangen, Suizid und Fremdtötung 1. Suizid und Mitwirkung Dritter Wie unter Rdn. 2 ff dargelegt, ist die Tathandlung des § 216 die täterschaftliche Tötung 48 eines anderen. Daraus folgt: a) Hat der die Tötung Verlangende allein die Tatherrschaft über den unmittelbar das Leben 49 beendenden Akt inne, so stellt sich die Tat als Suizid dar. Mitwirkende an der Tat sind nicht wegen eines Tötungsdelikts strafbar. Es fehlt an der Haupttat. Da es auf die Tatherrschaft über den unmittelbar das Leben beendenden Akt ankommt, ist auch ein Suizid in mittelbarer Täterschaft möglich. B G H N J W 2003 S. 2326 mit Anm. OTTO JK 04, StGB § 216/7: Α litt an stark ausgeprägter progressiver Muskeldystrophie und vermochte neben einzelnen Fingern nur noch Mund und Zunge zu bewegen. Er besaß nur noch die Atmungskapazität von 10 % eines Gesunden. Er wollte sein Leben beenden. Indem er den Ζ darüber täuschte, dass seine Rettung sicher sei, veranlasste er den Z, ihn in einem Müllsack verpackt in einen Müllcontainer zu legen. Dort wurde sein Leichnam am nächsten Morgen entdeckt. BGH: Keine mittelbare Täterschaft des Α und damit Suizid des A, weil Ζ nicht über die konkreten Umstände der Gefährdung des Α getäuscht wurde. Kritik: Darauf kommt es jedoch nicht an, da Ζ über die tödliche Wirkung seines Verhaltens getäuscht wurde und daher die Tatherrschaft über den entscheidenden Akt - Verbringen in den Müllcontainer - bei A l a g . 1 5 7 a
b) Auch eine Haftung wegen fahrlässiger Tötung entfallt, wenn der Dritte durch fahrläs- 50 siges Verhalten den Selbstmord ermöglicht oder unterstützt hat. Der Suizident wird das Opfer einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung, nicht aber eines Tötungsdelikts durch einen Dritten. 158 c) Ist der Willensentschluss des Suizidenten nicht als freiverantwortlich anzusehen, weil er 51 die Situation in ihrer Bedeutung verkennt, sich in einer Notstandssituation befindet oder es an seiner Einsichtsfahigkeit mangelt, so macht sich ein Dritter, der dies erkennt und dennoch aktiv an der Selbsttötung mitwirkt, sei es, dass er den fehlerhaften Suizidentschluss 157 v g l . „Einbecker Empfehlung", Perinatal Medizin 1992 S. 126 f. - Zur Diskussion im Einzelnen vgl. GIESEN J Z 1 9 9 0 S. 9 4 1 ; HANACK M e d R 1 9 8 5 S. 3 3 f f ; JÄHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n . 2 0 d ; ARTHUR KAUFMANN J Z 1 9 8 2 S. 4 8 5 ; DERS. R o x i n - F S , S. 8 4 4 f f ; MERKEL J Z 1 9 9 6 S. 1151 f; DERS. R e c h t s p h i l o -
sophische Hefte 8 (1998) S. 103 ff, 154 ff; NEUMANN N K , Vor § 211 Rdn. 124 ff; R. PETERS Der Schutz des neugeborenen, insbesondere des mißgebildeten Kindes, 1988, S. 242 ff; R. SCHMITT KlugF S , B d . 2 , S . 3 3 5 ; SCHNEIDER M K , V o r § § 2 1 1 f f R d n . 1 3 0 f f . 157a
So auch Engländer Jura 2004 S. 237 f. - Der BGH-Entscheidung entsprechend: O L G Nürnberg JZ 2003 S. 745 mit Anm. ENGLÄNDER, S. 747 ff. - Der Rechtsprechung folgend: HERZBERG N S t Z 2004 S.l ff, 9; DERS. Jura 2004 S. 670 ff; KÜPPER JuS 2004 S. 757 ff.
158
So auch BGHSt 24 S. 342; zustimmend: BOTTKE Suizid und Strafrecht, 1982, S. 60; DÖLLING G A 1984 S. 71 ff; VAN ELS N J W 1972 S. 1476 f; HERZBERG Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 102; NEUMANN NK, Vor § 211 Rdn. 57; ROXIN Gallas-FS, S. 245; SCH/SCH/ESER Vorbem. § § 2 1 1 ff Rdn. 35. - Krit i s c h : GEILEN J Z 1 9 7 4 S. 145; KOHLHAAS J R 1 9 7 3 S. 5 3 ; DERS. N J W 1 9 7 3 S. 5 4 8 ; WELP J R S. 427.
1972
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hervorruft oder dass er dem Suizidenten das Tötungsmittel verschafft, der Tötung des Suizidenten in mittelbarer Täterschaft durch das Opfer selbst schuldig. 159 d) Eine Garantenpflicht zur Hinderung der Selbsttötung eines frei verantwortlich Handelnden besteht nicht. Auch die Garantenpflichtposition von Lebensschutzgaranten findet ihre Grenze an der frei verantwortlichen Entscheidung des Suizidenten, denn die Garantenposition begründet keine „Vormundschaftsstellung" gegenüber dem zu Schützenden. 160 aa) Die Voraussetzungen einer auf Fürsorge gerichteten Garantenpflicht sind hier nicht niedriger anzusetzen als sonst, insbesondere ist es nicht sachgerecht, die in § 20 StGB errichteten Schranken für einen Verantwortungsausschluss hier nicht zu beachten und den Suizidenten aufgrund seines Entschlusses zum Suizid als nicht frei verantwortlich Handelnden anzusehen. Untersuchungen in den USA haben zwar zu dem Ergebnis gefuhrt, dass - je nach Studie - zwischen 93 und 100 % der Suizidenten unter Depressionen (rund 80 %), Alkoholismus (10 - 20 %) oder Schizophrenie (bis zu 10 %) litten. In diesen Fällen war jedoch nicht zwingend die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen. Wesentlich war vielmehr, dass aufgrund der Depressionen das eigene Leben, die Welt und die Zukunft völlig negativ und hoffnungslos erschienen. 161 Wenn in der Literatur demgegenüber davon ausgegangen wird, dass rund 95 % aller Suizidenten nicht frei verantwortlich handeln 162 , so wird hier die krankhafte, seelische Entwicklung mit dem Verantwortungsausschluss identifiziert. bb) Eine Garantenpflicht zur Verhinderung der Selbsttötung aus natürlicher Verbundenheit mit dem Opfer (Ehe, Verlobung, Freundschaft) entsteht auch dann nicht, wenn der Suizident die Situation nicht mehr beherrscht, weil er bereits ein Opfer seiner selbst geworden ist. Ursprünglich hatte der BGH eine umfassende Garantenpflicht zur Abwendung des Selbstmordes bejaht. 1 6 ·' Später tendierte die Rechtsprechung dahin, eine Garantenpflicht nur noch anzunehmen, wenn der Suizident bereits ein Opfer seiner selbst geworden war, z.B. hilflos in der Schlinge h i n g 1 6 4 oder nach Gifteinnahme das Bewusstsein verloren hatte.
159
Dazu vgl. BGHSt 32 S. 38 mit Anm. ROXIN NStZ 1984 S. 71 und SCHMIDHÄUSER JZ 1984 S. 195 f; BOCKELMANN B . T . / 2 , § 2 I 2; BOTTKE G A 1 9 8 3 S. 3 1 f f ; ENGISCH E u t h a n a s i e , S. 12; HERZBERG T ä t e r -
schaft, S. 39 ff; JÄHNKE LK, Vor §211 Rdn. 29; OTTO Gutachten, D 6 5 ; SCH/SCH/ESER Vorbem. § § 2 1 1 f f R d n . 3 7 ; TRONDLE/FISCHER V o r § 2 1 1 R d n . 11; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , R d n . 4 8 f. 160
Vgl. auch OLG München NJW 1987 S. 2940; ARZT/WEBER B. T., § 3 Rdn. 45; BOCKELMANN B.T./2, § 2 I 2 a; BOTTKE G A 1 9 8 3 S. 3 3 ; BRAMMSEN D i e E n t s t e h u n g s v o r a u s s e t z u n g e n d e r G a r a n t e n p f l i c h t e n , 1 9 8 6 , S. 163 f, 2 1 1 f; ENGISCH D r e h e r - F S , S. 3 0 9 ; HIRSCH W e l z e l - F S , S. 7 9 2 ; JÄHNKE L K , V o r § 2 1 1 R d n . 2 4 ; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 1 R d n . 15; NEUMANN N K , V o r § 2 1 1 R d n . 6 8 f f ; ROXIN D r e h e r - F S , S. 3 4 9 ; DERS. S c h r e i b e r - F S , S. 3 9 9 ff; SCHNEIDER M K , V o r § § 2 1 1 f f R d n . 7 3 f; SCH/SCH/ESER V o r -
bem. §§ 211 ff Rdn. 41; TRONDLE/FISCHER Vor § 211 Rdn. 12. - A.A. BGHSt 32 S. 378 f (3. Senat) zurückhaltender aber der 2. Senat, NJW 1988 S. 1532; BRINGEWAT JUS 1975 S. 155 ff; DERS. ZStW 87 ( 1 9 7 5 ) S. 6 3 7 ; GEILEN J Z 1 9 7 4 S. 153 f f ; HERZBERG J A 1 9 8 5 S. 1 7 7 f f ; KUTZER M D R 1 9 8 5 S. 7 1 2 ff;
SCHMIDHÄUSER Welzel-FS, S. 819 ff. 161
Dazu im Einzelnen: HAFNER Psychiatrie, Neurologie und Medizinische Psychologie 1989 S. 449 ff; vgl. auch: LUTTEROTTI ZfL 1996 S. 24; J.-E. MEYER MedR 1985 S. 210 ff.
162
JÄHNKE LK, Vor §211 Rdn. 29; LANGER Aspekte, S. 118; dazu auch BERNSMANN in: Bernsmann/Ulsenheimer (Hrsg.), Bochumer Beiträge zu aktuellen Strafrechtsthemen, 2003, S. 15 f.
163
BGHSt 2 S. 150.
164
B G H J R 1961 S . 2 8 f m i t A n m . HEINITZ S. 2 9 f; B G H N S t Z 2 0 0 1 S. 3 2 4 , 3 2 7 m i t A n m . OTTO J K 0 1 ,
StGB § 34/3.
44
Tötung auf Verlangen
§6
Zweifel an der Tragfähigkeit dieser Konstruktion finden sich jedoch schon in BGHSt 13 S. 162: Die Schwiegermutter des Α mochte nicht mehr im Altersheim leben. Α wollte sie nicht bei sich aufnehmen. Darauf erklärte die S, sie wolle aus dem Leben scheiden und in die Kerspe-Sperre gehen. Α nahm dieses nicht emst. Als sie aber an einem Teich vorbeikamen und S sagte, sie wolle hier ihr Leben beenden, erbot sich A, ihr einen besser geeigneten Teich zu zeigen. Dann führte A die S zum Kronenberger Hammerteich, und sie setzten sich in der Nähe nieder. Später ging S auf den Staudamm zu, setzte sich dort hin und ließ die Beine ins Wasser hängen. Zu diesem Zeitpunkt glaubte Α zum ersten Mal ernstlich, dass die S vorhatte, sich das Leben zu nehmen. Er ging hinter ihr her auf den Damm. Die S forderte ihn auf, sie hineinzustoßen. Ob sie das wirklich wollte, oder ob sie es nur sagte, um den Α zum Widerspruch zu veranlassen und ihn zu bewegen, sie wieder zu Hause aufzunehmen, konnte nicht festgestellt werden. Der Α kam dieser Aufforderung nicht nach, fühlte sich jedoch dadurch aufgefordert, ihre Selbsttötung mindestens nicht zu verhindern. Die S wiederholte die Aufforderung, sie hineinzustoßen, noch zweimal. Sie geriet dann ins Wasser. Wie das geschehen ist, konnte nicht festgestellt werden. Sie starb durch Ertrinken. Außer dem A war niemand sonst zugegen. BGH: § 2 1 6 liegt nicht vor, weil Α die Situation nicht beherrschen wollte. In Betracht kommt allein eine Haftung gemäß § 323 c; dazu weiter unter Rdn. 58 ff.
57
cc) Die Garantenpflicht von Lebensschutzgaranten entfaltet hingegen ihre volle Wirk- 58 samkeit, wenn der Suizident nicht frei verantwortlich im Rechtssinne handelt, sei es, dass der Suizident nicht schuldfahig ist oder aber in einem Irrtum über die Situation befangen ist und der Garant dieses weiß. 1 6 5 dd) Hat ein Dritter sich entschlossen, den Suizidenten zu retten, und leitet einen rettenden 59 Kausalverlauf ein, so haftet er fur Schäden, die sich aus seinem Verhalten ergeben. Er kann sich nicht nachträglich auf den Selbsttötungswillen des Betroffenen berufen. Auch ein Arzt, der die rettende Behandlung eines Suizidenten übernommen hat, ist nach Aufnahme der Behandlung in einer Garantenposition. 166 ee) Gibt der Suizident zu erkennen, dass er an seinem Selbsttötungsplan nicht mehr fest- 6 0 hält, vermag er selbst aber den eingeleiteten Kausalverlauf nicht mehr zu unterbrechen, so befindet er sich in einer lebensgefahrlichen Situation. - Hier gelten für die Haftung von Garanten die allgemeinen Grundsätze. Der Fall unterscheidet sich nicht von dem Fall, dass der Garant es nicht verhindert, dass sein Schützling Opfer eines Unfalles wird. - Stellt der Garant sich irrig eine derartige Situation vor, liegt ein Tötungsversuch vor. ff) Auch im Falle des Hungerstreiks gelten diese Grundsätze uneingeschränkt. 167 Wer den 61 Hungerstreik bewusst und im Rechtssinne verantwortlich als Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele einsetzt, ist sich der eigenen Lebensgefahrdung bewusst. Insoweit unterscheidet sich seine Situation nicht von der des Suizidenten. 1 6 8 Mit der Begründung einer konkreten Gefahr für das eigene Leben ist auch hier ein Unglücksfall i.S. des § 323 c gegeben. Zumutbare Hilfe in dieser Situation kann aber nur die Aufklärung sein, dass den Forderungen nicht nachgegeben wird. Gerät der Drohende allerdings in Vollzug seines Planes in eine Lage, in der er nicht mehr fähig ist, einen rechtsverbindlichen Willen zu äußern, so wandelt sich - situationsbedingt - die zumutbare Hilfeleistung. Entsprechend der
165
Vgl. dazu BGH NStZ 1984 S. 73; OTTO/BRAMMSEN Jura 1985 S. 539 f.
1 6 6
Dazu vgl. BayObLG NJW 1973 S. 565; BRINGEWAT N J W 1973 S. 5 4 0 ff; GEILEN JZ 1973 S. 3 2 0 ff.
167
Zum Hungerstreik Inhaftierter vgl. §§ 101, 178 StVollzG sowie OLG Stuttgart NJW 1977 S. 1461; OLG
Koblenz J R
1 9 7 7 S. 4 7 1
m i t A n m . WAONER S . 4 7 3 ;
NEUMANN N K ,
Vor § 211
Rdn. 8 0
ff;
SCHNEIDER M K , V o r § § 2 1 1 f f R d n . 7 8 ff. 1 6 8
Umfassend zum Gefangenensuizid: HERZBERG ZStW 91 ( 1 9 7 9 ) S. 557 ff; MLCHALE Recht und Pflicht zur Zwangsernährung bei Nahrungsverweigerung in Justizvollzugsanstalten, 1983; OSTENDORF Das Recht zum Hungerstreik, 1983; TRÖNDLE Kleinknecht-FS, S. 411 ff.
45
§6
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
zumutbaren Hilfeleistung bei einem Suizid kann hier auch eine Lebensrettung in Betracht kommen; dazu unter Rdn. 62 ff. 62 e) Im Falle des sog. einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes - zwei Menschen wollen gemeinsam aus dem Leben gehen, einer von beiden stirbt bei dem Unternehmen, der andere wird gerettet - liegt gleichsam eine Selbsttötung in Mittäterschaft vor. Überlebt einer der beiden Selbstmordkandidaten, so haftet er nicht wegen einer Tötung des anderen. 63 Die Rechtsprechung ist bisher nicht bereit, von der gemeinsamen Tatherrschaft der zur Selbsttötung Entschlossenen auszugehen, sondern spaltet die gemeinsame Tatherrschaft auf. 64
BGHSt 19 S. 135 ff: Α und Β wollten gemeinsam aus dem Leben gehen. Sie wollten sich vergiften, indem sie die Auspuffgase des Kraftfahrzeugs, in dem sie saßen, in das Wageninnere leiteten. Α betätigte das Gaspedal. Β wurde zuerst ohnmächtig, dann A. Als Α und Β gefunden wurden, gelang es: 1. Alternative: das Leben von Β noch zu retten. - BGH: keine Bestrafung der B, da Β nicht die Tatherrschaft über das Geschehen im entscheidenden letzten Augenblick innehatte. 2. Alternative: das Leben von Α noch zu retten. - BGH: Da Α im entscheidenden letzten Augenblick die Tatherrschaft innehatte, haftet er nach § 216.
65 Durch die Aufspaltung der gemeinschaftlich verwirklichten Selbsttötung in eine Tötung auf Verlangen und eine anschließende Selbsttötung werden tatsächliche Zufälligkeiten wer betätigt das Gaspedal, wo werden die Auspuffgase in das Fahrzeuginnere geleitet entscheidend fur die rechtliche Wertung. Das ist sachwidrig. Hier liegt ein Fall mittäterschaftlicher Verwirklichung des Todes zweier Personen vor. Beide Partner verwirklichen gemeinsam ihre Selbsttötung. Diesen Erfolg streben sie arbeitsteilig an, so dass sie Mitträger der Tatherrschaft über das Geschehen bleiben. 169 2. Der Suizid als Unglücksfall i.S. des § 323 c 66 Unabhängig von der Problematik des § 216 ist die Frage, ob der Suizid als „Unglücksfall" i.S. des § 323 c anzusehen ist. 67 a) Wer den Unglücksfall als plötzliches, äußeres Ereignis, das erheblichen Schaden an Leib und Leben eines anderen zu bringen droht, interpretiert, kommt zu dem Ergebnis, dass der Suizid einer freiverantwortlich handelnden Person keinen Unglücksfall darstellt. Er ist kein plötzlich eintretendes äußeres Ereignis. 170 68 b) Wird hingegen der Unglücksfall als eine Notsituation definiert, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, wenn er nicht schweren Schaden an Leib oder Leben nehmen will, so ist auch der Suizid Unglücksfall. 69 Für die Sachgerechtigkeit dieser Definition spricht, dass die Beschränkung auf ein plötzliches, äußeres Ereignis willkürlich erscheint, da ein Verschulden des Täters am Eintritt dieses Ereignisses nach einhelliger Ansicht irrelevant ist. Nicht an Äußerlichkeit oder Innerlichkeit eines Ereignisses kann die Solidaritätspflicht anknüpfen, sondern an die Ausweglosigkeit der Situation für den Betroffenen. Und zwar ist die Unglückssituation in
1 6 9
V g l . BOCKELMANN B . T . / 2 , § 4 11 3 ; FRIEBE G A 1 9 5 9 S. 1 6 8 f; NEUMANN N K , V o r § 2 1 1 R d n . 5 6 ;
OTTO Tröndle-FS, S. 164 ff; ROXFN Täterschaft, S. 570; SCHROEDER ZStW 106 (1994) S. 578 ff. 170
So im Ergebnis: BOTTKE Suizid und Strafrecht, 1982, S. 313 ff; BRAMMSEN Entstehungsvoraussetzungen, S. 164; BRÄNDEL ZRP 1985 S. 92; GEPPERT Jura 2005 S. 43 f; HAUBRICH Die unterlassene Hilfeleistung, 2001, S. 379; KINDHÄUSER B.T. I, § 4 Rdn. 22; RUDOLPHI SK II, § 3 2 3 c Rdn. 8; SCHNEIDER M K , V o r § § 2 1 1 ff R d n . 8 4 ; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 3 2 3 c R d n . 7.
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§6
dem Moment gegeben, in dem der Betroffene Handlungen ins Werk setzt, die im ununterbrochenen Fortgang zur Selbsttötung führen sollen. 171 c) Problematisch jedoch ist die Zumutbarkeit der Hilfeleistung im Falle des Suizids. Zu- 70 mutbar ist eine Hilfeleistung nämlich zum einen dann, wenn mit ihr ohne erhebliche Gefahrdung eigener Rechtsgüter die Suizidgefahr beseitigt wird. Zum anderen ist aber auch der Suizident als Person zu achten. Unzumutbar sind daher langandauernde Freiheitsentziehung oder eine über längere Zeit sich erstreckende oder mehrmals wiederholte „Zwangsernährung" eines die Nahrungsaufnahme verweigernden Suizidenten. Hier handelt es sich bereits um nicht mehr akzeptable Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts und der körperlichen Integrität des Betroffenen, die daher über der Zumutbarkeitsgrenze liegen. 1 7 2 d) Befindet sich der Suizident in einer Situation irreparabler schwerer körperlicher Schä- 71 den, die die psychische Grundstruktur des Betroffenen so schwer beeinträchtigen, dass seine Personalität auf Dauer in erheblichem Maße reduziert ist, so begrenzt dieses die Hilfspflicht. Hilfe kann nicht die Belastung mit einem Weiterleben sein, das durch schwere körperliche Leiden geprägt oder dem die Möglichkeit personaler Äußerungen genommen ist. In dieser Situation liegt kein Unglücksfall im Sinne des § 323 c vor. 1 7 3
IV. Zur Teilnahmeproblematik 1. Beihilfe und Anstiftung durch Dritte Strafbare Anstiftung durch einen Dritten ist durch die Tatsituation des § 216 ausge- 72 schlossen, denn auch wenn ein Dritter das Verlangen dem späteren Täter übermittelt, wird dieser durch das Verlangen des Opfers, nicht aber durch die Tätigkeit des Dritten zur Tat bestimmt wird. 174 Beihilfe zur Tat ist möglich. Die Strafe des Gehilfen richtet sich nach § 216, sofern die- 73 ser die Voraussetzungen dieses Tatbestandes beim Haupttäter kennt oder irrig annimmt. Bei fehlender Kenntnis haftet er aus § 212. § 28 findet keine Anwendung, da das Verlangen das Unrecht der Tat mindert, nicht aber eine Sonderpflichtposition des Täters begründet. "5 2. Teilnahme des Opfers Eine Teilnahme - Anstiftung oder Beihilfe - desjenigen, der die Tötung verlangt, an der 74 Tötung ist konstruktiv durchaus möglich, wenn auch nur in der Versuchssituation relevant. Sie bleibt aber straflos. Die Schuldsituation, die eine Strafbarkeit des versuchten Selbst171
So im Ergebnis: BGHSt 6 S. 149; 13 S. 169; OLG München NJW 1987 S. 2940; DÖLLING NJW 1986 S. 1013; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 56 Rdn. 3; JÄHNKE LK, V o r § 2 1 1 Rdn. 2 4 ; OTTO Gutachten, D 7 6
ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 16/5. - Erst bei beendetem Suizidversuch bejahen einen Unglücksfall z.B.: BGH NStZ 2001 S. 324, 327 mit Anm. OTTO JK 01, StGB § 34/3; GEILEN Jura 1989 S. 208; LACKNER/KÜHL § 323 c Rdn. 2. - Differenzierend zwischen Appell- und Bilanzsuizid: NEUMANN NK, Vor § 211 Rdn. 79. - Zur Möglichkeit der Bestrafung der Beihilfe zum Suizid vgl. auch EGMR NJW 2002 S. 2851 mit Anm. FAßBENDER Jura 2004 S. 115 ff, OTTO JK 03, StGB § 216/5. 172
Dazu eingehender OTTO Gutachten, D 80 ffm.w.N.; RENGIER B.T. II, § 8 Rdn. 20.
173
Dazu eingehend OTTO Gutachten, D 82 f.
1 7 4
A. A . JÄHNKE LK, § 2 1 6 Rdn. 10; SCH/SCH/ESER § 2 1 6 Rdn. 18.
175
Vgl. dazu § 6 Rdn. 14.
47
§8
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
mordes als sinnwidrig erscheinen lässt, ist dieselbe, gleichgültig, ob der Täter den Selbstmord als Täter begeht oder an der eigenen Tötung teilnimmt. Diese Erwägung verbirgt sich hinter dem üblichen Hinweis, die Teilnahme bleibe als notwendige Teilnahme straflos. 176
§ 7 Kindestötung 1
§ 217 a.F. trug der außergewöhnlichen psychischen Situation bei der Geburt Rechnung und privilegierte die nichteheliche Mutter daher aus Schuldgesichtspunkten. Er wurde durch das 6. StrRG aufgehoben, da der Gesetzgeber ihn nicht mehr für zeitgemäß hielt und davon ausging, dass der psychischen Ausnahmesituation der Mutter, die ihr eheliches oder nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, durch Anwendung des § 213 Rechnung getragen werden könne. 177
§ 8 Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte 1
Problemstellung: Wird die Akzessorietät der Teilnahme gemäß § 28 im Bereich der Tötungsdelikte durchbrochen? Fall 1: Α leistet Beihilfe zu einem Mord, den Β aus Habgier begeht. Das weiß A, er selbst handelt aber nicht aus Habgier. - Ist Α gemäß §§ 211, 27 oder §§ 212, 27 zu bestrafen? Fall 2: Α leistet aus Habgier Beihilfe bei der Tötung des X durch Β. Β handelt nicht habgierig. - 1st Α gemäß §§ 2 1 1 , 2 7 oder §§ 212, 27 zu bestrafen?
I. Prämissen der Entscheidung 2
3
4
Die jeweilige Stellungnahme wird durch zahlreiche Prämissen innerhalb der Interpretation des § 28 und der §§ 211 ff bedingt. Diese müssen klar erkannt werden, soll die Ubersicht nicht verloren gehen. - Im Wesentlichen lässt sich differenzieren: 1. Persönliche Merkmale i.S. des § 28 als Sonderpflichtmerkmale Werden als besondere persönliche Merkmale nur Sonderpflichtmerkmale anerkannt 178 und § 211 als Qualifizierung des § 212 begriffen, so kann § 28 im Rahmen der Tötungsdelikte keine Bedeutung erlangen. Möglich ist es allerdings, eine Ausnahme bei der Heimtücke zu machen. Das besondere Vertrauensverhältnis kann als besonderes Pflichtverhältnis und damit als besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2 interpretiert werden. 179 2. Mordqualifikationen als Schuldelemente Werden die Mordqualifikationen als Schuldelemente und §211 als Qualifizierung des § 212 angesehen, so braucht man sich nach einer Auffassung mit § 28 überhaupt nicht zu befassen, sondern lässt jeden Beteiligten „ohne Rücksicht auf die Schuld der anderen nach 176
Dazu DREHER MDR 1964 S. 337; JÄHNKE LK, § 216 Rdn. 10; OTTO Lange-FS, S. 212 f; ROXIN LK, V o r § 2 6 Rdn. 3 3 ; WOLTER JUS 1 9 8 2 S. 3 4 3 ff.
177
Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 34. - Dazu TRÖNDLE/FISCHER § 213 Rdn. 16.
178
Dazu eingehend OTTO Jura 2004 S. 472 f.
179
Vgl. LANGER Lange-FS, s. 262 Fn. 135.
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Teilnahmeprobleme im Bereich der Tötungsdelikte
§8
seiner Schuld" haften gemäß § 29. Hintergrund dieser Ansicht ist die Auffassung, dass alle Schuldmerkmale nur von § 29, nicht aber zugleich von § 28 erfasst werden 180 , da sonst mit Hilfe des § 28 Abs. 1, der auch dann eine Strafbarkeit des Teilnehmers vorsieht, wenn in seiner Person Merkmale, die die Strafbarkeit des Täters konstituieren, fehlen, die Regelung des § 29 unterlaufen würde. Gemäß § 29 wäre nämlich der Teilnehmer in dieser Situation straffrei. Nach Auffassung anderer sind die im Besonderen Teil vertatbestandlichten Schuldmerkmale (sog. spezielle Schuldmerkmale) unter § 28 zu erfassen, nicht aber die im Allgemeinen Teil erfassten Schuldsituationen, z.B. §§ 17, 19, 20, 33, 35. 181 - Soweit nach dieser Auffassung die Mordqualifikationen der 1. und 3. Gruppe als Schuldmerkmale interpretiert werden, ist danach § 28 Abs. 2 anzuwenden, jedoch stimmen die Ergebnisse mit der unter Rdn. 3 dargelegten Ansicht überein. 3. Tat- und täterbezogene Merkmale Die h.M. identifiziert die besonderen persönlichen Merkmale i.S. des § 28 mit sog. täterbezogenen Merkmalen. Die Mordqualifikationen der 1. und 3. Gruppe sind in diesem Denkschema subjektive, täterbezogene Merkmale, so dass auf sie § 28 Anwendung findet, während die Merkmale der 2. Gruppe (heimtückisch, grausam, gemeingefährliche Mittel) als sog. tatbezogene Merkmale nicht unter § 28 fallen sollen. 182 4. Die Ansicht des BGH Die Rechtsprechung folgt grundsätzlich der Interpretation der Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe als täterbezogene und damit als besondere persönliche Merkmale i.S. des § 28. Solange sie jedoch §211 als einen Sondertatbestand innerhalb der Tötungsdelikte ansah, der die Anwendung der §§ 212, 213 ausschließt, kann sie gegebenenfalls aber nur § 28 Abs. 1 anwenden 183 ; zur Brüchigkeit dieser Prämissen vgl. § 2 Rdn. 17.
5
6
7
II. Zur Einübung Fall 1: Α erschießt den B, um ihm sein Bargeld abzunehmen und sich damit nette Stunden mit der Gunstgewerblerin G zu machen. Die Pistole hat er von C, der weiß, was Α vorhat, selbst aber keine materiellen Vorteile aus der Tat zieht. /. Strafbarkeit
des A: § 211 (Habgier).
2. Strafbarkeit
des C:
a) 1. Meinung (§ 28 nur Sonderpflichtmerkmale): §§ 211, 27 (Anwendung der §§ 28, 29 kommt nicht in Betracht).
180
Dazu JESCHECK/WEIGEND A.T., 5. Aufl. 1996, § 6 1 VII 4 c; LANGER Das Sonderverbrechen, 1972, S . 4 7 2 f; SCHMIDHÄUSER A . T . , 2 . A u f l . 1 9 7 5 , 1 4 / 8 9 , 9 6 ; WESSELS/BEULKE A . T . , 3 3 . A u f l . 2 0 0 3 , R d n . 4 2 2 f.
181
Dazu im Einzelnen: HERZBERG ZStW 88 (1976) S. 72 Fn. 12; KÜHL A.T., 4. Aufl. 2002, § 20 Rdn. 157; KÖPER Z S t W 1 0 4 ( 1 9 9 2 ) S . 5 7 7 ff; LACKNER/KÜHL § 2 8 R d n . 1 ff; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 5 2 .
1 8 2
S o i m G r u n d s a t z : A R Z T / W E B E R B . T . , § 2 R d n . 2 9 ; JÄHNKE L K , § 2 1 1 R d n . 6 4 f; KREY B . T . 1, R d n . 2 0 f; LACKNER/KÜHL § 2 1 1 R d n . 16; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 5 1 ; RENGIER B . T .
II, § 4 Rdn. 7. - Für eine Interpretation auch der 3. Gruppe als tatbezogene Merkmale: DREHER JR 1970 S. 1 4 6 ff. 183
Dazu BGHSt 22 S. 375; 24 S. 106; BGH StV 1984 S. 69. - Dazu auch ENGLÄNDER JA 2004 S. 410 f.
49
8
§8
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
b) 2. Meinung (Mordqualifikationen: Schuldelemente, die in § 29 erfasst sind): Haupttat: § 211, zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet, § 27. Da aber das Schuldelement der Habgier bei C fehlt, kann gemäß § 29 seine Strafe nur aus dem Grundtatbestand in Verbindung mit § 27 entnommen werden. Ergebnis: §§ 211, 27, 29
212, 27.
c) 3. Meinung (h.L. sowie Auffassung, dass spezielle Schuldelemente in § 28 Abs. 2 erfasst sind): Haupttat §211. Zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet. Da aber in der Person des C das strafschärfende täterbezogene persönliche Merkmal der Habgier fehlt, kommt § 28 Abs. 2 zur Anwendung, so dass C gemäß §§212, 27 bestraft wird. Ergebnis: §§ 211, 27, 28 Abs. 2
212, 27.
d) 4. Meinung (§211 = Sondertatbestand): Haupttat § 211. Zu dieser Tat hat C Beihilfe geleistet. Da aber in der Person des C das strafschärfende, täterbezogene, persönliche Merkmal der Habgier fehlt, findet § 28 Abs. 1 Anwendung (Strafmilderung). Ergebnis: §§ 211, 27, 28 Abs. 1, 49 Abs. 1. 9
Fall 2: Α erschlägt den Β im Zom, nachdem dieser ihn schwer beleidigt hat. Als Α schon „vor Wut kochte" und nach einem Messer schrie, um den Β „kaltzumachen", hat C, der den Β beerben will, dem Α ein Messer gereicht. 1. Strafbarkeit des A: § 213, 1. Alt. 2. Straßarkeit des C: a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§ 213,27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§ 213, 27, 29
212, 27, 29
211, 27.
c) 3. Meinung (h.L.; spezielle Schuldelemente § 28 Abs. 2): §§ 213, 27, 28 Abs. 2 analog -> 212, 27, 28 Abs. 2 analog —>211, 27. - § 28 wird hier von der h.L. nur analog angewandt, da sie § 213 als Strafzumessungsregel interpretiert. d) 4. Meinung (§211 = Sondertatbestand): §§ 213,27,28 Abs. 2 analog-> 212, 27. 10
Fall 3: Der Α wollte mit der Β ein Liebesverhältnis beginnen. Als diese ihn abwies, wollte er sie auch keinem anderen gönnen und erschoss sie. Die Pistole hatte er von C, der sich von Β DM 100,- geliehen hatte und hier eine Möglichkeit sah, die Gläubigerin loszuwerden. 1. Straßarkeit des A: §211 (niedriger Beweggrund). 2. Straßarkeit des C: a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§ 211, 27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§211 (niedriger Beweggrund), 27, 29 —> 212, 27, da Habgier gegeben, wiederum § 2 9 - > 2 1 1 , 2 7 . c) 3. Meinung (h.L.; spezielle Schuldelemente § 28 Abs. 2): §§211 (niedriger Beweggrund), 27, 28 Abs. 2 - • 2 1 2 , 2 7 , 28 Abs. 2 (Habgier) 211,27. d) 4. Meinung (§211 = Sondertatbestand): Bei strengem Durchhalten der Prämissen müsste der BGH zum Ergebnis kommen: §§ 211, 27, 28 Abs. 1, 49 Abs. 1, da bei C nicht derselbe niedrige Beweggrund wie bei Α vorliegt, ein Austausch verschiedener niedriger Beweggründe aber jeweils zu einem anderen Tatbild führt. Der BGH lässt jedoch innerhalb der Gruppe der niedrigen Beweggründe einen Austausch der einzelnen Merkmale zu, obwohl jedes Merkmal der Tat ihren persönlichen, eigenständigen, täterbezogenen Charakter geben soll, und kommt somit zur Ablehnung des § 28 Abs. 1, weil zwar nicht dasselbe, wohl aber ein besonderes persönliches Merkmal auch bei C vorliegt.' 8 4 Ergebnis: §§211,27.
11
Fall 4: Als die 62jährige Witwe Α eine Wiederverheiratung mit dem 29jährigen Spanier S ins Auge fasste, widersprach ihre 40jährige Tochter Τ heftig. Α lud die Tochter daher zu einer Aussprache zu sich ein. Wäh184
50
Vgl. BGHSt 23 S. 39 f, sowie ARZT JZ 1973 S. 681 ff. - Nach neuerer Rechtsprechung des BGH genügt es, dass die niedrigen Beweggründe in der Person des Gehilfen vorliegen. Das ist mit der Interpretation des § 211 als Sondertatbestand nicht zu vereinen, vgl. BGH NStZ 1996 S. 384 mit Anm. OTTO JK 97, StGB §211/30.
Fahrlässige Tötung
§9
rend des Gesprächs reichte Α der Τ einen Schnaps, der mit Arsen vermischt war. Τ starb. - Das Gift hatte A von C, die genau wusste, was Α mit dem Gift vorhatte. 1. Strqßarkeit der A: §211 (Heimtücke). 2. Strafbarkeit der C: a) 1. Meinung (Sonderpflicht): §§ 211, 27. b) 2. Meinung (Schuldelement): §§ 211, 27, 29 -> 212,27. c) 3. Meinung (h.L.; spezielle Schuldelemente § 28 Abs. 2): Da Heimtücke ein tatbezogenes Merkmal ist, kommt § 28 nicht zur Anwendung. Ergebnis: §§211,27. d) 4. Meinung ( § 2 1 1 = Sondertatbestand): §§ 211, 27.
§ 9 Fahrlässige Tötung 1. Der Aufbau des Delikts Die fahrlässige Tötung unterscheidet sich von der vorsätzlichen Tötung nicht in der objektiven Zurechnung des Erfolges zur Person des Täters, sondern allein im subjektiven Bereich. Der sorgfaltige Aufbau des Delikts führt auch hier an die relevanten Probleme heran. 185
1
OLG Hamm NJW 1973 S. 1422: Kraftfahrer Α verursachte im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit mit seinem Kfz einen Verkehrsunfall, bei dem Β schwere Bruchverletzungen davontrug. In der Klinik, in die Β gebracht wurde, erhielt er im Zuge der Behandlung mehrfach gruppengleiches Blut zugeführt. Nach einigen Tagen starb Β an einer sog. Serumhepatitis, die auf unreines Blut zurückzufuhren war, das von hepatitiskranken Spendern stammte. Zum Zeitpunkt der Behandlung war es unmöglich, die Unreinheit der Blutkonserven zu erkennen, da ein exakter Nachweis des verantwortlichen Erregers noch nicht durchführbar war.
2
Strqßarkeit des A a) Die in § 222 beschriebene Rechtsgutsbeeinträchtigung
ist eingetreten: Β ist tot.
b) Das dem Α vorgeworfene Verhalten war seiner Willenssteuerung zugänglich. c) Durch sein Fahren in fahruntüchtigem Zustand hat Α eine Gefahr auch für das Leben des Β begründet. d) Die von Α begründete Gefahr realisierte sich im Tode des B, denn die behandelnden Ärzte erhöhten oder veränderten diese Gefahr nicht pflichtwidrig, sondern bemühten sich situationsbedingt um die Verminderung der von Α begründeten Gefahr. Der gefährliche Einsatz des Blutes war dafür nötig und unter Abwägung des Risikos auch sachgemäß. Diese Gefahr war damit aber als „Rettungsgefahr" bereits in der Verletzungsgefahr angelegt. e) Α hatte bei seinen Fähigkeiten die Möglichkeit, den Sachverhalt zu erkennen. Er war in der Lage vorauszusehen, dass es aufgrund seiner Fahruntüchtigkeit auch zu einem tödlichen Unfall kommen könnte. Voraussehbar war auch, dass entstehende Unfallverletzungen nur noch mit selbst lebensgefährdenden Behandlungsmethoden behandelt werden können und dabei der Tod des Opfers eintritt. f) Feststellungen zur Pflichtbegrenzung: Α hat die ihm obliegende Sorgfaltspflicht im Hinblick auf den eingetretenen Todeserfolg verletzt, denn er hat mit der Trunkenheitsfahrt eine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer begründet. g) Α hatte die Möglichkeit, sich der Sozialschädlichkeit seines Verhaltens bewusst zu werden. h) Schuld: Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die an der Schuld des Α zweifeln ließen. Ergebnis: Α strafbar gem. § 222.
'85 Hinweis: Zum Aufbau des fahrlässigen Erfolgsdelikts durch Unterlassen sowie zu anderen Aufbauweisen des fahrlässigen Erfolgsdelikts, vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 10.
51
§9
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
2. Der Zusammenhang zwischen Sorgfaltspflichtverletzung 3
und Erfolg
Auch bei der Zurechnung eines fahrlässig begründeten Erfolges geht es um die zentrale Frage, wann ein bestimmter Erfolg dem Täter als sein Werk zuzurechnen ist. Diese Frage ist nicht durch isolierte Bejahung der Erfolgsverursachung und der Sorgfaltspflichtverletzung zu beantworten, denn Sorgfaltspflichtverletzung und Erfolg stehen auch hier in einem funktionalen Zusammenhang. Zur Einübung und Vertiefung: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 10 Rdn. 19 ff.
4
Erinnert sei hier an drei - für die Tötungsproblematik besonders relevante - Problemstellungen. a) Das rechtmäßige Alternatiwerhalten Nicht jedes pflichtwidrige Verhalten ist für die Zurechnung des Erfolges relevant. Maßgeblich ist, ob der Täter durch sein pflichtwidriges Verhalten eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut über das erlaubte Maß hinaus begründet oder erhöht hat. Die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens allein ist nämlich dann unerheblich, wenn nachgewiesen werden kann, dass das pflichtwidrige Verhalten zwar eine abstrakte Gefahr für ein bestimmtes Rechtsgut begründet hat, jedoch keine über das erlaubte Maß hinausgehende konkrete Gefahr für das geschützte Rechtsgut begründet oder erhöht hat, weil die Rechtsgutsverletzung auch bei rechtmäßigem Verhalten des Täters eingetreten wäre.
5
OLG Karlsruhe GA 1970 S. 313: Α fuhr innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h. Er überfuhr dabei ein 4 Jahre altes Kind. Der tödliche Unfall hätte sich in gleicher Weise zugetragen, wenn Α die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eingehalten hätte. Ergebnis: Α haftet nicht wegen fahrlässiger Tötung, da er durch sein Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit die Gefahr für das Leben des Kindes nicht über das erlaubte Maß erhöht hat. Abwandlung: Ist nicht feststellbar, ob die Gefahr bei ordnungsgemäßem Verhalten des Α geringer gewesen wäre, so fehlt es an dem Nachweis, dass Α durch pflichtwidriges Verhalten die Gefahr fur das Rechtsgut über das erlaubte Maß hinaus erhöht hat. Hingegen: Beruft Α sich darauf, dass der mit überhöhter Geschwindigkeit entgegenkommende Kraftfahrer X das Kind erfasst hätte, wenn er es nicht überfahren hätte, so ist diese Einlassung irrelevant, denn die mögliche rechtswidrige Erfolgsherbeiführung durch Dritte entlastet den Täter nicht.
6
b) Die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs Da es nicht auf bloße Kausalität für den Erfolg ankommt, sondern auf die Zurechnung der Verantwortung für den Erfolg, ist genau zu prüfen, ob die Rechtsgutsverletzung ihren Grund in einem Verhalten des Täters, eines Dritten oder des Opfers hat (Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs).
7
aa) BayObLG JZ 1982 S. 731: X verlieh an Y, der die erforderliche Fahrerlaubnis nicht besaß, ein Kraftfahrzeug, das nicht verkehrssicher war. Aufgrund der Mängel des Fahrzeuges und der fehlenden Fahrtüchtigkeit des Y kam es zu einem Unfall. Trotz auffälliger Warnzeichen und eindeutig unübersichtlicher Verkehrssituation fuhr Α mit weit überhöhter Geschwindigkeit an die Unfallstelle heran und erfasste den Ζ mit dem Kraftfahrzeug. Ζ hatte nach dem ersten Unfall helfen wollen. Er wurde getötet. BayObLG: Der zweite Unfall war fur X und Y nicht vorhersehbar. Kritik: Dass es an Unfallstellen im Straßenverkehr durch grob verkehrswidriges Verhalten Dritter zu weiteren Unfällen kommt, ist leider eine bekannte Tatsache und daher auch objektiv voraussehbar. Gleichwohl ist das Urteil des BayObLG im Ergebnis zutreffend. Die Gefahr, die sich im Tode des Ζ realisierte, wurde nicht von X und Y begründet, sondern von A, als dieser trotz Kenntnis der unübersichtlichen Verkehrslage seine Geschwindigkeit nicht auf das erforderliche Maß herabminderte. - Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn Α aufgrund der Sachverhaltsgegebenheiten die Gefahrenstelle nicht rechtzeitig hätte wahrnehmen können.
52
Fahrlässige Tötung
§9
bb) BGHSt 32 S. 262: Α verschaffte dem Η die erforderliche Spritze für den Heroinkonsum. Η injizierte sich ein Heroingemisch, das er sich zuvor besorgt hatte. Anschließend wurde er bewusstlos und starb. A, der auch Heroin genommen hatte, überlebte.
8
Ergebnis: Η hat frei verantwortlich und in voller Kenntnis der Gefahr das Risiko für sein Leben begründet. A schuf lediglich eine Voraussetzung fllr diese Selbstgefährdung des H. Damit aber realisierte sich im Tode des Η die von ihm selbst begründete Gefahr.' 86 cc) Wie bb), aber als Η bewusstlos war, erkannte Α die Notsituation, unternahm aber nichts zur Rettung.
9
Ergebnis: Α haftet nach § 323 c. - Der BGH kommt in entsprechenden Fällen zur Annahme eines Unterlassens des Α nach vorangegangenem gefährlichen Tun.' 8 ' Da das die Todesgefahr begründende Tun aber ein eigenverantwortliches Tun des Η war, kann es keine Haftung des Α begründen. 1 8 8 dd) BayObLG JZ 1997 S. 521 mit Anm. OTTO S. 522 f. Der Arzt Dr. Α stellte dem codeinabhängigen Β ein Rezept über 500 ml 2,5%ige DHC-Lösung aus. Er klärte ihn darüber auf, dass er alle 8 Stunden nur 10 ml nehmen und keine anderen Medikamente einnehmen dürfe, weil dieses lebensgefährlich sei. Gleichwohl trank Β ein paar Tage später 150 ml. Er starb.
10
BayObLG: Soweit Β eigenverantwortlich und in Kenntnis des Risikos handelte, verwirklichte sich in seinem Tode eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung. ee) BGHSt 39 S. 322; Α hatte ein Wohnhaus in Brand gesetzt, in dem sich X und Y aufhielten. Um diese zu retten, stürzte sich Μ in das Haus. Er starb an einer Monoxydvergiftung.
11
BGH: Der Tod des Μ ist dem Α zuzurechnen: „Ebenso wie dem Täter bei Gelingen der Rettungshandlung die Erfolgsabwendung zugute kommt, hat er im Falle des Misserfolgs dafür einzustehen." Kritik: Diese Ausführungen werden der Problematik des Falles nicht gerecht. Es geht hier um die Grenzen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung. Sieht man in der Handlungssituation entsprechend dem in § 35 erfassten Sachverhalt die Schuld des Μ und damit seine Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung als ausgeschlossen an, so ist auch der Tod des Μ dem Α zuzurechnen, sonst hingegen nicht.'
c) Der Schutzzweck der Norm 12 Schließlich ist zu beachten, ob der Schutzzweck der durch den Täter verletzten Norm gerade auch auf die Vermeidung des vom Täter bewirkten Erfolges zielte. OLG Hamm MDR 1980 S. 1036: An einem mit eingeschaltetem Warnblinklicht haltenden Schulbus führ A mit 50 km/h vorbei. Er verletzte den erwachsenen B, der in Höhe des Schulbusses trotz des herannahenden Fahrzeuges des Α noch versuchte, die Fahrbahn zu überqueren. OLG: § 20 Abs. 1 a StVO, der eine vorsichtige Fahrweise beim Vorbeifahren an Schulbussen vorschreibt, dient ausschließlich der Sicherheit von Schulkindern im Straßenverkehr. Der von Α bewirkte Erfolg - Verletzung des Β - liegt daher außerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm. Auf die Verletzung des § 20 Abs. 1 a StVO kann eine Verurteilung des Α in diesem Falle daher nicht gegründet werden.
Im Einzelnen zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch das Tatopfer: GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 6 R d n . 6 0 f r . 187
Vgl. BGH NStZ 1984 S. 452.
Zur Auseinandersetzung: BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 306 f; GEPPERT JK, StGB § 222/2; HERZBERG JA 1985 S. 271, Fn. 102; OTTO Gössel-FS, S. 110; ROXIN A.T. I, 3. Aufl. 1997, § 11 Rdn. 91. 189 vgl. dazu m.N.: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 6 Rdn. 66, Fall 11.
53
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§10
§ 10 Aussetzung I. Das geschützte Rechtsgut und Einzelheiten des Tatbestandes 1
1. Das geschützte Rechtsgut Der durch das 6. StrRG neugefasste § 221 beschreibt in beiden Tatmodalitäten ein konkretes Gefahrdungsdelikt, und zwar wird neben der Lebensgefahr auch die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung erfasst. Geschützte Rechtsgüter sind daher das Leben und die körperliche Unversehrtheit.
2. Einzelheiten des Tatbestandes Der Tatbestand enthält zwei Alternativen: a) Das Versetzen eines Menschen in eine hilflose Lage. 2 Versetzen eines anderen in eine hilflose Lage setzt nicht notwendig eine Ortsveränderung voraus. Es genügt vielmehr das Herbeiführen der hilflosen Lage, z.B. durch Verabreichen großer Mengen Alkohol bei kalter Witterung im Freien. 190 - In hilfloser Lage ist das Opfer, wenn es ihm nicht möglich ist, sich aus eigener Kraft vor Gefahren für Leben oder körperliche Integrität zu schützen. - Der Gefahr ausgesetzt ist das Opfer, wenn durch das Versetzen in die hilflose Lage seine physische Situation verschlechtert wird, d.h. eine konkrete Gefahr für sein Leben oder einer schweren Gesundheitsschädigung entweder herbeigeführt oder intensiviert wird, 19 ' wobei es genügt, dass dem Opfer Rettungschancen entzogen werden. 192 - Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bedeutet die konkrete Gefahr eines langwierigen, qualvollen oder die Leistungsfähigkeit schwer beeinträchtigenden physischen oder psychischen Krankheitszustandes. 193 b) Das Imstichlassen eines Menschen in hilfloser Lage, wenn er in der Obhut des Täters steht oder er ihm sonst beizustehen verpflichtet ist. 3 Imstichlassen setzt keine räumliche Trennung voraus, vielmehr genügt es, dass der Beistandspflichtige die gebotene und ihm nach den Umständen mögliche und zumutbare Hilfeleistung unterlässt und dadurch die bestehende Gefahr nicht beseitigt oder verringert. 194 Auch eine nicht rechtzeitige Rückkehr zum gefährdeten Schützling ist ein Imstichlassen. Obhuts- und Beistandspflichten werden durch Garantenpositionen begründet. 195
190
Vgl. auch GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 7 Rdn. 15; HÖRNLE Jura 1998 S. 177; JÄGER JUS 2000 S. 32; JOECKS S t G B , § 2 2 1 R d n . 6 ; KÜPER B . T . , S. 3 5 ; DERS. Z S t W 111 ( 1 9 9 9 ) S. 4 0 f f ; NEUMANN N K , § 2 2 1 R d n . 11; RENGIER B . T . II, § 10 R d n . 4 ; SCHROTH N J W 1 9 9 8 S. 2 8 6 3 . - Z w e i f e l n d : KREY B . T . 1, R d n .
134. 191
Vgl. dazu HALL SchwZStr 46 (1932) S. 330; JÄGER JUS 2000 S. 33; KÜPER ZStW 111 (1999) S. 47 ff.
192
Vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/9064, S. 14; OLG Zweibrücken NStZ 1997 S. 601, 602 mit Anm. OTTO JK 98, StGB §221/5.
193
Vgl. dazu BT-Drucks. VI/3434, S. 13; BT-Drucks. 13/8587, S. 28; HARDTUNG MK, § 221 Rdn. 19; JÄGER JuS 2000 S. 33; KÜPER ZStW 111 (1999) S. 37 f; LACKNER/KÜHL § 218 Rdn. 20.
194
Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 34; LG Zweibrücken VRS 98 (2000) S. 284 mit Anm. OTTO JK 00, StGB
195
Vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 14; BGHSt 26 S. 37; BGH NJW 1993 S. 2628.
§ 1 3 / 3 0 ; KÜPER B . T . , S. 198, 2 0 0 f; KFNDHÄUSER B . T . I, § 5 R d n . 15.
54
Aussetzung
§10
3. Qualifikationen und Erfolgsqualifikationen, Abs. 2, 3 Abs. 2 enthält in Nr. 1 einen Qualifikationstatbestand. Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 erfassen erfolgsqualifizierte Tatbestände. Qualifikationsmerkmale sind: a) Abs. 2 Nr. 1: Der Täter begeht die Tat gegen sein Kind oder eine Person, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist. - Zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind dem Täter Personen, zu denen er in einem tatsächlichen Überordnungsverhältnis steht und für deren Persönlichkeitsbildung er Mitverantwortung trägt. Erziehung ist die Leitung und Überwachung der Lebensführung zur körperlichen und seelischen Entwicklung. Der Begriff der Betreuung in der Lebensführung geht darüber hinaus. Er kennzeichnet ein Verhältnis, in dessen Rahmen der Täter wenigstens Mitverantwortung für das geistige oder sittliche Wohl des Anvertrauten trägt und eine entsprechende Einwirkungsmöglichkeit hat. - Anvertraut ist das Opfer dem Täter, wenn zwischen beiden besondere Beziehungen bestehen, die zu einer gewissen Abhängigkeit der anvertrauten Person führen. 196 b) Abs. 2 Nr. 2: Der Täter verursacht fahrlässig, § 18, durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung - dazu vgl. Rdn. 2 - des Opfers.
4 5
II. Besondere Probleme des Tatbestandes 1. Die „an sich rechtmäßige" Aussetzungshandlung Versetzt jemand einen anderen aus einer sicheren in eine lebensgefahrliche Lage, so wird der Unrechtsgehalt des Verhaltens durch den Eingriff in den geschützten Rechtsbereich des Betroffenen geprägt. Problematisch ist es jedoch, ob der Unrechtsgehalt der gleiche ist, wenn der Täter durch sein Verhalten einem rechtswidrigen Eingriff des nunmehr Betroffenen begegnet, wenn also der Betroffene bei der Abwehr eines rechtswidrig von ihm ausgehenden Rechtsgütereingriffs in die Gefahr gerät. - Soweit die Voraussetzungen des § 32 vorliegen, handelt der Täter nicht rechtswidrig und die Notwehrhandlung begründet auch keine Garantenstellung aus Ingerenz. 197 Aber auch dann, wenn § 32 nicht eingreift, weil der Täter über die erforderliche Abwehr hinausgeht, stellt sich die Frage, ob er durch die Abwehr rechtswidrigen Verhaltens in die Schutzposition des § 221 gezwungen werden kann oder ob hier nur die allgemeine Beistandspflicht gemäß § 323 c ausgelöst wird. KG JR 1973 S. 72 mit Anm. SCHRÖDER S. 73 ff: Der Gastwirt G setzte den volltrunkenen Gast K, dem er wegen Zechprellerei einen Denkzettel geben wollte, in teilweise entkleidetem Zustand auf die Straße und Uberließ ihn dort seinem Schicksal. KG: Κ war infolge einer durch Alkoholgenuss bedingten hochgradigen Bewusstseinsstörung hilflos. In dem Verbringen des hilflosen Κ aus seiner bisherigen verhältnismäßig gesicherten Lage in dem Lokal in eine ihn gefährdende Lage auf der Straße liegt ein Aussetzen des Κ durch G. SCHRÖDER erkennt durchaus die Problematik, die darin liegt, dass G nicht verpflichtet war, den Κ in seinen Räumen zu dulden, er ihn „an sich" in Ausübung seines Hausrechts vor die Tür setzen durfte. Er stellt die Frage, „ob man mit der Konsequenz des § 221 StGB eine illegale Situation beseitigen d a r f ' , kommt dann aber zu dem Ergebnis, dass die Rechtsausübung durch G angesichts der möglichen Folgen einen Rechtsmissbrauch darstellt.
Zur Auslegung im Einzelnen können die zu § 174 Abs. 1 Nr. 1 entwickelten Grundsätze herangezogen werden, BT-Drucks. 13/9064, S. 15; vgl. daher BGH St 41 S. 139; 33 S. 340, 344 mit Anm. JAKOBS NStZ 1986 S. 216 f, GÖSSEL JR 1986 S. 516 f; BGH NStZ 1989 S. 21. 197
Vgl. dazu OTTO Gössel-FS, S. 112.
55
7
8
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen Diese Konstruktion wird der Problematik nicht gerecht. - Als G den Κ hinaussetzte, verletzte er keine Obhutspflicht dem Κ gegenüber, sondern übte sein Hausrecht aus. Er überschritt jedoch das Maß erforderlicher Abwehr. Gleichwohl erscheint es fragwürdig, ob dieses Verhalten Schutzpflichten zu Gunsten des Κ begründete, da es letztlich durch die Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs motiviert war. Da Κ allerdings in eine Unglückssituation i.S. des § 323 c geriet, war G, wollte er eine Haftung aus § 323 c vermeiden, wie jeder Dritte verpflichtet, dem Κ aus dieser Situation zu helfen. Indem er dieser Pflicht nicht sogleich nachkam und für die Sicherheit des Κ sorgte, machte er sich strafbar gemäß § 323 c.' 9 8
9
2. Der Versuch der erfolgsqualifizierten Aussetzung, §§ 221 Abs.2 Nr. 2, Abs. 3, 23 Str. ist bereits, ob der Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts - abgesehen von Abs. 2 Nr. 1 - überhaupt möglich ist, wenn der Grundtatbestand nicht erfüllt ist. 1 9 9 Wird in dieser Konstellation die Möglichkeit des Versuchs anerkannt, so stellt sich im Rahmen des § 221 die Frage, ob ein Versuch gemäß §§ 221 Abs. 2 Nr. 2, 3, 23 in Betracht kommt, obwohl der Versuch des Grundtatbestandes, §§ 221, 23, nicht strafbar ist. Dies wird zum Teil abgelehnt mit der Erwägung, dass in dieser Konstellation die besondere Folge strafbegründend, nicht aber straferhöhend wirkt, wovon § 18 ausgeht. Die Gegenmeinung erkennt diese Konsequenz nicht in § 18 angelegt und sieht in der Tatsache, dass der Handlungsunwert des Grundtatbestandes noch nicht als strafwürdig erscheint, kein Argument dagegen, dass der Unrechtsgehalt des versuchten Grundtatbestandes und der verwirklichten (oder angestrebten) besonderen Folge bereits die Grenze der Strafwürdigkeit erreicht. Fall: A will das Kleinkind seiner Freundin B, mit der er zusammenlebt, aus dem Weg schaffen, indem er es an einem kalten Wintertag bei offenem Fenster in eine Wanne mit kaltem Wasser setzt. Beim Hineinsetzen des Kindes reagiert das Kind mit wilden Bewegungen und schlägt mit dem Kopf auf dem Wannenrand auf. Κ erleidet eine schwere Gesundheitsschädigung durch Verlust des Sehvermögens auf einem Auge. Angesichts der Verletzung des Kindes gibt Α seinen weiteren Plan auf. Ergebnis: Α hat sich einer versuchten Aussetzung gemäß §§221 Abs. 2 Nr. 2, 23 schuldig gemacht.20"
§ 1 1 Völkermord Der ursprünglich in § 220 a erfasste Tatbestand des Völkermordes ist nunmehr - mit weiteren Straftaten gegen das Völkerrecht - im Völkerstrafgesetzbuch v. 26.6.2002 (BGBl. I, S. 2254) geregelt.
§ 12 Zur Wiederholung 1
1.
In welchen Fällen ist der Schutz menschlichen Lebens durch die Tötungstatbestände streitig? - Dazu § 2 Rdn. 5 ff.
2.
Wie bestimmt die h. L. das Verhältnis der §§211, 212, 213 zueinander und wie der BGH? - Dazu § 2 Rdn. 14 ff.
3.
Was spricht gegen die Interpretation auch der 1. Alternative des § 213 als bloße Strafzumessungsregel? Dazu § 2 Rdn. 16.
1 9 8
V g l . a u c h SCH/SCH/ESER § 2 2 1 R d n . 4 . - A . A . GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 7 R d n . 14; HARDTUNG, M K , § 2 2 1 R d n . 15; JÄHNKE L K , § 2 2 1 R d n . 17; NEUMANN N K , § 2 2 1 R d n . 10.
1 9 9
I m E i n z e l n e n d a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 18 R d n . 7 8 ff.
2 0 0
S o a u c h LAUBENTHAL J Z 1 9 8 7 S. 1 0 6 7 ; WOLTERS S K II, § 2 2 1 R d n . 16. - A A . BUSSMANN G A 1 9 9 9 S. 2 3 f f ; NEUMANN N K , § 2 2 1 R d n . 4 2 . - V g l . im E i n z e l n e n z u r A u s e i n a n d e r s e t z u n g : GRUNDKURS
STRAFRECHT, A.T., § 18 Rdn. 89 f. - Offengelassen wird die Problematik in BGH StV 1986 S. 201 mit A n m . ULSENHEIMER S t V 1 9 8 6 S. 2 0 1 f f .
56
Zur Wiederholung
§12
4.
Worin besteht die sachliche Berechtigung für die unterschiedliche Klassifizierung der Tötungsdelikte in einen Grundtatbestand, eine Qualifizierung sowie Privilegierungen? - Dazu § 2 Rdn. 21 ff.
5.
Auf welche Weise ermöglicht der BGH ein Absehen von lebenslanger Freiheitsstrafe, obwohl er das Vorliegen einer heimtückischen Tötung bejaht? - Dazu § 2 Rdn. 26 ff.
6.
Kann Anstiftung oder Beihilfe zur Selbsttötung als Teilnahme an einem Tötungsdelikt bestraft werden? Dazu § 3 Rdn. 1.
7.
Sind die Mordqualifikationen als Schuld- oder als Unrechtsmerkmale anzusehen? - Dazu § 4 Rdn. 1 ff.
8.
Welche drei Gruppen von Mordmerkmalen unterscheidet das Gesetz? - Dazu § 4 Rdn. 3 ff.
9.
Was ist unter „Mordlust" zu verstehen? - Dazu auch § 4 Rdn. 5 f.
10. Welche Fälle werden unter dem Merkmal „zur Befriedigung des Geschlechtstriebes" erfasst? - Dazu § 4 Rdn. 7 ff. 11. Was ist das wesentliche Kennzeichen der niedrigen Beweggründe? - Dazu § 4 Rdn. 13 ff. 12. Wie definiert die Rechtsprechung das Merkmal „Heimtücke"? Welche Ansichten werden im Schrifttum vertreten? - Dazu § 4 Rdn. 17 ff. 13. Was ist ein „gemeingefährliches Mittel"? - Dazu § 4 Rdn. 41 ff. 14. Worin besteht das grundsätzliche Problem des Merkmals „um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken"? - Dazu § 4 Rdn. 48. 15. Welcher Straftatbestand kommt in Betracht, wenn der Täter zur Tötung bereits fest entschlossen ist, bevor das Opfer sie emstlich und ausdrücklich verlangt? - Dazu § 6 Rdn. 13. 16. Welche Fallgruppen der Sterbehilfe sind zu unterscheiden? - Dazu § 6 Rdn. 19 ff. 17. Ist ein Arzt gegen den Willen des Patienten zu lebensverlängernden Maßnahmen berechtigt oder sogar verpflichtet? - Dazu § 6 Rdn. 33. 18. Ist die Selbsttötungssituation als Unglücksfall i.S. d. § 323 c anzusehen? - Dazu § 6 Rdn. 66 f.
57
§13
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Zweiter Abschnitt Delikte gegen das ungeborene menschliche Leben § 13 Abbruch der Schwangerschaft I. Die gesetzliche Regelung 1. Die Entscheidung des Gesetzgebers Ursprünglich hatte der Gesetzgeber in § 218 jede nach der Empfängnis erfolgende Selbstoder Fremdabtreibung unter Strafe gestellt. - Mit dem 5. Strafrechtsreformgesetz vom 18. Juni 1974 unternahm der Gesetzgeber allerdings den Versuch, auch in der Bundesrepublik Deutschland die sog. Fristenlösung (Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft) durchzusetzen. Dieses Gesetz ist jedoch nie in Kraft getreten, denn mit Urteil vom 25. 2. 1975 hat das Bundesverfassungsgericht das Gesetz fur verfassungswidrig und damit nichtig erklärt.1 Der Gesetzgeber hatte daraufhin durch Gesetz vom 18. 5. 1976 (15. StrÄndG) die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vorgenommen. Diese Regelung enthielt Elemente einer Indikations- und - in der Person der Schwangeren - einer Fristenlösung. 2 In der ehemaligen DDR war die Schwangere gemäß § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9.3.1972 berechtigt, die Schwangerschaft innerhalb von 12 Wochen nach deren Beginn durch einen ärztlichen Eingriff in einer geburtshilflich-gynäkologischen Einrichtung unterbrechen zu lassen. Nicht unter diese Regelung fallende unzulässige Schwangerschaftsunterbrechungen, ihre Veranlassung und Unterstützung wurden nach §§ 153 ff StGB-DDR bestraft. 3 Mit der Wiedervereinigung traten im Beitrittsgebiet nicht die §§218 - 219 d in Kraft, sondern die bisherigen Regelungen blieben vorläufig gültig. Zugleich wurde gemäß Art. 31 Abs. 4 des Einigungsvertrages vom 23.9.19902 die Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers darin gesehen, „spätestens bis zum 31.12.1992 eine Regelung zu treffen, die den Schutz vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen ... besser gewährleistet, als dies in den beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist". 4 Nach langwierigen Auseinandersetzungen erfolgte eine Neuregelung des Abbruchs der Schwangerschaft im Schwangeren- und FamilienhilfeG (SFHG) vom 4.8.1992 (BGBl I, S. 1398). Erneut wurde eine Fristenregelung mit Beratungspflicht in Kraft gesetzt und der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft für nicht rechtswidrig erklärt, § 218 a Abs. 1 i.d.F. des SFHG. - Mit Urteil vom 28.5.1993 hat das Bundesverfassungsgericht die §§ 218 a Abs. 1, 219 in d.F. des SFHG für nichtig erklärt und sie für die Zeit bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung durch eine vorläufige Anordnung nach § 35 BVerfGG ersetzt. Das Bundesverfassungsgericht stellte klar, dass die Schutzpflicht des Staates auch gegenüber dem ungeborenen Leben es verbietet, den Schwangerschaftsabbruch - abgesehen von Ausnahmesituationen - für nicht 1
1
BVerfGE 39 S. 1.
2
BGBl. II, S. 885.
58
Abbruch der Schwangerschaft
§13
rechtswidrig zu erklären.3 Darüber hinaus müsse die Beratung der Schwangeren dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen. BVerfGE 88 S. 251: „Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben zu schützen. Zum menschlichen Leben gehört auch das ungeborene. Auch ihm gebührt der Schutz des Staates. Die Verfassung untersagt nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das ungeborene Leben, sie gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, d.h. vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren (vgl. BVerfGE 39, 1, 42). Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet; ihr Gegenstand und - von ihm her - ihr Maß werden durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt. Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu, nicht erst dem menschlichen Leben nach der Geburt oder bei ausgebildeter Personalität".
Nach verschiedenen vergeblichen Versuchen einer gesetzlichen Neuregelung erfolgte diese
5
im Schwangeren-FamilienhilfeänderungsG v. 2 1 . 8 . 1 9 9 5 (BGBl I, S. 1050), das am 1.10.
1995 in Kraft trat.4 2. Geschütztes Rechts gut und Angriffsobjekt a) Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das ungeborene menschliche Leben. 5 Dieses hat, weil noch ungeboren, keine mindere Wertqualität als das geborene Leben. 6 Die geringere Strafandrohung erklärt sich aus der besonderen Konfliktsituation der Schwangeren. 7 Zwar berücksichtigt die gesetzliche Regelung auch in erheblichem Maße Gesundheitsinteressen der Schwangeren, diese erlangen aber nicht den Rang eines gleichfalls geschützten Rechts-
3
B V e r f G E 8 8 S . 2 0 3 ; h i e r z u ESER J Z 1 9 9 4 S . 5 0 3 ff; GEIGER/V. LAMPE J u r a 1 9 9 4 S . 2 0 f f ; G R O P P G A
1994 S. 147 ff; HARTMANN NStZ 1993 S.483 ff; HASSEMER Mahrenholz-FS, S. 731 ff; HERMES/WALTHER NJW 1993 S. 2337 ff; K.LUTH FamRZ 1993 S. 1381 ff; REITER/KELLER (Hrsg.), Paragraph 218, Urteil und Urteilsbildung, 1993; SCHULZ StV 1994 S. 38 ff; STARCK JZ 1993 S. 816 ff; THOMAS/KLUTH (Hrsg.), Das zumutbare Kind, 1993; WEIß JR 1993 S. 449 ff. 4
5
Zu den einzelnen Phasen des Gesetzgebungsverfahrens: LACKNER/KÜHL Vor § 218 Rdn. 1 ff; RuDOLPHI SK II, Vor § 218 Rdn. 1 ff. - Rechtsvergleichender Überblick: ESER/KOCH Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich, Rechtliche Regelungen - Soziale Rahmenbedingungen - Europäische Grundlagen, Teil 1: Europa, 1988; Teil 2: Außereuropa, 1989; Teil 3: Rechtsvergleichender Querschnitt - Rechtspolitische Schlußbetrachtungen - Dokumentation zur neueren Rechtsentwicklung, 1999; dazu JAKOBS JR 2000 S. 404 ff; OTTO ZFL 2000 S. 63 f. BVerfGE 39 S. 36 f; 88 S. 251 f; BGHSt 28 S. 15; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 8 Rdn. 1 ff; GROPP MK, V o r § § 2 1 8 ff R d n . 3 8 ; KRÖGER L K , V o r § 2 1 8 R d n . 2 6 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 6 R d n . 8; MERKEL N K , § 2 1 8 R d n . 7 ; O T T O J u r a 1 9 9 6 S . 1 4 0 ; RUDOLPHI S K II, V o r § 2 1 8 R d n . 5 5 ; WESSELS/HETTINGER B . T . / L , R d n . 2 2 3 .
6
Dem Embryo sprechen ein Lebensrecht ab: HOERSTER Abtreibung im säkularen Staat, 1991; DERS. JuS 1995 S. 192 ff; DERS. JR 1995 S. 51 ff; SINGER Praktische Ethik, 1984, S. 162 f. - Dagegen u.a. STÜRNER J Z 1 9 9 0 S . 7 0 9 ff; TRÖNDLE G A 1 9 9 5 S . 2 4 9 ff; DERS. N J W 1 9 9 1 S . 2 5 4 2 ff.- D a z u , d a s s d i e
Rechtspraxis darauf hinausläuft, dem Embryo das Lebensrecht nur verbal zuzuerkennen: GÖSSEL Androulakis-FS, S. 200 ff; JAKOBS Schriftenreihe der JVL, Nr. 17, S. 34 ff; DERS. JR 2000 S. 407. 7
Vgl. BT-Drucks. 7/1981, S. 5; BVerfGE 39 S. 37; BELLING Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218 a StGB
haltbar?,
1987;
BOCKELMANN
JZ
1959
S.
498;
ARTHUR
KAUFMANN
JZ
1963
S.
142;
S C H / S C H / E S E R V o r § § 2 1 8 ff, R d n . 9 . - A . A . DREIER Z R P 2 0 0 2 S . 3 7 7 ff ( m i t E r w i d e r u n g BECKMANN
ZRP 2003 S. 97 ff); HILGENDORF NJW 1996 S. 761 mit Replik von HEUERMANN NJW 1996 S. 3063 f, HOERSTER NJW 1997 S. 773 ff, WEIß NJW 1996 S. 3064 und Erwiderung von HILGENDORF NJW 1997 S . 3 0 7 4 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 6 0 R d n . 9 f; MERKEL N K , § 2 1 8 R d n . 6 7 .
59
6
§13
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
guts.8 Der selbstständige Schutz der Gesundheit der Schwangeren vor abstrakten Gesundheitsgefahren in diesem Bereich müsste als systemwidrige Sonderregelung gegenüber den Körperverletzungsdelikten erscheinen.9 b) Das Angriffsobjekt 7 Taugliches Angriffsobjekt ist die Leibesfrucht, und zwar erst nach der Nidation. Gemäß § 218 Abs. 1 S. 2 gelten Handlungen, die sich gegen die Einnistung des Eies in der Gebärmutter richten, noch nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne des Gesetzes. - Damit ist klargestellt, dass nidationshindernde Maßnahmen der Empfängnisverhütung - z.B. durch die morning-after-Pille, intrauterine Pessare, Spiralen o.Ä. - nicht von § 218 Abs. 1 S. 1 erfasst werden, wohl aber die sog. Abtreibungspille RU 486, die regelmäßig erst nach der Einnistung wirkt. Gleichfalls werden vom § 218 Abs. 1 S. 1 nicht Einwirkungen erfasst, die erst nach Beginn der Geburt das Kind treffen oder die auf Beseitigung einer bereits abgestorbenen Frucht oder eines krankhaft entarteten Eies (Mole) zielen. - Zum Anencephalus vgl. § 2 Rdn. 12. 8 Geschützt und damit taugliches Angriffsobjekt ist auch die - noch - lebende Leibesfrucht einer hirntoten Frau.10
9
1Θ
11 12
3. Die Konzeption des Gesetzes Dem Anschein nach erfasst § 218 Abs. 1 S. 1 den Grundtatbestand des Schwangerschaftsabbruchs, während § 218 a Abs. 1 den Tatbestandsausschluss für den Fall der Schwangerschaftsunterbrechung nach Beratung durch einen Arzt und innerhalb der Zwölf-WochenFrist regelt. Da der Schwangerschaftsabbruch unter den in § 218 a Abs. 1 genannten Voraussetzungen aber der Regelfall sein wird, bedeutet das, dass eine Bestrafung nach § 218 Abs. 1 S. 1 nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen wird. Damit wird die Regel im Gesetz als Ausnahme dargestellt und umgekehrt. Dieses Verhältnis d e s § 2 1 8 z u § 2 1 8 a , d a s bereits im Verhältnis zu § 218 a a.F. gegeben war, hatte SCHROEDER als Beispiel unaufrichtiger Gesetzgebung gekennzeichnet, weil hier - in Verbindung mit der Regelung der besonders schweren Fälle in § 218 Abs. 2 - ein markiges Verbot des Schwangerschaftsabbruchs vorgetäuscht wird, das in Wirklichkeit nicht existiert.11 Der Vorwurf hat nach wie vor seine Berechtigung, denn dieser Kunstgriff verschleiert das der gesetzlichen Regelung zugrundeliegende Prinzip mit weitreichenden Folgen für die Bestimmung des Unrechtsvorwurfs in den Ausnahmefällen. Das gesetzliche Konzept ist das einer Fristenregelung mit Beratungspflicht.12 Das bedeutet: Der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen nach der E m p f ä n g n i s ist grundsätzlich straffrei und nur unter besonderen Ausnahmeumständen strafbar, weil der 8
A . A . ARZT/WEBER B . T . , § 5 R d n . 2 2 ; KINDHÄUSER B . T . I, § 6 R d n . 4 ; SCH/SCH/ESER V o r § § 2 1 8 ff R d n . 1 2 ; TRÖNDLE/FISCHER V o r § 2 1 8 R d n . 1.
9
Vgl. auch KRÖGER LK, Vor § 218 Rdn. 27.
1 0
V g l . d a z u BECKMANN M e d R 1 9 9 3 S . 1 2 3 ; GROPP M K , § 2 1 8 R d n . 7 ; HILGENDORF J u S 1 9 9 3 S . 9 9 ; R U D O L P H I S K II, § 2 1 8 R d n . 9 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 8 R d n . 3 . - E i n g e h e n d z u r P r o b l e m a t i k · MERKEL N K , § 2 1 8 Rdn. 2 8 , 1 1 8 ff.
11
SCHROEDER ZRP 1992 S. 409 f.
12
Vgl. auch GOSSEL Androulakis-FS, S. 204; LAUFS NJW 1995 S. 3042; MERKEL NK, § 218 Rdn. 1; SATZGER JuS 1997 S. 801 f; SPIEKER Die neue Ordnung 1995 S. 338 m.N.; TRÖNDLE NJW 1995 s ' 3014; DERS. MOller-Dietz-FS, S. 931 ff.
60
Abbruch der Schwangerschaft
§13
Gesetzgeber davon ausgeht, dass ein wirksamer Lebensschutz durch Bestrafung des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis nicht zu erzielen ist, sondern die Beratung bessere Möglichkeiten des Lebensschutzes bietet. 4. Die Systematik des Gesetzes a) Die tatbestandliche Regelung aa) Nicht tatbestandsmäßig ist der Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt auf Verlan- 13 gen der Schwangeren in den ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis, § 218 a Abs. 1. bb) Durch die Ausformulierung des § 218 Abs. 1 S. 1 als scheinbarer Grundtatbestand des 14 Schwangerschaftsabbruchs erfasst dieser sachwidrig qualitativ nicht miteinander vergleichbares Unrecht: Den Schwangerschaftsabbruch durch einen Nichtarzt oder nach der Zwölf-Wochen-Frist sowie den Schwangerschaftsabbruch unter Missachtung der Beratungspflicht. - Beide Verhaltensweisen, deren Unrecht qualitativ verschieden ist, hätten selbstständig vertypt gehört, während die Klarstellung, dass der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis zwar rechtswidrig ist, jedoch straffrei bleibt, an den Beginn der gesetzlichen Regelung gehört hätte.13 cc) Gegenüber der ambivalenten Regelung des § 218 Abs. 1 S. 1 enthält § 218 Abs. 2 ge- 15 setzestechnisch eine Strafschärfung in besonders schweren Fällen mit Regelbeispielen (Handeln gegen den Willen der Schwangeren, leichtfertige Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren). In der Erfassung der besonders schweren Fälle setzen sich die durch die Kaschierung 16 der Fristenlösung in § 218 Abs. 1 S. 1 begründeten sachwidrigen Konsequenzen fort: Der Arzt, der ohne Beratung den Schwangerschaftsabbruch vornimmt und leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu vgl. § 10 Rdn. 2 - der Schwangeren verursacht, haftet nach § 218 Abs. 2 Nr. 2. Strafinaß: Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Der Arzt, der nach Beratung den Schwangerschaftsabbruch vornimmt und leichtfertig die entsprechende Gefahr verursacht, bleibt straffrei, soweit nicht - zufällig - auch der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung verwirklicht ist. - Eine sachwidrige Differenzierung. dd) Die Tat der Schwangeren ist in § 218 Abs. 3 privilegiert. § 218 Abs. 3 wird ergänzt 17 durch §218 a Abs. 4 S. 2. b) Rechtfertigung Speziell auf den Schwangerschaftsabbruch bezogene Rechtfertigungsgründe sind der me- 18 dizinisch-sozial, § 218 a Abs. 2, und der kriminologisch, § 218 a Abs. 3, indizierte Schwangerschaftsabbruch. c) Persönlicher Strafausschließungsgrund § 218 a Abs. 4 S. 1 räumt der Schwangeren einen persönlichen Strafausschließungsgrund 19 ein. In ihrer Person wird damit die straffreie Fristenregelung auf die ersten 22 Wochen nach der Empfängnis ausgedehnt. d) Möglichkeit des Absehens von Strafe Unabhängig von der Möglichkeit einer Rechtfertigung oder des Strafausschlusses ermög- 20 licht § 218 Abs. 4 S. 2 in Fällen „besonderer Bedrängnis" ein Absehen von Strafe.
13
Damit wäre die Vorgabe des BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS, BVerfGE 88 S. 204, Leitsatz 11, unmittelbar umgesetzt worden.
61
§13
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
e) Versuch 21 Der Versuch des Schwangerschaftsabbruchs nach § 218 Abs. 1 S. 1 ist strafbar, § 218 Abs. 4 S. 1. - In der Person der Schwangeren bleibt der Versuch straflos. Es handelt sich hier um einen persönlichen Strafausschließungsgrund, so dass Teilnehmer am Versuch der Schwangeren strafbar bleiben, § 218 Abs. 4 S. 2. f) Flankierende Maßnahmen 22 aa) Der subsidiäre § 218 b - Schwangerschaftsabbruch ohne ärztliche Feststellung; unrichtige ärztliche Feststellung - soll die Indikationsfeststellung gewährleisten. 23 bb) § 218 c stellt ärztliche Pflichtverletzungen bei einem Schwangerschaftsabbruch unter Strafe. - Die Schwangere ist nicht nach § 218 c Abs. 1 strafbar, § 218 c Abs. 2. 24 cc) In § 219 werden die Ziele der Beratung, Abs. 1, und die Pflichten der Beratungsstelle, Abs. 2, umrissen. 25 dd) §§219 a, 2 1 9 b stellen bestimmte Teilnahmehandlungen im Vorbereitungsstadium des Schwangerschaftsabbruchs als abstrakte Gefahrdungsdelikte unter Strafe. 26 ee) § 170 Abs. 2 stellt die Verursachung des Schwangerschaftsabbruchs durch Vorenthalten des Unterhalts in verwerflicher Weise der Schwangeren gegenüber unter Strafe. - § 240 Abs. 4 Nr. 2 erfasst die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch als besonders schweren Fall der Nötigung.
II. Abbruch der Schwangerschaft 1. Der nicht tatbestandsmäßige Schwangerschaftsabbruch, § 218 α Abs. 1 27 § 218 a Abs. 1 bestimmt, dass der von einer Schwangeren verlangte und von einem Arzt nach Beratung durch eine Beratungsstelle gemäß § 219 Abs. 2 S. 1 in den ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis durchgeführte Schwangerschaftsabbruch nicht tatbestandsmäßig i.S. des § 218 ist. a) Tatbestandsausschluss und Rechtswidrigkeitsurteil 28 Mit dem Ausschluss des Tatbestandes ist grundsätzlich kein Urteil über das Unrecht des Verhaltens gefallt. Der Gesetzgeber hat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er in dem unter den genannten Umständen durchgeführten Schwangerschaftsabbruch kein strafwürdiges und strqfbedürftiges Unrecht erkennt. Der Forderung des Bundesverfassungsgerichts, den Schutz ungeborenen Lebens auch durch die Klarstellung zu gewährleisten, „daß der Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen wird und demgemäß rechtlich verboten ist" 14 , kommt der Gesetzgeber nur implizite nach. Durch den ausdrücklichen Ausschluss der Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den Fällen des § 218 a Abs. 2, 3 lässt sich argumentieren, dass in den Fällen des § 218 a Abs. 1 der Schwangerschaftsabbruch jedenfalls nicht als rechtmäßig angesehen wird, auch wenn er nicht als strafwürdiges Unrecht beurteilt wird. b) Schwangerschaftsabbruch und Nothilfe 29 Der Gesetzgeber selbst scheint allerdings die Bedeutung des Tatbestandsausschlusses nicht zutreffend erkannt zu haben, denn in der Begründung des Gesetzes wird dargetan: „Durch den Tatbestandsausschluss als bewusste Herausnahme aus dem strafrechtlich vertypten 14
BVerfGE 88 S. 255 unter Bezug auf BVerfGE 39 S. 44. - Krit. zur gesetzlichen Umsetzung: LANGER ZfL 1999 S. 47 ff. - Gleichwohl sehen den Schwangerschaftsabbruchversuch auch insoweit als rechtmäß i g an: HASSEMER M a h r e n h o l z - F S , S . 7 3 1 f f ; JAKOBS J R 2 0 0 0 S . 4 0 6 f; MERKEL N K , § 2 1 8 a R d n . 5 0
ff, 63.
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Abbruch der Schwangerschaft
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Unrecht wird außerdem zum Ausdruck gebracht, dass Schwangerschaftsabbrüche, die unter den angeführten Voraussetzungen vorgenommen werden, im Bereich des Strafrechts nicht als Unrecht zu behandeln sind. Demnach kommt unter den Voraussetzungen der Beratungsregeln auch Nothilfe (§ 32 StGB) zugunsten des Ungeborenen mit dem Ziel einer Verhinderung des Schwangerschaftsabbruchs nicht in Betracht" 15 . Diese Begründung geht an der Problematik vorbei, denn Notwehr setzt unstrittig einen 30 rechtswidrigen Angriff voraus, nicht aber einen im Sinne des Strafrechts tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen Angriff. - Der Ausschluss der Notwehr im Falle des nicht tatbestandsmäßigen Abbruchs der Schwangerschaft, den das BVerfG ausdrücklich vom Gesetzgeber gefordert hat, 16 lässt sich nunmehr nur mit dem Argument begründen, dass in der Entscheidung des Gesetzgebers zum Lebensschutz unter Verzicht auf Ausübung von Zwang durch strafrechtliche Sanktionen zugleich die Wertentscheidung gegen eine zwangsweise Austragung der Schwangerschaft liegt. Dieser Verzicht eröffne aber nicht den rechtlichen Raum fur privaten Zwang. Zwangsmaßnahmen gegen die Schwangere, die darauf abzielen, ihr in der Konfliktsituation den Abbruch der Schwangerschaft unmöglich zu machen, seien daher nicht als erforderliche Nothilfemaßnahmen im Sinne des § 32 anzuerkennen. 17 2. Der Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs, § 218 § 218 Abs. 1 S. 1 erfasst drei verschiedene Sachverhalte: Den Schwangerschaftsabbruch 31 durch einen Nichtarzt, den Schwangerschaftsabbruch nach der Zwölf-Wochen-Frist und den Schwangerschaftsabbruch unter Missachtung der Beratungspflicht, obwohl das Unrecht dieser Sachverhalte keineswegs identisch ist. a) Das Unrecht der Tathandlungen in den verschiedenen Tatsituationen Während beim Abbruch der Schwangerschaft nach der Zwölf-Wochen-Frist Tötungsun- 32 recht erfasst wird und beim Abbruch der Schwangerschaft durch einen Nichtarzt die Gesundheitsgefahrdung der Schwangeren das Unrecht wesentlich prägt, wird bei der Missachtung der Beratungspflicht die Verletzung bestimmter Verfahrens Vorschriften mit Tötungsunrecht identifiziert. Das ist grob sachwidrig und führt zu nicht akzeptablen Konsequenzen: Der nach der gesetzlichen Konzeption nicht strafwürdige und/oder strafbedürftige Schwangerschaftsabbruch wird nicht dadurch zu einem strafwürdigen und strafbedürftigen Verhalten, dass der Nachweis über eine Beratung fehlt, die - wenn es zum Schwangerschaftsabbruch kommt - erwiesener Maßen erfolglos und daher unter Lebensschutzaspekten wirkungslos geblieben ist. Nur weil jemand der Beratungspflicht ausgewichen ist, ändert sich der Bedeutungsgehalt des Verhaltens nicht von einem straffreien zu einem strafbaren Tötungsverhalten. Wäre das der Fall, dann hätte der Beratungsschein in der Tat den Charakter einer Tötungserlaubnis. - Eine im Rechtsstaat nur schwer nachvollziehbare Entscheidung die dem Sachgehalt des Vorgangs nicht annähernd gerecht würde. Wird das Konzept des Gesetzgebers vorbehaltlos als das genommen, was es ist, nämlich 33 als eine Fristenlösung mit Beratungspflicht, so bringt derjenige, der die Beratungspflicht verletzt, zum Ausdruck, dass er die vom Gesetzgeber in der Beratung erhoffte Chance des Lebensschutzes nicht nutzen will. Das hier verwirklichte Unrecht liegt in der vorsätzlichen Verweigerung, dem Lebensschutz in dieser Situation eine Chance einzuräumen. Das damit 15
BT-Drucks. 13/1850, S. 25.
16
BVerfGE 88 S. 279. - Eingehend zur Auseinandersetzung: SATZGER JUS 1997 S. 800 ff.
17
Eingehend zum Streitstand: LESCH Notwehrrecht und Beratungsschutz, 2000, S. 19 ff, sowie zur Gegenansicht S. 70 ff.
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verwirklichte Unrecht ist aber mit einem Tötungsunrecht weder identisch noch mit ihm vergleichbar. Das Tötungsunrecht wird vielmehr durch die Beratung sowie durch die weiteren Voraussetzungen des § 218 a Abs. 1 - nicht berührt. Es wird in identischer Weise verwirklicht, unabhängig davon, ob die Beratung stattgefunden hat oder nicht. Dieses Unrecht wird aber in der Konsequenz der Fristenlösung vom Gesetzgeber nicht als strafbar angesehen. Das in der Verweigerung der Beratung liegende Unrecht wird davon nicht berührt. Es ist ein qualitativ anderes. - Daher kann in der Beratung und der Erteilung des Beratungsscheins auch keine Unterstützung von Tötungsunrecht liegen. Sie stellen den Versuch dar, die an Stelle des strafrechtlichen Lebensschutzes gesetzte Chance des Lebensschutzes durch Beratung zu verwirklichen. 18 b) Die Tathandlung § 218 Abs. 1 S. 1 erfasst sowohl den Abbruch der Schwangerschaft durch einen Dritten (Fremdabtreibung) als auch den gemäß § 218 Abs. 3 und § 218 a Abs. 4 privilegierten Abbruch der Schwangerschaft durch die Schwangere selbst. aa) Die Kennzeichnung der Tathandlung als „Abbruch der Schwangerschaft" ist zwar konsequent, wenn vorausgesetzt wird, dass es hier nicht mehr allein um den Schutz des ungeborenen Lebens geht. 19 Sachlich ist die Bezeichnung aber dazu angetan, Missverständnisse zu begünstigen, denn nach wie vor ist die relevante Tathandlung das Abtöten der Leibesfrucht während der Schwangerschaft, d.h. ein Eingriff vor Beginn der Geburt, der zum Tod des Fötus fuhrt. 20 Ob der Tod schon im Mutterleib eintritt oder ob die Frucht zunächst lebend abgeht und erst danach - sei es auch schon als lebendes Kind - aufgrund des Eingriffs stirbt, ist irrelevant. - Nicht tatbestandsmäßig ist hingegen der Schwangerschaftsabbruch, wenn der Eintritt der Geburt durch wehenfördernde Mittel beschleunigt oder durch ärztlichen Eingriff die Geburt eines lebensfähigen Kindes angestrebt wird, auch wenn der Eingriff misslingt und das Kind tot zur Welt kommt. 21 In diesen Fällen fehlt es an der Zielsetzung der Abtötung der Leibesfrucht. 22 bb) Das Zulassen des Abbruchs durch die Schwangere ist - aufgrund des Ermöglichens der Tat, das positives Tun voraussetzt - im Regelfall arbeitsteiliges Anstreben des Erfolges und daher als (mit)täterschaftlicher Abbruch der Schwangerschaft erfassbar. 23 cc) In Ausnahmefallen kann der Schwangerschaftsabbruch auch durch das Unterlassen eines Garanten begangen werden. Als Garant kommt auch der Erzeuger in Betracht. Dabei ist aber wiederum die Wertentscheidung des Gesetzgebers für die Fristenlösung zu beachten. Zu Handlungen gegen den Willen der Schwangeren ist er nicht verpflichtet. Er ist insoweit nicht Vormund der Schwangeren. Ihr hat der Gesetzgeber die maßgebliche Entscheidungs- und Einflussposition eingeräumt. Daher ist eine Verpflichtung des Garanten 18 19
Dazu weiter OTTO Jura 1996 S. 138. Kritisch daher zu diesem das geschützte Rechtsgut kaschierenden Begriff LACKNER NJW 1976 S. 1235; SCHROEDER JuS 1991 S. 3 6 3 ; TRÖNDLE S p e n d e l - F S , 1 9 9 2 S. 6 2 4 .
2 0
Dazu BGHSt 31 S. 348 mit Anm. ARZT FamRZ 1983 S. 1019 f, HIRSCH JR 1985 S. 336 ff, LÜTTGER NStZ 1983 S. 481 ff; KÜPER B.T., S. 252; RUDOLPHI SK II, § 2 1 8 Rdn. 10; dazu auch MERKEL N K , §
218 Rdn. 51 ff. 21
V g l . LACKNER N J W 1 9 7 6 S. 1 2 3 5 ; LÜTTGER J R 1971 S. 133 ff.
22
Vgl. BT-Drucks. VI/3434, S. 13.
2 3
V g l . B V e r f G 8 8 S. 2 5 6 ; BÜCHNER Z R P 1991 S. 4 3 3 ; KRÖGER L K , § 2 1 8 Rdn. 19; LACKNER/KÜHL § 2 1 8 Rdn. 7; LENNARTZ M e d R 1 9 9 3 S. 1 7 9 ff; DERS. JuS 1 9 9 4 S. 9 0 3 ; MERKEL N K , § 2 1 8 Rdn. 9 0 ;
OTTO Jura 1996 S. 140; SCH/SCH/ESER § 2 1 8 Rdn. 31; UNBERATH Jb. F. Recht und Ethik 1995 S. 4 3 7 ff. - A . A . BERNSMANN JUS 1 9 9 4 S. 9; v . RENESSE Z R P 1991 S. 3 2 2 .
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Abbruch der Schwangerschaft zu zwangsweisen Maßnahmen gegen die Schwangere, um den Abbruch der Schwangerschaft zu verhindern, abzulehnen. Seine Schutz- und Fürsorgepflicht kommt daher in erster Linie bei der Abwehr Dritter und im Falle einer nicht freiverantwortlichen Entscheidung der Schwangeren zur Entfaltung. c) Vorsatz Der Vorsatz - bedingter genügt - muss sich auf die Tötung einer Leibesfrucht richten. d) Die Rechtfertigung Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe werden durch § 218 a Abs. 2, 3 - dazu sogleich unter Rdn. 45 ff - nicht ausgeschlossen. - Die Einwilligung der Schwangeren in den Abbruch der Schwangerschaft hat allerdings keine rechtfertigende Wirkung. Dies folgt aus der Tatsache, dass die Tat der Schwangeren selbst, trotz ihrer Einwilligung - soweit nicht weitere Voraussetzungen vorliegen - unter Strafe gestellt ist. - Anwendbar aber ist § 34 auch in Fällen des Abbruchs der Schwangerschaft. Der Regelung des § 218 a Abs. 2 ist jedoch zu entnehmen, dass der Gesetzgeber dem Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt Vorzug einräumt, so dass die Fälle „einer nicht anders abwendbaren Gefahr" selten sein dürften. e) Der Versuch Der Versuch ist nur für den Dritten, nicht für die Schwangere strafbar. § 218 Abs. 4 S. 2 gewährt ihr einen persönlichen Strafausschließungsgrund. f) Die Privilegierung der Schwangeren Gemäß § 218 Abs. 3 ist die Strafe in der Person der Schwangeren gemildert. Der Gesetzgeber trägt damit ihrer persönlichen Konfliktsituation Rechnung. - Volle Straffreiheit erlangt die Schwangere gemäß § 218 a Abs. 4 S. 1, wenn sie den Schwangerschaftsabbruch nach vorheriger Beratung innerhalb von 22 Wochen seit der Empfängnis von einem Arzt durchführen lässt. - Auch in weiteren Fällen ermöglicht aber § 218 a Abs. 4 S. 2 dem Gericht ein Absehen von Strafe, „wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat"; dazu weiter unter Rdn. 53 ff.
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3. Besonders schwere Fälle des Schwangerschaftsabbruchs, § 218 Abs. 2 In besonders schweren Fällen des Schwangerschaftsabbruchs droht § 218 Abs. 2 Freiheits- 42 strafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren an. Diese Strafdrohung gilt aber nur gegenüber dem Fremdtäter, nicht gegenüber der Schwangeren, wie sich aus § 218 Abs. 3 und seiner Stellung im Gesetz nach Abs. 2 ergibt. a) Handlungen gegen den Willen der Schwangeren Beim Handeln gegen den Willen der Schwangeren, Abs. 2 Nr. 1, wird ein formales Wil- 43 lensbruchsdelikt erfasst. Es setzt ein Handeln gegen den ausdrücklich oder schlüssig erklärten Willen der Schwangeren voraus. Ein Handeln gegen den mutmaßlichen Willen der Schwangeren genügt, wenn ihr Wille durch Gewalt - Narkose, Drogen - ausgeschaltet wird. 24 - Eine bloße Täuschung, die zur Einwilligung der Schwangeren führt, begründet hingegen kein Handeln gegen den Willen der Schwangeren. 25 b) Gefährdung der Schwangeren Erforderlich ist die zumindest leichtfertige Begründung der konkreten Gefahr des Todes 44 oder einer schweren Gesundheitsschädigung, d.h. eines langwierigen, qualvollen oder die 2 4
SCH/SCH/ESER § 2 1 8 R d n . 5 8 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 8 R d n . 17.
2 5
A . A . RUDOLPH! S K II, § 2 1 8 R d n . 3 0 .
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Leistungsfähigkeit schwer beeinträchtigenden physischen oder psychischen Krankheitszustandes.2^ - Die Einwilligung der Schwangeren ist irrelevant. 27
III. Der gerechtfertigte Schwangerschaftsabbruch, § 218 a Abs. 2, 3 1. Die allgemeinen Voraussetzungen des § 218 α Abs. 2, 3 45 Der nicht rechtswidrige Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 a Abs. 2, 3 setzt in jedem Fall die Vornahme des Eingriffs durch einen Arzt sowie die Einwilligung der Schwangeren voraus. - Sodann ist zu unterscheiden: 2. Der medizinisch-sozial indizierte Schwangerschaftsabbruch,
§ 218 α Abs. 2
a) Medizinische und medizinisch-soziale Indikation 46 Entgegen der entsprechenden Regelung des § 218 a Abs. 2 StGB in der Fassung des Schwangeren- und FamilienhilfeG v. 27.7.1992 knüpft § 218 a Abs. 2 nicht mehr an eine rein medizinische Indikation, sondern an eine medizinisch-soziale Indikation an, da bei der Feststellung einer Lebens- oder Gesundheitsgefahr die „gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren" zu berücksichtigen sind. 28 Essenzial der medizinischen Indikation war es, dass die Tötung des Kindes nicht das Ziel der Handlung war. Es ging darum, die durch die Schwangerschaft für das Leben oder die Gesundheit der Mutter begründeten Gefahren durch Abbruch der Schwangerschaft zu beseitigen, was allerdings im Regelfall auch zum Tod des Kindes führte. Bei der embryopathischen, kriminologischen und sozialen Indikation geht es hingegen nicht darum, die Mutter von der Last der Schwangerschaft, sondern von der Last des Kindes zu befreien. Ziel der Handlung ist daher der Tod des ungeborenen Kindes, Mittel der Realisierung dieses Ziels der Schwangerschaftsabbruch. 29 47 Damit wird auch die sog. embryopathische Indikation: Dringende Gründe sprechen fur die Annahme, dass das Kind infolge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an einer nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheitszustandes leiden würde, die so schwer wiegt, dass von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann, von der medizinisch-sozialen Indikation umfasst. Verzichtet wurde vom Gesetzgeber auf die Ausformulierung dieses „Rechtfertigungsgrundes", nicht aber auf seine Anerkennung. 30 Das ermöglicht auch in diesen Fällen einen unbefristeten Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt, d. h. auch gegenüber einer bereits lebensfähigen Leibesfrucht, obwohl Art. 3 Abs. 3 GG jede Diskriminierung Behinderter untersagt. Das ist mit dem Grundgesetz nicht mehr in Einklang zu bringen. 303 2 6
V g l . B T - D r u c k s . V I / 3 4 3 4 S. 1 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 1 8 R d n . 2 0 .
2 7
V g l . ARZT/WEBER B . T „ § 5 R d n . 3 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 1 8 R d n . 2 0 .
2 8
V g l . a u c h B G H S t 3 8 S. 1 5 7 ; BECKMANN Z f L 1 9 9 5 S. 2 8 ff; ESER JZ 1 9 9 4 S. 5 1 0 ; KRÖGER L K , § 2 1 8 a R d n . 3 2 ; OTTO Jura 1 9 9 6 S . 1 4 1 ; DERS. Z f L 1 9 9 9 S. 5 6 ; TRÖNDLE N J W 1 9 9 5 S. 3 0 1 5 .
2 9
V g l . d a z u e i n e r s e i t s B T - D r u c k s . 1 3 / 1 8 5 0 , S . 2 5 f, a n d e r e r s e i t s BECKMANN Z f L 1 9 9 5 S. 2 7 f; HELMKE Z R P 1 9 9 5 S . 4 4 1 f; LACKNER/KÜHL V o r § 2 1 8 R d n . 2 2 ; OTTO Z f L 1 9 9 9 S. 5 8 f.
3 0
V g l . d a z u a u c h BECKMANN M e d R 1 9 9 8 S. 1 5 5 ; HEPP D e r G y n ä k o l o g e 1 9 9 6 S. 4 0 8 ; TRÖNDLE N J W
30a
v g l . d a z u a u c h BECKMANN M e d R 1 9 9 8 S. 1 5 7 ; DEUTSCH Z R P 2 0 0 3 S. 3 3 2 ff; FOTH JR 2 0 0 4 S. 3 6 7 ff;
1 9 9 5 S. 3 0 1 5 . OTTO Z f L 1 9 9 9 S. 5 8 f; STARCK JZ 2 0 0 2 S . 1 0 7 1 ; TRÖNDLE K a i s e r - F S , S. 1 3 9 7 . - A . A . MERKEL N K , § 2 1 8 a R d n . 9 7 ff.
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§13
b) Die weiteren Voraussetzungen der medizinisch-sozialen Indikation Angezeigt ist der Schwangerschaftsabbruch, wenn er nach ärztlicher Erkenntnis, d.h. nach 48 den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den Erfahrungen der ärztlichen Praxis das geeignete und angemessene Mittel ist, um eine konkrete Gefahr für das Leben oder die konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden. - Als Lebensgefahr kommt auch die Suizidgefahr in Betracht. Die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes liegt vor bei der Verursachung oder Steigerung einer Krankheit sowie bei einer aufgrund einer Gesamtwürdigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse zu prognostizierenden signifikanten Verschlechterung der körperlichen und seelischen Verfassung der Schwangeren. - Das Erfordernis der schwerwiegenden Beeinträchtigung soll sicherstellen, dass nicht Belastungen als relevant beurteilt werden, die normalerweise mit einer Schwangerschaft verbunden sind oder deren Hinnahme unter Beachtung des Lebensinteresses des Ungeborenen keine Überforderung der Schwangeren bedeutet. - Aber auch bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist der Schwangerschaftsabbruch nur gerechtfertigt, wenn die Gefahr nicht auf andere zumutbare Weise abgewendet werden kann. 3. Der kriminologisch indizierte Schwangerschaftsabbruch, § 218 α Abs. 3 Der Schwangerschaftsabbruch aufgrund kriminologischer Indikation ist bis zum Ende der 49 12. Woche nach der Empfängnis zulässig. Vorausgesetzt wird eine rechtswidrige - nicht notwendig schuldhafte - Tat gemäß §§ 176 - 179, auf der die Schwangerschaft beruht. Dringende Gründe fur die Annahme, dass die Schwangerschaft auf der Tat beruht, liegen vor, wenn konkrete Indizien dafür sprechen, dass die Schwangerschaft aller Wahrscheinlichkeit nach ihren Grund in der Tat nach §§ 176 - 179 hat.
IV. Strafausschluss und Absehen von Strafe, § 218 a Abs. 4 Die Regelung des § 218 a Abs. 4 setzt einen tatbestandsmäßigen rechtswidrigen Schwan- 50 gerschaftsabbruch voraus. 1. Persönlicher Strafausschluss, § 218 α Abs. 4 S. 1 § 218 a Abs. 4 S. 1 gibt der Schwangeren einen persönlichen Strafausschließungsgrund, 51 wenn der Schwangerschaftsabbruch nach einer Beratung im Sinne des § 219 bis zur zweiundzwanzigsten Woche nach der Empfängnis von einem Arzt vorgenommen wird. - Die Rechtswidrigkeit der Tat und die Strafbarkeit anderer Beteiligter bleiben daher unberührt. Ob der Schwangerschaftsabbruch im Inland oder im Ausland ausgeführt wird, ist 52 gleichgültig. Irrelevant ist auch, ob eine Bescheinigung über die Beratung ausgegeben wurde. 2. Absehen von Strafe, § 218 α Abs. 4 S. 2 In der dem § 218 a Abs. 4 S. 2 entsprechenden Regelung des § 218 Abs. 3 S. 3 StGB in der 53 Fassung bis zum Inkrafttreten des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes war klargestellt, dass die Möglichkeit eines Absehens von Strafe nur für die Schwangere selbst begründet war: „Das Gericht kann von einer Bestrafung der Schwangeren ... absehen, wenn ...". - Diese Begrenzung hat der Gesetzgeber nunmehr aufgegeben. Auch wenn es daher zutrifft, dass „die Vergünstigung nach historischer und teleologischer Auslegung offen-
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sichtlich nur die Schwangere, nicht die übrigen an der Tat Beteiligten" betrifft, 31 so ist diese Begrenzung mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht mehr in Einklang zu bringen. 54 Da auch § 218 a Abs. 4 S. 2 einen rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch voraussetzt, erfordert er eine Bedrängnis, die einerseits noch keine Rechtfertigung für den Abbruch nach § 218 a Abs. 2 bietet, wohl aber durch deutlich schwerere Belastungen begründet ist, als sie üblicherweise mit einer Schwangerschaft verbunden sind.
V. Flankierende Maßnahmen zum Schutz ungeborener Kinder 1. Gewährleistung der Indikationsfeststellung, § 218 b 55 Abs. 1 S. 1 stellt - subsidiär gegenüber § 218 - den Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218 a Abs. 2 und 3 unter Strafe, wenn er ohne ordnungsgemäße Feststellung dieser Voraussetzungen vorgenommen wird. - Abs. 1 S. 2 erfasst die unrichtige ärztliche Feststellung, wenn sie wider besseres Wissen erfolgt. 56 Abs. 2 S. 1 bestimmt, dass ein Arzt nach einer rechtskräftigen Verurteilung wegen bestimmter Delikte von den nach § 218 a Abs. 2 oder 3 nötigen Feststellungen ausgeschlossen ist, wenn ihm die zuständige Stelle dies untersagt hat. - Abs. 2 S. 2 ermöglicht unter den dort genannten Voraussetzungen eine vorläufige Untersagung der Feststellungen. 57 Die Schwangere ist nicht strafbar nach Abs. 1 S. 1 oder 2; vgl. Abs. 1 S. 3. 2. Ärztliche Pflichtverletzung bei einem Schwangerschaftsabbruch, § 218 c 58 § 218 c Abs. 1 stellt klar, dass der den Eingriff vornehmende Arzt eigenverantwortlich über den Schwangerschaftsabbruch entscheidet und sich daher über das Vorliegen seiner Voraussetzungen vergewissern und seiner ärztlichen Aufklärungspflicht nachkommen muss. 32 59 Die Schwangere ist nicht strafbar nach § 218 c Abs. 1; vgl. Abs. 2. 3. Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage, §219 60 § 219 gibt die Grundlagen der Beratung der Schwangeren nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wieder. Ausdrücklich betont § 219 Abs. 1 S. 1, dass die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens dient. - In der Praxis wird diese Regelung aber unterlaufen, denn § 5 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, der die Einzelheiten der Beratung regelt, lässt eine entsprechend klare Zielorientierung vermissen, 33 und § 7 Abs. 3 dieses Gesetzes eröffnet entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts34 die Möglichkeit der Erteilung des Beratungsscheins, auch wenn die Schwangere eine Konfliktberatung unmöglich macht, weil sie sich weigert, die Gründe fur den Schwangerschaftsabbruch mitzuteilen. 35
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32
V g l . LACKNER/KÜHL § 2 1 8 a Rdn. 2 4 ; MERKEL N K , § 2 1 8 a Rdn. 1 6 1 ; SCH/SCH/ESER § 2 1 8 a Rdn. 7 7 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 8 a Rdn. 3 8 .
Der Gesetzgeber ist hier den Forderungen des BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS, BVerfGE 88 S. 293, nicht hinreichend nachgekommen; vgl. auch BECKMANN ZfL 1995 S. 25 f; OTTO Jura 1996 S. 143; TRÖNDLE N J W 1 9 9 5 S. 3 0 1 6 .
33
Dazu eingehender OTTO Jura 1996 S. 143.
34
BVerfGE 88 S. 210,268, 284 f, 307.
35
Vgl. dazu auch LACKNER/KÜHL § 2 1 9 Rdn. 4; OTTO Jura 1996 S. 144.
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Abbruch der Schwangerschaft 4. Strafbares Verhalten im Vorbereitungsstadium des Schwangerschaftsabbruchs, §§ 219 a, 219 b Als abstrakte Gefahrdungsdelikte stellen § 219 a die Werbung fur den Abbruch der 61 Schwangerschaft und § 219 b das In-Verkehr-Bringen von Mitteln zum illegalen Schwangerschafltsabbruch unter Strafe. 5. Mitverursachung des Schwangerschaftsabbruchs Aus der Erkenntnis heraus, dass das ungeborene Leben auch vor Gefahren zu schützen ist, 62 die von Dritten ausgehen, hatte das Bundesverfassungsgericht für Personen des familiären Umfeldes strafbewehrte Verhaltensgebote und -verböte für unerlässlich erachtet. 36 a) Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 Abs. 2 Gemäß § 170 werden Personen bestraft, die zum einen der Schwangeren gesetzlich zum 63 Unterhalt verpflichtet sind, ihr diesen Unterhalt aber vorenthalten und dadurch den Schwangerschaftsabbruch bewirken. Schon diese Situation dürfte in einem sozialen Rechtsstaat kaum relevant werden, denn Ausgleich für den materiellen Unterhalt in der hier beschriebenen Situation dürfte gewährleistet sein. Zum anderen aber muss über diese Voraussetzung hinaus der Unterhalt „in verwerflicher Weise" vorenthalten werden, so dass die Weigerung, den Unterhalt zu zahlen, allein nicht ausreicht. Das Verhalten muss über die Verweigerung hinaus noch in besonderer Weise sozial-ethisch negativ zu beurteilen sein. - Damit ist dem Tatbestand von vornherein jede Bedeutung als Mittel effektiven Lebensschutzes genommen. 37 b) Der besonders schwere Fall der Nötigung, § 240 Abs. 4 Nr. 2 Die Ergänzung des Nötigungstatbestandes kann nur als Klarstellung interpretiert werden, 64 denn auch nach bisher geltendem Recht dürfte die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch als besonders schwerer Fall beurteilt worden sein. Praktische Bedeutung hat diese Beurteilung jedoch nicht gehabt.
VI. Zur Konkurrenz zwischen Schwangerschaftsabbruch, Tötungs- und Körperverletzungsdelikten Grundlagen der Argumentation Da das ungeborene Leben unabhängig von Körper und Leben der Schwangeren angegriffen 65 werden kann, ist es rechtlich als selbstständiges Rechtsgut anzuerkennen. Sein notwendiger Schutz erfordert diese Anerkennung. Fraglich erscheint aber, ob die Anerkennung als selbstständiges Rechtsgut zwingend einen durchgehenden selbstständigen Rechtsschutz erfordert, oder ob die mit der Anerkennung als selbstständiges Rechtsgut verbundene Trennung von den Rechtsgütern der Schwangeren nicht in Grenzbereichen zu sachwidrigen Entscheidungen führt. Die Betonung der rechtlichen Selbstständigkeit kann nämlich nicht darüber hinwegfuhren, dass Schwangere und ungeborenes Kind bis zur Geburt eine natürliche Einheit bilden. 38
36
BVerfGE 88 S. 298.
37
Vgl. auch GÜNTHER SK II, § 170 b Rdn. 10; SCHITTENHELM NStZ 1997 S. 169 ff.
38
BVerfGE 88 S. 253: „Zweiheit in Einheit".
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§13 66
Der differenzierte Schutz des Rechtsgutes ist sachgerecht und notwendig in den Fällen, in denen sich der Angriff gegen das ungeborene Kind richtet und der Körper der Schwangeren über das zur Tötung des ungeborenen Kindes notwendige Maß hinaus nicht verletzt werden soll. - Richtet sich der Angriff hingegen gegen die von Mutter und Kind gebildete natürliche Einheit, so ist die auch hier von der h.M. konsequente Differenzierung der Rechtsgüter nicht überzeugend. Sachgerechter erscheint es, durch restriktive Interpretation des Anwendungsbereichs der §§ 218 ff diese auf die Fälle des vorsätzlichen Angriffs auf den Embryo, der die Schwangere gerade nicht über dessen Abtötung hinaus beeinträchtigen soll, zu begrenzen. 67 Wird hingegen die Trennung grundsätzlich akzeptiert, so wird einerseits der Strafrechtsschutz überhöht, indem Angriffe gegen das Leben einer Schwangeren auch als Abtreibung des Embryos erfasst werden, zum anderen jedoch nivelliert, weil fahrlässige Verletzungen des Embryos strafrechtlich nicht erfassbar sind: Der Schutz der §§ 218 ff setzt einen vorsätzlichen Angriff voraus, der Schutz der §§ 223 ff, 211 ff beginnt erst mit der Geburt. Damit sind Einwirkungen auf den Embryo vor der Geburt mit Wirkungen nach der Geburt strafrechtlich nicht erfasst. 39 Zur Verdeutlichung 68
a) BGHSt 11 S. 15: Der Α führ mit seinem Kraftwagen von rückwärts seine auf dem Rad fahrende, nichts ahnende schwangere Ehefrau mit voller Wucht an, so dass sie durch die Luft geschleudert wurde und 12 m vom Ort des Anpralls entfernt liegen blieb. Sie erlitt schwere Verletzungen. Ihre Leibesfrucht wurde nicht abgetötet. BGH: Α ist wegen versuchten Mordes in Idealkonkurrenz mit versuchter Abtreibung zu bestrafen. Nach der hier vertretenen Auffassung käme nur eine Bestrafung wegen versuchten Mordes in Betracht. b) Die im 7. Monat schwangere S begeht einen Selbstmordversuch mit Gift. - Als sie besinnungslos ist, wird sie entdeckt. Sofort eingeleitete ärztliche Maßnahmen führen zur Rettung ihres Lebens, der Embryo ist jedoch nicht mehr zu retten. Ergebnis: Nach der hier vertretenen Konzeption bleibt die S straffrei. - Die h.M. muss die S wegen Abtreibung bestrafen, wenn auch mit der Möglichkeit der Strafmilderung gemäß § 218 a Abs. 4 S. 2.40 c) BGHSt 28 S. 11 mit Anm. WAGNER JR 1979 S. 295 f: Α führte Abtreibungshandlungen durch, indem er Seifenlösungen in die Gebärmutter Schwangerer spritzte. (1) Die U erlitt daraufhin erhebliche Schmerzen und eine Fehlgeburt. (2) Die S erlitt erhebliche Schmerzen, die Abtreibung jedoch führte nicht zu dem gewünschten Erfolg. (3) Die Ζ stieß aufgrund der Tätigkeit des Α einen toten Fetus ab und verstarb selbst. BGH: Fall U: § 218 Abs. 1 verdrängt §§ 223, 223 a. F. (jetzt: § 224) Fall S: §§ 218 Abs. 1,23, 223 a. F. (jetzt: § 224), 52. Fall Z: §§ 218 Abs. 1,226 a.F. (jetzt: § 227), 52. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dem BGH in vollem Umfang zuzustimmen. Die mit der Abtreibung im Regelfall verbundene Körperverletzung gegenüber der Schwangeren wird durch § 218 Abs. 1 konsumiert (Fall U). Kommt es bei der Abtreibung jedoch zu Verletzungen im Sinne der §§ 226, 227 so behalten diese ihre Selbstständigkeit (Fall Z). Gelangt die Abtreibung aber nur bis zu dem Versuchsstadium, so erhält auch
39
Vgl. hierzu oben § 2 Rdn. 8 ff.
4 0
Z u r h . M . v g l . KRÖGER L K , § 2 1 8 R d n . 11; ROXIN J A 1 9 8 1 S. 5 4 3 ; RUDOLPHI S K II, § 2 1 8 R d n . 14; SCH/SCH/ESER § 2 1 8 R d n . 2 6 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 1 8 R d n . 5. - D a g e g e n : BOCKELMANN B . T . / 2 , § 2 I 2 b ; JESCHECK J Z 1 9 5 8 S. 7 4 9 ; SCHMIDHAUSER B . T . , 3 / 1 5 .
70
Abbruch der Schwangerschaft die vollendete Körperverletzung im Sinne des § 224 ihre eigenständige Bedeutung bei (Fall S), denn sie wird nicht schon bei einer versuchten Abtreibung im Regelfall als vollendete Körperverletzung verwirklicht. d) BVerfG NJW 1988 S. 2945: Durch eine fehlerhafte Diagnose bewirkte der Arzt A, dass das noch ungeborene Kind im Mutterleib verstarb. BVerfG: Fahrlässige pränatale Einwirkungen mit tödlichen Folgen sind strafrechtlich nicht erfasst. 4 ' Nach der hier vertretenen
Auffassung
wäre der Sachverhalt als fahrlässige Körperverletzung der Schwange-
ren strafrechtlich z u erfassen gewesen.
41
Vgl. OLG Bamberg NJW 1988 S. 2963; EBERBACH JR 1989 S. 267; OSTENDORF JZ 1984 S. 597 f;
42
Zur Körperverletzung gegenüber der Schwangeren bei Tötung der Leibesfrucht auch: ARZT FamRZ 1983 S. 1020.
RENGIER B . T . II, § 3 R d n . 4 f.
71
§15
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Dritter Abschnitt Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit § 14 Rechtsgut und Systematik der Körperverletzungsdelikte 1. Das geschützte Rechtsgut 1
Geschütztes Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte ist die körperliche Unversehrtheit des Menschen. Die Tat richtet sich gegen den Körper eines anderen lebenden Menschen, dazu oben § 2, Rdn. 1.
2
Da der Körper als funktionale Einheit geschützt ist, fallen vom lebenden Körper abgetrennte natürliche Teile vom Zeitpunkt der Trennung an nicht mehr unter den rechtlichen Schutz des Körpers, auch dann nicht, wenn diese Teile (z.B. zur Befruchtung entnommene Eizelle, Eigenblutspende) wieder in den Körper eingegliedert werden sollen.' Jedoch kann die Schädigung solcher Teile dann als Körperverletzung erfasst werden, wenn der Körper nach ihrer Wiedereingliederung negativ beeinträchtigt ist. 2
II. Die Systematik des Gesetzes 3
1. Der Grundtatbestand der Körperverletzungsdelikte ist § 223 Abs. 1. Qualifikationen sind §§ 224, 225 (soweit er Körperverletzungen betrifft), 340 Abs. 1, Abs. 2 in Verb, mit §§ 224, 225. - Erfolgsqualifizierte Körperverletzungsdelikte sind beschrieben in den §§ 226, 227, 340 Abs. 2 in Verb, mit § 226 und § 227. 2. Fahrlässige Körperverletzung: § 229. 3. Die Beteiligung an einer Schlägerei, § 231, ist weniger Körperverletzungsdelikt als ein „Massendelikt", das dem Schutz der Allgemeinheit vor Körperverletzungen dient. 4. § 225 ist gegenüber den Körperverletzungsdelikten als Sonderdelikt anzusehen, soweit er seelische Qualen betrifft; dazu unter § 20 Rdn. 2.
§ 15 Die Körperverletzung I. Einfache Körperverletzung, § 223 1. Körperliche Misshandlung und Gesundheitsbeschädigung 1 Der Tatbestand des § 223 enthält zwei Alternativem Die körperliche Misshandlung und die Gesundheitsschädigung. 2 a) Körperliche Misshandlung ist die „üble unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperlichen Unversehrtheit nicht unerheblich beeinträchtigt wird".3 Die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit braucht nicht not-
1
V g l . a u c h GÖSSELVDÖLLINO B . T . l , § 11 R d n . 5 . - A . A . B G H Z
1 2 4 S . 5 2 ; d a z u LAUFS/REILING
NJW
1 9 9 4 s . 7 7 5 f ; LILIE L K , V o r § 2 2 3 R d n . 1; O T T O J u r a 1 9 9 6 S . 2 1 9 f ; PAEFFGEN N K , § 2 2 3 R d n . 2 ; SCHROEDER H i r s c h - F S , S . 7 3 6 f ; TAUPITZ N J W 1 9 9 5 S . 7 4 6 f f ; T R Ö N D L E / F I S C H E R § 2 2 3 R d n . 2 . - E i n -
gehend zur Problematik: V o ß Vernichtung tiefgefrorenen Spermas als Körperverletzung, 1997, S. 80 ff. 2 3
Vgl. dazu OTTO Jura 1996 S. 220. D a z u B G H S t 14 S . 2 6 9 ; HIRSCH L K , § 2 2 3 R d n . 6 ; K R E Y B . T . l , R d n . 1 8 9 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 2 3 R d n . 4 ; RACKOW G A
2003
S.
140; SCH/SCH/ESER § 2 2 3
R d n . 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 2 3
R d n . 3 a. -
WOLTERS SK II, § 223 Rdn. 8 - will auch unerhebliche Einwirkungen auf den Körper, sofern sie durch eine üble unangemessene Gesinnung charakterisiert sind, hierher zählen. Damit wird jedoch die Grenze
72
Die Körperverletzung
§15
wendig - z.B. bei schmerzunempfindlichen oder vermindert schmerzempfindlichen Personen - mit beträchtlichen Schmerzen verbunden zu sein. Beispiele: Abscheren des Bartes (a.A. RGSt 29 S. 58), Abschneiden der Haare (BGH NJW 1953 S. 1440), Schläge gegen den Kopf einer Person, die aufgrund einer Geisteskrankheit kein Schmerzempfinden zeigt (RGSt 19 S. 136), Ohrfeige (BGH bei Dallinger, MDR 1973 S. 901), schweren Ekel erregendes Anspeien, Behandlung mit Röntgen- oder Gammastrahlen''.
aa) Eine übermäßige Schmerzempfindung (Hyperästhesie) ist bei der Beurteilung der Erheblichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen.5 - Damit wird der Strafrechtsschutz nicht zu Lasten des Täters ausgedehnt: Kennt der Täter die Hyperästhesie des Opfers nicht, so fehlt es ihm am Vorsatz. Ist sie ihm jedoch bekannt und baut er gerade auf ihr seinen verbrecherischen Plan auf, so trifft die Strafe ihn mit Recht.
3
bb) Seelische Beeinträchtigungen sind nur dann als körperliche Misshandlung anzusehen, wenn sie sich körperlich auswirken. b) Gesundheitsschädigung ist das Herbeifuhren oder die Steigerung eines nicht unerheblichen anormalen körperlichen Zustandes, unabhängig von dessen Dauer. Die Anstekkung eines anderen mit einer Krankheit, zum Beispiel die Infizierung mit Aids, ist daher tatbestandsmäßig, weil der körperliche Normalzustand des Opfers tiefgreifend verändert wird. 6 Bloße Störungen des seelischen Wohlbefindens, die keine Verschlechterung des körperlichen Zustandes zur Folge haben und keinen pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand begründen, reichen nicht aus. 7
4 5
Beispiele: Erregung von Trunkenheit (BGH NJW 1983 S. 462) oder sonstigen Rauschzuständen (BGH NJW 1970 S. 519), nervliche Zerrüttung durch lautstarkes Anfahren von Lastwagen zur Nachtzeit in Wohngegend (LG Kreuznach BB 1957 S. 93), wiederholte nächtliche Störanrufe (OLG Düsseldorf NJW 2002 S. 2118), schwerer Schock (OLG Koblenz VRS 42 S. 29), Hervorrufen oder Aufrechterhalten einer Sucht**.
2. Der ärztliche
Heileingriff
BGHSt 11 S. 111: A, der Chefarzt eines Krankenhauses, nahm bei der Ν eine Operation vor, mit der eine Gebärmuttergeschwulst entfernt werden sollte. Während der Operation ergab sich, dass die Geschwulst nicht auf der Gebärmutter saß, sondern mit ihr fest verwachsen war. Weil sie nicht anders als durch gleichzeitige Ausräumung der Gebärmutter beseitigt werden konnte, entfernte Α den ganzen Gebärmutterkörper.
Die Frage, ob der ärztliche Heileingriff eine körperliche Misshandlung darstellt, ist streitig.
zur Beleidigung verwischt; dazu auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 9 Rdn. 4; PAEFFGEN NK, § 223 Rdn. 9. - Zu Recht als überflüssig erachtet MURMANN - Jura 2004 S. 102 f f - das Erfordernis der „üblen unangemessenen Behandlung". 4
B G H S t 4 3 S . 3 0 6 ; 4 3 S . 3 4 6 m i t A n m . G E P P E R T J K 9 8 , S t G B § 2 2 3 / 2 , JEROUSCHECK J U S 1 9 9 9 S . 7 4 6 f f , RIGIZAHN J R 1 9 9 8 S . 5 2 3 f f , WOLFSLAST N S t Z 1 9 9 9 S . 1 3 3 f.
5
W i e h i e r S C H / S C H / E S E R § 2 2 3 R d n . 4 a . - A . A . LILIE L K , § 2 2 3 R d n . 7 .
6
Vgl. dazu BGHSt 36 S. 1, 6 f m.e.N; BGH NJW 1990 S. 129. - A.A. AG Kempten NJW 1988 S. 2313; PRiTTwiTZ StV 1989 S. 126 f.
7
Vgl. BGH NStZ 1997 S. 123; BGH StV 1998 S. 76; OLG Hamm MDR 1958 S. 939; LACKNER/KÜHL § 2 2 3 R d n . 5 ; T R Ö N D L E / F I S C H E R § 2 2 3 R d n . 6 ; W O L T E R S S K II, § 2 2 3 R d n . 2 3 . - A . A . K R E Y
B.T.l,
Rdn. 195; SCH/SCH/ESER § 223 Rdn. 6; WELZELLb., § 39 I 1 b. 8
OLG Frankfurt NStZ 1991 S. 235; BayObLG StV 1993 S. 642; StV 1995 S. 589; NJW 2003 S. 373.
73
6
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§15 7
8
9 10
11
12
13
a) Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der ärztliche Heileingriff stets eine körperliche Misshandlung darstellt. - Allerdings kann die Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsbeeinträchtigung durch Einwilligung ausgeschlossen sein.9 b) In der Lehre wird z.T. die Ansicht vertreten, ein lege artis durchgeführter HeileingrifF sei niemals eine Körperverletzung: der zu Heilzwecken vorgenommene Eingriff in die körperliche Integrität sei keine „üble unangemessene Behandlung des Körpers", sondern ein sinnvoller, angemessener Eingriff. 10 c) Die heute wohl h.L. will hingegen nur in dem gelungenen, zur Heilung fuhrenden, lege artis durchgeführten Heileingriff keine Körperverletzung sehen.11 d) Wieder andere verneinen nur dann eine Körperverletzung, wenn der Eingriff nicht zu einem Substanzverlust oder zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation des Patienten gefuhrt hat. 12 e) Stellungnahme: Der lege artis vorgenommene, erforderliche Heileingriff fuhrt zu einer Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens. Er ist daher keine negative Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und damit auch keine Körperverletzung, selbst wenn es zu einem Substanzverlust kommt. - Der erfolglos gebliebene oder zu einer Verschlechterung fuhrende Eingriff hat hingegen objektiv eine negative Beeinträchtigung der Körperintegrität zur Folge. - Wird „üble unangemessene Behandlung" als körperlich negative unangemessene Behandlung interpretiert und nicht als ein besonderer über die objektive Körperverletzung hinausweisender Handlungsunwert, so muss ein solcher Eingriff als Körperverletzung angesehen werden. Zuzustimmen ist daher der Lehre, die den gelungenen, lege artis durchgeführten Heileingriff nicht als Körperverletzung ansieht. Keine Körperverletzung ist daher nur der gelungene lege artis durchgeführte Heileingriff. f) Der nicht medizinisch indizierte Heileingriff, z.B. eine kosmetische Operation, die nur aus ästhetischen, nicht aber medizinischen Gründen erfolgt, und der nicht lege artis durchgeführte Eingriff sind tatbestandsmäßige Körperverletzungen.13 g) Die Tatsache schließlich, dass der Täter die Seele des Opfers über den Eingriff in die körperliche Integrität bessern will - Α prügelt den boshaften Β durch, um seine Seele zu bessern -, ändert nichts daran, dass es sich hier um eine Körperverletzung handelt. 14
3. Der Versuch der Körperverletzung 14 Der Versuch der Körperverletzung ist strafbar, § 223 Abs. 2. 9
BGHSt 11 S. 111; 16 S. 309; OLG Hamm MDR 1963 S. 520; OLG Hamburg NJW 1975 S. 603; zus t i m m e n d : ARZT/WEBER B . T . , § 6 R d n . 9 9 ; BAUMANN N J W 1 9 5 8 S. 2 0 9 3 ; KARGL G A 2 0 0 1 S. 5 5 3 ;
KINDHÄUSER StGB, § 223 Rdn. 12; KREY B.T.l, Rdn. 219; MITSCH Strafrechtlicher Schutz gegen medizinische Behandlung, 2000, S. 18 ff; RENGIER B.T. II, § 13 Rdn. 17; SCHWALM Bockelmann-FS, S. 5 4 0 . 10
Dazu ENGISCH ZStW 58 (1939) S. 5; EB. SCHMIDT 44. DJT-Gutachten, 1962, 4. Teil, S. 188 ff; WELLb., § 391 3 a.
ZEL 11
Dazu BOCKELMANN B.T./2, § 9 III 2 c, bb; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 12 Rdn. 73; HIRSCH Zipf-GdS, S. 3 6 2 ; LILIE L K , V o r § 2 2 3 SCHMIDHÄUSER B . T . 1/5.
12
Rdn.
3,
5;
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
§8
Rdn.
23;
D a z u HARDWIG G A 1 9 6 5 S. 161 f f ; SCHRÖDER N J W 1 9 6 1 S. 9 5 1 f f ; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 3 2 f f . -
Weiter differenzierend: KRAUß Bockelmann-FS, S. 574 ff. 13
Dazu MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T. 1, § 8 Rdn. 32.
14
H . M . - A . A . WÜRTENBERGER D R Z 1 9 4 8 S. 2 9 1 f f .
74
B.T.l,
Die Körperverletzung
§15
II. Zur Rechtswidrigkeit Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen kommen bei den Körperverletzungs- 15 delikten der Einwilligung sowie nach h.M. der „mutmaßlichen Einwilligung" besondere Bedeutung zu. - Problematisch ist dabei insbesondere der Anwendungsbereich der Einwilligung, denn die Einwilligung in die Körperverletzung durch einen anderen ist streng von der eigenverantwortlichen Selbstgefahrdung, die zu einer körperlichen Verletzung führt, zu trennen. Die Einwilligung als Verzicht auf Rechtsschutz gegen eine grundsätzlich strafbare 16 Rechtsgutsbeeinträchtigung setzt voraus, dass der Täter nicht nur in eine bestimmte gefahrliche Handlung einwilligt, sondern auch in ihren Erfolg. Dieses Erfolgs muss er sich mindestens im Sinne des dolus eventualis bewusst sein, denn nur in diesem Fall kann der Rechtsschutzverzicht als Ausdruck der Autonomie des Einzelnen verstanden werden. Die „Einwilligung in eine Gefahrdung" hat diesen Sinngehalt nicht. Das Handeln in 17 Kenntnis einer bestimmten Gefahrensituation kann nicht verallgemeinernd als Rechtsschutzverzicht interpretiert werden. Die „Einwilligung" in die eigene Gefährdung bedeutet nicht automatisch den Verzicht auf Rechtsschutz. Hier geht es vielmehr um allgemeine Zurechnungsprobleme, die sich dann stellen, wenn sich mehrere Personen in Kenntnis einer Gefahrenlage dieser Gefahr aussetzen oder bei ihrer Verwirklichung zusammenwirken. Zu erörtern ist, ob in derartigen Fallkonstellationen die Grundsätze einer eigenverantwortlichen Selbstgefahrdung eingreifen können, denn diese liegt nicht nur vor, wenn jemand eine bestimmte Gefahr fur die eigenen Rechtsgüter kausal begründet, sondern auch dann, wenn sich jemand freiverantwortlich und in voller Kenntnis des Risikos und der Tragweite seiner Entscheidung in eine Gefahrensituation begibt. Wer in dieser Weise eine Gefahr auf sich nimmt, schließt andere von den strafrechtlichen Folgen fur die Realisierung der Gefahr aus. 15 1. Die Einwilligung a) Voraussetzungen16 aa) Der Einwilligende muss über den Schutz durch das betroffene Rechtsgut verfügen 18 können. bb) Die Einwilligung muss vor der Tat zum Ausdruck gebracht worden sein, cc) Die Einwilligung muss frei, d.h. unbeeinflusst durch Zwang oder Täuschung, und ernstlich erklärt sein. dd) Der Einwilligende muss sich der Tragweite seiner Entscheidung bewusst sein, d.h. Wesen, Bedeutung und Tragweite der gegen ihn gerichteten Tat erkennen - Irrtümer sind beachtlich, soweit der Täter sie kennt oder soweit er zur Aufklärung verpflichtet ist. ee) Subjektives Merkmal: Kenntnis der Einwilligung durch den Täter, ff) Die Tat - Körperverletzung - darf nicht gegen die guten Sitten verstoßen, § 228 . - Die Sittenwidrigkeit der Tat will die h.M. nach dem Zweck der Beeinträchtigung bestimmen. Richtiger ist es jedoch, die Sittenwidrigkeit der Tat nach der Schwere der 15
Eingehender dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A. T., § 6 Rdn. 59 ff.
16
Eingehender dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 106 ff. - Zur Stellung der Einwilligung im Verbrechensaufbau: GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 123 ff.
75
§15
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
tatbestandlichen Verletzung zu beurteilen, da Verletzungen, deren Folgen weder fur den Einzelnen und für die Rechtsgesellschaft abzusehen sind, sozialethisch nicht mehr akzeptabel sind. 17 b) Einwilligung in Sportverletzungen 19 Bei der Verletzung von Teilnehmern sportlicher Wettkämpfe erkennt die Praxis die Möglichkeit einer Rechtfertigung durch Einwilligung an. BayObLG NJW 1961 S. 2072: Bei einem Fußballverbandsligaspiel stießen der Stürmer Α und der Torwart Μ so stark zusammen, dass der Μ einen Bruch des linken Schien- und Wadenbeins erlitt. BayObLG: Erfolgt eine Körperverletzung bei einem gegeneinander ausgetragenen Wettkampf, so ist diese durch Einwilligung gerechtfertigt, soweit sie nicht auf grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Verstoß gegen die Regeln beruht. °
20 Der Gedanke der Einwilligung trägt jedoch in diesen Fällen nicht, denn der Teilnehmer an einem Wettkampf will eigene körperliche Verletzungen vermeiden, er will aber keineswegs durch Einwilligung in die Verletzungen einen Rechtsschutzverzicht zum Ausdruck bringen. 19 Begibt sich der Teilnehmer an einem Wettkampf jedoch frei verantwortlich und in Kenntnis der möglichen Folgen seines Verhaltens in eine Gefahrensituation, so liegt insoweit eine eigenverantwortliche Selbstgefahrdung vor, die einen durch das Handeln anderer Teilnehmer begründeten Zurechnungszusammenhang unterbricht.20 c) Verantwortung fur körperliche Schäden durch Dopingmittel 21 Auch wenn ein Sportler sich Dopingmittel verschreiben lässt, kann in diesem Verhalten keine Einwilligung in etwaige Körperverletzungen gesehen werden. Wohl aber liegt auch hier eine eigenverantwortliche Selbstgefahrdung vor, wenn der Sportler die Risiken kennt und dennoch der Verabreichung freiverantwortlich zustimmt. 21 d) Verantwortung für körperliche Schäden durch Trunkenheitsfahrt. 22 Die bewusste Teilnahme an einer Trunkenheitsfahrt entspricht in ihrer rechtlichen Problematik den unter b) und c) genannten Situationen. OLG Zweibrücken Blutalkohol 1965/66 S. 388: Α und S hatten an einer Betriebsfeier teilgenommen und Alkohol in erheblichen Mengen getrunken. Anschließend fuhr A (1,37 %o Blutalkohol) mit dem Kfz nach Hause. S fuhr mit, obwohl er wusste, dass Α getrunken hatte. Es kam zu einem Unfall. S wurde leicht verletzt. OLG Zweibrücken: Ist sich der Mitfahrer der Gefährdung durch die Fahruntüchtigkeit des Fahrers bewusst, so kann im bloßen Mitfahren bereits eine rechtfertigende Einwilligung in die Körperverletzung liegen. Sachgerechter erscheint es auch hier, eine Unterbrechung des von Α begründeten Zurechnungszusammenhangs durch eigenverantwortliche Selbstgefährdung anzunehmen, da S bewusst das Risiko, das sich in seiner Verletzung realisierte, auf sich nahm, nicht aber in eine Körperverletzung einwilligte. 22
2. Die mutmaßliche Einwilligung und die hypothetische Einwilligung 23 a) Nach h.M. kann in Fällen einer rechtlich zulässigen, aber tatsächlich fehlenden Einwilligung ein Verhalten durch eine sogenannte mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt 17
Eingehender dazu OTTO Geerds-FS, S. 618 ff m.N. - Zur Kritik an der Regelung des § 228 vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT A . T . , § 6 R d n . 1 2 0 m i t F n . 9 6 .
18
Vgl. auch OLG Stuttgart MDR 1972 S. 623; OLG Stuttgart NJW 1992 S. 850.
19
Dazu bereits ESER JZ 1978 S. 368 ff; SCHILD Jura 1982 S. 520 ff.
20
Dazu eingehend OTTO Tröndle-FS, S. 170 ff, 174.
21
Eingehender dazu KARGL JZ 2002 S. 3 89 ff; OTTO SpuRt 1994 S. 10 ff.
2 2
V g l . a u c h GRUNDKURS STRAFRECHT A . T . , § 6 R d n . 6 0 f f .
76
Die Körperverletzung
§15
sein, wenn eine Einwilligung des Berechtigten nicht zu erlangen ist, aber gemutmaßt werden kann, weil der Rechtsgütereingriff in seinem Interesse erfolgt. Die mutmaßliche Einwilligung soll einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund bilden. 23 Hier sind zunächst zwei Problembereiche zu trennen 24 : Fehlt es an einer ausdrücklich 24 oder konkludent erklärten Einwilligung, aber liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Betroffene die Einwilligung erteilt hätte, so liegt die Situation einer gemutmaßten Einwilligung vor. Da ihr - wenn auch nicht mit aller Sicherheit - die Entscheidung des Betroffenen entnommen werden kann, erhält sie rechtfertigende Kraft. - Die mutmaßliche Einwilligung erlangt hingegen Relevanz, wenn keine Anhaltspunkte für eine bestimmte Entscheidung des Betroffenen vorliegen. Für diese Situation bietet die mutmaßliche Einwilligung jedoch keine eigenständigen Entscheidungskriterien. Maßgeblich ist daher hier die Entscheidung für das - in der Rechtsgesellschaft anerkannte - höherrangige Interesse. Letztlich ist danach in diesen Fällen eine Prüfung der Rechtfertigung nach den Kriterien des § 34 vorzunehmen, indem nach objektiven Maßstäben das höherrangige Interesse ermittelt wird. Wird dieses beachtet, so eröffnet die Redeweise vom selbstständigen Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung keine Fehlerquellen. b) Wird allerdings nachträglich festgestellt, dass eine Einwilligung erteilt worden wäre (hypothetische Einwilligung) oder kann das nicht ausgeschlossen werden, so entfallt die Rechtswidrigkeit nach den Grundsätzen des rechtmäßigen Alternatiwerhaltens bei fahrlässigen Eingriffen in die körperliche Integrität. - Bei vorsätzlichen Eingriffen in die körperliche Integrität kommt der hypothetischen Einwilligung hingegen keine Relevanz zu. Der Achtungsanspruch des Rechtsguts geht nicht dadurch verloren, dass u. U. später auf den rechtlichen Schutz dieses Rechtsguts verzichtet worden wäre. 25 3. Das Züchtigungsrecht Das Züchtigungsrecht beruhte auf dem familienrechtlichen Erziehungsrecht. Mit der am 25 8.11.2000 in Kraft getretenen Änderung des BGB hat der Zivilgesetzgeber das Züchtigungsrecht jedoch beseitigt, indem er in § 1631 Abs. 2 BGB festlegte: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig". - Zwar lässt dieser Wortlaut immer noch die Auslegung zu, dass nur körperliche Bestrafungen, die zugleich entwürdigende Maßnahmen sind, nicht durch das Züchtigungsrecht legitimiert sind. Der Gesetzgeber bezweckte allerdings, allen tatbestandsmäßigen Körperverletzungen die Rechtfertigung durch das Züchtigungsrecht zu nehmen. 26 Zu prüfen ist aber stets, ob eine körperliche Bestrafung - z. B. leichter Klaps oder leichte Ohrfeige - die Voraussetzungen der körperlichen Misshandlung erfüllt. - Auch zuvor waren schwere Eingriffe in die körperliche Integrität nicht gerechtfertigt.
2 3
V g l . B G H St 16 S . 3 1 2 ; 3 5 S . 2 4 9 ; 4 5 S . 2 1 9 m i t A n m . HOYER J R 2 0 0 0 S . 4 7 3 f f , WASSERBURG S t V 2 0 0 4 S . 3 7 3 ff; HIRSCH L K , V o r § 3 2 R d n . 1 2 9 ; HRUSCHKA D r e h e r - F S , S. 2 0 5 ; SCH/SCH/LENCKNER V o r § 3 2 R d n . 5 6 ; TRÖNDLE/FISCHER V o r § 3 2 R d n . 4 .
2 4
D a z u e i n g e h e n d e r GRUNDKURS STRAFRECHT A . T . , § 8 R d n . 1 2 9 ff.
2 5
D a z u e i n g e h e n d OTTO J u r a 2 0 0 4 S . 6 8 2 f; DERS. GRUNDKURS STRAFRECHT A . T . , § 8 R d n . 134. - A . A . B G H S t V 2 0 0 4 S. 3 7 6 m i t A n m . GEPPERT J K 0 4 , S t G B § 2 2 3 / 3 KUHLEN J R 2 0 0 4 S . 2 2 7 ff, RÖNNAU J Z 2 0 0 4 S . 8 0 1 ff; d a z u a u c h B G H N S t Z 2 0 0 4 S . 4 4 2 m i t A n m . OTTO J K 0 5 , S t G B § 2 2 8 / 4 , PUPPE J R 2 0 0 4 S . 4 7 0 ff; PAEFFGEN R u d o l p h i - F S , S . 2 0 8 f.
2 6
E i n g e h e n d z u m S t r e i t s t a n d : GRUNDKURS STRAFRECHT A . T . , § 8 R d n . 1 4 9 ff.
77
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§16
III. Zur Bestrafung 26 Die einfache Körperverletzung ist ein durch das Fehlen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung bedingtes Antragsdelikt, § 230. 1. Strafantrag 27 Grundsätzlich setzt die Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens einen Strafantrag des Verletzten voraus, §§ 77 ff. Sodann besteht die Möglichkeit der Privatklage, § 374 Abs. 1 Nr. 4 StPO, oder, bei „öffentlichem Interesse", des öffentlichen Verfahrens, § 376 StPO. 2. Besonderes öffentliches Interesse 28 Ist ein „besonderes öffentliches Interesse" zu bejahen, so kann die Staatsanwaltschaft auch ohne Strafantrag die öffentliche Klage erheben, § 230 Abs. 1. Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses unterliegt nicht der richterlichen Prüfung. 27
§ 16 Die gefahrliche Körperverletzung I. Der Unrechtsgehalt des § 224 1
Der Tatbestand der gefahrlichen Körperverletzung, § 224, qualifiziert § 223 Abs. 1 wegen der gefahrlichen Begehungsweise der Körperverletzung.
2
Weitgehend übereinstimmend wird die spezifische Gefahr der in § 224 genannten Tatmittel in der Eignung, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen, gesehen. Diese Interpretation ist insbesondere hinsichtlich des hinterlistigen Überfalls und der gemeinschaftlichen Körperverletzung vom Wortlaut des Gesetzes her angreifbar, entspricht aber dem Bemühen um eine sachgerechte Eingrenzung des Tatbestandes. - Die von HEINRICH hiergegen erhobenen Einwände sind daher durchaus nicht von der Hand zu weisen. 2 " Seine Auffassung, dass es hier um den Einsatz eines in besonderem Maße die Wirksamkeit des Angriffs erhöhenden Faktors zum Zwecke der Körperverletzung geht 2 9 , ist in sich schlüssig, sprengt aber die Grenzen des Gesetzeswortlauts, denn sie erfasst letztlich jedes Werkzeug als qualifizierend, nicht nur „gefährliche Werkzeuge".
3
Bei der Körperverletzung mittels der Beimengung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, einer Waffe, oder eines anderen gefahrlichen Werkzeugs handelt es sich um ein konkretes Gefahrdungsdelikt. Die Ausfuhrungsweise der Körperverletzung muss die konkrete Gefahr einer erheblichen Körperverletzung begründen. - Bei den drei anderen Ausfiihrungsweisen (hinterlistiger Überfall, mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich, das Leben gefährdende Behandlung) handelt es sich um abstrakt gefahrliche Verhaltensweisen, weil bewusst Faktoren eingesetzt werden, die die Wirksamkeit des Angriffs in besonderem Maß erhöhen. 30
27
Vgl. dazu BVerfCE 51 S. 176; BGHSt 16 S. 225; BayObLG NJW 1991 S. 1765; KRÖPIL NJW 1992 S. 654 ff.
28
HEINRICH Die gefährliche Körperverletzung, 1993, S. 494 ff.; DERS. JA 1995 S. 601 ff
29
Vgl. Körperverletzung, S. 555 ff. Einheitlich als konkretes Gefährdungsdelikt wird § 224 interpretiert von ZLESCHANG Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 292 ff.
Die gefahrliche Körperverletzung
§16
II. Die einzelnen Tatmittel 1. Gift oder andere gesundheitsschädliche Stoffe Das Unrecht der ursprünglich selbstständig in § 229 a.F. geregelten Vergiftung ist durch das 6. StrRG als Qualifikation in § 224 erfasst worden, wobei es nunmehr ausreicht, dass die Stoffe zur Schädigung der Gesundheit geeignet sind. Tatmittel sind Gift, d.h. chemische oder chemisch-physikalisch wirkende Substanzen, und andere Stoffe, z.B. Bakterien, Viren oder auch mechanisch wirkende Substanzen, die nach Art der beigebrachten Menge, der Form der Beibringung und der Beschaffenheit des Körpers des Opfers geeignet sind, die Gesundheit zu schädigen. - Beibringen setzt die Herstellung einer Körper-Stoff-Beziehung voraus, gleichgültig ob intern, z.B. durch Schlukken, oder extern, z.B. durch Begießen mit Salzsäure. Der Eintritt einer Wirkung im Inneren des Körpers ist nicht erforderlich. 31 - Geeignet zur Gesundheitsschädigung sind Stoffe, wenn sie wesentliche körperliche Funktionen nicht nur fur unerhebliche Dauer in nicht unerheblicher Weise zu beeinträchtigen vermögen. 2. Gefährliches Werkzeug Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ist das gefährliche Werkzeug der Oberbegriff der 2. Ausfuhrungsart, während die Waffe - hier im technischen Sinne zu verstehen - nur ein Beispiel für ein besonders gefahrliches Werkzeug ist. Gefährlich ist ein Werkzeug, das als Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach seiner konkreten Anwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. - Gefahrliche Werkzeuge im Sinne der Vorschrift sind nicht nur mechanisch wirksame Objekte, sondern alle Gegenstände, deren Verwendung die konkrete Gefahr erheblicher Körperverletzungen begründet. - Aus dem Wortsinn „Werkzeug" wird z.T. geschlossen, dass das Werkzeug ein beweglicher Gegenstand sein müsse. Vom Zweck der Vorschrift, konkret gefahrliche Körperverletzungen zu vermeiden, ist diese Differenzierung nicht überzeugend. - Körperteile sind keine Werkzeuge i.S. des § 224. 32 Beispiele: Schuh, wenn nach Art des Einsatzes oder der Beschaffenheit erhebliche Körperverletzungen zu befflrchten sind (vgl. B G H StV 1988 S. 62; OLG Hamm StV 2001 S. 350); Kleiderbügel, bei Schlägen ins Gesicht, nicht hingegen bei Schlägen aufs Gesäß ( B G H bei Dallinger, M D R 1975 S. 367); Zange oder Schere, bei Stößen gegen den Körper, nicht hingegen, wenn eine ärztliche Zange bei einer Operation verwendet wird, da durch die sachgerechte Verwendung eines Werkzeugs bei einer Operation gerade erhebliche, über den Eingriff hinausgehende Verletzungen vermieden werden sollen (vgl. auch B G H N J W 1978 S. 1206); Spritze in der Hand nicht zugelassenen Heilpersonals 3 3 ; Salzsäure, beim Spritzen ins Gesicht einer Person (BGHSt 1 S. 1); Brennspiritus, wenn er als Trinkalkohol ausgeschenkt wird ( B G H bei Dallinger, M D R 1956 S. 526); erhitzter Kochherd, auf den jemand mit bloßem Hintern gesetzt wird (a.A. RGSt 24, S. 372); Wand, gegen die der K o p f einer Person geschlagen wird (a. A. BGHSt 22 S. 235); Zeltstange eines Festzeltes (a.A.
31
So auch B G H M D R 1976 S. 768 mit Anm. D. MEYER JuS 1977 S. 517 ff; BGHSt 32 S. 130 mit Anm. B O T T K E N S t Z 1 9 8 4 S . 1 6 6 f, S C H A L L J Z 1 9 8 4 S. 3 3 8 f; KINDHÄUSER B . T . 1, § 9 R d n . 7 ; K Ü P E R B . T . , S. 6 5 f; RENGIER B . T . II, § 1 4 R d n . 5 . - A . A . JÄGER J u S 2 0 0 0 S . 3 5 ; JOECKS S t G B , § 2 2 4 R d n . 1 3 ; LILIE L K , § 2 2 3 R d n . 15; PAEFFGEN N K , § 2 2 4 R d n . 10.
3 2
B G H G A 1 9 8 4 S . 1 2 4 f; HARDTUNG M K , § 2 2 4 R d n . 14; JOECKS S t G B , § 2 2 4 R d n . 2 0 ; LILIE L K , § 2 2 4 R d n . 2 5 ; PAEFFGEN N K , § 2 2 4 R d n . 13. - A . A . HILGENDORF Z S t W 1 1 2 ( 2 0 0 0 ) S . 8 2 2 f f ; LESCH
GA 1 9 9 9 S. 3 7 4 f. 33
B G H N S t Z 1987 S. 174; dazu GEPPERT JK 87, StGB § 223 a/2; SOWADA JR 1988 S. 123 ff; WOLSKL G A 1 9 8 7 S . 5 2 7 ff.
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BGH bei Holtz, MDR 1979 S. 987); brennende Zigarette, die auf dem Körper des Opfers ausgedrückt wird (BGH NStZ 2002 S. 86); Uber den Kopf gestülpte Plastiktüte (BGH StV 2002 S. 482).
3. Hinterlistiger 9
Überfall
Hinterlistig ist ein Überfall, d.h. ein unvorhergesehener Angriff, bei dem der Täter seine Angriffsabsicht planmäßig verdeckt, z.B. durch Vortäuschen von Friedfertigkeit. Bloßes Ausnutzen der Überraschung genügt nicht. Beispiele: Faustschläge gegen das nichtsahnende Opfer von hinten: kein hinterlistiger Überfall (OLG Schleswig SchlHA 1953 S. 245); desgleichen: plötzlicher Angriff auf eine gegenüberstehende Person (BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 267); bloße Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers (BGH GA 1989 S. 132; BGH NStZ 2005 S. 97). Nicht hingegen: plötzlicher Überfall nach vorherigem freundschaftlichem Gruß (BGH bei Dallinger, MDR 1956 S. 526); Unbemerktes Beibringung eines Schlaf- oder Betäubungsmittels in einem Getränk (BGH NStZ 1992 S . 4 9 0 ; BGH bei Holtz, MDR 1996 S. 551); Überfall nach freundlichem Gespräch und gemeinsamem Weingenuss (BGH NStZ 2004 S. 93); Sich verbergen vor dem Opfer und dem Opfer auflauern (BGH NStZ 2005 S. 40).
4. Die mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich
begangene
Körperverletzung
10 Die früher str. Frage, ob die gemeinschaftlich handelnden Personen Mittäter sein müssen, hat das 6. StrRG dahin entschieden, dass ein gemeinschaftliches Zusammenwirken mit einem Gehilfen ausreicht. 34 Erforderlich ist aber weiterhin, dass die Beteiligten gemeinschaftlich am Tatort tätig sind, da nur in dieser Situation die Abwehrbereitschaft des Opfers durch die Verteidigung gegen mehrere Angreifer geschwächt ist. J. Lebensgefährdende
Behandlung
11 Eine lebensgefahrdende Behandlung liegt vor, wenn die konkrete Handlungsweise eine abstrakte Lebensgefahr begründet. Beispiele: Würgegriff am Hals (BGH StV 1993 S. 26; BGH NStZ-RR 2005 S. 44); Anfahren mit Kfz (BGH VRS 14 S. 286); Abschütteln vom Moped (BGH bei Dallinger, MDR 1957 S. 652); schwere Schläge mit der Faust an den Kopf einer Frau (OLG Köln NJW 1983 S. 2274); kräftiges Würgen (BGH NStZ-RR 1997 S. 67); Tritte mit beschuhtem Fuß und Knüppel gegen den Kopf (BGH NStZ 2004 S. 618 mit Anm. GEPPERT JK 05, StGB § 2 2 4 1 Nr. 5/1). - Nicht hingegen: ein kräftiger Faustschlag auf die Nase (OLG Köln StV 1994 5. 247); Kopfstoß gegen Oberkiefer (OLG Düsseldorf JZ 1995 S. 908). - Zum Infizieren mit Aids, vgl. unter Rdn. 13 ff.
III. Vorsatz 12 Der Vorsatz, bedingter genügt, muss die Umstände erfassen, aus denen sich die Gefahr einer erheblichen Körperverletzung ergibt. - Bei der zweiten Begehungsweise muss der Täter darüber hinaus wissen, dass das Werkzeug nach seiner konkreten Anwendung die
34
So auch BGHSt 47 S. 383 mit Anm. GEPPERT JK 03, StGB § 224 I Nr. 4/2, B. HEINRICH J R 2003 S. 213 ff, KÖPER GA 2003 S. 363 ff, PAEFFGEN StV 2004 S. 77, SCHROTH JZ 2003 S. 215 f, STREE NStZ 2003 S. 203 f; DEMKO Zur „Relativität der Rechtsbegriffe" in strafrechtlichen Tatbeständen, 2002, S. 190 ff, 210; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 13 Rdn. 43; HORNLE Jura 1998 S. 178; JÄGER JUS 2000 S. 35 f; K Ö P E R B . T . , S . 5 4 ; LACKNER/KUHL § 2 2 4 R d n . 7 ; LESCH J A 1 9 9 8 S . 4 7 4 ; RENGIER B . T . II, § 1 4 R d n . 1 5 . - A . A . B G H N S t Z 2 0 0 0 S . 1 9 4 ; K R E Y B . T . 1, R d n . 2 5 2 b ; PAEFFGEN N K , § 2 2 4 R d n . 2 3 ; SCHROTH
NJW 1998 S. 2861 f.
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Die gefahrliche Körperverletzung
§16
konkrete Gefahr erheblicher Körperverletzungen begründet. - Bei den anderen Begehungsweisen muss der Täter sich der jeweils abstrakten Gefahr bewusst sein. 35
IV. Sonderproblem Aids 1. Infizieren mit Aids Im Infizieren mit Aids hat der BGH zutreffend eine gefahrliche Körperverletzung mittels 13 einer das Leben gefährdenden Behandlung gesehen. Auch den Vorsatz hat der BGH mit dem Hinweis darauf, dass die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns ergibt, genügt, bejaht. Den Tötungsvorsatz hat der BGH im konkreten Fall mit der Erwägung abgelehnt, es sei nicht erwiesen, dass der Täter die Hemmschwelle zur Tötung überschritten habe. - Dies wäre allerdings kaum nachvollziehbar, wenn es sich z.B. um einen Täter handelt, der zwischen 100 - 500 Frauen bewusst angesteckt hat, weil er nach eigenem Bekunden „Menschen töten wollte". 36 a) Die Annahme einer gefahrlichen Körperverletzung bei erfolgter Infizierung bezie- 14 hungsweise eines Versuchs der gefahrlichen Körperverletzung bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr, wenn die Infizierung selbst nicht erfolgt oder nicht nachweisbar ist, erscheint zutreffend. Die Infizierung mit einer Krankheit ist eine Gesundheitsbeschädigung, auch wenn die Krankheit selbst noch nicht zum Ausbruch gekommen ist. Problematischer ist die Bejahung des Vorsatzes. Maßgeblich ist hier, ob nach dem der- 15 zeit bekannten Wissensstand der ungeschützte Geschlechtsverkehr bereits die konkrete Gefahr einer Ansteckung begründet oder ob dieses Risiko aufgrund des geringen Wahrscheinlichkeitsgrades einer Ansteckung als bloß abstrakte Gefahr abgetan werden kann. Geht man mit dem BGH davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung nicht so gering ist, dass ihr bereits Zufallswert zukommt, so ist das Bewusstsein der konkreten Gefahrdung zu bejahen, denn jeder Geschlechtsverkehr ist dann geeignet, die Krankheit zu übertragen, und dieses Wissen kann im konkreten Fall nur unter besonderen individuellen Umständen fehlen. Zieht man diese Konsequenz, dann ist sowohl der Vorsatz lebensgefahrdender Behandlung als auch der einer schweren Körperverletzung im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 (Siechtum) und letztlich der - auch bedingte - Tötungsvorsatz nicht auszuschließen. 37 3 5
Str. - W i e hier: B A C K M A N N M D R
1 9 7 6 S. 9 7 6 ; HARDTUNG M K , § 2 2 4 Rdn. 3 6 ; HERDEGEN
BGH-FS,
S. 2 0 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 2 4 Rdn 9; LILIE L K , § 2 2 4 Rdn. 38. - Kenntnis der Umstände, aus denen die Gefährlichkeit sich objektiv ergibt lassen genügen für die erste Begehungsweise: B G H S t 19 S. 3 5 2 ; BGH NJW
1 9 9 0 S. 3 1 5 6 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 2 4 R d n . 13; W O L T E R S S K II, § 2 2 4 R d n .
19; fur die
fünfte Begehungsweise: B G H S t 19 S. 3 5 2 ; 2 8 S. 17; B G H N J W 1989 S. 7 8 5 ; KINDHÄUSER B.T. I, § 9 Rdn. 24;
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
B.T.l,
§9
Rdn.
18; TRÖNDLE/FISCHER
§224
Rdn.
13;
W O L T E R S S K II, § 2 2 4 R d n . 3 1 . 3 6
Vgl. einerseits B G H S t 3 6 S. 1, 15 f mit Anm. BRUNS M D R 1989 S. 199 ff, HELGERTH N S t Z 1989 S. 1 1 7 f, H E R Z B E R G J Z 1 9 8 9 S . 4 7 0 f f , P R I T T W I T Z S t V 1 9 8 9 S . 1 2 3 f f , S C H Ü N E M A N N J R 1 9 8 9 S . 8 9 , 9 2 f;
andererseits: „Rachefeldzug" für AIDS-Erkrankung, in: FAZ v o m 19.10.2004, Nr. 2 4 4 , S. 9. 3 7
Im Einzelnen zur Diskussion außer den oben genannten: BOTTKE in: Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.), Die Rechtsprobleme von Aids, 1988, S. 171 ff; CANESTRARI G A 2 0 0 4 S. 2 1 0 ff, 2 2 6 f; GEPPERT Jura 1987 S. 6 6 8 ff; Herzberg in: Szwarc (Hrsg), A I D S und Strafrecht, 1996, S. 61 ff; KNAUER G A 1998 S. 431 f f ; K R E U T Z E R Z S t W 1 0 0 ( 1 9 8 8 ) S . 7 8 6 ff; L I L I E L K , V o r § 2 2 3 R d n . 1 3 ; H . W . M A Y E R J u S 1 9 9 0 S . 7 8 4 ff; B . - D . MEIER G A
1 9 8 9 S. 2 0 7
ff; PAEFFGEN N K ,
§ 224
R d n . 3 5 ; RENGIER Jura
1989
S. 2 2 5
ff;
SCHÜNEMANN in: Szwarc (Hrsg), A I D S und Strafrecht, 1996, S. 9 ff. - Für Anwendung des § 3 3 0 a: WISENSCHIL Z R P 1 9 9 8 S. 6 3 .
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§16
16 b) Streitig ist, ob der kondomgeschützte Verkehr des HlV-Infizierten mit einem nicht über die Krankheit informierten Partner noch als sozialadäquates (erlaubtes) Risiko angesehen werden kann. Dagegen spricht, dass der Schutz durch ein Kondom das Risiko einer Ansteckung mindert, nicht aber ausschließt, und auch das Restrisiko noch recht erheblich ist (str.). Dafür spricht, dass öffentliche Kampagnen durch die zuständigen Gesundheitsbehörden, z.B. „Kondome schützen", das Bewusstsein geprägt haben, in diesen Fällen verbleibe nur ein irrelevantes Restrisiko. Das ist im konkreten Fall im subjektiven Tatbestand zu berücksichtigen. 38 2. Einverständlicher Geschlechtsverkehr mit Aidsinfiziertem 17 Beim Geschlechtsverkehr mit einem mit Aids infizierten Partner entscheidet der Grad des Gefahrenbewusstseins über die rechtlichen Konsequenzen: Ist sich der gesunde Partner des Risikos der Körperverletzung im Sinne des dolus eventualis bewusst, so liegt eine Einwilligung in die Schädigung vor. Liegt lediglich das Bewusstsein abstrakter Gefahr vor, so handelt es sich um einen Akt eigenverantwortlicher Selbstgefahrdung. - Geht man davon aus, dass hier dolus eventualis bzgl. einer Tötung vorliegt, so rechtfertigt die Einwilligung nicht. 39 3. Blutentnahme für verheimlichten Aids-Test 18 Aids-Tests, die zur sachgerechten Diagnose oder Therapie bei einer ärztlichen Behandlung erforderlich sind, werden von der Einwilligung in die Untersuchung oder Behandlung erfasst und sind daher - auch soweit dieser Eingriff als Körperverletzung angesehen wird; dazu § 15 Rdn. 6 ff - nicht als solche aufklärungsbedürfitig.40 19 Bei einer Blutentnahme und ihrer Untersuchung zum Schutz Dritter (Arzt und Personal) ist die Venenpunktion in jedem Fall ein Eingriff in die körperliche Integrität, der als tatbestandsmäßige Körperverletzung anzusehen ist. Dieser Eingriff ist durch die Einwilligung in die Untersuchung und/oder Behandlung nicht gedeckt. In Betracht kommt aber eine Rechtfertigung nach § 34. Grundsätzlich wird man hier, wenn Schutzmaßnahmen aufgrund der Behandlung oder Untersuchung angezeigt sind, eine Rechtfertigung nach § 34 annehmen müssen. 41
38
Eingehend zum Streitstand KNAUER AIFO 1994 S. 466 ff; DERS. GA 1998 S. 439 ff. - Im Übrigen vgl. einerseits FRISCH JUS 1990 S. 364; H. - W. MAYER JUS 1990 S. 786; RENGIER Jura 1989 S. 231; andererseits BRUNS MDR 1989 S. 199; HERZBERG JZ 1989 S. 475; DERS. in: Szwarc (Hrsg.), Rechtsp r o p l e m e , S . 8 3 ; B . - D . MEIER G A 1 9 8 9 S . 2 3 0 ; PRITTWITZ S t V 1 9 8 9 S . 1 2 7 .
39
Im Einzelnen zur Diskussion: BayObLG NJW 1990 S. 131 mit Anm. GEPPERT JK 90, StGB § 223a/4; BOTTKE in: R e c h t s p r o b l e m e , S . 1 8 2 f f , 1 8 4 ; DÖLLING J R 1 9 9 0 S . 4 7 5 ff; EBERBACH JR 1 9 8 6 S . 2 3 1 ; HELGERTH N S t Z 1 9 8 8 S. 2 6 1 ff; HERZBERG N J W 1 9 8 7 S . 1 4 6 2 ; HERZOG/NESTLER-TREMEL S t V
1987
S . 3 6 6 ; OTTO T r ö n d l e - F S , 1 9 8 9 , S . 1 6 6 f; PRITTWITZ J A 1 9 8 8 S . 4 3 2 ; RENGIER Jura 1 9 8 9 S . 2 2 5 , 2 3 0 ; SCHLEHOFER N J W 1 9 8 9 S . 2 0 1 7 ff; WOLTERS S K II, § 2 2 3 R d n . 2 2 c. 40
Vgl. LACKNER/KÜHL, § 2 2 8 Rdn. 15; LAUFS/LAUFS NJW 1987 S. 2263; LAUFS/NARR MedR 1987 S . 2 8 2 ; LESCH N J W 1 9 8 9 S . 2 3 0 9 ff; SCH/SCH/ESER § 2 2 3 R d n . 4 1 ; SOLBACH/SOLBACH M e d R S.
41
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1988
241.
Vgl. auch BOTTKE in: Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.), Die Rechtsprobleme von AIDS, 1988, 226; SCHÜNEMANN in: Busch (Hrsg.), HIV/AIDS und Straffälligkeit, 1991, S. 144; SOLBACH/SOLBACH JA 1988 S. 116.
§17
Schwere Körperverletzung
Soweit eine Ansteckungsgefahr aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen erscheint, entfällt die Rechtfertigung. 42 Unter Verweis auf das Erfordernis der Rechtsgutsbezogenheit der Willensmängel bei der Einwilligung wird eine Rechtfertigung durch Einwilligung stets dann bejaht, wenn der Betroffene über den körperlichen Eingriff aufgeklärt worden ist. Die Täuschung über den Test soll als Motivirrtum irrelevant sein.'*·' Damit wird der Einwilligung letztlich die Bedeutung genommen, sicherzustellen, dass Eingriffe in die körperliche Integrität nur insoweit zulässig sind, wie der Rechtsgutsinhaber in voller Kenntnis der Situation über seine körperliche Integrität verfugt hat. 4 4
20
§ 17 Schwere Körperverletzung I. Der Aufbau des § 226 1. Die fahrlässige und bedingt vorsätzliche Tatbegehung, Abs. 1 § 226 qualifiziert den Grundtatbestand des § 223 aufgrund der Art und Schwere des Er- 1 folges. Er ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt. Die Aufzählung schwerer Folgen ist abschließend. 45 a) In der schweren Folge muss sich eine in der Körperverletzungshandlung typischerweise 2 angelegte Gefahr realisiert haben. 46 b) Die Körperverletzung muss vorsätzlich, die in Abs. 1 beschriebene schwere Folge fahr- 3 lässig oder bedingt vorsätzlich verursacht worden sein, § 18, da sonst eine Strafbarkeitslücke zwischen Abs. 1 und Abs. 2 begründet würde. 2. Die absichtliche oder wissentliche Tatbegehung, Abs. 2 § 226 Abs. 2 qualifiziert den § 226 Abs. 1 wegen des erhöhten subjektiven Unrechts. - Hat der Täter eine der in § 226 Abs. 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich verursacht, so greift § 226 Abs. 2 ein. - Das gilt auch dann, wenn der Täter mit direktem Tötungsvorsatz handelt, aber die schwere Folge als notwendiges Durchgangsstadium der Tötung sieht. 4 7
4
II. Die einzelnen Merkmale 1. Verlust des Sehvermögens, des Gehörs, des Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit, Abs. 1 Nr. 1 Ein Verlust des Sehvermögens, des Gehörs oder des Sprechvermögens liegt vor, wenn dies auf einen im täglichen Leben nicht mehr wesentlichen Rest reduziert ist. - Sprechvermögen ist die Fähigkeit zu artikuliertem Reden. - Fortpflanzungsfähigkeit erfasst Zeugungs- und Empfangnisfahigkeit. Bei der Prognose, ob ein Verlust als dauernd angesehen werden 4 2
D a z u BRUNS M D R
1 9 8 7 S. 3 5 5 ; EBERBACH N J W
1 9 8 7 S. 1472; JANKER N J W
1 9 8 7 S. 2 9 0 2
f;
DERS. Strafrechtliche Aspekte heimlicher Aids-Tests, 1988, S. 85 ff; MICHEL JuS 1988 S. 10. 43
Vgl. SCHLEHOFER Jura 1989 S. 265.
44
Eingehender zur Kritik an der Lehre von der Rechtsgutsbezogenheit der Willensmängel: OTTO GeerdsFS, S. 615 ff.
45
Vgl. auch BGH StV 1992 S. 115.
46
Die Problematik der Zurechnung der schweren Folge entspricht hier der des § 227; vgl. zur Auseinandersetzung daher unter § 18 Rdn. 1 ff.
47
Weiter BGH JZ 2002 S. 413, 414 mit Anm. JOERDEN S. 414 ff.
83
5
§17
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
kann, ist die Möglichkeit einer zumutbaren operativen Wiederherstellung zu berücksichtigen. - Dass durch künstliche Hilfsmittel (z.B. Kontaktlinsen oder Brille) eine Abmilderung der körperlichen Beeinträchtigung erreicht werden kann, berührt die Tatbestandsmäßigkeit nicht. 48 2. Verlust oder Unbrauchbarkeit eines wichtigen Glieds, Abs. 1 Nr. 2 6 Wichtiges Glied ist ein Körperteil mit herausgehobener Funktion im Gesamtorganismus. Das sind nicht nur die durch Gelenke verbundenen äußeren Körperteile, z.B. Daumen oder Zeigefinger, sondern auch innere Organe, z.B. die Niere. 49 Denn entscheidend fur die Qualifizierung ist die Schwere der körperlichen Schädigung, nicht aber eine formale Unterscheidung nach äußeren und inneren Organen. 7 Wichtig bestimmt die h.M. aus der Sicht des individuell Betroffenen (wichtig z.B. der kleine Finger des Pianisten), während die Gegenmeinung die Wichtigkeit aus der Funktion fur den Gesamtorganismus bestimmt. 50 - Der h.M. ist zuzustimmen, denn sie eröffnet den sachgerechteren Schutz des individuellen Opfers, ohne dem Täter ein unangemessenes Risiko anzulasten, da der subjektive Tatbestand sich auf die Voraussetzungen, die das Glied zu einem wichtigen machen, beziehen muss. 8 Dem Verlust des Gliedes, d.h. der Abtrennung des Körperteils, hat der Gesetzgeber die dauernde Unbrauchbarkeit, d.h. die dauernde Funktionsuntüchtigkeit gleichgestellt.51 9
3. Die dauernde Entstellung, Abs. 1 Nr. 3, 1. Alt. Eine erhebliche dauernde Entstellung liegt vor, wenn die Verunstaltung der Gesamterscheinung nicht in absehbarer Zeit zu beheben ist. Kann die Entstellung durch künstliche Hilfsmittel beseitigt werden, so ist dies zu berücksichtigen. 52
4. Der Verfall in Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit, Abs. 1 Nr. 3, 2.- 5. Alt. 10 Verfall ist ein in absehbarer Zeit nicht behebbarer chronischer Krankheitszustand. - Siechtum bedeutet ein Schwinden geistiger und körperlicher Kräfte, das zur allgemeinen Hilflosigkeit führt. - Lähmung ist die Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit eines Körperteils, die - wenn auch mittelbar - die Bewegungsfahigkeit des ganzen Körpers in Mitleidenschaft zieht, z.B. die Versteifung des Hüftgelenks, eines Armes oder des Knies. 53 - Geisteskrankheiten sind die exogenen und endogenen Psychosen. - Die Behinderung meint gleichfalls geistige Behinderungen, wie der enge Bezug auf die Geisteskrankheit und die Selbstständigkeit des Merkmals ergeben, das sonst die Nr. 1 weitgehend enthalten würde. Erfasst werden als geistige Behinderung die dauerhaften geistigen Beeinträchtigungen, die nicht psychiatrisch behandelbar sind. 54
48
Vgl. BayOblG NStZ-RR 2004 S. 264 mit Anm.
49
So auch OLG Neustadt NJW 1961 S. 2076; E B E R T JA 1979 S. 278; K Ü P E R B.T., S. 175; R E N G I E R BGH-FG, S. 471 f. - A.A. BGHSt 28 S. 100; H I R S C H JZ 1979 S. 109; J Ä G E R JuS 2000, S. 37; PAEFFGEN N K ,
50
§ 224
OTTO
JK 05, StGB § 226/10.
R d n . 2 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 2 6 R d n .
Zur Auseinandersetzung:
PAEFFGEN
6.
NK, § 226 Rdn. 24.
51
Vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 16; dazu RENGIER ZStW 111 (1999) S. 16.
5 2
B G H S t 2 4 S . 3 1 5 m i t A n m . HANACK J R 1 9 7 2 S. 4 7 2 f f , u n d ULSENHEIMER J Z 1 9 7 3 S. 6 4 f f . - Z u r
Schönheitsoperation LG Berlin NStZ 1993 S. 286. 53
Vgl. auch BGH NJW 1988 S. 2622.
54
Vgl.
84
HÖRNLE
Jura 1998 S. 179;
WOLTERS
JuS 1998 S. 585. - Einschr.
SCHROTH
NJW 1998 S. 2862 f.
Körperverletzung mit Todesfolge
§18
III. Versuch und Täterschaft /. Der Versuch Soweit der Täter die schwere Folge vorsätzlich anstrebt oder sich ihrer Verwirklichung 11 bewusst ist, § 226 Abs. 2, bzw. die konkrete Gefahr ihrer Verwirklichung erkannt hat und dennoch handelt (bedingter Vorsatz), § 226 Abs. 1, ist nach h.M. ein strafbarer Versuch möglich, da die Situation der eines vorsätzlichen Erfolgsdelikts entspricht. Aber auch dann, wenn der Täter bereits beim Versuch des Grundtatbestandes die schwere Folge fahrlässig verwirklicht, § 226 Abs. 1, liegt ein strafbarer Versuch vor. 55 2. Täterschaft Ob Täterschaft oder Teilnahme vorliegt, ist nach den Beteiligungsformen am Grunddelikt 12 zu bestimmen. - Eine Bestrafung aus § 226 setzt aber die im Einzelnen geforderten subjektiven Voraussetzungen bei dem jeweiligen Beteiligten bezüglich der schweren Folge voraus.
§ 18 Körperverletzung mit Todesfolge I. Der Aufbau des § 227 1. Das Verhältnis zwischen Grundtatbestand und schwerer Folge a) § 227 beschreibt ein erfolgsqualifiziertes Delikt; beachte § 18. b) Einigkeit besteht heute darüber, dass zwischen der Verwirklichung des Grundtatbestandes und der Herbeiführung der schweren Folge eine engere Beziehung bestehen muss als die bloße Kausalität. Der Erfolg muss sich als Realisierung der typischen (spezifischen) Gefahr des Grundtatbestandes erweisen. 56 Da das erfolgsqualifizierte Delikt besonders gefahrlichen Handlungen entgegenwirken will, ist dieser Zusammenhang dann gegeben, wenn der Körperverletzungshandlung das Risiko eines tödlichen Ausganges anhaftet und sich eben dieses spezifische, der Tathandlung eigene Risiko im Eintritt des Erfolges verwirklicht. 57 - Maßgeblich ist es daher nicht in erster Linie, ob der Tod nach einer Körperverletzung durch den Täter, das Opfer selbst oder einem Dritten herbeigeführt wurde, 58 wohl aber fehlt es an dem nötigem Zusammen-
5 5
S t r . v g l . i m E i n z e l n e n G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 1 8 R d n . 7 8 ff.
56
Ursprünglich hatte die Rechtsprechung hier auf das Erfordernis der Unmittelbarkeit zwischen der Verwirklichung des Grundtatbestandes und der besonderen Folge abgestellt - vgl. BGHSt 14 S. 112; 19 S. 387; 24 S. 215 später diese zu engen Grenzen jedoch gesprengt - vgl. BGHSt 31 S. 98 f; 32 S. 27 f; BGH N J W 1992 S. 1708 f ohne sich ausdrücklich vom Unmittelbarkeitserfordernis zu distanzieren; v g l . d a z u a u c h G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 11 R d n . 4 ff; PAEFFGEN N K , § 2 2 7 R d n . 8 .
5 7
V g l . B G H S t V 1 9 9 8 S . 2 0 3 m i t A n m . O T T O J K 9 8 , S t G B § 2 2 6 a . F . / 8 ; KINDHÄUSER B . T . I, § 1 0 R d n . 1 0 ; LAUBENTHAL J Z 1 9 8 7 S . 1 0 6 8 ; PAEFFGEN N K , § 2 2 7 R d n . 9 ; W O L T E R J R 1 9 8 6 S . 4 6 6 . - E i n e n
spezifischen Zusammenhang zwischen dem Erfolg des Grundtatbestandes
und dem Todeserfolg fordern
d e m g e g e n ü b e r ; GEILEN W e l z e l - F S , S . 6 8 1 ; HARDTUNG M K , § 2 2 7 R d n . 12 ff; HIRSCH J R 1 9 8 3 S. 7 8 f f ;
DERS. LK, § 227 Rdn. 5; KÜPPER Der „unmittelbare" Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 85 ff; DERS. Hirsch-FS, S. 617 ff; LACKNER/KÜHL § 2 2 7 R d n . 2 ; SCHLAPP S t V 1 9 8 3 S . 6 2 ff; ULSENHEIMER G A 1 9 6 6 S . 2 7 2 . 58
Vgl. BGH StV 1998 S. 203.
85
1
2
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
3
4
hang, wenn der Tod auf dem frei verantwortlichen Verhalten eines Dritten oder des Opfers in voller Kenntnis der Gefahrensituation beruht.59 c) Bei einer mittäterschaftlichen Körperverletzung kann der unmittelbar von einem Mittäter verursachte Todeserfolg den anderen Mittätern zugerechnet werden, wenn die körperverletzende Handlung im Rahmen des gemeinschaftlichen Körperverletzungsvorsatzes lag und auch den anderen Mittätern hinsichtlich des Todeserfolges Fahrlässigkeit zur Last fällt. 60 d) Ein strafbarer Versuch des § 227 liegt vor, wenn der für den Täter vorhersehbare Todeserfolg beim Versuch des Grunddelikts eintritt.61 - Strebt der Täter den Todeserfolg vorsätzlich an, so greifen die §§ 211 ff ein, § 227 ist subsidiär. 2. Zur Einübung
5
a) BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 196: Α benutzt eine Pistole als Schlagwerkzeug gegen B. Ungewollt löst sich ein Schuss, durch den Β getötet wird. BGH: § 226 a.F. liegt vor. - Dem kann nicht gefolgt werden, denn der Tod durch Erschießen ist nicht mehr typische Folge eines Schlages mit gefährlichem Werkzeug. Nicht die Schlaggefahr hat sich realisiert, sondern eine Gefahr, die nicht typisch war für die angestrebte Verletzung.
6
b) BGH NJ W 1971 S. 152: Α schlägt auf die Β ein und verletzt sie erheblich. Um weiteren Schlägen zu entgehen, springt Β aus dem Fenster. Sie stürzt tödlich. BGH: § 226 a.F. liegt nicht vor, nur §§ 223, 222, 52. - Dem wäre im Ergebnis zuzustimmen, wenn Β mit im Rechtssinn freien Willen gehandelt hätte. Da sich Β jedoch in einem Nötigungsnotstand befand, war ihr Wille nicht frei, und insofern ist der Erfolg dem Α zuzurechnen, nicht aber auf die freie - den Zurechnungszusammenhang unterbrechende - Entscheidung der Β zurückzuführen. - Zweifelhaft ist allerdings, ob der BGH noch an dieser Rechtsprechung festhält, denn in einem Falle „selbstschädigenden Panikverhaltens" durch das Opfer hat er den Zurechnungszusammenhang bejaht. 6 2
7
c) BGHSt 31 S. 96: Α warf den Hochsitz um, auf dem der D in 3,5 m Höhe saß. D fiel herunter und brach sich den Knöchel. Der Bruch wurde operativ behandelt. Nach der Entlassung aus der Klinik blieb D fast ausschließlich im Bett. Ihm war nicht gesagt worden, dass er der Gefahr einer Lungenembolie durch Bewegung vorbeugen müsste. D starb an einer Lungenembolie. BGH: § 226 a.F. ist gegeben. - Dem ist zuzustimmen, denn im Tode des D realisierte sich eine in einer Körperverletzung typischerweise angelegte Gefahr. Die Tatsache, dass D sachwidrig nicht auf die Emboliegefahr hingewiesen worden war, unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht, da hier kein Handeln eines Dritten im vollen Bewusstsein der Gefahrensituation vorliegt.
8
d) BGH NStZ 1994 S. 394: Ρ und S hatten die Η zusammengeschlagen. H, die alkoholkrank war, wurde schwerverletzt in ein Krankenhaus gebracht. Obwohl der Η mitgeteilt worden war, dass sie stationär behandelt werden müsse, weil Lebensgefahr bestehe, begab sie sich in ihre Wohnung zurück, um dort weiter zu trinken. - Η starb drei Tage später an Verletzungen, die durch die Fausthiebe von Ρ und S ausgelöst worden waren. Im Falle einer Behandlung der Η wäre der Tod verhindert worden. BGH: In dem Tod der Η hat sich die dem Grundtatbestand des § 223 StGB anhaftende eigentümliche Gefahr niedergeschlagen, da der Eintritt des Todes nicht außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit lag. - Diese Über59
Vgl. BGHSt 31 S. 99; 32 S. 25; LACKNER/KÜHL § 227 Rdn. 2; PUPPE NStZ 1983 S. 22 ff; RENGIER Jura
60
Vgl. BGH NStZ 1994 S. 339 mit Anm. OTTO JK 95, StGB § 226/5; BGH StV 1997 S. 581 mit Anm.
61
Vgl. BGHSt 48 S. 34, 37 ff mit Anm. HARDTUNG NStZ 2003 S. 261 ff, PUPPE JR 2003 S. 123 ff; vgl. dazu auch oben § 17 Rdn. 11.
62
Vgl. BGH NStZ 1992 S. 335 mit Anm. GEPPERT JK 92, StGB § 226/3, GRAUL JR 1992 S. 344 ff, MITSCH Jura 1993 S. 18 ff.
1 9 8 6 S. 143 ff; SCH/SCH/STREE § 2 2 6 R d n . 4 ; STREE J Z 1 9 8 3 S. 7 5 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 2 7 R d n . 5.
STEIN S. 5 8 2 f; LACKNER/KÜHL § 2 2 7 R d n . 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 2 7 R d n . 10.
86
Körperverletzung mit Todesfolge legungen gehen an der Problematik des Falles vorbei, denn bei der Frage, ob jemand aufgrund eigenverantwortlicher Selbstgefährdung für einen Erfolg verantwortlich ist oder nicht, geht es nicht darum, ob dem „Erstgefährdenden die eigenverantwortliche Selbstgefahrdung des Opfers nach aller Lebenserfahrung vorhersehbar war oder nicht." Es geht darum, ob der Ersttäter auch für ein selbstgefUhrdendes Verhalten des Opfers verantwortlich ist oder nicht. Das aber ist der Erstgefährdende nicht, wenn das Opfer den durch das für den Erfolg kausale Verhalten des Ersttäters begründeten Zurechnungszusammenhang dadurch unterbricht, dass es diesen von der Einflussnahme auf das Geschehen ausschließt oder sich frei verantwortlich in voller Kenntnis des Risikos diesem aussetzt.'*·' e) BGH NStZ 1992 S. 333: Α hatte dem Μ mehrmals mit einem Gummihammer auf den Kopf geschlagen. Μ stürzte bewusstlos zu Boden. Α hielt ihn bereits für tot und entfernte sich. Er traf den B, dem er den Vorfall schilderte. Β wollte sich selbst von dem Geschehen überzeugen. Er ging in die Wohnung des M, fand diesen und hielt ihn gleichfalls für tot. Um einen Suizid vorzutäuschen, hängte er den Μ an der Türklinke auf. - Die Obduktion ergab, dass die Hammerschläge tödlich gewesen wären. Gestorben war Μ aber an der Strangulation.
9
BGH: Α ist strafbar nach § 226 a.F. - Diese Zurechnung des Verhaltens des Β als Verhalten des Α ist mit den auch von der Rechtsprechung anerkannten Zurechnungskriterien im Rahmen des § 226 a.F. nicht zu vere i n b a r e n . ^ - Auch der BGH betont grundsätzlich, dass der Erfolg im Sinne des § 226 a.F. nicht vorliegt, wenn der Tod erst bei der Verdeckung der Tat eintritt.^ f) BGHSt 32 S. 25: Α versetzte dem D einen kräftigen Faustschlag gegen den Kopf. Dadurch verlor D das Gleichgewicht, fiel zu Boden und schlug mit dem Schädel auf die Asphaltdecke auf. Anschließend trat Ν dem D unabhängig von Α mit großer Wucht an den Kopf. D erlitt 2 Schädelbrüche und starb. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der durch das Aufschlagen oder durch das Zuschlagen entstandene Schädelbruch zum Tode führte oder beide zusammen.
10
BGH: Eine Bestrafung des Α nach § 226 a.F. kommt nicht in Betracht, da nicht festgestellt ist, dass sich im Tode des D die der Körperverletzung des Α „anhaftende, ihr eigentümliche Gefahr verwirklicht" hat. - Aus gleichem Grunde entfällt auch die Strafbarkeit nach § 226 a.F. bei N . 6 6 g) BGH NJW 1995 S. 3194: B, der Lebensgefährte der Α wirkte auf den fünfjährigen Sohn der Α derart gewalttätig ein, dass dieser schwer verletzt wurde. Das Kind schrie, verweigerte jede Nahrung und fiel schließlich in Bewusstlosigkeit. - Zu diesem Zeitpunkt hätte das Kind aber nicht gerettet werden können. Als es später ins Krankenhaus gebracht wurde, war es bereits tot.
11
BGH: Α ist nicht der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig, denn unmittelbare Ursache fur den Tod des Kindes war nicht der Umstand, dass die Α trotz des sich drastisch verschlechternden Umstandes nichts zu dessen Rettung unternahm, sondern die von Β verursachten Verletzungen. - Dem kann nicht gefolgt werden, denn auch im Unterlassen der Verhinderung der weiteren Verschlechterung des Körperzustandes ist eine vorsätzliche Körperverletzung zu sehen, deren spezifische Gefahr darin lag, dass durch diese Unterlassung der Tod des Kindes nicht verhindert w u r d e t
II. Der Strafrahmen des § 227 Abs. 2 Bei Vorliegen einer Provokationssituation i.S. des § 213, 1. Alt. ist zwingend ein minder 12 schwerer Fall i.S. des § 227 Abs. 2 anzunehmen. 68
63
Vgl. auch OTTO JK 95, StGB § 226/6.
64
Vgl. auch DENCKER NStZ 1992 S. 311 ff; OTTO JK 93, StGB § 226/4; PUPPE JR 1992 S. 511 ff. - Vergleichbar in der Argumentation aber wiederum BGH NStZ 2001 S. 29.
65
Vgl. BGH StV 1993 S. 75.
66
Vgl. auch BGH MDR 1979 S. 279. - A.A. aber: BGH MDR 1977 S. 282; BGH MDR 1984 S. 442.
67
Vgl. auch OTTO JK 96, StGB § 226/7; WOLTERS JR 1996 S. 471 ff. - Anders aber INGELFINGER GA 1997 S. 573 ff, 590.
68
BGHSt 25 S. 222, 224; BGH NStZ-RR 2000 S. 80; vgl. auch DECKERS Rieß-FS, S. 670 ff.
87
§19
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§ 19 Körperverletzung im Amt 1. Rechtsnatur des § 340 § 340 ist als qualifizierte Körperverletzung ein unechtes Amtsdelikt, und zwar § 340 Abs. 1, 2 gegenüber § 223. - § 340 Abs. 3 erstreckt die Alternative des „Begehenlassens" des § 340 Abs. 1 auf die §§ 224 - 229. 2 Weil der Täter bei der Verletzung eines individuellen Rechtsguts zugleich das Ansehen des Staates als Rechtsstaat gefährdet, ist die Amtseigenschaft ein straferhöhendes Merkmal, und zwar ein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2. 69 1
2. Die Tathandlung 3
a) Der Täter muss die Körperverletzung während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begehen oder begehen lassen. 4 Die Formulierung des Tatbestandes scheint darauf hinzudeuten, dass bei einer Körperverletzungshandlung, die zeitlich in die Ausübung des Dienstes fallt, in jedem Fall der Tatbestand erfüllt ist. 70 Diese Interpretation des Tatbestandes wird seinem Wesen - vgl. oben unter Rdn. 2 - jedoch nicht gerecht. Nur dann, wenn die Handlung in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Ausübung des Dienstes steht, ist das qualifizierende Element - Beeinträchtigung des Ansehens des Staates als Rechtsstaat - erfüllt. Eine bei Gelegenheit der Amtsausübung begangene Körperverletzung erfüllt den Tatbestand nicht. 71 5 b) Begehen liegt vor, wenn der Amtsträger die Körperverletzung als Täter oder Mittäter verwirklicht. - Begehenlassen bedeutet Tatausführung in mittelbarer Täterschaft. Die h.M. lässt darüber hinaus auch Anstiftung und Beihilfe für das Begehenlassen genügen. 7 2 Damit wird jedoch im Rahmen des § 340 letztlich vom Einheitstäterbegriff ausgegangen, dem die §§ 25 ff gerade nicht entsprechen. 7 3
6
c) Nach h.M. fallt auch das garantiepflichtwidrige Unterlassen eines Amtsträgers unter die Alternative „Begehenlassen".74 - Dem ist nicht zu folgen, denn die Nichtabwendung der Körperverletzung durch einen anderen ist ein pflichtwidriges Geschehenlassen und entspricht damit gemäß § 13 dem „Begehen". 75 3. Rechtfertigung
7
a) Das Delikt ist Körperverletzungsdelikt. Hoheitliche Eingriffsrechte in die körperliche Integrität des Betroffenen rechtfertigen daher das Verhalten. 8 b) Auch die Einwilligung des Verletzten in die Körperverletzung hat rechtfertigende Kraft. Wie ausgeführt beruht das besondere Unrecht dieses Tatbestands darauf, dass das Ansehen 6 9
H . M . - A . A . WAGNER Amtsverbrechen, 1975, S. 85 ff; DERS. Z R P 1975 S. 2 7 3 f: eigenständiges Amts-
delikt, dessen Unrechtsgehalt in der Begehung von Staatsunrecht liegt. 7 0
V g l . TRÖNDLE/FISCHER § 3 4 0 R d n . 2 ; WAGNER Z R P 1 9 7 5 S. 2 7 3 .
71
H . M . , v g l . z . B . AMELUNG/WEIDEMANN JUS 1 9 8 4 S. 5 9 7 ; KUHLEN N K , § 3 4 0 R d n . 8; LACKNER/KÜHL § 3 4 0 R d n . 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 9 R d n . 3 7 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 / 2 0 .
7 2
V g l . R G S t 6 6 S . 5 9 ; KUHLEN N K , § 3 4 0 R d n . 10; LACKNER/KUHL § 3 4 0 R d n . 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 9 R d n . 3 7 ; SCH/SCH/CRAMER § 3 4 0 R d n . 4 .
73
So auch HIRSCH L K , § 3 4 0 Rdn. 10.
7 4
V g l . z . B . KUHLEN N K , § 3 4 0 R d n . 10; LACKNER/KÜHL § 3 4 0 R d n . 2 .
7 5
V g l . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . L , § 9 R d n . 3 7 .
88
Körperverletzung im Amt
§19
des Staates als Rechtsstaat Schaden nimmt, wenn der Täter in Ausübung der Amtsgewalt eine Körperverletzung begeht. Körperverletzung in diesem Sinne kann aber nur der Unrechtstatbestand einer Körperverletzung sein. Liegt dieser Unrechtstatbestand wegen der Einwilligung des Verletzten nicht vor, so leidet auch das Ansehen des Staates nicht. Durch den Verweis auf § 228 in Abs. 3 stellt das Gesetz diesen Sachverhalt nunmehr klar. 76 Zur Verdeutlichung a) Der Polizeibeamte Ρ verprügelt bei einer Vernehmung den X, weil er sich über dessen freche Antworten ärgert.
9
Ergebnis: § 340 Abs. 1. b) Der Gerichtsvollzieher G, der eine Pfändung vornimmt, sieht plötzlich seinen Nebenbuhler N, der mit der Pfändung nichts zu tun hat. Diesen verprügelt er. Ergebnis: § 223; str. vgl. oben Rdn. 4. c) OLG Karlsruhe MDR 1983 S. 250: Der als Chefarzt eines Kreiskrankenhauses tätige Α nimmt eine Operation ohne rechtswirksame Einwilligung vor. OLG Karlsruhe: Der Chefarzt ist zwar Amtsträger i.S. des § 340, er hat die Körperverletzung jedoch nicht „während der Ausführung seines Dienstes" oder „in Beziehung auf seinen Dienst begangen", denn die konkrete Heilbehandlung des einzelnen Patienten ist keine dienstliche Tätigkeit i.S. des § 340. Kritik: Da auch die Heilbehandlung im Rahmen der Daseinsvorsorge, die das Kreiskrankenhaus wahrnimmt, erfolgte, überzeugt diese Begründung nicht. Hier zeigen sich die misslichen Konsequenzen der Prämisse, den Heileingriff schlechthin als Körperverletzung zu interpretieren. d) BGH NJW 1983 S. 462: Der Krankenpfleger Κ versorgt die in einer Entziehungsanstalt befindlichen Alkoholsüchtigen mit Alkohol. BGH: Κ ist strafbar nach § 340 Abs. 1, da eine Einwilligung der Abnehmer nicht rechtfertigt. - Dem wäre nur zuzustimmen, wenn die Abnehmer aufgrund ihrer Sucht unzurechnungsfähig waren. Handelten sie im Rechtssinne freiverantwortlich, so entfällt die Möglichkeit einer Bestrafung nach § 340.
§ 20 Misshandlung von Schutzbefohlenen I. Das geschützte Rechtsgut des § 225 In der Alternative der rohen Misshandlung und der Gesundheitsschädigung erfasst § 225 Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit. Insoweit ist er als ein durch das Schutzverhältnis zwischen Täter und Opfer qualifiziertes Körperverletzungsdelikt anzusehen. In der Alternative des Quälens hingegen richtet sich die Tathandlung auch gegen die Psyche des Opfers. Das Delikt ist insoweit als Straftat gegen das „Seelenleben des Menschen" zu begreifen, das je nach den Tatumständen zu Körperverletzungsdelikten in Idealkonkurrenz stehen kann. 77 Die Schutzposition ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28. In der Körperverletzungsalternative ist § 225 demnach als unechtes Sonderdelikt zu sehen, in der Alternative des seelischen Quälens als echtes Sonderdelikt.
7 6
V g l . a u c h K U H L E N N K , § 3 4 0 R d n . 5 ; L A C K N E R / K Ü H L § 3 4 0 R d n . 4 ; RENGIER B . T . II, § 6 2 R d n . 5 .
7 7
V g l . B G H N J W 1 9 9 9 S . 7 2 ; K R E Y B . T . 1, R d n . 3 0 9 ; RENGIER B . T . II, § 1 7 R d n . 1. - F ü r e i n g e g e n ü b e r
den Körperverletzungsdelikten selbstständiges Delikt: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 10 Rdn. 2; W. MEURER Probleme des Tatbestandes der Mißhandlung Schutzbefohlener (§ 223 b StGB), Diss. Köln 1997, S. 93 f; WESSELS/HETTINGER B. T./l, Rdn. 310.
89
1
2
3
§19
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
II. Einzelheiten zur Interpretation 4
1. Die Tatsituation Die Tatsituation ist durch die Mindeijährigkeit bzw. die Wehrlosigkeit des Opfers sowie ein Abhängigkeitsverhältnis dem Täter gegenüber gekennzeichnet. Dem Schutzverhältnis muss eine rechtliche Verpflichtung zugrunde liegen. Bloße Gefalligkeitsverhältnisse begründen kein Fürsorgeverhältnis im Sinne des § 225. 78
2. Die Tathandlung Quälen ist das Zufügen dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Wird das Quälen durch mehrere Handlungen verwirklicht, so bilden diese eine tatbestandliche Handlungseinheit.79 Eine rohe Misshandlung ist eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung, die sich in erheblichen Folgen äußert, sei es in erheblichen Schmerzen oder in einer erheblichen Verletzung der Körperintegrität.80 Auf böswilliger Vernachlässigung der Sorgepflicht beruht die Gesundheitsschädigung, wenn diese aus sozialethisch besonders verwerflichem Motiv heraus (Hass, Sadismus, nicht aber Gleichgültigkeit) erfolgt. 81 6 Alle drei Tatbestandsalternativen können durch Unterlassen verwirklicht werden, denn aus der Begrenzung der 3. Tatalternative, Gesundheitsschädigung, auf die Fälle böswilligen Verhaltens kann nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber als Unterlassen überhaupt nur Fälle böswilligen Verhaltens erfassen wollte. 82 5
7
3. Qualifizierte Tatbestände Abs. 2 nennt zwei Qualifikationstatbestände: Zum einen, dass die Schutzbefohlene Person in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 gebracht worden ist (Nr. 1), zum anderen in die konkrete Gefahr einer erheblichen Entwicklungsbeschädigung im Sinne von § 171 (Nr. 2).
III. Zur sozialen Relevanz des § 225 8
Die Zahl der Verurteilungen hält sich relativ konstant: 1960: 235, 1975: 297, 1981: 228, 1986: 289, 1991: 254, 1996: 248, 2001: 209. Die Zahl der polizeilich erfassten Fälle ist jedoch höher: 1975: 1644, 1981: 1999 Fälle, darunter 1423 Kindesmisshandlungen, 1986: 1643 Fälle, darunter 1205 Kindesmisshandlungen, 1991: 2102 Fälle, darunter 1571 Kindesmisshandlungen, 1996: 2818 Fälle, darunter 1972 Kindesmisshandlungen, 2001: 3569
7 8
V g l . B G H N J W 1 9 8 2 S . 2 3 9 0 . - A . A . M A Ü R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 1 0 R d n . 6 .
79
Vgl. dazu BGHSt 41 S. 113 mit Anm. HIRSCH NStZ 1996 S. 37; OTTO JK 96, StGB § 223 b/2; WOLFSLAST/SCHMEISSER JR 1996 S. 338 f; im Einzelnen dazu W. MEURER Probleme, S. 42 ff; WARDA Hirsch-FS, S. 391 ff.
80
BGHSt 25 S. 277.
81
Dazu BGHSt 3 S. 20.
82
Vgl. BGH NStZ 1991 S. 234 mit Anm. OTTO JK 91, StGB § 223 b/1; BGH NStZ-RR 1996 S. 197; PAEFFGEN NK, § 225 Rdn. 18 m. N. - Zur Gegenansicht: W. MEURER Probleme, S. 76 ff m.N.
90
Beteiligung an einer Schlägerei
§23
Fälle, darunter 2507 Kindesmisshandlungen. - Die Dunkelziffer ist erheblich: Schätzungen gehen dahin, dass 95 % der Fälle den Behörden nicht bekannt werden. 83
§ 2 1 Fahrlässige Körperverletzung 1. Deliktsspezifische Probleme der fahrlässigen Körperverletzung, § 229, sind nicht ge- χ geben. Es gilt das zum Aufbau und zur Problematik der fahrlässigen Tötung Ausgeführte mit dem einzigen Unterschied, dass der Erfolg dieses Delikts nicht im Tode eines anderen Menschen besteht, sondern in einer Körperverletzung; vgl. dazu § 9. 2. Zur Körperverletzung vgl. die Ausfuhrungen zu § 223 unter § 15 Rdn. 1 ff. 3. Zum Strafantrag vgl. § 15 Rdn. 27 f.
§ 22 Vergiftung Der Tatbestand der Vergiftung wurde durch das 6. StrRG aufgehoben und der Einsatz von Gift und anderen gesundheitsschädlichen Stoffen bei der Körperverletzung als Qualifikation, § 224 Abs. 1 Nr. 1, erfasst.
1
§ 23 Beteiligung an einer Schlägerei I. Das Wesen der Tat § 231 erfasst ein sog. Massendelikt. Strafgrund ist nicht eine Körperverletzung, sondern die schuldhafte Beteiligung an einer Rauferei, aus der sich Gefahren für die Allgemeinheit ergeben können. Es handelt sich demnach um ein abstraktes Gefahrdungsdelikt.
1
II. Einzelheiten der Regelung 1. Der Tatbestand a) Schlägerei ist eine mit gegenseitigen Körperverletzungen verbundene Auseinandersetzung, an der mehr als 2 Personen mitwirken. 84 - Übt einer von drei Betroffenen lediglich Schutzwehr, indem er z.B. den eigenen Kopf mit seinen Armen schützend umfasst, so liegt noch keine Schlägerei vor. - Es ist aber nicht erforderlich, dass alle Beteiligten rechtswidrig handeln. Ein von mehreren gemachter Angriff ist die in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen abzielende Einwirkung von mindestens zwei Personen. 85 Beteiligt ist jeder, der an der Auseinandersetzung im Zusammenwirken mit anderen teilnimmt, d.h. physisch oder psychisch mitwirkt. - Mittäterschaft im technischen Sinn ist
8J
Zur Vertiefung: ARBEITSGRUPPE KINDERSCHUTZ Gewalt gegen Kinder, 1983; GEERDS MSchr für Kinderheilkunde 1986 S. 3 2 7 ff; DERS. ArchKrim 1995 S. 9 ff, 131 ff; HONIG Kindesmißhandlung, 1982; SCHMIDT Krim 1991 S. 315 ff; URSULA SCHNEIDER Körperliche Gewaltanwendung in der Familie, 1987, S. 59 ff; TRUBE-BECKER Gewalt gegen das Kind, 2. Aufl., 1987.
84
B G H S t 3 1 S. 124.
85
B G H S t 3 1 S. 124.
91
2
3
§23
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
nicht erforderlich, wohl aber bei den Angreifenden Einheitlichkeit des Angriffs, des Angriffsgegenstandes und des Angriffswillens. 4 b) Mit der Klarstellung, dass nicht nach Abs. 1 strafbar ist, wer an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt war, ohne dass ihm dies vorzuwerfen ist, Abs. 2, stellt der Gesetzgeber klar, dass derjenige straffrei bleibt, der an der Schlägerei oder dem Angriff zu keinem Zeitpunkt in vorwerfbarer Weise beteiligt war. Er verweist damit auf rechtfertigende oder entschuldigende Situationen.86 2. Die schwere Folge Die Schlägerei oder der Angriff mehrerer muss den Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 226) verursacht haben. Die schwere Folge ist objektive Bedingung der Strafbarkeit, braucht also nicht einmal vorhersehbar gewesen zu sein. Maßgeblich ist der Zusammenhang der schweren Folge mit der Schlägerei oder dem Angriff, während es gleichgültig ist, wen die Folge trifft. Der Tatbestand ist auch dann wegen der Beteiligung an einer Schlägerei gegeben, wenn ein Gegner in Notwehr getötet wird. 87 Das stellt der Gesetzeswortlaut nunmehr ausdrücklich klar, indem er betont, dass die Beteiligung an der Schlägerei oder dem Angriff das strafbare Verhalten darstellt. 6 Auf den Zeitpunkt der Beteiligung, vor, bei oder nach Eintritt der schweren Folge, kommt es nach h.M. nicht an. 88 Die Gegenmeinung beschränkt die Haftung auf diejenigen Personen, die sich zum Zeitpunkt des Eintritts der schweren Folge noch oder bereits an dem Raufhandel beteiligen.89 - Die h.M. zieht den Kreis der Verantwortlichen zu weit, soweit sie auch Mitwirkende als Beteiligte erfasst, die nach Eintritt der schweren Folge an der Rauferei teilgenommen haben. Die Gegenmeinung erweist sich als zu eng, da die Auswirkungen einer Beteiligung nicht mit dem Ausscheiden der tätigen Person abbrechen. Sachgerecht ist es daher, den als Beteiligten anzusehen, der vor oder bei Eintritt der schweren Folge an der Rauferei mitwirkte. Erst nachträglich Mitwirkende haften nicht für die schwere Folge. 90 5
III. Zur Einübung 7
1. BGHSt 14 S. 132; Zwischen Jugendlichen aus I und Sch kam es zu einer Schlägerei. G und Κ beteiligten sich, mussten aber aufgrund der eigenen Einbußen bald aufgeben. Sie entfernten sich. Im weiteren Verlauf der Schlägerei wurde Τ erstochen. BGH: Auch G und Κ sind strafbar wegen Beteiligung an einer Schlägerei.
86
Im Einzelnen dazu EISELE JR 2001 S. 271 ff.
87
Vgl. BGHSt 33 S. 100; 39 S. 305, 307 ff; BERZ in: Bernsmann/Ulsenheimer (Hrsg.), Bochumer Beiträg e z u a k t u e l l e n S t r a f r e c h t s t h e m e n , 2 0 0 3 , S . 2 1 f f ; H O H M A N N N K , § 2 3 1 R d n . 2 1 f f ; KINDHÄUSER B . T . I, § 11 R d n . 1 5 FT; L A C K N E R / K Ü H L § 2 3 1 R d n . 5 ; S C H / S C H / S T R E E § 2 3 1 R d n . 1 4 ; Z O P F S J u r a 1 9 9 9 S . 180
f. - A . A .
GÜNTHER J Z
1985
S.
587;
HENKE J u r a
1985
S.
589;
KREY B.T.
1, R d n .
299;
R O N N A U / B R Ö C K E R S G A 1 9 9 5 S . 5 6 3 f f ; SCHULZ S t V 1 9 8 6 S . 2 5 0 f. 88
Vgl. BGHSt 14 S. 132; 16 S. 130; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 15 Rdn. 13 ff; LACKNER/KÜHL § 231 Rdn. 5 .
8 9
V g l . BINDING B . T . I, S . 7 8 ; K R E Y B . T . 1, R d n . 2 9 7 ; W E L Z E L L b . , § 4 0 I I 2 .
9 0
S o a u c h BIRKHAHN M D R
1 9 6 2 S . 6 2 5 f ; HIRSCH L K , § 2 3 1 R d n . 8 ; JOECKS S t G B , § 2 3 1 R d n .
P A E F F G E N N K , § 2 3 1 R d n . 8 ; RENGIER B . T . I I , § 1 9 R d n . 1 1 ; S T R E E J U S 1 9 6 2 S . 9 4 .
92
10;
Konkurrenzprobleme
§24
2. BGHSt 16 S. 130: Bei einer Schlägerei zwischen mehreren Personen brachte Η dem W mehrere tödliche Stiche bei. Die Schlägerei ging aber weiter. Nunmehr beteiligte sich auch J daran. BGH: Auch J ist strafbar nach § 227 a.F., jetzt § 2 3 1 . - Nach der hier vertretenen Ansicht scheidet eine Strafbarkeit des J nach § 227 a.F., jetzt § 231 aus. 3. Bei einer Schlägerei in einer Gaststätte, an der sich unter anderem Χ, Y und Ζ beteiligten, wollte der Gast G schlichten. Er begab sich unter die Raufenden und forderte diese laut zu friedlichem Verhalten auf. Im Gewühl wurde er jedoch erschlagen. Ergebnis: § 227 a.F., jetzt § 231 liegt vor. Der Getötete braucht nicht selbst an der Schlägerei beteiligt gewesen zu sein, es genügt, dass sein Tod durch die Schlägerei bewirkt wurde. 4. RGSt 32 S. 33: Bei einer Schlägerei zwischen A, B, C, D, Ε und F wurde allein der F schwer am Körper verletzt i.S. des § 224 a.F., jetzt § 226. RG: Auch F ist strafbar nach § 227 a.F., jetzt § 2 3 1 . 9 1 5. BGHSt 15 S. 369: C verprügelte S ohne Grund. S wehrte sich. V, der Vater des S, wollte seinem Sohn zu Hilfe kommen. Α verhinderte dies, indem er den V festhielt. S kam bei der Prügelei zu Tode. BGH: Auch Α ist nach § 227 a.F., jetzt § 231 strafbar, denn er nahm an einer Schlägerei teil. 6. BGHSt 39 S. 305: Α beteiligte sich an einer Schlägerei. Im Laufe der Auseinandersetzung tötete er einen der Gegner in Notwehr. BGH: Α ist nach § 227 a.F., jetzt § 231 strafbar. 9 2
§ 24 Konkurrenzprobleme I. Die Konkurrenzen innerhalb der Körperverletzungsdelikte 1. Grundsatz Die jeweils schwerere Körperverletzung konsumiert die jeweils leichtere. - Kommt es jedoch nur zum Versuch der schwereren Köiperverletzung, so konkurrieren diese und die vollendete geringere idealiter, damit im Urteilstenor zum Ausdruck kommt, dass eine Körperverletzung bereits vollendet wurde.
1
2. Besonderheiten Infolge des von den Körperverletzungsdelikten abweichenden Strafgrundes des § 231 konkurriert § 231 idealiter mit den bei dem Raufhandel verwirklichten Körperverletzungsdelikten. - Zwischen § 340 Abs. 1, 2 und § 2 2 3 Abs. 1, 2 besteht Gesetzeskonkurrenz (Qualifikation). - Im Verhältnis des § 225 zu §§ 226, 227 besteht Idealkonkurrenz.93
2
3. Zur Einübung a) Α schießt auf Β und ist sich dabei der Gefahr bewusst, dem Β das Auge auszuschießen. Er trifft den Β am Kopf, doch bleibt dem Β die Sehkraft erhalten. Ergebnis: Α strafbar gemäß §§ 224, 226 Abs. 1, 23, 52. b) Wie unter a), doch will Α dem Β absichtlich ins Auge schießen. Er trifft, doch stirbt Β wider Erwarten. Ergebnis: Α strafbar gemäß § 227. §§ 226 Abs. 2, 23 werden von § 227 konsumiert. 9 4
91
Vgl. auch BGHSt 33 S. 104; ZOPFS Jura 1999 S. 179 f. - A. A. GÜNTHER JZ 1985 S. 786 f.
92
Dazu GEPPERT JK 94, StGB § 227/1; STREE JR 1994 S. 370 f; WAGNER JuS 1995 S. 296 ff.
9 3
V g l . B G H N J W 1 9 9 9 S . 7 2 ; HIRSCH L K , § 2 2 5 R d n . 2 9 ; S C H / S C H / S T R E E § 2 2 5 R d n . 17.
94
Vertretbar auch Idealkonkurrenz, vgl. dazu im Einzelnen PAEFFGEN NK, § 227 Rdn. 29.
93
3
§24
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
c) Bei einer Schlägerei i.S. des § 231 schlägt Α dem Β das Auge absichtlich aus. Ergebnis: Α strafbar gemäß §§231, 226 Abs. 2, 52.
II. Konkurrenz zwischen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten 1. Das Verhältnis des Tötungs- zum Körperverletzungsvorsatz 4
Ausgangsfall: BGHSt 44 S. 196: Α stach mit einem Klappmesser in bedingtem Tötungsvorsatz auf die Ρ ein und verletzte ihren linken Lungenflügel. Dann entfernte sich A. Das Leben der Ρ wurde gerettet.
5
verBe-
a) Da jede Tötung notwendigerweise über das Stadium einer Körperverletzung wirklicht wird, ist der Körperverletzungsvorsatz im Tötungsvorsatz als notwendiger standteil enthalten; sog. Einheitstheorie.95 6 b) Diesen notwendigen Bezug zwischen Körperverletzung und Tötung verkennt die Gegensatztheorie, die von einem gegenseitigen Ausschluss von KörperverletzungsTötungsvorsatz ausgeht. 96
sog. und
2. Konsequenzen 7
a) Das vollendete Tötungsdelikt konsumiert das jeweils verwirklichte Körperverletzungsdelikt als notwendigen Bestandteil.97 8 Auch die privilegierten Tötungsdelikte konsumieren die qualifizierten Körperverletzungsdelikte, da sonst die Absicht des Gesetzgebers, das Verhalten zu privilegieren, umgangen würde. 9 b) Ist das Tötungsdelikt nur bis in das Versuchsstadium gelangt, eine Körperverletzung jedoch bereits vollendet worden, so besteht zwischen versuchtem Tötungsdelikt und Körperverletzungsdelikt Idealkonkurrenz. Der Tötungsversuch konsumiert das Unrecht der vollendeten Körperverletzung nicht. - Auch versuchte Tötung und schwere Körperverletzung schließen einander nicht aus, wenn der Täter alternativ zur beabsichtigten Tötung die schwere Folge voraussieht.98 3. Konsequenzen für den Ausgangsfall 10
BGH: Α ist wegen versuchten Totschlags in Idealkonkurrenz mit schwerer Körperverletzung, §§ 212, 23, 224, 52, zu bestrafen. 9 9
95
Hierzu BGHSt 16 S. 122; 21 S. 265; BGH MDR 1991 S. 70 f; JAKOBS Die Konkurrenz von Tötungsdelikten mit Körperverletzungsdelikten, 1967, S. 119 ff; KREY JuS 1971 S. 143; LILIE LK, Vor § 223 Rdn. 15, 16.
96
Zur Gegensatztheorie: ARZT/WEBER B. T., § 2 Rdn. 86.
97
Gleichfalls für Gesetzeskonkurrenz, wenn auch Ζ. T. für Subsidiarität: BGHSt 16 S. 122; 22 S. 248; B G H N S t Z 2 0 0 4 S . 6 8 4 ; KREY J u S 1 9 7 1 S. 1 4 3 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 R d n . 2 1
f. 98
Dazu BGH StV 2001 S. 163.
99
Vgl. dazu auch GEPPERT JK 99, StGB § 212/4; SATZGER JR 1999 S. 203 ff.
94
Zur Wiederholung
§25
§ 25 Zur Wiederholung 1.
Wie ist die „körperliche Misshandlung" zu definieren? - Dazu § 15 Rdn. 2.
2.
Wie ist die „Gesundheitsschädigung" zu definieren? - Dazu § 15 Rdn. 5.
3.
Ist § 224 ein abstraktes oder ein konkretes Gefährdungsdelikt? - Dazu § 16 Rdn. 2 f.
4.
Was sind „gesundheitsschädliche Stoffe"? - Dazu § 16 Rdn. 5.
5.
Α verspricht dem Β 10,- DM, wenn er den anwesenden C verprügelt. Β tut dies. Haben mehrere gemeinschaftlich i.S. des § 224 die Körperverletzung begangen? - Dazu § 16 Rdn. 10.
6.
Wie ist der ungeschützte Geschlechtsverkehr eines Aids-Kranken mit einem unwissendem Partner strafrechtlich zu würdigen? - Dazu § 16 Rdn. 14 f.
7.
Ist ein Versuch der schweren Körperverletzung gemäß §§ 226, 23 möglich? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? - Dazu § 17 Rdn. 11 f.
8.
Welcher Zusammenhang muss zwischen Todeserfolg und Körperverletzung in § 227 bestehen? - Dazu § 18 Rdn. 2 f.
9.
Ist § 225 ein qualifiziertes Körperverletzungsdelikt? - Dazu § 20 Rdn. 1 f.
10. Wann ist der Stoff „beigebracht" i.S. des § 224 Abs. 1 - Dazu § 22 Rdn. 5. 11. Kann derjenige nach § 231 bestraft werden, der an der Schlägerei erst teilnimmt, nachdem es zu einer tödlichen Verletzung eines anderen gekommen ist? - Dazu § 23 Rdn. 3 f. 12. Der Beamte Α verletzt den X bei Ausübung seines Amtes mit einem Stock schwer. - Wie konkurrieren §§ 2 2 4 , 3 4 0 Abs. 1 hier? - Dazu § 19 Rdn. 4. 13. Α würgt die B, um sie zu töten. Vom Tötungsversuch tritt er freiwillig zurück. Β erleidet eine Kehlkopfverletzung. - Kann Α wegen vorsätzlicher Körperverletzung bestraft werden? - Dazu § 24 Rdn. 9. 14. Α gibt der Β ein Gift, um sie zu töten. Vom Tötungsversuch tritt er freiwillig zurück. Durch das Gift fallt die Β jedoch in Siechtum. Kann Α gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 bestraft werden? - Dazu § 24 Rdn. 9. 15. Α versucht die Β mit einem Messer zu töten. Β überlebt den Anschlag. Kann Α gemäß §§ 212, 23, 224, 52 bestraft werden? - Dazu § 24 Rdn. 4, 10.
95
§26
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Vierter Abschnitt Delikte gegen die persönliche Freiheit § 26 Rechtsgut und Systematik der Freiheitsdelikte 1. Das Rechtsgut der Freiheitsdelikte 1
Geschütztes Rechtsgut der Freiheitsdelikte ist nicht die Freiheit schlechthin, sondern die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung.
II. Die Systematik der Freiheitsdelikte /. Die Gesetzessystematik 2
3
4
a) Innerhalb der im 18. Abschnitt des StGB enthaltenen Delikte sind der Menschenraub, § 234, der Menschenhandel, §§ 232-233 a, die Freiheitsberaubung, § 239, der erpresserische Menschenraub, § 239 a, die Geiselnahme, § 239 b, und die Nötigung, § 240, Freiheitsdelikte. b) Die Bedrohung, §241, ist kein Freiheitsdelikt, sondern ein Delikt gegen den persönlichen Rechtsfrieden (str.; eingehender dazu unter § 36), Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, §241 a, sollen die Person gegen die Beraubung der Gemeinschaft, des rechtsstaatlichen Schutzes und der Hilfe der Gemeinschaft schützen (dazu unter § 37 Rdn. 1). Die Entziehung Mindeijähriger, § 235, ist ein Delikt gegen die familiäre Ordnung (dazu unter § 65 Rdn. 34), während § 236 Abs. 1 die körperliche und seelische Entwicklung des Kindes schützt und § 236 Abs. 2 die in § 5 Abs. 1, 4 S. 1 AdVermiG festgelegten Vermittlungsverbote strafrechtlich absichert. c) Außerhalb des 18. Abschnittes des StGB wird in zahlreichen Tatbeständen neben anderen Rechtsgütern auch die Freiheit der Willensbetätigung geschützt, so z.B. in § 249 (Raub), § 253 (Erpressung), § 177 (Vergewaltigung) u.a. 2. Das Verhältnis der Freiheitsdelikte
5 6
zueinander
a) Umfassend werden Angriffe auf die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung in § 240 unter Strafe gestellt. b) Einen Teilbereich dieses Rechtsguts, nämlich die Freiheit, den derzeitigen Aufenthaltsort zu verlassen (potentielle persönliche Bewegungsfreiheit), schützt § 239. - § 239 ist gegenüber § 240 insoweit eine lex specialis. aa) § 239 Abs. 3 und Abs. 4 enthalten erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung; beachte § 18. bb) §§ 239 a, 239 b beschreiben qualifizierte Delikte gegen die persönliche Freiheit, cc) In § 234 ist ein spezieller Fall der Freiheitsberaubung geregelt.
96
Nötigung
§27
§ 27 Nötigung I. Der objektive Tatbestand 1. Nötigen Nötigen ist die Veranlassung eines anderen zu einem von diesem nicht gewollten Verhalten (Handeln, Dulden oder Unterlassen) durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel.
1
2. Der Begriff der Gewalt Die Rechtsprechung des RG war von Anfang an dadurch gekennzeichnet, dass das Gericht 2 Gewalt nicht nur in Gewalttätigkeiten sah. Als konstitutives Merkmal des Gewaltbegriffs wurden zum einen die Kraftentfaltung auf Seiten des Täters und zum anderen die Zwangswirkung dem Opfer gegenüber herausgestellt. Betont wurde, dass Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 nicht nur Gewalt an der Person oder Gewalt gegen die Person sei und dass eine körperliche Berührung des Tatopfers nicht fur erforderlich gehalten werde. „Unter den Begriff der Gewalt im Sinne des § 240 fallt daher auch jede unmittelbare oder mittelbare Einwirkung auf den Körper eines anderen, welche geeignet ist und darauf abzielt, die freie Willensentscheidung desselben zu hindern und ihn auf diese Weise zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen."1 Auch Gewalt gegen Sachen hat das RG ohne Vorbehalt dem Gewaltbegriff im Sinne des § 240 Abs. 1 zugeordnet, „wenn sie auch nur indirekt gegen eine Person gerichtet ist und darauf abzielt, den Widerstand derselben zu brechen oder auszuschließen".2 a) In der Praxis hat sich das RG bei der Anwendung des Gesetzes jedoch weniger von den 3 begrifflichen Merkmalen leiten lassen als mehr von einem überkommenen Vorverständnis des Delikts, das auf das crimen vis publica des gemeinen Rechts zurückging. Als crimen vis publica wurde eine die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedrohende Betätigung von Personen erfasst.3 Bedingt durch dieses Verständnis der Gewalt im Sinne des § 240 sah das RG kein Problem bei der Bejahung der Gewalt im Falle des Einsperrens von Personen, auch wenn das Umdrehen des Schlüssels nur mit einem minimalen Kraftaufwand verbunden war und sogar weitere Möglichkeiten bestanden, den Raum zu verlassen, dem Opfer diese aber verborgen waren. ^ Die Bedrohung durch diese Verhaltensweise war evident, da der Genötigte sich als Gefangener sah.
4
Hingegen fehlte dem Verhalten dieser schon - äußerlich - bedrohende Charakter, wenn jemand einem anderen ein betäubendes Mittel eingab, ohne hierbei wiederum selbst Gewalt anzuwenden, oder wenn das Opfer h w notisiert wurde. Die Ablehnung der Anwendung von Gewalt durch das RG in diesen Fällen lag daher n a h e . ' Die Beurteilung des Aussperrens von Personen bereitete dem Reichsgericht hingegen erhebliche Schwierigkeiten, da der schon äußerlich bedrohliche Eindruck des Verhaltens hier nicht grundsätzlich auszuschließen
5
1
RGSt 13 S. 50. - Das RG knüpfte insoweit an die Rechtsprechung des Pr. Obertribunals an; vgl. dazu COLLLN „Wächter der Gesetze" oder „Organ der Staatsregierung"?, 2000, S. 342 f.
2
RGSt 13 S. 51. Vgl. dazu im Einzelnen: JAKOBS H. Kaufmann-GedS, S. 791 ff; OTTO/KREY/KÜHL Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt aus der Sicht der Strafrechtswissenschaft, Gutachten der Unterkommission VII, in: Schwind/Baumann (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Bd. II, 1990, Rdn.
3
5i fr. 4
RGSt 13 S. 49.
5
RGSt 56 S. 87, 88 f; 58 S. 98; 64 S. 113, 115 f.
97
§27
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
war. Zunächst allerdings interpretierte das RG das Aussperren eines Mieters durch Entfernen der Türklinke als Gewaltanwendung, da der Mieter und seine Familie aufgrund dieses Verhaltens den Witterungseinflüssen ausgesetzt waren und dieses eine körperliche Beeinträchtigung darstellte.^ Später lehnte es die Gewaltanwendung durch Verschließen der Eingangstür einer Werkstatt ab, weil keine Einwirkung auf den Körper des Mieters vorgelegen habe. 7 Schließlich wurde die Gewaltanwendung wiederum bejaht, denn es reiche „eine nur mittelbar gegen eine Person gerichtete Einwirkung aus, die von dem zu Überwindenden körperlich empfunden wird". - Die begrifflichen Voraussetzungen des Gewaltbegriffs hätten diese Differenzierungen nicht erzwungen.
6
b) In der Rechtsprechung des BGH hat der Gewaltbegriff keine Änderung erfahren, wohl aber sind die konstitutiven Elemente des Begriffs unterschiedlich akzentuiert worden. Am Ende dieser Entwicklung ist deutlich geworden, dass auf Seiten des Täters keine erhebliche körperliche Kraftentfaltung gefordert und dass keine unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Opfers vorausgesetzt wird. Das BVerfG hatte zunächst in dieser Interpretation des Gewaltbegriffs keinen Verstoß gegen die Verfassung gesehen.9
7
Beispiele aus der Rechtsprechung: Überraschendes oder heimliches Beibringen von Betäubungsmitteln, LSD oder Schlafmitteln'®; Absperren der Heizung in einer Frostperiode, um eine Zahlung des Mieters zu erzwingen; nicht aber bloße Unterbindung der Heizöllieferung durch entsprechende Anweisung an den Heizöllieferanten (OLG Hamm NJW 1983 S. 1505); Einflößen von Alkohol gegen den Willen des Betroffenen (BGHSt 14 S. 82); Verhindern des Überholens"; dichtes Auffahren zur Erzwingung eines Überholv o r g a n g s „ A u s b r e m s e n " und „Herabbremsen" anderer Verkehrsteilnehmer (BayOblG NJW 2002 S. 628); Einsperren (BGH StV 2003 S. 390); Spritzen einer Flüssigkeit in die Augen eines anderen, um Wegnahme von Geld zu erleichtern (BGH NStZ 2003 S. 89); Abgabe von Schreckschüssen (BGH GA 1962 S. 145); Richten einer entsicherten Pistole auf einen anderen (BGHSt 23 S. 126); Blockaden von Straßen, Zufahrten u.a., z.B. Blockieren von Straßenbahnschienen durch Sitzstreik (BGHSt 23 S. 46); Blockieren der Zufahrt zu Munitionslager (BGHSt 35 S. 270); Verteidigung eines Parkplatzes durch einen Fußgänger gegenüber Autofahrer (OLG Köln NJW 1979 S. 2056); Wegschieben eines Fußgängers aus einer Parklücke (OLG Hamburg NJW 1968 S. 662); Zufahren auf Fußgänger mit Kfz (OLG Köln VRS 95 (1998) S. 375; OLG Naumburg VRS 94 (1998) S. 338); Erzwingen des Abbruchs einer Lehrveranstaltung durch Lärm (BGH NJW 1982 S. 189); Anbringen von Hindernissen auf G l e i s e n ' 3 .
8
c) Die Entwicklung der Rechtsprechung ist in der Lehre weitgehend auf Kritik gestoßen. Es wurde und wird insbesondere geltend gemacht, dass der Gewaltbegriff jegliche Konturen verloren hat, nachdem die bloße Zwangswirkung für das Opfer an die Stelle der unmittelbaren Einwirkung auf den Körper des Opfers getreten ist, dass Sachbeschädigungen im Rahmen eines so verstandenen Gewaltbegriffs in Nötigungen umgedeutet werden können und dass die Grenze zwischen Gewaltanwendung und Drohung mit Gewalt vollkommen aufgehoben worden ist. 6
RG GA 39 (1891) S. 215, 216.
7
RGSt 20 S. 354, 356.
8
RGSt 69 S. 327,330.
9
Vgl. BVerfGE 73 S. 242 f; dazu CALLIES NStZ 1987 S. 209 ff; KÜHL StV 1987 S. 122 ff; OTTO NStZ 1987 S. 212 f; SCHMITT GLAESER Dilrig-FS, S. 91 ff; DERS. Private Gewalt im politischen Meinungskampf, 2. Aufl. 1992, S. 80 ff; STARCK JZ 1987 S. 145 ff.
10
BGHSt 1 S. 145; BGH StV 1991 S. 149; BGH NStZ 1992 S. 490.
11
BGHSt 18 S. 389; vgl. auch OLG Stuttgart MDR 1991 S. 467; vgl. aber auch OLG Hamm NJW 1991 S. 3230; BayObLG NJW 1993 S. 2882; OLG Düsseldorf StV 2001 S. 350.
12
BGHSt 19 S. 263; BayObLG NJW 1993 S. 2882; OLG Hamm NJW 1991 S. 3230; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1998 S. 58. - Anders bei kurzem Abbremsen wegen knappen Einscherens; dazu OLG Köln VRS 98 (2000) S. 124, 127 mit Anm. GEPPERT JK 00, StGB § 240/20.
13
BGHSt 44 S. 34, 39 mit Anm. DIETMEIER JR 1998 S. 470 ff, OTTO NStZ 1998 S. 513 f.
98
Nötigung
§27
Gefordert wird zum einen die Begrenzung der Gewalt auf unmittelbar körperliche Eingriffe.''' Von anderen wird eine Begrenzung des Gewaltbegriffs auf aggressives oder gewalttätiges Verhalten befürwortet. Schließlich wird versucht, den Gewaltbegriff normativ zu bestimmen' oder als physische Beeinträchtigung notstandsfähiger Güter zu interpretieren.™ Daneben stehen Versuche, die vis absoluta aus dem Tatbestand der Nötigung herauszunehmen'® oder den Tatbestand auf derartige Fälle zu beschränken' 9 bzw. unter Vernachlässigung des Tatmittels auf den Verlust der Willensfreiheit des Opfers und deren Ersetzung durch den Willen des Täters abzustellen. 2 "
9
d ) Im Jahre 1 9 9 5 e n t s c h i e d das B V e r f G , dass die A u s l e g u n g d e s G e w a l t b e g r i f f s i m Zus a m m e n h a n g m i t S i t z b l o c k a d e n durch die Strafgerichte i n s o w e i t v e r f a s s u n g s w i d r i g sei, als „die G e w a l t l e d i g l i c h in körperlicher A n w e s e n h e i t besteht und die Z w a n g s w i r k u n g a u f d e n G e n ö t i g t e n nur p s y c h i s c h e r Natur i s t . " 2 ' D i e E n t s c h e i d u n g ist in der Literatur ü b e r w i e g e n d kritisch a u f g e n o m m e n w o r d e n . 2 2 D e r B G H h i n g e g e n folgerte aus ihr, d a s s e i n e A u s l e g u n g d e s G e w a l t b e g r i f f s nur dann verfass u n g s w i d r i g sei, w e n n die G e w a l t lediglich in körperlicher A n w e s e n h e i t b e s t e h e und die Z w a n g s w i r k u n g a u f d e n G e n ö t i g t e n nur psychischer Natur s e i . 2 3 D i e s e Situation sieht er bei d e m ersten Kraftfahrer als g e g e b e n an, der v o r e i n e m D e m o n s t r a n t e n , der die Fahrbahn blockiert, anhält, nicht aber dann, w e n n der D e m o n s t r a n t d i e s e s Kraftfahrzeug b e w u s s t d a z u benutzt, andere Fahrzeuge an der Durchfahrt z u hindern, w e i l das erste Kraftfahrzeug für die w e i t e r e n Kraftfahrzeuge nicht e i n p s y c h i s c h e s , sondern ein p h y s i s c h e s Hindernis d a r s t e l l t 2 4 E s ist durchaus m ö g l i c h , in dieser A r g u m e n t a t i o n „ e i n e M i s s a c h t u n g der G e -
10
14
BERGMANN Das Unrecht der Nötigung (§ 240 StGB), 1983; K.OSTARAS Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, 1982; SCHMIDHÄUSER Β.Τ., 4/4, 4/15; SEILER Pallin-FS, S. 399; WEBER in: Arzt/Weber, LH1, Rdn. 582; WOLTER NStZ 1985 S. 193 ff, 245 ff.
15
CALLIES Recht und Staat, 1974, S. 33; OTT Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 5. Aufl. 1987,
16
Vgl. v. HEINTSCHEL-HEINEGG Die Gewalt als Nötigungsmittel im Strafrecht, 1975, S. 236; JAKOBS H. Kaufinann-GS, S. 796 ff; LESCH Rudolphi-FS, S. 486; TIMPE Die Nötigung, 1989, S. 70 ff; vgl. auch
§ 15 R d n . 9; PAEFFGEN G r ü n w a l d - F S , S. 4 6 3 ; ZÖLLER G A 2 0 0 4 S. 161.
SCHROEDER N J W 1996 S. 2 6 2 9 . - Z u r A u s e i n a n d e r s e t z u n g HERZBERG G A 1 9 9 7 S. 2 5 4 ff. 17
'
8
19
V g l . KINDHÄUSER N K , V o r § 2 4 9 R d n . 13; DERS. Β . Τ . I, § 12 R d n . 2 2 . GROPP/SINN M K , § 2 4 0 R d n . 5 9 f; HRUSCHKA J Z 1995 S. 7 4 0 ; KÖHLER L e f e r e n z - F S , S. 5 2 4 . - Z u r A u s e i n a n d e r s e t z u n g HERZBERG G A 1 9 9 7 S. 2 5 7 ff; KARGL R o x i n - F S , S. 9 0 6 ff. SOMMER N J W 1985 S. 7 6 9 , 7 7 2 .
Vgl. GÖSSEL in: Recht in Ost und West, hrsg. v. Institute of Comparative Law Waseda University, 1988, S. 956 ff. 21
BVerfGE92 S. 1, 18.
22
Dazu im Einzelnen: ALTVATER NStZ 1995 S. 278 ff; AMELUNG NJW 1995 S. 2584 ff; HERZBERG GA 1 9 9 6 S. 5 5 7 ff; ISENSEE J Z 1996 S. 1089; KREY J R 1995 S. 2 6 5 ff; LESCH J A 1995 S. 8 8 9 ff; OTTO J K 9 5 , S t G B § 2 4 0 1/15; RÖELLECKE N J W 1 9 9 5 S. 1 5 2 5 ff; TRÖNDLE O d e r s k y - F S , S. 2 8 4 ff; DERS. B G H -
FG, S. 530 ff; SCHOLZ NStZ 1995 S. 417 ff; SCHROEDER JUS 1995 S. 875 ff. - Anders jedoch: ARNOLD JUS 1 9 9 7 S. 2 8 9 ff ( g e g e n ihn H e r z b e r g J u S 1 9 9 7 S. 1 0 6 7 f f ) ; GUSY J Z 1995 S. 7 8 3 ff; HESELHAUS J A 1 9 9 5 S. 7 4 8 ff; HRUSCHKA N J W 1996 S. 160 ff. 23
BGHSt 41 S. 182. - Vgl. auch BayObLG MDR 1996 S. 409: Gewalt, wenn eingehakt sitzende Demonstranten die Fahrbahn blockieren; BGH StV 2002 S. 360: Gewalt, wenn sich der Straßenblockierer auf die Haube eines Fahrzeugs legt; BVerfGE 104 S. 92: Gewalt, wenn Teilnehmer einer Blockade über körperliche Anwesenheit hinaus eine physische Barriere errichten.
24
Vgl. auch BGH NJW 1995 S. 2862; BGH NStZ 1995 S. 592; OLG Hamm VRS 92 (1997) S. 208; OLG Karlsruhe NJW 1996 S. 1551; OLG Zweibrücken NJW 1996 S. 2246. - Zust. KREY/JAEGER NStZ 1995 S. 542 ff; GEPPERT JK 96, StGB § 240/17; RHEINLÄNDER Bemmann-FS, S. 404 ff; Schmidt JuS 1995 S. 1 1 3 5 ff; SCH/SCH/ESER V o r § 2 3 4 R d n . 10; TRÖNDLE B G H - F G , S. 5 2 7 f, 5 4 0 ff; TRÖNDLE/FISCHER §
240 Rdn. 25. - Ablehnend OLG Koblenz NJW 1996 S. 3351 mit Anm. OTTO JK 95, StGB § 240 1/18;
99
11
§27
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
waltverneinung durch das BVerfG" zu erkennen, doch sieht das BVerfG das offenbar anders. 25 Das ist zu begrüßen, denn die Entscheidung des BVerfG ist unter diesem Gesichtswinkel selbst als Missachtung des in jahrzehntelanger Praxis konkretisierten Gesetzestextes zu beurteilen, da es dem Gericht offenbar darum ging, bestimmte Täter aus dem Nötigungstatbestand herauszudefinieren, und das selbst um den Preis „absurder Ergebnisse". 26 12 Wird nämlich zum einen eine „erhebliche Kraftentfaltung" seitens des Täters gefordert, so könnten weder der Schuss mit der Pistole, noch der Einsatz anderer technischer Hilfsmittel, die mit weniger Kraftaufwand eingesetzt werden können, z.B. Presslufthammer, Dampfwalze, Kraftfahrzeug, technische Hilfsmittel (Reizgas, Betäubungsmittel) als Gewaltanwendung interpretiert werden. 27 - Die Hoffnung, dass man nicht annehmen könne, „daß das BVerfG einen solchen Unsinn gewollt haben sollte" 28 , mag tröstlich sein, ändert jedoch nichts an den begrifflichen Vorgaben des Gerichts. Zum anderen wird durch den Ausschluss von „Zwangswirkungen, die nicht auf den Einsatz körperlicher Kraft, sondern auf geistig-seelischem Einfluss beruhen" aus dem Gewaltbegriff dieser - vom Gesetzgeber ausdrücklich gewählte Begriff - auf den der Gewalttätigkeit reduziert. - Schläge, mit denen das Opfer „weichgeklopft" werden soll, z.B. ein Betriebsgeheimnis zu verraten, könnten nicht mehr als Gewalt angesehen werden, weil ihre Wirkung auf „geistig-seelischem Einfluss" beruht, nämlich auf der Angst vor weiteren Schlägen. Immerhin lässt sich hier noch eine Drohung konstruieren. Kurios aber wird es schlicht, wenn das Festhalten einer Person an einem Ort als Gewalt angesehen wird, nicht aber das Blockieren der Räder des Fahrzeugs, mit dem der gleiche Effekt erreicht wird; wenn die Drohung, den Laden eines anderen auszuräumen, um diesen zur Geschäftsaufgabe zu zwingen, als Nötigung erfasst wird, nicht aber das Ausräumen selbst, mit dem das gewünschte Ziel erreicht wird, 29 oder wenn, um auf die Sitzblockaden zurückzukommen - die Drohung, sich vor ein Fahrzeug zu werfen, falls der Fahrer nicht anhalte, als Nötigung bestraft wird, nicht aber die Ausfuhrung des Verhaltens ohne vorherige Ankündigung, mit der das Fahrzeug wirksam blockiert wird! - Die hier begründeten Differenzierungen sind willkürlich und damit rechtsstaatlich nicht mehr erträglich. 13 e) Ausgangspunkt der Abgrenzung der Gewaltanwendung von der Drohung und anderen nicht gewaltsamen Eingriffen kann nur die jeweilig unterschiedliche Zwangswirkung sein, wobei die Gegenwärtigkeit der Zwangswirkung im Gegensatz zum künftig in Aussicht gestellten Übel das wesentliche Abgrenzungskriterium ist, das aber weiterer Eingrenzung bedarf. 30 Die Zwangswirkung muss nicht nur gegenwärtig sein, sie muss sich körperlich OLG Koblenz NStZ-RR 1990 S. 46 ff; AMELUNG NStZ 1996 S. 230 f; HOYER JUS 1996 S. 200 ff; HERZBERG G A 1 9 9 6 S . 5 6 2 ; HRUSCHKA N J W 1 9 9 6 S. 160 f f ; KNIESEL N J W 1 9 9 6 S. 2 6 1 0 ; LESCH S t V
1996 S. 152; PRIESTER Bemmann-FS, S. 383 f. 25 26 27
28 29
30
Vgl. einerseits HERZBERG GA 1996 S. 562, andererseits BVerfG NJW 2002 S. 2308. AMELUNG NStZ 1996 S. 231. Vgl. auch AMELUNG NJW 1995 S. 2590; SCHROEDER JUS 1995 S. 877 f. - A.A. OLG Koblenz NStZRR 1998 S. 47 mit dem Argument, Tathandlung sei in diesen Fällen nicht die „Fingerbewegung", sondern das „Auslösen der Explosion" u.Ä. Warum dafür aber erhebliche Kraft aufgewendet worden sein soll, erklärt das OLG Koblenz nicht. SCHROEDER JuS 1995 S. 878; dazu auch HERZBERG GA 1996 S. 563. Dazu BGH wistra 1987 S. 212; OLG Köln NJW 1996 S. 472. ZUR Gegenwärtigkeit der Zwangswirkung: HAFT B.T., § 19 II 2 a; KNODEL Der Begriff der Gewalt im S t r a f r e c h t , 1 9 6 2 , S. 5 2 f f ; SCH/SCH/ESER V o r § 2 3 4 R d n . 6 , 9 , 15 f f ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 0 R d n . 2 5
(Unmittelbarkeit).
100
Nötigung
§27
auswirken, körperlich vermittelt werden. 31 Dieses ist der Fall, wenn der Genötigte ihr entweder überhaupt nicht, nur mit erheblicher Kraftentfaltung oder in nicht zumutbarer Weise begegnen kann. - Die Voraussetzung der Körperlichkeit wird damit allerdings normativiert, indem das maßgebliche Kriterium nicht in der körperlichen Empfindung des Zwangs, sondern in seiner körperlichen Auswirkung erkannt wird. 32 Diese Normativierung ist aber erforderlich, weil die Beschränkung der Nötigung auf Brachialgewalt dem sozialen Sinngehalt nötigenden Verhaltens im heutigen Sozialleben nicht mehr gerecht werden würde. 33 Demgemäß ist Gewalt, der - nicht notwendig erhebliche - Einsatz körperlicher Kraft- 14 entfaltung, der sich auf die Person, gegen die er sich richtet, nicht nur als seelischer (psychischer), sondern als körperlicher (physischer) Zwang auswirkt. Körperlich wirkt sich ein Zwang aus, wenn das Opfer ihm in der konkreten Situation gar nicht, nur mit erheblicher Kraftentfaltung oder in unzumutbarer Weise begegnen kann,34 f) Konsequenzen: Die nötigende Gewalt kann sich unmittelbar gegen die Person, die zu 15 einem bestimmten Verhalten gezwungen werden soll, richten, sie kann ihre Zwangswirkung aber auch durch Einwirkung auf Sachen oder auf dritte Personen entfalten. Auch Gewalt gegen einen Dritten ist Gewalt gegen den zu Nötigenden, soweit diese die Willensbildung oder Willensbetätigung des zu Nötigenden in der vorausgesetzten Weise beeinträchtigt. Dass der Dritte dem zu Nötigenden in besonderer Weise nahe steht, ist nicht erforderlich, maßgeblich ist die Zwangswirkung. Zur Verdeutlichung: Fall 1: A, der selbst nicht Autofahren kann, wird gezwungen eine Fahrt abzubrechen, weil sein Chauffeur niedergeschlagen wird. Ergebnis: Gewalt gegen den Chauffeur zugleich Gewalt gegen A, da dem Α die Betätigung seines Willens unmöglich gemacht wird. 3 ^ Fall 2: Wie Fall 1, aber Α wird gezwungen seine Reise abzubrechen, weil sein Chauffeur in einen Keller eingesperrt wird, dessen Tür Α nur mit großen Mühen aufbrechen könnte. Ergebnis: Wie Fall 1, da Α dem Zwang nur mit erheblicher Kraftentfaltung begegnen könnte. Fall 3: Wie Fall 1, allerdings könnte Α das Auto fahren, aber er besitzt keinen Führerschein. Ergebnis: Wie Fall 1, denn es ist Α unzumutbar, dem Zwang durch Fahren ohne Führerschein zu entgehen.
31
Hierzu BROHM JZ 1985 S. 503 ff; BUSSE Nötigung im Straßenverkehr, 1968, S. 94 ff; 100 ff; GEERDS Einzelner und Staatsgewalt im geltenden Strafrecht, 1969, S. 31; KREY Zum Gewaltbegriff im Strafrecht, 1. Teil, in: BKA (Hrsg.), Was ist Gewalt?, 1986, Rdn. 136; WELZEL Lb., § 43 I 1.
32
Gegen die Gleichsetzung der körperlichen Auswirkung mit der körperlichen Einwirkung HERZBERG GA 1997 S. 268 f. Er selbst zieht die Konsequenz, auf die körperliche Einwirkung zu verzichten und als Nötigende Gewalt das reale Schaffen von Tatsachen zu sehen, die beim Opfer antreibenden oder hemmenden Zwang bewirken; vgl. GA 1997 S. 251 ff, 277 f. - Damit jedoch geht die Differenz zur Drohung in erheblichem Maße verloren, wie HERZBERG durchaus erkennt; vgl. GA 1997 S. 273 ff. - HERZBERG erkennt in der Sitzblockade eine Drohung mit empfindlichem Übel, GA 1996 S. 577 ff, dagegen aber HOYER G A 1 9 9 7 S . 4 5 1 ff m i t R e p l i k v o n HERZBERG G A 1 9 9 8 S . 2 1 1 ff.
3 3
KÜPER JUS 1 9 9 6 S . 7 8 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 0 R d n . 10; LESCH J A 1 9 9 5 S . 8 9 4 ; O T T O N S t Z
1987
S . 2 1 2 f; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 4 0 R d n . 2 5 . 34
Vgl. dazu BayObLG NJW 1990 S. 59; OLG Köln StV 1990 S. 266; BUCHWALD DRiZ 1997 S. 522; DIERLAMM N S t Z 1 9 9 2 S . 5 7 5 ; KREY G e w a l t b e g r i f f , R d n . 2 3 6 ; KÜPER B . T . , S . 1 6 1 ff; LACKNER/KÜHL § 2 4 0 R d n . 10; OTTO N S t Z 1 9 9 2 S . 5 7 0 ; SCH/SCH/ESER V o r § 2 3 4 R d n . 2 2 ; SCHMITT GLAESER P r i v a t e
Gewalt, S. 23; TRÖNDLE Rebmann-FS, S. 494; TRÖNDLE/FISCHER § 240 Rdn. 8 , 2 3 . 35
Vgl. auch RGSt 17 S. 82; TRÄGER/ALTVATER LK, § 240 Rdn. 46.
101
16
§27
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
3. Die Drohung mit einem empfindlichen Übel 17 a) Drohung ist die Ankündigung eines Übels, auf dessen Eintritt der Drohende - zumindest vorgeblich - Einfluss hat. - Ob der Täter die Drohung realisieren will oder sich insgeheim vorbehält, dieses nicht zu tun, ist unwesentlich. 18 b) Empfindlich ist das Übel, wenn es einen Nachteil von solcher Erheblichkeit bedeutet, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn von dem konkret Bedrohten in seiner individuellen Lage nicht erwartet werden kann, dass er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält.36 Zur Verdeutlichung: 19
Fall 1: Dem A, einem ehemaligen Alkoholiker, bei dem schon die kleinste Menge Alkohol zum Rückfall führen kann, wird von Β angedroht, er werde demnächst ein Getränk des Α mit einer geringen Menge Alkohol versetzen, wenn Α nicht einen bestimmten Betrag bezahlt. Ergebnis: Einen „besonnenen Durchschnittsmenschen" würde die Drohung des Β sicher nicht ängstigen. Warum der Α aber deshalb gegen Nötigung nicht geschützt sein soll, nur weil seine körperliche Verfassung der des Durchschnittsmenschen nicht entspricht, ist nicht einzusehen.
20
Fall 2: A, der etwas nervös ist, pflegt hin und wieder übersteigert zu reagieren. Als Β ihn auffordert, ihn in seine Geschäftsgeheimnisse einzuweihen, sonst werde er ein Volkslied heruntergröhlen, gibt Α nach. Ergebnis: Auch unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten des Α liegt keine Androhung eines empfindlichen Übels vor. Α reagiert nicht auf einen erheblichen Zwang, sondern auf eine bloße Störung seiner Ruhe. Auch in seiner individuellen Lage kann erwartet werden, dass er der Drohung standhält.
c) Die Androhung eines Unterlassens 21
Fall: Abwandlung von BGHSt 31 S. 195: Die Ladendiebin Β ist gefasst worden. Der Hausdetektiv Η hat eine Anzeige geschrieben und in die Post gegeben. A, ein Kollege des H, bietet der Β an, diese Anzeige aus der Post zu entfernen, wenn sie mit ihm schlafe.
22 Z.T. wird die Ankündigung eines Unterlassens in Lehre und Rechtsprechung nur dann als Drohung mit einem Übel verstanden, wenn eine Rechtspflicht des Drohenden zum Handeln besteht: Wer nur in Aussicht stellt, ein dem Opfer drohendes Übel durch Dritte oder einen schon in Gang befindlichen Kausalverlauf nicht abzuwenden, kündigt selbst kein Übel an, im Gegenteil, er stellt lediglich einen Vorteil in Aussicht, den er allerdings vergütet haben möchte. 37 23 Die Gegenmeinung sieht in dieser Argumentation eine unzulässige Übertragung der Grundsätze der Haftung aus einem unechten Unterlassungsdelikt auf ein Begehungsdelikt 36
Vgl. BGHSt 31 S. 201; BGH NStZ 1992 S. 278. - Dazu auch: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALÖ B.T.l, § 13 Rdn. 26; WELZEL Lb., § 43 1 1 a. - Einen objektiven Maßstab - Eignung der Drohung, „einen besonnenen Durchschnittsmenschen" zu bestimmen - fordern: BayObLGSt 1955 S. 12; KLEIN Zum Nötigungstatbestand - Strafbarkeit der Drohung mit einem Unterlassen, 1988, S. 136 ff; KREY B.T.l, Rdn. 326; LACKNER/KÜHL § 240 Rdn. 14; SCH/SCH/ESER § 240 Rdn. 9. - Das empfindliche Übel setzen mit einem rechtswidrigen Übel gleich: AMELUNG GA 1999 S. 192; JAKOBS Peters-FS, S. 76. - Aus BVerfGE 92, 1 leitet HOYER GA 1997 S. 451 ff, die Forderung einer Einschränkung des Übel-Begriffs ab.
37
Vgl. BGH GA 1960 S. 278; OLG Hamburg NJW 1980 S. 2592; AMELUNG GA 1999 S. 201; BAUER JZ 1 9 5 3 S. 6 5 2 f; FROHN S t V 1 9 8 3 S. 3 6 5 f; GUTMANN F r e i w i l l i g k e i t als R e c h t s b e g r i f f , 2 0 0 1 , S. 2 9 6 ff;
HAFFKE ZStW 84 (1972) S. 71 Anm. 135; HERZBERG Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 150; HORN NStZ 1983 S. 497 ff; OSTENDORF NJW 1980 S. 2592 f; ROXIN JuS 1 9 6 4 S. 3 7 7 ; DERS. m o d i f i z i e r e n d J R 1 9 8 3 S. 3 3 5 f; SCHUBARTH J u S 1981 S. 7 2 6 ff; TIMPE J u S 1 9 9 2 S. 751.
102
Nötigung
§27
durch Ankündigung einer Unterlassung, die kriminalpolitisch keineswegs erwünscht ist. Die generelle Ausklammerung der Ankündigung rechtmäßigen Unterlassens aus §§ 240, 253 eröffnet nämlich die Möglichkeit rechtswidriger Willensbeeinflussung in Fällen, in denen die Koppelung von Mittel und Zweck sozial unerträglich ist. 38 Zwar erscheint die Androhung, die Abwendung eines bereits drohenden Übels zu un- 24 terlassen, objektiv als Vorteil für den Betroffenen. Subjektiv ist jedoch maßgeblich, dass dem Betroffenen ein Übel droht, auf das der Täter Einfluss zu haben vorgibt. Würde man diese Fälle bereits aus dem Tatbestand der Nötigung ausscheiden, so wäre hier die Möglichkeit rechtswidriger Willensbeeinflussung eröffnet. Die Problematik ist daher nicht auf der Ebene des Tatbestandes, sondern innerhalb der Rechtswidrigkeitsprüfung zu lösen.
II. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand des § 240 Abs. 1 verlangt Vorsatz, bedingter genügt.
25
Demgegenüber wird in der Lehre z.T. ein zielgerichtetes Handeln zu Nötigungszwecken gefordert, denn es erscheint nicht überzeugend, z.B. denjenigen, der ein fremdes Kraftfahrzeug zerstört hat, auch wegen Nötigung zu bestrafen, wenn er weiß, dass der Eigentümer des Fahrzeugs durch sein Verhalten gezwungen wird, nunmehr zu Fuß nach Hause zu g e h e n d
26
Derartige Konsequenzen sind aber nicht durch die Beschränkung des Vorsatzes zu korrigieren. Die Vermögensdelikte schützen die gegenständliche Gewährleistung subjektiver Entfaltung der Person. Soweit diese Entfaltung durch eine Sachzerstörung oder -entziehung beeinträchtigt wird, ist der Unrechtsgehalt voll durch das Vermögensdelikt erfasst oder - falls das Verhalten als Vermögensdelikt nicht strafbar ist - vom Gesetzgeber als nicht strafwürdig beurteilt worden. Erst einer darüber hinausgehenden Absicht käme im Rahmen der Nötigung Eigenständigkeit zu. - Die Problematik liegt hier genauso wie in dem Fall, dass der Straftäter den Polizisten durch Flucht zur Verfolgung „nötigt". Diesem Verhalten kommt keinerlei Eigenständigkeit neben der zuvor erfolgten Deliktsverwirklichung zu. Dass in derartigen Fällen daher nur die beabsichtigte Nötigung eigenständig zu erfassen ist, ändert nichts daran, dass die Nötigung selbst grundsätzlich auch mit bedingtem Vorsatz verwirklicht werden kann.''®
27
III. Die Rechtswidrigkeit der Nötigung 1. Rechtfertigungsgrund
und
Verwerflichkeitsprüfung
a) Schon bei der Verletzung scharf umrissener Rechtsgüter wie Leben, Körper, Eigentum 28 o.Ä. ist der Satz: „der Tatbestand indiziert die Rechtswidrigkeit, wenn nicht ein Rechtfertigungsgrund vorliegt", unrichtig, weil er von der Fiktion eines geschlossenen und bekannten Kreises von Rechtfertigungsgründen ausgeht und den dem Täter gegenüber zu erbringenden positiven Nachweis der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu dessen Lasten durch die bloße Aufzählung nicht vorliegender Rechtfertigungsgründe ersetzt. Z u r W i e d e r h o l u n g : GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 R d n . 3 f.
3 8
V g l . B G H S t 3 1 S . 1 9 5 , 2 0 1 f ; O L G K a r l s r u h e N J W 2 0 0 4 S . 3 7 2 4 ; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 17 R d n . 6 9 ; GROPP/SINN M K , § 2 4 0 R d n . 8 3 ff; HERDEGEN L K , § 2 5 3 R d n . 4 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 0 R d n . 2 0 ; STOFFERS J R 1 9 8 8 S . 4 9 6 f; TRÄGER/ALTVATER L K , § 2 4 0 R d n . 6 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 0 R d n . 3 4 ; VOLK J R 1 9 8 1 S . 2 7 4 . - M o d i f i z i e r e n d : A R Z T L a c k n e r - F S , S . 6 5 6 f; SCHROEDER J Z 1 9 8 3 S . 2 8 8 .
3 9
Vgl.
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
B.T.l,
§ 13
Rdn.
41;
SCHMIDHÄUSER
B.T.,
4/14,
17;
SCH/SCH/ESER § 2 4 0 R d n . 3 4 ; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , R d n . 4 1 9 ; WOLTERS S K II, § 2 4 0 R d n . 7 . 4 0
W i e h i e r : B G H S t 5 S . 2 4 6 ; GEILEN Η . M a y e r - F S , S . 4 6 1 ; HAFFKE Z S t W 8 4 ( 1 9 7 2 ) S . 5 1 f f ; JAKOBS J R 1 9 8 2 S . 2 0 6 f; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 4 0 R d n . 5 3 .
103
§27
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
29 Bei einem Rechtsgut, das allein schon durch seine Weite unzähligen verschiedenen Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, wäre die schlichte Erwägung, ob im Falle einer solchen Beeinträchtigung ein herkömmlicher Rechtfertigungsgrund vorliegt oder nicht, geradezu verhängnisvoll. - Bereits die Tatsache, dass die rechtfertigenden Situationen zunächst bei den Verletzungen von Leib und Leben ins Auge fielen und im Verständnishorizont dieser Eingriffe ausformuliert wurden, macht deutlich, dass sie gar nicht geeignet sind, die Vielfalt der hier möglichen Situationen sachgerecht zu erfassen. Eine haltlose Vielstraferei wäre die Folge, wollte man die Rechtfertigung derart begrenzen. 30 b) Mit dem Verweis auf die Verwerflichkeit in § 240 Abs. 2 anstatt auf die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens soll daher nicht etwa die Strafbarkeit erweitert werden, so dass auch nicht rechtswidriges, aber sittlich anstößiges Verhalten strafbar wäre, sondern Zwang ausgeübt werden, genau zu prüfen, ob ein rechtswidriges Verhalten aufgrund seiner Sozialschädlichkeit oder -gefährlichkeit bereits einen solchen Grad der Strafwürdigkeit aufweist, dass es mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden muss. 31 Daraus folgt: Ein gerechtfertigtes Verhalten ist in diesem Sinne niemals verwerflich. Die herkömmlichen Rechtfertigungsgründe sind daher vor der Verwerflichkeit zu prüfen. Mit der Ablehnung des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes ist jedoch noch nicht die Strafwürdigkeit des Verhaltens dargetan. Diese ist in der Verwerflichkeitsprüfung nachzuweisen. Der Ausschluss der Verwerflichkeit beseitigt die Strafwürdigkeit des Verhaltens, d.h. die Rechtswidrigkeit i.S. des § 240 Abs. 2. 41 32
GÜNTHER spricht hier zutreffend von einem Strafunrechtsausschluss im Gegensatz zum allgemeinen Ausschluss der Rechtswidrigkeit, da das Strafunrecht stets in besonderer Weise strafwürdiges Unrecht sein muss. 4 2
2. Der Inhalt der
Verwerflichkeitsklausel
33 a) Ob ein Verhalten verwerflich ist, darf nicht isoliert nach dem eingesetzten Mittel oder dem erstrebten Zweck beurteilt werden, sondern ist aus der sog. Mittel-Zweck-Relation, d.h. aus der Verknüpfung von Nötigungsmittel und -zweck, herzuleiten. Sachlich kommt es darauf an, ob die Nötigung aufgrund dieser Relation nach allgemeinem Urteil so sozialethisch zu missbilligen ist, „daß sie ein als Vergehen strafwürdiges Unrecht, eine über die Erfüllung eines bloßen Übertretungstatbestandes hinausgehendes Unrecht" 43 , ein „sozial unerträgliches" Verhalten 44 darstellt. 34 Unter Berücksichtigung der Funktion der Verwerflichkeitsklausel bedeutet das: In einem Verfahren sozialethischer Wertung, wie es aus der Arbeit mit dem rechtfertigenden Notstand bekannt ist, gilt es zu prüfen, ob ein bestimmtes Verhalten bereits als sozialschädliche, sozialgefahrliche und damit strafwürdige Verhaltensweise erscheint oder ob es noch als sozialstörendes, unerwünschtes Verhalten unterhalb der Strafwürdigkeitsgrenze angesehen werden kann. 41
Vgl. BGHSt 2 S. 194, 195 f; 35 S. 270; BERGMANN Unrecht, S. 171 ff, 176; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 1 8 R d n . 17; OTTO N S t Z 1 9 9 2 S . 5 7 1 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 4 / 1 8 ; TRÄGER/ALTVATER L K , § 2 4 0 R d n . 68.
- A.A.
Tatbestandsausschluss:
HIRSCH L K ,
Vor
§ 32
Rdn.
1 9 ; JAKOBS A . T . ,
6/61
ff;
MAU-
RACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 13 Rdn. 43; ROXIN ZStW 82 (1970) S. 682 f; SCH/SCH/ESER § 240 Rdn. 16. 42
Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 322 f.
43
BGHSt 18 S. 391.
4 4
WELZEL L b . , § 4 3 I 3 b ; v g l . a u c h KÜPER B . T . , S . 2 3 0 f.
104
Nötigung
§27
b) Bei der Bestimmung der Mittel-Zweck-Relation sind die subjektiv verfolgten Zwecke 35 des Täters umfassend zu würdigen. Eine Begrenzung auf den unmittelbar angestrebten Zweck - sogenanntes Nahziel - im Gegensatz zu den über das Nahziel hinausgehenden Zwecken - sogenannte Fernziele - ist sachlich unangemessen, denn es handelt sich um eine Rechtswidrigkeitsprüfung im weiteren Sinne, die methodisch auf das Verhaltens des Täters bezogen ist, das als Objektivation subjektiver Zielsetzung umfassend und nicht nur in einem Teilbereich zu würdigen ist. 45 Bei allen Rechtfertigungsgründen gibt es nämlich tatbestandsmäßige Nahziele und rechtfertigende Fernziele. Beispiel: Veranlasst Α den Autofahrer Β zum Anhalten, weil hinter der nächsten Kurve ein Felsbrocken auf der Straße liegt, der für Β eine tödliche Gefahr bedeutet, so wäre die Rechtswidrigkeitsprüfung unter dem Aspekt des rechtfertigenden Notstands, § 34, methodisch verfehlt, würde man den Eingriff in die Freiheit des Β allein unter dem Aspekt des Nahziels: „Anhalten" des Β beurteilen. Selbstverständlich ist hier zu berücksichtigen, dass das Anhalten erfolgt, um das Fernziel: „Lebensrettung" des Β zu ermöglichen.
36
Da § 240 Abs. 2 eine Korrektur der Rechtswidrigkeitsprüfung darstellt, gelten auch hier 37 die Kriterien, die für die Feststellung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Verhaltens maßgeblich sind. Eine ganz andere Problematik ist es hingegen, dass die Durchsetzung politischer, religiöser, weltanschaulicher und wirtschaftlicher Ziele des Täters nicht Eingriffe in Rechtsgüter Dritter legitimieren kann. Ob ein Eingriff in die Freiheit eines Dritten noch als sozial erträglich unterhalb der Grenze der Strafwürdigkeit anzusehen ist, kann nicht durch eine Differenzierung von Nah- und Fernzielen entschieden werden, sondern ist nach Art, Weise, Umfang und Veranlassung des Eingriffs selbst zu bestimmen. 46 c) Unter Beachtung dieser Grundsätze wird die Nötigung dann als strafwürdig anzusehen 38 sein, wenn ein gravierender Eingriff in die Rechtsgüter eines anderen zur Durchsetzung eigener - egoistischer oder altruistischer - Zwecke erfolgt oder wenn dessen Autonomie dadurch gravierend beeinträchtigt wird, dass zwei nicht zusammenhängende Lebensvorgänge willkürlich durch den Täter verknüpft werden und ein Standhalten des Opfers mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen fur das Opfer verbunden ist. Das bedeutet: Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die An- 39 drohung des Übels nach Zweck, Art und Umfang des Eingriffs in die Willensbildungs- oder Willensbetätigungsfreiheit nicht geringfügig oder im Hinblick auf ein pflichtwidriges Vorverhalten des Genötigten unangemessen ist,47 45
Für eine Begrenzung der Beurteilung auf die sog. Nahziele dagegen: BGHSt 35 S. 270; OLG DÜSSELDORF M D R 1 9 8 9 S . 8 4 0 ; O L G Ζ WEIBRÜCKEN S t V 1 9 9 0 S . 2 6 4 ; A R Z T W e l z e l - F S , S . 8 2 8 f f ; BAUMANN N J W 1 9 8 7 S . 3 7 ; DERS. Z R P 1 9 8 7 S . 2 6 5 ; BROHM J Z 1 9 8 5 S . 5 0 1 , 5 1 1 ; JAKOBS J Z 1 9 8 6 S . 1 0 6 4 ; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 18 R d n . 2 9 f f ; KÜHL S t V 1 9 8 7 S . 1 2 2 fT; LACKNER/KÜHL § 2 4 0 R d n . 18 a ; S T A R C K J Z 1 9 8 7 S . 1 4 5 , 1 4 8 ; TRÖNDLE L a c k n e r - F S , S . 6 3 4 ; DERS. R e b m a n n - F S , S. 4 8 1 , 4 9 9
ff. Nicht durchgehalten wird die Differenzierung in Nah- und Fernziele in BGH NStZ 1997 S. 494 mit Anm. OTTO JK 98, StGB § 240/19. 46
Für eine umfassende Beurteilung der tatrelevanten Umstände, wenn auch mit zum Teil unterschiedlicher G e w i c h t u n g : BERGMANN U n r e c h t S . 1 8 4 ; ESER J a u c h - F S , S . 3 9 f f ; ARTHUR KAUFMANN N J W
1988
S . 2 5 8 3 ; DERS. P . - S c h n e i d e r - F S , S . 1 6 7 ; KÜPPER B . T . 1, I § 3 R d n . 6 2 ; MEURER/BERGMANN J R
1988
S. 52 f; OTTO NStZ 1992 S. 571 ff; OTTO/KREY/KÜHL Gutachten, Rdn. 70 ff; NEUMANN ZStW 109 ( 1 9 9 7 ) S . 13 f f , 15; RENGIER B . T . II, § 2 3 R d n . 6 8 ; REICHERT-HAMMER P o l i t i s c h e F e r n z i e l e u n d U n r e c h t , 1 9 9 1 , S . 7 5 f f ; S C H / S C H / E S E R § 2 4 0 R d n . 2 9 ; TRÄGER/ALTVATER L K , § 2 4 0 R d n . 8 1 f f . 4 7
In d i e g l e i c h e R i c h t u n g a r g u m e n t i e r e n : SCHMITT GLAESER B a y V B l
1 9 8 8 S . 4 5 7 f; DERS. D ü r i g - F S ,
S . 1 0 6 f f ; VOLK J R 1 9 8 1 S . 2 7 4 ; i m ü b r i g e n v g l . ARZT W e l z e l - F S , S . 8 2 3 f f ; HANSEN D i e t a t b e s t a n d l i -
105
§27
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Positiv formuliert: Nicht rechtswidrig ist die Tat, wenn die Armendung der Gewalt oder die Androhung des Übels nach Zweck, Art und Umfang des Eingriffs in die Willensbildungs- oder Willensbetätigungsfreiheit geringfügig oder im Hinblick auf ein pflichtwidriges Vorverhalten des Genötigten angemessen ist. 40 Der Versuch, von der „Rechtfertigungsnähe" der Tat den Ausschluss der Verwerflichkeit zu begründen48, bleibt demgegenüber zu unbestimmt und erfasst Kriterien, die den „nahen Rechtfertigungsgrund" gar nicht betreffen. 49 3. Zur Verdeutlichung 41
a) BGHSt 5 S. 254: Der Vermieter V erhält davon Kenntnis, dass sein Mieter M, mit dem er seit langem in Streit lebt, versucht hat, seine Scheune anzuzünden. V schreibt ihm, er werde ihn wegen versuchter Brandstiftung anzeigen, falls er nicht auf der Stelle ausziehe. BGH: Nötigung des Μ durch V nicht verwerflich, da der Sachverhalt, der das Recht zur Strafanzeige gibt, zugleich den Anspruch begründet, den V geltend macht. Das bedeutet: Die Tatsache der unerlaubten Selbsthilfe als solche ist noch nicht strafwürdig, wenn der Täter dem Betroffenen die rechtlichen Maßnahmen androht, zu denen er aufgrund des in Rede stehenden Sachverhalts berechtigt wäre oder die ihm auch im Rechtswege gewährt würden, selbst wenn der Erfolg im Rechtswege mit Zeitaufwand verbunden ist.^O - Anders, wenn einem noch nicht gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff unter bewusster Ausschaltung staatlicher Zwangsmittel mit rechtswidrigen Mitteln begegnet wird.^'
42
b) BGHSt 31 S. 195 - zum Sachverhalt vgl. oben Rdn. 21: Die Verknüpfung der Beseitigung der Anzeige mit der Aufforderung zum Geschlechtsverkehr ist verwerflich. Hier werden heterogene Lebensvorgänge in einen nötigenden Zusammenhang gebracht, und ein Standhalten des Opfers ist für dieses mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbunden. Daher kommt es nicht darauf an, dass das Opfer keinen Rechtsanspruch auf die Beseitigung der Anzeige hatte.
43
c) OLG Koblenz JR 1976 S. 69 mit Anm. ROXIN S. 71 ff: Die A, eine Filialleiterin, forderte von einer ertappten Ladendiebin DM 50,- als Bearbeitungsgebühr (Fangprämie), sonst werde sie Anzeige erstatten. Sie ging davon aus, dass aufgrund der Aufwendungen für Beobachtungen und des Arbeitsausfalles ein derartiger Anspruch gegen die Ladendiebin bestehe. OLG Koblenz: Nötigung. - Dagegen mit Recht ROXIN: Bestand der Anspruch, so diente die Drohung mit der Anzeige wegen Diebstahls allein der Durchsetzung und Klärung des Anspruchs aus dem Diebstahl. Die A nahm dann durch Drohung mit der Anzeige ihre Rechte wahr, machte sich aber keiner verwerflichen Nötigung s c h u l d i g . - Falls Α den Bestand des Anspruchs irrig annahm: vgl. Fall h).
44
d) BGHSt 44 S. 251 mit Anm. OTTO JK, StGB § 253/5: Α verband die Forderung nach Schmiergeldern gegenüber B, indem er zum einen einen rechtswidrigen Vertragsbruch androhte, zum anderen aber drohte, eine Erweiterung des bisherigen Auftragsvolumens zu unterlassen.
45
e) BGHSt 35 S. 270: Α und andere beteiligten sich am 9. 5. 1983 an einer ganztägigen Blockadeaktion vor dem Sondermunitionslager Großengstingen. Durch Blockade der einzig befahrbaren Zufahrt zu dem Depot wollten sie „ein Zeichen setzen" und damit gegen die in ihren Augen sich ständig steigernde Hochrüstung
BGH: Im ersten Fall verwerfliche Nötigung, nicht aber im zweiten.
che Erfassung von Nötigungsunrecht, 1972, S. 154 ff; OTTO/KREY/KÜHL Gutachten, Rdn. 94 ff; SCHMIDHÄUSER B . T . , 4 / 1 8 ; ROXIN J u S 1 9 6 4 S . 3 7 3 f f . 48
Vgl. OLG Stuttgart NStZ 1991 S. 333; GÜNTHER Baumann-FS, S. 220; REICHERT-HAMMER Fernziele, S. 2 9 3 ff, 2 9 7 ff.
49
Dazu OTTO NStZ 1991 S. 334 f; DERS. NStZ 1992 S. 572 f.
50
Vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 1996 S. 296,297 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 240 11/4.
51
Vgl. BGHSt 39 S. 133 mit Anm. ROXIN NStZ 1993 S. 335 f.
52
Zum Streitstand: MERTINS GA 1980 S. 47; MEURER Die Bekämpfung des Ladendiebstahls, 1976, S. 24 f f ; DERS. J u S 1 9 7 6 S . 3 0 0 f f ; SCHULTZ M D R 1 9 8 1 S . 3 7 3 .
106
Nötigung
§27
demonstrieren. Aufforderungen, sich zu entfernen, kamen sie nicht nach. Sie ließen sich jedoch widerstandslos durch Polizeibeamte von der Fahrbahn tragen. BGH: Verhalten des Α verwerflich, da die Femziele von Straßenblockierern nicht bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit der Nötigung, sondern ausschließlich bei der Strafzumessung zu berücksichtigen s i n d . " Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Überzeugender in der Begründung ist jedoch BayObLG NJW 1988 S. 719: „Ein solches Verhalten, das Dritte zum Werkzeug, zum Objekt des Handelns Andersdenkender macht, findet seine sittliche Mißbilligung auch in der darin zum Ausdruck kommenden Mißachtung der Menschenwürde (BVerfGE 27, 6; 45, 228; BayObLGSt. 1986, 19, 24) und in dem Negieren der Handlungs- und Meinungsfreiheit anderer ... Wenn aber ... die unmittelbar gewollten oder gebilligten Wirkungen - Behinderung anderer zur Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für eine bestimmte politische Meinung = Nahziel - in ihrem Zusammenhang mit der Gewaltausübung als verwerflich anzusehen sind, vermag das letztlich verfolgte Fernziel - z.B. Eintreten für Frieden und Abrüstung - daran nichts zu ändern. Die Berücksichtigung solcher Fernziele im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung würde zu einer unannehmbaren Subjektivierung eines Straftatbestandes führen und den Strafrichter darüber befinden lassen, ob die von den berufenen Staatsorganen ergriffenen oder gebilligten Maßnahmen zur Wahrung des Friedens die richtigen Mittel zum - allseits anerkannten - Ziel sind (Dreher/Tröndle, StGB, 43. Aufl., § 240 Rdn. 10; Schäfer, LK, 10. Aufl., § 240 Rdn. 61 b; OLG Düsseldorf NJW 1986, 942, 945). Die Strafbarkeit eines Demonstrationsverhaltens kann daher nicht vom Wert oder Unwert des Demonstrationszieles abhängig gemacht werden (vgl. Otto, NStZ 1987, 213; Baumann, NJW 1987, 38)." 5 4 0 BGH NStZ 1982 S. 287: Η wollte mit der Freundin F des Α geschlechtlich verkehren. Als F sich weigerte, äußerte A, dass es zwischen ihnen aus sei, wenn F nicht mache, was der Η wolle. Daraufhin willigte F in den Geschlechtsverkehr ein.
46
BGH: § 240 Abs. 1 entfällt bereits, weil das angedrohte Übel (Abbruch der Freundschaft) unter diesen Umständen nicht als empfindliches anzusehen war. - Darüber lässt sich streiten, denn die Entscheidung hängt davon ab, wie weit man die Bindung der F an Α zu ihren Gunsten berücksichtigt. Vertretbar daher auch die Androhung eines empfindlichen Übels. Dann war die Nötigung jedoch nicht verwerflich, da ein Standhalten der F nicht mit erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verbunden war. g) BGH NStZ 1982 S. 286: Α forderte die Ε zum Geschlechtsverkehr auf. Für den Fall ihrer Verweigerung drohte er, sich selbst umzubringen. Ε gab nach.
47
Ergebnis: Auch hier kann schon die Frage, ob Α mit einem empfindlichen Übel drohte, unterschiedlich beantwortet werden. Keinesfalls war die Nötigung aber verwerflich; vgl. Fall f)· h) Der Gastwirt Α verwechselt den Gast G mit dem Gast Y, dem er Lokalverbot erteilt hat. Als er den G in seiner Gaststätte sieht, weist er ihn hinaus und als G nicht freiwillig geht, drängt er ihn gewaltsam auf die Straße. Ergebnis: Verwerflichkeit ist abzulehnen, denn aus der Sicht des Α setzt er lediglich das Verbot mit zulässigen Mitteln durch. Des Rückgriffs auf die Irrtumslehre bedarf es hier nicht, denn wer aufgrund eines Irr-
53
Zur Auseinandersetzung mit BGHSt 35 S. 270: ARZT JZ 1988 S. 775 ff; JAHN JuS 1988 S. 946 ff; ARTHUR KAUFMANN N J W 1 9 8 8 S . 2 5 8 1 ff; OSTENDORF S t V 1 9 8 8 S. 4 8 8 ff; OTTO J K 88, S t G B § 2 4 0 II/3; ROGöEMANN J Z 1 9 8 8 S. 1 1 0 8 f f ; ROXIN S c h ü l e r - S p r i n g o r u m - F S , S. 4 5 3 ff, 4 5 6 ; SCHMITT
GLAESER BayVBl. 1988 S. 454 ff. 54
Vgl. auch BayObLG NJW 1993 S. 212 - Eingehende Übersicht über den Streitstand bei der strafrechtlichen Beurteilung der Verwerflichkeit von Sitzblockaden bei OTTO/KREY/KÜHL Gutachten, Rdn. 64 ff.- Zu den Tendenzen in der Rechtsprechung, durch unverhältnismäßige Anforderungen die Feststellung strafwürdigen Verhaltens unmöglich zu machen vgl. einerseits OLG Stuttgart NJW 1992 S. 2714, 2716; GRAUL JR 1994 S. 51 ff; andererseits LG Ellwangen JR 1993 S. 257 mit Anm. OTTO S. 258 ff; OFFENLOCH JZ 1992 S. 438 ff, 442. - Zum Ausschluss der Verwerflichkeit bei kurzfristigen, symbolischen Blockaden, vgl. einerseits BayObLG NJW 1993 S. 213; BayObLG NJW 1995 S. 269; OLG Koblenz NJW 1985 S. 2434; OLG Köln VRS 83 (1993) S. 420; OLG Köln VRS 87 (1994) S. 426; andererseits OLG Stuttgart NJW 1992 S. 2713 (Grenze im Stundenbereich).
55
Dazu auch SCHROEDER JZ 1983 S. 287.
107
48
Zweiter Teil: Delikte g e g e n Rechtsgüter d e s Einzelnen
§27
turns über Tatsachen der Meinung ist, rechtmäßig zu handeln, setzt aus seiner Sicht ein erlaubtes Mittel zu einem erlaubten Zweck ein.
IV. Versuch und Vollendung 1. Beginn der abgenötigten 49
Handlung
und
Tatvollendung
BGH NStZ 1987 S. 70: A, der die Η in sein Fahrzeug verbringen wollte, um mit ihr an einen entlegenen Ort zu fahren und dort den Geschlechtsverkehr mit ihr auszuüben, versuchte die Η in das Fahrzeug zu drücken. Aufgrund der Gegenwehr des Opfers gelang dieses nicht. Η konnte nur z.T. in das Fahrzeug gedrängt werden. Α nahm von seinem Vorhaben daher Abstand. BGH: Die Nötigung durch A war bereits vollendet.
50
D i e h.M. bejaht eine vollendete N ö t i g u n g bereits dann, w e n n das Opfer unter Einwirkung d e s Nötigungsmittels mit der verlangten Handlung, D u l d u n g oder Unterlassung b e g o n n e n hat. 5 7 D e m kann nicht gefolgt werden. D i e N ö t i g u n g ist ein Erfolgsdelikt. Beginnt das Opfer mit d e m geforderten Verhalten, s o wird in der Regel der Handlungsunwert durch den Täter verwirklicht sein. Der Erfolgsunwert ist j e d o c h erst eingetreten, w e n n das angestrebte Handlungsziel erreicht ist. B i s z u d i e s e m Zeitpunkt liegt nur ein Versuch vor, e s sei denn, dass der Täter mehrere selbstständige Handlungen des Opfers erreichen w i l l . 5 8 2. Vermittlung
51
des Nötigungserfolges
durch
Dritte
BayObLG JZ 1990 S. 448: Die Angeklagten blockierten die Zufahrt zu einer Baustelle. Um gewaltsame Konfrontationen von Autofahrern und Blockierem zu verhindern, sperrte die Polizei den Bereich ab und hielt die Kraftfahrzeuge etwa 300 m vor der Blockade an. BayObLG: Nur versuchte, nicht aber vollendete Nötigung durch die Angeklagten. „... Der Tatbestand der Nötigung lautet aber nicht: ,Wer rechtswidrig mit Gewalt... die Handlung, Duldung oder Unterlassung eines anderen verursacht, ...', sondern: ,wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt... nötigt, ...'. Daraus zieht der Senat den Schluß, daß es nicht genügt, wenn die intendierte Handlung in irgendeiner ursächlichen Verknüpfung mit der Gewalt steht, so z.B., daß eine Straßenblockade die Polizei veranlaßt, den Verkehr anzuhalten oder umzuleiten. Vielmehr muß für die Erfüllung des Tatbestands der Nötigung und damit für die Vollendung der Tat verlangt werden, daß die Handlung, Duldung oder Unterlassung die spezifische Folge der Gewalteinwirkung ist. Die Gewalt muß das Nötigungsopfer erreicht haben; dessen Willensentscheidung muß unter direkter Einwirkung dieser Gewalt zustande gekommen sein." Der BGH folgte dem BayObLG insoweit nicht. Er sah im vorliegenden Fall den für eine Nötigung mit Gewalt erforderlichen spezifischen Zusammenhang zwischen Nötigungshandlung und Nötigungserfolg als gewahrt an und rechnete den Blockierern den Nötigungserfolg als vollendete Nötigung zu. 5 ''
52
Bei der Vermittlung d e s N ö t i g u n g s e r f o l g e s durch Dritte ist der Erfolg d e m Ersttätigen zuzurechnen, falls dieser das Verhalten des Dritten als mittelbarer Täter beherrscht oder w e i l das Drittverhalten n o c h s o s p e z i f i s c h mit der Ausgangsgefahr verbunden ist, dass e s bereits typischerweise in der Ausgangsgefahr begründet erscheint und d e m Täter daher zuzurech-
56
5 7
Zu den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten der Problematik über die Irrtumslehren: ROXIN JR 1976 S. 71 f. V g l . K G J R 1 9 7 9 S. 163; LACKNER/KÜHL § 2 4 0 R d n . 2 6 ; TRÄGER/ALTVATER L K , § 2 4 0 R d n . 5 9 ;
TRÖNDLE/FISCHER § 240 Rdn. 55. - Einschränkend aber BGH NStZ 2004 S. 442 mit Anm. OTTO JK 05, StGB § 240/21. 58
Dazu auch OTTO JK 87, StGB § 240/10.
5 9
B G H S t 3 7 S. 3 5 0 m i t A n m . DLERLAMM N S t Z 1 9 9 2 S. 9 7 3 f f , ESCHENBACH J u r a 1 9 9 5 S. 14 f f ; KÜPPER/BODE J u r a 1 9 9 3 S. 187 f f , WOHLERS N J W 1 9 9 2 S . 1 4 3 2 f.
108
Freiheitsberaubung
§28
nen ist. Ist dieses nicht der Fall, weil der Dritte in Kenntnis der Situation eine eigenverantwortliche Entscheidung trifft, ist diese Entscheidung die Grundlage für den Nötigungserfolg. Es liegt eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs vor. Dem zunächst Tätigen ist das Verhalten nur als Versuch zuzurechnen. Im oben genannten Fall kann das Verhalten der Polizei noch als spezifisch in der Ausgangsgefahr angelegtes Verhalten interpretiert werden.^
53
V. Besonders schwere Fälle der Nötigung Abs. 4 nennt Regelbeispiele für besonders schwere Fälle, und zwar die Nötigung zu sexu- 54 eilen Handlungen oder zur Eingehung der Ehe (Nr. 1), die Nötigung einer Schwangeren zum Schwangerschaftsabbruch (Nr. 2) und den Missbrauch der Befugnisse oder der Stellung als Amtsträger (Nr. 3).
§ 28 Freiheitsberaubung I. Rechtsgut und Tathandlung des § 239 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Freiheit der Person, ihren Aufenthaltsort zu bestimmen-, sog. potenzielle persönliche Bewegungsfreiheit. Da die potenzielle, nicht aber die reale persönliche Bewegungsfreiheit maßgeblich sein soll, kommt die h.M. zu dem Ergebnis, es sei bedeutungslos, ob der Betroffene die Beeinträchtigung seiner Bewegungsfreiheit wahrgenommen habe oder nicht. Sodann jedoch wird differenziert. Während einige den Grundsatz uneingeschränkt anwenden (Potenzialitätstheorie), 61 kommen andere zu dem Ergebnis, eine Freiheitsberaubung sei nicht möglich, wenn der Betroffene zur Tatzeit einen natürlichen Fortbewegungswillen gar nicht haben kann, weil die Möglichkeit der Willensbildung und -betätigung ausgeschaltet ist. Daher sei keine Freiheitsberaubung möglich beim sinnlos Betrunkenen, beim Ohnmächtigen, beim Tiefschlafenden oder beim Kleinstkind, hingegen könne das Opfer, das lediglich nicht merke, dass es eingesperrt sei, durchaus der Freiheit beraubt werden (Aktualisierbarkeitstheorie). 62 Diese Differenzierung bleibt willkürlich, denn schon die Annahme der Freiheitsberaubung einer Person, die überhaupt nicht bemerkt, dass sie ihrer Freiheit beraubt ist, ist mit dem Schutz der persönlichen Bewegungsfreiheit nicht in Einklang zu bringen. Zutreffender erscheint es daher, eine Freiheitsberaubung dort abzulehnen, wo der Wille des Betroffenen nicht tangiert wurde, weil sein Wille weder durch irgendwelche Einwirkungen (Hypnose, Schlafmittel) ausgeschaltet noch er selbst sich der Beraubung seiner Bewegungsfreiheit bewusst wurde (Ohnmacht, Schlaf, Beschäftigung mit anderen Dingen). Ist er sich hingegen der Tatsache bewusst geworden, dass er seinen Aufenthaltsort nicht verlas60
Vgl. auch OTTO JK 92, StGB § 240/14.
6 1
V g l . BOCKELMANN B . T . / 2 , § 18 I 1 c; GEPPERT JUS 1 9 7 5 S. 3 8 7 ; KARGL J Z 1 9 9 9 S. 7 8 ; KINDHÄUSER S t G B , § 2 3 9 R d n . 2 ; KÜPER B . T . , S. 1 3 8 ; LACKNER/KÜHL § 2 3 9 R d n . 1; RENGIER B . T . II, § 2 2 R d n . 1; TRÄGER/SCHLUCKEBIER L K , § 2 3 9 R d n . 9 ; WIECK-NOODT M K , § 2 3 9 R d n . 12.
6 2
V g l . KREY B . T . 1, R d n . 3 1 5 ; KÜPPER B . T . 1 , 1 § 3 R d n . 2 ; SCH/SCH/ESER § 2 3 9 R d n . 3; WOLTER N S t Z
1985 S. 247. - Differenzierend bei der letztgenannten Personengruppe nach dem hypothetischen Willen: BLOY Z S t W 9 6 ( 1 9 8 4 ) S. 7 2 1 ff; SCHUMACHER S t r e e / W e s s e l s - F S , S. 4 3 3 ff.
109
1 2
3
§28
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
sen kann, so ist es gleichgültig, ob er ihn verlassen will, unabhängig davon, ob der Betroffene zur Fortbewegung fähig ist. Insofern ist es richtig, auf die potenzielle persönliche Bewegungsfreiheit abzustellen, denn schon das Bewusstsein, seinen Aufenthaltsort nicht verändern zu können, beeinflusst die Willensbildung (weite Aktualitätstheorie). 63 2. Die Tathandlung 4
5
a) Die Freiheitsberaubung Tathandlung ist der Eingriff in die persönliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen. Diesem wird die Möglichkeit genommen, sich nach seinem Willen fortzubewegen. Einsperren Hinderung am Verlassen eines Raumes durch äußere Vorrichtungen - ist nur ein Beispielsfall einer Freiheitsberaubung, die z.B. auch durch Drohung, Gewalt oder Wegnahme der Kleider erfolgen kann. Maßgeblich ist allein, dass dem Opfer die Willensbetätigung zur Ortsveränderung nach allen Seiten unmöglich gemacht ist, und zwar ist - auch bei den anderen Weisen der Beraubung der Freiheit - die unmittelbare Zwangswirkung maßgeblich. Die Drohung mit einem empfindlichen Übel genügt daher den Anforderungen an eine Freiheitsberaubung nicht. 64 Wird dem Opfer lediglich die Bewegung in eine Richtung unmöglich gemacht oder das Opfer in eine andere Richtung gezwungen, so liegt nur Nötigung vor. - Das Delikt ist ein Dauerdelikt, doch erfordert der Tatbestand keine lange Dauer („ein Vaterunser lang" genügt); ein kurzfristiges Festhalten im Verlauf einer körperlichen Auseinandersetzung genügt dem Tatbestand aber noch nicht. 65 Ob ein u.U. verbleibender Ausweg ungewöhnlich ist oder nicht, spielt keine Rolle. Die Grenze beginnt dort, wo dem Opfer der Ausweg nicht mehr zumutbar ist, z.B. beim lebensgefährlichen Sprung aus dem Fenster eines Hochhauses oder beim Herunterklettem über eine Feuerleiter oberhalb einer belebten Straße ohne Bekleidung. - Die Einsperrung muss daher nicht unüberwindbar sein. 6 6
b) Mittelbare Täterschaft Grundsätzlich ohne besondere Probleme ist auch die Verwirklichung einer Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft, wenn der Hintermann die Tatherrschaft innehat, weil das Werkzeug irrt oder im Nötigungsnotstand handelt. 7 Daher wird von der h.M. auch eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft angenommen, wenn der Täter durch eine falsche Anzeige dafür ursächlich wird, dass der Angezeigte in Haft kommt. Dies mag für eine falsche Anzeige vor der Polizei, die dazu führt, dass das Opfer in U-Haft genommen wird, zutreffen. Soweit die Haft auf einem Urteil beruht, ist der Anzeigende nicht mehr für dieses Ergebnis als mittelbarer Täter verantwortlich. Das Gericht ist nicht Werkzeug des Anzeigenden! Es ist verpflichtet, belastende und entlastende Momente zu überprüfen und eigenverantwortlich zu wägen. Das widerspricht seiner Werkzeugeigenschaft dort, wo ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet ist, evident. 67
6
63
Wie hier: BINDING B.T. I, S. 98; PARK/SCHWARZ Jura 1995 S. 295 f. - Enger (enge Aktualitätstheorie): ARZT/WEBER B . T „ § 9 R d n . 13; TRÖNDLE/FISCHER § 2 3 9 R d n . 4 ; WOLTERS S K II, § 2 3 9 R d n . 2 a , 3
(maßgeblich allein tatsächlicher Wille des Opfers). 64
Dazu BGH NJW 1993 S. 1807 mit Anm. OTTO JK 94, StGB § 239/2.
65
Vgl. BGH NStZ 2003 S. 371.
66
Dazu BGH NStZ 2001 S. 420.
67
Vgl. auch OTTO NStZ 1985 S. 75 f. - A.A. AMELUNG/BRAUER JR 1985 S. 476 f; GEPPERT JK, StGB § 239/1 m.w.N.
110
Freiheitsberaubung
§28
II. Rechtswidrigkeit Als Rechtfertigungsgründe kommen alle rechtfertigenden Situationen in Betracht, insbe- 8 sondere die Ausübung des Sorgerechts im Rahmen der Familienpflege 68 sowie das Festnahmerecht gemäß § 127 StPO. Nach h.M. schließt das Einverständnis des Opfers in die Freiheitsberaubung bereits den 9 Tatbestand aus. 69 Das ist konsequent für diejenigen, die ein Handeln gegen den tatsächlichen Willen des Betroffenen als Rechtsgutsverletzung verlangen, aus der Sicht der h. M. jedoch grob inkonsequent, denn nach ihren Prämissen ist die Freiheitsberaubung kein Willensbruchsdelikt im engeren Sinne. Sie setzt begrifflich kein Handeln gegen den Willen des Betroffenen voraus. Beim Handeln mit Willen des Betroffenen kann jedoch eine rechtfertigende Einwilligung vorliegen.70 Bei hoheitlichem Freiheitsentzug, z.B. Verbringung zur Blutentnahme, Einweisung in 10 eine psychiatrische Anstalt, stellt die h.M. darauf ab, ob der Freiheitsentzug sachlich begründet war oder nicht, während Mängel des förmlichen Verfahrens irrelevant sein sollen.71 So verallgemeinert ist diese Aussage angreifbar. Maßgeblich kann allein sein, ob der Eingriffsakt rechtswirksam war oder nicht. Die Anfechtbarkeit begründet nicht die Rechtswidrigkeit der rechtswirksam vollzogenen Maßnahmen. Beruht der Eingriffsakt aber auf einer Täuschung durch einen Dritten - z.B. falsche Anschuldigung, die dazu führt, dass der Betroffene festgenommen wird - so liegt ein Fall der Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft durch ein rechtmäßig handelndes Werkzeug vor. Keinesfalls ist hier in der Person des Hintermannes nur ein Versuch gegeben 72 , denn die Tathandlung bleibt in der Person des Hintermannes objektiv und subjektiv rechtswidrige Freiheitsentziehung, auch wenn das Werkzeug rechtswirksam handelt.
III. Erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung In § 239 Abs. 3 und Abs. 4 sind erfolgsqualifizierte Fälle der Freiheitsberaubung geregelt.
11
1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen Die über eine Woche hinausgehende Freiheitsberaubung, wie auch der Tod oder die 12 schwere Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 - müssen sich als spezifische Folgen der Freiheitsberaubung erweisen und für den Täter vorhersehbar gewesen sein, § 18. 73 Führt der Täter die schwere Folge vorsätzlich herbei, so ist Tateinheit mit §§211,212, und je nach den Umständen § 226, möglich. - Dass das Opfer den Tod selbst herbeigeführt hat, sei es durch Selbstmord oder einen gefahrlichen Fluchtversuch, ist irrelevant, da der Wille 68
Hierzu BGHSt 13 S. 197.
6 9
K o n s e q u e n t daher TRÖNDLE/FISCHER § 2 3 9 Rdn. 3, 12. - Inkonsequent die h. M. vgl. z. B. LACKNER/KÜHL § 2 3 9 R d n . 5; SCH/SCH/ESER § 2 3 9 R d n . 8; WESSELS/HETTINGER B. T . / l , R d n . 3 7 4 .
70
So auch JESCHECK/WEIGEND A.T., 5. Aufl. 1996, § 3 4 I 1 c; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l § 12 Rdn. 15.
71
B G H bei Holtz, M D R 1978 S. 624; OLG Schleswig NStZ 1985 S. 74; SCH/SCH/ESER § 239 Rdn. 8.
72
So aber AMELUNG/BRAUER J R 1985 S. 4 7 6 f; GEPPERT J K , S t G B § 239/1.
7
Trotz der abweichenden Formulierung ist Abs. 3 Nr. 1 nach wie vor als Erfolgsqualifikation anzusehen, da den Gesetzesmaterialien eine Einschränkung des bisherigen Schutzbereichs nicht zu entnehmen ist;
3
vgl. a u c h B T - D r u c k s . 1 3 / 8 5 8 7 , S. 84; KÜHL J u r a 2 0 0 2 S. 8 1 0 f; LACKNER/KÜHL § 2 3 9 R d n . 9; RENGIER Β. Τ . II, § 22 Rdn. 11. - Α . Α.: Qualifikation: NELLES, Einf. in d a s 6. StrRG, 1998, S. 56 f; TRÖNDLE/FISCHER § 2 3 9 R d n . 15; WESSELS/HETTINGER Β. Τ . / 1 , R d n . 3 7 7 .
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§28
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
des seiner Freiheit beraubten Opfers im Rechtssinne nicht frei ist. Auch in diesen Fällen realisiert sich die der Freiheitsberaubung spezifische Gefahr. 74 2. Täter als Verursacher der besonderen Folge 13 Nach der früheren Fassung des § 239 waren besondere Folgen, die ein Tatteilnehmer verursacht hatte, auch dem Täter zuzurechnen, wenn sie für ihn vorhersehbar gewesen waren. Nach der Neufassung des Gesetzes durch das 6. StrRG muss der Täter (Mittäter) der Verursacher der besonderen Folge sein. 3. Der Versuch 14 Der Versuch der Freiheitsberaubung ist strafbar, § 239 Abs. 2.
IV. Das Verhältnis der Freiheitsberaubung zur Nötigung 15 Die Freiheitsberaubung ist ein Spezialfall der Nötigung, wenn die Nötigung nur darauf gerichtet ist, das Opfer zu hindern nach seinem Belieben seinen Aufenthaltsort zu verändern. Im Übrigen ist die Entscheidung nach dem Schwergewicht des Unrechtsvorwurfs zu treffen. Das bedeutet im Einzelnen: 16 1. Wird das Opfer daran gehindert, seinen Aufenthaltsort nach eigenem Belieben zu verändern, weil es dem Täter darauf ankommt, das Opfer an seinem Aufenthaltsort festzuhalten: Freiheitsberaubung. Beispiel: Α sperrt den Β im Keller seines Hauses ein, um ungestört mit Frau Β Ehebruch betreiben zu können. Ergebnis: Die Freiheitsberaubung geht als lex specialis der Nötigung vor.
17 2. Wird das Opfer daran gehindert, seinen Aufenthaltsort nach seinem Belieben zu verändern, weil es zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird und andere Verhaltensweisen ihm neben dem erzwungenen Verhalten nicht möglich sind, so liegt nur eine Nötigung vor. Die Nötigung ist lex specialis gegenüber der Freiheitsberaubung. 743 Beispiel: Α zwingt den Β mit vorgehaltener Pistole nach X zu fahren. Ergebnis: Nötigung des B, gegen seinen Willen dorthin zu fahren wohin ihn der Α dirigiert. Der Tatsache, dass Β nicht zugleich an einen anderen Ort fahren kann, kommt hier keine Eigenständigkeit zu. Damit konsumiert die Nötigung die Freiheitsberaubung.
18 3. Soll das Opfer durch den Freiheitsentzug zu einem bestimmten, über den Freiheitsentzug hinausgehenden Verhalten gezwungen werden: Nötigung und Freiheitsberaubung in Idealkonkurrenz. Beispiel: Α sperrt den Β ein, um ihn zu zwingen, ihm ein Geschäftsgeheimnis zu verraten. Der Plan gelingt. Ergebnis: Der Unrechtsgehalt der Freiheitsberaubung und der der Nötigung stehen gleichwertig nebeneinander; §§ 240,239, 52 StGB.
19 4. Misslingt der Versuch des Täters, eine Person an einem bestimmten Ort festzuhalten: versuchte Freiheitsberaubung. 74
Dazu BGH LM Nr. 4 zu § 239; BGHSt 19 S. 382 mit abl. Anm. WIDMANN Μ DR 1967 S. 972 f; KÜHL BGH-FG, S. 265; KÜPPER „Der unmittelbare Zusammenhang" zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982, S. 104; RENGIER Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen, 1986, S. 196.
74a
Vgl. auch BGH NStZ-RR 2003 S. 168.
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Freiheitsberaubung
§28
Beispiel: Α legt der Β den Arm um den Hals, um diese am Verlassen der Wohnung zu hindern. Β kann sich befreien. Ergebnis: Geht es dem Täter allein um die Freiheitsberaubung, so ist - wenn das Delikt vollendet wird § 239 lex specialis gegenüber § 240. Das gilt auch flir die Versuchssituation.
V. Menschenraub, § 234 In § 234 ist ein Spezialfall der Freiheitsberaubung geregelt. Das Delikt währt so lange, wie 20 die Bemächtigung anhält (Dauerdelikt). Einzelheiten des Tatbestandes: List ist ein geflissentliches Verbergen der verfolgten Ab- 21 sieht, z.B. durch Täuschung oder Ausnutzung eines Irrtums. - Bemächtigen heißt Begründen der physischen Herrschaft über eine Person. - Aussetzen in hilfloser Lage bedeutet, das Opfer in eine Lage zu verbringen, in der es - zur Selbsthilfe unfähig - auf fremde Hilfe angewiesen und konkret an Leib oder Leben gefährdet ist. - Die Absicht, einen anderen dem Dienst in einer militärischen oder militärähnlichen Einrichtung im Ausland zuzuführen, bedeutet, dass der Täter beabsichtigt, das Opfer nicht im Heimatstaat des Opfers dem Dienst zuzuführen. 75
VI. Menschenhandel Mit dem 37. Strafrechtsänderungsgesetz vom 11.2.2005 hat der Gesetzgeber die bisherigen Vorschriften über den Menschenhandel, §§ 180 b, 181, gestrichen und die Materie in den §§ 232 ff neu geregelt. 1. Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, § 232 Der Tatbestand schützt die Freiheit der sexuellen Selbstbestimmung vor Ausbeutung 22 a) Abs. 1 S. 1 setzt die Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit einer Person, 23 die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, voraus. - Zwangslage ist eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis. - Hilflosigkeit liegt vor, wenn das Opfer aufgrund des Aufenthalts in dem fremden Land und in der konkreten Lage nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht im Stande ist, sich dem Ansinnen der ihm unerwünschten sexuellen Betätigung aus eigener Kraft zu entziehen. 76 - Das Opfer zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu bestimmten sexuellen Handlungen bringen heißt, das Opfer in einer Weise in den Einwirkungsbereich des Prostitutionsmilieus oder sexueller Ausbeutung zu bringen, dass es sich aufgrund der Zwangslage oder der auslandsspezifischen Hilflosigkeit trotz vorausgegangener Unentschlossenheit oder Abwehr der Prostitutionsausübung zuwendet oder die sexuellen Handlungen vornimmt oder vornehmen lässt. - Das Opfer muss zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution gebracht werden. Dabei genügt es, dass das Opfer dazu gebracht wird, die Prostitution unter veränderten, seine Lage verschlechternden Bedingungen fortzusetzen. 77 - Ausbeuten ist nicht schon das eigennützige Ausnutzen der sexuellen Handlungen als Erwerbsquelle, sondern die Begründung eines Abhängigkeitsverhältnisses, auf dessen Grundlage die sexuelle Tätigkeit in gewinnsüchtiger Absicht ausgenutzt wird und das Opfer eine spürbare Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Lage erleidet. 78 - Der Täter muss in Kenntnis der tatsächlichen Zwangslage oder der Hilflosigkeit des Opfers handeln. b) Abs. 1 S. 2 stellt denjenigen, der eine Person unter einundzwanzig Jahren zur Aufnahme 24 7 5
V g l . LACKNER/KÜHL § 2 3 4 R d n . 3. - A . A . GRIBBOHM L K , § 3 4 R d n . 6 4 , 6 5 .
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§28
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
oder Fortsetzung der Prostitution oder zu den in S. 1 bezeichneten Handlungen bringt, dem Täter nach Abs. 1 S. 1 gleich. 25 c) Qualifiziert wird die Tat gemäß Abs. 3, wenn das Opfer ein Kind ist (Nr. 1), der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt (Nr. 2) oder der Täter die Tat gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Regelung solcher Täter verbunden hat (Nr. 3), begeht. 26 d) Abs. 4 qualifiziert die Verwendung bestimmter Tatmittel zur Tathandlung nach Abs. 1: Nr. 1: Das zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu den genannten sexuellen Handlungen Bringen durch Gewalt - dazu § 27 Rdn. 14 -, Drohung mit empfindlichem Übel - dazu § 27 Rdn. 17 f - oder durch List - dazu § 28 Rdn. 21 -. Nr. 2: Sichbemächtigen einer anderen Person - dazu § 29 Rdn. 4 - mit den in Nr. 1 genannten Mitteln, um das Opfer zu den in Abs. 1 genannten Tathandlungen zu bringen. 2. Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft, § 233 27 a) Abs. 1 S. 1 knüpft an die bereits in § 232 Abs. 1 beschriebene Zwangslage oder Hilflosigkeit an. Tathandlung ist jetzt das Bringen eines anderen in Sklaverei oder Leibeigenschaft - das setzt voraus, dass das Opfer einer Rechtsordnung unterworfen wird, die die Rechtsstellung eines Sklaven oder Leibeigenen noch kennt 79 -, in Schuldknechtschaft - das ist ein Abhängigkeitsverhältnis, bei dem der Gläubiger die Arbeitskraft eines Schuldners über Jahre oder Jahrzehnte mit dem Ziel ausbeutet, dass tatsächlich bestehende oder vermeintliche Schulden abgetragen werden 80 - oder zur Aufnahme einer Beschäftigung zu bestimmten ungünstigen (wucherischen) Arbeitsbedingungen.8I 28 b) Abs. 1 S. 2 stellt denjenigen dem Täter nach Abs. 1 S. 1 gleich, der eine Person unter einundzwanzig Jahren in Sklaverei, Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft oder zur Aufnahme oder Fortsetzung einer in S. 1 bezeichneten Beschäftigung bringt. 29 c) Die Qualifikationstatbestände des § 232 Abs. 3-5 gelten entsprechend, Abs. 3. 3. Förderung des Menschenhandels, § 233 a 30 a) § 233 a Abs. 1 stellt bestimmte Beihilfehandlungen zu den Taten nach §§ 232, 233 Anwerben, Befördern, Weitergeben, Beherbergen und Aufnehmen einer anderen Person als selbstständige Täterhandlungen unter Strafe. 31 b) Qualifiziert wird die Tat gemäß Abs. 2, wenn das Opfer der Tat ein Kind ist (Nr. 1), der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt (Nr. 2) oder wenn der Täter die Tat mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur festgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, begeht (Nr. 3). 76
7 7
Vgl. auch BT-Drucks. 7/514, S. 10; VI/3521, S. 49; BGH NStZ 1999, S. 349; BGH NStZ-RR 2004 S. 233. V g l . B G H S t 4 2 S . 1 7 9 m i t A n m . BOTTKE J R 1 9 9 7 S . 2 5 0 f f , SCHROEDER J Z 1 9 9 7 S . 1 5 5 f, WOLTERS
NStZ 1997 S. 339 ff; DENCKER NStZ 1989 S. 251; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, 2000, Rdn. 647. 78
Dazu BGH NStZ 1983 S. 220; NStZ 1989 S. 67; NStZ 1999 S. 349; BGH NJW 1993 S. 3209; LACKNER/KÜHL § 181 a R d n . 3.
79
Vgl. dazu BGHSt 39 S. 212.
80
BT-Drucks. 15/3045, S. 9.
81
Dazu vgl. § 291 Abs. 1 StGB, § 406 Abs. 1 SGB III, § 15 a Abs. 1 S. 1 AÜG.
114
Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme
§29
§ 29 Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme I. Rechtsgut der §§ 239 a, 239 b Beide Vorschriften schützen zunächst die persönliche Freiheit und Unversehrtheit des 1 Opfers, sodann aber die persönliche Freiheit des Dritten, dessen Sorge ausgenutzt werden soll. - Dahinter tritt der in § 239 a auch erfasste Schutz des Vermögens zurück, so dass es sachgerecht ist, beide Delikte, § 239 a und § 239 b, als Freiheitsdelikte einzuordnen.82
II. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Erpresserischer Menschenraub, § 239 a a) Tatopfer Tatopfer kann jeder Mensch sein, insbesondere auch das eigene Kind. 83 b) Entfuhren und Sichbemächtigen Der Tatbestand unterscheidet zwei Alternativen·, in der ersten Alternative erfolgt die „Entfuhrung" oder das „Sichbemächtigen eines Dritten" bereits in der Absicht der Erpressung; in der zweiten Alternative wird ein ursprünglich aus anderen Gründen (Scherz, Rache o.Ä.) hergestelltes Gewaltverhältnis später zur Erpressung ausgenutzt. Entfuhren setzt ein Verbringen an einen anderen Ort voraus, wo das Opfer dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist. Die Ortsveränderung muss gegen den Willen des Opfers durch List, Drohung oder Gewalt - dazu § 28 Rdn. 21, 27, § 66 Rdn. 14, 17 - geschehen sein. 84 - Sichbemächtigen bedeutet die Begründung physischer Herrschaft des Täters über das Opfer. Ein Verbringen an einen anderen Ort ist nicht begriffsnotwendig; das in Schach halten mit einer Waffe kann genügen.85 Stellt sich jemand einem anderen freiwillig zur Verfügung, damit dieser eine Geiselnahme vortäuschen kann, so entfällt der Tatbestand, da weder eine Entfuhrung noch ein Sichbemächtigen vorliegt.86 c) Ausnutzung der Bemächtigungs- oder Entfuhrungslage aa) Nachdem das StrÄndG 1989 die §§ 239 a, b, die bis dahin eine Dreiecksstruktur (Täter - Entführter - Genötigter) voraussetzten, auf Zwei-Personen-Verhältnisse (Täter-Entfuhrungsopfer) ausgedehnt hatte, ging die Rechtsprechung davon aus, dass §§ 239 a, b in Tateinheit mit den beabsichtigten Delikten vorlagen, wenn diese verwirklicht wurden. 87 Damit aber wurden typische Fälle der Vergewaltigung und der Erpressung dem hohen Strafrahmen der §§ 239 a, b unterworfen.
8 2
V g l . LACKNER/KÜHL § 2 3 9 a R d n . 1; KINDHÄUSER B . T . I, § 1 6 R d n . 1; MITSCH B . T . I I / 2 , § 2 R d n . 6 2 .
- Die Nähe des § 239 a zur Erpressung betonen demgegenüber MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.L, § 15 R d n . 19; SCH/SCH/ESER § 2 3 9 a R d n . 3 . - In d e r U n v e r s e h r t h e i t d e r G e i s e l e r k e n n t RENZIKOWSKI
MK, § 239 a Rdn. 6 - das geschützte Rechtsgut. 83
Dazu BGHSt 26 S. 70.
84
Vgl. dazu BGH NStZ 1996 S. 276 f.
85
BGH NStZ 1986 S. 166; dazu auch RENZIKOWSKI MK, § 239 a Rdn. 30.
8 6
V g l . L G M ü n c h e n 3 1 J s 8 1 3 8 5 / 7 5 ; BACKMANN J u S 1 9 7 7 S . 4 4 9 ; MITSCH B . T . 11/2, § 2 R d n . 6 2 , 7 6 . A . A . LAMPE J R 1 9 7 5 S . 4 2 5 .
87
So zuletzt BGH NStZ 1993 S. 3.
115
2 3
4
5
§29
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
6
bb) Aus dieser Situation versuchte der 1. Strafsenat einen Ausweg zu finden, indem er bei Zwei-Personen-Verhältnissen eine „Außenwirkung des abgenötigten Verhaltens" außerhalb des unmittelbaren Gewaltverhältnisses voraussetzte, 88 der 5. Senat stellte auf die besondere „Intensität der Zwangslage" ab. 89 Der Große Senat für Strafsachen lehnte diese Tatbestandsreduktionen ab und interpretierte §§ 239 a, b als gleichsam zweiaktiges Delikt dahin, dass zwischen der Bemächtigungs-/Entfuhrungslage und der vom Täter angestrebten Nötigung ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang bestehen müsse, der der Bemächtigungs-/Entfuhrungssituation eigenständige Bedeutung aufgrund einer gewissen Stabilisierung der Lage verschaffe. Die Vorschrift setze voraus, dass der Täter beabsichtige, die durch die Entfuhrung oder das Sichbemächtigen für das Opfer geschaffene Lage zu einer (weiteren) Nötigung durch qualifizierte Drohung auszunutzen, wobei die auszunutzende Opferlage eine gewisse Stabilisierung erfordere. 90 Der Tatbestand sei daher nicht gegeben, wenn die zur Bemächtigung fuhrende Nötigung - z.B. das Vorhalten einer Schusswaffe - zugleich dazu dient, das Opfer zu den weiteren Handlungen - z.B. Herausgabe von Bargeld - zu veranlassen 91 oder wenn die Leistung, die der Täter erpressen will, erst nach Beendigung der Bemächtigungslage erbracht werden soll. 92 Jedoch soll es genügen, wenn eine „Teilleistung" schon vor Beendigung der Bemächtigungslage erbracht wird. 93 - Diese Interpretation des Tatbestandes macht es erforderlich, das Ausnutzen der Bemächtigungs- und Enfuhrungslage als gesondertes Tatbestandsmerkmal zu prüfen. 7 Überzeugend ist auch diese restriktive Auslegung der §§ 239 a, b nicht, denn sie privilegiert den besonders brutal vorgehenden Täter, der mit der Bemächtigungshandlung von vornherein zugleich qualifizierte Drohungen einsetzt. 94 8 d) Die Ausnutzung der Sorge um das Wohl des Opfers In der 1. Alternative muss mit dem Vorsatz die Absicht des Täters verbunden sein, „die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung auszunutzen". Sorge um das Wohl des Opfers ist bereits die Befürchtung, das Opfer könne beim Fortbestehen der vom Täter geschaffenen Lage körperlichen oder seelischen Schaden erleiden. Damit handelt aus Sorge in diesem Sinne auch der Staat, der nicht unmittelbar aus Sorge um das Wohl der Geisel zahlt, sondern aus Gründen der Staatsräson dokumentiert, dass er das Leben der Geisel mit den ihm zur Verfügung stehen88
Vgl. BGHSt 39 S. 36; 39 S. 330; BOHLANDER NStZ 1993 S. 439 f; GEPPERT JK 94, StGB § 239 a/4; R. KELLER J R 1 9 9 4 S. 4 2 8 f; OTTO J K 9 4 , S t G B § 2 3 9 a / 5 ; RENZIKOWSKI J Z 1 9 9 4 S. 4 9 3 f f ; TENCKHOFF/BAUMANN JUS 1 9 9 4 S. 8 3 6 ff.
89
BGH NJW 1994 S. 2163.
90
BGHSt 40 S. 350, 359; dazu FAHL Jura 1996 S. 456 ff; FORSTER Die Zwei-Personen-Verhältnisse beim Erpresserischen Menschenraub und der Geiselnahme, 2002, S. 99 ff; GEPPERT JK 95, StGB § 239 a/6 a, b ; HÄUF N S t Z 1995 S. 184 f; MÜLLER-DLETZ J u S 1 9 9 6 S. 1 1 0 f f ; RENZIKOWSKI J R 1 9 9 5 S. 3 4 9 f; B G H
NStZ 1999 S. 509 mit Anm. GEPPERT JK 00, StGB § 239 a/7; BGH NStZ 2002 S. 31 mit Anm. GEPPERT JK 02, StGB § 239 a/9; BGH NStZ 2002 S. 317; BGH NStZ-RR 2003 S. 45; BGH NStZ-RR 2004 S. 333. 91
Vgl. BGH NStZ 1996 S. 277; BGH StV 1996 S. 266; BGH StV 1996 S. 577.
92
Vgl. BGH NStZ 1996 S. 277; BGH StV 1997 S. 302; BGH StV 1997 S. 303. - Eingehend zur Entwicklung der Rechtsprechung: HEINRICH NStZ 1997 S. 365 ff.
9 3
B G H N J W 1 9 9 7 S . 1 0 8 2 m i t A n m . GEPPERT J K 9 8 , S t G B § 2 3 9 b / 1 , RENZIKOWSKI J R 1 9 9 8 S. 1 2 6 f.
94
Vgl. dazu RHEINLÄNDER Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme (§§ 239 a, 239 b StGB), 2 0 0 0 , S . 2 7 4 f f ; RENZIKOWSKI J R 1 9 9 5 S . 3 4 9 f; DERS. S t V 1 9 9 9 S. 6 4 8 f; TRÖNDLE/FISCHER § 2 3 9 a
Rdn. 8. - Zust. aber IMMEL NStZ 2001 S. 67 ff; MITSCH B.T. II/2, § 2 Rdn. 99 ff.
116
Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme
§29
den Mitteln schützt, wie auch der Bankkassierer, der vielleicht sogar den bedrohten Kunden hasst, der aber weiß, dass er selbst erhebliche Nachteile haben wird, wenn er nicht für das Wohl des Opfers sorgt und zahlt. Um eine Sorge um einen anderen im herkömmlichen Sinne des Wortes handelt es sich hier nicht mehr, sondern nur noch um die Befürchtung oder das Wissen, ein anderer werde Schaden nehmen,95 Ob der Täter wirklich die Absicht hat, dem Opfer einen Schaden zuzufügen oder nicht, 9 ist irrelevant. Maßgeblich ist allein die Ausnutzung der Sorge des Opfers oder der Sorge Dritter. - Zwischen dem Entfuhren, dem Sichbemächtigen und der angestrebten Erpressung ist ein funktionaler Zusammenhang erforderlich.96 e) Tatvollendung 10 Vollendet ist die Tat in der 1. Alternative, wenn der Täter einen anderen entfuhrt oder sich eines anderen bemächtigt hat in der Absicht, die Sorge des Opfers oder die Sorge eines Dritten zu einer Erpressung auszunutzen. Es braucht nicht einmal bis zu einem Versuch einer Erpressung zu kommen. In der 2. Alternative ist der Tatbestand vollendet, wenn der Täter die von ihm geschaffene Lage zu einer Erpressung ausnutzt, d.h. die Erpressung zumindest versucht.97 2. Geiselnahme, § 239 b a) Tatopfer und Tathandlung entsprechen § 239 a. Im Gegensatz zu § 239 a tritt an die 11 Stelle der Ausnutzung der Sorge des Opfers oder der Sorge eines Dritten in erpresserischer Absicht in § 239 b die Absicht einer Nötigung mit qualifiziertem Mittel (Drohung mit dem Tode oder einer schweren Körperverletzung - § 226 - des Opfers oder mit Freiheitsentzug von über einer Woche Dauer). - Der Vorbehalt des Täters, die Drohung nicht zu realisieren, ist irrelevant. Eine derartige Einschränkung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. b) Aufbau des Tatbestandes und Vollendung entsprechen § 239 a; vgl. unter Rdn. 3 ff. 12
III. Erfolgsqualifizierung nach §§ 239 a Abs. 3, 239 b Abs. 2 Die Erfolgsqualifizierungen gemäß § 239 a Abs. 3 und § 239 b Abs. 2 i.V. mit § 239 a 13 Abs. 3 entsprechen in ihrer Struktur dem Raub mit Todesfolge; dazu unter § 46 Rdn. 40 ff. Zu beachten ist auch hier, dass sich in der Erfolgsqualifikation die spezifische Gefahr der Verwirklichung des Grundtatbestandes realisiert haben muss. Diese Gefahr kann auch in Befreiungsaktionen zugunsten des Opfers begründet sein. Der notwendige Zusammenhang liegt hingegen nicht vor, wenn es zum Tod der Geisel kommt, weil Polizeibeamte, die von der Geiselnahme keine Kenntnis haben, auf das Fluchtfahrzeug schießen, in dem sich nach ihrer Vorstellung nur Räuber befinden. 9 ®
95
Eingehender dazu HANSEN GA 1974 S. 353 fT; im Übrigen vgl. BGH NStZ 1987 S. 222 mit Anm. JAKOBS J R 1987 S. 3 4 0 ff, OTTO J K 87, S t G B § 2 5 3 / 1 ; B G H bei H o l t z , M D R 1 9 8 9 S. 3 0 5 ; BOHNERT J R 1982 S. 3 9 7 , 3 9 9 ; RENZIKOWSKI M K , § 2 3 9 a R d n . 53; SEELMANN JUS 1 9 8 6 S. 2 0 3 .
96
Vgl. dazu BGHSt 40 S. 355; BGH NStZ 2002 S. 31; B G H NStZ-RR 2003 S. 328.
97
BGHSt 26 S. 310 (zu § 239 b); MITSCH B.T. II/2, § 2 Rdn. 109.
98
Str. - Vgl. BGHSt 33 S. 322 mit Anm. FISCHER NStZ 1986 S. 314, GEPPERT JK, StGB § 239 a/1, KREHL S t V 1986 S. 4 3 2 , LÖFFELER J A 1986 S. 2 8 6 f, WOLTER J R 1986 S. 4 6 5 ff.
117
14
§30
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
IV. Tätige Reue, §§ 239 a Abs. 4, 239 b Abs. 2 i.V. mit § 239 a Abs. 4 15 Abweichend von anderen Fällen der sog. Tätigen Reue nach vollendeter Tat erfordert § 239 a Abs. 4 keine Freiwilligkeit, unterwirft aber die Strafmilderung nicht § 49 Abs. 2, sondern dem strengeren § 49 Abs. 1. 16 Erstrebte Leistung ist in § 239 a die Beute, in § 239 b der Nötigungserfolg. - Ein Verzicht liegt vor, wenn der Täter seinen Erpressungs- oder Nötigungsplan vor Eintritt des Erfolges aufgibt, bzw. die Beute wieder herausgibt oder auf die Ausnutzung der Nötigungssituation verzichtet. Die Vollendung der Nötigung steht dem nicht zwingend entgegen. Da nach h.M. die Nötigung bereits vollendet ist, wenn das Opfer unter Einwirkung des Nötigungsmittels mit der abgenötigten Handlung begonnen hat, sind § 239 a IV, 239 b II „tatbestandsgerecht" dahin auszulegen, dass fur die Anwendung noch Raum bleibt, wenn der Täter von der Weiterverfolgung des ursprünglich geplanten Ziels Abstand nimmt." - In seinen Lebenskreis zurückgelangt ist das Opfer, wenn es, aus der Gewalt des Täters entlassen, die Möglichkeit hat, seinen Aufenthaltsort frei zu bestimmen und zu erreichen. 100
V. Konkurrenzen 17 Zur Konkurrenz der §§ 239 a, b mit den beabsichtigten Delikten vgl. unter Rdn. 10 ff. § 239 b ist gegenüber § 239 a subsidiär, wenn mit der Tathandlung eine Bereicherung erstrebt wird. Soweit neben der Bereicherung noch ein anderer Zweck verfolgt wird, ist Tateinheit möglich. 101
§ 30 Zur Wiederholung 1
1.
Wie wurde „Gewalt" i.S. des § 240 ursprünglich definiert und worin unterschied sich diese Definition von der, die der BGH seinen Entscheidungen in der Regel zugrunde legt? - Dazu § 27 Rdn. 2 ff.
2.
Kommt es bei einer Drohung mit einem empfindlichen Übel darauf an, ob der Drohende die Drohung wirklich realisieren kann? - Dazu § 27 Rdn. 17.
3.
Ist die Verwerflichkeit eines nötigenden Verhaltens vor den Rechtfertigungsgründen zu prüfen? - Dazu § 2 7 Rdn. 31.
4.
Genügt es, dass eine Nötigung sittlich anstößig ist, oder fordert die Strafbarkeit auch hier ein rechtswidriges Verhalten? - Dazu § 27 Rdn. 33.
5.
Wann ist ein Verhalten „verwerflich" i.S. des § 240 Abs. 2? - Dazu § 27 Rdn. 35 ff.
6.
Kann ein „Bewusstloser" seiner Freiheit beraubt werden? - Dazu § 28 Rdn. 2.
7.
Liegt eine Freiheitsberaubung vor, wenn der Betroffene seinen Aufenthaltsort nur auf „ungewöhnlichem" Wege verlassen kann? - Dazu § 28 Rdn. 5.
8.
Welche Bedenken bestehen gegen eine Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft durch eine Behörde oder ein Gericht aufgrund einer Täuschung (unwahre Aussage)? - Dazu § 28 Rdn. 6 f.
9.
Was heißt „sich eines Menschen bemächtigen" in § 234? - Dazu § 28 Rdn. 21.
10. Wie ist das Ausnutzen der Sorge eines Dritten in §§ 239 a, b zu bestimmen? - Dazu § 29 Rdn. 5.
99
Vgl. dazu BGH NStZ 2003 S. 605 mit Anm. OTTO JK 04, StGB § 239 a/10.
100
Vgl. BGH NJW 2001 S. 2895 mit Anm. OTTO JK 02, StGB § 239a/8; dazu auch IMMEL Die Gefährdung von Leib und Leben durch Geiselnahme (§§ 239 a, 239 b StGB), 2001, S. 350.
101
BGHSt 25 S. 386; 26 S. 24.
118
Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte
§31
Fünfter Abschnitt Delikte gegen die Ehre § 31 Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte I. Das Rechtsgut der ehrverletzenden Delikte Einigkeit besteht darüber, dass das geschützte Rechtsgut der §§ 185 ff die Ehre ist. - Inhalt 1 und Grenzen dieses Begriffs sind jedoch streitig, obwohl nicht zu verkennen ist, dass die verschiedenen Auffassungen über die inhaltliche Bestimmung des Ehrbegriffs sich in einem Kernbereich weitgehend angenähert haben, nachdem insbesondere ENGISCH nachgewiesen hat, dass jeder Ehrbegriff normative und faktische Elemente enthält und enthalten muss.1 Es bleiben jedoch Divergenzen, die über bloß unterschiedliche Akzentuierungen hinausgehen. 1. Der Streitstand a) Auf der Grundlage des normativen Ehrbegriffs ist Ehre als der auf die Personenwürde 2 gegründete innere Wert des Menschen anzusehen. Sie geht unmittelbar aus seiner sittlichen Existenz hervor und ist in ihrem Bestand allein abhängig von seinem sittlichen Habitus und seinem sittlichen Verhalten, wobei das sittliche Element z.T. auf den Gesamtbereich der Sozialethik bezogen wird.2 b) In der normativ-faktischen Betrachtungsweise wird der soziale Wert- und Ach- 3 tungsanspruch wesentlich neben den aus der Personenwürde fließenden sittlichen Wertstand gestellt. Maßgeblich ist zunächst der auf der Würde der Person beruhende sittliche Geltungswert, der unmittelbar aus der sittlichen Existenz der Person hervorgeht und jedem Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte zukommt (innere Ehre). Dieser Bereich ist der in Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Kernbereich der Ehre, der jedem Menschen die Achtung als Mensch verbürgt. Daneben tritt der soziale Achtungsanspruch, der der Person aufgrund ihres Verhaltens in der Sozietät zuwächst, das nach sozialethischen Gesichtspunkten bewertet wird (äußere Ehre).3 c) Den nur personalen Charakter des Rechtsguts bestreitet JAKOBS, der die Beleidigung als 4 zugleich öffentliche Interessen verletzende unwahre Zurechnung zu Lasten einer Person
1
ENGISCH Lange-FS, S. 412 ff.
2
Vgl. HERDEGEN LK, 10. Aufl., Vor § 185 Rdn. 4 ff; HIRSCH Ehre und Beleidigung, 1967, S. 29 ff, 45 ff, 7 2 f f ; DERS. E. A . W o l f T - F S , S. 1 3 3 f f ; A R T H U R K A U F M A N N Z S t W 7 2 ( 1 9 6 0 ) S . 4 3 0 f; SCHMIDHÄUSER
B.T., 5/1; SPINELLIS Hirsch-FS, S. 759 ff; TENCKHOFF Die Bedeutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände, 1974, S. 181 f; WELZEL Lb., § 42 I 1. - Vgl. auch ISENSEE KrieleFS, S. 8 ff. 3
Vgl. BVerfljE 30 S. 195; BGHSt 1 S. 288; 11 S. 70; ARZTJuS 1982 S. 718; ENGISCH Lange-FS, S. 412 ff; G E P P E R T Jura 1 9 8 3 S . 5 3 2 ; G Ö S S E L S c h l ü c h t e r - G e d S , S . 2 9 6 f f ; KINDHÄUSER B . T . I, § 2 2 R d n . 5 ; ISENSEE A f p 1 9 9 3 S . 6 2 6 f; K Ü P E R B . T . , S . 1 1 2 f f ; L A C K N E R / K Ü H L V o r § 1 8 5 R d n . 1; M A C K E P R A N G
Ehrenschutz im Verfassungsstaat, 1990, S. 176 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.1, § 24 Rdn. 5 f f ; O T T O S c h w i n g e - F S , S . 7 1 f f ; REGGE M K , V o r § § 1 8 5 f f R d n . 2 5 f f ; RUDOLPHI S K II, V o r § 1 8 5 R d n . 5 ; S C H R A M M L e n c k n e r - F S , S . 5 4 5 f; S C H / S C H / L E N C K N E R V o r b e m . § § 1 8 5 f f R d n . 1; W E S S E L S / H E T TINGER Β . Τ . / 1 , R d n . 4 6 4 ; W O L F F Z S t W 8 1 ( 1 9 6 9 ) S . 8 8 6 f; Z A C Z Y K N K , V o r § 1 8 5 R d n . 1. - K o n k r e t i -
sierend und modifizierend der „funktionale Ehrbegriff' von AMELUNG Die Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, 2002, S. 23, 38; DERS. Rudolphi-FS, S. 373 ff.
119
§31
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
definiert.4 - Eine erhebliche Einschränkung des Ehrenschutzes fordert BEMMANN, fur eine Abschaffung des strafrechtlichen Ehrenschutzes plädieren KUBICIEL und W I N T E R . 5 2. Stellungnahme 5 Im Denkschema des sog. normativen Ehrbegriffs ist die Ehrminderung in der schuldhaften Verletzung sittlicher i.S. sozialethischer Pflichten zu sehen. Doch gerade diese Fixierung des Maßstabes gibt zu Bedenken Anlass, denn unabhängig von der Vielschichtigkeit und Fragwürdigkeit sozialethischer Pflichten in einer pluralistischen Gesellschaft, fuhrt die Begrenzung der Person und ihrer personalen Entfaltung auf das Bezugssystem von Rechten und Pflichten in diesem Bereich zu einer Beschränkung der personalen Möglichkeiten. Nur ein geringer - wenn auch bedeutender - Teil der hier relevanten Verhaltensweisen lässt sich im Gefuge von Rechtsausübung und Pflichterfüllung unterbringen. Der weitaus größere Teil ist in diesem Schema nicht zu erfassen, obwohl auch diese Verhaltensweisen durchaus sozialethischer Bewertung zugänglich sind. - An diesen Befund knüpft der normativ-faktische Ehrbegriff an. Er erfasst die Ehre als ein zugleich faktisch und normativ zu verstehendes Beziehungsverhältnis, mit dessen Schutz die Rechtsgesellschaft unmittelbar die Fundamente menschlichen Zusammenlebens sichert. 6 Geschützt wird die Möglichkeit der Person, mit anderen Personen Gemeinschaft zu haben, und zwar zum einen, indem jeder Person die Würde als Person zugestanden wird, zum anderen, indem der Person in bestimmtem Rahmen Möglichkeiten gesichert werden, sich in der Gesellschaft personal zu entfalten. 53 Dieser Schutz wird dadurch erreicht, dass der Anspruch der Person geachtet und nach ihren auf Gemeinschaft bezogenen Werken eingeschätzt zu werden, gewährleistet wird. Das bedeutet: Maßgeblich für die Beurteilung der Person ist zunächst ihr auf der Würde der Person beruhender Wertstand, sodann aber ihr individuelles Verhalten, das unter sozialethischen Gesichtspunkten bewertet wird. 7 Insoweit sind Normativität und Faktizität im Ehrbegriff miteinander verbunden.6 Die Verletzung des begründeten Achtungsanspruchs in diesem Sinne durch abwertende (ehrenrührige) Werturteile oder Tatsachenbehauptungen stellt die in §§ 185 ff erfasste Ehrverletzung dar. 8
Aus der Verflechtung normativer und faktischer Elemente erklärt sich auch die Möglichkeit, das Verfolgungsschicksal der Juden in der nationalsozialistischen Zeit als konstitutives Element ihres sozialen Status und damit Teil ihrer persönlichen Ehre zu begreifen. 7
4
JAKOBS Jescheck-FS, S. 637.
5
Vgl. BEMMANN E. A. Wolff-FS, S. 38; sowie KUBICIEL/WINTER ZStW 113 (2001) S. 305 ff.
5a
Zutreffend betont AMELUNG Ehre, S. 23; DERS. Rudolphi-FS, S. 375 f, die Bedeutung der Ehre für die soziale Kommunikation.
6
Dazu ENGISCH Lange-FS, S. 412 ff; GÖSSEL Schlüchter-GedS S. 296 f; MACKEPRANG Ehrenschutz, S. 176 ff; OTTO Schwinge-FS, S. 71 ff; STERN Hübner-FS, S. 824 ff; WOLFF ZStW 81 (1969) S. 886 ff.
7
Vgl. dazu BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) NJW 1993 S. 917; BGHSt 40 S. 97 mit abl. Anm. JAKOBS StV 1994 S. 540 ff; BayObLG NStZ 1997 S. 283 mit abl. Anm. JAKOBS JR 1997 S. 344 f, und zust. Anm. PEGLAU NStZ 1998 S. 196 f, der den Rechtsgüterschutz der §§ 185 ff aber erweitert; OTTO Jura 1995 S. 279 f.
120
Rechtsgut und Schutzbereich der ehrverletzenden Delikte
§31
II. Der Verletzte der Straftaten gegen die Ehre 1. Die Beleidigungsfähigkeit Da der soziale Geltungsanspruch auf der Menschenwürde aufbaut, ist jeder Mensch beleidigungsfahig, auch Kinder, Geisteskranke usw.
9
2. Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung Selbstverständlich ist, dass mehrere Personen gemeinsam mit einem Ausspruch beleidigt 10 werden können, z.B. „Ihr drei seid doof!" - Aber auch wenn die Betroffenen nicht genau individualisiert sind, sondern nur als Angehörige einer Personenmehrheit konkretisiert werden, ist eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung möglich derart, dass jeder Angehörige der Personenmehrheit verletzt ist. Um eine Ausuferung der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung zu vermeiden, 11 ist die Forderung aufgestellt worden, dass sich die bezeichnete Personengruppe aufgrund bestimmter Merkmale so deutlich aus der Allgemeinheit herausheben muss, dass der Kreis der Betroffenen klar abgegrenzt ist. Damit bleibt aber ungeklärt, aus welchem Grunde den Personen der Ehrenschutz versagt wird, die unstreitig zu einer großen Personengruppe gehören. - Die Begrenzung ergibt sich jedoch aus dem Wesen des geschützten Rechtsguts. Ist nämlich aufgrund der Art der Beleidigung und der Unüberschaubarkeit der Personengruppe für jeden, der die beleidigende Äußerung zur Kenntnis nimmt, klar, dass nicht alle genannten Personen gemeint sein können, so bleibt offen, wer überhaupt gemeint ist. Der Beleidigte verliert sich in der unbestimmten Vielzahl der Betroffenen. Die Individualität geht im Kollektiv verloren,8 es sei denn, die Diffamierung knüpft an ethische, rassische, körperliche, geistige oder durch eine bestimmte Berufsausbildung erworbenen Merkmale an, die jedes Mitglied der Gruppe kennzeichnen. Beispiele: Bejaht wurde eine Beleidigung aller Betroffenen unter einer Kollektivbezeichnung ftlr: die deutsehen Offiziere (RG LZ 1915 S. 60); die deutschen Ärzte (RG J W 1932 S. 3113); die Juden, die in Deutschland leben und Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen waren (BGHSt 11 S. 208); die deutschen Patentanwälte 9 ; die in Schutz- und Kriminalpolizei tätigen Beamten (OLG Düsseldorf M D R 1981 S. 868); die aktiven Soldaten der B u n d e s w e h r ' " ; die an einer bestimmten Veranstaltung beteiligten Polizisten (BayObLG JZ 1988 S. 726). - Verneint wurde die Beleidigungsfähigkeit für: die an der Entnazifizierung Beteiligten (BGHSt 2 S. 38); die Akademiker (BGHSt 11 S. 209); die Katholiken (BGHSt 11 S. 209); die Frauen (LG Hamburg N J W 1980 S. 56); die Robenknechte von Moabit (KG JR 1978 S. 422); die P o l i z e i 1 1 .
12
Zielt die Ehrverletzung nur auf einen oder eine Gruppe von Angehörigen aus der Per- 13 sonenmehrheit, bleibt aber offen, wer gemeint ist, so kommt eine Beleidigung einzelner Mitglieder der Personenmehrheit nur in Betracht, wenn die in Frage kommende Gruppe selbst wieder einen verhältnismäßig kleinen überschaubaren Personenkreis darstellt. Dann
8
Vgl. dazu B G H S t 11 S. 208; 36 S. 83, 85 f m.e.N.; BayObLG JZ 1988 S. 726; JZ 1990 S. 348; KG JR 1978 S. 423; O L G Frankfurt N J W 1989 S. 1367; ANDROULAKIS Die Sammelbeleidigung, 1970, S. 79 ff; ARZT JZ 1989 S. 647 f; DAU N S t Z 1989 S. 361 ff; HERDEGEN LK, 10. Aufl., Vor § 185 Rdn. 22 fT; IGNOR D e r S t r a f t a t b e s t a n d d e r B e l e i d i g u n g , 1995, S. 7 6 ff, 191 f; MAIWALD J R 1 9 8 9 S. 4 8 5 f f ; OTTO
JK 89, StGB §§ 185 ff/7; WAGNER JUS 1978 S. 677; WEHINGER Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, 1994, S. 53 ff; ZACZYK N K , Vor § 185 Rdn. 30 ff. 9
BayObLG N J W 1953 S. 554 f mit zust. Anm. BOCKELMANN S. 554 f.
10
BGHSt 36 S. 83; O L G Frankfort N J W 1989 S. 1367. - Dazu auch B V e r f O E 93 S. 302 f.
11
O L G Düsseldorf M D R 1981 S. 337; BayObLG JZ 1990 S. 348.
121
§31
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
aber sind alle Mitglieder dieser Gruppe betroffen. Andernfalls verliert sich auch hier die Beleidigung in der großen Zahl der in Betracht kommenden Personen. 12 14
Beispiele 1 3 : Als hinreichend bestimmte Gruppe wurden angesehen: Zwei Mitglieder der X-Fraktion in M, die Verfassungsfeinde seien (BGHSt 14 S. 48); ein bayerischer Minister, der Kunde eines Callgirl-Rings sei (BGHSt 19 S. 235). - Als zu unbestimmt wurde beurteilt: eine nicht genannte Zahl von Richtern eines mit mehr als 200 Richtern besetzten Gerichts (KG JR 1978 S. 422).
3. Die Beleidigung eines Kollektivs 15 a) In § 194 Abs. 3, 4 geht das Gesetz selbst davon aus, dass Behörden, Gesetzgebungsorgane und politische Körperschaften beleidigungsfähig sind. 14 Die Rechtsprechung hat daraus den allgemeinen Schluss gezogen, dass Kollektive schlechthin beleidigungsfähig sind, wenn sie (a) eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche Funktion erfüllen und (b) einen einheitlichen Willen zu bilden vermögen. 16
Beispiele: Die Bundeswehr 1 5 ; Kapitalgesellschaft als Inhaberin einer Bank (OLG Köln NJW 1979 S. 1723); politische Parteien und ihre Untergliederungen (OLG Düsseldorf MDR 1979 S. 692); die Mannheimer Polizei (OLG Frankfurt NJW 1977 S. 1353).
17 Die Ausdehnung des Ehrenschutzes von Kollektiven über den Rahmen des § 194 Abs. 3, 4 hinaus, ist in ihrer Berechtigung streitig. Das Kollektiv ist nicht auf die gleichen Möglichkeiten der personellen Entwicklung existenziell angewiesen wie die natürliche Person; ihm selbst kommt keine Personenwürde zu, so dass beim Ehrenschutz eines Kollektivs allein ein sozialer Achtungsanspruch geschützt wird. 16 Darüber hinaus werden durch die Tat in der Regel die fur die Willensbildung oder Tätigkeit des Kollektivs Verantwortlichen betroffen sein, so dass ein über diesen Schutz natürlicher Personen hinausgehender Schutz nicht unbedingt erforderlich ist. 17 Andererseits überzeugt eine Begrenzung des Ehrenschutzes auf die in § 194 Abs. 3, 4 angeführten Institutionen nicht, denn § 194 stellt klar, wer zur Stellung eines Strafantrags berechtigt ist, trifft jedoch keine Auswahl zwischen möglicherweise beleidigungsfähigen Kollektiven. 18 18 b) Inkonsequent argumentiert allerdings die Rechtsprechung, wenn sie eine Familienehre nicht anerkennt. 19 Zum einen erfüllt die Familie die von der Rechtsprechung aufgestellten 12
V g l . HERDEGEN L K , 10. A u f l . , V o r § 185 R d n . 2 1 ; KREY B . T . 1, R d n . 3 9 5 f f ; LACKNER/KÜHL V o r § 185 R d n . 3 ; LAMPRECHT Z R P 1 9 7 3 S. 2 1 5 f f ; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . § § 1 8 5 f T R d n . 7 b.
13
Im Einzelnen zu den Beispielen GEPPERT Jura 1983 S. 538 f; TENCKHOFF JUS 1988 S. 459 f.
14
Ablehnend gegenüber der Beleidigungsföhigkeit von Behörden: FISCHER JZ 1990 S. 73 f.
15
BGHSt 36 S. 83; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367; OLG Hamm NZWehrR 1977 S. 70.
16
Die Vertreter des normativen Ehrbegriffs müssen hier folgerichtig den Ehrenschutz ablehnen, denn Personenwürde kommt diesen Kollektiven unmittelbar nicht zu. - Vgl. HIRSCH Ehre, S. 113; ARTHUR KAUFMANN ZStW 72 (1960) S. 423 ff; KRUG Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden, 1965, S. 2 0 3 f f ; WELZEL L b . , § 4 2 I 1 b. - A . A . TENCKHOFF JUS 1 9 8 8 S. 4 5 7 f.
17
Kritisch gegenüber der Möglichkeit einer Kollektivbeleidigung auch: GÖSSEL Schlüchter-GedS, S. 304; TRÖNDLE/FLSCHER V o r § 185 R d n . 15; WAGNERJUS 1 9 7 8 S. 6 7 6 ; Z A Z C Y K N K , V o r § 185 R d n . 12.
18
Für die Möglichkeit einer Kollektivbeleidigung: AMELUNG Ehre, S. 54 f; BRUNS NJW 1955 S. 689 ff; KINDHÄUSER B . T . 1, § 2 2 R d n . 8; KREY B . T . l , R d n . 4 1 2 ; LACKNER/KÜHL V o r § MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.1, § 2 4 R d n . 14 ff.
19
185 R d n .
3;
BGHSt 6 S. 192; BGH MDR 1951 S. 500; BayObLGSt 1958 S. 246; vgl. auch GÖSSEL SchlüchterG e d S , S. 3 0 5 f; HERDEGEN L K , 10. A u f l . , V o r § 185 R d n . 2 5 ; KINDHÄUSER B . T . I, § 2 2 R d n . 8; KREY
122
Die einzelnen ehrverletzenden Delikte
§32
Anforderungen an ein Kollektiv bezüglich der gesellschaftlichen Funktion (vgl. Art. 6 GG) und ist als heute gesellschaftstypische Kleinfamilie (Eltern und Kinder) auch in der Lage, einen einheitlichen Willen zu bilden, zum anderen aber steht dieses Kollektiv der Person selbst am nächsten. 20 Strafbarkeitslücken begründet die Ablehnung einer Familienehre nicht, da die Interpretation derartiger Beleidigungen als Beleidigung der Familienmitglieder unter einer Kollektivbezeichnung mühelos gelingt.
§ 32 Die einzelnen ehrverletzenden Delikte I. Beleidigung, § 185 1. Der objektive Tatbestand a) Beleidigung bedeutet Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung der Ehre, d.h. des sittlichen und sozialen Achtungsanspruchs eines anderen. - Kundgabe ist Äußerung der Miss- oder Nichtachtung gegenüber einem anderen. Tagebuchaufzeichnungen, Monologe oder Briefe, die der Schreiber noch nicht abgesandt hat, sind nicht als Kundgabe anzusehen. Anders, wenn das Tagebuch oder der Brief einem Dritten diktiert wird oder der Monolog für Dritte hörbar ist. - Zur „Äußerung im engsten Familienkreis" vgl. Rdn. 52. Die Äußerung kann durch Worte, Bilder, Gesten (§ 185, 1. Alt.) oder auch durch Tätlichkeiten (§ 185, 2. Alt.) erfolgen; vgl. dazu unter Rdn. 22 ff. Ob die Äußerung einen beleidigenden Inhalt hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Maßgeblich ist der objektive Sinngehalt unter Berücksichtigung des Empfangerverständnisses. b) Die Beleidigung kann auf dreierlei Weise erfolgen: aa) Äußerung eines ehrverletzenden Werturteils gegenüber dem Betroffenen („Du Lümmel"). bb) Äußerung eines ehrverletzenden Werturteils gegenüber einem Dritten („A ist ein Lümmel"). cc) Ehrverletzende Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen („Du hast mir meine Uhr gestohlen"). c) Die Abgrenzung der Tatsachenbehauptung vom Werturteil ist nicht immer unproblematisch, obwohl über die relevanten Kriterien Einigkeit besteht: Eine Tatsachenbehauptung liegt vor, wenn der Gehalt der Äußerung einer objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes dem Beweis offen steht. Ein Werturteil ist hingegen dann anzunehmen, wenn die Äußerung durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, und die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Behauptung Sache persönlicher Überzeugung ist. 21 Bei der Beantwortung der Frage, ob es sich bei einer Äußerung um ein Tatsachenurteil oder um ein Werturteil handelt, ist der Sinn entscheidend, der sich nach dem Gesamtinhalt der Äußerung dem unbefangenen Hörer bzw. Leser aufdrängt. Kompliziert wird die Abgrenzung jedoch dann, wenn Tatsachenbehauptung und Werturteil in einer einheitlichen Äußerung miteinander verbunden werden oder ein Werturteil B . T . l , Rdn. 413; MAURACH/SCHROEDER/MAIWAI.D B . T . l , § 2 4 Rdn. 20; RUDOLPHI SK II, V o r § 185
Rdn. 10. 2 0
S o a u c h A R T H U R K A U F M A N N Z S t W 7 2 ( 1 9 6 0 ) S . 4 4 1 ; W E L Z E L M D R 1 9 5 1 S . 5 0 1 ff.
21
Vgl. BVerfGE 61 S. 1, 9; 85 S. 1, 14 f; BGH NJW 1982 S. 2248; BayObLG NStZ-RR 2002 S. 40 f.
123
1
2
3
4 5 β 7 8
§32
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
erkennbar Bezug nimmt auf ein tatsächliches Geschehen. Hier ist nach dem jeweiligen Schwergewicht abzugrenzen 22 : 9 aa) Ist der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm, dass er gegenüber der subjektiven Wertung völlig in den Hintergrund tritt, so liegt nur ein Werturteil vor. Gleiches gilt, wenn die Tatsachenbehauptung für jeden offensichtlich falsch ist. Auch hier dient die Tatsachenbehauptung nur der Kaschierung eines Werturteils. 23 10 bb) Beschreibt die Äußerung das tatsächliche Geschehen hingegen so deutlich, dass auch ein nicht unterrichteter Dritter, d.h. der unbefangene Hörer, die Schlussfolgerung mitvollziehen kann und die der Wertung zugrunde liegende Tatsache erkennen kann, oder ist das Werturteil erkennbar auf ein tatsächliches Geschehen bezogen, das gleichsam nur verkürzt in dem Werturteil zusammengefasst wird, so bleibt die Äußerung Tatsachenbehauptung. 24 - In diesen Fällen erstreckt sich ein eventueller Wahrheitsbeweis auch auf das in der Äußerung mitliegende Werturteil. 11 cc) Stehen ehrverletzende Tatsachenbehauptung und Werturteil isoliert nebeneinander oder geht das Werturteil weit über eine allgemein akzeptable Wertung des mitgeteilten Tatsachenkerns hinaus, so kommt der Tatsachenbehauptung und dem Werturteil bei der Beurteilung der Ehrverletzung jeweils selbstständige Bedeutung zu. Zur Verdeutlichung: 12
aa) Ehrverletzende Werturteile: Jungfaschist (OLG Karlsruhe MDR 1978 S. 421); Bezeichnung eines Polizeibeamten als Bulle 2 5 oder als „Scheißbulle" (OLG Oldenburg JR 1990 S. 127 mit Anm. OTTO S. 128 f); Bezeichnung als Jude, wenn mit diesem Ausdruck der im Nationalsozialismus übliche herabsetzende Sinngehalt verbunden wird (BGHSt 8 S. 325; OLG Celle NStZ-RR 2004 S. 107); Bezeichnung als Zigeunerjude (BayObLG JR 2003 S. 33 mit Anm. ZACZYK S. 36 ff); Bezeichnung von Soldaten als vergleichbar mit Folterknechten, KZ-Aufsehem, Henkern (BGH NJW 1989 S. 1365); Bezeichnung von Soldaten als Mörder bzw. potentielle Mörder2®. bb) Ehrverletzungen durch Gesten: z.B. „einen Vogel zeigen", Zurückweisung eines Gastes beim Gaststättenbesuch (BayObLG NJW 1983 S. 2040). cc) Zur Beleidigung durch Satiren und Karikaturen vgl. unter Rdn. 45 ff.
2. Der subjektive
Tatbestand
13 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Täter muss sich bewusst sein, dass er einem anderen gegenüber eine Äußerung tut, die geeignet ist, ehrver-
22
Vgl. dazu BVerfGE 61 S. 1, 9; BGHSt 6 S. 162; OLG Stuttgart JZ 1969 S. 77; GEPPERT Jura 2002 S.
23
Dazu BayObLG NStZ 1983 S. 126.
24
A.A. in seiner neueren Rechtsprechung das BVerfG, das eine Äußerung dann bereits als Werturteil beurteilt, „wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte"; BVerfGE 85 S. 1, 15; dazu vgl. auch HUFEN JuS 1992 S. 963; KREY JR 1 9 9 5 S. 2 2 5 .
8 2 1 f; LACKNER/KÜHL § 1 8 6 R d n . 3 ; OTTO J R 1 9 8 3 S . 5 ; SCH/SCH/LENCKNER § 1 8 6 R d n . 4 .
25
LG Essen NJW 1980 S. 1639; a.A. KG JR 1984 S. 165 mit abl. Anm. OTTO S. 166 f.
26
A.A. BVerfGE 93 S. 266; zust. DENCKER Bemmann-FS, S. 292 ff. - Vgl. aber das abweichende Votum der Richterin HAAS BVerfGE 93 S. 313 ff, sowie zur grundsätzlichen Problematik: BRAMMSEN JR 1992 S . 8 2 f f ; GRASNICK J R 1 9 9 5 S . 1 6 2 f f ; HERDEGEN N J W 1 9 9 4 S . 2 9 3 3 f; HOFMANN L o b k o w i t z - F S , S . 3 3 3 f f ; OTTO N S t Z 1 9 9 6 S . 1 2 7 f; SCHMITT GLAESER N J W
1 9 9 6 S . 8 7 4 ; STARK JUS 1 9 9 5 S . 6 9 2 ;
STEINKAMM NZWehrR 1995 S. 48 ff; TETTINGER Die Ehre ein ungeschütztes Verfassungsgut, 1995, S. 4 2 f; TRÖNDLE O d e r s k y - F S , S . 2 7 8 ; ZUCK J Z 1 9 9 6 S . 3 6 4 f f .
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§32
letzend zu wirken. Eine Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich. - Zur Bedeutung der Überzeugung des Täters, seine Behauptung sei wahr, vgl. unter Rdn. 15. 3. Der Wahrheitsbeweis Gegenstand eines Ehrenschutzes, der auf der Personen würde und auf der Wertung der auf 14 „die anderen" bezogenen Handlungen einer Person fundiert ist, kann nur der begründete soziale Geltungsanspruch, nicht aber ein unbegründeter, in der Sozietät - irrtümlich - tatsächlich anerkannter Geltungsanspruch sein. Der gelungene Wahrheitsbeweis schließt daher eine Ehrverletzung aus, soweit diese sich nicht unabhängig vom Inhalt der Äußerung aus der Form oder aus den besonderen Umständen ergibt, § 192. Der tatsächlich anerkannte Geltungsanspruch ist jedoch nicht bedeutungslos: Seine Begründetheit wird zugunsten des Anspruchsberechtigten bis zum Beweis des Gegenteils vermutet. Nur auf der Basis dieser Vermutung kann der strafrechtliche Ehrenschutz die Entfaltung der Person im sozialen Raum gewährleisten.27 Das bedeutet: Nicht nur im Bereich des § 186, sondern auch in dem des § 185 ist es ir- 15 relevant, ob der Täter seine ehrverletzende Behauptung für wahr gehalten hat, maßgeblich ist vielmehr, ob sie erweislich wahr ist.28
II. Üble Nachrede, § 186 1. Der objektive Tatbestand a) § 186 erfasst ehrverletzende Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten, nicht ge- 16 genüber dem Verletzten selbst (A äußert gegenüber B, C habe ihm seine goldene Uhr gestohlen); zur Tatsachenbehauptung vgl. Rdn. 5. b) Behaupten heißt, eine Tatsache als nach eigener Überzeugung wahr hinstellen. - Ver- 17 breiten ist die Weitergabe einer fremden Äußerung. Auch die Weitergabe von Gerüchten mit beleidigendem Inhalt oder von beleidigenden Äußerungen Dritter ist Kundgabe der Miss- bzw. Nichtachtung. Eine Identifizierung des Äußernden mit dem Inhalt seiner Äußerung ist nicht erforderlich; vgl. aber unter Rdn. 54. c) In Beziehung auf einen anderen heißt einem Dritten, nicht nur dem Verletzten ge- 18 genüber. - Dieser Bezug ist auch gegeben, wenn der Täter verbirgt, dass er als Urheber hinter der Äußerung steht, indem er eine den Betroffenen kompromittierende Sachlage schafft. Auch hier mindert der Täter die Ehre des Betroffenen Dritten gegenüber. 29
2 7
A.A. (Unwahrheit als Tatbestandsmerkmal): BayObLG N J W 1959 S. 57; OLG Köln N J W 1964 S. 2121; OLG Koblenz M D R 1977 S. 864; ESER III, Nr. 15 A 68; GEPPERT Jura 2002 S. 824; KINDHÄUSER B . T . I, § 2 5 R d n . 11; DERS. S t G B , § 1 8 5 R d n . 6 ; RENGIER B . T . II, § 2 9 R d n . 3 1 ; REGGE MK,
§ 1 8 5 R d n . 2 1 ; RUDOLPHI S K I I , § 1 8 5 R d n . 4 ; S C H / S C H / L E N C K N E R § 1 8 5 R d n . 6 ;
TRÖND-
LE/FISCHER § 1 8 6 R d n . 11; ZACZYK N K , § 1 8 5 R d n . 11. 2 8
Eingehend dazu OTTO Schwinge-FS, S. 82 f. - Im übrigen vgl. RGSt 64 S. 11; OLG Frankfurt M D R 1 9 8 0 S . 4 9 5 ; AMELUNG E h r e , S. 6 4 ; HÄRTUNG N J W 1 9 6 5 S . 1 7 4 3 ff; HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 1 8 5 R d n . 3 6 ff; HIRSCH E h e u n d B e l e i d i g u n g , 1 9 6 7 S . 2 0 4 ff; TENCKHOFF J U S 1 9 8 9 S . 3 7 .
2 9
V g l . GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 3 1 R d n . 2 0 ; O T T O J K , S t G B § § 1 8 5 ff/2; STRENG G A 1 9 8 5 S . 2 1 4 . -
A.A. B G H NStZ 1984 S. 216; FUHR Die Äußerung im Strafgesetzbuch, 2001, S. 48 ff; KINDHÄUSER S t G B , V o r § 1 8 5 R d n . 12; KÜPER B . T . , S . 2 8 0 f; K Ü P P E R J A 1 9 8 5 S . 4 5 9 ; L A C K N E R / K Ü H L § 1 8 6 R d n . 6 ; TENCKHOFF J u S 1 9 8 8 S . 6 2 1 ; TRÖNDLE/FISCHER § 1 8 6 R d n . 9 ; ZACZYK N K , § 1 8 6 R d n . 12.
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§32
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
19 d) Dass die Tatsache geeignet ist, einen anderen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, bedeutet nichts anderes, als dass die Tatsachenbehauptung ehrverletzenden Inhalt hat. 2. Der subjektive Tatbestand 20 Der Vorsatz, bedingter genügt, muss die Ehrenrührigkeit der Tatsache bzw. des Werturteils und die Kundgabe an einen anderen erfassen. Eine darüber hinausgehende Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich. 3. Der Wahrheitsbeweis 21 Dass ein bestehender Achtungsanspruch Geltung bis zum Beweis des Gegenteils beansprucht, hat der Gesetzgeber in § 186 ausdrücklich klargestellt. Der misslungene Wahrheitsbeweis geht hier nach der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers zu Lasten des Täters. Der Wahrheitsbeweis ist geführt, wenn erwiesen ist, dass die Behauptung in ihrem Kern zutrifft. 30 - Die h.M. interpretiert die Nichterweislichkeit der Tatsache als objektive Bedingung der Strafbarkeit, die Gegenauffassung fordert hinsichtlich der Unwahrheit wenigstens sorgfaltspflichtwidriges Verhalten. 31
III. Qualifizierte ehrverletzende Tatbestände 1. Beleidigung mittels Tätlichkeit, § 185, 2. Alt. 22 Nicht jede Körperverletzung oder unsittliche Berührung ist eine Beleidigung. Es kann jedoch im Einzelfall in einer Körperverletzung - Ohrfeige mit dem Handrücken o.Ä. - oder einer anderen Tätlichkeit - Anspucken - eine Missachtung des sozialen Geltungsanspruchs Ausdruck finden, doch setzt die tätliche Beleidigung keine körperliche Einwirkung voraus. Es genügen beleidigende Gesten. 32 - Auch in einem geschlechtsbezogenen Angriff kann eine Missachtung des personalen Geltungsanspruchs Ausdruck finden. Dies ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Keineswegs aber kann § 185 eine Lückenbüßerfunktion gegenüber den Sexualdelikten erfüllen. 23 Freiheitsberaubungen, Vergewaltigungen und Nötigungen verletzen durchaus die Personenwürde, indem sie das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen missachten. Die Verletzung durch diese Delikte und die damit verbundene Beeinträchtigung der Personenwürde fallt aber nicht in den Bereich der Beleidigung. Das gilt auch, wenn diese Verhaltensweisen im Einzelfall als Sexual-, Freiheitsdelikt o.Ä. nicht strafbar sind. Eine eigenständige Bedeutung kommt der Beleidigung in diesem Zusammenhang nur zu, wenn
30
Vgl. B G H S t l 8 S . 182.
31
Zur h. M. vgl. B G H S t 11 S. 274; ARZT/WEBER B. T., § 7 Rdn. 18; GOSSEL/DÖLLING B . T . l , § 31 Rdn. 3 4 ; HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 185 R d n . 3 6 ff; LACKNER/KÜHL § 1 8 6 R d n . 7 ; OTTO S c h w i n g e - F S ,
S. 82 ff; TENCKHOFF JUS 1989 S. 35 ff. - Zur Gegenansicht: HIRSCH E. A. Wolff-FS, S. 144 ff; KINDHÄUSER G e f ä h r d u n g a l s S t r a f t a t , 1 9 8 9 , S. 3 0 5 f f ; KÜPPER J A 1 9 8 5 S. 4 5 9 ; REGGE M K , § 186 R d n . 2 8 ; RUDOLPHI S K II, § 1 8 6 R d n . 15; STRENG G A 1 9 8 5 S. 2 2 6 ; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , R d n . 5 0 1 ; Z A C Z Y K N K , § 1 8 6 R d n . 19. 32
So auch SCH/SCH/LENCKNER § 185 Rdn. 18. - A.A. OLG Karlsruhe NJW 2003 S. 1263; HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 185 R d n . 15; KINDHÄUSER B . T . I, § 2 5 R d n . 12; REGGE M K , § 185 R d n . 3 8 ; RU-
DOLPHI SKII, § 185 Rdn. 21.
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der Täter durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dem Opfer komme nur ein geminderter sozialer Achtungsanspruch zu. Aus diesem Grund ist ein Ehebruch, der Geschlechtsverkehr mit einem oder einer Min- 24 deijährigen oder die Zusendung von Prospekten mit sog. Aufklärungsinhalt noch keine Beleidigung. Hingegen ist der Tatbestand erfüllt, wenn der soziale Achtungsanspruch eines anderen auf geschlechtsbezogenem Gebiet verletzt wird dadurch, dass er nicht gemäß des ihm eigenen Verhaltens behandelt und geachtet wird, so z.B. wenn jemand unberechtigt als Prostituierte behandelt wird. 33 2. Die „öffentliche" üble Nachrede, § 186, 2. Alt. Öffentlich ist die üble Nachrede, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität un- 25 bestimmten Kreis wahrnehmbar ist. - Zum Verbreiten durch Schriften: § 11 Abs. 3. 3. Verleumdung, § 187 a) Die Verleumdung im System der ehrverletzenden Delikte 26 In den beiden ersten Alternativen („verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen") stellt das Delikt nach allgemeiner Auffassung eine durch die Behauptung unwahrer Tatsachen qualifizierte üble Nachrede dar. Auch für die 3. Alternative („Kredit zu gefährden") gilt nichts anderes, denn die kreditgefahrdende Verleumdung ist eine besonders gefahrliche Art der Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs, der auch durch die Kreditwürdigkeit einer Person oder eines Kollektivs wesentlich geprägt wird. 34 b) Einzelheiten des Tatbestandes 27 Wider besseres Wissen ist sichere Kenntnis der Unwahrheit; Bewusstsein der Gefahr, dass die Tatsache unwahr ist, genügt nicht. - Kreditgefährdung ist Verletzung des Vertrauens, das jemand bezüglich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten genießt. 4. Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens, § 188 a) Der gegenüber §§ 186, 187 qualifizierte Tatbestand soll der Vergiftung des politischen 28 Lebens entgegenwirken. b) Im politischen Leben des Volkes stehen Personen, die sich für eine gewisse Dauer mit 29 den grundsätzlichen, den Staat, seine Verfassung, Gesetzgebung oder Verwaltung unmittelbar berührenden Angelegenheiten befassen und aufgrund der ausgeübten Funktionen das politische Leben maßgeblich beeinflussen.35
33
Vgl. dazu B G H N J W 1986 S. 2442 mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 185/5, HILLENKAMP JR 1987 S. 126 ff, LAUBENTHAL JUS 1987 S. 700 ff; B G H NStZ 1987 S. 21; B G H NStZ 1988 S. 69; BGHSt 36 S. 145 mit Anm. OTTO JZ 1989 S. 803 und HILLENKAMP NStZ 1989 S. 529 f; BGH N J W 1989 S. 3029; dazu KIEHL S. 3003 ff; BGH NStZ 1992 S. 33 f; B G H NStZ 1993 S. 182; BGH NStZ 1995 S. 129; OLG Düsseldorf N J W 2001 S. 3562; OLG Zweibrücken N J W 1986 S. 2960; LG Freiburg N J W 2002 S. 3645; AMELUNG Rudolphi-FS, S. 379 f; HERDEGEN LK, 10. Aufl., § 185 Rdn. 28 ff; HIRSCH Ehre, S . 6 1 f f ; LAUBENTHAL S e x u a l s t r a f t a t e n , 2 0 0 0 , R d n . 9 0 ; SICK J Z 1 9 9 1 S . 3 3 0 f f ; WELZEL M D R
1951
S. 501 ff; ZACZYK NK, Vor § 185 Rdn. 25. 3 4
A . A . ( V e r m ö g e n s d e l i k t ) h . M . : LAMPE O e h l e r - F S , S . 2 8 3 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . I , § 2 5 R d n . 3 5 ff; REGGE M K , § 1 8 7 R d n . 3 ; RUDOLPHI S K II, § 1 8 7 R d n . 9 m . w . N . ; TENCKHOFF J u S 1988 S . 200.
35
BayObLG JZ 1982 S. 516.
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30
Wesentliches Abgrenzungskriterium ist die Maßgeblichkeit des politischen Einflusses auf die Politik der Bundesrepublik Deutschland („des Volkes").
31
Unter den Schutz des § 188 fallen daher der Bundespräsident, die Mitglieder der Bundesregierung, die Bundesverfassungsrichter, Gewerkschaftsführer und die Führer der Arbeitgeberverbände sowie anderer bedeutender Verbände. - Nicht unter den Schutz des § 188 fallen Kommunalpolitiker z.B. L a n d r ä t e 3 Gemeinderatsmitglieder 37 und einzelne Verwaltungsbeamte.
32 c) Zum Merkmal öffentlich vgl. Rdn. 25, zum Merkmal Versammlung vgl. § 62 Rdn. 4. 33 d) Die üble Nachrede muss aus Beweggründen begangen worden sein, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen. Nicht die Tatsache der öffentlichen Position allein wirkt straferschwerend, sondern der Zusammenhang zwischen dem Beweggrund der Tat und der öffentlichen Position. § 188 findet daher keine Anwendung, wenn ein Kandidat für ein bestimmtes Amt in seiner Eigenschaft als Kandidat diffamiert wird, auch wenn dieser Kandidat unabhängig von seiner Kandidatur öffentliche Positionen im Sinne der Vorschrift inne hat. 38 34 e) Die Tat muss geeignet sein, das öffentliche Wirken des Betroffenen erheblich zu erschweren. Maßgeblich ist hier nur der Inhalt der Behauptung und deren abstrakte Eignung zu negativen Auswirkungen. - Auf die Glaubwürdigkeit, Art und Weise der Verbreitung 0.Ä. kommt es nicht an.
IV. Rechtfertigung 35 Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen, z.B. Notwehr und Einwilligung, können ehrverletzende Äußerungen durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1, 2 GG, konkretisiert in der Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193, und durch das Grundrecht der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, gerechtfertigt sein. 1. Wahrnehmung berechtigter Interessen, §193 a) Anwendungsbereich des § 193 36 Nach den Prinzipien der Interessenabwägung gewährt der Gesetzgeber in § 193 die Befugnis zur Verletzung der Ehre eines anderen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen.39 § 193 konkretisiert die Grundsätze des Art. 5 Abs. 1, 2 GG. 40 Eine Ausdehnung des Rechtfertigungsgrundes der Wahrnehmung berechtigter Interessen auf Tatbestände, die in besonderer Weise gemeinschaftsbezogen sind und deren Schutz durch die Interessen anderer relativiert ist, zum Beispiel §§ 123, 203, kommt nicht in Betracht. § 193 trifft eine Entscheidung über die Grenzen des Ehrenschutzes gegenüber der Meinungsfreiheit. Eine all36
OLG Frankfurt NJW 1981 S. 1569; a.A. BayObLG JZ 1989 S. 699.
37
BayObLG JZ 1982 S. 516.
38
Vgl. BRAUEL Ehrverletzung und Ehrenschutz im politischen Leben, 1984, S. 50. - A.A. OLG Düsseldorf NJW 1983 S. 1211 f.
39
Als Entschuldigungsgrund interpretieren § 193: ERDSIEK JZ 1969 S. 311; ROEDER Heinitz-FS, S. 240; EIKE SCHMIDT J Z 1 9 7 0 S. 8 .
40
128
Vgl. MEURER Hirsch-FS, S. 655, krit. demgegenüber: MERZ Strafrechtlicher Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, 1998, S. 59; ZACZYK NK, § 193 Rdn. 6. - Aus Art. 10 Abs. 2 EMRK sind bzgl. des Ehrenschutzes keine eigenständigen Grundsätze herzuleiten, jedoch zieht der EGMR die Grenzen der Meinungsfreiheit gegenüber betroffenen Politikern weiter als gegenüber Privatpersonen; vgl. EGMR NJW 1999 S. 1318; 1999 S. 1321.
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gemeine Entscheidung dahin, dass die Wahrnehmung eigener, berechtigter Interessen auch sonst die Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter anderer rechtfertigen könne, ist ihm nicht zu entnehmen.41 b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen aa) Der Ehrverletzung muss die Wahrnehmung eines rechtlich schutzwürdigen, so- 37 zialethisch billigenswerten Interesses gegenüberstehen. Hierunter fallt auch die Wahrnehmung von Interessen in Leserbriefen 42 , im Prozess oder in Schriftsätzen 43 , auch durch Prozessvertreter, z.B. das Plädoyer oder die Äußerung des Strafverteidigers im Prozess 44 , bb) Das Interesse muss den Äußernden nahe angehen. 38 Interessen der Allgemeinheit berühren jeden Bürger nahe. Die Beteiligung an einer öffentlichen politischen Auseinandersetzung oder die Diskussion sonstiger öffentlicher Belange ist daher stets Wahrnehmung eines eigenen Interesses, denn das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist fur eine freiheitlich demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend. Es ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der das Lebenselement dieser Staatsordnung ist, weil er sie vor Erstarrung bewahrt. 45 - Auch die Presse hat die Aufgabe, an der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken. Ihre Beschäftigung mit allgemein interessierenden Themen ist demgemäß gleichfalls Wahrnehmung eines eigenen Interesses.46 cc) Die Äußerung muss zur Wahrnehmung des Interesses erforderlich sein. 39 Erforderlich können auch scharfe, drastische, taktlose und überspitzte Formulierungen sein. - In der öffentlichen Auseinandersetzung können nämlich herabsetzende Äußerungen, insbesondere unter dem Aspekt des „Rechts zum Gegenschlag", in Betracht kommen, wenn sie gemessen an den von der Gegenseite geäußerten Auffassungen nicht unverhältnismäßig sind und noch als adäquate Reaktion auf den vorausgegangenen Vorgang verstanden werden können, insbesondere aber einen gemeinsamen Bezug zu den konkreten, erörterten öffentlichen Interessen aufweisen. Ein Recht, Beleidigungen mit Beleidigungen heimzuzahlen, d.h. „mit gleicher Münze zurückzuzahlen", gibt es genauso wenig, wie es das Recht auf Meinungsfreiheit rechtfertigen kann, Informationen mit rechtswidrigen oder sogar kriminellen Mitteln zu beschaffen. - Polemische Ausfalle, die jede Sachlichkeit vermissen lassen, gehässige und böswillige Schmähkritik und sog. Wer-
41
So auch: OLG Stuttgart NStZ 1987 S. 121 mit Anm. OTTO JK 87, StGB § 193/1, und LENCKNER JuS 1 9 8 8 S. 3 4 9 ff, insbes. S. 3 5 1 ff; SCHÜNEMANN L K , § 2 0 1 R d n . 4 5 , § 2 0 3 R d n . 131; TENCKHOFF JUS
1989 S. 198 f m.w.N. Fn. 15. - A.A. ESER Wahrnehmung berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtf e r t i g u n g s g r u n d , 1969, S. 1 5 , 4 0 ; N O L L Z S t W 7 7 ( 1 9 6 5 ) S. 31 ff; TIEDEMANN J Z 1 9 6 9 S. 7 2 1 . 42
OLG Düsseldorf NJW 1992 S. 1336.
43
BVerfG StV 1991 S. 458; BVerfG NJW 2000 S. 199 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 193/5; BVerfG NJW 2000 S. 3196; BayObLG NJW 2000 S. 3079; BayObLG JZ 2001 S. 717 mit Anm. OTTO S. 719 f; LG Düsseldorf StV 2002 S. 660.
44
Dazu BGH NStZ 1987 S. 554; KG JR 1988 S. 522; KG StV 1998 S. 83; OLG Jena NJW 2002 S. 1890; OLG Düsseldorf NJW 1998 S. 3214 mit Anm. OTTO JK 99, StGB § 185/9.
45
Dazu BVerfGE 5 S. 205; 7 S. 207 ff; 12 S. 125; 24 S. 278; BVerfG NJW 1976 S. 1677; BVerfG NJW 1 9 8 0 S. 2 0 6 9 ; B V e r f G N J W 1983 S. 1415 m i t A n m . SCHMITT GLAESER J Z 1 9 8 3 S. 9 5 u n d VON DER
DECKEN NJW 1983 S. 1400 ff; BGHSt 12 S. 287; BGHZ 45 S. 296; OLG Koblenz NJW 1978 S. 1816; SCHWINGE M D R 1 9 7 3 S. 8 0 8 ; TETTINGERJZ 1 9 8 3 S. 3 2 3 f. 46
Dazu BVerfGE 12 S. 126; BGHZ 31 S. 308; BGH NJW 1977 S. 1289; BGH NJW 1979 S.267; BayObLG StV 1982 S. 576 ff.
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tungsexzesse, die bewusst das Bild einer Person und ihrer Motive verzerren, sind in keinem Fall zur Interessenwahrnehmung erforderlich.47 - Zur Rechtsprechung des BVerfG zu Äußerungen im Rahmen öffentlicher oder politischer Meinungsbildung vgl. Rdn. 42 ff. 40 dd) Der Äußernde unterliegt einer in ihrem Ausmaß von den Umständen des Einzelfalles abhängigen Informationspflicht. Die Äußerung bewusst unwahrer Tatsachenbehauptungen ist daher in keinem Fall zu rechtfertigen. Auch leichtfertig aufgestellte Behauptungen können nicht gerechtfertigt werden, jedoch ist der Umfang der dem Täter obliegenden Prüfungspflicht situations- und konfliktabhängig.48 41 ee) Die Äußerung muss subjektiv zur Wahrnehmung des berechtigten Interesses geschehen. Bloße Kenntnis der objektiven Rechtfertigungslage genügt nicht. Die Annahme einer Interessenverletzung durch Dritte allein rechtfertigt nicht die Ehrverletzung, vielmehr findet diese erst ihren Grund in der Interessenwahrnehmung 4 9 2. Äußerungen im Rahmen öffentlicher und politischer Meinungsbildung 42 Bei Äußerungen im Rahmen öffentlicher und politischer Meinungsbildung hat das BVerfG ehrverletzenden Äußerungen einen so weiten Raum eröffnet, dass den §§ 185, 186 kaum noch Bedeutung zukommt, indem es eine „Wechselwirkung" zwischen dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG und den in Art. 5 Abs. 2 GG genannten Schranken der Meinungsäußerungsfreiheit konstruierte und diese „Wechselwirkung" nicht nur auf Meinungsäußerungen, sondern auch auf Tatsachenäußerungen erstreckte, soweit diese nicht bewusst oder erwiesen unwahr sind. 43 a) Weil es der Sinn von Meinungsäußerungen sei, meinungsbildend und überzeugend zu wirken, sind nach Auffassung des BVerfG Werturteile von Art. 5 Abs. 1 GG durchweg geschützt, ohne dass es darauf ankäme, ob die Äußerung „wertvoll" oder „wertlos", „richtig" oder „falsch", „emotional" oder „rational" begründet ist. 50 Auch scharfe und übersteigerte Äußerungen fielen grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und es bestehe eine „Vermutung fur die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben". 51 Diese Vermutung sei in diesem Zusammenhang auch nicht auf spontane, mündliche Äußerungen beschränkt.52 - In späteren Entscheidungen baute das BVerfG die Vermutungsformel zur „Supervermutungsformel"53 aus, so dass „gegen das Äußern einer Meinung nur in äußersten Fällen eingeschritten werden darf'. 5 4 - Der Schutz gegen ehrenrührige Meinungsäußerungen in der öffentlichen Auseinandersetzung war damit weitgehend beseitigt. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit hatte in der Rechtsprechung des BVerfG einen Rang weit über dem des Rechts der Ehre erlangt. 55 Für den Ehrenschutz bedeutet das in der Praxis, dass ehrverletzende Meinungsäußerungen im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung grundsätzlich durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt sind, es sei denn, sie stellen eine offensichtliche Verletzung des Anspruchs auf Achtung der Personenwürde dar, wie z.B. die Bezeichnung eines Behinderten als Krüppel. 56 Dies gilt selbst dann, wenn die Äußerung in Form der Schmähkritik erfolgt, denn verbal lehnt das BVerfG zwar die Rechtfertigung von Schmähungen ab 57 , definiert jedoch 4 7
V g l . d a z u O L G H a m b u r g J R 1 9 9 7 S. 5 2 1 m i t A n m . FOTH S . 5 2 2 f; O L G C e l l e N S T Z 1 9 9 8 S. 8 8 .
48
Dazu BVerfG NJW 1989 S. 1789; BGHSt 14 S. 51; OLG Hamburg MDR 1980 S. 953; FUHRMANN JuS
49
So auch BGHSt 18 S. 186; OLG Düsseldorf VRS 60 S. 115; OLG Hamburg NJW 1952 S. 903;
1 9 7 0 S. 7 5 ; HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 1 9 3 R d n . 2 1 .
HERDEGEN L K ,
10. A u f l . , § 193 R d n . 2 5 ; TRÖNDLE/FISCHER § 1 9 3 R d n . 4 2 . - A . A .
§ 193 R d n . 9; SCH/SCH/LENCKNER § 193 R d n . 2 3 .
130
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den Begriff der Schmähkritik so eng - Äußerung, der jeder Sachbezug fehlt 5 8 dass diesem kein relevanter Anwendungsbereich bei Äußerungen in der öffentlichen Auseinandersetzung zukommt. 5 9 b) Im Hinblick auf Tatsachenäußerungen erstreckte das BVerfG den Schutz des Art. 5 Abs. 44 1 GG - gegen den Wortlaut des § 186 - auf leichtfertig aufgestellte unwahre Tatsachenbehauptungen, so dass nur noch den bewusst und erwiesen unwahren Tatsachenbehauptungen der Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 versagt bleibt. 60 3. Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist die Freiheit der Kunst vorbehaltlos gewährleistet. An- 45 erkannt ist jedoch heute, dass die Freiheit der Kunst zwar schrankenlos, nicht aber grenzenlos gewährleistet ist. Tangieren künstlerische Werke die Ehre eines anderen, so ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen ebenso wenig der Kunstfreiheit übergeordnet, wie sich die Kunst ohne weiteres über den allgemeinen Achtungsanspruch des Menschen hinwegsetzen darf. Maßgeblich im Einzelfall ist vielmehr eine Interessenabwägung, in der das Interesse an der künstlerischen Gestaltung gegen das Interesse des Schutzes des Achtungsanspruchs abzuwägen ist. - Diese Abwägung ist deshalb problematisch, weil das Bundesverfassungsgericht den Kunstbegriff weitgehend formal bestimmt: „Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und
50
Vgl. BVerfGE 33 S. 14 f; 61 S. 1.
51
Hierzu BVerfGE 7 S. 208; 82 S. 282.
52
Vgl. BVerfGE 60 S. 241; 66 S. 150; 68 S. 232.
53
Dazu KRJELE NJW 1994 S. 1898; OTTO Jura 1997 S. 141; STARCK Ehrenschutz in Deutschland, 1996, S. 113 ff; TRÖNDLE Odersky-FS, S. 266.
54
BVerfGE 61 S. 12.
55
Kritisch dazu: BUSCHER NVWZ 1997 S. 1060 f; VON DER DECKEN N J W 1983 S. 1400; KIESEL N V w Z 1 9 9 2 S. 1 1 9 2 f f ; KR1ELE N J W 1 9 9 4 S . 1 8 9 7 f f ; KREY J R 1 9 9 5 S . 2 2 5 ; MACKEPRANG E h r e n s c h u t z , S. 2 1 0 f f ; MERZ E h r e n s c h u t z , S. 174; OTTO J R 1 9 8 3 S. 6 f f ; DERS. J u r a 1 9 9 7 S. 1 4 0 f; SCHMITT GLAESER
J Z 1983 S. 95; DERS, Diirig-FS, S. 102 ff; STARCK JZ 1996 S. 1036; DERS. Ehrenschutz, 1996, S. 113 ff; TETTINGER JuS 1997 S. 7 7 0 ff; TRÖNDLE Odersky-FS, S. 2 6 6 ff; ZACZYK Hirsch-FS, S. 820 ff. 56
BVerfGE 86 S. 13 f.
57
Vgl. dazu BVerfGE 82 S. 283 f; BVerfG NStZ 2001 S. 641.
58
Vgl. dazu auch KRIELE N J W 1994 S. 1899; SCHMITT GLAESER N J W 1996 S. 877; STARCK Ehren-
schutz, S. 67 ff. 59
Vgl. dazu BVerfGE 93 S. 294; BVerfG NJW 2003 S. 961; BVerfG NJW 2003 S. 3760 mit Anm. OTTO JK 04, StGB § 193/7; BGH(Z) NJW 2000 S. 1036; NJW 2000 S. 3422; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 S. 165; OLG Frankfürt JR 1996 S. 250, 251 mit abl. Anm. FOTH S. 252 ff. - Zur Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG vgl. OTTO Jura 1997 S. 140 ff; ZACZYK Hirsch-FS, S. 820 ff. - Für ein stärkeres Gewicht der Ehre: BayObLG JZ 2001 S. 717, 718 mit Anm. OTTO S. 719 f.
60
Vgl. dazu BVerfG NJW 1991 S. 2074, 2075; NJW 2000 S. 199 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 193/5; NJW 2000 S. 3196; OLG Bremen StV 1999 S. 534.
131
§32
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers." 46 Zwar kann das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung eines Sachverhalts Auskunft über das Gewicht einer eventuellen Ehrverletzung geben. Das im Einzelfall vorrangige Interesse ist damit aber nicht bestimmt, soweit nicht der Betroffene im Kern seiner Persönlichkeit, unmittelbar in seiner Menschenwürde verletzt wird. Darüber hinaus erweist sich die Forderung nach Herstellung eines angemessenen Ausgleichs, der sachgemäßen Konkordanz, als undurchführbar, da es um die Abwägung gleichartiger Güter der Verfassung geht. 61 47 Um überhaupt eine Grundlage für die Abwägung zu schaffen, ist zu fragen, wie weit ein Kunstwerk auf Aussagen zur Realität angelegt ist und wie weit es auf eine eigene Welt abzielt. Als Richtpunkt der Abwägung kann sodann der Grundsatz gelten, dass derjenige, der eine authentische Schilderung zu geben behauptet, sich auch an diesem Anspruch messen lassen muss, während er dann, wenn er erkennbar ein fiktives Geschehen darstellt, einen breiteren Raum künstlerischer Gestaltung beanspruchen kann, selbst wenn aus dem gestalteten Sachverhalt Ehrverletzungen für konkrete Personen herausgelesen werden können. 62 48 Eine besondere Problematik bieten eventuelle Beleidigungen durch Satiren und Karikaturen, da diesen die Übertreibung, Verzerrung und Überzeichnung wesenseigen ist. Nach den bereits vom Reichsgericht entwickelten Grundsätzen sind hier der erkennbare Aussagekern und seine karikativen bzw. satirischen Einkleidungen zu unterscheiden. 63 Beide sind gesondert unter dem Gesichtspunkt einer Ehrverletzung zu würdigen. 4 9 Als Beleidigungen sind nach dieser Differenzierung eingestuft worden: die Behauptung, ein demokratischer Politiker sei ein Faschist und/oder Kriegstreiber 64 oder könne nur noch als Objekt in einer Peep-Show dienen (OLG Hamm 6 St Ss 286/82) sowie die Darstellung eines Politikers als kopulierendes Schwein (BVerfGE 75 S. 369).
50 Methodisch verläuft die Abwägung genau wie im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen. Gleichwohl sind die Abwägungen nicht identisch, denn das Maß der künstlerischen Gestaltung, die Verfremdung eines bestimmten Sachverhalts und seine Verallgemeinerung können durchaus im Einzelfall das Ergebnis rechtfertigen, dass eine Aussage nicht mehr unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit zulässig erscheint, wohl aber - aufgrund des Grades der Verfremdung - als „Nebenwirkung" eines Kunstwerkes hingenommen werden muss. Das Interesse der Kunstfreiheit wird in jedem Fall dort seine Grenzen finden, wo es um die Verletzung der Menschenwürde anderer geht. 65 61
Dazu vgl. BVerfGE 67 S. 228 mit Anm. OTTO NStZ 1985 S. 213 ff; BVerfGE 75 S. 369, 380 mit Anm. HUFEN JUS 1989 S. 136 f, WÜRKNER NStZ 1988 S. 23 ff; BVerfGE 83 S. 143, 146; OLG Hamburg JZ 1 9 8 5 S. 3 4 3 m i t A n m . GEPPERT J R 1 9 8 5 S. 4 3 0 , ISENSEE A f P 1 9 9 3 S. 6 2 5 ff; KARPEN/HOFER J R 1 9 9 2 S. 9 5 4 f; WÜRKNER N J W 1 9 8 8 S. 3 1 7 ff.
62
Vgl. dazu auch BVerfGE 30 S. 193; BGH(Z) NJW 1983 S. 1194; OLG Stuttgart (Z) NJW 1989 S. 396; BayObLG MDR 1994 S. 80. - Im Einzelnen dazu GOUNALAKIS NJW 1995 S. 809 ff; HENSCHEL NJW 1 9 9 0 S . 1 9 4 0 ff; LACKNER/KOHL § 193 R d n . 14; OTTO J R 1 9 8 3 S . 10; DERS. N J W 1 9 8 6 S . 1 2 1 0 ; SCH/SCH/LENCKNER § 1 9 3 R d n . 19; WORTENBERGER N J W 1 9 8 2 S. 6 1 5 ; DERS. N J W 1 9 8 3 S. 1 1 4 4 ff. -
Wenig überzeugend: BVerfGE 67 S. 213 mit Anm. OTTO NStZ 1985 S. 213 ff; OLG Hamburg NJW 1984 S. 1130 mit Anm. OTTO JR 1983 S. 511 ff. 63
RGSt 62 S. 183; vgl. auch BVerfGE 7 S. 377 f; BVerfG NJW 1998 S. 1387.
64
OLG Hamm NJW 1982 S. 659 ff; BayObLG NStZ 1983 S. 265 f.
65
Dazu BVerfGE 30 S. 193; OLG Hamm NJW 1982 S. 660; OLG Hamburg JR 1983 S. 508 mit Anm. OTTO S. 511 ff; BayObLG MDR 1994 S. 80; ERHARD Kunstfreiheit und Strafrecht, 1989, S. 210 ff;
132
Die einzelnen ehrverletzenden Delikte
§32
Die Würde der Person ist aber nicht erst betroffen, wenn jemand unmittelbar in seinem 51 Menschsein angegriffen wird („Untermensch"; kopulierendes Schwein), sondern bereits dann, wenn seine Möglichkeiten, mit anderen unvoreingenommene Gemeinschaft zu haben wesentlich beschränkt werden. 66 Nicht mehr akzeptabel als Ausübung der Kunstfreiheit ist daher die Bezeichnung eines anderen als „geb. Mörder" in einer „Satire". 67 4. Einzelne Probleme der Rechtfertigung a) Vertrauliche Äußerungen Bei „Äußerungen im engen Familienkreis" wird von einigen die „Kundgabe" bestritten. 68 52 Dem ist nicht zu folgen, denn auch der Täter, der im engsten Familienkreis ehrverletzende Tatsachen in Bezug auf Dritte behauptet, gibt die Missachtung des sozialen Geltungsanspruchs des Betroffenen kund. Weil aber das Familienverhältnis als enges Gemeinschafitsverhältnis gerade die vorbehaltlose Erörterung aller Probleme fordert, Vorbehalte irgendwelcher Art hingegen dieses Verhältnis zerstören müssten, bleibt die Äußerung in einem solchen Kreis straflos. Das Ausspracheinteresse des Äußernden im Intimkreis ist höher zu bewerten als das Schutzinteresse des in seiner Ehre Beeinträchtigten. - Ein derart hoch zu bewertendes Ausspracheinteresse ist jedoch nicht ausschließlich auf den engsten Familienkreis beschränkt. Auch im Verhältnis Anwalt und Klient sind durchaus Situationen denkbar, in denen das Ausspracheinteresse des Klienten überwiegt, 69 ohne dass damit das Bestehen einer Intimsphäre zwischen ihnen angenommen werden müsste. Grundsätzlich ist daher bei „vertraulichen" Äußerungen das Äusspracheinteresse des Äußernden und das Schutzinteresse des in seiner Ehre Beeinträchtigten im Rahmen des § 34 abzuwägen. 70 - Das gilt nicht uneingeschränkt, wenn der Äußernde weiß, dass seine Äußerung Dritten zur Kenntnis kommt, z.B. bei der Kontrolle der Post von Strafgefangenen. 71 b) Die Erstattung von Anzeigen Auch dann, wenn ein beleidigender Sachverhalt einer Behörde zur Kenntnis gebracht wird, 53 deren Aufgabe in der Prüfung solcher Sachverhalte besteht - z.B. Mitteilung eines Diebstahlsverdachts gegenüber der Polizei -, kommt eine Rechtfertigung gemäß § 193 in Betracht. Hier kann im Einzelfall auch eine leichtfertige Anzeige gerechtfertigt sein, wenn der HENSCHEL N J W 1 9 9 0 S. 1 9 4 0 ff; ISENSEE A f P 1 9 9 3 S . 6 2 6 ff; OTTO J R 1 9 8 3 S. 8; WÜRTENBERGER
NJW 1983 S. 1144 ff. 66
6 7
Vgl. dazu BayObLG JR 1994 S. 471 mit Anm. OTTO S. 473 ff; BayOblG NStZ 1994 S. 588; OTTO Jura 1995 S. 278 f. - Zur Verletzung der Menschenwürde im Rahmen des § 130 durch Bezeichnung als „Asylbetrüger" oder „Sozialparasit" vgl. unter § 63 Rdn. 33. V g l . d a z u HILLGRUBER/SCHEMMER J Z 1 9 9 2 S. 9 4 6 ff; ISENSEE A f P 1 9 9 3 S. 6 2 7 f; KIESEL N V W Z 1 9 9 2
S. 1135 f. - A.A. BVerfGE 86 S. 1. 68
OLG Oldenburg GA 1954 S. 284; HANSEN JuS 1974 S. 106; KINDHÄUSER StGB, Vor § 185 Rdn. 10; KREY B . T . 1, R d n . 4 1 7 ff; KÜPPER B . T . 1 , 1 § 4 R d n . 10; ZACZYK N K , V o r § 185 R d n . 3 8 .
69
OLG Celle NJW 1991 S. 1189. - A.A. OLG Hamburg NJW 1990 S. 1246 mit Anm. DAHN JR 1990 S. 516 f, GEPPERT JK 90, StGB § 185/8.
7 0
V g l . HERDEGEN L K , 10. A u f l . , § 185 R d n . 14; OTTO S c h w i n g e - F S , S. 8 7 f ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 5 / 1 0 ;
SCHENDZIELORZ Umfang und Grenzen der straffreien Beleidigungssphäre, 1993, S. 153 ff, 188 ff, 199 ff. - Zum gleichen Ergebnis gelangen durch eine teleologische Reduktion des Tatbestandes: HILLENKAMP J u S 1 9 9 7 S . 8 2 4 ff; DERS. H i r s c h - F S , S . 5 7 1 ff; LACKNER/KÜHL § 185 R d n . 9 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.1, § 2 4 R d n . 3 0 ff; RUDOLPHI S K II, V o r § 1 8 5 R d n . 18 f.. - L e d i g l i c h
einen Strafausschluss akzeptiert SCH/SCH/LENCKNER Vor § 185 Rdn. 9 a. 71
Vgl. dazu BVerfG (2. Kammer, 2. Senat) JR 1995 S. 379 mit abl. Anm. KIESEL S. 381 ff; OLG Frankfurt NStZ 1994 S. 404.
133
§32
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Anzeigende die Tatsachen, die seine Leichtfertigkeit begründen, mitteilt und erkennbar macht, dass er davon ausgeht, die Behörde werde den Sachverhalt prüfen. In dieser Situation reduziert sich die Informationspflicht des Anzeigenden auf die Pflicht, keine unrichtigen Angaben zu machen. Solange der Anzeigende daher den Sachverhalt nicht verfälscht oder mit unrichtigen Beweismitteln untermauert, genügt er seiner Informationspflicht, wenn er den Sachverhalt aus seiner Sicht schildert und darlegt, warum er zu dieser Sicht gelangt ist. 72 c) Weitergabe von Gerüchten 54 Die Weitergabe von Gerüchten ist - wie oben dargelegt - auch dann Äußerung einer Ehrverletzung, wenn der Äußernde sich nicht mit dem Inhalt des Gerüchtes identifiziert. Gibt er das Gerücht jedoch ausschließlich weiter, um dem Betroffenen eine Stellungnahme oder Gegenwehr zu ermöglichen, so ist er durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt.
V. Die Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände 55 Wird den ehrverletzenden Tatbeständen ein einheitliches Rechtsgut zuerkannt, so ist § 185 als Grundtatbestand der ehrverletzenden Delikte anzusehen. § 186 ist ein durch den größeren Schaden qualifizierter und § 187 ein darüber hinausgehend qualifizierter Tatbestand. 56 Erfolgt eine Beleidigung durch eine Tatsachenbehauptung gegenüber Dritten in Anwesenheit des Verletzten oder durch eine Tatsachenbehauptung und ein ehrenrühriges Werturteil in Anwesenheit Dritter, so konsumiert § 186 den zugleich verwirklichten § 185.73
VI. Erfordernis des Strafantrags 1. Grundsatz 57 Die Beleidigungsdelikte nach den §§ 185 - 188 sind Antragsdelikte, § 194. 2. Ausnahmen 58 Das Antragserfordernis entfallt bei Beleidigungen unter den Voraussetzungen des § 194 Abs. 1 S. 2, 3 (Beleidigung von Personen, die unter dem Nationalsozialismus oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft verfolgt wurden). 74 In den Fällen des § 194 Abs. 4 tritt an die Stelle des Strafantrags die Ermächtigung der betroffenen Körperschaft.
72
Dazu OLG Hamm NJW 1961 S. 520 f; OLG Köln NJW 1997 S. 1247 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 193/4.
73
So auch HERDEGEN LK, 10. Aufl., Vor § 185 Rdn. 30; RUDOLPHISK II, Vor § 185 Rdn. 21. - Für Idealkonkurrenz: BGHSt 6 S. 161; 12 S.292. - Für § 186 als lex specialis gegenüber § 185: SCH/SCH/ LENCKNER§ 186 R d n . 2 1 .
74
134
Dazu KÖHLER NJW 1985 S. 2389 ff; VOGELGESANG NJW 1985 S. 2386 ff.
Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener
§33
§ 33 Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener 1. Das geschützte Rechtsgut des §189 Als geschütztes Rechtsgut wird die Ehre des Toten 75 oder aber das Pietätsgefuhl der Angehörigen und der Allgemeinheit 76 angesehen. 77 Für die erstgenannte Ansicht spricht, dass die Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs, selbst wenn es sich um eine schwere Verletzung dieses Anspruchs handelt, das Pietätsgefühl einer Person nur dann stärker berühren wird, wenn ihr der Verstorbene bekannt gewesen ist. Gerade dieser Sachverhalt deutet darauf hin, dass es sich im Grunde doch um einen Angriff gegen die immer noch bestehende soziale Anerkennung des Verstorbenen handelt und nicht nur um die Verletzung eines letztlich sehr abstrakten Pietätgefühls der Allgemeinheit. 2. Einzelheiten des Tatbestandes Verunglimpfen ist eine grobe Form der Ehrverletzung. - Als Verstorbene sind auch für tot Erklärte anzusehen. Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 3. Irrtum des Täters über den Tod des Betroffenen Wird die Ehre des Verstorbenen als Rechtsgut des § 189 begriffen, so ist der Irrtum des Täters darüber, ob der Betroffene tot ist oder nicht, irrelevant, denn die Ehre des lebenden Betroffenen ist kein aliud gegenüber der Ehre des Verstorbenen. Die Verletzung wird lediglich in zwei verschiedenen Tatbeständen erfasst.
1
2
3
Fall: A, der meint, der Kirchenvorsteher Κ sei verstorben, erzählt wider besseres Wissen, der Verstorbene habe Kirchengelder im Freudenhaus verjubelt. - Κ lebt und stellt Strafantrag. Ergebnis: Α haftet nach § 187. - Wird hingegen das Pietätsgefühl der Angehörigen oder das der Angehörigen und der Allgemeinheit in § 189 als geschützt angesehen, so bleibt der Täter straffrei. § 187 liegt nicht vor, da Α nicht die Ehre eines lebenden Menschen verletzen will. § 189 findet keine Anwendung, weil sein objektiver Tatbestand nicht gegeben ist.
4. Strafantrag Der Tatbestand ist Antragsdelikt, § 194 Abs. 2. - Auch hier entfallt der Antrag bei bestimmten Verunglimpfungen Verstorbener, die ihr Leben als Opfer der Nationalsozialisten oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft verloren haben.
75
HERDEGEN LK, 10. Aufl., § 189 Rdn. 2 - 4; HIRSCH Ehre, S. 125; DERS. E. A. Wolff-FS, S. 141 ff; HUNGER Das Rechtsgut des § 189 StGB, 1996, S. 81 ff, 115; WELZEL Lb., § 42 II 4.
76
O L G Düsseldorf N J W 1967 S. 1142; GÖSSEL Schlüchter-GedS, S. 302; LACKNER/KÜHL § 189 Rdn 1; RÜPING G A 1977 S. 304 f.
77
Abweichend ZACZYK NK, § 189 Rdn. 1: Ehre des Adressaten in ihrem besonderen Verhältnis zum Andenken des Verstorbenen. - REGGE MK, § 189 Rdn. 11: Persönlichkeitsrecht eigener Art.
135
4
§34
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Sechster Abschnitt Delikte gegen den persönlichen Friedens- und Geheimnisbereich § 34 Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs I. Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 1. Rechtsgut und Angriffsobjekt 1
a) Die Vorschrift schützt die Eigensphäre der Person durch Sicherung ihres Rechts auf Bestimmung der Reichweite einer Äußerung, und zwar geht es in Abs. 1, 2 Nr. 1 um den Schutz des Rechts am gesprochenen Wort, in Abs. 2 Nr. 2 um den Schutz vor Schädigungen durch Indiskretion.1 2 b) Angriffsobjekt ist das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen. aa) Nicht öffentlich ist das Wort, wenn es objektiv und nach dem Willen des Sprechers nicht über einen überschaubaren, durch persönliche Beziehungen verbundenen Personenkreis hinaus wahrnehmbar ist. - Auch vom Sprechenden unbemerkte Zuhörer schließen die NichtÖffentlichkeit aus, nicht aber illegale Lauscher.2 Amtliche Unterredungen, Telefongespräche usw. sind nicht öffentlich, wenn sie nicht mit Wissen der Beteiligten vor einem öffentlichen Zuhörerkreis stattfinden.3 3 bb) Auch wenn die Gedankenäußerung in Form eines Gedichtes oder Liedes gekleidet wird, bleibt der Schutz erhalten. - Steht jedoch die künstlerische Gestaltung der Aussage im Vordergrund - Gesang, Deklamation -, so greift der Schutz des § 201 nicht durch.4 2. Die einzelnen Tathandlungen 4
a) § 201 Abs. 1 unterscheidet zwei Tathandlungen aa) Nr. 1: Aufnehmen ist das mechanische Fixieren des Wortes auf einen Tonträger, d.h. eine Vorrichtung zur wiederholten Wiedergabe von Tonfolgen (Tonband, Schallplatte o.Ä.). Die Aufnahme muss nicht notwendig heimlich geschehen, denn die Unbefangenheit desjenigen, der sich äußert, ist bereits dann gravierend tangiert, wenn er weiß, dass gegen seinen Willen das „was als flüchtige Lebensäußerung gemeint war, in eine jederzeit reproduzierbare Tonkonserve verwandelt wird".5- Das Überspielen einer Aufnahme auf einen 1 2
3
Vgl. dazu LENCKNER Baumann-FS, S. 141 ffm.e.N. V g l . O L G C e l l e J R 1 9 7 7 S. 3 3 8 m i t a b l . ANM. ARZT S. 3 3 9 ff; GRAF M K , § 2 0 1 R d n . 14; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 9 R d n . 5 7 .
Dazu OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 1513 mit zust. Anm. ALBER JR 1981 S. 495 ff, und abl. Anm. OSTENDORF J R 1 9 7 9 S. 4 6 8 f f ; O L G F r a n k f u r t J R 1 9 7 8 S . 1 6 8 m i t A n m . ARZT S . 1 7 0 f.
4
Vgl.
MAIWALD Z S t W
91
(1979)
S. 9 5 1 ;
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
B.T.l,
§29
Rdn. 58;
TRÖNDLE/FISCHER § 201 Rdn. 2. - Das gesungene Wort schließen aus: LACKNER/KÜHL § 201 Rdn. 2; SCHÜNEMANN L K , § 2 0 1 R d n . 6. - D a g e g e n a b e r : JUNG N K , § 2 0 1 R d n . 3 ; SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 1
Rdn. 5; WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 526. - Jegliche Stimmäußerung bezieht ein: ARZT Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, 1970, S. 243. 5
GALLAS ZStW 75 (1963) S. 19; vgl. auch OLG Jena NStZ 1995 S. 502 mit Anm. JOERDEN JR 1996 S. 2 6 5 f f , OTTO J K 9 5 , S t G B § 2 0 1 / 2 ; GRAF M K , § 2 0 1 R d n . 2 1 ; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 3 7 R d n . 19; LACKNER/KÜHL § 2 0 1 R d n . 3 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 0 1 R d n . 11; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , R d n . 5 2 9 . - A . A . SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 1 R d n . 13.
136
§34
Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs
anderen Tonträger ist nur im Rahmen der Nr. 2 erfasst. - Das Merkmal unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal; dazu weiter unter Rdn. 10. bb) Nr. 2: Gebrauchen heißt Nutzen der Aufnahme zum Abspielen, Kopieren oder Überspielen.6 Zugänglichmachen ist die Ermöglichung des Abspielens durch Dritte. - Eine so hergestellte Aufnahme ist eine nach Nr. 1 unbefugt hergestellte Aufnahme. Gegenüber dem Abspielen einer befugt aufgenommenen Aufnahme ist das Abspielen einer unbefugt hergestellten Aufnahme ein schwerer Eingriff in die Eigensphäre des Berechtigten. - Das unbefugte Abspielen einer befugt hergestellten Aufnahme mag ein Vertrauensbruch sein, einen einer heimlichen Aufnahme vergleichbaren Einbruch in die Eigensphäre stellt das Verhalten im Regelfall aber nicht dar. Daher wandelt sich das in Nr. 1 als allgemeines Verbrechensmerkmal anzusehende Erfordernis der „unbefugten" Aufnahme hier in ein echtes Tatbestandsmerkmal. 7 - Die Befugnis zum Gebrauchmachen hingegen ist wiederum allgemeines Verbrechensmerkmal; dazu weiter unter Rdn. 11. b) § 201 Abs. 2 erfasst zwei unterschiedliche Sachverhalte aa) Nr. 1: Das unbefugte Abhören mittels eines Abhörgerätes. - Abhörgerät ist hier als technische Einrichtung zu verstehen, mit der das Wort über seinen normalen Klangbereich hinaus wahrnehmbar gemacht wird. Fernsprechapparate und bei ihnen übliche Zusatzgeräte, wie z.B. Zweithörer und Lautsprecher sind keine Abhörgeräte in diesem Sinne. Der Gesetzgeber hat nicht das unbefugte Mithören unter Strafe gestellt, sondern den darüber hinausgehenden Eingriff in die Sphäre anderer durch Nutzung besonderer technischer Geräte.8 bb) Nr. 2: Die Veröffentlichung des unbefugt 9 aufgenommenen oder abgehörten nicht öffentlich gesprochenen Wortes. - Öffentlich ist die Mitteilung, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis wahrnehmbar ist. - Tatbestandsmäßig ist die Mitteilung des geschützten Wortes im Wortlaut oder in seinem wesentlichen Inhalt. - Gerechtfertigt ist die Mitteilung, wenn sie „zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird", Abs. 2 S. 3. Damit wird klargestellt, dass überragende öffentliche Interessen einen Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz genießen. 10 - Straffrei bleibt die Mitteilung, wenn sie nicht geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. Hier handelt es sich um einen objektiven Strafausschließungsgrund, nicht etwa um einen Tatbestandsausschluss, denn sonst würde im Falle eines Irrtums des Täters das Risiko, dass die Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen zu verletzen, auf den Geschützten übertragen werden. Das ist sachlich unangemessen.
6
So
auch
LACKNER/KÜHL
§201
Rdn.
4;
SCHÜNEMANN
LK,
§201
Rdn.
14.
-
A.A.
MAU-
RACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . L , § 2 9 R d n . 6 1 . 7
W i e h i e r ARZT I n t i m s p h ä r e , S . 2 6 4 ; BLEI H e n k e l - F S , S . 1 1 2 f; GRAF M K , § 2 0 1 R d n . 2 4 ; KINDHÄUSER B . T . I, § 2 8 R d n . 2 9 ; KREY Z S t W 9 0 ( 1 9 7 8 ) S. 1 8 0 f ; SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 1
R d n . 16. - A . A .
SUPPERT Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage", 1973, S. 209 ff; WELZEL Lb., § 45 III. 8
9
S o a u c h B G H ( Z ) N J W 1 9 8 2 S . 1 3 9 7 ; GRAF M K , § 2 0 1 R d n . 3 2 ; KÜPER B . T . , S . 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 0 1 R d n . 5 ; TRONDLE/FISCHER § 2 0 1 R d n . 7. - A . A . GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 3 7 R d n . 4 2 f; JUNG N K , § 2 0 1 R d n . 9 ; KLUG S a r s t e d t - F S , S. 1 0 6 ; SCH/SCH/LENCKNER § 2 0 1 R d n . 19.
Str. - Wie hier: KG JR 1981 S. 255; OLG Düsseldorf N J W 1995 S. 975 f; ARZT Intimsphäre, S. 263 f; JOECKS S t G B , § 2 0 1 R d n . 7 ; LACKNER/KÜHL § 2 0 1 R d n . 9 a ; TRÄGER L K , § 2 0 1 R d n . 13. - A . A .
RUDOLPHI Schaffstein-FS, S. 447; GEPPERT Studien, S. 211 ff; WÖLFL Jura 2003 S. 743 f. 10
Im Einzelnen dazu LENCKNER Baumann-FS, S. 151 ff.
137
5
6
7
§34
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
3. Qualifikation, § 201 Abs. 3 8 9
a) § 201 Abs. 3 ist ein Qualifikationstatbestand für Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete; dazu § 11 Abs. 1 Nr. 2, 4. b) Das Delikt ist ein sog. unechtes Amtsdelikt. - Die öffentlich-rechtliche Position ist besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 2. - Der Täter muss in seiner hoheitlichen Position, d.h. im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit, gehandelt haben. 4. Rechtswidrigkeit
10 Die Tatbestände der §§201 ff setzen voraus, dass der Täter unbefugt handelt. Unbefugt ist jede Tathandlung, für die ein Rechtfertigungsgrund nicht besteht. 11 a) Die rechtswirksam erteilte Befugnis zur Herstellung der Aufnahme oder zu ihrem Abspielen (Einwilligung) rechtfertigt das Verhalten. 11 Der Vertrauensbruch, der darin liegt, dass eine Aufnahme, in die der Berechtigte eingewilligt hat, gegen seinen Willen einem größeren Kreis bekannt gemacht wird, ist von § 201 nicht erfasst. Hier liegt kein Eingriff von außen in die Eigensphäre vor. 12 b) Bei Aufnahmen, die der Abwehr von Gefahren dienen, die von dem Betroffenen ausgehen, ist zu differenzieren: aa) Dient die Aufnahme der Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs - z.B. Aufnahme eines erpresserischen Anrufs, um den Erpressungsversuch abzuwehren - so kommt eine Rechtfertigung nach § 32 in Betracht. bb) Steht die Rechtsgutsverletzung noch nicht unmittelbar bevor, ist die Gefahr der späteren Rechtsgutsverletzung aber bereits begründet worden - z.B. Ankündigung des Bestrebens der zwar erfolgten, vom Prozessgegner aber nicht beweisbaren Zahlung in einem künftigen Prozess - so kann eine eventuelle Aufnahme gemäß § 34 gerechtfertigt sein, denn die gegenwärtige Gefahr geht weiter als der gegenwärtige Angriff. 1 2 cc) Soll mit der Aufnahme lediglich die spätere Bestrafung einer Person ermöglicht werden - z.B. Überführung nach Beleidigung am Telefon -, so ist weder § 32 noch § 34 unmittelbar anwendbar. Zurückzugreifen ist auf das allgemeine Prinzip des Interessenvorrangs, wie es in §§ 34 StGB, 228,904 BGB Ausdruck gefunden hat. 13 13 c) Bei behördlichen Abhörmaßnahmen kommen als gesetzliche Vorschriften, die das Verhalten rechtfertigen, §§ 100 a, b StPO und das Gesetz zu Art. 10 GG (G 10) vom 13.8.1968 in Betracht.
11
Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 1514; ROGALL NStZ 1983 S. 6; SCHÜNEMANN LK, § 201 Rdn. 32; WARDA Jura 1979 S. 296. - A.A. Tatbestandsausschluss: OLG Köln NJW 1962 S. 686 mit zust. Anm. BINDOKAT N J W 1 9 6 2 S. 6 8 6 f u n d a b l . A n m . DREHER M D R 1 9 6 2 S. 5 9 2 ; LACKNER/KÜHL § 2 0 1 R d n .
9; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, §29 Rdn. 59. Differenzierend FRANK Die Verwertbarkeit rechtswidriger Tonbandaufnahmen Privater, 1996, S. 50 ff, 63 f. 12
Vgl. dazu BGHZ 27 S. 290; BayObLG StV 1995 S. 65, 66 mit Anm. PREUß S. 66 ff; GROPP StV 1989 S. 216 ff; WÖLFL Jura 2000 S. 233.
13
Dazu OTTO Kleinknecht-FS, S. 334 ff.- Im Übrigen vgl. zum Meinungsstand und zur Auseinandersetzung: BayObLG NJW 1994 S. 1671; SCHÜNEMANN LK, § 201 Rdn. 41 ff.
138
Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs
§34
5. Konkurrenzen Die Begehungshandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 und 2 stellen eine einheitliche Tat dar, auch 14 wenn der Täter die unbefugte Aufnahme gebraucht oder Dritten zugänglich macht. - Die Begehungsformen der Absätze 1 und 2 können zueinander in Tateinheit stehen. 14 6. Zum Strafantrag: § 205 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist derjenige, der das geschützte Wort gesprochen 15 hat.
II. Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches, § 201 a 1. Rechtsgut und Schutzbereich a) Der mit dem 36. StrÄndG vom 30.7.2004 eingeführte Tatbestand des § 201 a dient dem 15a Schutz der Privatsphäre des Einzelnen vor unbefugten Bildaufhahmen. Geschützt ist der höchstpersönliche Lebensbereich. Das ist der private Bereich, der dem Einzelnen zur Entfaltung seiner Persönlichkeit in privaten Neigungen und Eigenschaften, Gesundheits- und Sexualsphäre, politischer und religiöser Einstellung sowie in seinem Familienleben zur Entfaltung seiner Persönlichkeit gewährleistet werden muss. 14a b) Schutzbereiche sind die Wohnung - dazu § 41 Rdn. 61 - und der gegen Einblick beson- 15b ders geschützte Raum. - Als Wohnung sind nach den Gesetzesmaterialien auch Gäste- und Hotelzimmer zu verstehen, nicht jedoch Geschäfts- oder Diensträume. Der gegen Einblick besonders geschützte Raum müsse kein umschlossener Raum i.S. des § 243 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 sein. Erfasst seien zwar Toiletten, Umkleidekabinen und ärztliche Behandlungsräume, doch könne sich der Schutz auch durch eine Hecke, einen Raum oder eine Mauer ergeben. 141 ' - Auch hier mangelt es dem Tatbestand an Bestimmtheit. 140 2. Die Tathandlungen gemäß Abs. 1 a) Herstellen erfasst Handlungen, mit denen das Bild auf einem Bild- oder Datenträger 15c abgespeichert wird. b) Übertragen erstreckt den Strafrechtsschutz auch auf Echtzeitübertragungen, z. B. mittels 15d sog. „WebCams" oder „SpyCams" ohne dauernde Speicherung der aufgenommenen Bilder.14«1 c) Die Tathandlung muss zu einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches 15e gefuhrt haben. 14e 14
Dazu eingehend: SCH/SCH/LENCKNER § 201 Rdn. 38.
14a
Vgl. dazu MEYER-GOBNER StPO, 47. Aufl. 2004, § 171 b GVG m.N. - Die Gesetzesmaterialien weisen auf den Bezug zur Intimsphäre hin - BT-Drucks. 15/2466, S. 5 sehen diesen Bereich aber als zu eng an - BTDrucks. 15/2466, S. 4 - und gehen davon aus, dass der Bereich des persönlichen Lebensbereiches im Sinne der §§ 68 a Abs. 1 StPO, 171 b Abs. 1 S. 1 GVG weiter ist. - Konturen gewinnt der Begriff des höchstpersönlichen Lebensbereiches dadurch nicht; krit. auch BORGMANN NJW 2004 S. 2134; BOSCH JZ 2005 S. 3 7 9 f; EISELE J R 2 0 0 5 S. 9; HOPPE G R U R 2 0 0 4 S. 9 9 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 0 1 a R d n . 1.
14b
Vgl. BT-Drucks. 15/2466, S. 5.
14c
V g l . d a z u a u c h BORGMANN N J W 2 0 0 4 S. 2 1 3 4 f; BOSCH J Z 2 0 0 5 S. 3 7 9 f; FLECHSIG Z U M 2 0 0 4 S. 6 1 0 .
14d
Vgl. BT-Drucks. 15/2466, S. 5.
14e
D a z u EISELE J R 2 0 0 5 S. 9; LACKNER/KÜHL § 2 0 1 a R d n . 3 .
139
§34
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
3. Die Tathandlungen gemäß Abs. 2 15f Die Vorschrift entspricht § 201 Abs. 1 Nr. 2, vgl. dazu im Einzelnen unter Rdn. 5. - Gebrauchen bedeutet hier, die technischen Möglichkeiten des Bildträgers nutzen, z.B. durch Speichern, Archivieren, Kopieren oder Fotomontage. Das bloße Angucken des Bildes kann noch kein Gebrauchen im Sinn der Vorschrift sein, da der Gesetzgeber ausdrücklich davon ausgeht, dass das bloße Angucken der abgebildeten Person in natura nicht strafbar ist. Das Bild ist einem Dritten zugänglich gemacht, wenn der Täter einer oder mehreren anderen Personen den Zugriff auf das Bild oder die Kenntnisnahme vom Gegenstand der Aufnahme ermöglicht. 4. Die Tathandlung gemäß Abs. 3 15g Abs. 3 erfaßt den Vertrauensbruch, der darin liegt, dass jemand eine befugt hergestellte Aufnahme im Sinne des Abs. 1 unbefugt einem Dritten zugänglich macht und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich des Betroffenen verletzt. 5. Rechtswidrigkeit 15h Zur Befugnis vgl. Rdn. 11.
III. Verletzung des Briefgeheimnisses, § 202 1. Rechtsgut und Angriffsobjekt 16 a) Die Vorschrift schützt die formal begrenzte Geheimsphäre gegen Indiskretion. 17 b) Geschützt ist nicht nur das Briefgeheimnis (Art. 10 GG), sondern jeder abgeschlossene Gegenstand mit gedanklichem Inhalt sowie Abbildungen, es sei denn, der Verschluss dient nicht dazu, die inhaltliche Kenntnisnahme zu verhindern, so z.B. der Paketverschluss bei der Versendung von Romanen, allgemein zugänglichen Kochrezepten usw. 18 c) Schriftstück ist jeder Träger von Schriftzeichen, die einen gedanklichen Inhalt ergeben. Der Brief ist ein Unterfall des Schriftstückes. 2. Die einzelnen Tathandlungen 19 a) § 202 Abs. 1 Nr. 1: Öffnen ist das Beseitigen oder Unwirksammachen des Verschlusses. - Anwendung von Gewalt oder eine Beschädigung des Verschlusses ist nicht erforderlich. 20 b) § 202 Abs. 1 Nr. 2: Artwendung technischer Mittel bedeutet den Einsatz spezifischer technischer Hilfsmittel. - Bloßes Abtasten oder „Gegen-Licht-halten" des Schriftstückes genügt nicht. 15 - Vom Inhalt des Schriftstückes hat sich der Täter „Kenntnis verschafft", wenn er den Inhalt wahrgenommen hat. Verständnis des Inhalts ist nicht erforderlich. 16 21 c) § 202 Abs. 2 erfordert ein Öffnen zum Zwecke der Kenntnisnahme. - Verschlossenes Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen - und nicht zum Betreten von Menschen - bestimmtes Raumgebilde, dessen Verschluss fremde Kenntnisnahme des Behältnisinhaltes verhindern soll. Es genügt nicht, dass der Täter aus anderen Gründen das Behältnis öffnet (z.B. um Geld daraus zu stehlen) und Kenntnis von dem Inhalt des Schriftstückes nimmt.
15
BT-Drucks. 7/550 S. 237.
16
Vgl. einerseits: LACKNER/KÜHL § 202 Rdn. 4; andererseits: SCH/SCH/LENCKNER § 202 Rdn. 9.
140
§34
Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs 3. Rechtswidrigkeit
a) Zur Befugnis vgl. Rdn. 11. 22 b) Die rechtfertigende Befugnis kann hier insbes. aus §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB, 23 §§ 99, 100 StPO, § 99 InsO, § 2 Überwachungsgesetz und Art. 1 des Gesetzes zu Art. 10 GGv. 13.8.1968 folgen. 17 4. Konkurrenzen Die durch die Öffnung bewirkte Sachbeschädigung, § 303, wird von § 202 konsumiert. - 24 Gegenüber § 206 ist § 202 subsidiär, § 202 Abs. 1 a.E. - Öffnet der Täter ein durch Diebstahl oder Unterschlagung entwendetes Schriftstück unbefugt, so ist je nach den zeitlichen Tatmodalitäten Real- oder Idealkonkurrenz zwischen §§ 242, 246 und § 202 gegeben. 18 5. Zum Strafantrag: § 205 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist deijenige, der zur Tatzeit das Bestim- 25 mungsrecht über die Sache hat, d.h. bei Sendungen der Absender bis zum Empfang durch den Adressaten. 19
IV. Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 1. Rechtsgut, Tatobjekt und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist die Geheimsphäre des Einzelnen und daneben das All- 26 gemeininteresse an der Verschwiegenheit der hier genannten Personen, da diese weitgehend Voraussetzung für eine effektive Ausübung der genannten Tätigkeiten ist. 20 Der Schweigepflicht gemäß § 203 Abs. 1 steht - wenn auch nicht in vollem Umfang entsprechend - das Schweigerecht nach §§ 53, 53 a StPO, § 383 Z P O gegenüber.
b) Tatobjekt der Abs. 1 und 2 S. 1 ist ein „fremdes Geheimnis", d.h. ein Privatgeheimnis, 27 das einen anderen Menschen als den Täter betrifft. - Geheimnis ist eine Tatsache, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt ist, an deren Geheimhaltung der Betroffene ein sachlich begründetes Interesse hat und die er nicht offenbaren will. - Das Geheimnis kann sich auf den persönlichen, beruflichen oder wirtschaftlichen Lebensbereich des Betroffenen beziehen. Das zum persönlichen Lebensbereich gehörende Geheimnis sowie das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis sind nur Beispiele für die hier relevanten Geheimnisse. Geheimnisse des Staates sind in den §§ 93 ff, 353 b geschützt, doch sind Überschneidungen von § 203 mit § 353 b möglich.
17
Im Einzelnen dazu SCHÜNEMANN LK, § 202 Rdn. 35 ff.
18
D a z u a u c h B G H J Z 1 9 7 7 S . 2 3 7 m i t A n m . KÜPER J Z 1 9 7 7 S . 4 6 4 , LENCKNER J R 1 9 7 8 S . 4 2 4 f.
19
Im Einzelnen dazu SCHÜNEMANN LK, § 205 Rdn. 4.
2 0
V g l . a u c h KINDHÄUSER B . T . I, § 3 1 R d n . 1; KREY B . T . 1, R d n . 4 5 7 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
B . T . l , § 29 Rdn. 4. - Das Allgemeininteresse akzeptieren nur für Abs. 1: LACKNER/KÜHL § 203 Rdn. 1; MICHALOWSKI ZStW 109 (1997) S. 522. - Für einen Vorrang des Allgemeininteresses: OLG Köln NStZ 1983
S. 4 1 2 ;
SCHLUND J R
1977
S. 2 6 9 ;
SCH/SCH/LENCKNER
§203
Rdn.
3.
-
Nur
das
Indi-
vidualinteresse sehen als geschützt an: NIEDERMAIR in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, 2. A u f l . 2 0 0 1 , S . 4 1 2 ff; ROGALL N S t Z 1 9 8 3 S . 5 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 6 / 2 7 ; SCHMITZ J A 1 9 9 6 S . 7 7 2 ; SCHÜNEMANN Z S t W 9 0 ( 1 9 7 8 ) S . 5 1 f f ; DERS. L K , § 2 0 3 R d n . 1 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 0 3 R d n . 1 b .
141
§34
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
c) Der Täterkreis 28 aa) Zu den einzelnen Tätergruppen vgl. Gesetzeswortlaut, Abs. 1,2 S. 1. 29 bb) Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. 30 cc) Das Geheimnis muss dem Täter in seiner Eigenschaft als Arzt, Wirtschaftsprüfer, Amtsträger usw. anvertraut oder bekanntgeworden sein, d.h. die Kenntnisnahme muss in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Berufs- oder Amtstätigkeit stehen. - Anvertraut ist das Geheimnis, wenn es dem Betroffenen unter Umständen mitgeteilt worden ist, aus denen sich die Anforderung des Geheimhaltens ergibt. - Sonst bekanntgeworden ist dem Täter das Geheimnis, wenn er es auf andere Weise erfahren hat. 21 31 dd) Die berufsmäßig tätigen Gehilfen der nach Abs. 1 Verpflichteten und die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf Tätigen stehen den besonders Verpflichteten gleich, § 203 Abs. 3. - Bei den Gehilfen muss es sich aber um Gehilfen in der Berufsausübung handeln, nicht etwa um sonstige Gehilfen, wie z.B. den Chauffeur oder die Putzfrau. 22 32 ee) Nach dem Tode einer verpflichteten Person (Berufsausübender oder Gehilfe) ist in gleicher Weise verpflichtet, wer das Geheimnis von dem Verstorbenen oder aus dessen Nachlass erlangt hat, § 203 Abs. 3 S. 2. 2. Die Tathandlung 33 a) Tathandlung ist das Offenbaren eines anvertrauten oder sonst bekannt gewordenen Geheimnisses. - Offenbaren ist Mitteilung an einen Dritten, dass dieser Dritte selbst schweigepflichtig ist, ändert nichts an der Offenbarung 2 3 Hingegen liegt kein Offenbaren in der Weitergabe einer Mitteilung im ordnungsgemäßen Behördengang.24 34 b) Qualifiziert ist die Tat gemäß § 203 Abs. 5. aa) Bereicherungsabsicht ist die Absicht, sich oder einem anderen einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, bb) Schädigungsabsicht setzt auf Schädigung gerichteten dolus directus 1. Grades voraus. 3. Rechtswidrigkeit 35 a) Zur Befugnis vgl. oben Rdn. 11. b) Als Befugnis kommen insbesondere in Betracht: 36 aa) Die Einwilligung, die u.U. stillschweigend bei beruflicher Notwendigkeit - z.B. Mitteilung des Arztes an seinen Vertreter oder Nachfolger - oder konkludent - Einwilligung zur sog. Anstellungsuntersuchung umfasst Befugnis zur Mitteilung des Ergebnisses an anstellende Behörde bzw. Firma - erteilt werden kann. Einwilligungsberechtigter ist grundsätzlich der Träger des Geheimnisses, d.h. der vom Geheimnis Betroffene. Eine Ausnahme ist jedoch dann zu machen, wenn ein Dritter dem
2 1
V g l . R O G A L L N S t Z 1 9 8 3 S. 4 1 3 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 0 3 R d n . 3 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 0 3 R d n . 9. -
Eine Kenntniserlangung im Rahmen einer typischerweise auf Vertrauen angelegten Sonderbeziehung fordert: SCH/SCH/LENCKNER § 203 Rdn. 15. 22
Dazu KOHLHAAS NJW 1972 S. 1502. - Zum Service- und Wartungspersonal von Computern vgl. OTTO wistra 1999 S. 203.
23
Vgl. BayObLG NJW 1995 S. 1623 mit Anm. GROPP JR 1996 S. 478 ff.
24
Vgl. dazu OLG Frankfurt NStZ-RR 1997 S. 69; OLG Frankfurt NStZ 2003 S. 170.
142
Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs
§ 34
Täter das Geheimnis anvertraut hat und mit der Offenbarung einverstanden ist. In diesem Fall ist das Vertrauensverhältnis zwischen Betroffenem und Täter nicht verletzt. 25 bb) Gesetzliche Anzeigepflichten, z.B. § 138 i.V.m. § 139 Abs. 2, Abs. 3 StGB, Ge- 37 schlechtskrankheitengesetz, Bundesseuchengesetz usw. Zum staatsanwaltschaftlichen Auskunfts- und Herausgabeersuchen: §§ 160, 161, 94 I, 95 I StPO. - Zur Offenbarungspflicht als Zeuge im Ermittlungsverfahren: BVerfG NJW 2001 S. 3474, 3475.
cc) Zeugnispflicht nach Entbindung von der Schweigepflicht, § 53 Abs. 2 StPO. 38 dd) Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB. In Fällen, in denen die Offenbarung eines Geheimnisses zur Lebensrettung oder zum Schutz vor schweren Gesundheitsschäden eines anderen nötig ist, ist die Offenbarung durch § 34 zu rechtfertigen. 26 In gleicher Weise ist gemäß § 34 der Konflikt zwischen dem Schutz eines Geheimnisses und dem Auskunftsanspruch der Presse zu lösen 27 , sowie der Konflikt der Kenntnisnahme von Geheimnissen durch Service- und Wartungspersonal von Computern. 28 - Ein Absehen von den strengen Voraussetzungen des § 34 mit der Konsequenz, die Wahrnehmung berechtigter Interessen hier genügen zu lassen - dazu vgl. § 32 Rdn. 36 ff -, ist nicht geboten, da kein Anlass besteht, dem hier geschützten Rechtsgut geringeren Schutz zu gewähren als anderen Rechtsgütern. Die Sonderregelung des § 193 ist durch die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit legitimiert, in ihr findet aber nicht der Grundsatz Ausdruck, dass eigene berechtigte Interessen Rechte auf die Verletzung der Rechtsgüter anderer begründen. 29 ee) Die mutmaßliche Einwilligung kann Bedeutung haben bei der Benachrichtigung von 39 bewusstlosen oder geisteskranken Patienten. Sie kommt jedoch nicht in Betracht, wenn der Betroffene befragt werden kann. Die Weitergabe von Patientendaten an Verrechnungsstellen zur Einziehung von Forderungen und die Abtretung von ärztlichen oder anwaltlichen 30 Honorarforderungen oder der Verkauf einer ärztlichen oder anwaltlichen Praxis mit Überlassung der Akten 31 ist durch mutmaßliche Einwilligung nicht gerechtfertigt.
25
Vgl. auch OLG Köln NStZ 1983 S. 413; ARZT/WEBER B. T„ § 8 Rdn. 33; JUNO NK, § 203 Rdn. 10; SCHMITZ J A
1 9 9 6 S. 9 5 1 f. - A . A . LACKNER/KÜHL § 2 0 3 R d n .
18; ROGALL N S t Z
1983
S.414;
WAGNER JZ 1987 S. 708. - Für Ausschluss des Straftinrechts: SCHÜNEMANN LK, § 203 Rdn. 99. 26
BGH JZ 1983 S. 151 mit Anm. GEIGER S. 153 f. - Zur Verpflichtung des Arztes, der Ehefrau eines AIDS-kranken Patienten die Krankheit zu offenbaren: OLG Frankfurt NStZ 2001 S. 149 und S. 150 mit A n m . OTTO J K 0 1 , S t G B § 2 0 3 / 2 , SCHLUND J R 2 0 0 0 , S. 3 7 6 f, WOLFSLAST N S t Z 2 0 0 1 S. 151 m . w . N .
27
Vgl. OLG Schleswig NJW 1985 S. 1090; hingegen: OLG Hamm NJW 2000 S. 1278 (Rechtfertigung nach Pressegesetz). - Allgemein hierzu LACKNER/KÜHL § 203 Rdn. 25; SCH/SCH/LENCKNER § 203 Rdn. 30.
28
Eingehender dazu OTTO wistra 1999 S. 204 ff. - Eine Offenbarung hält in diesen Fällen fiir zweifelhaft: SCHÜNEMANN L K , § 2 0 3 R d n . 4 1 .
29
Vgl. grundsätzlich dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 145 f. - Sodann BOHNERT NStZ 2004 S. 305; SCHÜNEMANN LK, § 203 Rdn. 131. - A.A. OLG Köln NJW 2000 S. 3656, 3657 mit abl. Anm. OTTO JK 01, StGB § 203/1. - Zur Notwehrsituation: BOHNERT NStZ 2004 S. 305.
30
Vgl. zu ärztl. Forderungen: BGHZ 115 S. 123 mit Anm. EMMERICH JuS 1992 S. 153 ff; BGH NJW 1992 S. 2348 mit Aran. SCHLUND JR 1993 S. 25 ff; BGH NJW 1993 S. 2371; BGH NJW 1996 S. 775. - Vgl. zu Anwaltsforderungen: BGHZ 122 S. 115 mit Anm. EMMERICH JuS 1993 S. 866 ff; BGH NJW 1993 S. 1912; BGH NJW 1993 S. 2795.
31
Dazu BGH ZIP 1995 S. 1016.
143
§34
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
4. Zum Strafantrag, § 205 40 Verletzter und damit Antragsberechtigter ist der Geheimnisberechtigte.
V. Verwertung fremder Geheimnisse, § 204 41 1. Rechtsgut und Täterkreis entsprechen dem des § 203. 42 2. Die Tathandlung ist das Verwerten eines fremden Geheimnisses unter Verletzung von Interessen des Berechtigten, um Gewinn zu erzielen. 32 Die Gegenmeinung begnügt sich demgegenüber mit einer wirtschaftlichen Nutzung zum Zwecke der Gewinnerzielung.33 43 3. §§ 204 und 203 schließen einander aus. Erfolgt die Gewinnerzielung durch Offenbarung des Geheimnisses an einen Dritten, z.B. Verkauf des Geheimnisses, so geht § 203 Abs. 5 dem § 204 vor. 34 44 4. Zum Strafantrag: § 205, vgl. Rdn. 40.
VI. Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, § 206 1. Das geschützte Rechtsgut 45 Die Vorschrift schützt das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), sowie das öffentliche Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Sicherheit des Post- und Fernmelde Verkehrs. 2. Der Täterkreis der Abs. 1 bis 3 46 a) Inhaber oder Beschäftigte eines Unternehmens, das geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringt, Abs. 1, 2 - in den Fällen des Abs. 1 auch ausgeschiedene Beschäftigte oder ehemalige Inhaber. - Telekommunikationsdienste sind Telekommunikationsdienstleistungen i.S. des § 3 Nr. 18 TKG, d.h. das gewerbliche Angebot von Telekommunikation einschließlich des Angebots von Übertragungswegen für Dritte. - Telekommunikation ist gemäß § 3 Nr. 16 TKG der technische Vorgang des Aussendens, Übermitteins und Empfangens von Nachrichten jeglicher Art in der Form von Zeichen, Sprache, Bildern oder Tönen mittels Telekommunikationsanlagen. - Telekommunikationsanlagen, § 3 Nr. 17 TKG, sind technische Einrichtungen oder Systeme, die als Nachrichten identifizierbare elektromagnetische oder optische Signale senden, übertragen, vermitteln, empfangen, steuern oder kontrollieren können. 47 b) Personen, die Aufgaben der Aufsicht über die unter a) genannten Post- und Telekommunikationsunternehmen ausüben, Abs. 3 Nr. 1. Das sind vor allem Beschäftigte innerhalb der verbliebenen Hoheitsverwaltung des Bundes im Post- und Telekommunikationsbereich. 35 48 c) Personen, die mit dem Erbringen von Post- oder Telekommunikationsdiensten betraut sind, Abs. 3 Nr. 2. Das sind Personen, die nicht zu dem unter a) genannten Kreis gehören, aber in die Abwicklung des Post- und Fernmeldeverkehrs eingeschaltet sind. 3 2
V g l . M A I W A L D J u S 1 9 7 7 S . 3 6 2 ; DERS. N S t Z 1 9 8 4 S . 1 7 0 ; S C H Ü N E M A N N L K , § 2 0 4 R d n . 6 .
33
Vgl. z.B. BayObLG NStZ 1984 S. 169 f.
34
BT-Drucks. 7/550, S. 244.
35
Vgl. dazu BT-Drucks. 13/8016, S. 29.
144
Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs
§34
d) Mit der Herstellung einer dem Betrieb eines Post- oder Telekommunikationsunterneh49 mens dienenden Anlage oder mit Arbeiten daran betraute Personen, Abs. 3 Nr. 3. Das sind Inhaber, Angestellte und Arbeiter von Hersteller- und Serviceunternehmen für technische Anlagen. e) Die Täterqualität ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2, denn den 50 Täterkreis kennzeichnet eine erhöhte Pflichtenstellung in Bezug auf das geschützte Rechtsgut. 36 3. Die einzelnen Tatbestände der Abs. 1 bis 3 a) Abs. 1 stellt die Mitteilung von Tatsachen, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, an andere unter Strafe. - Dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegt nicht nur der Inhalt von Postsendungen und der Inhalt der Telekommunikation, sondern auch die Tatsache, dass ein Post- oder Fernmeldeverkehr zwischen bestimmten Personen stattgefunden hat und die näheren Umstände erfolgloser Verbindungsversuche, Abs. 5. b) Abs. 2 Nr. 1, 2 schützt die den Post- und Telekommunikationsunternehmen anvertrauten Sendungen gegen Ausforschung (Nr. 1) und Unterdrückung (Nr. 2). Sendung ist jeder körperliche Gegenstand, der auf dem Post- oder Fernmeldeweg übermittelt werden soll. Die Sendung muss verschlossen sein. Sendungen, die zwar nicht offen sind, aber jederzeitiger Öffnung und Kontrolle unterliegen sollen, genügen diesem Erfordernis nicht. 37 Den Unternehmen anvertraut sind alle Sendungen, die ordnungsgemäß in den Postoder Fernmeldeverkehr gelangt sind und sich noch dort befinden. - Zu den Begriffen Öffnen und unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschaffen, vgl. unter Rdn. 19 ff. Unterdrücken heißt dem ordnungsgemäßen Übermittlungsverkehr entziehen, sei es auch nur zeitweise. 38 Der Täter muss als Inhaber oder Beschäftigter, d.h. im inneren Zusammenhang mit seiner Funktion tätig geworden sein. Die Tatsache allein, dass er zur Tatzeit in dem Unternehmen tätig war, genügt nicht. c) Abs. 2 Nr. 3 erfasst das Gestatten und Fördern des Ausforschens oder Unterdrückens. Ein Gestatten in diesem Sinne liegt nicht nur beim pflichtwidrigen Unterlassen des Einschreitens, bei Einwilligung in die Tat oder bei Genehmigung der Tat vor, sondern auch beim Anstiften zur Tat. - Fördern ist Hilfeleistung durch positives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen. - Die Bedeutung von Abs. 2 Nr. 3 liegt darin, dass sachliche Teilnahmehandlungen formell zum Täterverhalten erklärt werden.
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4. Erweiterung des Schutzgutes gemäß Abs. 4 Abs. 4 erweitert den Strafrechtsschutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses über den 56 Post- und Telekommunikationsbereich hinaus. - Täter können nur Amtsträger anderer Dienstbereiche sein. Der befugte Eingriff setzt eine Rechtfertigung des Eingriffs voraus, z.B. nach §§ 99 - 100 b StPO. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1.
36
Vgl. MAIWALD J u s 1977 S. 361; TRÄGER LK, § 206 Rdn. 5; WELP Lenckner-FS, S. 430.
37
OLG Stuttgart NStZ 1984 S. 25; BVerwG NJW 1984 S. 2111: mit Klammem gesicherte Warenbeutel; WELP Lenckner-FS, S. 641.
38
Vgl. OLG Köln NJW 1987 S. 2596; WELP Lenckner-FS, S. 643 f.
145
§34
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
5. Rechtswidrigkeit 57 Unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal i.S. von rechtswidrig. - Die Befugnis kann hier insbes. auf §§ 99 - 100 b StPO oder auf Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes zu Art. 10 GG beruhen. - Zur Begrenzung der Zulässigkeit der Weitergabe: § 39 Abs. 3 S. 3 PostG, § 85 Abs. 3 S. 3 TKG. 39 6. Besondere Täterqualifikation 58 Im Verhältnis zu §§ 133, 202,274 Abs. 1 Nr. 1 beschreibt Abs. 2 Nr. 1 und 2 ein unechtes Sonderdelikt, beachte § 28 Abs. 2. Im Übrigen sind die in § 206 erfassten Taten echte Sonderdelikte, beachte § 28 Abs. 1.
VII. Verletzung des Steuergeheimnisses, § 355 1. Rechtsgut und Täterkreis 59 a) Geschütztes Rechtsgut ist das Geheimhaltungsinteresse des Steuerpflichtigen und das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität des Steuergeheimnisses, die Voraussetzung eines wirksamen Besteuerungsverfahrens ist. 40 60 b) Täter können nur Amtsträger - dazu § 11 Abs. 2 Nr. 2 - und bestimmte, in Abs. 2 aufgezählte Personen sein. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, § 28 Abs. 1 ist zu beachten. 2. Die Tathandlungen 61 Die Verhältnisse, die dem Täter im Rahmen bestimmter Verfahren (vgl. Abs. 1 Nr. 1) bekanntgeworden sein müssen und deren Offenbarung, d.h. Mitteilung an andere, unter Strafe gestellt ist, sind alle fur die steuerliche, finanzielle, wirtschaftliche und persönliche Lage einer Person relevanten Umstände, ohne Rücksicht auf einen etwaigen Geheimnischarakter, soweit sie nicht offenkundig sind oder an ihrer Geheimhaltung keinerlei Interesse erkennbar ist. - Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind nur Sonderfalle dieser Verhältnisse, so dass Abs. 1 Nr. 2 nur die Tathandlungen in einem Teilbereich nach Abs. 1 Nr. 1 konkretisiert. - Zum Verwerten vgl. Rdn. 42. 3. Rechtfertigung 62 §§ 30 Abs. 4 und 5, 31, 31 a AO enthalten die Gründe, die eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses gestatten und die Offenbarung zu einer befugten machen. - Der Katalog ist nicht abschließend. Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe, insbes. § 34, sind daher nicht ausgeschlossen.41
VIII. Datenschutz, §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204, 202 a 63 Strafrechtlichen Datenschutz gewährt der Gesetzgeber im StGB erstens durch die Gleichstellung mit dem Geheimnisschutz in §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204 und zweitens durch den Schutz besonders gesicherter Daten, § 202 a; zum weitergehenden strafrechtlichen Datenschutz vgl. § 43 BDSG. 39
Im Einzelnen dazu SCH/SCH/LENCKNER § 206 Rdn. 13 f.
40
Dazu OLG Hamm NJW 1981 S. 357.
41
Dazu MAIWALD JUS 1977 S. 362 f.
146
Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs
§34
1. Der Schutz von Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse eines anderen, §§ 203 Abs. 2 S. 2, 204 a) Gemäß § 203 Abs. 2 S. 2 wird der durch § 203 Abs. 2 S. 1 gewährte Geheimnisschutz 64 auf solche Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen erweitert, die für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfasst worden sind, soweit solche Einzelangaben nicht anderen Behörden oder sonstigen Stellen für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bekannt gegeben werden und das Gesetz dies nicht untersagt. - Zu nennen sind hier z. B. die im Fahrzeugregister gespeicherten Fahrzeug- und Halterdaten.42 Zum Täterkreis, zur Tathandlung und zur Befugnis zum Offenbaren vgl. Rdn. 28 ff. b) Der Schutz vor einer Verwertung des Geheimnisses, § 204, ist auf die Angaben gemäß 65 § 203 Abs. 2 S. 2 ausgedehnt; vgl. insoweit Rdn. 41 ff. 2. Ausspähen von Daten, § 202 a a) Da es sich bei den geschützten Daten nicht notwendig um Geheimnisse handeln muss, schützt § 202 a das durch das Erfordernis besonderer Sicherung formalisierte Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung bestimmter Daten. 43 b) Tatobjekt sind Daten. Daten sind alle codierbaren Informationen. Deren Schutz wird gemäß Abs. 2 auf nicht unmittelbar wahrnehmbare Daten beschränkt. Nicht unmittelbar wahrnehmbar sind Daten, deren Bedeutungsgehalt erst nach technischer Umformung mit den menschlichen Sinnen erfassbar wird, z.B. neben den im Gesetz genannten elektronisch oder magnetisch fixierten Daten auch Daten auf Tonbändern, Schallplatten, Mikrofilmen u.Ä. 44 - Gespeichert sind zur Wiederverwendung erfasste Daten. Geschützt werden diese Daten auch im Übermittlungsstadium (Anzapfen von Datenübertragungsleitungen). c) Nicht für den Täter bestimmt sind Daten, die nach dem Willen des Verfügungsberechtigten nicht in den Herrschaftsbereich des Täters gelangen sollen. Die generelle Zugangsberechtigung schließt daher den Tatbestand aus. 45 - Gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind Daten, wenn Vorkehrungen speziell zu dem Zweck getroffen sind, den Zugriff Unberechtigter zu verhindern oder zu erschweren, z.B. durch verschlossene Behältnisse oder systemimmanente Vorkehrungen wie Geheimnummern (PINNummer) zu Magnetkarten, Passwörter u.a. d) Sich oder einem anderen Verschaffen heißt Herstellung der eigenen oder der Herrschaft eines anderen über die Daten. Das bedeutet, dass der Täter entweder die Daten selbst zur Kenntnis nimmt bzw. einem anderen die Kenntnisnahme ermöglicht oder ohne Kenntnisnahme sich oder einem anderen den Besitz an den Datenträgern verschafft. 46 - Bei verschlüsselten Daten setzt das Sichverschaffen die Entschlüsselung oder die ungehinderte Möglichkeit der Entschlüsselung voraus. 47 e) Der Tatbestand erfordert Vorsatz; bedingter genügt. f) Unbefugtes Handeln ist allgemeines Verbrechensmerkmal. Die Tat kann durch Gesetz z.B. § 94 StPO -, durch Einwilligung des Berechtigten, dazu unter Rdn. 36 ff, oder durch rechtfertigenden Notstand, § 34, gerechtfertigt sein. g) Die Tat ist Antragsdelikt gemäß § 205. Antragsberechtigt ist der Verletzte, d.h. der Träger des Rechtsguts. Das ist der über die Daten Verfügungsberechtigte, der die Daten be42
Vgl. BGHSt 48 S. 28, 30 ff mit Anm. BEHM JR 2003 S. 292 ff; dazu auch KRAUSKOPF NJW-Sonderheft f. G. Schäfer, 2002, S. 40 ff.
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§35
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
sonders gesichert hat. Dem Schutz des vom Dateninhalt Betroffenen kommt keine Eigenständigkeit zu. Sein Schutz ist durch § 43 BDSG gewährleistet.48
§ 35 Hausfriedensbruch I. Der Grundtatbestand, § 123 1. Rechtsgut und Tatobjekt a) Das Rechtsgut Geschützt ist das Hausrecht, d.h. die Freiheit der Entscheidung darüber, wer sich in den gesetzlich geschützten Bereichen aufhalten darf und wer nicht. 49 2 Der Berechtigte braucht nicht zivilrechtlicher Eigentümer der geschützten Sphäre zu sein, es genügt, dass er ein stärkeres Recht als der Störer hat. - Bei vermieteten Räumen steht das Hausrecht in der Regel dem Mieter zu, soweit sich Ausnahmen nicht ausdrücklich aus dem Mietvertrag oder den besonderen Umständen des Falles ergeben.50 Steht das Hausrecht mehreren gemeinsam zu (z.B. Ehegatten), so muss die von dem anderen gestattete Anwesenheit Dritter im Rahmen der Zumutbarkeit geduldet werden. 51 1
b) Die einzelnen geschützten Sphären 3 aa) Wohnung ist der Raum oder die zusammenliegende Mehrheit von Räumen, die einer Person oder mehreren Personen zur Unterkunft dient oder zur Benutzung freisteht. Dazu gehören auch die der Benutzung durch den Wohnungsinhaber dienenden Nebenräume, z.B. Treppen, Flure, Keller und Abstellräume.52 Die Wohnung braucht nicht Teil eines Hauses zu sein, z.B. beim Wohnwagen. 4 bb) Geschäftsräume sind die - hauptsächlich - zum Betrieb von Geschäften bestimmten, abgegrenzten Räume. - Raum ist auch hier nicht nur als Gebäudeteil zu verstehen, sondern als räumlicher Bezirk. Darunter fallen Lagerhallen, Fabrikhöfe, Zirkuszelte, u.Ä.
4 3
V g l . G R A F M K , § 2 0 2 a R d n . 2 ; HILGENDORF J U S 1 9 9 6 S . 5 1 1 ; LENCKNER/WINKELBAUER C R
1986
5 . 4 8 5 ; MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1 9 8 6 S . 1 4 0 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 0 2 a R d n . 2 . - A . A . z . B . HAFT
NStZ 1987 S. 9, der das Vermögen als geschützt ansieht. 4 4
I m E i n z e l n e n d a z u HILGENDORF J u S 1 9 9 6 S . 5 1 1 .
45
Dazu BayObLG StV 1999 S. 214.
4 6
E n g e r HILGENDORF J U S 1 9 9 6 S . 7 0 5 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 0 2 a R d n . 6 , d i e R e p r o d u z i e r b a r k e i t d e r
Daten voraussetzen. 4 7
V g l . E R N S T N J W 2 0 0 3 S . 3 2 2 6 ; S C H / S C H / L E N C K N E R § 2 0 2 a R d n . 1 0 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 0 2 a R d n . 6 . - A . A . HILGENDORF J U S 1 9 9 6 S . 7 0 5 .
48
Streitig, vgl. im Einzelnen LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 485.
49
Differenzierend nach der Art der Schutzsphären: LILIE LK, § 123 Rdn. 3 ff; SCHALL, Die Schutzfimktionen der Strafbestimmung gegen den Hausfriedensbruch, 1974, S. 134 f, 145 ff, 159 ff, 169.
50
Dazu OLG Hamm GA 1961 S. 181; OLG Braunschweig NJW 1966 S. 263; BERNSMANN Jura 1981 S. 342 f.
5 1
D a z u HEINRICH J R 1 9 9 7 S . 9 2 f f .
5 2
D a z u R G S t 12 S . 1 3 2 f; KINDHÄUSER S t G B , § 1 2 3 R d n . 6 ; LILIE L K , § 1 2 3 R d n . 8 , 1 1 ; OSTENDORF
NK, § 123 Rdn. 21. - Enger: „Räume hinter der Wohnungstür": ΒΕΗΜ GA 2002 S. 162 f.
148
Hausfriedensbruch
§35
cc) Das befriedete Besitztum ist eine unbewegliche Sache, die in äußerlich erkennbarer Weise mittels Schutzwehren gegen das willkürliche Betreten durch andere gesichert ist. Die Wehr muss aber gegen das Betreten von außen gerichtet, nicht nur dazu bestimmt sein, ein Ausbrechen nach außen zu verhindern, wie im Falle einer eingezäunten Kuhweide. 53 Die Schutzwehr braucht nicht lückenlos zu sein, doch muss sie so weit gehen, dass der Sicherungscharakter klar wird. Ein bloßes Verbotsschild genügt dafür nicht.
5
6
Auch sog. Abbruchhäuser sind befriedete Besitztümer, solange die vorhandenen Vorrichtungen erkennen lassen, dass der Berechtigte das Betreten durch Dritte verhindern will. - Ist das Haus hingegen derart verwahrlost, dass Türen und Fenster weitgehend fehlen und eine einheitliche Sperrvorrichtung nicht mehr erkennbar ist, so ist das Haus kein befriedetes Besitztum i.S. dieser Vorschrift. 5 "'
dd) Abgeschlossene Räume sind zum öffentlichen Dienst bestimmt, wenn in ihnen Tätigkeiten aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften ausgeübt werden, z.B. Schulen, Universitäten, Gerichtsgebäude, nicht aber eine öffentlich-rechtlich betriebene Tiefgarage, da die Tätigkeit des Garagenwächters nicht die Nutzung des Raumes kennzeichnet. 55 - Zum öffentlichen Verkehr bestimmte abgeschlossene Räume sind gleichfalls nicht nur Geschäftsräume und Gebäudeteile, sondern auch dem öffentlichen Verkehr dienende Räume, wie z.B. Bahnhofshallen, Eisenbahnwagen, Straßenbahnwagen, Autobusse, Parkhäuser u.Ä. - Dass das dem öffentlichen Verkehr dienende Unternehmen auch von einer Privatperson betrieben werden kann, ist bedeutungslos. ee) Sog. Zubehörflächen, die selbst nicht abgeschlossen sind (z.B. Höfe, Vorgärten, Kaufhauspassagen), sind dann in den Schutz einbezogen, wenn sie örtlich und funktional so eng mit dem geschützten Objekt verbunden sind, dass sie fur jedermann erkennbar mit diesem eine Einheit bilden, auch wenn ihr Betreten nicht durch besondere Schutzwehr erschwert ist56 2. Widerrechtliches Eindringen a) Eindringen setzt voraus, dass der Täter - zumindest mit einem Teil des Körpers - gegen den Willen des Berechtigten in die geschützte Sphäre gelangt ist. - Der Wille des Berechtigten kann ausdrücklich oder konkludent erklärt sein, er kann auch aufgrund einer Wertung der Gesamtumstände vermutet werden. Stets geht es aber um eine Verletzung des realen Willens des Berechtigten, auch dann, wenn dieser - mangels positiver Kenntnis - nur vermutet wird. § 123 ist seinem Wesen nach ein formales Willensbruchsdelikt. Das deliktische Verhalten ist gegen den real entgegenstehenden Willen des Berechtigten gerichtet, daher genügt ein Betreten ohne Willen des Berechtigten nicht. 57 - Hat der Berechtigte sei53
Vgl. BayObLG JR 1969 S. 4 6 6 mit Anm. SCHRÖDER S. 467 f; dazu auch LILIE LK, § 123 Rdn. 17.
54
Vgl. OLG Hamm N J W 1982 S. 1824 u. 2676; OLG Köln N J W 1982 S. 2674 mit Anm. DEGENHART JR 1984 S. 30; OLG Düsseldorf N J W 1982 S. 2680; AG Wiesbaden N J W 1991 S. 188. - Eingehend zur umfangreichen Rechtsprechung und Literatur: LILIE LK, § 123 Rdn. 18, 19; SCHALL NStZ 1983 S. 241 ff.
55
Vgl. ALLGAIER M D R 1987 S. 723. - A.A. BayObLG N J W 1986 S. 2065.
56
So auch BayObLG M D R 1969 S. 778; OLG Oldenburg N J W 1985 S. 1352; BLOY JR 1986 S. 81; K R E Y B . T . 1, R d n . 4 3 2 a ; LACKNER/KÜHL § 1 2 3 R d n . 3 ; LILIE L K , § 1 2 3 R d n . 17. - A . A . AMELUNG J Z 1 9 8 6 S . 2 4 7 f f ; DERS. N J W 1 9 8 6 S . 2 0 7 9 ; A R Z T / W E B E R B . T „ § 8 R d n . 8; BEHM G A 1 9 8 6 S . 5 4 7 ff; DERS. J U S 1 9 8 7 S . 9 5 0 ff; VOLK J R 1 9 8 1 S . 1 6 7 f.
5 7
V g l . KÜPER B . T . , S .
1 1 5 ff; LACKNER/KÜHL § 1 2 3 R d n . 5 ; LUDWIG/LANGE JUS 2 0 0 0 S . 4 4 8
f;
WESSEL/HETTINGER B. T./L, Rdn. 584 f. - A. A. AMELUNG NStZ 1985 S. 457; KINDHÄUSER StGB, § 123 Rdn. 11; SCHALL Schutzfiinktionen, S. 142; STEIN SK II, § 123 Rdn 13; TRÖNDLE/FISCHER § 123
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
nen Willen erklärt, so kommt es nicht auf den sog. wahren, nämlich einen hypothetischen Willen des Berechtigten an, es sei denn, seiner Erklärung kommt deshalb nicht der Sinngehalt einer Verfügung zu, weil er sich nur der Gewalt beugt und eine Verteidigung seines Hausrechts als sinnlos empfindet, da der Täter unabhängig von seiner „Zustimmung" eindringen würde. Im Übrigen gilt: Genauso wenig wie eine irrtumsbedingte Verfügung über eine Sache eine Gewahrsamsübertragung zu einem Gewahrsamsbruch macht, macht ein Irrtum bei der Erklärung des Einverständnisses zum Betreten der häuslichen Sphäre dieses zum widerrechtlichen Eindringen. 58 Vereitelt jemand durch Täuschung die Durchsetzung eines gegen ihn individuell ausgesprochenen Hausverbots, so ändert dieses am Eindringen nichts, denn durch sein Verhalten wird das konkrete Verbot nicht beseitigt. 59 Die Begehung der Tat durch unechtes Unterlassen ist möglich für den Fall, dass ein Garant, dem die Beaufsichtigung eines anderen obliegt, das Betreten der geschützten Sphäre durch diesen nicht hindert. Bloßes Verweilen in einem Raum nach Erlöschen einer Aufenthaltserlaubnis ist hingegen nicht als Eindringen tatbestandsmäßig.60 b) Eindringen ist ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten. Die Zustimmung des Berechtigten (Einverständnis) steht daher bereits der Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals entgegen. Die Widerrechtlichkeit des Eindringens bzw. die fehlende Befugnis zum Verweilen sind allgemeine Verbrechensmerkmale. Sie werden durch das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes ausgeschlossen.
14
Ein Recht zum Betreten öffentlicher Dienst- und Verkehrsräume kann sich aus der öffentlichen Zweckbestimmung dieser Räume ergeben. Diese Zweckbestimmung kann der Ausschließung Einzelner entgegenstehen, soweit sie sich im Rahmen der Zweckbestimmung halten. Daher liegt ein rechtswidriges Eindringen vor, wenn sich das Überschreiten der Zutrittserlaubnis bereits aus den äußeren Umständen ergibt, z.B. beim nächtlichen Einsteigen in die Schule oder Universität durch Schüler bzw. Studenten.
15
Ist einem Anstaltsnutzer oder einem Anstaltsangehörigen gegenüber ein Hausverbot durch Verwaltungsakt erlassen worden, so ist ein Verstoß hiergegen ein widerrechtliches Eindringen, wenn der Betroffene keinen Widerspruch mit aufschiebender Wirkung eingelegt hat oder der Verwaltungsakt für sofort vollziehbar erklärt worden ist. Die bloße Möglichkeit, die Wirksamkeit des Hausverbots aufschiebend zu beseitigen, berechtigt als solche nicht zum weiteren B e t r e t e n . 6 ' - O b der Verwaltungsakt sich in einem späteren Prozess als rechtswirksam erweist, ist demgegenüber unbeachtlich.
16
Für das Recht zum Betreten privater Räume können z.B. §§ 102, 103 StPO Bedeutung haben. Auch der rechtfertigende Notstand kann eingreifen, doch können mit seiner Hilfe nicht die Voraussetzungen der speziellen Durchsuchungsrechte nach der StPO umgangen werden.
3. Verweilen ohne Befugnis 17 Verweilen ohne Befugnis ist Aufenthalt ohne Berechtigung hierzu. Nach Ablauf eines Miet- oder Nutzungsvertrags verweilt der ehemals Berechtigte so lange nicht ohne Befugnis in den Räumen, wie er nach der Rechtsordnung Räumungsschutz genießt. Maßt er sich nach Ablauf
Rdn. 14. - Gegen das Erforderais der Willenswidrigkeit: KARGL JZ 1999 S. 938. 5 8
V g l . AMELUNG N S t Z
1 9 8 5 S . 4 5 7 f; BERNSMANN J u r a
1981
S . 4 0 3 f ; BOHNERT G A
1983 S.
14;
G E E R D S J R 1 9 8 2 S . 1 8 5 ; G E P P E R T J u r a 1 9 8 9 S . 3 8 0 f; H Ä U F B . T . II, S . 1 4 8 ; KÜPPER B . T . 1 , 1 § 5 R d n . 11; LILIE L K , § 1 2 3 R d n . 5 0 ; OSTENDORF J u S 1 9 8 0 S. 6 6 4 ; O T T O N J W 1 9 7 3 S . 6 6 8 ; DERS. J u r a
1986
S . 3 3 3 f; STEIN S K II, § 1 2 3 R d n . 18 b ; STÜCKEMANN J R 1 9 7 3 S . 4 1 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 1 2 3 R d n .
23; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , Rdn. 587. - A.A. B G H NStZ-RR 1997 S. 97; OLG München N J W 1 9 7 2 S . 2 2 7 5 ; G Ö S S E L / D Ö L L I N G B . T . 1 , § 3 8 R d n . 4 5 ; SCHALL S c h u t z f u n k t i o n e n , S . 1 4 3 f. 5 9
150
V g l . a u c h SCH/SCH/LENCKNER § 123 R d n . 2 4 / 2 5 . - A . A . S C H I L D N S t Z 1 9 8 6 S. 3 4 6 ff.
Hausfriedensbruch
§35
dieser Frist ein selbstständiges Recht an, z.B. durch Besetzung der Räume, so verweilt er von diesem Moment an ohne Befugnis. 63
Die Aufforderung zum Verlassen der geschützten Räume kann auch konkludent erfolgen.
18
4. Konkurrenzen a) Die 2. Alternative des Tatbestandes ist gegenüber der 1. Alternative subsidiär. 19 b) Wenn mehrere Straftaten während des Hausfriedensbruchs begangen werden, können 20 diese - je nach ihrem Schweregrad - mit demselben in Real- oder Idealkonkurrenz stehen. 64 5. Zum Strafantrag: §123 Abs. 2.
II. Schwerer Hausfriedensbruch, § 124 1. Geschütztes Rechtsgut Die Vorschrift schützt neben dem Hausrecht auch den öffentlichen Frieden.
21
2. Einzelheiten des Tatbestandes a) Menschenmenge ist eine Personenmehrheit, deren Zahl nicht mehr sofort überschaubar 22 ist. Maßgeblich ist, dass diese Personenmehrheit aufgrund ihres räumlichen Zusammenhangs bei Außenstehenden als räumlich verbundenes Ganzes erscheint. Eine Menge ist keine in der Zahl sofort abschätzbare Gruppe, ein Dutzend wird daher in der Regel noch keine Menge sein 65 , doch dürften gut 20 Personen im Regelfall schon eine Menge ergeben, unter bes. Umständen auch schon 15 Personen. 66 - Eine Menschenmenge rottet sich zusammen, wenn sie zu einem gewaltsamen oder bedrohlichen Zweck zusammentritt, wobei der friedensstörende Wille äußerlich erkennbar in Erscheinung treten muss. - Öffentlich ist das Zusammenrotten, wenn für eine unbestimmte Zahl von Personen die Möglichkeit der Beteiligung besteht. b) Täter ist jeder, der an der Zusammenrottung und dem widerrechtlichen Eindringen teil- 23 nimmt. Das bedeutet: 60
Vgl. dazu auch BERNSMANN Jura 1981 S.405; KÜPER Jura 1983 S. 212; LILIE LK, § 123 Rdn. 58; MITSCH JUS 1 9 9 8 S . 3 0 9 ; RENGIER B . T . II, § 3 0 R d n . 14 f f ; RUDOLPH! S K II, § 1 2 3 R d n . 1 9 ; SEIER J A
1978 S. 624. - A.A. B G H S t 21 S. 224, 225 f; KAREKLAS, Lenckner-FS, S. 4 6 6 ff; LACKNER/KÜHL § 1 2 3 R d n . 5 ; SCH/SCH/LENCKNER § 1 2 3 R d n . 13. 61
A.A. OLG Hamm NJW 1979 S. 728.
62
Dazu im Einzelnen: OLG Stuttgart NJW 1969 S. 1776; OVG Lüneburg NJW 1975 S. 136; OLG Karlsruhe NJW 1978 S. 116; OLG Hamburg NJW 1978 S. 2520; OLG Hamburg NJW 1980 S. 1007 mit A n m . OEHLER J R 1 9 8 1 S . 3 3 f; O L G K a r l s r u h e J R 1 9 8 0 S . 3 4 2 m i t A n m . SCHWABE S . 3 4 4 f; BERNSMANN J u r a 1 9 8 1 S . 4 6 6 f f ; LILIE L K , § 1 2 3 R d n . 5 7 ; SCHALL S c h u t z f u n k t i o n , S . 2 6 f f ; TLEDEMANN J Z 1969 S . 717 ff.
63
Vgl. O L G Düsseldorf JZ 1990 S. 1088 mit Anm. DÖLLING JR 1992 S. 167 f, OTTO JK 91, StGB § 1 2 3 / 5 ; LILIE L K , § 1 2 3 R d n . 3 2 .
64
Eingehend dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 23 Rdn. 2 2 ff.
65
Unter besonders unübersichtlichen Umständen können 10 Personen genügen; BGH NStZ 1994 S. 483.
66
Vgl. BGHSt 33 S. 308; LG Frankfurt StV 1983 S. 463.
151
§36
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
aa) Der Täter muss sich in Kenntnis des Zwecks der Rotte anschließen oder in ihr verbleiben und dadurch deren friedensstörende Ziele fördern.67 bb) Er muss sich beim Eindringen der Menge anschließen. Mit „eigenem Fuß" braucht er die geschützten Räume aber nicht betreten zu haben. Es genügt, dass ihm das Eindringen anderer nach den Regeln der Mittäterschaft zugerechnet wird. 68 24 c) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter Vorsatz genügt. - Die Absicht zur Begehung von Gewalttaten braucht der Täter nicht selbst zu haben. 25 d) Konkurrenzen: Idealkonkurrenz mit § 125 ist möglich.
§ 36 Bedrohung I. Das geschützte Rechtsgut 1
Geschütztes Rechtsgut des § 241 ist der persönliche Rechtsfrieden des Einzelnen,69
II. Die Tathandlung 2
3 4
5
1. Drohung mit einem Verbrechen, § 241 Abs. 1 Bestraft wird die Ankündigung eines künftigen Verhaltens, das die Merkmale eines Verbrechens, § 12 Abs. 1, aufweist, auf dessen Begehung der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. - Das Verbrechen muss sich angeblich gegen den Bedrohten oder eine dem Bedrohten nahestehende Person richten. Die nahestehende Person muss real existieren. 70 a) Der Vorbehalt des Drohenden, die Drohung nicht zu realisieren, ist unbeachtlich. b) Die Androhung muss geeignet sein, ernst genommen zu werden, dass der Bedrohte die Drohung ernst nimmt, ist nicht erforderlich, da es sich bei der Tat um ein abstraktes Gefahrdungsdelikt handelt. 71 2. Vortäuschen eines Verbrechens, § 241 Abs. 2 Da der Rechtsfriede des Betroffenen in gleicher Weise bedroht ist, wenn der Täter vortäuscht, es stehe unmittelbar oder in nächster Zeit ein Verbrechen gegen den Betroffenen oder eine ihm nahestehende Person durch einen Dritten, auf den der Täter keinen Einfluss hat, bevor, stellt Abs. 2 die Vortäuschung eines Verbrechens wider besseres Wissen der Androhung eines Verbrechens i.S. des Abs. 1 gleich. - Auch hier ist nicht erforderlich, dass die schuldhafte Begehung eines Verbrechens angekündigt wird.
67
Dazu BGH NJW 1954 S. 1694.
68
Dazu RGSt 55 S. 35.
69
A.A. SCHROEDER Lackner-FS, S. 671: Willensentschließungsfreiheit; TEUBER Die Bedrohung - § 241 I StGB, 2001, S. 60 ff: Freiheit von Furcht.
70
Vgl. BVerfG (2. Kammer, 2. Senat) N J W 1995 S. 2776 mit Anm. KÜPER JuS 1996 S. 783 ff, OTTO JK 96, StGB § 1/14. - Das zutreffende Ergebnis der Entscheidung ändert nichts daran, dass das BVerfG mit der Auslegung einfachen Rechts in den Kompetenzbereich der Fachgerichte eingegriffen hat.
71
Vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 22; AG Saalfeld NStZ-RR 2004 S. 264; SCH/SCH/ESER § 241 Rdn. 2 , 1 5 .
152
Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat
§ 37
3. Der subjektive Tatbestand Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Täter muss das angedrohte Verbrechen nicht selbst als Verbrechen i.S. des StGB bewerten, es genügt, wenn er sich der Umstände bewusst ist, die diese Tat zum Verbrechen machen. 72
6
4. Konkurrenzen Idealkonkurrenz möglich mit § 126. - § 241 Abs. 1 wird von §§ 113, 177, 240, 253 konsumiert, auch wenn nur ein Versuch dieser Taten vorliegt. 73
7
§ 37 Delikte gegen den Schutz der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat I. Verschleppung, § 234 a, und politische Verdächtigung, § 241 a 1. Geschütztes Rechtsgut ist die Schutzmöglichkeit der Person durch Gemeinschaft und Rechtsstaat. 74 2. Ob politische Gründe vorliegen, ist materiell zu bestimmen. Die Kaschierung einer politischen Verfolgung als Verfolgung einer unpolitischen Straftat ist daher unbeachtlich. Eine Verfolgung aus politischen Gründen liegt vor, wenn die Verfolgung durch kein Gesetz erlaubt ist, ihre Rechtsgrundlage mit rechtsstaatlichen Grundsätzen in Widerspruch steht oder wenn unter dem Deckmantel der Sühne kriminellen Unrechts politische Zwecke bzw. die Sicherung und weitere Entwicklung eines totalitären Regimes durch Zwangsmaßnahmen verfolgt werden. 75 In der DDR erstattete Anzeigen wegen Republikflucht erfüllen nach Auffassung des BGH nur in seltenen Ausnahmefällen den Tatbestand. Da der BGH davon ausgeht, dass ein Richter wegen Freiheitsberaubung nur zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn er eine Rechtsbeugung begangen habe, 7 ^ diese aber eine schwere und offensichtliche Menschenrechtsverletzung voraussetze, 7 7 müsse diese Restriktion auch ftlr einen Anzeigenerstatter gelten. 7 ® Soweit der Tatbestand aber erfüllt ist, gilt das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn die Tat in der DDR gegen einen DDR-Bürger begangen w u r d e . 7 '
1 2
3
II. Anwerben für fremden Wehrdienst, § 109 h Zum geschützten Rechtsgut vgl. unter Rdn. 1. - Zum Teil wird das geschützte Rechtsgut des § 109 h in der Erhaltung der Wehrkraft, z.T. in der Erhaltung der Neutralität der Bundesrepublik Deutschland gesehen. 80 72
Dazu BGHSt 17 S. 307.
73
Vgl. BGH NStZ-RR 2002 S. 235; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 16 Rdn. 8. - Für Idealkonkurrenz zwischen versuchter Erpressung und Bedrohung BayObLG JR 2003 S. 477 mit Anm. JÄGER S. 478 ff.
74
Dazu HARDWIG GA 1955 S. 140 ff.
75
Vgl. LG Koblenz NStZ 1983 S. 508.
76
Vgl. BGHSt 10 S. 298; 32 S. 364; 40 S. 125.
77
Vgl. BGHSt 40 S. 30.
78
Vgl. BGHSt 40 S. 125 mit krit. Anm. REIMER NStZ 1995 S. 84 f, SEEBODE JZ 1995 S. 417, WASSERMANN NJW 1995 S. 931 ff; BGH NStZ 1995 S. 289.
79
BGHSt 40 S. 125; BGH NStZ 1997 S. 435 mit Anm. SCHROEDER S. 436 f.
80
Wie hier HARDWIG GA 1955 S. 1 4 0 f f z u §§ 141, 144 a.F.
153
4
Zweites Kapitel
Delikte gegen übertragbare Rechtsgüter (Vermögen) Erster Abschnitt Systematik und Relevanz der Vermögensdelikte § 38 Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte I. Das geschützte Rechtsgut 1. Geld- oder Gebrauchswert als Grundlage des 1
Vermögensbegriffs
Unter der Bezeichnung „Vermögensdelikte" wird allgemein die Gruppe jener Delikte zusammengefasst, die sich gegen das „Vermögen" eines Rechtssubjekts richten. Je nachdem, ob ein Tatbestand das Vermögen umfassend oder nur in begrenztem Umfang - z.B. Eigentum, Besitz, Aneignungsrechte o.Ä. - schützt, wird herkömmlich zwischen den Delikten gegen das gesamte Vermögen und den Delikten gegen einzelne Vermögensobjekte unterschieden. Voraussetzung dieser Differenzierung scheint ein einziger, einheitlicher Vermögensbegriff zu sein. 2 In Wirklichkeit gehen h.L. und Rechtsprechung jedoch von zwei verschiedenen Vermögensbegriffen aus: Durch die Delikte gegen das gesamte Vermögen, z.B. durch Betrug oder Erpressung, sollen nur geldwerte Objekte geschützt sein, während sich z.B. Diebstahl und Raub auch gegen Sachen ohne Geldwert, sog. Sachen mit bloßem Affektionswert, richten können. Das bedeutet: Bei den Delikten gegen das gesamte Vermögen wird der Vermögensbegriff vom Geldwert, von der Umsatzmöglichkeit her bestimmt, bei anderen Delikten vom Gebrauchswert her. Die Sachgerechtigkeit dieser Differenzierung erscheint jedoch zweifelhaft. Denn unabhängig von der Ausgestaltung des strafrechtlichen Schutzes im Einzelnen ist zunächst die grundsätzliche Frage zu stellen, ob durch den Schutz des Vermögens als einer einheitlichen Wertsumme oder einer personal strukturierten sachlichen Einheit die Aufgaben der Strafrechtsordnung am angemessensten realisiert werden können. Sodann erst ist zu überlegen, ob im Einzelfall - aus besonderen Gründen - die grundsätzlich angemessene Regelung zurücktreten muss. - Ausgangspunkt der Überlegung muss die Besinnung auf die Funktion des Strafrechts sein. 3 Die Aufgabe des Strafrechts wurde in seiner Schutzfunktion gesehen, die Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen in der Gesellschaft zu gewährleisten. Diese Entfaltung der Persönlichkeit setzt auch die Möglichkeit des Umgangs mit Sachen voraus, denn in diesem Umgang wird sich die Person ihrer Fähigkeit zur Gestaltung ihrer Umwelt bewusst. Insoweit wird durch das Wort Vermögen „unmittelbar das Wesen der Sache selbst ausgedrückt, die durch das Daseyn jener Rechte uns zuwachsende Macht, das was wir durch sie auszurichten imstand sind oder vermögen" ( S A V I G N Y ) . 4 Vermögen in diesem Sinne ist „gegenständliche Gewährleistung subjektiver Entfaltung", die auf den wirtschaftlichen Bereich bezogen ist, sofern die Objekte, auf die die Entfaltungsmöglichkeit gerichtet ist, Güter des wirtschaftlichen Bereiches sind. Geldwerte Güter sind nur eine Untergruppe dieser Güter, da der Geldwert nur das Ergebnis einer ein-
154
Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte
§ 38
zigen wirtschaftlichen Funktion ist, nämlich der, mit dem Gut am Handelsverkehr teilzunehmen. Dass es sich bei dem Geldwert einer Sache nur um eine Teilfunktion handelt, wird z.B. darin sichtbar, dass eine auf den Geldwert einer Sache bezogene Sozialbindung - wie sie Art. 14 GG vorsieht - eine geradezu unsinnige Vorstellung ist, während eine Sozialbindung bestimmter Gebrauchsmöglichkeiten eines Vermögensobjekts zu den selbstverständlichen Bestandteilen einer Rechtsordnung gehört, wie z.B. Wettbewerbsund Kartellrecht zeigen.
5
Ein Strafrecht, das den Schutz der Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums innerhalb eines gesellschaftlichen Bezuges gewährleisten will, würde eine weite Sphäre des wirtschaftlichen Bereiches schutzlos preisgeben, wenn es seinen Schutz allein auf den Geldwert beziehen würde. Den umfassenderen Schutz der Persönlichkeit bietet die Anknüpfung des Schutzes am Gebrauchswert. Vermögen in diesem Sinne ist eine personal strukturierte Einheit, die die Entfaltung der Person im gegenständlichen Bereich gewährleistet. Sie konstituiert sich in von der Rechtsordnung anerkannten Herrschaftsbeziehungen der Person zu Objekten (Vermögensgütern), die von der Rechtsgesellschaft als selbstständige Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs anerkannt werden, d.h. die Gegenstand eines Rechtsgeschäfts „Tausch gegen Geld" sein können. 1 - Das bedeutet: Vermögen ist wirtschaftliche Potenz des Rechtssubjekts, die auf der Herrschaftsgewalt über Objekte beruht, die die Rechtsgesellschaft als selbstständige Objekte des Wirtschaftsverkehrs ansieht. Ein im Zeitpunkt der Bewertung vorhandener Veräußerungswert ist unerheblich (sog. personaler Vermögensbegriff). 2
6
2. Die Verletzung des Rechtsguts „ Vermögen " Ein Vermögensschaden setzt stets eine Verringerung der wirtschaftlichen Potenz des Vermögensträgers voraus. - Diese Verringerung wirtschaftlicher Potenz braucht sich nicht in einer Geldsumme auszudrücken. Es genügt, dass eine wirtschaftliche Disposition zur Verfugung über wirtschaftliche Mittel fuhrt, ohne dass der vom Berechtigten gewollte wirtschaftliche Zweck erreicht wird. Die -wirtschaftliche Zweckverfehlung ist das Kriterium des Schadens, nicht ein irgendwie gearteter geldlicher Minderwert, obwohl - das darf nicht übersehen werden - oftmals beide identisch sein werden. Die Zweckverfehlung selbst ist insoweit subjektiv zu bestimmen, als die maßgebliche Zwecksetzung die des Berechtigten ist. Sie ist zugleich objektiv zu begründen, da die Feststellung, ob ein wirtschaftlicher Erfolg eingetreten ist und wie weit wirtschaftliche Zwecke des Berechtigten realisiert worden sind, aus der Sicht eines unbeteiligten Beobachters erfolgt. Ist über die Erzielung eines bestimmten wirtschaftlichen Zwecks eine Einigung mehrerer Personen zustande gekommen, so bestimmt sich der relevante Zweck nach dieser Abrede. Die bloß fehlgeschlagene Disposition als solche ist noch kein Schaden.
Hierzu auch NELLES Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, 1991, S. 437; NIGGLI Das Verhältnis von Eigentum, Vermögen und Schaden nach schweizerischem Strafgesetz, 1993, S. 59, 120 ff. - Streng auf die Gebrauchsmöglichkeit stellt ab: WINKLER Der Vermögensbegriff beim Betrug und das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, 1995, S. 175 ff, 180. Zur Entwicklung des personalen Vermögensbegriffs im Einzelnen: OTTO Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 26 - 84.
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9
§38
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
II. Die systematische Gliederung der Vermögensdelikte 1. Die Struktur der Vermögensdelikte 10 Wird von einem einheitlichen Vermögensbegriff als Rechtsgut der Vermögensdelikte ausgegangen, so lässt sich zwar zwischen Delikten gegen spezielle Vermögenswerte und gegen das Vermögen insgesamt unterscheiden. Mehr als eine Aufzählung ist durch diese Differenzierung aber nicht zu gewinnen. Gleiches gilt fur den Versuch einer Systematisierung von der Begehungsweise und vom Tatobjekt her,3 auch wenn hier durchaus ein Gewinn an Übersichtlichkeit erzielt wird. 11 Ein anderes Bild ergibt sich, wenn nach der unterschiedlichen Weise des Angriffs auf das geschützte Rechtsgut unterteilt wird. Unabhängig von der Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände zeigen sich zwei in der Struktur verschiedene Weisen des Angriffs auf das Vermögen: Die Entziehung von Vermögen und die Perpetuierung einer rechtswidrigen Vermögenslage. Diesen Angriffsweisen entsprechen die Vermögensentziehungs- und die Perpetuierungsdelikte. 2. Die beiden Gruppen der Vermögensdelikte 12 a) Die Vermögensentziehungsdelikte sind ausnahmslos gekennzeichnet durch den realen, nachweisbaren Entzug eines Vermögensobjekts, sei es, dass das Objekt vom Berechtigten auf eine andere Person übergeht (Vermögensverschiebimg) oder lediglich zerstört oder beschädigt wird (bloße Vermögensentziehung). Der reale Vermögensschaden auf der Seite des Opfers des Delikts kennzeichnet diese Delikte, zu denen z.B. §§ 242,253, 263, 303 gehören. 13 b) Kein realer, über die schon erfolgte Vermögensentziehung hinausgehender Vermögensschaden tritt hingegen durch ein sog. Perpetuierungsdelikt ein. Die Beeinträchtigung fremden Vermögens geschieht gerade nicht durch Entziehung einer Vermögensposition. Hier geht es dem Gesetzgeber vielmehr darum, Verhaltensweisen zu verpönen, die das Vermögen des Berechtigten durch Aufrechterhaltung einer tatbestandsmäßig und rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage beeinträchtigen. Die bewusste Verhinderung der Wiederherstellung der rechtmäßigen Vermögenslage oder die Weiterverschiebung deliktisch erlangter Vermögensobjekte kennzeichnet das hier strafwürdige Verhalten, das der Gesetzgeber, z.B. in §§ 257,259, erfasst hat.
III. Die praktische Bedeutung der Vermögensdelikte 14 Etwa 30 % der jährlichen Verurteilungen - ohne Berücksichtigimg der Verkehrsdelikte sogar fast 60 % - erfolgen wegen eines Vermögensdelikts. Die Verurteiltenstatistik gibt jedoch nur einen unvollständigen Einblick in die Verbrechenswirklichkeit. Unabhängig von der Tatsache, dass eine Dunkelziffer von 1 : 5 im Bereich des Vermögensstrafrechts sicher nicht zu hoch angesetzt ist, führt auch nur ein geringer Teil der als Straftaten erkannten Taten zu einer Verurteilung des Täters wegen dieser Tat. Die Zahl der erfassten Straftaten (E) und der Tatverdächtigen (T) sind der jährlich vom Bundeskriminalamt herausgegebenen „Polizeilichen Kriminalstatistik" zu entnehmen, die Zahl der Verurteilten (V) ergibt sich aus der vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Übersicht.4 Ab 1992 sind auch die neuen Bundesländer berücksichtigt. 3 4
156
Dazu SCHROEDER Jura 1987 S. 113 ff, 116. Fachserie 10: Rechtspflege, Reihe 3: Strafverfolgung.
Rechtsgut, systematische Gliederung und Bedeutung der Vermögensdelikte
1. Verbrechen u. Vergehen E. T. ohne Verkehrsdelikte V.
1978 3.380.516 1.271.025 407.000
1987 4.444.108 1.290.441 437.611
1992 6.291.519 1.833.069 451.014
1998 6.456.996 2.319.895 554.127
2002 6.507.394 2.326.149 522.916
2. Diebstahl ohne erschw. Umstände, §§ 242,247, 248 a - c
E. T. V.
1.067.423 392.877 122.768
1.060.957 409.981 123.106
1.557.393 646.745 134.717
1.525.869 697.486 135.449
1.535.562 621.928 118.601
3. Diebstahl u. unbefugte Ingebrauchnahme von Kfz unter erschw. Umständen, §§ 243 - 244a
E. T. V.
1.147.992 176.856 39.588
1.729.892 118.945 35.527
2.381.036 158.557 28.154
1.798.120 156.473 28.851
1.554.592 127.895 23.034
4. Unterschlagung, §§ 246, 247,248a
E. T. V.
33.474 26.237 6.235
49.846 36.503 6.995
61.525 43.177 6.683
78.324 53.027 7.809
96.699 60.148 7.504
5. Raub, räuberische Erpressung u. räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § § 2 4 9 - 2 5 2 , 255,316a
E. T. V.
21.648 16.699 5.113
28.122 17.233 5.491
56.515 29.076 6.313
64.405 42.004 10.184
58.867 37.572 9.007
6. Betrug, §§ 263, 263a, 264, 264a, 265,265a, 265b
E. T. V.
228.989 156.121 40.133
358.493 216.770 66.468
451.248 258.234 65.176
705.529 373.766 98.088
788.208 390.713 91.361
7. Erpressung, § 253 I, IV
E. T. V.
3.220 2.167 422
2545 2.118 401
3.956 3.352 365
7.026 6.996 691
6.210 5.989 528
8. Untreue
E. T. V.
3.239 2.409 1.461
4.311 3.953 1.677
5.066 4.308 1.454
11.892 6.938 1.939
11.758 7.768 1.845
9. Sachbeschädigung, §§ 303 - 305a
E. T. V.
280.954 81.947 8.068
386.309 92.403 9.052
585.050 121.128 8.519
646.907 165.313 10.280
722.048 175.323 11.291
10. Begünstigung, Strafvereitelung und Hehlerei
E. T. V.
20.775 19.139 6.084
30.445 27.523 6.729
29.224 26.132 5.487
30.166 28.796 5.665
28.192 27.748 4.794
§ 38
Vergegenwärtigt man sich, dass der einfache Diebstahl und der schwere Diebstahl zusammen 2/3 der bekanntgewordenen Verbrechen und Vergehen ausmachen, so dürfte bewusst werden, wie sehr diese Verhaltensweisen die soziale Realität tangieren.
157
16
§39
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Zweiter Abschnitt Die Vermögensentziehungsdelikte § 39 Diebstahl und Unterschlagung im System der Vermögensentziehungsdelikte I. Das geschützte Rechtsgut 1
2
3
4
5 6
Geschütztes Rechtsgut der Diebstahlstatbestände und der Unterschlagung ist die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache. - Diese Position hat inne, wer seine Sachherrschaftsposition nicht aus dem Rechte eines anderen herleitet, sondern selbständige, umfassende Herrschaft ausübt. Das Sachherrschaftsverhältnis kennzeichnet damit jenen Sachverhalt, der zivilrechtlich positiviert in § 903 BGB als Eigentumsrecht erfasst wird. Die tatsächlichen Herrschaftsmöglichkeiten, die das Eigentumsrecht gewährleistet, sind aber nicht identisch mit dem Eigentumsrecfa.1 Rechtsgut ist daher nicht das Eigentum i.S. des Eigentumsrechts, denn das Eigentumsrecht selbst wird z.B. durch einen Diebstahl nicht verletzt. Es bleibt auch nach dem Diebstahl bestehen, §§ 985, 935 BGB. Die Ausübung der Sachherrschaft ist aber nach dem Diebstahl dem Eigentümer unmöglich geworden. An seine Stelle ist der Dieb getreten. Auch der Gewahrsam ist mit der tatsächlichen, umfassenden Sachherrschaft nicht identisch. Gewahrsam hat auch, wer sein Besitzrecht vom Eigentümer ableitet. Diesen Gewahrsam kann der Eigentümer rechtswidrig brechen, ohne damit zum Dieb zu werden, denn Gegenstand des Diebstahls sind nur fremde Sachen. - Der Gewahrsam ist kein selbständiges Schutzobjekt des Diebstahls.2 Konsequenzen hat die unterschiedliche Bestimmung des geschützten Rechtsguts für die Frage nach dem Verletzten und damit Antragsberechtigten im Rahmen der §§ 247, 248 a. Fall: Β hat gutgläubig eine dem X vor langer Zeit gestohlene Uhr erworben. Α stiehlt dem Β die Uhr. Soweit Eigentum und Gewahrsam als geschützt angesehen werden: Geschädigt durch die Tat: Β und X. Soweit im Eigentumsrecht das geschützte Rechtsgut gesehen wird: Geschädigt allein X. Nach der hier entwickelten Auffassung·. Geschädigt allein der B, da die Sachherrschaftsposition des X durch die Tat des Α nicht verschlechtert wurde. - Zu weiteren Konsequenzen: unter § 43 Rdn. 7 ff.
1
Die h.M. sieht demgemäß das Eigentum als Rechtsgut des Diebstahls an; vgl. ARZT/WEBER B. T., § 13 R d n . 3 0 ; KINDHÄUSER B . T . I I / 1 , § 2 R d n . 6 ; MITSCH B . T . I I / 1 , § 1 R d n . 6 ; SCHMIDTHÄUSER B . T . , 8 / 1 5 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2 R d n . 2 ; WESSELS/HILLENKAMP Β . T . / 2 , R d n . 5 7 . - D i e faktische Ausübung des
Eigentumsrechts stellen in den Vordergrund: HEUBEL JuS 1984 S. 445; RUß LK, Vor § 242 Rdn. 3; SCHMITZ M K , § 2 4 2 R d n . 4 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 1. 2
D a z u HEUBEL J u S 1 9 8 4 S. 4 4 5 ; KINDHÄUSER N K , V o r § 2 4 2 R d n . 5 ; OTTO S t r u k t u r , S. 2 7 4 ; SCHMITZ
MK, § 242 Rdn. 8; SCH/SCH/ESER § 242 Rdn. 1 , 2 . - Eigentum und Gewahrsam sehen als Rechtsgüter des Diebstahls an: BGHSt 10 S. 401; 29 S. 323; HOYER SK II, § 242 Rdn. 1; LACKNER/KÜHL § 242 R d n . 1; LAMPE G A 1 9 6 6 S. 2 2 8 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 3 R d n . 1; RENGIER B . T . I ,
§ 2 Rdn. 1.
158
Diebstahl
§40
II. Systematischer Überblick 1. Unter Hinweis auf sonst zwischen Diebstahl und Unterschlagung eröffnete Strafbarkeitslücken wurde schon zuvor in der Literatur die Unterschlagung z.T. als der umfassende, das Eigentum schützende Tatbestand angesehen.3 Nachdem das 6. StrRG die in § 246 a.F. enthaltene Begrenzung der Tatsituation „... fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat, sich rechtswidrig zueignet ..." beseitigt hat, enthält § 246 den Grundtatbestand der Zueignungsdelikte. Der Gesetzgeber hat diese Konsequenz umgehen wollen, indem er durch Aufnahme der Subsidiaritätsklausel § 246 als „Auffangtatbestand behandelt".4 Diese Interpretation des § 246 ändert aber nichts daran, dass § 246 sachlich nunmehr der Grundtatbestand der Zueignungsdelikte ist, während Diebstahl und Raub spezielle Zueignungsdelikte erfassen. 2. Grundtatbestand der Diebstahlsdelikte ist § 242. - Qualifizierte Tatbestände enthalten §§ 244, 244 a. - Einen unbenannten Straferhöhungsgrund mit Regelbeispielen beschreibt § 243 Abs. 1 (Einschränkung § 243 Abs. 2). - Für den Haus- und Familiendiebstahl stellt § 247 das Antragserfordernis auf, das gleichfalls für § 248 a, den Diebstahl und die Unterschlagung geringwertiger Sachen gilt, soweit kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung begründet ist. 3. Um ein dem Diebstahl ähnliches Zueignungsdelikt handelt es sich bei der Entziehung elektrischer Energie, § 248 c Abs. 1. Geht man davon aus, dass auch Strom eine Sache i.S. des § 242 ist (h.M.), so ist § 248 c Abs. 1 als lex specialis gegenüber § 242 anzusehen. 4. Fälle strafbarer Gebrauchsanmaßung, und deshalb keine Fälle eines Diebstahls, sind der unbefugte Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b, und der unbefugte Gebrauch von Pfandsachen, § 290.
7 8
9
10 11
§ 40 Diebstahl Entziehung einer Sache, die dem Täter nicht gehört, aus dem Vermögen eines anderen durch Wegnahme und Bereicherung durch Zueignung dieser Sache kennzeichnen das Vermögensentziehungsdelikt.
1
I. Der objektive Tatbestand Der objektive Tatbestand setzt die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache voraus.
2
1. Sache Sachen i.S. des Strafrechts sind nur körperliche Gegenstände. Der Aggregatzustand (z.B. flüssig, gasförmig) ist gleichgültig. Rechte und Computerprogramme sind keine Sachen, wohl aber sind Papiere, die Rechte verbriefen (z.B. Wechsel, Sparbuch u.Ä.) und Datenträger, auf denen Programme gespeichert sind, Sachen. Tiere sind als Sachen im Sinne des Strafgesetzbuches anzusehen. - Die Regelung des § 90 a S. 1 BGB gilt ausdrücklich nur für das BGB. 5
3
D a z u BINDING B . T . 1, S. 2 7 5 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 8 / 4 0 ; WELZEL L b . , § 4 7 , 1 b.
4
Vgl. einerseits BT-Drucks. 13/8587, S. 43 f; andererseits GEHRMANN Systematik und Grenzen der Zueignungsdelikte, 2002, S. 193 ff; KINDHÄUSER Meurer-GedS, S. 451 ff.
5
V g l . a u c h GRAUL JUS 2 0 0 0 S. 2 1 9 ; KÜPER J Z 1 9 9 3 S . 4 4 1 ; SCHMITZ M K , § 2 4 2 R d n . 2 1 ; WOLFF L K ,
§ 303 Rdn. 3. - A.A. KRÜGER JuS 2000 S. 1040 unter Bezug auf Art. 2 EGBGB.
159
3
4
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§40 5
6
7
Der Mensch als Person ist keine Sache. Auch organische Teile des Menschen - anders hingegen Fremdbestandteile, z.B. Zahnprothese - sind keine Sachen, solange sie mit dem lebenden Körper verbunden sind. Mit der Trennung - sei diese auch nur vorübergehend geplant - erlangen sie jedoch Sacheigenschaft. 6 - Da mit dem Tod die Personenqualität des Menschen endet, sind die Leiche und ihre Bestandteile Sachen. 7 Streitig ist die Sachqualität der sog. Implantate. Hier jedoch ist zu differenzieren. Soweit das Implantat - z.B. künstliches Hüftgelenk, Zahnplombe, Herzschrittmacher - mit dem Körper fest verbunden wird, verliert es seine Sacheigenschaft. Es wird Bestandteil des Körpers. Mit einer eventuellen Trennung wird es - wie auch natürliche Körperbestandteile, z.B. durch Unfall oder Organspende - eine Sache und wie diese geschützt. 8 Zum Teil wird die Sachqualität grundsätzlich bejaht. 9 Andere differenzieren nach dem Grad der Verbindung mit dem Körper'" oder unterscheiden zwischen Ersatzimplantaten, die in Form und Funktion an die Stelle defekter Körperteile treten, z.B. Zahnplomben, Stiftzähne, und Zusatzimplantaten, die insuffiziente Organe nicht ersetzen, wohl aber unterstützen, z.B. Herzschrittmacher, die ihre Sacheigenschaft behalten sollen. '1
2. Beweglich 8
Beweglich sind alle Sachen, die tatsächlich fortgeschafft werden können, daher auch Grundstückszubehör und Teile unbeweglicher Sachen, soweit sie bewegbar sind oder beweglich gemacht werden.
3. Fremd 9 Nach fast einhelliger Ansicht ist eine Sache fremd, wenn sie im zivilrechtlichen Eigentum Miteigentum genügt - eines anderen steht. 12 Zwar gesteht die h.M. zu, dass diese Bindung des Begriffs „fremd" an den zivilrechtlichen Eigentumsbegriff hin und wieder der angemessenen Lösung problematischer Fälle entgegensteht. Der Klarheit der Begriffsbestimmung wird jedoch der Vorrang vor der sachlichen Angemessenheit einzelner Fallösungen eingeräumt. 13 10 Möglich und sachlich überzeugender ist es jedoch, den Begriff „fremd" von seiner wirtschaftlichen Funktion her zu bestimmen. 6
7
Str., eingehend dazu OTTO Jura 1996 S. 219 f; SASSE Zivil- und strafrechtliche Aspekte der Veräußerung von Organen Verstorbener und Lebender 1996, S. 55 ff; Voß Vernichtung tiefgefrorenen Spermas als Körperverletzung?, 1997, S. 80 ff. V g l . V. BUBNOFF G A
1 9 6 8 S. 7 5 ; EICHHOLZ N J W
1 9 6 8 S. 2 2 7 2 ff; GÖRGENS J R 1 9 8 0 S. 140 f;
KINDHÄUSER NK, § 242 Rdn. 10; KRETSCHMER Der Grab- und Leichenfrevel als strafwürdige Missetat, 2 0 0 2 , S. 3 6 4 ff; MLTSCH B . T . I I / 1 , § 1 R d n . 13; SCHMITZ M K , § 2 4 2 R d n . 2 5 . - A . A . P e r s ö n l i c h k e i t s r ü c k s t a n d : R G Z 100 S. 171; GÖSSEL B . T . 2 , § 4 R d n . 9 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 2
Rdn. 19. 8
Vgl. BGH bei Daliinger MDR 1958 S. 739; LG Mainz MedR 1984 S. 199 f; Ruß LK, § 242 Rdn. 4; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2 R d n . 8; WESSELS/HILLENKAMP Β . T . / 2 , R d n . 6 5 .
9
V g l . z . B . BRINGEWAT J A 1984 S. 6 3 ; SONNEN J A 1984 S. 5 7 1 .
10
V g l . GÖRGENS J R 1 9 8 0 S. 141.
11
V g l . GRÖPP J R 1985 S. 183 ff; KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 11; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
12
Zur h.M. vgl. KrNDHÄUSER NK, § 242 Rdn. 13 ff.
13
Kritisch gegenüber der h.M.: KRETSCHMER Grab- und Leichenfrevel, S. 377; LAMPE in: Müller-Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1971, S. 63; LIVER Schultz-FG, S. 121; OTTO Struk-
B.T.l, § 32 Rdn. 18; SCH/SCH/ESER § 242 Rdn. 10.
tur, S. 143 ff; RANFT J A 1 9 8 4 S. 4 f.
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Diebstahl
§40
Dies ist keineswegs mit den Schwierigkeiten verbunden, die die h.M. offenbar arg- 11 wöhnt, sondern erfordert allein eine genauere Analyse der rechtlichen Verhältnisse in bezug auf das Objekt des Diebstahls vom Täter her gesehen: Wirtschaftlich betrachtet ist eine Sache für den Täter fremd, wenn sie einer anderen Person gehört, wenn jemand anderes ein stärkeres Vermögensrecht, eine umfassendere Vermögensposition an der Sache hat als der Täter. - Gemeinhin wird diese stärkere Vermögensposition natürlich durch das Eigentumsrecht gewährt. Gleichwohl eröffnet die grundsätzliche Lösung vom zivilrechtlichen Eigentumsbegriff eine flexiblere Argumentation. In der Konsequenz dieses Grundsatzes sind als fremde Sachen anzusehen: die unter Eigentumsvorbehalt gekaufte Sache für den Vorbehaltskäufer (OLG Düsseldorf NJW 1984 S. 810); die sicherungsübereignete Sache für den Sicherungsgeber; die übergebene, aber noch nicht übereignete Sache fllr den Käufer; das Sammelgut, das anlässlich des Sammelaufrufs einer bestimmten Organisation zum Abholen auf die Straße gestellt wird (BayObLG JZ 1986 S. 967 f); e ' n staatlicher Grenzstein, selbst wenn er schon vor 200 Jahren eingesetzt worden ist (OLG Frankfurt NJW 1984 S. 2303 f); das nicht beim Telefonieren verbrauchte, im Automaten befindliche Geld in einer Telefonzelle (OLG Düsseldorf NJW 1983 S. 2153); das vom Kunden einer Selbstbedienungstankstelle gezapfte Benzin'''; die einer GmbH gehörenden Sachen für den Alleingesellschafter (BGH NJW 1992 S. 250 f; dazu OTTO JZ 1993 S. 560).
12
In diesen Fällen gewährt das Eigentumsrecht die umfassende Sachherrschaftsposition, die Dritte zu achten haben. Dem Eigentümer gehören die Sachen. Dritten gegenüber sind es fremde Sachen. - Darüber hinaus aber sind Dritten gegenüber z.B. auch fremde Sachen derelinquierte Sachen im Besitz des Finders, der sie selbst nicht als derelinquiert erkannt hat, das gewilderte Tier im Besitz des Wilderers gegenüber Dritten und die unbestellt zugesandte Sache i. S. des § 241 a BGB im Besitz des Verbrauchers.
13
Str. ist, ob eine Leiche eine fremde Sache sein kann. - Da an einer Leiche weder derivativ 14 noch originär Eigentum erworben werden kann 16 , müsste die h.M. zum Ergebnis kommen, dass die Leiche keine fremde Sache sein kann, da an ihr kein zivilrechtliches Eigentum besteht. - Der strafrechtliche Schutz des Leichnams würde damit auf § 168 beschränkt. Von dem hier vertretenen Standpunkt aus bereitet der Schutz des Leichnams in Anatomien u.ä. keine Schwierigkeiten. Anerkannt ist nämlich, dass die Angehörigen das Recht haben, unberechtigte Eingriffe Dritter in die Leiche abzuwehren und bestimmte Verfügungen (Bestattung usw.) vorzunehmen. 17 Auch wenn diese Rechte kein Aneignungsrecht im vermögensrechtlichen Sinne gewähren 18 , so berechtigen sie doch zu bestimmten Verfügungen. Dieses vorrangige Verfügungsrecht macht den Leichnam Dritten gegenüber zu einer fremden Sache. 19 - Gleiches gilt für Teile der menschlichen Leiche.
14
Dazu im Einzelnen LANGE/TROST JuS 2003 S. 961 ff.
15
Dazu OTTO Jura 2004 S. 389 ff. - Die h.M. gesteht § 241 a BGB die Funktion eines Rechtfertigungsgrundes zu, der die Zueignung rechtfertigen soll, obwohl er ausdrücklich dem Verbraucher das Eigentumsrecht verweigert; vgl. dazu DORNHEIM Sanktionen und ihre Rechtsfolgen im Schuldrecht des BGB unter besonderer Berücksichtigung des § 241 a BGB, Diss. Bayreuth 2003, S. 210; HAFT/EISELE Meurer-GedS, S. 253 f, 257 f; MATZKY NStZ 2002 S. 462 f.
16
Die h.M. erkennt allerdings ein Aneignungsrecht Dritter unter bestimmten Umständen an; vgl. dazu KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 2 8 m . N . ; SCHMITZ M K , § 2 4 2 R d n . 31 ff.
17
Vgl. auch KG NJW 1990 S. 782; zur Organentnahme: § 4 TPG.
18
Für ein beschränktes Aneignungsrecht, das aber zivilrechtlich nicht überzeugend begründet wird: EICHHOLZ NJW 1968 S. 2274; PEUSTER Eigentumsverhältnisse an Leichen und ihre transplantationsrechtliche Relevanz, 1971.
19
Vgl. auch KRETSCHMER Grab- und Leichenfrevel, S. 377.
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§40
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
4. Wegnahme 15 Wegnahme ist Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams. - Gewahrsam ist das von einem Herrschaftswillen getragene, tatsächliche Herrschaftsverhältnis einer Person über eine Sache unter Berücksichtigung der sozialen Zuordnung. 16 Gewahrsam als tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis beruht grundsätzlich auf der Möglichkeit der tatsächlichen Einwirkung auf die Sache ohne Überwindung nennenswerten Widerstandes (physisch-reales Element). Dieses „faktische" Haben wird jedoch modifiziert durch die soziale Zuordnung (normativ-soziales Element). 17
Zum Teil wird in der Lehre stärker das tatsächliche Herrschaftselement (Herrschaftswille) betont. 2 ^ - Zum Teil wird der Gesichtspunkt der sozialen Zuordnung in den Vordergrund gestellt. 2 1
18 Die beiden Elemente beschränken und ergänzen einander. 19 a) Dadurch wird das Sachherrschaftsverhältnis zum einen über das bloße „In-den-HändenHaben" ausgedehnt. BGHSt 16 S. 273 f: „Gewahrsam ist zwar tatsächliche Sachherrschaft. Ob sie vorliegt, hängt aber nicht in erster Linie, jedenfalls nicht allein von der körperlichen Nähe zur Sache und nicht von der physischen Kraft ab, mit der die Beziehung zur Sache aufrechterhalten wird oder aufrechterhalten werden kann. Vielmehr kommt es für die Frage der Sachherrschaft entscheidend auf die Anschauungen des täglichen Lebens an. Der Gewahrsamsbegriff ist wesentlich durch die Verkehrsauffassung bestimmt ... Sie allein rechtfertigt die Annahme, daß ein Bauer Gewahrsam an seinem auf dem Feld zurückgelassenen Pflug behält, mag auch sein Hof weit entfernt liegen und der Pflug dem Zugriff eines körperlich kräftigeren und näher wohnenden Nachbarn unmittelbar offen stehen. Das gleiche gilt für Haustiere, die sich vorübergehend von dem Anwesen ihres Herren entfernt haben. Der Wohnungsinhaber auf Reisen bleibt Gewahrsamsinhaber nicht nur gegenüber Dritten, sondern auch im Verhältnis zu der die Wohnung bewachenden Hausangestellten. Zweifellos weist die Verkehrsauffassung auch dem, der einen Gegenstand in der Tasche seiner Kleidung mit sich trägt, regelmäßig Gewahrsam zu, weil eine intensivere Herrschaftsbeziehung zur Sache kaum denkbar ist, vor allem der Ausschluß anderer besonders deutlich zum Ausdruck kommt."
20 Außerhalb der eigenen Gewahrsamsphäre verlorene oder vergessene Sachen sind gewahrsamslos, soweit nicht der Inhaber der Gewahrsamssphäre, in der die Sache ist, Gewahrsam erlangt hat aufgrund seines generellen Herrschaftswillens. Einen derartigen subsidiären Gewahrsam wird man in öffentlich zugänglichen Gebäuden oder Räumen - Bahnhof, Post, Kino, Gaststätte usw. - annehmen müssen. - Der Gewahrsamswille muss nicht jederzeit realisierbar sein. 21 Schlafende und Bewusstlose behalten aufgrund der sozialen Zuordnung Gewahrsam an ihren Sachen,22 auch wenn der Bewusstlose stirbt, ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen. 23 22 b) Zum anderen bedeutet die normativ-soziale Modifizierung des tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses eine Begrenzung des Sachherrschaftsverhältnisses. 23
Trotz unmittelbarer Zugriffsmöglichkeit haben danach keinen Gewahrsam: der diebische Nachbar am Obst im Garten seines verreisten Nachbarn; die Hausangestellte an den Einrichtungsgegenständen im Haus; der Kunde, der einen Anzug im Ladengeschäft anprobiert, an diesem Anzug (BGH LM Nr. 11 zu § 242); der Gast an dem in der Gaststätte benutzten Geschirr (BayObLGSt Bd. 9 (1910) S. 376). 2 0
Vgl.
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
B.T.L,
§33
Rdn.
14
f;
SCH/SCH/ESER
§242
Rdn.
25;
TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2 R d n . 13. 2 1
V g l . z . B . : BITTNER J u S 1 9 7 4 S . 1 5 6 ff; GEILEN J R 1 9 6 3 S . 4 4 6 ff; GÖSSEL Z S t W 8 5 ( 1 9 7 3 ) S . 6 1 9 ; KARGL J u S 1 9 9 6 S . 9 7 6 ; LLNG Z S t W 1 1 0 ( 1 9 9 8 ) S . 9 3 9 ff; SCHMITZ M K , § 2 4 2 R d n . 5 5 f; WELZEL G A 1960
S.
257
ff.
22
B G H S t 4 S . 211.
23
BGH JR 1986 S. 294. - A.A. BayObLG JR 1961 S. 188.
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Diebstahl
§40
Gewahrsam besteht hingegen an Briefen im Briefkasten, auch wenn der Gewahrsamsinhaber gar nicht be- 2 4 merkt hat, dass der Briefträger schon da war. - Gewahrsam an den in der Wohnung verlegten Sachen. - Gewahrsam auch an den Sachen, die ein Dritter in der Gewahrsamssphäre versteckt hat, die aber bei gründlicher Durchsuchung gefunden würden. - Kein Gewahrsam, wenn nach allgemeiner Voraussicht das Versteck (z.B. Hausangestellte versteckt den Ring ihrer Arbeitgeberin unter losem Dielenbrett und befestigt dieses danach) auch bei gründlichem Suchen nicht gefunden würde (str.).
c) Da nur natürliche Personen einen tatsächlichen Willen bilden können, können nur na- 25 türliche Personen Gewahrsam aktuell innehaben. Für juristische Personen können aber natürliche Personen den Gewahrsam ausüben. d) Gewahrsam können mehrere Personen gemeinsam haben. - Unproblematisch ist in die- 26 sem Zusammenhang der Mitgewahrsam von Personen, die eine gleiche Herrschaftsbeziehung zu der Sache haben. Daneben erkennt die h.M. einen über- und untergeordneten Gewahrsam an, mit der Konsequenz, dass der Träger des übergeordneten Gewahrsams beim Ansichnehmen der betroffenen Sache keinen Gewahrsamsbruch begeht, während der Träger des untergeordneten Gewahrsams einen Gewahrsamsbruch begehen kann. Diese Konstruktion ist unnötig umständlich, denn wie die Beispiele der h.M. zeigen, haben die Träger des untergeordneten Gewahrsams überhaupt keine eigene selbständige Herrschaftsposition, wohl aber Schutz- und Abwehrfunktionen in bezug auf die Sache. Diese Personen unterstützen den Vermögensinhaber bei der Ausübung seiner Herrschaftsmacht. Sie sind zu Verfügungen nur im Rahmen der unterstützenden Tätigkeit befugt. Ihre Hauptaufgabe ist der Schutz des Gewahrsams. Sie können daher am sinnvollsten als Gewahrsamshüter bezeichnet werden. Der Bruch ihrer Herrschaftsmacht ist Bruch des Gewahrsams des Gewahrsamsherren 24 . Beispiele: Angestellte und Verkäufer in einem Ladengeschäft, je nach Organisation: Träger von Mit- 2 7 gewahrsam oder Gewahrsamshüter bezüglich der Waren. - Hausangestellte bezüglich der Gegenstände des Arbeitgebers: Gewahrsamshüter. - Sekretärin, deren Aufgabe es ist, im Falle der Abwesenheit des Geschäftsführers Rechnungen mit den ihr zur Verfugung gestellten Blanko-Schecks zu bezahlen: Gewahrsamshüter (BGH NStZ-RR 1996 S. 131 mit Anm. OTTO JK 96, StGB § 246/10). - Fernfahrer bezüglich der Ladung des LKW: Inhaber des Alleingewahrsams (vgl. BGH StV 2000 S. 13). - Fahrer und transportleitender Beifahrer eines Geldtransporters: Mitgewahrsamsträger (OLG Köln VRS 107 (2004) S. 368 ff). - Angestellter, der eigenverantwortlich eine Kasse verwaltet: Alleingewahrsam (BGH NStZ-RR 2001 S. 268 mit Anm. GEPPERT JK 02, StGB § 242/21). - Bei der Verwahrung von Gegenständen, an die der Gewahrsamsgeber allein nicht ohne weiteres herankommt: Alleingewahrsam des Verwahrers (str.). - Ist ein Behältnis verwahrt, an das der Verwahrungsgeber nur mit Hilfe des Verwahrers herankommt, weil z.B. zwei Schlüssel notwendig sind: Mitgewahrsam (str.). - Ist das Behältnis dem Verwahrungsgeber ohne weiteres zugänglich - sei es auch nur innerhalb bestimmter Öffnungszeiten -: Alleingewahrsam des Verwahrungsgebers.
e) Gebrochen ist der Gewahrsam, wenn der Berechtigte die tatsächliche Herrschaft gegen 28 seinen Willen verloren hat. - Eine bewusste und gewollte Übertragung des Gewahrsams schließt den Bruch aus, selbst wenn sie irrtümlich - Problematik der Abgrenzung zum Betrug - erfolgt. Der Diebstahl als formelles Willensbruchsdelikt setzt die Verletzung des realen Willens des Betroffenen voraus, ein Handeln gegen einen etwaigen hypothetischen Willen des Betroffenen (wenn dieser den „wahren Sachverhalt gekannt hätte") genügt nicht. Gleiches gilt, wenn die Übertragung des Gewahrsams auf einer Nötigung beruht, die dem Berechtigten aber noch eine echte Wahlmöglichkeit offen lässt - Problematik der Abgrenzung zur Erpressung. f) Vollendet ist die Wegnahme und damit der Diebstahl mit der Begründung des neuen 29 Gewahrsams durch den Täter oder einen Dritten. 24
Eingehender dazu OTTO ZStW 79 (1967) S. 80 ff.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
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Auch hier kommt der sozialen Zuordnung besondere Bedeutung zu: Gewahrsamsbruch liegt vor, wenn jemand in einem Selbstbedienungsladen oder einer sonstigen Gewahrsamssphäre eines anderen handliche Gegenstände in der Kleidune versteckt oder in eine Tasche steckt, die er bei sich trägt 2 ^ oder wenn er Objekte unter seiner Kleidung 2 " oder im Einkaufswagen beim Passieren der Kasse verbirgt. 27 - Kein Gewahrsamsbruch, wenn Sachen im Kaufhaus noch vor der Kasse im Einkaufskorb verborgen werden (OLG Köln NJW 1984 S. 810), oder beim Abtransport eines sperrigen und schweren Gegenstandes, z.B. eines 300 kg schweren Tresors, solange das Objekt sich noch in der Herrschaftssphäre (Grundstück, Geschäft) des Berechtigten befindet (BGH NStZ 1981 S. 435 f; BGH StV 1984 S. 376), auch wenn das Objekt z.B. im Selbstbedienungsladen, schon an der Kasse vorbeigeschleust wurde (OLG Düsseldorf StV 1986 S. 20).
31
g) Hinweis: Gewahrsam und unmittelbarer Besitz sind weitgehend identisch, jedoch sind die Fiktionen der §§ 855, 857 BGB nicht auf den Gewahrsam übertragbar.
h) Zur Einübung 32
aa) BGHSt 4 S. 199: Auf einem Wochenmarkt baute die Polizei eine Diebesfalle auf: Eine Kriminalbeamtin legte eine Geldbörse auf ihren Einkaufskorb. Zwei Kriminalbeamte bewachten die Börse. Beim Zugreifen sollten sie den Dieb fassen. 1. Alternative: Α ergreift die Geldbörse und im nächsten Augenblick greifen die Beamten zu und nehmen ihm die Börse aus der Hand. BGH: Nur versuchte Wegnahme: Α hat noch keinen eigenen Gewahrsam begründet. - Dem ist zuzustimmen, denn mit dem bloßen Ergreifen der Geldbörse begründet Α unter den gegebenen Umständen noch keine umfassende Sachherrschaft Uber die Börse. 2. Alternative: Α ergreift die Börse, steckt sie ein und entwischt im Gewühl. BGH: Keine vollendete Wegnahme, weil die Berechtigten in die Wegnahme eingewilligt haben und damit ein Gewahrsamsbruch unmöglich geworden war. Da Α aber von der Einwilligung keine Kenntnis hatte, liegt ein versuchter Diebstahl vor. Diese Überlegungen treffen im vorliegenden Fall nicht zu: Wie der BGH in der 1. Alternative ausführt, sollte nach dem Plan der Berechtigten der Täter bereits bei der Gewahrsamslockerung, d.h. beim Versuch des Gewahrsamsbruchs, gefasst und damit der Gewahrsamsbruch verhindert werden. Von einer Einwilligung in den Gewahrsamsbruch kann daher im vorliegenden Fall keine Rede sein. - Anders wäre die Sachlage gewesen, wenn die Diebesfalle so angelegt gewesen wäre, dass der Täter die Sache in seinen Gewahrsam bringen sollte, damit diese später bei ihm gefunden würde und er überführt werden könnte. In diesem Fall hätte der Berechtigte dem Gewahrsamsübergang bewusst keinen Widerstand entgegengesetzt. Das bedeutet nicht, dass er mit dem Gewahrsamsübergang einverstanden wäre, denn dann läge zugleich eine Einwilligung in die Zueignung vor, da in der vermeintlichen Wegnahme des Täters zugleich die Manifestation der Zueignung liegt.2® Er will lediglich seinen Herrschaftswillen im Zeitpunkt der Wegnahme nicht ausüben. Damit wird sein realer Herrschaftswille durch die Wegnahme nicht gebrochen. Es liegt nur ein versuchter Diebstahl vor.29
25
Vgl. BGHSt 16 S. 271; 17 S. 208 f; 23 S. 254; BayObLG NJW 1983 S. 406; BayObLG NJW 1995 S. 3000. - A.A. (Versuch): KAHLO in: Institut ftlr Kriminalwissenschaften Frankfurt a.M. (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrecht, S. 137 f.
26
OLG Düsseldorf JZ 1990 S. 100. - A.A. LG Köln StV 1997 S. 27 mit Anm. GEPPERT JK 97, StGB § 242/18.
27
BGHSt 41 S. 198 mit Anm. HILLENKAMP JuS 1997 S. 217 ff, OTTO JK 96, StGB § 242/17, SCHEFFLER JR 1996 S. 342 ff, ZOPFS NStZ 1996 S. 190 f; dazu auch Rdn. 36. - Eingehend zur Problematik der Wegnahme in Selbstbedienungsläden: OTTO Jura 1997 S. 465 ff.
28
Vgl. dazu auch HILLENKAMP JR 1987 S. 255 ff; KREY/HELLMANN B.T.2, Rdn. 35 in Verb, mit Fn. 76 c;
29
Vgl. auch BayObLG JR 1979 S. 296 f mit Anm. PAEFFGEN S. 297 ff; OLG Celle JR 1987 S. 253 f mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB §242/11, HILLENKAMP JR 1987 S. 254 ff; OLG Düsseldorf MDR 1991 S. 786 mit Anm. GEPPERT JK 92, StGB § 242/15; DUTTGE/FAHNENSCHMIT Jura 1997 S. 287; GÖSSEL B.T.2, § 7 Rdn. 51; HÄUF B.T. I, S. 20; HEFENDEHL NStZ 1992 S. 544; JANSSEN NStZ 1992 S. 237 f; Kindhäuser B.T.II, § 2 Rdn. 55 ff. - Im Einzelnen dazu OTTO Jura 1989 S. 140 f.
RENGIER B . T . I, § 2 R d n . 3 3 .
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bb) OLG Hamburg MDR 1970 S. 1027 einerseits - BGH bei Daliinger, MDR 1972 S. 925 andererseits: A öffnet gewaltsam ein fremdes Kfz, schließt die Zündung kurz, fährt los, rammt aber nach 10 m wegen schlechter Sicht ein parkendes Fahrzeug. Er flieht nun zu Fuß.
33
Das OLG hat hier eine vollendete Wegnahme bejaht, der BGH verneint, weil Α noch keinen Gewahrsam begründet habe. Bei der Wegnahme sperriger Gegenstände wird man in der Tat einen Gewahrsam des Täters verneinen müssen, solange es dem Berechtigten nach den gegebenen Umständen ohne Mühe möglich ist, dem Täter die Sache wieder wegzunehmen. - Anders verhält es sich jedoch mit einem Kfz. Ist dies erst einmal in Gang gesetzt, so sind die Möglichkeiten des Eigentümers, seine Herrschaft noch auszuüben, im Regelfall vernichtet. Dass er durch Zufall seine Herrschaftsmöglichkeit wiedererlangen kann, ändert daran nichts. Nur wenn von vornherein feststeht, dass das Fahrzeug nur wenige Meter fortbewegt werden kann, weil z.B. dann eine Diebstahlssicherung die Räder blockiert oder weil noch ein Hindernis (Hoftor) überwunden werden muss, kann man einen Gewahrsam des Täters mit dem Losfahren ablehnen. cc) Α erscheint bei X, gibt sich als Kriminalbeamter aus und beschlagnahmt eine Schreibmaschine. Er nimmt sie mit, weil auf der Maschine angeblich ein Typenvergleich durchgeführt werden soll. X duldet dies, denn er hofft, der Irrtum werde sich bald aufklären.
34
Ergebnis: Gewahrsamsbruch des A. Eine Gewahrsamsübertragung durch X lag nicht vor, er duldete lediglich die Mitnahme, da er eine Weigerung für sinnlos hielt.·'® dd) BGH GA 1987 S. 307: Α behauptete, dass er Video-Recorder und andere Waren unter Marktpreis beschaffen könne. Interessenten veranlasste er, den Kaufpreis in einen von ihm mitgebrachten Briefumschlag zu tun, den er dann in seinen Arbeitskittel steckte, angeblich um das Geld vorher dem Lagermeister vorzuzeigen. Die Bezahlung sollte bei Warenübergabe erfolgen. - Indem Α die Kaufinteressenten sodann ablenkte, tauschte er den Briefumschlag aus und gab den Interessenten einen mit Papierschnitzeln gefüllten Umschlag zurück, woraufhin er sich unter einem Vorwand mit dem Geld entfernte.
35
BGH: „Im vorliegenden Fall haben die Kaufinteressenten zwar aufgrund freier Willensentscheidung das Geld in den Briefumschlag gesteckt und diesen sodann dem Α übergeben. Dadurch verloren sie aber noch nicht den Gewahrsam an dem Geld. Sie hatten es dem Α nur ftlr kurze Zeit zum Vorzeigen in ihrer Anwesenheit überlassen. Unter diesen Umständen besaßen sie nach den Anschauungen des täglichen Lebens noch eine von einem entsprechenden Willen getragene Sachherrschaft. Ob auch der Α schon durch die Entgegennahme des Briefumschlages ein Gewahrsamsverhältnis begründete, bedarf nicht der Entscheidung".·'' ee) OLG Düsseldorf NJW 1988 S. 922 mit Anm. GEPPERT JK 88, StGB § 263/28: In einem Verkaufsmarkt 3 6 wollte Α einen Winkelschleifer kaufen. Er wählte ein Gerät aus. Nachdem er durch Öffnen der Verpackung festgestellt hatte, dass Trennscheiben in der Packung nicht als Zubehör vorhanden waren, und auch ein Verkäufer bestätigt hatte, dass Trennscheiben nicht im Preise des Winkelschleifers enthalten seien, nahm Α vier Trennscheiben, legte sie in den Karton und verschloss diesen wieder. An der Kasse legte Α den verschlossenen Karton auf das Kassenband. Die Kassiererin berechnete den Kaufpreis für den Winkelschleifer. Α bezahlte und entfernte sich aus dem Kassenbereich. Er wurde sodann durch den Hausdetektiv gestellt, der durch einen Zeugen auf das Verhalten des Α aufmerksam gemacht worden war. OLG Düsseldorf: Α erlangte die Trennscheiben nicht durch Gewahrsamsbruch. Aus dem festgestellten Sachverhalt folgt vielmehr, dass Α „den Gewahrsam an den vier Trennscheiben aufgrund einer durch Irrtum veranlassten Vermögensverfügung der Kassiererin erlangt hat". Dem ist zuzustimmen, denn hier kann davon ausgegangen werden, dass die Verkäuferin den Gewahrsam an dem Winkelschleifer übertragen wollte, ohne nach einzelnen Zubehörteilen zu differenzieren. - Ein Ge-
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Eingehend dazu BGHSt 18 S. 223; O r r o Z S t W 79 (1967) S. 74 f; SCHMITZ MK, § 242 Rdn. 80. - A. A. KINDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 6 3 ; MAURACH/SCHRÖDER/MAIWALD B . T . l , § 3 3 R d n . 3 1 ; MITSCH B . T .
II/l, § 1 Rdn. 79. 31
Vgl. dazu auch die in der Problematik vergleichbare Entscheidung OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 923 mit Anm. OTTO JK, StGB § 263/31.
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wahrsamsbnich liegt hingegen vor, wenn der Täter eine Ware so durch die Kasse schmuggelt dass dem Kassenpersonal verborgen bleibt, dass ein bestimmtes Objekt seinem Gewahrsam entzogen wird. 32 3 7 ff) OLG Hamm NJW 1969 S. 620: Frau Β ließ beim Bezahlen im Selbstbedienungsladen ihr Portemonnaie an der Kasse liegen. Frau Α trat nach ihr an die Kasse, zahlte und packte die gekauften Sachen ein, als die Kassiererin ihr zurief: „Vergessen Sie nicht ihr Portemonnaie!" Frau A, die genau wusste, dass ihr das Portemonnaie nicht gehörte, bedankte sich und steckte das Portemonnaie ein. OLG: Ursprünglich hatte Frau Β Gewahrsam an dem Portemonnaie. Dieser ging verloren, als sie den Laden verließ und sich entfernte. Das Portemonnaie wurde damit nicht gewahrsamslos, sondern ging in den Gewahrsam des Ladeninhabers Ober. Für diesen übte Κ Gewahrsam aus. Κ abertrug den Gewahrsam jedoch nicht auf A. Ihr fehlte das Bewusstsein, Gewahrsam zu abertragen, denn sie ging davon aus, dass das Portemonnaie sich im Gewahrsam der Α befand. Als diese das Portemonnaie einsteckte, brach sie daher den Gewahrsam des Ladeninhabers. 3 8 gg) BGHSt 18 S. 221: Α unterhielt Beziehungen zu Frau W, die einen Pkw besaß. Diesen Wagen hatte Frau W in einer parkhausahnlichen Garage untergestellt. Die Garage war Tag und Nacht geöffnet und wurde von einem Pförtner beaufsichtigt. Dieser hatte einen zweiten ZttndschlOssel, den er auf Anforderung dem Berechtigten gab, &lls dieser seinen eigenen Schlösset vergessen hatte o.Ä. Im Einverständnis mit Frau W holte Α den Wagen einmal aus der Garage ab. In weiteren 6-8 Fällen setzte Α aufgrund seiner Beziehungen zu Frau W deren Einverständnis voraus. Am 20.5.61 schließlich holte Α ohne Wissen und Willen von Frau W den Wagen ab, um ihn sich anzueignen. BGH: Kein Diebstahl, sondern Betrug. Dem ist zuzustimmen: Hätte Frau W dem Α aufgrund eines Irrtums den Wagen Überlassen, so hätte eine Gewahrsamsverfügung vorgelegen. Gleiches würde gelten, wenn Frau W den Wagen einer Person zu bestimmten Verfügungen überlassen hätte, z.B. zum Verkauf, und dieser Person wäre durch Täuschung über das Vorliegen des relevanten Sachverhalts der Wagen abgeschwindelt worden, z.B. Kauf mit Falschgeld. Nun hatte Ρ sicher keinen Gewahrsam an dem Wagen derart, dass er zu selbständigen Verfügungen berechtigt war. Er war Gewahrsamshüter, denn er sollte den Gewahrsam der Frau W schützen und ihr u.U. bei der Ausübung der Sachherrschaft behilflich sein. Wenn Ρ sich aber - sei es auch aufgrund eines Irrtums - subjektiv in dem Rahmen hält, der ihm objektiv eingeräumt worden ist, dann muss sich der Gewahrsamsinhaber die Verfügungen seines Gewahrsamshüters als eigene zurechnen lassen. Ein Gewahrsamsbruch durch den Gewahrsamshüter scheidet demnach aus, wenn dieser sich im Rahmen seiner rechtlichen Befugnisse zu halten glaubt. 33 Die Gegenmeinungen stellen einerseits streng auf die rechtliche Befugnis zur Übertragung des Gewahrsams ab (Befugnis- oder Ermächtigungstheorie), andererseits darauf, ob der Verfügende „im Lager des Geschädigten steht" (Lagertheorie); dazu unter § 51 Rdn. 44 ff. Zum Teil wird Idealkonkurrenz von Diebstahl und Betrug in diesen Fällen bejaht, obwohl das Objekt nur einmal erlangt w u r d e t 3 9 hh) BGHSt 35 S. 152: Α entwendete dem Β dessen durch einen Magnetstreifen codierte Eurocheque-Karte. Mit Hilfe dieser Karte und der ihr bekannten Geheimnummer verschaffte sie sich aus Geldautomaten insgesamt 5100,- DM. Die Sparkasse belastete das Konto des Β mit den abgehobenen Beträgen. BGH: Kein Gewahrsamsbruch an dem erlangten Geld. Begründet hat der BGH dieses Ergebnis, indem er Gewahrsamsbruch und GewahrsamsverfÜgung nach dem äußeren Erscheinungsbild abgrenzte. Diese Abgrenzung ist allein geeignet, Zufallsergebnisse zu begründen. Dort wo ein Objekt zufällig oder - wie bei der sog. Wechselgeldfalle-" - in böser Absicht „hin- und hergeschoben oder -genommen" wird, würde die Abgrenzung auf Äußerlichkeiten, nicht aber die jeweils genaue Bestimmung der Gewahrsamssituation gegründet. Nicht auf Äußerlichkeiten, sondern auf den Gewahrsamsbruch kommt es hier an.
32
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Vgl. BGHSt 41 S. 198 mit Anm. H I L L E N K A M P JuS 1997 S . 217 ff, OTTO JK 96, StGB § 242/17, SCHEFFLER JR 1996 S . 342 ff, Z O P F S NStZ 1996 S . 190 f. Eingehend dazu H E R Z B E R G ZStW 89 (1977) S. 367 ff; OTTO ZStW 79 (1967) S. 76 ff. H A A S GA 1990 S. 206; MrrsCH B.T. II/l, § 1 Rdn. 82. Dazu BayObLG NJW 1992 S. 2041 mit Anm. G R A U L JR 1992 S. 520 f, OTTO JK 93, StGB § 242/16.
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Bei einem mechanisierten Gewahrsamsübergang ist das entscheidende Abgrenzungskriterium des Gewahrsamsbruchs von der Gewahrsamsübertragung die funktionsgerechte bzw. funktionswidrige Nutzung des Mechanismus. Wer durch Automatisierung und Standardisierung der Geldherausgabe die Überprüfung der Berechtigung auf bestimmte Daten (Karte, Geheimnummer) begrenzt hat, kann sich nicht auf die fehlende Berechtigung des Automatenbenutzers zur Nutzung des Automaten berufen. Hier läge ein Rekurs auf einen hypothetischen Willen vor, denn der reale Wille hat in der Mechanisierung entsprechenden Ausdruck gefunden. - Für den Fall funktionsgerechter Betätigung wird Gewahrsam übertragen. Das gilt auch, wenn der Automat, z.B. durch Einführung einer gefälschten Karte, überlistet wird. Auch hier wird auf den funktionsgerechten Ablauf des Auszahlungsvorganges nicht Einfluss genommen.·'6 Wird der Automat hingegen funktionswidrig betätigt - gewaltsamer Eingriff in den Ablauf, Zerstörung des Programms - so liegt ein Gewahrsamsbruch vor, denn der Mechanismus wird gerade nicht in der vorgesehenen Weise betätigt.37 Zur Frage der Unterschlagung des Geldes vgl. unter § 42 Rdn. 16 f; zum Computerbetrug in diesen Fällen vgl. unter § 52 Rdn. 44. Entsprechend diesen Grundsätzen ist die Problematik der Leerung von Geldspielautomaten zu entscheiden. Wird funktionswidrig auf den Automaten eingewirkt - Einführung von Gegenständen in den Mechanismus so liegt ein Gewahrsamsbruch vör, nicht hingegen, wenn der Täter sein Wissen um den Spielablauf ausnutzt^" oder auf den Ablauf mit präparierten Münzen Einfluss nimmt. 39 - Zu den Konsequenzen der Abgrenzung des Gewahrsamsbruchs nach den Kriterien der funktionsgemäßen bzw. funktionswidrigen Nutzung des Mechanismusses für den Anwendungsbereich des § 265 a Abs. 1,1. Alt. vgl. § 52 Rdn. 15 f. ii) BGH StV 2001 S. 622: Die Angekl. drangen durch die mit Fußtritten zerstörte Eingangstür in das Wericstattgebäude eines Autohauses ein, bemächtigten sich dort u.a. eines PKW und fuhren mit diesem fort. - Beim Eindringen in das Gebäude waren sie beobachtet worden. Sie gingen davon aus, dass die Polizei benachrichtigt worden sei. BGH: Der Diebstahl war vollendet und beendet, als die Angekl. mit dem Kfe das Werksgebäude verließen und sich in den Verkehr begaben. Dem ist zuzustimmen, denn der Diebstahl setzt kein heimliches Vorgehen des Täters voraus. Eine Beobachtung der Tat schließt den Gewahrsamswechsel nicht aus.
II. Der subjektive Tatbestand 1. Vorsatz Der Vorsatz erfordert das Bewusstsein des Täters, dass es sich bei dem Tatobjekt um eine 40 ihmfremde,bewegliche Sache im Gewahrsam eines anderen handelt, den der Täter bricht.
3 6
37
V g l . B G H S t 3 8 S. 120; KINDHÄUSER B . T . II, § 2 R d n . 5 4 ; SCHMITZ M K , § 2 4 2 R d n . 88. - A . A . RANFT
NJW 1994 S. 2574 ff; RENGIER B.T. I, § 2 Rdn. 35. - Zur Gegenmeinung, der grundsätzlichen Annahme eines Gewahrsamsbruches bei der unbefugten Geldautomatennutzung, vgl. MITSCH JZ 1994 S. 879 m.w.N. in Fn. 42. Vgl. auch EHRLICHER Der Bankautomatenmißbrauch - seine Erscheinungsformen und seine Bek ä m p f u n g , 1989, S. 6 4 f f ; HUFF N J W 1988 S. 9 8 1 ; RUB L K , § 2 4 2 R d n . 3 6 ; SCHMITT/EHRLICHER J Z
1988 S. 364 f; THAETER JA 1988 S. 547 ff; DERS. wistra 1988 S. 339 f. - Zur Auseinandersetzung um
38
die rechtliche Einordnung des Geldautomatenmißbrauchs vor der BGH-Entscheidung vgl. OTTO JR 1987 S. 2 2 1 ff. Vgl. auch BayObLG JR 1982 S. 291 mit Anm. MEURER S. 292 ff; OLG Stuttgart NJW 1982 S. 1659 m i t A n m . ALBRECHT J u S 1983 S. 101 f f , GEILEN J K , S t G B § 2 4 2 / 2 , SEIER J R 1982 S. 5 0 9 f f ; O L G K o -
blenz NJW 1984 S. 2424; ACHENBACH Jura 1991 S. 225 f. - A.A. LG Saarbrücken NJW 1989 S. 2272. 3 9
A . A . O L G C e l l e N J W 1997 S. 1518 m i t A n m . HLLGENDORF J R 1997 S. 3 4 7 ff, MITSCH J u S 1998 S .
307 ff; dazu auch OTTO Jura 1997 S. 467 f.
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§40
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
41 a) Eine Konkretisierung des Vorsatzes auf bestimmte einzelne Sachen ist nicht erforderlich. Die Tat bleibt ein einheitlicher Diebstahl, gleichgültig, ob der Täter seinen Vorsatz später erweitert oder auf ein anderes Tatobjekt bezieht. - Maßgeblich für den relevanten Vorsatz ist der Zeitpunkt der letzten Ausfuhrungshandlung; BGH NStZ 2004 S. 386. Zur Verdeutlichung: 42
Fall 1: A will die Brieftasche des Β aus dessen Schreibtischschublade stehlen. Als er sieht, dass in der Schublade Schmuck liegt, nimmt er diesen auch an sich. Ergebnis: Ein einziger Diebstahl, denn es liegt ein einheitlicher Angriff auf die umfassende Sachherrschaftsmacht des Β vor: Α wollte die umfassende Sachherrschaftsmacht des Β brechen, das hat er getan. Dass er den Umfang seines Angriffs erweitert hat, ist irrelevant. Fall 2: Wie Fall 1, doch ist die Brieftasche gar nicht in der Schublade. Α nimmt nun den Schmuck weg. Ergebnis: Ein einheitlicher Diebstahl, nicht etwa ein versuchter Diebstahl in Bezug auf die Brieftasche und ein vollendeter Diebstahl bezüglich des Schmuckes; vgl. Begründung zu Fall 1.
43 b) Zum Diebstahl geringwertiger Objekte vgl. unter § 44. 2. Absicht, sich oder einem Dritten die Sache rechtswidrig zuzueignen a) Das Objekt der Zueignung 44 Mit der Zueignung der Sache bringt der Täter zum Ausdruck, dass er sich selbst die Position anmaßt, die dem Eigentümer rechtlich zukommt. Er verschafft sich mehr als nur die Möglichkeit des rechtswidrigen Gebrauchs der Sache (Abgrenzung zur Gebrauchsanmaßung), und es geht ihm nicht nur darum, den Berechtigten durch Entzug der Sache zu schädigen (Abgrenzung zur Sachbeschädigung und zur straflosen Sachentziehung). Streitig ist aber, ob das Objekt der Zueignung die Sache selbst oder der Sachwert ist. 45 aa) Die Anhänger der sog. Sachsubstanztheorie (Substanztheorie) sehen - dem Wortlaut des Gesetzes folgend - die weggenommene Sache als den Gegenstand der Zueignung an. 40 46 bb) Die Vertreter der sog. Sachwerttheorie sehen den Sachwert als Objekt der Zueignung an. 41 47
Zur Verdeutlichung der Konsequenzen (im Anschluss an Lampe GA 1966 S. 230): Α wirft die Sachen des Ε an einer bestimmten Stelle aus dem Zug auf den Bahndamm. Später veräußert er diese an D, der Zahlung gegen Mitteilung des Fundortes leistet. Sachsubstanztheorie: Α hatte im Zeitpunkt der Veräußerung noch keinen Gewahrsam an den Sachen selbst begründet. War dem Berechtigten daher auch die Sachherrschaftsposition entzogen, so fehlte es doch an der Neubegründung einer umfassenden Sachherrschaftsposition durch A. Deshalb keine Zueignung der Sachen, daran ändert der „Verkauf nichts. Sachwerttheorie: Zueignung vollendet, indem Α den Kaufpreis erhält. In diesem Augenblick überführte er den Sachwert in sein Vermögen.
48 cc) Die h.M. ist die sog. Vereinigungstheorie. Danach soll eine Zueignung dann gegeben sein, wenn der Täter die Sache selbst oder den in ihr verkörperten Wert in sein Vermögen überfuhrt. - Allerdings wird dieser Wert im Anschluss an BOCKELMANN42 enger in40
BINDING B.T. I, S. 267 ff m.e.N.; GÖSSEL 140 Jahre GA-FS, S. 39 ff; KINDHÄUSER NK, § 242 Rdn. 75; DERS. B.T. II, § 2 Rdn. 90; OTTO Struktur, S. 167 ff m.e.N.; ROXIN Täterschaft und Tatherrschaft, 7. Aufl. 2000, S. 341 ff; RUDOLPHI G A 1965 S. 38; SCHMITZ MK, § 2 4 2 Rdn. 117 ff; WELZEL Lb., § 46,
1; WOLFSLAST NStZ 1994 S. 542 ff, 544. 41
Dazu RGSt 57 S. 168; FRANK StGB, § 242 Anm. VII 2 a; LAMPE GA 1966 S. 241; SAUER GA 63 (1917) S. 284.
42
ZStW 65 (1953) S. 575 ff.
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terpretiert als von den Vertretern der Sachwerttheorie. Maßgeblich soll für die Zueignung nur der in der Sache selbst steckende Wert („lucrum ex re") sein, nicht aber die Möglichkeit, die Sache zur Erlangung anderer Werte einzusetzen („lucrum ex negotio cum re"). 43 Es gäbe allerdings keinen Unterschied zwischen Sachsubstanz- und Sachwerttheorie, wenn als relevanter Sachwert allein der in der Sache verkörperte, von ihr vermittelte und von ihr nicht trennbare Wert angesehen würde, denn damit wäre die Einheit von Sache und Sachwert erhalten geblieben. Jede Ausdehnung des Wertgesichtspunktes über diese Grenze hinaus fuhrt hingegen dazu, die Grenzen zwischen den Eigentumsdelikten, den Sachzueignungsdelikten und den allgemeinen Bereicherungsdelikten zu verwischen. Die Verschaffung irgendwelcher Teilwerte der Sache wird zwangsläufig zur Zueignung der Sache. Auch Beschränkungen auf den „Zwecknutzen" (PAULUS) u.ä. helfen über diese missliche Konsequenz nicht hinweg. - Es eröffnet sich die in keinem Fall mehr kriminalpolitisch erstrebenswerte Möglichkeit, bei der Kenntnisnahme vom Inhalt geheimer Papiere (neue Modelle, Rezepte, Konstruktionspläne) einen Diebstahl zu bejahen, wenn das Papier selbst seinem Eigentümer nur kurzfristig entzogen wird. Der Diebstahl als ein klar konturiertes Delikt gegen fremde Sachherrschaft ist dann zu einem farblosen und in seinen Grenzen dubiosen Bereicherungsdelikt geworden. Diese Mängel der Sachwerttheorie übernimmt die Vereinigungstheorie um den Preis einer rechtsstaatlich geradezu anrüchig austauschbaren Argumentation, denn sie bedient sich willkürlich der Sachsubstanz- und der Sachwerttheorie, ohne einen Oberbegriff der Sachsubstanz- und Sachwertzueignung zu bilden. Zwar mag es richtig sein, dass Sachwert- und Substanzzueignung die verschiedenen möglichen Eigentumsverletzungen erfassen. Im dogmatischen Ausgangspunkt schließen sie einander jedoch aus. 44 Auch die Betonung, dass der Sachwerttheorie innerhalb der Vereinigungstheorie nur subsidiäre Bedeutung zukommt 45 , ändert daran nichts. MAIWALD, Der Zueignungsbegriff im System der Eigentumsdelikte, 1970, S. 79: „Als Ergebnis der Betrachtung der Vereinigungslehren bleibt demgemäß der Befund, daß sie auch in ihrer heutigen Form Sachwert- und Sachsubstanztheorie jeweils nur zur kriminalpolitisch erwünschten Lückenschließung benutzen, dass sie aber beide Theorien nicht als Ausprägung eines Prinzips rechtfertigen, mit dem das Wesen der Zueignung gekennzeichnet werden könnte. Sachwert- und Sachsubstanztheorie kommen in Einzelfällen aufgrund ihrer methodisch verschiedenen Ausgangspunkte zu verschiedenen Ergebnissen. Wird behauptet, Zueignung sei Zuführung des wirtschaftliches Wertes einer Sache oder Anmaßung des Eigentums an der Substanz, so befindet man sich in der Situation des Schuljungen, der Äpfel und Birnen addiert: Der Zueignungsbegriff, der damit zustande kommt, ist ein unverbundenes Nebeneinander zweier nicht vergleichbarer Größen."
49
50 51
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53
Soll der erklärte Wille des Gesetzgebers, „eine fremde bewegliche Sache einem anderen in 54 der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten ... zuzueignen", nicht umgangen werden, so ist an der Sachsubstanztheorie nicht vorbeizukommen, denn das Gesetz verlangt eine Zueignung der Sache, begnügt sich aber nicht mit der Verschaffung des Wertes der Sache. 43
Dazu BGHSt 4 S. 238; 19 S. 388; BGH NJW 1985 S. 812; ESER JuS 1964 S. 481; GRIBBOHM NJW 1 9 6 8 S . 1 2 7 0 ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 5 1 f f ; KÜPER B . T . , S . 4 5 6 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 4 2 R d n .
22; MLTSCH B.T. II/l, § 1 Rdn. 141; PAULUS Der strafrechtliche Begriff der Sachzueignung, 1968, S. 220; RENGIER B.T. I, § 2 Rdn. 41; Ruß LK, § 2 4 2 Rdn. 49; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 Rdn. 49; TENCKHOFF J u S 1 9 8 0 S . 7 2 5 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2 R d n . 3 4 ; ULSENHEIMER J u r a 1 9 7 9 S . 1 7 8 ; W E S SELS N J W 1 9 6 5 S . 1 1 5 3 . 44
Dazu auch OTTO JuS 1980 S. 491; DERS. Struktur, S. 169 ff; RUDOLPHI GA 1965 S. 33.
4 5
V g l . z . B . KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 5 1 ; MITSCH B . T . I I / l , § 1 R d n . 1 4 1 ; TENCKHOFF JUS
1980
S. 725; ULSENHEIMER Jura 1979 S. 175.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
b) Die einzelnen Elemente des Zueignungsbegriffes 55 Gemeinhin werden zwei Elemente als konstitutiv für den Zueignungsbegriff angesehen: die auf Dauer angelegte Enteignung des Berechtigten und die zumindest zeitweise Aneignung des Diebstahlsobjekts durch den Täter. Innerhalb der „Aneignung" wird sodann mehr oder minder deutlich darauf hingewiesen, dass es dem Täter auch darum gehen muss, „Vorteile" aus der Tat zu ziehen. Diese Verquickung verschiedener Probleme begünstigt Missverständnisse. Als Elemente des Zueignungsbegriffes sind vielmehr zu unterscheiden: 56 aa) Die Enteignung des Berechtigten, das ist Entziehung der Sachherrschaft des Berechtigten. - Dieser entspricht gleichsam spiegelbildlich: bb) Die Aneignung durch den Täter, d.h. die Begründung einer Eigenbesitzerposition durch den Täter. cc) Darüber hinaus ist erforderlich die Absicht des Täters, die Sache wirtschaftlich zu nutzen. Wirtschaftliche Nutzung heißt allerdings nicht nur Nutzung im Wirtschaftsverkehr, sondern Gebrauchen, Verbrauchen, in Besitz haben u.Ä. Hingegen ist die bloße Absicht, einem anderen die Sache zu entziehen, sei es um ihn zu schädigen oder um ihn zu ärgern, nicht wirtschaftliche Nutzung der Sache.
57 Ein zeitliches Element - Entziehung der Sachherrschafit auf Dauer o.Ä. - ist dem Zueignungsbegriff hingegen nicht wesentlich. Nicht die Dauer des Gebrauchs ist ein brauchbares Abgrenzungskriterium zur straflosen Gebrauchsanmaßung, sondern allein die Art und Weise des Gebrauchs: 58 Solange sich der Täter in der Rolle eines Fremdbesitzers sieht und hält, fehlt es an einer Zueignung. Der Täter maßt sich rechtswidrig den Gebrauch einer fremden Sache an. Hat der Täter jedoch gezeigt, dass er sich selbst in der Position des umfassend bestimmenden Sachherrn, des Eigenbesitzers sieht, so hat er sich die Sache zugeeignet. 46 59
Demgegenüber fordert die h.M., dass die Enteignung „auf Dauer angelegt sein m u ß " . 4 7 in der Lösung problematischer Fälle misst jedoch auch die h.M. dem Dauerelement keine Bedeutung zu. Betont wird dann nämlich, dass auf Dauer nicht unbedingt e n d g ü l t i g 4 8 bzw. für i m m e r 4 9 heißen müsse oder das Dauerelement wird schon dann bejaht, wenn der Berechtigte nicht mehr im eigenen Namen über die Sache verfügen kann.50
60 Zueignung ist danach ein Verhalten, mit dem der Täter zum Ausdruck bringt, dass er den Berechtigten von der Sachherrschaft ausschließt und selbst umfassende Sachherrschaft über eine fremde Sache begründet, weil er diese eigenmächtig gebrauchen, d.h. wirtschaftlich nutzen will. 5 1
46
4 7
Dazu auch K.INDHÄUSER Geerds-FS, S. 661; DERS. N K , § 242 Rdn. 81 ff; TRONDLE/FISCHER § 242 Rdn. 33. - Die Gefahr dauernden Sachverlusts für den Eigentümer lässt DENCKER - Rudolphi-FS, S. 432 f - genügen. Vgl. BGHSt 22 S. 46; B G H JR 1999 S. 336 mit Anm. GRAUL S. 338 ff; GÖSSEL B.T.2, § 6 Rdn. 57; GROPP J U S 1 9 9 9 S. 1 0 4 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 2 R d n . 2 5 ; RUß L K , § 2 4 2 R d n . 5 1 ; SCHMIDHÄUSER B r u n s - F S , S. 3 5 0 f; SCHMITZ M K , § 2 4 2 R d n . 108 ff; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 5 1 ; SEELMANN J u S 1 9 8 5 S. 4 5 5 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2 R d n . 3 3 a.
4 8
TENCKHOFF JUS 1 9 8 0 S . 7 2 4 .
4 9
B G H N J W 1 9 8 5 S . 8 1 2 , 8 1 3 m i t A n m . GROPP J R 1 9 8 5 S. 5 1 8 f f , OTTO J K , S t G B § 2 4 2 / 4 .
5 0
RANFT J A 1 9 8 4 S. 2 8 4 .
51
Darauf, dass das Zueignungssubjekt und nicht der Geschützte siegreich aus dem Streben nach der selbstbestimmten Sachherrschaft hervorgeht, stellt BÖRNER - Die Zueignungsdogmatik der §§ 242, 246 StGB, 2004, S. 90 ff, 111 - als Zueignungssubstrat ab.
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Diebstahl
§40
c) Zur Einübung: Enteignung des Berechtigten - Aneignung durch den Täter
61
aa) OLG Celle JR 1967 S. 389: Α nimmt im Warenhaus des Β ein Taschenbuch mit, liest es durch und bringt es am nächsten Tag zurück.
62
OLG: Α hat sich das Buch zugeeignet. - Die Entscheidung erscheint bei einem Taschenbuch vertretbar, weil dieses in der Regel beim Durchlesen so viel Schaden nimmt, dass es nicht mehr als neues Verkaufsobjekt angesehen werden kann und daher wegen Funktionsverlustes bei wertender Betrachtungsweise als eine qualitativ andere Sache erscheint. - Im Falle eines gebundenen Buches, das vorsichtig behandelt wird, wäre der Entscheidung hingegen kaum zu folgen, denn auch durch das Blättern und Anlesen einzelner Teile verliert dieses Buch noch nicht seine Eigenschaft als Verkaufsobjekt.-' 2 bb) BGHSt 35 S. 152: Α entwendete dem Β dessen Eurocheque-Karte. Mit Hilfe dieser Karte und der ihr bekannten Geheimnummer will sie sich aus einem Geldautomaten Geld verschaffen.
63
BGH: Die Wegnahme einer codierten Eurocheque-Karte in der Absicht, sich unbefugt durch ihre Benutzung und die Eingabe der zugehörigen Geheimzahl Geld aus einem Bankautomaten zu verschaffen und sie sodann dem Berechtigten zurückzugeben, ist eine straflose Gebrauchsentwendung (furtum usus). - Dem ist zuzustimmen, denn in der Scheckkarte wird nur der Sachwert der Karte selbst verkörpert, nicht aber die mit Hilfe der Karte und der Geheimnummer zu erlangende Geldsumme.^ 3 cc) Α entwendet dem Β das Sparbuch, das ein Guthaben von DM 3000,- ausweist. Α hebt DM 1000,- ab und verbraucht das Geld. Das Buch schickt er sodann - wie geplant - an Β zurück.
64
Ergebnis: Die Anhänger der Sachwert- und der Vereinigungstheorie bejahen hier eine Wegnahme des Buches in der Absicht der Z u e i g n u n g . D e m kann nicht gefolgt werden: Mit der Wegnahme eines Legitimationspapieres verschafft sich der Täter zwar einen Vermögenswert. Dieser beruht auf der Möglichkeit, sich als Inhaber bestimmter Rechte zu legitimieren. Inhaber des Rechts oder eines Wertes, der dem des im Papier ausgewiesenen Rechts entspricht, wird der Täter mit der Wegnahme nicht. Mit der Einziehung des Rechts realisiert der Täter nicht den in dem Papier verkörperten Wert, vielmehr verschafft er sich dabei mit Hilfe des Papiers einen anderen Wert, der auf dem Legitimationswert beruht, mit diesem jedoch nicht identisch ist. Genauso wenig wie in der Wegnahme eines Ausweises, mit dem sich der Täter als Berechtigter zur Abholung einer Sache ausweisen will,^^ eine Zueignung dieses Ausweises zu sehen ist, liegt in der Zueignung eines Legitimationspapieres eine Zueignung des in dem Papier ausgewiesenen Geldbetrages. dd) BGHSt 19 S. 387: Der wehrpflichtige Α merkt eines Tages, dass sein Uniformkoppel weg ist. Nachts bricht er den Schrank des Β auf und nimmt dessen Koppel an sich, um dieses 3 Monate später bei der Entlassung als das ihm übergebene zurückzugeben. BGH: Keine Zueignung des Koppels, denn die Sachherrschaftsstellung des Eigentümers (Militärfiskus) wollte Α sich nicht anmaßen. Diesem gegenüber wollte er stets Fremdbesitzer s e i n . " 5 2
D a z u ANDROULAKIS J u S 1 9 6 8 S . 4 0 ; D E U B N E R N J W 1 9 6 7 S . 1 9 2 1 ; ESER I V , N r . 3 A 3 1 f f ; GRIBBOHM N J W 1 9 6 8 S . 1 2 7 0 ; G R O P P J U S 1 9 9 9 S . 1 0 4 4 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 4 2 R d n . 2 4 ; MITSCH B T . II/L, § 1 R d n . 1 4 5 ; O T T O S t r u k t u r , S . 1 8 1 f ; S C H / S C H / E S E R § 2 4 2 R d n . 5 3 ; SCHRÖDER J R 1 9 6 7 S . 3 9 0 f f .
53
So auch BayObLG NJW 1987 S. 663; OLG Hamburg NJW 1987 S. 336; EHRLICHER Bankautomatenmißbrauch, S. 39 f; HUFF NStZ 1985 S. 438 f; KREY/HELLMANN B.T.2, Rdn. 513 e; L A C K N E R / K Ü H L § 2 4 2 R d n . 2 3 ; LENCKNER/WINKELBAUER w i s t r a 1 9 8 4 S . 8 5 ; O T T O J R 1 9 8 7 S . 2 2 1 ; SCHMITT/ EHRLICHER J Z 1 9 8 8 S. 3 6 4 ; SCHMITZ Μ Κ , § 2 4 2 R d n . 1 2 3 ; STEINHILPER J u r a 1 9 8 3 S . 4 0 8 f f .
- A.A. OLG Düsseldorf NStE Nr. 14 zu § 242 StGB; ALTENHAIN JZ 1997 S. 752 f (für die zum „electronic-cash-Verfahren" geeigneten Karten); SCHNABEL NStZ 2005 S. 19 f; SCHROTHNJW 1981 S. 729; SEELMANN JuS 1985 S. 289. - Zur Wegnahme einer sog. elektronischen Geldbörse: ALTENHAIN JZ 1997 S . 759 f. 54
Dazu BGHSt 35 S. 157; FRANK StGB, § 242 Anm. VII 2 a; RUß LK, § 242 Rdn. 54. - Vom Standpunkt der Sachsubstanztheorie bejahen die Zueignung gleichfalls. RUDOLPH! GA 1965 S. 53 f; WELZEL Lb., § 4 6 , 2 a. - Dagegen: GÖSSEL 140 Jahre GA-FS, S. 47 ff; SCHMITZ MK, § 242 Rdn. 122.
55
Vgl. OLG Hamm JMB1NRW 1953 S. 153: Zechenausweis.
56
Dazu auch OLG Stuttgart NJW 1979 S. 277; ESER JuS 1964 S. 477; GÖSSEL B.T.2, § 6 Rdn. 28; MITSCH B T . II/L, § 1 R d n . 1 1 7 ; O T T O S t r u k t u r , S. 1 9 5 ; RENGIER B . T . I, § 2 R d n . 5 8 ; TENCKHOFF J U S 1 9 8 0 S . 7 2 3 ; WESSELS J Z 1 9 6 5 S . 6 3 1 .
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ee) RGSt 57 S. 199: Der Α ist Lagerarbeiter auf dem Getreidespeicher des G. Dort entwendet er Getreide, füllt es in Säcke und bringt es zu Β. Β veräußert, wie verabredet, das Getreide wiederum an G. Den Erlös teilen Α und B. RG (unter Anwendung der Sachwerttheorie): Zueignung des Getreides durch Α liegt vor. - Auch vom Boden der Sachsubstanztheorie ist dem zuzustimmen, wenn Α die Veräußerung an den Eigentümer als eine von mehreren relevanten Nutzungsmöglichkeiten des Getreides sah, selbst wenn der Verkauf an den Eigentümer in erster Linie ins Auge gefasst war. - Anders hingegen, wenn ausschließlich der Verkauf an den Eigentümer geplant war und etwa bei Verhinderung dieses Verkaufs die Sache dem Eigentümer auch ohne Entgelt wieder zur Verfügung gestellt werden sollte. Dann käme nur ein Betrug in Betracht.^
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f p BGH NJW 1982 S. 2265: 5 8 Α nahm den Fernseher des H, der ihm DM 900,- schuldete, eigenmächtig an sich und ließ den Η wissen, dass er diesen verkaufen werde, wenn Η nicht bis zu einem bestimmten Termin seine Schulden zahlen würde.
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gg) BGH: MDR 1985 S. 155: B, die Geliebte des A, hatte diesen verlassen und befand sich mit L auf Ibiza. Um Β und L zu trennen und Β zu bestrafen, beschloss Α, sich in den Besitz ihrer Habe zu setzen, insbesondere ihrer Kleidung, ihrer Personalpapiere und ihrer finanziellen Mittel. Α hatte vor, der Β die ihr gehörenden Gegenstände „möglicherweise" zurückzugeben, wenn sie nämlich zu ihm zurückkehren sollte. In Ausführung dieses Plans brach Α mit einem Komplizen in das Appartement von Β und L ein. Sie räumten dieses aus und brachten die Sachen über Barcelona nach Deutschland. B, die sich alsbald mit Α versöhnte, erhielt einen Teil ihrer Sachen später zurück.
BGH: Keine Zueignung des Fernsehers durch A.
BGH: Α handelte in Zueignungsabsicht bzgl. aller Sachen: „Durch den Abtransport erlangte er, wie von ihm erstrebt, den unmittelbaren, seinem Vermögen zurechenbaren Besitz an den Sachen und dadurch in tatsächlicher Hinsicht zugleich eine dem Eigentum vergleichbare Sachherrschaft. Diese Position entzog er den Geschädigten endgültig, wenn auch hinsichtlich eines Teiles der Beute unter dem Vorbehalt späterer Wiedergutmachung ... Daß es dem Täter in einem solchen Fall nicht gerade darauf ankommt, den Berechtigten die Sache für immer vorzuenthalten, ist unter diesen Umständen nicht entscheidend." Dem ist zuzustimmen, denn in der Tat kommt es nicht darauf an, ob der Täter dem Opfer die Sache „für immer", „auf Dauer" oder sonst eine bestimmte Zeit entziehen will, sondern ob er sich eine Eigenbesitzerstellung über die Sachen verschaffen will. Diese Position wollte Α aber erlangen, und er hat sie auch erlangt.^ 9
d) Zur Einübung: Wirtschaftliche Nutzung 69
aa) BGH wistra 1988 S. 186: Der Α brachte den Hund der Ρ an sich, um ihn ins Tierheim zu bringen, weil er beobachtet hatte, dass Ρ den Hund wiederholt gequält hatte. BGH: Keine Zueignungsabsicht des A, denn er handelte nicht, um sich einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen.^
70
bb) BGH StV 1987 S. 245: Α wollte den Β um Geld bestehlen, das er im Jackett des Β vermutete. Er nahm das Jackett an sich und lief fort. An sicherem Ort durchsuchte er das Jackett. Da kein Geld darin enthalten war, warf er das Jackett fort.
57
Zum Streitstand einerseits: BGHSt 24 S. 119; KINDHÄUSER Geerds-FS, S. 663; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 7 4 ; RUDOLPH! G A 1965 S . 4 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2 R d n . 3 5 ; WESSELS N J W 1 9 6 5 S . 1 1 5 6 . - A n d e r e r s e i t s : HOYER S K II, § 2 4 2 R d n . 9 4 f; MAIWALD Z u e i g n u n g s b e g r i f f , S. 111 f f ; MITSCH
B.T. II/l, § 1 Rdn. 115. - Entsprechend zu beurteilen ist die Wegnahme von Pfandflaschen u.Ä., um das Pfandgeld einzulösen; differenzierend hier: HELLMANN JUS 2001 S. 354 f. 58
Mit Anm. BERNSMANN S. 2214 f. - Darüber hinaus vgl. auch BGH StV 1983 S. 329; StV 1999 S. 315 mit Anm. OTTO JK 99, StGB § 242/19.
59
Vgl. dazu auch OLG Köln NJW 1997 S. 2611.
60
Zur Abgrenzung der wirtschaftlichen Nutzung von der Zerstörungsabsicht: BGH JR 1978 S. 171 f mit Anm. GEERDS S. 172 f u n d LIEDER NJW 1977 S. 2272; OLG Düsseldorf NJW 1987 S. 2526 mit Anm. KELLER JR 1987 S. 521. - Darüberhinaus: BGH GA 1971 S. 114; BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810.
172
Diebstahl
§40
BGH: Keine Zueignung des Jacketts, denn wenn es dem Täter allein auf den Inhalt eines Behältnisses ankommt, so will er sich das Behältnis nicht zueignen. Anders ist zu entscheiden, wenn es dem Täter darum geht, das Behältnis selbst zu nutzen, z.B. wenn er die Beute in einen Koffer des Opfers packt, um sie wegzutransportieren, auch wenn er beabsichtigt, den Koffer nach dem Transport fortzuwerfen.
3. Absicht, sich oder einem Dritten die Sache rechtswidrig zuzueignen Der Zueignungsakt Bis zum Inkrafttreten des 6. StrRG setzte § 242 a.F. voraus, dass der Täter beabsichtigte, 71 sich die Sache zuzueignen. Das 6. StrRG dehnte die Zueignung auf die Drittzueignung aus. Die Problematik der Abgrenzung hat dadurch andere Schwerpunkte erhalten, ist aber keineswegs obsolet geworden, denn nach wie vor wird eine Sachzueignung verlangt, nicht aber eine bloße Wertverschaffung. Von einer Zueignung der weggenommenen Sache, sei es an den Täter oder einen Dritten, kann aber nur die Rede sein, wenn der Täter durch sein Verhalten, zumindest die Besitzposition an der Sache geändert hat. Er muss sich in einer Position befinden, die es ihm ermöglicht, besitzändernde Verfugungen zu Gunsten eines Dritten durchzufuhren. - Damit aber hat sich die Abgrenzungsproblematik nicht erledigt, sondern lediglich verschoben. Es gilt jetzt, die Drittzueignung von der Ermöglichung der Zueignung durch einen Dritten abzugrenzen, 62 wenn nicht die Grenzen zwischen Diebstahl und Hehlerei verschwimmen sollen. Zur Verdeutlichung aa) BGH 1 StR 73/78: Κ wollte sich in das Ausland absetzen. Ihm fehlten allerdings die Mittel dazu. Diese sollten durch einen Raub beschafft werden, an dem Α mitwirkte, weil sie dem Κ zu der Reise verhelfen wollte. Das erbeutete Geld nahm Κ sofort an sich.
72
BGH: Α hat sich die Beute zugeeignet, denn sie hatte einen Nutzen aus der Tat, weil sie selbst wirtschaftlich nichts zu opfern brauchte, um das von ihr angestrebte Ziel - Unterstützung der Flucht des Κ - zu erreichen. 63 Eine derart extreme Ausdehnung der Sachwerttheorie ist nach der neuen Gesetzeslage überflüssig geworden. Da Α an dem Gewahrsamsbruch und der Begründung des Gewahrsams des Κ mitwirkte, eignete auch sie die Beute dem Κ zu. bb) BGH bei Dallinger, MDR 1974 S. 724 f (vereinfacht): Α wusste, dass Η wertvolle Schmucksachen bei sich hatte. Er überredete den B, diese der Η wegzunehmen und ihm gegen Zahlung von DM 500,- auszuhändigen. Β lauerte der Η auf, nahm ihr den Schmuck weg und überbrachte den Schmuck bald darauf dem A gegen die versprochene Summe. BGH: Β hat sich den Schmuck nicht zugeeignet. Er war lediglich Werkzeug und Gehilfe beim Diebstahl des A, der sich den Schmuck zueignete, als Β ihn an sich nahm. Diese Konstruktion beruht auf der Prämisse, dass Β Werkzeug des mittelbaren Täters ist. Β ist angeblich absichtslos doloses Werkzeug des A. Dem kann nicht gefolgt werden, denn eine Herrschaftsposition des A
61
Eingehend OTTO Jura 1989 S. 143; Ruß PfeifTer-FS, S. 61 ff.
62
Vgl. dazu auch GROPP JuS 1999 S. 1045; JÄGER JuS 2000 S. 651 f; MITSCH ZStW 111 (1999) S. 67 f; OTTO Jura 1998 S. 551; RÖNNAU GA 2000 S. 417 ff; SCHENKEWITZ NStZ 2003 S. 17 ff, 21; SCHMITZ MK, § 242 Rdn. 136; SCH/SCH/ESER § 242 Rdn. 58. - Das Ermöglichen des Zugriffs auf die Sache durch einen Dritten lassen als Drittzueignung genügen: CANTZLER JA 2001 S. 571; HOHMANN MK, § 2 4 6 R d n . 4 4 ; KINDHÄUSER B . T . I I , § 2 R d n . 1 1 9 ; K Ü P E R B . T . , S . 4 5 9 ; RENGIER B . T . I , § 5 R d n .
18;
WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 281. - Eine Vorteilserlangung im weitesten Sinne durch den Täter fordern bei der Drittzueignung: DUTTGE/F AHNENSCHMIDT ZStW 110 (1998) S. 918; DUTTGE/SCOTELSEK Jura 2002 S. 530 f. 63
Vgl. auch BGHSt 17 S. 93; BGH StV 1986 S. 61; BGHSt 40 S. 20; OLG DüsseldorfNJW 1996 S. 66.
173
73
§40
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
über B, die die mittelbare Taterschaft voraussetzt64 liegt hier nicht vor. Der BGH erwähnt die Konstruktion in neueren Entscheidungen nicht mehr.6^ - Um zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen, bedarf es der Konstruktion aber Oberhaupt nicht. Β entzog dem Η die umfassende Sachherrschaftsposition und maßte sie sich selbst an. Dies geschah auch in der Absicht, die Sache wirtschaftlich zu nutzen. Wirtschaftlich nutzt der Täter das Tatobjekt nämlich nicht nur, wenn er es selbst benutzen oder verbrauchen will, sondern auch dann, wenn er durch Zueignung des Objekts an einen Dritten eine Vermögensumverteilung - sei es entgeltlich oder unentgeltlich - vornehmen will. 6 " 74 cc) BGHSt (GrS) 41 S. 187 mit Anm. OTTO JZ 1996 S. 582 ff: A war als Leiter der Abteilung Μ des Ministeriums für Staatssicherheit (MfG) der DDR für die Postkontrolle zuständig. Schwerpunkt der Tätigkeit der Abteilung Μ war das Einbehalten von Zahlungsmitteln und Wertgegenständen, die bei der Postkontrolle gefunden wurden. Diese wurden nach Anweisung des Α der Abteilung Finanzen des MfS zugeführt und anschließend dem Staatshaushalt der DDR zur Verfügung gestellt. BGH: Α hat sich die Zahlungsmittel nicht zugeeignet, da er aus der Tat keinen Nutzen wirtschaftlicher Art erlangte - Der Große Senat in Strafsachen wies damit den - sachgerechten - Versuch des S. Strafsenats des BGH, die Selbstzueignung von der umfassenden Sachherrschaftsstellung des Täters der zu bestimmen, zurück."^ Die Entscheidung des Großen Senats war mit ein Grund für die Gesetzesänderung.6® Unproblematisch kann jetzt - wenn man die Selbstzueignung sachwidrig wegen eines fehlenden eigenen wirtschaftlichen Nutzens ablehnt - eine Drittzueignung bejaht werden. 7 5 dd) Im Auslieferungslager der Firma X lädt der Lagerarbeiter Α ohne Wissen des Kunden Κ zehn Zentner Kohlen auf den Wagen des K, statt der auf dem Lagerschein stehenden acht Zentner. Ergebnis: Da Α niemals selbst umfassende Sachherrschaft über die Kohlen erlangt hat, hat er sie sich nicht zugeeignet. Hier liegt eine Drittzueignung vor. 76 ee) RGSt 21 S. 110 einerseits, RGSt 47 S. 147 andererseits: Α hatte dem Κ Bretter als eigene verkauft, die in Wirklichkeit dem X gehörten und in dessen Gewahrsam lagen. Er zeigte dem Κ die Bretter, und Κ holte die Bretter an einem der nächsten Tage ab. RGSt 21 S. 110: Keine Zueignung der Bretter durch A. Anders hingegen - unter Verwendung der Sachwerttheorie - RGSt 47 S. 147. - Diese Entscheidung ist evident unrichtig, denn da der „Verkauf der Bretter die Besitzsituation überhaupt nicht verändert hatte, läge hier eine Zueignung vor der Wegnahme vor. Allein die Sachsubstanztheorie eröffnet hier die Möglichkeit der Annahme einer Zueignung, wenn man das Ansichnehmen der Bretter durch den gutgläubigen Κ dem Α als Zueignung in mittelbarer Täterschaft zurechnet 69 77 ff) Α hat dem X einen Füllfederhalter gestohlen, um ihn Β zu schenken. Das macht er anschließend auch. 1. Alternative: Β hält den Α für den Eigentümer. 2. Alternative: Β weiß, dass Α den Füllfederhalter dem X gestohlen hat. Ergebnis·. 1. Alternative: Α hat sich den Füllfederhalter zugeeignet. 2. Alternative: Wie in der 1. Alternative; Β hingegen begeht eine Hehlerei.
64
Vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 21 Rdn. 99 in Verb. m. Rdn. 93 ff.
65
Vgl. BGH wistra 1987 S. 253 mit Anm. OTTO JK 88, StGB § 242/12; BGH NStZ-RR 1997 S. 297 f.
66
Dazu auch KINDHÄUSER Geerds-FS, S. 666; DERS. NK, § 242 Rdn. 94 ff; OTTO Struktur, S. 269 ff; ROXIN Tatherrschaft, S. 339 ff; RUDOLPHI GA 1965 S. 51; TENCKHOFF JUS 1980 S. 726; WOLFSLAST
NStZ 1994 S. 544. 67
Vgl. BGH NStZ 1995 S. 131 mit Anm. BROCKER wistra 1995 S. 292 ff, HÄUF DRiZ 1995 S. 144 ff, SCHROEDER JR 1995 S. 95 ff; BGH NStZ 1995 S. 442.
68
Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 43.
69
Eingehender dazu OTTO Struktur, S. 268 f.
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Diebstahl
§40
4. Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen Die Absicht des Täters muss darauf gerichtet sein, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen, 78 d.h. unter Umständen, die die Zueignung zu einer rechtswidrigen machen. Nun ist in Fällen, in denen der Täter einen Anspruch auf die weggenommene Sache hat - z.B. Α hat von Β ein Schmuckstück gekauft, Β übereignet dieses aber nicht -, die eigenmächtige Wegnahme der Sache sicher rechtswidrig, soweit nicht das Selbsthilferecht nach §229 BGB eingreift. Fraglich ist dennoch, ob diese „unerlaubte Selbsthilfe" den Täter bereits zum Täter eines Vermögensdelikts macht. Denn ausschließlich vermögensrechtlich, d.h. hier wirtschaftlich betrachtet, hat der Täter genau die Vermögenslage hergestellt, auf die er nach der Rechtslage einen Anspruch hatte, auch wenn der Weg rechtswidrig war. Vorzuwerfen ist diesem Täter daher die Art seines Vorgehens, die eingetretene Vermögenslage kann hingegen nicht als rechtswidriger Zustand angesehen werden. Damit aber liegt der Vorwurf gegen den Täter nicht darin, durch Entziehung von Vermögen eine rechtswidrige Vermögenslage geschaffen, sondern darin, einen auch von der Rechtsordnung gewünschten Zustand auf einem von der Rechtsordnung nicht gebilligten Weg herbeigeführt zu haben. Derartige Verhaltensweisen waren im gemeinen Recht als „unerlaubte Selbsthilfe" unter Strafe gestellt. Der Gesetzgeber des Reichsstrafgesetzbuches hielt einen eigenen Tatbestand nicht mehr für sinnvoll, da im Falle gravierender Rechtsverletzungen die §§ 123, 240, 223 hinreichenden Rechtsschutz gewährten. - An dieser Grundentscheidung des Gesetzgebers ist auch heute noch festzuhalten: die Rechtswidrigkeit der Zueignung ist streng von der angestrebten Vermögenslage her zu bestimmen, die Art und Weise des Vorgehens selbst bleibt bei diesem Wertungsvorgang unbeachtet. Die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung ist damit ein unmittelbar auf die Zueignung und damit ausschließlich auf die erstrebte Vermögenslage bezogenes Tatbestandsmerkmal70 a) Die Rechtswidrigkeit der Zueignung entfällt demgemäss nach h.M., wenn der Täter ei- 79 nen fälligen Anspruch auf Übereignung der weggenommenen Sache hat (Speziesschuld). RGSt 64 S. 210: Α hatte vom Forstamt bestimmte Eichenstämme gekauft. Zwei Raten hatte er bezahlt, mit dem Restkaufpreis aufgerechnet, als er die Stämme abfahren ließ, ohne dass diese ihm zuvor vom Forstamt übereignet worden waren. RGSt 64 S. 213: Α eignet sich die Stämme nicht rechtswidrig zu, sondern verwirklicht lediglich seinen Rechtsanspruch auf Übereignung der Stämme. „Die Rechtswidrigkeit in diesem Sinne muß in einem vom Recht missbilligten Widerspruch gerade zu dem Eigentumsrechte des Verletzten (mit der rechtlichen Eigentumsordnung) stehen. Hat der Wegnehmende aber einen fälligen und unbeschränkten Anspruch auf Obereignung einer bestimmten Sache, so schafft die Verwirklichung dieses Anspruchs durch Wegnahme und Aneignung der Sache - anders als wenn die Wegnahme einer Sache zu dem Zwecke erfolgt, sich damit wegen einer Geldforderung bezahlt zu machen - nur den vom Rechte gewollten Zustand. Darauf, ob der Täter dabei in berechtigter Selbsthilfe handelt, kommt es nicht an, da der Mangel des Rechts zur Selbsthilfe nur die Besitzentziehung, nicht aber die dem Recht gerade entsprechende Zueignung rechtswidrig machen kann."
b) Gleichfalls fehlt es an der Absicht rechtswidriger Zueignung, wenn der Täter überzeugt 80 ist, einen Anspruch auf die konkrete Sache zu haben, der in Wirklichkeit nicht besteht. Das
70
So auch BGH GA 1962 S. 144 f; BGH GA 1968 S. 121; BGH wistra 1987 S. 136; BGH StV 1988 S. 529; B G H N J W 1990 S. 2 8 3 2 ; ESERIV, N r . 4 A 17 ff; GROPP Weber-FS, S. 132; KREY/HELLMANN
B.T.2, Rdn. 92; KÖPER Gössel-FS, S. 441; LACKNER/KÜHL §242 Rdn. 27 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, §33 Rdn. 56; OTTO Struktur, S.212 f; Ruß LK, §242 Rdn. 68;SCHMIDHÄUSER Bruns-FS, S. 359; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2 Rdn. 4 9 ; WARDA Jura 1979 S. 77. A . A . HIRSCH J Z 1963 S. 149; SCHMITZ M K , § 2 4 2 Rdn. 142; WELZELLb., § 47, 3.
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§40
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
folgt daraus, dass es sich bei der Absicht rechtswidriger Zueignung um ein subjektives Tatbestandsmerkmal handelt. 71 81 c) Bei Sachen, die der Gattung nach geschuldet werden, soll hingegen nach h.M. die Zueignung der geschuldeten Menge rechtswidrig sein, da der Anspruch des Täters nicht auf die konkret weggenommene Gattungssache geht. - Diese Unterscheidung ist aber dann, wenn der Sachverhalt von seiner vermögensrechtlichen, wirtschaftlichen Seite her gesehen wird, sachwidrig, denn ein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Sache wird auch hier nicht verletzt. Bei der Gattungsschuld kann das Wahlrecht nur deshalb vom Gesetzgeber dem Schuldner überlassen bleiben, weil der Gesetzgeber nicht bereit ist, einen relevanten wirtschaftlichen Unterschied zwischen den einzelnen Stücken anzuerkennen. Im übrigen aber spielt diese Schuld heute im Wirtschaftsleben eine Rolle bei industriellen Serienprodukten und beschränkten Vorratsschulden. Hier ist es offensichtlich, dass das Wahlrecht dem Schuldner keine wirtschaftlichen Vorteile zu bringen vermag. - Dann aber ist es nur konsequent und sachgerecht, die Rechtswidrigkeit der Zueignung immer dann abzulehnen, wenn der Täter einen Anspruch auf die zugeeignete Sache hat, gleichgültig, ob im Rahmen einer Spezies-, Gattungs- oder Geldschuld. In dieser Situation wird kein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Sache verletzt. 82
Fall: Α hat bei Β 10 Zentner Koks einer bestimmten Größenordnung gekauft und bezahlt. Trotz Mahnung liefert Β nicht. Eines Nachts erscheint Α und entwendet 10 Zentner Koks der vereinbarten Sorte. Dem Β teilt er mit, dass die Angelegenheit erledigt sei. Ergebnis: Die h.M. würde hier eine rechtswidrige Zueignung bejahen und allenfalls einen Tatbestandsirrtum zugestehen, falls Α der Unterschied zwischen Gattungs- und Speziesschuld unbekannt war. - Nach der hier vertretenen Auffassung fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung.
83 d) Ist eine bestimmte Geldsumme Gegenstand der Schuld, so wird auch von Anhängern der h.M. zum Teil versucht, die misslichen Konsequenzen der Bejahung der rechtswidrigen Zueignung zu vermeiden, wenn der Gläubiger sich die entsprechende Summe mit rechtswidrigen Mitteln zueignet. Argumentiert wird, der Geldschuldner schulde keine Sache, sondern eine Geldsumme. Werde ihm daher die geschuldete Summe weggenommen, so werde ihm entzogen, was er schulde. 72 84 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden, denn wird Geld nicht als Sache, sondern als eine von einer Sache verschiedene Summe geschuldet, so fällt die Wegnahme von Geld nicht unter den Tatbestand des § 242. BGHSt 17 S. 88: Der G schuldete dem Α noch mindestens DM 20,-. Eines Tages traf Α den G auf der Straße. Er forderte ihn mit den Worten: „Moos raus", zur Bezahlung seiner Zechschulden auf. G wandte sich jedoch zum Weitergehen. Α hielt den G fest, durchsuchte die Taschen G's und fand darin einen Zehnmarkschein und einen Fünfmarkschein. Beide nahm er ihm weg. BGH: Zueignung rechtswidrig, da Α keinen Anspruch auf die konkret weggenommenen Geldscheine hatte. Wenn Α sein Verhalten filr erlaubt hielt, so kann dies ein Tatbestandsirrtum gewesen sein, wenn Α davon ausging, er hätte einen Anspruch auf die konkret vorgefundenen Geldscheine.
85 Nach der hier vertretenen Ansicht fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung. Diese ist stets dann abzulehnen, wenn der Täter einen Anspruch auf die zugeeignete Sache hat, 7 1
V g l . B G H S t v 1 9 8 8 S. 5 2 6 ; B G H S t V 1 9 8 8 S. 5 2 9 ; B G H N J W 1 9 9 0 S. 2 8 3 2 ; GRIBBOHM N J W 1 9 6 8 S . 2 4 0 f ; MAIWALD Z u e i g n u n g s b e g r i f f , S . 1 5 9 f f ; OERS. Z S t W 9 1 ( 1 9 7 9 ) S. 9 5 5 ; OTTO S t r u k t u r , S . 2 1 2 .
Als obj. Tatbestandsmerkmal interpretiert „rechtswidrig": KöSCH Der Status des Merkmals „rechtswidrig" in Zueignungs- und Bereicherungsabsicht, 1999, S. 217 f. 72
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Vgl. dazu HEUBEL JuS 1984 S. 450; ROXIN H. Mayer-FS, S. 467 ff.
Schwere Fälle des Diebstahls
§41
gleichgültig ob im Rahmen einer Spezies-, Gattungs- oder Geldschuld, wenn in dieser Situation kein wirtschaftliches Interesse des Schuldners an der Bestimmung der konkret geschuldeten Leistung besteht. 73
§ 41 Schwere Fälle des Diebstahls I. Besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243 Abs. 1 1. Die Rechtsnatur des § 243 Abs. 1 § 243 Abs. 1 eröffnet fur bestimmte Diebstahlsfalle die Möglichkeit der Anwendung eines 1 höheren Strafrahmens. Es handelt sich um Strafzumessungsgründe, und zwar um Erschwerungsgründe in Form von Regelbeispielen und nicht um Qualifikationsmerkmale, denn sie enthalten keine zwingende und abschließende Regelung. 74 Das bedeutet: Trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ist der Richter nicht gezwungen, 2 den Strafrahmen des § 243 anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Tat erhebliche, fur den Täter günstige Gesichtspunkte in den Vordergrund treten lässt. Wird jedoch bei Vorliegen eines Regelbeispiels der Strafrahmen des § 243 herange- 3 zogen, so bedarf dies keiner besonderen Begründung. Darüber hinaus kann der Richter nach h.M. auf den Strafrahmen des § 243 zurückgreifen, wenn zwar kein Regelbeispiel gegeben ist, aber „das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist". 75 - Mit der Forderung nach dieser Gesamtwertung wird der Versuch des Gesetzgebers, durch Regelbeispiele einen bestimmten Unrechtstypus zu beschreiben, und zwar nicht abschließend, wohl aber typisierend beispielhaft, und dadurch die unbenannten Strafänderungsgründe stärker zu konkretisieren, zunichte gemacht. Aufgrund einer solchen Gesamtbewertung kann der Strafrahmen des § 243 eröffnet sein bei Anwendung von List durch den Täter, bei einem Vertrauensbruch durch den Täter, bei Anrichtung eines besonders großen Schadens und dann, wenn der Täter seine Stellung als Beamter ausnutzt. 7 ®
4
2. § 243 Abs. 1: Die einzelnen Regelbeispiele a) § 243 Abs. 1 Nr. 1: Einbruchs- und Nachschlüsseldiebstahl aa) Die einzelnen Merkmale des Beispiels: Oberbegriff der geschützten Räumlichkeiten ist der umschlossene Raum, das ist ein Raumgebilde, das - mindestens auch - dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden und das mit - mindestens teilweise künstlichen - Vorrichtungen umgeben ist, die das Eindringen von Unbefugten abwehren sollen. 77
7 3
V g l . GRIBBOHM N J W 1 9 6 8 S . 2 4 0 f; KLNDHÄUSER N K , § 2 4 2 R d n . 1 1 9 ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 9 8 ; M A I W A L D Z S t W 9 1 ( 1 9 7 9 ) S. 9 5 5 ; O T T O J Z 1 9 9 3 S . 5 6 4 ; R u ß L K , § 2 4 2 R d n . 6 9 .
7 4
H . M . - A . A . q u a l i f i z i e r t e T a t b e s t a n d s m e r k m a l e ; CALLIES J Z 1 9 7 5 S . 1 1 2 f f ; DERS. N J W 1 9 9 8 S . 9 2 9 f f , 9 3 5 ; JAKOBS A . T . , 2 . A u f l . 1 9 9 1 , 6 / 9 9 .
75
BGHSt 29 S. 322.
7 6
V g l . d a z u B G H S t 2 9 S . 3 2 2 m i t A n m . BRUNS J R 1 9 8 1 S . 3 3 5 f; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 3 R d n . 2 3 . -
Krit. zur Gesetzestechnik: ZIESCHANG Jura 1999 S. 563 f. 77
BGHSt 1 S. 164.
177
5
§41 6
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Beispiele: Bauwagen, Schiffe, abgetrennte Abteilungen eines Gebäudes (BGHSt 1 S. 158 ff); umzäunte Friedhöfe bei Nacht (BGH NJW 1954 S. 1897); von Gartenhecke oder Umzäunung, die Unbefugte fernhalten soll, umgebenes Grundstück (BGH NStZ 1983 S. 168; BGH StV 1984 S. 204); Untergrundbahnhöfe (OGHSt 3 S. 113 f); Bahnhofshallen mit durchgehenden Gleisen (RGSt 55 S. 154); umzäunter Lagerplatz (BGH StV 2000 S. 310 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 243/4). Begrifflich sind auch Wohnungen umschlossene Räume. Den „Wohnungseinbruch" hat das 6. StrRG jedoch als qualifizierten Diebstahlsfall in § 244 Abs. 1 Nr. 3 erfasst. Nicht hingegen: Öffentliche Fernsprechzellen (OLG Hamburg NJW 1962 S. 1453), umzäunte Viehweide, da Zaun in erster Linie ein Ausbrechen des Viehs verhindern soll (OLG Bremen JR 1951 S. 88).
7
Das Gebäude ist ein durch Wände und Dach begrenztes, mit dem Erdboden fest - wenn auch nur durch die eigene Schwere - verbundenes Bauwerk, das den Eintritt von Menschen gestattet und das Unbefugte abhalten soll. 78 Beispiele: Häuser, Baracken, Baubuden.
8
Dienst- oder Geschäftsräume sind die den Dienst- oder Geschäftszwecken dienenden Räume. 9 Einbrechen ist jedes gewaltsame Öffnen der Umschließung eines Raumes von außen. Es erfordert daher eine nicht ganz unerhebliche Kraftentfaltung. - Nicht erforderlich ist, dass der Täter in den Raum eintritt, um dann zu stehlen. Es genügt, dass der Täter in den Raum hineinlangt, um zu stehlen, oder einen umschlossenen Raum (z.B. Pkw) aufbricht, um ihn wegzunehmen. 10 Einsteigen ist das Betreten eines Raumes auf nicht ordnungsgemäßem Wege unter Überwindung von Hindernissen und unter Entfaltung einer gewissen Geschicklichkeit oder Kraft. 79 Der Täter muss nicht mit dem ganzen Körper eingedrungen sein, es genügt, dass er sich innerhalb des geschützten Raumes einen festen Stützpunkt verschafft hat. Beispiele: Durchzwängen durch Lüftungsschacht, Übersteigen einer Umfriedung, Einsteigen durch ein Fenster, selbst wenn dies auch vom Berechtigten als Zugang benutzt wird, weil die Tür kaputt ist (RGSt 59 S. 171). - Durchzwängen oder Durchkriechen durch eine Hecke (BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810).
11 Falscher Schlüssel ist jeder Schlüssel, der vom Berechtigten nicht oder nicht mehr zur Öffnung des Verschlusses bestimmt ist. 80 Der Wille, dass andere Personen den Schlüssel nicht benutzen sollen, 81 oder der bloße Verlust macht den richtigen Schlüssel noch nicht zum „falschen". Er wird es erst dadurch, dass ihm der Berechtigte die Bestimmung zur ordnungsgemäßen Öffnung entzieht. - Dies kann konkludent geschehen, z.B. durch Beschaffung eines neuen Schlüssels, kann aber auch bei Kenntnis des Diebstahls als Regelfall unterstellt werden. 82 12 Andere zur ordnungsgemäßen Öffnung nicht bestimmte Werkzeuge sind Geräte, die ordnungswidrig auf den Mechanismus des Schlosses wirken. Beispiele: Dietrich, Haken u.ä. - Nicht hingegen: Brechstange, da sie gewaltsam das Schloss sprengt.
13 Sich verborgen halten ist ein Aufhalten unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen gegen Entdeckimg zum Zwecke der Tatausfuhrung. Gleichgültig ist, ob der Täter legal oder ille78 7 9
BGHSt 1 S. 163. V g l . B G H S t 14 S . 1 9 8 , 2 0 0 ; KINDHÄUSER B . T . II, § 3 R d n . 12; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n .
105;
KÜPER B . T . , S . 1 2 2 f; LACKNER/KÜHL § 2 4 3 R d n . 11; MITSCH B . T . I I / 2 , § 1 R d n . 1 9 2 ; R u ß L K , § 2 4 3 Rdn. 80 81 82
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12; SCHMITZ M K ,
§ 2 4 3 R d n . 2 2 ; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 4 3 R d n . 6 ;
B.T./2, Rdn. 216. Vgl. BGH StV 1993 S. 422; KG StV 2004 S. 544 f. Vgl. dazu BGH StV 1998 S. 204. BGHSt 21 S. 190.
WESSELS/HILLENKAMP
Schwere Fälle des Diebstahls
§41
gal in die Räume gelangt ist; maßgeblich ist allein, dass sein Aufenthalt zur Tatzeit rechtswidrig ist. Beispiel: Der Kunde Κ versteckt sich unter einem Tisch im Warenhaus und lässt sich nach Geschäftsschluss einschließen, um nachts in aller Ruhe zu stehlen.
bb) Der Täter muss bei der Überwindung der Gewahrsamssicherung zur Ausführung der 14 Tat gehandelt haben. - Ein nachträglicher Entschluss, einen Diebstahl zu begehen, genügt nicht. Fall: Α steigt in das Haus des Β ein, um diesen zu verprügeln. Als er sieht, dass Β abwesend ist, entwendet er ein Gemälde. Ergebnis: § 243 Abs. 1 Nr. 1 findet keine Anwendung.
cc) Nicht erforderlich ist es, dass aus dem Raum, in den der Täter eingedrungen ist, ge- 15 stöhlen wird. Es genügt, dass er mit seiner Tathandlung eine Gewahrsamssicherung in bezug auf das Tatobjekt überwunden hat. Beispiele: Aufbrechen eines Pkw, um diesen zu stehlen; Einbruch in einen Raum, um aus diesem den Schlüssel für den Raum, aus dem gestohlen werden soll, zu holen.
dd) Nach h.M. soll auch derjenige, der an sich zum Aufenthalt in dem umschlossenen 16 Raum oder Gebäude berechtigt ist, die Begehungsform der Nr. 1 verwirklichen können. 83 Dem ist nicht zuzustimmen, wenn der Täter sich auch ohne weiteres den Zugang auf ordnungsgemäße Weise hätte verschaffen können. Denn dann dient „sein Einbruch" nicht der Überwindung einer Gewahrsamsschranke, sondern allein zur Ablenkung des Verdachts, b) § 243 Abs. 1 Nr. 2: Diebstahl besonders gesicherter Sachen aa) Schutzvorrichtungen sind technisch geschaffene Einrichtungen, die dazu geeignet und \η bestimmt sind, die Wegnahme einer Sache erheblich zu erschweren. Beispiele: Schlösser, insbes. Lenkrad- und Fahrradschlösser. - Str.: Geldherausgabevorrichtung eines Geldspielautomaten (vgl. BayObLG JR 1982, S. 292 mit Anm. MEURER S. 292 ff). Nicht hingegen: Sicherungsetikett im Kleidungsstück, da es die Ware nicht gegen den Gewahrsamsbruch, sondern gegen die Entfernung aus dem Laden sichert (OLG Frankfurt MDR 1993 S. 671; OLG Düsseldorf StV 1998 S. 204). Die in Nr. 1 genannten Gewahrsamsvorrichtungen kommen als Schutzvorrichtungen der Nr. 2 nicht in Betracht. Insoweit ist Nr. 1 als Spezialfall der Nr. 2 anzusehen. 84
bb) Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen dienendes und sie umschließendes Raum- 18 gebilde, das nicht dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden. 85 Beispiele: Schränke, Kassetten, Registrierkassen, Kofferraum eines Pkw. - Maßgeblich: die erhöhte Gewahrsamssicherung. - Kein Behältnis in diesem Sinne daher: Briefumschlag, Hosentasche, o.ä. BGH NJW 1972 S. 167: Α nahm einen Automaten („Nussglocke") aus einer Gaststätte mit, um sich zu Hause in aller Ruhe das Geld aus diesem herauszuholen. Dies gelang auch. BGH: §243 Abs. 1 Nr. 2 findet Anwendung. - Dagegen SCHRÖDER NJW 1972 S. 778 ff: Die den Gewahrsam des Berechtigten in erhöhtem Maße schützende Funktion ist inzwischen verlorengegangen. - Dem ist zuzustimmen: Im Machtbereich des Berechtigten war die Sicherung des Geldes durch die Umhüllung des Automaten eine besondere Gewahrsamssicherung, nicht aber außerhalb dieses Bereiches.
cc) Verschlossen ist das Behältnis, wenn sein Inhalt durch eine technische Schließ- 19 Vorrichtung oder auf andere Weise, z.B. durch Verschnüren, gegen den ordnungswidrigen Zugriff von außen gesichert ist. Nach dem Sinn der Vorschrift scheidet ein ord-
83
Vgl. BGHSt 22 S. 127 mit abl. Anm. SÄCKER NJW 1968 S. 2116 f.
84
Vgl. BayObLG JR 1973 S. 507 mit Anm. SCHRÖDER S. 507 f.
85
Vgl. BGHSt 1 S. 163.
179
§41
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
nungsgemäßes Öffnen als Straferhöhungsgrund aus. Das Regelbeispiel ist daher nicht erfüllt, wenn der im Behältnis steckende Schlüssel verwendet wird oder derjenige das Behältnis öffnet, der den Schlüssel befugterweise in Besitz hat. - Gleiches gilt beim Öffnen des Behältnisses durch einen Nothebel oder eine „Geheimtaste", die den Täter bekannt ist. 86 20 dd) Gegen Wegnahme besonders gesichert erfordert einen spezifischen Schutzzweck der Vorrichtung gegen Wegnahme der gesicherten Sache. OLG Hamm N J W 1978 S. 769: mit Klebestreifen verschlossene Kartons in mit Schnur verschlossenem Postsack.
c) § 243 Abs. 1 Nr. 3: Gewerbsmäßiger Diebstahl 21 Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle verschaffen will. 87 Diese Einstellung kann schon bei der 1. Tat vorliegen. d) § 243 Abs. 1 Nr. 4: Kirchendiebstahl 22 Das Tatobjekt muss dem Gottesdienst gewidmet sein, wie z.B. der Altar, Kelche o.Ä., oder der religiösen Verehrung dienen, wie z.B. Heiligenbilder, Votivtafeln o.Ä. Nicht erfasst sind Einrichtungsgegenstände, Gesangbücher usw. e) § 243 Abs. 1 Nr. 5: Diebstahl von Sachen mit kultureller Bedeutung 23 Geschützt sind nur Gegenstände von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst usw., d.h. Objekte, deren Verlust für die betroffenen Bereiche eine erhebliche Einbuße bedeutet. - Allgemein zugänglich ist eine - öffentliche oder private - Sammlung, wenn sie fur einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zugänglich ist. Die Erhebung eines Eintrittsgeldes steht der Öffentlichkeit nicht entgegen. - Öffentlich ausgestellt sind Sachen an allgemein zugänglichen Orten. f) § 243 Abs. 1 Nr. 6: Diebstahl unter Ausnutzung der Notlage anderer 24 aa) Hilflosigkeit liegt vor, wenn das Opfer der Tat aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, sich gegen die seiner Sachherrschaft drohende Gefahr zu schützen. BayObLG JR 1973 S. 427 mit Anm. SCHRÖDER S. 427: Α besuchte seinen blinden Arbeitskollegen B. Bei diesem Besuch entwendete er Geld, das auf einem Tischchen in der Wohnung des Β lag. BayObLG: § 243 Abs. 1 Nr. 6 findet Anwendung.
25 Maßgeblich ist, ob der Täter eine Situation ausnutzt, in der das Opfer in erhöhtem Maß schutzwürdig ist. Dieses ist z.B. der Fall, wenn der Schlaf eines Kranken, nicht der Schlaf eines Gesunden zur Tat ausgenutzt wird.88
26 bb) Unglücksfall: Eine Situation, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, da ihm sonst erhebliche Gefahr an Leib und Leben droht. Beispiele: Unfall im Betrieb, Haushalt oder Verkehr (BGHSt 11 S. 135)
27 cc) Ob das Opfer der Tat die Notlage verschuldet hat, ist gleichgültig.89
86
Vgl. auch LACKNER/KÜHL § 243 Rdn. 15; SCHMITZ MK, § 243 Rdn. 35. - A.A. OLG Frankfurt NJW 1988 S. 3028; AG Freiburg NJW 1994 S. 400.
87
Dazu BGHSt 1 S. 383.
8 8
Vgl.
BGH
NStZ
1990
S. 3 8 8 ;
Ruß
LK,
§243
Rdn.
32;
SCHMITZ M K ,
SCH/SCH/ESER § 2 4 3 R d n . 39. 8 9
180
H . M . - A . A . M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1, § 3 3 R d n . 9 9 .
§ 243
Rdn.
50;
-
A.A.
Schwere Fälle des Diebstahls
§41
dd) Ausnutzen liegt vor, wenn der Täter die durch die Notlage geschaffene Gelegenheit 28 zum Diebstahl nutzt. - Die Tat braucht sich dabei nicht gegen den in Not Geratenen zu richten, Tatopfer kann z.B. auch eine Person sein, die mit Hilfsmaßnahmen beschäftigt ist. g) § 243 Abs. 1 Nr. 7: Diebstahl von Feuerwaffen Mit der Kennzeichnung des Diebstahls der hier genannten Feuerwaffen als besonders 29 schwerer Fall wollte der Gesetzgeber den Strafrechtsschutz im Vorfeld schwerer Gewaltdelikte verstärken. - Die Verallgemeinerung einer im Einzelfall durchaus möglichen Gefahr als strafschärfendes Merkmal ist jedoch wenig überzeugend. 3. Vorsatz und Irrtum im Rahmen des § 243 Abs. 1 a) Die in § 243 Abs. 1 beschriebenen straferhöhenden Umstände müssen vom Täter vor- 30 sätzlich bewirkt werden, d.h. er muss sich der objektiven Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehalts bewusst sein, § 16 analog. Beispiel: Α öffnet die Wohnung des B, um dort zu stehlen, mit einem Schlüssel, von dem er meint, er gehöre dem B. In Wirklichkeit ist es nicht der Schlüssel des B, doch ist das Schloss derart ausgeleiert, dass es sich mühelos mit dem von Α verwendeten Schlüssel öffnen lässt. Ergebnis: Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Nr. 1 nicht eröffnet.
b) Der Irrtum des Täters, ein Regelbeispiel zu verwirklichen, ersetzt dessen Vorliegen 31 nicht. Der Handlungsunwert allein eröffnet nicht den erweiterten Strafrahmen des § 243 Abs. 1. Beispiel: Α findet vor der Haustür des Β einen Dietrich. Er kommt auf die Idee, damit in das Haus des Β einzudringen und zu stehlen. - So geschieht es auch. Den Dietrich hatte jedoch Β verloren. Er diente ihm seit langem zur Öffnung der Tür. - Demnach war der Dietrich das zur ordnungsgemäßen Öffnung der Tür bestimmte Werkzeug. Dies allerdings wusste Α nicht. Ergebnis: Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Nr. 1 nicht eröffnet.
4. Versuch a) Versuch und Regelbeispiel Streitig ist die Frage, ob der Strafrahmen des § 243 Abs. 1 auch dann eröffnet ist, wenn der 32 Diebstahl selbst im Versuchsstadium steckengeblieben ist. Dabei ist zunächst danach zu unterscheiden, ob der Täter beim Versuch des Diebstahls das Regelbeispiel bereits verwirklicht hat oder nicht. BGH StV 1985 S. 103: Α wollte mit zwei Komplizen aus dem Hause des X stehlen. Mit einem Hebelwerkzeug brachen die Täter das Vorhängeschloss einer Holztür auf und gelangten auf diese Weise in das Gebäude. Zur Wegnahme von Sachen kam es allerdings nicht mehr, weil sie von der Polizei überrascht wurden. BGHSt 33 S. 370: Α und Β wollten in eine Gaststätte einbrechen. Α stand Schmiere, während Β versuchte, eines der Butzenfenster der Gaststätte mit Hilfe eines Schraubenziehers aus der Bleifassung zu stemmen. Als Β die Bleifassung gerade erst gelockert hatte, erschien die Polizei.
Ist im Falle eines erfolglos gebliebenen Diebstahlsversuchs ein Regelbeispiel objektiv und 33 subjektiv verwirklicht worden, 90 so bestehen keine Bedenken, die Regelwirkung durchgreifen zu lassen, so dass eine Bestrafung wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall, §§ 242, 22 in Verb, mit § 243 I S. 2 Nr. 1 erfolgt. 91 90
Vgl. dazu BGH StV 1985 S. 103.
9 1
V g l . z . B . : B G H S t V 1 9 8 5 S. 1 0 3 ; FABRY N J W 1 9 8 6 S . 18; GÖSSEL B . T . 2 , § 8 R d n . 6 7 ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 3 R d n . 5 5 ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 109; LACKNER/KÜHL § 4 6 R d n . 15; LAUBENTHAL J Z
181
§41
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
34
In diesem Falle kann die Strafe analog §§23 Abs. 2, 49 Abs. 1 gemildert werden, denn eine direkte Anwendung des § 23 Abs. 2 kommt nicht in Betracht, da er sich nicht auf Regelfallbeispiele bezieht. 92 35 Von der Indizwirkung des Regelbeispiels kann hingegen keine Rede sein, wenn das Regelbeispiel im Rahmen eines versuchten 93 oder vollendeten Diebstahls zwar verwirklicht werden sollte, aber nicht verwirklicht worden ist. Da der Gesetzgeber sich nicht damit begnügt hat, die Indizwirkung bereits an die geplante Erfüllung des Regelbeispiels zu knüpfen, sondern diese Wirkung an die Verwirklichung der objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Regelbeispiels gebunden hat, wäre eine Ausdehnung des gesetzlichen Anwendungsbereichs nur über §§ 22, 23 möglich. Diesem Weg steht jedoch Art. 103 Abs. 2 GG entgegen. § 23 knüpft unmittelbar an die Regelung des § 22 an, der nur auf gesetzliche Tatbestände bezogen ist, nicht aber auf Strafzumessungsgründe. Aus § 23 Abs. 1 und Abs. 2 ist daher einzig und allein zu entnehmen, dass bei einem Deliktsversuch der Strafrahmen desjenigen Tatbestandes für die Strafzumessung entscheidend ist, zu dessen Verwirklichung der Täter im Sinne des § 22 unmittelbar angesetzt hat. Zur Bedeutung außertatbestandlicher Umstände bei dem Versuch macht § 23 Abs. 1, 2 keine Aussage. Es gibt nach dem klar zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers keinen „Versuch eines Straferschwerungsgrundes". § 243 Abs. 1 wiederum ist deutlich zu entnehmen, welche Voraussetzungen - unabhängig von der Frage, ob ein Straferschwerungsgrund außerhalb der Regelbeispiele aufgrund der Gesamtwürdigung von Tat und Täter vorliegt - erfüllt sein müssen, damit der Strafrahmen des § 243 eröffnet ist. Hätte der Gesetzgeber sich hier mit einem Handlungsunwert begnügen wollen, so hätte er dieses zum Ausdruck bringen müssen. Aus der früheren Fassung des § 243 ist jedenfalls kein Gegenargument herzuleiten, denn in dieser Fassung enthielt § 243 qualifizierte Diebstahlsfälle, so dass die Versuchsregeln sich selbstverständlich auch auf § 243 erstreckten. Dieser Bezug ist durch die Umwandlung des § 243 in einen bloßen Strafzumessungsgrund aufgehoben worden. Nunmehr setzt die Anwendung des § 243 - soweit ein Regelbeispiel in Betracht kommt - voraus, dass dieses Beispiel subjektiv und objektiv erfüllt ist. 94
1 9 8 7 S. 1 0 6 8 ff; MlTSCH B . T . II/2, § 1 R d n . 1 7 9 ; RENGIER B . T . I, § 3 R d n . 2 9 ; R u ß L K , § 2 4 3 R d n . 3 6 ; SCHMITZ M K , § 2 4 3 Rdn. 8 3 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 3 Rdn. 4 4 ; STERNBERG-LIEBEN Jura 1 9 8 6 S. 1 8 4 ff; TRÖNDLE/FlSCHER § 4 6 R d n . 1 0 3 ; WESSELS L a c k n e r - F S , S. 4 3 0 . - A . A . ARZT S t V 1 9 8 5 S. 1 0 5 ; C A L L I E S J Z 1 9 7 5 S. 1 1 2 ff. 92
Für die direkte Anwendung der §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1: BGH MDR 1986 S. 250; OLG Köln Μ DR
93
Vgl. dazu BGH St 33 S. 376.
94
So auch BGH (5. Strafsenat) NStZ-RR 1997 S. 442 mit Anm. GRAUL JuS 1999 S. 852 ff, 856 f, OTTO JK 98, StGB § 22/19 (zu § 176 I, III); im übrigen vgl. BayObLG NJW 1980 S. 2207; OLG Stuttgart NStZ 1981 S. 222; OLG Düsseldorf JZ 1984 S. 1000; GÖSSEL B.T.2, § 8 Rdn. 69; HOHMANN/SANDER
1 9 7 3 S . 7 7 9 ; WESSELS L a c k n e r - F S , S. 4 3 0 .
B . T . I, § 1 R d n . 1 7 6 ; KADEL JR 1 9 8 5 S. 3 8 6 f; KREY/HELLMANN B . T . 2 , Rdn. 1 1 0 ; LACKNER/KÜHL § 4 6 R d n . 15; LIEBEN N S t Z 1 9 8 4 S. 5 3 8 f; MlTSCH B . T . II/2, § 1 R d n . 1 8 0 ; OTTO Jura 1 9 8 9 S. 2 0 1 f; RENGIER B . T . I, § 3 Rdn. 3 0 f; R. SCHMITT T r ö n d l e - F S ,
S. 3 1 5 ; SCHMITZ M K , § 2 4 3
Rdn.
84;
SCH/SCH/ESER § 2 4 3 R d n . 4 4 ; STERNBERG-LIEBEN Jura 1 9 8 6 S . 1 8 7 f; WESSELS L a c k n e r - F S , S . 4 3 3 ff;
WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 207; ZIESCHANG Jura 1999 S. 565 f. - A.A. BGHSt 33 S. 370; BayObLG NStZ 1997 S. 4 4 2 mit Anm. SANDER/MAL-KOWSKI NStZ 1999 S. 36, WOLTERS JR 1999 S. 3 7 ff; FABRY N J W 1 9 8 6 S. 18 ff; HOYER S K II, § 2 4 3 R d n . 5 4 ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 3 R d n . 5 8 ff; KÜPER JZ 1 9 8 6 S. 5 1 8 ; LAUBENTHAL JZ 1 9 8 7 S. 1 0 6 9 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 3 R d n . 1 0 7 ; REICHENBACH Jura 2 0 0 4 S. 2 6 5 ff; SCHÄFER JR 1 9 8 6 S. 5 2 2 f; ZIPF JR 1 9 8 1 S . 1 1 9 ff.
182
Schwere Fälle des Diebstahls
§41
cc) Ist bei einem zur Vollendung gelangten Diebstahl die beabsichtigte Verwirklichung des 36 Regelbeispiels im Versuchsstadium steckengeblieben, so ist gleichfalls der Strafrahmen des § 243 nicht eröffnet. 95 Beispiel: A, der versucht mit einem Brecheisen in das Haus des Β zu gelangen, erkennt plötzlich, dass die Tür gar nicht abgeschlossen ist. Er betritt das Haus und entwendet eine Uhr. Ergebnis: Bestrafung nur nach § 242.
b) Problematik des Versuchsbeginns In der Regel wird eine unmittelbare Gefahrdung des Gewahrsams an der für den Diebstahl 37 in Aussicht genommenen Sache und damit ein Ansetzen zur Verwirklichung des Diebstahlstatbestandes schon mit der Erfüllung eines Regelbeispiels vorliegen. Das muss aber nicht zwingend der Fall sein, sondern ist jeweils im Einzelfall darzulegen. Ein unmittelbares Ansetzen trotz Verwirklichung des Regelbeispiels wird etwa dann nicht zu bejahen sein, wenn der Täter die Gewahrsamsschranke nur beseitigen und in einem späteren Zeitpunkt die Wegnahme verwirklichen will. 96 Beispiel: Α zerstört mit einem Brecheisen den Schließmechanismus des Garagentors des B. In der nächsten Woche, wenn Β einen neuen Wagen geliefert erhalten hat, will er diesen wegnehmen. Ergebnis: Sachbeschädigung vollendet, Diebstahl erst vorbereitet.
5. Konkurrenzen a) Hat der Täter mehrere Regelbeispiele des § 243 erfüllt, so liegt dennoch nur ein Dieb- 38 stahl unter besonders schweren Umständen vor. b) Bei den Regelbeispielen „Einbrechen" und „Einsteigen" wird ein evtl. verübter Haus- 39 friedensbruch oder eine Sachbeschädigung konsumiert, und zwar selbst dann, wenn der Diebstahl nur bis zum Versuch gediehen ist. Einer Verurteilung nach §§ 123, 303 bedarf es nicht, da der Unrechtsgehalt des Hausfriedensbruchs oder der Sachbeschädigung typischerweise bei der Verwirklichung dieser Tatalternativen gegeben ist und daher bereits in der Strafe gemäß § 243 berücksichtigt wird. 97 6. Urteilstenor In den Urteilstenor gehört die Kennzeichnung der Tat als „besonders schwerer Fall" nicht, 40 denn dieser hat nur die rechtliche Bezeichnung der Tat anzugeben, § 260 Abs. 4 S. 1 StPO. Während der BGH jedoch im Falle der Verurteilung Jugendlicher die Anführung des „besonders schweren Falles" im Urteilstenor beanstandet, korrigiert er im Erwachsenenstrafrecht diesen auch dort fur überflüssig gehaltenen Hinweis nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen.
II. § 243 Abs. 2: Ausschluss der Strafschärfung 1. Geringwertig a) § 243 Abs. 2 stellt eine unwiderlegbare Vermutung dafür auf, dass in den Fällen des 41 95 96 97
Vgl. BayObLG JR 1981 S. 118; K Ü P E R JZ 1986 S. 525; S T E R N B E R G - L I E B E N Jura 1986 S. 187 f. Vgl. ARZT JuS 1972 S. 517; STREE Peters-FS, S. 180 ff; WESSELS Maurach-FS, S. 305 f. Dazu KG JR 1 9 7 9 S . 2 4 9 mit Anm. G E E R D S S. 2 5 0 ff. - A.A. BGH NJW 2 0 0 1 S . 1 5 0 mit Anm. G E P P E R T J K 0 2 , StGB § 2 4 3 / 5 , K A R G L / R Ü D I G E R NStZ 2 0 0 2 S. 2 0 2 f, R E N G I E R JuS 2 0 0 2 S. 8 5 0 ff, STERNBERG/LLEBEN J Z 2 0 0 2 S. 5 1 4 ff.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§41
§ 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1-6 ein besonders schwerer Fall nicht vorliegt, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht. - Nach seinem Wortlaut gilt Abs. 2 nur fur die Nr. 1 - 6 , nicht fur die „ungeregelten" schwereren Fälle. Nach seiner ratio ist er aber auch auf diese Fälle anzuwenden. 98 42 Der Begriff scheint auf den Verkehrswert zu verweisen und wäre, so interpretiert, durchaus abgrenzbar. Allein diese Interpretation kann im Rahmen eines Delikts, das sogar Sachen ohne Handelswert schützt, nicht richtig sein, zumal wenn man der Ansicht folgt, dass das Unrecht der Wegnahme einer Sache ohne Verkehrswert durchaus größer sein kann als das der Wegnahme einer Sache von hohem Geldwert. Überdies kann z.B. in den Fällen des Abs. 1 Nr. 4 und 5 der Verkehrswert keine Rolle spielen, denn gerade die dort genannten Gegenstände können einen minimalen Verkehrs-, wohl aber einen hohen Gebrauchs· oder Affektikonswert haben. 43 Um aber überhaupt einmal einen Ausgangspunkt für die Argumentation zu gewinnen, ist vom Verkehrswert der Sache auszugehen. Erst wenn feststeht, dass die Sache keinen oder nur einen geringen Verkehrswert hat, ist zu fragen, ob sie unter sonstigen schutzwürdigen Aspekten als wertvoll für das Opfer angesehen werden kann. - Wann der Verkehrswert noch als geringwertig anzusehen ist, kann nicht ein für alle Mal bestimmt werden. Änderungen des Preisgefüges sind zu berücksichtigen. Geringwertig derzeit: Verkehrswert unter € 50,-.99
44 b) Entscheidend dafür, ob sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht, ist nicht nur der objektive Wert der weggenommenen Sache - sonst wäre § 243 Abs. 1 z.B. stets ausgeschlossen, wenn der Täter nichts wegnimmt, weil er entgegen seiner Vorstellung nichts findet -, sondern auch die Vorstellung des Täters. Nur wenn die als Gegenstand des Diebstahls ins Auge gefasste Sache objektiv geringwertig ist und der Täter auch von dem geringen Wert ausgeht, findet § 243 Abs. 2 Anwendimg. Auf diese Weise kommt es zu einem vertretbaren Ausgleich zwischen den Interessen des Täters und denen des Geschädigten. 45
Beispiel 1: Α entwendet eine Vase, die er für geringwertig hält, die aber einen Wert von € 1000,- hat. Ergebnis: § 243 Abs. 2 greift nicht ein, denn objektiv war die Vase nicht geringwertig. Beispiel 2: Α entwendet eine Vase, die er für hochwertig hält, die aber nur einen Wert von € 2,- hat. Ergebnis: § 243 Abs. 2 greift nicht ein, doch kann in diese Situation auf Grund einer Gesamtweitung von Tat und Täter u.U. ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen sein.'®' Beispiel 3: BGH NStZ 1987 S. 71: Α hatte die verschlossene Tür eines Kfz aufgebrochen, um Sachen zu stehlen. Er fand nur geringwertige Sachen. BGH: Die Tat bezog sich nicht auf eine geringwertige Sache. ' 0 2
9 8
V g l . d a z u KÜPER N J W 1 9 9 4 S. 3 5 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 3 R d n . 4 . - A . A . JOECKS S t G B , § 2 4 3 R d n . 3; MITSCH Z S t W 111 ( 1 9 9 9 ) S. 7 3 f f ; SCHMITZ M K , § 2 4 3 R d n . 6 2 .
99
Vgl. OLG Hamm NJW 2003 S. 3145; OLG Zweibrücken StV 2000 S. 298. - A.A. OLG Oldenburg NStZ - RR 2005 S. 111: € 30,-
100
V g l . a u c h KÖPER B . T . , S. 156; LACKNER/KÜHL § 2 4 3 R d n . 5; R u ß L K , § 2 4 3 R d n . 4 1 . - A . A . KINDHÄUSER N K , § 2 4 3 R d n . 7 3 ; MAURACH'/SCHROEDER/MAIWAJLD B . T . l , § 3 3 R d n . 1 0 2 ; SCHMITZ M K , §
243 Rdn. 74. 101 V g l . a u c h KÜPER N J W 1 9 9 4 S. 3 5 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 3 R d n . 5; R u ß L K , § 2 4 3 R d n . 4 1 . - A . A . -
Versuchter Diebstahl in einem besonders schweren Fall -: HOYER SK II, § 243 Rdn. 49; KINDHÄUSER NK, § 243 Rdn. 73; SEELMANN JUS 1985 S. 457. - Für vollendeten einfachen Diebstahl: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.l, § 3 3 R d n . 102; SCHMITZ M K , § 2 4 3 R d n . 7 6 .
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Schwere Fälle des Diebstahls
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c) Eine analoge Anwendung des § 243 Abs. 2 auf §§ 244, 249, 250, 252 kommt wegen des 46 Ausnahmecharakters der Vorschrift nicht in Betracht. 103 2. Wegnahme mehrerer Sachen Erfolgt die Wegnahme mehrerer Sachen unter den Voraussetzungen einer natürlichen oder 47 tatbestandlichen Handlungseinheit, 104 so ist der Gesamtwert der Beute maßgeblich. - Aber auch wenn die Voraussetzungen der Handlungseinheit nicht vorliegen, aber „zwischen den einzelnen Taten ein sachlicher und situativer Zusammenhang besteht", eröffnet der BGH einen Weg, bei der Strafzumessung zu Ergebnissen zu gelangen, wie sie die nunmehr von ihm preisgegebene Konstruktion der fortgesetzten Handlung ermöglichte, indem lediglich eine niedrige Erhöhung der Einsatzstrafe vorgenommen wird. 105 3. Mittäterschaft Bei Mittäterschaft kommt es auf den Wert der gesamten vom Diebstahl erfassten Menge 48 an, nicht auf den Anteil des einzelnen Täters. - Liegt der Schaden der mittäterschaftlich begangenen Tat nämlich über der Wertgrenze, so ist dies für das Opfer keine Bagatelle mehr.
III. Diebstahl mit Waffen, Banden-, Wohnungseinbruchdiebstahl, § 244 § 244 ist ein gegenüber § 242 qualifizierter Tatbestand: die qualifizierenden Merkmale 49 sind abschließend aufgezählt. 1. § 244 Abs. 1 Nr. 1: Diebstahl mit Waffen a) Abs. 1 Nr. 1 a: Beisichfuhren von Waffen oder gefahrlichen Gegenständen 50 Nach § 244 Abs. 1 a.F. war allein das bloße Beisichfuhren von (gebrauchsbereiten) Schusswaffen beim Diebstahl qualifizierend erfasst. Das 6. StrRG hat diese Tatbestandsalternative erheblich erweitert. Nunmehr genügt das Beisichfuhren von Waffen oder von gefahrlichen Werkzeugen, Abs. 1 Nr. 1 a. aa) Waffen sind Gegenstände, die nicht nur geeignet, sondern von vornherein bestimmt 51 sind, Verletzungen beizubringen, wenn sich die von dem Gegenstand nach seiner Bauart und seiner bestimmungsgemäßen Verwendung ausgehende Gefahr realisiert. - Das sind Schusswaffen sowie andere Waffen im technischen Sinne, z.B. Hieb-, Stoß- und Stichwaffen, aber auch Handgranaten oder Schlagringe. - Zur Gefährlichkeit der Waffe vgl. unter § 46 Rdn. 33. Als Schusswaffen können auch Luftgewehre und Luftpistolen in Betracht kommen. Auch Schreckschusspistolen und Gaspistolen, bei denen der Explosionsdruck bzw. das Gas nach vorn austritt, sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung W a f f e n . 1 0 ^ 102
Dazu auch BGH N J W 1975 S. 1286 mit abl. Anm. BRAUNSTEFFER S. 1570 und mit zust. Anm. GRIBBOHM S. 2 2 1 3 .
103
So auch B G H bei Dallinger, Μ DR 1975 S. 543; SCH/SCH/ESER § 243 Rdn. 57. - A.A. BURKHARDT N J W 1975 S. 1687 f.
104
v g l . d a z u G R U N D K U R S STRAFRECHT, A . T . , § 2 3 R d n . 8 f f .
105
Vgl. B G H StV 1994 S. 370. 106 Dazu B G H (Gr. S.) 48 S. 197, 201 ff mit Anm. ERB JuS 2004 S. 653 ff, Fischer NStZ 2003 S. 569 ff, GEPPERT JK 03, StGB § 250 II Nr. 1/4; BGHSt 45 S. 250; B G H NStZ 2002 S. 31. - Nachdem das Gesetz nicht mehr eine Sc/iasswaffe fordert, überzeugt es allerdings nicht, dass es darauf ankommen soll, in welcher Richtung das Gas austritt; dazu auch KÜPER B.T., S. 418.
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§41
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
52 bb) Zum Begriff des gefährlichen Werkzeugs verweisen die Gesetzesmaterialien auf den entsprechenden Begriff in § 224. 107 - Diese Verweisung ist irreführend, denn in § 224 wird das gefahrliche Werkzeug danach bestimmt, ob es nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art der Verwendung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizufuhren; vgl. § 16 Rdn. 6 ff. Hier kommt es jedoch auf das bloße Beisichführen an und gerade nicht auf die Art eines u.U. geplanten Einsatzes. - Um nicht jeden Gegenstand, der bei einem hypothetisch gedachten Einsatz erhebliche Verletzungen herbeifuhren kann, als gefahrliches Werkzeug einordnen zu müssen, sind in der Literatur zahlreiche Versuche einer restriktiven Auslegung des Begriffs vorgeschlagen worden, wobei sich subjektivierende und objektivierende Auffassungen unterscheiden lassen. 53 Die subjektivierenden Auffassungen nehmen ein gefahrliches Werkzeug nur an, wenn der Täter den Gegenstand in der Absicht - unter dem Vorbehalt - einer gefahrlichen Verwendung bereits mit sich fuhrt. 108 - Mit dem Gesetzeswortlaut, der zwischen Beisichführen und Beisichführen in Verwendungsabsicht differenziert, ist das jedoch nicht mehr in Einklang zu bringen. Die objektivierenden Auffassungen stellen daher auf die typische, erfahrungsgemäße, nach Art des Gegenstandes naheliegende Verwendungsart als Angriffsoder Verletzungsmittel ab. 109 Gefährliche Werkzeuge sind danach Tapetenmesser oder Salzsäure (BT-Drucks. 13/9064, S. 18), zusammengeklapptes Taschenmesser (BayObLG StV 2001 S. 17), Brecheisen, aber auch ein Schraubenzieher oder ein Kfz, das zur Wegnahme eingesetzt wird, sowie sog. Scheinwaffen - dazu unter Rdn. 59 -, die als Schlagwerkzeuge Verwendung finden können, Elektroschocker und stramme Fesselung ( B G H NStZ-RR 2004 S. 169).
Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass hier im konkreten Fall erhebliche Abgrenzungsprobleme begründet sind. Das OLG Schleswig hat daher einen vermittelnden Weg eingeschlagen, indem es die notwendige restriktive Interpretation nicht beim Begriff des gefahrlichen Werkzeugs findet, sondern im Merkmal des Beisichführens: „Dieses setzt voraus, dass der Täter das gefahrliche Werkzeug bewusst gebrauchsbereit bei sich hat. Hierbei reicht das allgemeine, noch auf keinen bestimmten Zweck gerichtete Bewusstsein aus, ein funktionsbereites Werkzeug zu haben, das geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen."1 10 - Das ist durchaus ein weiterführender Vorschlag, denn die Konkretisierung im Einzelfall wird erleichtert, indem z.B. zwischen Brecheisen und großem Schraubenzieher einerseits sowie feinmechanischem Werkzeug andererseits differenziert werden kann.
107
Vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 18. 108 VGL B G H N S t Z 1999 S. 302; BayObLG N J W 1999 S. 2535; ERB JR 2001 S. 207; GEPPERT Jura 1999 S. 602; GRAUL Jura 2000 S. 205 f; GÜNTHER SK II, § 250 Rdn. 8, 11; HILGENDORF Z S t W 112 (2000) S.
813;
KÜPER
JZ
1999
S.
192;
DERS.
B.T.,
S.
435;
RENGIER
B.T.
I,
§ 4
Rdn.
24
ff;
WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 262 ff. 109
Typische, erfahrungsgemäße Verletzungseignung: DENCKER JR 1999 S. 35 f; SCHROTH N J W 1998 S. 2864; ZIESCHANG JuS 1999 S. 51 f. - Gefährlich unter den konkreten Umständen des Mitfilhrens. JÄGER JuS 2000 S. 654; JOECKS StGB § 244 Rdn. 13. - Ausschließliche Nutzung als Gewaltmittel sinnvoll: SCHLOTHAUER/SÄTTELE StV 1998 S. 505. - Keine Zweckentfremdung bei Einsatz als Gewaltmittel: HÖRNLE Jura 1998 S. 172; KREY/HELLMANN B.T.2, Rdn. 134 a. - Beschaffenheit lässt Herbeiführung von Verletzungen vermuten: HOYER SK II, § 244 Rdn. 9 ff; KINDHÄUSER N K , § 244 Rdn. 7. - Auf die gesetzlich nicht freie Verfügbarkeit des Gegenstandes stellt ab: LESCH GA 1999 S. 376. - Die allgemeine oder bestimmungsgemäße Dienlichkeit als Angriffsmittel stellt heraus. ΜAATSCH G A 2001 S. 83. In der „Waffenersatzfunktion" sehen das entscheidende Kriterium: SCHMITZ MK, § 244 Rdn. 14;
110
O L G Schleswig N S t Z 2004 S. 213 mit Anm. GEPPERT J K 04, StGB § 244 I Nr. 1 a/3, HARDTUNG StV 2004 S. 399 ff; in gleicher Richtung, aber noch zu weit: KRÜGER Jura 2002 S. 771 f.
STRENG G A 2 0 0 1 S. 3 5 9 ff; vgl. a u c h B G H N J W 2 0 0 2 S. 2 8 9 0 f.
186
§41
Schwere Fälle des Diebstahls
cc) Ein am Tatort anwesender Tatbeteiligter muss die Waffe oder das gefahrliche Werk- 54 zeug bei sich gefuhrt haben, d.h. er braucht die Waffe oder das Werkzeug nicht in der Hand gehalten zu haben, sie muss ihm jedoch derart zur Verfugung gestanden haben, dass er sich ihrer jederzeit und ohne Schwierigkeiten bedienen konnte und - das wäre nun mit dem OLG Schleswig zu ergänzen - dieses ihm auch bewusst war. Auch wenn es nicht notwendig ist, dass der Täter die Waffe oder das gefahrliche Werkzeug während des gesamten tatbestandsmäßigen Geschehens bei sich führt, so muss sie ihm doch zu irgendeinem Zeitpunkt während des Tatgeschehens - Versuch bis Vollendung - zur Verfügung stehen, d.h. sich so in seiner räumlichen Nähe befinden, dass er sich ihrer jederzeit und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann. 111 Dass der Täter dem Opfer die Waffe oder das Werkzeug vor Vollendung der Tat abgenommen hat, genügt. 1 1 2 Zum Teil wird der Zeitpunkt der materiellen Beendigung als genügend angesehen, so dass es ausreichen kann, dass sich die Waffe in dem Fluchtfahrzeug befindet, mit dem der Täter die Beute in Sicherheit bringt. 1 1 3 _ Flieht der Täter allerdings ohne Beute, so ist die Tat in dem Moment vollendet und beendet, in dem sich der Täter zur Flucht wendet. 1
55
Erforderlich ist, dass der Täter die Waffe oder das Werkzeug bei sich hat und dieses weiß. 56 Die Tatsache, dass der Täter die Waffe oder das gefahrliche Werkzeug aus beruflichen Gründen (stets) bei sich fuhrt, schließt die Anwendung des Abs. 1 Nr. 1 daher nicht aus. 1 1 5 - Bei Schusswaffen liegt auch im bloßen Beisichführen eine - erhebliche - abstrakte Gefahr fur das Opfer. Die Erfahrung hat gezeigt, dass auch der feste Entschluss des Täters, die Waffe nicht zu benutzen, keine sichere Hemmung bedeutete, wenn der Täter in einer für ihn unüberschaubaren Situation keinen anderen Ausweg sieht als die Anwendung von Gewalt. Die Art und Weise dieser Anwendung ist dann gleichsam vorgegeben. Auf das Beisichführen von gefahrlichen Werkzeugen schlechthin ist dieser Gedanke nicht übertragbar, denn gerade wenn erst die Zweckentfremdung eines Werkzeugs, z.B. eines Schraubenziehers oder einer Werkzeugkiste, dieses zum gefahrlichen Werkzeug machen kann, ist nicht gesagt, dass sich der Täter auch der Tatsache bewusst ist, ein funktionsbereites Werkzeug zur Verfügung zu haben, das geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen. Der Anwendungsbereich des Tatbestandes erfasst daher grundsätzlich unterschiedliche Situationen. 1 1 6
111
Vgl. hierzu BGHSt 31 S. 105; 43 S. 10; OLG Frankfort StV 2002 S. 121; GEPPERT Jura 1992 S. 497; HRUSCHKAJZ 1969 S. 607 ff; DERS. JZ 1983 S. 217 f; KÜHL JuS 1982 S. 191 f; SCHÜNEMANNJA 1980 S. 394.
1 1 2
V g l . B G H S t V 1 9 8 8 S . 4 2 9 m i t K l a r s t e l l u n g SALGER S t V 1 9 8 9 S . 6 6 u n d A n m . SCHOLDERER S t V
1988
S. 429 ff sowie StV 1989 S. 153; vgl. auch BGH bei Holtz, MDR 1993 S. 720; OLG Hamm StV 2001 S. 3 5 2 mit abl. A n m . KINDHÄUSER/WALLAU S. 3 5 4 . 113
BGHSt 20 S. 194, 197 mit Anm. WEBER JZ 1965 S. 417 f; BGH NStZ 1998 S. 354; Küper B.T., S. 69 f; RUß LK, § 244 Rdn. 5.
114
Vgl. dazu auch BGHSt 31 S. 105; BGH StV 1988 S. 429; SALGER StV 1989 S. 66.
115
So auch BVerfG (2. Kammer des 2. Senats) NStZ 1995 S. 76; BGHSt 30 S. 44 (Polizeibeamter im Dienst); OLG Köln NJW 1978 S. 652 f (bewaffneter Wachsoldat); GEPPERT Jura 1992 S. 498; GÜNTHER S K
II, § 2 5 0
Rdn.
1 6 ; HETTINGER G A
1982
S. 5 2 5
ff; KATZER N S t Z
1 9 8 2 S. 2 3 6
ff;
L A C K N E R / K Ü H L § 2 4 4 R d n . 3 ; M I T S C H B . T . II/2, § 1 R d n . 2 4 1 ; R u ß L K , § 2 4 4 R d n . 5 ; SCHMITZ M K , § 2 4 4 R d n . 2 5 ; SEELMANN J u S 1 9 8 5 S . 4 5 7 ; W E S S E L S / H I L L E N K A M P B . T . / 2 , R d n . 2 5 7 . - A . A . H A F T J u S 1 9 8 8 S . 3 6 4 , 3 6 8 ; H R U S C H K A N J W 1 9 7 8 S . 1 3 3 8 ; K O T Z J u S 1 9 8 2 S . 9 7 f f ; LENCKNER J R 1 9 8 2 S . 4 2 4 f f ; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S . 3 5 5 ; S O L B A C H N Z W e h r r 1 9 7 7 S . 1 6 1 f f . 116
Krit. auch HORNLE Jura 1998 S. 172.
187
§41
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
b) Abs. 1 Nr. 1 b: Beisichführen bestimmter Objekte in Verwendungsabsicht 57 Ein Werkzeug oder Mittel ist ein Gegenstand, der seiner Art und seinem Verwendungszweck nach geeignet ist, Widerstand durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. 58
Auch in diese Tatalternative muss der Täter das Werkzeug oder Mittel bei sich führen. Dies sieht der BGH außer in den oben - Rdn. 54 - beschriebenen Situationen auch dann als gegeben an, wenn der Täter dem Opfer überhaupt nicht gegenübertritt, sondern seine Drohung nur schriftlich oder mündlich übermittelt und dabei auf das Mittel verweist, das sich in seiner Herrschaftsmacht befindet.' 1 7 - Die unmittelbare, in der Tatsituation angelegte Gefahr derartige Mittel wird damit nicht mehr erfasst. 1 ' 8
59 Der Gesetzgeber wollte in dieser Alternative sog. Scheinwaffen, z.B. Attrappen einer Pistole oder ungeladene Pistolen, erfassen, die zur gewaltsamen Überwindung des Opfers eingesetzt werden sollen, ohne hierbei objektiv eine Leibes- oder Lebensgefahr zu begründen. Die Verwendung derartiger „Hilfsmittel" als qualifizierendes Diebstahlselement war im Hinblick auf § 244 Abs. 1 Nr. 2 a.F. umstritten. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die § 244 Abs. 1 Nr. 2 a.F. in diesen Fällen bejahte, stand die h.L. gegenüber. - Diese hat ihren Standpunkt nunmehr der Rechtsprechung angepasst und lässt die Bedrohung durch eine Scheinwaffe ausreichen, 119 wobei der Rechtsprechung und dem Willen des Gesetzgebers weitgehend gefolgt wird und Gegenstände, die nur die Täuschung stützen sollen, der Täter verfuge über ein Mittel, mit dem der Widerstand des Opfers überwunden werden könne - z.B. Plastikrohr oder Lippenstift, mit dem Vorhandensein einer Pistole vorgetäuscht wird -, ausgeklammert werden. 120 60 Subjektiv erfordert Nr. 1 b, dass der Täter die Absicht hat, die Waffe, das Werkzeug oder das Mittel zur Verhinderung oder Überwindung von Widerstand einzusetzen, bzw. dass er die Absicht eines anderen Tatbeteiligten, in dieser Weise vorzugehen, kennt. 2. § 244 Abs. 1 Nr. 2:
Bandendiebstahl
61 a) Bande ist eine auf ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung beruhende Verbindung mehrerer Personen, die auf geraume Zeit bei der Begehung selbständiger Taten nach §§ 242, 249 zusammenwirken wollen. - Strittig in Literatur und Rechtsprechung sind jedoch die einzelnen Voraussetzungen des Bandenbegriffs, ob nämlich schon zwei Mitglieder eine Bande bilden können und ob § 244 Abs. 1 Nr. 2 nur auf örtlich und zeitlich am Tatort mitwirkende Tatbeteiligte anzuwenden ist. 62 aa) Für eine Mindestzahl von zwei Mitgliedern spricht, dass § 244 Abs. 1 Nr. 2 Anwendung findet, wenn zwei Mitglieder einer größeren Bande die Tat ausführen. Von daher scheint es nur konsequent, bereits von einer Bande zu sprechen, wenn sich nur zwei Perso117
Vgl. BGH StV 1994 S. 656.
118
Vgl. dazu auch KELKER StV 1994 S. 657 f; OTTO Jura 1997 S. 474.
1 1 9
V g l . B G H J Z 1998 S. 7 4 0 m i t A n m . LESCH S t V 1 9 9 9 S. 9 3 f, MITSCH J u S 1 9 9 9 S. 6 4 0 ff, OTTO J K 9 9 , S t G B § 2 5 0 / 9 ; B G H S t V 1 9 9 8 S. 4 8 7 ; B G H N S t Z 1 9 9 9 S. 136. - DENCKER J R 1 9 9 9 S. 3 3 ; KUDLICH J R 1 9 9 8 S. 3 5 8 ; KÜPER B . T . , S. 4 4 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 4 R d n . 4 ; MLTSCH Z S t W 111 ( 1 9 9 9 ) S. 80; RENGIER B . T . I, § 4 R d n . 3 1 ; SANDER M K , § 2 5 0 R d n . 3 9 ; SCHMITZ M K , § 2 4 4 R d n . 2 7 ; SCHROTH N J W 1 9 9 8 S. 2 8 6 5 ; SEIER J A 1 9 9 9 S. 6 7 0 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 2 6 5 . - Z w e i f e l n d : HÖRNLE J u r a 1998 S. 174. - A . A . KINDHÄUSER B . T . II, § 4 R d n . 2 5 ff; LESCH G A 1 9 9 9 S. 3 7 1 ff.
120 VGL
dazu
BT-Drucks. 13/9064, S. 18; BGHSt 38 S. 116; BGH NStZ 1997 S. 184; KUDLICH JR 1998 S.
3 5 9 ; RENGIER B . T . I, § 4 R d n . 3 2 ff; SCHROTH N J W 1 9 9 8 S. 2 8 6 5 ; WESSELS/HILLENICAMP B . T . / 2 , R d n .
266. - Als inkonsequent lehnen diese Einschränkung ab: KLESCZEWSKI GA 2000 S. 259 ff; KÜPER B.T., S. 444 f.
188
Schwere Fälle des Diebstahls
§41
nen zusammengetan haben. 121 Wesentliches Element der Gefährlichkeit der Bande ist jedoch die Tatsache, dass deren Aktivität unabhängig vom Hinzukommen und Austreten einzelner Mitglieder besteht. Diese Situation ist beim Zusammenschluss von zwei Personen nicht gegeben. 122 bb) Nach der früheren Rechtsprechung konnte nur Täter sein, wer als Bandenmitglied mit 63 einem anderen Bandenmitglied örtlich und zeitlich am Tatort zusammenwirkte, 123 während das Schrifttum überwiegend dafür plädierte, ein Bandenmitglied auch dann als Täter zu bestrafen, wenn es bei der Ausführung des Diebstahls nicht unmittelbar mitwirkte, aber am Diebstahl täterschaftlich beteiligt war und der Diebstahl von zwei weiteren Bandenmitgliedern in örtlich zeitlichem Zusammenwirken am Tatort begangen wurde. Dem schlossen sich die BGH-Strafsenate z. T. an. 124 - Der 4. Strafsenat allerdings wollte ein Zusammenwirken von zwei Bandenmitgliedern genügen lassen, ohne dass diese örtlich und zeitlich am Tatort zusammenwirken mussten. 125 cc) Der Große Senat für Strafsachen126 entschied die Streitfragen dahin, dass der Begriff 64 der Bande den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraussetzt. Diese müssen sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstyps zu begehen. Nicht vorausgesetzt wird, dass wenigstens zwei Bandenmitglieder örtlich und zeitlich den Diebstahl zusammen begehen. Es reicht aus, wenn ein Bandenmitglied als Täter und ein anderes Bandenmitglied beim Diebstahl in irgendeiner Weise zusammenwirken. Die Wegnahmehandlung selbst kann sogar durch einen bandenfremden Täter ausgeführt werden. - Damit wird der Qualifikationsgrund des Bandendiebstahls bzw. des Bandenraubes nicht mehr in einer spezifischen Ausführungs- sondern allein in der Organisationsgefahr gesehen. Dass ein Bandenmitglied von vorn herein nur als Gehilfe tätig werden soll, hindert die Bandenmitgliedschaft nicht (BGHSt 47 S. 214 mit Anm. ERB JR 2002 S. 328 f, GEPPERT JK 02, StGB § 244 I Nr. 2/3, RATH GA 2003 S. 823 ff, TOEPEL StW 2002 S. 540 ff.
121
B G H S t 2 3 S . 2 3 9 f; 3 1 S . 2 7 f; 4 2 S . 2 5 7 f; B G H S t V 2 0 0 0 S . 2 5 9 ; 2 0 0 0 S. 3 1 1 ; A R Z T / W E B E R B . T . , §
122
Vgl. BGH (4. Strafsenat) JZ 2000 S. 627 sowie NJW 2001 S. 380; DREHER NJW 1970 S. 1802 ff;
1 4 R d n . 6 0 ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 4 R d n . 3 0 ; K Ü P E R B . T . , S . 4 3 f; SCHILD G A 1 9 8 2 S . 5 5 ff.
ENGLÄNDER JZ 2 0 0 0 S. 6 3 0 ; DERS. JR 2 0 0 1 S . 7 8 ; E R B N S t Z 1 9 9 9 S . 1 8 7 f; GEILEN Jura 1 9 7 9 S . 4 4 6 ; HOHMANN N S t Z 2 0 0 0 S . 2 5 9 ; JOECKS S t G B , § 2 4 4 R d n . 2 1 ; O T T O Jura 1 9 8 9 S . 2 0 3 ; DERS. S t V 2 0 0 0 S . 3 1 4 ; RENGIER B . T . I, § 4 R d n . 4 5 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 8 / 3 7 ; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S . 3 9 5 ; VOLK
JR 1979 S. 426 ff. - Zur kriminologischen Differenzierung bei der Zweierbande: SCHÖCH NStZ 1996 S. 166 ff. 123
Vgl. BGHSt 33 S. 50 f; BGHStV 1993 S. 132; BGH StV 1995 S. 586; BGH StV 1996 S. 545; BGH S t V 1 9 9 7 S. 2 4 7 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 9 Rdn. 3 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 4 Rdn. 8; MIEHE S t V 1 9 9 7 S. 2 4 8 .
124 Vgl. BGHSt 46 S. 120 mit Anm. ALTENHAIN Jura 2001 S. 836 ff, ERB NStZ 2001 S. 561 ff, HOHMANN NStZ 2000 S. 258 f, JOERDEN JuS 2002 S. 329 ff, OTTO StV 2000 S. 313 ff; BGH NJW 2000 S. 2907; ENGLÄNDER J R 2 0 0 1 S . 7 8 f; JOERDEN S t V 1 9 8 5 S . 3 2 9 ; K Ü P E R G A 1 9 9 7 S . 3 3 2 ff; M E Y E R J u S 1 9 8 6
S. 189; MITSCH B.T. II/2, § 1 Rdn. 261; SCHMITZ NStZ 2000 S. 477 f; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 272. 125
BGH JZ 2000 S. 627; BGH NJW 2001 S. 380; dazu ALTENHAJN ZStW 113 (2001) S. 129 ff, 144 f.
12
BGHSt 46 S. 321. - Im Einzelnen zur Entwicklung des Bandenbegriffs und zur Bedeutung der Ents c h e i d u n g d e s G r o ß e n S e n a t s . ELLBOGEN w i s t r a 2 0 0 2 S . 8 ff; K . MÜLLER G A 2 0 0 2 S . 3 1 8 ff; RISSING-
VAN SAAN in: Bemsmann/Ulsenheimer (Hrsg.), Bochumer Beiträge zu aktuellen Strafrechtsthemen, 2 0 0 3 , S . 1 3 1 ff; SOWADA S c h l ü c h t e r - G e d S , S . 3 8 3 ff.
189
§41
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
65 c) Die Bandenmitgliedschaft ist kein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28, denn sie ist kein besonderes pflichtbegründendes Merkmal. 127 3. § 244 Abs. 1 Nr. 3: Wohnungseinbruchsdiebstahl 66 Wohnungen sind die der Unterkunft von Menschen dienenden Räume, die diesen zugleich eine räumlich abgegrenzte Privat- oder Intimsphäre vermitteln. 128 - Zu den einzelnen Tathandlungen vgl. unter Rdn. 5 ff, da der Gesetzgeber den ursprünglich in § 243 Abs. 1 Nr. 1 a.F. enthaltenen Wohnungseinbruch lediglich als Qualifikationstatbestand in § 244 Abs. 1 Nr. 3 übernommen hat. - § 244 Abs. 1 Nr. 3 enthält eine Spezialregelung gegenüber § 243 Abs. 1 Nr. 1, soweit dieser beim Einbruch in eine Wohnung zugleich erfüllt ist, weil der Wohnungseinbruch sich auch als Einbruch in ein Gebäude darstellt. 4. Konkurrenzen 67 a) Zwischen einem vollendeten einfachen Diebstahl und einem versuchten Diebstahl nach § 244 ist Idealkonkurrenz möglich. Beispiel: Α und Β wollen im Hause des X stehlen. Α geht dabei davon aus, dass Β eine Pistole bei sich hat, von der er notfalls auch Gebrauch machen wird. - Nach dem Diebstahl stellt sich heraus, dass Β keine Pistole mitgenommen hatte. Ergebnis: A: §§ 242; 244 Abs. 1 Nr. 1 a, 23; 52. - B: § 242.
68 b) § 244 Abs. 1 Nr. 1 a und Nr. 1 b schließen einander aus, im Übrigen stellen die einzelnen Tatbestände des § 244 lediglich verschiedene Begehungsformen desselben Delikts dar und begründen daher keine Idealkonkurrenz.129
IV. Schwerer Bandendiebstahl, § 244 a 69 § 244 a ist ein gegenüber § 244 Abs. 1 Nr. 2 weiter qualifizierter Tatbestand. 1. Voraussetzungen des Tatbestandes 70 Der schwere Bandendiebstahl setzt einen Bandendiebstahl i. S. des § 244 Abs. 1 Nr. 2, der entweder unter den weiteren Voraussetzungen des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 - 7, mit Waffen i.S. des § 244 Abs. 1 Nr. 1 oder als Wohnungseinbruch i.S. des § 244 Abs. 1 Nr. 3 begangen wird. Für die Ausübung der Tat unter Mitwirkung eines Bandenmitglieds sind die
1 2 7
W i e h i e r ROXIN L K , § 2 8 R d n . 7 3 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 4 R d n . 2 8 ; VOGLER L a n g e - F S , S. 2 7 8 . - A . A .
BGHSt 4 S. 32; 12 S. 220; BGHZ NStZ 1996 S. 128 mit Anm. GEPPERT JK 96, StGB § 244/6; ARZT JuS 1972 S. 579; HERZBERG ZStW 88 (1976) S. 102; KREY/HELLMANN B.T.2, Rdn. 137 c; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 3 R d n . 1 2 8 ; SCHILD G A 1 9 8 2 S. 8 3 ; SCHÜNEMANN J A
1980
S. 395 f. 128
1 2 9
Dazu BGH StV 2001 S. 624; OLG Schleswig NStZ 2000 S. 479 mit Anm. HELLMICH NStZ 2001 S. 511 ff; BEHM GA 2002 S. 153 ff; SCHALL Schreiber-FS, S. 423 ff; SEIER Kohlmann-FS, S. 295 ff; SCHMITZ MK, § 243 Rdn. 17. - Allerdings ist § 244 Abs. 1 Nr. 3 auch erfüllt, wenn nach einem Einbruch in eine Wohnung aus einem angrenzenden Geschäftsraum gestohlen wird; vgl. BGH NStZ 2001 S. 533 mit Anm. GEPPERT JK 02, StGB § 244 1/1. S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 4 4 R d n . 12; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 3 R d n . 1 3 2 ; R u ß
LK, § 244 Rdn. 18. - A.A. TRÖNDLE/FLSCHER § 244 Rdn. 28 (Idealkonkurrenz). - Zur Rechtsprechung des BGH vgl. einerseits BGH NStZ 1994 S. 284, andererseits BGH NStZ 1994 S. 285.
190
Unterschlagung
§42
Tatmodalitäten des § 244 Abs. 1 Nr. 2 maßgeblich. 130 - Die Voraussetzungen der Regelbeispiele sind hier qualifizierende Tatbestandsmerkmale. 2. Konkurrenzen Zwischen einem weniger qualifizierten vollendeten Diebstahl und einem versuchten Dieb- 71 stahl nach § 244 a ist Idealkonkurrenz möglich.
§ 42 Unterschlagung Entziehung einer Sache, die dem Täter nicht gehört, aus dem Vermögen eines anderen und Bereicherung durch Zueignung dieser Sache kennzeichnen das Vermögensentziehungsdelikt.
1
I. Einfache Unterschlagung, § 246 Abs. 1 1. Das geschützte Rechtsgut Das geschützte Rechtsgut ist identisch mit dem des § 242: Die umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache.
2
2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Zu den Begriffen bewegliche Sachen, fremd vgl. oben § 40 Rdn. 3 ff. Zur Ergänzung:
3
aa) OLG Saarbrücken NJW 1976 S. 65 ff: Die Prostituierte Α vereinbarte mit G ein Entgelt von DM 30,-. G gab der Α einen Hundertmarkschein, nachdem sie die Rückzahlung von DM 70,- nach dem Verkehr zugesagt hatte. Später fasste sie jedoch den Plan, das ganze Geld zu behalten und verweigerte die Rückzahlung. OLG: Α eignete sich eine fremde Sache zu: „Der Eigentumsübergang war von der Bedingung der Rückübereignung von Geldscheinen im Werte von DM 70,- abhängig. Da Α den Differenzbetrag von DM 70,nicht zurückgezahlt hat, ist die Bedingung für ihren Eigentumserwerb an dem Hundertmarkschein nicht eingetreten .... Der Geldschein war als fremde Sache daher taugliches Objekt einer Unterschlagung."
4
bb) BGH StV 2000 S. 619: Α kaufte von Β Rauschmittel und bezahlte mit Geld, das er dem Β später wieder wegnahm. BGH: Das Geld war filr Α keine fremde Sache, da das Übereignungsgeschäft nichtig war. cc) Zu den Eigentums- bzw. Übereignungsverhältnissen beim Tanken an Selbstbedienungstankstellen vgl. oben § 40 Rdn. 12.
b) Zueignung ist ein Verhalten, mit dem der Täter zum Ausdruck bringt, dass er den Be- 5 rechtigten von der Sachherrschaft ausschließt und selbst umfassende Sachherrschaft (Eigenbesitz) über eine fremde Sache begründet, weil er diese eigenmächtig gebrauchen, d.h. wirtschaftlich nutzen will; vgl. im einzelnen dazu oben § 40 Rdn. 44 ff. Da die Zueignung demnach durch drei Elemente - Enteignung des Berechtigten, An- 6 eignung durch den Täter, Absicht wirtschaftlicher Nutzung - gekennzeichnet ist, kann sie sich weder in einem rein subjektiven noch in einem rein objektiven Geschehen erschöpfen. Es geht vielmehr darum, ob ein bestimmtes, nach außen erkennbares Verhalten des Täters bei Berücksichtigung des Tatplans - zum Ausdruck bringt, dass der Täter sich selbst oder einem Dritten die umfassende Sachherrschaftsposition anmaßt, so dass die Zueignung nach
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Dazu im Einzelnen BGH NJW 2001 S. 2266. - Grundsätzlich zu § 244 a: TOEPEL ZStW 115 (2003) S. 60 ff. 191
§42
Z w e i t e r Teil: D e l i k t e g e g e n Rechtsgüter d e s E i n z e l n e n
a u ß e n erkennbar, d.h. manifest wird.131 - § 2 4 6 a.F. setzte e i n e bereits b e s t e h e n d e B e s i t z p o s i t i o n d e s Täters an der S a c h e i m Zeitpunkt der Z u e i g n u n g voraus. D i e s e B e g r e n z u n g der Tatsituation ist durch das 6. StrRG beseitigt w o r d e n . D e n n o c h lässt sich die Z u e i g n u n g a u c h jetzt in d e n Fällen, in d e n e n der Täter das Tatobjekt bereits v o r der Z u e i g n u n g in B e sitz o d e r G e w a h r s a m hat, als A n m a ß u n g d e s E i g e n b e s i t z e s durch d e n Fremdbesitzer kennzeichnen. 7
Die Zueignungsabsicht kann sich z.B. manifestieren im Verbrauch, in der Veräußerung, im Verschenken, in der Verarbeitung, in der Vermischung von Sachen oder im Ableugnen des Besitzes. - Das bloße Unterlassen der Herausgabe einer Sache (zur Nichtrtlckgabe einer Mietsache vgl. OLG Hamm wistra 1999 S. 112 mit Anm. OTTO JK 99, StGB § 246/12) oder der Benachrichtigung des Berechtigten über den Verbleib seiner Sache reichen als Manifestation nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzukommen, die darauf schließen lassen, dass die Nichtherausgabe bzw. die Nichtanzeige gerade Ausdruck der Zueignung ist.' 3 2 . o a s Kopieren einer Diskette ist keine Zueignung der D i s k e t t e . ' "
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In d e n Fällen, in d e n e n der Täter vor der Zueignung keine B e s i t z p o s i t i o n a m Tatobjekt hat, sind Enteignungsakt durch d e n Täter und A n e i g n u n g durch diesen oder Z u e i g n u n g an einen Dritten nötig. M a ß g e b l i c h ist auch hier i n s o w e i t die Begründung einer Herrschaftsposition im Sinne der Sachsubstanztheorie; - d a z u vgl. auch § 4 0 Rdn. 4 5 - durch e i n e n „Verfügungsakt" des Täters. D i e bloße „Wertzueignung" ist nicht Z u e i g n u n g der S a c h e i.S. des § 2 4 6 . 1 3 4 D e r s c h o n aus d e m Altertum bekannte Gauner, der gutgläubigen N e u r e i c h e n das Forum roman u m verkaufte, war und ist kein Täter, der sich mit Zahlung des Kaufpreises d i e s e s zueignete oder zueignet, sondern ein Betrüger. - Zur A b g r e n z u n g der Drittzueignung v o n der Ermöglic h u n g der Z u e i g n u n g durch e i n e n Dritten vgl. unter § 4 0 Rdn. 71 ff. c) Zur
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Einübung
aa) Α hat von Β ein Gemälde geliehen. 1. Alternative: Am 1.4. beschließt er, es zu behalten und es dem Β nicht zurückzugeben. - Am 3.4. überlegt er es sich jedoch anders und ist entschlossen, sich als ordentlicher Entleiher zu gerieren. Ergebnis: Keine Zueignung: Die Absicht des A, sich selbst die umfassende Sachherrschaft anzumaßen, ist noch nicht äußerlich manifest geworden. 131
Eingehender dazu OTTO Jura 1996 S. 383 ff; im Übrigen vgl. CANTZLER JA 2001 S. 569; CHARALAMBAKIS Der Unterschlagungstatbestand de lege lata und de lege ferenda, 1985, S. 151 ff; DEGENER JZ 2001 S. 398; GEHRMANN Systematik und Grenzen der Zueignungsdelikte, 2002, S. 55; GÖSSEL B . T . 2 , § 11 R d n . 4 ; KÜPER B . T . , S. 4 6 3 ff; RUß L K , § 2 4 6 R d n . 2 0 ; SINN N S t Z 2 0 0 2 S. 6 9 . - Z u
eng ist die Begrenzung der Zueignungshandlungen auf Verbrauch, Entwertung, Veräußerung und die gesetzlichen Eigentumsübergänge durch KARGL ZStW 103 (1991) S. 136 ff, 184. - Zu weit KUDLICH JuS 2001 S. 772 (vermeintlicher mittelbarer Besitz genügt). - Die Schaffung einer Lage von gewisser Endgültigkeit fordert MAIWALD Schreiber-FS, S. 329. 132
Vgl. BGHSt 34 S. 309, 312 mit Anm. GEPPERT JK 87, StGB § 246/5; OLG Koblenz StV 1984 S. 287; O L G H a m b u r g S t V 2 0 0 1 S. 5 7 7 ; CHARALAMBAKIS U n t e r s c h l a g u n g s t a t b e s t a n d , S. 151 ff; GÖSSEL B . T . 2 , § 11 R d n . 7 f; LACKNER/KÜHL § 2 4 6 R d n . 4 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 4 R d n . 3 1 ; OTTO J Z 1985 S. 2 5 ; R u ß L K , § 2 4 6 R d n . 13; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 4 6 R d n . 7.
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BayObLG NStZ 1992 S. 284 mit Anm. JULIUS JR 1993 S. 255 f, OTTO JK 92, StGB § 246/7.
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V g l . d a z u BUSSMANN S t V 1 9 9 9 S. 6 1 5 f; CANTZLER J A 2 0 0 1 S. 5 6 9 ; JÄGER J u S 2 0 0 0 S. 1 1 6 7 f; JOECKS S t G B , § 2 4 6 R d n . 2 3 f; KINDHÄUSER B . T . II, § 6 R d n . 2 9 f f ; KUDLICH J u S 2 0 0 1 S. 7 7 2 ; KÜPER
B.T., S. 468 f; LACKNER/KÜHL § 246 Rdn. 8; MITSCH ZStW 111 (1999) S. 90; OTTO Jura 1998 S. 552; RENGIER Lenkner-FS, S. 810 f; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 293. - Enger (Besitz oder Gewahrsam erforderlich): JAHN in: Institut f. Kriminalw. und Rechtsphilos. Frankfurt a. M. (Hrsg.), Irrwege der Strafgesetzgebung, 1999, S. 214 f; KREY/HELLMANN, B.T. 2, Rdn. 165 d, f. - Für Vorteil auf Seiten des Täters bei Drittzueignung: DUTTGE/FAHNENSCHMIDT ZStW 110 (1998) S. 917 f. - Die Schaffung einer konkreten Enteignungsgefahr genügt noch nicht als Enteignung; a.A. BASAK GA 2003 S. 120; SCHULZ Lampe-FS, S. 668. 192
Unterschlagung
§42
2. Alternative: Am 5.4. bietet er das Gemälde zum Kauf dem C an. - In Wirklichkeit will er jedoch nur vor C angeben. Er ist entschlossen, den Kauf scheitern zu lassen, falls C Interesse zeigt. Ergebnis: Keine Zueignung. - Zwar könnte das Verhalten des A rein objektiv gesehen als Zueignung gewertet werden, da Α in Wirklichkeit den Β aber gar nicht aus seiner Sachherrschaftsposition entsetzen will, fehlt es bei Α an der Zueignungsabsicht. 3. Alternative: Am 8.4. bringt Α das Gemälde dem Pfandleiher P. - Er will es vor dem Verfalldatum am 20.4., nach Erhalt seines Gehaltes am 15.4., wieder zurückholen. Ergebnis: Keine Zueignung. Zwar ist die Verpfändung ein rechtswidriges Verhalten gegenüber B, doch verliert Β durch dieses Verhalten noch nicht seine umfassende Sachherrschaftsposition. Noch will Α dem Β gegenüber nur eine Fremdbesitzerposition innehaben. '35 Anm.: Hätte Α das Gemälde sicherungshalber übereignet, so hätte er es sich zugeeignet. Sicherungseigentum ist vollgültiges Eigentum. Die umfassende Sachherrschaft übt der Sicherungseigentümer aus, auch wenn ihm schuldrechtlich gewisse Schranken auferlegt sind. 4. Alternative: Am 18.4. überlegt Α es sich jedoch anders. Er will das Pfand nunmehr verfallen lassen und unternimmt nichts, um das Pfand einzulösen. Ergebnis: Jetzt liegt eine Zueignung vor. - Indem Α die letzte Möglichkeit zur Einlösung des Pfandes verstreichen ließ, verfugte er eigenmächtig über das Pfand. Der Eigentümer verlor seine Sachherrschaftsposition, da Α sich diese anmaßte, als er den Besitz verloren gehen ließ. Die Manifestation der Zueignung kann - wie im vorliegenden Fall - auch in einem pflichtwidrigen Unterlassen liegen, wenn der Täter pflichtwidrig nichts unternimmt, um dem Berechtigten seine Sachherrschaftsstellung zu erhalten, und damit über das Pfand zu eigenen Gunsten (A spart den Einlösungsbetrag) verfügt. 1 36 bb) BGHSt 24 S. 115: Der Postbeamte Α hatte einen Fehlbetrag in der Kasse. Da er fürchtete, dieser könnte entdeckt werden, legte er Geldbeträge, die mittels Zahlkarte eingezahlt wurden, zwar in die Kasse, vermerkte sie jedoch nicht in der von ihm zu führenden Einzahlungsliste, um sich so die Möglichkeit zu verschaffen, aus eigenen Mitteln den Fehlbetrag nach und nach zu erstatten.
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Ergebnis: Mit dem Hinweis, der Täter habe sich die Rechtsstellung des Eigentümers angemaßt, bejaht der BGH die Zueignung. - Dem kann nicht gefolgt werden: Die Entscheidung zeigt lediglich, wie letztlich jedes Verhalten als Zueignung interpretiert werden kann, wenn davon abgesehen wird, die einzelnen Elemente des Zueignungsbegriffs sorgfältig zu prüfen, und statt dessen mit Leerformeln, wie z.B. der „Benutzung der Sache wie ein Eigentümer", die Problematik verdeckt wird. - Selbst hatte Α nämlich in keinem Moment umfassende Sachherrschaft über das Geld begründet. Er hatte stets nur die Stellung eines Fremdbesitzers. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er nicht ordnungsgemäß mit dem Gelde umging. - Der Fall ist insofern den Fällen der Wegnahme von Dienstgegenständen ähnlich; dazu oben § 40 Rdn. 65. cc) Α hat von Β ein Buch entliehen. C sieht dieses bei Α und fragt den A, den er für den Eigentümer des Buches hält, ob dieser ihm das Buch verkaufen wolle. Α erklärt sich einverstanden; er verkauft und übereignet das Buch an C.
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Ergebnis: Mit der Einverständniserklärung, mit der Α umfassende Verfügungsmacht bekundete und auch bekunden wollte, hat Α sich das Buch zugeeignet. dd) Α hat von Β ein Buch entliehen. C sieht dieses bei Α und fragt den A, den er für den Eigentümer des Buches hält, ob dieser ihm das Buch leihen könnte. Α tut dieses. Nach 8 Tagen kommt C zu Α und bittet A, ihm das herrliche Buch zu verkaufen. Α tut dieses. Ergebnis: In der Annahme des Kaufangebots durch Α liegt die Zueignung.
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Dazu auch BGHSt 12 S. 299. Dazu auch OLG Oldenburg NJW 1952 S. 1267; M. J. SCHMID MDR 1981 S. 806 ff; SCHÜRMANN MDR 1982 S. 374 f. Dazu auch DEUBNERNJW 1971 S. 1469; MAIWALD Zueignungsbegriff, S. 115 f; SCHÖNEBORN MDR 1971 S. 811 f. - Für Gesetzeskonkurrenz mit Vorrang der Untreue: WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 289. - Nur Untreue wollen KREY/HELLMANN B.T.2, Rdn. 177, annehmen.
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§42
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
1 3 ee) BGH LM Nr. 3 zu § 246: Der Dieb D hatte Drahtrollen gestohlen und später auf einem öffentlich zugänglichen Gelände liegengelassen. Α sah diese Rollen, durchschaute das Geschehen und nahm die Drahtrollen in Besitz, um sie zu eigenen Zwecken zu verwenden. BGH: Α eignete sich die Drahtrollen zu, als er sie in Besitz nahm, um sie eigennützig zu verwenden. 14 ff) Α trifft den B. Dieser entschuldigt sich bei ihm, weil er ein - wie er genau wüsste - dem Α gehörendes Buch an C veräußert habe. Er bietet dem Α die Bezahlung des Buches an. Α nimmt großzügig dieses Angebot und das Geld an, schon deshalb, weil er dem Β niemals ein Buch geliehen hatte. Ergebnis: Da Α zu keinem Zeitpunkt reale Sachherrschaft über das Buch ausübte, lässt sich in diesem Falle nach der Sachsubstanztheorie keine Zueignung begründen. - Die Anhänger der Sachwerttheorie könnten zwar eine Zueignung des Buches durch Α konstruieren, doch erscheint es fraglich, ob sie dieses grob unangemessene Ergebnis überhaupt wollen. 15 gg) RGSt 73 S. 253: A war Verwalter eines Zementlagers einer Behörde. Eines Tages bot Α dem Η 100 Sack Zement zum Kauf an. Zu einem derartigen Verkauf war Α nicht berechtigt. RGSt 73 S. 254: „Die Unterschlagung kann sogar schon damit vollendet sein, daß der Täter die Sache einem anderen ernstlich zum Kauf anbietet. Das muß gelten, ob es sich um eine bestimmte einzelne Sache handelt oder um einen Teil einer aus vertretbaren Sachen bestehenden Sachgesamtheit, die der Menge nach bestimmt, aber von dem Reste noch nicht abgesondert ist. Denn auch in dem Angebot eines solchen Teiles einer Sachgesamtheit kommt der Wille des Anbietenden zum Ausdruck, über die Sache - und zwar über die Sachgesamtheit - wie ein Eigentümer zu verfügen." Dem kann nicht gefolgt werden: In bezug auf die Sachgesamtheit des gesamten Zementvorrats hat Α niemals umfassende Sachherrschaft ausgeübt, die 100 Sack, über die er eine derartige Herrschaft anstrebte, waren jedoch noch nicht konkretisiert. - Zueignung daher erst mit dem Aussondern der Säcke. 16 hh) BGHSt 35 S. 152: Α verschaffte sich mit der rechtswidrig erlangten codierten Eurocheque-Karte des Β und dessen Geheimzahl Geld aus einem Bankautomaten. BGH: „Wer mit einer dem Berechtigten weggenommenen codierten Scheckkarte unbefugt unter Eingabe der zugehörigen Geheimzahl einen Geldautomaten betätigt, eignet sich das vom Automaten herausgegebene, im Eigentum der Bank verbliebene Geld mit der Besitzerlangung rechtswidrig zu und hat sich daher vor dem Inkrafttreten des §263 a StGB am 1.8.1986 wegen Unterschlagung des abgehobenen Geldes nach §246 StGB strafbar gemacht." 1 3 8 Dem kann nicht gefolgt werden. In der Herausgabe des Geldes durch den Geldautomaten, der - technisch ordnungsgemäß in Betrieb gesetzt wurde, liegt eine Vermögensverfügung des Berechtigten über das Geld. Diese Verfügung schließt aber eine Besitzentziehung, wie sie die Zueignung voraussetzt, begrifflich aus. Es fehlt an der Enteignung des Berechtigten durch den Täter. Entweder hat sich nämlich der Täter den Gewahrsam an der Sache durch Enteignung des Berechtigten verschafft, oder der Gewahrsam ist ihm durch den Berechtigten übertragen worden. Jede der beiden Möglichkeiten schließt die jeweils andere a u s . j m p a u e des Bankautomatenmissbrauchs mit gefälschter Codekarte hat auch der BGH inzwischen eine Unterschlagung ausgeschlossen. 17
ii) BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 22: Dem Α waren versehentlich auf seinem Girokonto DM 900,- gutgeschrieben worden. Α hob den Betrag ab und verbrauchte ihn für sich. BGH: Da das Geld mit der Auszahlung in das Eigentum des Α überging, eignete sich Α keine fremde Sache zu. Diese Begründung überzeugt nicht. Auch hier schließt aber die Eigentumsübertragung die Zueignung i.S. des § 246 aus; vgl. dazu Rdn. 16. 138
So auch ARZT/WEBER B.T., § 15 Rdn. 16; EHRLICHER Der Bankautomatenmißbrauch - seine Erscheinungsformen und seine Bekämpfung, 1989, S. 67 ff; KINDHÄUSER NK, § 246 Rdn. 17; L A C K N E R / K Ü H L § 2 4 2 R d n . 2 3 ; RANFT w i s t r a 1 9 8 7 S . 8 2 ; DERS. J R 1 9 8 9 S . 1 6 5 f ; R U ß L K , § 2 4 6 R d n .
9. - Zur Auseinandersetzung im Übrigen vgl. OTTO Jura 1997 S. 472. 1 3 9
V g l . a u c h HUFF N J W
1 9 8 8 S . 9 8 1 ; O T T O J u r a 1 9 8 9 S . 2 0 4 ; SCHMITT-EHRLICHER J Z 1 9 8 8 S . 3 6 4 f;
SPAHN Jura 1989 S. 517 ff; THAETER wistra 1988 S. 342. 140
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BGHSt 38 S. 120, 125; dazu OTTO JZ 1993 S. 567.
Unterschlagung
§42
jj) Α unterhielt sich in einer Gastwirtschaft mit B. Als dieser ihm erzählte, er suche gerade ein Baugerüst, teilte Α ihm mit, dass ihm das Gerüst am Hause gegenüber der Gastwirtschaft gehöre und er es gerne veräußern wolle. Α und Β besichtigten das Gerüst, wurden handelseinig und Β zahlte an A 6.000.- DM. - Den A sah Β nicht wieder. Das Gerüst gehörte dem X, der sich dem Abtransport durch Β am nächsten Tage energisch widersetzte.
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Ergebnis: Α hat das Gerüst weder sich noch dem Β zugeeignet, denn der „Verkauf des Gerüsts änderte die bestehende Sachherrschaftsposition nicht.
3. Unterschlagung bei Ersatzleistung oder bei Bereitschaft zum Ersatz a) Eignet sich der Täter eine fremde Sache zu, ersetzt diese jedoch derart, dass ein an- 19 erkennenswertes wirtschaftliches Interesse des Berechtigten nicht verletzt ist, so fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Zueignung der fremden Sache, da der Täter den Vermögensstand des Berechtigten nicht zu dessen Nachteil vermindert; vgl. oben § 40 Rdn. 78 f. • Zwar nennen die Zueignungsdelikte einen Vermögensschaden als Tatbestandsvoraus- 20 setzung nicht. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass auf einen derartigen Schaden verzichtet werden kann. Auch die sog. Eigentumsdelikte sind Vermögensdelikte! Der Gesetzgeber ging jedoch davon aus, dass der Vermögensschaden selbstverständlich sei, weil er in der Entziehung der umfassenden Sachherrschaft über die Sache liege. - Gemeinhin trifft dies auch zu, nicht aber ausnahmslos.141 b) Zur Einübung aa) Der Polizeibeamte A, dem durch Dienstanweisung jede eigennützige Verwendung von Geldern aus gebührenpflichtigen Verwarnungen untersagt, sogar das bloße Wechseln von Geld verboten ist, wechselt einen eigenen Fünfzigmarkschein gegen 10 Fünfmarkstücke, die aus gebührenpflichtigen Verwarnungen herrühren, weil er sich eine Erfrischung kaufen will, der Verkäufer aber einen Fünfzigmarkschein nicht wechseln kann.
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Ergebnis: Eine Einwilligung des Berechtigten und auch eine mutmaßliche Einwilligung scheiden hier aus; dazu RGSt 5 S. 305 f. - Dennoch liegt eine Unterschlagung nicht vor, da Α die Vermögenslage des Berechtigten nicht rechtswidrig verschlechtert hat. Es fehlt die rechtswidrige Vermögensschädigung: das Geld fungiert hier nur als Wertmesser, ein wirtschaftliches Interesse an individuellen Geldscheinen besteht nicht. bb) OLG Köln NJW 1968 S. 2348: wie unter aa), aber Α entnahm den Verwarnungsgeldern DM 5,-, weil er kein Geld bei sich hatte. Das Geld wollte er am nächsten Morgen bei Dienstantritt aus eigenem Geld ersetzen, obwohl er verpflichtet war, die täglichen Einnahmen bei Dienstschluss auf der Dienststelle abzugeben.
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Das OLG hat in diesem Falle eine Untreue bejaht. Das mag hier dahinstehen. - Jedenfalls liegt in diesem Falle eine rechtswidrige Zueignung im Verbrauchen des Geldes. Α benutzt die Verwamungsgelder unerlaubt für einen Kredit. - Mag der Zeitraum auch Uberschaubar sein, so ist es doch nicht zu übersehen, dass hier auch vermögensrechtliche Interessen des Berechtigten verletzt sind. Die äußerste Grenze wäre hier der Ersatz innerhalb der vom Berechtigten gesetzten Frist bis zur Abgabe der Gelder, wenn die Ersatzbereitschaft außer Frage stand; z.B. wenn Α den fehlenden Betrag in der Dienststelle hätte ersetzen können, weil er in seiner Kleidung noch Geld gehabt hätte.
4. Zueignung nach einer Zueignung Hat der Täter durch ein Vermögensdelikt umfassende Sachherrschaft an einer fremden 23 Sache erlangt, so ist eine weitere Zueignung derselben Sache ausgeschlossen.142 - Daran
141
V g l . a u c h EBEL J Z 1 9 8 3 S. 1 7 5 ff; OTTO S t r u k t u r , S. 2 6 3 f f ; ROXIN H . M a y e r - F S , S. 4 6 9 f f ; TIEDEMANN
JuS 1970 S. 108 ff. 142
So auch BGHSt 14 S. 38 mit zust. Anm. SCHÜNEMANN JUS 1968 S. 114 fif; BGHSt 16 S. 282; GEHRMANN S y s t e m a t i k , S. 1 0 6 f f ; GÖSSEL B . T . 2 , § 11 R d n . 9 ff; KINDHÄUSER N K , § 2 4 6 R d n . 4 6 ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 1 7 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 6 R d n . 7 ; MAIWALD Z u e i g n u n g s b e g r i f l f , S. 2 6 1
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§42
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
hat die Subsidiaritätsklausel des § 246 nichts geändert, da sie voraussetzt, dass die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Auf „wiederholte" Zueignungen kann sie sich daher nicht beziehen. 143 Möglichkeiten für eine Zueignung bestehen hingegen nach wie vor, wenn der Täter selbst noch keinen Ausschluss des Berechtigten manifestiert oder durch das vorangegangene Vermögensdelikt noch nicht umfassende Sachherrschaft erlangt hat. 24
OLG Düsseldorf JZ 1985 S. 592: Α hatte sich den Pkw der Fa. F rechtswidrig zugeeignet, indem er den Besitz gegenüber F abstritt und den Pkw an einen der Fa. F nicht zugänglichen Ort verbrachte. Wiederholten Herausgabeverlangen der Fa. F kam Α nicht nach und verhinderte außerdem, dass es der Fa. F gelang, den Wagen ausfindig zu machen. OLG Düsseldorf: „Die Zueignung im Sinne des § 246 StGB besteht darin, dass der Täter die Sache dem eigenen Vermögen einverleibt, wobei diese Zueignung kein rein innerer Vorgang ist, sondern vielmehr erfordert, daß der Täter seinen Willen, die Sache zu behalten, durch eine nach außen erkennbare Handlung bestätigt. Mit der nach außen sichtbar vollzogenen Zueignungshandlung ist die Unterschlagung vollendet. Nachträgliche Äußerungen des Herrschaftswillens nach der Zueignung, wie etwa Verschweigen der unterschlagenen Sache oder deren Veräußerung stellen lediglich die Ausnutzung der zuvor durch Zueignung herbeigeführten eigentümerähnlichen Herrschaft dar." Dem ist zuzustimmen, denn wird Zueignung nicht als ein begrifflich konturenloser Vorgang interpretiert, sondern scharf umrissen als Enteignung des Berechtigten und Aneignung der umfassenden Sachherrschaftsposition durch den Täter in der Absicht, die Sache wirtschaftlich zu nutzen, so ist die Zueignung einer fremden Sache, die der Täter durch rechtswidrige Zueignung erlangt hat, ausgeschlossen. Der Täter kann nunmehr nach außen kundmachen, dass er den durch die Zueignung begründeten Zustand aufrechterhalten und nutzen will. Eine Entsetzung des Eigentümers und die Überführung der Eigentumsherrschaft auf den Täter können derartige Handlungen begriffsnotwendig jedoch nicht mehr darstellen. - Möglichkeiten für eine Zueignung bestehen hingegen nach wie vor, wenn der Täter selbst noch keinen Ausschluss des Berechtigten manifestiert oder durch das vorangegangene Vermögensdelikt noch nicht umfassende Sachherrschaft erlangt hat.
5. Bedeutung der Subsidiaritätsklausel 25 Indem § 246 schlechthin die Zueignung einer fremden beweglichen Sache erfasst, ist er der Sache nach zum Grundtatbestand aller Zueignungsdelikte geworden. Der Gesetzgeber hat diese Konsequenz zwar umgehen wollen, indem er durch Aufnahme der Subsidiaritätsklausel § 246 als „Auffangtatbestand behandelt, der alle Formen rechtswidriger Zueignung fremder beweglicher Sachen umfasst, die nicht einen mit schwererer Strafe bedrohten eigenständigen Straftatbestand ... verwirklichen".144 Dies erweist sich jedoch als gesetzgeberische Fehlleistung. Zwar ist die Frage, ob im Falle einer durch ein anderes Zueignungsdelikt verwirklichten Zueignung dieses Delikt den § 246 als lex specialis oder Qualifikation ausschließt oder ob
ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.L, § 34 Rdn. 22; OTTO Struktur, S. 106 ff, 112. - A.A. (straflose Nachtat): ARZT/WEBER B.T., § 15 Rdn. 44; BAUMANN NJW 1961 S. 1141 ff; BOCKELMANN JZ I960 S. 624; BÖRNER Die Zueignungsdogmatik der §§ 242, 246 StGB, 2004, S. 200 ff; DUTTGE/SOTELSEK Jura 2002 S. 532; MlTSCH ZStW 111 (1999) S. 92 f; SCHMIDHÄUSER Β.Τ., 8/44; SCH/SCH/ESER § 2 4 6 Rdn. 19; SEELMANN JUS 1985 S. 7 0 2 ; TENCKHOFF JuS 1984 S. 7 7 8 f. 143
DENCKER in: Dencker/Struensee/Nells/Stein (Hrsg.), Einftlhrung in das 6. StrRG 1 9 9 8 , 2 5 ; KÜPER B.T., S. 4 6 9 f; LACKNER/KÜHL § 2 4 6 Rdn. 7; MlTSCH Z S t W 111 ( 1 9 9 9 ) S. 9 2 ; RENGIER B . T . I, § 5 Rdn. 2 4 ;
TRÖNDLE/FISCHER § 246 Rdn. 15. - Diff. MURMANN NStZ 1999 S. 15 ff. 144 BT-Drucks. 13/8587, S. 43 f. - Zur grundsätzlichen Kritik der Subsidiaritätsklausel: MURRMANN NStZ 1999 S. 15 ff; OTTO Jura 1998 S. 551; WAGNER Grünwald-FS, S. 801 ff.
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Haus- und Familiendiebstahl
§43
§ 246 diesem Delikt gegenüber subsidiär ist, 145 von minderem Rang. Schlicht sachwidrig aber ist die Subsidiarität des § 246 gegenüber allen „in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedrohten Delikten". Eine Begrenzung auf Zueignungsdelikte ist mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht in Einklang zu bringen, so dass die Subsidiaritätsklausel z. B. auch gegenüber § 211 durchgreift (str.). 146
II. Veruntreuung, § 246 Abs. 2. Die Unterschlagung einer anvertrauten terschlagung dar, § 246 Abs. 2.
Sache stellt einen qualifizierten Fall der Un- 26
1. Die anvertraute Sache Anvertraut ist die Sache, wenn dem Täter der Gewahrsam mit der Maßgabe übertragen 27 wurde, dass er mit der Sache in bestimmter Weise zugunsten des Berechtigten verfahre (z.B. Leihe, Miete, Verwahrung, Kauf unter Eigentumsvorbehalt). a) Das Vertrauensverhältnis selbst braucht rechtlich nicht besonders schutzwürdig zu sein, 28 doch wird ein Vertrauensverhältnis zum Teil abgelehnt, wenn es auf sittenwidriger Grundlage beruht. - Dem ist nicht zu folgen. Vertrauen ist ein sozialer Tatbestand. Die Sittenwidrigkeit lässt daher den Vertrauensbruch nicht ohne weiteres entfallen. 147 b) Ein Anvertrauen wird darüber hinaus verneint, wenn das Verwahrungsverhältnis dem 29 „wahren Interesse" des Eigentümers widerspricht. RGSt 40 S. 222: Α hatte Stoff gestohlen. Diesen gab er dem Β in Verwahrung. Β benutzte den Stoff zu eigenen Zwecken. Ergebnis:
Keine Veruntreuung.
Dies ist, soweit keine besondere Schutzwürdigkeit des Vertrauensverhältnisses gefordert wird, inkonsequent, denn die Interessen des Eigentümers berühren das persönliche Verhältnis innerhalb des Vertrauensverhältnisses nicht. 2. Anvertrautsein „Anvertrautsein" ist ein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2, da durch 30 das Vertrauensverhältnis eine besondere Pflichtenposition begründet wird.
§ 43 Haus- und Familiendiebstahl 1. Rechtsnatur des §247 Indem der Gesetzgeber die Verfolgbarkeit des Haus- und Familiendiebstahls sowie der unter den gleichen Umständen begangenen Unterschlagung von einem Strafantrag ab145
Für Subsidiarität ζ. B. JÄGER JUS 2000 S. 1170; KÜPER B.T., S. 470; LACKNER/KÜHL § 246 Rdn. 7; MITSCH ZStW 111 (1999) S. 92; TRÖNDLE/FISCHER § 246 Rdn. 23; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 300. - Für Tatbestandsausschluss: KREY/HELLMANN B.T.2, Rdn. 173 a.
146
Vgl. dazu BGHSt 47 S. 243 mit Anm. DUTTGE/SOTELSEK N J W 2002 S. 3756 ff, CANTZLER/ZAUNER Jura 2003 S. 483 ff, FREUND/PUTZ NStZ 2003 S. 242 ff, GEPPERT JK 02, StGB § 246/13, HEGHMANNS JuS 2003 S. 954 ff, HOYER JR 2002 S. 517 f, KÜPPER JZ 2002 S. 1115 f, OTTO NStZ 2003 S. 87 f.
1 4 7
S o a u c h B G H N J W 1 9 5 4 S. 8 8 9 ; BRUNS M e z g e r - F S , S. 3 4 8 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 11 R d n . 4 0 ; KÜPER B . T . ,
S. 23 f; MAÜRACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 4 Rdn. 47; Ruß LK, § 2 4 6 Rdn. 26. - Α. A. KINDHÄUSER N K , § 2 4 6 R d n . 6 0 ; S C H / S C H / E S E R § 2 4 6 R d n . 3 0 .
197
1
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§43
hängig gemacht hat, brachte er zum Ausdruck, dass er in einem derartigen Diebstahls- oder Unterschlagungsfall nicht geringeres Unrecht oder geringere Schuld verwirklicht sieht, sondern den Erhalt der Familie und der häuslichen Gemeinschaft höher bewertet als das Interesse an der Strafverfolgung, wenn der Verletzte selbst kein Interesse an der Strafverfolgung zeigt. Das Antragserfordernis des § 247 dient daher allein der Erhaltung des Familien- bzw. Hausfriedens. Es gilt in den Fällen der §§ 242, 243, 244, 244 a, 246, 248 c nicht aber in bezug auf §§ 249 ff. - Der Strafantrag ist Prozessvoraussetzung. 2. Das Tatopfer 2 3
a) Für den Angehörigenbegriff gilt die Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 1. b) Zum Vormund vgl. §§ 1773 ff BGB. Der Gegenvormund ist nicht Vormund i.S. des § 247, denn er steht im Gegensatz zum Vormund nicht in einem engen persönlichen Verhältnis zum Mündel, sondern überwacht den Vormund nach § 1799 BGB. 148 4 c) Zum Betreuer vgl. §§ 1896 ff BGB. 5 d) Eine häusliche Gemeinschaft setzt den freien und ernstlichen Willen der Mitglieder zum Zusammenleben auf eine gewisse Dauer voraus. Am freien Willen fehlt es z.B. bei Soldaten in der Kaserne oder bei Inhaftierten in einer Justizvollzugsanstalt. - Der ernstliche Wille fehlt, wenn es dem Täter nur darauf ankommt, das Zusammenleben zu Straftaten gegen die anderen Beteiligten auszunutzen.
6
Ist die häusliche Gemeinschaft nach der Tat zerbrochen, so bedarf diese eigentlich nicht mehr des besonderen Schutzes durch den Strafgesetzgeber. Gleichwohl findet § 247 auch dann Anwendung: § 247 stellt auf das Verhältnis zur Tatzeit ab. Dieser zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers ist maßgeblich. 149
3. Der Antragsberechtigte Die in § 247 aufgeführten nahen persönlichen Beziehungen müssen zwischen dem Täter und dem Verletzten bestehen. Das ist nach den hier gesetzten Prämissen der umfassende Sachherr; vgl. dazu § 39 Rdn. 6. 8 Soweit Eigentum und Gewahrsam als geschützte Rechtsgüter des Diebstahlstatbestandes angesehen werden, wird das Antragsrecht - wenn Eigentümer und Gewahrsamsinhaber verschiedene Personen sind - beiden zugestanden. Gehört nur eine dieser Personen zu der in § 247 bezeichneten Gruppe, so soll das Privileg nicht durchgreifen, der Diebstahl vielmehr von Amts wegen verfolgbar sein. 150 9 Bei der Unterschlagung wird zum Teil auch über den Eigentümer hinaus das Antragsrecht bloß Nutzungsberechtigten zuerkannt, z.B. dem Käufer einer Sache nach Gefahrübergang. 151 7
Zur Verdeutlichung: 10
Beispiel 1: X hat dem Y eine Sache geliehen. Dort stiehlt sie A, der Sohn des X.
1 4 8
A . A . R U ß L K , § 2 4 7 R d n . 5 ; S C H / S C H / E S E R § 2 4 7 R d n . 5 ; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 4 7 R d n . 2 .
149
Vgl. OLG Hamm NJW 1986 S. 734; OLG Celle JR 1986 S. 385 mit Anm. STREE S. 386 ff; Ruß LK, § 2 4 7 Rdn. 6 .
1 5 0
V g l . GÖSSEL B . T . 2 , § 10 R d n . 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 7 B.T.L, § 3 3 R d n . 136.
151
198
Vgl. BayObLG NJW 1963 S. 1464.
Rdn. 2;
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen
§44
Verletzte nach h.M.: X und Y. § 247 findet keine Anwendung. - Verletzter nach der hier entwickelten Ansicht nur X, § 247 findet Anwendung. Beispiel 2: Wie im Beispiel 1, doch ist Α der Sohn des Y. Verletzte nach h.M.: X und Y, s.o. - Nach der hier entwickelten Ansicht: Verletzter X, daher kommt § 247 nicht in Betracht. Hinweis: Eine Ausnahme macht die h.M. nur, wenn der unmittelbare Besitzer im Zeitpunkt der Tat lediglich untergeordneten Gewahrsam hat.'
Diejenigen, die nur das Eigentum als das geschützte Rechtsgut der Zueignungsdelikte an- 11 sehen, kommen konsequenterweise zu dem Ergebnis, dass allein der Eigentümer Verletzter sein kann. Beispiel 3: Der Dieb D hat von Ε vor Jahr und Tag eine Uhr gestohlen. Eines Tages stiehlt A, der Sohn des D, diesem die Uhr. Verletzter nach der hier vertretenen Ansicht: der D; nach Ansicht derer, die das zivilrechtliche Eigentum als Rechtsgut der Zueignungsdelikte betrachten: der E.
4. Der Irrtum des Täters über das Tatopfer Da das Antragserfordernis nicht Ausfluss eines minder schweren Unrechts des Diebstahls 12 oder einer minderen Schuld des Täters ist, sondern allein dem Erhalt des Haus- und Familienfriedens zu dienen bestimmt ist, kommt es nur zum Zuge, wenn die Tat nicht über die geschützte Sphäre hinausgeht. - Maßgeblich ist daher allein die objektive Lage. a) BGHSt 23 S. 281: Α entwendete ein Armband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre seiner Ehefrau. Es gehörte jedoch X.
13
BGH: Kein Strafantrag erforderlich, da Verletzter außerhalb des „abgeschirmten Bereichs". b) Α entwendete ein Armband und versetzte es. Er nahm an, das Armband gehöre einer Bekannten seiner Ehefrau. In Wirklichkeit gehörte es der Ehefrau selbst.
14
Ergebnis: § 247 findet Anwendung.
§16 Abs. 2 kann bei einem Irrtum des Täters darüber, dass das Opfer in den Haus- oder 15 Familienbereich gehört, keine Anwendung finden, da der Täter über eine Prozessvoraussetzung irrt, nicht aber einen Umstand annimmt, der den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würde.
§ 44 Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen 1. Kriminalpolitische Zielsetzung des § 248 a Mit § 248 a, der ergänzt wird durch §§153 Abs. 1, 153 a StPO, will der Gesetzgeber das 1 Problem der Bagatellkriminalität im Bereich der Vermögensdelikte prozessual lösen: Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein, soweit nicht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vorliegt. Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 248 a nur auf die §§ 242, 246. Sachlich sind - aufgrund der Regelung der §§ 243 Abs. 2, 248 c Abs. 3 - auch §§ 243, 248 c eingeschlossen, soweit sich „die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht"; vgl. dazu oben § 41 Rdn. 41 ff. 2. Geringwertige Sachen Geringwertige Sachen sind Sachen von unbedeutendem Wert; dazu vgl. § 41 Rdn. 42 f. 152
2
Dazu BGHSt 10 S. 400 f.
199
§45
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
3. Besondere Probleme des § 248 a 3
a) Handeln in Mittäterschaft Da das Antragserfordernis die Strafverfolgung ausschließlich von der Interessenlage des Verletzten abhängig macht, dem im Falle eines geringen Schadens die Entscheidung über die Strafverfolgung anheim gegeben ist, kommt die Anwendung des § 248 a nicht in Betracht, wenn die Gesamtbeute nicht mehr geringwertig ist. Durch den - wenn auch in Mittäterschaft begangenen - Diebstahl hat der Verletzte keinen geringen, sondern einen erheblichen Schaden erlitten. Beispie): 4 Mann stehlen in Mittäterschaft in einem Zigarettenladen Zigaretten im Werte von € 200,-. Ergebnis: § 248 a findet keine Anwendung.
4
5
b) Mehrere Sachen als Tatobjekt Zum Problem der Zusammenrechnung bei der Wegnahme mehrerer Sachen im Rahmen einer Tat vgl. oben § 41 Rdn. 47. Die Ausfuhrungen gelten hier entsprechend. c) Irrtum des Täters über den Wert Das Antragserfordernis berücksichtigt allein Interessen des Verletzten, ist aber nicht Ausdruck geringeren Unrechts oder geringerer Schuld des Täters. Daher ist der Irrtum des Täters über den Gegenstandswert bedeutungslos; § 16 Abs. 2 findet keine Anwendung. aa) Α nimmt wertvolle Sachen weg, die er für geringwertig hält: § 242. bb) Α nimmt geringwertige Sachen weg, die er für wertvoll hält: § 248 a.
6
d) Versuchsproblematik Nach dem Gesetzeswortlaut findet § 248 a Anwendung, wenn der Täter eine geringwertige Sache stiehlt oder unterschlägt. Beispiel 1: A will eine wertvolle Sache stehlen, findet aber nur eine geringwertige, die er mitnimmt. Ergebnis: Diebstahl vollendet, doch findet § 248 a Anwendung. Beispiel 2: A will eine geringwertige Sache stehlen, findet aber eine wertvolle Sache, die er mitnimmt. Ergebnis: Diebstahl vollendet, § 248 a findet keine Anwendung.
7
Übertragen auf die Versuchssituation fuhrt diese Regelung jedoch zu Wertungswidersprüchen. Beispiel 1: A will eine geringwertige Sache stehlen, findet aber überhaupt nichts vor. Ergebnis: § 248 a findet auf den Versuch Anwendung. Beispiel 2: A will wertvolle Sache stehlen, findet aber nur geringwertige. Da Α an geringwertigen Sachen kein Interesse hat, nimmt er gar nichts mit. Ergebnis: Versuch eines Diebstahls, § 248 a findet keine Anwendung.
8
Im Verhältnis zur Bestrafung wegen eines vollendeten Delikts sind die hier begründeten Widersprüche nicht auflösbar. Auch wenn § 248 a - entsprechend der Regelung des § 243 Abs. 2 - nur auf den Versuch angewendet wird, wenn sich die Tat auf geringwertige Sachen bezieht, wird der Widerspruch nur verlagert, keineswegs aber beseitigt. 153
§ 45 Entziehung elektrischer Energie 1. Entziehung elektrischer Energie in Zueignungsabsicht, § 248 c Abs. 1 1
a) Tatobjekt: fremde elektrische Energie. - Fremd ist die Energie für jeden, der kein Recht 153
200
Zur Kritik vgl. auch SEELMANN JuS 1985 S. 703.
Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
§ 46
zur Entnahme der Energie hat. - Entzogen ist die Energie, wenn den Berechtigten durch die Entnahme eine Energieverlust entsteht. - Die Entziehung muss mittels eines Leiters erfolgen, d.h. mit Hilfe einer Einrichtung, die vermöge ihrer physikalischen Eigenschaften den Strom weiterleitet, sei es auch nur im Wege der Induktion. 154 b) Der Leiter muss ordnungswidrig sein, nicht nur die Entnahme der Energie. - Die rechtswidrige, weil z.B. vertragswidrige Entnahme von Strom auf ordnungsgemäßem Weg macht den Leiter noch nicht zu einem ordnungswidrigen.
2
Ordnungswidrig daher: Überbrückung eines Zählers (OLG Celle MDR 1969 S. 597); Anbringen eines nicht zur Anlage gehörenden Kabels (BGH GA 1958 S. 369); Anzapfen einer Hochspannungsleitung u.Ä. - Nicht ordnungswidrig hingegen: Untermieter hat vertragswidrig nach 10 Uhr abends noch Licht an. - Benutzung eines elektrischen Heizofens, eines Bügeleisens, einer Kochplatte usw. gegen den Willen des Berechtigten. Z.T. wird in der Lehre bei unbefugter Benutzung bestimmter Geräte danach unterschieden, ob der Berechtigte diese Geräte aufgestellt hat oder ein Nichtberechtigter. 1 5 5 Diese Differenzierung filhrt zu zufälligen Unterscheidungen in der Strafbarkeit.
c) Zueignungsabsicht ist hier die Absicht, über die Energie selbständig zum eigenen Nutzen oder zum Nutzen eines Dritten zu verfügen.
3
2. Entziehung elektrischer Energie in bloßer Schädigungsabsicht, § 248 c Abs. 4 a) Das Delikt entspricht der Sachbeschädigung. Dem Täter geht es nicht darum, sich oder einem Dritten einen Vorteil zu verschaffen, sondern den Berechtigten zu schädigen. - Absicht bedeutet zielgerichtetes Wollen. b) Auch hier ist allein strafbar die entsprechende Schädigung mit Hilfe eines ordnungswidrigen Leiters. 3. Anwendung der §§ 247, 248 a Gemäß § 248 c Abs. 3 gelten §§ 247,248 a entsprechend; vgl. dazu §§ 43,44.
4
5
6
§ 46 Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer I. Rechtsgut und Systematik des Gesetzes 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Raubdelikte ist primär das Vermögen, und zwar die umfassende 1 Sachherrschaft einer Person über eine Sache. Daneben wird die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung geschützt. 2. Die Systematik des Gesetzes a) Grundtatbestand der Raubdelikte ist § 249. Zur Interpretation des § 255 als Grundtatbestand
1 5 4
Vgl.
RGSt
39
S. 4 3 6 ;
LACKNER/KÜHL
§
2
der Raubdelikte
248
c
Rdn.
2;
durch den BGH vgl. § 53 Rdn. 25 f.
SCH/SCH/ESER
§
248
c
Rdn.
9;
TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 8 c R d n . 3 . - A . A . G Ö S S E L B . T . 2 , § 18 R d n . 4 5 ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 8 c R d n .
10; RANFT JA 1984 S. 2 f; RUß LK, § 248 c Rdn. 4. - Keine Leiter sind elektromagnetische Wellen im Bereich der Telekommunikation; vgl. STÜMPFIG MDR 1991 S. 710. 1 5 5
M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . 1 , § 3 3 R d n . 1 4 3 ; S C H / S C H / E S E R § 2 4 8 c R d n . 11.
201
§46
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
b) Qualifizierungen: §§ 250, 251. c) Raubähnliches Sonderdelikt: § 252. d) Ein zum eigenständigen Sonderdelikt ausgestalteter qualifizierter Fall des Raubes und der räuberischen Erpressung: § 316 a; dazu unter Rdn. 69 ff. e) Der Raub ist als eigenständiges Sonderdelikt (lex specialis) gegenüber den in ihm enthaltenen Tatbeständen der Nötigung und des Diebstahls anzusehen. §§ 247, 248 a finden daher im Bereich der Raubtatbestände keine Anwendung. II. Raub, § 2 4 9 1. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale 3
a) Die Gewalt gegen eine Person oder die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben müssen zur Begehung eines Diebstahls eingesetzt sein, d.h. sie müssen Mittel der Wegnahme sein. 4 aa) Gewalt ist der nicht notwendig erhebliche Einsatz körperlicher Kraftentfaltung, der von der Person, gegen die er sich richtet, nicht nur als seelischer, sondern als körperlicher Zwang empfunden wird. Die Anwendung psychischen Zwanges ist hier auf die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr fur Leib oder Leben begrenzt. 5 bb) Da die Gewaltanwendung hier Mittel der Wegnahme, d.h. des Gewahrsamsbruchs ist, muss sie als körperlicher Zwang zur Überwindung eines realen oder erwarteten Widerstands eingesetzt werden. Die Kraft muss wesentlicher Bestandteil der Wegnahme und so erheblich sein, dass sie geeignet ist, Widerstand des Opfers zu brechen. 156 Zur Verdeutlichung:
6
BGHSt 18 S. 329: Α schlug der B, die eine Tasche in der Hand trug, auf die Hand. Β ließ daraufhin die Tasche fallen und Α nahm die Tasche an sich. BGH: Raub, denn die Gewaltanwendung diente der Wegnahme. BGH StV 1990 S. 262: Α versuchte der B, die eine Geldbombe „unter der linken Achsel eingeklemmt hatte", diese mit einem Ruck zu entreißen. Β bemerkte allerdings das Vorhaben des Α und verstärkte den Druck, so dass der Plan fehlschlug. BGH: Keine Wegnahme mit Gewalt, wenn nicht die eingesetzte Kraft, sondern List und Schnelligkeit das Bild der Tat prägen. - Das dürfte im vorliegenden Fall kaum zutreffen, wohl aber dann, wenn dem Opfer z. B. eine lose in der Hand hängende Handtasche aus der Hand genommen wird, bevor das Opfer fester zupacken kann.
7
cc) Das Nötigungsmittel muss der Täter final zur Ermöglichung der Wegnahme einsetzen. Es genügt nicht, dass die Nötigung lediglich „Begleiterscheinung" der Wegnahme ist, die Wegnahme „gelegentlich" der Nötigungshandlung erfolgt oder dass sie der Nötigung nur zeitlich nachfolgt, ohne dass eine finale Verknüpfung bestünde. 157 Ein kausaler Zusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme ist hingegen nicht erforderlich. 8 Ob das Opfer die Wegnahme auch ohne Widerstand geduldet hätte, d.h. ob die Gewaltanwendung oder Drohung überhaupt nötig war, um die Wegnahme zu ermöglichen, ist 156 vgl. dazu BGH StV 1986 S. 61 mit Anm. OTTO JK StGB § 249/6; HERDEGEN LK, § 249 Rdn. 6; SANDER MK, § 249 Rdn. 15. - Für eine Begrenzung auf „Eingriffe von einigem Gewicht", unabhängig von der Situation: LG Gera StV 2000 S. 562 mit abl. Anm. OTTO JK 01, § 249/7; dagegen auch TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 9 R d n . 4 . 157
202
Vgl. BGH StV 1995 S. 416; BGH NStZ 2003 S. 431.
Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
§ 46
unwesentlich. Maßgebend ist allein, dass die Nötigung zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes gegen die Wegnahme vom Täter für erforderlich gehalten wurde. Auch wenn sich die Nötigung gegen eine Person richtet, die nicht zum Widerstand gegen die Wegnahme bereit ist, so ist dies irrelevant, wenn der Täter Widerstand erwartet. ^158 Die Gewaltanwendung erfolgt auch dann zum Zwecke der Wegnahme, wenn der Täter zugleich weitere Ziele erreichen will. 159 Nutzt der Täter die von einem Dritten angewandte Gewalt ohne dessen Kenntnis zur Wegnahme aus, so fehlt es an dem finalen Konnex. dd) Eine Besonderheit beim Raub im Verhältnis zum Diebstahl ergibt sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung insoweit, als diese die Wegnahme nicht vom Gewahrsamsbruch her erfasst, sondern bei der Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung die Zuordnung nach dem äußeren Erscheinungsbild der Tat vornimmt. Mit dieser Konstruktion ist die auch von der Rechtsprechung geteilte These, dass in jedem Raub ein Diebstahl enthalten ist, nicht vereinbar, da die unterschiedlichen Definitionen zu unterschiedlichen Schutzbereichen der Tatbestände führen; im übrigen vgl. dazu weiter unter 53 Rdn. 25 ff. b) Gewalt und Drohung können bis zur Vollendung der Wegnahme eingesetzt werden. Werden diese Mittel hingegen erst nach Vollendung der Wegnahme zur Sicherung der Beute eingesetzt, so kann § 252 vorliegen; dazu unter Rdn. 50 ff. c) Schwierige Abgrenzungsprobleme in Hinsicht auf die finale Verknüpfung von Nötigung und Wegnahme ergeben sich bei einem Motivwechsel des Täters. Eine saubere Trennung der verschiedenen Fallgruppen gelingt hier nur, wenn streng zwischen der fortdauernden Nötigungswirkung und der Fortdauer des Einsatzes des Nötigungsmittels unterschieden wird: aa) Entschließt sich der Täter während des Einsatzes des Nötigungsmittels zur Wegnahme, so liegt eindeutig ein Raub vor.
9 10 11
12
13
14
BGHSt 20 S. 32: Α wandte gegen Μ Gewalt an, um sie an sich zu ziehen und zu küssen. Μ wehrte sich. Als Α merkte, dass Μ eine Armbanduhr trug, streifte er die Uhr während des Handgemenges vom Arm und steckte sie ein. BGH: Raub.
Der Wechsel des Wegnahmeobjekts nach der Nötigung - der Täter nötigt zur Erlangung 15 von Bargeld und begnügt sich sodann mit einem Fernseher, weil kein Bargeld vorhanden ist - müsste nach dem auch von der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz, dass eine Verengung, Erweiterung oder sonstige Änderung des Vorsatzes im Hinblick auf das Wegnahmeobjekt unwesentlich ist - dazu auch oben § 40 Rdn. 41 ff - irrelevant sein. Gleichwohl hält der BGH diesen Grundsatz im Rahmen des Raubes nicht durch. 160 bb) Zu differenzieren ist, wenn das Opfer nach der Gewaltanwendung Widerstand fur 16 sinnlos hält, weil es sich dem Täter ausgeliefert sieht und der Täter diese Lage ausnutzt. 158
Dazu auch BGHSt 4 S. 210; 18 S. 331; BGH StV 1991 S. 516; ESER NJW 1965 S. 378; GEILEN Jura 1 9 7 9 S. 1 6 6 ; HERDEGEN L K , § 2 4 9 R d n . 3 ; HOHMANN/SANDER B . T . I, § 5 R d n r . 12; LACKNER/KÜHL § 2 4 9 R d n . 2 ; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S. 3 5 2 . - A . A . KINDHÄUSER N K , § 2 4 9 R d n . 3 0 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 8 / 5 0 ; SEELMANN J u S 1 9 8 6 S . 2 0 3 f.
159 160
Vgl. BGH NStZ 1993 S. 79. Vgl. BGH NStZ-RR 1997 S. 298; BGH NStZ 1999 S. 510; BGH NStZ-RR 2002 S. 304, 305 mit Anm. GEPPERT J K 0 3 , S t G B § 2 4 9 / 8 ; d a z u WALTER N S t Z 2 0 0 4 S. 154 f.
203
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§46
17 Sieht das Opfer das Verhalten des Täters als weiter aufrecht erhaltene Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben an und erkennt der Täter diesen Sachverhalt, so kann in seinem Verhalten eine konkludente Drohung liegen. Notwendig ist aber, dass der Täter in irgendeiner Form schlüssig erklärt, er werde eventuellen Widerstand mit Gewalt gegen Leib oder Leben brechen. Fall in Anlehnung an BGH bei Holtz, MDR 1987 S. 281: Α und Β hatten den Gastwirt G überfallen, den weit schwächeren G zusammengeschlagen und die Tageskasse entwendet. Drei Tage später erschienen sie erneut als G wiederum allein in der Gaststätte war. Sie verschlossen die Tür, verstellten dem G den Weg und A leerte die Kasse. Sie gingen davon aus, dass G angesichts ihrer Maßnahmen keinen Widerstand leisten würde. Ergebnis: Konkludente Drohung mit gegenwärtiger Gefahr filr Leib oder Leben, denn durch ihr Verhalten brachten sie zum Ausdruck, dass im Falle eines Widerstandes dieser in gleicher Weise wie zuvor gebrochen würde.
18 Anders stellt sich hingegen die Situation dar, wenn der Täter davon ausgeht, dass das Opfer aufgrund einer vorangegangenen Gewaltanwendung noch so eingeschüchtert ist, dass es keinen Widerstand leisten wird, d.h. wenn der Täter nicht einmal die Möglichkeit eines Widerstandes fur real hält. Der Umstand, dass der Täter diesen Widerstand in gleicher Weise brechen würde, wenn er geleistet würde, ersetzt nicht den Einsatz der Drohung, um eventuellen Widerstand zu brechen. Fall: Wie oben, aber Α und Β gehen davon aus, dass G keinen Widerstand leisten wird, wenn sie ihm Geld wegnehmen. Sie gehen gemeinsam in die Gaststätte des G und leeren die Kasse. Der ängstliche G widersetzt sich nicht. Ergebnis: Keine Drohung.
19 Das Ergebnis aufgrund dieser Differenzierung überzeugt wenig. Es ist aber in der Entscheidung des Gesetzgebers begründet, die Ausnutzung der fortdauernden Nötigungswirkung nicht dem Einsatz des Nötigungsmittels gleichzustellen. Auch die Rechtsprechung hat den in der Differenzierung liegenden Wertungswiderspruch durchaus erkannt. 20 cc) Problematisch wird die Abgrenzung, wenn der Täter ohne Zueignungsabsicht eine Zwangslage geschaffen hat, in der dem Opfer kein Widerstand möglich ist, weil es z.B. gefesselt oder bewusstlos ist. BGHSt 32 S. 88 mit Anm. JAKOBS JR 1984 S. 385 ff, OTTO JZ 1984 S. 143 ff: Α hatte den Hotelportier Ρ gefesselt und geknebelt, damit dieser ihn nicht hindern konnte, ohne Bezahlung der Rechnung aus dem Hotel zu verschwinden. Als der Α das Hotel verließ, kam er auf die Idee, den Inhalt der Hotelkasse mitzunehmen. BGH: Nur Diebstahl, kein Raub.
In der Rechtsprechung und in der Literatur wird dieses Ergebnis als unbefriedigend angesehen, weil derjenige, der eine selbst geschaffene Zwangslage zur Wegnahme ausnutzt, nicht genau so bestraft wird wie derjenige, der die Nötigung zur Wegnahme einsetzt. Versucht wird daher ein pflichtwidriges Unterlassen der Beseitigung der fortlaufenden Nötigungswirkungen als fortdauernde Gewaltanwendung durch Unterlassen zu interpretieren. 161 B G H S t 4 8 S. 3 6 5 m i t A n m . GEPPERT J K 0 4 , S t G B § 2 4 9 / 9 , GÖSSEL J R 2 0 0 4 S. 2 5 4 f f , OTTO J Z 2 0 0 4 S. 3 6 4
f, WALTER NStZ 2004 S. 623 ff: A, der in die Jagdhütte des Β eingebrochen war, um dort zu übernachten, wurde von Β überrascht. Um zu entfliehen, schlug Α den Β nieder und fesselte ihn. Anschließend kam er auf die Idee, den Landrover und andere Sachen des Β mitzunehmen.
161
V g l . ESER N J W
1 9 6 5 S. 3 7 9 f; KRACK JUS 1 9 9 6 S . 4 9 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 9 R d n . 4 ; MITSCH
B.T.II/1, § 3 Rdn. 27; SCHÜNEMANN JA 1980 S. 352 f. - Gewaltanwendung durch Unterlassen ist hingegen möglich, wenn das Unterlassen in einer pflichtwidrigen Nichthinderung der Gewaltanwendung durch einen Dritten besteht, vgl. KINDHÄUSER B.T. II, § 13 Rdn. 26; KÜPER B.T., S. 172.
204
Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
§ 46
BGH: Durch Ausnutzung der pflichtwidrig geschaffenen Zwangslage zur Wegnahme hat Α Gewalt durch Unterlassen zur Wegnahme eingesetzt.
Diese Gleichstellung der Aufrechterhaltung körperlichen Zwangs mit dem Einsatz körperlichen Zwangs überzeugt weder dogmatisch noch von den Ergebnissen her: Nach der bisher einhellig von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geteilten Auffassung muss die Gewalt gegen eine Person im Rahmen der §§ 249 ff StGB als körperlicher Zwang zur Überwindung eines realen oder erwarteten Widerstandes eingesetzt werden·, vgl. dazu Rdn. 5. Dieser Widerstand wird mit der Gewaltanwendung gebrochen. Das Aufrechterhalten des durch den Gewalteinsatz begründeten Zustands entfaltet zweifellos Zwangswirkungen dem Opfer gegenüber. Nicht jeder Zwang aber ist identisch mit der in den Raubdelikten geforderten Gewalt gegen eine Person. Die Aufrechterhaltung der Zwangssituation ersetzt nicht die Überwindung des Widerstands des Opfers. Der Widerstand ist mit Eintritt der Zwangslage überwunden. „Hat der Täter den Widerstand des Opfers bereits ausgeschaltet, so dient sein Unterlassungsverhalten nicht mehr der Überwindung oder Verhinderung des Widerstandes gegen die Wegnahme." 162 Sein Unterlassen kann daher nicht den sozialen Sinngehalt einer Gewaltanwendung, sondern nur den eines Fortdauernlassen der Wirkungen der Gewaltanwendung haben. Doch auch die Ergebnisse, zu der diese Auffassung gelangt, überzeugen nicht: Privilegiert wird die Brutalität des Täters: Wer das Opfer nur niederschlägt und fesselt und sodann auf den Gedanken kommt, dem Opfer Sachen wegzunehmen, haftet wegen Raubes. Der Täter hingegen, der sein Opfer sogleich bewusstlos schlägt, begeht unter den gleichen Tatumständen nur einen Diebstahl. Das spricht für sich und fur die h.L., die eine Gleichstellung der Gewaltanwendung mit der Ausnutzung der durch eine Gewaltanwendung begründeten Zwangslage ablehnt. 163 Erwägenswert ist allerdings, ob in Anwendung allgemeiner Prinzipien strafrechtlicher 21 Zurechnung, etwa entsprechend dem Grundsatz der actio libera in causa 164 , eine Gleichstellung des Täters, der Gewalt zur Wegnahme anwendet, mit dem, der das Opfer durch Gewaltanwendung in eine wehrlose Lage gebracht hat und diese nun zur Wegnahme ausnutzt, in Betracht kommt. 2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Dieser muss dem des Diebstahls entsprechen 22 und außerdem auf Wegnahme mit Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gerichtet sein. - Zur Absicht rechtswidriger Zueignung vgl. § 40 Rdn. 44 ff. Die Erweiterung der Zueignungsabsicht oder der Wechsel des Zueignungsobjekts nach 23 finalem Einsatz des Nötigungsmittels berührt den Raubvorsatz nicht; vgl. zur entsprechenden Problematik des Diebstahlstatbestands unter § 40 Rdn. 41 f.
162
KÜPER B . T . , S. 172.
163
V g l . GRAUL J u r a 2 0 0 0 S. 2 0 5 ; GROPP/SINN M K , § 2 4 0 R d n . 6 5 ; GÜNTHER S K II, § 2 4 9 R d n . 3 4 ; HERDEGEN L K , § 2 4 9 R d n . 16; JOERDEN J u S 1 9 8 5 S. 2 6 ; KINDHÄUSER N K , § 2 4 9 R d n . 3 8 ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 193; KÜPER J Z 1981 S . 5 7 1 ; OTTO J Z 2 0 0 4 S. 3 6 4 f; SANDER M K , § 2 4 9
Rdn. 32; RENGIER B.T.I, § 7 Rdn. 16; WESSELS/HLLLENKAMP B.T./2, Rdn. 336. 164
Dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 13 Rdn. 15 ff. - Eine andere Konstruktion wählt JAKOBS JR 1984 S. 387.
205
§46 24
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
a) BGHSt 22 S. 350: Α schlug den Β nieder, um ihm DM 5,- wegzunehmen. Als er die Geldbörse des Β geöffnet hatte und sah, dass sie erheblich viel mehr Geld enthielt, nahm er das ganze Geld an sich. BGH: Ein einheitlicher Raub in bezug auf die Gesamtmenge. 165
25
b) Β schuldete dem A € 30,-. Da er seine Schuld nicht zahlen wollte, schlug Α ihn nieder, um ihm die geschuldete Summe wegzunehmen. Als Α sah, dass Β erheblich mehr Geld in der Brieftasche hatte, nahm er die ganze Summe an sich. Ergebnis: Kein Raub, denn als Α Gewalt einsetzte, fehlt ihm die Absicht rechtswidriger Zueignung; dazu oben § 40 Rdn. 44 ff. Später aber nutzte er nur noch die Wirkungen der Gewaltanwendung zum Diebstahl aus.'"6
3. Vollendung und Versuch a) Vollendung und Beendigung 26 Der Raub ist mit der Begründung neuen Gewahrsams an der Sache, auf deren Zueignung der Täter es abgesehen hat, vollendet. - Beendet ist der Raub, wenn der Täter diesen Gewahrsam gesichert hat oder der Angriff auf den Gewahrsam erfolgreich abgewehrt wurde. 167 b) Versuch 27 Versucht ist der Raub, wenn der Täter zum Zwecke der Wegnahme zur Gewaltanwendung oder Drohung unmittelbar ansetzt, d.h. wenn das angegriffene Rechtsgut aus der Sicht des Sachverhalts durch den Täter unmittelbar gefährdet ist. BGH bei Holtz, MDR 1989 S. 1050 mit Anm. OTTO JK 90, StGB §22/14: Α und Β wollten den Geschäftsführer des Ratskellers ausrauben, nachdem er das Geschäft geschlossen hatte. Ab ein Uhr nachts warteten sie im Innenhof des Ratskellers. Er erschien aber nicht, da er noch länger beschäftigt war. BGH: Aus der Sicht des Täters noch keine konkrete Gefährdung des Rechtsguts, daher noch kein Versuch, wohl aber Verabredung zu einem Verbrechen, § 30 Abs. 2.
28 Kommt es dem Täter auf den Inhalt eines Behältnisses an, so liegt nur versuchter Raub vor, wenn das weggenommene Behältnis das Gewünschte nicht enthält. BGH StV 1983 S. 460: Α wollte der Β Bargeld wegnehmen, das er in ihrer Handtasche vermutete. Mit Gewalt entriss er ihr die Handtasche. - Als Α feststellte, dass kein Geld in der Tasche war, warf er diese fort. BGH: Nur versuchter Raub. 1 6 8
29 Ein bloßer Irrtum über den Umfang der Beute steht der Vollendung aber nicht entgegen. BGH NStZ 1996 S. 599: Α nahm dem Τ mit Gewalt dessen Geldbörse weg, weil er das Geld des Τ haben wollte. Als er später sah, dass die Geldbörse nur Münzen enthielt, warf er diese mit der Geldbörse weg. BGH: Der Raub ist vollendet. Α wollte den Τ um sein Geld berauben. Dieses Ziel hat er erreicht.
III. Schwerer Raub, § 250 1. Die Raubqualifikationen gemäß § 250 Abs. 1 30 a) § 250 Abs. 1 Nr. 1 a, b, Nr. 2 entsprechen § 244 Abs. 1 Nr. 1 a, b, Nr. 2; zur Problematik dieser Qualifikationsmerkmale und insbes. zur Problematik der sog. Scheinwaffen, vgl. unter § 41 Rdn. 50 ff, 59. 165
Zu den verschiedenen möglichen Fallvarianten vgl. auch BGH StV 1990 S. 408. Dazu auch BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 810; BGH StV 1990 S. 407. 167 D a z u B G H NJW 1985 S. 814 mit Bespr. K.ÜPER JuS 1986 S. 862 ff. 168 vgl d a z u a u c h § 40 Rdn. 70 sowie BGH StV 1990 S. 205; BGH NStZ 2004 S. 333. 166
206
Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
§ 46
b) § 250 Abs. 1 Nr. lc erfasst die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu 31 vgl. § 10 Rdn. 2 - als qualifizierendes Merkmal. Diese umfasst nicht nur typische Raubgefahren, sondern auch Gefahren, denen das konkrete Opfer aufgrund seiner Konstitution (z.B. Alter) ausgesetzt ist. 169 c) Will der Täter vom Versuch des schweren Raubes zurücktreten, so muss er die Weg- 32 nahmeabsicht aufgeben. Den Rücktritt von einem Teil eines Delikts kennt das Gesetz nicht. - Allein die Aufgabe des Planes, ein Werkzeug zur Überwindung des Widerstandes des Opfers durch Gewalt beim Raub zu benutzen, und das Fortwerfen dieses Werkzeugs genügen den Rücktrittserfordernissen daher nicht. 170 2. §250 Abs. 2 a) Abs. 2 Nr. 1 erfasst als qualifizierendes Element die Verwendung einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs. - Zum Begriff der Waffe vgl. § 41 Rdn. 51. - Der Begriff des gefährlichen Werkzeugs kann hier im Gegensatz zu § 244 Abs. Nr. 1 Nr. 1 a, wo bereits das Beisichfuhren des gefahrlichen Werkzeugs straferhöhend berücksichtigt wird, in Anlehnung an § 224 Abs. 1 Nr. 2 interpretiert werden: Gefahrlich ist ein Werkzeug, das bei seiner konkreten Anwendung zur Durchfuhrung des Raubs geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizufuhren; vgl. dazu § 16 Rdn. 7 f. 1 7 0 a - Nicht funktionsfähige oder ungeladene Waffen, die nicht als Schlagwerkzeug eingesetzt werden sollen, genügen diesen Anforderungen nicht. 171 - Ein Verwenden der Waffe oder des gefahrlichen Werkzeugs liegt nicht nur beim Einsatz gegen den Körper des Opfers vor, sondern bereits dann, wenn dieses nur zur Drohung eingesetzt wird. Beim Einsatz des Werkzeugs zur Drohung muss dem Opfer der Einsatz aber bewusst werden. 172 b) Abs. 2 Nr. 2 qualifiziert den Bandenraub gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 2 für den Fall, dass einer der Tatbeteiligten eine Waffe bei sich führt. - Zum Begriff der Waffe vgl. § 41 Rdn. 51. c) Abs. 2 Nr. 3 a erfasst die schwere körperliche Misshandlung als qualifizierendes Element. - Eine schwere körperliche Misshandlung setzt eine gravierende körperliche Beeinträchtigung voraus. 173 d) Abs. 2 Nr. 3 b qualifiziert den Raub, wenn eine andere Person durch die Tat in die konkrete, naheliegende Gefahr des Todes gebracht wird. Der besonderen Gefahrdung muss sich der Täter bewusst sein, d.h. sie muss von seinem Vorsatz umfasst sein. § 250 Abs. 2 Nr. 3 b ist kein erfolgsqualifiziertes Delikt i.S. des
33
34
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36 37
§ 18.
Tatbeteiligte sind durch § 250 Abs. 2 Nr. 3 b nicht geschützt, vgl. dazu unter Rdn. 44.
169
170
Vgl. BGH NJW 2002 S. 2043 mit Anm. DEGENER StV 2003 S. 332 ff, HELLMANN JUS 2002 S. 17 ff, Otto JK 03, StGB § 250 1/10, SCHROTH JR 2003 S. 250 ff; BGH NStZ 2003 S. 662. Dazu BGH NStZ 1984 S. 216 mit abl. Anm. GEPPERT JK, StGB § 250/3; STRENG JZ 1984 S. 652 ff; ZACZYK N S t Z 1 9 8 4 S . 2 1 7 . - E i n g e h e n d z u m S t r e i t s t a n d : KÜPER J Z 1 9 9 7 S . 2 3 3 f.
170a 171
V g l
ß G H S t 4 4 S . 1 0 3 ; 4 6 S . 2 2 8 ; B G H S t V 2 0 0 4 S . 2 0 1 m i t A n m . DEITERS S . 2 0 2 ff.
Vgl. BGHSt 45 S. 249; BGH NStZ 1999 S. 135; 1999 S. 448; BGH NStZ-RR 1999 S. 103.
172
Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 45; BGHSt 45, S. 9 2 , 9 4 ff; BGH NJW 2004 S. 3437.
173
Vgl. BGH StV 1998 S. 488.
207
38
§46
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
3. Verwirklichung mehrerer Alternativen des Tatbestandes 39 Auch wenn der Täter mehrere Alternativen des Tatbestandes verwirklicht, liegt nur eine Raubtat vor.
IV. Raub mit Todesfolge, § 251 1. Die Erfolgsqualifizierung 40 a) § 251 enthält gegenüber §§ 249, 250 eine Erfolgsqualifizierung. Der besondere Erfolg, der Tod, braucht nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht auf der zur Wegnahme eingesetzten Gewaltanwendung zu beruhen, so dass nur eine Nötigungshandlung mit tödlichem Ausgang, die auf die Wegnahme gerichtet ist, den Tatbestand des § 250 erfüllt. 174 41 Entgegen dem zu weit geratenen Wortlaut des Gesetzes, aber im Einklang mit dem Wesen des Strafgrundes der „Erfolgsqualifikation", genügt es zwar nicht, dass der Raub conditio-sine-qua-non für den Erfolg geworden ist, vielmehr muss sich der Todeserfolg aus der Raubhandlung und ihrer spezifischen Gefährlichkeit entwickelt haben. 175 Darüber hinaus ergab der ursprüngliche Wortlaut des Gesetzes: „... durch die gegen ihn verübte Gewalt", und der systematische Zusammenhang zwischen den Raubdelikten und § 252, dass die tödliche Gewaltanwendling auf die Wegnahme gerichtet sein musste, so dass nur eine Gewaltanwendung bis zur Vollendung des Raubs relevant war. Mit der Neufassung des § 251 durch das EGStGB: „... durch den Raub", hat der Gesetzgeber den systematischen Zusammenhang zerstört und den Anwendungsbereich des § 251 gegenüber dem § 252 erweitert. 42
Beispiel 1: Α schlägt den B, den er ausrauben will, mit einem Knüppel nieder. Er will den Β zwar nicht töten, schlägt aber mit solcher Wucht zu, dass die Schädeldecke des Β zertrümmert wird. Β stirbt. Ergebnis: § 251. Beispiel 2: Α schlägt im 2. Stock eines Hauses auf den Β ein, um ihn niederzuschlagen und auszurauben. In seiner Not springt Β aus dem Fenster. Ergebnis: § 251. Keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs. Der Wille des Β war nicht frei.17® Beispiel 3: Nach einem Raubüberfall kommt es zu einer Schießerei zwischen dem Räuber und mehreren Verfolgern auf offener Straße. Durch einen Schuss wird einer der zahlreichen Passanten getroffen. Ergebnis: § 2 5 1 . 1 7 7 Beispiel 4: Als die Täter nach einem Raubüberfall mit dem Auto davonrasen, überfahren sie den X. Ergebnis: §§ 249, 222, 53.
43 b) Abweichend von § 18 genügt in bezug auf den Erfolg nicht mindestes Fahrlässigkeit, erforderlich ist wenigstens Leichtfertigkeit, d.h. ein grob fahrlässiges Verhalten.
174
175
Nicht ausreichend ist es aber, wenn das Fehlen der weggenommenen Sache, ζ. B. ein Medikament, zum Tode führt; vgl. dazu GÜNTHER SK II, § 251 Rdn. 13; HERDEGEN LK, § 251 Rdn. 2; KINDHÄUSER NK, § 2 5 1 Rdn. 6 . Vgl. BGH NStZ 1998 S. 511; BGH NJW 1999 S. 1039; GEILEN Jura 1979 S. 557; LACKNER/KÜHL § 2 5 1 R d n . 1; OTTO J Z 1 9 9 3 S. 5 6 9 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 1 R d n . 2 ; WOLTER G A 1 9 8 4 S. 4 5 0 ; DERS. JR 1 9 8 6 S. 4 6 5 ff.
1 7 6
177
D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 11 R d n . 4 f f .
BGHSt 38 S. 298 f; BGH NJW 1999 S. 1039; JESCHECK Welzel-FS, S. 698; LACKNER/KÜHL § 251 R d n . 1; OTTO J Z 1 9 9 3 S. 5 6 9 ; WOLTER G A 1 9 8 4 S . 4 5 0 . - A . A . GÜNTHER H i r s c h - F S , S. 5 4 6 f; HERDEGEN L K , § 2 5 1 R d n . 6 ; KINDHÄUSER N K , § 2 5 1 R d n . 7 ; KÜHL J u r a 2 0 0 2 S . 8 1 2 ; KÜPER J u S
1986 S. 868 ff; MLTSCH B.T.II/2, § 3 Rdn. 95; RENGIER NStZ 1992 S. 590 f.
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Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
§ 46
c) § 251 findet keine Anwendung, wenn ein Tatbeteiligter zu Tode kommt, denn § 251 44 greift nicht zugunsten dessen ein, vor dessen Tun er gerade erhöhten Schutz bieten soll. 2. Versuch und „Rücktritt" a) Zielt die Gewaltanwendung zugleich auf den Tod des Opfers, ohne dass dieser eintritt, 45 so bietet der Versuch - sog. versuchte Erfolgsqualifizierung keine besonderen Probleme. Bleibt das Grunddelikt hingegen im Versuchsstadium stecken, während die besondere Folge des erfolgsqualifizierten Delikts bereits aufgrund der Versuchshandlung eintritt, - sog. erfolgsqualifizierter Versuch -, so ist die Möglichkeit der Bestrafung aus dem erfolgsqualifizierten Delikt strittig. Soweit grundsätzlich oder hinsichtlich bestimmter erfolgsqualifizierter Delikte davon ausgegangen wird, dass sich die besondere Folge gerade aus dem Erfolg des Grunddelikts entwickelt haben muss, ist die Möglichkeit eines Versuchs in diesen Fällen zu verneinen, weil es schon am Erfolg des Grunddelikts fehlt. In der Konsequenz dieser Auffassung ist ein Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts überhaupt nicht möglich, da das erfolgsqualifizierte Delikt einen vollendeten Grundtatbestand voraussetzt. 178 Wird der für die Verwirklichung der besonderen Folge relevante Anknüpfungspunkt nicht im Erfolg des Grundtatbestandes gesehen, sondern in der besonders gefahrlichen Handlung des Grundtatbestandes, so kann ein erfolgsqualifizierter Versuch bejaht werden, wenn sich bereits bei der Verwirklichung der Handlung des Grundtatbestandes die besondere Gefahr dieser Handlung im besonderen Erfolg realisiert. 179 b) Wird insoweit die Möglichkeit eines Versuchs bejaht, stellt sich die Frage nach den 46 Voraussetzungen, unter denen ein Rücktritt von diesem Versuch möglich ist. Die h.M. bejaht hier zutreffend die Möglichkeit des Rücktritts unter den Voraussetzungen des § 24 StGB, weil es sich formal um ein versuchtes Delikt handelt, denn die Deliktsnatur bestimmt sich nach dem Grundtatbestand. Dass die besondere Gefahr sich bereits in der besonderen Folge realisiert hat, ändert an der Versuchssituation nichts, 180 da der Verwirklichung der Qualifikation keine Aussage über die Vollendung des Delikts zu entnehmen ist. 3. Konkurrenzen a) §§ 222, 227, 250 werden von § 251 konsumiert, während versuchter Raub mit Todes- 47 folge und Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit stehen. 181 b) Tateinheit zwischen einem vorsätzlichen Tötungsdelikt und § 251 ist nach der jetzigen 48 Fassung des Gesetzes möglich: Nach dem Wortlaut des Gesetzes erfasst der Tatbestand wenigstens leichtfertiges, d.h. aber auch vorsätzliches Verhalten. 182 c) Zur Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung unter § 53 Rdn. 4 f. 49 178
V g l . GÖSSEL L a n g e - F S , S. 2 3 8 ; MAURACH/GÖSSEL/ZIPF, A . T . 2 , 7. A u f l . 1989, § 4 3 R d n . SCHMIDHÄUSER A . T . , S t u b , 2 . A u f l . 1 9 8 4 , 1 1 / 1 0 7 .
1 7 9
V g l . GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 18 R d n . 8 4 ; B G H N J W 2 0 0 1 S. 2 1 8 7 m i t A n m . GEPPERT J K 0 1 , S t G B § 2 5 1 / 8 ; B G H N S t Z 2 0 0 1 S. 5 3 4 ; SCHRÖDER J Z 1 9 6 7 S . 3 6 8 ; WOLTER G A 1 9 8 4 S. 4 4 5 f.
180
V g l . B G H N J W 1 9 9 6 S. 2 6 6 3 m i t A n m . GEPPERT J K 9 7 , S t G B § 2 5 1 / 5 ; GÜNTHER H i r s c h - F S , S. KÜPER J Z 1 9 9 7 S . 2 3 2 f; LACKNER/KÜHL § 2 4 R d n . 2 2 ; OTTO J u r a 1 9 9 7 S . 4 7 6 ; PAEFFGEN N K , R d n . 1 3 0 f; RUDOLPHI S K I, § 18 R d n . 8 a; SCHROEDER L K , § 18 R d n . 4 2 ; SÖWADA J u r a 1995 S. TRÖNDLE/FISCHER § 18 R d n . 4 . - A . A . HERDEGEN L K , § 2 5 1 R d n . 16; JÄGER N S t Z 1 9 9 8 S. ULSENHEIMER B o c k e l m a n n - F S , S. 4 1 5 f; WOLTER J u S 1981 S. 178.
181
V g l . B G H S t 4 6 S. 2 4 m i t A n m . GEPPERT J K 0 0 , S t G B § 2 5 1 / 7 ; KINDHÄUSER N S t Z 2 0 0 1 S . 31 f; KUDLICH S t V 2 0 0 0 S. 6 6 9 ; STEIN J R 2 0 0 1 S. 7 2 f.
182
V g l . B G H N S t Z 2 0 0 3 S. 3 4 ; B G H N S t Z - R R 2 0 0 3 S. 4 5 .
117;
553; § 18 653; 161;
209
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§46
V. Räuberischer Diebstahl, § 252 50 § 252 enthält ein raubähnliches Sonderdelikt. Deijenige, der die Beute mit den Mitteln des Raubes sichert, wird dem Räuber gleichgestellt, und zwar sind je nach den Sachverhaltsgegebenheiten §§ 249,250,251 anwendbar. 1. Die einzelnen
Tatbestandsmerkmale
a) Vortat: Diebstahl 51 Als Vortat kommen alle privilegierten und qualifizierten Fälle des Diebstahls in Betracht und auch der Raub. 52
Auch wenn der Gesetzestatbestand nur den Diebstahl nennt, erfolgt die Erstreckung seines Anwendungsbereichs auf den Raub noch im Einklang mit dem Gesetzestext: Auch im Raub ist ein Diebstahl enthalten. Der Konkurrenzregelung, dass der Raub dem Diebstahl als lex specialis vorgeht, kommt im Rahmen des § 252 keine Bedeutung zu. - Vom Sinn und Zweck des Gesetzes her wäre es unverständlich, dass derjenige, der nach einem Diebstahl bei der Sicherung der Beute einen anderen leichtfertig tötet, nach § 252 bestraft werden kann, nicht aber derjenige, der zuvor einen Raub, § 249, begangen hat.
b) Die Vortat muss vollendet sein 53 Der Einsatz des Raubmittels nach Vollendung der Vortat begründet die Annahme des § 252 anstelle des § 2 4 9 . 1 8 3
c) Auf frischer Tat 54 Frisch ist die Vortat, solange mit ihr ein enger örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht. Mit Beendigung der Vortat ist dieser Zusammenhang abgebrochen. 184 - Nach anderer Auffassung soll die Beendigung der Vortat die Frische der Tat nicht notwendig ausschließen. 185 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Der Zeitpunkt der Sicherung der Beute beendet nicht nur die Notwehrsituation des Opfers, sondern bedeutet allgemein eine Zäsur in dem Geschehen. Das Verhalten kann nun nicht mehr als eine einheitliche Raubhandlung bewertet werden. Die Einheit des Geschehens ist aber die Rechtfertigung für die Gleichstellung der nach der Wegnahme geübten Gewaltanwendung mit der zur Wegnahme verwirklichten Gewaltanwendung durch § 252. 186 - Auch vor Beendigung wird eine Frische der Tat in Ausnahmefallen abgelehnt, doch erscheint hier eine Zäsur willkürlich. 187 d) Das Betreffen 55 Der Täter ist auf frischer Tat betroffen, wenn er bei der Tat mit einem anderen zusammentrifft, der ihn als Tatverdächtigen erkannt hat oder unmittelbar zu erkennen droht. BGHSt 26 S. 95: A war in die Wohnung der C in diebischer Absicht eingedrungen und hatte Schmuck u.a. in einer Aktentasche verstaut. In der Tasche hatte er außerdem noch einen Holzknüppel. Als er die Wohnung gerade verlassen wollte, hörte er, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Er versteckte sich hinter der
183
H.M. vgl. BGHSt 28 S. 229; BGH StV 1985 S. 13; BGH StV 1986 S. 530; BGH JZ 1988 S. 471; GÜNTHER H i r s c h - F S , S. 5 4 4 ; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 7 ff; KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 11; KÜPER
Jura 2000 S. 22 f. - A.A. (Beendeter Diebstahl wird vorausgesetzt): DREHER MDR 1979 S. 529 ff; SCHMIDHÄUSER B . T . , 8 / 5 9 . 184
Vgl. BGHSt 28 S. 229; BGH NJW 1987 S. 2687; BGH JZ 1988 S. 471; GEILEN Jura 1979 S. 670; GEPPERT J u r a 1990 S. 5 5 6 ; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 6, 14; KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 17; MITSCH B . T . II/2, § 4 R d n . 3 9 ; PERRON G A 1 9 8 9 S. 148; SCH/SCH/ESER § 2 5 2 R d n . 4 .
185
186
V g l . DREHER M D R 1 9 7 9 S. 5 3 1 ; G O S S E L B . T . 2 , § 15 R d n . 13 ff; LACKNER/KÜHL § 2 5 2 R d n . 4 .
Vgl. auch BGHSt 28 S. 229; GEILEN Jura 1979 S. 670; HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 6; PERRON GA 1989 S. 166, 169; SCHÜNEMANN J A 1980 S. 3 9 8 .
187
210
Vgl. HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 14. - A.A. BGHSt 28 S. 228; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 366.
Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
§46
Zimmertür und nahm den Knüppel in die Hand. Als Frau C das Zimmer betrat, schlug er sie nieder. Dann verließ er fluchtartig die Wohnung. BGH: Α ist auf frischer Tat betroffen worden. 1 8 8
Der bloße Glaube des Täters, erkannt zu sein, ersetzt das Betroffensein nicht. 189 e) Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben aa) Zum Begriff der Gewalt und zu dem der Drohung vgl. oben Rdn. 3 f. bb) Das Opfer braucht nicht der Gewahrsamsinhaber zu sein oder jemand, der den Diebstahl verhindern will. Da nur erforderlich ist, dass der Täter handelt, um sich im Besitz der Beute zu halten, genügt es, dass der Täter meint, die Person, gegen die er Gewalt oder Drohung anwendet, werde die Beendigung des Diebstahls verhindern. 190 cc) Da die Anwendung von Gewalt oder Drohung jener gleichkommen muss, mit der beim Raube die Wegnahme ermöglicht wird, ist genau zu beachten, ob sich die Gewalt auch gegen eine Person richtet.
56 57 5g
59
Beispiel 1: Der Eigentümer Ε hält den auf frischer Tat betroffenen Dieb Α fest. Α reißt sich los. Ergebnis: Keine Gewalt des Α gegen E. Beispiel 2: Als der Ε den verfolgten Dieb Α einholt, wirft dieser die Beute auf den Fußboden und sich darauf. Α muss von Ε mühsam beiseite geschoben werden. Ergebnis: Keine Gewalt des Α gegen E.
2. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz muss sich auf alle Merkmale des objektiven Tatbestandes erstrecken. Hinzu 60 kommt die Absicht, sich im Besitz der Beute zu halten in einer Situation, in der dem Täter der unmittelbare Entzug der Beute zugunsten des Berechtigten droht. BGH StV 1987 S. 196: Α hatte dem Κ in der Wohnung der S während eines kurzen Einnickens Geld entwendet. Als Κ den Verlust bemerkte, stellte er den Α zur Rede. Α gab das Geld aber nicht heraus. Nun verließ Κ die Wohnung, um seinen Sohn herbeizuholen, der die Sache klären sollte. Um zu verhindern, dass der S ihm das Geld wieder abnehme, eilte Α dem Κ nach und stürzte ihn die Treppe herab. Κ kam zu Tode. BGH: § 252 nicht erfüllt, denn Α handelte nicht in der Absicht, eine gegenwärtige oder bevorstehende Gewahrsamsentziehung zu verhindern. 191
b) Die Absicht, den Besitz des gestohlenen Gutes zu behalten, muss Beweggrund des Tä- 61 ters sein, nicht aber einziger Beweggrund. - Stets muss es dem Täter aber auch darum gehen, sich die umfassende Sachherrschaft zu erhalten und zu sichern. 192 1 8 8
Z u s t i m m e n d : GÖSSEL B . T . 2 , § 15 R d n . 17; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 12; LACKNER/KÜHL § 2 5 2 R d n . 4 ; RENGIER B . T . I, § 1 0 R d n . 6 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 2 R d n . 7 . - A . A . DREHER M D R 1 9 7 9 S . 5 2 9 f f ; FEZER J Z 1 9 7 5 S. 6 0 9 f f ; GEPPERT J u r a 1 9 9 0 S . 5 5 6 f; WESSELS/HLLLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 3 6 8 . - D i f f e r e n z i e r e n d : KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 1 4 ; MITSCH B . T . IL/L, § 4 R d n . 3 1 f.
1 8 9
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 5 2 R d n . 4 . - A . A . HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 1 2 .
190
Str., eingehend dazu KÜPER JZ 2001 S. 734 f.
191
Vgl. B G H S t 28 S. 224, 231; GEPPERT Jura 1990 S. 557; MITSCH B.T. I I / l , § 4 Rdn. 52; PERRON G A
1989 S. 159; WESSELS/HlLLENKAMP B.T./2, Rdn. 371. - Die Notwendigkeit der gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Gefahr der Gewahrsamsentziehung bestreiten: GEILEN Jura 1980 S. 44 f; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 17; LACKNER/KUHL § 2 5 2 R d n . 5 ; KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 2 6 ; RENGIER B . T . I, § 10 R d n . 1 3 . 192
Vgl. BGH StV 2004 S. 491; KG StV 2004 S. 67; OLG Zweibrücken JR 1991 S. 383 mit Anm. PERRON S. 384 f; OLG Zweibrücken StV 1994 S. 545 mit Anm. GEPPERT JK 95, StGB § 252/5; GÖSSEL B.T.2, § 15 R d n . 2 0 ; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 17; KÜPER B . T . , S . 8 9 .
211
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§46
BGH MDR 1987 S. 154: Α und Β hatten gestohlene Sachen im Kofferraum ihres Kfz verladen, als sie von W überrascht wurden. Sie griffen W tätlich an, um mit dem Kfz fliehen zu können. An die Beute dachten sie in diesem Moment nicht. BGH: Die Absicht, sich im Besitz der Beute zu erhalten, bedeutet, die Beute in das eigene Vermögen zu bringen, die Sache filr sich haben zu wollen und - wenn auch nur auf begrenzte Zeit - wirtschaftlich nutzen zu wollen. Daran fehlt es hier.
62 c) Handelt der Täter bei der Vortat in einem Tatbestandsirrtum, so fehlt ihm das Bewusstsein, bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen zu sein, und damit der Vorsatz. § 252 setzt aber den Diebstahl objektiv und subjektiv voraus. - Doch auch ein Verbotsirrtum bei der Vortat fuhrt zum gleichen Ergebnis, denn dieser verhindert, dass sich der Täter des sozialen Sinngehalts des Geschehens bewusst wird. Er erkennt sein Verhalten nicht als Diebstahl. Damit fehlt auch hier das Bewusstsein, bei einem Diebstahl betroffen zu sein. Fall: G schuldet dem Α DM 20,-, weigert sich aber zu bezahlen. Α nimmt dem G DM 20,- weg, weil er meint, dies sei rechtens, und sucht das Weite. Als G den Α verfolgt, schlägt dieser ihn mit einem Aschenbecher nieder. Ergebnis: Lehnt man nicht, wie es oben - vgl. § 40 Rdn. 77 ff - geschehen ist, eine rechtswidrige Zueignung ab, so ist der Irrtum des Α nach h.M. ein Verbotsirrtum. 1 9 3 Doch dieser Irrtum bewirkt, dass Α sich nicht der Tatsache bewusst wird, einen Diebstahl begangen zu haben. Die Kenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale ersetzt aber nicht die Kenntnis des sozialen Sinngehaltes des Geschehens.
3. Täterschaft und Teilnahme 63 a) Mittäter der Vortat können auch Täter des § 252 sein, wenn sie selbst nicht unmittelbar im Besitz der Beute sind. Sie handeln, um sich im Besitz der Beute zu halten, wenn der mittäterschaftlich vermittelte Besitz an der Beute erhalten bleiben soll. aa) Fall: Α und Β haben bei C eingebrochen und ein Gemälde gestohlen. Als C ihnen nachsetzt, läuft Β mit dem Gemälde weiter, während Α den C niederschlägt. Ergebnis: A: § 252. - Handelte Α im Einvernehmen mit B, so ist § 252 auch auf Β anwendbar. 1 9 4 bb) BGH StV 1991 S. 349: Nach einem Diebstahl suchte F das Weite. Den sie verfolgenden X schlug A nieder, der F den Besitz der Beute erhalten wollte. BGH: Da die Absicht des Α nicht darauf gerichtet war, sich im Besitz der Beute zu halten, kommt er als Täter des § 252 nicht in Betracht. 1 9 5
Nach der Beuteteilung kann jeder Mittäter nur noch eigene Sachherrschaft verteidigen. 64 b) Str. ist, ob Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 sein können. Fall: Β hat bei C eingebrochen und ein Gemälde entwendet. A stand Schmiere. Als Β von C verfolgt wird, schlägt Α den C nieder.
Da „Wer ..." i.S. des § 252 nicht der Täter der Vortat sein muss, entscheidet sich die Frage danach, ob der Teilnehmer handelt, „um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten". Das setzt voraus, dass er zumindest Mitbesitzer der Beute ist. Ist er Mitbesitzer oder Besitzer der Beute, so kann er auch Täter des § 252 sein. 1 9 6
193
DazuBGHSt 17 S. 88.
194
So auch BGHSt 6 S. 250; OLG Stuttgart NJW 1966 S. 1931; GEILEN Jura 1980 S. 45; GÖSSEL B.T.2, §
1 9 5
V g l . d a z u a u c h ENNUSCHAT J R 1991 S. 5 0 0 f; OTTO J K 9 1 , S t G B § 2 5 2 / 4 .
196
So auch BGHSt 6 S. 248, 250 f; GEPPERT Jura 1990 S. 558; GÜNTHER SK II, § 252 Rdn. 25;
15 R d n . 2 3 ; HERDEGEN L K , § 2 5 2 R d n . 18; KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 3 4 .
MAURACH/SCHROEDER/MAJWALD ARZT/WEBER
212
B.T.,
§
17
Rdn.
B.T.l, 26;
§35
GEILEN
Rdn. Jura
40; 1980
SANDER S.46;
MK,
§
HERDEGEN
252 LK,
Rdn. §
17.
252
-
Rdn.
A.A. 18;
Raub, räuberischer Diebstahl und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
§ 46
4. Konkurrenzen a) § 252 konsumiert den zuvor begangenen Diebstahl. - Wurde die Anwendung des Raubmittels jedoch nur versucht, so stehen Diebstahl und versuchter räuberischer Diebstahl in Tateinheit. 197 b) War die Vortat ein Raub gemäß §§ 249, 250, 251, so konsumiert dieser den § 252 als straflose Nachtat, soweit bei der Verwirklichung des § 252 keine schwereren qualifizierenden Merkmale als bei der Vortat verwirklicht wurden. 198 c) Erfolgt die Verwirklichung des § 252 unter schwereren Qualifikationsumständen als die Vortat - z.B. Vortat: § 249, um sich im Besitz der Beute zu halten, übt der Täter Gewalt mit einer Waffe -, so konsumiert § 252 die Vortat. 199 d) Richtet sich die Gewalt in den Fällen b) und c) nicht gegen das Opfer der Vortat, sondem gegen einen Dritten, so erlangt die Nötigung eigenständige Bedeutung; BGH NStZ 2002 S. 544; dazu auch HELLMANN JuS 2003 S. 20; OTTO JK 03, StGB § 2501/10.
65
66
67
68
VI. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a 1. Das Wesen der Tat Sachlich stellt § 316 a eine durch die besondere Begehungsweise qualifizierte Form des 69 Raubes, des räuberischen Diebstahls und der räuberischen Erpressung dar. 200 2. Die einzelnen
Tatbestandsmerkmale
a) Angriff ist jede Bedrohung von Leib, Leben oder Entschlussfreiheit des Fahrers oder 70 Mitfahrers eines Kraftfahrzeuges. - Angreifer können Dritte, Mitfahrer oder der Fahrer selbst sein. Gleichgültig ist, ob der Angriff sich von außen nach innen richtet, bzw. innerhalb oder außerhalb des Kraftfahrzeuges unternommen wird. b) Die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs werden ausgenutzt, wenn der Täter 71 eine Gefahrenlage nutzt, die dem fließenden Straßenverkehr eigen ist, d. h. wenn nach dem Tatplan das Kraftfahrzeug als Verkehrsmittel für die Begehung des Gewaltdelikts eine Rolle spielt. Daraus zieht der BGH nunmehr die Konsequenz, dass taugliches Opfer eines hier relevanten Angriffs nur der Führer oder der Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs sein können. Diese Eigenschaft muss zum Zeitpunkt der Verübung des Angriffs vorliegen. - Führer
KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 3 2 ; MITSCH B . T . I I / l , § 4 R d n . 2 4 ; SCHÜNEMANN J A
1980 S. 3 9 9 ;
TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 2 R d n . 11. 197
So auch HERDEGEN LK, § 252 Rdn. 21; LACKNER/KÜHL § 252 Rdn. 8. - A.A. OLG Karlsruhe MDR
198
Vgl. BGHSt 21 S. 380; BGH StV 1983 S. 104; BGH NStZ 2002 S. 544; BAIER GA 2005 S. 93 f.
1 9 7 8 S. 2 4 4 ; SCH/SCH/ESER § 2 5 2 R d n . 13.
1 9 9
V g l . B G H N S t Z 2 0 0 2 S. 5 4 4 ; GÜNTHER S K II, § 2 5 2 R d n . 2 9 ; KINDHÄUSER N K , § 2 5 2 R d n . 3 9 ; KUDLICH J u S 1 9 9 8 S . 9 9 6 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 5 2 R d n . 8 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 2 R d n . 12.
2 0 0
S o a u c h HERZOG N K , § 3 1 6 a R d n . 5 ; K R E Y / H E L L M A N N B . T . 2 , R d n . 2 2 4 ; M E U R E R - M E I C H S N E R U n t e r -
suchungen zum Gelegenheitsgesetz im Strafrecht, 1974, S. 96 ff. - Als Verkehrsdelikt interpretiert die höchstrichterliche Rechtsprechung den Tatbestand; vgl. BGHSt 5 S. 281; 13 S. 29; 22 S. 117; HENTSCHEL JR 1986 S. 428 ff. - Als Verkehrs- und Vermögensdelikt sehen die Vorschrift: GEPPERT Jur a 1 9 9 5 S . 3 1 1 f ; GÖSSEL B . T . 2 , § 15 R d n . 2 7 ; GÜNTHER J Z 1 9 8 7 S . 3 7 5 f f ; L A C K N E R / K Ü H L § 3 1 6 a R d n . 1; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 3 1 6 a R d n . 1.
213
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§46
in diesem Sinn ist, wer das Kfz in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist. Wer sich außerhalb des Fahrzeugs befindet, ist nicht mehr Führer und dementsprechend auch nicht Mitfahrer. 201 72
Beispiele: Gewaltanwendung zur Wegnahme bei einem Kraftfahrer, der an einer Ampel hält, nicht aber Gewaltanwendung zur Wegnahme, nachdem Fahrer aus anderen Gründen - Kassieren des Taxientgelts - angehalten hat und den Motor des Fahrzeugs abgestellt hat.2®2 - Raub eines Kfz, nachdem dessen Fahrer durch List oder Gewalt angehalten w u r d e , n i c h t aber gewaltsame Wegnahme eines ohne Zutun des Täters auf der Straße haltenden oder parkenden Kfz. 2 0 4 - Gewaltanwendung im Fahrzeug, nachdem Fahrerin angehalten hatte, weil sie glaubte, das Fahrzeug habe einen Defekt, 20 ^ nicht aber Erpressung eines Opfers durch Drohung in einem haltenden Wagen, 2 0 °oder Raub gegenüber einem ausgestiegenen Mitfahrer, der zu einem einsamen Ort gefahren worden war. 2 0 7
c) Einen Angriff verübt, wer ihn ausfuhrt, d. h. eine unmittelbar auf Verletzung von Leib, Leben oder Entschlussfreiheit zielende Handlung vornimmt. 208 73 d) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt, den Angriff zu verüben und muss mit der Absicht verbunden sein, einen Raub, eine räuberische Erpressung oder einen räuberischen Diebstahl als Täter zu begehen. Dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, sein Ziel u.U. auch gewaltlos zu erreichen, schließt die Absicht nicht notwendig aus. - Der Raubplan muss spätestens während der Ausführung der Angriffshandlung gefasst sein. 209 3. Erfolgsqualifizierung, Abs. 3 74 Abs. 3 erfasst die wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines anderen Menschen als Erfolgsqualifikation; im einzelnen dazu vgl. unter § 46 Rdn. 40 ff. 4. Konkurrenzen 75 a) Wird § 316 a als Raubdelikt interpretiert, so konsumiert er als schwerstes Delikt die anderen Raubtatbestände mit Ausnahme des § 251, gleichgültig, ob diese vollendet oder versucht sind.
2 0 1
B G H S t 4 9 S. 8, 11 ff m i t A n m . DUTTGE/NOLDEN JUS 2 0 0 5 S . 193 ff; GEPPERT J K 0 4 , S t G B § 3 1 6 a / 6 , HERZOG J R 2 0 0 4 S. 2 5 8 ff, KRÜGER N Z V 2 0 0 4 S. 161 ff; SANDER N S t Z 2 0 0 4 S. 5 0 1 ff, D . u n d I.
STERNBERG-LIEBEN JZ 2004 S. 633 ff; BGH NStZ-RR 2004 S. 171; dazu vgl. auch BROß DAR 1953 S. 6 ; FISCHER J u r a 2 0 0 0 S . 4 3 3 ; GEPPERT J u r a 1 9 9 5 S. 3 1 0 ; GÜNTHER J Z 1 9 8 7 S. 16, 3 6 9 ; INGELFINGER J R 2 0 0 0 S. 2 2 5 ; MEURER - MEICHSNER U n t e r s u c h u n g e n , S. 6 6 f; WOLTERS G A 2 0 0 2 S. 3 0 3 . 202
BGHSt 49 S. 14 ff.
203
BGHSt 24 S. 321.
204
BGHSt 24 S. 321; BGH GA 1979 S. 466; vgl. auch BGH NStZ 1996 S. 389; BGH StV 1997 S. 356; BGH NStZ-RR 1997 S. 356.
205
BGH NStZ 2004 S. 269.
2 0 6
B G H 5 StR 54/72.
207
BGH NStZ-RR 2004 S. 171 f.
2 0 8
V g l . LACKNER/KÜHL § 3 1 6 a R d n . 4 ; MITSCH B . T . 11/2, § 2 R d n . 14; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 ,
Rdn. 383; WOLTERS GA 2002 S. 313. - Enger: FISCHER Jura 2000 S. 440 (nur objektiv zur Erfolgsherbeiführung geeignete Handlungen); INGELFINGER JR 2000 S. 232 (den Kernbereich der Opfersphäre berührende Angriffstätigkeit). 209
214
Vgl. BGH NStZ 1997 S. 236.
Sachbeschädigung
§47
b) Wird § 316 a als Delikt gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs interpretiert, so be- 76 steht Idealkonkurrenz mit den Raubdelikten, deren Versuch jedoch konsumiert wird, wenn er nicht nach den §§ 250, 251 qualifiziert ist. 2 1 0
§ 47 Sachbeschädigung Bloßes Vermögensentziehungsdelikt, im Objekt beschränkt auf Sachen, die einem anderen gehören als dem Täter. - Der Gedanke, die rechtswidrige Vermögensbeschädigung allgemein unter Strafe zu stellen, hat sich nicht durchsetzen können, und auch zur Zeit steht die Schaffung eines - subsidiären - Auffangtatbestandes, der jede nicht durch einen anderen Tatbestand erfasste Vermögensentziehung unter Strafe stellt, nicht zur Debatte.
1
I. Sachbeschädigung, § 303 1. Das geschützte
Rechtsgut
Geschützt ist die umfassende Sachherrschaftsposition einer Person über eine Sache, die im Regelfall durch das Eigentumsrecht vermittelt wird. 211 - Bei der Zerstörung oder Beschädigung von Sachen, die auch aus der Sicht des Berechtigten völlig wertlos sind und an deren Erhalt er keinerlei sachgerechtes Interesse hat, entfallt der Tatbestand, weil ein Vermögensschaden nicht vorliegt. 212 2. Die einzelnen
2
Tatbestandsmerkmale
a) Sache ist - wie bei den Aneignungsdelikten - als körperlicher Gegenstand zu verstehen, d.h. als konkret wahrnehmbares, gegen andere Gegebenheiten abgegrenztes Objekt.
3
Geschützt sind daher auch Tiere. 2 1 ·' Erfasst werden ferner unbewegliche Sachen, z.B. Hausruinen, Brunnenanlagen, Gärten oder Felder. Bei einer Langlaufloipe entscheidet sich die Frage, ob eine Sache i.S. des § 303 vorliegt, danach, ob diese als hinreichend abgegrenzt gegenüber ihrer Umgebung angesehen werden kann. 21 '* Zur Sacheigenschaft von Körperteilen und Leichen vgl. § 40 Rdn. 5.
b) Zum Begrifffremd vgl. oben § 40 Rdn. 9 ff. 4 c) Beschädigen ist jede nicht ganz unerhebliche körperliche Einwirkung auf eine Sache, 5 durch die ihre Unversehrtheit verletzt, ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit beeinträchtigt oder ihr äußerer Zustand nachteilig verändert wird. aa) Sachbeschädigung ist damit zunächst die Substanzverletzung, d.h. die Beseitigung der ® stofflichen Unversehrtheit einer Sache, deren stoffliche Verringerung oder Verschlechterung. Fall: Bei der Volkszählung 1987 schnitt Α aus dem Volkszählungsbogen die Kennziffer, bevor er den Bogen an die zuständige Behörde zurücksandte.
210
Vgl. BGHSt 25 S. 373; BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 808.
211
Vgl. auch SAX Lauflce-FS, S. 322. - Das formale Eigentumsrecht sehen als geschützt an: BGHSt. 29 S. 129; LACKNER/KÜHL § 3 0 3 R d n . 1; WOLFF L K , § 3 0 3 R d n . 1. - F ü r d e n S c h u t z d e r f o r m a l e n R e c h t s p o -
sition und der sich dazu ergebenden inhaltlichen Rechtsmacht: GÖSSEL JR 1980 S. 185. 212
Vgl. BayObLG NJW 1993 S. 2760; GÖSSEL B.T.2, § 4 Rdn. 36; TRÖNDLE/FISCHER § 303 Rdn. 3; WOLFF L K , § 3 0 3 R d n . 3.
213
Siehe oben § 40 Rdn. 4.
214
Dazu BayObLG JR 1980 S. 429 f mit Anm. M. J. SCHMID S. 430 f.
215
§47
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Ergebnis: Sachbeschädigung, da die Behörde ein positives Interesse am Erhalt auch nicht ausgefüllter Bögen zur Gewinnung bestimmter Daten h a t t e t 1 5
7
bb) Sachbeschädigung ist sodann die Einwirkung auf eine Sache, durch die deren bestimmungsgemäße Brauchbarkeit nicht nur geringfügig beeinträchtigt wird. RG HRR 1936 Nr. 854: Α bespritzt die Kleidung des Β mit Urin.
8
Die Brauchbarkeitsminderung kann auch durch Hinzufugen eines Gegenstandes, ζ. B. Befestigung von Hindernissen auf Gleisen erfolgen. 2 1 6 cc) Streitig ist, ob die dem Eigentümerinteresse zuwiderlaufende Zustandsveränderung einer Sache als Sachbeschädigung angesehen werden kann. BGHSt 29 S. 129: Α beklebte einen Verteilerkasten der Deutschen Bundespost mit einem Plakat, ohne damit die Substanz des Kastens zu verletzen oder seine Brauchbarkeit zu beeinträchtigen. BGH: Keine Sachbeschädigung.
9
Die Rechtsprechung geht heute davon aus, „daß eine dem Gestaltungswillen des Eigentümers zuwiderlaufende Veränderung der äußeren Erscheinung und Form einer Sache für sich allein grundsätzlich nicht ausreicht, um den Tatbestand der Sachbeschädigung zu erfüllen". 2 1 7 Diese Entscheidung wird der Zwecksetzung des Gesetzgebers, dem Eigentümer den Gebrauchsnutzen einer Sache zu erhalten und ihn in dieser Position zu schützen, nicht gerecht. Auch eine erhebliche negative Zustandsveränderung durch unmittelbare stoffliche Einwirkung auf die Sache ist daher als Sachbeschädigung anzusehen, wenn der Eigentümer ein vernünftiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Zustandes hat. 2 1 8 - In seiner praktischen Bedeutung entschärft wird der Streit, wenn Substanzverletzungen, die bei der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustande eintreten, dem Täter als Sachbeschädigung zugerechnet werden. 2 1 9
10 d) Zerstören ist eine so erhebliche Beschädigung, dass die Sache fur ihre Zwecke völlig unbrauchbar ist.
215
Vgl. auch OLG Celle NJW 1988 S. 1101 mit zust. Anm. GEERDS JR 1988 S. 435 f; OLG Köln NJW 1988 S. 1103; OLG Düsseldorf MDR 1989 S. 89; BayObLG NJW 1989 S. 599; ENGELAGE NJW 1987 S. 2 8 0 1 f; - A . A . ZACZYK STV 1 9 8 8 S. 157 ff.
216
Vgl. BGHSt 44 S. 34, 38 mit Anm. DLETMELER JR 1998 S. 470 ff, OTTO NStZ 1998 S. 513.
217
Vgl. BGHSt 29 S. 129, 133; BayObLG StV 1999 S. 543; KG NJW 1999 S. 1200; OLG Düsseldorf NJW 1999 S. 1199; OLG Hamburg NStZ-RR 1999 S. 209; OLG Karlsruhe StV 1999 S. 544; OLG D r e s d e n N J W 2 0 0 4 S. 2 8 4 3 m i t A n m . GEPPERT J K 0 5 , S t G B § 3 0 3 / 4 . - D e m f o l g e n d : BEHM J R 1 9 8 8 S. 3 6 0 ff m i t E n t g e g n u n g SCHROEDER S. 3 6 3 f; DERS. N S t Z 1 9 9 9 S. 5 1 1 f; BOTTKE J A 1 9 8 0 S. 5 4 1 ; JOECKS S t G B , § 3 0 3 R d n . 8; KARGL J Z 1 9 9 7 S. 2 8 9 ; KATZER N J W 1981 S. 2 0 3 6 ff; MLTSCH B . T . I I / l , § 5 R d n . 2 3 f; SEELMANN J u S 1985 S. 199 f; THOSS N J W 1 9 7 8 S. 1612 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 3 0 3
Rdn. 8; WOLFF LK, § 303 Rdn. 12. - Gegen diese Interpretation von BGHSt 29 S. 129: SCHEFFLER NStZ 2001 S. 290 ff. 2 1 8
V g l . DÖLLING N J W 1981 S. 2 0 7 f; GÖSSEL J R 1 9 8 0 S. 1 8 4 ff; HAAS JUS 1 9 7 8 S. 14 ff; INGELFINGER
Graffiti und Sachbeschädigung, 2003, S. 35 ff; KINDHÄUSER B.T.II, § 20 Rdn. 14; KÜPER B.T., S. 240; MAIWALD J Z 1 9 8 0 S . 2 5 6 ff; MOMSEN J R 2 0 0 0 S. 1 7 5 ; OTTO J K 0 0 , S t G B § 3 0 3 / 3 ; SCHROEDER J R
1987 S. 359 f; WEBER Meurer-GedS, S. 286; ZACZYK NK, § 303 Rdn. 12. - De lege ferenda will WOLF - Graffiti als kriminologisches und strafrechtsdogmatisches Problem, 2004, S. 230 ff, 232 - die nachhaltige Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes einer Sache strafrechtlich erfassen; ähnlich KÜHL WeberF S , S. 423 ff. 219
So BGHSt 29 S. 129, 131; BayObLG StV 1999 S. 543; OLG Düsseldorf NJW 1999 S. 1192; OLG Hamburg NStZ-RR 1999 S. 209; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 28. - Zutreffend gegen diese K o n s t r u k t i o n : MAIWALD J Z 1 9 8 0 S. 2 5 9 ; MOMSEN J R 2 0 0 0 S. 173 f; ZACZYK N K , § 3 0 3 R d n . 12.
216
Sachbeschädigung
§47
e) Die nur dauernde Sachentziehung ist weder Sachbeschädigung noch Sachzerstörung, 11 obwohl ihr Unrechtsgehalt oft an die Sachzerstörung herankommt. f) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 12 3. Beispiele a) Beschmieren einer Marmorbüste mit Farbe. - RGSt 43 S. 204: Sachbeschädigung.
13
b) Die Seiten eines Buches werden mit Tinte bespritzt. - Sachbeschädigung, auch wenn man den Text noch lesen kann. Das Buch hat auch Wert als ästhetischer Gegenstand. c) Einfügen eines Teiles in eine Maschine, so dass diese nicht ordnungsgemäß arbeiten kann. - RGSt 20 S. 183: Sachbeschädigung. d) Herauslassen der Luft aus dem Reifen eines Kfz. - BGHSt 13 S. 207: Sachbeschädigung, es sei denn, es ist eine Tankstelle in der Nähe. - Die Einschränkung überzeugt nicht. Auch in der Nähe einer Tankstelle kann dieser Eingriff in die Brauchbarkeit des Kfz nicht mehr als unerheblich angesehen werden. - Zweifelhaft hingegen ist die Einordnung des Ablassens der Luft aus einem Fahrradreifen als Sachbeschädigung.22** e) Löschen eines Tonbandes, Video-Bandes oder eines Datenträgers: Sachbeschädigung. 22 ' - Zur Datenveränderung, § 303 a; vgl. unter Rdn. 27 ff. f) Das Telefaxpapier des X wird durch unerwünschte Werbetelefaxe verbraucht; keine Sachbeschädigung, da die Verwendung bestimmungsgemäß erfolgte. 2 2 2 g)Einem fremden Kanarienvogel wird die Käfigtür geöffiiet. Er fliegt davon. - Bloße Sachentziehung. Ist der Vogel in Freiheit aber nicht lebensfähig, so liegt Sachzerstörung im Moment des Todes des Vogels vor. h) Ein goldener Becher wird ins Meer geworfen. - Bloße - straflose - Sachentziehung.
4. Die
Rechtswidrigkeit
Die Rechtswidrigkeit der Sachbeschädigung ist allgemeines Verbrechensmerkmal. - Ihr 14 kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Die Rechtswidrigkeit kann insbesondere durch die Einwilligung des Berechtigten ausgeschlossen sein. 2 2 3 Hat der Täter einen rechtswirksamen Anspruch auf Übereignung oder Zerstörung der Sache, so entfallt die Rechtswidrigkeit der Tathandlung. 5. Zur Konkurrenz zwischen Zueignungsdelikt und
Sachbeschädigung
a) Bekundet der Täter, der sich eine fremde Sache rechtswidrig zugeeignet hat, dass er die- 15 se Sache weiterbehalten will, so erwächst dem Eigentümer aus diesem Verhalten kein weiterer Schaden durch Entziehung eines Vermögensobjekts oder Minderung seiner Herrschaftsposition; gleiches gilt, wenn der Dieb wiederum bestohlen wird. b) Zerstört hingegen der Täter, der sich die Sache rechtswidrig zugeeignet hat, die Sache, 16 so geht der Gegenstand des Eigentumsrechts unter und damit das Recht selbst. Insofern erleidet der Eigentümer durch diese Tat einen weiteren Schaden. Damit ist Raum für eine tatbestandsmäßige Sachbeschädigung gegeben. Dennoch wird man in diesen Fällen die Sachbeschädigung als straflose Nachtat ansehen können: Mit dem Zueignungsdelikt wird 2 2 0
So aber BayObLG JZ 1987 S. 1037 mit Anm. BEHM NStZ 1988 S. 275 f, GEERDSJR 1988 S. 218 f.
2 2 1
D a z u MERKEL N J W 1 9 5 6 S . 7 7 8 ; WOLFF L K , § 3 0 3 R d n . 6 . - A . A . GERSTENBERG N J W 1 9 5 6 S . 5 4 0 ; LAMPE G A 1 9 7 5 S . 16.
222
So auch OLG Frankfurt NStZ 2004 S. 687; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 3 1 . - A.A. STÖBER NStZ 2003 S. 515 ff.
223
Zur Frage, ob die Einwilligung zum Tatbestandsausschluss oder zur Rechtfertigung führt, vgl. einerseits GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 R d n . 1 2 3 f f , a n d e r e r s e i t s GROPENGIEBER J R 1 9 9 8 S . 9 1 f m . N .
217
§47
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
die Anmaßung der umfassenden Sachherrschaft durch den Täter bestraft. Zwar kann er wenn die Sache dem Berechtigten abhanden gekommen ist - durch die Zueignungshandlung selbst das Eigentum des Berechtigten nicht vernichten. Er erlangt aber bereits mit der Zueignungshandlung jene Position, die ihm auch dies ermöglicht. Diese Tatsache wird bereits in der Strafe des Zueignungsdelikts erfasst. 224 17 c) Idealkonkurrenz zwischen Zueignungsdelikt und Sachbeschädigung liegt vor, wenn die Zueignung einer Sache zugleich die Beschädigung einer anderen Sache darstellt, z.B. wenn jemand aus einem fremden Fernseher einen Transistor herausbricht.
II. Besondere Fälle der Sachbeschädigung 1. Zerstörung von Bauwerken, §305 18 § 305 erfasst eine qualifizierte Sachbeschädigung. Die im Gesetz genannten Objekte müssen von einer gewissen Bedeutung sein: Schiffe i.S. des Gesetzes sind daher nur größere Wasserfahrzeuge. Als Brücke kann ein bloßer Fußgängersteg nicht angesehen werden. Das Gebäude braucht noch nicht fertig zu sein (Rohbau) 225 . - Zerstört ist das Bauwerk, wenn es nicht nur unerhebliche Zeit für seinen Zweck unbrauchbar ist. Eine teilweise Zerstörung liegt vor, wenn ein Teil des Bauwerks, z.B. eine Treppe, für seinen Zweck unbrauchbar gemacht worden ist. 2. Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel, § 305 a 19 § 305 a erstreckt den Strafrechtsschutz gegen Sachbeschädigungen in das Vorfeld des §316 b. - Technisches Arbeitsmittel ist jeder aufgrund technischer Erfahrungen hergestellte Gegenstand, der geeignet und dazu bestimmt ist, die Arbeitsvorgänge bei der Errichtung der genannten Anlagen zu ermöglichen oder zu erleichtern. 226 - Der bedeutende Wert der Arbeitsmittel bemisst sich nach seinem Verkehrswert im Tatzeitpunkt. Er wird z.Zt. bei rd. € 600,- anzusetzen sein. 227 20 Bei den nach Abs. 1 Nr. 2 geschützten Kraftfahrzeugen kommt es nicht auf die Eigentumsverhältnisse an, sondern darauf, ob das Fahrzeug der Polizei oder der Bundeswehr von der zuständigen Stelle fur dienstliche Zwecke bereitgestellt ist. 3. Brandstiftung, § 306 21 Eine durch die Tathandlung qualifizierte Sachbeschädigung enthält § 306; eingehender zu Tatobjekt und Tathandlung vgl. unter § 79 Rdn. 1 ff. 4. Erfolgsqualifizierte Fälle der Brandstiftung 22 Erfolgsqualifizierte Fälle der Brandstiftung stellen die besonders schwere Brandstiftung gemäß § 306 b Abs. 1 und die Brandstiftung mit Todesfolge, § 306 c, dar; im einzelnen dazu unter § 79 Rdn. 13 ff.
2 2 4
Vgl. auch BGH NStZ-RR 1998 S. 294.
225
Str., dazu BGHSt 6 S. 107.
226
Dazu vgl. BT-Drucks. 10/6635, S. 14.
2 2 7
Vgl. dazu WOLFF LK, § 305 a Rdn. 6 m.N.; BayObLG StV 1998 S. 267 für § 315 c: über 1450.- DM.
218
Sachbeschädigung
§47
5. Fahrlässige Brandstiftung, § 306 d Die fahrlässige Sachbeschädigung stellt § 306 d unter Strafe; im einzelnen dazu unter § 79 23 Rdn. 17ff. 6. Gemeinschädliche Sachbeschädigung, § 304 a) Systematisch gehört die Vorschrift nicht in den Bereich der Sachbeschädigungsdelikte. 24 Es handelt sich vielmehr um ein gemeinschädliches Delikt, das unabhängig von der Eigentumslage das allgemeine Interesse am Erhalt bestimmter zweckgebundener, insbesondere kultureller oder gemeinnütziger Objekte schützt. b) Schutzgegenstände.· religiöse Objekte, dazu oben § 41 Rdn. 22, Gegenstände der Kunst 25 und der Wissenschaft, dazu oben § 41 Rdn. 23. Der öffentliche Nutzungszweck muss sich bei den Gegenständen zum öffentlichen Nutzen unmittelbar aus den Objekten ergeben. Er muss auf einer ausdrücklichen oder aus allgemeiner Übung erwachsenen Widmung beruhen. - Die besondere Zweckbestimmung muss durch die Tathandlung beeinträchtigt sein. 228 Beispiele: Parkuhr; Verkehrszeichen; öffentliche Telefonzelle; Feuermelder; Feuerlöscher in allgemein zugänglichen Räumen (BayObLG NJW 1988 S. 837); Rettungsfahrzeuge, die nicht allein einem privaten Zweck dienen (OLG Düsseldorf MDR 1986 S. 515); Ruhebänke im öffentlichen Park u.ä. - Nicht hingegen: Wahlplakate einer Partei (LG Wiesbaden NJW 1978 S. 2107 mit Anm. LOOS JuS 1979 S. 699 ff); Bäume in einem Park (OLG Oldenburg NJW 1988 S. 924); Hütten, in denen Verkehrsschilder u.ä. aufbewahrt werden (BGH NStZ 1990 S. 540).
7. Tätige Reue Gemäß § 306 e Abs. 1 kann das Gericht in den Fällen der §§ 306, 306 b die Strafe mildern 26 oder von Strafe absehen, wenn der Täter den Brand freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht. Im Falle des § 306 d tritt in dieser Situation Straffreiheit ein, § 306 e Abs. 2. - § 306 e Abs. 3 eröffnet die Möglichkeiten der Strafmilderung und Strafbefreiung für den Fall ernstlichen Bemühens des Täters um Schadensabwendung, wenn der Brand ohne Zutun des Täters gelöscht wird, bevor ein erheblicher Schaden entstanden ist.
III. Schutz von Daten und Datenverarbeitung 1. Datenveränderung, § 303 a a) Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse des Verfügungsberechtigten an der unversehrten 27 Verwendbarkeit von Daten. 229 b) Daten als Handlungsobjekt Handlungsobjekt sind nicht unmittelbar wahrnehmbare Daten, § 202 a Abs. 2; vgl. dazu 28 § 34 Rdn. 67.
228
Vgl. dazu BayObLG StV 1999 S. 543.
2 2 9
V g l . B a y O b L G w i s t r a 1 9 9 3 S. 3 0 5 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 18 R d n . 56; LACKNER/KÜHL § 3 0 3 a R d n . 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 6 R d n . 3; MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1986 S. 141; TRÖNDLE/FISCHER § 3 0 3 a R d n . 2 . - A . A . HAFT N S t Z 1987 S. 10; WELP iur 1 9 8 8 S. 4 3 5 : D a s V e r m ö -
gen in seiner spezialisierten Ausprägung in Daten. Diese Begrenzung des Schutzes ist systematisch zwar folgerichtig, mit dem Wortlaut des Gesetzes aber nicht in Einklang zu bringen.
219
§47
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
c) Die Tathandlungen 29 Löschen der Daten bedeutet Zerstörung i.S. des § 303 Abs. 1, d.h. nicht wiederherstellbare vollständige Unkenntlichkeit der konkreten Speicherung. 230 Unterdrücken ist ein Entziehen der Daten dem Berechtigten gegenüber, so dass dieser sie nicht seiner Vorstellung entsprechend verwenden kann. Ein Unbrauchbarmachen liegt in der Beeinträchtigung der Gebrauchsfahigkeit der Daten zu ihrem vorgesehenen Zweck durch Eingriff in den Datenbestand. Verändern erfordert das Herstellen eines neuen Dateninhalts. Die Infizierung eines Programms mit einem Computervirus ist je nach der Wirkung dieses Virus auf das Programm als Unbrauchbarmachen oder Verändern von Daten anzusehen. 2 3 '
d) Die Rechtswidrigkeit der Tathandlung 30 Tatbestandsmäßig ist nur die rechtswidrige Tathandlung. Das Merkmal rechtswidrig ist hier im Gegensatz zu § 303 nicht allgemeines Verbrechensmerkmal, sondern einschränkendes Tatbestandsmerkmal, das tatbestandsmäßiges Handeln des unbeschränkt Verfügungs- und Nutzungsberechtigten ausschließt 232 , da jedermann Daten verändern darf, über die er verfügungsberechtigt ist. Soweit „rechtswidrig" hier als allgemeines Verbrechensmerkmal interpretiert wird, erfolgt die allgemein als notwendig anerkannte Begrenzung des Tatbestandes durch Einfügung von Merkmalen, die im Gesetz nicht genannt sind, z.B. „fremd". 2 3 3
31 Verfügungsberechtigt ist deijenige, der die Speicherung oder Übermittlung der Daten selbst unmittelbar bewirkt hat oder dem das Verfugungsrecht vom unmittelbaren Verfügungsberechtigten übertragen wurde. 234 Irrelevant ist demgegenüber das Eigentum am Datenträger, die Urheberschaft am Speicherungs- oder Übertragungsvorgang oder das bloße Betroffensein von Dateninhalt i.S. des BDSG. 235 Z.T. wird der Tatbestand als verfassungswidrig gemäß Art. 103 Abs. 2 GG angesehen, „da es keine gesetzlichen Regelungen gibt, die die Verfllgungsbefugnis an Daten regeln".23** Das überzeugt nicht, da die Problematik durchaus der unbefugten Offenbarung von Geheimnissen vergleichbar ist, wo auch nicht nur auf „gesetzliche Regelungen" abgestellt wird. 2 3 7
e) Subjektiver Tatbestand 32 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Dieser muss sich auch auf die Rechtswidrigkeit der Tathandlung i.S. der Verletzung des Verfügungs- oder Nutzungsrechts eines Dritten beziehen.
2 3 0
LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S . 8 2 9 .
2 3 1
V g l . d a z u ERNST N J W 2 0 0 3 S. 3 2 3 7 f;GRAVENREUTH N S t Z 1 9 8 9 S. 2 0 1 ff.
2 3 2
V g l . HILGENDORF JUS 1 9 9 6 S. 8 9 2 ; LACKNER/KÜHL § 3 0 3 a R d n . 4 ; MITSCH B . T . H/2, § 5 R d n . 2 0 2 ; ZACZYK N K , § 3 0 3 a R d n . 12. - A . A . TOLKSDORF L K , § 3 0 3 a R d n . 5 , 3 7 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 0 3 a Rdn. 13;
233
Vgl. dazu LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 828; WELP Informatik und Recht 1988 S. 447.
2 3 4
V g l . B a y O b L G J R 1 9 9 4 S. 4 7 7 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 18 R d n . 6 6 ; HILGENDORF J R 1 9 9 4 S. 4 7 9 ; WELP iur 1988 S. 447.
235
So auch HAFT NStZ 1987 S. 10; LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 829; WELP Informatik und Recht 1988 S. 448. - A.A. BT-Drucks. 10/5058, S. 34; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 141 f.
2 3 6
V g l . TOLKSDORF L K , § 3 0 3 a R d n . 7.
237
Vgl. auch BayObLG wistra 1993 S. 304 mit Anm. HILGENDORF JR 1994 S. 478 ff, OTTO JK 94, StGB § 303 a/1.
220
Sachbeschädigung
§47
f) Konkurrenzen Soweit die Substanz des Datenträgers nicht beeinträchtigt wird, ist § 303 a lex specialis 33 gegenüber § 303. Im übrigen ist Idealkonkurrenz mit den §§ 202 a, 303, 263 a, 268, 269, sowie mit § 43 BDSG möglich. 2. Computersabotage, § 303 b a) Geschütztes Rechtsgut und Aufbau des Tatbestandes Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse von Wirtschaft und Verwaltung an der Funktionsfähigkeit ihrer Datenverarbeitung. Abs. 1 Nr. 1 enthält gegenüber § 303 a einen Qualifikationstatbestand, während Abs. 1 Nr. 2 einen selbständigen - der Sachbeschädigung vergleichbaren - Tatbestand darstellt. b) Tatobjekt Tatobjekt ist die Datenverarbeitung, d.h. der Gesamtbereich eines datenverarbeitenden Systems mit der Gesamtheit seiner Datenverarbeitungsvorgänge sowie des weiteren Umgangs mit Daten und deren Verwendung, so dass auch Speicherung, Dokumentierung und Aufbereitung erfasst sind. 238 - Beschränkt ist der Schutz auf die Datenverarbeitung, die fiir einen fremden Betrieb usw. von wesentlicher Bedeutung ist. Betrieb ist eine räumlich technische Einheit, mit der ein bestimmter arbeitstechnischer oder wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird. - Der Begriff des Unternehmens ist demgegenüber weiter und erfasst organisatorische Einheiten, die auf einer Verbindung personeller und sachlicher Mittel beruhen. Der verfolgte Zweck braucht nicht wirtschaftlicher Natur zu sein, auch karitative Organisationen sind vom Schutzzweck erfasst. - Behörde ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, § 1 Abs. 4 VwVfG, auch Gerichte, § 11 Abs. 1 Nr. 7. Fremd sind der Betrieb und das Unternehmen, wenn sie bei rechtlich-wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht dem Vermögen des Täters zuzuordnen sind. 239 Wesentliche Bedeutung hat die Datenverarbeitung für die geschützte Einrichtung, wenn deren Funktionsfahigkeit auf der Grundlage einer konkreten Arbeitsweise, Ausstattung und Organisation ganz oder zu einem erheblichen Teil von dem einwandfreien Funktionieren der Datenverarbeitung abhängt. 240 c) Die Tathandlungen Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 1 setzt eine Veränderung von Daten im Sinne des § 303 a voraus, an denen ein anderer als der Täter ein Verfugungsrecht hat. - Täter kann daher auch der Eigentümer einer Datenverarbeitungsanlage sein, der im Auftrage anderer Daten verarbeitet. Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 2 richtet sich gegen die Hardware. - Sie kann sich auch gegen Sachen des Täters richten, wenn diese in die geschützte Einrichtung auf Grund von Besitz- oder Nutzungsrechten eingegliedert sind. 241 - Zum Zerstören vgl. Rdn. 10 f, zum Beschädigen vgl. Rdn. 5 f, zum Unbrauchbarmachen vgl. Rdn. 29. Beseitigen liegt vor, wenn das Tatobjekt aus dem Verfugungsbereich des Berechtigten entfernt wird.
238
Vgl. BT-Drucks. 10/5058 S. 36.
2 3 9
V g l . LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S. 8 3 0 ; w e i t e r LACKNER/KÜHL § 3 0 3 b R d n . 2 .
2 4 0
LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S. 8 3 0 .
2 4 1
V g l . d a z u LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S. 8 3 1 ; w e i t e r LACKNER/KÜHL § 3 0 3 b R d n . 5.
221
34
35
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37 38
39
40
§48
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
d) Der Taterfolg 41 Die Tathandlung muss zu einer Störung der Datenverarbeitung geführt haben. Eine Störung liegt vor, wenn der reibungslose Ablauf der Datenverarbeitung nicht unerheblich beeinträchtigt ist. 242 e) Subjektiver Tatbestand 42 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. f) Konkurrenzen 43 Abs. 1 Nr. 2 ist gegenüber § 303 der speziellere Tatbestand, soweit die Voraussetzungen des § 303 vorliegen. - Idealkonkurrenz ist möglich mit den §§ 88,202 a, 269, 316 b.
IV. Strafantrag 44 Taten nach §§ 303 - 303 b werden nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten fur geboten hält, § 303 c. 45 Nach h.M. ist Verletzter und damit Antragsberechtigter nicht nur der Eigentümer, sondern jeder, der ein dingliches oder persönliches Recht an der beschädigten Sache hat und in diesem Recht durch die Tat verletzt worden ist. 243 Für eine derartige Ausweitung des Antragsrechts besteht im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut dieser Vorschrift keinerlei Grund. Antragsberechtigt ist allein der Träger des geschützten Rechtsguts, d.h. im Regelfall der Eigentümer, ausnahmsweise der Inhaber des stärksten Vermögensrechts an der Sache, dazu oben unter Rdn. 2. 2 4 4
§ 48 Strafbare Gebrauchsanmaßungen I. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b 1
1. Das geschützte Rechtsgut Seiner systematischen Stellung nach gehört § 248 b in den Bereich der Delikte gegen die umfassende Sachherrschafisposition einer Person. Diese Position wird durch die rechtswidrige Anmaßung der Nutzung verletzt. 245 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale
2 3
a) Tatobjekte können Kraftfahrzeuge - dazu § 248 b Abs. 4 - und Fahrräder sein. b) Ingebrauchnahme ist eine Benutzung des Fahrzeugs, „bei der der Täter sich des Fahrzeugs unter Einwirkenlassen der zu Ingangsetzung und Inganghaltung geeigneten Kräfte 242 BT-Drucks. 7/5058 S. 35. 243
2 4 4
Vgl. BayObLG JR 1982 S. 25; OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 2056; OLG Frankfurt NJW 1987 S. 389; TRÖNDLE/FlSCHER § 303 c Rdn. 3; WOLFF LK, § 303 c Rdn. 2. V g l . a u c h L A C K N E R / K Ü H L § 3 0 3 c R d n . 3 ; RUDOLPHI J R 1 9 8 2 S . 2 8 ; STREE J U S 1 9 8 8 S . 1 9 1 f; ZACZYK.
N K , § 3 0 3 c Rdn. 4. 245
Sachlich übereinstimmend, wenn auch auf die Verletzung des Eigentums abstellend: HOYER SK II, § 248 b Rdn. 1; SCHMIDHÄUSER B.T., 8/67; SCH/SCH/ESER § 248 b Rdn. 1. - A.A. Schutz des Eigentums und jeglicher Gebrauchsrechte: BGHSt 11 S. 51; LACKNER/KÜHL § 248 b Rdn. 1. - Für Schutz des Nutzungsrechts, u.U. auch gegenüber dem Eigentum: GÖSSEL B.T.2, § 18 Rdn. 27; KINDHÄUSER NK, § 2 4 8 b R d n . 2 ; M A U R A C H / S C H R O E D E R / M A I W A L D B . T . I , § 3 7 R d n . 5 ; WESSELS/HILLENKAMP
Rdn. 396.
222
B.T./2,
Strafbare Gebrauchsanmaßungen
§48
als Fortbewegungsmittel bedient und dabei eine ihm nicht zustehende Herrschaftsgewalt über das Fahrzeug ausübt". 246 In Gang gesetzt sein muss das Fahrzeug, nicht bloß der Motor. Daher erfüllt das Anlassen des Motors noch nicht den Tatbestand, wohl aber das Fahren im Leerlauf. - Nicht unter § 248 b fallen: Übernachten im fremden Kfz; Mitfahren im Autobus als blinder Passagier, Anhängen des eigenen Fahrrades an ein fremdes Fahrzeug. '
aa) Nimmt der Täter das Fahrzeug mit Willen des Berechtigten in Gebrauch, nutzt es aber dann in einer dem Willen des Berechtigten nicht mehr entsprechenden Weise, so ist zu differenzieren: Der bloß vertragswidrige Gebrauch während der Zeit der Nutzungsberechtigung erfüllt den Tatbestand nicht.
4
LG Mannheim NJW 1965 S. 1929: Der Mieter eines Kfz, der sich vertraglich verpflichtet hatte, nicht selbst mit dem Fahrzeug zu fahren, nutzt das Fahrzeug dennoch selbst. LG: Der Mieter war Berechtigter i.S. des § 248 b. Sein bloß vertragswidriges Verhalten ist nicht tatbes tandsmäßig.
Hingegen soll ein weiteres Benutzen des Fahrzeugs nach Ablauf der vertraglichen Nutzungszeit tatbestandsmäßig sein, weil das „unbefugte Inganghalten" dem „unbefugten Ingebrauchnehmen" gleichstehe. 248
5
OLG Schleswig NStZ 1990 S. 340: Der Mieter eines Kfz verlängerte die Mietdauer mehrmals telefonisch. Dann verweigerte der Vermieter die Verlängerung des Mietvertrages. Der Mieter gab das Kfz dennoch erst Wochen später zurück. OLG: § 248 b liegt vor, da die Vorschrift auch die „Gebrauchsunterschlagung" erfasst.
Das überzeugt nicht. Der kriminalpolitische Zweck des § 248 b liegt darin, den EntWendungen von Kraftfahrzeugen zum vorübergehenden Gebrauch gegen den Willen des Berechtigten zu begegnen, nicht aber rechtswidriges, insbes. vertragswidriges Verhalten sei es in der Art oder Dauer der Benutzung - bei der Benutzung von Kraftfahrzeugen schlechthin zu pönalisieren. Für einen derart weiten Strafrechtsschutz von Vertragsverletzungen u.ä. besteht kein Bedürfnis 2 4 9 bb) Entsprechend der Möglichkeit einer rechtswidrigen Zueignung einer Sache, über die der Täter zunächst gutgläubig Sachherrschaft erlangte, besteht die Möglichkeit der Verwirklichung des § 248 b allerdings, wenn der Täter bei der Ingebrauchnahme meint, befugt zu sein, später aber merkt, dass dies nicht der Fall ist, er aber gleichwohl das Fahrzeug weiter benutzt.
6
7
BGHSt 11 S. 47: Α lieh sich von Ρ einen PKW. Er meinte, Ρ sei der Eigentümer. Während der Fahrt erkannte A, dass Ρ nicht der rechtmäßige Besitzer des Wagens sein konnte. Er fuhr dennoch weiter. BGH: § 248 b.
Auch sonst ist es nicht erforderlich, dass dem Berechtigten das Kfz durch Gewahrsamsbruch entzogen wurde.
246
BGHSt 11 S. 50.
247
BGHSt 11 S. 49 f.
2 4 8
B G H S t 11 S. 5 0 ; B G H G A 1 9 6 3 S. 3 4 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 4 8 b R d n . 3; RENGIER B . T . 1, § 6 Rdn. 7; RUß L K , § 2 4 8 b R d n . 4 ; TRONDLE/FISCHER 2 4 8 b R d n . 4 .
249
So auch BayObLG NJW 1953 S. 193 f; OLG Hamm NJW 1966 S. 2360; AG München NStZ 1986 S. 4 5 8 ; FRANKE N J W 1 9 7 4 S. 1 8 0 3 ff; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 1 4 9 ; K0PER B . T . , S. 2 0 9 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 7 R d n . 9 ; SCH/SCH/ESER § 2 4 8 b Rdn. 4 a; SCHMID-
HÄUSER NStZ 1986 S. 460 f; DERS. NStZ 1990 S. 341.
223
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§48
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Fall: Μ hat das von V gemietete Fahrzeug nach Vertragsende auf einem Parkplatz einfach stehen lassen. A erkennt die Sachlage und nimmt nun das Fahrzeug - ohne Zueignungsabsicht - in Gebrauch. Ergebnis: § 248 b . 2 5 0
9
cc) Nicht Gebrauchsanmaßung, sondern Diebstahl liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Täter ein Kfz für eine Fahrt wegnimmt, es dann aber an irgendeiner Stelle stehen lässt und es dem Zufall überlässt, ob und wann der rechtmäßige Eigentümer es wiedererlangt. - Dem ist zuzustimmen: Zueignung, wenn der Täter ein Kraftfahrzeug wegnimmt, um es nach einer Vergnügungsfahrt zu vernichten oder dem willkürlichen Zugriff Dritter auszusetzen, denn hier maßt der Täter sich umfassende Sachherrschaft über das Fahrzeug an. Gebrauchsanmaßung, wenn der Täter sich lediglich die Position eines Fremdbesitzers anmaßt und davon ausgeht, dass der Berechtigte das Kraftfahrzeug aufgrund der Art des Abstellens zurückerhält. Der Rückstellungswille darf jedoch nicht mit dem bloßen - rechtlich irrelevanten - Wünschen verwechselt werden. Der Täter muss daher das Bewusstsein haben, dass die Rückstellung nach dem üblichen Lauf der Dinge erfolgt. Es genügt nicht, dass er meint, der Eigentümer werde das Fahrzeug vielleicht zurückerhalten. Dass er sich dabei u.U. der Hilfe anderer Personen bedient, ist gleichgültig, wenn diese Hilfe mit Sicherheit einplanbar ist. 251 10 Nicht tatbestandsmäßig ist eine Ingebrauchnahme, um dem Berechtigten den Gebrauch wieder einzuräumen. Dieses Verhalten ist nicht auf Verletzung der umfassenden Sachherrschaft des Berechtigten gerichtet, sondern auf Einräumung der Sachherrschaft. 252 3. Strafantrag 11 Antragsberechtigt ist der Inhaber der umfassenden Sachherrschaft. Dies wird bei Kraftfahrzeugen in der Regel der Halter, bei Fahrrädern der Eigentümer sein. Gegen seine Dispositions- und Gebrauchsbefugnis richtet sich das Delikt, und zwar auch dann, wenn unmittelbar ein Dritter durch die Tat betroffen wurde, weil er das Fahrzeug z.B. geliehen oder gemietet hatte. 12
So im Ergebnis auch diejenigen, die das geschützte Rechtsgut im Eigentum sehen. - Das Antragsrecht wollen jedem durch die Tat berührten Nutzungsberechtigten diejenigen zugestehen, die das geschützte Rechtsgut weiter fassen; dazu oben unter Rdn. 1.
4. Sonderproblem: Der Verbrauch des fremden Kraftstoffs 13 Der Verbrauch des Benzins im Tank begründet nicht die Anwendung des § 242. Insoweit ist § 248 b lex specialis gegenüber § 242, da sonst das Antragsprivileg kaum einmal zum Zuge käme. 253
2 5 0
251
A . A . FRANKE N J W 1 9 7 4 S. 1 8 0 5 ; SCHMIDHÄUSER N S t Z 1 9 8 6 S. 4 6 0 f.
Vgl. BGH NJW 1987 S. 266; BGHSt 22 S. 46; BGH NStZ 1982 S. 420; BGH NStZ 1996 S. 38 mit A n m . OTTO J K 9 6 , S t G B § 2 4 8 b / 3 ; KELLER J R 1 9 8 7 S. 3 4 3 ; OTTO S t r u k t u r , S . 2 0 0 f f ; RANFT J A 1 9 8 4
S. 280; SCHAFFSTEIN GA 1964 S. 107; TRÖNDLE/FISCHER § 2 4 2 Rdn. 39. - A.A. Rückführungswille nicht erforderlich: ARZT/WEBER, B.T., § 13 Rdn. 128; GEPPERT JK 87, StGB § 248 b/2; RUDOLPHI GA 1 9 6 5 S. 5 0 f ; SCH/SCH/ESER § 2 4 2 R d n . 5 4 ; SEELMANN J u S 1 9 8 5 S. 4 5 4 f. 252
Vgl. dazu OLG Düsseldorf JZ 1985 S. 590 mit Anm. OTTO JK, StGB § 248 b/1.
253
Dazu BGHSt 14 S. 388; LACKNER/KÜHL § 248 b Rdn. 6; VOGLER Bockelmann-FS, S. 731. - Differenzierend: RANFT JA 1984 S. 281. - Krit. MITSCH B.T.II/2, § 1 Rdn. 42. - Zu den unterschiedlichen Konstruktionen: KINDHÄUSER NK, § 248 b Rdn. 26.
224
Zur Wiederholung
§49
5. Konkurrenzen Gemäß § 248 b Abs. 1 ist die Vorschrift subsidiär gegenüber Tatbeständen gleicher oder 14 ähnlicher Schutzrichtung. Dies gilt insbesondere gegenüber den Zueignungsdelikten, die während der Gebrauchnahme erfolgen, z.B. einer Unterschlagung.
II. Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290 1. Ähnlich dem § 248 b schützt § 290 die umfassende Sachherrschaftsposition des Be- 15 rechtigten gegen die rechtswidrige Anmaßung der Nutzung der Sache. 2. Nach § 290 werden öffentliche Pfandleiher, d.h. Pfandleiher, deren Geschäft allgemein 16 zugänglich ist (Konzession nicht entscheidend!), bestraft, wenn sie eine Pfandsache eigenmächtig nutzen. 3. Im Falle einer Zueignung des Pfandes ist § 290 subsidiär gegenüber § 246.
17
§ 49 Zur Wiederholung 1. 2.
Welche Ansichten werden über das geschützte Rechtsgut des Diebstahlstatbestandes vertreten und wo werden die verschiedenen Auffassungen praktisch bedeutsam? - Dazu § 39 Rdn. 1 ff, § 43 Rdn. 8 ff. Welche verschiedenen Definitionen des Begriffs „fremd" in §§ 242, 246 werden vertreten. - Führen die Unterschiede auch zu praktischen Konsequenzen? - Dazu § 40 Rdn. 9 ff.
3.
Wie ist der Begriff „Wegnahme" zu definieren? - Dazu § 40 Rdn. 15.
4.
Welche Elemente bestimmen den Gewahrsamsbegriff? - Dazu § 40 Rdn. 16 ff.
5.
Haben Bewusstlose noch Gewahrsam? - Dazu § 40 Rdn. 21.
6.
Geht der Gewahrsam des Erblassers mit dem Tode auf die Erben über? - Dazu § 40 Rdn. 31.
7. 8.
Welche Elemente enthält der Begriff der „Zueignung"? - Dazu § 40 Rdn. 55 ff. Was kennzeichnen die Begriffe: Sachsubstanztheorie, Sachwerttheorie, Vereinigungstheorie? - Dazu § 40 Rdn. 45 ff. Wann ist eine Zueignung rechtswidrig? - Dazu § 40 Rdn. 77.
9.
10. Ist es sachgerecht, beim Ausschluss der Rechtswidrigkeit der Zueignung zwischen Gattungs- und Speziesansprüchen zu differenzieren? - Dazu § 40 Rdn. 79. 11. Welche Möglichkeiten enthält die Gesetzestechnik der „Regelbeispiele"? - Dazu § 41 Rdn. 1 ff. 12. Welche Bedeutung hat der Irrtum über das Vorliegen eines Regelbeispiels? - Dazu § 41 Rdn. 31. 13. Kann der Strafrahmen des § 243 auf einen versuchten Diebstahl Anwendung finden? - Dazu § 41 Rdn. 32 ff. 14. Kann der Begriff des gefährlichen Werkzeugs gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 a in Anlehnung an § 224 Abs. 1 Nr. 2 definiert werden? - Dazu § 41 Rdn. 52. 15. Ist die Ersatzbereitschaft und -fähigkeit im Rahmen der Zueignungsdelikte relevant? - Dazu § 42 Rdn. 19 f. 16. Warum ist ein Irrtum darüber, dass die weggenommene Sache einem Familienmitglied gehört, im Rahmen des § 247 irrelevant? - Dazu § 43 Rdn. 15. 17. Wann ist eine Sache „geringwertig"? - Dazu § 44 Rdn. 2. 18. Wie müssen sich Gewaltanwendung bzw. Drohung und Wegnahme im Rahmen des Raubes zueinander verhalten? - Dazu § 46 Rdn. 3 ff. 19. Was heißt Verwenden i.S. des § 250 Abs. 2 Nr. 1? - Dazu § 46 Rdn. 33. 20. Genügt es filr die Anwendung des § 250 Abs. 2 Nr. 3 b, dass durch den Raub ein Mittäter in die Gefahr des Todes gebracht wird? - Dazu § 46 Rdn. 36 ff.
225
1
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§50
21. In welchem Verhältnis steht § 252 zur „Vortat"? - Dazu § 46 Rdn. 53. 22. Kann ein Teilnehmer der Vortat Täter des § 252 sein? - Dazu § 46 Rdn. 63. 23. Welche Auffassungen werden über das Rechtsgut des § 316 a vertreten? - Wo wird die Verschiedenheit der Auffassungen relevant? - Dazu § 46 Rdn. 69, 75 f. 24. Wie ist das „Beschädigen" einer Sache zu definieren? - Dazu § 47 Rdn. 5. 25. Erfasst § 248 b auch die vertragswidrige Benutzung eines Fahrzeuges, wenn der Täter das Fahrzeug mit Willen des Berechtigten in Gebrauch genommen hat? - Dazu § 48 Rdn. 4.
§ 50 Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte I. Pfandkehr, § 289 1
2
1. Das geschützte Rechtsgut Geschützt wird in § 289 die Möglichkeit der Ausübung bestimmter Pfand- und Besitzrechte. Derartige Rechte sind u.a. Nutznießungsrechte 254 , Pfandrechte 255 , Gebrauchsrechte 2 5 6 , Zurückbehaltüngsrechte257, das Anwartschaftsrecht beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt, das Gebrauchsrecht des Sicherungsgebers bei der Sicherungsübereignung. Streitig ist, ob auch das Pfändungspfandrecht zu den geschützten Rechten gehört. Dies ist zu bejahen, denn der Schutz des § 136 betrifft ein anderes Rechtsgut als das hier geschützte. 25 " Solange der Schuldner jedoch im Besitz der gepfändeten Sache ist, dürfte eine Wegnahme kaum begründbar sein; dazu unter Rdn. 6 f.
2. Täter und Tathandlung 3
a) Täter kann nur der Eigentümer (auch Miteigentümer) oder ein Dritter sein, der zugunsten des Eigentümers handelt. Dadurch entsteht eine Strafbarkeitslücke dann, wenn ein Dritter zu eigenen Gunsten aber ohne Zueignungsabsicht die Tat begeht.
4
Beispiel: C hat dem Β sein Kanu bis zum 1.6. vermietet. Als Α dem C erklärt, er möchte das Kanu gern geliehen haben, weist ihn C auf die Miete des Β hin, erklärt aber, er habe nichts dagegen, wenn Β seines Besitzes verlustig gehe, ihm komme es nur darauf an, dass er das Kanu am 1.6. zur Verfügung habe. Α nimmt dem Β das Kanu fort und benutzt dies bis zum 1.6. Ergebnis: Α und C bleiben straflos.
5 6
b) Zum Begriff der - eigenen oder fremden - beweglichen Sache vgl. oben § 40 Rdn. 3 ff. c) Wegnehmen ist, wie in § 242, als Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams zu verstehen. Nicht die Rechtsvereitelung schlechthin, sondern das auf die Rechtsvereitelung und den Einbruch in die tatsächliche Herrschaftssphäre des Berechtigten abzielende Verhalten des Täters begründet die Strafwürdigkeit 259 2 5 4
§§ 1 0 3 0
2 5 5
§§ 5 5 9 ff, 5 8 1 , 5 8 5 , 5 9 0 , 6 4 7 , 7 0 4 , 1 2 0 4 f f B G B , §§ 3 9 7 , 4 1 0 , 4 2 1 H G B .
2 5 6
§§ 5 3 5 ff, 5 8 1 ff, 5 9 8 ff, 7 4 3 BGB. Z.B. §§ 273, 772 ff, 972, 1000 BGB, § 369 HGB, vertragliche Zurückbehaltüngsrechte.
257 2 5 8
ff, 1 6 4 9 B G B .
W i e hier: BAUMANN N J W 1 9 5 6 S. 1 8 6 6 f; KINDHÄUSER B . T . II, § 10 R d n . 5; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 2 8 6 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 7 R d n . 15; TRONDLE/FISCHER § 2 8 9 R d n . 1;
WOHLERS NK, § 289 Rdn. 11.- A.A. BERGHAUS Der strafrechtliche Schutz der Zwangsvollstreckung, 1967, S. 9 6 ; HIRSCH Z S t W 8 2 ( 1 9 7 0 ) S. 4 2 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 9 R d n . 1. - D i f f . MITSCH B . T . 11/2, § 5 Rdn. 121. 259
Eingehend dazu OTTO JR 1982 S. 32 f; im übrigen vgl. ARZT/WEBER, Β.Τ., § 16 Rdn. 25; BOHNERT J u S 1982 S. 2 5 6 ff; JOERDEN JUS 1 9 8 5 S. 2 2 ; LAUBENTHAL J A 1990 S. 4 1 f; SCHMIDHÄUSER Β . Τ . , 10/8; SCH/SCH/HEINE § 2 8 9 R d n . 8; WOHLERS N K , § 2 8 9 R d n . 19 ff.
226
Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte
§50
Z.T. wird das Erfordernis eines Gewahrsamsbruchs abgelehnt, und nur der Bruch „eines dem Besitz ähnlichen tatsächlichen Herrschafts- und Gewaltverhältnisses des Berechtigten" vorausgesetzt. 260 Mit dieser verschwommenen Konstruktion eines in rechtlichen Kategorien nicht mehr fassbaren besitzähnlichen Verhältnisses wird jedoch lediglich kaschiert, dass die bloße Rechtsvereitelung als das tatbestandsmäßige Verhalten angesehen wird. Konsequent ist es daher, wenn ein Teil der Lehre ausdrücklich die bloße Rechtsvereitelung genügen lässt. 261
7
Der Unterschied wird insbesondere beim Vermieterpfandrecht bedeutsam. Doch gerade hier kann § 288 den hinreichenden Schutz gewähren. 2 6 2
8
d) Da die Tat zugunsten des Eigentümers erfolgen muss, kann ein Zerstören oder Beschädigen der Sache nicht als Wegnahme angesehen werden. Auch eine Wegnahme, um die Sache zu zerstören oder zu beschädigen, ist nicht tatbestandsmäßig, da dieses Verhalten nicht zugunsten des Eigentümers erfolgt.
9
3. Die Absicht rechtswidriger Wegnahme Die Absicht rechtswidriger Wegnahme erfordert den unbedingten Vorsatz des Täters, das 10 an der weggenommenen Sache bestehende Recht, zumindest zeitweilig, zu vereiteln. - Die Rechtswidrigkeit der Wegnahme ist auch hier streng vermögensrechtlich zu bestimmen. „Rechtswidrig" ist die Absicht des Täters daher nicht, wenn er einen falligen Besitzanspruch gegen den Besitzer hat, z.B. der Eigentümer einen falligen Rückgabeanspruch gegen den Mieter, oder dem Pfandungspfandrecht kein materiell wirksames Forderungsrecht zugrunde liegt oder eine unpfandbare Sache gepfändet wurde. 4. Strafantrag Antragsberechtigt ist deijenige, dessen Recht durch die Tat vereitelt wurde oder vereitelt 11 werden sollte.
II. Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 1. Das geschützte Rechtsgut § 288 schützt die Möglichkeit des Gläubigers, aus dem Schuldnervermögen Befriedigung 12 für einen materiellrechtlichen Anspruch zu erlangen, und zwar im Wege der Einzelzwangsvollstreckung. 2. Die einzelnen
Tatbestandsmerkmale
a) Die Zwangsvollstreckung droht, wenn aus dem Verhalten des Gläubigers ersichtlich ist, 13 dass er die Zwangsvollstreckung ernsthaft betreiben oder durchsetzen will. Beispiele: Dringende Mahnung, Klageerhebung, Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids. 26 ·'
260
Vgl. RGSt 25 S. 115 f; BayObLG JR 1982 S. 31 f; DEMKO Die Relativität der Rechtsbegriffe in strafrechtlichen Tatbeständen, 2002, S. 214 ff; GEPPERT Jura 1987 S. 433; KÜPER B.T., S. 425 f; LACKNER/KÜHL § 2 8 9 R d n . 3 ; MITSCH B . T . I I / 2 , § 5 R d n . 1 2 6 ; RENGIER B . T . I, § 2 8 R d n . 7.
2 6 1
V g l . BINDING B . T . 1, S . 3 1 8 f ; SCHUNEMANN L K , § 2 8 9 R d n . 14; TRONDLE/FISCHER § 2 8 9 R d n . 2 .
262
Dazu BayObLG JR 1982 S. 31 m i t a b l . Anm. BOHNERT JuS 1982 S. 256 f, OTTO JR 1982 S. 32 f.
26
3 Dazu BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 638; GEPPERT Jura 1987 S. 427 f; GÖSSEL B.T.2, § 28 Rdn. 73; MITSCH B . T . H / 2 , § 5 R d n . 9 2 .
227
§50
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
14 Da § 288 dem Vermögensschutz des Gläubigers dient, liegt eine Zwangsvollstreckung i.S. des § 288 nur dann vor, wenn aus einem materiellrechtlich bestehenden Anspruch des Gläubigers vollstreckt werden soll. 15 b) Bestandteile des Vermögens sind alle Sachen und Rechte einer Person, in die eine wirksame Einzelzwangsvollstreckung betrieben werden kann. Fall: X hat gegen den Rechtsstudenten Α einen Titel erwirkt und will wegen € 100,- die Zwangsvollstreckung betreiben. Beim Nahen des Gerichtsvollziehers vergräbt Α seine juristische Bibliothek, die er für das Studium braucht. Ergebnis: § 288 findet keine Anwendung, da die Bibliothek des Α unpfändbar ist, § 811 Nr. 10 ZPO. - Anders, wenn X einen Titel auf die Herausgabe der Bibliothek erwirkt hätte, weil er einen Anspruch auf die Bibliothek hat.
16 c) Veräußern ist jede rechtsgeschäftliche Verfugung, durch die der Zwangsvollstreckungszugriff des Gläubigers verschlechtert wird, auch die Einziehung einer Forderung. 264 17 aa) Keine Veräußerung i.S. des § 288 liegt vor, wenn durch das Veräußerungsgeschäft das dem Zugriff unterliegende Vermögen des Schuldners gleich bleibt oder größer wird. Fall: Der S, gegen den J die Zwangsvollstreckung betreibt, tauscht sein lahmes Rennpferd (Wert € 300,-) gegen ein Kfz (Wert € 500,-) ein. Ergebnis: Kein Veräußern i.S. des § 288.
18 bb) Gleichfalls liegt keine Veräußerung i.S.d. § 288 vor, wenn der Schuldner mit dem Veräußerungsgeschäft nur eine vor der drohenden Zwangsvollstreckung schon bestehende rechtliche Verpflichtung erfüllt. Beispiel: A, der dem X vor Wochen sein Kfz verkauft hat, übereignet es an X, als er hört, G wolle gegen ihn die Zwangsvollstreckung betreiben.
19 d) Beiseiteschaffen ist das tatsächliche Entziehen des Vermögensgegenstandes vor dem Gläubigerzugriff. Beispiele: Wegschaffen, Verstecken, Zerstören einer Sache. - Nicht hingegen: bloßes Ableugnen des Besitzes, Behauptung gegenüber dem Gerichtsvollzieher, die Sache stehe im Eigentum eines anderen, Beschädigen einer Sache, so dass sie an Wert verliert 26 ^.
20 e) Der subjektive Tatbestand erfordert die Absicht (direkter Vorsatz) des Täters, die Befriedigung des Gläubigers - und sei es auch nur zeitweise - zu vereiteln. Im übrigen genügt zumindest bedingter Vorsatz, der die drohende Zwangsvollstreckung und die Verringerung der Befriedigungsmöglichkeiten für den Gläubiger umfassen muss. - Die Absicht fehlt bei der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen, wenn genügend andere Vermögenswerte vorhanden sind, die zur Befriedigung des Gläubigers ausreichen. Bei Individualansprüchen genügt es hingegen nicht, dass evtl. Schadensersatzansprüche wegen Verweigerung der Herausgabe befriedigt werden können, denn der Schuldner hat kein Recht, den Gläubiger auf einen anderen Anspruch zu verweisen. 266 3. Täterschaft und Teilnahme 21 Die Vollstreckung muss dem Täter selbst drohen. Etwaige Vertreter des Täters können gemäß § 14 haften. - Die Schuldnereigenschaft kennzeichnet die Tatsituation, nicht aber 264
Dazu SCHÜNEMANN LK, § 288 Rdn. 30.
2 6 5
R G S t 4 2 S . 6 3 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 8 R d n . 7 9 ; HOYER S K II, § 2 8 8 R d n . 15; MITSCH B . T . I I / 2 , § 5 R d n . 9 8 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 8 8 R d n . 3 1 ; WOHLERS N K , § 2 8 8 R d n . 3 2 .
2 6 6
S o a u c h R G S t 8 S. 5 2 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 8 8 R d n . 3 6 ; SCH/SCH/HEINE § 2 8 8 R d n . 1 9 - 2 2 . - A . A . BERGHAUS S. 1 0 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 8 R d n . 6.
228
Straftaten gegen sonstige spezielle Vermögenswerte
§50
eine besondere Pflichtenstellung des Täters. Sie ist daher nicht persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. I. 2 6 7 III. Wilderei, §§ 292 f f 1. Jagdwilderei, § 292 Abs. 1 a) Das geschützte Rechtsgut Die Vorschrift schützt in erster Linie das Aneignungsrecht des Berechtigten, daneben aber auch die Hege eines gesunden Wildbestandes.268 b) Die einzelnen Tatbestandsmerkmale aa) Tatobjekt des Abs. 1 Nr. 1 ist das frei lebende jagdbare Wild, § 2 BJagdG. Nicht herrenloses Wild (z.B. Wild im Tiergarten) ist nicht Gegenstand des Jagd- sondern des Eigentumsrechts.269 - Tathandlungen sind das Nachstellen, Fangen, Erlegen und sich oder einem Dritten Zueignen. Nachstellen ist Vorbereitung der anderen Handlungen, z.B. Durchstreifen des fremden Jagdreviers mit schussbereiter Flinte o.Ä. - Fangen heißt, sich des lebenden Tieres bemächtigen; Erlegen, es auf irgendeine Weise töten. Sich oder einem Dritten zueignen ist die Gewahrsamsbegründung mit Zueignungswillen.270 bb) Tatobjekt des Abs. 1 Nr. 2 sind die herrenlosen, dem Aneignungsrecht des Jagd- bzw. Jagdausübungsberechtigten unterliegenden Sachen, wie verendetes Wild, Fallwild, Abwurfstangen o.Ä., vgl. § 1 Abs. 5 BJagdG. - Tathandlungen sind das sich oder einem Dritten Zueignen, das Beschädigen - dazu vgl. § 47 Rdn. 5 - und das Zerstören der entsprechenden Tatobjekte. cc) Der Jagdausübungsberechtigte erwirbt an den Objekten des Jagdrechts Eigentum mit Besitzergreifung. Die Besitzergreifung durch irgendeinen Dritten, der nicht fur den Berechtigten handelt, genügt nicht 2 7 1 Dennoch ist Jagdwilderei durch einen Dritten, der dem Wilderer das Wild entwendet oder abkauft, ausgeschlossen: Das Objekt ist nicht mehr herrenlos, sondern Besitzobjekt und damit Vermögensobjekt des Wilderers, der die umfassende Sachherrschaft darüber ausübt. Es kann daher Gegenstand eines Vermögensdelikts, insbes. der Hehlerei, § 259, sein, nicht aber der Wilderei 272
2 6 7
S o a u c h GEPPERT J u r a 1 9 8 7 S. 4 3 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 8 R d n . 2, 7; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B.T.L, § 4 7 R d n . 11; MITSCH B . T . II/2, § 5 R d n . 110; R o x i n L K , § 2 8 R d n . 5 6 ; WOHLERS N K , § 2 8 8 R d n . 9. - A . A . HÖVER S K II, § 2 8 8 R d n . 11; TRÖNDLE/FISCHER § 2 8 8 R d n . 14.
2 6 8
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 9 2 R d n . 1; SCHÜNEMANN L K , § 2 9 2 R d n . 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 2 R d n . 2 ; WESSELS J A 1984 S. 2 2 1 . - A . A . N u r A n e i g n u n g s r e c h t : ARZT/WEBER B . T . , § 16 R d n . 10; GÖSSEL B . T . 2 , § 19 R d n . 1; SCH/SCH/HEINE § 2 9 2 R d n . 1 a; WELZELLb., § 5 2 I.
269
Dazu auch BayObLG JR 1987 S. 128; BayObLG NStZ 1988 S. 230. Bereits nach altem Recht ließen eine Zueignung an Dritte genügen: OLG Hamm NJW 1956 S. 881;
270
SCHÄFER L K , 10. A u f l . , § 2 9 2 R d n . 56. 271
272
Vgl. dazu PALANDT/BASSENGE BGB, 60. Aufl. 2001, § 958 Rdn. 4; WOLFF/RAISER Sachenrecht, 10. Bearb. 1957, § 78 III 2. - Eigentumserwerb des Berechtigten bei Besitzergreifung irgendeiner Person bejahen BAUR/STORNER Lehrbuch des Sachenrechts, 16. Aufl. 1992, § 53 f III 2; HECK Grundriß des Sachenrechts, 1930, § 64 Ziff. 6. Dazu vgl. auch oben § 40 Rdn. 13, sowie eingehend: OTTO Struktur, S. 153 ff. - A.A. KREY/HELLMANN B.T.2, Rdn. 272 m.w.N.
229
22
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
26 dd) Zum Jagdrecht und Jagdausübungsrecht vgl. §§ 3 Abs. 1,11 Abs. 1 BJagdG. 27 ee) Der Vorsatz muss sich darauf beziehen, dass es sich um jagdbares Wild oder um Gegenstände handelt, die dem Jagdrecht unterliegen, und dass der Täter das Jagd- oder Jagdausübungsrecht eines anderen verletzt. c) Irrtum des Täters über das Tatobjekt 28 aa) Hält der Täter eine fremde Sache irrig fur ein taugliches Objekt der Jagdwilderei und eignet sich diese Sache zu, so ist - soweit nicht das Tatbestandsmerkmal des Nachstellens aufgrund des Vorgehens des Täters vorliegt - der objektive Tatbestand des § 292 nicht erfüllt. - Eine Bestrafung wegen Diebstahls oder Unterschlagung scheitert hingegen, weil dem Täter der Vorsatz fehlt, sich eine „fremde" Sache zuzueignen. 273 29
Zum Teil wird auf das Wissen des Täters abgestellt, sich eine Sache zuzueignen, die ihm „nicht gehört". Dieses Bewusstsein soll für den Vorsatz der §§ 242, 246, 292 genügen. Entscheidend für die Strafbarkeit sei daher der jeweils erfüllte objektive Tatbestand. 274 Andere kommen zur Annahme der vollendeten Wilderei, weil die Verletzung des Aneignungsrechts als Minus in der Verletzung des Eigentumsrechts enthalten ist. 27 -' Beispiel: Der Jagdberechtigte hat einen geschossenen Hasen im Unterholz versteckt, weil er ihn erst auf dem Heimweg mitnehmen will. Α entdeckt den Hasen bei einem Spaziergang und meint, dieser sei - vor kurzem geschossen - verendet. Er eignet sich den Hasen zu. Ergebnis: Da J den Hasen bereits in Besitz genommen hatte, war der Hase für Α eine fremde, nicht aber eine herrenlose Sache, daher entfällt § 292.
30 bb) Hält der Täter hingegen ein Objekt des Jagdrechts für eine fremde Sache, so kann versuchter Diebstahl bzw. versuchte Unterschlagung vorliegen. 276 Beispiel: Nach einer Treibjagd ist ein angeschossener Hase unter einer Bank im Wald verendet. Dort entdeckt Α ihn. Α meint, der Jagdberechtigte habe den Hasen geschossen und dort versteckt, um ihn auf dem Rückweg mitzunehmen. Er eignet sich den Hasen zu. Ergebnis: Versuchter Diebstahl des A.
d) Konkurrenzen 31 Vermögensdelikte und Jagdwilderei schließen einander nach der hier entwickelten Ansicht aus, da sie an jeweils verschiedenen Objekten begangen werden. - Nach h.M. soll § 259 dem § 292 lediglich als lex specialis vorgehen, wenn jemand von einem Wilderer ein Objekt des Jagdrechts erwirbt. 277 2. Besonders schwere Fälle der Wilderei 32 Abs. 2 nennt Regelbeispiele für besonders schwere Fälle der Wilderei: a) Nr. 1: Die gewerbs- und gewohnheitsmäßige Wilderei. - Zur Gewerbsmäßigkeit vgl. § 41 Rdn. 21. Gewohnheitsmäßig handelt der Täter, der aus einem durch Übung ausgebil-
2 7 3
S o z . B . a u c h R G S t 6 3 S. 3 7 ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 2 7 0 ; MLTSCH B . T . I I / 2 , § 1 R d n . 8 9 ; SCHONEMANN L K , § 2 9 2 R d n . 6 8 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 2 R d n . 16; WESSELS J A 1 9 8 4 S. 2 2 4 f.
2 7 4
WELZEL L b . , § 5 2 1.
2 7 5
V g l . v . LÜBBECKE M D R 1 9 7 4 S. 1 2 1 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . L , § 3 8 R d n . 2 0 ; WAIDER G A 1 9 6 2 S. 183.
2 7 6
S o a u c h KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 2 7 5 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 9 2 R d n . 6 8 ; TRÖNDLE/FISCHER §
292 Rdn. 16; WESSELS JA 1984 S. 225. - A.A. Vollendetes Diebstahls- oder Unterschlagungsdelikt: LACKNER/KÜHL § 292 Rdn. 5; WELZEL Lb., § 52 1. - Diese Meinung ist nur haltbar, wenn das Rechtsgut des § 292 ausschließlich im Aneignungsrecht gesehen wird. 2 7 7
230
V g l . HOYER S K II, § 2 9 2 R d n . 3 1 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 9 2 R d n . 36;WOHLERS N K , § 2 9 2 R d n . 3 4 .
Betrug
§51
deten, selbständig fortwirkenden Hang tätig wird, so dass dessen Befriedigung ihm bewusst oder unbewusst ohne innere Auseinandersetzung gleichsam von der Hand geht. 278 b) Nr. 2: Die nicht waidmännische Jagd. - Nachtzeit ist die Zeit der Dunkelheit, d.h. die 33 Zeit zwischen dem Ende der Abenddämmerung und dem Beginn der Morgendämmerung. 279 Der Täter muss unter Ausnutzung der Dunkelheit handeln. - Zur Schonzeit vgl. § 22 BJagdG in Verb, mit der Verordnung über die Schonzeit vom 2.4.1977. - Unter Anwendung von Schlingen vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 8 BJagdG. - Zur nicht waidmännischen Begehung vgl. § 19 Abs. 1 BJagdG. c) Nr. 3: Die von mehreren mit Schusswaffen ausgerüsteten Beteiligten gemeinschaftlich 34 begangene Tat. - Erforderlich ist, dass mindestens zwei Tatbeteiligte (Täter oder Teilnehmer) je eine Schusswaffe bei sich fuhren. 280 3. Fischwilderei, § 293 Der Tatbestand entspricht im Aufbau dem § 292 Abs. 1. - Fischen ist jede auf Fang oder 35 Erlegen frei lebender Wassertiere (auch Krebse, Schildkröten, bestimmte Muscheln) gerichtete Tätigkeit. - Fische in geschlossenen Privatgewässern sind nicht herrenlos. - Das Fischereirecht ist landesrechtlich geregelt. 4. Antragsprivileg, § 294 Gemäß § 294 wird die einfache Jagd- und die Fischwilderei nur auf Antrag des Verletzten 36 verfolgt, wenn sie von einem Angehörigen oder einem Täter, der die Jagd in beschränktem Umfang ausüben durfte (z.B. Jagdgast), begangen wurde. 5. Analogie des § 248 a Eine analoge Anwendung des § 248 a zugunsten des Wilderers kommt nicht in Betracht, 37 da sich die Wilderei nicht ausschließlich gegen das Vermögen richtet. 281
§ 51 Betrug Bereicherungsdelikt. - Dem Täter geht es darum, die dem Berechtigten entzogene Vermögensposition sich oder einem anderen rechtswidrig zu verschaffen. Ein Vermögensgut wird aus einem Vermögen in das andere übertragen; die angestrebte Bereicherung entspricht dem Schaden.
1
I. Rechtsgut und Gesetzessystematik 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut des Betrugstatbestandes ist nach heute allgemein anerkannter An- 2 sieht allein das Vermögen. - Streitig ist jedoch die inhaltliche Bestimmung des Vermögensbegriffs; dazu eingehend unter Rdn. 53 ff.
278
Dazu auch BGHSt 15 S. 377.
279
KG JW 1937 S. 763.
280
Vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 21.
281
Vgl. dazu WESSELS JA 1984 S. 226.
231
§51
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
2. Der Aufbau des Gesetzes 3 4
a) Den Tatbestand des Betruges beschreibt § 263 Abs. 1. b) § 263 Abs. 3 nennt Regelbeispiele fur besonders schwere Fälle des Betrugs und § 263 Abs. 5 enthält einen Qualifikationstatbestand. 5 c) Die Verweisung auf § 243 Abs. 2 in § 263 Abs. 4 stellt klar, dass ein besonders schwerer Fall nicht angenommen werden darf, wenn sich die Tat auf einen geringen Wert bezieht, dies allerdings - entgegen dem Wortlaut des § 243 Abs. 2 - auch dann, wenn Gegenstand des Betruges keine Sache, sondern ein anderes Vermögensobjekt, z.B. eine Forderung, ist (systematische Auslegung!). Gemäß § 263 Abs. 4 finden ferner die §§ 247, 248 a auf entsprechende Betrugsfalle Anwendung. 6 d) Speziell geregelte Fälle des Betruges enthalten die §§ 352, 353.
II. Der gesetzliche Tatbestand 7 Die gesetzliche Formulierung des Gemeinten ist dem Gesetzgeber arg missglückt. Zum Ausdruck kommen sollte, dass derjenige wegen Betrugs bestraft werden soll, der vorsätzlich und in der Absicht, sich oder einen anderen rechtswidrig zu bereichern, durch Täuschung über Tatsachen einen Irrtum bei einer Person erweckt und damit erreicht, dass diese eine Verfugung über ihr Vermögen oder das eines anderen, über das sie Verfugungsmöglichkeiten hat, vornimmt, durch die sie das Vermögen unmittelbar schädigt. 8 Die Merkmale des Tatbestands sind danach: 1. Eine Täuschung durch den Täter. 2. Ein Irrtum des Getäuschten. 3. Eine Vermögensverfügung des Getäuschten. 4. Ein Vermögensschaden des Getäuschten oder bestimmter dritter Personen. Zwischen den unter 1. bis 4. genannten Merkmalen muss ein funktionaler Zusammenhang bestehen derart, dass das jeweils folgende Merkmal seinen Grund in dem vorangegangenen hat. - Getäuschte und verfügende Person müssen identisch sein, nicht aber verfügende und geschädigte Person.
5. Subjektiv ist neben dem Vorsatz die Absicht des Täters erforderlich, sich oder einen Dritten um einen Vermögensvorteil rechtswidrig zu bereichern. - Der erstrebte Vorteil muss dem Schaden entsprechen.
III. Der objektive Tatbestand 1. Die Täuschung Die umständlichen Formulierungen des Gesetzgebers sollen zum Ausdruck bringen, dass der Täter über Tatsachen getäuscht haben muss, d.h. über einem Beweis zugängliche, konkrete äußere oder innere Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart. 10 Der Gegensatz zur Täuschung über Tatsachen ist die Abgabe unrichtiger Meinungsäußerungen oder Werturteile, die jeglichen Tatsachenkerns entbehren oder nach allgemeiner Auffassung des Verkehrs nicht als Tatsachenbehauptung angesehen werden, weil in der Äußerung das subjektive Meinen, Dafürhalten des Äußernden offen erkennbar ist. Soweit diese Äußerungen allerdings auf einer Tatsachengrundlage beruhen, kann über diese Grundlage wiederum getäuscht werden. 9
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Betrug
§51
Problematisch ist die Beurteilung der Äußerung von Rechtsauffassungen, da in ihnen zwar stets ein Wertungselement steckt, die Behauptung, ob z.B. ein Anspruch besteht oder nicht, aber durchaus dem Beweis zugänglich ist. Gleichwohl beurteilen Rechtsprechung und Literatur die Äußerung von Rechtsauffassungen weithin als Werturteil, da die Rechtsauffassung nach der Verkehrsanschauung offenbar nicht als Tatsachenbehauptung angesehen wird, es sei denn, sie wird mit der Behauptung der Maßgeblichkeit und Verbindlichkeit verbunden. 282 . Ob der Äußernde vorgibt, an die Richtigkeit seiner Äußerung zu glauben oder nicht, ist irrelevant, da dieser Glaube die Informationsgrundlage des Äußerungsempfängers nicht in relevanter Weise tangiert. Beispiel 1: Aufforderung, die Aktien der X-AG zu kaufen, denn diese würden der „ R e n n e t der nächsten Zeit: Zukunftsprognose.
11
Beispiel 2: Aufforderung, die Aktie X zu kaufen, denn diese werde im Kurs steigen, weil der Großaktionär G Order erteilt habe, Aktien der X-AG bis zum Doppelten des derzeitigen Preises zu kaufen: Tatsachenbehauptung. Beispiel 3: Anpreisung des Modells X der Kfz-Marke Y mit dem Hinweis, dieses sei der Traumwagen jedes fortschrittlich denkenden Menschen: Werturteil. Beispiel 4: Anpreisung des Modells X der Kfz-Marke Y mit dem Hinweis, im Preis des Grundmodells seien bereits die Extras A - D enthalten: Tatsachenbehauptung, da Behauptung über wertbildende Faktoren. Beispiel 5: Α schreibt dem B, dass dieser ihm aus einer (unstr.) Vertragsverletzung auch ein Schmerzensgeld schulde: Äußerung einer Rechtsauffassung und damit bloßes Werturteil. Beispiel 6: Α behauptet, aufgrund eines rechtskräftigen Urteils eine bestimmte Forderung gegen Β zu haben: Tatsachenbehauptung.
Täuschung ist ein auf Irreführung gerichtetes Verhalten. Es kann durch ausdrückliches 12 Vorspiegeln, durch schlüssiges (konkludentes) Verhalten oder durch pflichtwidriges Unterlassen erfolgen. 283 a) Die ausdrückliche Täuschung kann durch wörtliche Erklärungen oder täuschende Ma- 13 nipulationen an bzw. mit Gegenständen verwirklicht werden, soweit diesen im Rahmen einer Erklärung die Bedeutung einer Tatsachenäußerung zukommt. Maßgeblich ist allein, dass durch eine Erklärung auf die Vorstellung eines anderen eingewirkt wird oder die Veränderung der Vorstellung eines anderen verhindert wird. Täuschung: Vorlage gefälschter Urkunden, Manipulationen an Strom-, Gas- oder Kilometerzählern (LG Marburg M D R 1973 S. 65), Auswechseln von Preisschildern in einem Laden (OLG Hamm N J W 1968 S. 1894), Manipulation des Eindrucks, eine Fahrkarte sei entwertet worden (OLG Düsseldorf N J W 1990 S. 924). Vorlage einer als Rechnung aufgemachten Offerte (BGH N J W 2001 S. 2187). Keine Täuschung: Wer Beförderungsleistungen in Anspruch nimmt oder sich in eine Veranstaltung einschleicht, selbst wenn die Vorstellung der Aufsichtsperson „alles sei in Ordnung", durch dieses Verhalten
282
Vgl. B G H JR 1958 S. 106; OLG Karlsruhe JZ 2004 S. 101 mit Anm. PUPPE S. 102 ff; OLG Koblenz N J W 2001 S. 1364 mit Anm. PROTZEN wistra 2003 S. 2 0 8 ff; OLG Stuttgart N J W 1979 S. 2573 mit Anm. GEPPERT JK, StGB § 263/5, L o o s N J W 1980 S. 847 f, MÜLLER JuS 1981 S. 255 ff, dagegen: HEID JuS 1982 S. 22 ff, mit Entgegnung: MÜLLER JuS 1982 S. 25 ff; OLG Frankfurt N J W 1996 S. 2172 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 263/47; GRAUL JZ 1995 S. 600 ff; HILGENDORF Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, 1998, S. 219 ff; KINDHÄUSER N K , § 263 Rdn. 108 ff; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 3 4 2 ; SEIER Z S t W 1 0 2 ( 1 9 9 0 ) S . 5 6 8 f f ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 18 f. - A . A . MLTSCH
B.T.II/1, § 7 Rdn. 18; WALTER Betrugsstrafrecht in Frankreich und Deutschland, 1999, S. 66 ff, 73 f. 283
Im einzelnen dazu TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 21 ff. - Enger KINDHÄUSER ZStW 103 (1991) S. 398 ff, modifiziert BEMMANN-FS, S. 354; PAWLIK. Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, 1999, S. 74 ff, 139 ff: N u r Täuschungen relevant, die einen Wahrheitsanspruch des Opfers verletzen. - Zur Kritik: KARGL Lüderssen-FS, S. 614 f.
233
§51
Zweiter Teil: Delikte g e g e n Rechtsgüter des Einzelnen
unzutreffend wird. Im Hineinsetzen allein liegt keine Erklärung über die Zahlung und damit keine Täuschung. Zur späteren Aufklärung hingegen ist der Täter nicht als Garant v e r p f l i c h t e t . 14
Stets ist das B e w u s s t s e i n des Täters erforderlich, dass z w i s c h e n d e m v o r g e g e b e n e n Sachverhalt und der Wirklichkeit eine Diskrepanz besteht. Insoweit hat das Merkmal Täuschung einen subjektiven E i n s c h l a g . 2 8 5
15 b) B e i einer konkludenten Täuschung nimmt der Täter B e z u g auf einen bestimmten Sachverhalt derart, dass dieser B e z u g den Inhalt seiner A u s s a g e mitbestimmt. Er w e i ß , dass sein Verhalten nach der Verkehrssitte, Übereinkunft der Beteiligten o.Ä. einen ganz bestimmten Aussagegehalt hat, auf den er sich stillschweigend bezieht, und er w e i ß zugleich, dass das vermittelte Vorstellungsbild unrichtig ist. - Der B e z u g auf einen Sachverhalt außerhalb der Erklärung ermöglicht die Täuschung mit einer - isoliert betrachtet - wahren Erklärung. Der Täter täuscht, w e n n er die Eignung der - inhaltlich richtigen - Erklärung, einen Irrtum hervorzurufen, planmäßig einsetzt und damit unter d e m A n s c h e i n ,äußerlich verkehrsgerechten Verhaltens' gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt, w e n n also die Irrtumserregung nicht die bloße Folge, sondern der Z w e c k der Handlung i s t . 2 8 6 16
Konkludente Erklärungen: Wer einen Vertrag schließt, erklärt, dass er zur Erfüllung fähig und willig ist (BGH wistra 1998 S. 177); wer einen Scheck begibt, erklärt, dass dieser bei Vorlage gedeckt i s t ; 2 8 ' wer einer Bank einen Scheck einreicht, erklärt, dass dieser nach seiner Überzeugung gedeckt ist; 2 8 8 wer ein Sparbuch zum Abheben vorlegt, erklärt, dass er dazu berechtigt ist, wie auch derjenige, der einen Betrag von seinem Konto abheben will, erklärt, dass Deckung insoweit vorhanden ist 2 8 * (diese Deckung ist vorhanden, auch wenn der Ausweis der Deckung auf einer Fehl- oder Falschbuchung b e r u h t ) ; * ® w e r s e j n e r Bank eine Lastschrift einreicht, erklärt, dass die Forderung besteht und er zum Einzug ermächtigt ist; 2 *' wer eine Wette eingeht, erklärt, dass er das typische Wettrisiko eingehen will; 2 * 2 wer in einem - auch privaten - Vergabever2
2 8 4
D a z u BOCKELMANN E b . S c h m i d t - F S , S. 4 3 9 ; HERZBERG G A 1 9 7 7 S. 2 8 9 f f ; HOYER S K II, § 2 6 3 R d n .
24; KINDHÄUSER NK, § 263 Rdn. 128 ff; SIEBER Computerkriminalität und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 2 0 4 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 2 3 . - A . A . ARZT/WEBER B . T . , § 2 0 R d n . 4 7 . 285
Vgl. dazu auch BGHSt 18 S. 237; KÜPER B.T., S. 270; RENGIER B.T. I, § 13 Rdn. 5; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 4 9 3 . - A . A . MITSCH B . T . I I / l , § 7 R d n . 2 5 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 2 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 10.
2 8 6
B G H S t 4 7 S. 1, 5 m i t A n m . FRANKE D B 2 0 0 1 S . 1 6 0 3 f, GEISLER N S t Z 2 0 0 2 S. 8 6 f f , KRACK J Z 2 0 0 2 S . 6 1 3 f f , LOOS J R 2 0 0 2 S. 7 7 f f , OTTO J K 0 2 , S t G B § 2 6 3 / 6 2 , PAWLIK S t V 2 0 0 3 S. 2 9 7 ff, ROSE w i s t r a
2002 S. 13 ff; BGH wistra 2001 S. 386; BGH wistra 2004 S. 103 mit abl. Anmerkung H. SCHNEIDER S t V 2 0 0 4 S. 5 3 7 f f ; O L G F r a n k f u r t N J W 2 0 0 3 S. 3 2 1 5 m i t A n m . OTTO J K 0 4 , S t G B § 2 6 3 / 7 2 ; GARBE N J W 1 9 9 9 S. 2 8 6 8 ff; OTTO J u r a 2 0 0 2 S. 6 0 7 . 287
BGH NJW 1983 S. 461, eingehend dazu OTTO Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 113.
288
OLG Köln NJW 1991 S. 1122. - A.A. PAWLIK Lampe-FS, S. 703 f.
289
Vgl. zum Sparbuch: KINDHÄUSER NK, § 263 Rdn. 169; OTTO Bankentätigkeit, S. 99; vgl. auch BGH StV 1992 S. 272. - A.A. OLG Düsseldorf NJW 1989 S. 2003. - Zur Abhebung vom Konto: OLG Celle StV 1994 S. 188. - A.A. OLG Frankfurt NStZ-RR 1998 S. 333 mit Anm. OTTO JK 99, StGB § 263/52. Zur Einreichung eines Überweisungsauftrags: OLG Celle StV 1994 S. 188. - A.A. BGHSt 46 S. 198; dazu OTTO Jura 2002 S. 608 f.
290
Vgl. BGHSt 46 S. 196, 200 ff mit Anm. GEPPERT JK 01, StGB § 263/58, HEFENDEHL NStZ 2001 S. 2 8 1 f f , JOERDEN J Z 2 0 0 1 S . 6 1 4 f f , RANFT J u S 2 0 0 1 S . 8 5 4 f f ; HÖVER S K II, § 2 6 3 R d n . 3 5 f;
KINDHÄUSER NK, § 263 Rdn. 176; PAWUK Lampe-FS, S. 691 ff. - Noch BGH 39 S. 392 hatte zwischen Fehlüberweisung und Falschbuchung differenziert. - Differenzierend weiterhin SCHMOLLER Weber-FS, S. 2 5 7 ff. 291
OLG Hamm NJW 1977 S. 1836.
292
So BGHSt 29 S. 167 mit abl. Anm. KLIMKE JZ 1980 S. 581 f; BayObLG wistra 1993 S. 306. - A.A. noch BGHSt 16 S. 120.
234
Betrug
§51
fahren ein Angebot abgibt, erklärt, dass dieses nicht auf einer Absprache beruht; 2 9 3 d e r Gastwirt, der Bier serviert, erklärt, dass es sich um frisch gezapftes Bier handelt (a.A. RGSt 29 S. 35); der Gebrauchtwagenhändler, der ein Kraftfahrzeug ohne besonderen Hinweis anbietet, erklärt, dass es sich um ein unfallfreies Fahrzeug handelt; 2 9 4 w e r einen Wechsel zum Diskont anbietet, erklärt, dass es sich um einen Warenwechsel h a n d e l t , w e r an einer - auch privaten - Submission teilnimmt, erklärt, dass er keine Absprache mit anderen Bietern getroffen w e r bei einer Selbstbedienungstankstelle tankt, erklärt die Absicht der Zahlung. 2 9 7 - Zur Problematik des Tankens an Selbstbedienungstankstellen vgl. auch oben § 40 Rdn. 12. Keine konkludenten Erklärungen: Der Mieter eines Zimmers, der nach Vertragsabschluß zahlungsunfähig wird, erklärt durch bloßes Wohnenbleiben nicht seine Zahlungsfähigkeit. Er ist auch nicht zu einer Offenbarung rechtlich verpflichtet.29*® - Wer eine Forderung aus einer Naturalobligation geltend macht, behauptet nicht, eine gerichtlich durchsetzbare Forderung zu haben. 2 9 9 . Die Annahme versehentlich zu viel gezahlten Geldes enthält nicht die Erklärung, dass eine Forderung auf das Geld besteht. 3 0 0 Die Vorlage einer formal richtigen Kassenanweisung enthält nicht die Behauptung, dass der Anspruch materiell besteht. 3 0 ' Die Forderung eines bestimmten Preises für einen Gegenstand enthält nicht die Erklärung, dass diese Forderung angemessen oder üblich i s t , 3 0 2 anderes gilt nur bei üblicherweise gebundenen P r e i s e n . 3 0 3
17
c) Eine Täuschung durch Unterlassen ist nach den Grundsätzen des garantenpflichtwidrigen Unterlassens m ö g l i c h , hat j e d o c h Ausnahmecharakter. 3 0 4 - Grundsätzlich kann die Nichthinderung der Entstehung einer Fehlvorstellung durch einen Garanten nämlich nur einer Irrtumserregung durch p o s i t i v e s Tun gleichgestellt werden ( § 13), nicht aber einer Irrtumserregung durch Täuschung, d.h. e i n e m qualifizierten positiven Tun. - Durch die weite Interpretation der Täuschung als ein auf Irrefuhrimg gerichtetes Verhalten sind die bestehenden Schranken z w i s c h e n der bloßen Herbeiführung eines Irrtums und der Herbeiführung e i n e s Irrtums durch Täuschung im Laufe der Zeit j e d o c h weitgehend eingeebnet worden. A u c h heute wird man aber nur dort eine Täuschung durch Unterlassen annehmen können, w o der Garant aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses ausnahmsweise eine besondere Aufklärungspflicht hat. D i e s e k o m m t in Betracht, w o ein Geschäftspartner
18
293
BGH StV
294
BayObLG NJW 1994 S. 1078.
295
BGH NJW 1976 S. 2028.
2 9 6
2001
S.
514.
B G H S t 4 7 S . 8 3 m i t A n m . O T T O J K 0 2 , S t G B § 2 6 3 / 6 3 , RÖNNAU JUS 2 0 0 2 S . 5 4 5 f f , R O S E N S t Z 2 0 0 2 S . 4 1 f, SATZGER J R 2 0 0 2 S . 3 9 1 flf, W A L T E R J Z 2 0 0 2 S . 2 5 4 f f . - D a z u a u c h HOFFMANN G A 2 0 0 3 S .
621. 297
BGH NStZ 1983 S. 505 mit Anm. GAUF S. 505 ff, DEUTSCHER S. 507 f; OLG Köln NJW 2002 S. 1059.
2 9 8
B G H G A 1 9 7 4 S . 2 8 4 ; TRIFFTERER J u S 1 9 7 1 S. 1 8 1 f f .
2 9 9
O L G S t u t t g a r t J Z 1 9 7 9 S . 5 7 5 m i t A n m . FRANK N J W 1 9 8 0 S . 8 4 8 , H E I D J u S 1 9 8 2 S. 2 2 f f , JOECKS J A
300
OLG Köln NJW 1987 S. 2527 mit Anm. JOERDEN JZ 1988 S. 103 ff; OLG Düsseldorf NJW 1987
301
Als Irrtumsproblem sieht der BGH den Sachverhalt, vgl. BGHSt NStZ 1997 S. 281 mit Anm. OTTO JK, StGB § 263/49; BGH NStZ 2000 S. 376; BGH wistra 2005 S. 28.
302
OLG Stuttgart NStZ 1985 S. 503 mit Anm. LACKNER/WERLE S. 503 ff; SCHAUER Grenzen der Preisgestaltung im Strafrecht, 1989, S. 11 ff.
1980 S. 128, LOOSNJW 1980 S. 847 f, B. MÜLLER JuS 1981 S. 255 ff. S . 8 5 3 m i t A n m . MÖHLENBRUCH N J W 1 9 8 8 S . 1 8 9 4 f.
303
BGH JZ 1989 S. 759 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 263/30.
304
Zur Auseinandersetzung: HOYER SK II, §263 Rdn. 53 ff; KINDHÄUSER NK, § 263 Rdn. 181 ff; TLEDEMANN LK, § 263 Rdn. 51, 73 f. - Im einzelnen dazu BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 217 ff, 313 ff; GÖSSEL B.T.2, § 21 Rdn. 43 ff; MAAB Betrug verübt durch Schweigen, 1982, S. 46 ff (Ingerenz), S. 61 ff (Solidaritätsbeziehung), S. 99 ff (Übernahmegarantie); RANFT Jura 1992 S. 67 ff. 235
Z w e i t e r Teil: D e l i k t e g e g e n Rechtsgüter d e s E i n z e l n e n
§51
d e m anderen in berechtigtem Vertrauen g l e i c h s a m e i n e V e r m ö g e n s d i s p o s i t i o n s m ö g l i c h k e i t eingeräumt h a t . 3 0 5 B l o ß e vertragliche N e b e n p f l i c h t e n insbesondere aus Treu und G l a u b e n g e n ü g e n d i e s e n A n f o r d e r u n g e n nicht. 19
Aufklärungspflichten können sich ergeben aus öffentlich-rechtlichen Mitteilungs- und Meldepflichten, z.B. § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I (OLG Köln NStZ 2003 S. 374; OLG Hamburg wistra 2004 S. 151); nicht aber aus allgemeinen Meldepflichten ohne konkrete Beziehung zwischen den Beteiligten (BGH wistra 1992 S. 141); aus langjähriger Geschäftspartnerschaft, wenn eine auf gegenseitigem Vertrauen basierende kontokorrektartige Geschäftsabwicklung vereinbart ist, in der auch Schweigen als Anerkennung gilt;30 aus Ingerenz, wenn das vorangegangene Tun einen Irrtum begründet hat (OLG Stuttgart NJW 1969 S. 1975); aus angeblichem oder wirklichem Sachwissen des Vermittlers von Risikogeschäften gegenüber unerfahrenen Kunden. 3 0 7
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Keine Aufklärungspflicht i.S. des § 263 begründen: Normales Kontokorrentverhältnis (BGHSt 39 S. 392, 397 ff); Girovertrag (BGH NJW 2001 S. 454 f); Treu und Glauben, z.B. Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach Vertragsschluss bei Vorleistung des Vertragspartners;3®® finanzielle Schwierigkeiten eines Kaufmanns, die dieser aber zu überwinden h o f f t ; 3 0 9 Inempfangnahme eines höheren Geldbetrages als des geschuldeten (BGH JZ 1989 S. 550); Abheben der Rente nach Tod des Berechtigten; 3 1 0 Vollstreckung aus einem Räumunesurteil, das wegen Eigenbedarfs erging, wenn der Eigenbedarf nach Erlass des Urteil weggefallen ist.3'1 2. Der
Irrtum
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D e r Täter m u s s durch T ä u s c h u n g e i n e n Irrtum, d.h. e i n e unrichtige V o r s t e l l u n g über Tatsachen, erregt oder w e i t e r unterhalten haben. - D i e b l o ß e A u s n u t z u n g e i n e s v o r h a n d e n e n Irrtums genügt nicht.
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a) E t w a i g e v e r b l e i b e n d e Z w e i f e l desjenigen, a u f d e n durch e i n e T ä u s c h u n g e i n g e w i r k t wird, hindern d e n Irrtum nicht, w e n n der Getäuschte letztlich d i e s e Z w e i f e l überwindet und die Fehlvorstellung für die richtige hält, d e n n der Z w e i f e l n d e , aber s c h l i e ß l i c h d o c h Ü b e r z e u g t e ist nicht w e n i g e r s c h u t z w ü r d i g als der Leichtgläubige. Erst w e n n d e m G e täuschten die Wahrheit der Erklärung g l e i c h g ü l t i g ist, fehlt e s an e i n e m I r r t u m . 3 1 2 305
BGHSt 39 S. 392, 401; BGH NJW 2000 S. 3013 mit Anm. OTTO JK Ol, StGB § 263/57; BGH NStZ 2 0 0 3 S. 5 5 4 ; O L G Stuttgart w i s t r a 2 0 0 3 S. 2 7 6 m i t A n m . OTTO J K 0 4 , S t G B § 2 6 3 / 7 1 ; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 2 0 3 ; LÜDERSSEN K o h l m a n n - F S , S. 179 ff; OTTO J Z 1 9 9 3 S. 6 5 3 ; RANFT J u r a 1992 S. 6 6 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 6 6 ; TRONDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 2 6 .
3 0 6
3 0 7
B G H S t 3 9 S. 3 9 2 , 3 9 7 f f m i t A n m . GEPPERT J K 9 4 , S t G B § 2 6 3 / 4 0 , JOERDEN J Z 1994 S. 4 2 2 f, NAUCKE N J W 1 9 9 4 S. 2 8 0 9 ff. B G H S t 3 0 S. 181 f; B G H N J W 1991 S. 2 5 7 5 ; d a z u OTTO J Z 1 9 9 3 S. 6 5 4 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n .
61. 308
BGH wistra 1988 S. 262; ALBRECHT JUS 1979 S. 52. - A.A. noch BGHSt 6 S. 196.
309
BGH bei Daliinger, MDR 1968 S. 202; OLG Stuttgart JR 1978 S. 388 mit Anm. BEULKE S. 390.
310
OLG Köln MDR 1979 S. 250 mit Anm. KÜHL JA 1979 S. 6 8 1 . - A . A . OLG Hamm NJW 1987 S. 2245 m i t a b l . A n m . OTTO J K 8 8 , S t G B § 2 6 3 / 2 4 .
311
A.A. BayObLG JZ 1987 S. 626 mit zust. Anm. HILLENKAMP JR 1988 S. 301 ff; RENGIER JUS 1989 S. 8 0 2 ff; PUNTE J u r a 1 9 8 9 S. 128 ff; u n d m i t abl. A n m . HELLMANN J A 1 9 8 8 S. 7 3 ff; OTTO J Z 1 9 8 7 S. 6 2 8 ff; SEIER N J W 1 9 8 8 S. 1 6 1 7 ff.
3 1 2
V g l . B G H N J W 2 0 0 3 S. 1 1 9 8 mit A n m . BECKEMPER/WEGNER N S t Z 2 0 0 3 S. 3 1 5 ff, GEPPERT J K 0 3 , S t G B § 2 6 3 / 6 9 , IDLER J u S 2 0 0 4 S. 1 0 3 7 f f , KRACK J R 2 0 0 3 S. 3 8 4 ff, KRÜGER w i s t r a 2 0 0 3 S. 2 9 7 f;
OLG Karlsruhe wistra 2004 S. 277 f; FRISCH Bockelmann-FS, S. 647 ff; GÜNTHER Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 193 f; HERZBERG GA 1977 S. 289 ff; HILLENKAMP Vorsatztat und Opferverhalten, 1981, S. 18 ff; KINDHÄUSER NK, § 263 Rdn. 221; KRACK List als Straftatbestandsm e r k m a l , 1994, S. 3 8 ff; KÜPER B.T., S. 2 1 5 ; LOOS/KRACK JUS 1995 S. 2 0 4 ff; RANFT J A 1984 S. 7 3 1
236
Betrug
§51
Auch Leichtgläubigkeit oder Naivität beseitigen nicht den Schutz des Betrugs- 23 tatbestandes wegen eines etwaigen Opfermitverschuldens. BGHSt 34 S. 199 mit Anm. OTTO JK, StGB § 263/22: Der Α organisierte ab 1984 Werbung und Vertrieb ftir Verjüngungs- und Abmagerungsmittel sowie ftir „Haarverdicker" und „Nichtraucherpillen". Wie er wusste, waren sämtliche Mittel ebenso wirkungslos wie harmlos. Er verkaufte sie zu Preisen zwischen 46,50 D M bis 76,- DM „ohne jedes Risiko" per Nachnahme zuzüglich Versandspesen mit „Rückgaberecht innerhalb von 14 Tagen mit voller Geldzurückgarantie". Auf Grund der Erfahrungen seiner Hinterleute ging Α davon aus, dass etwaige Reklamationen von höchstens 10 % der Käufer erfolgen würden. Dieser Prozentsatz wurde aber nur bei den Schlankheitspillen erreicht. Wurde reklamiert, so erhielt der Kunde den vollen Kaufpreis zurück. Den Produkten selbst wurden in der Werbung geradezu wundersame Wirkungen und Eigenschaften zugeschrieben. So sollte das Hollywood-Lifting-Bad, angeblich aus „taufrischem Frischzellenextrakt", im Blitztempo von nur 12 Bädern wieder schlank, straff und jung formen, und zwar „mit 100 %iger Figurgarantie". Der „Haarverdicker-Doppelhaar" verdoppele das Haar binnen 10 Minuten, auch Schuppen, Flechten, fettiges und trockenes Haar würden mit 100 %iger Garantie beseitigt. In dieser Art wurde ftir sämtliche Produkte geworben. BGH: Allein bei der Strafzumessung im Rahmen der Würdigung der kriminellen Energie des Täters kann ein u.U. leichtfertiges Verhalten des Opfers Berücksichtigung f i n d e n . · " · '
b) Einflussnahmen auf die automatischen Operationen eines Computers sind der Beein- 24 flussung des Willens eines Menschen nicht gleichzusetzen. Sie begründen daher keinen i.S. des § 263 relevanten Irrtum; vgl. dazu § 263 a. Zu beachten ist aber, dass der relevante Irrtum schon durch Täuschung von Kontrollpersonen hervorgerufen werden kann und dass durch die Ergebnisse des beeinflussten Computers ein Irrtum bei Personen entstehen kann. 314 c) Kontrollpersonen, die die Richtigkeit eines Sachverhalts überprüfen sollen, sind auch 25 dann getäuscht, wenn sie aufgrund des ihnen vorgelegten Materials davon ausgehen, dass der vorgetragene Sachverhalt zutrifft. Beispiele: Irrtum des Sparkassenangestellten, dem ein Sparbuch von einem Dritten zur Auszahlung vorgelegt wird, über die Berechtigung des Vorlegenden, denn da grobe Fahrlässigkeit des Schuldners bei der Auszahlung die Forderung nicht zum Erlöschen bringt, wird sich der Schuldner in der Regel Gedanken über die Berechtigung des Buchinhabers m a c h e n . 3 - Irrtum des Richters, dem ein unwahrer Sachverhalt im Prozess vorgetragen wird. 3 . i n t u m des Schecknehmers über die Berechtigung des Scheckbegebenden, wenn dieser einen gestohlenen oder gefälschten Scheck vorlegt, auch dann, wenn der Scheck durch Scheckkarte garantiert ist. Positives Wissen und grob fahrlässige Unkenntnis der Nichtberechtigung verhindern nämlich auch hier die Entstehung des Anspruchs. Damit ist davon auszugehen, dass der Schecknehmer selbst nur vom
f; RENGIER B . T . I, § 13 R d n . 2 1 ; SEIER D e r K ü n d i g u n g s b e t r u g ,
1 9 8 9 , S. 2 7 3 ; SEELMANN J u S
1982
S . 2 7 0 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 8 6 . - A . A . AMELUNG G A 1 9 7 7 S . 6 ff; BEULKE N J W 1 9 7 7 S . 1 0 7 3 ; ELLMER B e t r u g u n d O p f e r m i t v e r a n t w o r t u n g , 1 9 8 6 , S . 2 7 1 ff; GLEHRING G A 1 9 7 3 S . 1 ff; R . HASSEMER
Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, 1981, S. 113 ff; HOYER SK II, § 263 Rdn. 71 ff; SCHÜNEMANN B o c k e l m a n n - F S , S. 1 3 0 f; DERS. N S t Z 1 9 8 6 S . 4 3 9 ff. 313
Dazu auch BGH StV 1983 S. 326; HILLENKAMP Vorsatztat, S. 18 ff. - Zum Betrug durch Vorspiegelung magischer und seherischer Fähigkeiten: HILLENKAMP Schreiber-FS, S. 142 f.
314
So auch mit eingehender Begründung SIEBER Computerkriminalität, S. 203 ff, 215; DERS. Computerkriminalität, Nachtrag, S. 2/2 ff; TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 92; N. SCHMID Missbräuche im modernen Zahlungs- und Kreditverkehr, 1982, S. 28 f.
3 1 5
V g l . a u c h KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 2 3 4 ; LACKNER L K , 10. A u f l . , § 2 6 3 R d n . 8 8 ; MAIWALD J A
1971 S. 643; OTTO Bankentätigkeit, S. 99. - A.A. OLG Düsseldorf N J W 1989 S. 2003; OLG Köln N J W 1 9 9 1 S . 1 1 2 2 ; HOYER S K II, § 2 6 3 R d n . 7 7 ; MIEHE H e i d e l b e r g - F S , S. 4 9 8 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n .
88. 316
Str. vgl. eingehender unter Rdn. 137 ff.
237
26
§51
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Berechtigten einen Scheck erhalten will und getäuscht ist, wenn er nach den Umständen davon ausgeht dass der Berechtigte sein Partner ist. 3 ' 7 - Irrtum des Schecknehmers, der einen ungedeckten Scheck einlöst.'' 8 Hingegen: Kein Irrtum des Apothekers, dem ein kassenärztliches Rezept vorgelegt wird, auf dem der Arzt eine für den Patienten nicht notwendige Arznei verschrieben hat (BGHSt 49 S. 17, 18 ff mit Anm. OTTO JK 04, StGB § 263/74).
27 d) Personen, die sich im geschäftlichen Verkehr zur Entfaltung ihrer Aufgaben Dritter bedienen müssen sich einen etwaigen Irrtum aber auch das Wissen dieser Dritten zurechnen lassen. 319 3. Die Vermögensverfügung a) Verfügung und Verfügungsbewusstsein 28 Nach h.M. wird die Vermögensverfügung definiert als ein Handeln, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. - Danach kommt es auf ein „Verfügungsbewusstsein" des Opfers nicht an. Gleichgültig soll es sein, ob der Getäuschte weiß, dass er eine Vermögensverschiebung veranlasst, die Verfügung also bewusst oder unbewusst erfolgt. - Geradezu kurios mutet es allerdings an, wenn die Vertreter dieser Ansicht in gleicher Geschlossenheit darauf hinweisen, dass es für die Abgrenzung des Betruges vom Diebstahl entscheidend auf die Willensrichtung des Verfügenden ankomme. 320 Diese Behauptung steht im krassen Gegensatz zu den in die Definition der Vermögensverfugung eingegangenen Prämissen und macht deutlich, dass die h.M. von zwei inhaltlich verschiedenen Verfügungsbegriffen ausgeht, was in der Rechtsprechung sogar ausdrücklich hervorgehoben wird. 29
Einerseits BGHSt 14 S. 172: „Derjenige, der die Vermögensverfügung vornimmt, braucht sich dabei nicht bewusst zu sein, daß er auf sein Vermögen oder dasjenige eines Dritten einwirkt." Andererseits: BGH bei Dallinger, MDR 1974 S. 15: „Der Tatbestand des Betruges setzt u.a. voraus, daß der vom Täter Getäuschte aus freiem, nur durch Irrtum beeinflußten Willen über sein Vermögen oder das ihm faktisch anvertraute Vermögen eines anderen verfügt und dieses dadurch unmittelbar schädigt ... Für die Abgrenzung der beiden Tatbestände (gemeint sind Diebstahl und Betrug) kommt es somit in den Fällen, in denen sich der Täter durch Täuschung eine Sache verschaffen will, wesentlich auf die Willensrichtung des Getäuschten und auf sein Verhältnis zu der Sache an. Hiernach liegt mangels eines Verfügungswillens kein Betrug, sondern Diebstahl vor, wenn die Täuschung dem Täter nur die Herbeiführung des Schadens durch eine eigene Handlung ermöglichen soll, die den Gewahrsam des bisherigen Inhabers ohne dessen Willen eigenmächtig aufhebt." 3 2 '
30 Die Aufspaltung des Verfügungsbegriffs lässt sich auch nicht dadurch überwinden, dass dem Verfügungsbewusstsein als Element des Verfugungsbegriffs die Bedeutung abgesprochen und darauf abgestellt wird, ob das Verhalten bei einer Gesamtwürdigung als Selbst-
317
Dazu im Einzelnen BayObLG NJW 1999 S. 1648 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 263/54.
318
A.A. AG Tiergarten NJW 1989 S. 846.
319
Vgl. BayObLG NStZ 2002 S. 91 mit Anm. OTTO JK 02, StGB § 263/68; BGH (Z) NJW 2002 S. 1498; BACKMANN Die Abgrenzung des Betrugs von Diebstahl und Unterschlagung, 1974, S. 152; EISELE Z S t W 1 1 6 ( 2 0 0 4 ) S. 3 0 ff; RENGIER R o x i n - F S , S. 8 2 4 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 8 2 .
3 2 0
V g l . z . B . B G H N J W 1 9 9 5 S. 3 1 3 0 ; ARZT/WEBER B . T . , § 2 0 R d n . 7 4 ; BACKMANN A b g r e n z u n g , S. 2 8 ;
JOECKS Zur VermögensverfÜgung beim Betrug, 1982, S. 135; KÖPER B.T., S. 369; RENGIER B.T. I, § 13 Rdn. 24. - Konsequent demgegenüber GÖSSEL B.T.2, § 21 Rdn. 130 ff. - Eingehend zur Kritik: HOYER S K II, § 2 6 3 R d n . 1 7 0 ff; PAWLIK V e r h a l t e n , S . 2 3 6 f f . 321
238
Vgl. dazu auch BGH GA 1987 S. 307; OLG Düsseldorf NJW 1990 S. 923.
Betrug
§51
Schädigung des Getäuschten erscheint oder nicht. 322 Denn das entscheidende Kriterium in dieser Gesamtwertung ist zumindest beim Sachbetrug wiederum das Verfügungsbewusstsein, was auch von denen zugestanden wird, die dem Verfügungsbewusstsein zunächst jegliche Bedeutung absprechen. Entgegen der von der h.M. verteidigten Definition der Vermögensverfügung ist daher 31 davon auszugehen, dass zumindest beim Sachbetrug weithin anerkannt ist, dass das Verfugungsbewusstsein i.S. des Bewusstseins einer Gewahrsamsübertragung Voraussetzung der Vermögensverfügung ist. Dieses Erfordernis ist sachgerecht, denn wenn die allgemeine Typisierung des Betruges als eines Selbstschädigungsdelikts überhaupt einen Sinn haben soll, so muss das Verfügungsbewusstsein als Element der Vermögensverfügung anerkannt werden: Von einer Selbstschädigung des Opfers kann nämlich keine Rede sein, wenn sich der Getäuschte nicht einmal der Tatsache seiner Verfügung bewusst ist. Ohne dieses Bewusstsein kann der Getäuschte nämlich durchaus Werkzeug in der Hand eines Diebes sein. Das bedeutet: Der Getäuschte muss den Verfügungscharakter seines Verhaltens kennen, 32 nicht aber wissen, dass er eine Vermögensschädigung vornimmt. - Vermögensverfügung ist danach jedes vermögensrelevante Tun und Unterlassen des Getäuschten, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt und dessen vermögensrelevanten Charakter der Getäuschte kennt.^13 Die von der h.M. befürchteten Strafbarkeitslücken, die das Erfordernis des Verfügungsbe- 33 wusstseins zur Folge haben soll, sind keineswegs so gravierend, wie die h.M. befürchtet, im Gegenteil, die Grenzfälle sind entweder als Betrug erfassbar, auch wenn am Erfordernis des Verfügungsbewusstseins festgehalten wird, oder schon aus anderen Gründen nicht unter den Betrugstatbestand zu subsumieren. - Zwei Fallgruppen fallen hier ins Auge: aa) Die Unterlassung der Geltendmachung eines Anspruchs Fall 1: In Anlehnung an RGSt 65 S. 99: Α veräußert für Β eine Sache. Es ist vereinbart, dass Α dem Β den Kaufpreis aushändigen soll. Α erlöst € 200,-, an Β führt er als Erlös n u r € 100,- ab.
34
Fall 2: RG Η RR 1939 Nr. 1383: Α pachtete von Β eine Kiesgrube. Der Pachtzins sollte nach der monatlich entnommenen Kiesmenge berechnet werden. Α gab diese Menge jeweils zu gering an, daher fordert Β jeweils einen geringeren Pachtzins als denjenigen, der ihm nach dem Vertrag zustand. Fall 3: RGSt 76 S. 170: Der mit dem Verkauf von Fahrtausweisen betraute Α erklärte bei der Abrechnung wahrheitswidrig, die Kasse stimme. Fall 4: RGSt 70 S. 225: Α hatte einen Brandschaden erlitten und von seiner Versicherung Ersatz für den Verlust verschiedener, in einer Liste aufgeführter Gegenstände erhalten. Zwei dieser Gegenstände fand A später unversehrt wieder. Die Versicherung benachrichtigte er davon nicht.
Wird in der Abrechnungssituation, d.h. in der bewussten Entscheidung, eine bestimmte 35 Abrechnung zu akzeptieren, die Verfügung über die abgerechnete Summe erkannt, so werden in den Fällen der Unterlassung der Geltendmachung von Forderungen kaum unerträgliche Strafbarkeitslücken eröffnet, wenn das Verfügungsbewusstsein als Bestandteil der Vermögensverfügung gefordert wird.
322
So aber TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 118.
323
Vgl. D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz,
1990, S. 95; HANSEN MDR
1975
S . 5 3 3 f f ; H E R Z B E R G Z S t W 8 9 ( 1 9 7 7 ) S . 3 6 9 F n . 1 0 ; H O Y E R S K II, § 2 6 3 R d n . 1 8 1 ; J O E C K S Z u r V e r -
mögensverfügung beim Betrug, 1982, S. 108 f; RANFT Jura 1992 S. 68 fT; - sachlich nahe: MLEHE Unbewußte Verfügungen, 1987, S. 54 ff (Bewußtsein der Vermögensbewegung).
239
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§51 36
Zutreffend hat HANSEN dargelegt, dass in den Fällen 1 - 3 von einer unbewussten Unterlassung keine Rede sein k ö n n e . i n diesen Fällen liege in der konkreten Abrechnungssituation ein täuschungs- und irrtumsbedingtes Verhalten vor. Die Abrechnung selbst sei nämlich gerade die Verfügung, die stets eine konkrete Entscheidung zum Inhalt habe und die bewusst vorgenommen werde. Unbewusst bleibe nur die Tatsache der Selbstschädigung.
37
Im Fall 4 fehlt es hingegen an einer bewussten Entscheidung der Versicherung. Hier ist ein Betrug ausgeschlossen, wenn man ein Verfügungsbewusstsein als Bestandteil der Verfügung fordert. Dass damit aber keine Strafbarkeitslücken auftreten, ist daran zu erkennen, dass in diesem Falle schon die Garantenpflicht zweifelhaft ist und auch die Begründung der Täuschung und des Irrtums auf Schwierigkeiten stoßen, weil hier weniger ein Irrtum erregt oder unterhalten, als vielmehr ein vorhandener Irrtum ausgenutzt wird. Insofern ist es durchaus vertretbar, auch die Verfügung abzulehnen. JOECKS kommt zu dem Ergebnis, dass die Unterlassung der Geltendmachung einer Forderung stets als Vermögensverfügung erscheint, da sie immer einen „Umgang mit Vermögen" d a r s t e l l e . D i e s e Argumentation gerät j e d o c h in Gefahr, die Möglichkeit des Umganges mit dem Vermögen dem realen Umgang mit dem Vermögen gleichzusetzen.
bb) Die Unterschriftsleistung als Vermögensverfugung 38
Fall: A war als Provisionsvertreter von Waschmaschinen für X tätig. Er bat den B, der den Kauf einer Waschmaschine abgelehnt hatte, ihm zu bestätigen, dass er, A, ihn, den B, aufgesucht habe. Bei der Unterschriftsleistung hielt Α den Bogen so, dass die Unterschrift des Β auf ein Formular für den Kaufvertrag einer Waschmaschine kam. Den Vertrag reichte Α bei X ein, der den Β auf Abnahme einer Waschmaschine in Anspruch nahm.
39 Rechtsprechung und h.L. haben die Problematik der Fälle erschlichener Vertragsunterschriften allein in der Schadensfeststellung gesehen und die Unterschriftsleistung unter das Vertragsangebot unproblematisch als Vermögensverfugung interpretiert, weil der Getäuschte damit eine Situation geschaffen habe, die tatsächlich - insbesondere unter Berücksichtigung der Beweissituation - der Eingehung einer Verpflichtung gleichkomme. 327 40 Zuzugestehen ist in diesen Fällen, dass der Getäuschte sich bewusst seiner Unterschrift entäußert hat. Verborgen geblieben ist ihm jedoch der vermögensbezogene Charakter seines Verhaltens. Dieser Vermögensbezug wird allein durch die - dem Getäuschten nicht bewusste - Erklärung hergestellt, unter die die Unterschrift gesetzt wurde. Dadurch entsteht der Schein eines Vertragsschlusses, denn in derartigen Fällen kommt es zu keinem wirksamen - nicht nur anfechtbaren - Vertragsschluss, sondern der Vertrag selbst kommt mangels Erklärungsbewusstseins nicht zustande. 41 Die Situation unterscheidet sich rechtlich daher nicht von jenen Fällen, in denen der Täter später über eine zuvor erschlichene Unterschrift einen Vertragstext setzt oder einen ursprünglich rechtswirksamen Vertrag inhaltlich fälscht. - In diesen zuletzt genannten Fällen stimmen jedoch Rechtsprechung und h.M. darin überein, dass der ursprünglichen Unterschrift kein Verfugungscharakter bezüglich der nun aus dem Vertragstext ersichtlichen Vermögensverfugung zukommt. Es fehlt das Erfordernis der Unmittelbarkeit zwischen Vermögensverfügung und Vermögensschaden. 328 324
M D R 1975 S. 533 ff.
325
Zur Diskussion: einerseits GALLAS Eb. Schmidt-FS, S. 421; LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 98. -
3 2 6
JOECKS V e r m ö g e n s v e r f ü g u n g , S. 1 0 8 f.
A n d e r e r s e i t s BOCKELMANN E b . S c h m i d t - F S , S. 4 5 7 A n m . 4 5 ; WELZEL Lb., § 5 4 1 3.
327
Dazu BGHSt 22 S. 88; KG JR 1972 S. 28; O L G Köln M D R 1974 S. 157; KINDHÄUSER N K , § 263 Rdn. 249;
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
B.T.l,
§41
Rdn.
73;
TIEDEMANN
LK,
§
263
Rdn.
109;
TRÖNDLE/FLSCHER § 2 6 3 R d n . 4 4 . 328
Dazu OLG Düsseldorf N J W 1974 S. 1833; OLG Celle M D R 1976 S. 66; OLG Hamm wistra 1982 S . 1 5 3 ; v g l . a u c h GÖSSEL B . T . 2 , § 2 1 R d n . 1 9 0 ; RENGIER Β . Τ . I, § 13 R d n . 2 6 .
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Betrug
§51
Doch auch in den Fällen, in denen der Getäuschte seine Unterschrift unter einen Ver- 42 tragstext setzt, ohne sich dessen bewusst zu sein, fehlt es an der Unmittelbarkeit zwischen Unterschriftsleistung und Vermögensschaden. Der Getäuschte hat nur die Möglichkeit zu einer Vermögensschädigung durch eine weitere deliktische Handlung des Täters, nämlich die Vortäuschung eines rechtswirksamen Vertragsschlusses, geschaffen. Erst in diesem weiteren - deliktischen Verhalten gegenüber dem Getäuschten, nämlich der Inanspruchnahme aus dem angeblichen Vertrag, liegt die deliktische Vermögensschädigung. Diese kann sich als Erpressung darstellen, wenn der Getäuschte für den Fall, dass er nicht leistet, damit bedroht wird, er werde mit einem Prozess überzogen, in dem die falsche Urkunde als Beweismittel verwendet wird. Erfolgt eine solche Androhung nicht, so liegt in der gerichtlichen Geltendmachung der Forderung ein Betrug. Das bedeutet für den Ausgangsfall:
43
1. Möglichkeit: Aufgrund des eingereichten unterschriebenen Vertrages geht X davon aus, dass Α einen Vertragsschluss vermittelt hat, er zahlt Α eine Provision. Ergebnis: Betrug des Α gegenüber X zu eigenen Gunsten (Provision). 2. Möglichkeit: Da Β sich weigert, die Waschmaschine abzunehmen, verklagt X den B. Im Termin wird der Vertrag vorgelegt. Β wird zur Abnahme und Zahlung verurteilt, da er die Täuschung nicht beweisen kann. Das Urteil wird rechtskräftig. Ergebnis: Betrug des Α als mittelbarer Täter (Täuschung) gegenüber Β zu Gunsten des X. - Eingehender zum sog. Prozessbetrug unter Rdn. 137 ff. 3. Möglichkeit: Nimmt Β die Maschine ab und zahlt, weil Α ihm droht, er werde im Prozess den Vertrag vorlegen und als Zeuge aussagen, der Vertrag sei gültig zustande gekommen, so kann auch eine Erpressung, § 253, zu Gunsten des X vorliegen. - Die Verschlechterung der Beweissituation ist ein empfindliches Übel für B, mit dem Α droht, um den Β zu einer Verfügung - Abnahme der Maschine und Zahlung - zu veranlassen.
b) Verfügender und Geschädigter Die Verfugung des Getäuschten kann sein eigenes Vermögen oder das eines anderen be- 44 treffen. Daher ist Identität zwischen Getäuschtem und Verfügendem nötig, nicht aber zwischen Verfügendem und Geschädigtem. Jedoch ist nicht jeder Zugriff auf das Vermögen eines Dritten als Vermögensschädigung durch Vermögensverfügung zu interpretieren. Die Möglichkeit des Gewahrsamsbruches des Täters durch Einsatz eines gutgläubigen Werkzeugs ist nicht ausgeschlossen. Allerdings muss der Geschädigte sich bestimmte Verfugungen Dritter als eigene zurechnen lassen. Dies ist dann der Fall, wenn der Verfügende selbst der Vermögenssphäre des Geschädigten zuzurechnen ist, d.h. wenn er durch den Geschädigten oder durch die Rechtsordnung in eine Position eingesetzt worden ist, aufgrund derer er die Möglichkeit hat, über Vermögen des Geschädigten zu verfugen. Wird er in dieser Situation das Opfer einer Täuschung und trifft eine Verfügung, zu der er sich aufgrund der Täuschung für berechtigt hält, so muss sich der Vermögensträger diese Verfugung als eigene zurechnen lassen. Der Gewahrsamshüter (Mitgewahrsamsträger oder Gewahrsamsdiener), dessen Aufgabe es ist, den Gewahrsam für den Eigentümer zu bewahren, verfügt daher zu Lasten des Eigentümers, wenn ihm eine Situation vorgespiegelt wird, die - läge sie vor - ihn zu der Verfugung berechtigen würde. - Ist der Getäuschte hingegen in die Sphäre des Täuschenden und nicht in die des Vermögensträgers zu rechnen, so liegt ein Diebstahl in mittelbarer Täterschaft vor. 329 329
Eingehender dazu OFFERMANN-BURCKART Vermögensverfügungen Dritter im Betrugstatbestand, 1994, S. 148 ff, 206 ff; OTTO ZStW 79 (1967) S. 76 ff; PAWLIK Verhalten, S. 212 ff; vgl. auch: BGHSt 18 S. 221 (Herausgabe eines Kfz durch einen Garagenwächter); OLG Köln MDR 1966 S. 253 (Herausgabe
241
§51
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
45
Zum Teil wird in der Lehre stärker auf die rechtl. Verfügungsbefugnis abgestellt (sog. Befugnis- oder Ermächtigungstheorie). Danach braucht der Geschädigte sich nur solche Handlungen des Verfugenden zurechnen zu lassen, zu denen dieser - ausdrücklich oder stillschweigend - rechtlich wirksam ermächtigt war. 330 46 Die Gegenmeinung (sog. Lagertheorie) stellt den tatsächlichen Aspekt in den Vordergrund ihrer Überlegungen. Danach soll es wesentlich darauf ankommen, ob der Getäuschte „innerhalb der Machtsphäre des Berechtigten als dessen Gehilfe und Schützer steht" (SCHRÖDER), ob er „bildlich gesprochen im Lager des Geschädigten steht" (LENCKNER), ob er für den Geschädigten „und an dessen Stelle von einer schon bestehenden Einwirkungsmöglichkeit auf die ihm nahestehende Sache als Folge der Täuschung zum Nachteil des Geschädigten Gebrauch macht" (DREHER). 3 3 1 Zur Verdeutlichung: 47
aa) BGHSt 18 S. 221: A, der ehemalige Freund der B, der den Wagen der Β wiederholt mit deren Einverständnis aus einer Sammelgarage geholt hat, erscheint nach Auflösung der Freundschaft in der Garage, tut so, als sei alles wie sonst, und fährt mit dem Wagen der Β fort. Der Garagenwärter C duldet dies, da er meint, Α handele nach wie vor im Einverständnis mit der B.
48
bb) Bei der Haushälterin Η des Direktors D erscheint A, gibt sich als Bürobote aus und bittet die H, ihm den wertvollen Gehpelz des Β auszuhändigen, da D am Abend von der Firma aus ins Theater will und mit der starken Kälte an diesem Tage nicht gerechnet habe. Die arglose Η gibt den Pelz heraus.
49
cc) Α verkauft dem Β ein an einem Haus stehendes Leitergerüst. Dieses gehört in Wirklichkeit C, während Β den Α für den Eigentümer hält. Β fährt das Gerüst gutgläubig ab.
BGH: Vermögensverfügung des C, die Β sich als eigene zurechnen lassen muss.
Ergebnis: Verfügung der H, die D sich als eigene zurechnen lassen muss.
Ergebnis: Diebstahl des Α in mittelbarer Täterschaft. Kein Betrug, da Α nicht VerfUgungsbefugter i.S. des §263.
c) Schutzunwürdige Vermögensverfügungen 50 Nach Auffassung des BGH fielen Dienstleistungen, die üblicherweise gegen Entgelt erbracht werden, dann aus dem Schutzbereich des § 263 heraus, wenn diese Dienstleistungen - z.B. Geschlechtsverkehr oder Telefonsex - unsittlichen Zwecken dienen. Das deutet darauf hin, dass der BGH hier nicht das Vorliegen eines Vermögensschadens bestreiten wollte, sondern die rechtlich garantierte Handlungsfreiheit begrenzt, d.h. aber, als rechtlich relevante Vermögensverfügung nur die rechtlich akzeptierte Vermögensverfügung aner-
eines Fahrrades durch Parkplatzwächter); OLG Stuttgart NJW 1965 S. 1930 (Herausgabe des KfzSchlüssels durch Zimmervermieter); OLG Celle NJW 1994 S. 142 mit Anm. KNACK/RADTKE JuS 1995 S. 17 ff (Vertretungs-verhältnis beim Forderungseinzug); OLG Düsseldorf NJW 1994 S. 3366 (Nichtgeltendmachung einer Forderung durch Gerichtsvollzieher). - Für Idealkonkurrenz zwischen §§ 263, 242 in diesen Fällen: HAAS GA 1990 S. 206. 330
Dazu AMELUNG GA 1977 S. 14; BACKMANN Die Abgrenzung des Betrugs von Diebstahl und Unterschlagung, 1974, S. 127 ff; HOYER SK II, § 263 Rdn. 144 ff; JOECKS StGB, § 263 Rdn. 54; KINDHÄUSER B e m m a n n - F S , S. 3 6 0 ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 4 1 3 ; MITSCH B . T . II/L, § 7 R d n . 7 4 ; SAMSON J A 1 9 7 8 S. 5 6 6 ; SCHÜNEMANN G A 1 9 6 9 S. 4 6 f f
3 3 1
242
D a z u DREHER J R 1 9 6 6 S . 2 9 f; DERS. G A 1 9 6 9 S . 5 6 f f ; GEPPERT JUS 1 9 7 7 S. 7 2 ; GRIBBOHM N J W 1 9 6 7 S. 1 8 9 7 ; HÄUF B . T . I, S. 1 2 5 ; KÜPER B . T . , S. 3 8 1 f f ; LENCKNER J Z 1 9 6 6 S. 3 2 1 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 R d n . 6 6 ; SCHRÖDER Z S t W 6 0 ( 1 9 4 1 ) S. 7 0 ; TLEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 1 1 6 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 6 4 1 .
Betrug
§51
kannte. 332 Diese Rechtsprechung ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten zum 1.1.2002 nicht mehr aufrecht zu erhalten. - Aber auch die Versagung des Strafrechtsschutzes gegenüber verbotenen Zwecken dienenden Vermögensverfügungen ist nicht sachgerecht. Der Vermögensschutz wird damit sozialethisch begrenzt, denn auch deijenige, der wirtschaftliche Leistungen zu sittenwidrigen Zwecken erbringt, ist unter vermögensrechtlichen Aspekten nicht schutzunwürdig gegenüber Vermögensschädigungen, die auf Täuschung gegründet sind. 333 d) Zusammenhang zwischen Täuschung und Verfügung Die Vermögensverfügung muss ihren Grund in dem Irrtum des Getäuschten haben, d.h. sie 51 muss durch den Irrtum veranlasst worden sein (Motivationszusammenhang). 334 Ob der Irrende auch ohne Täuschung verfugt hätte, ist irrelevant, wenn er infolge der Täuschung verfugt hat. BGHSt 13 S. 13: Der Referendar Α nahm im Gerichtszimmer auf dem Richterstuhl sitzend bei Β ein Darlehen auf, indem er Β vorspiegelte, er könne es aufgrund des Eingangs einer größeren Summe demnächst zurückzahlen. - Dies war unwahr. Β erklärte aber später, auch ohne diese Erklärung hätte er einer Amtsperson ein Darlehen gegeben.
52
BGH: Verfügung des Β beruhte auf Täuschung, nur das ist relevant. Hypothetische Überlegungen haben daneben keinen Raum.
4. Der Vermögensschaden a) Vermögen und Vermögensschaden Die Vermögensverfügung muss zur Minderung des Vermögens geführt, d.h. einen Ver- 53 mögensschaden begründet haben. Die inhaltliche Bestimmung des Vermögensbegriffs und damit auch die des Begriffs des Vermögensschadens sind jedoch streitig, aa) Personaler Vermögensbegriff Der oben - § 38 Rdn. 3 ff - entwickelte personale Vermögensbegriff sieht Vermögen als 54 eine personal strukturierte Einheit, die die Entfaltung der Person im gegenständlichen Bereich gewährleistet. Diese konstituiert sich in den von der Rechtsordnung anerkannten Herrschaftsbeziehungen der Person zu Objekten (Vermögensgütern), die von der Rechtsgesellschaft als selbständige Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs anerkannt werden, weil sie Gegenstand eines Rechtsgeschäfts „Tausch gegen Geld" sein können - Ein im Zeitpunkt der Bewertung vorhandener Veräußerungswert ist unerheblich. Ein Vermögensschaden liegt nicht schon im Verlust eines Vermögenswertes, sondern die Vermö-
332
Vgl. BGH JZ 1987 S. 684 mit abl. Anm. OTTO JK 88, StGB § 263/23, und zust. Anm. TENCKHOFF JR 1988 S. 126 ff; BGH wistra 1989 S. 142; OLG Hamm NStZ 1990 S. 342 mit Anm. WÖHRMANN S . 3 4 2 f; BERGMANN/FREUND JR 1 9 8 8 S . 1 8 9 ff; DIES. J R 1 9 9 1 S . 3 5 7 ff; HECKER JUS 2 0 0 1 S . 2 2 9 ; MLTSCH B . T . I I / l , § 7 R d n . 4 1 ; OTTO Jura 1 9 9 3 S . 4 2 5 f.
333
3 3 4
Vgl. dazu KG NJW 2001 S. 86 mit zust. Anm. GRÖSELING NStZ 2001 S. 515 ff, OTTO JK 01, StGB § 263/59, und abl. Anm. HECKER JUS 2001 S. 228 ff; BGH NStZ 2002 S. 33 mit Anm. OTTO JK 02, StGB § 263/67. - Ablehnend zur Arbeitsleistung, die kriminellen Zwecken dient: BGH NStZ 2001 S. 534 mit Anm. OTTO JK 02, StGB § 263/64. - Zur Beurteilung sexueller Dienstleistungen nach Inkrafttreten der ProstitutionsG: EuGH EuZW 2002 S. 120; ARMBRUSTER NJW 2002 S. 2763 ff; HEGER StV 2003 S. 355; RAUTENBERG NJW 2002 S. 650 ff; ZIETHEN NStZ 2003 S. 184. BGH NStZ
1 9 9 9 S . 5 5 8 m i t A n m . OTTO J K 0 0 , S t G B § 2 6 3 / 5 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 R d n .
54;
PAWLIK V e r h a l t e n , S . 2 4 9 f; HEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 1 2 2 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 5 2 2
f.
243
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§51
gensminderung ist nur - und immer dann - Vermögensschaden, wenn der mit der Vermögensminderung erstrebte wirtschaftliche Erfolg nicht erreicht wird. 335 bb) Wirtschaftlicher Vermögensbegriff 55 Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre vertreten den sog. wirtschaftlichen Vermögensbegriff: Vermögen ist die Summe aller wirtschaftlichen (geldwerten) Güter einer Person nach Abzug der Verbindlichkeiten. - Ein Vermögensschaden liegt in der Minderung der Wertsumme, doch wird diese Minderung nicht - dem objektiven Ausgangspunkt dieser Vermögenslehre entsprechend - objektiv bestimmt, sondern objektiv-individuell, d.h. aus der Sicht des Betroffenen, doch unter Berücksichtigung „objektiver Maßstäbe wirtschaftlicher Vernunft". 336 - Eine Variante des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs ist der sog. dynamische Vermögensbegriff. 337 Seinen Vertretern geht es darum, die Vereitelung eines Vermögenszuwachses in größerem Maße als es der Rechtsprechung möglich ist, der Vermögensschädigung gleichzusetzen. cc) Juristischer Vermögensbegriff 56 Den Gegensatz zum wirtschaftlichen Vermögensbegriff bildete der sog. juristische Vermögensbegriff, der das Vermögen als Summe der Vermögensrechte und Vermögenspflichten einer Person erfasste und den Schaden allein im Rechtsverlust sah. 338 - Eine deutliche Hinwendung zum juristischen Vermögensbegriff findet sich in den neuesten vorgetragenen Konzeptionen des Vermögens als „vergegenständlichter Handlungsfreiheit" ( P A W L I K ) und als „Summe der übertragbaren Rechte" bzw. Gesamtheit der rechtlich zugeordneten Güter ( K I N D H Ä U S E R ) sowie im ,intersubjektiv-juristischen VermögensbegrifF (HOYER).339
dd) Juristisch-wirtschaftlicher Vermögensbegriff 57 Der heute h.L. entspricht der juristisch-wirtschaftliche Vermögensbegriff: Er stimmt im Ausgangspunkt mit dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff überein, begrenzt aber den Bereich des geschützten Vermögens. Vermögen ist danach die Summe der wirtschaftlichen 3 3 5
E i n g e h e n d d a z u ALWART J Z 1986 S. 5 6 4 f; BOCKELMANN B.T./L, § 11 A II 3 e, cc; D . GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S. 125 ff; DERS. J u r a 1994 S. 3 1 1 ; HARDWIG G A 1 9 5 6 S. 17 ff; HEINITZ J R 1 9 6 8 S. 3 8 7 f; LABSCH JUS 1981 S. 4 7 ; MAIWALD N J W 1981 S. 2 7 8 0 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 4 1 R d n . 113 ff; OTTO S t r u k t u r , S. 3 4 , u n d d a z u MAIWALD M s c h r K r i m 1972 S. 194; SCHMID-
HÄUSER B.T., 11/1 - 4. - Gegen das Kriterium der Zweckverfehlung: GÖSSEL B.T.2, § 21 Rdn. 172; GRAUL B r a n d n e r - F S , S. 8 0 1 ff; HOYER S K II, § 2 6 3 R d n . 112 ff; JORDAN J R 2 0 0 0 S. 133 ff; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 3 2 9 f f ; SCHMOLLER J Z 1991 S. 119 ff; TIEDEMANN L K , V o r § 2 6 3 R d n .
33. Sie bestreiten letztlich die Möglichkeit der Abgrenzung wirtschaftlicher Zwecke zu sonstigen subjektiven Zwecksetzungen, übersehen aber, dass die wirtschaftliche Zielsetzung bereits in der Bestimmung wirtschaftlicher Güter - auch im Rahmen des wirtschaftlichen und juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriffs - konstitutive Bedeutung hat. - Der personalen Vermögenslehre nahe steht der funktionale Vermögensbegriff von WEIDEMANN - Das Kompensationsproblem beim Betrug, Diss. Bonn 1972, dazu insbes. S. 199 ff - und die Konzeption von JAKOBS JuS 1977 S. 228 ff. - Zur Praxis und Literatur in der Schweiz: DONATSCH M. Schmidt-FS, S. 282 ff. 336
Dazu RGSt 16 S. 1; 44 S. 233; BGHSt 1 S. 264; 16 S. 220; KG NJW 2001 S. 86; ARZT/WEBER B.T., § 2 0 R d n . 15; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 5 3 4 f.
3 3 7 3 3 8
428,
433
ff; TRÖNDLE/FlSCHER
§ 263
Rdn.
54;
D a z u ESER G A 1962 S. 2 8 9 ff; MOHRBOTTER G A 1 9 6 9 S. 2 2 7 ff. D a z u BINDING B . T . I, S. 2 3 8 , 3 4 1 ; MERKEL K r i m i n a l i s t i s c h e A b h a n d l u n g e n II, 1867, S. 101; NAUCKE
Zur Lehre vom strafbaren Betrug, 1964, S. 215. 3 3 9
244
V g l . d a z u PAWLIK V e r h a l t e n , S. 2 6 3 ff; KINDHÄUSER B . T . I I , § 1 R d n . 3 ; DERS. L ü d e r s s e n - F S , S. 6 4 8 ; HOYER S K II, § 2 6 3 R d n . 115 ff; vgl. a u c h KARGL J A 2 0 0 1 S. 7 1 6 f.
Betrug
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Güter einer Person, über die diese „rechtliche Verfügungsmacht" hat (NAGLER), die ihr „unter dem Schutz der Rechtsordnung" (WELZEL) oder wenigstens „ohne deren Missbilligung" (GALLAS) ZU Gebote stehen, bzw. die sie „unter Billigung der rechtlichen Güterordnung innehat" (CRAMER).340 - Die Unterschiede zwischen den einzelnen Spielarten dieser Vermögenslehre werden relevant beim Betrug um Besitz, den das Opfer der Tat selbst rechtswidrig erlangt hat, bei der Verfolgung rechtswidriger Zwecke mit Hingabe des Vermögensobjekts und beim Betrug um sog. nichtige Forderungen. 341 In einzelnen Entscheidungen hat auch die Rechtsprechung die Prämissen des juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriffs anerkannt, so z.B. bei Beweismittelverschaffung für Tilgung einer nichtbestehenden Forderung (BGHSt 20 S. 136); Lösegeld für Rückgabe der Beute aus Diebstahl (BGHSt 26 S. 346); Arbeitsleistung ohne Rechtsanspruch auf Entgelt (BGHSt 31 S. 178); kriminell eingesetzte Arbeitsleistung (BGH wistra 2001 S. 340); Dimenlohn, Telefonsex. 3 4 2
58
b) Zur Auseinandersetzung aa) Personaler und wirtschaftlicher Vermögensbegriff Der personale Vermögensbegriff gewährleistet - wie unter § 38 Rdn. 3 ff gezeigt - den um- 59 fassenden Schutz der Entfaltung des Rechtssubjekts im wirtschaftlichen Bereich. Da er das Vermögenssubjekt nicht aus der Definition des Vermögensbegriffs ausspart, bietet er ein in sich geschlossenes theoretisches Gefiige. Der wirtschaftliche Vermögensbegriff hingegen, der keineswegs für sich in Anspruch nehmen kann, ein wirtschaftswissenschaftlich gebildeter Begriff zu sein, sondern vielmehr seinen Ursprung in laienhaften Vorstellungen vom „Wirtschaften" hat, kann die behauptete objektive Bestimmung des Vermögens und des Vermögensschadens nicht durchhalten. Auch der wirtschaftswissenschaftliche WertbegrifF wurde ursprünglich vom objektiven Tauschwert her bestimmt. Heute hat sich hier weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Wert einer Sache aus der Beziehung des Subjekts zu einem Objekt herrührt. „Der Wert einer Sache ist keine dieser Sache anhaftende Eigenschaft ..., sondern die Auffassung eines Subjekts über die Nützlichkeit eines Ofty'eto." 3 4 3
60
Es ist schlicht unmöglich, den Vermögensschaden bei Verlust eines Vermögensgutes ob- 61 jektiv zu bestimmen. Das gleiche Vermögensgut hat in der Hand verschiedener Vermögenspersonen einen unterschiedlichen Wert, so z.B. in der Hand des Herstellers, des Großhändlers, des Kleinhändlers und des Endverbrauchers. Wollen die Anhänger des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs daher nicht zu unsinnigen Ergebnissen gelangen, so müssen sie in Grenzfallen einen „individuellen Schadenseinschlag" konzedieren. Wann aber das Zugeständnis gemacht wird, bleibt letztlich dem Gutdünken des Rechtsanwendenden überlassen. Eine erhebliche Rechtsunsicherheit ist die Folge, auch wenn durchaus nicht übersehen werden kann, dass die Zufälligkeit, die durch die weitgehend ins Ermessen des
340
Dazu CRAMER VermögensbegrifT und Vermögensschaden im Strafrecht, 1968, S. 100 ff; FOTH GA 1 9 6 6 S. 4 2 ; FRANZHEIM G A 1 9 6 0 S. 2 7 7 ; GALLAS E b . S c h m i d t - F S , S. 4 0 9 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 21 R d n . 120 f f ; KÜPER B . T . , S. 3 4 2 f, 3 4 4 ; LENCKNER J Z 1 9 6 7 S. 107; MLTSCH B . T . \V\, § 7 R d n . 8 4 ; NAGLER Z A k D R 1941 S. 2 9 4 ; RENGIER B . T . I, § 13 R d n . 5 5 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 R d n . 8 2 ; TLEDEMANN
LK, § 263 Rdn. 132; WELZEL Lb., § 54 I 4; ZIESCHANG Hirsch-FS, S. 837 ff. - Als zivilrechtlich konstituiertes und bilanzrechtlich konkretisiertes Herrschaftsprinzip präzisiert und objektiviert HEFENDEHL - Vermögensgefährdung und Expektanzen, 1994, S. 115 ff, 166 ff - den Vermögensbegriff. 341
Dazu weiter unter Rdn. 81, sowie OTTO Struktur, S. 292 ff.
342
Vgl. dazu auch TIEDEMANN BGH-FG, S. 558.
343
JACOB Das Wirtschaftsstudium 1972 S. 3.
245
§51
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67
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Richters gestellte Berücksichtigung individueller Interessen gegeben ist, durch die Rechtsprechung in jahrzehntelangen Bemühungen erheblich begrenzt wurde. So ist es auch verständlich, dass gerade in Extremfallen Übereinstimmung besteht. Darüber hinaus versagt der wirtschaftliche Vermögensbegriff vollkommen bei der Bestimmung des Vermögensschadens dann, wenn ein bestimmtes Vermögensobjekt keinen anerkannten Marktpreis hat, sondern der Preis des Objekts gerade durch Angebot und Nachfrage gebildet werden soll (Zuschlagspreis bei Auktionen), oder wenn eine Vermögensschädigung nicht im Rahmen eines Austauschgeschäftes, sondern bei einseitigen Leistungen in Betracht kommt. Anerkannt ist daher durchaus, dass allein der personale Vermögensbegriff in den Fällen einseitiger Leistungsverhältnisse, z.B. bei der Zahlung von Subventionen usw., den Vermögensschaden ohne Hilfe dubioser Konstruktionen erklären kann. Auch die Rechtsprechung und die h.L. bedienen sich in diesen Fällen schlicht des personalen Vermögensbegriffs, ohne dies aber ausdrücklich zuzugestehen. 344 Dennoch wird gegen die allgemeine Anerkennung der personalen Vermögenslehre vorgebracht: „diese auf den ersten Blick bestechende, geradezu anthropologische Vermögensauffassung übersieht, dass der private Wirtschaftler keineswegs auf die Erreichung bestimmter Zwecke, ja nicht einmal auf rationales Wirtschaftsverhalten festgelegt ist. Ein der Leistung vom privaten Leistenden beigelegter Zweck ist willkürlich, austauschbar und rücknehmbar. Er ist überdies als bloße Motivation des Leistenden für den Leistungsempfanger nicht immer einzusehen und stellt daher den Nachweis von Vorsatz und Bereicherungsabsicht vor grundsätzliche Schwierigkeiten". Daher eigne sich der personale Vermögensbegriff für die Schadensbestimmung beim Subventionsbetrug, bei dem es um öffentliche Mittel gehe, nicht aber dann, wenn die Bewertung privater Ausgaben in Rede stehe. 345 Hier wird übersehen, dass auch im privaten Handeln der Zweck der Vermögensverfügung festgelegt ist, denn nur deshalb kommt die Verfügung zustande. Dieser Zweck ist aber der allein maßgebliche und nicht ein irgendwie - je nach den Umständen - austauschbarer Zweck. Er wird durch Täuschung und Irrtum nicht nur konkretisiert, sondern ausdrücklich vom Täter des Betrugs zum Gegenstand seines Tatverhaltens gemacht. Das Opfer der Täuschung macht ihn sich in seiner Verfügung zu eigen. Der subjektive Ausgangspunkt der personalen Vermögenslehre bedeutet auch keine Gefahr für die Ausdehnung des Schutzobjekts über den Vermögensschutz hinaus. Durch den Bezug auf das wirtschaftliche Gut im Vermögensbegriff und die wirtschaftliche Zweckverfehlung bei der Schadensberechnung ist gewährleistet, dass der subjektive Einschlag nicht über den Vermögensschutz hinaus zum Schutz bloßer Dispositionsfreiheit führt. 346 Nicht ohne weiteres abzutun ist hingegen die Überlegung, dass der personale Vermögensbegriff heute noch nicht so durchgearbeitet ist, dass alle Probleme, die mit der Personalisierung des Vermögensbegriffs verbunden sind, in ihrer Bedeutung schon voll abge-
344
Dazu BGHSt 19 S. 37, 45; 19 S. 206: Erlangung von Bezugsrechten für Aktien: Schaden liegt in der zweck- und sinnlosen Fehlleitung der verfügbaren Mittel. - B G H N J W 1982 S. 2453: Investitionszulage. - B G H N J W 1992 S. 2167: Schenkung. - BGHSt 38 S. 186; B G H StV 2001 S. 516 f: Abgabe von Angeboten, die auf verbotenen Submissionsabsprachen beruhen; dazu vgl. auch unter Rdn. 82; CRAMER V e r m ö g e n s b e g r i f f , S . 2 0 2 f f , 2 1 0 ; G A L L A S E b . S c h m i d t - F S , S . 4 3 5 ; TIEDEMANN L K , V o r § 2 6 3
Rdn.
30. - Zur Anerkennung der sozialen Zweckverfehlung als Vermögensschaden in der Rechtsprechung: B G H wistra 2003 S. 457; LG Frankfurt N S t Z 2003 S. 140. 345
Vgl. TIEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität, Bd. 2, 1976, S. 99 ff.
346
Dazu WEIDEMANN Kompensationsproblem, S. 118.
246
Betrag
§51
schätzt werden können. 347 Gleichwohl sollte die Erörterung der bisher bekannten problematischen Fälle gezeigt haben, dass dieser Begriff aufgrund seines theoretischen Fundaments ein weit höheres Maß an Rechtssicherheit gewährleistet, als es h.M. und Rechtsprechung in immer neuen Einzelfallentscheidungen bisher erreichen konnten. 348 bb) Personaler und juristisch-wirtschaftlicher Vermögensbegriff Der juristisch-wirtschaftliche Vermögensbegriff muss - soweit er auf dem wirtschaftlichen 68 Vermögensbegriff aufbaut - dessen Mängel übernehmen. Seine Bedeutung liegt daher auch nicht in der Präzisierung des Vermögensbegriffs, ihm geht es vielmehr darum, bestimmte rechtlich dubiose, wirtschaftlich aber relevante Positionen (rechtswidriger Besitz, sog. nichtige Forderungen), aus dem Schutzbereich der Vermögensdelikte zu entfernen. Damit aber setzt er sich in Gegensatz zu seinen wirtschaftlichen Prämissen, so dass die entscheidende Grenzziehung vage bleibt. In Einzelfallen (z.B. Anerkennung des rechtswidrig erlangten Besitzes als Vermögensgut) entscheiden seine Vertreter daher durchaus abweichend voneinander. c) Vermögensschaden und Schadensersatzansprach aus dem Delikt Der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch, den das Opfer aufgrund des deliktischen Ver- 69 haltens des Täters erlangt, kann niemals den Eintritt des Vermögensschadens verhindern. Er ist Folge des Schadens, verhindert aber nicht den Eintritt des Schadens! d) Vermögensgefahrdung und Vermögensschaden Auch eine „konkrete" Vermögensgefahrdung kann begriffsnotwendig als solche niemals 70 ein Vermögensschaden sein, denn die Gefahr eines Schadens ist nicht identisch mit dem eingetretenen Schaden. Es widerspricht daher eklatant dem Grandsatz der Gesetzesbestimmtheit, Art. 103 Abs. 2 GG, wenn die h.M. eine konkrete Vermögensgefahrdung als Vermögensschaden i.S. des § 263 interpretiert. Hingegen kommt der konkreten Gefahr, dass eine geschuldete Leistung nicht erbracht oder eine nicht bestehende Forderung mit rechtswidrigen Mitteln durchgesetzt wird, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise Bedeutung für die Bestimmung des realen Wertes des Vermögens zu. Hier wird berücksichtigt, dass der Wert eines Vermögens, auch wenn der Vermögensträger die Vermögensobjekte noch in der Hand hat, vermindert ist, wenn andere - sei es auch juristisch anfechtbar derart Verfugungsmacht über Teile des Vermögens begründet haben, dass sie jederzeit nach ihrem Willen die Verfugung treffen können oder wenn der Vermögensträger trotz juristisch intakter Verfügungsmacht keine Möglichkeit hat, seine Forderung zu realisieren. - Das bedeutet: Ein Vermögensschaden kann sowohl in der Minderung des Bestandes an Vermögensobjekten als auch in der Minderung ihres Wertes liegen. M.a.W.: auch die vermögenswertmindernde Vermögensgefahrdung begründet einen echten Vermögensschaden. Keineswegs ist die relevante Vermögensgefahrdung nur schadensgleich. 349 347
So LACKNER LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 124.
348
Eingehend zur Entwicklung und Auseinandersetzung: OTTO Struktur, S. 26 - 84. - Zu den Grenzen der objektiv-individuellen Schadensberechnung D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 130 ff. - Zu Einzelfällen der Untauglichkeit des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs zur Bestimmung eines rechtlich relevanten Vermögensschadens vgl. darüber hinauS. OTTO Zahlungsverkehr, S. 17 ff (Hingabe eines Finanzwechsels als Warenwechsel); DERS. NJW 1979 S. 684 f (durch Täuschung beeinflußter Zuschlag bei Auktionen); DERS. GRUR 1979 S. 100 f (sog. Adreßbuchschwindel).
3 4 9
V g l . d a z u B G H S t V 2 0 0 2 S. 133 mit A n m . OTTO J K 0 2 , S t G B § 2 6 3 / 6 6 ; B G H N S t Z 2 0 0 3 S. 5 2 9 ; B G H
NStZ 2004 S. 265; HEFENDEHL Vermögensgefährdung, S. 52 ff; HIRSCH Tröndle-FS, S. 32, OTTO Jura 1 9 9 1 S . 4 9 4 ff; DERS. L a c k n e r - F S , S . 7 2 3 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 1 6 8 f f ; W A B M E R U n t r e u e b e i
Risikogeschäften, 1997, S. 131 ff.
247
§51 71
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Beispiel 1: Α nimmt bei Β einen Kredit in Höhe von 100.000,- € auf. Er täuscht dem Β vor, in gesicherten Vermögensverhältnissen zu leben und über entsprechende Sicherheiten zu verfügen. In Wirklichkeit ist A vermögenslos. Ergebnis: Gefährdet ist die Rückzahlung der Forderung. Da diese Gefahr aber - bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise - zu einem Wertverlust der Forderung führt, ist das Vermögen des Α in Höhe des Wertverlusts geschädigt.
72
Beispiel 2: Α schuldete dem Β 10.000,- €. Diese Schuld beglich er, vergaß aber, sich den Schuldschein zurückgeben zu lassen. Nunmehr fordert Β unter Vorlage des Schuldscheins die Zahlung von 10.000,- €. Ergebnis: Eine Forderung gegen Α ist nicht begründet. Die Belastung mit der nicht oder schwer widerlegbaren Forderung bedeutet aber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine Vermögensminderung und damit einen Vermögensschaden. Beispiel 3: Α schuldet dem Β 10.000,- €. Da Α nicht zahlt, hat Β einen Vollstreckungstitel erwirkt. Durch Täuschung verhindert Α die Vollstreckung. Diese wäre aber erfolglos gewesen, weil Α inzwischen vermögenslos ist. Ergebnis: Kein Vermögensschaden des Β durch Verhinderung der Vollstreckung; vgl. auch BGH wistra 2001 S. 338; BGH wistra 2001 S. 463; BGH wistra 2003 S. 232.
73 Rechtsprechung und Literatur benutzen den Begriff der konkreten Vermögensgefahrdung, die einem Vermögensschaden gleich sein soll, demgegenüber zum Teil undifferenziert und dehnen damit in Einzelfallen den Anwendungsbereich des § 263 über seinen Wortlaut hinaus aus. 350 Konsequent durchdacht macht diese Auffassung das Merkmal der Vermögensverfügung überflüssig. 351 Zur Verdeutlichung 74
aa) BGHSt 16 S. 321: Α verkauft dem Bauern Β eine Melkmaschine, an die drei Kühe angeschlossen werden können. Die Maschine kostet den üblichen Preis. 1. Alternative: Β hat 10 Kühe und Α hatte dem Β versichert, an die Maschine könnten alle 10 Kühe zugleich angeschlossen werden. Eine Maschine für nur drei Kühe erleichtert die Arbeit des Β nicht wesentlich. 2. Alternative: Β hat nur 3 Kühe. Da Α dem Β aber vorgeschwindelt hatte, die Maschine sei aufgrund einer Einführungsaktion einmalig günstig im Preis, nahm B, um die Maschine erwerben zu können, ein Darlehen zu hohen Zinsen auf. 3. Alternative: Wie in der 2. Alternative, doch musste Β seine Lebensführung erheblich einschränken, um seinen Verpflichtungen aus dem Kauf der Maschine nachkommen zu können. BGHSt 16 S. 321: „Wer sich aufgrund einer Täuschung zu einer Leistung verpflichtet und dafür eine gleichwertige Gegenleistung erhalten soll, ist allein durch die Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit nicht ohne weiteres im Sinne des Betrugstatbestandes an seinem Vermögen geschädigt. Ein Vermögensschaden ist in diesem Fall nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten. Diese können insbesondere dann vorliegen, wenn der Erwerber (a) die angebotene Leistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann oder (b) durch die eingegangene Verpflichtung zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder (c) infolge der Verpflichtung nicht mehr über die Mittel verfügen kann, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Verbindlichkeiten oder sonst für eine seinen persönlichen Verhältnissen angemessene Wirtschaftsoder Lebensführung unerlässlich sind."
350
Vgl. z.B. BGH wistra 1991 S. 307; BGH NStZ 1992 S. 233; BGH wistra 1993 S. 340; Übersicht bei HOYER SK II, § 263 Rdn. 230; RIEMANN Vermögensgefährdung und Vermögensschaden, 1989, S. 28 ff; im übrigen vgl. OTTO Jura 1991 S. 494 ff; DERS. JZ 1993 S. 657 f.
351
Vgl. dazu PUPPE M D R 1973 S. 12 f; RIEMANN Vermögensgefährdung, S. 44 ff; SCHMIDHÄUSER
Tröndle-FS, S. 305 ff; dazu auch HANSEN Jura 1990 S. 510 ff.
248
Betrug
§51
Diese Begründung des Schadens in der 2. und 3. Alternative ist im Rahmen des Betrugstatbestandes angreifbar. Schaden und erstrebte Bereicherung müssen sich nämlich derart entsprechen, dass der Schaden gleichsam als Kehrseite der Bereicherung erscheint. Dies sind sie aber - entgegen der Ansicht der BGH - in der 2. und 3. Alternative keineswegs. Α ist weder um die Darlehenszinsen noch um den Differenzaufwand zur Bestreitung angemessener Lebenshaltungskosten bereichert, sondern um die erlangte Geldsumme aus dem Verkauf der Maschine. Dass durch die Herausgabe der Geldsumme weitere Schäden begründet wurden, ist im Rahmen des Betrugstatbestandes irrelevant. Diese Schädigungen führten zu keiner weiteren Bereicherung. - Zum Problem der Entsprechung von Schaden und Bereicherung vgl. weiter unter Rdn. 90. Im Denkschema der personalen Vermögenslehre ist die Begründung des Schadens in allen drei Alternativen unproblematisch: 1. Alternative: Wirtschaftlicher Zweck verfehlt, weil der übereinstimmend zugrunde gelegte wirtschaftliche Zweck: Möglichkeit, 10 Kühe zugleich zu melken, nicht erreicht werden kann. 2. und 3. Alternative: Wirtschaftlicher Zweck verfehlt, weil übereinstimmend zugrunde gelegter wirtschaftlicher Zweck: Möglichkeit ein Wirtschaftsgut zu besonders günstigem Preis zu erwerben, nicht erreicht wurde. Der Kaufpreis entsprach der üblichen Kalkulation. Die Bereicherung entspricht demnach in allen drei Alternativen dem Schaden: Der Täter ist um den Kaufpreis bereichert, das Opfer ist des Kaufpreises verlustig gegangen. bb) OLG Köln NJW 1979 S. 1419: Α arbeitete als Zeitschriftenwerber. Der Β erklärte er, der Nettogewinn eines Zeitschriftenabonnements fllr ein Jahr komme entlassenen Strafgefangenen, die mit Rauschgift zu tun gehabt hätten, zugute. Daraufhin abonnierte Β die Zeitschrift, weil sie diese Verwendung unterstützen wollte.
75
OLG Köln: Dass in Wirklichkeit ein vorgetäuschter sozialer Zweck verfehlt wird, reicht fllr den Betrugstatbestand noch nicht aus, wenn die Zeitschrift nicht mehr kostet als sonst und wenn der Getäuschte genügend Geld dafür hat und sie brauchen kann. Nach dem personalen VermögensbegrifT ist hier zumindest ein Teil des von der Β auch erstrebten sozialen und damit wirtschaftlichen Zweckes nicht realisiert worden. Daher lag ein Vermögensschaden vor.352 cc) BGH StV 1991 S. 418: Α bestellte Waren, die erst nach der Lieferung zu bezahlen waren, obwohl er wusste, dass er weder zahlungswillig noch -fähig sein würde.
76
BGH: Betrug, wenn Α seine Zahlungsunfähigkeit sicher kannte, nicht aber, wenn er nur in geschäftlichen Schwierigkeiten war. 3 ^3 dd) BayObLG JR 1974 S. 336 mit Anm. LENCKNER S. 337 ff: Α gab unter Vorspiegelung seiner Zahlungsfähigkeit sein Kraftfahrzeug zur Reparatur. Er war nicht zahlungsfähig.
77
BayObLG: Das Unternehmerpfandrecht hindert den Eintritt des Vermögensschadens nicht. Dem ist nicht zu folgen, wenn das Untemehmerpfandrecht die Forderung deckt und mühelos verwertet werden kann.354 . Gleiches würde gelten, wenn der Anspruch des Unternehmers durch eine andere Sicherheit gedeckt wäre, aus der er sich in vollem Umfang befriedigen könnte. 3 ^ ee) BGH JR 1990 S. 517: Α verkauft eine Sache, die dem Β gehört und die Α unterschlagen hat, an den gutgläubigen C. BGH: Auch derjenige, der gutgläubig eine Sache erworben hat, kann im Sinne des Betrugstatbestandes geschädigt sein. „In solchen Fällen hängt die Beantwortung der Frage, ob eine schadensgleiche Vermö-
352
So auch OLG Düsseldorf wistra 1990 S. 200; vgl. auch BGH wistra 2003 S. 457; LG Frankfurt NStZ 2003 S. 140. - Hingegen begründet die Täuschung über den Einsatz beruflich tätiger Werber für einen gemeinnützigen Zweck keinen Vermögensschaden; vgl. dazu BGH NJW 1995 S. 539 mit Anm. DEUTSCHER/KÖRNER JUS 1996 S. 296 ff, OTTO JK 95, StGB § 263/43, RUDOLPHI NStZ 1995 S. 289 f.
353
Vgl. auch BGH wistra 1992 S. 143; wistra 1998 S. 177.
354
Vgl. dazu auch BGH wistra 1985 S. 24.
355
Vgl. dazu auch BGH wistra 1992 S. 142; BGH wistra 1993 S. 265; BGH StV 1995 S. 254; BGH StV 1997 S. 416; BGH wistra 2000 S. 350. - Eingehend dazu OTTO Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 102 ff.
249
78
§51
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
gensgefährdung eingetreten ist, davon ab, ob der Erwerber nach den Umständen des Einzelfalles mit der Geltendmachung eines Herausgabeanspruches oder mit sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen hatte." Die Identifizierung einer vagen Gefährdung mit einem Vermögensschaden Uberzeugt nicht. Maßgeblich ist auch hier, ob unter den konkreten Umständen der Entzug des Objekts im Prozess wahrscheinlich ist. Dann allerdings ist die erlangte Position wirtschaftlich weniger wert als diejenige, die vertraglich einzuräumen war.35" 79
ff) OLG Köln M D R 1972 S. 884: Α versprach dem B, ihm gegen Zahlung von DM 20,- eine Prostituierte zum Geschlechtsverkehr zu verschaffen. Β zahlte, A war aber von vornherein nicht leistungswillig. OLG: Der Verlust des Geldes stellt einen Schaden dar, da es kein rechtlich gegen Betrug ungeschütztes Vermögen gibt. Vom personalen Vermögensbegriff her ist dem z u z u s t i m m e n . 3 5 7 . A.A. z.T. die Anhänger des juristischwirtschaftlichen Vermögensbegriffs, mit dem Hinweis, der Getäuschte kenne die Unverbindlichkeit und schädige sich daher bewusst s e l b s t . 3 5 "
80
gg) B G H JZ 1987 S. 684: Α veranlasste die Prostituierte Ρ durch Versprechen eines beachtlichen Entgelts zur Vornahme des Geschlechtsverkehrs mit ihm. Anschließend verweigerte er die Zahlung. BGH: Keinen Betrug begeht, wer die Prostituierte um den Lohn für verbotene oder sittenwidrige Handlungen prellt.359 Dem kann nicht gefolgt werden, denn der Einsatz von Arbeitskraft in einem Bereich, der üblicherweise und nach der Abmachung der Beteiligten gegen eine Geldleistune erfolgt, ist eine geldwerte Leistung. Mit der Erbringung dieser Leistung erleidet die Ρ daher einen S c h a d e n ? 3 ^
81
hh) Abwandlung von gg): Α fasst den Plan, nicht zu zahlen, erst nach dem Geschlechtsverkehr und entlohnt die Ρ mit Falschgeld. Ergebnis: Die Arbeitsleistung hatte Ρ nicht aufgrund einer Täuschung erbracht. Nach dem ProstitutionsG hatte Ρ aber einen Zahlungsanspruch gegen A. Dessen Durchsetzung vereitelte Α durch die Zahlung mit Falschgeld. Insofern liegt in diesem Verhalten ein Betrug. - Nach früherem Recht war ein wirksamer Anspruch nicht entstanden. Es bestand lediglich die Aussicht der P, durch Einsatz rechtswidriger Mittel das Entgelt zu erhalten. Das aber begründete keine Vermögensposition. Die Möglichkeit, sich durch strafbares Verhalten Vermögensgüter zu verschaffen, begründet keine vermögensrechtlich geschützte Position. 3 *''
82
ii) BGHSt 38 S. 186: Bei einer öffentlichen Ausschreibung verabredeten Α, Β und C, Angebote so abzugeben, dass das Angebot von Α das billigste war. Α erhielt den Zuschlag. Sein Angebot lag unter dem Marktpreis, doch wäre ohne die Absprache ein noch billigeres Angebot erfolgt. BGH: Vermögensschaden des Auftraggebers, denn bei ordnungsgemäßem Verhalten hätte er dieselbe Leistung zu einem billigeren Preis erhalten. Dem ist aus der Sicht der personalen Vermögenslehre vorbehaltlos zuzustimmen. Mit dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff ist dieses Ergebnis kaum in Einklang zu b r i n g e n . 3 ^
356
Eingehender dazu OTTO JK 91, StGB § 263/33; vgl. auch B G H wistra 2003 S. 230.
357
Vgl. OTTO Struktur, S. 292 ff, SCHMIDHÄUSER B.T., 11/31.- Dazu auch Rdn. 50 ff.
358
v g l . e i n e r s e i t s : KÜHL J u S
1 9 8 9 S. 5 0 8 f ; KÜPER B . T . , S . 3 4 6 f; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 R d n .
35;
TLEDEMANN LK, § 263 Rdn. 138; ZLESCHANG Hirsch-FS, S. 845 f; andererseits: CRAMER Vermögensb e g r i f f , S . 9 4 f f ; DERS. J u S 1 9 6 6 S . 4 7 6 f; RENZIKOWSKI G A 1 9 9 2 S . 1 7 5 . 359
So auch die Vertreter der juristisch-wirtschaftlichen Vermögenslehre; vgl. z.B. TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 138; SCH/SCH/CRAMER § 263 Rdn. 97. - Dazu vgl. auch Rdn. 50 ff. 360 v g l . auch BGH N J W 2001 S. 981; HAFT B.T., § 27 II 2 d; HEINRICH GA 1997 S. 24 ff; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 4 3 9 ; SCHMIDHÄUSER B . T . 1 1 / 3 1 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 6 3 . 361
Eingehend dazu OTTO Struktur, S. 51 ff; zur Gegenansicht vgl. KREY/HELLMANN B.T.2, Rdn. 438, 430. - Im Übrigen vgl. B G H NStZ 2001 S. 534 mit Anm. OTTO JK 02, StGB § 263/64.
362
Zur Auseinandersetzung: BGHSt 47 S. 83, 88 f mit Anm. OTTO JK 02, StGB § 263/63, RÖNNAU JuS 2 0 0 2 S . 5 4 5 , ROSE N S t Z 2 0 0 2 S . 4 1 f, SATZGER, J R 2 0 0 2 S . 3 9 1 f f WALTER J Z 2 0 0 2 S . 2 5 4 f f ; B G H w i s t r a 2 0 0 1 S. 1 0 3 m i t A n m . O T T O J K 0 1 , S t G B § 2 6 3 / 6 0 ; ACHENBACH N S t Z 1 9 9 3 S . 4 2 8 f; CRAMER
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Betrug
§51
jj) OLG Karlsruhe NStZ 1990 S. 282: Durch Täuschung verhindert Α die Vollstreckung einer gegen ihn rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe.
83
OLG: Kein Schaden des Staates im Sinne des § 263. 3 6 3 Dem kann nicht gefolgt werden. Der Staat erleidet zwar einen Schaden, wenn die Geldstrafe nicht eingebracht wird, doch § 258 Abs. 5 steht als Spezialregelung einer Bestrafung aus § 263 entgegen.3**4 kk) BGH StV 1985 S. 189: Der zahlungsunfähige Α veranlasste die Bank Β zur Eröffiiung eines unwiderruflichen Akkreditivs zugunsten des D.
84
BGH: Schaden mit Eröffnung des Akkreditivs entstanden, da die Bank dem Begünstigten gegenüber wie aus einem abstrakten Schuldversprechen haftet. Dem ist zuzustimmen. Ein Akkreditiv, als vertragliche Verpflichtung einer Bank für Rechnung ihres Auftraggebers innerhalb einer bestimmten Zeit unter bestimmter Voraussetzungen (Einreichung bestimmter Dokumente) Zahlung zu leisten, ist eine reale Belastung des Vermögens der Bank, da es allein von dem Dritten abhängt, ob die Forderung realisiert wird oder nicht. 11) A, der zu einer Verkaufsmesse fährt, täuscht seinen Konkurrenten Β über das Datum der Messe. Β er- 8 5 scheint nicht, Α hat den doppelten Umsatz. Ergebnis: Kein Betrug des A. Die Aussicht, dass bestimmte Kunden bei Β kaufen, ist nicht Vermögensbestandteil des B. Ihm gehören die Kunden nicht. Nach allgemeiner Meinung gehören bloße Hoffnungen auf Gewinn, unsichere Exspektanzen nicht zum Vermögen. Sind diese allerdings so verfestigt, dass der Geschäftsverkehr ihnen bereits einen wirtschaftlichen Wert beimisst, so sollen sie als Vermögensgut nach h.M. anerkannt werden, wobei letztlich auf die „Wahrscheinlichkeit der Gewinnrealisierung" abgestellt wird. 36 ^ Zutreffend beschränkt HEFENDEHL den Begriff der Vermögenswerten Exspektanz auf die Situation einer (zivil)rechtlich konstituierten Herrschaft, die die störungsfreie Möglichkeit der Entwicklung eines Zustandes zum Vollwert beinhalte. 366 mm) BayObLG NJW 1994 S. 208: Bei dem Briefmarkenversand B, der bei Erstbestellungen Gratismarken 8 6 beifügte, um den Erstbesteller als Stammkunden zu gewinnen, bestellte A, der dort bereits Kunde war, unter anderem Namen als „Erstbesteller" Briefmarken. Diese und die Gratismarken erhielt er.
NStZ 1993 S. 42 f; D. GEERDS DWiR 1992 S. 120 ff; HEFENDEHL JUS 1993 S. 805 ff; HOHMANN NStZ 2 0 0 1 S. 5 6 8 ff; JOECKS w i s t r a 1 9 9 2 S. 2 4 7 f f ; KRAMM J Z 1 9 9 3 S. 4 2 3 ff; OTTO Z R P 1 9 9 6 S. 3 0 3 ff;
RANFT wistra 1994 S. 41 ff; TIEDEMANN Z R P 1992 S. 149 ff. - Zum Schweizer Recht: ACKERMANN M.
Schmid-FS, S. 307 ff. Mit Einführung des § 298 hat der Gesetzgeber in diesen Bereich eine Bestrafung auch ermöglicht, wenn der Vermögensschaden nicht nachweisbar ist; vgl. dazu weiter unter § 61 Rdn. 142 ff. - Anwendbar bleibt § 263 aber im Falle des Nachweises eines Vermögensschadens; vgl. BT-Drucks. 13/5584, S. 14. Einen Vermögensschaden erleidet der Auftraggeber auch, wenn die Absprache zur Abwendung eines ruinösen Wettbewerbs erfolgte; vgl. dazu BGH wistra 2001 S. 103. 363 vgl. auch BGHSt 38 S. 345, 351; 43 S. 381, 400 ff; BGH StV 1998 S. 194; BayObLG JR 1991 S. 433; O L G K ö l n N J W 2 0 0 2 S. 5 2 7 m i t A n m . HECKER JUS 2 0 0 2 S. 2 2 6 f, MOTZKY J u r a 2 0 0 3 S . 191 ff, OTTO J K 0 2 , S t G B § 2 6 7 / 2 9 ; HOYER S K II, § 2 6 3 R d n . 1 2 9 ; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 3 0 3 . 364
Dazu auch GRAUL JR 1991 S. 435 ff. Überzeugend: JÄNICKE Gerichtliche Entscheidungen als Vermögensverfügung im Sinne des Betrugstatbestands, 2001, S. 398 ff: Schutzbereich des § 263 nicht betroffen, weil mit der Strafe nicht vermögensrechtliche Ziele verfolgt werden.
365
Vgl. BGH MDR 1987 S. 949; BGH wistra 1997 S. 144; D. GEERDS Jura 1994 S. 311 ff; HOYER SK II, § 2 6 3 R d n . 122; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 135 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 5 7 . - Z u r P o s i t i o n
der als Erben Benannten vor Eintritt des Erbfalls vgl. auch OLG Stuttgart NStZ 1999 S. 246 mit Anm. THOMAS S. 6 2 2 f f ; B G H w i s t r a 2 0 0 4 S. 6 0 ; BRAND/FETT J A 2 0 0 0 S . 2 1 1 f f ; ElSELE W e b e r - F S , S . 2 7 1
ff; JÜNEMANN NStZ 1998 S. 393 ff; SCHROEDER NStZ 1997 S. 585 f. 366
Vgl. HEFENDEHL Vermögensgefährdung, S. 117 f, zur Kundenproblematik, S. 220 ff.
251
§51
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
BayObLG: Da Β durch Einsatz seines Vermögens (Gratismarken) lediglich höchst ungewisse Erwerbschancen wahrnehmen wolle, werde sein Verhalten nicht vom Schutzzweck des § 263 erfasst?*" Dem ist aus der Sicht des personalen Vermögensbegriffs nicht zuzustimmen, da Β überhaupt nicht die Chance für seine Geldaufwendungen erhielt, die er nach den zugrundeliegenden Bedingungen erhalten sollte. Daher wurde sein Aufwand z w e c k e n t f r e m d e t . ^ 3
IV. Der subjektive Tatbestand 1. Vorsatz 87 Der Vorsatz - bedingter Vorsatz genügt - muss alle Merkmale des objektiven Tatbestands und den zwischen ihnen bestehenden funktionalen Zusammenhang umfassen. 2. Die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen (Bereicherungsabsicht) 88 a) Absicht bedeutet - dolus directus 1. Grades - zielgerichtetes Wollen. Absicht ist hier der auf den Vorteil gerichtete Wille, mag der Täter den Vorteil auch nur als Mittel zu einem anderweitigen Zweck anstreben. Maßgeblich ist allein, ob es ihm auf den Vorteil ankommt. Ob er die Verwirklichung seines Willens für sicher oder nur für möglich hält, ist unerheblich. - Es genügt aber nicht, wenn der Vorteil nur als notwendige, aber höchst unerwünschte Nebenfolge eines erstrebten Erfolgs eintritt. 89 b) Vermögensvorteil ist jede günstigere Gestaltung der Vermögenslage. Stets aber ist erforderlich, dass die eigene wirtschaftliche Potenz des Täters oder die des begünstigten Dritten durch den Vorteil gestärkt wird. 3 6 9 90 Der erstrebte Vorteil muss dem zugefügten Schaden entsprechen, gleichsam als Kehrseite des Schadens erscheinen. Dieser Zusammenhang zwischen erstrebter Bereicherung und Schaden wird gemeinhin mit dem Stichwort der Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung charakterisiert. StofFgleichheit darf hier aber nicht als Identität verstanden werden. Es genügt, dass Schaden und Vorteil ihren Grund in derselben Vermögensverfügung haben und dass der Vorteil zu Lasten des geschädigten Vermögens geht. 370 Zur Verdeutlichung 91
aa) BGHSt 21 S. 384: Α verkaufte als Provisionsvertreter der Firme X Zigarettenautomaten. Durch Täuschung überredete er den Β zum Vertragsabschluß. Den Vertrag reichte Α bei X ein. Er erhielt eine Provision. BGH: Gegenüber Β liegt ein Betrug des Α zugunsten der Firma X vor. Schaden des Β entspricht dem Vermögensvorteil der Fa. X. - Gegenüber X ist jedoch ein eigennütziger Betrug des Α gegeben. Er hatte keinen Rechtsanspruch auf die Provision, da der Vertrag zwar gültig, aber anfechtbar zustande gekommen war und daher nicht den Wert eines ordnungsgemäßen Vertrags hatte.
92
bb) Β verspricht dem Α eine Belohnung von € 200,-, wenn der Hund des Nachbarn C, der den Schlaf des Β stört, zur Ruhe gebracht werde. Α geht zu C und redet ihm ein, der Hund sei tollwütig. Entsetzt erschießt C den Hund, der einen Wert von € 200,- hatte. 367
Dazu auch HILGENDORF JuS 1994 S. 466 ff.
368
Vgl. auch GEPPERT JK 94, StGB § 263/41.
369
Dazu vgl. BGH MDR 1988 S. 789 mit Anm. OTTO JK 89, StGB § 253/3. 370 vgl. dazu BGHSt 34 S. 391; BGH NStZ 2001 S. 650 mit Anm. GEPPERT JK 02, StGB § 263/65; BGH NStZ 2003 S. 264 mit Anm. OTTO JK 03, StGB § 263/70; HOYER SK II, § 263 Rdn. 268 ff; KÜPER B . T . , S. 8 5 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 2 5 6 .
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Betrug
§51
Ergebnis: Kein Betrug des A: Schaden des C und Bereicherung des Α haben ihren Grund nicht in derselben Vermögensverfügung. - Α hat eine Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft begangen. cc) In Anlehnung an OLG Köln NJW 1987 S. 2095: Die A, die bei ihrer Schwiegermutter Mitleid und Aufmerksamkeit erringen will, erzählte dieser, ihr Kind sei entführt worden. Als sie merkt, dass diese alles zur Rettung des Kindes in die Wege leiten will, berichtet sie, die Entführer hätten 1000,- DM gefordert. Sie weiß, dass die S ihr das Geld geben wird, was auch geschieht, sieht aber keine Möglichkeit, ohne Offenbarung ihrer Lüge aus der Sache herauszukommen.
93
OLG: Keine Bereicherungsabsicht.
3. Die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen schaffen
Vermögensvorteil zu ver-
a) Im Rahmen der Delikte gegen das gesamte Vermögen - Betrug, Erpressung - ist weit- 94 gehend anerkannt, dass rechtswidrig nur ein Vermögensvorteil ist, auf den der Täter nach materiellem Recht keinen Anspruch hat. Ein Vermögensvorteil ist dann nicht rechtswidrig, wenn die der Bereicherung zugrunde liegende Vermögensentziehung auf die Herbeiführung eines vor der Vermögensordnung rechtsbeständigen Zustandes gerichtet ist. Die Verfolgung berechtigter und Abwehr unberechtigter Ansprüche mit rechtswidrigen Mitteln macht den Vermögensvorteil als solchen nicht zu einem rechtswidrigen. 371 Das gleiche Ergebnis, wenn auch auf einem anderen konstruktiven Weg, wird erreicht, wenn der Eintritt eines Vermögensschadens abgelehnt wird, falls der Täter ein Vermögensgut an sich bringt, auf das er einen Anspruch h a t . 3 7 2 Dj e Konstruktion ist vom juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriff her konsequent, nicht jedoch mit den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs in Einklang zu bringen. Das Haben eines Objekts ist - wirtschaftlich gesehen - vorteilhafter als der bloße Anspruch auf das H a b e n . 3 7 3
95
Da die h.M. beim Vermögensschaden und bei der Bereicherung auf den Geldwert abstellt, 96 kommt sie hier nicht zu der - wie unter § 40 Rdn. 79 gezeigt - kaum sachgemäßen Differenzierung zwischen Spezies- und Gattungsschulden, die die Argumentation bei den Zueignungsdelikten bestimmt. Ist der Anspruch hingegen nicht fallig, bedingt oder besteht er nur zum Teil, so ist der 97 erstrebte Vorteil rechtswidrig; beim teilweise begründeten Anspruch, soweit der Anspruch unbegründet ist.
371
372
Dazu im einzelnen KÜPER B.T., S. 78 ff; sodann BGHSt 42 S. 271 f; BGH wistra 1982 S. 68; BGH NStZ-RR 1997 S. 257; BayObLG StV 1990 S. 165; BayObLG StV 1995 S. 303; vgl. im Übrigen zur entsprechenden Problematik des § 253 unten § 53 Rdn. 10 ff. Vgl. z.B. BGHSt 20 S. 137 f; BGH NJW 1983 S. 2646; BOCKELMANN Mezger-FS, S. 367 ff; CRAMER V e r m ö g e n s b e g r i f f , S. 1 6 0 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 1 8 6 , 1 9 4 ; W E L Z E L N J W 1 9 5 3 S. 6 5 2 f.
373
Eingehend dazu OTTO Struktur, S. 215 ff.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
98 b) Irrt der Täter über das Vorliegen eines Anspruchs, so entfallt gleichfalls die Absicht rechtswidriger Bereicherung, da es sich bei der Absicht um ein subjektives Merkmal des Tatbestandes handelt.374 99 c) Auf die Rechtswidrigkeit braucht sich die Absicht nicht zu erstrecken, insoweit genügt bedingter Vorsatz.375 d) Zur Einübung 1 0 0 aa) BGHSt 3 S. 160: Im Prozess ihres Kindes Κ auf Unterhalt gegen Η sagte Α als Zeugin falsch aus. Dadurch gewann Κ den Prozess. A war jedoch fest davon überzeugt, dass der Anspruch des Κ gegen Η begründet war. BGH: Α wollte dem Κ keinen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschaffen, da sie davon ausging, dass der Anspruch des Κ nach materiellem Recht begründet war. 101 bb) BGH NJW 1953 S. 1479: Α hatte eine Forderung gegen Β aus einem Geschäft mit diesem. Β zeigte sich nicht zahlungswillig. Α nahm nun bei Β ein Darlehen auf. Bei Fälligkeit des Darlehens rechnete er auf, was er von vornherein vorgehabt hatte. BGH: Da Α auf die Leistung einen fälligen Anspruch hatte, war sein Vermögensvorteil nicht rechtswidrig. Die Aufrechnung ist eine von der Rechtsordnung anerkannte Form der Erfüllung! Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn die Forderung des Α noch nicht fällig oder bedingt gewesen, bzw. die Aufrechnung vertraglich ausgeschlossen gewesen wäre. 1 0 2 cc) BGH bei Daliinger, MDR 1956 S. 10: Α machte Rentenansprüche als Kriegsversehrter wegen einer Beinverletzung geltend, die er angeblich durch Granatsplitter erlitten hatte. Diese Behauptung war unwahr, doch war Α lungenkrank, und es war nicht auszuschließen, dass die Lungenkrankheit auf Kriegseinwirkungen zurückzuführen war. BGH: Kein Betrug des A, wenn Α nur die Rente hätte haben wollen, die ihm aufgrund der Lungenkrankheit zukam oder von der Α geglaubt hätte, dass sie ihm zustände, was für ihn aber schwer beweisbar gewesen wäre. - Hatte Α aufgrund der Lungenerkrankung keinen Anspruch und wusste das, so lag ein vollendeter Betrug vor. - Hatte Α hingegen keine Ahnung von einem solchen Anspruch, lag dieser aber vor, so ist ein versuchter Betrug gegeben. 1 0 3 dd) BGHSt 42 S. 268 mit Anm. GEPPERT JK 97 § 263/49: Α geht irrig davon aus, dass ein gegen ihn geltend gemachter Anspruch wirksam besteht. Gleichwohl will er dessen Durchsetzung durch Täuschung vereiteln. BGH: Versuchter Betrug, nicht etwa ein bloßes Wahndelikt.37
V. Versuch, Vollendung, schwere Fälle des Betrugs und Besonderheiten der Strafverfolgung 1. Der Versuch 104 Der Versuch des Betruges beginnt mit dem unmittelbaren Ansetzen des Täters zur Täuschung, die zur Vermögensverfugung fuhren soll. - Eine Täuschung, die nur dazu dient,
374
Dazu BGH StV 1992 S. 106; BGH StV 2003 S. 671; OLG Bamberg NJW 1982 S. 778; OLG Düsseldorf wistra 1992 S. 74. - Im Einzelnen dazu TlEDEMANN LK, § 263 Rdn. 268 f; TRÖNDLE/FlSCHER § 263 Rdn. 112. 375 BGHSt 31 S. 181; 42 S. 268. 376 vgl. auch LG Mannheim NJW 1995 S. 3398 mit Anm. BEHM NStZ 1996 S. 317 ff, GEPPERT JK 96, StGB § 263/44, SCHEFFLER JuS 1996 S. 1070 f; BGH NStZ 1997 S. 431 mit Anm. KUDLICH S. 432 ff.
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das Vertrauen des Opfers zu erlangen, um später um so wirksamer eine auf Vermögensverfügung gerichtete Täuschung durchzufuhren, ist lediglich eine Vorbereitungshandlung. 377 2. Die Vollendung der Tat Vollendet ist das Delikt mit Eintritt des Vermögensschadens. - Materiell beendet ist der 105 Betrug mit Erlangung des erstrebten Vermögensvorteils durch den Täter. 3. Schwere Fälle des Betrugs a) Besonders schwere Fälle des Betrugs. - Regelbeispiele für besonders schwere Fälle des Betrugs nennt Abs. 3: aa) Nr. 1: Gewerbsmäßiges Handeln - dazu § 41 Rdn. 21 - und Handeln als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat; dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 41 Rdn. 61. bb) Nr. 2: Herbeiführung eines Vermögensverlustes größeren Ausmaßes, d.h. Begründung eines erheblichen Vermögensschadens. 378 - Der Täter handelt mit der Absicht, eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen, wenn z.B. bei Firmenzusammenbrüchen oder betrügerisch vertriebenen Vermögensanlagen die konkrete Gefahr des Vermögensverlustes für eine erhebliche Zahl von Personen begründet werden soll. - Personen sind - entsprechend dem Gesetzeswortlaut - nur natürliche Personen. 379 cc) Nr. 3: In wirtschaftlicher Not wird eine Person gebracht, wenn sie in eine Lage versetzt wird, in der sie in ihrer wirtschaftlichen Lebensführung objektiv so eingeengt ist, dass sie auch lebenswichtige Aufwendungen nicht mehr bestreiten kann. dd) Nr. 4: Ein Missbrauch der Befugnisse oder der Stellung als Amtsträger liegt vor, wenn der Täter seine Befugnisse zu rechtswidrigen Handlungen nutzt oder unter Ausnutzung der ihm gegebenen Möglichkeiten Handlungen außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs begeht. ee) Nr. 5: Vortäuschung eines Versicherungsfalles. - Das durch das 6. StrRG geschaffene Regelbeispiel übernimmt im wesentlichen den Regelungsinhalt des § 265 a.F. - Tatobjekt des § 265 a.F. waren bestimmte versicherte Sachen. Der Wortlaut des § 263 Abs. 3 Nr. 5 geht darüber hinaus, denn ein Versicherungsfall kann auch vorgetäuscht werden, indem darüber getäuscht wird, dass es sich bei der zerstörten Sache um die versicherte Sache gehandelt hat; im Übrigen vgl. zur Versicherung einer Sache § 61 Rdn. 2. Der bedeutende Wert einer Sache hängt von ihrem Verkehrswert ab. In Anlehnung an § 315 ff wird man auch hier von einem Wert von mindestens € 700,- ausgehen können. - Zum In-BrandSetzen und zum ganz oder teilweise durch Brandlegung Zerstören vgl. § 79 Rdn. 2 f. Vorgetäuscht wird der Versicherungsfall, wenn der Täter keinen Anspruch aus der Versicherung hat, diesen aber gleichwohl geltend macht.
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111
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Versicherte selbst Täter oder Teilnehmer der Tat ist; § 61 1 1 2 VVG. Dasselbe gilt, wenn der Versicherte sich das Verhalten des Täters als eigenes zurechnen lassen muss, 377
Dazu BGHSt 37 S. 294 mit Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 22/15, KIENAPFEL JR 1992 S. 122 f; BGH S t V 2 0 0 1 S. 2 7 2 , 2 7 3 ; B G H S t V 2 0 0 3 S. 4 4 4 m i t A n m . OTTO J K 04, S t G B § 2 2 / 2 3 .
378
379
Vgl. dazu BGHSt 48 S. 354; 48 S. 360; BGH NStZ 2002 S. 547; BGH NJW 2003 S. 3717; dazu HANNICH/RÖHM NJW 2004 S. 2061 ff; ROTSCH wistra 2004 S. 300 ff. Vgl. BGH wistra 2001 S. 59.
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
weil der Täter als Repräsentant des Versicherten anzusehen ist. Repräsentant ist derjenige, der befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang, für den Versicherten zu handeln. Nicht erforderlich ist, dass er auch dessen Rechte und Pflichten als Versicherungsnehmer wahrzunehmen hat. 3 8 "
113 b) Qualifizierter Fall des Betrugs: Banden und gewerbsmäßiges Handeln Nach Abs. 5 liegt ein qualifizierter Fall des Betrugs vor, wenn der Täter die Merkmale des Abs. 3 Nr. 1 kumulativ verwirklicht. Das Betätigungsfeld der Bande ist erweitert. 5. Bagatellfälle sowie Haus- und Familienbetrug 114 Gemäß § 263 Abs. 4 ist in Bagatellfällen des Betruges § 248 a anzuwenden sowie die Strafschärfung eines besonders schweren Falles gemäß § 243 Abs. 2 ausgeschlossen; vgl. dazu die entsprechenden Ausfuhrungen unter § 44 Rdn. 1, § 41 Rdn. 41 ff. - Bei einem Haus- und Familienbetrug findet gemäß § 263 Abs. 4 der § 247 Anwendung; dazu oben §43.
VI. Besonders bezeichnete Betrugsfalle 1 1 5 Wenn aus einer Art eine Untergruppe eine besondere Bezeichnung erhält, in der die Bezeichnung der Art wieder aufgenommen wird, so kann man gemeinhin davon ausgehen, dass es sich hier um einen besonders typischen Fall der Art handelt. Im Bereich des Betruges ist das jedoch ein Irrtum. Bei den besonders bezeichneten Betrugsfällen handelt es sich keineswegs um besonders typische Betrugsfälle, sondern um Fälle, in denen das Vorliegen des Betruges gerade besonders problematisch ist. Dies wird jedoch durch die besondere Bezeichnung kaschiert, denn der Rechtsanwendende begnügt sich in der Regel mit dem Nachweis, dass die Besonderheit vorliegt, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob überhaupt ein Betrugsfall gegeben ist.
1. Eingehungs- und Erfüllungsbetrug 116 Problembereich: Konkrete Vermögensgefahrdung als Vermögensschaden, a) Vertragsabschluss und Schadensbegründung 117 Hat einer der Vertragspartner bei einem gegenseitigen Vertrag vor, nicht vertragsgemäß zu leisten, so hat der BGH ursprünglich schon im Vertragsschluss eine Vermögensgefahrdung und damit einen Betrug erkannt. Diese Auffassung vertritt der BGH nicht mehr. Heute wird danach differenziert, ob der Vertragspartner durch den Vertragsschluss einen Anspruch erhält, der seinen Verpflichtungen gleichwertig ist oder nicht. Zur Verdeutlichung: 1 1 8 aa) BGH NJW 1953 S. 836: Α verkaufte an Β Kohle einer bestimmten Sorte. Er hatte vor, schlechtere Kohle zu liefern. BGH: Betrug schon bei Vertragsschluss. Diese Rechtsprechung ist überholt. Bei einer Zug-um-Zug-Leistung tritt der Schaden erst mit der vertragswidrigen Erfüllung ein.-"" 1 1 9 bb) BGHSt 23 S. 300: Α verpflichtete den Β unter Täuschung zur Abnahme einer für Β völlig wertlosen Zeitschrift. BGH: Schaden bei Vertragsabschluss. - Dem ist zuzustimmen, denn der Verpflichtung des B, das Abonnement zu bezahlen, stand ein Anspruch gegenüber, der für Β wertlos war. 3 8 0
V g l . B G H ( Z ) D W i R 1 9 9 4 S. 2 4 6 ; B G H J R 1 9 7 7 S. 3 9 0 m i t A n m . GÖSSEL S. 3 9 1 ; WAGNER JUS 1 9 7 8
S. 161 ff; RANFT Jura 1985 S. 396 f. 381
Vgl. BGH NStZ 1998 S. 85 mit Anm. OTTO JK 98, StGB § 263/50; OLG Düsseldorf JR 1994 S. 522 m i t A n m . RANFT S. 5 2 3 ff.
256
Betrug
§51
c c ) B G H S t 31 S. 1 7 8 3 8 2 ; die wusste, dass sie zahlungsunfähig war, beauftragte den Makler Μ mit der Vermittlung einer Wohnung. Der Maklerlohn sollte mit A b s c h l u s s d e s notariellen Kaufvertrages fällig werden. Μ fand ein entsprechendes Objekt, über das ein privatschriftlicher Kaufvertrag g e s c h l o s s e n wurde. Der notarielle Kaufvertrag kam nicht zustande.
120
B G H : Betrug liegt erst dann vor, w e n n Μ aufgrund des A b s c h l u s s e s d e s vermittelten G e s c h ä f t e s einen rechtswirksamen Vergütungsanspruch g e g e n Α erworben hat. D e m ist mit LENCKNER entgegenzuhalten, dass der Betrug bereits vollendet ist, w e n n Μ seine Leistung erbracht hat, o b w o h l Α zahlungsunwillig und -unfähig ist.- Der Makler, der seine Leistung erbringt, leistet im Vertrauen darauf, dass damit eine Grundlage fllr den Zahlungsanspruch g e s c h a f f e n wird. Will der Kunde von vornherein einen solchen Anspruch nicht entstehen lassen oder ist dieser Anspruch wertlos, s o schädigt sich der Makler durch seine Leistung, die er d e m Kunden erbringt. Darin liegt der Vorteil d e s Kunden.
Zahlungsunwilligkeit oder -Unfähigkeit des Täters begründen dann keinen Vermögens- 121 schaden bei Vertragsschluss, wenn der Vertragspartner nicht verpflichtet ist, vorzuleisten. 383 b) Das Verhältnis von Eingehungs- und Erfüllungsbetrug aa) Führt bereits der Vertragsabschluss zu einem Schaden, so ist die Realisierung der mit 122 Vertragsabschluss begründeten Schädigung durch Erfüllung nur noch die materielle Beendigung des Betrugsdelikts. bb) Entsprechen die mit dem Vertragsschluss begründeten Forderungen einander wertmä- 123 ßig und erbringt eine der Parteien unter Täuschung der anderen eine minderwertige Leistung, so scheint es offensichtlich zu sein, dass in der Leistung eines minderwertigen Objekts an Stelle des geschuldeten Objekts ein Betrug liegt. Fall: Α verkauft an Β einen 4 Jahre alten M e r c e d e s 2 3 0 Ε mit der Zusicherung, dieser habe nur 5 0 . 0 0 0 km gelaufen filr € 1 0 . 0 0 0 als Sonderangebot, da ein W a g e n mit dieser Laufleistung üblicherweise € 1 5 . 0 0 0 kostet. Es stellt sich später heraus, dass der W a g e n 1 5 0 . 0 0 0 km gelaufen, aber einen Handelswert von € 1 0 . 0 0 0 hatte. / . Alternative:
124
D a s wusste Α v o n A n f a n g an.
2. Alternative: Erst nach A b s c h l u s s des Vertrages, vor Übergabe d e s Fahrzeugs erfuhr A, dass der W a g e n bereits 1 5 0 . 0 0 0 k m gelaufen hatte. Er klärte den Β nicht auf. 3. Alternative: getauscht.
V o r Ü b e r g a b e des Fahrzeugs hatte Α das Fahrzeug g e g e n ein gleich aussehendes aus-
Die h.M. sieht Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft als Einheit an, wenn die Täuschung 125 bereits im Rahmen des Verpflichtungsgeschäfts begangen wurde (sog. unechter Erfüllungsbetrug). Diese einheitliche Betrachtungsweise hat die Konsequenz, dass ein Schaden abzulehnen ist, wenn die unter Täuschung erbrachte Leistung einen Wert hat, der dem Kaufpreis entspricht (1. Alternative). 384 Ein Erfiillungsbetrug soll hingegen vorliegen, wenn sich der Täter nach Abschluss eines Austauschvertrages dazu entschließt, eine wirtschaftlich nicht vollwertige Leistung zu erbringen (sog. echter Erfiillungsbetrug). Der Anspruch auf den Vertragsgegenstand war dem Vermögen des Vertragspartners bereits zugeflossen. Durch die Annahme der minderwertigen Leistung als Erfüllung wurde dieser An3 8 2
Mit A n m . LENCKNER N S t Z 1983 S. 4 0 9 ff, BLOY JR 1984 S. 123 ff, MAAS JuS 1984 S. 2 5 ff; WAGNER S o n n e n s c h e i n - G e d S , S. 8 8 7 ff.
3 8 3
V g l . B G H StV 1 9 9 2 S. 1 1 7 ; B G H StV 1 9 9 2 S. 4 6 5 .
3 8 4
V g l . B G H S t 16 S. 2 2 0 , 2 2 3 ; B a y O b L G N J W 1999 S. 6 3 3 mit Anm. BOSCH wistra 1999 S. 4 1 1 ff, M A R T I N J u S 1 9 9 9 S . 5 0 7 f , RENGIER J u S 2 0 0 0 S . 6 4 4 f f ; HOYER S K II, § 2 6 3 R d n . 2 4 3 f f ; KLEIN D a s
Verhältnis v o n Eingebungs- und Erfiillungsbetrug, 2 0 0 3 , S. 2 4 2 ff; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 Rdn. 53; TENCKHOFF L a c k n e r - F S , S . 6 8 6 f f ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 2 0 1 .
257
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§51
spruch vereitelt (2. Alternative).385 Zum Teil wird für den Fall einer schon bei Vertragsschluss begangenen Täuschung ein Betrug wenigstens in den Fällen bejaht, in denen der Erfiillungsanspruch durch eine neue Tathandlung vereitelt wird (3. Alternative).386 126 Diese unterschiedlichen Beurteilungen von Eingehungs- und Erfullungsgeschäfit überzeugen nicht. Zu differenzieren ist vielmehr grundsätzlich zwischen Eingehungs- und Erfüllungsgeschäft: Hat der Getäuschte durch den Vertragsschluss einen Anspruch auf eine Leistung von einem bestimmten Wert erhalten, so ist er geschädigt, wenn er im Rahmen der Abwicklung des Geschäfts um diesen Anspruch gebracht wird, bzw. eine Leistung von geringerem Wert erhält. Sein zivilrechtlicher Anspruch auf Minderung bzw. Wandlung wird gleichsam für irrelevant erklärt. Ob die Täuschungshandlung zugleich mit Vertragsschluss oder später erfolgt, ist irrelevant.387 2. Leistung ohne Gegenleistung: Bettel-, Spenden- und Subventionsbetrug 127 Problembereich: Vermögensschaden i.S. des § 263, wenn feststeht, dass eine Leistung ohne eine Gegenleistung erbracht werden soll, so dass das Vermögen bewusst vermindert wird. - Da in diesen Fällen von vornherein nicht beabsichtigt ist, die Vermögensminderung durch ein Äquivalent auszugleichen, stellt sich das Problem, ob hier stets ein Vermögensschaden anzunehmen ist, wenn die Vermögensverfügung durch Täuschung herbeigeführt wurde, oder niemals, bzw. ob zu differenzieren ist. 388 Zur Verdeutlichung: 1 2 8 a) BayObLG N J W 1952 S. 798: Der Spender S wird von dem Sammler Α zu einer hohen Spende für einen mildtätigen Zweck veranlasst, indem ihm vorgespiegelt wird, seine Nachbarn hätten sehr hohe Beträge gespendet. BayObLG: Vermögensschaden des S und damit B e t r u g . 3 8 9 Nach der personalen Vermögenslehre ist ein Betrugsschaden hier abzulehnen, weil der erklärte wirtschaftliche Zweck·. Unterstützung einer wohltätigen Organisation, von S erreicht wurde. Dass S darüber hin39 aus protzen wollte, er könne mehr leisten als seine Nachbarn, ist irrelevant. ® 1 2 9 b) Fall: Α erlangt durch Täuschung über den kulturellen Wert seiner Theaterauflführungen eine Subvention für sein Theaterunternehmen. Ergebnis: Da kulturelle Subventionen nicht unter § 264 fallen, ist hier § 263 einschlägig. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist auch ein Schaden zu bejahen, denn wer Beträge aus haushaltsrechtlich gebundenen Mitteln erschleicht, ohne zu der im Gesetz begünstigten Bevölkerungsgruppe zu gehören, fügt dem Staat einen Vermögensschaden zu, weil dadurch die zweckgebundenen Mittel verringert werden, ohne dass der
3 8 5
V g l . C R A M E R V e r m ö g e n s b e g r i f f , S . 1 8 4 f f ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 1 R d n . 1 8 0 ; HOYER S K II, § 2 6 3 R d n . 2 3 9 f f ; KOPER B . T . , S . 3 6 4 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 R d n . 5 3 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 2 0 2 .
386 v g l . dazu TENCKHOFF Lackner-FS, S. 689 ff. 3 8 7
V g l . CRAMER V e r m ö g e n s b e g r i f f , S . 1 9 0 f f ; D . GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S . 1 6 1 f f ; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 3 8 6 f f ; LENCKNER M D R 1 9 6 1 S . 6 5 3 fif; O T T O J Z 1 9 9 3 S . 6 5 7 ; PUPPE J Z 1 9 8 4 S . 5 3 1
ff; SCHNEIDER JZ 1996 S. 916 ff; SEYFFERT JuS 1997 S. 31 ff. - Die Rechtsprechung hält ihre Differenzierung keineswegs konsequent durch; vgl. OTTO JK, StGB § 263/16, 17; TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 202. 3 8 8
V g l . d a z u HOYER S K II, § 2 6 3 R d n . 2 1 0 f f ; RUDOLPHI K l u g - F S , B d . 2 , S . 3 1 5 f f ; SCHMOLLER J Z 1 9 9 1 S . 1 1 7 f f ; TIEDEMANN B G H - F G , S . 5 5 9 .
3 8 9
S o a u c h CRAMER V e r m ö g e n s b e g r i f f , S . 1 2 1 f f ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 1 R d n . 1 7 3 . - A . A . GUTMANN M D R
390
Dazu OTTO Struktur, S. 59 f; WINKLER Vermögensbegriff, S. 198.
1 9 6 3 S. 3 .
258
Betrug
§51
erstrebte kulturpolitische Zweck erreicht wird. 3 9 ' . Dem ist nach den Prämissen des personalen Vermögensbegriffs zuzustimmen.
3. Der
Anstellungsbetrug
Problembereich: Vermögensschaden. - Der Anstellungsbetrug ist eine Unterart des Ein- 130 gehungsbetrugs. Seine Problematik löst sich nach denselben Grundsätzen. a) Fall: Α lässt sich bei F als Buchhalter einstellen, obwohl er von Buchhaltung keine Ahnung hat. 131 Ergebnis: Betrug mit Vertragsabschluss. Der Anspruch des F auf Dienstleistung durch Α ist dem Gehaltsanspruch des Α nicht äquivalent.-^ b) Fall: Α täuscht bei seiner Einstellung als Buchhalter vor, er habe 6 Semester Betriebswirtschaft studiert. 1 3 2 Daraufhin wird er eingestellt. Α ist ein vorzüglicher Buchhalter, studiert hat er jedoch niemals. BGHSt 17 S. 254: Kein Schaden des Dienstberechtigten, wenn der Dienstverpflichtete die Leistungen erbringen kann, die aufgrund seiner gehaltlichen Eingruppierung allgemein von ihm erwartet werden dürfen. c) BGH NJW 1978 S. 2042: A, der eine Vertrauensposition bei der Firma X inne hat, die es ihm ermöglicht, 1 3 3 selbständige Dispositionen Uber das Vermögen der X zu treffen, hat bei seiner Einstellung darüber getäuscht, dass er wegen verschiedener Vermögensdelikte vorbestraft ist. BGH: Schon mit der Anstellung des für Vermögensstraftaten anfälligen Α erlitt X einen Vermögensschaden, da das Vermögen der X der konkreten und ständigen Gefahr ausgesetzt war, dass Α zum Nachteil der X über dieses Vermögen verfügte. 3 9 3 Dem kann nicht gefolgt werden. Die Vermögensgefährdung ist mit einem Vermögensschaden nicht identisch. Nur dann ist hier ein Vermögensschaden gegeben, wenn die Stelle besonderes Vertrauen und besondere Zuverlässigkeit erfordert und daher höher bezahlt wird. d) BGHSt 5 S. 358: Ein Beamter täuscht über eine Einstellungsvoraussetzung (z.B. Abitur). Den über- 1 3 4 tragenen Dienst versieht er vorzüglich. BGH: Betrug. - Unabhängig von den erbrachten Leistungen hat die Anstellungskörperschaft einen Schaden, weil der Beamte nach bestimmten Laufbahnvorschriften bezahlt wird, nicht aber ein von seiner Leistung unmittelbar abhängiges Entgelt erhält. Mit dieser Argumentation wird der Betrug von einem Vermögensdelikt in ein Delikt der Amtserschleichung uminterpretiert. Das ist nicht sachgemäß.3^™
391 vgl. die entsprechenden Ausführungen unter § 54 Rdn. 35. 392
Vgl. BGHSt 1 S. 13, 14; 17 S. 254; GEPPERT Hirsch-FS, S. 529; KINDHÄUSER NK, § 263 Rdn. 381; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 4 8 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 R d n . 52; MLTSCH B . T . II/L, § 7 R d n . 106; OTTO J Z 1 9 9 9 S. 7 3 8 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 2 2 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 91; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 5 7 7 .
393
Dazu auch BGHSt 17 S. 259.
3 9 4
D a z u MIEHE JUS 1 9 8 0 S. 2 6 5 ; OTTO J Z 1 9 9 9 S. 7 3 9 f; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 2 6 6 .
3 9 5
Im E r g e b n i s z u s t i m m e n d : GÖSSEL B . T . 2 , § 2 1 R d n . 157; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 3 8 3 ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 4 8 2 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 R d n . 5 2 ; MITSCH B . T . I I / l , § 7 R d n . 106; RENGIER B . T . I, § 13 R d n . 9 9 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 2 2 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 R d n . 9 1 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . 2, R d n . 5 7 7 .
396
Vgl. auch LG Berlin NStZ 1998 S. 302; DIEKHOFF DB 1961 S. 1487 f; DUTTGE JR 2002 S. 271 ff; GEPPERT H i r s c h - F S , S. 5 3 9 ff; HARDWIG G A 1956 S. 18; OTTO Struktur, S. 2 8 4 ff; WELZEL Lb., § 5 4 I
4 b. - Zur Einstellung eines früheren MfS-Mitarbeiters als Beamter vgl. BVerfG NJW 1998 S. 2589; BGHSt 45 S. 1, 11 ff mit Anm. GEPPERT NStZ 1999 S. 305 f, JEROUSCHECK/KOCH GA 2001 S. 273 ff, OTTO J Z 1 9 9 9 S. 7 3 8 ff, PRITTWITZ J u S 2 0 0 0 S. 3 3 5 f, SEELMANN J R 2 0 0 0 S. 164 f; O L G D r e s d e n
NStZ 2000 S. 259.
259
§51
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
4. Der Rentenbetrug 135 Problembereich: Vermögensschaden und Vermögensgefahrdung. Beispiel: Α erschlich durch Täuschung eine Rentenbewilligung. Vor der ersten Zahlung wurde die Täuschung entdeckt.
136 Da der Rentenbescheid nur deklaratorische, nicht aber konstitutive Bedeutung hat, liegt im Erlass des Bescheids eine Vermögensgefahrdung, nicht aber ein Vermögensschaden. Ein vollendeter Betrug ist daher erst mit Auszahlung der ersten Rentensumme verwirklicht. 397 5. Der Prozessbetrug 137 Problembereich: Irrtum, Verfugender in der Vermögenssphäre des Geschädigten? p a l|398. Α verklagt den Β auf Zahlung von € 1000,-, obwohl er genau weiß, dass Β die Schuld längst bezahlt hat. Da Β im Prozess keine Quittung beibringen kann, Α aber den Schuldschein vorlegt, erlässt der Richter ein Urteil gegen B. Dies wird rechtskräftig. Α vollstreckt daraus.
138 a) Die Möglichkeit eines sog. Prozessbetrugs hängt zunächst davon ab, ob der Richter, demgegenüber ein Prozesspartner unwahre Angaben macht, überhaupt getäuscht wird und einem Irrtum unterliegt. Zu beachten ist nämlich, dass der Richter aufgrund der Beweislastregeln seine Entscheidung trifft, nicht aber aufgrund der inneren Überzeugung von der Wahrheit des Parteivorbringens. Die Beweislastregelungen sind aber nicht geeignet, den Richter zum Handlanger von Deliktstätern zu degradieren. 139 Weiß er positiv, dass seine Entscheidung auf falschen Angaben beruht, so darf er nicht entscheiden. Damit aber ist der Raum für einen Irrtum eröffnet: Er wird über die Tatsache, dass die Angaben wahr sind, getäuscht. Das bloß abstrakte Wissen, dass Prozessparteien u.U. die Unwahrheit vortragen, schließt Täuschung und Irrtum im konkreten Fall nicht aus, solange das Rechtspflegeorgan nicht positiv weiß, dass die Angaben im konkreten Fall unwahr sind. 3 9 9 Im Mahnverfahren ist die Problematik mit § 692 Abs. 1 Nr. 2 ZPO n.F. obsolet geworden, weil eine inhaltliche Prüfung des Anspruchs ausdrücklich ausgeschlossen ist.4®®
140 b) Weiterhin erscheint es problematisch, ob der Richter als Person in der Vermögenssphäre dessen, der im Prozess unterliegt, anzusehen ist. Dies ist schon deshalb zweifelhaft, weil der Richter, je nachdem, ob der Kläger oder der Beklagte den Prozess verliert, jeweils dem Unterliegenden zugerechnet werden müsste. Ein positiver Akt des Betroffenen, der dem Richter diese Vermögensposition einräumt, liegt nicht vor. Hier muss der Richter gleichsam als Person angesehen werden, die kraft Gesetzes bestimmten Vermögenssphären zugerechnet wird. Die Unterwerfung unter das Gerichtsverfahren hat gleichsam die Einsetzung des Richters in bestimmte Vermögenspositionen zur Folge. 401
397
Vgl. BGHSt 27 S. 342; KOHL JZ 1978 S. 549 ff; OTTO Lackner-FS, S. 732 f. ®* Zu weiteren Beispielen vgl. OLG Zweibrücken NJW 1983 S. 694 (Prozessbetrug durch Verschweigen von Tatsachen); OLG Karlsruhe NStZ 1996 S. 282 mit Anm. KINDHÄUSER JR 1997 S. 301 ff, KUNERT NStZ 1996 S. 283 f, OTTO JK 96, StGB § 263/45 (Möglichkeit des Prozessbetrugs vor BVerfG; dazu JÄNICKE Entscheidungen, S. 626 ff), SEIER ZStW 102 (1990) S. 563 ff (Prozessbetrug durch Rechtsund ungenügende Tatsachenbehauptungen). 399 Dazu BGHSt 24 S. 260 f; vgl. auch KRETSCHMER GA 2004 S. 463 ff; TIEDEMANN LK, § 263 Rdn. 235 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 263 Rdn. 24. Eingehend dazu JÄNICKE Entscheidungen, S. 472 ff, 512ff, 556 ff. 400 vgl. auch OTTO JZ 1993 S. 655; JÄNICKE Entscheidungen, S. 539 ff; KRETSCHMER GA 2004 S. 469 f. A.A. OLG Düsseldorf NStZ 1991 S. 586 mit abl. Anm. GEPPERT JK 92, StGB § 263/36. 39
401
260
Kritisch dazu FAHL Jura 1996 S. 77 f.
Betrug
§51
c) Der Schaden liegt im Falle des Prozessbetruges noch nicht im Erlass des Urteils, son- 141 dem erst in der Ausfertigung der Vollstreckungsklausel des Urteils. Erst dann ist eine Situation eingetreten, die der Belastung eines Vermögens mit einer Forderung vergleichbar ist. 6. Kreditkarten- und Scheckkartenerschleichung Problembereich: Schaden.
142
BGHSt 33 S. 244: Der Α verschaffte sich unter Täuschung über seine Kreditwürdigkeit eine Kreditkarte, um mit dieser Käufe zu tätigen, obwohl er sein Konto nicht ausgleichen konnte. BGH: Die Aushändigung der Kreditkarte an den stark verschuldeten Α stellte eine Vermögensgefährdung dar, die das Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens erfüllt.
a) Auch bei der Erschleichung von Kredit- oder Scheckkarten bedarf es keiner Gleich- 143 Stellung einer Vermögensgefahrdung mit einem Vermögensschaden. Bei der Überlassung einer Scheckkarte oder einer Kreditkarte im Drei-Partner-System (Eurocard, American Express, Visa u.a.) liegt in der Eröffnung der Kreditmöglichkeit, deren Realisierung allein vom Willen des Kreditnehmers abhängt, eine Belastung des Vermögens des Kreditgebers mit der Forderung auf Einräumung eines Kredits. Diese bedeutet dann einen Vermögensschaden, wenn die Bonität des Kreditnehmers nicht gewährleistet ist. 402 b) Die Erschleichung einer Kreditkarte im sog. Zwei-Partner-System, sog. Kundenkarte, 144 insbes. von Kaufhäusern und Autovermietern, erfüllt hingegen noch nicht den Tatbestand des Betruges. Diese Karte erleichtert dem Kartengeber die Bonitätsprüfung, sie räumt dem Kartennehmer aber nicht eine Kreditmöglichkeit ein, deren Realisierung allein von seinem Willen abhängt. 403 c) Die rechtliche Beurteilung der rechtsmissbräuchlichen Nutzung der Kredit- oder 145 Scheckkarte war in Lehre und Rechtsprechung streitig. Nachdem der BGH in der missbräuchlichen Nutzung der Scheckkarte einen Betrug gesehen hatte, während er die missbräuchliche Nutzung der Kreditkarte für nicht strafbar hielt 404 , hat der Gesetzgeber mit Einführung des § 266 b als lex specialis gegenüber §§ 266, 263 eine Klarstellung vorgenommen. - Der Ausschluss des § 263 durch § 266 b soll nach h.M. aber nur beim Kartenmissbrauch im Drei-Partner-System gelten, nicht im Zwei-Partner-System; § 54 Rdn. 45 ff. 7. Lastschriftenbetrug Problembereich: Täuschung und Irrtum. 146 Mit Einreichen einer Lastschrift erklärt der Einreichende konkludent, dass seine Forderung begründet und er zur Lastschrift berechtigt ist. Da allerdings der Sachbearbeiter in der
402
Vgl. dazu BGHSt 33 S. 246; BGH bei Holtz, MDR 1991 S. 105; ARZT/WEBER B.T., § 20 Rdn. 100; GEPPERT J K , S t G B § 2 6 3 / 2 0 ; OFFERMANN w i s t r a 1 9 8 6 S. 5 7 ; OTTO J Z 1 9 8 5 S. 1 0 0 8 ff; SEEBODE J R 1 9 7 3 S. 1 1 9 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 110. - A . A . BRINGEWAT N S t Z 1 9 8 5 S. 5 3 6 ; LABSCH N J W
1986 S. 105 f; MÜHLBAUER NStZ 2003 S. 651 ff; RIEMANN Vermögensgefährdung, S. 131 f. - Vergleichbar liegt die Problematik beim Erschleichen einer für das „electronic-cash-Verfahren" geeigneten Karte - a.A. ALTENHAIN JZ 1997 S. 757 - oder beim Erlangen einer EC-Karte mit Geheimzahl; vgl. BGH NStZ-RR 2004 S. 333. 403
Vgl. dazu BGH StV 1989 S. 199 mit Anm. OTTO JK 89, StGB § 263/29; RANFT Jura 1992 S. 69 f; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 R d n . 110.
404 vgl. einerseits BGHSt 24 S. 386, andererseits BGHSt 33 S. 244. - Zur Verwendung von für das „electronic-cash-Verfahren" geeigneten Karten vgl. ALTENHAJN JZ 1997 S. 753 ff.
261
§51
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Bank eine sachliche Prüfung des Anspruches nicht durchfuhrt, entspricht die Problematik der des Prozessbetruges. 405 8. Betrug bei Verkauf und Vermittlung von Termin- bzw. 147 Problembereich: Täuschung und Vermögensschaden.
Terminoptionsgeschäften
BGH NStZ 2000 S. 36: Α verkaufte dem Β eine Warenterminoption. Der Kaufpreis enthielt eine Provision für Α in Höhe von 80 % des Kaufpreises. Dieser Aufschlag war im Prospekt genannt, über seine Bedeutung für die Gewinnchancen wurde Β aber im persönlichen Gespräch getäuscht.
148 Bei der Vermittlung von Termin- oder Terminoptionsgeschäften kann eine Täuschung bereits darin liegen, dass falsche Vorstellungen über die Risiken des Geschäfts erweckt werden. Dazu zählen auch falsche Angaben über die Qualifikationen des Verkäufers, über die Seriosität der Vermittlungsfirma und über die Höhe der Vermittlungsgebühr. 406 149 Einen Schaden in Höhe des gesamten Optionspreises hatte die Rechtsprechung ursprünglich dann bejaht, wenn der Erwerber entweder überhaupt keine oder allenfalls eine Gewinnchance von theoretischer Bedeutung erlangt hatte. Ob diese Chance einen Handelswert hatte, sollte gleichgültig sein. 407 Inzwischen geht der BGH davon aus, dass bei der Berechnung eines eventuellen Schadens als wirtschaftlicher Gegenwert der Leistung die marktübliche Prämie für die Option sowie die Provision eines seriösen, inländischen Maklers zu berücksichtigen seien 4 0 8 150 Zutreffend war die ursprüngliche Auffassung der Rechtsprechung, dass der Käufer geschädigt ist, wenn die Chance, einen Gewinn zu machen, aufgrund der Preisgestaltung praktisch wertlos ist. 409 Zum einen hat der Käufer der Option nämlich selbst keine Gelegenheit, diese zum Einkaufspreis zu veräußern, so dass der Handelswert der Option schon aus diesem Grunde nicht dem Wert des zum Erwerb eingesetzten Geldes gleichgesetzt werden kann. Zum anderen aber könnte als Entgelt der Leistungen des Verkäufers nur dann die Provision eines seriösen Vermittlers eingesetzt werden, wenn der Verkäufer auch die Leistung eines seriösen Vermittlers erbringen würde. Gerade dazu sind unseriöse Vermittler jedoch im Regelfall nicht im Stande. Hat nämlich der Erwerber die Option dem Vermittler zur sachgerechten Ausübung überlassen und ist dieser aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten überhaupt nicht in der Lage, die Option sachgerecht auszuüben, so ist der Erwerber nicht nur in dem Teil seiner Leistung geschädigt, der für die - wertlosen Beratungstätigkeiten erbracht wurde, sondern er hat einen Schaden in bezug auf seine gesamte Leistung erlitten. Er wollte eine von der Marktsituation abhängige Spekulationschance erwerben und die - versprochene - Leistung fachgerechter Ausübung dieser Option. Erworben hingegen hat er eine spekulative Chance, die einfach ausläuft, so dass es von vornherein dem Zufall überlassen bleibt, ob sich die Gewinnchance realisieren lässt oder 405
Dazu OLG Hamm NJW 1977 S. 1834 sowie eingehend: OTTO Bankentätigkeit, S. 138 ff. - A.A. SOYKA NStZ 2004 S. 538 ff. - Zum elektronischen Lastschriftverfahren: ALTENHAIN JZ 1997 S. 759; KINDHÄUSER Gössel-FS, S. 469 ff.
406
Vgl. OLG München WM 1989 S. 1719; BGH wistra 1989 S. 19; BGH wistra 1991 S. 25; eingehend dazu TRÖNDLE/FISCHER § 263 Rdn. 99.
407
Vgl. BGHSt 30 S. 177, 181; 31 S. 117; OLG München NJW 1980 S. 794.
408
Vgl. BGHSt 30 S. 388; 32 S. 22; BGH StV 1986 S. 299.
409
Dazu ACHENBACH NStZ 1988, S. 98 f; FRANKE/RISTAU wistra 1990 S.252 ff; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 153 ff, 179 f; LACKNER/IMO MDR 1983, S. 971 ff; OTTO Die strafrechtliche Bekämpfung unseriöser Geschäftstätigkeit, 1990, S. 70 f; WORMS wistra 1984 S. 123 ff.
262
Betrug
§51
nicht. Damit aber ist die erworbene Gewinnchance über ihren spektulativen Charakter hinaus mit Risiken behaftet, die sie letztlich wertlos machen. 9. Der Sicherungsbetrug Problembereich: Vermögensschaden
151
Fall: Α hat eine Sache des Β unterschlagen. Als Β Herausgabe verlangt, leugnet A, die Sache j e gesehen zu haben.
a) Sicherungsbetrug wird der hier - angeblich - vorliegende Betrug genannt, weil er die 152 Sicherung einer durch ein vorangegangenes Vermögensentziehungsdelikt erlangten Beute dient. Wird dies klar ausgesprochen, so ist die Problematik der Konstruktion offensichtlich: Hat der Täter sich die Beute, z.B. eine Sache, durch einen vorangegangenen Diebstahl, eine Unterschlagung, einen Betrug, eine Erpressung o.Ä., verschafft, so ist der Schaden des Vermögensträgers durch dieses Delikt eingetreten. Für einen weiteren Betrugsschaden durch Kaschieren des vorangegangenen Delikts ist kein Raum und damit auch nicht fiir den Betrug „als straflose Nachtat", denn auch die straflose Nachtat ist tatbestandsmäßige Tat! Die Unterscheidung zwischen nicht tatbestandsmäßiger Tat und tatbestandsmäßiger, aber strafloser Nachtat wird von der Rechtsprechung oft nicht hinreichend deutlich gemacht; BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 23: „straflose Nachtat, weil kein weiterer Schaden eintritt". 4 '®
b) Lässt das vorangegangene Vermögensdelikt hingegen noch Raum für einen neuen Scha- 153 den, so ist die Sachlage unproblematisch. Beide Delikte stehen in Realkonkurrenz. Fall: Α hat das Kfz des Β unbefugt in Besitz genommen. Er wollte es dem Β am nächsten Tag zurückgeben. Am Abend veräußert er das Fahrzeug jedoch an den bösgläubigen X. Ergebnis: §§ 248 b, 246, 53.
c) Problematisch ist die Beurteilung, wenn der Täter durch seine Täuschung die Gel- 154 tendmachung des Schadensersatzanspruches des Geschädigten aus der ersten Straftat, dessen sich der Geschädigte bewusst ist, zu verhindern sucht. BGH JZ 1979 S. 764: Nach einem Versicherungsbetrug fordert die geschädigte Versicherung von Α den an ihn gezahlten Betrag zurück. Α täuscht über eine Gegenforderung, um die Realisierung der Forderung zu verhindern.
Konstruktiv sind hier zwei Schädigungen zu unterscheiden: Schaden durch den Versi- 155 cherungsbetrug und Schaden durch Verhinderung der Realisierung der Forderung, die allerdings aus dem ersten schädigenden Ereignis erwachsen ist. Da es wirtschaftlich jedoch um die Sicherung der Beute aus der 1. Straftat geht, ist es vertretbar, den 2. Betrug als straflose Nachtat zu werten. 411 d) Zu der entsprechenden Problematik der Zueignung vgl. oben § 42 Rdn. 23 f. - Zur Si- 156 cherungserpressung vgl. unten § 53 Rdn. 6.
410
Vgl. auch BGH wistra 1992 S. 343; BGH StV 1992 S. 272; dazu OTTO Jura 1994 S. 276 ff.
411
Vgl. auch BGH JZ 1979 S. 765; OTTO JZ 1993 S. 662. - Für Idealkonkurrenz im Falle einer Sicherungserpressung: BGH NStZ 2002 S. 33.
263
§52
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§ 52 Betrugsähnliche Tatbestände I. Gebühren-, Abgabenüberhebung und Leistungskürzung, §§ 352, 353 1. Gebührenüberhebung, § 352 1 2 3 4
5 6
a) § 352 enthält einen privilegierenden Spezialfall des Betruges. 412 Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen des Opfers. - Die Tat ist echtes Sonderdelikt, beachte § 28 Abs. 1. b) Täter können nur Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), Anwälte oder sonstige Rechtsbeistände sein, die zum eigenen Vorteil Gebühren oder Vergütungen erheben dürfen. c) Die Tathandlung besteht im Erheben von Gebühren oder Vergütungen, die entweder kostenrechtlich nicht oder nicht in der geforderten Höhe geschuldet werden. 413 Erheben ist das Verlangen und Empfangen der Leistung, wobei das Verhalten des Täters auf Täuschung des Schuldners über die Rechtmäßigkeit der Leistung gerichtet sein muss. 414 - Vergütung ist jedes Entgelt fur eine amtliche Tätigkeit. - Gebühr ist ein Unterfall der Vergütung. d) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt 415 . - Bereicherungsabsicht i.S. des § 263 ist nicht erforderlich 4 1 6 e) Begeht der Täter über die in § 352 genannte Täuschung hinaus eine zusätzliche Täuschung, so liegt Idealkonkurrenz mit § 263 vor. 417 2. Abgabenüberhebung, § 353 Abs. 1
7
a) Auch § 353 Abs. 1 enthält einen privilegierenden Sonderfall des Betruges. Geschütztes Rechtsgut ist auch hier das Vermögen. Nach h.M. richtet sich die Tat darüber hinaus gegen den Staat, dem die erhobenen Beträge vorenthalten werden. - Damit aber wird das Delikt noch nicht zum Delikt gegen das Ansehen des Staates. °
8
b) Täter kann nur ein Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2) sein, der öffentlich-rechtliche Abgaben für eine Kasse des Bundes, des Landes, einer öffentlichen Körperschaft oder Anstalt zu erheben hat. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. 9 c) Die Tat setzt voraus, dass der Täter Steuern, Gebühren oder andere Abgaben, die nicht oder nicht in dieser Höhe geschuldet werden, erhebt und ganz oder zum Teil nicht an die öffentliche Kasse abliefert. - Eine rechtswidrige Zueignung des Erlangten ist nicht erforderlich. Daher liefert auch der Täter, der die Abgaben nicht als solche abliefert, sondern sie zur Deckung von Fehlbeträgen der Kasse zufuhrt, die Abgabe i.S. der Vorschrift nicht ab. 4 10 d) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt (str.). 412 413
414 4 1 5
Vgl. OLG DüsseldorfNJW 1989 S. 2901. Vgl. OLG Köln NJW 1988 S. 503 (Gebühr für falsche Sachbehandlung); BayObLG NJW 1989 S. 2901 (unzulässige Honorarvereinbarung); OLG Karlsruhe NStZ 1991 S. 239 (Erfolgshonorar). Vgl. BayObLG NStZ 1990 S. 129; OLG Hamm NStZ-RR 2002 S. 141. V g l . TRÄGER L K ,
§ 3 5 2 R d n . 2 1 . - A . A . HOYER S K
II, § 2 6 3 R d n . 9 ;
MAIWALD B . T . 2 , § 7 9 R d n . 11; S C H / S C H / C R A M E R § 3 5 2 R d n . 10. 4 1 6
V g l . z . B . LACKNER/KÜHL § 3 5 2 R d n . 6 ; TRÄGER L K , § 3 5 2 R d n . 2 2 .
417
Dazu BGHSt 2 S. 35.
4 1 8
A . A . WAGNER A m t s v e r b r e c h e n , 1 9 7 5 , S . 2 1 4 .
419
Dazu OLG Köln NJW 1966 S. 1373.
264
MAURACH/SCHROEDER/
Betrugsähnliche Tatbestände
§52
e) Zur Konkurrenz mit § 263 vgl. Rdn. 6; mit § 246 kann - je nach Sachverhalt - Ideal- und 11 Realkonkurrenz vorliegen. 420 3. Leistungskürzung, § 353 Abs. 2 a) Zur Deliktsnatur und zum geschützten Rechtsgut vgl. Rdn. 7. 12 b) Täter kann nur ein Amtsträger sein (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), der Sachwerte oder Geld amtlich ausgibt. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1. c) Die Tathandlung setzt voraus, dass der Täter bei amtlich zu erbringenden Leistungen Abzüge macht, die Leistung aber als vollständig erbracht in Rechnung stellt. d) Zum Vorsatz und zu den Konkurrenzen mit § 263 vgl. Rdn. 10 f.
II. Erschleichen von Leistungen, § 265 a § 265 a ergänzt den § 263 in vier Fällen. Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen,421
13
1. Automatenmissbrauch, § 265 a, 1. Alt. a) Nach überkommenem Verständnis kamen für die Verwirklichung der 1. Alternative nur 14 sog. Leistungsautomaten in Betracht, z.B. Fernsprech-, Spiel- und Musikautomaten sowie Münzkassiergeräte an Fernsehern u.Ä. - Die Ausleerung sog. Warenautomaten wurde, wenn sie durch Falschgeld oder sonstige Tricks bewirkt wurde, als Diebstahl erfasst, demgegenüber § 265 a subsidiär ist. Das ließ es angemessen erscheinen, durch restriktive Auslegung des Begriffs „Automaten" bereits den Schutzbereich der Vorschrift von vornherein zu begrenzen. 422 Der Ausschluss von Warenautomaten aus dem Tatbestand erscheint jedoch nicht mehr 15 sachgerecht. 423 Nachdem der BGH nämlich die Frage des Gewahrsamsbruchs beim Missbrauch des Geldautomaten nach der funktionsgerechten bzw. fiinktionswidrigen Nutzung des Automaten entscheidet 424 , erscheint es angemessen, diese Differenzierung auch hier als maßgeblich anzusehen, denn auch Warenautomaten sind heute z.T. bereits computergesteuert. Das hätte zur Konsequenz, entgegen der bisher h.M. auch die Hergabe einer Ware durch einen Automaten als Leistung eines Automaten anzusehen und die Tat bei funktionsgerechter Nutzung des Automaten als Automatenmissbrauch zu erfassen. Nach wie vor wird die funktionswidrige Nutzung des Automaten durch Einwirkung auf seinen Mechanismus von außen hingegen einen Gewahrsamsbruch und damit einen Diebstahl begründen. 4 ^ b) Als Tatobjekt kommen nur entgeltliche Leistungen in Betracht (Rechtsgut: Vermögen!). 16 - Erschleichen setzt keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen voraus, jede „unbefugte Inan420 421
Vgl. B G H S t 2 S . 3 5 ; B G H N J W 1961 S. 1171. Dazu BVerfG N J W 1998 S. 1136; FALKENBACH Die Leistungserschieichung ( § 2 6 5 a StGB), 1983, S . 7 8 f; HELLMANN N K , § 2 6 5 a R d n . 7 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 5 a R d n . 13.
422
Im Einzelnen: FALKENBACH Leistungserschieichung, S. 81 ff; vgl. auch OLG Celle N J W 1997 S. 1518 m i t A n m . HILGENDORF J R 1 9 9 7 S. 3 4 8 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 2 R d n . 5 2 ; HELLMANN N K , § 2 6 5 a R d n . 19; K Ü P E R B . T . , S . 3 7 ff.
4 2 3
V g l . a u c h MITSCH J u S 1 9 9 8 S . 3 1 2 f; DERS. B . T . I I / 2 , § 3 R d n . 1 4 6 f; SCHMITZ M K , § 2 4 2 R d n . 8 5 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 5 a R d n . 2 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 6 7 4 .
424
BGHSt 38 S. 124; dazu vgl. auch § 40 Rdn. 39.
4 2 5
S o a u c h GÜNTHER S K I I , § 2 6 5 a R d n . 1 1 .
265
§52
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
spruchnahme" genügt. Die Ausleerung von Automaten durch Aufbrechen erfüllt in der Regel den Diebstahlstatbestand. - Beim Geldspielautomaten ist zu differenzieren: Erlangt der Täter durch Manipulation kostenlose Spiele, so liegt § 265 a vor, leert er den Automaten durch funktionswidrige Nutzung, so greift § 242 ein. 426 2. Erschleichen der Leistung eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes, § 265 a, 2. Alt. 17 Telekommunikationsnetz ist die Gesamtheit der technischen Einrichtungen (Übertragungswege, Vermittlungseinrichtungen und sonstige Einrichtungen, die zur Gewährung eines ordnungsgemäßen Betriebs des Telekommunikationsnetzes unerlässlich sind), die zur Erbringung von Telekommunikationsleistungen - dazu § 34 Rdn. 46 - oder zu nicht gewerblichen Telekommunikationszwecken dient, § 3 Nr. 21 TKG. - Öffentlichen Zwecken dient das Netz, wenn es ganz oder z.T. im Interesse der Öffentlichkeit betrieben wird. Zum Erschleichen vgl. Rdn. 16. 18 Da entgeltliche Leistung im Fernsprechverkehr nur die Herstellung und Aufrechterhaltung der Verbindung ist, wird die bloße Auslösung des Klingelzeichens nicht als Tathandlung erfasst. 427 3. Erschleichen der Beförderung durch ein Verkehrsmittel, § 265 a, 3. Alt. 19 Beförderung durch ein Verkehrsmittel ist jede entgeltliche Transportleistung. - Erschleichen ist auch in diesem Zusammenhang jedes ordnungswidrige Verhalten, mit dem sich der Täter unberechtigt in den Genuss einer Leistung setzt und dabei Kontrollmaßnahmen umgeht oder sich den Anschein der Ordnungsmäßigkeit gibt. Die Begrenzung des Tatbestandes auf Fälle der Umgehung einer Kontrolleinrichtung überzeugt nicht. 428 § 265 a soll die Fälle der Inanspruchnahme von Massenleistungen erfassen, in denen mangels Täuschung und Irrtumserregung § 263 nicht anwendbar i s t 4 2 9 20 Bringt der Täter jedoch ausdrücklich dem Berechtigten gegenüber zum Ausdruck, dass er die Leistung ohne Zahlung von Entgelt in Anspruch nimmt, so kann ein „Erschleichen" nicht vorliegen. BayObLG NJW 1969 S. 1042: Der Demonstrant A, der gegen die Erhöhung von Fahrgeld in der Straßenbahn demonstrierte, stieg in die Straßenbahn, fuhr mit und verkündete offen, er werde den Fahrpreis nicht zahlen. BayObLG: Kein „Erschleichen" der Beförderung, wohl aber § 123.
21 Diese Interpretation des Merkmals Erschleichen wird dem allgemeinen Wortsinn sicher gerecht. Misslich ist jedoch, dass in der 1. Alternative des § 265 a auch die offen ange426 427
Vgl. OLG Koblenz NJW 1984 S. 2424. Vgl. dazu auch FALKENBACH Leistungserschieichung, S. 85 f; GÜNTHER SK II, § 265 a Rdn. 13; HELLMANN N K , § 2 6 5 a R d n . 2 9 ; SCH/SCH/PERRON § 2 6 5 a R d n . 10, 13; TIEDEMANN L K , § 2 6 5 a R d n . 18. - A . A . B R A U N E R / G Ö H N E R N J W 1 9 7 8 S. 1 4 6 9 f f ; HERZOG G A 1 9 7 5 S . 2 6 1 .
4 2 8
S o a b e r ALBRECHT N S t Z 1 9 8 8 S . 2 2 2 ; ALWART N S t Z 1 9 9 1 S. 5 8 9 f f ; ELLBOGEN J u S 2 0 0 5 S. 2 0 fT; FISCHER N S t Z 1991 S. 4 1 f ; GEPPERT J K 0 0 , S t G B § 2 6 5 a / 3 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 5 a R d n . 18; HELLMANN N K , § 2 6 5 a R d n . 17; HINRICHS N J W 2 0 0 1 S. 9 3 5 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 6 5 a R d n . 6 a; RANFT J u r a 1 9 9 3 S. 8 7 ; SCHALL J R 1 9 9 2 S. 1 f f ; TIEDEMANN L K , § 2 6 5 a R d n . 4 7 .
429
Vgl. BVerfG NJW 1998 S. 1135 f; BayObLG NJW 1969 S. 1042; BayObLG StV 2002 S. 428 mit Anm. INGELFINGER, S. 429 f, STIEBIG Jura 2003 S. 699 ff; OLG Stuttgart NJW 1990 S. 924; OLG Hamburg MDR 1991 S. 469; OLG Düsseldorf MDR 1992 S. 502; OLG Düsseldorf NJW 2000 S. 2120; OLG Frankfurt NStZ-RR 2001 S. 269; GÖSSEL B.T.2, § 22 Rdn. 75; HÄUF DRiZ 1995 S. 15 ff; KÜPER B . T . , S. 5 0 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 4 1 R d n . 2 2 3 ; RENGIER B . T . I, § 16 R d n . 6.
266
§52
Betrugsähnliche Tatbestände
kündigte Inanspruchnahme des Leistungsautomaten, die der Berechtigte nicht verhindern kann, als „Erschleichen" angesehen werden muss. - Damit erhält der gleiche Begriff je nach Zusammenhang einen unterschiedlichen Inhalt. Ist der Täter im Besitz einer gültigen Zeitkarte, die er lediglich nicht bei sich fuhrt, so 22 fehlt es am Erschleichen der Leistung, da er für diese das Entgelt entrichtet hat. 4. Erschleichen freien Eintritts, § 265 a, 4. Alt. Als Veranstaltung kommen Theater, Konzert oder Sportwettkämpfe, als Einrichtungen der 23 Allgemeinheit zugängliche Gebäude oder Stätten wie Museen, Schwimmbäder u.ä. in Betracht. Stets muss es sich aber um Einrichtungen handeln, zu denen gerade durch die Tathandlung der Zugang eröffnet, ermöglicht wird. 430 Das Entgelt muss aus wirtschaftlichen Gründen erhoben werden, nicht nur zur Be- 24 grenzung des Zutritts. Doch dürften die Fälle, in denen das Entgelt ausschließlich zur Begrenzung des Zutritts erhoben wird, Ausnahmecharakter haben. Strafbar ist die Erschleichung des Zutritts, nicht aber die Inanspruchnahme eines teu- 25 reren Platzes. 431 - Wird der zur Einlassgewährung Berechtigte getäuscht, so kommt § 263 in Betracht. 5. Antragsprivileg Nach § 265 a Abs. 3 gelten §§ 247, 248 a entsprechend.
26
6. Subsidiaritätsklausel Beim Angriff gegen das Vermögen mit zugleich stärkeren Mitteln ist es sachlich angemes- 27 sen, § 265 a Subsidiarität zuzuerkennen, nicht aber beim Angriff gegen ganz andere Rechtsgüter 4 3 2 jedoch stellt sich hier - wie bei §§ 125, 246 - die Problematik des Gesetzeswortlauts, der einer solchen Begrenzung entgegensteht; vgl. dazu unter § 42 Rdn. 25.
III. Computerbetrug, § 263 a 1. Gesetzgeberische Intention und geschütztes Rechtsgut a) Die gesetzgeberische Intention Mit dem steigenden Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen wuchsen die Gefahren ihrer 28 vermögensschädigenden missbräuchlichen Nutzung, die mit den bisherigen Straftatbeständen nicht zu erfassen waren. § 263 kam nicht in Betracht, wenn kein Irrtum einer Person erregt wurde, § 266 scheiterte oft an der - von der h.M. für beide Tatbestandsalternativen geforderten - selbständigen Vermögensbetreuungspflicht. Die hier begründeten Strafbarkeitslücken sollten durch einen betrugsähnlich aufgebauten Tatbestand gegen vermögensschädigende Computermanipulationen geschlossen werden 4 3 3 430
Vgl
d a z u O L G
H a m b u r g J R 1981 S. 3 9 0 ; B a y O b L G JR 1991 S. 4 3 3 mit A n m . GRAUL S. 4 3 5 f, OTTO
JK 92, StGB § 265 a/2. 431
So auch FALKENBACH Leistungserschieichung, S. 89. - A.A. HELLMANN N K , § 265 a Rdn. 43.
4 3 2
So auch GÜNTHER SK II, § 2 6 5 a Rdn. 24; TLEDEMANN LK, § 2 6 5 a Rdn. 56. - A.A. unter B e r u f u n g auf den Wortlaut: LACKNER/KÜHL § 265 a Rdn. 8.
4 3 3
Vgl. dazu B T - D r u c k s . 10/318, S. 16; SIEBER Computerkriminalität und Strafrecht, 2. Aufl. 1980, S. 3 3 8 f f , 2 / 2 6 f f ; LACKNER T r ö n d l e - F S , S . 4 3 f f ; LENCKNER/WINKELBAUER MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1 9 8 6 S. 1 2 8 ff; TIEDEMANN J Z 1 9 8 6 S. 8 6 8 ff.
CR
1986
S. 6 5 4
ff;
267
§52
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
29
In der Formulierung der Tatbestandsmerkmale ist § 263 a daher eng an § 263 angelehnt worden. Da jedoch Täuschung und Irrtum die Struktur des Betrugstatbestandes prägen, diese Elemente aber dem Tatbestand des Computerbetruges gerade fehlen, ist die Ähnlichkeit zwischen den Tatbeständen insoweit gerade nicht gegeben. Wohl aber lässt sich eine den Tatbestand charakterisierende Betrugsähnlichkeit feststellen, weil der Täter - vergleichbar dem Einsatz der Täuschung beim Betrug - durch Datenmanipulation eine Vermögensverfügung gegen den wahren Willen des Vermögensinhabers bewirkt. 434 b) Das geschützte Rechtsgut 30 Geschütztes Rechtsgut ist - insoweit in Übereinstimmung mit § 263 - das Vermögen. Dass Computermissbräuche vor allem in Unternehmen verwirklicht werden, macht das Delikt nicht zu einem Wirtschaftsdelikt. Dem Schutz der Wirtschaftsordnung und ihrer Institute durch den Tatbestand kommt keine eigenständige Bedeutung zu. 435 2. Das Angriffsobjekt 31 Angriffsobjekt der verschiedenen Tathandlungen ist das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs. - Der Begriff der Daten ist hier weit auszulegen und erfasst alle Informationen, die sich kodieren lassen, 436 und damit auch die der Verarbeitung dienenden Programme, da diese als fixierte Arbeitsanweisungen an den Computer aus Daten zusammengefügt sind. Unter Datenverarbeitung sind die technischen Vorgänge zu verstehen, bei denen durch Aufnahme von Daten und ihre Verknüpfung nach Programmen Arbeitsergebnisse erzielt werden 4 3 7 32
Im Wege teleologischer Auslegung ist der Anwendungsbereich des § 263 a allerdings nach dem heutigen Stand der Technik auf EDV-Systeme zu begrenzen, da nicht jede Beeinträchtigung technischer Sicherheitseinrichtungen, z.B. Zahlenkombination eines Tresorschlosses, in den Schutzbereich fällt. Gleichwohl bleibt der Anwendungsbereich des § 263 a weit, da Leistungs- und Warenautomaten in der Regel mit Geldprüfgeräten versehen sind, die eine Datenverarbeitung bei der Prüfung vornehmen. 4 3 "
3. Die Tathandlungen gemäß § 263 α Abs. 1 a) Die unrichtige Gestaltung des Programms 33 Da auch Programme aus Daten bestehen, handelt es sich bei der unrichtigen Gestaltung des Programms um einen Spezialfall der zweiten Handlungsalternative, der Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten. 34 Unrichtig kann zum einen subjektiv vom Verfügungsberechtigten, zum anderen objektiv von der Vorstellung der an der Datenverarbeitung Beteiligten her bestimmt werden. - Der objektiven Betrachtungsweise ist der Vorzug zu geben, denn wenn § 263 a im 4 3 4
D a z u i m E i n z e l n e n KINDHÄUSER G r ü n w a l d - F S , S. 2 8 9 f f ; DERS. N K , § 2 6 3 a R d n . 8 f ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 a R d n . 16; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 a R d n . 4 . - A . A . ACHENBACH G ö s s e l - F S , S. 4 8 8 f.
4 3 5
V g l . GÜNTHER S K II, § 2 6 3 a R d n . 4 ; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 a R d n . 1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . L , § 4 1 R d n . 2 2 7 ; MITSCH B . T . II/2, § 3 R d n . 6 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 a R d n . 13; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 a R d n . 2 .
436
So auch ACHENBACH Jura 1991 S. 227; BÜHLER Die strafrechtliche Erfassung des Mißbrauchs von G e l d a u t o m a t e n , 1 9 9 5 , S. 1 0 2 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 R d n . 3 ; RENGIER B . T . I, § 14 R d n . 2 . - A . A . ( k o d i e r t e I n f o r m a t i o n e n ) : KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 a R d n . 17; TIEDEMANN L K , 2 6 3 a R d n . 2 1 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 6 0 2 .
437
BT-Drucks. 10/318, S. 21.
438
vgl.
dazu
auch
LACKNER/KÜHL § 2 6 3
TIEDEMANN L K , § 2 6 3 a R d n . 2 2 .
268
a R d n . 4 ; LENCKNER/WINKELBAUER
CR
1986
S. 6 5 8
f;
§52
Betrugsähnliche Tatbestände
Schutzbereich betrugsspezifisch interpretiert wird, so dient er nicht nur dem Schutz desjenigen, der über das Datenprogramm verfügungsberechtigt ist, sondern soll Missbräuche mit Hilfe der Datenverarbeitung verhindern. Richtig ist ein Programm danach nur dann, wenn es bei Verwendung richtiger und vollständiger Daten in systematischen Arbeitsschritten das den Zwecken der Datenverarbeitung entsprechende Ergebnis liefert. 439 Beispiel: Der Unternehmer Α gestaltet das Programm seiner EDV-Anlage so, dass es den Lohn der Arbeitnehmer niedriger errechnet als es der Leistung dieser Arbeitnehmer entspräche. Ergebnis'. Programm unrichtig.
b) Die Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten Der Begriff der Verwendung kann unterschiedlich weit interpretiert werden. Er kann als 35 Nutzung der Daten bei der Datenverarbeitung oder enger als Einführung von Daten in den beginnenden oder bereits ablaufenden Datenverarbeitungsvorgang verstanden werden. Ausdrücklich hat der Gesetzgeber sich in der Begründung des ursprünglichen Entwurfs der Vorschrift für den Begriff der Verwendung falscher Daten als den weiteren Begriff entschieden. Dieser Wille des Gesetzgebers hat im Gesetzeswortlaut hinreichend Ausdruck gefunden. Damit verdient der weitere Begriffsinhalt den Vorzug. 4 4 0 Die Verwendung kann unmittelbar durch den Operateur oder den Terminalbenutzer er- 36 folgen, aber auch mittelbar durch einen Hintermann, der ein gutgläubiges Werkzeug benutzt. Ob das Werkzeug dabei tauglicher Adressat einer Täuschung sein kann, weil es einer Prüfungspflicht unterliegt, ist irrelevant, da dieses die mittelbare Täterschaft nicht berührt. 441 Unrichtig oder unvollständig sind die Daten, wenn sie den bezeichneten Sachverhalt 37 nicht der Wirklichkeit entsprechend oder nicht ausreichend wiedergeben. Der unbegründete Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids im automatisierten Verfahren, fällt unter Berücksichtigung der Pflicht zum wahrheitsgemäßen Parteivortrag im Zivilprozess unter § 263 a . 4 4 2
c) Die unbefugte Verwendung von Daten aa) Str. ist, ob die unbefugte Verwendung von Daten eine Einwirkung auf den Ablauf eines 38 Datenverarbeitungsvorganges voraussetzt, die bei bloß unerlaubter Inanspruchnahme z.B. eines Geld-, Spielautomaten oder des Btx- Systems nicht vorliegt. Argumentiert wird, dass der Gesetzgeber die Aufzählung der verschiedenen Tatmittel im Gesetzestext mit den Worten „oder sonst durch unbefugte Einwirkung auf den Ablauf beeinflusst", beendet. 4 3 9
V g l . G Ö S S E L B . T . 2 , § 2 2 R d n . 2 1 ; G Ü N T H E R S K I I , § 2 6 3 a R d n . 14; H A F T N S t Z 1 9 8 7 S . 7 ; L A C K N E R /
KÜHL § 263 a Rdn. 7; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S . 8 7 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 a R d n . 3 0 f ; T R Ö N D L E / F I S C H E R § 2 6 3 a R d n . 6 . - A . A . 10/318,
S. 2 0 ;
KINDHÄUSER
NK,
§ 263
a
Rdn.
21;
LENCKNER/WINKELBAUER
CR
BT-Drucks. 1986
S. 6 5 4 ;
MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1 9 8 6 S. 1 3 2 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 a R d n . 6 . 440
Vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 20; BayObLG NStZ 1994 S. 287; GÖSSEL B.T.2, § 22 Rdn. 7, 18; HILGENDORF J U S
1997
S.
131; RANFT JUS
1997
S. 2 0 .
- A . A . ACHENBACH
JR
1994
S. 2 9 3
f;
KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 a R d n . 2 4 ; L A C K N E R T r ö n d l e - F S , S . 5 4 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 3 a R d n . 9 ; N E U M A N N J R 1 9 9 1 S . 3 0 4 ; RENGIER B . T . I, § 14 R d n . 5 ; T R Ö N D L E / F I S C H E R § 2 6 3 a R d n . 7 . 4 4 1
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 6 3 a R d n . 9; OTTO J u r a 1993 S. 6 1 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 a R d n . 8. A . A . GÜNTHER S K II, § 2 6 3 a R d n . 12; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S. 6 5 6 ; MÖHRENSCHLAGER
wistra 1986 S. 132. 4 4 2
So auch BT-Drucks. 10/318, S. 20; DANNECKER B B 1996 S. 1289; GRANDERATH D B 1986, Beilage 18, S. 4 ; HAFT N S t Z 1987 S. 8; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 a R d n . 26; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 132. - A.A.
GÜNTHER
SK
II,
§
263
a
Rdn.
16;
LENCKNER/WINKELBAUER
CR
1986
S. 6 5 6 ;
MAU-
RACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 41 Rdn. 232.
269
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§52
39
40
41
42
Sprachlich ordne das Wort „sonst" die vorangegangenen numerativ benannten Manipulationsformen der zuletzt genannten Form, dem unbefugten Einwirken auf den Ablauf, als bloße Beispiele unter. 443 Die h.M. folgt dem nicht. Sie geht davon aus, dass auch derjenige auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorgangs einwirkt, der das Programm in Gang setzt und interpretiert das Wort „sonst" dahingehend: „Falls nicht eine der drei vorherigen Alternativen gegeben IST" 4 4 4 . D A M I T entscheidet die Interpretation des Begriffs unbefugt über den Anwendungsbereich des Tatbestandes. bb) Dem Wortsinn am ehesten gerecht wird die Interpretation der unbefugten Verwendung von Daten als unberechtigte Verwendung. Unbefugt werden Daten danach verwendet, wenn ihrer Nutzung der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Berechtigten entgegensteht. 445 In der Literatur wird eine einschränkende Auslegung vorgeschlagen, indem zum einen eine unbefugte Verwendung nur dann angenommen wird, wenn die Daten gerade in Bezug auf ihre Funktion im Programm unbefugt verwendet werden 446 , zum anderen wird eine betrugsspezifische Auslegung vorgeschlagen, so dass eine unbefugte Verwendung nur dann angenommen wird, wenn die Befugnis des Täters zur Inanspruchnahme der Leistung seines Beziehungspartners zu den Grundlagen des jeweiligen Geschäftstypus gehört, so dass sie nach den Anschauungen des Geschäftsverkehrs auch bei Schweigen der Beteiligten als selbstverständlich vorhanden vorausgesetzt wird. 447 Schließlich wird die Auffassung vertreten, dass unbefugt verwendete Daten nur manipulierte und durch verbotene Eigenmacht erlangte Daten sind. 448 Bei den unbefugt verwendeten Daten muss es sich - Abgrenzung zur 2. Alternative - um richtige Daten handeln.
443
Vgl. LG Wiesbaden N J W 1989 S. 2552; JUNGWIRTH M D R 1987 S. 542 f; KLEB-BRAUN JA 1986
S. 258 f; RANFT wistra 1987 S. 83. 444
445
BGHSt 38 S. 121; BayObLG NJW 1991 S. 440; BayObLG JR 1994 S.289 mit Anm. ACHENBACH S. 293 ff; OLG Köln NJW 1992 S. 125; EHRLICHER Der Bankomatenmißbrauch, 1989, S. 80 ff; GÜNTHER SK II, § 263 a Rdn. 11; LACKNER Tröndle-FS, S. 58; OTTO JR 1987 S. 224. So auch BGHSt 40 S. 331, 335 mit Anm. ARLOTH Jura 1996 S. 354 ff, MLTSCH JR 1995 S. 432 f, OTTO J K 9 5 , S t G B § 2 6 3 a / 8 , SCHULZ J A 1 9 9 5 S . 5 3 8 f f , VASSILAKI C R 1 9 9 5 S. 6 2 2 f f , ZIELINSKI N S t Z 1 9 9 5
S. 345 ff; BayObLG NJW 1991 S. 440 f; BayObLG JR 1994 S.289; BÜHLER MDR 1991 S. 16; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 2 R d n . 12; HILGENDORF J u S 1 9 9 7 S. 1 3 2 ; KINDHÄUSER G r i l n w a l d - F S , S. 2 9 6 ; OTTO
CR 1990 S. 798. 446
OLG Celle NStZ 1989 S. 367 f; LG Freiburg NJW 1990 S. 2635 f; ACHENBACH JR 1994 S. 295; DERS. G ö s s e l - F S , S. 4 9 4 ; ALTENHAIN J Z 1 9 9 7 S. 7 5 7 f; HERZOG S t V 1991 S. 2 1 7 ; LENCKNER/WINKELBAUER
CR 1986 S. 657 f; NEUMANN JuS 1990 S. 537. - Im Ergebnis auch BGHSt 47 S. 160, 162 f mit Anm. KUDLICH JuS 2003 S. 537 ff, OTTO JK 02, StGB § 263 a/13, ZIELINSKI JR 2002 S. 342 f; BGH wistra 2004 S. 300. 447
Grundlegend: LACKNER Tröndle-FS, S. 53; im Übrigen vgl. BGHSt 38 S. 122; OLG Köln NJW 1992 S. 1 2 6 f; GÜNTHER S K II, § 2 6 3 a R d n . 18; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 a R d n . 13; MEIER J u S 1 9 9 2 S . 1 0 1 9 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 a R d n . 11; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 a R d n . 4 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 a R d n .
11. - Mit anderer Akzentuierung: LAMPE JR 1988 S. 437 ff; SCHLOCHTER NStZ 1988 S. 59. - Dagegen aber RANFT NJW 1994 S. 2577. - Im einzelnen dazu OTTO Jura 1993 S. 612 ff. 448
270
Vgl. OLG Köln NStZ 1991 S. 586; LG Bonn NJW 1999 S. 3726; MÜHLBAUER wistra 2003 S. 249 fif. Dagegen SCHEFFLER/DRESSEL NJW 2000 S. 2645 f.
Betrugsähnliche Tatbestände
§52
Zur Verdeutlichung: Fall 1: OLG Celle NStZ 1989 S. 367 mit Anm. OTTO JK 90, StGB § 263 a/3: Α hatte sich rechtswidrig das Programm eines Glucksspielautomaten besorgt. In Kenntnis dieses Programms war er in der Lage, mit der sog. Risikotaste des Automaten sichere Gewinne zu erzielen, da er ermitteln konnte, an welcher Stelle das Programm jeweils war.
43
OLG Celle: § 263 a liegt nicht vor, da der Automat äußerlich ordnungsgemäß genutzt wurde. Diese Begründung überzeugt als Lösung der str. Problematik nicht. 4 4 9 Wird Verwenden als Nutzen der Daten bestimmt, so ist auch die mittelbare Verwendung der Daten noch tatbestandsmäßig. Problematisch ist dann, ob Α unbefugt handelte. Das ist zu bejahen, wenn unbefugt als unberechtigt zur Nutzung der Daten bestimmt wird, abzulehnen, wenn auf die funktionsabhängige Interpretation abgestellt wird. Fall 2: BGHSt 38 S. 120: Α hatte sich ohne Wissen der Berechtigten Kartendaten und Geheimnummem für codierte Automatenscheckkarten besorgt. Die Daten übertrug er auf Scheckkarten-Blankette und verschaffte sich mit Hilfe dieser Karten Bargeld aus Bankautomaten. BGH: Α ist des Computerbetrugs, § 263 a, schuldig. Dem ist zuzustimmen, denn Α nutzte den Bankautomaten zwar funktionsgerecht, aber u n b e f u g t . ^ Unbefugt würde allerdings auch derjenige handeln, dem die richtige Karte und die Geheimnummer von dem berechtigten Inhaber vertragswidrig zur Ausführung eines Auftrags überlassen wurde. Dieses Verhalten wäre aber nicht tatbestandsmäßig, da die Absicht, sich rechtswidrig einen Vermögensvorteil zu verschaffen, fehlt. Hingegen liegt diese Absicht bei demjenigen vor, der einen Auftrag überschreitet, um sich rechtswidrig in den Besitz der Differenzsumme zu setzen. 4 ^' 4
Auch die missbräuchliche Nutzung des Bankautomaten durch den berechtigten Karteninhaber, der aber unbefugt sein Konto überzieht, erfüllt den T a t b e s t a n d , 4 ^ während andere dieses Verhalten unter § 266 b subsumieren wollen, zumindest dann, wenn die Karte bei einem Automaten eines anderen Instituts genutzt wird.453
449
450
Vgl. BayObLG NJW 1991 S. 438 mit Anm. BOHLER NStZ 1991 S. 343 ff, NEUMANN JR 1991 S. 302 ff, SCHLÜCHTER CR 1991 S. 105 ff; BayObLG JR 1994 S. 289; ACHENBACH Jura 1991 S. 227 f; ETTER CR 1 9 9 1 S. 8 4 ff. Vgl. auch ACHENBACH NStZ 1993 S. 430; CRAMER JZ 1992 S. 1032; KINDHÄUSER Grünwald-FS, S. 2 9 9 ff; OTTO J K 9 2 , S t G B § 2 6 3 a / 6 ; SCHLÜCHTER J R 1 9 9 3 S. 4 9 3 f f ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3 a R d n .
48; TRÖNDLE/FISCHER § 263 Rdn. 12 ff; ZiELINSKl CR 1992 S. 223 ff. - Gleiches gilt für die Nutzung einer Karte im „electronic-cash-Verfahren" durch den Nichtberechtigten; dazu ALTENHAIN JZ 1997 S. 755 ff. 4 5 1
V g l . EISELE/FAD J u r a 2 0 0 2 S. 3 0 6 f; HILGENDORF J u S 1 9 9 7 S. 1 3 4 ; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 a R d n . 4 9 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 3 a R d n . 14; MITSCH J Z 1 9 9 4 S. 8 8 2 ; OTTO J R 1 9 9 2 S. 2 5 2 f f . - A . A . O L G K ö l n
NJW 1992 S. 125; OLG Düsseldorf StV 1998 S. 266 mit Anm. HILGENDORF JUS 1999 S. 542 ff, OTTO JK 99, StGB § 263 a/9; OLG Düsseldorf StV 1999 S. 154 mit Anm. OTTO JK 99, StGB § 263 a/10; OLG Hamm wistra 2003 S. 356; GÜNTHER SK II, § 263 a Rdn. 19; TIEDEMANN LK, § 263 a Rdn. 50; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 3 a R d n . 12 f f . 452
Vgl. auch ACHENBACH NJW 1986 S. 1838; BERNSAU Der Scheck- oder Kreditkartenmißbrauch durch den berechtigten Karteninhaber, 1990, S. 158 ff; EHRLICHER Bankomatenmißbrauch, S. 89 f; EISELE/FAD Jura 2002 S. 311; GÖSSEL B.T.2, § 26 Rdn. 36; GRIBBOHN LK, § 266 b Rdn. 10 ff; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 b R d n . 6 ; HAFT N S t Z 1 9 8 7 S. 8 ; HILGENDORF J u S 1 9 9 7 S. 1 3 5 ; KINDHÄUSER
Grünwald-FS,
S.
303
f;
DERS. NK,
§ 263
a
Rdn.
44;
LACKNER Tröndle-FS,
S. 58
f;
MAÜRACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 4 1 R d n . 2 3 3 ; MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1 9 8 6 S. 1 3 3 ; OTTO
wistra 1986 S. 153; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 110; TIEDEMANN JZ 1986 S. 869; TRÖNDLE/FISCHER § 263 a Rdn. 12 ff. - Gleiches gilt für die entsprechende Nutzung einer Karte im „ e l e c t r o n i c - c a s h - V e r f a h r e n " ; a . A . ALTENHAIN J Z 1 9 9 7 S. 7 5 7 f. 453
Hierzu BGHSt 47 S. 160, 164 ff mit Anm. KUDLICH JUS 2003 S. 537 ff, OTTO JK 02, StGB § 263 a/13, ZiELINSKl JR 2002 S. 342 f; OLG Stuttgart NJW 1988 S. 981; BayObLG NJW 1997 S. 3039 mit Anm. OTTO J K 9 8 , S t G B § 2 6 6 b / 4 ; ARZT/WEBER B . T . , § 2 3 R d n . 4 9 ; BÜHLER M D R 1 9 8 9 S. 2 2 ; HUFF N J W
271
44
§52 45
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Fall 3: OLG Zweibrücken StV 1993 S. 196: Α nutzte das Btx-System, obwohl er zahlungsunfähig und -unwillig war. OLG Zweibrücken: Α handelte nicht unbefugt, da der Computer nur die formelle, nicht aber die materielle Berechtigung prüft. Dieses Ergebnis ist nur haltbar auf der Grundlage der Auffassung, dass die Daten in Bezug auf die Funktion im Programm unbefugt verwendet werden müssen. 4 5 4 Fall 4: OLG Düsseldorf: JR 2000 S. 212 mit Anm. OTTO S. 214 ff: Α bewirkte die Herausgabe von Geldmünzen aus einem Geldwechselautomaten dadurch, dass er einen mit Tesafilmstreifen beklebten Geldschein in den Automaten einführte und diesen nach Freigabe der Münzen wieder herauszog. OLG Düsseldorf: Diebstahl der Wechselmünzen. - Dem ist nicht zuzustimmen, denn Α verwendete die eingegebenen Daten unbefugt.
d) Die sonst unbefugte Einwirkung auf den Ablauf 46 Die vierte Handlungsalternative ist als Auffangtatbestand gedacht, dessen unbestimmte Weite dann angemessen begrenzt wird, wenn als unbefugt die Einwirkung verstanden wird, infolge derer die Anlage die eingegebenen Informationen über Tatsachen nicht ihrem sachlichen Gehalt entsprechend verarbeitet und aus diesem Grunde zu einem abweichenden Ergebnis kommt. 455 Praktische Bedeutung kann diese Handlungsalternative bei bestimmten Konsol- und Outputmanipulationen erhalten. 456 4. Die Folge der Tathandlung gemäß Abs. 1: Die Beeinflussung des Ergebnisses des Datenverarbeitungsvorgangs 47 Die Tathandlung muss das Ergebnis des Datenverarbeitungsvorgangs beeinflusst und dadurch einen Vermögensschaden begründet haben. - Die Tathandlung hat den Vorgang beeinflusst, wenn sie für das Ergebnis (mit-) ursächlich geworden ist. Irrelevant ist es, ob das Ergebnis verfälscht oder - vgl. Rdn. 40 f - nur unbefugt erzielt wurde. - Das Ergebnis begründet einen Vermögensschaden, wenn es als solches unmittelbar vermögensmindernd wirkt, z.B. eine Gutschrift zugunsten des Täters oder eines Dritten bewirkt. Bedarf es zur Realisierung der Vermögensminderung noch einer deliktischen Zwischenhandlung des Täters, weil das Ergebnis der Datenverarbeitung täuschend genutzt werden soll, so fehlt es an der Unmittelbarkeit der Vermögensminderung. Im Übrigen gelten bei der Beurteilung von Vermögensgefahrdung und Vermögensschädigung die gleichen Grundsätze wie bei der Schadensbestimmung des Betrugs. 457
1 9 8 7 S. 8 1 5 f f ; K.INDHÄUSER N K , § 2 6 6 b R d n . 2 7 ; MEIER JUS 1992 S. 1 0 2 0 f; MLTSCH J Z 1 9 9 4 S . 8 8 1 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 3 a R d n . 9 ; WEBER J Z 1 9 8 7 S. 2 1 5 ; DERS. K ü c h e n h o f f - G e d S , S. 4 9 0 f f ; vgl.
auch § 54 Rdn. 48. 4 5 4 4 5 5
V g l . d a z u OTTO J u r a 1 9 9 3 S. 6 1 5 ; RICHTER C R 1991 S . 3 6 1 f f . - A . A . GÖSSEL B . T . 2 , § 2 2 R d n . 17. V g l . ACHENBACH J R 1 9 9 4 S. 2 9 4 ; DERS. G ö s s e l - F S , S. 4 9 5 f; BÜHLER E r f a s s u n g , S. 1 0 4 ; GÜNTHER S K
II, §263 a Rdn. 21; LACKNER Tröndle-FS, S. 56; OTTO Jura 1993 S. 615. - A.A. BGHSt 40 S. 334; LG Würzburg NStZ 2000 S. 374 mit Anm. HEFENDEHL S. 348 ff, OTTO JK 00, StGB § 263 a/1, SCHNABEL NStZ 2001 S. 374f (Verwendung eines Telefonkartensimulators). 456 457
Dazu im einzelnen SIEBER Computerkriminalität, S. 60 ff, 65 ff. Dazu vgl. § 51 Rdn. 70 ff; im übrigen vgl. GÜNTHER SK II, § 263 a Rdn. 24; LACKNER/KÜHL § 263 a R d n . 19; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S. 3 5 9 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l ,
Rdn. 237; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986 S. 133.
272
§41
Erpressung und räuberische Erpressung
§53
5. Vorsatz und Bereicherungsabsicht Für den Vorsatz und die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Ver- 48 mögensvorteil zu verschaffen, gelten die Ausführungen zum Betrug entsprechend; vgl. § 51 Rdn. 88 ff. 6. Die Tathandlung gemäß Abs. 3 Abs. 3 stellt Vorbereitungshandlungen zum Computerbetrug unter Strafe: Bestraft wird, 49 wer zum Zweck der Begehung eines Computerbetrugs Computerprogramme herstellt, sich oder einem anderen verschafft - das bedeutet Begründen der alleinigen oder gemeinsamen Verfugungsmacht über die Programme; dazu vgl. § 96 Rdn. 35 - feilhält, d.h. erkennbar zum Verkauf für andere bereithält, verwahrt oder den Gewahrsam an den Programmen einem anderen überlässt. - Damit bedroht § 263 a Abs. 3 Jeglichen Umgang" mit Computerprogrammen, die ihrer objektiven Beschaffenheit nach zur Begehung eines Computerbetrugs verwendet werden können, mit Strafe, sofern der Täter von dieser generellen Eignung Kenntnis hat, und erfasst damit Verhaltensweisen weit im Vorfeld einer Vermögensschädigung. 4573 7. Strafaufhebung wegen Rücktritts, Abs. 4 In den Fällen des Abs. 3 gelten § 149 Abs. 2 und 3 entsprechend.
50
8. Konkurrenzen Erfolgt die Vermögensschädigung sowohl durch Täuschung einer mit Prüfungskompetenz 51 versehenen Person als auch durch Manipulation des Datenverarbeitungsvorgangs, so ist § 263 a aufgrund seiner Auffangfunktion als subsidiär gegenüber § 263 anzusehen.- Idealkonkurrenz ist möglich mit §§ 268, 269, 303 a. Der Missbrauch der Codekarte bei der Nutzung des Geldautomaten erfüllt allein den Tatbestand des § 263 a; er ist insoweit lex specialis gegenüber § 246. Erlangt der Täter die Karte durch Diebstahl oder Unterschlagung, so stehen diese Delikte in Realkonkurrenz zum Computerbetrug. 458
§ 53 Erpressung und räuberische Erpressung I. Erpressung, § 253 Das Delikt, ein Bereicherungsdelikt wie der Betrug, ist diesem entsprechend aufgebaut. Dies kommt im Gesetzeswortlaut allerdings nicht zum Ausdruck. Die enge Verwandtschaft dieser Delikte ist aber heute weitgehend anerkannt: Betrug ist die Selbstschädigung des Opfers infolge einer Täuschung über den schädigenden Charakter der Vermögensverftlgung; Erpressung ist die Selbstschädigung des Opfers aufgrund einer Nötigung, wobei sich der Geschädigte über den Schaden durch die Vermögensverfügung im klaren ist.
457a
Mit Recht krit. dazu DUTTGE, Weber-FS, S. 292 ff.
4 5 8
V g l . z u m M i s s b r a u c h : B Ü H L E R E r f a s s u n g , S . 7 5 ; RENGIER B . T . I, § 1 4 R d n . 1 7 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 3
a Rdn. 84. - Umgekehrt: MITSCH B.T. II/2, § 3 Rdn. 10. - Zum Verhältnis zur Vortat: BGH NJW 2000 S. 1508 mit Anm. OTTO JK 01, StGB § 263 a/12.
273
1
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§53
2
1. Das geschützte Rechtsgut Geschützte Rechtsgüter des Erpressungstatbestandes sind das Vermögen und die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung, doch liegt der Schwerpunkt, der den Charakter des Delikts prägt, auf dem Vermögensschutz. 459
2. Der objektive Tatbestand 3 a) Die Tathandlung, Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, entspricht der des § 240; im Einzelnen dazu § 27 Rdn. 14 ff. 4 b) Durch die Gewalt oder die Drohung muss das Tatopfer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt werden. Str. ist, ob das abgenötigte Verhalten eine Vermögensverfügung i.S. eines Dispositionsfreiheit voraussetzenden Opferverhaltens sein muss 4 6 0 oder nicht. 461 - Der erstgenannten Ansicht ist der Vorzug zu geben, denn die durch die Vermögensverfügung begründete Unmittelbarkeit der Vermögensschädigung durch das Opferverhalten gibt der Erpressung ihren eigenständigen Bereich innerhalb der Vermögensdelikte. Wird von dem Erfordernis der Verfügung abgesehen, so wird die Erpressung gegenüber den anderen Vermögensdelikten zum umfassenden qualifizierten Vermögensentziehungsdelikt. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b, Wilderei, § 292, Pfandkehr, § 289, u.a. werden beim Einsatz von Gewalt und Drohung zur Erpressung und beim Einsatz qualifizierter Raubmittel zur räuberischen Erpressung, § 255. - Diese Interpretation des Tatbestandes ist aber weder historisch begründbar noch kriminalpolitisch notwendig. 5 Das Verfugungsbewusstsein umfasst hier die Kenntnis des Opfers von der schädigenden Natur der Verfügung. Allerdings ist der Begriff der Verfügung bei der Erpressung nicht in vollem Umfang identisch mit dem beim Betrug. Die Vermögensverfügung ist hier nicht nur in unmittelbar zum Vermögensschaden führenden Verhaltensweisen zu sehen, sondern auch in solchen, die - aus der Sicht des Genötigten - notwendigerweise Voraussetzung für die Herbeiführung des Schadens sind. 462 Fall: Α nötigt den Β durch Androhung von Gewalt, den Tresor zu öffnen, dessen Zahlenkombination Β nicht kennt.
4 5 9
V g l . LACKNER/KÜHL § 2 5 3 R d n .
1; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 4 2 R d n . 12; MITSCH
B . T . II/l, § 6 Rdn. 1. 4 6 0
S o BILETZKI J u r a 1 9 9 5 S . 6 3 5 f f ; ESER I V , N r . 16 A 13 f f ; GEPPERT/KUBITZA J u r a 1 9 8 5 S . 2 7 6 f f ; KÜPER N J W 1 9 7 8 S . 9 5 6 ; DERS. L e n c k n e r - F S , S . 5 0 0 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 5 3 R d n . 3 ;
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 42 Rdn. 6; OTTO Z S t W 79 (1967) S. 85; DERS. Die Struktur d e s s t r a f r e c h t l i c h e n V e r m ö g e n s s c h u t z e s , 1 9 7 0 , S . 3 0 4 ; DERS. J Z 1 9 8 4 S. 1 4 4 ; RENGIER J u S 1 9 8 1 S . 6 5 4 ; SANDER M K , § 2 5 3 R d n . 13 f f ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 1 / 4 9 , 5 5 f; S C H / S C H / E S E R § 2 5 3 R d n . 8 ;
SCHOTT G A 2002 S. 678 f; SCHRÖDER ZStW 60 (1941) S. 83; TENCKHOFF JR 1974 S . 4 8 9 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 7 1 3 . 461
BGHSt 7 S. 252; 25 S. 228; 32 S. 88; O L G Hamm M D R 1972 S. 707; ARZT/WEBER B.T., § 18 Rdn. 2 5 ; GEILEN J u r a 1 9 8 0 S . 5 0 ; HERDEGEN L K , § 2 4 9 R d n . 2 1 f f , § 2 5 3 R d n . 5 f f ; KINDHÄUSER B . T . II, § 1 7 R d n . 2 2 f f ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 3 0 5 ; LÜDERSSEN G A 1 9 6 8 S . 2 5 7 f ; MLTSCH B . T . I I / l , § 6 R d n . 4 0 ; MOHRBOTTER G A 1 9 6 8 S . 1 1 7 ; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S . 4 8 6 ; SEELMANN J u S 1 9 8 2 S . 9 1 4 ;
SEIER JA 1984 S. 442; TAUSCH Die Vermögensverfügung des Genötigten, notwendiges Mittel des Erpressungstatbestandes?, 1995, S. 101 ff. - Im Ergebnis übereinstimmend: GÖSSEL B.T.2, § 31 Rdn. 10 ff. 4 6 2
Vgl.
KÜPER N J W
1978
S . 9 5 6 ; LACKNER/KÜHL
§ 253
Rdn.
3; OTTO Z S t W
79
(1967)
S.
87;
TENCKHOFF JR 1974 S. 492. - Enger (willentliches, eine Vermögensaufgabe bewirkendes Verhalten gen ü g t ) : BILETZKI J u r a 1 9 9 5 S . 6 3 7 ; RENGIER JUS 1 9 8 1 S . 6 5 6 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 7 1 3 .
274
Erpressung und räuberische Erpressung
§53
c) Nachteil für das Vermögen ist identisch mit Vermögensschaden i.S. des Betruges, daher treten bei der sog. Sicherungserpressung dieselben Schadensprobleme auf· 6 3 wie beim Sicherungsbetrug; dazu § 51 Rdn. 151 ff. Auch hier kann ein Schaden darin bestehen, dass der Täter Beweismittel für eine nicht bestehende Forderung erlangt, wenn der Täter das Opfer mit Hilfe des Beweismittels in Anspruch nehmen will. 464 d) Genötigter und Verfugender müssen identisch sein, nicht hingegen Verfügender und Geschädigter, soweit die Verfügung dem Geschädigten als eigene zuzurechnen ist. Dadurch ist entsprechend der Konstruktion des Dreiecksbetrugs - dazu § 51 Rdn. 44 ff - auch die der Dreieckserpressung möglich: Anknüpfungspunkt ist auch hier die Einräumung einer Herrschaftsposition in der Vermögenssphäre des Berechtigten durch den Berechtigten, z. B. als Gewahrsamshüter. Personen in dieser Position unterscheiden sich aufgrund dieser Position grundsätzlich von anderen und ihre Verfügungen können den Vermögensinhaber zugerechnet werden, wenn der Angriff auf sein Vermögen über diese Personen erfolgt. 465
6
7
3. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz - bedingter genügt - muss sich darauf erstrecken, dass der Genötigte infolge 8 der Nötigung eine vermögensschädigende Verfügung vornimmt. b) Die Absicht, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, entspricht der Be- 9 reicherungsabsicht beim Betrug; dazu § 51 Rdn. 88 ff. Daraus folgt: aa) Absicht ist auch hier auf Bereicherung gerichtetes zielgerichtetes Handeln. Geht es 10 dem Täter nur darum, einen anderen zu schädigen, so liegt nur eine Nötigung vor, selbst wenn ein Dritter mit Wissen des Täters in den Besitz eines Vermögensvorteils gelangt. Beispiel: Der Mercedesfahrer Μ hindert den BMW-Fahrer Α am Überholen, obwohl die Straßenlage das Überholen zulässt. Α verschafft sich den Namen des Μ und lässt ihn wissen, er werde ihn anzeigen, falls Μ ihm nicht innerhalb von 8 Tagen eine Quittung über eine Zahlung an das Rote Kreuz in Höhe von € 100,zukommen lasse. - Μ zahlt. Ergebnis: Nur Nötigung des Μ durch A. - Dem Α kam es nicht auf eine Bereicherung des Roten Kreuzes an, sondern allein auf eine Schädigung des M.
bb) Auch bei § 253 entfällt die Absicht des Täters, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu 11 bereichem, wenn der Täter nach materiellem Recht einen Anspruch auf die Bereicherung hat oder zu haben glaubt.
463 464
Dazu BGH JZ 1984 S. 146; SEIER NJW 1981 S. 2155 ff. Dazu im Einzelnen BGH NStZ
1999 S. 618; 2000 S. 197; BGH NStZ-RR 2000 S. 234;
TRÖNDLE/FLSCHER § 2 5 3 R d n . 11. 4 6 5
V g l . a u c h KÜPER J u r a 1 9 8 3 S. 2 0 8 ; DERS. B . T . , S. 3 8 9 ; LACKNER/KOHL § 2 5 3 R d n . 6 ; OTTO J Z 1 9 9 5 S. 1 0 2 2 ; RENGIER B . T . I, § 11 R d n . 19; SCHÜNEMANN J A 1 9 8 0 S. 4 8 9 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 ,
Rdn. 714. - Weiter (Verfügender muß zum Geschädigten in einem Näheverhältnis stehen und Vermögensinteressen des Geschädigten wahrnehmen wollen): BGHSt 41 S. 123 mit Anm. KRACK JuS 1996 S. 493 ff, MlTSCHNStZ 1995 S. 499 f, OTTO JZ 1995 S. 1020 ff, WOLF JR 1997 S. 73 ff; BGH NStZ-RR 1 9 9 7 S. 3 2 1 m i t A n m . S. CRAMER N S t Z 1 9 9 8 S. 2 9 9 f, GEPPERT J K 9 8 , S t G B § 2 5 5 / 9 , KRACK N S t Z
1999 S. 134 f. - Gegen jedes Näheverhältnis: KINDHÄUSER NK, § 253 Rdn. 18 ff; MLTSCH B.T. 11/1, § 6 R d n . 4 2 ff; WOLF J R 1 9 9 7 S. 7 3 ff.
275
§53
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
BGH NJW 2002 S. 2117: 4 6 6 Α hatte an Κ 35 kg Haschisch zum Preis von 87.000 DM verkauft, aber nur 4 kg geliefert. Κ machte die Angekl. als Vermittler des Geschäfts für den Fehlschlag verantwortlich und verlangte 77.000 DM zurück. Daraufhin entführten die Angekl. die Freundin des Α und forderten Α auf, die 77.000 DM zurückzuzahlen, anderenfalls würde die Freundin getötet. - Α zahlte. BGH: Da Κ ein Schadenersatzanspruch aus Betrug gegen Α zustand, fehlte dem Angekl. die Absicht rechtswidriger Bereicherung. BGHSt 48 S. 322 mit Anm. KÜHL NStZ 2004 S. 387 ff; OTTO JK 04, StGB § 253/9: Die Angekl. hatten dem U Haschisch zum Preis von € 250 verkauft. U gab vor, das Geld am nächsten Tag zu zahlen, war jedoch weder zahlungsfähig noch -willig. Mit Drohungen für Leib und Leben des U versuchten die Angekl. den Kaufpreis zu erlangen. BGH: Es liegt eine räuberische Erpressung vor, denn die Angekl. hatten keinen zivilrechtlichen Anspruch gegen Κ auf Rückgabe des Haschischs oder auf Zahlung des Kaufpreises.
12 cc) Erforderlich ist auch hier der unmittelbare Zusammenhang zwischen Bereicherung und Vermögensschaden derart, dass die Bereicherung sich als Kehrseite des Vermögensschadens darstellt („Stoffgleichheit"). 467 13 dd) Darüber hinaus lehnen h.L. und Rechtsprechung die Anwendung des § 253 auch ab, wenn der Täter sich durch Nötigung Beweismittel über die „Tilgung" nicht bestehender Forderungen verschafft. Forderung und Beweismittel werden in diesem Fall als Einheit angesehen, auch wenn der Täter auf das Beweismittel keinen Anspruch hat. 14
BGHSt 20 S. 136: Α rechnete damit, dass seine von ihm getrennt lebende Ehefrau für die Vergangenheit Unterhaltsansprüche geltend machen werde. Um diesen materiell nicht bestehenden Ansprüchen entgegenzutreten, veranlasste er sie unter Androhung von Schlägen, Quittungsformulare zu unterschreiben, die er selbst entsprechend den verlangten Beträgen ausfüllen und dann zum Nachweis der Zahlung benutzen wollte. BGH: Es kommt nicht darauf an, ob ein Anspruch auf das Beweismittel besteht oder nicht. Maßgeblich ist allein das Endziel. Entspricht das Endziel der Rechtsordnung, so wird es nicht dadurch rechtswidrig, dass zu seiner Verwirklichung rechtswidrige Mittel eingesetzt werden. 4 6 8
4. Die
Rechtswidrigkeit
15 Rechtswidrig ist die Tat, auch wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliegt, nur dann, wenn Tat und mit der Tat verfolgter Zweck verwerflich, d.h. als sozialgefährlich, sozialschädlich zu beurteilen sind; im einzelnen dazu § 27 Rdn. 28 ff. 5. Versuch, Vollendung und Strafschärfung 16 Der Versuch beginnt, wenn der Täter zur Nötigungshandlung unmittelbar ansetzt. - Vollendet ist die Tat mit Eintritt des Vermögensschadens, beendet mit Eintritt der Bereicherung. - Den Eintritt des Vermögensschadens verneint der BGH, wenn der Täter beim Empfang der Beute so unter polizeilicher Beobachtung steht, dass er mit der Beute nicht entkommen kann 4 6 9 - Bringt der Täter durch die Nötigung ein Behältnis - Tasche o.Ä. an sich, in dem aber nicht die erwartete Beute ist, auf die es dem Täter ankommt, so liegt nur ein Versuch vor. 4 7 0 - Erlangt der Täter nur einen Teilbetrag der erstrebten Summe, so 466
Mit Anm. ENGLÄNDER JR 2003 S. 164 f, GEPPERT JK 03, StGB § 253/8, KLNDHÄUSER/WALLAU NStZ 2003 S. 152 ff, MLTSCH JuS 2003 S. 122 ff; vgl. auch BGH StV 2002 S. 426; BGH NStZ 2004 S. 45.
467
Dazu BGH bei Holtz, MDR 1980 S. 106; BGH StV 2002 S. 81; im Übrigen vgl. oben § 51 Rdn. 90.
468
Dazu auch BGH StV 2000 S. 78 mit Anm. OTTO JK, StGB § 253/6.
469
BGH MDR 1994 S. 1071; BGH StV 1998 S. 80; 1998 S. 661.
470
Dazu BGH GA 1983 S. 411; BGH GA 1989 S. 171.
276
Erpressung und räuberische Erpressung
§53
nimmt auch die h.M. - entgegen Stellungnahmen zur entsprechenden Problematik des Grundtatbestandes; dazu § 27 Rdn. 50 - nur einen Versuch an. 471 Abs. 4 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen (gewerbs- 17 mäßiges Handeln, Handeln als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Erpressung verbunden hat). 6. Abgrenzung von Betrug und Erpressung Da es bei der Drohung mit einem empfindlichen Übel nicht darauf ankommt, dass der 18 Drohende dieses Übel wirklich realisieren kann, sondern nur darauf, dass der Drohende vorgibt, das Übel realisieren zu können, umfasst bereits die Definition der Drohung bestimmte Täuschungshandlungen. Fall: Α fordert den Β zur Zahlung von € 1000,- auf, sonst werde er den Β „wegen des Geschehens am 1.12. anzeigen". Β zahlt. In Wirklichkeit weiß Α nur, dass Β am 1.12. in irgendetwas Unangenehmes verwickelt war, eine Anzeige zu erstatten hatte Α nicht vor. Hätte Β dies gewusst, so hätte er nicht gezahlt.
Erfordert der Betrug, „daß das Opfer aus freiem, nur durch Irrtum beeinflussten Willen 19 über sein Vermögen verfugt" 472 , so liegt eine Verfugung im Rahmen des Betruges niemals vor, wenn das Opfer auch genötigt wird, denn dann ist seine Willensfreiheit nicht nur durch den Irrtum, sondern auch durch eine Nötigung beeinträchtigt. Genauso wenig, wie die Drohung mit einer ungeladenen Pistole aus dem Gewahr- 20 samsbruch beim Raub eine Vermögensverfügung macht, genauso wenig wird eine durch Nötigung erzwungene Handlung zu einer freien, nur durch einen Irrtum beeinträchtigten Verfügung, weil die Nötigung nur vorgeblich realisierbar ist. - Darüber hinaus verfügt das Opfer hier aber bewusst, sein Vermögen schädigend, während der Betrug gerade durch die bewusste Verfügung gekennzeichnet ist, über deren vermögensschädigenden Charakter der Täter irrt. Auch wenn daher in der Nötigung eine Täuschung enthalten ist, so kommt ihr keinerlei Eigenständigkeit zu. Erpressung und Betrug bezüglich des gleichen Objekts schließen einander aus, wenn die Verfügung des Opfers auf einer Nötigung beruht. Ob diese Nötigung wiederum auf einer Täuschung basiert, ist irrelevant 473 7. Verkauf der Deliktsbeute an das Deliktsopfer Bietet der Täter eines Vermögensdelikts die Herausgabe der z.B. gestohlenen Sache oder 21 die Wiedergutmachung des Schadens gegen Zahlung einer bestimmten Summe an, so sieht die h.M. hierin eine Erpressung, obwohl - bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise - der Vermögensbestand durch diese Tat nicht verschlechtert, sondern verbessert wird. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise wird mit zivilrechtlichen Konstruktionen überspielt und die eigenen Prämissen werden außer Kraft gesetzt. BGH 1 StR 221/82: Dem X waren Ikonen gestohlen worden. Er ließ verbreiten, dass er bereit sei, sie zu einem angemessenen Preise wiederzuerwerben. A, der davon gehört hatte und die Diebe kannte, bot diesen seine Vermittlung an. Die Diebe gingen darauf ein, und beauftragten den Α zur Obergabe der Ikonen gegen ein bestimmtes Lösegeld. Bei der Übergabe des Geldes wurde Α gefasst.
471
Vgl. BGH StV 1 9 9 0 S . 206.
472
OLG Köln MDR 1973 S. 866.
473
So auch BGHSt 23 S. 294 mit Anm. KÜPER N J W 1970 S. 2253 f; GÜNTHER ZStW 88 (1976) S. 961 ff; HERDEGEN LK, § 253 Rdn. 35; OTTO ZStW 79 (1967) S. 94 fT. - A.A. GÖSSEL B.T.2, § 31 Rdn. 40; HERZBERG J u S 1 9 7 2 S . 5 7 1 ; KINDHÄUSER N K , § 2 5 3 R d n . 9 0 ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 3 1 5 ;
SCH/SCH/ESER § 253 Rdn. 37.
277
22
§53
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
BGH: Wäre es zur Zahlung gekommen, so hätte eine vollendete Erpressung vorgelegen. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Schaden des X, der Verlust der Ikonen, war mit dem Diebstahl eingetreten. Zwar hatte X gegen den Α Ansprüche auf Herausgabe, §§ 861, 985 BGB. Um diese Ansprüche brachte Α den X aber nicht dadurch, dass er sie nicht realisierte. Sie waren wertlos, solange X die Täter nicht kannte. - Als Α dem X den Besitz gegen eine bestimmte Summe zum Kauf anbot, eröffnete er ihm die vorher tatsächlich nicht vorhandene Möglichkeit, den Besitz zurückzuerlangen. Dies ließ er sich bezahlen. Unabhängig davon, ob Α hier überhaupt als Täter der Erpressung angesehen werden kann, weil er lediglich den Auftrag der Hinterleute ausführte, die vom Geschädigten ausdrücklich zur Abgabe von Angeboten aufgefordert waren, ist sowohl nach den Prämissen des wirtschaftlichen als auch nach denen des personalen Vermögensbegriffs die Folgerung zwingend, den Schaden abzulehnen. - Wenn der BGH den Schaden bejaht, weil das Opfer der Tat zahlen sollte, ohne einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen, so beruht dieses Ergebnis darauf, dass das Haben der Sache und der Anspruch auf die Sache identifiziert werden. Das ist vom Standpunkt des juristisch-wirtschaftlichen Vermögensbegriffs her konsequent, nach den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs hingegen falsch. 4 7 4
II. Räuberische Erpressung, § 255 1. Die Systematik des Gesetzes 23 a) Die räuberische Erpressung ist ein qualifizierter Fall der Erpressung. Die Nötigungsmittel entsprechen denen des Raubes. - Nur die Drohung muss mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben erfolgen, nicht aber die Gewaltanwendung. - Gegenwärtig ist die angedrohte Gefahr, wenn der Täter vorbehaltlos zum Ausdruck gebracht hat, er werde die Gefahr realisieren, falls seinen Wünschen nicht entsprochen wird, oder wenn eine Situation begründet ist, die bei ungestörter Weiterentwicklung der Dinge nach menschlicher Erfahrung sicher oder höchstwahrscheinlich in einen Schaden umschlägt, falls nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden. 475 24 b) Als qualifizierter Fall der Erpressung setzt der Tatbestand, wie der Grundtatbestand, eine Vermögensverfügung voraus; im einzelnen zur Auseinandersetzung vgl. Rdn. 4 f. 25 Demgegenüber interpretiert die höchstrichterliche Rechtsprechung den § 255 als umfassenden Grundtatbestand der Raubdelikte. Die Zuordnung eines Verhaltens zu den Tatbeständen der Erpressung oder des Raubes soll sich allein nach dem äußeren Erscheinungsbild der Tat richten.476 Danach ist § 249 ein durch die Zueignungsabsicht und die Wegnahmehandlung, die rein nach dem äußerlichen Erscheinungsbild als „Wegnehmen" zu bestimmen ist und im Gegensatz zu dem „Weggeben" steht, spezialisierter Sonderfall des
§ 255. BGHSt 14 S. 386: Α stieg in die Taxe des T. Durch Schüsse aus der Gaspistole zwang er den Τ zum Verlassen des Fahrzeuges. Dann fuhr er mit der Taxe in der Gegend herum. Nach der Fahrt wollte Α die Taxe so abstellen, dass Τ sie in Kürze zurückerhalten hätte.
474
Dazu OLG Hamburg MDR 1974 S. 330; L A C K N E R LK, 10. Aufl., § 263 Rdn. 122. - A.A. BGHSt 26 S. 346 mit zust. Anm. G Ö S S E L JR 1977 S. 32 ff, J A K O B S JR 1974 S. 474 f, M O H R B O T T E R JZ 1975 S. 102 f; und abl. Bespr. T R U N K JuS 1985 S. 944 ff; S T O F F E R S Jura 1995 S. 117 ff.
475
Vgl. dazu BGH NJW 1997 S. 265, 266 mit Anm. 120 ff; B G H
dazu auch 476
278
StV
OTTO
GEPPERT J K
97, StGB § 255/8;
1 9 9 9 S. 3 7 7 m i t A n m . KINDHÄUSER/WALLAU
Jura 1999
S.
552 f;
SANDER M K ,
JOERDEN
S. 3 7 9 ff, ZACZYK J R
JR 1999 S.
1 9 9 9 S. 3 4 3
ff;
§ 255 Rdn. 6; T R Ö N D L E / F I S C H E R § 255 Rdn. 2.
BGHSt 41 S. 126; im übrigen vgl. BGHSt 7 S. 254 f; 14 S. 390; BGH NStZ-RR 1997 S. 321; BGH NStZ 1999 S. 355 mit Anm. G E P P E R T JK 00, StGB § 255/10; dazu H E R D E G E N LK, § 249 Rdn. 25.
Untreue und untreueähnliche Delikte
§54
BGH: § 255. - Wird § 255 als qualifizierter Fall der Erpressung interpretiert, so fehlt es hier an einer Vermögensverfiigung des T, daher: §§ 224,240, 248 b, 52 4 7 7
c) Unabhängig davon, ob eine Vermögensverfügung verlangt wird oder nicht, ist eine fi- 26 nale Verknüpfung von Nötigung und Vermögensschädigung nötig. d) Hinsichtlich des Adressaten der Drohung und der Ernsthaftigkeit der Drohung gilt das- 27 selbe wie fur § 253. BGH JZ 1985 S. 1 0 5 9 4 7 8 : Nach vorher untereinander verabredetem Plan bedrohte der A die Β mit einer Pistole, als diese angeblich bei einem Bankkassierer Geld wechseln wollte, und forderte von dem Kassierer Bargeld. Dieser zahlte. BGH: § 255, da es nur darauf ankommt, dass der Nötigungsadressat von der Ernsthaftigkeit der Drohung ausgeht.
2. Vorsatzwechsel zwischen räuberischer Erpressung und Raub Versucht der Täter mit Mitteln der räuberischen Erpressung ein Vermögensobjekt zu er- 28 langen und geht er sodann bezüglich desselben Objekts zum Raube über oder umgekehrt, so liegt nur ein vollendetes Delikt vor. Dem Versuch mit den jeweiligen anderen Mitteln kommt keine Eigenständigkeit zu, da ein selbständiger Unrechtsgehalt des Versuchs gegenüber dem des vollendeten Delikts nicht auszumachen ist. BGH StV 1982 S. 114: Α versuchte unter Androhung von Gewalt den X zur Herausgabe einer Geldbombe zu bringen. Dies misslang. Nunmehr nahm Α dem X die Geldbombe unter Anwendung von Gewalt ab. BGH: Die versuchte räuberische Erpressung ist durch die Verurteilung wegen vollendeten Raubes abgegolten. Der Versuch, die Geldbombe zu erlangen, ist, wenn auch mit anderen Mitteln, durch den Raub lediglich fortgesetzt und zum Erfolg geführt worden.
§ 54 Untreue und untreueähnliche Delikte I. Rechtsgut und Aufbau des Untreuetatbestandes Vermögensschädigungsdelikt. - Eine Bereicherung des Täters braucht nicht eingetreten oder beabsichtigt zu sein. Jedoch ändert sich die Deliktsnatur nicht dadurch, dass es dem Täter bei seiner Tat um die Bereicherung durch das dem fremden Vermögen entzogene Vermögensgut oder um einen anderen wirtschaftlichen Vorteil geht.
1
1. Das geschützte Rechts gut Geschütztes Rechtsgut ist allein das Vermögen,479 Dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Täter und Opfer oder der Redlichkeit des Rechtsverkehrs kommt keine eigenständige Bedeutung zu. 4 8 0
477
Vgl. auch BGHSt 32 S. 88 mit Anm. JAKOBS JR 1984 S. 385 ff (Vereitelung eines Vermieterpfandrechts mit Gewalt). - BGH bei Holtz, MDR 1992 S. 17 (Erlangung des Gewahrsams an einer Sache).
4 7 8
Mit abl. A n m . ZACZYK S. 1 0 5 9 f, und zust. A n m . GEPPERT JK, S t G B § 2 5 5 / 7 .
4 7 9
H . M . , v g l . KINDHÄUSER N K , § 2 6 6 Rdn. 4 4 ; SCHUNEMANN L K , § 2 6 6 Rdn. 2 8 .
4 8 0
A . A . DUNKEL G A 1 9 7 7 s . 3 3 4 f; ESER IV, Nr. 17 Α g , 11; WENTZEL D a s Scheckkartenverfahren der
deutschen Kreditinstitute, 1974, S. 245.
279
2
§54
3
4
5
6 7
8
9
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
2. Die besondere Pflichtenposition des Täters Das Vermögen kann i.S. des § 266 nicht von jedermann verletzt werden. Der Tatbestand setzt vielmehr als Täter eine Person voraus, die dem Vermögensträger in bezug auf sein Vermögen in besonderer Weise verpflichtet ist. Nur diese Person oder ihr Vertreter i.S. des § 14 kommen als Täter in Betracht. - Die Pflichtenposition ist strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal gemäß § 28 Abs. I. 4 8 1 3. Die Gesetzessystematik § 266 Abs. 1 enthält zwei Tatbestände: den Missbrauchstatbestand, § 266 Abs. 1,1. Alt., und den Treubruchstatbestand § 266 Abs. 1, 2. Alt. In beiden Alternativen wird die Pflicht des Täters, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, vorausgesetzt. - Streitig ist jedoch der Inhalt dieser Pflicht. a) Der überkommenen Interpretation des Missbrauchstatbestandes entspricht die Auffassung, dass der Rahmen der Pflicht zur Vermögensfürsorge in der 1. Alternative des § 266 durch die rechtswirksame Einräumung einer Verfiigungs- oder Verpflichtungsbefugnis gekennzeichnet ist. 482 Die 2. Alternative des § 266 setzt hingegen die Pflicht des Täters, „fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen" voraus; dazu eingehender unter Rdn. 18 ff. b) Mit BGHSt 24 S. 386 forderte der BGH für den Täter des Missbrauchstatbestandes dieselbe Vermögensfursorgepflicht wie fur den Täter des Treubruchstatbestandes. Danach soll Täter in beiden Alternativen nur deijenige sein können, dem als Hauptpflicht die Betreuung fremder Vermögensinteressen obliegt. 483 Die Literatur folgte dem weitgehend unter Hinweis darauf, dass der Tatbestand durch das Erfordernis der Vermögensfursorgepflicht restriktiv begrenzt werde und an Bestimmtheit gewinne. 484 c) Die restriktive Interpretation des Missbrauchstatbestandes findet in Wirklichkeit jedoch nicht statt. Durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs des Tatbestandes auf den Missbrauch der rechtlichen Befugnis über fremdes Vermögen zu verfugen oder andere zu verpflichten, war der Tatbestand hinreichend bestimmt. Das rechtliche Können konfluierte die Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, eindeutig. Durch die identische Interpretation der Pflicht, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, in beiden Alternativen des § 266 werden hingegen die in der Unbestimmtheit der Vermögensfursorgepflicht des Treubruchstatbestandes angelegten Unsicherheiten auf den Missbrauchstatbestand übertragen und kaum akzeptable Strafbarkeitslücken eröffnet. 481
So auch BGHSt 26 S. 54; BGH StV 1995 S. 73; BGH wistra 1997 S. 100; KINDHÄUSER NK, § 266 R d n . 1 8 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 R d n . 4 ; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 3 7 , 4 0 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 6 6 R d n . 1 6 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 R d n . 7 9 f. - A . A . SCH/SCH/PERRON § 2 6 6 R d n . 5 2 .
482
Dazu ARZT Bruns-FS, S. 382; BOCKELMANN B.T./1, § 18 II; HEIMANN-TROSIEN JZ 1976 S. 407; KARGL ZStW 113 (2001) S. 589; LABSCH Jura 1987 S. 345 f; DERS. Untreue (§ 266 StGB), 1983, S. 83 f f ; OTTO J R 1 9 8 9 S . 2 1 0 ; RANFT JUS 1 9 8 8 S . 6 7 3 f; SCHÜNEMANN L K , § 2 6 6 R d n . 11 ff.
483
4 8 4
So: BGHSt 24 S. 386 mit Anm. SEEBODE JR 1973 S. 117 ff, insbes. S. 119; OLG Hamburg NJW 1983 S. 768; OLG Hamm NJW 1977 S. 1835; OLG Köln NJW 1978 S. 714 mit zust. Anm. GÖSSEL JR 1978 S. 469 ff, insbes. S. 473. V g l . DUNKEL G A 1 9 7 7 S. 3 3 8 f; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 5 R d n . 2 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 R d n . 5 ; HÜBNER J Z 1 9 7 3 S . 4 1 0 ; JOECKS S t G B , § 2 6 6 R d n . 2 3 ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 5 4 2 ;
LACKNER/KÜHL
§ 2 6 6 Rdn. 4; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 4 5 Rdn. 18; D. MEYER JuS 1973 S. 214 f; MLTSCH B.T. 11/1, § 8 Rdn. 19; NELLES Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, 1991, S. 218 ff; RENGIER B . T . I, § 18 R d n . 8; SCHREIBER/BEULKE JUS 1 9 7 7 S . 6 5 6 ff; VORMBAUM J u S 1 9 8 1 S . 2 0 ;
WESSELS/HLLLENKAMP B.T./2, Rdn. 750.
280
Untreue und untreueähnliche Delikte
§54
Die Folge ist ein dogmatisches Kuriosum. Die angeblich restriktive Auslegung des § 266 führte zum Ruf nach ausdehnenden Spezialtatbeständen, dem der Gesetzgeber im 2. WiKG mit §§ 266 a Abs. 2, 266 b nachk a m . 4 8 ^ Zudem zeigte sich in der Rechtsprechung die Tendenz, unselbständige Vermögensfürsorgepflichten als selbständige Treuepflichten i.S.d. § 266 zu interpretieren; dazu unter Rdn. 23 f.
10
Darüber hinaus ist die 1. Alternative ein letztlich überflüssiger Unterfall der 2. Alternative JJ geworden und die vom Gesetz vorgegebene Aufgliederung in zwei sich ergänzende Tatbestände aufgehoben worden. Diese Konsequenz zieht allerdings die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht immer. Die Selbständigkeit beider Tatbestände setzt sich gegen die sachwidrige Konstruktion durch. 4 " 6
II. Die beiden Alternativen des Untreuetatbestandes 1. Der Missbrauchstatbestand, § 266 Abs. 1, 1. Alt. a) Der Missbrauchstatbestand setzt als Tathandlung den Missbrauch einer Vertre- 12 tungsmacht (Verpflichtungs- oder Verfugungsmacht) in bezug auf fremdes - verstanden im bürgerlich-rechtlichen Sinn - Vermögen voraus. Der Täter überschreitet missbräuchlich das rechtliche Dürfen im Rahmen des rechtlichen Könnens. Der Täter hat kraft Gesetzes z.B. als Elternteil, Vormund, Testamentsvollstrecker, Pfleger, Gerichtsvollzieher, Konkursverwalter - oder kraft behördlichen Auftrags - z.B. staatlich bestellter Treuhänder, mit dem Kassieren von Verwarnungsgeldern beauftragter Polizeibeamter - oder kraft Rechtsgeschäfts - z.B. Prokurist - Verfügungs- oder Verpflichtungsmacht übertragen erhalten, aufgrund derer er nach außen wirksame Geschäfte abschließen kann. Im Innenverhältnis ist er aber verpflichtet, von dieser Vertretungsmacht nur in bestimmter Weise Gebrauch zu machen. Hierüber setzt er sich hinweg und schließt pflichtwidrig den Vermögensträger schädigende Geschäfte ab. - Rechtliche Befugnis ist die rechtswirksam eingeräumte Befugnis. Bloßer Gutglaubensschutz genügt nicht. Faktische Einwirkungen auf fremde Vermögenspositionen werden nicht vom Verfugungsbegriff erfasst. Trotz Anerkennung des Merkmals der „rechtlichen Befugnis" durch die Rechtsprechung, vernachlässigt diese das Merkmal in der praktischen Rechtsanwendung in zunehmendem Maße. Hin Missbrauch der rechtlichen Befugnis, über fremdes Vermögen verfügen zu können, soll z.B. vorliegen, wenn der zum Verkauf einer Ware für DM 300,- Bevollmächtigte diese Ware für DM 160,- verkauft (OLG Köln JMB1NRW 1959 S. 138) oder wenn der Gerichtsvollzieher den Erlös der Zwangsvollstreckung eigenmächtig verbraucht (BGHSt 13 S. 276). - In diesen Fällen kann von einer Überschreitung des rechtlichen Könnens keine Rede sein, denn rechtliches Können und Dürfen gehen überhaupt nicht auseinander. Unabhängig von der Frage, ob im Einzelfall überhaupt rechtsgeschäftliche Verfügungen vorlagen, fehlte es bereits an der rechtlichen Befugnis zur Verfügung.487
13
b) Der Vorsatz - bedingter genügt - muss das Bewusstsein des Missbrauchs einer recht- 14 liehen Befugnis und die Schädigung des Vermögens umfassen. c) Zur Einübung aa) BGH LM Nr. 4 zu § 266: Die Verkäuferin Α verkauft an Kunden Waren unter dem vom Geschäftsherrn festgesetzten Ladenpreis, um diesen zu schädigen. BGH: Untreue. - Gemäß § 56 HGB konnte Α rechtlich wirksam Geschäfte zu den vereinbarten Preisen abschließen. Sie durfte es aber nicht. 485 vgl. auch SCHROEDER GA 1990 S. 106. 486
Dazu vgl. BGH NJW 1984 S. 2539 mit Anm. OTTO JR 1985 S. 29 ff; sodann OLG Stuttgart NStZ 1985 S. 365 f mit Anm. OTTO JK, StGB § 266/5.
487
Dazu auch BGH wistra 1990 S. 305; LABSCH Untreue, S. 99 ff; SCHÜNEMANN LK, § 266 Rdn. 50.
281
15
§54 16
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
bb) BGHSt 5 S. 61: Α verkauft eine von Β geliehene Sache an den gutgläubigen C. BGH: Α hat eine Unterschlagung begangen, aber keine Untreue, denn C wurde nicht Eigentümer aufgrund der Verfügungsbefugnis des A. §§ 932 ff BGB gewähren dem Täter keine Verfügungsbefugnis, sondern schützen allein den guten Glauben des Erwerbers.
17
cc) OLG Stuttgart NStZ 1985 S. 365: Α veräußerte unter Vorlage einer ihm nach Widerruf der Vollmacht verbliebenen Vollmachtsurkunde ein Grundstück des K. OLG: § 266 Abs. 1,1. Alt. (Missbrauchstatbestand). - Dem ist zuzustimmen, denn hier erfolgte der rechtswirksame Erwerb des Käufers nicht aufgrund guten Glaubens, sondern weil die Vollmacht gem. §§ 171, 172 BGB fortbesteht bis die Vollmachtsurkunde dem Vollmachtsgeber zurückgegeben oder für kraftlos erklärt worden ist. 4 8 8
2. Der Treubruchstatbestand, § 266 Abs. 1, 2. Alt. 18 a) Der Treubruchstatbestand setzt die Verletzung einer Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, voraus, die zu einem Vermögensnachteil für den Berechtigten fuhren muss. 19 b) Angesichts der „uferlosen Weite" der Gesetzesformulierung ist der Treubruchstatbestand seit jeher als rechtsstaatlich höchst problematisch eingestuft und als kaum vereinbar mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG angesehen worden. 489 20 c) Rechtsprechung und Lehre haben indes versucht, dem Tatbestand durch eine restriktive Interpretation der Vermögensfürsorgepflicht schärfere Konturen zu geben. Gefordert wird zum einen, dass die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen der typische und wesentliche Inhalt des Fürsorgeverhältnisses - „Hauptpflicht" - sein müsse, zum anderen, dass es sich bei dem Vermögensfursorgeverhältnis um eine Geschäftsbesorgung handeln müsse, so dass Nebenpflichten aus schuldrechtlichen Austauschverträgen von vornherein ausgeschlossen sind. 490 - Die fremdnützige Geschäftsbesorgung kennzeichnet die Vermögensfürsorgepflicht. 21
Eine Geschäftsbesorgung in diesem Sinne setzt danach eine selbständige, eigene Überlegung erfordernde Tätigkeit wirtschaftlicher Art im Interesse des Geschäftsheim voraus. Die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen muss der typische und wesentliche Inhalt des Vertragsverhältnisses sein. Darüber hinaus muss dem Pflichtigen eine gewisse Selbstständigkeit bei der Erfüllung seiner Pflichten eingeräumt sein, so dass er Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen hat.
22 „Selbständigkeit bei der Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen ist allein, aber auch untrüglich daran zu messen, ob der Betreuer so handeln muß oder auch anders handeln darf.W
488
Vgl. auch ARZT Bruns-FS, S. 379; LABSCH Jura 1987 S. 412; NELLES Untreue, S. 519; OTTO JK, StGB § 2 6 6 / 5 ; SCH/SCH/PERRON § 2 6 6 R d n . 4 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 6 6 R d n . 4 1 . - A . A . ARZT/WEBER B . T . , § 2 2 R d n . 2 2 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 R d n . 13; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 5 4 7 f.
489
Dazu GOSSRAU in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 8, Besonderer Teil, 79. Sitzung, S. 135; JAKOBS Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1991, 4/30; LABSCH Untreue, S. 189 ff; OTTO Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 311; SCHÜNEMANN LK, § 266 Rdn. 29 ff; WELZEL Lb., § 56 B. - Gegen diese Bedenken: RANSIEK ZStW 116 (2004) S. 640 ff.
490
Vgl. BGH NJW 1983 S. 461; BGH NStZ 1989 S. 72 mit Anm. OTTO JR 1989 S. 208 ff; BGH NJW 1991 S. 2574; ARZT/WEBER B.T., § 22 Rdn. 58; GÖSSEL B.T.2, § 25 Rdn. 23; HAAS Die Untreue (§ 266 StGB), 1997, S. 39; KINDHÄUSER Lampe-FS, S. 721; DERS. NK, § 266 Rdn. 49 ff; SCH/SCH/PERRON § 2 6 6 R d n . 2 3 a ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 R d n . 18; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 ,
Rdn. 769. 491
282
HÜBNER LK, 10. Aufl., § 266 Rdn. 32.
Untreue und untreueähnliche Delikte
§54
d) Gleichwohl sind die Bemühungen um eine Konkretisierung der Vermögensfiirsorge- 23 pflicht letztlich unbefriedigend geblieben, da die Rechtsprechung die durch das Erfordernis der Vermögensfursorgepflicht in beiden Alternativen des § 266 Abs. 1 eröffnete Strafbarkeitslücke dadurch zu schließen sucht, dass sie das Merkmal der Selbständigkeit in Einzelfallen zu schlichter Bedeutungslosigkeit abwertet. 492 Bejaht wurde die Vermögensfursorgepflicht z.B. trotz Fehlens jeglicher selbständiger Entscheidungsbefugnis bei einem Bankkassierer ( B G H wistra 1989 S. 60 mit Anm. OTTO JK, StGB § 266/9), bei Rechtsanwälten und Notaren, die Gelder nach Eintritt ganz bestimmter Voraussetzungen aus- oder zurückzahlen sollten, ohne dass ihnen irgendein Entscheidungsspielraum v e r b l i e b 4 9 · ' , bei einem Notar, der bei einem riskanten Geschäft nicht hinreichend belehrt hatte ( B G H wistra 1991 S. 219), bei einem Rechtspfleger als Nachlassrichter den Erben gegenüber (BGHSt 35 S. 224 mit Anm. OTTO JZ 1988 S. 883 0 , bei einem Wohnungsverwalter hinsichtlich der M i e t e r k a u t i o n e n 4 9 4 , bei einem Mieter, der vertragswidrig ein als Mietkaution eingerichtetes Postsparbuch auflöste (BayObLG wistra 1998 S. 157 mit Anm. OTTO JK 99, StGB § 263/51), bei demjenigen, dem Scheckkarte und Geheimzahl überlassen wurden, um einen ganz bestimmten Betrag für den Berechtigten aus dem Geldautomaten zu holen (OLG Hamm wistra 2003 S. 356).
24
Unabhängig davon ist die Rechtsprechung jedoch auch dort, wo sie im Ergebnis Zu- 25 Stimmung verdient, nicht über die Bildung von Fallgruppen hinausgekommen: Taugliche Täter: Gebrechlichkeitspfleger (OLG Bremen N S t Z 1989 S. 228 f); Handelsvertreter, der zugleich Lagerverwalter ist ( B G H N S t Z 1983 S. 74); Hauptbuchhalter ( B G H GA 1979 S. 144); Sachbearbeiter mit eigenem Verantwortungsbereich ( B G H wistra 2000 S. 264); Konkursverwalter, im Verhältnis zu den Gläubigern (BGHSt 1 S. 243; B G H wistra 2000 S. 384) und im Verhältnis zum Gemeinschuldner ( B G H 1 StR 405/73 vom 13.11.1973); Prokurist im Verhältnis zum Firmeninhaber ( B G H bei Herlan, G A 1964 S. 130); Rechtsanwalt gegenüber Mandanten ( B G H StV 1986 S. 204; BGH wistra 1993 S. 300); Rechtsanwalt aufgrund faktischer Herrschaft über das Vermögen eines in geschäftlichen Dingen Unerfahrenen ( B G H NStZ 1997 S. 125); Gerichtsvollzieher (OLG Celle M D R 1990 S. 846); Vormund ( B G H wistra 1991 S. 219); Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer von Handelsgesellschaften und juristischen Personen (dazu B G H bei Holtz, M D R 1979 S. 456; B G H N J W 1981 S. 469; B G H wistra 1993 S. 301), doch kommt es auf das Einzelgeschäft an (dazu B G H M D R 1988 S. 511; BGH N J W 1988 S. 2483 ff); Drittbegünstigter bei Geschäftsbesorgungsvertrag mit Auflagen zu seinen Gunsten ( B G H N J W 1997 S. 66 mit zust. Anm. OTTO JK 97, StGB § 266/14 und insoweit abl. Anm. D. GEERDS JR 1997 S. 340); Abgeordneter in Bezug auf Haushaltsmittel (OLG Koblenz N J W 1999 S. 3277); Filialleiter ( B G H wistra 2004 S. 105); Unternehmensberater in der Rolle eines Finanzvorstands (OLG München ZIP 2004 S. 2438 mit Anm. TIEDEMANN S. 2440 ff). Untaugliche Täter: Arbeiter, der mit Vermögen des Arbeitgebers umgeht (BGHSt 3 S. 294); Buchhalter ( B G H wistra 1987 S. 27); Büroangestellte, die Schreibarbeiten zu erledigen haben (BGHSt 3 S. 294); Kellner (RGSt 69 S. 58); Minderheitsaktionär gegenüber der Aktiengesellschaft (LG Köln wistra 1988 S. 279 f); Reiseveranstalter gegenüber den Leistungsträgern (BGHSt 2 8 S. 20); Sicherungsgeber gegenüber Sicherungsnehmer ( B G H wistra 1984 S. 143 m. Anm. SCHOMBURG S. 143 f; vgl. aber B G H bei Holtz, M D R 1990 S. 888); Sicherungsnehmer gegenüber Sicherungsgebem ( B G H bei Holtz, M D R 1978 S. 625); Empfänger der Einlage des stillen Gesellschafters gegenüber dem stillen Gesellschafter (OLG Karlsruhe wistra 1992 S. 233); Bank gegenüber Sparvertragskunden (OLG Düsseldorf wistra 1995 S. 72); Schmiergeldempfänger gegenüber Geschäftsherrn ( B G H NStZ 1995 S. 233); Provisions- oder Handelsvertreter bei Eigenabschluss gegenüber Geschäftsherrn (OLG Frankfurt NStZ-RR 1997 S. 201); Filialleiter bei Nichtabfiihrung vereinnahmter Provisionen ( B G H wistra 1998 S. 61 mit Anm. OTTO JK 98, StGB § 266/16); Warenverkäufer, der Erlös abliefern soll (OLG Düsseldorf N J W 2000 S. 529 mit Anm. OTTO JK, StGB § 266/18).
26
27
e) Nach h.M. braucht es sich bei dem Treueverhältnis um kein besonders schutzwürdiges 28 Vermögensfursorgeverhältnis zu handeln. Auch gesetz- und sittenwidrige Verhältnisse
492
Im Einzelnen dazu die Übersicht bei SCHÜNEMANN LK, § 266 Rdn. 82 ff.
4 9 3
B G H N J W 1968 S. 852 f; BGH bei Holtz, M D R 1982 S. 625; B G H wistra 1987 S. 65; B G H StV 2004 S. 80; OLG Hamm wistra 2002 S. 475; zust. RENGIER B.T. I, § 18 Rdn. 11.
4 9 4
So BGHSt 41 S. 224 mit Anm. OTTO JK 96, StGB § 266/12, SOWADA JR 1997 S. 28 ff; SATZGER Jura 1998 S. 570 ff. - A.A. OLG Düsseldorf N J W 1989 S. 1171.
283
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
können Vermögensfürsorgeverhältnisse i.S. des § 266 begründen, doch dürften die Voraussetzungen der Vermögensfürsorgepflicht bei gesetz- oder sittenwidrigen Verhältnissen selten vorliegen. In Betracht kommt aber ein zivilrechtlich nichtiges Treueverhältnis. 495 29 f) Eine Verletzung der Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, liegt in den Verhaltensweisen des Treupflichtigen, mit denen dieser nicht die Vermögensinteressen des Treugebers wahrt, indem er das Vermögen zu erhalten oder zu vermehren und drohende Schäden abzuwehren sucht, sondern indem er das Vermögen schädigt. Bei der Geschäftstätigkeit für ein Unternehmen hat der Verpflichtete die Interessen des Unternehmens zu wahren und dabei die Regeln ordentlicher Geschäftsführung und die Sorgfalt eines gewissenhaften und ehrbaren Kaufmanns einzuhalten. Das ist besonders relevant im Falle des Sponsoring und der Vergabe von Spenden - dazu BGHSt 47 S. 187, 193 ff mit Anm. BECKEMPER NStZ 2002 S. 324 ff, OTTO JK 02, StGB § 266/22, SAUER wistra 2002 S. 465 ff; eingehend dazu OTTO Kohlmann-FS, S. 187 ff-, bei der Übernahme von Kosten u.Ä. für Dritte durch das Unternehmen und bei der Festsetzung von Belohnungen des Vorstandes durch den Aufsichtsrat; dazu LG Düsseldorf NJW 2004 S. 3275 ff; RÖNNAU/HOHN NStZ 2004 S. 113 ff; RANSIEK Z S t W 116 ( 2 0 0 4 ) S. 6 7 4 ff.
Maßgebliches Kriterium der Treupflichtverletzung bei riskanten Geschäften, insbes. bei einer Kreditvergabe, ist nicht der objektive Erfolg, sondern die Begründung eines unerlaubten Risikos durch den Abschluss des Geschäftes. Dabei ist zu beachten, dass Risiken im Wirtschaftsleben nicht immer ausgeschlossen oder gemindert werden können. Ein unerlaubtes Risiko und damit eine Treupflichtverletzung begründet der Täter im Rahmen von Risikogeschäften daher erst, wenn er sich über die vom Gesetzgeber oder von dem Berechtigten vorgegebenen Risikogrenzen hinwegsetzt oder wenn er „nach Art eines Spielers bewußt und entgegen den Regeln kaufmännischer Sorgfalt eine ... äußerst gesteigerte Verlustgefahr auf sich nimmt, nur um eine höchst zweifelhafte Gewinnaussicht zu erhalten".^ 31 g) Der Vorsatz - bedingter genügt - muss sich beim Treubruchstatbestand auch auf die Vermögensfursorgepflichtverletzung erstrecken und den Vermögensnachteil umfassen. 497
495
Wie hier: BGHSt 8 S. 254 mit Anm. BRUNS NJW 1956 S. 151, HÄRTUNG JZ 1956 S. 572 f; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 5 6 3 ; RENGIER Β . Τ . , § 18 R d n . 19; SCHÜNEMANN L K , § 2 6 6 R d n . 6 4 f; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 7 7 4 . - A . A . GÜNTHER S K II, § 2 6 6 R d n . 3 6 ; HAAS U n t r e u e , S. 3 1 ff; SCHMLDHÄUSER B . T . , 1 1 / 6 6 ; SCH/SCH/PERRON § 2 6 6 R d n . 3 1 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 R d n . 3 1 f.
496
BGH wistra 1991 S. 220; vgl. auch BGHSt 46 S. 30 mit Anm. OTTO JR 2000 S. 517 ff; BGH StV 2004 S. 4 2 4 ; O L G N a u m b u r g ( Z ) N Z G 2 0 0 0 S. 3 8 2 ; BRINGEWAT J Z 1 9 7 7 S. 6 6 8 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 R d n . 2 1 ; HILLENKAMP N S t Z 1981 S. 161 ff; KINDHÄUSER N K , § 2 6 6 R d n . 1 0 8 ff; MARTIN B a n k u n -
treue, 2000, S. 103 ff; NACK NJW 1980 S. 1599 ff; OTTO Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 68 ff; POSECK Die strafrechtliche Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft, 1997, S. 8 8 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 6 6 R d n . 9 5 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 R d n . 4 2 ff; WABMER U n t r e u e b e i
Risikogeschäften, 1997, S. 52 ff, 73 ff. - Zur unerlaubt riskanten Kreditvergabe: BGHSt 47 S. 148 mit A n m . KELLER/SAUER w i s t r a 2 0 0 2 S. 3 6 5 ff, KÜHNE S t V 2 0 0 2 S. 1 9 8 f, OTTO J K 0 2 , S t G B § 2 6 6 / 2 1 , KIETHE W M 2 0 0 3 S. 8 6 7 ff; KINDHÄUSER N K , § 2 6 6 R d n . 1 1 3 ; KNAUER N S t Z 2 0 0 2 S. 3 9 9 ; LASKOS
Die Strafbarkeit wegen Untreue bei der Kreditvergabe, 2001 S. 29 ff. - Zur Untreue durch Schmiergeldzahlungen: OLG Frankfurt NStZ-RR 2004 S. 244. 497
284
Vgl. BGHSt 34 S. 390; BGH wistra 1986 S. 25; BGH StV 2000 S. 490; BGH wistra 2003 S. 464.
Untreue und untreueähnliche Delikte
§54
3. Der Vermögensschaden Beide Untreuetatbestände setzen als Taterfolg einen „Nachteil" voraus, der in der Sache 32 mit dem Vermögensschaden i.S. des § 263 identisch ist. 498 Auch in der Verschleierung oder Verheimlichung von Vermögenspositionen des Berechtigten kann bereits eine Nachteilszufügung liegen (dazu BGHSt 47 S. 8 mit Anm. MOSENHEUER NStZ 2004 S. 179 ff, SALDITT NStZ 2001 S. 544; BGH NStZ 2004 S. 559). - Zur Nichtherausgabe von Provisionen und Kaufpreisnachlässen vgl. BGHSt 47 S. 295 mit Anm. OTTO JK 03, StGB § 266/23, RÖNNAU JuS 2003 S. 233 ff; BGH NJW 2002 S. 2801; RÖNNAU Kohlmann-FS, S. 239 ff.
Gleichwohl ergeben sich Besonderheiten: a) Als Nachteil ist auch die pflichtwidrig unterlassene Vermögensmehrung anzusehen. 499 b) An einem Nachteil fehlt es hingegen, wenn der verfügungsberechtigte Täter den Vermögensstand des Berechtigten pflichtwidrig mindert, aber jederzeit fähig und willig ist, aus eigenen flüssigen Mitteln die Vermögensminderung auszugleichen. 500 c) Bei der zweckwidrigen Verwendung öffentlicher Gelder, die zweckgebunden zugewiesen sind, sieht die Rechtsprechung in dieser Verwendung eine Vermögensschädigung; sie folgt insoweit den Grundsätzen der personalen Vermögenslehre. Hingegen soll es an einem Vermögensschaden fehlen, wenn der Haushaltsplan überschritten wird, die Mittel aber zum gleichen Zweck wie die zugewiesenen Mittel verwendet werden. 501 - Diese Differenzierung ist sachwidrig, denn die nicht zugewiesenen Mittel werden gleichfalls zweckwidrig verwandt. d) Entnahmen aus dem Vermögen einer GmbH, die als solche verschleiert werden, stellen nicht notwendig eine Vermögensschädigung der GmbH dar. Sie sind vielmehr als verdeckte Gewinnentnahmen zu interpretieren. Diese sind im Einverständnis mit den Gesellschaftern zulässig, soweit durch die Entnahme nicht eine konkrete Existenzgefahrdung für die Gesellschaft entsteht, was insbes. beim Angriff auf das durch § 30 GmbHG geschützte Stammkapital der Fall ist. 502
4 9 8
S o : G Ü N T H E R S K 11, § 2 6 6 R d n . 4 1 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 6 R d n . 1 7 ; S C H / S C H / P E R R O N § 2 6 6 R d n . 3 9 ; SCHÜNEMANN L K , § 2 6 6 R d n . 1 3 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 R d n . 5 9 .
499
Dazu BGHSt 31 S. 232; BGH wistra 1984 S. 109; BGH wistra 1989 S. 224; BGH NStZ 2003 S. 540.
500
Dazu BGH NStZ 1982 S. 331 f; BGH bei Holtz, MDR 1983 S. 281; BGH NStZ 1995 S. 233; vgl. fern e r : S C H Ü N E M A N N L K , § 2 6 6 R d n . 1 3 9 . - A . A . LABSCH w i s t r a 1 9 8 5 S . 6 ; S C H / S C H / P E R R O N § 2 6 6 R d n . 4 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 R d n . 7 5 .
501
Zur zweckwidrigen Mittelverwendung: BGHSt 40 S. 287, 291 ff mit Anm. HERDEGEN NStZ 1995 S. 202 f; BGH NStZ 1984 S. 549 m. Anm. OTTO JK, StGB § 266/4; BGH NStZ 1986 S. 455 f; OLG Hamm NStZ 1986 S. 119; BIENECK wistra 1998 S. 249 ff. - Zur Haushaltsüberschreitung BGHSt 43 S. 2 9 3 m i t A n m . BITTMANN N S t Z
1 9 9 8 S . 4 9 5 ff, B R A U N S J R
1 9 9 8 S . 3 8 1 ff, O T T O J K 9 8 , S t G B
§
2 6 6 / 1 7 ; B G H N J W 2 0 0 3 S . 2 1 7 9 m i t A n m . S C H Ü N E M A N N S t V 2 0 0 3 S . 4 6 3 ff; B E R G E R D e r S c h u t z ö f -
fentlichen Vermögens durch § 263 StGB, 2000, S. 187 ff; SAUGER ZStW 112 (2000) S. 589 ff. 502
Vgl. BGHSt 35 S. 333 mit Anm. OTTO JK 89, StGB 266/8, REIß wistra 1989 S. 81 ff, dazu auch KÜHNE Müller-Dietz-FS, S. 421 (a.A. noch BGHSt 34 S. 379 mit Anm. OTTO JK 88, StGB § 266/7, VORNEMANN GmbHR 1988 S. 329 ff); BGH wistra 1990 S. 99; BGH NJW 2000 S. 155; BGH StV 2 0 0 3 S . 5 6 0 m i t A n m . O T T O J K 0 4 , S t G B § 2 6 6 / 2 4 ; B G H N J W 2 0 0 4 S . 2 2 5 2 ff ( U n t r e u e i m K o n z e r n ) . - I m Ü b r i g e n v g l . B R A M M S E N D B 1 9 8 9 S . 1 6 0 9 ff; FLECK Z G R 1 9 9 0 S . 3 1 ff; D . G E E R D S J R 1 9 9 7 S . 3 4 0 f ; GEHRLEIN N J W 2 0 0 0 S . 1 0 8 9 f ; G R I B B O H M Z G R 1 9 9 0 S . 1 ff; H E L L M A N N w i s t r a 1 9 8 9 S . 2 1 4 ff; KINDHÄUSER N K , § 2 6 6 R d n . 1 0 5 f ; M Ü L L E R - C H R I S T M A N N / S C H N A U D E R J u S 1 9 9 8 S . 1 0 8 0 ff; RADTKE GmbHR
1 9 9 8 S . 3 1 1 ff, 3 6 1 f f , 3 6 4 ; S A U G E R Z S t W
1 1 2 ( 2 0 0 0 ) S . 5 6 6 ff; SCHÜNEMANN L K , § 2 6 6
Rdn. 125; ULMER Pfeiffer-FS, S. 853 ff; ZIESCHANG Kohlmann-FS, S 351 ff, 362 f. - Zur Untreue im
285
33 34
35
36
§54
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
37 e) Einen Vermögensschaden erleiden kann nur eine vom Täter verschiedene natürliche oder juristische Person. Bei verselbständigten Vermögensmassen (KG, OHG, BGB-Gesellschaft) kommt es darauf an, ob vom Täter verschiedene (Mit-) Träger der Vermögensmasse negativ betroffen sind. 503 4. Begrenzung des Artwendungsbereichs des § 266 38 Angesichts der mit der Bestimmung der Vermögensfursorgepflicht grundsätzlich verbundenen Schwierigkeiten erscheint es nach wie vor sinnvoll, zu erwägen, ob über die in Lehre und Rechtsprechung erörterten einschränkenden Kriterien hinaus der gesamte Untreuetatbestand nicht erheblich zu begrenzen wäre auf die Fälle, in denen der Täter die ihm rechtswirksam eingeräumte Befugnis fremdes Vermögen zu verwalten oder über fremdes Vermögen rechtswirksam zu verfügen, missbraucht. Hier besteht, insbes. im Verhältnis zu den Zueignungsdelikten, eine Strafbarkeitslücke, nicht aber dort, wo schon diese Delikte eingreifen. 504 39 Das Bedürfnis nach einer tatbestandlichen Begrenzung des § 266 wird besonders deutlich, wenn BGH und h.L. in der Veruntreuung eines auf betrügerische Weise erlangten Gegenstandes eine straflose Nachtat gegenüber dem Betrug sehen, obwohl offen bleibt, wie der über den Betrugsschaden hinausgehende Untreueschaden zu begründen ist. 505 5. Strafantrag und Strafzumessung 40 §§ 247, 248 a, die Regelbeispiele für besonders schwere Fälle des Betruges § 263 Abs. 3 und § 243 Abs. 2, gelten gemäß Abs. 2 entsprechend.
III. Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten, § 266 b 1. Das geschützte Rechtsgut 41 Geschütztes Rechtsgut des Tatbestandes ist das Vermögen. Dass der Tatbestand im Einzelfall - insoweit durchaus §§ 263, 266 vergleichbar - auch die Sicherheit und Funktionsfahigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs schützt, ändert nicht das Wesen des Delikts als Vermögensdelikt. 506 42 Sachlich handelt es sich bei § 266 b um die Wiederherstellung der Möglichkeit, einen Fall der Untreue in der Alternative des Missbrauchstatbestandes strafrechtlich zu ahnden, (faktischen) Konzern: BGH NJW 1997 S. 66 mit Anm. OTTO JK 97, StGB § 266/13; WELLKAMP NStZ 2001 S. 113 ff. 503
Vgl. BGHSt 34 S. 221 ff; BGH NStZ 1987 S. 279; BGH wistra 1991 S. 183; BGH StV 1992 S. 465; B G H w i s t r a 2 0 0 0 S. 1 7 8 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 RDN. 3 ; SCHULTE N J W 1 9 8 4 S. 1 6 7 1 . - A . A . GRÜNST
BB 2001 S. 1537 ff; SCHÄFER N J W 1983 S. 2850. - Zur Vor-GmbH: HENTSCHKE Der Untreueschutz der Vor-GmbH vor einverständlichen Schädigungen, 2002, S. 173 ff, 222. 504 505
506
Dazu HÜBNER LK, 10. Aufl., § 266 Rdn. 32; LABSCH Untreue, S. 302 ff; OTTO Struktur, S. 312 f. Vgl. dazu BGH wistra 1991 S. 218 mit Anm. OTTO JK 92, StGB § 266/11; BGH wistra 2001 S. 60. VGL
550
AUCH
GÖSSEL B . T . 2 , § 2 6 R d n . 2 0 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 b R d n . 1; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n .
a; MITSCH
B.T.
II/2,
§ 4
Rdn.
57;
OTTO wistra
1986
S. 152;
RANFT JUS
1988
S. 6 7 5 ;
TRONDLE/FISCHER § 266 b Rdn. 2; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 792. - Weiter (Vermögen und Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs): B G H NStZ 1993 S. 283; LACKNER/KÜHL § 266 b Rdn. 1; WEBER Dreher-FS, S. 563. - Nur den unbaren Zahlungsverkehr sieht als geschützt an: BERNSAU Der Scheck- oder Kreditkartenmißbrauch durch den berechtigten Karteninhaber, 1990, S . 63 ff.
286
Untreue und untreueähnliche Delikte
§54
nachdem die sachwidrige Erstreckung der Vermögensiursorgepflicht auf § 266 Abs. 1,1. Alt. - dazu vgl. Rdn. 4 ff - insoweit eine Strafbarkeitslücke begründet hatte. 507 2. Die Täterposition a) Als Täter kommt nur der berechtigte Karteninhaber in Betracht, denn nur diesem ist 43 durch die Überlassung eines Schecks oder einer Kreditkarte die Möglichkeit eingeräumt, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen. - Der Kartenmissbrauch durch nichtberechtigte Karteninhaber stellt in der Regel einen Betrug, § 263, dar. b) Aufgrund der dem Täter eingeräumten Vertrauensstellung ist die Tätereigenschaft be- 44 sonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1; vgl. dazu Rdn. 3. 3. Scheck- und Kreditkarten Als typisches Beispiel einer Scheckkarte war bis zum 1.1.2002 die Eurocheque-Karte an- 45 zusehen. 508 Ihre Garantiefunktion wurde jedoch zum 1.1.2002 aufgehoben. Damit ist die Eurocheque-Karte nur noch Zahlungskarte i.S. des § 152 a Abs. 4. Der Begriff ist aber für andere, neu zu entwickelnde Systeme offen. - Kreditkarten im Sinne des Gesetzes sind zunächst die Kreditkarten im Drei-Partner-System, z.B. American Express-Karte, Eurocard. Sie räumen dem Karteninhaber die Befugnis ein, den Aussteller zu einer Zahlung das ist nicht nur die Bargeldzahlung, sondern jegliche Geldleistung, insbes. im Verrechnungswege - zu veranlassen, d.h. dessen Garantieverpflichtung gegenüber einem Dritten auszulösen. Diese Eigenschaft fehlt den Karten im Zwei-Partner-System, z.B. den Karten der Kaufhäuser oder Autovermieter, da es sich hierbei lediglich um Ausweise über die zuvor erfolgte Bonitätsprüfung handelt, die es den Filialen des ausstellenden Unternehmens ermöglicht, Leistungen gegenüber dem Karteninhaber zu erbringen, ohne jeweils erneut die Kreditwürdigkeit prüfen zu müssen. 509 Gleichwohl erscheint eine Differenzierung nach den Kartensystemen mit der Kon- 46 sequenz, dass der Missbrauch der Karte im Zwei-Partner-System unter den schärferen § 263 fallt, nicht notwendig. Mit dem Wortlaut des Gesetzes ist die Interpretation, dass der Täter auch beim Missbrauch dieser Karten von der „eingeräumten Möglichkeit, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen", Gebrauch macht, noch vereinbar. 510
5 0 7
Vgl. dazu auch HIRSCH H. K a u f m a n n - G e d S , S. 152; LABSCH N J W 1986 S. 108; OTTO J Z 1985 S. 1009; TIEDEMANN J Z 1 9 8 6 S. 8 7 2 .
508
Eingehend zum eurocheque-System OTTO HWiStR: „Scheckkartenbetrug".
509
Vgl. dazu B G H bei Holtz, M D R 1989 S. 112; WEISENSEE Die Kreditkarte - ein amerikanisches Phänomen, 1970, S. 93 ff.
5 1 0
Vgl. B T - D r u c k s . 10/5058, S. 32; ARZT/WEBER B.T., § 2 3 R d n . 48; GRANDERATH D B 1986, Beilage 18, S. 9; HILGENDORF JUS 1 9 9 7 S. 135; OTTO w i s t r a 1 9 8 6 S. 152; DERS. J Z 1992 S. 1 1 3 9 f; RANFT J u S 1988 S. 6 8 0 f; DERS. N S t Z 1993 S. 185 f; SCHLÜCHTER Zweites G e s e t z zur B e k ä m p f u n g der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 112. - A . A . B G H S t 3 8 S. 2 8 1 ; ACHENBACH N S t Z 1993 S. 4 2 9 f; BERNSAU S c h e c k k a r t e n m i ß b r a u c h , S. 2 1 0 f; GÖSSEL B.T.2, § 2 6 R d n . 33; GRIBBOHM L K , § 2 6 6 b Rdn. 18; GUNTHER S K II, § 2 6 6 b R d n . 4; KINDHÄUSER S t G B , § 2 6 6 b R d n . 10; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 b R d n . 4; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 4 5 R d n . 7 7 ; MLTSCH J R 1 9 9 4 S. 8 8 5 f; DERS. B . T . 11/2, § 4 R d n . 7 0 ; RENGIER B . T . I, § 19 R d n . 4 ; SCH/SCH/PERRON § 2 6 6 b R d n . 5; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 6 6 b Rdn. 10.
287
§54
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
4. Tathandlung und Tatfolgen 47 a) Tathandlung ist der Missbrauch der mit der Überlassung der Scheck- oder Kreditkarte dem Täter eingeräumten Möglichkeit, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen. Das Missbrauchsmerkmal entspricht dem des § 266 Abs. 1,1. Alt. StGB. Es liegt vor, wenn der Täter - nach außen rechtswirksam - im Rahmen seiner Verpflichtungsbefugnis - im ZweiPartner-System: im Rahmen der ihm eröffneten Kreditmöglichkeiten - die ihm im Innenverhältnis vom Kartenherausgeber gesetzten Grenzen überschreitet und eine Zahlung herbeifuhrt oder eine Zahlungsverpflichtung begründet in einer Situation, in der er nach der vertraglichen Abmachung die Karte nicht nutzen darf. - Der typische Missbrauch der Kreditkarte liegt in der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder Waren unter Vorlage der Karte, obwohl der Täter weiß, dass er nicht in der Lage ist, sein Konto auszugleichen. Nicht tatbestandsmäßig ist der Verkauf der Karte durch den Berechtigten, um Kartenmissbräuche zu ermöglichen. 511 48 b) Streitig ist, ob der Missbrauch der Scheck- oder Kreditkarte als Codekarte, d.h. bei der Geldentnahme aus einem Geldautomaten unter § 266 b fällt. Dieses wird z.T. bejaht, wenn die Scheckkarte zur Bargelderlangung an Automaten fremder Geldinstitute genutzt werde, weil letztlich in diesen Fällen gleiches untreueähnliches Unrecht verwirklicht wird. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Karte hier nicht als Scheck- oder Kreditkarte, sondern aufgrund einer zufällig mit diesen Eigenschaften verbundenen Funktion genutzt wird. Damit begründet die Erfassung des Codekartenmissbrauchs unter § 266 b wenig überzeugende Differenzierungen, je nachdem, ob eine Karte benutzt wird, die nur die Funktion einer Codekarte hat, oder ob eine Scheck- bzw. Kreditkarte beim ausgebenden oder einem fremden Kreditinstitut genutzt wird. Sachgerechter, wenn auch das unterschiedliche Strafmaß nicht überzeugend gerechtfertigt werden kann, ist es daher, den Codekarten-Missbrauch grundsätzlich als Computerbetrug zu erfassen. 512 49 c) Der Kartenmissbrauch muss zu einem Schaden des Kartenausstellers geführt haben, und zwar zu einem Vermögensschaden. Der Gesetzgeber hat mit diesem Erfordernis klargestellt, dass - unabhängig von der Einordnung des Kartenmissbrauchs als Betrug oder Untreue - die Regelung des § 266 b StGB jene Lücke schließen soll, die bei der Anwendung dieser Bestimmungen - sei es angeblich oder realiter - offenbar wurde. Darüber hinaus begrenzt das Schadenserfordernis aber auch den Kreis der strafrechtlich relevanten Missbrauchsfälle. Entsprechend der Schadensbestimmung beim Untreuetatbestand ist nämlich auch hier der Schaden abzulehnen, wenn der Täter die Scheckkarte nutzt, obwohl sein Konto weder durch Guthaben oder Kredit gedeckt ist, er aber jederzeit willig und fähig ist, für Deckung zu sorgen; vgl. dazu Rdn. 34. - Bloße Vermögensgefährdungen genügen dem Schadenserfordernis nicht. 513 50
Bei der Verwendung der Kreditkarte stellt sich diese Problematik nicht in gleicher Weise, da es hier an einem Missbrauch fehlt, wenn der Karteninhaber bei Begründung der Verpflichtung davon ausgeht, dass er fur den Ausgleich seines Kontos sorgen kann. Nur dort ergibt sich die Problematik, wo dem Karteninhaber ein bestimmtes Limit gesetzt ist, das er nicht überschreiten darf. 5 1 1
V g l . B G H M D R 1 9 9 2 S. 3 2 1 m i t A n m . OTTO JK 9 2 , S t G B § 2 6 6 b / 2 . - A . A . MLTSCH JZ 1 9 9 4 S . 8 8 7 .
5 1 2
Vgl. dazu im Einzelnen § 52 Rdn. 44.
5 1 3
V g l . a u c h BERNSAU S c h e c k k a r t e n m i ß b r a u c h , S. 1 1 5 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 6 R d n . 4 5 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 b R d n . 6; KINDHÄUSER N K , § 2 6 6 b R d n . 3 1 ; RANFT JUS 1 9 8 8 S. 6 7 9 . - A . A . GRIBBOHM L K , § 2 6 6 b R d n . 3 6 ; SCH/SCH/PERRON § 2 6 6 b R d n . 10; TRONDLE/FISCHER § 2 6 6 b R d n . 1 8 .
288
Untreue und untreueähnliche Delikte
§54
5. Der subjektive Tatbestand Subjektiv fordert der Tatbestand Vorsatz des Täters. - Der Vorsatz - bedingter genügt - 51 muss das Bewusstsein des Missbrauchs der Möglichkeit, den Kartenaussteller zur Zahlung zu veranlassen, und die Schädigung des Vermögens des Kartenausstellers umfassen. Geht der Täter aufgrund konkreter Sachverhaltsgegebenheiten davon aus, dass das Konto Dekkung aufweist oder er ohne weiteres in der Lage ist, für Deckung zu sorgen, so fehlt es am Vorsatz, auch wenn es zum Schadenseintritt kommt. Allein vage Hoffnungen und Vermutungen, dass Deckung ermöglicht werden könne, schließen den Vorsatz hingegen nicht aus. 6. Antragserfordernis Abs. 2 erklärt § 248 a (Antragserfordernis bei geringem Schaden) fur entsprechend an- 52 wendbar. 7. Konkurrenzen a) Sonderregelung gegenüber §§ 263, 266 Aufgrund des auch im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck gekommenen Willens des 53 Gesetzgebers, durch den neuen Tatbestand die durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Anwendung des Betrugs- und des Untreuetatbestandes zum einen (Kreditkartenmissbrauch) eröffnete, zum anderen (Scheckkartenmissbrauch) befürchtete Strafbarkeitslücke zu schließen, ist § 266 b beim Kartenmissbrauch durch den berechtigten Inhaber als lex specialis gegenüber §§ 263, 266 anzusehen. 514 Die Sonderregelung greift auch bezüglich des Versuchs durch. Es ist nicht möglich, den nicht strafbaren Versuch des Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs als strafbaren Versuch des Betrugs oder der Untreue zu ahnden. 5 ' 5
b) Verhältnis zur deliktischen Erlangung der Karte Hat der Täter die Scheck- oder Kreditkarte im Drei-Partner-System bereits durch Täu- 54 schung über seine Zahlungswilligkeit und/oder -fahigkeit erlangt, so liegt in diesem Verhalten ein Betrug. Die Möglichkeit, den Kartenaussteller jederzeit nach eigenem Gutdünken mit einer Zahlungsverpflichtung belasten zu können, stellt eine Vermögensbelastung und damit ein Vermögensschaden dar; dazu unter § 51 Rdn. 142 f. 5 1 6 Bei der Erlangung einer Kreditkarte im Zwei-Partner-System ist eine über den Wert der Karte hinausgehende Schädigung abzulehnen, da diese Karte nicht die Möglichkeit einer Verpflichtung des Kartenausstellers unabhängig von seinem Willen eröffnet. 5 ' 7
514
So auch BGH NStZ 1987 S. 120; BGH NStZ 1993 S. 283; KG JR 1987 S.257; OLG Hamm MDR 1 9 8 7 S. 5 1 4 ; ARZT/WEBER B . T . , § 2 3 R d n . 5 3 ; GEPPERT J u r a 1 9 8 7 S. 1 6 5 ; GRIBBOHM L K , § 2 6 6 b R d n . 5 1 ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 5 5 0 f; M I T S C H B . T . II/2, § 4 R d n . 5 5 ; OTTO w i s t r a 1 9 8 6 S. 153.
- A.A. (Tatbestandsausschluss): GÖSSEL B.T.2, § 26 Rdn. 52. 5 1 5
V g l . a u c h KINDHÄUSER N K , § 2 6 6 b R d n . 3 8 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 b R d n . 9; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 b Rdn. 2 0 .
5 1 6
D a z u GRIBBOHM L K , § 2 6 6 b R d n . 5 2 f f ; KINDHÄUSER N K , § 2 6 3 R d n . 4 7 2 .
517
Vgl. auch BGH wistra 1989 S. 61 f.
289
§54
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
55 Gegenüber dem in der Erlangung der Karte liegenden Betrug stellt der Missbrauch der Karte eine mitbestrafte Nachtat dar. 518
IV. Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 3 1. Das geschützte Rechtsgut 56 Im Gegensatz zu § 266 a Abs. 1, 2, die das Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten schützen - dazu § 61 Rdn. 68 -, handelt es sich bei § 266 a Abs. 3 um ein Delikt gegen das Vermögen des Arbeitnehmers. 519 2. Die Täterposition 57 a) Täter kann nur der Arbeitgeber oder eine ihm gleichgestellte Person sein. - Die Täterposition charakterisiert jedoch nicht eine besondere Pflichtenstellung des Täters, sondern nur die Nähe zum geschützten Rechtsgut. Sie ist daher nicht besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. I. 5 2 0 58 Der Begriff des Arbeitgebers ist zivilrechtlich zu bestimmen, da der Tatbestand eine zivilrechtlich wirksame Lohnzahlungspflicht voraussetzt. - Maßgeblich sind die tatsächlichen Verhältnisse; dazu BGH NStZ 2001 S. 600. 59 b) Als Täter kommen demnach in Betracht: Arbeitgeber, d.h. nach §§611 ff BGB Dienstberechtigte, denen der Arbeitnehmer Dienste leistet und von denen er persönlich abhängig ist, Organe und Vertreter im Sinne des § 14 sowie nach Abs. 5 dem Arbeitgeber gleichgestellte Personen, die in §§ 1,2 HeimArbG näher beschrieben sind. 3. Die Tathandlung 60 Gegenstand der Tathandlung sind Teile des Arbeitsentgelts, die nicht unter Abs. 1 oder Abs. 3 S. 2 (Lohnsteuer) fallen, die der Arbeitgeber einbehält und die fur den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen sind. Die Pflicht zur Abführung kann privat- oder öffentlichrechtlich begründet sein. 61 Einbehalten sind Lohnteile, zu denen auch vermögenswirksame Leistungen gehören, wenn nur ein um die entsprechenden Teile gekürzter Lohn ausgezahlt wird. - Nicht gezahlt ist der Lohn, wenn die Zahlung nicht bei Fälligkeit erfolgt. 62 Zur Nichtzahlung des einbehaltenen Lohnes muss hinzukommen, dass der Arbeitgeber es unterlässt, spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich, d.h. ohne vorwerfbares Verschulden, den Arbeitnehmer von der Nichtzahlung zu unterrichten. Die Un518
Vgl. KÜPPER NStZ 1988 S. 61 f; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 117; SCH/SCH/PERRON § 266 b Rdn. 14. - A.A. (zum einen Idealkonkurrenz): BGHSt 47 S. 169 f; (zum anderen Realkonkurrenz): ARZT/WEBER B . T . , § 2 3 R d n . 5 4 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 6 R d n . 5 7 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 b R d n . 8 ;
LACKNER/KÜHL § 266 b Rdn. 9; WEBER JZ 1987 S. 216; (schließlich mitbestrafte Vortat): GRIBBOHM L K , § 2 6 6 b R d n . 5 5 ; MITSCH J Z 1 9 9 4 S. 8 8 4 . 519
Vgl. BT-Drucks. 10/5058 S. 31; OLG Celle NJW 1992 S. 190; GÜNTHER SK II, § 226 a Rdn. 3; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 1; MARTENS w i s t r a 1 9 8 6 S. 1 5 5 ; SCH/SCH/PERRON § 2 6 6 a R d n . 2. - I m
einzelnen zur Auseinandersetzung: TAG Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung sowie das Veruntreuen von Arbeitsentgelt, 1994, S. 33 ff. 5 2 0
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 2 ; SCH/SCH/PERRON § 2 6 6 a R d n . 2 0 . - A . A . ARZT/WEBER B . T . , § 2 3 R d n . 2 9 ; GRIBBOHM L K , § 2 6 6 a R d n . 8 5 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 a R d n . 5 7 ; KINDHÄUSER S t G B ,
§ 266 a Rdn. 4.
290
§55
Strafbare Vermögensgefährdung
terrichtung kann sowohl schriftlich, mündlich, ausdrücklich als auch konkludent geschehen. - Vollendet ist die Tat, wenn die Unterrichtung des Arbeitnehmers nicht bis zu diesem Zeitpunkt erfolgt ist. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Vorsatz muss nicht nur 63 die pflichtbegründenden Umstände, sondern auch das Bestehen der Zahlungspflicht selbst umfassen, da dem Täter ohne diese Kenntnis der soziale Sinngehalt seines Verhaltens nicht bewusst ist. 521 5. Konkurrenzen Verwirklicht die Tathandlung zugleich den Tatbestand des Betruges, so wird § 266 a kon- 64 sumiert. 522
§ 55 Strafbare Vermögensgefahrdung I. Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, § 284 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen,523 Dieses wird durch Glücksspiel gefährdet. Dieser strafrechtliche Schutz vor der Gefahrdung des eigenen Vermögens ist unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit schwersten Zweifeln ausgesetzt. Diese Zweifel gelten in gleicher Weise für sonst genannte Schutzgüter, nämlich die „wirtschaftliche Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft" und die Sicherung eines ordnungsgemäßen Spielablaufs 524 , da der Tatbestand nicht das Falschspiel erfasst und als Schutzvorschrift im Vorfeld des Falschspieles keineswegs ein Straftatbestand nötig wäre. Ein Ordnungswidrigkeitentatbestand entspräche der Verhältnismäßigkeit. Die Streichung des Tatbestandes insgesamt wäre daher zu begrüßen. So begründet die Vorschrift lediglich den Verdacht, dass hier staatliche Einnahmequellen strafrechtlich garantiert werden. 525 2. Die einzelnen
Tatbestandsmerkmale
a) Als Glücksspiel ist ein Spiel anzusehen, bei dem die Entscheidung über Gewinn und Verlust nach den Vertragsbedingungen nicht wesentlich von den Fähigkeiten und Kenntnissen und vom Grade der Aufmerksamkeit der Spieler bestimmt wird, sondern allein oder hauptsächlich vom Zufall. Erforderlich ist darüber hinaus ein Einsatz. - Der vereinbarte 521
Vgl. auch
LACKNER/KÜHL § 2 6 6
a
Rdn.
16; SCH/SCH/PERRON
§266
a
Rdn.
17. -
A.A.
TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 a R d n . 2 3 . 5 2 2
V g l . a u c h G Ü N T H E R S K II, § 2 6 6 a R d n . 5 8 ; KINDHÄUSER S t G B § 2 6 6 b R d n . 2 1 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 6 a R d n . 2 0 . - A . A . GRIBBOHM L K , § 2 6 6 a R d n . 1 1 0 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . I, § 4 5
Rdn. 71. 5 2 3
V g l . J O E C K S S t G B , § 2 8 4 R d n . 1; M E U R E R / B E R G M A N N J U S 1 9 8 3 S . 6 7 1 .
524
Vgl. einerseits BGHSt 11 S. 209; BayObLG NJW 1993 S. 2820 mit Aran. LAMPE JUS 1994 S. 737 ff; andererseits MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 44 Rdn. 2; WOHLERS NK, § 284 Rdn. 9.
525
1 2
Dazu auch LG München NJW 2004 S. 171; GÖHLER NJW 1974 S. 833, Fn. 127; HERZOG EzSt, StGB § 2 8 4 N r . 2 , S. 7 f f ; LAMPE G A
1 9 7 7 S . 5 5 ; LANGE D r e h e r - F S , S . 5 7 3 ff; DERS. G A
1953 S. 8 ff;
PETERS Z S t W 7 7 ( 1 9 6 5 ) S. 4 8 2 f; WRAGE Z R P 1 9 9 8 S . 4 2 9 .
291
3
§55
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Gewinn muss - wie auch der Einsatz - einen Vermögenswert haben, und zwar einen - nach den Verhältnissen der Durchschnittsspieler - nicht ganz unbedeutenden. 526 Beispiele: Roulette, Bakkara, Würfeln um Geld, Spiel am Geldspielautomaten, Poker u.Ä. - Lotterie und Ausspielung sind Glücksspiele, jedoch in § 287 speziell geregelt.
Sportwetten,527
Keine Glücksspiele sind Geschicklichkeitsspiele, bei denen Aufmerksamkeit und Fähigkeiten eines Durchschnittsspielers wesentlich über Gewinn und Verlust entscheiden. - Unterhaltungsspiele, bei denen Einsatz und Gewinn nach der Verkehrsanschauung und den Verhältnissen der Spieler unbeträchtlich ist52**; das sog. Hütchenspiel ist daher nach den konkreten Umständen zu beurteilen (BGHSt 36 S. 74 fl). - Strukturierte Kapitalmarktprodukte mit „Sportkomponente", wenn Kapital und marktüblicher Ertrag gesichert sind (dazu KESSLER/HEDA W M 2 0 0 4 S. 1812 ff).
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b) Öffentlich ist das Glücksspiel, wenn beliebigen Personen in erkennbarer Weise die Beteiligung ermöglicht wird. - Gemäß § 284 Abs. 2 gelten Glücksspiele in Vereinen oder geschlossenen Gesellschaften, in denen Glücksspiele gewohnheitsmäßig veranstaltet werden, als öffentlich. Gewohnheitsmäßig braucht nicht das Verhalten jedes einzelnen Spielers zu sein, es genügt, dass der Personenkreis aufgrund eines durch Übung ausgebildeten Hanges zum Glücksspiel zusammenkommt. c) Tathandlung ist nicht das Spielen selbst, sondern das Ermöglichen des Spieles als Veranstalter, Halter oder Bereitsteller von Spieleinrichtungen. Nach h.M. ist Veranstalter deijenige, der dem Publikum die Spielgelegenheit verschafft. Diese Definition bleibt jedoch zu ungenau, da es bei dem Veranstalter darauf ankommt, dass dieser nicht nur den Spielbetrieb ermöglicht, sondern auch regelt. Treffender ist es daher, als Veranstalter denjenigen anzusehen, „der die Herrschaftsgewalt über den Spielbetrieb ausübt" 529 , der „verantwortlich und organisatorisch den äußeren Rahmen für die Abhaltung des Spiels schafft" 530 . Als Halter ist dann deijenige anzusehen, der für den konkreten Spielverlauf verantwortlich ist und sich - je nach Spielart - in qualifizierter Form an diesem beteiligt, um das Spiel zu ermöglichen. 531 Bereitstellen ist ein Zur-Verfügung-Stellen von Spieleinrichtungen (Würfel, Karten, Spieltisch). d) Die behördliche Erlaubnis schließt den Tatbestand aus. Die Erlaubnis braucht nicht materiell fehlerfrei zu sein, wohl aber verwaltungsrechtlich bestandskräftig. Hat der Täter die Erlaubnis allerdings bewusst rechtswidrig erlangt durch Täuschung, Bestechung o.ä., 526 vgl. dazu im Einzelnen V. BUBNOFF LK, § 284 Rdn. 11 f; OTTO Jura 1997 S. 386 f. 5 2 7
Dazu B G H JZ 2 0 0 3 S. 858 mit Anm. BECKEMPER N S t Z 2004 S. 3 9 ff, LESCH J R 2 0 0 3 S. 344 ff, WOHLERS JZ 2 0 0 3 S. 860 ff; B a y O b L G N S t Z 2004 S. 445; O L G H a m m JR 2004 S. 4 7 8 mit Anm.
MEYER S. 447 ff; HEINE wistra 2003 S. 441 ff. - Zur Zulässigkeit staatlicher Beschränkungen der Durchführung von Sportwetten: EuGH NJW 2004 S. 139 mit Anm. HOELLER/BODEMANN S. 122 ff; B a y O b L G N J W 2004 S. 1057 f; vgl. auch BARTON/GERCKE/JANSSEN wistra 2004 S. 321 ff; HORN N J W 2004 S. 2 0 4 7 ff; RÜPING J Z 2 0 0 5 S. 238 f. - Eine Entscheidung des B V e r f G ist für 2 0 0 5 angekün-
digt; vgl. Handelsblatt v. 31.1.2005, Nr. 21, S. 1. 528
Zur Kettenbriefaktion vgl. BGHSt 34 S. 171 ffm. Anm. LAMPE JR 1987 S. 383 ff; v. BUBNOFF LK,
Vor § 287 Rdn. 4; OTTO in: Jacobs/Lindacher/Teplitzky, (Hrsg), Großkommentar zum UWG, 1991 ff, § 6 c Rdn. 7 ff; RICHTER wistra 1987 S. 276 ff. 529
MEURER/BERGMANN JuS 1983 S. 672.
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B a y O b L G N J W 1993 S. 2820; v . BUBNOFF LK, § 284 Rdn. 18; WOHLERS N K , § 284 Rdn. 39.
531
Im Einzelnen dazu BayObLG NJW 1993 S. 2820; V. BUBNOFF LK, § 284 Rdn. 19; LAMPE JuS 1994 S. 737 ff; MEURER/BERGMANN JUS 1983 S. 672; WOHLERS N K , § 284 Rdn. 43.
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Strafbare Vermögensgefahrdung
§55
so rechtfertigt sie sein Tun nicht, er kann sich nicht auf den formellen Rechtsschein berufen, da er selbst diesen arglistig herbeigeführt hat; vgl. dazu auch § 82 Rdn. 8 ff. e) Der Vorsatz - bedingter genügt - muss sich auf die Öffentlichkeit, die fehlende Erlaubnis 10 und die das Glücksspiel charakterisierenden Merkmale beziehen. 3. Werbung für das öffentliche Glücksspiel Abs. 4 stellt die Werbung für Glücksspiele nach Abs. 1 unter Strafe. - Werbung ist eine mit 11 Propagandamitteln betriebene Tätigkeit.
II. Qualifikationstatbestand, § 284 Abs. 3 Ein qualifizierter Fall des Glücksspiels nach Abs. 1 liegt vor, wenn der Täter ge- 12 werbsmäßig handelt - dazu § 41 Rdn. 21 - oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung - dazu § 41 Rdn. 63 - von Taten nach Abs. 1 verbunden hat.
III. Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel, § 285 Beteiligung heißt Teilnahme als Spieler, d.h. Teilnahme an der Möglichkeit von Gewinn 13 und Verlust.
IV. Unerlaubte Veranstaltung einer Lotterie oder Ausspielung, § 287 1. § 287 erfasst - aus historischen Gründen - Lotterie und Ausspielung als spezielle Glücksspiele. 2. Lotterie und Ausspielung sind Glücksspiele, bei denen einer Mehrzahl von Personen die Möglichkeit eröffnet wird, nach einen vom Unternehmen festgelegten bestimmten Plan gegen einen bestimmten Einsatz ein vom Eintritt eines zufalligen Ereignisses abhängiges Recht auf einen bestimmten Gewinn zu erwerben. - Lotterie und Ausspielung unterscheiden sich darin, dass der Gewinn bei der Lotterie stets in Geld, bei der Ausspielung in geldwerten Sachen oder Leistungen besteht. 532 3. Veranstalten ist die Eröffnung der Möglichkeit zur Beteiligung am Spiel nach festgelegtem Spielplan. Das Angebot des Abschlusses von Spielverträgen und die Annahme von Angeboten auf Abschluss derartiger Verträge sind typische Begehungsformen des Veranstaltens. - Zur Öffentlichkeit der Veranstaltung vgl. Rdn. 4. Das Spiel im privaten Kreis ist selbst dann nicht öffentlich, wenn gelegentlich ein Gast in den Kreis aufgenommen wird. 533 4. Gemäß Abs. 2 ist die Werbung für Veranstaltungen nach Abs. 1 unter Strafe gestellt. Zur Werbung vgl. Rdn. 11.
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Vgl. dazu RGSt 67 S. 398; OLG München NStZ-RR 1997 S. 327; V. BUBNOFF LK, § 287 Rdn. 2; OTTO Jura 1997 S. 386; WOHLERS NK, § 287 Rdn. 4. Vgl. auch FRUHMANN MDR 1993 S. 822 ff; SCHILD NStZ 1982 S.446 ff; SCHOENE NStZ 1991 469 f.
S.
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§55
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
V. Gefahrdung von Schiffen, Kraft- und Luftfahrzeugen, § 297 18 Die ursprünglich auf den Schutz des Eigentums von Reedern gerichtete Vorschrift ist durch das 6. StrRG grundsätzlich geändert und erweitert worden. Sie dient nunmehr dem Schutz des Schiffs-, Luft- und Kraftverkehrs gegen Gefahren, die aus der Beförderung von Bannware für das Beförderungsmittel, dessen Ladung und die für die Abwicklung des Verkehrs Verantwortlichen erwachsen. 534
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Vgl. dazu BT-Drucks. 13/8587, S. 46; 13/9064, S. 22 - Krit. zur Regelung: KRACK wistra 2002 S. 81 ff.
Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte
§ 56
Dritter Abschnitt Die Perpetuierungsdelikte § 56 Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte I. Der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte Im Gegensatz zu den Vermögensentziehungsdelikten, die eine reale Minderung des Vermögens eines anderen voraussetzen, liegt der Strafgrund der Perpetuierungsdelikte in der Beeinträchtigung des Vermögens dadurch, dass eine tatbestandsmäßige, rechtswidrig geschaffene Vermögenslage aufrechterhalten wird.
1. Die verschiedenen Tathandlungen Drei Arten der Schädigung des Berechtigten durch Aufrechterhaltung einer rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage erscheinen dem Gesetzgeber strafwürdig: a) Die Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage durch Verschaffung der Position des Täters des Vermögensentziehungsdelikts ohne Vermögensentziehung. b) Die Perpetuierung einer rechtswidrig geschaffenen Besitzlage durch Unterstützung des Vortäters in seinem Bestreben, aus der durch die Vortat erlangten Vermögensposition den materiellen Vorteil zu ziehen, der ihm am genehmsten ist. c) Die Sicherung der Stellung des Täters eines Vermögensentziehungsdelikts gegen Entziehung der Beute zugunsten des Berechtigten. 2. Die gesetzliche Regelung Im Gesetz selbst hat die Dreiteilung nur mittelbar Ausdruck gefunden. Der Gesetzgeber hat die beiden ersten Fallgruppen im Hehlereitatbestand zusammengefasst und die dritte Gruppe als Begünstigung selbständig pönalisiert. Darüber hinaus hat er in beiden Tatbeständen eine weitere Strafbarkeitsbegrenzung durch das Erfordernis bestimmter Einstellungen des Täters zu seinem Verhalten vorgenommen: Nur dann, wenn der Täter sich oder einen Dritten bereichern will, macht er sich einer Hehlerei schuldig. Die Begünstigung hingegen erfordert ein Handeln im Interesse des Vortäters. 3. Perpetuierungsdelikt und Vortat Da das Perpetuierungsdelikt notwendig ein Vermögensentziehungsdelikt voraussetzt, bedeutet das: a) Vortat eines Perpetuierungsdelikts kann nur ein Delikt sein, das fremde Vermögensinteressen verletzt hat, und zwar durch Entziehung jener Vermögensgüter, auf die sich das Perpetuierungsverhalten des Täters bezieht. In diesen Kreis gehören zunächst die Delikte gegen Vermögensinteressen im engeren Sinne, wie z.B. Betrug, Erpressung, Untreue, Unterschlagung, Diebstahl, Raub, Wilderei und - hier kommt Hehlerei an eigenen Sachen in Betracht - Pfandkehr, sodann aber auch jene Delikte, die neben einem vorrangig geschützten anderen Rechtsgut auch dem Schutz von Vermögensinteressen dienen, wie z.B. die Wirtschaftsdelikte. - Der Versuch eines einschlägigen Delikts genügt, soweit er bereits zu der rechtswidrigen Besitzlage geführt hat.
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§56 7
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Nach allgemeiner Ansicht 1 soll auch Hehlerei als Vortat genügen. Das ist im Ergebnis richtig, dennoch aber schief gesehen. Die Hehlerei als Vortat genügt nämlich nur, weil bereits diese Hehlerei die vor der ersten Hehlerei durch ein Vermögensentziehungsdelikt geschaffene rechtswidrige Vermögenslage aufrechterhält. Keine geeigneten Vortaten der Perpetuierungsdelikte sind hingegen: Meineid, Urkundenfälschung, Landfriedensbruch, Gewahrsams- oder Arrestbruch, Bestechung usw. In diesen Fällen ist die Vermögensentziehung nicht durch ein Vermögensentziehungsdelikt eingetreten, sondern durch ein Verhalten, das - je nach den Umständen mehr oder minder zufällig - mit der strafbaren Verletzung eines ganz anderen Rechtsguts zusammenfiel. - Steht dieses Delikt in Idealkonkurrenz mit einem Vermögensentziehungsdelikt, oder konsumiert es dieses, so ändert das an dem Vorliegen des Vermögensentziehungsdelikts nichts. Ein nicht gegen das Vermögen gerichtetes Delikt kann jedoch nicht Vortat eines Perpetuierungsdelikts sein, auch wenn es im Einzelfall einmal zu einer - als Vermögensentziehungsdelikt nicht strafbaren - Vermögensentziehung führt. Auch die herrschende Meinung zu § 259 erkennt bei jenen Delikten, die sich ausschließlich gegen öffentliche Interessen richten, an, dass diese Delikte, auch wenn sie im Einzelfall Vermögensinteressen berühren, nicht geeignete Vortaten eines Perpetuierungsdelikt sein können, weil nicht der Sachentzug unter Strafe gestellt ist. 2 Leider hält die herrschende Meinung die Unterscheidung nicht durch und argumentiert in Einzelfällen nicht mehr von der unter Strafe gestellten Sachentziehung her, sondern stellt auf die - unter Umständen zufällige Verletzung von Vermögensinteressen ab. Danach sollen z.B. Meineid (RGSt 6 S. 221), Urkundenfälschung, Nötigung (BGH bei Daliinger, MDR 1972 S. 571) geeignete Vortaten sein.3
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b) Durch die Neufassung des Gesetzes (EGStGB 1975) wurde die Absicht des Gesetzgebers deutlich, die Begünstigung - im Gegensatz zur Hehlerei - nicht als Vermögensdelikt zu interpretieren. Es wird nämlich im Tatbestand der Begünstigung im Gegensatz zu dem der Hehlerei keine Verletzung fremden Vermögens durch die Vortat vorausgesetzt, und die zu sichernden Vorteile brauchen keine Vermögensvorteile zu sein; gleichwohl verdient auch hier eine restriktive Interpretation des Gesetzes mit der Konsequenz, § 257 als Vermögensdelikt aufzufassen, den Vorzug; dazu unter § 57 Rdn. 1.
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c) Der Eigentumserwerb des Vortäters steht grundsätzlich weder einer Hehlerei noch einer Begünstigung entgegen. Auch der Betrug, durch den der Vortäter vollwirksam Eigentum an der erschlichenen Sache erlangt, kann daher Vortat eines Perpetuierungsdelikts sein. Wo das Gesetz hingegen den Eigentumserwerb derart billigt, dass es dem z.B. durch eine Unterschlagung Verletzten keine Möglichkeit gibt, im Rechtswege die betroffenen Sachen herauszuverlangen - Eigentumserwerb nach § 950 BGB sondern ihn auf Geldersatz verweist, fehlt es an der fiir Hehlerei und Begünstigung nötigen rechtswidrigen Besitzlage. Die Verarbeitung hat nach verständiger Wertung eine neue Sache entstehen lassen, die nicht mit dem „Makel einer rechtswidrigen Tat" belastet ist.
10 d) Das Perpetuierungsdelikt knüpft seinem Wesen nach an das Vermögensentziehungsdelikt an. - Daraus zieht die h.M. die Folgerung, die Vortat müsse rechtlich abgeschlossen sein, bevor das Perpetuierungsdelikt begangen werden kann. Das ist grundsätzlich richtig, doch bedarf die Art der Aufeinanderfolge je nach der Art der Anschlusstat der Präzisierung; dazu zur Begünstigung unter § 57 Rdn. 4 f; zur Hehlerei unter § 58 Rdn. 8.
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Dazu BGHSt 33 S. 48.
2
Z u r h . M . v g l . LACKNER/KÜHL § 2 5 9 R d n . 5 ; R u ß L K , § 2 5 9 R d n . 5 ; SCH/SCH/STREE § 2 5 9 R d n . 9 ;
ZÖLLER/FROHN Jura 1999 S. 379. - Weiter NELLES NK, § 259 Rdn. 6 (maßgeblich allein, ob dem Täter aus der Vortat eine Vermögenswerte Sache zugeflossen ist). 3
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Vgl. HOYER SK II, § 259 Rdn. 6; KINDHÄUSER StGB, § 259 Rdn. 11; RENGIER B.T. I, § 22 Rdn. 4; RUß LK, § 259 Rdn. 5. - Anders aber GÖSSEL B.T.2, § 27 Rdn. 11; LAUER MK, § 259 Rdn. 29 ff; MITSCH B.T.II/1, § 10 Rdn. 15; SlPPELNStZ 1985 S. 349.
Strafgrund und Systematik der Perpetuierungsdelikte
§56
4. Unrechtsbewusstsein des Täters der Vortat Nach dem Gesetzeswortlaut muss die Vortat eine rechtswidrige, daher eine tatbe- 11 standsmäßige, rechtswidrige, nicht notwendig schuldhafte Straftat sein. Problematisch ist die Frage, ob Unrechtsbewusstsein bei der Vortat vorauszusetzen ist. 12 Wird nämlich das Unrechtsbewusstsein mit dem Bewusstsein rechtswidrigen Verhaltens identifiziert und gemäß § 17 als Schuldelement angesehen, so ist dieses Unrechtsbewusstsein nicht Voraussetzung der Vortat. 4 - Sieht man hingegen in § 17 nur das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit im engeren Sinne des Bewusstseins formeller Rechtswidrigkeit gerade im Gegensatz zum Bewusstsein der materiellen Rechtswidrigkeit (Sozialschädlichkeit) erfasst und interpretiert das materielle Unrechtsbewusstsein als Element des Unrechtstatbestandes, 5 so erfordert die Hehlerei eine Vortat, die der Täter mit diesem Bewusstsein begangen hat, bzw. soweit eine fahrlässige Vermögensentziehung als Vortat in Betracht kommt, z.B. § 264 Abs. 3 (Leichtfertigkeit), die Möglichkeit des Täters, sich des materiellen Unrechts seiner Tat bewusst zu werden. 6 Das erscheint sachlich angemessen, denn die Hehlerei knüpft an die deliktische Ver- 13 mögensentziehung an und perpetuiert damit nicht nur die schlicht rechtswidrige Vermögensentziehung. Die deliktische Vermögensentziehung erhält ihren vollen Sinngehalt aber durch das Unrechtsbewusstsein des Täters des Vermögensentziehungsdelikts. 7
II. Die Systematik der Perpetuierungsdelikte 1. Der Täter sichert die Position des Vortäters gegen die Wiederherstellung des recht- 14 mäßigen Zustandes im Interesse des Vortäters: Begünstigung, § 257. 2. Der Täter verschafft sich oder einem Dritten die Stellung eines Vermögensentzie- 15 hungstäters oder hilft dem Vortäter beim Beuteabsatz, um sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen: a) Der Täter weiß, dass die Sachen durch eine strafbare Handlung erlangt sind: Hehlerei, 16 § 259 - Qualifizierungen: §§ 260, 260 a. b) Der Täter - Täterkreis begrenzt - verkennt fahrlässig, dass die Sachen - Edelmetalle und Edelsteine - durch strafbare Handlung erlangt sind: fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO.
4
V g l . B G H S t 4 S. 7 8 ; BERZ J u r a 1 9 8 0 S . 5 8 ; JESCHECK G A 1 9 5 5 S. 1 0 4 ; LAUER M K , § 2 5 9 R d n . 19 ff;
NELLES NK, § 259 Rdn. 5; ROTH Eigentumsschutz nach der Realisierung von Zueignungsunrecht, 1986, S. 125 ff; STREE J u S 1 9 6 3 S. 4 2 9 . 5
D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 7 R d n . 6 2 ff.
6
Im Ergebnis gleich: OLG Hamburg NJW 1966 S. 2228; BOCKELMANN NJW 1952 S. 852 f.
7
Dazu im einzelnen: OTTO Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 322.
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§57
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§ 57 Begünstigung I. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur 1
2
1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen ß Nach h.M. schützt § 257 nicht nur das Vermögen, sondern kumulativ das durch die Vortat beeinträchtigte Rechtsgut sowie die Rechtspflege in ihrer Funktion den gesetzmäßigen Zustand wiederherzustellen.9 Diese Interpretationen machen aus der Begünstigung ein in Angriffs- und Schutzrichtung farbloses, weitgehend unbestimmtes und kriminalpolitisch in Teilbereichen überflüssiges Delikt. - Der Gewinn hingegen ist gering, denn in der Regel der Fälle ist die Vortat in der Praxis ein Vermögensdelikt. Darüber hinaus bereitet die Anwendung des § 257 Abs. 4 dogmatische Schwierigkeiten, vgl. unter Rdn. 16. 2. Die Deliktsnatur Da der Eintritt des Erfolges der Hilfeleistung nicht vorausgesetzt wird, sondern als Hilfeleistung ein Verhalten angesehen wird, das objektiv geeignet ist, dem Vortäter die Vorteile der Vortat zu sichern - vgl. dazu im einzelnen Rdn. 6 -, handelt es sich bei der Begünstigung um ein abstraktes Gefahrdungsdelikt.10
II. Einzelheiten des Tatbestandes 1. Der objektive Tatbestand 3
a) Die Tathandlung knüpft an die rechtswidrige Tat eines anderen (Vortäter) an, die diesem - nach der hier vertretenen Ansicht - einen Vermögensvorteil gebracht hat. 4 Der Begünstigungserfolg, die Verbesserung der Täterposition gegen Entziehung des Vorteils zugunsten des Berechtigten, darf frühestens nach Vollendung der Vortat eintreten, auch wenn die Handlungen schon vorher vorgenommen wurden. Doch ist darüber hinaus zu fordern, dass die Tat auch beendet war, denn eine Unterstützung des Vortäters vor Beendigung der Vortat stellt sich als Beihilfe zu dieser Vortat dar, nicht aber als Begünstigung. 11 8
V g l . a u c h GEERDS G A 1 9 8 8 S. 2 6 3 ; OTTO Struktur, S. 2 4 7 ; WELZEL L b . , § 5 8 I.
9
Dazu vgl. AMELUNG JR 1978 S. 227 ff, inbes. S. 231; ARZT/WEBER B.T., § 27 Rdn. 1; GEPPERT Jura 1 9 8 0 S. 2 7 0 ; GOSSEL/DÖLLING B . T . l , § 6 6 R d n . 1; KINDHÄUSER S t G B , § 2 5 7 R d n . 1; KREY B . T . l , R d n . 6 2 9 f; LACKNERTKÜHL § 2 5 7 R d n . 1; MLTSCH B . T . I I / 1 , § 9 R d n . 4 ; RENGIER B . T . I, § 2 0 R d n . 2 ; RUß L K § 2 5 7 R d n . 2 ; SCH/SCH/STREE § 2 5 7 R d n . 1; TRÖNDLE/FLSCHER V o r § 2 5 7 R d n . 2 ; VOGLER
Dreher-FS, S. 414; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 802; ZIPF JuS 1980 S. 25. - Abweichend: SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 14 (geschützt: das Strafrecht selbst); SEEL Begünstigung und Strafvereitelung durch Vortäter und Vortatteilnehmer, 1999, S. 18 ff (Generalpräventive Wirkung des Strafrechts). 10
Vgl. auch BGH bei Holtz, MDR 1985 S. 447 mit Anm. GEPPERT JK, StGB § 257/2; GEERDS GA 1988 S. 259; KINDHÄUSER StGB, § 257 Rdn. 2.
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Str. - Wie hier: GEERDS v. Hentig-FS, S. 155 f; GEPPERT Jura 1994 S. 443; LAUBENTHAL Jura 1985 S. 632 f; SCH/SCH/STREE § 257 Rdn. 8; VOGLER Dreher-FS, S. 417. - Hingegen lassen im Zeitraum zwischen Vollendung und Beendigung der Tat den Willen des Helfenden entscheiden, ob sein Verhalten als Beihilfe oder Begünstigung zu beurteilen ist: BGHSt 4 S. 133; OLG Köln NJW 1990 S. 588; BAUMANN JuS 1963 S. 54. - Aufgrund der Ablehnung einer Beihilfe nach Vollendung der Tat sehen die Hilfeleistung nach Vollendung der Tat als Begünstigung an: ALTENHAIN NK, § 257 Rdn. 11; HOYER SK II, §
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Begünstigung
§57
Zur Verdeutlichung: Fall 1: Der Hundezüchter Α leiht dem Einbrecher Ε seine läufige Dackelhündin, damit diese ihre männlichen Artgenossen in den Villen, in die Ε einbricht, ablenkt.
5
Ergebnis: Beihilfe des Α zum Diebstahl des E, §§ 27, 242, 244 Abs. 1 Nr. 3. Fall 2: Als Ε aus einer Villa hinaus will, in der er eine goldene Taschenuhr gestohlen hat, lenkt Α den Wachhund des Villenbesitzers mit seiner Dackelhündin ab, so dass Ε gefahrlos entwischen kann. Ergebnis: Wie Fall 1: Diebstahl zwar formell vollendet, aber noch nicht materiell beendet. Fall 3: Als Α sieht, dass drei Stunden nach der Tat mit einem Polizeihund versucht wird, die Spur des Einbrechers Ε aufzunehmen, lenkt er den Hund mit seiner Dackelhündin ab, um Ε den Besitz der Beute zu erhalten. Ergebnis: Begünstigung des E, § 257. Fall 4: Wie Fall 3, aber Α hatte dem Ε diese Art der Vorteilssicherung schon vor der Tat versprochen. Ergebnis: Beihilfe des Α zum Diebstahl des E, §§ 27, 2 4 2 , 2 4 4 Abs. 1 Nr. 3. - Die - zugesagte - Hilfeleistung wirkt sich bereits auf die Tat aus und fördert diese.
b) Hilfeleisten ist ein Verhalten, das aus objektiver Sicht zur Vortatsicherung generell geeignet ist und das subjektiv darauf abzielt, die durch das Vermögensentziehungsdelikt begründete Position des Vortäters gegen die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes zu sichern. - Das Verhalten braucht nicht endgültig zum Erfolg zu führen, denn Hilfeleistung liegt bereits in jeder Förderung der Chancen des Täters, die Beute zu behaltend
6
2. Der subjektive Tatbestand a) Der zumindest bedingte Vorsatz muss die Vortat in ihren groben Zügen umfassen. Der Täter muss wenigstens eine allgemeine Vorstellung von der Art des Delikts haben. 14 b) Die Absicht, dem Vortäter die Vorteile der Tat zu sichern, soll nach h.M. zielgerichtetes Wollen sein. Dem Täter muss es auf den Erfolg ankommen, auch wenn er noch weitere Zwecke neben der Vorteilssicherung verfolgt. 15 Diese Differenzierung zwischen dem Täter, dem es darauf ankommt, dem Vortäter die Vorteile zu sichern, und jenem, der genau weiß, dass er dem Vortäter diese Vorteile si-
257 Rdn. 23; ISENBECK N J W 1965 S. 2326 ff; MLTSCH B.T.II/1, § 9 Rdn. 40; R u ß LK, § 257 Rdn. 5; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 804. 12 13
Vgl. B G H wistra 1994 S. 94. So auch BGHSt 4 S. 224; O L G Düsseldorf N J W 1979 S. 2320; CRAMER MK, § 257 Rdn. 16; GEERDS G A 1 9 8 8 S. 2 5 9 ; GEPPERT J u r a 1 9 8 0 S. 2 7 4 ff; KOPER B . T . , S. 192 f; LACKNER/KÜHL § 2 5 7 R d n . 3; LENCKNER N S t Z 1982 S. 4 0 3 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 101 R d n . 7 ; MlTSCH
B.T.II/1, § 9 Rdn. 32; VOGLER Dreher-FS, S. 421; WEISER Der Hilfeleistungsbegriff bei der Begünstigung, 1999, S. 98 ff, 270 f; ZLPF JuS 1980 S. 26 f. - A.A. zum einen: SEELMANN JuS 1983 S. 34 (subjektive Hilfeleistungstendenz genügt), zum anderen: HOYER SK II, § 257 Rdn. 18 (konkrete Erschwerung der Durchsetzung der Ansprüche des Berechtigten und graduelle Besserstellung des Vortäters); ZLESCHANG Die Gebietsordnungsdelikte, 1998, S. 333 (konkret gef. Verhalten). 14
Dazu O L G Hamburg N J W 1953 S. 1155; O L G Düsseldorf N J W 1964 S. 2123.
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Vgl. z.B. B G H S t 4 S. 108 ff; B G H StV 1993 S. 27; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 68 Rdn. 10; HRUSCHKA J R 1980 S. 2 2 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 5 7 R d n . 5; R u ß L K , § 2 5 7 R d n . 18; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 7 R d n .
10; ZlPFJuS 1980 S. 2 6 f.
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§57
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
chert, überzeugt nicht. Absicht i.S. des § 257 liegt daher vor, wenn der Täter die Vorstellung hat, die Vorteilssicherung werde die sichere Folge seines Verhaltens sein. 16 10 c) Die Absicht in diesem Sinne muss darauf gerichtet sein, dem Vortäter die Vorteile der Vortat, d.h. die unmittelbar durch die Vortat erlangten Vorteile gegen ein Entziehen zugunsten des Verletzten zu sichern. Der Begriff des Vorteils ist in wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu ermitteln, er ist nicht beschränkt auf eventuell unmittelbar durch die Vortat erlangte Objekte. Umwechseln von Geld, Einlösen von Schecks und Transferieren auf unterschiedliche Konten sind dann Handlungen zur Vorteilssicherung, wenn sie die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes verhindern oder erschweren können.' 7
11 Vorteilssicherung ist Sicherung gegen Wiederherstellung der rechtmäßigen Vermögenslage, z. B. durch Vereitelung des Zugriffs auf die Beute 1 8 oder der Rückforderung des Opfers 1 9 . - Bloßes Erhalten der Sache - der Täter verhindert die Vernichtung der Sache durch Dritte oder durch Naturgewalt -, Ermöglichung der Ziehung von Gebrauchsvorteilen - Reparatur der gestohlenen Uhr -, Verkauf oder Verzehr, sind nur dann Begünstigungshandlungen, wenn damit der drohende Zugriff durch den Berechtigten vereitelt werden soll. Deshalb kann die Rückveräußerung einer gestohlenen Sache in keinem Fall eine Vorteilssicherung darstellen. 20 - Stets setzt die Vorteilssicherung den Besitz des Vortäters voraus. 21 3. Die Selbstbegünstigung, § 257 Abs. 3 12 Die Selbstbegünstigung fallt nicht unter § 257 Abs. 1: „... einem anderen ...". - Klargestellt ist in Abs. 3, dass auch Mittäter und Teilnehmer an der Vortat nicht wegen Begünstigung strafbar sind, soweit sie nicht einen Tatunbeteiligten zur Begünstigung anstiften, § 257 Abs. 3 S. 2. 13 a) Die Straffreiheit der Selbstbegünstigung beruht auf der Einsicht, dass die Motivationskraft einer Strafhorm in der Situation der genannten Personen gering ist und die Gesamtsituation der einer Vortat und der mitbestraften Nachtat entspricht. - Dass der Bestrafung aus der Vortat u. U. prozessuale Hindernisse entgegenstehen, ändert die Sachlage nicht. 14 b) Die Strafbarkeit wegen Anstiftung eines Tatunbeteiligten zur eigenen Begünstigung ist mit dem Strafgrund der Teilnahme - mittelbare Rechtsgutsgefahrdung 22 - nicht in Einklang zu bringen. Zwar ist die Regelung kein Verstoß gegen die Logik des Gesetzes oder den
16
D a z u OEHLER N J W 1 9 6 6 S. 1637; SCH/SCH/STREE § 2 5 7 R d n . 2 2 - Z u r h . M . : ALTENHAIN N K , § 2 5 7
Rdn. 3 1 m.N. 17
Vgl. BGHSt 36, 277, 280 ff; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 68 Rdn. 7; KÜPER B.T., S. 194. - Enger: MITSCH B . T . I I / 1 , § 9 R d n . 5 2 f.
18
BGH wistra 1993 S. 17.
19
BGH StV 1994 S. 185.
2 0
V g l . a u c h ALTENHAIN N K , § 2 5 7 R d n . 3 2 ; HRUSCHKA J R 1980 S. 2 2 5 ; RUß L K , § 2 5 7 R d n . 11; SCH/SCH/STREE § 2 5 7 R d n . 2 4 . - A . A . GEPPERT J u r a 1 9 8 0 S. 3 2 8 f; SEELMANN JUS 1 9 8 3 S. 3 5 ;
STOFFERS Jura 1995 S. 123 f. 21
Vgl. dazu BGHSt 24 S. 166; BGH NStZ 1994 S. 187.
2 2
D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 2 R d n . 7 ff.
300
Hehlerei
§58
Schuldgrundsatz, wohl aber, gemessen an den Gründen, die zur Straflosigkeit der anderen Tatbeteiligten fuhren, eine grob sachwidrige Regelung.23
III. Die Regelung des § 257 Abs. 4 1. Das Antragserfordernis Das Antragserfordernis gemäß § 257 Abs. 4 S. 1 ist logische Folge des Bezugs der Be- 15 günstigung zur Vortat. 2. Die Anwendung des § 248 a a) Die sinngemäße Anwendung des § 248 a gemäß § 257 Abs. 4 S. 2 ist nach den hier ge- 16 setzten Prämissen unproblematisch. Es kommt nicht darauf an, dass die Vortat selbst unter § 248 a fallt, denn der Bezug zur Strafe der Vortat wird bereits durch § 257 Abs. 2 hergestellt. § 248 a findet vielmehr Anwendung, wenn der Vorteil aus dem Vermögensentziehungsdelikt geringwertig i.S. des § 248 a ist, d.h. letztlich, wenn sich die Vorteilssicherung auf einen geringwertigen Vermögensvorteil bezieht. 24 b) Nach den Prämissen der h.M., die § 257 nicht als Vermögensdelikt interpretiert, muss 17 § 248 a sinngemäß auf alle Vorteile, d.h. auch auf unbedeutende Vorteile nichtvermögensrechtlicher Art, angewendet werden. Damit steht der Begünstigende bei Nicht-Vermögensdelikten als Vortat erheblich günstiger als der Teilnehmer der Vortat, ohne dass für diese Differenzierung ein überzeugender Grund vorhanden wäre. Soweit versucht wird, dieser Konsequenz - entgegen den Prämissen in der Rechtsgutsbestimmung - auszuweichen und § 257 Abs. 4 S. 2 nur auf geringfügige Vermögensdelikte anzuwenden, wird letztlich § 257 Abs. 4 S. 2 ftlr überflüssig erklärt, denn durch den Bezug zur Strafe der Vortat gemäß Abs. 2 ist ein weiterer Bezug auf bestimmte Vortaten nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht angebracht. 2 -'
§ 58 Hehlerei I. Hehlerei, § 259 1. Das geschützte Rechtsgut und der Strafgrund Geschütztes Rechtsgut der Hehlerei ist das Vermögen. - Strafgrund ist die Aufrechterhaltung einer durch ein tatbestandsmäßig rechtswidriges Vermögensentziehungsdelikt geschaffenen rechtswidrigen Besitzlage im Einverständnis mit dem Vortäter. Die Gegenansicht - kumulativer Schutz von Vermögens- und allgemeinem Sicherheitsinteresse 2 ·' - hat die Eigenständigkeit des Sicherheitsinteresses bisher nicht Uberzeugend dargetan.
23
Dazu KINDHÄUSER StGB, § 257 Rdn. 29; KREY B.T.l, Rdn. 634; OTTO Lange-FS, S. 214; STREE JuS
2 4
S o a u c h ALTENHAIN N K , § 2 5 7 R d n . 4 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 5 7 R d n . 10; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . 2 , § 101 R d n . 13; MITSCH B . T . I I / 1 , § 9 R d n . 6 5 ; R u ß L K , § 2 5 7 R d n . 2 7 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 7 R d n . 14 a; VOGLER D r e h e r - F S , S. 4 2 0 . - A . A . STREE J u S 1 9 7 6 S . 139.
25
Anders aber STREE JUS 1976 S. 139.
1 9 7 6 S. 1 3 8 ; WOLTER J u S 1 9 8 2 S. 3 4 7 f.
2 6
V g l . B G H S t 7 S. 1 4 2 ; 4 2 , 199 f; GEPPERT J u r a 1 9 9 4 S. 1 0 0 ; HÖVER S K II, § 2 5 9 R d n . 2 ; KÜPER P r o -
bleme der Hehlerei bei ungewisser Vortatbeteiligung, 1989, S. 44 ff; LAUER MK, § 259 Rdn. 3; MITSCH B . T . I I / 1 , § 10 R d n . 3 ; RUDOLPHI J A 1 9 8 1 S. 4 f; SEELMANN JUS 1 9 8 8 S. 3 9 .
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1
§58
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
2. Täter und Tatsituation 2
a) Der Täter der Hehlerei Der Vortäter ist als Hehler nach dem Wortlaut des Gesetzes: „Wer eine Sache, die ein anderer ...", ausgeschlossen. Eindeutig ist damit auch, dass ein Mittäter der Vortat nicht durch die Erlangung seines Beuteanteils Hehlerei begeht, denn die Konstruktion der Mittäterschaft beruht auf der Vorstellung, dass in einem bestimmten Bereich mehrere Personen als eine einzige angesehen werden, so dass hier davon ausgegangen wird, alle Mittäter hätten durch die Tat Verfügungsmacht über die Beute erlangt, unabhängig davon, ob einer oder alle Mittäter die Beute oder Teile davon bei der Tat unmittelbar in Besitz genommen haben. Zur Ausnahme bei der sog. Postpendenzfeststellung vgl. unter § 59 Rdn. 5 f.
3
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Da nach der jetzigen Gesetzesfassung der Täter der Vortat schlechthin als Täter der Hehlerei ausgeschlossen ist, muss dies auch für den Fall gelten, dass der Mittäter der Vortat nach der Beuteteilung den Beuteanteil eines anderen Mittäters erwirbt oder nach Veräußerung der eigenen Beute diese vom Käufer zurückerwirbt. Auch in diesen Fällen handelt es sich um einen Erwerb des Täters der Vortat, d.h. jener Person, die fur die Vermögensentziehung und damit auch fur den rechtswidrigen Besitzzustand bereits wegen des Vermögensentziehungsdelikts haftet. 2 7 Offen lässt die Neufassung des Gesetzes jedoch die Streitfrage, ob Anstifter und Gehilfen der Vortat, die im Anschluss an die Vortat Hehlereihandlungen begehen, nicht nur der Teilnahme an der Vortat, sondern auch der Hehlerei schuldig sind. Einerseits haften die Teilnehmer der Vortat wegen der Vermögensentziehung, fur die sie mittelbar mitverantwortlich sind. Gerade dann, wenn es ihnen bereits bei der Teilnahme an der Vortat um den Besitz der Beute ging, ist ihre Verantwortung für die Herbeiführung des rechtswidrigen Besitzzustandes offensichtlich. Andererseits haben sie die Herbeiführung des rechtswidrigen Besitzzustandes nur gefördert, nicht selbst durchgeführt. Insofern bleibt ein gewisser Freiraum, der es konstruktiv ermöglicht, sie selbst wegen der Perpetuierung der rechtswidrigen Besitzlage neben der Verantwortung für die Vermögensentziehung haften zu lassen. 28 b) Die Vortat Die Vortat muss eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, auf Vermögensentziehung gerichtete, nicht notwendig schuldhafte Tat sein; dazu im einzelnen oben § 56 Rdn. 5 ff. c) Das Verhältnis der Vortat zur Hehlerei Das Gesetz fordert als Hehlereiobjekt eine Sache, die der Vortäter durch seine Vortat erlangt hat. Durch die Vortat erlangt ist die Sache, wenn der Täter, sei es auch nur als Mitgewahrsamsinhaber, sie in seine tatsächliche Sachherrschaft gebracht hat und zwar vor Beginn der Hehlerei.
2 7
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 5 9 R d n . 18; LAUER M K , § 2 5 9 R d n . 5 0 ; NELLES N K , § 2 5 9 R d n . 5 5 ; OTTO
Jura 1985 S. 152; RUß LK, § 259 Rdn. 41; TRÖNDLE/FISCHER § 259 Rdn. 26. - A. A. GEPPERT Jura 1 9 9 4 S. 103 f ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 7 R d n . 4 5 . 28
So auch BGHSt 7 S. 134; 22 S. 207; 33 S. 50; LACKNER/KÜHL § 259 Rdn. 18; LAUER MK, § 259 Rdn. 5 3 f f ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 9 R d n . 4 6 ; NELLES N K , § 2 5 9 R d n . 5 6 ; OTTO J u r a 1 9 8 5 S. 1 5 2 ; R u ß L K , § 2 5 9 R d n . 4 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 9 R d n . 2 6 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 8 8 4 . - A . A . HOYER S K II, § 2 5 9 R d n . 9 ; OELLERS G A 1 9 6 7 S. 15; SEELMANN J u S 1 9 8 8 S. 4 2 . -
Diff.: SCH/SCH/STREE § 259 Rdn. 56 f.
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Hehlerei
§58
Grundsätzlich besteht daher Übereinstimmung, dass die Vortat abgeschlossen sein muss, bevor die Hehlerei begangen werden kann. Dieser Grundsatz fuhrt aber nicht zwingend zu der Konsequenz, dass zeitlich ein Zwischenraum zwischen Vortat und Hehlerei liegen muss, auch wenn dies der Regelfall sein wird. Es genügt vielmehr, dass sich die Hehlerei bei wertender Betrachtungsweise deshalb als Anschlusstat an die Tat des Vortäters darstellt, weil sie gleichsam die Kehrseite dieser Tat ist, an deren Existenz angeknüpft wird. Genauso wie z.B. Übergabe und Annahme bei der Übereignung einen einheitlichen Vorgang bilden können, obwohl sie rechtlich gesehen aneinander anschließen, können auch Vortat und Hehlerei einen zugleich einheitlichen und dennoch aneinander anschließenden Akt bilden. Sie schließen nur unmittelbar aneinander an, es fehlt die dazwischenliegende zeitliche Zäsur. Gerade diese ist aber keineswegs erforderlich dafür, dass von einem Anschluss des einen an das andere gesprochen werden kann. - Ob die bei dem deliktischen Geschehen zusammenwirkenden Personen allerdings gemeinsam eine Vermögensentziehung durchfuhren oder der eine die Beute des anderen in Empfang nimmt, ist wertend zu ermitteln.
8
OLG Stuttgart JZ 1960 S. 289 mit Anm. MAURACH S. 290 f: Α hat eine Sache des X in Besitz. Β erkundigt sich, ob Α ihm diese veräußere. Α sagt zu und übergibt dem Β im selben Moment die Sache. OLG: A: Unterschlagung; B: Hehlerei. In der Übergabe der Sache liegt hier zugleich die Manifestation der Unterschlagung und, indem Β die Sache annimmt, der Beginn der Hehlerei. Wie bei der Übergabe und Annahme im Rahmen einer Übereignung fallen beide Rechtsakte zusammen. Das ändert jedoch nichts daran, dass der eine Akt Schlussakt einer bestimmten Rechtshandlung ist, an deren Ende der andere anknüpft. Genauso ist es in den Fällen, in denen der Vortäter mit der Hingabe der Sache seine Zueignungsabsicht manifestiert und damit das Vermögensentziehungsdelikt, hier die Unterschlagung, abschließt. Hingabe und Annahme fallen ohne zeitliche Zäsur zusammen, schließen aber sachlich aneinander an.
d) Die durch die Vortat erlangte Sache aa) Das Problem der Ersatzhehlerei Gegenstand der Hehlerei kann nur die unmittelbar aus der Vortat stammende Sache sein. Nur an dieser kann der rechtswidrige Besitzstand perpetuiert werden. - Der Ersatz für die durch die Vortat erlangte Sache, den der Täter im Austausch mit der Sache aus der Vortat erlangt hat, ist selbst nicht unmittelbar durch die Vortat erlangt. An diesem Objekt besteht keine rechtswidrige Besitzlage, die perpetuiert werden könnte. Eine Ausnahme gilt auch nicht für vertretbare Sachen·"* oder für gewechseltes Geld. Dagegen wird argumentiert, Geld sei als Wertsumme anzusehen, nicht aber als Sache.·'' Doch gerade wenn Geld keine Sache ist, so kann nach dem Wortlaut des Gesetzes § 259 auf Geld überhaupt nicht angewendet w e r d e n . Die durch die Straflosigkeit der Ersatzhehlerei begründeten Strafbarkeitslücken sind im übrigen geringer, als zum Teil behauptet w i r d , d e n n oftmals wird in der Erlangung der Ersatzsache - z.B. Kaufpreis aus dem
29
So auch ESER IV, Nr. 18 A 25 ff; GEERDS GA 1988 S. 255 Fn. 83; KÜPER Stree/Wessels-FS, S. 467 ff; OTTO Struktur, S. 327 ff; NELLES NK, § 259 Rdn. 13; RUDOLPHI JA 1981 S. 6; SCH/SCH/STREE § 259 Rdn. 15. - A.A. B G H StV 1996 S. 81 mit Anm. OTTO JK 96, StGB § 259/14; BGH StV 2002 S. 542; OLG Düsseldorf wistra 1990 S. 108; OLG Stuttgart NStZ 1991 S. 285; BERZ Jura 1980 S. 59; GEPPERT J u r a 1994 S. 101 f; LACKNER/KÜHL § 2 5 9 R d n . 6 ; LAUER M K , § 2 5 9 R d n . 4 0 ; RENGIER Β . Τ . I, § 2 2
Rdn. 6; TRÖNDLE/FISCHER § 259 Rdn. 10. 30
So aber GRIBBOHM N J W 1968 S. 240 f.
31
D. MEYER MDR 1970 S. 377 ff; ROXIN H. Mayer-FS, S. 472 ff; RUDOLPHI JA 1981 S. 4.
3 2
V g l . a u c h LAUER M K , § 2 5 9 R d n . 4 7 ; ROTH J A 1 9 8 8 S. 198; SEELMANN J u S 1988 S. 4 0 .
33
Vgl. KNAUTH N J W 1984 S. 2666 ff; gegen ihn ROTH N J W 1985 S. 2242 ff.
303
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
§58
Verkauf der gestohlenen Sache an einen Gutgläubigen - eine neue Straftat liegen, die Vortat der Hehlerei sein kann. Lediglich beim Wechseln von Geld oder Einzahlen von Geld auf ein Konto, von dem dieses später wieder abgehoben wird, treten wesentliche Strafbarkeitsltlcken auf.
11 bb) Die Verarbeitung der erlangten Sache Hat der Vortäter Formulare, z.B. Scheck-Formulare oder Reisepass-Formulare, erlangt und diese ausgefüllt, so sind nunmehr andere Sachen, nämlich Wertpapiere bzw. gefälschte Reisepässe entstanden. Damit sind die Objekte andere als die durch die Vortat erlangten Sachen geworden und können bei der Weitergabe nicht Gegenstand der Hehlerei sein. 34 3. Die einzelnen Tathandlungen 12 a) Verschaffen und Ankaufen Der Täter verschafft sich oder einem Dritten die Sache, indem er sich oder einem Dritten tatsächliche, selbständige Verfugungsmacht über die durch ein Vermögensentziehungsdelikt erlangte Sache im Einvernehmen mit dem jetzigen Sachherrn, im Regelfall dem Vortäter, einräumen lässt (derivativer Erwerb). 13 Das einverständliche Zusammenwirken zwischen Hehler und Vorbesitzer kennzeichnet die Perpetuierung der tatbestandsmäßigen, rechtswidrig geschaffenen Vermögenslage gerade als Gegensatz zu einer realen Entziehung eines Vermögensobjekts. Beide Angriffe auf das Vermögen schließen einander daher aus. Soweit hingegen durch dieses Erfordernis nur ein eigenmächtiges Handeln z.B. durch einen Diebstahl ausgeschlossen werden soll, bleibt das Merkmal farblos und in seinen Auswirkungen zufallig, so dass der Verzicht auf das Merkmal konsequent ist, 35 denn die Ergänzung des Perpetuierungsgedankens durch den Schutz allgemeiner Sicherheitsinteressen (Gefahrdungstheorie)36 fuhrt gleichfalls von der Eigenständigkeit des Perpetuierungsrechts fort. 14 Ankaufen - ein gesetzliches Beispiel fur ein Verschaffen - ist die Erlangung der tatsächlichen, selbständigen Verfugungsmacht durch Kauf. 15 An der selbständigen Verfugungsmacht des Täters fehlt es, wenn er vom Vortäter nur Mitverfugungsmacht mit diesem zusammen eingeräumt erhält oder der Vortäter ihm das Objekt zu einer einzigen ganz bestimmten Verfügung überlässt. Zur Verdeutlichung: aa) OLG Stuttgart JZ 1973 S. 739 mit Anm. LENCKNER S. 794 ff: A war Gesellschafter einer GmbH. In diese Gesellschaft wurden von anderen Gesellschaftern durch strafbare Handlungen erlangte Sachen eingebracht. Verfügungsmacht innerhalb der Gesellschaft hatten die Gesellschafter nur gemeinsam. OLG: Α haftet nicht wegen Hehlerei, denn er hat keine eigene, selbständige Verfügungsmacht an den Sachen erlangt. - Anders wäre es, wenn jeder Gesellschafter eigenständig über die Sache hätte verfügen können. 37 bb) BGH NJW 1952 S. 754: Β hat bei X Schnaps gestohlen. Er lädt den A, der von dem Diebstahl weiß, ein, mitzutrinken. Α tut dies. BGH: Keine Hehlerei des A, denn Α hat keine eigene, selbständige Verfügungsmacht erlangt.3® 34
Dazu BGH NJW 1976 S. 1950 mit Anm. D. MEYER MDR 1977 S. 372 ff; BayObLG JR 1980 S. 299 m i t A n m . PAEFFGEN S. 3 0 0 ff.
3 5
V g l . d a z u HRUSCHKA J R 1 9 8 0 , 2 2 2 ; DERS. J Z 1996 S. 1135 f; JOERDEN J u r a 1986 S. 81 f.
36
DazuRdn. 1.
37
Dazu BGH NJW 1988 S. 3108 mit Anm. GEPPERT JK 88, StGB § 259/8. - Vgl. auch BGH StV 1999 S. 604 mit Anm. O r r o JK 99, StGB § 259/19; BGH StV 2005 S. 87; LAUER MK, § 259 Rdn. 68. So auch BGH bei Holtz, MDR 1992 S. 320; GEERDS GA 1988 S. 256; Küper B.T., S. 261 f;
38
LACKNER/KÜHL § 2 5 9 R d n . 11; MlTSCH B . T . I I / 1 , § 10 R d n . 3 7 ; OTTO S t r u k t u r , S. 3 2 9 f f ; RUß L K , §
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c c ) B G H S t 2 7 S. 1 6 0 · ^ : Κ versetzte durch Betrug erlangte Haushaltsgeräte im städtischen Leihamt. Die Pfandscheine veräußerte er gegen Bezahlung an den A, der in Kenntnis des Sachverhalts Uber die Geräte zu eigenem Nutzen verfügen sollte. B G H : D e r Erwerb des Pfandscheins stellt ein Sichverschaffen der durch Betrug erlangten Sachen dar.''® Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn der Pfandschein durch strafbare Handlung, z . B . Diebstahl, erlangt worden wäre. Dann hätte der Pfandschein Gegenstand einer Hehlerei sein können. Die versetzten Obj e k t e hingegen wären durch Betrug beim Einlösen des Scheines erlangt worden.
Ein einverständlicher Erwerb der Verfiigungsmacht liegt auch vor, wenn der Täter die Sa- 16 che in Kenntnis des Sachverhalts von einem gutgläubigen Zwischenbesitzer erlangt, nicht aber, wenn er sie sich durch ein Vermögensentziehungsdelikt vom Vortäter oder ohne Kenntnis von der Vortat verschafft. dd) O L G Düsseldorf J R 1978 S. 4 6 5 : Der Dieb C schenkt der B , die nichts von dem Diebstahl weiß, einen Ring. Diese schenkt den Ring der A, die den Sachverhalt kennt. O L G Düsseldorf: Hehlerei der Α. Α verschafft sich die Stellung des Täters des Vermögensentziehungsdelikts ohne Vermögensentziehung durch derivativen E r w e r b . ' " ee) B G H G A 1967 S . 3 1 5 : Α erwarb von Β ein Autoradio, ohne zu wissen, dass dieses gestohlen war. Später erhielt er von dem Diebstahl Kenntnis. B G H : Als Α die Verfügungsmacht über die Sache erhielt, fehlte ihm der Vorsatz, sich eine durch strafbare Handlung erlangte Sache zu verschaffen. Nach Kenntnis verschaffte er sich j e d o c h nicht mehr die Verfügungsmacht, sondern hatte diese bereits. Zur Möglichkeit der Unterschlagung in derartigen Fällen vgl. § 4 2 Rdn. 2 4 . ff) B G H S t 4 2 S. 196: L hatte durch Betrug gegenüber einer Sparkasse 8 6 5 . 0 0 0 , - D M erlangt. A, dem L 5 0 0 . 0 0 0 , - D M schuldete, erfuhr dieses. Er forderte von L dieses Geld unter Hinweis darauf, dass er den L sonst wegen des Betruges anzeigen würde. L zahlte mit dem betrügerisch erlangten Geld. B G H : A: § 2 4 0 . - Dem ist zuzustimmen, denn Α erlangte das Geld durch eine Vermögensentziehung, nicht aber im einverständlichen Zusammenwirken mit L 4 2
b) Absetzen oder Absetzen helfen
17
aa) Absetzen ist die entgeltliche Übertragung der Verfiigungsmacht im Einverständnis und im Interesse des Vortäters auf einen Dritten durch den selbständig handelnden Täter. - Eine Rückübertragung auf den Eigentümer genügt diesen Erfordernissen nicht, da durch dieses Verhalten nicht die rechtswidrige Besitzlage perpetuiert wird. Absatzhilfe ist jede Unterstützung des Vortäters beim Absatz, den der Vortäter oder ein 18 anderer im Interesse des Vortäters vornimmt, z.B. Suchen eines Käufers, Aushandeln des Kaufpreises, Transport der Beute zum Käufer. - Selbständige Verfügungsmacht erfordert die Absatzhilfe jedoch nicht. Stets ist erforderlich ein Handeln mit Einverständnis und 2 5 9 Rdn. 2 1 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 9 Rdn. 15. - A . A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 9 Rdn. 3 1 ; NELLES N K , § 2 5 9 Rdn. 2 2 ; ROTH J A 1988 S . 2 0 3 ; SCH/SCH/STREE § 2 5 9 Rdn. 2 4 : Insichbringen ist die stärkste Form des Ansichbringens. 3 9
M i t z u s t . Anm. D. MEYER J R 1978 S. 2 5 3 ff, und krit. Anm. SCHALL N J W 1977 S. 2 2 2 1 f.
4 0
S o auch BERZ Jura 1 9 8 0 S. 6 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 9 Rdn. 3 0 ; ROTH J A 1988 S. 2 0 2 ; RUDOLPHIJA 1981 S. 9 1 . - A.A. GEERDSGA 1988 S. 2 5 5 f; SCHALLJuS 1977 S. 180.
41
Vgl. auch LACKNER/KÜHL § 2 5 9 Rdn. 7; OTTO Jura 1985 S. 149; SCH/SCH/STREE § 2 5 9 Rdn. 4 2 . - A.A. PAEFFGEN J R 1 9 7 8 S. 4 6 6 f; RUDOLPHI J A 1981 S. 6.
4 2
Im Einzelnen dazu OTTO J K 97, S t G B § 259/16; im Übrigen vgl. KREY/HELLMANN B . T . 2 , Rdn. 5 8 7 a; KÖPER B . T . , S. 2 6 5 ; LAUER M K , § 2 5 9 Rdn. 6 1 ; MLTSCH B.T.II/1, § 10 Rdn. 3 8 ; NELLES N K , § 2 5 9 Rdn. 16; OTTO Jura 1 9 8 8 S. 6 0 6 ff; RENGIER B . T . I, § 2 2 Rdn. 2 1 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 9 Rdn. 16; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 8 5 8 ; ZÖLLER/FROHN Jura 1999 S. 381 f. - A.A. LACKNER/KÜHL § 2 5 9 Rdn. 10; Ruß L K , § 2 5 9 Rdn. 17; SCH/SCH/STREE § 2 5 9 Rdn. 4 2 .
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
(nicht notwendig ausschließlich) im Interesse des Vortäters. Bei einem Handeln im Interesse Dritter, z.B. des Käufers oder des Absatzgehilfen, kommt Beihilfe zur Hehlerei des Dritten („Sich Verschaffen") in Betracht. Zur Verdeutlichung43: 19
Fall 1: Α und Ρ hatten Tabakwaren gestohlen. Diese brachten sie zu E, der zuvor versprochen hatte, das Diebesgut zu lagern, bis ein Kunde gefunden sei. Ergebnis: Α und Ρ sind wegen Diebstahls, Ε wegen Beihilfe zum Diebstahl zu bestrafen. 4 4 Fall 2: Wie in Fall 1, aber erst nach dem Diebstahl hatte Ε die Zusage gemacht. Ergebnis: Α und Ρ sind wegen Diebstahls zu bestrafen, Ε bleibt straffrei. Die bloße Lagerung ist noch keine Absatzhilfe. 4 ^ Fall 3: Wie in Fall 1, jedoch hatte Ε die Zusage gemacht, das Diebesgut selbständig zu veräußern. Ergebnis: Wie in Fall 2. - A.A. BGH, da er in der Übergabe der Beute an einen Verkaufskommissionär wenig überzeugend bereits ein Absetzen sieht, weil er diese Tätigkeit aus der Sicht des Vortäters bestimmt. 4 ® Fall 4: Wie in Fall 1, aber Ε hatte sich das Diebesgut gegen Bezahlung geben lassen, um darüber nach eigenem Gutdünken zu verfügen. Ergebnis: Α und Ρ sind wegen Diebstahls, Ε wegen Hehlerei (Ankaufen) zu bestrafen. Fall 5: Wie in Fall 1, Ε aber machte die Zusage, um die Beute zugunsten von Α und Ρ zu sichern. Ergebnis: Α und Ρ sind wegen Diebstahls, Ε wegen Begünstigung (§ 257) zu bestrafen. Fall 6: wie in Fall 1, aber Ε machte die Zusage und nahm Verhandlungen mit X auf, um ihm die Beute zu verkaufen. Ergebnis: Α und Ρ sind wegen Diebstahls, Ε wegen versuchter Hehlerei in Form der Absatzhilfe zu bestrafen; Str., vgl. sogleich unter Rdn. 20 ff. Fall 7: Wie in Fall 1, aber Ε hat die Beute fur X gelagert, der die Beute bereits von Α und Ρ erworben hatte. Ergebnis. Α und Ρ sind wegen Diebstahls, X wegen Hehlerei und Ε wegen Beihilfe zur Hehlerei des X zu bestrafen.
20 bb) Strittig ist, ob Absetzen und Absatzhilfe schon mit den auf Absatz gerichteten Handlungen vollendet sind oder die Vollendung den Eintritt des Absatzerfolges voraussetzt. 21 Dieser Streit ist mit einer Wandlung in der Interpretation des § 259 zu erklären. Das ursprünglich in § 259 enthaltene Verbot des „Mitwirkens zum Absatz" ging auf das Verbot des Beutehandels zurück. In dieser Alternative wurde nicht primär die Hilfe zur Verschaffung der Position des Diebes durch einen Dritten bestraft, sondern schon die Beteiligung an der auf diesen Erfolg gerichteten Handlung.
43
In Anlehnung an BGH NJW 1989 S. 1490.
44
So auch BGHSt 8 S. 392. - A.A. aber BGH NStZ 1996 S. 493 mit ANM. OTTO JK 97, StGB § 259/17.
45
Vgl. auch BGH NStZ 1993 S. 282; BGH NStZ 1994 S. 395 mit Anm. OTTO JK 95, StGB § 259/12; anders aber BGHSt 33 S. 47.
4 6
D a z u OTTO J K 8 9 , S t G B § 2 5 9 / 9 ; STREE J R 1 9 8 9 S. 3 8 4 ff.
306
Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§58
Wird nun - in Abkehr von dem historischen Ausgangspunkt - der einheitliche Straf- 22 grund des § 259 in der Herstellung der dem Täter des Vordelikts entsprechenden Stellung ohne Vermögensentziehung gesehen, bzw. in der Hilfeleistung bei einem derartigen Verhalten, so ist es konsequent, eine vollendete Tat erst mit Eintritt des Absatzerfolges zu bejahen. 47 Wird das vollendete Delikt schon in den auf Absatz gerichteten Handlungen gesehen, so fuhrt das - wie die Rechtsprechung des BGH zeigt - dazu, einen Versuch bereits weit im Vorfeld des Absatzes anzunehmen. 48 Daran ändert auch der dogmatisch wenig überzeugende Ausschluss von Fällen des untauglichen Versuchs des Absatzes aus der Deliktsvollendung nichts 4 9 4. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz - bedingter genügt - setzt die Kenntnis der Vortat in ihren groben Zügen 23 voraus und das Bewusstsein, die Verfügungsmacht in einverständlichem Zusammenwirken zu erlangen, d.h. das Wissen, dass die Tat keine Vermögensentziehung gegenüber dem Vortäter darstellt. - Bei Absatz und der Absatzhilfe ist außerdem das Wissen des Täters, die Interessen des Vortäters zu fordern, erforderlich. b) Die Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, entspricht der Bereicherungsabsicht 24 beim Betrug. Gegenstand der Bereicherung kann nur ein Vermögensvorteil sein. An diesem fehlt es beim Austausch gleichwertiger Leistungen, bzw. bei einem Kaufpreis, zu dem die gleiche Sache auch im Handelsverkehr erworben werden könnte. - Jedoch genügt es, wenn der Täter den üblichen Geschäftsgewinn anstrebt. 50 aa) Nach den Prämissen des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs muss die Absicht des 25 Täters dahin gehen, den Geldwert seines Vermögens zu erhöhen. Das bloße Haben von Sachen, die keinen Handelswert haben, stellt danach keinen Vermögensvorteil dar. - Nach den Grundsätzen des personalen Vermögensbegriffs stellt das Haben einer Sache, auch wenn diese keinen offiziellen Handelswert hat, einen Vermögensvorteil dar, wenn sie für den Täter Gebrauchsvorteile besitzt. Das gilt jedoch nicht für Objekte, die als solche nicht Gegenstand des Wirtschaftsverkehrs sein können. 51
47
So auch OLG Köln NJW 1975 S. 987 mit zust. Anm. KÜPER JuS 1975 S. 633 ff, und krit. Anm. FEZER N J W 1 9 7 5 S . 1 9 8 2 f; BERZ J u r a 1 9 8 0 S. 6 5 ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 5 9 1 ff; KÜPER N J W 1 9 7 7 S. 5 8 ; DERS. B . T . , S. 10; LACKNER H e i d e l b e r g - F S , S. 6 1 ; LAUER M K , § 2 5 9 R d n . 8 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 9 R d n . 3 4 ; NELLES N K , § 2 5 9 R d n . 2 6 , 3 3 ; RUDOLPHL J A 1981
S. 93; SEELMANN JUS 1988 S. 41; ZIESCHANG Schlüchter-GedS, S. 407 ff, 411. - A.A. BGHSt 27 S. 45; 3 3 S. 4 7 ; B G H M D R 1 9 9 0 S. 9 3 6 m i t a b l . A n m . GEPPERT J K 9 1 , S t G B § 2 5 9 / 1 1 ; ARZT/WEBER B . T . , § 2 8 R d n . 19; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 7 R d n . 4 2 f; D . MEYER J R 1 9 7 7 S. 8 0 f; MLTSCH B . T . I I / 1 , § 10 R d n . 51 f; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 9 R d n . 19a f; WESSELS/HLLLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 8 6 7 . 48
Vgl. BGH NStZ 1994 S. 395 mit Anm. OTTO JK 95, StGB § 259/12.
49
Vgl. dazu BGHSt 43 S. 110 mit Anm. ENDRIß NStZ 1998 S. 463 f, KRACK NStZ 1998 S. 462 f, OTTO JK 98, StGB § 259/18, ROSENAU NStZ 1999 S. 352 f, SEELMANN JR 1998 S. 342 f; BGH wistra 2000 S. 260; krit. dazu auch TRÖNDLE/FISCHER § 259 Rdn. 19c.
50
BGH GA 1978 S. 372; BGH bei Holtz, MDR 1981 S. 267.
51
Vgl. BGH GA 1986 S. 559 (Führerschein); BayObLG JR 1980 S. 299 mit Anm. PAEFFGEN S. 300 ff (Reisepaß). - A.A. BGH bei Holtz, MDR 1996 S. 118; LAUER MK, § 259 Rdn. 103, mit der Begründung, Bereicherungsabsicht liege vor, wenn der Täter beabsichtige, mit den fremden Ausweispapieren einen Betrug zu begehen. Damit ist jedoch nicht begründet, dass die Hehlerei auf Bereicherung gerichtet ist, sondern nur, dass spätere Taten Bereicherungsdelikte sein können; dazu vgl. auch OTTO JK 96, StGB §259/15.
307
§58
Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
26 bb) Der Vortäter kann nicht Dritter i.S. des § 259 sein. Das ergibt sich zwingend aus dem Wortlaut des Abs. 1, denn der dort als „anderer" bezeichnete Vortäter kann nicht zugleich Dritter sein. 52 27 cc) Die Bereicherung, d.h. der erstrebte Vorteil, braucht sich nicht unmittelbar aus der gehehlten Sache zu ergeben. Eine Belohnung für die Absatzhilfe genügt. 53 28 dd) Strittig ist, ob der erstrebte Vermögensvorteil rechtswidrig sein muss 54 oder nicht 55 . Die Frage ist zu verneinen, denn dass der Hehler unter Umständen einen Anspruch gegen den Vortäter hat, ändert das Perpetuierungsunrecht nicht. Hat der „Hehler" hingegen einen Anspruch auf Überlassung der Sache gegen das Opfer der Vortat, so fehlt es bereits an der Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage, da der Täter Anspruch auf den Besitz hat. 5. Konkurrenzen und Strafe 29 a) Die Anstiftung des Vortäters zur Hehlerei ist mitbestrafte Nachtat der Vortat. 30 b) Nach h.M. liegt neben der Hehlerei auch eine tatbestandsmäßige - allerdings von der Hehlerei konsumierte - Unterschlagung vor, wenn der Täter sich durch die Hehlerei die umfassende Sachherrschaftsposition verschafft. 31 Nach den hier entwickelten Prämissen ist das nicht haltbar. Die Unterschlagung als Vermögensentziehungsdelikt setzt eine reale Vermögensentziehung voraus. An dieser fehlt es jedoch. Die Redeweise von der angeblichen Vertiefung des Schadens des Vermögensentziehungsdelikts durch die Hehlerei verdeckt das nur: Die Sache ist dem Berechtigten durch das Entziehungsdelikt entzogen worden. Dieses „Loch in seinem Vermögen" wird durch anschließende Hehlereihandlungen keineswegs vergrößert! Hehlerei und Vermögensentziehungsdelikt in bezug auf dieselbe Sache durch dieselbe Person schließen einander aus. 56 32 c) Gemäß § 259 Abs. 2 sind §§ 247, 248 a entsprechend anwendbar. - Maßgeblich für die Anwendung des § 248 a ist der Wert der gestohlenen Sache, nicht aber der Vermögensvorteil des Hehlers, denn welchen Vorteil der Hehler hat, ist für die Situation des durch das Vermögensdelikt Betroffenen gleichgültig. Gegenstand der Perpetuierung, die den Strafgrund des Delikts bildet, ist die gehehlte Sache. Der Vorteilsabsicht kommt allein strafbegrenzende Funktion zu, die Rechtsgutsverletzung betrifft sie unmittelbar nicht. 57
52
So auch BGHZ JR 1996 S. 344 mit Anm. GEPPERT JK 95, StGB § 259/13, PAEFFGEN JR 1996 S. 346 ff; LACKNER/KÜHL § 2 5 9 R d n . 17; LACKNER/WERLE JR 1 9 8 0 S. 2 1 4 ff; LAUER M K , § 2 5 9 R d n . 1 0 9 ; WESSELS/HILLKENKAMP B . T . / 2 , R d n . 8 7 6 . - A . A . B G H N J W 1 9 7 9 S. 2 6 2 1 ; MITSCH B . T . I I / 1 , § 10 R d n . 6 2 ; SCH/SCH/STREE § 2 5 9 R d n . 5 0 .
53
So auch: BGH wistra 1983 S. 29; BERZ Jura 1980 S. 67; LAUER MK, § 259 Rdn. 105; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 3 9 R d n . 4 0 ; RUDOLPHI J A 1 9 8 1 S. 9 4 ; STREE JUS 1 9 7 6 S. 1 4 4 ;
TRÖNDLE/FISCHER § 259 Rdn. 23. - A.A. ARZT NStZ 1981 S. 13 f; SEELMANN JuS 1988 S. 41 f. 54
So ARZT NStZ 1981 S. 12 f; ROTH JA 1988 S. 259 f.
5 5
H . M . , v g l . : LACKNER/KÜHL § 2 5 9 R d n . 17; MITSCH B . T . I I / 1 , § 10 R d n . 6 3 ; R u ß L K , § 2 5 9 R d n . 3 7 ;
56
Eingehender dazu OTTO Jura 1988 S. 606 ff; DERS. Jura 2005 S. 100 ff.
SCH/SCH/STREE § 2 5 9 R d n . 4 9 .
57
So auch NELLES NK, § 259 Rdn. 49; RUß LK, § 2 5 9 Rdn. 44; STREE JuS 1976 S. 144 f; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 9 R d n . 2 4 . - A . A . LACKNER/KÜHL § 2 5 9 R d n . 2 2 .
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Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§59
II. Qualifikationstatbestände, §§ 260, 260 a 1. Gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei, § 260 Ein qualifizierter Fall der Hehlerei liegt vor, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt - dazu 33 § 41 Rdn. 21 - oder als Mitglied einer Bande - dazu § 41 Rdn. 61 -, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub, Diebstahl oder Hehlerei verbunden hat; dazu § 41 Rdn. 62. Allerdings setzt die Bandenhehlerei keinen Einsatz am Tatort voraus. 58 2. Gewerbsmäßige Bandenhehlerei, § 260 a Die gewerbsmäßige Bandenhehlerei ist - vergleichbar § 244 a im Diebstahlsbereich; dazu 34 § 41 Rdn. 69 - ein aus der Verbindung der Erschwerungsgründe des § 260 abgeleiteter, weiter qualifizierter Tatbestand.
III. Fahrlässige Hehlerei, § 148 b GewO In § 148 b GewO sind Fälle einer fahrlässigen Hehlerei unter Strafe gestellt. 35 Wird das Wesen der Hehlerei in der Kollusion zwischen Hehler und Vortäter gesehen, wobei die Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Besitzlage nur als Konsequenz dieser Kollusion erscheint, so ist der Schluss zwingend, diese Delikte als besondere Wirtschaftsdelikte zu interpretieren, die mit der Hehlerei nichts mehr zu tun haben. Es handelt sich dann um Vergehen, die die Vernachlässigung der Pflichten bestimmter Gewerbetreibender erfassen. - Wird hingegen als das wesentliche Moment des Hehlereidelikts die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Besitzstandes in scharfem Gegensatz zur Vermögensentziehung erkannt, so stellt sich die Kollusion zwischen Vortäter und Hehler lediglich als Folge der Tatsache dar, dass Fälle der Vermögensentziehung nicht von dem Tatbestand der Hehlerei erfasst werden. Dann aber fallt die Verwandtschaft der Hehlerei mit der sogenannten fahrlässigen Hehlerei sofort auf. Es handelt sich sachlich um einen Fall der Hehlerei, gekennzeichnet durch das Fehlen einer Vermögensentziehung, d.h. wiederum um den Fall einer Vermögensverschiebung, deren Strafgrund darin zu sehen ist, dass die durch strafbare Vermögensentziehung bewirkte Schädigung des Berechtigten weiter aufrechterhalten bleibt, wenn auch dem Täter hinsichtlich dieser Aufrechterhaltung nur Fahrlässigkeit zur Last fallt. 59
§ 59 Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte 1. Die Zulässigkeit der Wahlfeststellung Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist eine Wahlfeststellung dann zulässig, wenn die zur Wahl stehenden Verhaltensweisen rechtsethisch und rechtspsychologisch gleichwertig erscheinen. 60 Da im Bereich der Vermögensdelikte jedoch gerade die psychologische Verschiedenheit der einzelnen Angriffe gegen Vermögensobjekte zur Differenzierung der verschiedenen 58
59
Vgl. BGH S t v 1997 S. 247 mit Anm. MIEHE S. 248 f; im Übrigen vgl. BGH NStZ 1955 S. 85; BGH NStZ 1996 S. 495; BGH NStZ 2000 S. 473. Eingehender dazu OTTO Struktur, S. 244 f. Im Einzelnen zur Situation und den Voraussetzungen der Wahlfeststellung vgl. GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 4 R d n . 7 f f .
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§59
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Zweiter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Tatbestände geführt hat, dürfte - die Prämisse ernst genommen - im Bereich der Vermögensdelikte überhaupt keine Wahlfeststellung zugelassen werden, oder man gibt die rechtsethische und rechtspsychologische Gleichwertigkeit als Kriterium für die Zulässigkeit einer solchen Verurteilung auf. Die Rechtsprechung hat dies de facto seit langem getan, auch wenn sie an der Formel selbst festhält. 61 Wird jedoch das Erfordernis der rechtspsychologischen Vergleichbarkeit aufgegeben, so bestimmt sich die Zulässigkeit der Wahlfeststellung letztlich nach der Identität des Unrechtskerns. Diese Identität liegt vor, wenn sich ein deliktischer Angriff gegen dasselbe Rechtsgut oder ein Rechtsgut derselben Art, derselben Gattung richtet und der Handlungsunwert auf gleicher Ebene liegt. 62 Der Unrechtskern ist bei allen Vermögensdelikten identisch, denn diese Identität des Unrechtskerns ermöglicht die Zusammenfassung dieser Delikte in der Gruppe der „Vermögensdelikte". Damit ist grundsätzlich eine Wahlfeststellung zwischen den verschiedenen Vermögensdelikten zulässig. Dies gilt auch für die Vermögensdelikte, die neben dem Vermögen noch andere Rechtsgüter schützen, z.B. die Willensfreiheit, denn dieser Schutz steht nicht im gleichen Rang mit dem Vermögensschutz, wie die Einordnung dieser Delikte als Vermögensdelikte zeigt. Bei den Delikten, bei denen dem Schutz eines weiteren Rechtsguts erhebliche Bedeutung zukommt, wie z.B. dem Schutz der Willensfreiheit in den §§ 249 ff, 255, ist die Deliktsnatur zunächst auf das Vermögensdelikt zu reduzieren, wenn die Verletzung der anderen Rechtsgüter in der möglichen Alternative entfällt. a) BGHSt 25 S. 182 6 3 : Alternative Raub-Unterschlagung. - Zu verurteilen ist auf der wahldeutigen Grundlage „Diebstahl oder Unterschlagung". b) BGH NJW 1974 S. 804: Wahlfeststellung zwischen Betrug und Hehlerei zulässig. 6 4 c) OLG Köln GA 1974 S. 121 f: Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Unterschlagung zulässig. d) OLG Hamm NJW 1974 S. 1957: Wahlfeststellung zwischen Betrug und Unterschlagung zulässig. e) BGHSt 23 S. 3 6 0 6 5 : Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Begünstigung zulässig.
5
2. Postpendenzfeststellung bei der Hehlerei In Fällen, in denen zweifelhaft bleibt, ob der Täter eine Sache als Mittäter der Vortat, z.B. Diebstahl, Betrug, Erpressung, originär erlangt hat oder derivativ von einem Täter der
61
Dazu HRUSCHKA NJW 1973 S. 1804 f.
62
Dazu OLG Saarbrücken NJW 1976 S. 67 f; BayObLG MDR 1977 S. 860 mit Anm. HRUSCHKA JR 1 9 7 8 S. 2 6 ff; i m Ü b r i g e n v g l . DEUBNER J u S 1 9 6 2 S. 2 1 ff; DERS. N J W 1 9 6 7 S. 7 3 8 f; DREHER M D R 1 9 7 0 S. 3 6 9 ff; FLECK G A 1 9 6 6 S. 3 3 6 ; HARDWIG E b . S c h m i d t - F S , S. 4 8 4 A n m . 2 8 ; HRUSCHKA N J W 1 9 7 3 S . 1 8 0 4 f; JAKOBS G A 1 9 7 1 S. 2 7 0 ; LÖHR JUS 1 9 7 6 S . 7 2 0 ; OTTO P e t e r s - F S , S . 3 9 0 f; SAX J Z
1965 S. 748; TRÖNDLE JR 1974 S. 133 ff. - Differenzierend: GÜNTHER Verurteilungen im Strafprozeß trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel, 1976, S. 218 ff, der nach dem graduellen Unwert unterscheiden will, und MONTENBRUCK Wahlfeststellung und Werttypus im Strafrecht und Strafprozeßrecht, 1976, S. 384, der aus den zur Wahl stehenden Tatbeständen einen gemeinsamen weiteren Tatbestand bilden und sodann anwenden will. 6 3
M i t A n m . HRUSCHKA N J W 1 9 7 3 S. 1 8 0 4 f, TRÖNDLE J R 1 9 7 4 S. 133 ff.
64
Dazu OLG Saarbrücken NJW 1976 S. 65; GÜNTHER JZ 1976 S. 665 ff.
6 5
M i t A n m . S C H R Ö D E R J Z 1 9 7 1 S. 141, H R U S C H K A N J W 1 9 7 1 S. 1 3 9 2 ff.
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Die Wahlfeststellung im Bereich der Vermögensdelikte
§59
Vortat erworben hat, bejahen BGH und ein Teil der Lehre eine Hehlerei im Wege der sog. Postpendenzfeststellung. 66 Diese Auffassung ist abzulehnen, denn ihre Prämisse, die Nachtat stehe in jedem Falle fest, zweifelhaft sei nur die Beteiligung an der Vortat, ist unrichtig. Zweifelhaft ist nämlich, ob der Täter sich durch Vermögensentziehung oder Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage die Sache verschafft hat. Damit aber ist zweifelhaft, ob er den Tatbestand der Vortat oder den der Hehlerei verwirklicht hat. Auch hier greifen sachgerecht die Grundsätze der Wahlfeststellung durch. 67 - Beim Alleintäter lehnt auch der BGH die Verurteilung wegen Hehlerei im Wege der Postpendenzfeststellung ab. 68
66
Vgl. BGHSt 35 S. 86; BGH NJW 1989 S. 1867; BGH NStZ 1989 S. 574; GEPPERT JK 89, StGB § 1/7; HRUSCHKA J Z 1 9 7 0 S. 6 4 0 f; JOERDEN J Z 1 9 8 8 S. 8 4 9 ; KÖPER L a n g e - F S , S. 6 5 ff; DERS. P r o b l e m e d e r
Hehlerei mit ungewisser Vortatbeteiligung, 1989, mit Bespr. GÖSSEL GA 1990 S. 318 ff; RJCHTER Jura 1994 S. 132 f; RUDOLPHI SK II, Anh. zu § 55 Rdn. 24 f; WOLTER NStZ 1988 S. 456 ff. 67
Vgl. BGHSt 23 S. 360; FRISTER NK, Nach § 2 Rdn. 68 ff; OTTO JK 88, StGB § 1/5 und 10; RUß LK, § 259 Rdn. 41 a; TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 1 Rdn. 67 m.w.N.; WALPER Aspekte der strafrechtlichen Postpendenz, 1999, S. 131 ff.
68
Vgl. BGH NJW 1990 S. 2476. 311
6
Dritter Teil Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit Erstes Kapitel Delikte gegen nichtstaatliche überindividuelle Rechtsgüter Erster Abschnitt Delikte gegen die Wirtschaftsordnung § 60 Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht 1. Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsdelikte In der Auseinandersetzung um den Begriff der Wirtschaftskriminalität wurde auch in der Bundesrepublik Deutschland dem täterbezogenen Aspekt zunächst größere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Ergänzung und Ersetzung dieses Gesichtspunkts in den verschiedenen Definitionsvorschlägen deckte jedoch bald die Grenzen dieser Betrachtungsweise, aber auch die Vielschichtigkeit der hinter dem Begriff verborgenen Problematik, auf. Es zeigte sich, dass ein einziger Begriff der Wirtschaftskriminalität den unterschiedlichen Erkenntniszielen überhaupt nicht gerecht werden konnte, dass es zumindest - bedingt durch die Verschiedenheit der Ziele und Betrachtungsweisen des Erkenntnisgegenstandes - drei verschiedene Begriffe der Wirtschaftskriminalität geben muss. 2 Einer kriminologischen und kriminalsoziologischen Betrachtungsweise ist ein mehr täterorientierter Begriff der Wirtschaftskriminalität angemessen. - Im Vordergrund kriminaltaktischer und strafprozessualer Überlegungen steht hingegen die schwierige und umfangreiche Aufklärung und Aburteilung des strafbaren Verhaltens. Die Tatsache, dass dabei wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse notwendig sind, erhält damit in einer kriminaltaktisch relevanten Definition der Wirtschaftskriminalität besondere Bedeutung. Rechtsdogmatisch hingegen fuhren die kriminologischen, kriminalsoziologischen und kriminal- sowie verfahrenstaktischen Ansätze nicht weiter. Für ein Strafrecht, das auf Erhalt des Rechtsfriedens durch den Schutz bestimmter Rechtsgüter gegen bestimmte Angriffe abzielt, ist sowohl eine täterorientierte wie auch eine primär auf Schadenshöhe und Aufklärungserfordernisse bezogene Betrachtungsweise nicht von Gewinn, da von hierher keine systematisch erfassbaren Einsichten in das Wesen der Wirtschaftskriminalität zu erlangen sind. Sie eröffnen sich erst, wenn es gelingt, als Wirtschaftskriminalität einen von anderen strafwürdigen Rechtsgutsbeeinträchtigungen abgehobenen Rechtsgüterangriff und seine Modalitäten zu erfassen und damit einen eigenständigen Unrechtsgehalt zu beschreiben und strafrechtlich sachgerecht zu würdigen. Diesem Erfordernis können allerdings Definitionen des Begriffs, die wesentlich auf die wirtschaftlich schädliche oder die schlicht wirtschaftsbezogene Verhaltensweise der Wirtschaftskriminalität abstellen, nicht genügen. Der wirtschaftliche Bezug des sozialschädlichen Verhaltens kennzeichnet kein spezifisches Unrecht, das sich von anderen rechtswidrigen strafwürdigen Verhaltensweisen abhebt. Erst der Bezug des Verhaltens auf die Verletzung von überindividuellen (sozialen) Rechtsgü1
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Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht
§60
tern des Wirtschaftslebens ermöglicht die Erfassung eines spezifischen Unrechts, das sich deutlich vom Unrecht einer beliebigen Vermögensschädigung unterscheidet. Von diesem Ausgangspunkt her lassen sich als Wirtschaftsdelikte jene Verhaltensweisen bestimmen, die das Vertrauen in die geltende Wirtschaftsordnung insgesamt oder in einzelne ihrer Institute verletzen und damit den Bestand und die Arbeitsweise dieser Wirtschaftsordnung gefährden. - Die Verwirklichung dieser Delikte macht die Wirtschaftskriminalität aus.1 2. Das Wirtschaftsstrafrecht Da der Begriff der Wirtschaftskriminalität nicht nur durch die wirtschaftlich schädliche Verhaltensweise dieser Kriminalität konkretisiert wird, kann auch das Wirtschaftsstrafrecht nicht schlicht als das Strafrecht erfasst werden, das in bezug zu wirtschaftlichen Vorgängen steht oder sich gegen wirtschaftlich schädliches Verhalten richtet. Ein derartiger Begriff könnte wiederum kriminologische oder kriminaltaktische Bedeutung haben, rechtsdogmatisch aber wäre er unbrauchbar. Als Wirtschaftsstrafrecht im eigentlichen Sinne sind nur die Tatbestände anzusehen, die in erster Linie die Wirtschaftsordnung und ihr Funktionieren schützen sollen. Das sind zunächst einmal Normen staatlicher Wirtschaftslenkung und -Ordnung, wie z.B. das Wirtschaftsstrafgesetz oder das Außenwirtschaftsgesetz, dann aber jene Normen, die die wirtschaftliche Betätigung sowie die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Wirtschaftsgütern regeln. Da jedoch auch bei Angriffen gegen individuelle Rechtsgüter, insbesondere bei Angriffen gegen das Vermögen, Teilbereiche der Wirtschaftsordnung betroffen werden können, wird deutlich, dass auch Nonnen, die in erster Linie dem Schutz individueller Rechtsgüter dienen sollen, wie z.B. dem Betrugs- und dem Untreuetatbestand, gleichfalls Bedeutung bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität zukommen. Dies gilt besonders für die Fälle quantitativ massierter Deliktsbegehung und bei schweren Vermögensschädigungen gegenüber wirtschaftlichen Unternehmen. Insofern sind wirtschaftsstrafrechtliche Normen zwar Tatbestände, die auf Abwehr von Wirtschaftskriminalität gerichtet sind, doch darüber hinaus realisieren auch weitere Tatbestände diesen Zweck in erheblichem Umfang. 2 3. Die Gestaltung der Wirtschaftsstraftatbestände Da die einzelnen Angriffe auf die Wirtschaftsordnung und ihre Institute durch Verletzung jener Normen, die sie konstituieren, nicht zu naturwissenschaftlich messbaren Schäden fuhren, bieten weder Verletzungsdelikt noch konkretes Gefahrdungsdelikt die angemessene Deliktsform, um den angestrebten Schutz der Rechtsgüter zu realisieren. Das dem überindividuellen Rechtsgut und dem Angriffsobjekt als geistigen Gebilden entsprechende Mittel des strafrechtlichen Schutzes ist das abstrakte Gefahrdungsdelikt. 3 Der mit der Schaffung abstrakter Gefahrdungsdelikte stets verbundenen Gefahr einer Ausdehnung des Strafrechts in den nicht mehr strafwürdigen und strafbedürftigen Bereich hinein, kann der Gesetzgeber in verschiedener Weise begegnen:
Im Einzelnen dazu und zur Auseinandersetzung: D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, 1990, S. 5 ff, 15 ff; OTTOZStW 96 (1984) S. 339 ff. Dazu im Einzelnen: ARZT/WEBER B.T., § 19 Rdn. 15; BOTTKE wistra 1991 S. 1 ff, 52 ff, 81 ff; GEERDS Kriminalistik 1968 S. 234; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 54 Rdn. 1; OTTO ZStW 96 (1984) S. 349; STEINKE NStZ 1994 S. 168 ff; TLEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, 1976, S. 54 f. Dazu BRAUNECK Allgemeine Kriminologie, 1974, S. 34 f; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 40 ff; OTTOZStW 96 (1984) S. 362 f; TIEDEMANN Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, S. 41 f.
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§61
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
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a) Die Strafbarkeit des abstrakt gefährlichen Verhaltens kann an bestimmte konkret gefahrliche Situationen geknüpft werden, sog. Krisensituationen, wie sie der Gesetzgeber z.B. in den Konkursdelikten (Überschuldung, eingetretene oder drohende Zahlungsunfähigkeit) ausgebildet hat. 8 b) Eine weitere Möglichkeit der Strafbarkeitsbegrenzung ist das zusätzliche Erfordernis eines besonderen Erfolgsunwertes, z.B. einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit. 9 c) Schließlich kann das Tatverhalten in die Nähe einer Vermögensverletzung oder konkreten Vermögensgefahrdung gebracht oder auf solche Verhaltensweisen beschränkt werden, die regelmäßig auch zum Eintritt eines Vermögensschadens fuhren, um den Bereich der Strafbarkeit zu begrenzen. 4
§ 61 Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch I. Versicherungsmissbrauch, § 265 1. Das geschützte Rechtsgut 1 Geschütztes Rechtsgut ist die soziale Leistungsfähigkeit der Versicherer. Dem damit verbundenen Vermögensschutz kommt nicht die Bedeutung eines eigenständigen Rechtsguts zu. 5 - Mit der Neufassung des § 265 durch das 6. StrRG wird kein betrügerisches Verhalten in § 265 unter Strafe gestellt, sondern die vorsätzliche Auslösung des Versicherungsfalles. 2
2. Tatobjekt und Tathandlung Versichert ist eine Sache, wenn sie Gegenstand eines formgültig zustande gekommenen Versicherungsvertrages geworden ist, unabhängig davon, ob der Vertrag anfechtbar oder z.B. wegen absichtlicher Überversicherung nichtig ist. Auch in diesem Falle besteht die Gefahr, dass die Versicherung zu Unrecht in Anspruch genommen wird. Darüber hinaus soll es nach h.M. auch unerheblich sein, ob der Versicherer nach § 39 Abs. 2 VVG wegen Verzugs des Versicherungsnehmers von seiner Leistungspflicht frei geworden ist. Dem kann nicht gefolgt werden, soweit fur den Versicherer offensichtlich ist, dass die Leistungspflicht nicht besteht. In diesem Falle ist auch eine abstrakte Gefahrdung nicht gegeben. 6 4
Eingehender dazu OTTO ZStW 96 (1984) S. 363 ff.
5
So auch TLEDEMANN LK, Nachtrag § 265 Rdn. 11; WOLFF Die Neuregelung des Versicherungsmißbrauchs (§ 265, § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 StGB), 2000, S. 52. - A.A.: Vermögen und soziale Leistungsfähigkeit: HÖRNLE Jura 1998 S. 176; KRETS Strafrechtliche Erfassung des Versicherungsmißbrauchs nach dem Sechsten Strafrechtsreformgesetz, 2001, S. 21 ff, 28; LACKNER/KÜHL § 265 Rdn. 1; MLTSCH B.T.II/2, § 3 Rdn. 111; RÖNNAU JR 1998 S. 442; WESSELS/HLLLENKAMP B.T./2, Rdn. 652. - Nur Ver-
mögen: BRÖCKERS Versicherungsmißbrauch, 1999, S. 94; ENGEMANN Die Regelung des Versicherungsmißbrauchs (§ 265 StGB) nach dem 6. Strafrechtsreformgesetz, 2000, S. 69; GEPPERT Jura 1998 S. 363; HEFENDEHL Kollektive Rechtsguter im Strafrecht, 2002, S. 264 ff; HELLMANN NK, § 265 Rdn. 15; RENGIER B.T. I, § 15 Rdn. 2; SCHRÖDER Versicherungsmißbrauch - § 265 StGB, 2000, S. 106 f f Für Unanwendbarkeit des § 265 im Falle eines nichtigen Versicherungsvertrages: HELLMANN NK, § 2 6 5 R d n . 2 1 ; TlEDEMANN L K , § 2 6 5 R d n . 12. 6
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V g l . HELLMANN N K , § 2 6 5 R d n . 2 1 ; RANFT J u r a 1 9 8 5 S. 3 9 5 ; DERS. S t V 1 9 8 9 S . 3 0 1 ; SCH/SCH/PERRON § 2 6 5 R d n . 6 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 5 R d n . 12. - A . A . B G H S t 3 5 S. 2 6 1 ; ENGEMANN R e g e l u n g , S. 8 8 f; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 3 R d n . 8 ; KRETS E r f a s s u n g , S. 7 9 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 5 R d n . 2 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 6 5 3 .
Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch
§61
Versichert sein muss die betroffene Sache gegen Untergang, Beschädigung, Beeinträchtigung der Brauchbarkeit, Verlust oder Diebstahl. Eine Versicherung gegen andere Risiken genügt nicht. Tathandlungen sind die Beschädigung - dazu vgl. § 47 Rdn. 5 f -, die Zerstörung - dazu vgl. § 47 Rdn. 10 f - die Beeinträchtigung der Brauchbarkeit, d.h. die Beeinträchtigung der Funktionsfahigkeit ohne Substanzverletzung, das Beiseiteschaffen, d.h. das Verbringen des Tatobjekts in eine tatsächliche oder rechtliche Lage, in der der Versicherung der Zugriff unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert ist, 7 sowie das Überlassen der Sache an andere, d.h. das Übertragen der Sachherrschaft auf andere Personen oder das Zulassen der Herrschaftsbegründung durch andere Personen. 3. Der subjektive Tatbestand Der Täter muss vorsätzlich handeln, bedingter Vorsatz genügt, und in der Absicht, sich oder einem Dritten Leistungen aus der Versicherung zu verschaffen. Der Täter selbst wird grundsätzlich keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung haben, § 61 VVG. Ob der Dritte einen Anspruch auf die Versicherungsleistung hat oder nicht, ist dagegen irrelevant.
3
4
5
4. Der Versuch Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. - Obwohl die Tat sehr früh vollendet ist, hat der Gesetz- 6 geber keine Möglichkeit der strafbefreienden tätigen Reue vorgesehen. Diese Entscheidung des Gesetzgebers in Kenntnis der Problemlage steht einer analogen Anwendung des § 306 e entgegen. 8 5. Konkurrenz zu § 263 Soweit der Täter später einen Betrug oder versuchten Betrug verwirklicht, ist § 265 subsidiär. Das gilt auch, wenn der Betrug gegenüber dem Versicherungsmissbrauch eine selbständige Tat darstellt.9
7
II. Subventionsbetrug, § 264 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse an einer sachgemäßen staatlichen Wirtschaftsförderung. Dem damit verbundenen Vermögensschutz kommt nicht die Bedeutung eines eigenständigen Rechtsguts z u 1 0 - Die Tat ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. 11 Das kann auch durch den Versicherten erfolgen; vgl. GEPPERT Jura 1998 S. 384; TLEDEMANN LK, N a c h t r a g § 2 6 5 R d n . 7 ; TRONDLE/FISCHER § 2 6 5 R d n . 6 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 6 5 4 . -
Enger: LACKNER/KÜHL, § 265 Rdn. 3; MITSCH B.T.II/2, § 3 Rdn. 123: Verbringen aus dem räumlichen Herrschaftsbereich des Versicherungsnehmers. V g l . a u c h LACKNER/KÜHL § 2 6 5 R d n . 5 ; RÖNNAU J R 1 9 9 8 S. 4 4 6 ; SCHRÖDER
Versicherungsmiß-
brauch, S. 145; TlEDEMANN LK, Nachtrag § 265 Rdn. 13; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 656. A.A. GEPPERT Jura 1998 S. 385; KINDHÄUSER StGB, § 265 Rdn. 9. Vgl. BGHSt 45 S. 211, 214 f; BGH NStZ 1999 S. 243; BRÖCKERS Versicherungsmißbrauch, S. 164; LACKNER/KÜHL § 2 6 5 R d n . 6 , MITSCH Z S t W 111 ( 1 9 9 5 ) S. 1 1 8 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 5 R d n . 17;
WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 652.
Vgl. BT-Drucks. 7/5291, S. 3; sowie - z. T. mit stärkerer Betonung des Vermögensschutzes - D. GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S. 2 4 4 f f ; GÖHLER/WILTS D B 1 9 7 6 S. 1 6 0 9 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 R d n .
1; MITSCH B.T.II/2, § 3 Rdn. 37; SCH/SCH/PERRON § 2 6 4 Rdn. 4; TIEDEMANN LK, § 2 6 4 Rdn. 11;
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8
§61
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
2. Subvention und subventionserhebliche Tatsachen a) Den Begriff der Subvention umschreibt Abs. 7. 12 - Folgende Erfordernisse müssen erfüllt sein: 10 aa) Leistungen aus öffentlichen Mitteln, d.h. Leistungen, die dem Staat, einer öffentlichrechtlichen Körperschaft oder Institution oder einer zwischenstaatlichen Einrichtung zur Verfugung stehen. 11 bb) Grundlagen der Leistungen müssen Vergabevorschriften aus dem Recht des Bundes, der Länder - einschließlich des Rechts der Gemeinden - oder der Europäischen Gemeinschaften sein. Es genügt der globale Ansatz in einem Haushaltsgesetz. 9
Nach dem Willen des Gesetzgebers fallen allerdings Leistungen aufgrund steuerrechtlicher Vorschriften nicht unter Abs. 7. - In diesem Bereich haben die Regelungen des Steuerrechts ausschließlich Bedeutung.'·'
12 cc) Die Leistungen müssen wenigstens zum Teil ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt werden. - Das ist dann der Fall, wenn die Leistung nach ihrem objektiven Wert nicht dem entspricht, was nach den konkreten Verhältnissen des betreffenden Marktes üblicherweise für die Leistung aufgewendet werden muss. 13 dd) Die Leistung muss wenigstens zum Teil zur Förderung der Wirtschaft dienen. Es genügt jedoch, dass die Wirtschaftsförderung einer neben anderen Zwecken ist. Leistungen zur Förderung der Forschung, Bildung oder kultureller Einrichtungen fallen daher genausowenig unter den Begriff wie die sog. Sozialsubventionen (z.B. Sozialhilfe, Kindergeld, Wohngeld).
14 ee) Leistungen nach Bundes- oder Landesrecht müssen einem Betrieb oder Unternehmen gewährt werden, Leistungen nach EG-Recht können auch an Private erfolgen. Betrieb ist eine auf Dauer angelegte organisatorische Zusammenfassung von persönlichen und sächlichen Mitteln zur Erreichung eines - nicht unbedingt wirtschaftlichen - Zwecks ohne Rücksicht auf die Rechtsform, z. B. auch Reparaturwerkstätten, Handelsgeschäfte, Geldinstitute, Arzt- und Anwaltspraxen. - Dem Unternehmen kommt gegenüber dem Betrieb nur insoweit Eigenständigkeit zu, als es ein Komplex von mehreren Betrieben sein kann.
15 b) Die in Abs. 1 genannten Tathandlungen (Täuschung, Unterlassung vorgeschriebener Angaben usw.) sind nur relevant, soweit sie sich auf subventionserhebliche Tatsachen gemäß Abs. 8 beziehen.
WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 680. - A.A. Staatliches Vermögen: GÖSSEL B.T.2, § 23 Rdn. 30; HACK Probleme des Tatbestands Subventionsbetrug, § 264 StGB, 1982, S. 19; HEFENDEHL Rechtsgüter, S. 376 f; RANFT JUS 1986 S. 447 ff; SANNWALD Rechtsgut und Subventionsbegriff § 264 StGB, 1982, S. 5 9 , 6 5 ff, 8 9 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 1 / 9 6 f; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 4 R d n . 2 a . 11
Str., w i e h i e r : BERZ B B
1 9 7 6 S . 1 4 3 6 ; HEINZ G A
1 9 7 7 S. 2 1 0 ; MITSCH B . T . I I / 2 , § 3 R d n .
36;
SCH/SCH/PERRON §264 Rdn. 5; TRÖNDLE/FISCHER § 264 Rdn. 4. - A.A. BT-Drucks. 7/5291, S. 5: Konkretes Gefährdungsdelikt; GÖHLER/WILTS DB 1976 S. 1613: Abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt; TIEDEMANN LK, § 264 Rdn. 17: Tätigkeitsdelikt. 12
Im Einzelnen zum Begriff der Subvention: EBERLE Der Subventionsbetrug nach Paragraph 264 StGB Ausgewählte Probleme einer verfehlten Reform, 1983, S. 22 ff; JARASS JuS 1980 S. 115 ff; SANNWALD Rechtsgut, S. 76 f; G. SCHMIDT GA 1979 S. 121 ff; Tiedemann LK, § 264 Rdn. 25 ff; VOLK in: BELKE/OEHMICHEN (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität, 1983, S. 82 ff.
13
BT-Drucks. 7/5291, S. 11; dazu auch GÜNTHER SK II, § 264 Rdn. 30; MÜLLER-EMMERT/MAIER NJW
14
D a z u a u c h GÖHLER/WILTS D B 1 9 7 6 S . 1 6 1 1 ; LACKNER/KÜHL § 11 R d n . 15; MÜLLER-EMMERT/MAIER N J W 1 9 7 6 S. 1 6 5 8 ; SCH/SCH/PERRON § 14 R d n . 2 8 / 2 9 ; TRÖNDLE/FISCHER § 14 R d n . 8.
1 9 7 6 S . 1 6 5 7 ff; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 R d n . 1 6 4 f.
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Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch
§61
Gemäß Abs. 8 Nr. 1 sind dies zunächst die durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes 16 vom Subventionsgeber ausdrücklich als subventionserheblich bezeichneten Tatsachen; dazu auch § 2 SubvG. - Es muss sich um klar und unmissverständlich auf den konkreten Fall bezogene Angaben handeln. 15 Gemäß Abs. 8 Nr. 2 werden sodann ergänzend die materiellen Voraussetzungen der 17 Vergabe oder Rückforderung einer Subvention als „subventionserheblich" erklärt, soweit ein Gesetz im materiellen Sinne diese Voraussetzungen und die Abhängigkeit der Subventionsvergabe von ihnen regelt, auch wenn sie nicht als subventionserheblich bezeichnet worden sind. Ist die Bewilligung einer Subvention von mehreren tatsächlichen Voraussetzungen abhängig, so ist jede dieser Voraussetzungen subventionserheblich. 16 3. Die Tathandlung a) Der äußere Tatbestand fordert falsche oder unvollständige Angaben gegenüber dem 18 Subventionsgeber in bezug auf subventionserhebliche Tatsachen, die für den Erklärenden oder einen anderen vorteilhaft sind (Abs. 1 Nr. 1), die Verletzung einer Verwendungsbeschränkung (Abs. 1 Nr. 2), die Unterlassung subventionserheblicher Angaben entgegen den Rechtsvorschriften - dazu §§ 3, 4 SubvG - über die Subventionsvergabe (Abs. 1 Nr. 3) oder den Gebrauch einer durch unrichtige oder unvollständige Angaben in einem Subventionsverfahren erlangten Bescheinigung über eine Subventionsberechtigung oder über subventionserhebliche Tatsachen (Abs. 1 Nr. 4). Vorteilhaft sind die Angaben, wenn sie die Aussichten des Subventionsempfangers für 19 die Gewährimg oder Belassung der beantragten Subvention oder des geltend gemachten Subventionsvorteils gegenüber der wirklichen Lage objektiv verbessern. - Nicht tatbestandsmäßig sind danach falsche Angaben, die für den Subventionsnehmer ungünstig oder indifferent sind. Dass der Täter u.U. einen anderen - nicht geltend gemachten - Subventionsanspruch hat, ändert die Beurteilung nicht. Das Verfahren ist auch in diesem Fall durch sachwidrige Erwägungen belastet und das Rechtsgut abstrakt gefährdet, denn das Delikt ist kein Vermögensdelikt, bei dem es allein auf den letztlich maßgeblichen Vermögensstand ankommt. 17
Da die Angaben fur den Täter oder einen anderen vorteilhaft sein müssen, kann nicht nur 20 der Begünstigte selbst Täter sein. - Macht jedoch ein Amtsträger, der auf der Seite des Subventionsgebers den Antrag zu prüfen hat, falsche Angaben, so kommt sachlich nur Teilnahme in Betracht, denn Abs. 1 Nr. 1 erfasst ein Tatverhalten, das sich von außen gegen den Subventionsgeber richtet. Handlungen die intern dieses Verfahren fördern, z.B. unrichtige Prüfungsvermerke, sind nicht selbst „falsche Angaben", sondern unterstützen
15
BGHSt 44 S. 233; LG Düsseldorf NStZ 1981 S. 223.
16
Dazu OLG Köln NJW 1982 S. 457; BayObLG MDR 1989 S. 1014.
17
Vgl. auch BGHSt 34 S. 265, 270 mit zust. Anm. ACHENBACH JR 1988 S. 251 ff, MEINE wistra 1988 S. 13 ff, und abl. Anm. LÜDERSSEN wistra 1988 S. 43 ff; BGHSt 36 S. 373, 374; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 253 ff; GÖSSEL B.T.2, § 23 Rdn. 50. - A.A. OLG Karlsruhe NJW 1981 S. 1383; EBERLE S u b v e n t i o n s b e t r u g , S. 1 4 4 f; GÜNTHER S K II, § 2 6 4 R d n . 5 8 ; HACK P r o b l e m e , S. 1 0 6 ; HELLMANN N K , § 2 6 4 R d n . 9 5 ; KINDHÄUSER J Z 1991 S. 4 9 2 ff, 4 9 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 R d n . 18; M Ü S C H B . T . I I / 2 , § 3 R d n . 5 6 ; RANFT N J W 1 9 8 6 S. 3 1 6 6 f ; RENGIER B . T . I, § 17 R d n . 5 ; SANNWALD
Rechtsgut, S. 65; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 689. - Differenzierend: ACHENBACH BGH-FG, S. 6 1 0 ff; SCH/SCH/PERRON § 2 6 4 R d n . 4 7 ; TENCKHOFF B e m m a n n - F S , S. 4 6 9 ff, 4 7 8 ; TIEDEMANN L K ,
§ 264 Rdn. 84.
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§61
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der G e s a m t h e i t
diese nur. - Der Gesetzgeber geht jedoch offensichtlich auch in diesen Fällen von einem täterschaftlichen Verhalten aus, wie sich aus Abs. 2 Nr. 2 ergibt. 18 21 b) Bestraft wird gemäß Abs. 1 das vorsätzliche, sowie in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 das leichtfertige Verhalten, Abs. 4. 4. Schwere Fälle des Subventionsbetrugs 22 a) Die Qualifikationen des § 263 Abs. 5 gelten für § 264 entsprechend, Abs. 2. b) Abs. 3 sieht eine Strafschärfung für besonders schwere Fälle der vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung gemäß Abs. 1 vor. - Als Regelbeispiele sind genannt: Die Erlangung einer Subvention großen Ausmaßes, Handeln aus grobem Eigennutz oder unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege (Nr. 1), Missbrauch der Stellung als Amtsträger (Nr. 2), Mithilfe eines Amtsträgers, der seine Befugnisse oder Stellung missbraucht (Nr. 3). 5. Tätige Reue und Nebenstrafen 24 Zur Tätigen Reue vgl. Abs. 5, zu den Nebenstrafen Abs. 6. 6. Konkurrenzen 25 a) Werden in einem auf rechtswidrige Erlangung einer Subvention gerichteten Verfahren zunächst Bescheinigungen i.S. des Abs. 1 Nr. 4 ausgestellt und später aufgrund ihrer Vorlage die Subvention geleistet, so liegt nur eine Tat nach Abs. 1 Nr. 1 vor. Hier erhält das in Abs. 1 Nr. 4 erfasste Verhalten keine Eigenständigkeit. Anders hingegen, wenn der Täter bei Erlangung der Bescheinigung gutgläubig war oder ein Dritter die Bescheinigung erlangt hat. - Handelte der Täter bei der Erlangung der Bescheinigung leichtfertig, Abs. 1 Nr. 1 oder 3 in Verb, mit Abs. 4, bei der Vorlage der Bescheinigung aber vorsätzlich, so erscheint eine Konsumtion des leichtfertigen Verhaltens durch die vorsätzliche Tat angemessen. 26 b) Sind mehrere Alternativen des Tatbestandes erfüllt, so liegt dennoch nur ein Delikt gemäß § 264 vor. 27 c) Nach dem in der Höhe des Strafmaßes zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers geht § 264 dem § 263 als Sonderregelung stets dann vor, wenn das Tatverhalten als vollendeter Subventionsbetrug zu bewerten ist. 19 - Betrifft die Tathandlung eine Subvention, ohne dass § 264 vollendet wird, so wird die Strafbarkeit gemäß § 263 nicht ausgeschlossen. 20
18
Dazu auch GÖSSEL B.T.2, § 23 Rdn. 52. - A.A. BGHSt 32 S. 203 mit zust. Anm. SCHÜNEMANN NStZ 1985 S. 73, und abl. Anm. OTTO JR 1984 S. 475 ff; OLG Hamburg NStZ 1984 S. 218; HELLMANN NK,
19
V g l . B G H S t 3 2 S. 2 0 6 f; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 R d n . 3 0 ; MITSCH B . T . I I / 2 , § 3 R d n . 4 2 ; TIEDEMANN
§ 2 6 4 R d n . 9 7 ; MITSCH B . T . I I / 2 , § 3 R d n . 5 2 ; RANFT J u S 1 9 8 6 S. 4 4 5 ff; WAGNER J Z 1 9 8 7 S. 7 1 2 .
LK, § 264 Rdn. 161. - Für Idealkonkurrenz: ACHENBACH JR 1988 S. 254; GÖSSEL B.T.2, § 23 Rdn. 68. - Für Vorrang des § 264: HELLMANN NK, § 264 Rdn. 182. 2 0
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B G H w i s t r a 1 9 8 7 S. 2 3 ; RANFT N J W LE/FLSCHER § 2 6 4 R d n . 5 4 .
1986 S. 3 1 6 4 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 R d n . 162; TRÖND-
Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch
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III. Kreditbetrug, § 265 b 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur Geschütztes Rechtsgut ist das Funktionieren des Kreditwesens-, daneben wird mittelbar 28 auch das Vermögen geschützt. 21 - Die Tat ist ein abstraktes Gefahrdungsdelikt im Vorfeld des Betruges. 2. Der relevante Kredit a) Relevant sind nur Kredite, die von einem Betrieb oder Unternehmen als Kreditgeber 29 gewährt werden. Als Kreditnehmer muss gleichfalls ein Unternehmen auftreten, sei es auch nur, dass der Betrieb, das Unternehmen oder der Umfang eines kaufmännischen Geschäftsbetriebs vorgetäuscht wird. b) Zum Begriff des Betriebs und Unternehmens sowie zum notwendigen Geschäftsumfang 30 vgl. § 265 b Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 2 HGB. - Zum Begriff des Kredits vgl. § 265 b Abs. 3 Nr. 2. Nicht erfasst werden demnach von der Vorschrift Kredite an erst zu gründende Unternehmen 22 sowie Kredite an Privatpersonen und Kredite von Privatpersonen. Hier sind lediglich §§ 263,266 einschlägig.
3. Die
Tatbestandsvoraussetzungen
a) Die maßgebliche Tatsituation Erforderlich ist, dass die einzelnen im Gesetz, Abs. 1 Nr. 1, 2 umschriebenen Täu- 31 schungshandlungen im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung, Belassung oder Veränderung eines Kredits vorgenommen werden. - Täuschungshandlungen im Vorfeld der Antragsstellung bleiben irrelevant, wenn es nicht zur Stellung eines Kreditantrages kommt. b) Tathandlungen sind: aa) Nach Abs. 1 Nr. 1: die Vorlage unrichtiger oder unvollständiger Unterlagen über die 32 wirtschaftlichen Verhältnisse (Nr. 1 a) und die Abgabe unrichtiger oder unvollständiger schriftlicher Angaben über wirtschaftliche Verhältnisse (Nr. 1 b), soweit diese für den Kreditnehmer vorteilhaft und für die Entscheidung über den Kreditantrag relevant sind, d.h. die Kreditgrundlage für den Kreditnehmer positiver erscheinen lassen, als sie in Wirklichkeit ist. - Wirtschaftliche Verhältnisse sind Umstände, die für die Sicherheit des Kredits von Belang sein können. - Vorgelegt sind die Unterlagen, wenn sie im Machtbereich des Kreditgebers eingegangen sind. - Vorteilhaft sind die Angaben, soweit sie geeignet sind, die Aussichten des konkreten Kreditantrags zu verbessern. bb) Nach Abs. 1 Nr. 2: die Verletzung der Offenbarungspflicht über Verschlechterungen 33 der in den Unterlagen oder Angaben dargestellten wirtschaftlichen Verhältnisse. - Der Gesetzgeber berücksichtigt hier, dass bei der Gewährung von Krediten oftmals Unterlagen, 21
Vgl. dazu OLG Stuttgart NStZ 1993 S. 545; GEERDS FLF 1988 S. 96; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 232 ff; KLEßNER Kreditbetrug - § 265 b StGB, 1985, S. 55 f; LAMPE Der Kreditbetrug (§§ 263, 265 b S t G B ) , 1 9 8 0 , S . 3 7 ff; SCH/SCH/PERRON § 2 6 5 b R d n . 3 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 5 b R d n . 9. - F ü r V e r m ö g e n s s c h u t z : GÜNTHER S K II, § 2 6 5 b R d n . 2 ; HEFENDEHL R e c h t s g ü t e r , S. 2 6 2 f; HELLMANN N K , § 2 6 5 b R d n . 9 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALDB.T.1, § 4 1 R d n . 1 6 6 ; MITSCH B . T . I I / 2 , § 3 R d n . 1 7 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 5 b R d n . 3.
22
BayObLG wistra 1990 S. 237; HELLMANN NK, § 265 b Rdn. 22.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
z.B. Jahresabschlussbilanzen o.ä. vorgelegt werden, die für einen zurückliegenden Zeitpunkt erstellt wurden, so dass sie eine inzwischen eingetretene Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage noch nicht erfassen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Vorlage des Antrages. Das Verschweigen späterer Verschlechterungen ist nicht tatbestandsmäßig, auch wenn damit eine kaum zu begründende Strafbarkeitslücke vorliegt. Der Wortlaut des Gesetzes ist insoweit aber eindeutig. 23 - Die Erheblichkeit der Angaben für die Entscheidung ist aus der Sicht eines „verständigen, durchschnittlich vorsichtigen Dritten" zu bestimmen; vgl. BGHSt 30 S. 292. 34 Täter des Unterlassungsdelikts nach Abs. 1 Nr. 2 ist, wer die Unterlagen vorlegt oder die Angaben macht. Es handelt sich um ein Sonderdelikt, dessen Begehung durch andere Personen nur gemäß § 14 möglich ist. 24 35 c) Subjektiv erfordert der Tatbestand Vorsatz, einschließlich des bedingten Vorsatzes. 36 4. Zur Tätigen Reue vgl. § 265 b Abs. 2. 5. Konkurrenzen 37 Mit Betrug ist aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter Idealkonkurrenz möglich 2 5
IV. Kapitalanlagebetrug, § 264 a 1. Deliktsnatur und geschütztes Rechtsgut 38 Mit dem Tatbestand des Kapitalanlagebetruges wollte der Gesetzgeber auf dem Gebiete der Kapitalanlagen den nach seiner Auffassung durch das zuvor geltende Recht nicht ausreichend gewährten, jedoch dringend notwendigen Strafrechtsschutz bieten. Er machte die Strafbarkeit nicht vom Eintritt eines Vermögensschadens abhängig, und die Tathandlung muss nicht notwendig auf eine Vermögensschädigung im Sinne des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs abzielen. Auch Verhaltensweisen, die auf Vorspiegelung von Gewinnen gerichtet sind, fallen unter den Tatbestand, d.h. dieser erfasst Verhaltensweisen, die auf Vermögensschädigung, aber auch zweckverfehlten Mitteleinsatz gerichtet sind. Es handelt sich bei dem Tatbestand daher um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das das Vertrauen der Allgemeinheit in das Funktionieren des Kapitalmarktes schützen soll,26 39 Dem auf Vermögensschädigung und zweckverfehlten Mitteleinsatz gerichteten Tatverhalten kommt die Bedeutung eines Strafwürdigkeitselementes zu, daher bietet der Tat2 3
S o a u c h HELLMANN N K , § 2 6 5 b R d n . 5 2 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 5 b R d n . 6 ; SCH/SCH/PERRON § 2 6 5 b R d n . 4 7 . - A . A . TLEDEMANN L K , § 2 6 5 b R d n . 9 5 .
24
Dazu vgl. TlEDEMANN LK, § 265 b Rdn. 96.
25
Vgl. dazu BERZ BB 1976 S. 1435 ff; D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 242 f; OTTO Jura 1983 S. 23; TlEDEMANN LK, § 265 b Rdn. 115; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 695. - A.A. BGHSt 36 S. 130 m i t ANM. KINDHÄUSER J R 1 9 9 0 S. 5 2 0 f f ; GÜNTHER S K II, § 2 6 5 b R d n . 2 8 ; HEINZ G A 1 9 7 7 S. 2 2 6 ;
HELLMANN NK, § 265 b Rdn. 69: § 265 b ist subsidiär gegenüber § 263. 2 6
V g l . a u c h D . GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S. 2 0 4 f f ; KNAUTH N J W 1 9 8 7 S. 2 8 ; OTTO W M 1 9 8 8 S. 7 3 6 . - A . A . V e r m ö g e n s s c h u t z : JOECKS w i s t r a 1 9 8 6 S. 143 f; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 3 R d n . 6 9 ; GRAF VON SCHÖNBORN K a p i t a l a n l a g e b e t r u g , 2 0 0 3 , S. 2 0 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 4 a R d n . 7 ; HELLMANN N K , § 2 6 4
a Rdn. 8; JACOBI Der Straftatbestand des Kapitalanlagebetrugs (§ 264 a StGB), 2000, S. 51; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 156; WORMS Anlegerschutz durch Strafrecht, 1987, S. 312 ff.
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bestand sekundär auch individuellen Vermögensschutz, und zwar in umfassendem Sinne und nicht nur in dem durch den wirtschaftlichen Vermögensbegriff umrissenen.27 2. Der sachliche Anwendungsbereich In § 264 a hat der Gesetzgeber nicht die unrichtige oder auf Täuschung beruhende Anla- 40 geberatung schlechthin unter Strafe gestellt. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist vielmehr begrenzt auf Wertpapiere, Bezugsrechte und Anteile, die eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren sollen, § 264 a Abs. 1 Nr. 1, sowie auf Anteile an einem Vermögen, dass ein Unternehmen im eigenen Namen, jedoch für fremde Rechnung verwaltet, § 264 a Abs. 2. a) Als Anteil, der eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren soll, ist 41 jede Form der Beteiligung an einem Unternehmen zu verstehen, bei der der Anleger entweder selbst einen Gesellschaftsanteil an dem Unternehmen erwirbt oder in eine sonstige unmittelbare - Rechtsbeziehung zu dem Unternehmen tritt, die ihm eine Beteiligung an dem Ergebnis dieses Unternehmens verschafft, z.B. Anteile an Kapitalgesellschaften, Gesellschaftsanteile an Personengesellschaften, Beteiligungen als stiller Gesellschafter oder in Form eines partiarischen Darlehens. - Oftmals wird der Tatbestand zugleich in der Alternative des Erwerbs von Wertpapieren verwirklicht sein, da insoweit Überschneidungen möglich sind.28 Nicht anwendbar ist § 264 α hingegen auf sog. Bauherrn-, Bauträger- und Erwerbermodelle, soweit diese auf die Verschaffung von individuellem Wohnungseigentum abzielen. Sie gewähren keine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens, und zwar selbst dann nicht, wenn man die neben dem Sondereigentum an der Wohnung entstehende Miteigentümergemeinschaft an den übrigen Gebäudeteilen und dem Grundstück in die Betrachtung miteinbezieht. Hier handelt es sich, genau wie bei sog. Mietpools, um Verwaltungs- bzw. Risikogemeinschaften, die neben dem eigentlichen Anlagezweck bestehen und ihn unterstützen, das Anlageobjekt selbst aber nicht berühren. 29
42
b) Wertpapiere sind Urkunden, die ein Recht in der Weise verbriefen, dass es ohne die 43 Urkunde nicht geltend gemacht werden kann.30 In Betracht kommen Aktien, Industrieobligationen, öffentliche Anleihen, Pfandbriefe, Investmentzertifikate u.Ä. c) Bezugsrechte sind den Anteilen und Wertpapieren gleichgestellt, da sie, auch wenn sie 44 nicht verbrieft sind - z.B. als Recht der Aktionäre einer AG oder einer KGaA bei einer Kapitalerhöhung einen ihrem Anteil an dem bisherigen Grundkapital entsprechenden Teil neuer Aktien zugeteilt zu bekommen -, diesen in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung durchaus entsprechen können. 11
Schutz des Vertrauens in den Kapitalmarkt und Vermögensschutz sehen daher als gleichwertige Rechtsgüter an: BT-Drucks. 10/318, S. 22; OLG Köln NJW 2000 S. 600; CERNY MDR 1987 S. 272; HEFENDEHL R e c h t s g ü t e r , S. 2 6 7 ff, 2 7 1 ; JAATH D ü n n e b i e r - F S , S. 6 0 7 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 1;
MARTIN Criminal Securities Commodities Fraud, 1993, S. 172 f; MITSCH B.T.II/2, § 3 Rdn. 87; MUTTER N S t Z 1991 S. 4 2 2 ; TLEDEMANN J Z 1 9 8 6 S. 8 7 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 4 a R d n . 2 ; WEBER N S t Z
1986 S. 486; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 692. 28
Im Einzelnen dazu OTTO WM 1988 S. 737 m.w.N.
29
Vgl. auch GÖSSEL B.T.2, § 23 Rdn. 75; GRANDERATH D B 1986, Beilage 18, S. 6; JOECKS wistra 1986 S. 1 4 4 ; KALIGIN W P g 1 9 8 7 S. 3 5 7 ; MARTIN S e c u r i t i e s , S . 168; MUTTER N S t Z 1991 S. 4 2 2 ; OTTO W M
1988 S. 737; Tiedemann LK, § 264 a Rdn. 29; WORMS Anlegerschutz, S. 318; DERS. wistra 1987 S. 246. - A.A. RICHTER wistra 1987 S. 118; SCHMIDT-LADEMANN WM 1986 S. 1242; beim Mietpool: FLANDERKA/HEYDEL wistra 1990 S. 256 ff. 30
Zum Teil enger, zum Teil weiter: TIEDEMANN LK, § 264 a Rdn. 22.
321
§61
Dritter Teil: D e l i k t e g e g e n Rechtsgüter der G e s a m t h e i t
45 d) § 264 a Abs. 2 erstreckt die Strafbarkeit auf Treuhandbeteiligungen in Form der „echten" Treuhand, d.h. auf Anteile an einem Treuhandvermögen, das ein Unternehmen im eigenen Neimen für Rechnung der Anleger verwaltet. In Betracht kommen Treuhandbeteiligungen an Abschreibungsgesellschaften, wenn anstelle des Anlegers der Treuhänder Gesellschafter wird, an Reedereien, Immobilienfonds und sonstigen Fonds.31 3. Die Tathandlung 46 Die Tathandlung besteht in der Täuschung der präsumtiven Anleger durch unrichtige vorteilhafte Angaben oder durch Verschweigen nachteiliger Tatsachen, die fur die Anlageentscheidung erheblich sind. a) Unrichtige vorteilhafte Angaben 47 Der Begriff der Angabe entspricht dem der Tatsache; dazu vgl. § 51 Rdn. 9. Auch Bewertungen und Prognosen fallen daher unter den Begriff der Angaben, soweit sie nicht erkennbar als bloße Meinungsäußerung oder Werturteil ohne jeglichen Tatsachenkern abgegeben werden. Unrichtig ist die Angabe, wenn sie nicht der Wahrheit entspricht, d.h. „wenn mit ihr nicht vorhandene Umstände als vorhanden oder vorhandene Umstände als nicht vorhanden bezeichnet werden".32 48
Werturteile, Prognosen, Schätzungen und Beurteilungen sind allerdings nur dann als unrichtig anzusehen, wenn die Angaben evident unrichtig sind derart, dass nach einheitlichem Konsens der einschlägigen Fachleute die vorgelegten Schlussfolgerungen oder Beurteilungen unvertretbar sind. Sind z.B. bei Renditeberechnungen verschiedene Methoden anerkannt, so kann nicht eine als die allein richtige angesehen werden. Der Rahmen der Vertretbarkeit ist hier vielmehr auch für die Richtigkeit maßgebend. 3 3
49 Vorteilhaft sind die Angaben, wenn sie geeignet sind, die konkreten Aussichten fur eine positive Anlageentscheidung zu verbessern. b) Verschweigen nachteiliger Tatsachen 50 Das Verschweigen nachteiliger Tatsachen liegt in der Unterdrückung von Tatsachen, deren Kenntnis geeignet wäre, den eventuellen Interessenten von der Entscheidung fur die Anlage abzuhalten. § 264 a begründet die Pflicht, nachteilige Tatsachen zu offenbaren. In dieser Alternative handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt.
c) Die Erheblichkeit der unrichtigen vorteilhaften Angaben oder der verschwiegenen nachteiligen Tatsachen 51 Nur dann sind die Angaben oder Tatsachen tatbestandsmäßig, wenn sie sich auf Umstände beziehen, die fur die Anlageentscheidung erheblich sind. Aufgrund der Schutzrichtung des § 264 a, den Kapitalanleger vor vermögensschädigenden und auf zweckverfehlten Mitteleinsatz abzielenden Angeboten zu schützen, sind erheblich solche Angaben und Tatsachen, die nötig sind, um Wert, Chancen und Risiken der Kapitalanlage zutreffend zu beschrei-
3 1
Vgl.
BT-Drucks.
10/318,
S. 2 2
f; JOECKS w i s t r a
MÖHRENSCHLAGER w i s t r a 1 9 8 2 S . 2 0 6 ; OTTO W M
1986
S . 1 4 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 4
a Rdn.
4;
1 9 8 8 S . 7 3 7 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 a R d n . 3 0 f;
W O R M S A n l e g e r s c h u t z , S . 3 2 0 f. 3 2
33
BT-Drucks. 10/318, S. 24.
Dazu vgl. auch RGSt 49 S. 363; GROTHERR DB 1986 S. 2586; JOECKS wistra 1986 S. 145 f; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 a R d n . 5 4 ; W O R M S A n l e g e r s c h u t z , S . 3 2 6 . - A . A . HELLMANN N K , § 2 6 4 a R d n . 3 3
ff: Nur Tatsachenerklärungen.
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ben. Als Maßstab bietet sich hier die Entscheidung eines verständigen durchschnittlich vorsichtigen Anlegers an. 34 Unrichtige Angaben, soweit es sich nicht um Bagatellunrichtigkeiten oder ent- 52 scheidungsirrelevante Angaben handelt, werden im Regelfall erheblich sein, da gerade die Unrichtigkeit der Angabe die Anlageentscheidung beeinflussen soll. Schwieriger stellt sich die Beurteilung beim Verschweigen von Tatsachen dar, da hier eine Gesamtwürdigung der Umstände der Aussage, insbes. ein Vergleich der gemachten Angaben im Verhältnis zur Risiko- und Chancenlage der Anlage nötig wird. Auch hier sind die Anforderungen an die Erheblichkeit der Tatsachen jedoch hin- 53 reichend bestimmt, wenn streng darauf gesehen wird, dass es sich bei den verschwiegenen Tatsachen um Angaben handeln muss, die Wert, Chancen oder Risiken der Kapitalanlage berühren, so dass durch ihr Verschweigen die Gefahr der Vermögensschädigung oder des zweckverfehlten Mitteleinsatzes begründet wird.35 4. Tatmodalitäten a) Die Täuschung muss im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Anteilen im Sinne des 54 Abs. 1 Nr. 1 oder dem Angebot, die Einlage auf diese Anteile zu erhöhen, Abs. 1 Nr. 2, gegenüber einem größeren Kreis von Personen erfolgen. Vertrieb ist eine auf Absatz einer Vielzahl von Anteilen gerichtete Tätigkeit, die sich an 55 den Markt wendet und zu dessen Täuschung fuhren kann, so z.B. Werbe- und Angebotsaktionen, nicht aber allgemeine Mitteilungen und Meinungsäußerungen.36 Dass individuelle Angebote, insbes. also individuelle Anlageberatungen, nicht erfasst 56 werden, ergibt sich aus dem weiteren Erfordernis, dass die Tathandlung gegenüber einem größeren Kreis von Personen vorgenommen wird, d.h. gegenüber einer solch großen Zahl potentieller Anleger, dass deren Individualität gegenüber dem sie zu einem Kreis verbindenden potentiell gleichen Interesse an der Kapitalanlage zurücktritt.37 Auch eine sukzessive, planmäßig an eine Vielzahl von Personen gerichtete Werbung, z.B. die systematische Werbung von Tür zu Tür, erfüllt den Tatbestand. 3 ®
Das Angebot, die Einlage zu erhöhen, betrifft nur Personen, die schon Anteile im Sinne 57 des § 264 a Abs. 1 Nr. 1 erworben haben. Tatbestandsmäßig ist auch hier nur eine neue Kapitalsammeimaßnahme, nicht aber ein individuelles Angebot.
34
Vgl. dazu auch BT-Drucks. 10/318, S. 24; BGHSt 30 S. 292; GÖSSEL B.T.2, § 23 Rdn. 77; GRANDERATH D B 1986, B e i l a g e 18, S. 7 ; HELLMANN N K , § 2 6 4 a R d n . 6 1 ; JOECKS D e r K a p i t a l a n l a g e b e t r u g , 1 9 8 7 , T z . 5 9 , 129; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 a R d n . 4 9 .
35
Vgl. auch D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 213 ff; JOECKS wistra 1986 S. 145 f; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a Rdn. 13; TIEDEMANN JZ 1986 S. 873; DERS. LK, § 264 a Rdn. 47 ff; WORMS wistra 1987
S. 273. - Krit. WEBER NStZ 1986 S. 485. - Zur indiziellen Bedeutung der im Zivilrecht entwickelten Grundsätze der Prospekthaftung und der sog. Kapitalanlage-Checklisten vgl. BT-Drucks. 10/5058, S. 3 1 ; D . GEERDS W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t , S. 2 2 8 f; GROTHERR D B 1 9 8 6 S. 2 5 8 8 ; GÜNTHER S K II, § 2 6 4 a R d n . 3 7 ; JOECKS K a p i t a l a n l a g e b e t r u g , T z . 1 4 3 ff, 1 6 9 ff; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 13; OTTO W M
1988 S. 738; SCHLOCHTER Zweites Gesetz, S. 139 f; WORMS wistra 1987 S. 273. - Krit. GALLANDI wistra 1987 S. 316 ff. 36
Vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 24.
37
Vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 23.
3 8
V g l . HELLMANN N K , § 2 6 4 a R d n . 5 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 11; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 4 a R d n . 3 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 4 a R d n . 17.
323
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
58
Mit dem Erfordernis des Zusammenhangs mit dem Vertrieb wird klargestellt, dass die Täuschungshandlung im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer bestimmten Vertriebsmaßnahme stehen muss, so dass allgemeine Mitteilungen und Meinungsäußerungen, insbes. die Informationstätigkeit von Wirtschaftsjournalisten, nicht ausreichen. 59 b) Beschränkt ist die Tathandlung weiter auf Angaben in Prospekten oder in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand. 60 Prospekte sind Werbe- oder Informationsschriften, die den Eindruck erwecken, die für die Beurteilung einer Anlageentscheidung erheblichen Angaben zu enthalten und die damit zugleich Grundlage für die Anlageentscheidung sein sollen. Erkennbar lückenhafte Informationen, wie z.B. Werbezettel oder Inserate, genügen diesen Anforderungen nicht. Darstellungen sind Informationen, die den Eindruck der Vollständigkeit erwecken. Sie können mündlich oder schriftlich, durch Ton- oder Bildträger gegeben werden. Übersichten über den Vermögensstand sind Vermögensübersichten, z.B. Bilanzen, die schriftlich gegeben werden und den Eindruck der Vollständigkeit erwecken. 5. Subjektiver Tatbestand 61 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der neben der Tathandlung auch die Modalitäten der Tathandlungen umfassen muss; bedingter Vorsatz genügt. 6. Täterschaft und Teilnahme 62 Da es sich bei § 264 a nicht um ein Sonderdelikt handelt, kann Täter jeder sein, der die Tathandlung verwirklicht. Das bedeutet aufgrund der unterschiedlichen Tatmodalitäten: 63 a) Bei der Täuschung durch Prospekte sind Täter die Personen, die für den Prospektinhalt verantwortlich sind, weil sie an der Konzeption mitgewirkt haben oder weil sie als Verantwortliche für die Richtigkeit des Prospekts auftreten. Dieses können nicht nur die Emittenten, sondern auch Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sein, während Anlageberater und Anlagevermittler, die sich erkennbar der Prospekte anderer, die für den Inhalt verantwortlich sind, bedienen, nur als Teilnehmer in Betracht kommen. 39 64 b) Bei der Täuschung durch Darstelltingen und Übersichten sind gleichfalls Täter die für den Inhalt dieses Informationsmaterials verantwortlichen Personen. Hier kommt jedoch auch eine täterschaftliche Haftung von Anlageberatern und Anlagevermittlern in Betracht, wenn diese sich dieser Darstellung und Obersichten bedienen, ohne deutlich erkennbar zu machen, dass sie lediglich Informationen, für deren Inhalt andere verantwortlich sind, weitergeben. 7. Tätige Reue, § 264 α Abs. 3 65 Der modernen Gesetzestechnik bei den abstrakten Gefahrdungsdelikten folgend, sieht § 264 a Abs. 3 für den Täter nach formeller Tatverwirklichung, aber vor materieller Tatbeendigung eine strafbefreiende Rücktrittsmöglichkeit vor. 66 Straffreiheit erlangt der Täter, der nach formeller Vollendung der Tat, aber vor Erbringung der Leistung entweder die Leistung freiwillig verhindert oder sich zumindest freiwillig und emsthaft darum bemüht, falls die Leistung ohne sein Zutun nicht erbracht wird. - Straffrei wird der Täter allerdings auch dann, wenn der Anleger die Leistung er39
Vgl. auch D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 213; SCHMIDT-LADEMANN WM 1986 S. 1242 f. - A.A. GÖSSEL B . T . 2 , § 2 3 R d n . 8 7 ; JOECKS K a p i t a l a n l a g e b e t r u g , T z . 2 2 0 ; TIEDEMANN L K , § 2 6 4 a R d n . 7 5 ;
WORMS wistra 1987 S. 274.
324
Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch
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bringt, obwohl er vorher vom Täter über den unrichtigen Sachverhalt aufgeklärt worden ist. Ist jedoch im Zeitpunkt der Rücktrittshandlung ein Betrug, § 263, bereits als Eingehungsbetrug vollendet, so erstreckt sich die Straffreiheit nicht auf ihn. 40 8. Konkurrenzen Aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter konkurrieren §§ 263, 266 so- 67 wie § 264 a idealiter, § 52. 41 Idealkonkurrenz ist weiter möglich mit § 88 BörsG. 42 Gegenüber § 4 UWG ist § 264 a die lex specialis. 43
V. Vorenthalten von Arbeitsentgelt, § 266 a Abs. 1, 2 1. Das geschützte Rechtsgut Die Tatbestände schützen das Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten an der 68 Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung. 2. Täterposition und Tathandlung nach Abs. 1, 5 a) Die Täterposition Täter kann nur der Arbeitgeber oder eine ihm gleichgestellte Person sein. Die Täterposi- 69 tion ist kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1; vgl. dazu § 54 Rdn. 57. Da § 266 a Abs. 1 an die sozialversicherungsrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers an- 70 knüpft, ist der Begriff des Arbeitgebers hier nach den im Sozialrecht geltenden Grundsätzen zu bestimmen. Danach sind neben dem zivilrechtlichen Arbeitgeber - dazu vgl. § 54 Rdn. 59 - auch die Personen als Arbeitgeber erfasst, die die tatsächliche Stellung des Arbeitgebers einnehmen 4 4 oder als Verleiher oder Entleiher beim illegalen Verleih von Arbeitnehmern tätig werden. - Täter können weiter die in § 14 genannten Vertreter und Organe sein. - Die nach Abs. 5 dem Arbeitgeber gleichgestellten Personen sind in § 12 SGB IV näher beschrieben. b) Die Tathandlung Beiträge des Arbeitnehmers sind die nach dem Arbeitsentgelt gemäß § 14 SGB IV zu be- 71 rechnenden, auf ihn entfallenden Beitragsteile, die aufgrund gesetzlicher Verpflichtung für 4 0
41
V g l . a u c h HELLMANN N K , § 2 6 4 a R d n . 7 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 16; RICHTER w i s t r a 1 9 8 7 S. 1 2 0 , F n . 4 7 ; WORMS w i s t r a 1 9 8 7 S. 2 7 5 . - A . A . JOECKS K a p i t a l a n l a g e b e t r u g , T z . 2 6 6 ; TLEDEMANN LK, § 2 6 4 a Rdn. 71.
Vgl. auch D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 231 f; KALIGIN W P g 1987 S. 364; MITSCH B.T.II/2, § 3 R d n . 8 8 ; RICHTER w i s t r a 1 9 8 7 S. 1 2 0 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 4 a R d n . 4 1 ;
WESSELS/HILLENKAMP
B.T./2, Rdn. 693. - A.A. (Subsidiarität des § 264 a): LACKNER/KÜHL § 264 a Rdn. 17; sowie diejenigen, die bei § 264 a allein das Vermögen als geschütztes Rechtsgut ansehen; vgl. HELLMANN NK, § 264 a Rdn. 82. 4 2
43
V g l . HELLMANN N K , § 2 6 4 a R d n . 8 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 7. - A . A . ( S u b s i d i a r i t ä t d e s § 8 8 ) : SCH/SCH/CRAMER § 2 6 4 a R d n . 4 1 .
Vgl. dazu OTTO WM 1988 S. 739, RICHTER wistra 1987 S. 120. - A.A. (Idealkonkurrenz): HELLMANN N K , § 2 6 4 a R d n . 8 5 ; JOECKS K a p i t a l a n l a g e b e t r u g , T z . 2 6 9 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 4 a R d n . 7 ; WORMS
wistra 1987 S. 275. 44
Vgl. BGH NStZ 2001 S. 599. - Arbeitgeber daher auch der Hintermann, der sich eines Strohmannes bedient, vgl. BGH GA 1955 S. 81; OLG Hamm NStZ-RR 2001 S. 173.
325
§61
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
die Sozialversicherung (Kranken- und Rentenversicherung) und für die Bundesanstalt für Arbeit zu entrichten sind. Sie sind Bestandteile des Bruttolohns, auch wenn sich der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer zur alleinigen Tragung der Beiträge verpflichtet hat oder wenn die Beteiligten vereinbart haben, keine Sozialbeiträge abzuführen. 45 - Mit Neufassung des Gesetzes zum 1.8.2002 hat der Gesetzgeber die früher strittige Frage, ob das Nichtabführen von Beiträgen, das mit einem Unterlassen der Lohnzahlung des Arbeitgebers verbunden war, tatbestandmäßig ist, dahin entschieden, dass die Nichtzahlung des Arbeitsentgelts irrelevant ist. 46 Nicht erfasst werden die in den Beiträgen enthaltenen Arbeitgeberbeiträge, und zwar auch dann nicht, wenn das Gesetz die Arbeitnehmeranteile auf den Arbeitgeber abgewälzt hat; vgl. z.B. § 381 Abs. 1 RVO 4 7 72 Vorenthalten sind die Beiträge, wenn sie nicht spätestens am Fälligkeitstage an die Einzugsstelle abgeführt worden sind; zum Fälligkeitszeitpunkt vgl. § 23 I SGB IV. Die Absicht, die Beiträge auf Dauer zu behalten, ist nicht erforderlich. - Vorausgesetzt wird, dass dem Täter die Zahlung möglich und zumutbar ist, doch werden ihm - nach den Regeln der omissio libera in causa - solche Verhaltensweisen zugerechnet, mit denen er seine Handlungspflicht schuldhaft unmöglich oder ihre Erfüllung unzumutbar gemacht h a t 4 8 Ein Vorrang der Ansprüche des Sozialversicherungsträgers vor anderen falligen zivilrechtlichen Verbindlichkeiten lässt sich jedoch nicht begründen 4 9 3. Täterposition und Tathandlung nach Abs. 2 a) Die Täterposition 73 Zur Täterposition vgl. Rdn. 69. b) Die Tathandlung 74 Abs. 2 erfasst das Vorenthalten - dazu Rdn. 72 - der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, jedoch nur, wenn der Arbeitgeber gegenüber der zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat (Nr. 1) oder diese Stelle über solche Tatsachen pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen hat (Nr. 2). - Unrichtig sind die Angaben, wenn zwischen der Erklärung und der Wirklichkeit ein Unterschied besteht, unvollständig, wenn sie entgegen dem Anschein der
45
Vgl. B G H S t 38 S. 285 mit Anm. FRANZHEIM JR 1993 S. 75; 39 S. 1 4 6 , 1 5 7 f.
46
Vgl. auch BT-Drucks. 14/8221, S.18.
47
Dazu vgl. auch BGH StV 1994 S. 425; LACKNER/KUHL § 266 a Rdn. 6; MARTENS wistra 1986 S. 157; SCHLÜCHTER Zweites Gesetz, S. 168.
4 8
Vgl. B G H S t 4 7 S. 318, 320 ff mit A n m . RADTKE N S t Z 2 0 0 3 S. 154 ff, TAG J R 2 0 0 2 S. 521 ff, WEGENER w i s t r a 2 0 0 2 S. 3 8 2 ff; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 a R d n . 2 7 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 10; MITSCH B . T . I I / 2 , § 4 R d n . 19; SCH/SCH/PERRON § 2 6 6 a R d n . 10; TAG N K , § 2 6 6 a R d n . 6 5 ;
TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 a Rdn. 15. - Krit. RENZIKOWSKI Weber-FS, S. 341 ff. 49
So auch OLG Dresden ZIP 1997 S. 1037; BENTE wistra 1997 S. 105; FRISTER JR 1998 S. 63; GÜNTHER S K II, § 2 6 6 a R d n . 31; LÜCKE/MULANSKY Z I P 1998 S. 675 ff; STEIN D S t R 1998 S. 1060; TAG B B 1 9 9 7 S. 1 1 6 f; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 a R d n . 17; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 7 8 7 . - A . A .
BGHZ 134 S. 304 mit Anm. HEGER JuS 1998 S. 1090 ff, HELLMANN JZ 1997 S. 1005 ff; BGHSt 47 S. 318, 321; LACKNER/KÜHL. § 266 a Rdn. 10. - Diesen Vorrang will der BGH auch dann wahren, wenn die Zahlung möglicherweise im Insolvenzverfahren angefochten werden kann - vgl. BGHSt 48 S. 307 mit Anm. RADTKE NStZ 2004 S. 562 ff da die zivilrechtliche höchstrichterliche Rechtsprechung den Vonang im Insolvenzverfahren nicht anerkennt; vgl. dazu BGHZ 149 S. 100 ff; BGH(Z) DB 2003 S. 2383.
326
Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch
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Vollständigkeit in wesentlichen Punkten lückenhaft sind. In Unkenntnis gelassen wird die Stelle, wenn ihr der Mitteilungspflichtige Tatsachen gar nicht oder nicht rechtzeitig übermittelt. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt; dazu vgl. § 54 Rdn. 63.
75
5. Besonders schwere Fälle, Abs. 4 Abs. 4 enthält Regelbeispiele für besonders schwere Fälle (Das Vorenthalten von Beiträgen aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß, das fortgesetzte Vorenthalten unter Verwendung von nachgemachten oder verfälschten Belegen und das Vorenthalten unter Mithilfe eines Amtsträgers). 6. Absehen von Strafe und Straffreiheit, Abs. 6 a) Absehen von Strafe Abs. 6 S. 1 eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, von Strafe abzusehen, wenn der Täter 76 rechtzeitig - spätestens im Fälligkeitszeitpunkt oder unverzüglich danach, d.h. ohne vorwerfbares Verschulden - schriftlich mitteilt, in welcher Höhe er Beiträge vorenthalten hat, und welche Gründe zur Unmöglichkeit der fristgerechten Zahlung geführt haben, obwohl er sich ernsthaft um die Zahlung bemüht hat. - Diese Voraussetzungen können nicht wörtlich genommen werden, da die Unmöglichkeit fristgerechter Zahlung ein tatbestandsmäßiges Verhalten ausschließt. Sie müssen daher als erfüllt angesehen werden, wenn das Vorbringen des Täters die Nichtzahlung aufgrund von Bemühungen, den Betrieb zu retten o.Ä. verständlich macht. 50 b) Straffreiheit Straffreiheit tritt über Abs. 6 S. 1 hinaus zwingend ein, wenn nach Erfüllung der Vor- 77 aussetzungen des S. 1 die Beiträge innerhalb einer von der Einzugsstelle gesetzten Frist nachentrichtet werden, Abs. 6 S. 2. - Solange die Frist läuft, ist die staatliche Strafbefugnis auflösend bedingt. 51 6. Konkurrenzen Nach dem Willen des Gesetzgebers sind nunmehr Abs. 1 und Abs. 2 leges speciales ge- 78 genüber § 263. 52
VI. Insolvenzdelikte, §§ 283 - 283 d Mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung zum 1.1.1999 wurden die ehemaligen Konkursstraftaten in InsolvenzStraftaten umbenannt, an Stelle der Konkurseröffnung trat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die Konkursmasse wurde zur Insolvenzmasse und das Konkursverfahren zum Insolvenzverfahren. Insoweit handelte es sich nur um Änderungen begrifflicher Art. Sachlich nahm die InsO jedoch auch Einfluss auf die
5 0
V g l . B T - D r u c k s . 1 0 / 3 1 8 , S . 3 1 ; GÜNTHER S K I I , § 2 6 6 a R d n . 3 8 f f ; LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 18; SCH/SCH/PERRON § 2 6 6 a R d n . 2 3 ; TAG N K , § 2 6 6 a R d n . 1 0 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 6 a R d n . 3 0 ; WINKELBAUER w i s t r a 1 9 8 8 S . 17.
51
Vgl. B G H S t 7 S . 341.
5 2
V g l . LACKNER/KÜHL § 2 6 6 a R d n . 2 0 .
327
79
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§61
strafrechtlichen Regelungen, weil das Insolvenzverfahren schneller und leichter zu eröffnen ist als das bisherige Konkursverfahren."
80 Geschützte Rechtsgüter der Insolvenzdelikte sind die Vermögensinteressen der Gläubiger und die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft.54 81 Die Taten sind abstrakte Gefährdungsdelikte. Wird hingegen nicht die Tathandlung, sondern die Tatsituation zum Ausgangspunkt der Bestimmung des Delikts genommen, so ist die Kennzeichnung der Delikte als abstrakt-konkrete Gefahrdungsdelikte durchaus konsequent. 55 1. Bankrott, § 283 a) Angriffsobjekt und Tatzeit 82 Angriffsobjekt ist der Anspruch des Gläubigers auf adäquate, d.h. der Rangordnung und Mehrheit der Gläubiger entsprechende Befriedigung. - Strafbar sind einzelne Bankrotthandlungen, wenn sie im Zeitpunkt einer wirtschaftlichen Krise vorgenommen werden und - objektive Bedingung der Strafbarkeit - der Täter seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffhungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist. Krisensituationen sind die Überschuldung, die drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit. 83 aa) Die Feststellung der Überschuldung setzt die Erstellung eines Überschuldungsstatus voraus, der auf der Aktiv- und Passivseite die wirklichen Werte zeitnah erfasst. Überschuldung liegt - schlagwortartig gekennzeichnet - dann vor, wenn das Vermögen des Schuldners seine Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, d.h. wenn die Passiva gegenüber den Aktiva überwiegen. 84 Diese knappe Definition ist jedoch unzureichend, um die Bestimmung der Überschuldung eindeutig zu ermöglichen. - Die strafrechtliche Literatur ging vor Inkrafttreten der InsO z.T. von einer statischen Ermittlung der Überschuldung aus, wobei streitig war, ob die sog. Liquidationswerte maßgeblich sein sollten oder die sog. Betriebsfort fuhrungswerte, d. h. die anhand einer Fortbestehungsprognose unter Berücksichtigung der Ertrags- und Lebensfähigkeit der Gesellschaft korrigierten Liquidationswerte, so dass erst dann eine Überschuldung vorlag, wenn auch mit Ansatz dieser going-concern-Werte die Überschuldung nicht beseitigt war. 85 Der BGH in Zivilsachen hatte sich inzwischen zu dem im wirtschaftsrechtlichen Schrifttum herrschenden modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff bekannt. Danach lag eine Überschuldung nur vor, wenn das Vermögen bei Ansatz von Liquidationswerten die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckte (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft des Unternehmens nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig 53
Vgl. dazu BT-Drucks. 12/2443, S. 84; TIEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 10, 88.
54
Vgl. D. GEERDS Wirtschaftsstrafrecht, S. 357 ff; MOOSMAYER Einfluß der Insolvenzordnung 1999 auf das Insolvenzstrafrecht, 1997, S. 133 ff; OTTO Bruns-GdS, S. 266; TIEDEMANN ZRP 1983 S. 520; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 458. - A.A. (Vermögen und gesamtwirtschaftliches System): LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 1; SCH/SCH/HEINE § 2 8 3 R d n . 2 ; TRONDLE/FISCHER V o r § 2 8 3 R d n . 3 ;
(ausschließlich Vermögensinteressen): DOHMEN/SINN KTS 2003 S. 217 f; GÖSSEL B.T.2, § 28 Rdn. 2; HEFENDEHL R e c h t s g ü t e r , S . 2 7 2 ff; HOYER S K II, § 2 8 3 R d n . 1; KINDHÄUSER N K , V o r § § 2 8 3 - 2 8 3 d
Rdn. 20; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.l, § 48 Rdn. 8; PENZLIN Strafrechtliche Auswirkungen der Insolvenzordnung, 2000, S. 32 ff. 55
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Dazu TIEDEMANN NJW 1977 S. 780 f.
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nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreichte (Überlebens- oder Fortbestehungsprognose). 56 Die InsO bestimmt in § 19 Abs. 2, dass Überschuldung vorliegt, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Bei Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortfiihrung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. - Diese Grundentscheidung sieht auch ein Teil des strafrechtlichen Schrifttums als maßgeblich fur das Strafrecht an, während z. T. gefordert wird, die Bewertung nach Fortführungswerten müsse schon durchgreifen, wenn das Weiterbestehen des Unternehmens nicht ganz unwahrscheinlich ist. 57 An den Problemen der Insolvenz geht diese Auffassung jedoch vorbei. Bei Zugrundelegung der echten Liquidationswerte wäre z. B. ein großer Teil der Unternehmen am Neuen Markt überschuldet, während realistische Fortführungswerte allein dann festzustellen sind, wenn ein Unternehmensverkauf durchfuhrbar ist. Gerade diese Möglichkeit fehlt im Insolvenzfall regelmäßig. Nach wie vor überzeugt der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff. Seine 86 Anwendung verhindert, dass leistungsfähige Unternehmen sinnlos zerschlagen werden. 58 Auf diesem Wege lässt sich allerdings nur die Überschuldung eines Unternehmens im weitesten Sinne feststellen. Das ist auch sachgerecht, denn bei natürlichen Personen bedeutet die rechnerisch feststellbare Überschuldung im Regelfall keineswegs eine Gefahrdung der Gläubigerinteressen. Die Anwendung der §§ 283 ff auf die Verbraucherinsolvenz stößt nicht nur an Wortlautgrenzen im Rahmen des § 283, sie ist grob sachwidrig. 59 bb) Zahlungsunfähigkeit wurde vor Inkrafttreten der InsO definiert als das nach außen in 87 Erscheinung tretende, auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, voraussichtlich dauernde Unvermögen des Täters, seine falligen Geldschulden im wesentlichen zu erfüllen. 60 - Nach § 17 Abs. 2 InsO ist Zahlungsunfähigkeit hingegen bereits gegeben, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Ob im Insolvenzrecht damit die Merkmale der Wesentlichkeit, Dauerhaftigkeit und der ernsthaften Einforderung entfallen sind, ist str. Im Strafrecht besteht für eine derartige Verschärfung der strafbaren Situation kein Sachgrund. Zahlungsstockungen begründen keine Strafbarkeit. 61
56
57
Zur Beurteilung nach Zerschlagungswerten: FRANZHEIM wistra 1984 S. 212; KINDHÄUSER NK, Vor §§ 283 - 283 d Rdn. 95. - Zur Beurteilung nach Fortführungswerten: RICHTER GmbHR 1984 S. 140; TIEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 154 ff. - Zum modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff: B G H Z 119 S. 201, 213 f; 129 S. 136. Vgl. zur überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Fortfiihrung: BIENECK StV 1999 S. 44; BITTMANN w i s t r a 1 9 9 9 S . 1 0 ; HÖFFNER B B 1 9 9 9 S . 2 5 3 f f ; H O Y E R S K II, § 2 8 3 R d n . 1 4 f f ; M O O S M A Y E R E i n f l u ß ,
S. 164. - Auf die nicht ganz unwahrscheinliche Fortführung stellen ab: LACKNER/KÜHL § 283 Rdn. 6; TIEDEMANN L K , V o r § 2 8 3 R d n . 1 5 5 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 4 6 1 . 58
59
Vgl. auch PENZLIN Auswirkungen, S. 155 ff; DERS. NZG 2000 S. 466 ff. - Für eine eigenständige strafrechtliche Begriffsbildung plädiert auch ACHENBACH Schlüchter-GedS, S. 276 ff. - Grundsätzlich kritisch zum Überschuldensbegriff: DEGENER Rudolphi-FS, S. 414 ff, 422 f. Dazu bereits OTTO Bruns-GedS, S. 273 ff; im Übrigen vgl. MOOSMAYER Einfluß, S. 70 ff; PENZLIN A u s w i r k u n g e n , S . 2 0 3 f f . - A . A . L A C K N E R / K Ü H L § 2 8 3 R d n . 6 ; TIEDEMANN L K , V o r § 2 8 3 R d n . 1 4 7 . -
Zum Privatkonkurs aufgrund von Zahlungsunfähigkeit: BGH N J W 2001 S. 1874, 1875 mit Anm. K R A U S E N S t Z 2 0 0 2 S . 4 2 f, K R Ü G E R w i s t r a 2 0 0 2 S . 5 2 f f , S C H R A M M w i s t r a 2 0 0 2 S . 5 5 f . 60
Vgl. dazu BGH StV 1987 S. 343; BGH wistra 1991 S. 26; BayObLG wistra 1988 S. 363.
61
Vgl. auch ACHENBACH Schlüchter-GedS, S. 270 f; BITTMANN wistra 1998 S. 323; PENZLIN Auswirkun-
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
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88 cc) Nach § 18 Abs. 2 droht die Zahlungsunfähigkeit, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Das bedeutet, Zahlungsunfähigkeit droht, wenn nach den Umständen des Einzelfalles die Wahrscheinlichkeit ihres nahen Eintritts besteht. 62 b) Täter 89 Täter des Bankrotts können nur Schuldner sein, und zwar jeder Schuldner, also auch Nichtkaufleute.63 Die Schuldnereigenschafit ist besonderes pflichtbegründendes Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1.64 90 Die Schuldnereigenschaft ist zugleich besonders persönliches Merkmal i.S. des § 14, mit der Konsequenz, dass auch die dort genannten Organe und Vertreter Täter sein können. Bei den vertretungsberechtigten Organen der GmbH, d.h. bei ihren Geschäftsführern, schränkt der BGH den Täterkreis jedoch wesentlich ein. Er vertritt die Auffassung, dass als Täter gemäß § 283 nur bestraft werden kann, wer die Tathandlung für die GmbH und wenigstens auch in ihrem Interesse vorgenommen hat. Bei einem ausschließlich eigennützigen Verhalten des Täters ist dies nicht der Fall. Diese Interessentheorie ist in der Literatur vielfältig auf Kritik gestoßen. 6 ^ . Auch der BGH hat ihre Berechtigung in einer neueren Entscheidung offengelassen 66 und zuvor bereits die Anwendung der Theorie auf den Geschäftsführer einer KG abgelehnt. 67 Dieser Kritik ist zuzustimmen, denn der Geschäftsführer der GmbH, der rechtswirksam über Vermögen der GmbH verfügt, handelt in seiner Eigenschaft als Organ der GmbH.
c) Die einzelnen Tathandlungen aa) Abs. 1 91 Abs. 1 Nr. 1: Verringerung der Insolvenzmasse durch Beiseiteschaffen, Verheimlichen oder entgegen den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft Zerstören, Beschädigen oder Unbrauchbarmachen von Vermögensbestandteilen, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören würden. 92 Beiseiteschaffen ist das Verbringen von Vermögensbestandteilen in eine tatsächliche oder rechtliche Lage, in der den Gläubigern der Zugriff unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert wird, ohne dass dies im Rahmen der ordnungsgemäßen Wirtschaft liegt. Beispiele: Veräußerung, ohne dass der Masse Gegenwerte zufließen; Scheinveräußerung oder -belastung; Verbrauch von Summen, die über den angemessenen Lebensunterhalt hinausgehen (BGH JR 1982 S. 29 mit
gen, S. 150 ff; DERS. N Z G 1999 S. 1203 ff; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 462. - Differenzierend: BLENECK S t V 1 9 9 9 S. 4 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 7 ; T i e d e m a n n L K , V o r § 2 8 3 R d n . 1 2 5 ff. - A . A .
MOOSMAYER Einfluß, S. 155 ff. 62
Dazu BGH bei Holtz, MDR 1990 S. 1067; OTTO Bruns-GedS, S. 278 ff; TRÖNDLE/FLSCHER Vor § 283 Rdn. 10; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2 Rdn. 462. - Krit. zur drohenden Zahlungsunfähigkeit: PENZLIN Auswirkungen, S. 113 ff, 162.
63
Dazu BGH NJW 2001 S. 1874, 1875 mit Anm. KRAUSE NStZ 2002 S. 42 f, KROGER wistra 2002 S. 52 ff, SCHRAMM wistra 2002 S. 55 f.
6 4
Str., v g l . KINDHÄUSER N K , § 2 8 3 R d n . 11; MITSCH B . T . I I / 2 , § 5 R d n . 1 4 6 ; RENKL JUS 1 9 7 3 S. 6 1 4 ; TIEDEMANN L K , § 2 8 3 R d n . 2 2 8 ; TRÖNDLE/FlSCHER § 2 8 3 R d n . 3 8 . - A . A . ARZT/WEBER B . T . , § 16 R d n . 6 7 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 8 R d n . 16; JAKOBS S t r a f r e c h t , A . T . , 2 . A u f l . 1 9 9 1 , 2 3 / 2 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 2 5 ; VORMBAUM G A 1981 S. 133.
65
Zur Rechtsprechung des BGH: BGHSt 28 S. 371; 30 S. 127; 34 S. 223; BGH NStZ 1984 S. 119. - Zur K r i t i t k : ARLOTH N S t Z 1 9 9 0 S. 5 7 2 f f ; GÖSSEL J R 1 9 8 8 S. 2 5 6 f f ; KINDHÄUSER N K , V o r § § 2 8 3 - 2 8 3 d R d n . 5 2 f f ; LABSCH J u S 1 9 8 5 S. 6 0 2 ff; SCHÄFER w i s t r a 1 9 9 0 S. 8 5 ; TIEDEMANN L K , V o r § 2 8 3 R d n .
78 ff. 66
BGH wistra 1990S. 99.
6 7
V g l . B G H S t V 1 9 8 8 S. 14 m i t A n m . WEBER S. 16 f f , u n d WINKELBAUER J R 1 9 8 8 S. 3 3 f f .
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Anm. SCHLÜCHTER S. 29 ff); Überweisung von Geld auf Konten Dritter (BGH StV 1988 S. 14); Übertragen von Vermögenswerten auf anderes Unternehmen des Täters (OLG Frankfürt NStZ 1997 S. 551).
Verheimlichen ist das Verschleiern der Massezugehörigkeit. - Zum Zerstören und Beschädigen vgl. oben § 47 Rdn. 5 ff. Unbrauchbarmachen ist die Funktionsstörung oder Vernichtung ohne Substanzänderung. Der Widerspruch zu den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ist zeitlich aus einer ex-ante-Perspektive zu bestimmen, wobei maßgebliche Kriterien die wirtschaftlich vernünftige Zielsetzung, die sorgfaltige Risikoabwägung und eine hinreichende Informationsgrundlage sind. 68 Abs. 1 Nr. 2: Das Eingehen bestimmter Risikogeschäfte. Verlustgeschäfte sind Geschäfte, die von vornherein auf einen Vermögensverlust angelegt sind. - Spekulationsgeschäfte beziehen sich auf besonders hohe Risikochancen. - Differenzgeschäfte sind Geschäfte, bei denen es dem Täter um die Differenz zwischen dem An- und Verkaufspreis geht, nicht aber um den Erwerb der Ware (z. B. Warenterminoptionsgeschäfte). - Unwirtschaftliche Ausgaben sind Ausgaben des Schuldners, die zu seinem Gesamtvermögen in keinem angemessenen Verhältnis stehen. Abs. 1 Nr. 3: Veräußerung und sonstiges Abgeben von Wertpapieren oder Waren sowie von den aus diesen Waren hergestellten Sachen, die im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Kredits erlangt wurden, erheblich unter ihrem Wert in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise. Abs. 1 Nr. 4: Vortäuschung oder Anerkennung erdichteter Rechte anderer. Abs. 1 Nr. 5: Verletzung der Pflicht, Handelsbücher in bestimmter Weise zu fuhren. Abs. 1 Nr. 6: Beiseiteschaffen, Verheimlichen, Zerstören und Beschädigen von Handelsbüchern und sonstigen Unterlagen, zu deren Aufbewahrung ein Kaufmann nach Handelsrecht verpflichtet ist. Abs. 1 Nr. 7; Erstellen unübersichtlicher Bilanzen und Unterlassen der Aufstellung der Bilanz oder des Inventars. Das Unterlassen der Aufstellung der Bilanz oder des Inventars setzt voraus, dass dem Täter die Vornahme der Handlung rechtlich und tatsächlich möglich ist. 69 Abs. 1 Nr. 8: In einer anderen, den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft grob widersprechenden Weise seinen Vermögensstand verringern oder seine wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimlichen oder verschleiern, bb) Abs. 2 Abs. 2 dehnt die Strafbarkeit über die in der Krise begangenen Handlungen auf jene Bankrotthandlungen aus, die erst die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, d.h. die Krise, herbeiführen. d) Subjektive Voraussetzungen aa) Strafbar gemäß Abs. 1 und Abs. 2 ist zunächst die vorsätzliche Verwirklichung des Tatbestandes. Der Vorsatz muss sich auch auf die Krisensituation beziehen.
68
Vgl. dazu BGHSt 34 S. 310; KINDHÄUSER NK, Vor §§ 283 - 283 d Rdn. 71 ff; KRAUSE Ordnungsgemäßes Wirtschaften und erlaubtes Risiko, 1995, S. 367 ff; TIEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 106 ff.
69
Vgl. dazu BGHSt 28 S. 231; BGH wistra 1998 S. 178; BGH NJW 1998 S. 2836; BGH NStZ 2000 S. 206; BGH JZ 2003 S. 804 mit Anm. BECKEMPER S. 806 ff; KG wistra 2002 S. 313 mit Anm. MAURER wistra 2003 S. 174 ff; OLG Düsseldorf DB 1998 S. 1856.
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100 bb) Gemäß Abs. 4 ist strafbar, wer die Bankrotthandlung vorsätzlich begeht, das Vorhandensein der Krise jedoch fahrlässig nicht kennt oder die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit leichtfertig herbeifuhrt. 101 cc) Gemäß Abs. 5 ist strafbar, wer bestimmte Bankrotthandlungen (Abs. 1 Nr. 2, 5, 7, Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2, 5, 7) fahrlässig begeht und das Vorhandensein der Krise wenigstens fahrlässig nicht kennt, bzw. die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit wenigstens leichtfertig herbeifuhrt. e) Strafbarkeitsvoraussetzung 102 Objektive Bedingung der Straßarkeit ist in allen Fällen der Eintritt der Zahlungseinstellung, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Ablehnung der Eröffnung des Verfahrens mangels Masse beim Schuldner. - Die systematische Auslegung des § 283 Abs. 6 ergibt, dass mit dem dort genannten Begriff „Täter" der „Schuldner" gemeint ist. 70 Zahlungseinstellung liegt vor, wenn ein Schuldner wegen eines wirklichen oder angeblichen nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nach außen nicht mehr in der Lage ist, den wesentlichen Teil seiner falligen Geldzahlungen zu erfüllen. Wesentlichkeit ist bei 50 % der Nichtzahlungsquote anzunehmen. 71 Die Zahlungseinstellung muss nicht auf Zahlungsunfähigkeit beruhen, es genügt z. B. Zahlungsunwilligkeit. 72 103 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. die Abwägung des Antrags auf Eröffnung (§§ 13, 26 InsO) erfolgt durch Beschluss des Amtsgerichts. Maßgebender Zeitpunkt ist der der Rechtskraft des Beschlusses. - Eröffnungsgründe sind die Zahlungsunfähigkeit ( § 17 InsO), die drohende Zahlungsunfähigkeit, wenn der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt (§ 18 InsO), und die Überschuldung (§19 InsO). f) Zusammenhang zwischen Krisensituation und objektiver Bedingung der Strafbarkeit 104 Auch wenn die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit nicht vom Vorsatz und von der Fahrlässigkeit umfasst sein müssen, so stehen sie doch nicht ohne inneren Zusammenhang zu den anderen Tatbestandsmerkmalen. - Die h.M. fordert eine „tatsächliche Beziehung" zwischen der Bankrotthandlung und dem Bankrott derart, dass die Krise, in der die Bankrotthandlung vorgenommen wurde, nicht bis zur Verwirklichung der Strafbarkeitsbedingung behoben wurde. Dieser Zusammenhang ist jedoch zu ungenau. Es kommt vielmehr darauf an, dass sich im Eintritt der Strafbarkeitsbedingung jene Gefahr realisiert hat, die in der Krisensituation ihren Ausdruck fand. 73 g) Versuch und Konkurrenzen 105 Der Versuch ist nur in den Fällen der Verwirklichung der Absätze 1,2 strafbar; Abs. 3. Mehrere Bankrotthandlungen innerhalb einer Krise, die zum Bankrott geführt haben, sind als eine Handlungseinheit aufzufassen. Die Rechtsprechung neigt demgegenüber zur 7 0
V g l . KJNDHÄUSER N K , V o r § § 2 8 3 - 2 8 3 d R d n . 4 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 2 6 ; TlEDEMANN N J W
71
V g l . BIENECK S t V 1 9 9 9 S . 4 5 ; TlEDEMANN L K , V o r § 2 8 3 R d n . 1 4 5 . - F ü r 7 5 % HOYER S K II, V o r §
1977 S. 780. - Kritisch LABSCH wistra 1985 S. 4. 2 8 3 Rdn. 13. 7 2
V g l . B G H G A 1 9 5 3 S. 7 3 ; BIENECK S t V 1 9 9 9 S . 4 5 ; GÖSSEL B . T . 2 , § 2 8 R d n . 12; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 2 7 ; TRÖNDLE/FISCHER V o r § 2 8 3 R d n . 13. - A . A . MOOSMAYER E i n f l u ß , S. 1 7 8 f f ; TlEDEMANN L K , V o r § 2 8 3 R d n . 1 4 3 f; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 4 6 8 .
73
Dazu eingehend OTTO Bruns-GedS, S. 281 ff; TlEDEMANN LK, Vor § 283 Rdn. 91 ff m.w.N. - Zum „äußeren Zusammenhang": BGHSt 28 S. 231, 233; Bay ObLG NJW 2003 S. 1960 mit Anm. MAURER w i s t r a 2 0 0 3 S. 2 5 3 f; LACKNER/KÜHL § 2 8 3 R d n . 2 9 ; MLTSCH B . T . I I / 2 , § 5 R d n . 1 4 7 ; MOOSMAYER
Einfluß, S. 183 ff; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 469.
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Tatmehrheit, soweit nicht die einzelnen Bankrotthandlungen selbst durch eine einheitliche Handlung begangen wurden. 74 2. Besonders schwere Fälle des Bankrotts, § 283 a § 283 a enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit zwei Regelbeispielen (Ge- 106 winnsucht und wirtschaftliche Gefahrdung einer größeren Zahl von Personen). - Zur Gewinnsucht vgl. unten § 65 Rdn. 41. 3. Verletzung der Buchführungspflicht, § 283 b a) § 283 b Abs. 1 Nr. 1-3 stellt die vorsätzliche, außerhalb der Krisenzeit (sonst greift 107 § 283 Abs. 1 Nr. 5, 6, 7 ein) begangene Verletzung bestimmter handelsrechtlicher Buchführungspflichten unter Strafe. b) Gemäß § 283 b Abs. 2 ist in den Fällen des § 283 b Abs. 1 Nr. 1 und 3 auch diefahrläs- 108 sige Tatbegehung strafbar. c) Auch hier sind die Zahlungseinstellung, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die 109 Ablehnung des Antrags auf Eröffnung objektive Bedingungen der Strafbarkeit, vgl. Abs. 3 i.V.m. § 283 Abs. 6. Die Verletzung der Buchfiihrungspflicht muss symptomatischen Gehalt hinsichtlich ihrer gefährlichen Eignung zur Herbeiführung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs haben. Auch hier besteht daher ein Zusammenhang zwischen der objektiven Bedingung der Strafbarkeit und der Tathandlung, der strafrechtlich dahin relevant wird, dass der Ausschluss eines jeden Zusammenhangs zwischen dem BuchfUhrungsmangel und dem Untemehmenszusammenbruch zur Straffreiheit führen m u s s . "
d) Zur Täterschaft und Teilnahme vgl. oben Rdn. 89 f.
110
4. Die Gläubigerbegünstigung, § 283 c a) Die Gläubigerbegünstigung ist ein privilegierter Fall des Bankrotts. - Bestraft wird der 111 Schuldner, der in Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit absichtlich oder wissentlich einen Gläubiger vor den übrigen Gläubigern begünstigt, indem er diesem aus seinem dem Konkurs unterliegenden Vermögen eine inkongruente Sicherung oder Befriedigung gewährt. Der Anspruch des Gläubigers muss vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit begründet sein. 76 Da das privilegierende Element in der Gläubigerstellung begründet ist, findet § 283 c und nicht § 283 Abs. 1 Nr. 1 Anwendung, wenn der für den Schuldner nach § 14 handelnde Täter selbst der Gläubiger ist. 7 7
b) Subjektiv erfordert der Tatbestand neben der sicheren Kenntnis der Zahlungseinstellung 112 direkten Vorsatz in bezug auf den Begünstigungserfolg, während für die Tathandlung bereits bedingter Vorsatz genügt.
74
BGH GA 1978 S. 185; BGH NJW 1955 S. 394.
75
Vgl. BGHSt 28 S. 231; BayObLG wistra 2003 S. 30 f; wistra 2003 S. 357; TIEDEMANN LK, § 283 Rdn. 97 f; WILHELM NStZ 2003 S. 511 ff. - A.A. BIENECK wistra 1992 S. 81; SCHÄFER wistra 1990 S. 87 f.
76
Vgl. auch LACKNER/KÜHL § 283 c Rdn. 2; VORMBAUM GA 1981 S. 107. - A.A. BGHSt 35 S. 361 mit A n m . OTTO J K 89, S t G B § 2 8 3 d / 1 ; TIEDEMANN L K , § 2 8 3 c R d n . 8; SCH/SCH/HEINE § 2 8 3 c R d n . 12; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 8 3 c R d n . 2 .
7 7
V g l . HARTWIG B e m m a n n - F S , S. 3 1 1 f f , 3 3 8 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 4 8 R d n . 3 7 ; RENKL JUS 1973 S. 6 1 3 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 4 7 7 . - A . A . B G H S t 3 4 S. 2 2 1 m i t abl. A n m . WEBER S t V 1 9 8 8 S. 16 ff, WINKELBAUER J R 1 9 8 8 S. 3 3 ff; KINDHÄUSER N K , § 2 8 3 c R d n . 3; TIEDEMANN L K , § 2 8 3 c R d n . 10 f; TRÖNDLE/FISCHER § 2 8 3 c R d n . 2 .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Handelt der Täter nur mit bedingtem Vorsatz bezüglich des Begünstigungserfolges, so bleibt er straffrei. Keineswegs ist in dieser Situation wiederum die Strafbarkeit aus dem Grundtatbestand des § 283 eröffnet, denn das verwirklichte Unrecht liegt im Schweregrad unter dem im privilegierten § 283 c erfassten Unrecht.
113 c) Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. 114 d) Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist auch hier: Zahlungseinstellung, Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder Ablehnung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Abs. 3 i.V.m. § 283 Abs. 6. Der Zusammenhang zwischen objektiver Bedingung der Strafbarkeit und Tathandlung liegt vor, wenn Objekte in der Krisensituation dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen entzogen wurden, aus der sich die objektive Bedingung der Strafbarkeit entwickelt hat. 115 e) Durch bloße Annahme der Begünstigung macht sich der begünstigte Gläubiger nicht wegen Beihilfe strafbar (notwendige Teilnahme). Strafbar ist jedoch die Anstiftung des Schuldners und die „rollenüberschreitende Beihilfe" zur Gläubigerbegünstigung. 78 5. Schuldnerbegünstigung, § 283 d 116 a) Nach § 283 d Abs. 1 wird bestraft, wer Vermögensbestandteile eines anderen, die zur Masse gehören würden, mit dessen Einwilligung oder zu dessen Gunsten in einer bestimmten Krisenzeit beiseite schafft, verheimlicht oder in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise zerstört, beschädigt oder unbrauchbar macht. 117 Seinem Wortlaut nach eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, auch den Gläubiger wegen Schuldnerbegünstigung zu bestrafen, der sich in einvernehmlichem Zusammenwirken mit dem Schuldner Vermögensgegenstände zur Absicherung seiner Forderung verschafft. Auch dieser Täter schafft „Bestandteile" des Vermögens eines anderen, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören, mit Einwilligung des Schuldners beiseite. Diese Auslegung würde jedoch dem Sinngehalt des § 283 d widersprechen. Die Vorschriften über die Insolvenzstraftaten begründen eine besondere strafrechtliche Verantwortlichkeit des Schuldners und der für ihn nach § 14 tätigen Personen. Zwischen ihm und den Insolvenzgläubigern besteht eine scharfe Trennung. Daher wäre es ein Widerspruch, wenn das Gesetz einen Nichtschuldner mit der hohen Strafdrohung der §§ 283 Abs. 1 Nr. 1, 283 d Abs. 1 belegte, wo es dem Schuldner die Privilegierung des § 283 c zugute kommen lässt. Von der Tatvariante des Beiseiteschaffens mit Einwilligung des Schuldners werden daher einvernehmlich zwischen Schuldner und Gläubiger vorgenommene Handlungen, wie sie in § 283 c näher unterschieden sind, nicht erfasst. 79 118 Krisenzeiten sind hier die dem anderen drohende Zahlungsunfähigkeit, die Zeit nach Zahlungseinstellung, das Insolvenzverfahren und das Verfahren zur Herbeifühung der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eines anderen. 119 b) Subjektiv erfordert die Tathandlung Kenntnis der einem anderen drohenden Zahlungsunfähigkeit (Abs. 1 Nr. 1), d.h. direkten Vorsatz, im übrigen genügt bedingter Vorsatz. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 2.
7 8
D a z u B G H N S t Z 1 9 9 3 S. 2 3 9 ; MLTSCH B . T . I I / 2 , § 5 R d n . 154; OTTO L a n g e - F S , S. 2 1 4 .
7 9
V g l . B G H S t 3 5 S. 3 5 7 m i t ANM. OTTO J K 8 9 , S t G B § 2 8 3 d / 1 , S o w ADA G A 1 9 9 5 S. 6 0 ff; KINDHÄUSER N K , § 2 8 3 d R d n . 5; MlTSCH B . T . I I / 2 , § 5 R d n . 159; TIEDEMANN L K , § 2 8 3 d R d n . 4 ; TRöNDLE/FlSCHER § 2 8 3 d R d n . 1; VORMBAUM G A 1981 S. 130. - A . A . H o y e r S K II, § 2 8 3 d R d n . 9 .
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c) Abs. 3 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen (Gewinnsucht, wirtschaftliche Gefahrdung einer größeren Anzahl von Personen). d) Objektive Bedingung der Strafbarke it ist auch hier, dass der andere seine Zahlungen eingestellt hat, über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Antrag auf Eröffnung mangels Masse abgewiesen worden ist, Abs. 4. Zum Zusammenhang zwischen Tathandlung und objektiver Bedingung der Strafbarkeit vgl. Rdn. 114. e) Täter kann jeder außer dem Gemeinschuldner sein. - Die Schuldnerbegünstigung ist nicht etwa eine nur verselbständigte Teilnahme am Bankrott des Schuldners, sondern ein eigenständiges Delikt. Daraus folgt, dass Täterschaft gemäß § 283 d und Teilnahme an § 283 idealiter konkurrieren können und dass der begünstigte Schuldner Teilnehmer der Tat sein kann.
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VII. Wucher, § 291 1. Der Schutzbereich und das geschützte Rechtsgut § 291 erfasst die verschiedenen Formen des Individual Wuchers. - Sozialwucher i.S. der 124 Ausnutzung der Notlage der Allgemeinheit wird nach §§ 3-6 WiStG erfasst. - Durch wucherisches Verhalten, insbesondere wenn es quantitativ massiert auftritt, wird der Wirtschaftsverkehr schwer beeinträchtigt. - Geschütztes Rechtsgut ist daher das Vertrauen in das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschaft, daneben wird auch das Vermögen geschützt. Die h.M. sieht nur das Vermögen als das geschützte Rechtsgut an.^O Dieser Meinung ist zuzugestehen, dass 1 2 5 der Tatbestand in seiner derzeitigen Auslegung durch die Rechtsprechung, insbesondere durch restriktive Interpretation des Merkmals der Unerfahrenheit, zu einem Delikt gegen das Vermögen von Personen in bestimmten Ausnahmesituationen geworden ist. Ihm kann auf diese Weise keine Bedeutung für die Wirtschaftsordnung zukommen.
2. Die Tathandlung Strafbar ist die Ausbeutung der Schwächesituation (Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel 126 an Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche) eines anderen dadurch, dass der Täter sich oder einem Dritten für die Gewährung oder Vermittlung einer Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen. a) Vorausgesetzt wird ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, in dem einer Leistung gleich wel- 127 eher Art eine Gegenleistung gegenübersteht. Mietwucher (Abs. 1 Nr. 1), Kreditwucher (Abs. 1 Nr. 2) und Vermittlungswucher (Abs. 1 Nr. 4) sind nur Beispielsfalle und nennen die kriminalpolitisch bedeutsamsten Fälle des Wuchers. b) Zwischen der angebotenen und der erbrachten Leistung und dem dem Täter oder einem 128 Dritten versprochenen Vermögensvorteil besteht dann ein auffälliges Missverhältnis, wenn dem Kundigen - sei es auch erst nach genauer Prüfung des Sachverhalts - ein un8 0
V g l . GÖSSEL B . T . 2 , § 3 2 R d n . 2 ; HEFENDEHL R e c h t s g ü t e r , S. 2 7 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 9 1 R d n . 1; LAUFEN W u c h e r ( § 2 9 1 A b s . 1 S a t z 1 S t G B ) , 2 0 0 4 , S. 3 5 ff; MITSCH B.T.LI/2, § 5 R d n . 4 9 ; SICKEN-
BERGER Wucher als Wirtschaftsstraftat, 1985, S. 57. - Vermögen und Willensfreiheit sieht SCHEFFLER GA 1992 S. 13 f, die Vertragsfreiheit KINDHÄUSER NStZ 1994 S. 106 sowie HEINSIUS Das Rechtsgut des Wuchers, 1997, S. 46, den Schutz vor krasser wirtschaftlicher Übervorteilung TRÖNDLE/FISCHER § 291 Rdn. 3, als das geschützte Rechtsgut an.
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verhältnismäßiger Wertunterschied zwischen Leistung und Vorteil ins Auge springt. Zu vergleichen ist die Gesamtheit der Leistungen mit den dem Täter oder dem Dritten zugeflossenen oder versprochenen Vermögensvorteilen. Vorteile, die das Tatopfer aus der Verwertung oder Nutzung der Leistung des Täters zieht, bleiben hingegen beim Leistungsvergleich unberücksichtigt. Bei kombinierten Geschäften unter den Beteiligten sind die Gesamtleistungen und die Gesamtvorteile zu vergleichen. 81 aa) Beim Mietwucher ist der Beurteilung in Anlehnung an § 5 WiStG die ortsübliche Miete zugrunde zulegen. Waren jedoch Gestehungskosten und Aufwendungen des Vermieters so hoch und bei ordnungsgemäßer Wirtschaft nicht zu vermeiden, dass die ortsübliche Miete nicht kostendeckend ist, so ist dies zu berücksichtigen. 82 bb) Beim Kreditwucher sind die verkehrsüblichen, bei vergleichbarem Risiko geforderten Zinsen zum Vergleichsmaßstab zu wählen. Beim Ratenkredit ist der sog. Schwerpunktzins aus den Monatsberichten der DEUTSCHEN BUNDESBANK als Grundlage des Vergleichs geeignet, doch ist der Vergleichsmaßstab zu modifizieren, soweit im konkreten Fall Risikomaßstäbe oder Laufzeit abweichen oder der Verdacht begründet ist, dass der Schwerpunktzins durch nicht kostendeckende Zinsen manipuliert ist. 83 Die Leistungen des Kreditnehmers werden im sog. effektiven Jahreszins ausgedrückt, der nicht nur Zinsen des Kredits im technischen Sinne, sondern die Gesamtkosten des Kredits erfasst, d.h. Bearbeitungsgebühren, evtl. Auskunftsgebühren, Vermittlungskosten und in angemessener Weise die Kosten der Restschuldversicherung. 84 Einen festen Richtwert für die Überschreitung der Strafbarkeitsschwelle akzeptiert der BGH nicht. Immerhin dürfte aber ein gegenüber dem Schwerpunktzins 100 % höherer effektiver Jahreszins ein ausreichendes Indiz für einen wucherischen Zinssatz sein. 85 c) Wirken bei einem wirtschaftlich einheitlichen Geschäftsvorgang mehrere Personen in verschiedenen Rollen mit, die dafür jeweils selbständig Vermögensvorteile beanspruchen, und entsteht dadurch ein auffalliges Missverhältnis zwischen der Summe der Vermögensvorteile und der Summe der Gegenleistungen, so ist gemäß Abs. 1 S. 2 bereits der Mitwirkende strafbar, der die Schwächesituation des anderen für sich oder einen Dritten zur Erzielung eines übermäßigen Vermögensvorteils ausnutzt. Abs. 1 S. 2 findet jedoch keine Anwendung, wenn die Mitwirkenden ihre Tatbeiträge nicht selbständig erbringen, sondern als Mittäter oder als Täter und Teilnehmer. Dies wird in der Regel der Fall sein, wenn Kreditvermittler und Kreditgeber bei der Vergabe eines wucherischen Kredits zusammenwirken.
81
Vgl. auch KINDHÄUSER NK, § 291 Rdn. 44; TRÖNDLE/FISCHER § 291 Rdn. 16. - A.A. OLG Karlsruhe J R 1 9 8 5 S. 167 m i t abl. A n m . OTTO S. 169 f.
82
So auch LACKNER/KÜHL § 291 Rdn. 4; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 43 Rdn. 17. - A.A. B G H S t 30 S. 2 8 0 mit abl. Anm. SCHEU J R 1982 S. 4 7 4 f; GÖSSEL B.T.2, § 32 Rdn. 22; KINDHÄUSER N K , § 291 Rdn. 48; SICKENBERGER Wucher, S. 82.
83
Dazu im Einzelnen: BGH(Z) 80 S. 153; BGH(Z) NJW 1983 S. 2780; BGH(Z) NJW 1988 S. 1661; OLG Stuttgart wistra 1982 S. 36; OLG Karlsruhe NJW 1988 S. 1154 ff; HABERSTROH NStZ 1982 S. 265 ff; KINDHÄUSER NK, § 291 Rdn. 50; NACKMDR 1981 S. 621 ff; OTTO NJW 1982 S. 2745 ff.
84
Dazu im Einzelnen: BGH(Z) 80 S. 166 ff; OLG Stuttgart(Z) NJW 1979 S. 2411; OLG Hamburg NJW 1982 S. 943; NACK MDR 1981 S. 623; OTTO NJW 1982 S. 2747 f - Zur Gegenansicht: LAUFEN Wucher, S. 138 ffm.N.
85
Dazu BGH(Z) NJW 1988 S. 818; OLG Stuttgart(Z) NJW 1979 S. 2410; KINDHÄUSER NK, § 291 Rdn. 5 0 ; NACK M D R 1981 S. 6 2 4 ; OTTO N J W 1982 S. 2 7 4 8 f.
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d) Ein Ausbeuten liegt vor, wenn der Täter bewusst die bedrängte Lage des Opfers zur Er- 133 langung übermäßiger Vermögensvorteile ausnutzt und damit missbraucht. Eine besonders anstößige Ausnutzung der Lage ist hingegen nicht erforderlich.86 3. Die einzelnen Schwächesituationen a) Zwangslage ist eine Situation schwerwiegender, nicht notwendig existenzbedrohender wirtschaftlicher Bedrängnis, die schwere wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt oder befurchten lässt. b) Unerfahrenheit ist nach h.M. die auf Mangel an Geschäftskenntnis und Lebenserfahrung beruhende Eigenschaft des Ausgebeuteten, durch die er gegenüber dem Durchschnittsmenschen benachteiligt ist. Die bloße Unkenntnis der Bedeutung eines Geschäfts genügt diesen Erfordernissen nicht.87 Schon vom Wortsinn her ist es schief, die Unerfahrenheit als Eigenschaft einer Person anzusehen. Diese kann höchstens auf bestimmten Eigenschaften einer Person beruhen, doch eine derart biologische Begrenzung dieses Tatbestandsmerkmales ist nicht notwendig. Von Unerfahrenheit kann vielmehr schon dann gesprochen werden, wenn es einer Person nicht möglich ist, trotz Nutzung der ihr gegebenen Fähigkeiten, sich einen Überblick über den Marktpreis zu verschaffen.88 - In genau diesem Sinne interpretiert auch der BGH die Unerfahrenheit in einer neueren Entscheidung zum Lohnwucher.89 Unerfahrenheit würde damit genau wie in § 89 BörsenG dahin interpretiert werden, dass unerfahren derjenige ist, der infolge fehlender geschäftlicher Einsicht die Tragweite eines Geschäftes nicht überblicken kann; vgl. BGH wistra 2002 S. 22 mit Anm. PARK S. 107 f. c) Mangel an Urteilsvermögen ist ein individueller, nicht durch bloße Erfahrung ausgleichbarer Leistungsmangel, der es dem Betroffenen unmöglich macht oder erheblich erschwert, bei einem Rechtsgeschäft Leistung und Gegenleistung richtig abzuwägen und die wirtschaftlichen Folgen des Geschäftsabschlusses vernünftig zu bewerten. d) Willensschwäche ist jeder Mangel an Widerstandsfähigkeit gegenüber psychischen Reizen. Sie ist erheblich, wenn sie im Wirkungsgrad den anderen Schwächesituationen vergleichbar ist.
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4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der die besondere Situation und das auffallige 139 Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung umfassen muss. 5. Besonders schwere Fälle Abs. 2 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit drei Regelbeispielen. 140 a) Das Opfer gerät durch die Tat in wirtschaftliche Not (Nr. 1), d.h. es ist in seiner Lebensführung so beeinträchtigt, dass es lebenswichtige Aufwendungen nicht mehr bestreiten kann. 8 6
S o B G H S t 11 S. 187; BERNSMANN G A 1981 S. 165; GÖSSEL B . T . 2 , § 3 2 R d n . 13; HOYER S K II, § 2 9 1 R d n . 19; KINDHÄUSER N K , § 2 9 1 R d n . 3 5 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 4 3 R d n . 2 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 1 R d n . 14. - A . A . LACKNER/KÜHL § 2 9 1 R d n . 8; SCH/SCH/HEINE § 2 9 1 Rdn. 2 9 ;
8 7
B G H S t 13 S. 2 3 3 ; B G H N J W 1 9 8 3 S. 2 7 8 0 m i t A n m . NACK N S t Z 1984 S. 2 3 f, OTTO J R 1984 S. 2 5 2 ff; GÖSSEL B . T . 2 , § 3 2 R d n . 9; SCH/SCH/HEINE § 2 9 1 R d n . 2 5 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 1 R d n . 11.
8 8
D a z u NACK M D R 1981 S. 6 2 4 ; OTTO N J W 1982 S. 2 7 4 9 f.
89
Vgl. BGHSt 43 S. 53, 59 mit Anm. BERNSMANN JZ 1998 S. 629, 631 ff, OTTO JK 98, StGB § 302 a a.F./l, RENZIKOWSKI JR 1999 S. 166 ff.
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b) Die Tat wird gewerbsmäßig begangen (Nr. 2); zum Begriff der Gewerbsmäßigkeit vgl. §41 Rdn. 21. c) Die wucherischen Vermögensvorteile werden durch Wechsel versprochen (Nr. 3).
VIII. Straftaten gegen den Wettbewerb 141 Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Korruption v. 13.8.1997 hat der Gesetzgeber Straftaten gegen den Wettbewerb in das StGB eingefugt. Diese schützen den freien Wettbewerb, daneben aber - wie auch die anderen Wirtschaftsdelikte des StGB - das Vermögen bestimmter Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr. 90 1. Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen, § 298 142 Mit Aufnahme des § 298 in das StGB beendete der Gesetzgeber eine über Jahrzehnte währende Diskussion ob und wie der sog. Submissionsbetrug strafrechtlich zu erfassen sei. In diesen Jahren hatten Preisabsprachen in verschiedenen Wirtschaftszweigen, vor allem in der Bauwirtschaft, Kartell-, Strafverfolgungsbehörden und Öffentlichkeit kontinuierlich beschäftigt. Geldbußen in Millionenhöhe waren nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 und 8 GWB a. F. (jetzt: § 81 Abs. 1 Nr.l GWB) verhängt worden, hatten aber offensichtlich keine generalpräventive Wirkung entfaltet. 91 Die Erfassung zumindest bestimmter Submissionsabsprachen als Betrug, § 263, scheiterte in der Praxis an Beweisschwierigkeiten im Hinblick auf den Vermögensschaden. Nachdem sodann im Zusammenhang mit Bestechungsdelikten weitreichende Submissionsabsprachen aufgedeckt worden waren, entschloss sich der Gesetzgeber, einen Teilbereich der bisher als Ordnungswidrigkeit nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 , 8 GWB a. F. (jetzt: § 81 Abs. 1 Nr.l GWB) unter Bußgeld stehenden Verhaltensweisen, zu kriminalisieren. Bewusst wurde auf das Erfordernis eines Vermögensschadens verzichtet. 92 Der Tatbestand zielt als abstraktes Gefahrdungsdelikt auf den Schutz des freien Wettbewerbs. 93 a) Die Tathandlung 143 Tathandlung ist die Abgabe eines Angebots, das auf einer rechtswidrigen Absprache bei einer - beschränkten oder unbeschränkten - Ausschreibung über Waren oder gewerbliche Leistungen, Abs. 1, beruht. Der Ausschreibung gleichgestellt sind freihändige Vergaben nach einem Teilnehmerwettbewerb, Abs. 2. Handlungen im Vorfeld, insbes. die Absprache 90
BT-Drucks. 13/5584, S. 13; vgl. auch ACHENBACH WUW 1997 S. 959; DANNECKER NK, § 298 Rdn. 10 ff, § 299 Rdn. 4; HEINRICH Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht, 2001, S. 605 f; LACKNER/KÜHL § 298 R d n . 1; MITSCH B . T . I I / 2 , § 3 R d n . 1 9 6 ; OTTO w i s t r a 1 9 9 9 S. 4 1 ; TRÖNDLE/FISCHER V o r § 2 9 8 R d n . 6 ;
WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 699. - Nur Schutz des freien Wettbewerbs: RUDOLPHI SK II, § 298 Rdn. 3. - Nur Schutz des Vermögens: MAURACH/SCHRÖ-DER/MAIWALD B.T.2, § 68 Rdn. 2. - Zum freien Wettbewerb als Rechtsgut vgl. einerseits DANNECKER/BIERMANN in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, Vor § 81 Rdn. 9 f; TIEDEMANN Müller-Dietz-FS, S. 905 ff, andererseits LODERSSEN BB 1996, Beilage 11 zu Heft 25, S. 6 ff. 9
'
Im Einzelnen zur Entwicklung GRÜTZNER Die Sanktionierung von Submissionsabsprachen, 2003, S. 79 ff; O T T O Z R P 1 9 9 6 S. 3 0 0 ff.
92
Dazu BT-Drucks. 13/5584, S. 13; DOLLING Gutachten für den 61. Dt. Juristentag, 1996, C 93 ff; KÖNIG JR 1 9 9 7 S. 4 0 1 .
9 3
V g l . a u c h DANNECKER N K , § 2 9 8 R d n . 15; HOHMANN N S t Z 2 0 0 1 S. 5 7 1 ; KÖNIG J R 1 9 9 7 S. 4 0 2 ; KUHLEN L a m p e - F S , S. 7 4 7 ; LACKNER/KÜHL § 2 9 8 R d n . 1; MITSCH B . T . I I / 2 , § 3 R d n . 1 9 5 , 1 9 7 ; RENGIER B . T . I, § 13 R d n . 1 0 1 a ; RUDOLPHI S K II, § 2 9 8 R d n . 3 ; SCH/SCH/HEINE § 2 9 8 R d n . 1;
TRÖNDLE/FISCHER § 298 Rdn. 3a. - A.A. (Verletzungsdelikt): GRÜTZNER Sanktionierung, S. 507 ff; TIEDEMANN L K , § 2 9 8 R d n . 12; WALTER G A 2 0 0 1 S . 134 ff.
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selbst, sind straflos. - Erfasst sind nicht nur Vergabeverfahren der öffentlichen Hand, sondern auch Ausschreibungen und freihändige Vergaben nach Teilnahmewettbewerben durch Private. Diese Unternehmen sind bei ihren Vergabeverfahren allerdings nicht an die Bestimmungen der VOB/A und VOL/A gebunden, daher ist an Hand dieser Bestimmungen festzustellen, ob das Vergabeverfahren einer Ausschreibung oder einer freihändigen Vergabe nach einem Teilnahmewettbewerb im Sinne dieser Vorschriften entspricht. 94 - Allerdings ist die Ähnlichkeit bereits grundsätzlich fragwürdig, wenn durch Ausschluss von VOB/A und VOL/A der durch diese Vorschriften dem Bieter gewährte Rechtsschutz ersatzlos beseitigt wird. Die Begriffe Waren und gewerbliche Leistungen sind im Sinne der kartellrechtlichen 144 Bestimmungen zu verstehen. Ware ist danach, was Gegenstand des geschäftlichen Verkehrs sein kann, also auch Immobilien und Immaterialgüter. 95 Leistungen sind Tätigkeiten für einen anderen, bei dem der Erfolg nur diesem, nicht aber dem Tätigen selbst zufallt. Gewerblich ist eine Leistung, wenn sie im geschäftlichen Verkehr erbracht wird. Das sind nicht nur die Leistungen eines Gewerbebetreibers, sondern Leistungen aller Unternehmen im Sinne des Kartellrechts, also auch Leistungen der freien Berufe sowie des Staates im privatwirtschaftlichen Bereich. 96 b) Der Inhalt der Absprache Absprache ist ein - aus der Sicht der Beteiligten bindendes - Übereinkommen unter den 145 potentiellen Anbietern, über das Verhalten im Ausschreibungsverfahren bzw. bei der freihändigen Vergabe. Bloße Kontakte, Gespräche darüber, wer an der Vergabe interessiert ist und ein Angebot abgeben will o.Ä., reichen nicht aus. 97 Rechtswidrig ist die Absprache, wenn sie gegen §§ 1, 14 GWB oder Art. 81, 82 EGV verstößt. Der Tatbestand setzt daher eine kartellrechtswidrige Absprache zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen voraus. 98 Die Absprache muss darauf gerichtet sein, den Veranstalter zur Annahme eines be- 146 stimmten Angebots zu veranlassen. Nicht erforderlich ist, dass die Absprache vor dem Veranstalter der Ausschreibung verheimlicht wird, obwohl gerade eine Verheimlichung als gleichsam betrügerisches Element Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit des Verhaltens wesentlich geprägt hätte. Der Gesetzgeber wollte durch den Verzicht auf das Merkmal des Verheimlichen auch die Fälle erfassen, bei denen der Bieter kollusiv mit dem Veranstalter oder einem Mitarbeiter des Veranstalters, dessen Kenntnis dem Veranstalter zugerechnet werden kann, zusammenarbeitet. 99
94
Vgl. BT-Drucks. 13/5584, S. 14; BGH NStZ 2003 S. 548 mit Anm. GREEVE S. 549 f; GREEVE NStZ 2 0 0 2 S. 5 0 5 ff; DANNECKER N K , § 2 9 8 R d n . 2 9 ; LACKNER/KÜHL § 2 9 8 R d n . 2 ; TIEDEMANN L K , § 2 9 8
Rdn. 22. 9 5
D a z u DANNECKER N K , § 2 9 8 R d n . 3 7 ; TIEDEMANN L K , § 2 9 8 R d n . 2 6 .
9 6
D a z u DANNECKER N K , § 2 9 8 R d n . 3 8 ; TIEDEMANN L K , § 2 9 8 R d n . 2 7 .
97
Vgl. dazu BR-Drucks. 229/1/82, S. 7; KÖNIG JR 1997 S. 402; OTTO wistra 1999 S. 41; RUDOLPHI SK
98
BT-Drucks. 13/5584, S. 14; BGH NJW 2004 S. 2761, 2763 f mit Anm. DANNECKER JZ 2005 S. 49 ff, OTTO JK 05, StGB § 298/1; DANNECKER NK, § 298 Rdn. 21, 47; GREEVE NStZ 2002 S. 508;
II, § 2 9 8 R d n . 7; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 8 R d n . 11.
TIEDEMANN L K , § 2 9 8 R d n . 16 f, 3 4 , 3 5 . - A . A . LACKNER/KÜHL § 2 9 8 R d n . 3; RUDOLPHI S K II, § 2 9 8 R d n . 8; SCH/SCH/HEINE § 2 9 8 R d n . 11. 99
Vgl. BT-Drucks. 13/5584, S. 14.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
c) Subjektiver Tatbestand 147 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der neben der Abgabe des Angebots auch den Inhalt der rechtswidrigen Absprache umfassen muss; 1 0 0 bedingter Vorsatz genügt. d) Täterschaft und Teilnahme 148 Da es sich bei § 298 nicht um ein Sonderdelikt handelt, könnte grundsätzlich auch ein Nichtkartellmitglied Täter sein. Weil die Tathandlung aber in der Abgabe eines Angebots besteht, das auf einer rechtswidrigen Absprache beruht, können faktisch nur Kartellmitglieder oder für diese handelnde Personen Täter sein. 101 e) Tatvollendung 149 Mit der Abgabe des Angebots ist die Tat vollendet. Abgegeben ist das Angebot noch nicht mit der Entäußerung durch den Täter, sondern - entsprechend den Äußerungsdelikten - mit Zugang beim Veranstalter. Kenntnisnahme ist bei schriftlichen Angeboten nicht nötig, bei mündlichen Angeboten genügt es, dass der Adressat die Erklärung aufgenommen hat. Nicht erforderlich ist, dass er sie in ihrer vollen Bedeutung erfasst hat. f) Tätige Reue, Abs. 3 150 Abs. 3 sieht fur den Täter nach formeller Tatverwirklichung, aber vor materieller Tatbeendigung eine strafbefreiende Rücktrittsmöglichkeit vor. Straffreiheit erlangt der Täter, der nach Abgabe des Angebots aber vor Erbringung der Leistung entweder die Leistung freiwillig verhindert oder sich zumindest freiwillig und ernsthaft darum bemüht, falls die Leistung ohne sein Zutun nicht erbracht wird. g) Konkurrenzen 151 Aufgrund der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter konkurrieren §§ 263, 298 idealiter, § 52. 102 § 81 Abs. 1 Nr. 1 in Verb, mit § 1 GWB tritt gemäß § 21 OWiG hinter § 298 zurück. - Ein eventueller strafbefreiender Rücktritt nach § 298 Abs. 3 erstreckt die Straffreiheit nicht auf einen bereits vollendeten Eingehungsbetrug; zur entsprechenden Problematik des § 264 a vgl. Rdn. 66. h) Unternehmensbuße 152 Zur Verhängung einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG sind gemäß § 82 GWB die Kartellbehörden zuständig. Diese „Aufspaltung der Sanktionierungsbefugnisse" ist nicht unproblematisch. 103 2. Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 299 153 Unter redaktioneller Anpassung an die §§ 331 ff hat der Gesetzgeber die aktive und passive Bestechung im geschäftlichen Verkehr aus dem UWG herausgenommen und in das StGB verlagert. Er versprach sich mit dieser Regelung, die ohne Not den ehemaligen § 12 UWG aus dem durch das UWG begründeten Sachzusammenhang riss, das Bewusstsein in 100
Die Rechtswidrigkeit der Absprache ist Tatbestandsmerkmal; vgl. DANNECKER NK, § 298 Rdn. 50; LACKNER/KÜHL § 2 9 8 R d n . 3; TIEDEMANN L K , § 2 9 8 R d n . 3 7 ; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 7 0 0 ; WOHLERS JUS 1 9 9 8 S. 1 1 0 2 . - A . A . RUDOLPHI S K II, § 2 9 8 R d n . 8; MAU-
RACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 68 Rdn.5. 101
S o a u c h DANNECKER N K , § 2 9 8 R d n . 6 3 ; TIEDEMANN L K , § 2 9 8 R d n . 19. - A . A . MITSCH B.T.IL/2, § 3 R d n . 2 0 7 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 8 R d n . 17.
102
V g l . a u c h ACHENBACH W U W 1 9 9 7 S. 9 5 9 ; DANNECKER N K , § 2 9 8 R d n . 7 1 ; KÖRTE N S t Z 1 9 9 7 S. 5 1 6 ; LACKNER/KÜHL § 2 9 8 R d n . 9; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 6 9 9 .
103
Dazu ACHENBACH wistra 1998 S. 168 ff; DANNECKER/BIF.RMANN in: Immenga/Mestmäcker, § 82 Rdn. 7 ff; KÖRTE N S t Z 1 9 9 7 S. 5 1 7 f; WOLTERS J u S 1 9 9 8 S. 1103.
340
Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch
§61
der Bevölkerung zu schärfen, „daß es sich auch bei der Korruption im geschäftlichen Bereich um eine Kriminalitätsform handelt, die nicht nur die Wirtschaft selbst betrifft, sondern Ausdruck eines allgemein sozial ethisch missbilligten Verhaltens ist". 104 In der Praxis hatte § 12 UWG eine geringe Bedeutung, obwohl dem Schmiergeldwesen eine erheblich den Wettbewerb verzerrende Bedeutung zugeschrieben wird und auch spektakuläre Einzelfälle die Öffentlichkeit permanent beschäftigten. Ein Hindernis effektiver Strafverfolgung wurde im Antragserfordernis des § 12 UWG gesehen. Daneben wurde der Ausschluss der Strafbarkeit des unlauteren Wettbewerbs um den privaten Kunden als sachwidrige Begrenzung des Tatbestandes beurteilt. 1 0 ^
a) Der Tatbestand der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, Abs. 1 aa) Täter der Bestechlichkeit können nur Angestellte oder Beauftragte eines geschäftlichen 154 Betriebes sein. Die Täterposition ist Sonderpflichtmerkmal im Sinne des § 28 Abs. I. 1 0 6 Angestellter ist, wer aufgrund eines Vertrages in einem entgeltlichen oder unentgeltlichen Dienstverhältnis zu einem geschäftlichen Betrieb steht und den Weisungen des Geschäftsherrn unterworfen ist. Beauftragter ist, wer ohne Inhaber oder Angestellter eines geschäftlichen Betriebes zu sein, befugtermaßen - sei es u.U. auch aufgrund eines nichtigen Vertrages oder als sog. faktischer Geschäftsführer - berechtigt oder verpflichtet ist, für den Betrieb dauernd oder gelegentlich geschäftlich tätig zu werden. Eine selbständige Stellung innerhalb des Betriebes steht der Eigenschaft als Beauftragter nicht entgegen. - Die Angestellten oder Beauftragten müssen unmittelbar oder mittelbar auf die den Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen betreffenden Entscheidungen des Betriebes Einfluss nehmen können, um als taugliche Täter in Betracht zu kommen - Geschäftlicher Betrieb ist jede auf Dauer angelegte Unternehmung, die außerhalb des reinen Privatbereichs am Wirtschaftsverkehr durch Austausch von Leistung und Gegenleistung teilnimmt. 107 Den Gegensatz zum geschäftlichen Betrieb bildet die rein private Betätigung der Person außerhalb von Erwerb und Berufsausübung. bb) Die Tathandlung ist das Fordern, Sichversprechenlassen oder Annehmen eines Vor- 155 teils für sich oder einen Dritten als Gegenleistung für die zukünftige unlautere Bevorzugung eines anderen im geschäftlichen Verkehr bei dem Bezug von Waren oder Leistungen im Wettbewerb. Fordern ist das ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck gebrachte einseitige Ver- 156 langen des Täters, einen Vorteil als Gegenleistung für die unlautere Bevorzugung eines anderen für sich oder einen Dritten haben zu wollen. Das Verlangen ist daher eine auf Abschluss einer Unrechtsvereinbarung zielende Erklärung, 108 die dem ins Auge gefassten Vorteilsgeber oder seinem Mittelsmann zur Kenntnis gebracht werden muss. Ob dieser die Bedeutung des Ansinnens erkennt oder nicht, ist irrelevant. 109 Es genügt, dass der Täter
104 BT-Drucks. 13/5584, S. 15. - Krit. zur isolierten Herausnahme des § 12 aus dem UWG: DöLLING Guta c h t e n , C 8 4 f; KÖNIG J R 1 9 9 7 S . 4 0 1 .
Im Einzelnen dazu OTTO in: Großkommentar UWG, hrsgeg. von Jacobs, Lindacher, Teplitzky, 1991 ff, § 12 Rdn. 3. 1 0 6
V g l . DANNECKER N K , § 2 9 9 R d n . 15; KINDHÄUSER B . T . I I , § 4 5 R d n . 3 ; LACKNER/KÜHL § 2 9 9 R d n . 3 ; RUDOLPHI S K II, § 2 9 9 R d n . 3 ; TRÖNDLE/FLSCHER § 2 9 9 R d n . 17; WESSELS/HILLENKAMP B . T . / 2 , R d n . 702.
107
Dazu BGHSt 2 S. 403; 10 S. 365; vgl. auch DANNECKER NK, § 299 Rdn. 24; LACKNER/KÜHL § 299 Rdn. 2; OTTO, GK UWG, § 4 Rdn. 127 ff; RUDOLPHI SK II, § 299 Rdn. 5.
108
Vgl. BGHSt 15 S. 97.
109
Vgl. BGHSt 10 S. 241.
341
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§61
auf die Unrechtsvereinbarung abzielt, d.h. dass er davon ausgeht, der Erklärungsempfanger werde die Bedeutimg des Ansinnens erkennen. 110 - Sichversprechenlassen ist die Annahme eines auch nur bedingten Angebotes der späteren Zuwendung eines Vorteils. Ob die spätere Zuwendung wirklich erfolgt, ist irrelevant. Die Annahme kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen, inhaltlich muss sie zum Ausdruck bringen, dass der Täter die ihm von dem Vorteilsgeber angebotene Unrechtsvereinbarung annimmt. 111 - Annehmen ist die tatsächliche Entgegennahme des Vorteils mit dem Willen, über diesen zu eigenen Zwecken nach eigenem Willen oder zu Gunsten eines Dritten zu verfugen. 112 Der Vorbehalt, den Vorteil u.U. später zurückzugeben, hindert die Annahme nicht, 113 hingegen genügt nicht die Entgegennahme, wenn es dem Empfanger nur darum geht, Beweismittel für das unlautere Verhalten des Vorteilsgebers zu erlangen. 114 Vorteil ist jede unentgeltliche Leistung, auf die der Vorteilsempfanger oder der Drittbegünstigte keinen Anspruch hat und die die wirtschaftliche, rechtliche oder persönliche Lage des Empfangers objektiv verbessert. 115 Vorteile sind daher nicht nur Vermögensvorteile, sondern auch Zuwendungen immaterieller Art. 1 1 ® Bei immateriellen Vorteilen wird man jedoch eine Erheblichkeit derart fordern müssen, dass es sich um eine persönliche Besserstellung handelt, die der Besserstellung durch einen erheblichen materiellen Vorteil vergleichbar ist. Daher ist die Gewährung des Geschlechtsverkehrs (BGH StV 1994 S. 527) als Vorteil anzuerkennen, nicht aber flüchtige Zärtlichkeiten (BGH MDR 1960 S. 63), die Zusage sexueller Handlungen (BGH NJW 1989 S. 914), die Befriedigung von Ehrgeiz, Eitelkeit oder auch Geltungsbedürfnis (A.A. BGHSt 14 S. 128).
157 Sozialadäquate Zuwendungen, d.h. kleine Aufmerksamkeiten, deren Angebot den Regeln der Höflichkeit oder der Verkehrssitte entspricht - Angebote einer Zigarette, einer Tasse Kaffee, eines Kalenders oder ähnlichen Werbegeschenkes, Neujahrsgeschenke an Briefträger, die Angestellten der Müllabfuhr u.Ä. - sind keine Vorteile i.S. des Gesetzes. 117 Eine Begrenzung auf eine bestimmte Summe 118 ist demgegenüber sachwidrig. Damit wird die Käuflichkeit von Diensthandlungen nämlich grundsätzlich akzeptiert. 158 cc) Der Vorteil als Gegenleistung: Die Unrechtsvereinbarung. - Zwischen der angestrebten Bevorzugung durch den Vorteilsnehmer und dem Vorteil muss ein Zusammenhang dahin bestehen, dass der Vorteil als Gegenleistung für die Bevorzugung gedacht ist. Der Vorteilsgeber muss daher mit seinem Verhalten auf eine Unrechtsvereinbarung mit dem Vorteils-Empfanger derart abzielen, dass der Vorteil die Gegenleistung fur die erwartete unlautere Bevorzugung sein soll. 119 Dass der Vorteilsnehmer das Ziel der Unrechtsvereinbarung erkennt, ist nicht erforderlich. 110
Dazu BGHSt 15 S. 98.
111
Vgl. BGHSt 15 S. 97.
112
Vgl. BGHSt 14 S. 127.
113
BGH GA 1963 S. 148.
114
BGHSt 15 S. 97.
115
BGHSt 31 S. 279, eingehender dazu OTTO GK UWG, § 12 Rdn. 9 ff.
11(
> Prinzipiell gegen die Anerkennung immaterieller Vorteile GEERDS JR 1982 S. 385.
117
Dazu vgl. auch BGH wistra 1991 S. 221; DANNECKER NK, § 299 Rdn. 39; LACKNER/KÜHL § 299 Rdn. 4 ; MLTSCH B . T . I I / 2 , § 3 R d n . 2 2 3 ; RUDOLPHI S K II, § 2 9 9 R d n . 9; TIEDEMANN L K , § 2 9 9 R d n . 2 7 .
118
Dazu GRIBL Der Vorteilsbegriff bei den Bestechungsdelikten, 1993, S. 96 ff, 146.
119
Vgl. BGHSt 15, 97; 15, 249, BGH wistra 1983 S. 258; 1991 S. 101; DANNECKER NK, § 299 Rdn. 42; PFEIFFER V. G a m m - F S , S. 136; RUDOLPHI S K II, § 2 9 9 R d n . 8.
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Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch
§61
dd) Das Ziel des Täters: Die Bevorzugung bei der Entscheidung zum Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen. Die angestrebte Unrechtsvereinbarung muss darauf abzielen, dass der Vorteilsgeber oder ein Dritter von dem Vorteilsnehmer in unlauterer Weise bei der Entscheidung zum Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen bevorzugt wird. - Eine Bevorzugung ist eine Besserstellung des Täters oder des von ihm begünstigten Dritten im Wettbewerb gegenüber Wettbewerbern dadurch, dass er einen Vorteil erlangt, auf den er oder der Dritte keinen Anspruch hat. - Unlauter ist die Bevorzugung, die nicht in sachlichen Erwägungen begründet, sondern durch den Vorteil motiviert ist. Eigenständige Bedeutung kommt dem Merkmal daher nicht zu. 1 2 0 Zum Begriff der Ware und den der gewerblichen Leistung vgl. Rdn. 144. ee) Der Täter muss im geschäftlichen Verkehr handeln. Dazu gehört jede Tätigkeit, die in irgendeiner Weise der Förderung eines beliebigen eigenen oder fremden Geschäftszwecks dient. 121 ff) Der subjektive Tatbestand. - In allen drei Tatalternativen muss der Täter den objektiven Tatbestand bewusst, d.h. vorsätzlich verwirklichen, und zwar genügt bedingter Vorsatz. Im Falle des Forderns muss der Täter darüber hinaus den Abschluss einer Unrechtsvereinbarung anstreben. Hier ist Absicht im Sinne eines zielgerichteten Wollens, d.h. dolus directus 1. Grades erforderlich. Dem Täter muss es darauf ankommen, dass der ins Auge gefasste Vorteilsgeber die angebotene Unrechtsvereinbarung erkennt und auf diese eingeht. Im Falle des Sichversprechenlassens und der Annahme genügt es hingegen, dass der Täter sich der Unrechtsvereinbarung bewusst ist. Da dem Merkmal „unlauter" keine eigenständige Bedeutung zukommt, handelt der Täter im Bewusstsein unlauterer Bevorzugung, wenn er sich der Tatsache bewusst ist, dass die Bevorzugung in der erstrebten oder erreichten Vorteilszuwendung ihren Grund hat. 122 gg) Eine Rechtfertigung durch eine Einwilligung oder Genehmigung des Geschäftsherrn kommt nicht in Betracht, da er nicht über das geschützte Rechtsgut verfügen kann. 123 hh) Die Tatvollendung. - In der Tatalternative des Forderns ist die Tat vollendet, wenn der Täter dem in Aussicht genommenen Vorteilsgeber seine entsprechende Willensäußerung zur Kenntnis gebracht hat. Dieser braucht ihren inhaltlichen Charakter - Abzielen auf Abschluss einer Unrechtsvereinbarung - nicht erkannt zu haben. 124 In den Tatalternativen des Sichversprechenlassens und des Annehmens muss der Vorteilsgeber der Unrechtsvereinbarung zugestimmt haben. 125 ii) Täter der Bestechlichkeit können nur Angestellte oder Beauftragte des geschäftlichen Betriebs sein. - Dritte Personen können aber - je nach den Tatumständen - Anstifter oder Gehilfen sein. Das Verhalten des Vorteilsnehmers ist abschließend in Abs. 1 erfasst. Er
120
Im Einzelnen dazu OTTO GK UWG, § 12 Rdn. 2 9 ff; vgl. auch DANNECKER NK, § 299 Rdn. 53; TIEDEMANN Z S t W 8 6 ( 1 9 7 4 ) S. 1 0 3 0 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 9 9 R d n . 16. - A . A . RUDOLPHI S K II, §
299 Rdn. 8. 121
Im Einzelnen dazu OTTO GK UWG, § 12 Rdn. 37 ff; vgl. auch DANNECKER NK, § 299 Rdn. 28 ff; LACKNER/KÜHL § 2 9 9 R d n . 3 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 8 R d n . 11.
122 v g l . BGH NStZ 1984 S. 25. - Anders soweit dem Merkmal eigenständige Bedeutung zugemessen wird; dazu RUDOLPHI SK II, § 299 Rdn. 10. 1 2 3
A . A . WINKELBAUER W e b e r - F S , S. 3 9 1 f f .
124
Vgl. BGHSt 10 S. 241; MlTSCH B.T.II/2, § 3 Rdn. 234.
125
Vgl. BGHSt 15 S. 97; 15 S. 242.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
kann wegen seines Verhaltens nicht als Teilnehmer einer Tat nach Abs. 2 bestraft werden, b) Der Tatbestand der Bestechung im geschäftlichen Verkehr, Abs. 2 aa) Abs. 2 entspricht dem Abs. 1 in den Grundzügen spiegelbildlich. - Die Tathandlung ist das Anbieten, Versprechen oder Gewähren eines Vorteils fur sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür, dass er ihn oder einen anderen bei dem Bezug von Waren in unlauterer Weise bevorzuge. Anbieten (einer gegenwärtigen Leistung) und Versprechen (einer zukünftigen Leistung) sind auf Abschluss einer Unrechtsvereinbarung gerichtete, ausdrückliche oder stillschweigende Erklärungen, die auch in vorsichtig formulierten Fragen und Sondierungen bestehen können und die dem anderen Beteiligten zur Kenntnis gebracht werden müssen. 126 - Gewähren ist die tatsächliche Übergabe mit dem Willen, dass die Verfügungsgewalt auf den Vorteilsnehmer übergehen soll. bb) Zum Vorteil als Gegenleistung vgl. Rdn. 158, zur unlauteren Bevorzugung vgl. Rdn. 159, zum Begriff der Ware und dem der gewerblichen Leistung vgl. Rdn. 144. cc) Der Täter muss im geschäftlichen Verkehr - dazu vgl. Rdn. 160 - zu Zwecken des Wettbewerbs handeln. Objektiv zu Zwecken des Wettbewerbs handelt der Täter, wenn sein Verhalten geeignet ist, den eigenen Absatz oder den des begünstigten Dritten zu fördern und den anderer Wettbewerber zu beeinträchtigen, bzw. den eigenen Kundenkreis oder den des begünstigten Dritten auf Kosten von Mitbewerbern zu erweitern. Vorausgesetzt wird beim Handeln zu Wettbewerbszwecken ein bestehendes oder bevorstehendes Wettbewerbsverhältnis, d.h. ein Konkurrenzverhältnis zwischen Begünstigtem und Geschädigten. - Mitbewerber sind alle Gewerbetreibenden, die Waren oder Leistungen gleicher oder verwandter Art herstellen oder in den geschäftlichen Verkehr bringen. 127 dd) Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz des Täters hinsichtlich der Merkmale des objektiven Tatbestands und die Absicht, d.h. dolus directus 1. Grades, zu Zwecken des Wettbewerbs zu handeln sowie zu einer Unrechtsvereinbarung zu gelangen. - Zu Zwecken des Wettbewerbs handelt der Täter, wenn er mit dem Anbieten, Versprechen oder Gewähren des Vorteils beabsichtigt, den eigenen Absatz oder den eines Dritten auf Kosten der Mitbewerber zu fördern. Der Täter muss ein Verhalten beabsichtigen, das im Falle seiner Verwirklichung äußerlich geeignet ist, den Absatz oder Bezug einer Person zum Nachteil einer anderen zu begünstigen. ee) Zur Rechtfertigung vgl. Rdn. 162. ff) Vollendet ist die Tat beim Anbieten und beim Versprechen eines Vorteils, wenn der Täter dem in Aussicht genommenen Vorteilsnehmer seine entsprechende Willensäußerung zur Kenntnis gebracht hat. Beim Gewähren eines Vorteils muss der Vorteilsnehmer den Vorteil angenommen haben. Bedeutungslos ist es, ob der Vorteilsnehmer die Bevorzugung vornimmt oder vornehmen will. 128 gg) Täter der Bestechung können Mitbewerber und fur sie handelnde Personen sein. Privatleute, die nicht im Interesse eines Mitbewerbers handeln, kommen als Täter nicht in Betracht. Sie können - je nach den Umständen des konkreten Falles - aber Anstifter oder Gehilfe sein.
126 127 128
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Vgl. BGHSt 15 S. 97; 16 S. 46. Vgl. BGHSt 10 S. 368; BGH wistra 1991 S. 101; BGHZ 13 S. 249; 18 S. 181 f. Vgl. BGHSt 15 S. 97; MITSCH B.T.II/2, § 3 Rdn. 240.
Wirtschaftsdelikte im Strafgesetzbuch
§61
c) Ausländischer Wettbewerb, Abs. 3. Gemäß Abs. 3 gelten die Abs. 1,2 auch für Handlungen im ausländischen Wettbewerb.129 d) Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und der Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 300 § 300 sieht eine Strafschärfung in besonders schweren Fällen vor und nennt als Regelbeispiele den Vorteil großen Ausmaßes, auf den sich die Tat bezieht (Nr. 1) und das gewerbs- oder bandenmäßige Handeln (Nr. 2). e) Strafverfolgung, § 301 Die Strafverfolgung setzt bei beiden Tatbeständen einen Strafantrag voraus, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält, § 301 Abs. 1. - Zur Antragsberechtigung vgl. Abs. 2. f) Vermögensstrafe und Erweiterter Verfall, § 302 § 302 eröffnet in bestimmten Fallkonstellationen die Verhängung einer Vermögensstrafe und den Erweiterten Verfall.
1 2 9
D a z u DANNECKER N K , § 2 9 9 R d n . 7 4 ; RANDT B B 2 0 0 2 S . 2 2 5 2 ff; TLEDEMANN L a m p e - F S , S . 7 6 5 ff. Krit. HAFT/SCHWOERER W e b e r - F S , S . 381 ff.
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§62
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Zweiter Abschnitt Delikte gegen die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens § 62 Delikte gegen den äußeren Frieden 1
Die Delikte gegen den äußeren Frieden, d.h. gegen den Frieden zwischen den Völkern, sind selbstständige, vom Staatsschutz getrennte Straftaten.
2
Geschütztes Rechtsgut ist der zwischenstaatliche Frieden als überstaatliches Rechtsgut. Dieser Frieden ist gegen zwei Gefahrdungen geschützt:
3
4
5
1. Gegen die Vorbereitung eines Angriffskrieges, § 80 Angriffskrieg ist die völkerrechtswidrige, bewaffnete Aggression. Der Begriff ist umstritten. Maßgeblicher Orientierungspunkt aber ist die Resolution 3314 (XXIX) der Generalversammlung der UN v. 14.12.1974, die in Art. 3 die Angriffshandlung definiert. 1 - Die dort genannten Fälle haben den Charakter von Regelfallen. 2 Streitig ist, ob die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland nur den Fall erfasst, dass die Bundesrepublik angreift, oder auch jenen, dass die Bundesrepublik angegriffen werden soll. Da jedoch das geschützte Rechtsgut in beiden Fällen in gleicher Weise bedroht ist, erscheint die Gleichbehandlung beider Fälle angemessen. 3 Vorbereitung sind alle Maßnahmen, die geeignet sind, einen kriegerischen Konflikt herbeizufuhren. - Die Gefahr des Krieges muss konkret gegeben sein. 4 2. Gegen das Aufstacheln zum Angriffskrieg, § 80 a Öffentlich ist die Tat, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis von Personen, die nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden sind, wahrnehmbar ist, und zwar unabhängig davon, ob der Tatort ein öffentlicher ist - Versammlung ist das Beisammensein einer größeren Zahl von Personen zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks. Dieser Zweck braucht nicht auf politische Meinungsbildung gerichtet zu sein.5 Aufstacheln ist eine emotionell gesteigerte Form des Anreizens. 6 Eine konkrete Kriegsgefahr braucht nicht begründet zu sein.
1
Text bei MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 90 Rdn. 3 f.
2
Vgl. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 90 Rdn. 5.
3
So auch BT-Drucks. V/2860, S. 2; LAUFHÜTTE LK, § 80 Rdn. 2. - A.A. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 90 Rdn. 6.
4
Zum Anfangsverdacht wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges: GSTA beim BGH JZ 2003 S. 908 mit A n m . KREß S. 9 1 1 f f ; KREß Z S t W 115 ( 2 0 0 3 ) S . 2 9 4 f f .
5
So auch LAUFHÜTTE LK, § 90 Rdn. 8; TRONDLE/FISCHER, § 80 a Rdn. 4. - A.A. OLG Koblenz MDR 1981 S. 600; differenzierend: LACKNER/KÜHL § 80 a Rdn. 2.
6
LG Köln NStZ 1981 S. 261, dazu KLUG Jescheck-FS, Bd. 1, S. 594 ff.
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Delikte gegen den inneren Frieden
§63
§ 63 Delikte gegen den inneren Frieden Die Delikte gegen den inneren Frieden richten sich gegen die soziale Friedensordnung, d. h. die öffentliche Sicherheit, die ihrerseits erst die Grundlage für den Staat und andere soziale Verbände abgibt.^
1
I. Landfriedensbruch, §§ 125, 125 a Der Landfriedensbruch setzt voraus, dass aus einer Menschenmenge heraus bestimmte Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen erfolgen.
2
1. Der objektive Tatbestand a) Menschenmenge ist eine räumlich vereinigte, nicht sofort übersehbare Anzahl von Personen.
3
Eine Menge ist keine in der Zahl sofort abschätzbare Gruppe, ein Dutzend wird daher in der Regel noch keine Menge sein, doch dürften gut 15 Personen im Regelfall schon eine Menge abgeben." Unter besonders unübersichtlichen Gegebenheiten können 10 Personen genügen 9
Die Menge braucht nicht im ganzen unfriedlich zu sein. Es genügt, dass innerhalb einer größeren Menge eine kleinere Gruppe, die isoliert dem Mengenbegriff genügen würde, die aggressiven Absichten des oder der Täter mitträgt. - Richten sich Gewalttätigkeiten von Mitgliedern einer Menge gegen andere Mitglieder dieser Menge, so wird dieses Verhalten vom Tatbestand nur erfasst, wenn die aggressiv Tätigen wiederum eine Menschenmenge bilden, die sich von den anderen Personen abhebt. 10 b) Gewalttätigkeit ist der Einsatz physischer Kraft, die sich aggressiv gegen Menschen oder Sachen richtet. Ein bloß passives Verhalten ist keine Gewalttätigkeit in diesem Sinne.
4
5
Beispiele: Errichten von Barrikaden aus Parkbänken und Geräteteilen von einem K i n d e r s p i e l p l a t z V o r rücken der Menge gegen Polizei (RGSt 54 S. 90); Wegdrängen von Polizeibeamten; Umwerfen von Kraftfahrzeugen (BGHSt 23 S. 53 f); Werfen mit Blutbeuteln auf Kraftfahrzeug des Bundesverteidigungsministers 12 ; Bewerfen mit Erdklumpen (BayObLG MDR 1990 S. 356) oder faulen Eiern (OLG Köln NStZ 1997 S. 234).-Nicht hingegen: der „Sitzstreik" (BVerfGNJW 1995 S. 1141;BGHSt23 S.51 f)·
c) Bedrohung ist das Inaussichtstellen einer Gewalttätigkeit. - Erfasst ist hier nicht nur die Gewalt gegen Menschen, denn „Bedrohungen von Menschen" ist nicht als Gegensatz zur „Bedrohung von Sachen" zu verstehen, sondern nur Ausdruck der Selbstverständlichkeit, dass durch die Bedrohung auf den Willen eines Menschen eingewirkt werden soll. d) Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, wenn die Allgemeinheit in ihrem Gefühl, gegen Rechtsgüterbeeinträchtigungen geschützt zu sein, beeinträchtigt ist. Richten sich die Gewalttätigkeiten gegen eine einzelne Person, so ist die öffentliche Sicherheit nicht nur gefährdet, wenn sie das zufallige Opfer aus einer bestimmten Vielzahl ist, es also auch jede andere Person hätte sein können, sondern auch, wenn sie als Opfer nur wegen ihrer Zuge7
8 9 10 11
12
So auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 60 Rdn. 6. - Z.T. werden die Individualrechtsgüter, die von den Tathandlungen betroffen werden, mit in den Schutzbereich einbezogen, vgl. z.B. LACKNER/KüHL § 125 Rdn. 1; z.T. vorrangig als geschützt angesehen, vgl. STEIN SK II, § 125 Rdn. 2. Dazu BGHSt 33 S. 308; LG Frankfurt StV 1983 S. 463; STEIN SK II, § 125 Rdn. 7. BGH NStZ 1994 S. 483; BGH NStZ 2002 S. 538. Dazu BGHSt 33 S. 306, 308 mit Anm. OTTO NStZ 1986 S. 70 f. OLG Köln NJW 1970 S. 260; einschränkend OLG Düsseldorf NJW 1993 S. 869: Gewalttätigkeiten gegen Sachen nur tatbestandsmäßige Handlungen im Sinne des § 303. O L G H a m b u r g J R 1 9 8 3 S. 2 5 0 m i t a b l . A n m . RUDOLPHI S. 2 5 2 ff.
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§63
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
hörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe ausgewählt wurde, mit ihr also die von ihr repräsentierte Personengruppe getroffen werden sollte. 13 8 e) Mit vereinten Kräften bedeutet eine Tätigkeit mehrerer aus der Menge. 9 f) Als Täter des Landfriedensbruchs bestimmt das Gesetz bestimmte an den Tathandlungen beteiligte Personen. aa) Täter des Landfriedensbruchs ist danach: 10 Zum einen jeder, der aus einer Menschenmenge heraus als Täter oder Teilnehmer an der Gewalttätigkeit oder Bedrohung mitwirkt. Beispiele: Wer aus der Menge heraus Steine wirft, auch wenn diese nicht treffen; wer die gewalttätige Gruppe aufreizt oder gegen die Polizei „abschirmt".
11 Zum anderen jeder, der auf die Menschenmenge einwirkt, d.h. sie psychisch beeinflusst, um ihre Bereitschaft zur Gewalttätigkeit oder Bedrohung mit Gewalttätigkeiten (zielgerichtetes Wollen!) zu fördern, sei es durch Erwecken oder Bestärken des Tatentschlusses. Dies kann auch durch Personen geschehen, die nicht am Tatort anwesend sind, z.B. geistige Anführer, Organisatoren. 14 Dem Teilnehmer ist nachzuweisen, dass er durch sein Verhalten die Gefahr der Rechtsgutsbeeinträchtigung durch den Täter konkret erhöht hat. Dieser Nachweis ist dann zu führen, wenn bewiesen werden kann, dass jemand den Werfern Steine zugeliefert, Hinweise auf Ziele gegeben oder Gewalttäter durch Ablenken der Polizei gedeckt und dadurch weitere Gewalttaten ermöglicht hat.
12 bb) Das Erfordernis des Nachweises der eigenen Beteiligung an den Gewaltmaßnahmen begründet die Kritik an dem Tatbestand. Zum einen bleibt der passiv in einer gewalttätigen Menge Verweilende straffrei, selbst wenn sich die Gewalttäter durch seine physische Präsenz gestärkt fühlen, sie als Ermutigung deuten oder als Deckung nutzen. Zum anderen verlocken die Schwierigkeiten der Beweisführung einzelne Personen dazu, sich unter dem Schutz der Menschenmenge an den Ausschreitungen zu beteiligen, weil sie sich sicher fühlen, dass die mit der Gefahrenabwehr beschäftigte Polizei den Täternachweis später nicht fuhren können wird. Damit aber sind Chancen gewaltorientierter Demonstrationsstrategien eröffnet, die dem Wesen des Demonstrationsrechts als einem Mittel geistiger Auseinandersetzung eklatant widersprechen. Wenn derartige Möglichkeiten als Besitzstand verteidigt werden, so ist dies ein hinreichender Beweis dafür, dass der Sachverhalt mit der grundgesetzlich gesicherten Demonstrationsfreiheit nur noch Ähnlichkeiten aufweist. 15 2. Der subjektive Tatbestand 13 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 3. Anstiftung und Beihilfe 14 Anstiftung und Beihilfe zum Landfriedensbruch kann nur begehen, wer sich nicht selbst in der Menschenmenge befindet. 13
Vgl. BGH NStZ 1993 S. 538; BGH NStZ 2004 S. 618; OLG Karlsruhe NJW 1979 S. 2416; BayObLG NStZ-RR 1999 S. 269; TRÖNDLE/FISCHER § 125 Rdn. 9. - Weiter: SCH/SCH/LENCKNER § 125 Rdn. 11.
14
BVerfG StV 1994 S. 74 f; BVerfG NStZ 1990 S. 487; BGHSt 32 S. 165 mit Anm. ARZT JZ 1984 S. 428, WILLMS JR 1984 S. 120; OLG Braunschweig NStZ 1991 S. 492; OLG Naumburg NJW 2001 S. 2 0 3 4 ; V. BUBNOFF L K , § 125 R d n . 14 f f ; DREHER N J W 1 9 7 0 S. 1 1 6 0 ; STEIN S K II, § 1 2 5 R d n . 13. A . A . M . - K . MEYER G A 2 0 0 0 S. 4 5 9 f f ; b e i T e i l n a h m e a u c h : z . B . GÖSSEL/DÖLLING B . T . l § 4 8 R d n . 5 ; LACKNER/KÜHL § 125 R d n . 10.
15
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Im Einzelnen dazu OTTO/KREY/KÜHL in: Schwind/Baumann (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Bd. 2, 1990, Gutachten der Unterkommission VII, Rdn. 123 ff.
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§63
4. Rechtfertigung Eine Rechtfertigung der Tat durch Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Art. 5, 8 GG, 15 kommt nicht in Betracht, da diese Grundrechte der geistigen Auseinandersetzung Raum geben sollen, nicht aber Gewalttätigkeiten; dazu auch oben § 27 Rdn. 47. 5. §125 Abs. 2 Soweit die relevanten Handlungen den Tatbestand des § 113 erfüllen, gelten auch hier 16 § 113 Abs. 3 und 4 entsprechend, dazu unten § 91 Rdn. 16 ff. 6. Konkurrenzen § 125 ist subsidiär, wenn die Tat nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht 17 ist, z.B. nach §§211, 212, 224 ff. 1 6 - Mit § 27 VersG ist Tateinheit möglich. 7. Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs, § 125 a § 125 a enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit vier Regelbeispielen. a) Nr. 1: Mitfuhren einer Schusswaffe·, dazu oben § 41 Rdn. 51. b) Nr. 2: Mitführen einer anderen Waffe, um diese bei der Tat zu verwenden. - Das Gesetz fordert hier, dass der Täter selbst, nicht auch ein anderer Beteiligter, die Waffe führt. 17 Waffe ist im untechnischen Sinne als gefahrliches Werkzeug zu verstehen. Wesentlich ist, dass beabsichtigt ist, das Werkzeug unmittelbar oder mittelbar gegen Menschen einzusetzen. 18 c) Nr. 3: Mit Gefahr des Todes oder schwerer Gesundheitsschädigung verbundene Gewalttätigkeiten; dazu § 46 Rdn. 33, § 10 Rdn. 2. d) Nr. 4: Plünderung oder Anrichten eines bedeutenden Schadens. - Plündern ist Wegnähme oder Abnötigen von Sachen in der Absicht rechtswidriger Zueignung unter Ausnutzung der Situation.
ig 19 20
21 22
II. Störung öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, § 126 1. Androhen von Straftaten, Abs. 1 Abs. 1 soll den öffentlichen Frieden gegen die Androhung bestimmter, im einzelnen auf- 23 gezählter Straftaten schützen. - Androhung ist die Ankündigung, dass ein im Katalog genanntes Delikt durch den Drohenden oder kraft seines Einflusses tatsächlich oder vorgeblich verwirklicht werden kann. Das Delikt - und zwar genügt eine rechtswidrige, nicht unbedingt schuldhafte Tat - muss in seinen wesentlichen Zügen konkretisiert sein. Die Tathandlungen müssen nur nach den Umständen geeignet sein, den öffentlichen 24 Frieden zu stören. - Eine Friedensstörung braucht daher nicht eingetreten zu sein, es genügt, dass die Tathandlung die konkrete Besorgnis rechtfertigt, der Angriff werde den 16
Dazu BGHSt 43 S. 237 mit Anm. RUDOLPHI JZ 1998 S. 471 f; KINDHÄUSER B.T.I, § 39 Rdn. 11; LACKNER/KÜHL § 125 Rdn. 16. - A.A. (subsidiär nur gegenüber strengerem Tatbestand mit gleichem Unrechtsgehalt): STEIN SK II, § 125 Rdn. 27; TRÖNDLE/FlSCHER §§ 125 Rdn. 19.
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V g l . a u c h B G H S t 2 7 S . 5 6 ; B G H N J W 2 0 0 2 S . 3 1 1 6 ; v . BUBNOFF L K , § 1 2 5 a R d n . 11 f; STEIN S K II,
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Vgl. auch BayObLG JZ 1986 S. 1123 mit Anm. DöLLING JR 1987 S. 467 ff; LG Berlin NStZ 1992 S. 37.
§ 1 2 5 R d n . 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 1 2 5 a R d n . 3 . - A . A . SCH/SCH/LENCKNER § 1 2 5 a R d n . 8.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Friedenszustand oder das Vertrauen in seine Fortdauer erschüttern. 19 - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Tat braucht nicht öffentlich begangen zu werden, es genügt, wenn nach den Umständen mit dem Bekanntwerden in der Bevölkerung zu rechnen ist. 2. Vortäuschen von Straftaten, Abs. 2 25 Abs. 2 erweitert den Tatbestand auf die Fälle, in denen der Täter vortäuscht, andere Personen, auf die er keinen Einfluss hat, planten die genannten Straftaten oder ein von ihm eingeleitetes Verbrechen stehe von ihm nicht mehr beeinflussbar bevor. 20 3. Der subjektive Tatbestand 26 Im Falle der Androhung, Abs. 1, erfordert der Tatbestand Vorsatz, bedingter genügt; insbesondere muss der Täter erkennen, dass seine Androhung ernst genommen wird. - Die Tat gemäß Abs. 2 erfordert direkten Vorsatz.
III. Volksverhetzung, § 130 1. Das geschützte Rechtsgut 27 Geschützte Rechtsgüter sind der öffentliche Friede sowie in Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 auch die Würde des Einzelnen. 2. Die Deliktsnatur 28 Für die Tathandlungen des § 130 genügt deren Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören. Der Erfolg braucht nicht eingetreten zu sein. Die Tat ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. 3. Einzelheiten der Regelung 29 a) Zur Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören vgl. Rdn. 24. 30 b) Abs. 1 unterscheidet zwei Tathandlungen: die Aufstachelung zum Hass gegen Teile der Bevölkerung sowie die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie (Nr. 1) und den Angriff auf die Menschenwürde anderer (Nr. 2). 31 aa) Teile der Bevölkerung sind von der Gesamtbevölkerung durch ein gemeinsames soziologisches Merkmal abgrenzbare Gruppen, seien diese nun nationale, rassische, religiöse oder politische, wirtschaftliche oder berufliche Gruppierungen. Beispiele: Die Juden (BGHSt 31 S. 231); die Ausländer (OLG Hamm NStZ 1995 S. 136; OLG Brandenburg NJW 2002 S. 1441); die ausländischen Gastarbeiter (OLG Celle NJW 1970 S. 2257); insbes. die Türken 2 1 ; in Deutschland lebende Neger 2 2 oder dunkelhäutige Menschen (OLG Zweibrücken NStZ 1994 S. 491); die „Asylbetrüger" 23 und Asylbewerber ohne Anerkennungsanspruch (OLG Düsseldorf MDR 1995 S. 948; Sol-
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BGHSt 34 S. 329; dazu auch Stein SK II, § 125 a Rdn. 6.
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Vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2002 S. 209; SCHRAMM NJW 2002 S. 420.
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OLG Frankfurt NJW 1985 S. 1720; LOSE NJW 1985 S. 1679.
22
OLG Hamburg NJW 1975 S. 1088 mit Anm. GEILEN NJW 1976 S. 279 ff.
23
BayObLG NJW 1995 S. 145; OLG Frankfurt NJW 1995 S. 143; OLG Karlsruhe MDR 1995 S. 735.
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daten der Bundeswehr 24 . - Nicht hingegen: die Grenzschutzgruppe 9 (OLG Hamm NJW 1981 S. 591); Religionsgesellschaft als jur. Person (OLG Stuttgart NJW 2002 S. 2893).
Zum Hass aufstacheln bedeutet nachhaltig auf Sinne und Gefühle anderer mit dem Ziel einwirken, Hass im Sinne von Feindschaft zu erzeugen oder zu steigern. - Auffordern ist ein Verhalten, mit dem erkennbar von einem anderen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen verlangt wird. - Gewalt- und Willkürmaßnahmen sind gewaltsame und andere Eingriffe ohne Rechtsgrundlage. bb) Die Menschenwürde ist angegriffen, wenn den angegriffenen Personen „ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft" bestritten wird und sie als „unterwertige Wesen" behandelt werden - Untermenschen -. Bloße Ehrverletzungen und Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts genügen nicht. 25 Problematisch ist hingegen, ob die Menschenwürde bereits angegriffen ist, wenn das „soziale Lebensrecht" der Betroffenen bestritten wird und ihnen damit die Möglichkeit genommen wird, unvoreingenommen Gemeinschaft mit anderen zu haben, z. B. indem sie als Schmarotzer oder Kriminelle gebrandmarkt werden. Das ist zu bejahen, denn Teil der Menschenwürde ist auch die Möglichkeit des Einzelnen, unvoreingenommen Gemeinschaft mit anderen zu haben. Dieses Element der Menschenwürde wird hier beeinträchtigt, auch wenn dem Betroffenen die Menschenwürde als solche nicht abgesprochen wird. 26 Beschimpfen ist eine besonders verletzende Mißachtenskundgebung. - Böswilliges Verächtlichmachen liegt in einer Herabwürdigung des Angegriffenen aus feindseliger, des Unrechts bewusster Gesinnung. - Zur Verleumdung vgl. § 32 Rdn. 126 ff. c) Tatgegenstand des Abs. 2 Nr. 1 sind Schriften und andere Darstellungen - dazu § 11 Abs. 3 -, die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung - dazu Rdn. 31 f oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe, d.h. in dieser Weise verbundene Personenmehrheit, aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern - dazu Rdn. 32 - oder in der in Abs. 1 Nr. 2 genannten Weise, die Menschenwürde dieser Personen angreifen. - Ob die Schriften vor- oder nachkonstitutioneller Herkunft sind, ist irrelevant.27 Nach Abs. 2 Nr. 2 ist die Darbietung des in Abs. 2 Nr. 1 bezeichneten Inhalts durch den Rundfunk, Medien und Teledienste der Verbreitung von Schriften gleichgestellt. Die Tathandlungen (Verbreiten, öffentlich Ausstellen, usw.) beschreiben Formen des Zugänglichmachens der Tatgegenstände und dazu dienendes Vorverhalten. d) Abs. 3 erfasst die öffentliche oder in einer Versammlung - dazu oben § 62 Rdn. 4 - erfolgende Billigung, Leugnung oder Verharmlosung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung gemäß § 220 a Abs. 1, in einer Art und Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. 24
OLG Koblenz NJW 1984 S. 2373; OLG Düsseldorf NJW 1986 S. 2518; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1 3 6 9 . - A . A . GIEHRING S t V 1 9 8 5 S. 3 0 ; STRENG L a c k n e r - F S , S. 5 2 3 .
25
Vgl. BGHSt 36 S. 90; dazu auch BVerfG NJW 2001 S. 63.
26
Dazu KG JR 1998 S. 213, 215; BayObLG NJW 1991 S. 1493; BayObLG NJW 1994 S. 952 mit Anm. HUFEN JuS 1994 S. 977 ff, OTTO JR 1994 S. 473 ff; OLG Celle NJW 1982 S. 1545 f; OLG Düsseldorf MDR 1995 S. 948; OLG Frankfurt NJW 1989 S. 1367 ff; OLG Frankfiirt NStZ-RR 2000 S. 368 mit A n m . KARGL J u r a 2 0 0 1 S. 176 f f ; LACKNER/KÜHL § 130 R d n . 3 ; MIEBACH/SCHÄFER M K , § 1 3 0 R d n . 4 3 ; MAIWALD J R 1 9 8 9 S. 4 8 8 ; OTTO J u r a 1 9 9 5 S. 2 7 7 f f ; STRENG L a c k n e r - F S , S . 5 1 1 .
27
Vgl. dazu OLG Celle JR 1998 S. 79 mit Anm. POPP S. 80 ff.
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aa) Abs. 3 erfasst damit das Bestreiten der Gaskammermorde, sog. Auschwitzlüge. 28 - Zur sog. qualifizierten Auschwitzlüge (Leugnung der systematischen Vernichtung der Juden unter der nationalsozialistischen Herrschaft: BGH NJW 1994 S. 1421. - Zum sog. Auschwitz-Mythos: AG Hamburg NJW 1995 S. 1039; LG Hamburg NStZ-RR 1996 S. 262. - Zur Verharmlosung des Holocausts durch Verteidigerhandeln: BGHSt 43 S. 3 6 m i t A n m . STEGBAUER J R 2 0 0 1 S. 3 7 f, STRENG J Z 2 0 0 1 S. 2 0 5 f f ; B G H S t 4 7 S . 2 7 8 m i t A n m .
STEGBAUER JR 2003 S. 74 ff. - Eine Rechtfertigung durch Art. 10 EMRK kommt in diesen Fällen nicht in Betracht: EGMR NJW 2004 S. 3691. - Zur Verbreitung der Auschwitzlüge im Internet: BGHSt 46 S. 212. 2 9 bb) Im März 2005 hat der Gesetzgeber § 130 durch Abs. 4 erweitert, der die Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willktlrherrschaft unter Strafe stellt.
38 e) Die Verbreitung von Schriften mit dem in Abs. 3 und 4 genannten Inhalt in der in Abs. 2 beschriebenen Weise ist strafbar gemäß Abs. 5. 39 f) Die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 gilt in den Fällen des Abs. 2, Abs. 3 und 4 sowie Abs. 5 in Verb, mit Abs. 2 entsprechend, Abs. 6.
IV. Belohnung und Billigung von Straftaten, § 140 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur 40 § 140 will den öffentlichen Frieden durch Verhinderung eines psychischen Klimas schützen, in dem Delikte der in § 138 Abs. 1 Nr. 1-5 und § 126 Abs. 1 genannten Art sowie bestimmte Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung gedeihen können. Es geht um den Schutz des Gefühls der Rechtssicherheit der Bevölkerung. 30 - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt. 2. Einzelheiten der Regelung 41 a) Belohnung ist die nachträgliche Gewährung irgendwelcher Vorteile, Billigung das Gutheißen der Straftaten durch eine aus sich heraus verständliche, anderen wahrnehmbare Zustimmung. - Die Billigung muss geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören; dazu Rdn. 24. 42 b) Öffentlich ist die Billigung, wenn der Zuhörerkreis nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden oder so groß ist, dass er nach Zahl und Individualität unbestimmbar ist.31 43 c) Die nachträgliche Belohnung oder Billigung des Versuchs einer der genannten Taten genügt, soweit der Versuch dieser Tat strafbar ist. Dass der konkrete Täter wegen des Ver-
28
Vgl. dazu krit. BEISEL NJW 1995 S. 997 ff; HUSTER NJW 1996 S. 487 ff; KOHL in: Bernsmann/Ulsenheimer (Hrsg.), Bochumer Beiträge zu aktuellen Strafrechtsthemen, 2003, S. 103 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 130 Rdn. 23. - Grundsätzlich zustimmend: MIEBACH/SCHÄFER M K , § 130 Rdn.
65; STEGBAUER NStZ 2000 S. 281 ff. - Zur höchstrichterlichen Rechtsprechung: STEGBAUER JR 2004 S . 282 f. 29
Dazu HÖRNLE NStZ 2001 S. 309 ff; DIES. NStZ 2002 S. 116 ff; JEBBERGER JR 2001 S. 432 ff; KOCH JuS 2002 S. 123 ff; DERS. G A 2002 S. 707 f; KUDLICH StV 2001 S. 397 ff; LAGODNY JZ 2001 S. 1198 f f ; SCHWARZENEGGER sie! 2 0 0 1 S. 2 4 0 f f ; SIEBER Z R P 2 0 0 1 S . 9 7 f f ; VALERIUS N S t Z 2 0 0 3 S. 3 4 1 ff; VASSILAKI C R 2 0 0 1 S. 2 6 2 f f .
30
Kritisch zur Strafwürdigkeit des Verhaltens: BEMMANN Meinungsfreiheit und Strafrecht, 1981, S. 16; DENCKER S t V 1 9 8 7 S. 1 2 1 ; JAKOBS Z S t W 9 7 ( 1 9 8 5 ) S. 7 7 9 ; KÜHL N J W 1 9 8 7 S. 7 4 5 ; SCHROEDER D i e
Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 12. 31
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Dazu OLG Hamm MDR 1980 S. 159.
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suchs bestraft werden kann, ist jedoch nicht erforderlich. Insoweit ist der Gesetzeswortlaut: „in strafbarer Weise versucht worden ist", missverständlich. V. Anleitung zu Straftaten, § 130 a 1. Geschütztes Rechtsgut und Aufbau des Tatbestandes § 130 a will den öffentlichen Frieden durch die Verhinderung eines psychischen Klimas 44 schützen, in dem Delikte der in § 126 Abs. 1 genannten Art gedeihen können32; vgl. auch Rdn. 40. Der Tatbestand erfasst zum einen das Verbreiten und Zugänglichmachen von An- 45 leitungsschriften, zum anderen die Anleitung in der Öffentlichkeit oder in Versammlungen. 2. Einzelheiten der Regelung a) Anleitung zu einer Katalogtat nach § 126 Abs. 1 Anleiten ist die Information über die tatsächlichen, insbes. technischen Möglichkeiten der Tatausführung mit der Tendenz, die Begehung einer Vorsatztat zu fördern. b) Abs. 1 betrifft die eigentlichen Anleitungsschriften Die Schrift - dazu vgl. auch § 11 Abs. 3 - muss zum einen geeignet sein, als Anleitung zu einer Katalogtat zu dienen, zum anderen muss sich aus ihrem Inhalt ihre Zweckbestimmung ergeben, die Bereitschaft anderer zur Begehung einer solchen Tat zu fördern oder zu wecken, d.h. den Tatwillen anderer zu bestärken oder zu verursachen. Verbreitet wird die Schrift, indem sie einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht wird. - Zugänglichmachen heißt die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch andere eröffnen. - Ausstellen, Anschlagen und Vorführen sind Beispiele fur ein Zugänglichmachen. c) Abs. 2 Nr. 1 betrifft „neutrale" Anleitungsschriften Anstelle der in Abs. 1 erforderlichen Zweckbestimmung der Schrift tritt hier die entsprechende Absicht des Täters, die Bereitschaft anderer zur Tatbegehung zu fördern oder zu wecken. d) Abs. 2 Nr. 2 erfasst die mündliche Anleitung Tathandlung ist das Anleiten zu einer Katalogtat in der Absicht, die Tatbereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken. Zu den Begriffen öffentlich, und in einer Versammlung vgl. § 62 Rdn. 4. e) Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz, bedingter genügt, erfordert Kenntnis des Täters von den Tatumständen und ihres Bedeutungsgehalts. Eine Subsumtion der Tat unter § 126 Abs. 1 ist jedoch nicht erforderlich; es genügt die Vorstellung von der Tat selbst. - Absicht im Sinne des Abs. 2 ist zielgerichtetes Wollen. f) Die Sozialadäquanzklausel, § 130 a Abs. 3 Die Sozialadäquanzklausel, dazu § 86 Abs. 3, ist fur Abs. 2 kaum relevant, da sich die unterschiedliche Zwecksetzung ausschließt.
32
Vgl. BT-Drucks. 10/6286, S. 8. - Krit. dazu DEMSKI/OSTENDORF StV 1989 S. 30 ff; DENCKER StV 1987 S. 121.
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VI. Gewaltdarstellung, § 131 1. Deliktsnatur und geschütztes Rechtsgut 52 Die kriminalpolitisch sehr problematische Vorschrift beruht auf wenig gesicherten Grundlagen, ihre Grenzen sind aufgrund der Verwendung zu vieler normativer Begriffe vage. Ein Schaden braucht nicht einzutreten; das Delikt ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. Es soll den öffentlichen Frieden vor sozialschädlicher Aggression und Hetze schützen, daneben aber auch dem Jugendschutz dienlich sein. 33 2. Einzelheiten der Regelung 53 a) Tatgegenstand sind Schriften und andere Darstellungen; dazu § 11 Abs. 3. Gemäß Abs. 2 ist die Verbreitung durch Rundfunk, Medien oder Teledienste der Verbreitung von Schriften gleichgestellt. Die Tathandlungen (Verbreiten der Schriften usw.) beschreiben Formen des Zugänglichmachens der Tatgegenstände und dazu dienendes Vorfeldverhalten. 54 b) Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen - ein im Hinblick auf das Erfordernis der Verletzung der Menschenwürde vager und dubioser Begriff 34 - setzen den Einsatz physischer Gewalt durch positives Tun unmittelbar gegen einen Menschen voraus, um seine körperliche Integrität zu verletzen. Gerade im Hinblick auf den Schutzzweck der Vorschrift, sozialschädliche Aggressionen zu verhindern, ist die Beschränkung auf positives Tun, die aber im Wortlaut „Gewalttätigkeit" angelegt ist, sachwidrig. Auch die Schilderung wie jemand z.B. verbrennt oder von Ameisen gefressen wird, ohne dass ihm geholfen wird, obwohl dies möglich wäre, dürfte gleiches Gewicht haben wie die Schilderung einer Gewalttätigkeit durch positives Tun.
55 Zum Merkmal grausam vgl. oben § 4 Rdn. 36 f; unmenschlich ist die menschenverachtende Einstellung des Täters. - Verherrlichend ist eine positiv wertende Darstellung, verharmlost wird das Geschehen durch bewusste Bagatellisierung als akzeptables Mittel zur Lösung von Konflikten. - Eine die Menschenwürde verletzende Darstellungsart liegt vor, wenn Schmerz und Qualen von Menschen gezielt als bloßes Unterhaltungsmittel zum Aufputschen der Nerven eingesetzt werden. Enger BVerfG NJW 1993 S. 1457: „Darstellungen von grausamen oder unmenschlichen Gewalttätigkeiten, die darauf angelegt sind, beim Betrachter eine Einstellung zu erzeugen oder zu verstärken, die den jedem Menschen zukommenden fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet."
56 Die Art der Schilderung muss die Gewalttätigkeiten verherrlichen oder verharmlosen oder sie in einer die Menschenwürde verletzende Weise darstellen. Die Strafwürdigkeit liegt demnach wesentlich in der Art und Weise der Schilderung begründet. 57 c) Der Vorsatz - bedingter genügt - muss sich darauf erstrecken, dass in der Schrift Gewalt verherrlicht wird usw. - Eine Absicht des Täters, dieses Ziel zu erreichen, ist nicht erforderlich. Der Täter braucht diese Tendenzen seiner Handlung nicht einmal zu billigen. d) Ausschluss des Tatbestandes 58 aa) Das Berichterstatterprivileg nach § 131 Abs. 3 schließt den Tatbestand aus. - Berichterstattung ist jede auf Reproduktion der tatsächlichen Ereignisse gerichtete Überlieferung, auch die Dokumentation, die in fiktiver Nachgestaltung wirkliche Vorgänge vor
33
D a z u GERHARDT N J W 1975 S. 375; LANGE Heinitz-FS, S. 5 9 3 ff; MIEBACH/SCHÄFER M K , § 131 Rdn.
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Dazu KöHNE G A 2 0 0 4 S. 183.
1 f; RUDOLPH! J A 1 9 7 9 S. 2 .
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Augen fuhren will. - Übertreibungen, pädagogisch motivierte Schilderungen erdichteter Vorgänge und Verfälschungen der tatsächlichen Ereignisse fallen hingegen nicht unter das Privileg. Sachlich kommt dem Berichterstatterprivileg des § 131 Abs. 3 im wesentlichen nur 59 klarstellende Funktion zu, denn die historisch getreue Berichterstattung erfüllt nicht die im Tatbestand geforderte Art der Schilderung. Werden hingegen historische Ereignisse verzerrt in der beschriebenen Weise geschildert, so greift Abs. 3 nicht ein. bb) Zum Erzieherprivileg des § 131 Abs. 4 vgl. unten § 66 Rdn. 62. 60 3. Zur Rechtfertigung Nur in Ausnahmefallen wird eine der in § 131 erfassten Gewaltschilderungen und Äuße- 61 rungen als Kunstwerk anerkannt werden können, da die künstlerische Verarbeitung, selbst wenn die Schilderung grausam oder unmenschlich ist, kaum eine Verherrlichung oder Verharmlosung der Gewalttaten ausdrücken wird. Sollte im Einzelfall allerdings ein Werk, das den Anforderungen des § 131 entspricht, 62 als Kunstwerk anerkannt werden, so wird eine Rechtfertigung nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG regelmäßig in Betracht kommen. 35
VII. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111 1. Das Wesen des Tatbestandes und das geschützte Rechts gut a) § 111 Abs. 1 ist ein gegenüber der Anstiftung, § 26, und der versuchten Anstiftung, § 30 63 Abs. 1, erweiterter Αuffangtatbestand. Die rechtswidrige Tat, zu der der Täter auffordert, muss ihrer Art und ihrem rechtlichen Wesen nach bestimmt sein. Im Gegensatz zu §§ 26, 30 ist jedoch nicht erforderlich, dass der Aufgeforderte als ganz bestimmte Person schon feststeht und Zeit, Ort sowie Objekt der Tat bereits in den wesentlichen Zügen konkretisiert sind. b) Geschützt wird der innere Gemeinschaftsfrieden. 36 64 2. Die Aufforderung gemäß Abs. 1 a) Aufforderung ist eine Äußerung, mit der erkennbar von einem anderen ein bestimmtes 65 Tun oder Unterlassen verlangt wird. Ein bloßes „Anreizen" zur Tat, Gutheißen 37 oder Befürworten der Tat 38 genügt nicht. - Nicht vorausgesetzt wird, dass sich unter den Aufgeforderten ein tauglicher Täter der Tat, zu der aufgefordert wird, befindet. Das Delikt ist ein abstraktes Gefahrdungsdelikt. 39
35
Im Einzelnen zur Rechtfertigung durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vgl. oben § 32 Rdn. 45 ff.
36
Vgl. dazu BGHSt 29 S. 267; V. BUBNOFF LK, §111 Rdn. 5. - A.A. LACKNER/KÜHL § 111 Rdn. 1; SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 13: das durch die Straftat beeinträchtigte Rechtsgut; PLATE ZStW 84 (1972) S. 303: empirische Geltung der Rechtsordnung; JAKOBS ZStW 97 (1985) S. 777: Rechtsfriedensstörung.
37
BGHSt 32 S. 310. - Aufruf zur Fahnenflucht als Meinungsäußerung: KG JR 2001 S. 472 f mit Anm. SCHROEDER S. 4 7 4 f.
38
Dazu OLG Karlsruhe NStZ 1993 S. 389.
39
Vgl. BayObLG NJW 1994 S. 396.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Aufforderung und Bestimmen i.S. des § 26 sind danach identisch, wenn für das Bestimmen mehr verlangt wird als die bloße Verursachung des Tatentschlusses.4® Bei der Aufforderung zu Sitzblockaden, §§ 111, 240, hat das BVerfG allerdings die Aufforderung als nicht hinreichend bestimmt angesehen, wenn entsprechende Flugblätter nicht die für die Bewertung der Rechtswidrigkeit maßgebenden Umstände enthalten. ^ - Da der Täter im Zweifel überhaupt keinen Anlass zu derartigen Mitteilungen sieht, ist § 111 damit in Bezug auf die Aufforderung zu Sitzblockaden tatsächlich außer Kraft gesetzt sowie Wesen, Schutzzweck und tatbestandliche Besonderheit des § 111 gründlich verkannt worden. 42
66 Zum Begriff öffentlich vgl. oben § 62 Rdn. 4; in einer Versammlung: vgl. oben § 62 Rdn. 4; Verbreiten heißt die Schriften (§11 Abs. 3) einem größeren, nicht notwendig unbestimmten Personenkreis zugänglich machen, den der Täter nicht mehr kontrollieren kann. Das bloße Anbieten zum Kauf ist noch kein Verbreiten.43 67 b) Der Vorsatz ist gegenüber dem Anstiftungsvorsatz weiter, da keine konkrete Person zur Tat bestimmt werden muss. Er erfordert das Bewusstsein, dass die Aufgeforderten eine rechtswidrige Tat begehen, wozu auch die Teilnahme zählt, nicht aber Ordnungswidrigkeiten. Der Vorsatz, dass die Aufgeforderten die Tat vollenden, ist im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut nicht erforderlich, so dass auch ein agent provocateur unter § 111 fällt. 44 68 c) Die Bestrafung nach Abs. 1 setzt voraus, dass die Aufforderung Erfolg gehabt hat, d.h. dass es zu der rechtswidrigen vollendeten Tat oder zu einem mit Strafe bedrohten Versuch gekommen ist. 69 d) Die Strafverfolgung nach § 111 setzt keinen Antrag voraus, auch wenn das Delikt, zu dem aufgefordert wird, ein Antragsdelikt ist. 45 3. Die erfolglose Aufforderung gemäß Abs. 2 70 Im Hinblick auf den Erfolg der Tat hat Abs. 2 die Funktion des § 30 Abs. 1 gegenüber § 26. Entgegen § 30 Abs. 1 sieht § 111 Abs. 2 jedoch nicht eine Strafmilderung vor, sondern bietet einen selbständigen Strafrahmen. Diese in die Gesetzessystematik nur schwer einzupassende Regelung fuhrt zu der Konsequenz, dass Beihilfehandlungen zur Tat nach Abs. 2 - im Gegensatz zur Beihilfe bei der erfolglosen Anstiftung gemäß § 30 Abs. 1 strafbar sind. 46
4 0
D a z u v g l . GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 2 R d n . 3 2 ff.
41
Vgl. BVerfG NStZ 1991 S. 279; BVerfG NJW 1992 S. 2688.
4 2
V g l . d a z u B a y O b L G J R 1 9 9 3 S. 1 1 7 m i t A n m . NEHM S . 1 2 0 f f ; v . BUBNOFF L K , § 111 R d n . 2 3 ; OTTO J R 1 9 9 3 S. 2 5 9 ; SCHMITT GLAESER J R 1 9 9 1 S. 16 f. - A . A . BOSCH M K , § 111 R d n . 15; GRAUL J R 1 9 9 4 S. 5 5 ff.
43
KGStV 1983 S. 461.
4 4
S o a u c h v . BUBNOFF L K , § 111 R d n . 2 7 ; LACKNER/KÜHL § 111 R d n . 6 . - A . A . SCH/SCH/ESER § 111
Rdn. 17. 45
OLG Stuttgart NJW 1989 S. 1939.
46
Dazu BGHSt 29 S. 266 f.
356
Delikte gegen den inneren Frieden
§ 63
4. Konkurrenzen Wird der Täter wegen der Tat, zu der er aufgefordert hat, als Täter, Anstifter oder er- 71 folgloser Anstifter, §§ 25,26, 30, bestraft, so wird § 111 konsumiert.47
47
Für Tateinheit: SCH/SCH/ESER § 111 Rdn. 23; TRÖNDLE/FISCHER § 111 Rdn. 9. - Für Subsidiarität des § 1 1 1 : LACKNER/KÜHL § 111 R d n . 10; SCHROEDER S t r a f t a t e n , S. 3 0 .
357
§64
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Dritter Abschnitt Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens § 64 Delikte gegen das Pietätsempfinden 1. Das geschützte Rechtsgut der §§166-168 1 Die Bezeichnung der hier relevanten Straftaten als Delikte gegen das Pietätsempfinden ist ungenau. Geschützt wird - genauso wenig wie bei der Beleidigung das subjektive Ehrempfinden - keineswegs das subjektive Pietätsempfinden des Einzelnen, sondern der öffentliche Frieden durch das Gebot, das Pietätsempfinden anderer zu achten. Es geht um die Wahrung von Anstand und Würde bei religiösen und weltanschaulichen Äußerungen. 1 2. Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen, §166 2 Die Tat ist abstraktes Gefahrdungsdelikt, maßgeblich ist die Eignung der Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu stören.2 a) Schutz religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse, Abs. 1 3 Die öffentlich - vgl. dazu oben § 62 Rdn. 4 - oder durch Verbreiten von Schriften - zur Gleichstellung mit Schriften vgl. § 11 Abs. 3 - erfolgende Beschimpfung, d.h. nach Form und Inhalt besonders verletzende Missachtensäußerung, muss geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören - dazu oben § 63 Rdn. 24 -. Die Friedensstörung kann auch bei der Beschimpfung eines individuellen Bekenntnisses gegeben sein, denn es kommt nicht darauf an, wie viele Menschen sich getroffen fühlen, sondern ob Art und Weise der Äußerung den nach den Grundsätzen friedlichen Zusammenlebens gebotenen Anstand und die erforderliche Würde im religiösen oder weltanschaulichen Bereich verletzen. 4 Als religiöses Bekenntnis ist ein Bekenntnis anzusehen, das inhaltlich wesentlich durch den Glauben an Gott als den letzten Weltgrund bestimmt wird. Dem weltanschaulichen Bekenntnis ist dieser metaphysische Bezug nicht wesentlich, denn der Weltanschauung geht es um eine Deutung der Welt und der Stellung des Einzelnen in ihr ohne diesen Bezug. Daher ist die nach h.M. durch Art. 4 Abs. 1, 140 GG in Verb, mit Art. 137 Abs. 7 WRV gebotene Gleichstellung des religiösen mit dem weltanschaulichen Bekenntnis recht dubios. Das religiöse Bekenntnis ist nämlich andersartigen und auch in andere Dimensionen weisenden Angriffen ausgesetzt als ein weltanschau-
1
V g l . d a z u HARDWIG G A 1 9 6 2 S. 2 5 7 f f ; ROGALL S K II, V o r § 1 6 6 R d n . 1, 4 ; STUMPF G A 2 0 0 4 S. 1 0 9
ff; WORMS Die Bekenntnisbeschimpfung im Sinne des § 166 Abs. 1 StGB und die Lehre vom Rechtsgut, 1984, S. 88 ff, 133 ff. - Für eine differenzierte Betrachtungsweise bei den einzelnen Tatbeständen, wobei im wesentlichen auf den Schutz des öffentlichen Friedens abgestellt wird: DIPPEL LK, Vor § 166 R d n . 15; KINDHÄUSER B . T . I , § 4 5 R d n . 1; LACKNER/KÜHL § 1 6 6 R d n . 1, § 1 6 7 R d n . 1, § 1 6 8 R d n . 1; MAURACH/SCHROEDER/MAI-WALD B . T . 2 , § 6 1 R d n . 2 ; RUDOLPHI S K II, V o r § 1 6 6 R d n . 1, 3 ;
SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 166 ff Rdn. 2. - Als unselbständigen Teil des § 130 Nr. 3 interpretiert FISCHER GA 1989 S. 456 ff, 464, den § 166. - Das Rechtsgut des § 168 sieht KRETSCHMER Der Grabund Leichenfrevel als strafwürdige Missetat, 2002, S. 278, im Gefühl der überindividuellen Unvergänglichkeit. - Krit. zu einem schutzwürdigen Rechtsgut des § 166 HÖRNLE MK, § 166 Rdn. 1 ff. 2
Vgl. auch BGHSt 46 S. 218; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 S. 238 mit Anm. OTTO JK 00, StGB § 166/1; DIPPEL LK, § 166 Rdn. 4; TRÖNDLE/FLSCHER § 166 Rdn. 14 f. - A.A. (konkretes Gefährdungsd e l i k t ) : GALLAS H e i n i t z - F S , S. 1 8 2 ; HERZOG N K , SCH/SCH/LENCKNER § 1 6 6 R d n . 12.
358
§ 166 R d n .
1; ROGALL S K II, § 1 6 6 R d n .
2;
Delikte gegen das Pietätsempfinden
§64
liches Bekenntnis, und zwar aufgrund seines metaphysischen Bezugs sowie der anderen als den Gläubigen nicht nachvollziehbaren Verbindung des Einzelnen mit Gott im Glaubensakt.
b) Schutz bestimmter Institutionen, Abs. 2 Weltanschauungsvereinigungen sind Personenvereinigungen, die sich zu einer bestimmten Weltanschauung bekennen. - Ob die Religionsgesellschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist, spielt keine Rolle. - Einrichtungen sind die für die innere und äußere Verfassung oder die Ausübung der Religion bzw. Weltanschauung verbindlichen Ordnungen der Gruppe.
5
Beispiele: Konfirmation; Singen von Kirchenliedern; Messe; Priestertum; Predigt u.Ä.
Gebräuche sind allgemeine, tatsächliche Übungen der Gruppe, z.B. Kollektenwesen, Be- 6 kreuzigung, Reliquienverehrung. c) Zur Rechtfertigung Die Rechtfertigung einer Beschimpfung aufgrund der Wahrnehmung der Freiheit der 7 Kunst, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, wird nur in Grenzfallen in Betracht kommen. Die Beachtung des grundgesetzlichen Wertsystems und der in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Wertordnung wird hier nur selten zu einem Vorrang der Kunstausübung fuhren. Die religiöse Beschimpfung z.B. tangiert aufgrund ihrer Eignung, den existentiellen Persönlichkeitsbereich in seinem Glaubensbezug zu verletzen, die Freiheit der Religionsausübung, die grundsätzlich der Kunstfreiheit gleichwertig ist.3 3. Störung der Religionsausübung, § 167 a) Störung des Gottesdienstes oder einer gottesdienstlichen Handlung, Abs. 1 Nr. 1 Gottesdienst ist die Vereinigung der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft zur religiösen 8 Verehrung oder Anbetung Gottes. Politische Demonstrationen in Form einer religiösen Andacht genießen nicht den Schutz des § 167.4 - Gottesdienstliche Handlung ist eine auf dem religiösen Kult beruhende Handlung, die außerhalb des Gottesdienstes der Gottesverehrung dient oder die Verbundenheit mit Gott zeigen soll, z.B. Taufe, Trauung, Prozession. Die Störung, d.h. Behinderung oder Erschwerung, muss absichtlich, also zielgerichtet, unternommen sein; im übrigen genügt Vorsatz, auch bedingter Vorsatz. b) Beschimpfender Unfug an geweihtem Ort, Abs. 1 Nr. 2 Beschimpfender Unfug ist eine grob ungehörige Verletzung der Achtung des religiösen 9 oder weltanschaulichen Empfindens anderer. - Ein bestimmter Erfolg braucht nicht eingetreten zu sein, die Tat ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. c) Dem Gottesdienst gleichgestellt sind entsprechende Feiern einer im Inland bestehenden 10 weltanschaulichen Vereinigung, Abs. 3. 4. Störung einer Bestattungsfeier, § 167 a Bestattungsfeiern sind nicht nur Beerdigung und Einäscherung, sondern auch die dazu ge- 11 hörenden Feierlichkeiten, wie z.B. der Leichenzug und die Trauerfeier. Im Einzelnen zur Rechtfertigung durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vgl. oben § 32 Rdn. 45 ff. - Speziell zur Beschimpfung durch Karikaturen und Satiren: OLG Köln NJW 1982 S. 657; OLG Düsseldorf NJW 1 9 8 3 S. 1 2 1 1 ; DIPPEL L K , § 166 R d n . 8 9 ; HÖRNLE M K , § 1 6 6 R d n . 19; LENCKNER N o l l - G e d S , S. 2 5 4 ;
WÜRTENBERGER NJW 1982 S. 610 ff. Grundsätzlich zum Konflikt zwischen Glaubensfreiheit und Kunstfreiheit: KRAUSS Noll-GedS, S. 209 ff. Vgl. OLG Celle NJW 1997 S. 1167; DlPPEL LK, § 167 Rdn. 9; ROGALL SK II, § 167 Rdn. 3.
359
§64
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
5. Störung der Totenruhe, §168 a) Die unbefugte Wegnahme von Leichen u.a., Abs. 1,1. Alt. 12 aa) Der Körper eines verstorbenen Menschen ist geschützt, solange er noch nicht zerfallen oder Gegenstand des Rechtsverkehrs, z.B. Anatomieleiche, geworden ist; zum Zeitpunkt des Beginns des Lebens als Mensch vgl. oben § 2 Rdn. 4, zum Zeitpunkt des Todes vgl. oben § 2 Rdn. 10. - Teile des Körpers sind die natürlichen Bestandteile des Körpers, auch das Leichenblut und Gewebeteile.5 Dem Körper eingefügte fremde Bestandteile, z.B. Prothesen, Herzschrittmacher, sind durch die Eigentumsdelikte hinreichend geschützt und daher nicht als Körperteile i.S. des § 168 anzusehen.6 - Leibesfrucht ist die menschliche Frucht vom Zeitpunkt der Nidation an. 13 bb) Wegnahme ist hier nicht als Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams i.S. der Eigentumsdelikte zu verstehen, sondern als Entfernung aus einem tatsächlichen Obhutsverhältnis. Dieses Aufsichts- und Bewachungsverhältnis ist nicht rein normativ im Sinne eines bloßen ObhutsrecÄ/s zu verstehen, sondern wird durch das Hinzutreten einer faktischen Komponente begründet.7 Ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis in diesem Sinne liegt vor, wenn der Obhutsberechtigte, d.h. die Person, der die Bestattung obliegt, nach Benachrichtigung vom Tode dem gegenüber, der die Leiche in Gewahrsam hat, zum Ausdruck gebracht hat, dass er die Obhut übernimmt.8 14 Gewahrsam an der Leibesfrucht wird im Regelfall der Leiter des Krankenhauses haben, in dem die tote Leibesfrucht durch Schwangerschaftsabbruch angefallen ist. - Ein Obhutsverhältnis Angehöriger ist hier nur bei ausdrücklichem Verlangen, die Leibesfrucht in Obhut zu nehmen, begründet.9 Diese Bestimmung des Obhutsverhältnisses hat die Konsequenz, dass eine eigenmächtige Sektion oder Entnahme von Organen zur Transplantation vor der Benachrichtigung der Angehörigen nicht unter den Tatbestand des § 168 fallt. Gleichfalls nicht erfasst ist im Regelfall auch die Verwertung der Leibesfrucht durch die Leitung eines Krankenhauses. 15 cc) Die Wegnahme von Leichenteilen erfolgt befugt, d. h. gerechtfertigt, soweit der Verstorbene eingewilligt hat oder öffentlich-rechtliche Vorschriften - z. B. § 87 Abs. 3, 91 StPO - sie gestatten. - Die Organentnahme zum Zweck der Transplantation regelt das Transplantationsgesetz v. 5.11.1997. Dieses ermöglicht gemäß § 3 eine Organentnahme auch mit Zustimmung von Angehörigen (erweiterte Zustimmungslösung).10
5
KG NJW 1990S. 782.
6
D a z u § 3 9 R d n . 5 f; im Ü b r i g e n vgl. BRINGEWAT J A 1984 S. 61 ff; LACKNER/ KÜHL § 168 R d n . 2; ROGALL S K II, § 1 6 8 R d n . 5 ; RUDOLPHI J u r a 1 9 7 9 S . 4 6 . - A . A . DIPPEL L K , § 1 6 8 R d n . 2 5 ; HERZOG N K , § 1 6 8 R d n . 6 ; HÖRNLE M K , § 1 6 8 R d n . 9 ; TRONDLE/FISCHER § 1 6 8 R d n . 5 .
7
OLG
Zweibrücken
JR
1992 S. 2 1 2
mit
A N M . LAUBENTHAL S . 2 1 3 ;
DIPPEL L K ,
§
168 Rdn.
33;
GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 5 1 R d n . 2 ; LACKNER/KÜHL § 1 6 8 R d n . 3 ; OTTO J u r a 1 9 9 2 S . 6 6 7 f ; ROGALL
SK
II,
§
168
Rdn.
8;
TRÖNDLE/FISCHER
§
168
Rdn.
8.
-
A.A.
(Obhutsrecht):
MAU-
RACH/SCHRÖDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 2 R d n . 12; STERNBERG-LIEBEN N J W 1 9 8 7 S . 2 0 6 2 . 8
V g l . K G N J W 1 9 9 0 S . 7 8 2 ; OTTO J u r a 1 9 9 2 S . 6 6 7 f ; TRÖNDLE/FISCHER § 1 6 8 R d n . 8 . - A . A . DIPPEL L K , § 1 6 8 R d n . 3 4 ; HÖRNLE M K , § 1 6 8 R d n . 15; KRETSCHMER G r a b f r e v e l , S . 5 1 3 f .
9 10
Auch hier ist Str., ob die Obhut tatsächlich übertragen sein muss; vgl. ROGALL SK II, § 168 Rdn. 8. Im Einzelnen zu den Regelungen des T P G : DIPPEL LK, § 168 Rdn. 6 ff; LACKNER/KÜHL § 168 Rdn. 5; TRÖNDLE/FISCHER § 1 6 8 R d n . 13 ff.
360
Delikte gegen die familiäre Ordnung
§65
b) Die Verübung beschimpfenden Unfugs an einer Leiche u.a., Abs. 1,2. Alt. Zur Verübung beschimpfenden Unfugs vgl. § 64 Rdn. 9. 16 c) Zerstörung von Aufbahrungsstätten u.a., Abs. 2 Während Aufbahrungsstätten Orte sind, an denen Tote aufgebahrt sind, brauchen sich an 17 Totengedenkstätten keine Toten zu befinden. Der Begriff der Beisetzungsstätte kann dem Schutz des Rechtsgutes gemäß nicht nur unmittelbar auf das Grab beschränkt, sondern muss auch auf die unmittelbar zum Grab gehörenden Gegebenheiten - Grabdenkmäler, Umfriedung - erstreckt werden. - Zum Zerstören und Beschädigen vgl. § 47 Rdn. 5; zum Verüben beschimpfenden Unfugs vgl. § 64 Rdn. 9.
§ 65 Delikte gegen die familiäre Ordnung I. Personenstandsfalschung, § 169 1. Das geschützte Rechtsgut und das Angriffsobjekt a) § 169 schützt die Allgemeinheit und damit mittelbar auch die jeweils Betroffenen vor 1 den Gefahren falscher behördlicher Personenstandsfeststellungen. Personenstand ist der Familienstand, d.h. das familienrechtliche, auf Abstammung oder Rechtsakt beruhende Verhältnis einer Person zu einer anderen Person. b) Angriffsobjekt ist allein der Personenstand eines anderen, d.h. nicht der eigene oder der 2 Personenstand einer nicht existierenden Person. 2. Die Regelung im einzelnen a) Unterschieben eines Kindes ist die Gefahrdung des Personenstandes dadurch, dass ein Kind aufgrund einer Täuschung in eine so enge tatsächliche Beziehung zu einer bestimmten Frau gebracht wird, dass es nach der äußeren Sachlage als deren leibliches Kind erscheint.
3
Die Gefahr einer unrichtigen behördlichen Feststellung des Personenstandes, z.B. durch unrichtige Eintragung im Geburtenbuch, braucht nicht konkret gegeben zu sein, es genügt vielmehr, dass das Verhalten geeignet ist, unrichtige behördliche Feststellungen zu begründen. Eine derartige Gefahr ist über den Wortlaut des Gesetzes hinaus zu fordern, denn ist diese Gefahr ausgeschlossen, so dass nur andere Personen aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten getäuscht werden, liegt eine Personenstandsfälschung nicht vor.' 1
Falsche Angaben sind unwahre Erklärungen gegenüber der zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörde. - Unterdrücken ist die Herbeiführung eines Zustandes, der die behördliche Feststellung verhindert oder erschwert. Bloßes Unterlassen ist nur in einer Garantenposition strafbar. Die Zuständigkeit zur Führung von Personenstandsbüchern ist im PStG geregelt. - Zuständig zur Feststellung des Personenstandes sind die Behörden, die durch Entscheidung für und gegen jedermann dazu berufen sind, den Personenstand eines Menschen amtlich festzustellen oder zu verändern oder bei einer Veränderung mitzuwirken.
4
Beispiele: Standesbeamter, Vormundschaftsgericht o.Ä.
b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Täter muss wissen, dass er den Personenstand eines anderen falsch angibt oder unterdrückt und dass die zuständige Behörde von dem unrichtigen Personenstand Kenntnis erlangt. 11
D a z u BOHNERT JUS 1 9 7 7 S. 7 4 7 ; DIPPEL L K , § 169 R d n . 14.
361
5
§65
6
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
c) Die Tat ist Zustandsdelikt, d.h. sie ist mit der Herbeiführung des unrichtigen Zustandes beendet. - Vollendet ist das Delikt, wenn die falsche Angabe usw. derart in den Wahrnehmungsbereich der entsprechenden Behörde gelangt ist, dass der zuständige Beamte sie zur Kenntnis nehmen kann. Zur Verdeutlichung:
7
a) Die Ehefrau Α hat nach einem Ehebruch mit X ein Kind bekommen. Sie meldet dies als eheliches Kind zur Eintragung beim Standesamt an. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor. Bis zur Anfechtung der Ehelichkeit gilt das Kind als ehelich, § 1591 BGB. Gleiches gilt bei der Anerkennung eines Kindes als ehelich nach §§ 1600 a ff B G B . ' 2 b) Die Α weigert sich, den Erzeuger ihres nichtehelichen Kindes anzugeben. Dadurch kann das Jugendamt die nötigen gerichtlichen Personenstandsfeststellungen nicht in die Wege leiten. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor, da die Α nicht Garantin gegenüber der Behörde ist.'3 In gleicher Weise fehlt die Garantenstellung beim Arzt, der über die Herkunft des Samens bei heterologer Insemination schweigt.''' c) Die A, die eine Fehlgeburt erlitten hat, gibt ihrem Ehemann (E) gegenüber das Kind ihrer Freundin F als ihr eigenes aus. Die F ist einverstanden. Sie wollte das Kind zur Adoption freigeben. Ε meldet das Kind beim Standesamt als eigenes an. Ergebnis: Α unterschiebt ein Kind.'^ d) Α gibt dem Finanzamt gegenüber fälschlicherweise den X als Vater ihres nichtehelichen Kindes an. Sie meint, das Finanzamt sei auch eine zur Feststellung des Personenstandes zuständige Behörde. Ergebnis: § 169 liegt nicht vor; Α begeht ein Wahndelikt. Ihr Irrglaube erweitert die behördliche Zuständigkeit nicht. e) Α meldet seine Freundin F beim Einwohnermeldeamt als seine Ehefrau an. Ergebnis: § 169 nicht gegeben, das Einwohnermeldeamt ist nicht zuständige Behörde i.S. des § 169.
II. Doppelehe, § 172 8
1. Das geschützte Rechtsgut § 172 schützt die staatliche Eheordnung als Teil der Familienordnung. - Verheiratet ist, wer in formell gültiger Ehe lebt, § 1310 BGB.
9
2. Die Tathandlung Tathandlung ist das Schließen einer formell gültigen Ehe in einem Zeitpunkt, in dem der Täter oder der Partner noch formell gültig verheiratet ist. BGHSt 4 S. 6: A, der damit rechnete, dass seine Ehefrau noch lebte, ließ diese für tot erklären und heiratete nach Rechtskraft der Todeserklärung die B. BGH: Da die erste Ehe erst durch die neue Eheschließung aufgelöst wird, § 1319 Abs. 2 BGB, ging Α eine Doppelehe ein. - Nicht notwendig ist es, dass nach der Tat zwei Ehen bestehen.
12
S o a u c h DIPPEL L K , § 1 6 9 R d n . 2 0 ; LACKNER/KÜHL § 1 6 9 R d n . 3; TRÖNDLE/FISCHER § 1 6 9 R d n . 6 .
13
V g l . DIPPEL L K , § 1 6 9 R d n . 2 8 . - A . A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 3 R d n . 16: R e c h t s -
pflicht zur Familienstandsangabe gegenüber Behörde genügt. 14
BT-Drucks. VI/3521, S. 11.
15
Vgl. R G S t 3 6 S. 137; DIPPEL LK, § 169 R d n . 15. - A.A. LACKNER/KÜHL § 169 Rdn. 3.
362
Delikte gegen die familiäre Ordnung
§65
Dieser von der h.A. - dazu DIPPEL LK, § 172 Rdn. 8 - geteilten Auffassung ist mit SCH/SCH/LENCKNER § 172 Rdn. 5, entgegenzuhalten, dass in diesen Fällen ein Strafbedürfhis nach § 172 nicht besteht, da die staatliche Eheordnung durch die Tat nicht betroffen wird, weil nach der Tat nur eine formell gültige Ehe besteht.
Führt die erneute Eheschließung nicht zu einer gültigen, wenn u.U. auch anfechtbaren Ehe, 10 sondern zu einer bloßen Nichtehe, so ist der Tatbestand nicht erfüllt. 16 3. Die Deliktsnatur a) Die Tat ist Zustande-, nicht Dauerdelikt. Sie ist daher mit Abgabe der Erklärungen ge- 11 mäß § 1311 BGB vollendet und beendet. b) Auf Teilnehmer findet § 28 Abs. 1 keine Anwendung, denn der Zustand des „Verheira- 12 tetseins" ist keine pflichtbegründende Gegebenheit, sondern allein Voraussetzung für einen wirksamen Angriff auf das geschützte Rechtsgut. 17
III. Beischlaf zwischen Verwandten, § 173 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die innere Familienordnung. 13 Die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verwandten ist lange Zeit unter Hinweis auf die Möglichkeit psychischer, eugenischer und genetischer Schäden begründet worden. Diese Argumentation ist vielfachen Zweifeln ausgesetzt. Gleichwohl erscheint das Verhalten im Hinblick auf mögliche psychische Schäden durchaus strafwürdig. Die Familie gibt den einzelnen Mitgliedern nur dann Möglichkeiten zu einer aus- 14 geglichenen personalen Entwicklung im emotionalen Bereich, wenn sie die Überlastung oder einseitige Belastung der Psyche des Einzelnen verhindert. - Die nicht intakte, d.h. tatsächlich unvollständige oder aufgrund der Verkennung der jeweiligen Rollenstellung unausgeglichene Familie ist ein kriminogener Faktor ersten Ranges. - Sexuelle Beziehungen zwischen den engsten Familienmitgliedern neben den Ehepartnern stellen sodann eine emotionelle Belastung der unmittelbar Betroffenen wie auch der anderen Familienmitglieder dar, die die Gefahr gestörter Persönlichkeitsentwicklungen begründet. 18 Da das Gesetz nach wie vor auf die leibliche Verwandtschaft abstellt, kommt dieser Schutzgedanke nur unvollständig in der Vorschrift selbst zum Tragen. 2. Die Tathandlung a) Tathandlung ist der Beischlaf, das ist jede Vereinigung der Geschlechtsteile, gleichviel 15 wie weit das männliche Glied in die Scheide eingeführt wird. 19
16
Vgl. LG Hamburg NStZ 1990 S. 280; zur Frage des anwendbaren Rechts bei ausländischer Eheschließung: LIEBELT NStZ 1993 S. 544 f. - Zur Mehrehe eines Ausländers in Deutschland: StA München NStZ 1996 S. 436.
1 7
V g l . DIPPEL L K , § 1 7 2 R d n . 12 m . N .
18
Im Einzelnen dazu BT-Drucks. VI/1552, S. 14; VI/3521, S. 17. - Dazu auch DIPPEL LK, § 173 Rdn. 4 ff.
19
BGHSt 16 S. 177.
363
§65
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Differenzierungen danach, ob das männliche Glied nur in den Scheidenhof oder in die Scheide selbst gelangt, erscheinen wegen der Schwierigkeiten der Feststellungen nicht sinnvoll. 2 ®
16 b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt, der sich auf die wirklichen blutsmässigen Verhältnisse beziehen muss. 3. Die Deliktsnatur 17 Die Tat ist eigenhändiges Delikt, so dass mittelbare Täterschaft ausscheidet. - Die Beteiligung des Deszendenten (Abs. 1) oder Aszendenten (Abs. 2 S. 1) ist als Teilnahmehandlung nicht eigenständig strafbar, so dass jeder nur aus dem für ihn geltenden Tatbestand bestraft werden kann. Die Teilnahme Dritter richtet sich nach Abs. 1. Da die Verwandtschaft hier die erhöhte sozialethische Pflicht begründet, für eine angemessene psychische Entwicklung der anderen Familienmitglieder Sorge zu tragen, ist die Verwandtschaft besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. I. 21 4. Strafausschluss 18 § 173 Abs. 3 enthält einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Deszendenten und Geschwister unter 18 Jahren, der eine Strafbarkeit Dritter wegen Anstiftung nicht ausschließt.22 IV. Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 1. Das geschützte Rechtsgut 19 Geschützes Rechtsgut des Abs. 1 ist die materielle Sicherstellung des Berechtigten, daneben die Schonung der öffentlichen Finanzen 2 3 - Abs. 2 dient dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren,24 2. Die Regelung des Abs. 1 20 a) Das Bestehen einer Unterhaltspflicht richtet sich nach bürgerlichem Recht. Wenn und solange ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch besteht, ist auch eine gesetzliche Unterhaltspflicht i.S. des § 1570 BGB gegeben. Die Voraussetzungen des Anspruchs hat der StrafHchter selbständig zu prüfen; dabei ist er an die Beweisvermutung der §§ 1591 ff, 1600 m, 1600 ο BGB gebunden. Ein eventuell vorliegendes Unterhaltsurteil bindet den
20
Dazu BGHSt 16 S. 177; BGH bei Dallinger, MDR 1973 S. 17; BGH NJW 2001 S. 455. - Eingehend zur Auseinandersetzung: DIPPELLK, § 173 Rdn. 22.
21
So auch BGH bei Miebach, NStZ 1992 S. 174. - A.A. BGHSt 39 S. 326, 328 mit Anm. DIPPEL NStZ 1 9 9 4 S. 1 8 2 f, OTTO J K 9 4 , S t G B § 2 8 / 1 , STEIN S t V 1 9 9 5 S. 2 5 1 f f ; GOSSEL/DÖLLING B . T . l , § 5 0 R d n . 9; LACKNER/KÜHL § 173 R d n . 6; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 3 R d n . 9 0 .
22
Vgl. BGH bei Miebach, NStZ 1992 S. 174; DIPPEL LK, § 173 Rdn. 33 m.N.
23
Dazu BVerfGE 50 S. 142 f.
24
Vgl. DIPPEL LK, § 170 Rdn. 8. - Daher handelt es sich bei Abs. 2 um ein selbstständiges Delikt gegenüber Abs. 1; vgl. FROMMEL NK, § 170 Rdn. 6; SCHITTENHELM NStZ 1997 S. 169 f; SCH/SCH/LENCKNER § 170 Rdn. 1 a. - Für Qualifikationstatbestand, da Abs. 2 auch dem Schutz der R e c h t s g ü t e r in A b s . 1 d i e n t : DIPPEL L K , § 1 7 0 R d n . 6; GÜNTHER S K II, § 1 7 0 b R d n . 11 f; LACKNER/KÜHL § 1 7 0 R d n . 1.
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Delikte gegen die familiäre Ordnung
§65
Strafrichter nicht, wohl aber ist der Strafrichter an die im Statusverfahren rechtskräftig festgestellten Fakten (z.B. Vaterschaft) gebunden. 25 Mangels Verletzung inländischer Interessen liegt eine Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht i.S. § 170 nicht vor, wenn ein im Inland lebender Ausländer2*' oder Deutscher 27 sich seiner auf ausländischem Recht beruhenden Unterhaltspflicht gegenüber einem Unterhaltsberechtigten im Ausland entzieht.
b) Als Unterhaltsleistung kommen in erster Linie Ansprüche auf Geldleistungen in Betracht. Soweit die Verpflichtung eines Unterhaltsverpflichteten auf Pflege und Erziehung gerichtet ist, vgl. § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB, gehört zum Unterhalt die Vornahme aller der Handlungen, die normalerweise im Haushalt zu erbringen sind. 28 Voraussetzung der Unterhaltspflicht ist, dass der Verpflichtete überhaupt imstande ist zu leisten, und zwar muss es ihm möglich sein, den Anspruch zu erfüllen, ohne seinen eigenen notwendigen Lebensbedarf oder den vorrangig Berechtigter zu gefährden. Einschränkungen seines Lebensstandards muss er in diesem Rahmen hinnehmen. Er ist zur Ausschöpfung von Verdienstmöglichkeiten zur Realisierung seiner Leistungsmöglichkeit verpflichtet. 29 c) Entziehen ist vorrangig ein echtes Unterlassen. Es kann aber auch durch positives Tun Vereitelung des Anspruchs durch Herbeiführung der Leistungsunfahigkeit - begangen werden.*0 d) Der angemessene Lebensbedarf, nicht der notwendige, muss gefährdet sein. - Die Abwendung der Gefahrdung durch Dritte ist dem Täter dann nicht zuzurechnen, wenn diese nur handeln, weil der Unterhaltsverpflichtete seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt, d.h. wenn eine Unterhaltssicherung erforderlich ist und mit der Hilfeleistung bezweckt wird. Zwischen der Unterhaltsverweigerung und der Hilfe Dritter oder der öffentlichen Hilfe muss daher ein innerer Zusammenhang bestehen. Erfolgt die Hilfe Dritter unabhängig von der verweigerten Unterhaltszahlung, so ist der Tatbestand nicht erfüllt. 31 e) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Er muss sich auf die Entziehung von der Unterhaltsverpflichtung erstrecken und die dadurch bewirkte Gefahrdung des Unterhaltsberechtigten umfassen. 32 f) Die Tat ist Dauerdelikt.
25
Str., wie hier: BGHSt 5 S. 106; BayObLG NJW 1967 S. 1287; BayObLG StV 2001 S. 349; OLG Celle StV 2001 S. 349; OLG Düsseldorf StV 1991 S. 68. - Für eine Bindungswirkung des klageabweisenden U n t e r h a l t s u r t e i l s : DIPPEL L K , § 170 R d n . 2 7 ; SCH/SCH/LENCKNER § 170 R d n . 13; SCHWAB N J W 1 9 6 0
S. 2169 ff. - Allgemein fiir eine Bindungswirkung des Unterhaltsurteils: KAISER NJW 1972 S. 1847 f. Ablehnend auch gegenüber Statusurteilen: EGGERT MDR 1974 S. 445 ff. 2 6
D a z u B G H S t 2 9 S. 8 5 m i t A n m . KUNZ N J W 1980 S. 1201 ff, OEHLER J R 1 9 8 0 S. 3 8 1 f; DlPPEL L K , §
27
BayObLG NJW 1982 S. 1243; DlPPEL LK, § 170 Rdn. 13.
170 Rdn. 13. 28
Dazu BVerfGE 50 S. 153 f.
29
BayObLG NJW 1990 S. 3284; BayObLG NStZ 1991 S. 39; OLG Düsseldorf NJW 1994 S. 672; OLG Hamburg StV 1989 S. 206; OLG Hamm NStZ-RR 1998 S. 207. - Zur Anforderung und Weiterleitung von Kindergeld: OLG Celle NJW 1984 S. 317.
30
So BGHSt 14 S. 165; 18 S. 379, LG Stuttgart NStZ 1996 S. 234.
31
BVerfGE 50 S. 154; BGH NStZ 1985 S. 166; OLG Zweibrücken NStZ 1984 S. 458; OLG Düsseldorf NJW 1990S. 399.
32
Vgl. auch BayObLG StV 1994 S. 429.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
3. Die Regelung des Abs. 2 26 a) Abs. 2 setzt wie Abs. 1 das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht voraus. - Da der nichteheliche Vater nach § 1615 1 Abs. 1 BGB Unterhalt regelmäßig erst ab sechs Wochen vor der Geburt, frühestens ab vier Monaten vor der Entbindung, § 1615 1 Abs. 2 BGB, schuldet, scheidet er in der Regel als Täter aus, obwohl das BVerfG ihm eine besondere Verantwortungsposition der Schwangeren gegenüber zugewiesen hat. 33 27 b) Der Unterhalt muss der Schwangeren vorenthalten werden. Das entspricht dem Entziehen des Abs. 1 und bedeutet die Nichtleistung des Unterhalts. 28 c) Das Vorenthalten muss in verwerflicher Weise erfolgen, d.h. in sozial-ethisch besonders negativ zu beurteilender Weise. 34 29 d) Das Vorenthalten des Unterhalts muss den Schwangerschaftsabbruch bewirkt haben, d.h. für diesen ursächlich gewesen sein. 30 e) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. V. Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, § 171 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur 31 Geschütztes Rechtsgut ist die ungestörte Entwicklung eigener oder fremder Kinder. - Das Delikt ist konkretes Gefahrdungsdelikt. 2. Die Tathandlung 32 a) Die Fürsorge- oder Erziehungspflicht kann auf Gesetz, Vertrag, öffentlich-rechtlichem Aufgabenbereich oder tatsächlicher Übernahme beruhen. Die Gefahr, in der körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, erfasst nicht jede Möglichkeit, dass das Kind Schaden erleiden kann. Es muss zu befurchten sein, dass der normale Ablauf des körperlichen oder geistig-seelischen Reifeprozesses dauernd oder nachhaltig gestört wird. 35 - Ein krimineller Lebenswandel liegt vor, wenn der Betroffene nicht unerhebliche, vorsätzliche Straftaten wiederholt begeht. - Der Prostitution nachgehen ist bereits das Aufsuchen von Gelegenheiten zur Ausübung, nicht erst die Vornahme und das Geschehenlassen der sexuellen Handlungen. - Zum Begriff der Prostitution: § 66 Rdn. 75. 33 b) Der Vorsatz, bedingter genügt, muss die Gefahrdung des Schutzbefohlenen umfassen. VI. Entziehung Minderjähriger, § 235 1. Das geschützte Rechtsgut 34 Geschütztes Rechtsgut ist das elterliche oder sonstige familienrechtliche Daneben dient die Vorschrift auch dem Schutz des Mindeijährigen.
Sorgerecht. -
3 3
V g l . BECKMANN Z f L 1 9 9 5 S. 3 1 ; GÜNTHER S K II, § 1 7 0 b Rdn. 4 1 ; TRÖNDLE N J W 1 9 9 5 S. 3 0 1 7 .
3 4
V g l . d a z u GÜNTHER S K II, § 170 b Rdn. 4 7 ; LACKNER/KÜHL § 1 7 0 Rdn. 13; OTTO Jura 1 9 9 6 S . 1 4 4 . J e g l i c h e B e d e u t u n g s p r e c h e n d e m M e r k m a l ab: DIPPEL L K , § 1 7 0 Rdn. 6 1 ; SCHITTENHELM N S t Z 1 9 9 7 S. 1 7 1 ; SCH/SCH/LENCK-NER § 170 Rdn. 3 4 c.
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D a z u B G H N S t Z 1 9 8 2 S. 3 2 8 ; 1 9 9 5 S. 1 7 8 .
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Delikte gegen die familiäre Ordnung
§65
2. Die Tathandlung gemäß Abs. 1 Eine Entziehung ist dann gegeben, wenn das aus dem Sorgerecht sich ergebende Recht des 35 Sorgeberechtigten, das Kind zu erziehen, es zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen, auf eine hinsichtlich der Ausübung des Sorgerechts nicht nur unwesentliche Zeit durch räumliche Trennung unwirksam gemacht oder doch so wesentlich beeinträchtigt wird, dass es nicht ausgeübt werden kann. 36 - Ein Vorenthalten liegt vor, wenn der gleiche Taterfolg dadurch erreicht wird, dass eine räumliche Trennung aufrechterhalten wird. Geschützt sind Personen unter achtzehn Jahren, Abs. 1 Nr. 1, sowie Kinder, Abs. 1 Nr. 2. Täter des Delikts kann jeder außer dem Mindeijährigen selbst sein, auch ein Elternteil 36 gegenüber dem (mit-)sorgeberechtigten anderen Elternteil. Die Beeinträchtigung des persönlichen Umgangs des nicht sorgeberechtigten Elternteils ist nicht tatbestandsmäßig, da geschütztes Rechtsgut das Sorgerecht ist. Der Hinweis der Gegenmeinung, die Verletzung des Rechts auf persönlichen Umgang des Elternteils, dem das Personensorgerecht ausdrücklich abgesprochen ist, genüge, weil dieses Recht aus der Personensorge erwachse, überzeugt nicht. Dem nicht Personensorgeberechtigten gegenüber kann das Personensorgerecht nicht verletzt werden. 37 Wird nicht nur die Ausübung des Sorgerechts beeinträchtigt, sondern - z.B. durch falsche Angaben vor dem Vormundschaftsgericht - das Sorgerecht selbst dem Berechtigten entzogen, so ist streitig, ob § 235 Anwendung fmdet. Das ist vom Gesetzeszweck her zu bejahen, denn die Entziehung des Sorgebefohlenen durch Beseitigung des Sorgerechts ist ein besonders gravierender Fall der Rechtsgutsbeeinträchtigung. 3 ®
Zu den Tatmitteln: Gewalt vgl. § 27 Rdn. 14; Drohung mit einem empfindlichen Übel vgl. 37 § 27 Rdn. 17 f; List vgl. § 28 Rdn. 21. 3. Die Tathandlung gemäß Abs. 2 Abs. 2 erfasst in Nr. 1 die Entziehung eines Kindes, um es ins Ausland zu verbringen, und 38 in Nr. 2 das Vorenthalten eines Kindes im Ausland. 4. Der Versuch Der Versuch ist in den Fällen des Abs. 1 Nr. 2 und des Abs. 2 Nr. 1 strafbar, Abs. 3.
39
5. Die Tatbeteiligung des Sorgebefohlenen Die Einwilligung des Mindeijährigen ist unerheblich. Seine Mitwirkung an der Tat, selbst 40 wenn sie sich als Anstiftung oder Beihilfe darstellt, bleibt straffrei, da die Norm auch seinem Schutze dient und sein Wille nicht als entscheidend angesehen wird. 39 6. Qualifizierte und erfolgsqualifizierte Fälle a) Qualifikationen Ein qualifizierter Fall gemäß Abs. 4 Nr. 1 liegt vor, wenn das Opfer durch die Tat in die 41 36
Vgl. BGHSt 1 S. 200; 10 S. 378; 16 S. 58 ff; BGH NStZ 1996 S. 333; dazu auch GEPPERT H. Kaufm a n n - G e d S , S. 7 8 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 3 5 R d n . 3; WLECK/NOODT M K , § 2 3 5 R d n . 36.
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V g l . a u c h GEPPERT H . K a u f m a n n - G e d S , S. 7 7 3 ff. - A . A . B G H S t 10 S. 3 7 6 ; 4 4 S. 3 5 5 ; LACKNER/KÜHL § 2 3 5 R d n . 2 ; SCH/SCH/ESER § 2 3 5 R d n . 11; WIECK/NOODT M K , § 2 3 5 R d n . 2 7 u n t e r H i n w e i s a u f B T -
Drucks. 13/8587, S. 38, jedoch haben die dort genannten Intentionen im Gesetz selbst keinen Niederschlag gefunden. 3 8
V g l . a u c h GRIBBOHM L K , § 2 3 5 R d n . 4 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 3 5 R d n . 9. - A . A . O L G Stuttgart N J W 1 9 6 8 S. 1342; GEPPERT H . K a u f m a n n - G e d S , S. 7 7 2 ; LACKNER/KÜHL § 2 3 5 R d n . 3.
39
Im Einzelnen dazu OTTO Lange-FS, S. 210 ff.
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§65
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung gebracht wird. - Zum Inhalt der einzelnen Begriffe vgl. die entsprechenden Ausfuhrungen unter § 16 Rdn. 3. Abs. 4 Nr. 2 nennt als weitere Qualifikation das Handeln gegen Entgelt, d.h. gegen Zahlung eines Entgelts, sowie in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, d.h. sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen. 7. Strafantrag 42 Gemäß Abs. 7 wird die Tat in den Fällen der Abs. 1 - 3 nur auf Antrag verfolgt, es sei denn es liegt ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vor.
VII. Kinderhandel, § 236 1. Das geschützte Rechts gut 43 Geschütztes Rechtsgut des Abs. 1 ist die ungestörte körperliche und seelische Entwicklung von Kindern, Mündeln und Pfleglingen. Ein tatsächlicher Schaden braucht aber nicht eingetreten zu sein. Es handelt sich daher um ein abstraktes Gefahrdungsdelikt. 40 - Abs. 2 dient der strafrechtlichen Absicherung der in § 5 Abs. 1, 4 S. 1 AdVermiG festgelegten Vermittlungsverbote. 2. „Kauf und „ Verkauf eines Kindes, Mündels oder Pfleglings, Abs. 1 44 Abs. 1 S. 1 erfasst den „Verkauf eines Kindes usw., d.h. das Überlassen des Kindes usw. an einen anderen auf Dauer, wenn der Täter unter grober Vernachlässigung der Fürsorgeoder Erziehungspflicht - dazu vgl. Rdn. 32 - und gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern - dazu vgl. Rdn. 41 -, handelt. - Abs. 1 S. 2 regelt die Strafbarkeit des „Käufers", d.h. jener Personen, die in den Fällen des Abs. 1 das Kind usw. auf Dauer bei sich aufnehmen und dafür ein Entgelt zahlen. Auf Seiten der „Verkäufer" kann die Tat nur von Eltern oder einem Elternteil - auch Adoptiveltern -, dem Vormund oder dem Pfleger gegen ein noch nicht achtzehn Jahre altes Kind, Mündel oder Pflegling begangen werden. 3. Verstoß gegen Vermittlungsverbote, Abs. 2 45 Gemäß Abs. 2 S. 1 wird der vorsätzliche Verstoß gegen die in § 5 Abs. 1, 4 S. 1 AdVermiG festgelegten Vermittlungsverbote unter Strafe gestellt, wenn der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, handelt. - Abs. 2 S. 2 sieht eine Strafschärfung für den Fall vor, dass die nach Abs. 2 S. 1 vermittelte Person vom Ausland in das Inland oder vom Inland in das Ausland verbracht wird. 4. Qualifikationen 46 Eine Strafschärfung sieht Abs. 4 Nr. 1 vor, wenn der Täter aus Gewinnsucht, d.h. aus einem auf ein ungewöhnliches, ungesundes, sittlich anstößiges Maß gesteigerten Erwerbssinn heraus, gewerbsmäßig - dazu vgl. § 41 Rdn. 21 - oder bandenmäßig - dazu vgl. entsprechend § 41 Rdn. 61 - handelt. - Abs. 4 Nr. 2 erfasst den Fall, dass das Kind über die 40
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Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 40 f; vgl. auch LACKNER/KÜHL § 236 Rdn. 1; WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 445; WIECK-NOODT MK, § 236 Rdn. 3.
Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
vermittelte Person durch die Tat in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung - dazu § 20 Rdn. 7 - gebracht wird. 5. Strafmilderung oder Absehen von Strafe Abs. 5 sieht in den Fällen des Abs. 1 und 3 bei bestimmten Beteiligten und in den Fällen 47 der Abs. 2 und 3 bei bestimmten Teilnehmern die Möglichkeit einer Strafmilderung oder das Absehen von Strafe vor.
§ 66 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung I. Geschütztes Rechtsgut und systematische Gliederung 1. Das geschützte Rechtsgut Mit der Entscheidung des Gesetzgebers im 4. StrRG, das am 28. 11. 1973 in Kraft trat, die früheren sogenannten Sittlichkeitsdelikte unter der Bezeichnung Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zusammenzufassen, sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass diese Tatbestände nicht mehr eine bestimmte sexuelle Ordnung schützen, sondern ein individuelles Rechtsgut. - Gleichwohl ist die überkommene Einordnung dieser Delikte als Straftaten gegen überindividuelle Rechtsgüter nach wie vor sachgerecht. Geschützt werden soll nämlich die sexuelle Selbstbestimmung nur im Rahmen einer bestimmten Sexualordnung, die - wie Art. 6 GG zeigt - auf Ehe und Familie und damit auf Integrität, Achtung der Menschenwürde des anderen auch im Sexualbereich und schließlich auf dem Schutz des Sexuallebens vor seiner völligen Vermarktung beruht. Erst vor diesem Hintergrund erhalten die §§ 176, 180 a, 181 a, 182, 183, 184, 184 a-c und 184 d-e eine befriedigende Erklärung. 2. Die systematische Gliederung des Gesetzes Nach der unterschiedlichen Akzentuierung im Schutzumfang des Rechtsguts sind sechs Deliktsgruppen zu unterscheiden. 41 a) Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne aa) bb) cc) dd) ee)
Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung, § 177 Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge, § 178 Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, § 179 Sexueller Missbrauch von Kranken und Hilfsbedürftigen, § 174 a Abs. 2 Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174 c
b) Strafbarer Missbrauch institutioneller Abhängigkeit aa) Sexueller Missbrauch von gefangenen und verwahrten Personen, § 174 a Abs. 1 bb) Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung, § 174 b.
c) Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person (Jugendschutz) aa) bb) cc) dd) ee) ff) gg)
Sexueller Missbrauch von Kindern, § 176 Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, § 176 a Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge, § 176 b Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, § 174 Förderung sexueller Handlungen Mindeijähriger, § 180 Sexueller Missbrauch von Jugendlichen, § 182 Jugendgefährdende Prostitution, § 184 e.
Hierzu SCHROEDER Das neue Sexualstrafrecht, 1975, S. 16 f.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§66
d) Sexuelle Belästigung Unbeteiligter aa) Exhibitionistische Handlungen, § 183 bb) Erregung öffentlichen Ärgernisses, § 183 a cc) Ausübung der verbotenen Prostitution, § 184 d.
e) Förderung und Ausnutzung der Prostitution aa) Förderung der Prostitution, § 180 a bb) Zuhälterei, § 181 a.
f) Verbreitung pornographischer Schriften, §§ 184,184 a-c
II. Die sexuelle Handlung, § 184 f 1. Die Definition des Begriffs 4
Der Gesetzgeber hat die im früheren Recht zentralen Begriffe der „unzüchtigen Handlung" und der „Unzucht" durch den der sexuellen Handlung ersetzt, ohne ihn jedoch zu definieren. Damit wurde die Chance vertan, den Anwendungsbereich der Tatbestände gesetzlich zu präzisieren.
5
a) Sexuelle Handlungen sind zunächst alle Handlungen, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild aus der Sicht eines objektiven Beobachters die Sexualbezogenheit erkennen lassen. Subjektiv muss der Täter sich dieses Bezugs bewusst sein. Ein Handeln aus wollüstiger Absicht ist nicht erforderlich. 42 Handlungen, die in ihrem objektiv zu ermittelnden Handlungssinn mehrdeutig sind, z.B. Faustschläge gegen die Brust einer Frau, Schläge auf das Gesäß eines Kindes oder gynäkologische Untersuchungen, sind dann als sexuelle Handlungen anzusehen, wenn sie nicht durch einen sachbezogenen Zweck, z.B. Untersuchungs- oder Erziehungszweck, in der durchgeführten Art und Weise gerechtfertigt und durch die Absicht der Erregung oder Befriedigung von Geschlechtslust motiviert sind. 43 Auf das Erkennen der Sexualbezogenheit durch das Opfer kommt es nicht an. b) Relevant sind nur Handlungen von einiger Erheblichkeit, d.h. Handlungen, die für das in den einzelnen Tatbeständen jeweils geschützte Rechtsgut nach Art und Intensität des Angriffs gefahrlich erscheinen und nicht als bloße Belanglosigkeit abzutun sind. 44
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2. Sexuelle Handlung „ an " und „ vor " einer Person Das Gesetz unterscheidet zwischen sexuellen Handlungen an und vor einer Person. a) Die sexuelle Handlung vor einem anderen muss von diesem anderen wahrgenommen werden, § 184 f Nr. 2. Das setzt räumliche Anwesenheit des Täters voraus. 45 Dass der andere die sexuelle Bedeutung der Handlung begreift, ist nicht erforderlich.
42
Dazu BGHSt 29 S. 336 mit Anm. HORN JR 1981 S. 251 ff; BGH NJW 1992 S. 325; BGH NStZ 2002 S. 4 3 1 ; BAUMANN J R 1 9 7 4 S. 3 7 1 ; DREHER J R 1 9 7 4 S. 4 7 ; LACKNER/KÜHL § 1 8 4 f R d n . 2 , 4 ; LAUBENTHAL S e x u a l s t r a f t a t e n , 2 0 0 0 , R d n . 6 3 ; MAIWALD G A 1 9 7 9 S. 1 5 4 ; SCH/SCH/LENCKNER § 1 8 4 c
Rdn. 8. 43
Dazu BGH NStZ 1985 S. 24; BGH JR 1983 S. 158 mit Anm. LENCKNER S. 159 ff; LACKNER/KÜHL § 1 8 4 f R d n . 2 ; SCH/SCH/LENCKNER § 1 8 4 c R d n . 9. - A . A . LAUBENTHAL S e x u a l s t r a f t a t e n , R d n . 6 5 ; LAUFHÜTTE L K , § 1 8 4 c R d n . 6 f f ; MAIWALD G A 1 9 7 9 S. 1 5 4 .
44
Dazu BGH NStZ 1992 S. 432; BGH StV 1999 S. 307; 2000 S. 197; BGH NStZ 2001 S. 370 mit Anm. LINDENAU J R 2 0 0 2 S. 7 2 f f ; O L G Z w e i b r ü c k e n N S t Z 1 9 9 8 S. 3 5 7 m i t A n m . MICHEL S. 3 5 7 f.
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Vgl. BGHSt 41 S. 285.
Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
b) Die sexuelle Handlung an einer Person setzt eine körperliche Berührung dieser Person voraus, braucht aber von dieser weder bewusst wahrgenommen noch als sexuelle Handlung verstanden zu werden.46
III. Delikte gegen die sexuelle Freiheit im engeren Sinne Mit dem 33. Strafrechtsänderungsgesetz vom 1.7.1997 hatte der Gesetzgeber die rechtliche Differenzierung zwischen der Nötigung zu außerehelichen und ehelichen sexuellen Handlungen beseitigt und das Verhältnis der sexuellen Nötigung zur Vergewaltigung neu geregelt: In § 177 a.F. war die Strafbarkeit der Vergewaltigung geregelt. Grund für diese besondere Hervorhebung der Vergewaltigung im Bereich gewaltsamer sexueller Handlungen war nicht nur die Gefahr kriminell erzwungener und damit unerwünschter Schwangerschaften, sondern auch die besondere Schwere des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung der Frau. - Der Gesetzgeber geht nunmehr aufgrund neuerer kriminologischer Erkenntnis davon aus, dass auch andere Sexualpraktiken einen vergleichbar massiven Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers darstellen und von diesem in gleicher Weise erniedrigend empfunden werden wie der erzwungene Beischlaf. Derartige Verhaltensweisen waren bisher nach § 178 a.F. mit einer milderen Strafe bedroht. Um diese Diskrepanz zu beseitigen, wurden §§ 177, 178 a.F. zu einem einheitlichen, differenzierten Tatbestand zusammengefasst. Die Regelung des § 179 a.F. wurde der des § 177 angepasst. - Das 6. StrRG stellte die Aufgliederung in drei Tatbestände wieder her. Diese wurden redaktionell sowie im Bereich der besonders schweren Fälle, mit Einfügung eines erfolgsqualifizierten Delikts und in den Strafdrohungen den anderen inhaltlich und strukturell vergleichbare Vorschriften des 6. StrRG angeglichen. 47
9
1. Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung, §177 a) Tathandlung ist die Nötigung einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit ge- jo genwärtiger Gefahr fur Leib oder Leben oder unter Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, zur Duldung sexueller Handlungen des Täters oder eines Dritten oder zur Vornahme an dem Täter oder einem Dritten. Zum Begriff der Gewalt vgl. oben § 27 Rdn. 2 ff. Auch nach BVerfGE 92, 1 hat der BGH mehrfach betont, dass Gewalt hier keine erhebliche Kraftentfaltung voraussetzt.4®* Zum Begriff der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben vgl. § 27 Rdn. 17 ff. Der Begriff der Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, entspricht dem der hilflosen Lage. Hilflos ist die Lage des Opfers, wenn seine Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten in einem Maße vermindert sind, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist. Worauf die schutzlose Lage beruht und wer sie geschaffen hat, ist irrelevant. 4 ^
Die einzelnen Alternativen des Tatbestandes stehen eigenständig nebeneinander und erfassen je eigene Unrechtsgehalte.50 Die Nötigung des Opfers zu sexuellen Handlungen an sich selbst oder zu Handlungen ohne 11 körperliche Berührung - Nacktausziehen, Einnahme sexuell aufreizender Positionen o.ä. fällt nur unter § 240.
46
Vgl. auch BGH NStZ 1992 S. 433.
47
Im Einzelnen zur Gesetzesgeschichte OTTO Jura 1998 S. 210 ff.
48
Vgl. BGH bei Miebach, NStZ 1997 S. 120; BGH NStZ 1999 S. 506.
49
Vgl. BT-Drucks. 13/2463, S. 6; BGHSt 44 S. 228, 231 f mit Anm. LAUBENTHAL JZ 1999 S. 583 f, OTTO JK 99, StGB § 177/4; BGHSt 45 S. 253, 255 f; BGH NJW 1989 S. 917 mit Anm. OTTO JR 1989 S. 340; BGH NStZ 2003 S. 533, 534 mit Anm. REICHENBACH JR 2004 S. 385 ff; FISCHER ZStW 112 (2000) S. 83; KINDHÄUSER StGB, § 177 Rdn. 6; RENZIKOWSKI NStZ 1999 S. 379 f. - Ein Verursachen der schutzlosen Lage durch den Täter fordern LACKNER/KÜHL § 177 Rdn. 6.
50
Vgl. dazu BGHSt 44 S. 228,230 mit. Anm. LAUBENTHAL JZ 1999 S. 583 f, OTTO JK 99, StGB 177/4.
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§66
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
12 b) Die Nötigung muss mit der sexuellen Handlung final verknüpft sein, d.h. der Täter muss die Nötigung einsetzen, um die Duldung oder Vornahme der sexuellen Handlung zu erzwingen. Dieser Zusammenhang liegt auch vor, wenn Gewalt gegen einen Dritten vom Opfer als motivierender Zwang empfunden wird, während Gewalt gegen (schutzwillige) Dritte als solche nicht genügt.51 - Bei der Verwirklichung der 3. Tatalternative des Abs. 1 hat das Erfordernis der Nötigung keinen eigenständigen Gehalt. Es genügt, dass der Täter sich die schutzlose Lage des Opfers bewusst zunutze macht.52 Bei Vorsatzwechsel nach zunächst aus anderem Grund erfolgter Nötigung genügt es, wenn der Täter bei Vorsatzwechsel das Nötigungsmittel weiter einsetzt oder die vorherige Gewaltanwendung fortwirkt, so dass sie als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung anzusehen ist, nicht hingegen wenn der Täter lediglich den zuvor aus anderem Grund geschaffenen Nötigungserfolg ausnutzt. Stellt die Gewaltanwendung selbst die sexuelle Handlung dar, z.B. beim Faustschlag auf die Brust einer Frau, so fehlt die finale Verknüpfung. 53
13 c) Der Vorsatz, bedingter genügt, muss die finale Verknüpfung von Nötigung und sexueller Handlung umfassen. 14 d) Das Einverständnis des Opfers in die Duldung oder Vornahme der sexuellen Handlung lässt die Nötigung entfallen. - In Betracht kommt u.U. ein Versuch. 15 e) Ändert der Täter im Versuchsstadium seinen Plan, eine bestimmte sexuelle Handlung vorzunehmen, indem er sich fur eine andere sexuelle Handlung entscheidet, so liegt kein strafbefreiender Rücktritt i.S.d. § 24 vor, da der Täter den Plan, das geschützte Rechtsgut in strafbarer Weise zu beeinträchtigen, nicht aufgegeben hat.54 16 f) Eine Strafschärfung in besonders schweren Fällen sieht Abs. 2 vor und nennt Regelbeispiele in Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und 2. 17 aa) Nr. 1 erfasst zunächst den erzwungenen Beischlaf, d.h. den bisherigen Tatbestand der Vergewaltigung, § 177 a.F., als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles. Erforderlich ist, dass der Täter (Mittäter) selbst den Beischlaf ausübt.55 Dem erzwungenen Beischlaf - zum Begriff vgl. § 65 Rdn. 15 - werden sodann ähnliche sexuelle Handlungen gleichgestellt, die das Opfer besonders erniedrigen. Damit ist vor allem das Eindringen des Geschlechtsteils in den Körper als orale oder anale Penetration erfasst, aber auch das Eindringen mit Gegenständen kann durchaus einen besonders schweren Fall darstellen. - Eindringen erfasst das Eindringen in den Körper des Opfers als auch in den des Täters. Gewaltanwendung ist kein Element des Eindringens, es ergibt sich bei § 177 aus dem Erfordernis der Nötigung.56 18 bb) Nr. 2 nennt die gemeinschaftlich begangene Tat als Regelbeispiel, weil nach Auffassung des Gesetzgebers die Mitwirkung mehrerer Personen die Abwehrchancen des Opfers vermindert und die Gefahr besonders massiver sexueller Handlungen besteht.
51
Vgl. auch LACKNER/KÜHL § 177 Rdn. 4. - A.A. BGHSt 42 S. 378 mit Anm. OTTO JK 97, StGB §
5 2
V g l . B V e r f G N J W 2 0 0 4 S. 3 7 6 8 m i t A n m . GÜNTGE S. 3 7 5 0 f f ; B G H S t 4 5 S. 2 5 3 , 2 5 7 f f m i t A n m . FISCHER N S t Z 2 0 0 0 S. 1 4 2 f, GRAUL J R 2 0 0 1 S. 1 1 7 f f ; B G H N S t Z 2 0 0 4 S. 4 4 0 ; LAUBENTHAL S e x u a l s t r a f t a t e n , R d n . 1 5 3 ; OBERLIES Z S t W 1 1 4 ( 2 0 0 2 ) S. 1 4 4 f f . - A . A . RENZIKOWSKI M K , § 1 7 7 R d n . 4 6 ; SCH/SCH/PERRON § 1 7 7 R d n . 11; TRÖNDLE/FLSCHER § 1 7 7 R d n . 16 ff.
178/1.
53
BGH JR 1983 S. 158 mit Anm. LENCKNER S. 159 ff.
54
BGHSt 33 S. 142 mit Anm. STRENG NStZ 1985 S. 359 f. - A.A. BGH NStZ 1997 S. 385.
5 5
V g l . B G H N J W 1 9 9 9 S. 2 9 0 9 ; B G H S t V 2 0 0 1 S. 4 5 0 .
56
Vgl. BGHSt 45 S. 131, 132 f mit. Anm. HÖRNLE NStZ 2000 S. 310 f.
372
Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
g) Als Qualifikation erfasst Abs. 3 zum einen tatqualifizierende Nötigungsmittel - Nr. 1: 19 Das Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefahrlichen Werkzeugs; dazu vgl. § 46 Rdn. 33; Nr. 2: Das Beisichführen eines sonstigen zur Verhinderung oder Überwindung eines Widerstandes bestimmten Werkzeugs oder Mittels; dazu vgl. § 46 Rdn. 33 - sowie das Verbringen des Opfers in die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung; dazu vgl. § 10 Rdn. 2. h) Als weiteren Qualifikationstatbestand erfasst Abs. 4 Nr. 1 die Verwendung einer Waffe 20 oder eines anderen gefahrlichen Werkzeugs bei der Tat. Da der Gesetzgeber einen Einsatz als Nötigungsmittel nicht ausdrücklich fordert, genügt dem auch der ausschließliche Einsatz zur Vornahme der sexuellen Handlung. 57 - Abs. 4 Nr. 2 erfasst die schwere Misshandlung des Opfers bei der Tat sowie den Fall, dass das Opfer durch die Tat in die Gefahr des Todes gebracht wird. - Im Einzelnen dazu vgl. § 41 Rdn. 50 ff; § 10 Rdn. 2. 2. Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge, § 178. Verursacht der Täter wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers durch die sexuelle Nöti- 21 gung oder Vergewaltigung so wird die Tat als erfolgsqualifiziertes Delikt erfasst; vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 46 Rdn. 40 ff. 3. Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger
Personen,
§179
§ 1 7 9 Abs. 1 Nr. 1 , 2 ist im Verhältnis zu § 177 Abs. 1 Nr. 3 ein Auffangtatbestand, der die Fälle erfasst, in denen eine Beugung eines der Tat entgegenstehenden Willens durch den Täter nicht vorliegt. 58 a) Abs. 1 Zum Widerstand unfähig ist, wer gegenüber dem sexuellen Ansinnen des Täters nicht im- 22 stände ist, den zur Abwehr nötigen Widerstandswillen zu bilden, zu äußern oder zu betätigen. Die hier gemeinte Unfähigkeit bezieht sich nicht auf den Widerstand gegen etwaige Gewaltakte, sondern schlechthin auf den Widerstand gegen das sexuelle Ansinnen. 59 Die psychische Widerstandsunfähigkeit, Abs. 1 Nr. 1, muss auf bestimmten Faktoren beruhen: Geistige Krankheiten sind exogene Psychosen, die nachweisbar auf himorganischen Ursachen oder auf anderen körperlichen Krankheitsvorgängen beruhen, die sich im Gehirn auswirken, seelische Krankheiten sind endogene Psychosen, deren somatische Ursachen noch nicht hinreichend geklärt sind, aber auf Grund des bisherigen Erkenntnisstandes vermutet werden. Geistige Behinderungen sind angeborene oder frühzeitig erworbene Intelligenzdefekte, seelische Behinderungen sind bleibende psychische Beeinträchtigungen, die Folge von psychischer Krankheit sind. - Bei den Suchtkrankheiten wird nicht unterschieden zwischen seelisch und geistig bedingten Suchtkrankheiten. - Tiefgreifende Bewusstseinsstörungen sind erhebliche, nicht krankhafte Trübungen und Einengungen des Bewusstseins, bei denen der Zusammenhang des Bewusstseins und die örtliche, zeitliche Wahrnehmung verloren gehen. Als tiefgreifende Bewusstseinsstörung kommt hier auch Schlaf in Betracht.^" - Die körperliche Widerstandsunfähigkeit, Abs. 1 Nr. 2, kann auf äußeren Einwirkungen - z.B. Fesselung - oder auf körperlichem Defekt - z.B. Lähmung - beruhen. 57
Vgl. BGHSt 46 S. 225 mit Anm. LAUBENTHAL NStZ 2001 S. 367 ff.
58
Vgl. BT-Drucks. 13/7663, S. 4,5; BGHSt 45 S. 253,260 f mit. Anm. FISCHER NStZ 2001 S. 142 f, GRAUL JR 2001 S. 117 ff; RENZIKOWSKI NStZ 1999 S. 380. - Krit. OBERLIES ZStW 114 (2002) S. 131 ff.
59
Dazu BGH NStZ 1981 S. 139; BGHSt 30 S. 144, 146; BGH JR 1983 S. 254 mit Anm. GEERDS S. 254 ff; BGH NStZ 2003 S. 602.
60
Vgl. BGHSt 38 S. 68.
373
23
§66
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
24 Der Täter nutzt den Zustand aus, wenn die Widerstandsunfahigkeit den sexuellen Zugriff ermöglicht oder erleichtert und der Täter sich dessen bewusst ist. 61 In der bewussten Ausnutzung der Widerstandsunfahigkeit liegt der vom Gesetz geforderte Missbrauch des anderen. - Tathandlungen sind die Vornahme sexueller Handlungen an der widerstandsunfähigen Person durch den Täter oder die Veranlassung derartiger Handlungen an dem Täter durch die widerstandsunfähige Person. b) Abs. 2 25 Abs. 2 stellt die Vornahme sexueller Handlungen an einem Dritten und die Veranlassung derartiger Handlungen von einem Dritten an der widerstandsunfähigen Person unter den Umständen des Abs. 1 den Tathandlungen des Abs. 1 gleich. c) Abs. 4 26 Der Versuch der Tat ist strafbar. d) Abs. 5 27 Abs. 5 enthält als Verbrechen eingestufte Qualifikationstatbestände, die § 176 a Abs. 1 Nr. 1 - 3 StGB in der Fassung des 6. StrRG nachgebildet und - ergänzt um die Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung - bereits in § 177 Abs. 1, 3 StGB enthalten sind; vgl. im Einzelnen dazu Rdn. 17 und Rdn. 19. e) Abs. 6 Abs. 6 gibt einen Strafrahmen fur minder schwere Fälle des Abs. 5. 28 f) Abs. 7 29 Abs. 7 erklärt § 177 Abs. 4 Nr. 2 und § 178 fur entsprechend anwendbar und ermöglicht damit erhebliche Strafschärfungen in schwersten Fällen sexueller Übergriffe gegen geistig oder körperlich beeinträchtigte Menschen; im einzelnen vgl. dazu Rdn. 53,21. 30 g) § 179 will den Schutz der sexuellen Freiheit (geschlechtliche Selbstbestimmung) des widerstandsunfähigen Opfers gewährleisten. Die Tat ist daher nicht eigenhändiges Delikt. Täterschafts- und Teilnahmeprobleme sind nach den allgemeinen Grundsätzen zu lösen. 62 4. Sexueller Missbrauch von Kranken und Hilfsbedürftigen, § 174 α Abs. 2 31 a) Tathandlungen sind die Vornahme sexueller Handlungen an der geschützten Person oder die Veranlassung derartiger Handlungen durch die geschützte Person an dem Täter. Geschützt sind die in den genannten Einrichtungen zur Behandlung und Pflege aufgenommenen Patienten. - Zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut sind die Patienten jenen Personen, denen ihnen gegenüber Betreuungsaufgaben übertragen sind, z.B. Ärzte, Pfleger, Wärter, u.U. aber auch Angehörige des Verwaltungsdienstes. - Der Missbrauch setzt zunächst objektiv voraus, dass das Opfer selbst krank oder hilfsbedürftig ist. Dieses nutzt der 61
So auch BGHSt 32 S. 186 mit Anm. GEERDS JR 1984 S. 430 ff, HERZBERG/SCHLEHOFER JZ 1984 S. 4 8 1 f; B G H J Z 1 9 8 5 S . 1 1 1 5 ; LACKNER/KÜHL § 1 7 9 R d n . 7 ; LAUBENTHAL S e x u a l s t r a f t a t e n , R d n .
240; SCHALL JUS 1979 S. 105; SCHROEDER Sexualstrafrecht, S. 32. - Enger: LG Mainz MDR 1984 S. 773; LAUFHÜTTE LK, § 179 Rdn. 13; TRÖNDLE/FISCHER § 179 Rdn. 17. - Ein Ausnutzen des Zustandes
wird z.T. angenommen, wenn der Täter eine medizinisch indizierte Maßnahme vorspiegelt; vgl. BGH N S t Z 2 0 0 4 S. 6 3 1 ; O L G H a m m N J W 1 9 7 7 S. 1 4 9 9 ; a . A . LACKNER/KÜHL, § 1 7 4 a R d n . 8; LAUFHÜTTE LK, § 1 7 4 a Rdn. 16. 6 2
374
W i e h i e r : HERZBERG JUS 1 9 7 5 S . 1 7 2 ; RENZIKOWSKI N S t Z 1 9 9 9 S. 3 8 5 ; SCHALL J u S 1 9 7 9 S. 1 0 9 ; SCH/SCH/PERRON § 1 7 9 R d n . 8; SCHROEDER S e x u a l s t r a f r e c h t , S. 3 3 . - A . A . K G N J W 1 9 7 7 S. 8 1 7 ; DREHER J R 1 9 7 4 S. 4 8 ; LACKNER/KÜHL § 1 7 9 R d n . 2 ; LAUBENTHAL S e x u a l s t r a f t a t e n , R d n . 2 3 1 ; TRÖNDLE/FISCHER § 1 7 9 R d n . 7.
Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
Täter aus, wenn der Zustand die Tathandlung ermöglicht oder erleichtert. - Subjektiv ist erforderlich, dass der Täter sich dieser Umstände bewusst ist. - Eine Motivation zur Tat durch die Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit ist hingegen nicht erforderlich; strittig, vgl. zur entsprechenden Auseinandersetzung Rdn. 24. b) Die Tat ist eigenhändiges Delikt. - Als Täter kommen nur die für die Beaufsichtigung 32 oder Betreuung verantwortlichen Personen in Betracht. Die Täterposition kennzeichnet eine besondere Pflichtenposition; beachte § 28 Abs. 1, 63 Der Schutzbefohlene bleibt auch als Teilnehmer straffrei, da die Vorschrift seinem Schutze dient und sein eigener Wille rechtlich nicht als voll wirksam angesehen wird. 64 5. Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174 c a) Zur Tathandlung gemäß Abs. 1 vgl. Rdn. 10 ff. - Zur Opfersituation vgl. Rdn. 23, 31. - 33 Zur Beratung, Behandlung oder Betreuung „anvertraut ist das Opfer dem Täter, wenn es ihm fremdbestimmt überantwortet wird (z.B. der oder die Jugendliche durch die Eltern), als auch dann, wenn es sich von sich aus in die Beratung, Behandlung oder Betreuung begeben hat." 65 Das Betreuungsverhältnis ist hier als tatsächliches Obhutsverhältnis zu verstehen. 66 - Unter Missbrauch seiner Stellung handelt der Täter, der die Gelegenheit, die seine durch das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis begründete Vertrauensstellung bietet, bewusst zu sexuellen Kontakten mit den ihm anvertrauten Personen ausnutzt. Abhängigkeit oder Hilflosigkeit des Opfers sind nicht erforderlich. 67 b) Abs. 2 stellt das psychiatrische Behandlungsverhältnis den in Abs. 1 genannten Vertrau- 34 ensverhältnissen gleich. c) Der Versuch ist strafbar, Abs. 3. 35
IV. Strafbarer Missbrauch institutioneller Abhängigkeit 1. Sexueller Missbrauch von gefangenen oder verwahrten Personen, § 174 α Abs. 1 a) Geschützt wird die geschlechtliche Selbstbestimmung gefangener und behördlich ver- 36 wahrter Personen, da deren Entscheidungsfreiheit einerseits in diesem Bereich wesentlich durch das Abhängigkeitsverhältnis eingeschränkt ist, andererseits die Versuchung erheblich ist, durch Duldung der Tathandlung die eigene Lage zu bessern. - Daneben kommt aber auch dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität der Behandlung der genannten Personen eine gewisse Bedeutung zu. 68 Das wird deutlich in der Ablehnung der Anwendung des Tatbestandes auf Fälle der Ausnutzung eines nur vorgespiegelten Abhängigkeitsverhältnisses. 6 3
W i e h i e r z . B . ARZT/WEBER B . T . , § 10 R d n . 19; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 3 9 . - A . A . LACKNER/KÜHL § 174 a R d n . 12; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 18 R d n . 4 5 ; SCH/SCH/PERRON § 174 a R d n . 13.
64
Dazu OTTO Lange-FS, S. 210 ff.
65
BT-Drucks. 13/8267, S. 6 f.
66
Vgl. LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 275.
67
Vgl. dazu BT-Drucks. 13/8267, S. 7; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 276.
68
Vgl. BT-Drucks. VI/3521, S. 25; LACKNER/KUHL § 174 a Rdn.l; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 2 8 3 . - A . A . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 19 R d n . 3 ; RENZIKOWSKI M K , § 174 a R d n . 2 .
375
§66
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
37 b) Gefangene Personen sind Personen, denen in Ausübung von Polizei- oder Staatsgewalt die Freiheit entzogen ist, so dass sie sich in der Gewalt einer zuständigen Behörde befinden.^ Beispiele: Strafgefangener, Untersuchungsgefangener; von einem Polizeibeamten nach § 127 StPO vorläufig Festgenommener.
38 Auf behördliche Anordnung verwahrte Personen sind Personen, die - außer den Gefangenen - aufgrund hoheitlicher Gewalt eingeschlossen sind. Beispiele: Personen, die nach §§61 ff in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt, einer sozialtherapeutischen Anstalt oder in der Sicherungsverwahrung untergebracht sind. - Personen in Auslieferungs- oder Abschiebehaft. - Personen in Fürsorgeerziehung.
39 c) Erziehung ist die Leitung und Überwachung der Lebensführung zur Förderung der körperlichen und seelischen Entwicklung. Ausbildung ist die Vermittlung größeren Wissens oder besseren Könnens zu einem bestimmten Ausbildungsziel, insbes. zum Erwerb von Berufserfahrung. - Beaufsichtigung üben Personen aus, die dem Schutzbefohlenen gegenüber die Funktion von Wachpersonal haben. - Ein Betreuungsverhältnis liegt vor, wenn zwischen Täter und gefangener oder verwahrter Person ein Verhältnis besteht, in dessen Rahmen der Täter wenigstens Mitverantwortung für das geistige und sittliche Wohl dieser Person trägt und eine entsprechende Einwirkungsmöglichkeit hat. Auf dieser Grundlage muss sich zwischen Täter und Opfer ein Verhältnis der Über- und Unterordnung herausgebildet haben. - Anvertraut ist das Opfer dem Täter, wenn zwischen beiden besonders enge Beziehungen bestehen, die zu einer gewissen Abhängigkeit der gefangenen oder verwahrten Personen führen. 70 Beispiele: Lehrer; Werkmeister; Geistlicher; Sporttrainer u.a.
40 Ein Missbrauch der Stellung des Täters liegt bereits vor, wenn der Täter eine durch die Stellung gebotene Gelegenheit zur Tathandlung wahrnimmt. Auf eine Ausnutzung der Abhängigkeit kommt es hier nicht an. 41 d) Zu Täterschaft und Teilnahme vgl. Rdn. 32. 2. Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung, § 174 b 42 a) Zum geschützten Rechtsgut vgl. Rdn. 36. - Zum Begriff des Amtsträgers vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2. - Das Strafverfahren beginnt, indem Ermittlungen gegen einen bestimmten Täter angestellt werden. 43 b) Der Missbrauch der Abhängigkeit liegt vor, wenn der Täter die auf seiner Macht gegenüber dem Schutzbefohlenen beruhende innere Abhängigkeit des Schutzbefohlenen für seine Zwecke ausnutzt, wobei beiden Teilen der Zusammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen bewusst sein muss. 71 44 c) Konkurrenzen: §§ 174 a und 174 b überschneiden sich z.B. beim Untersuchungsgefangenen, der dem Richter bei der Vernehmung im Gericht zur Beaufsichtigung anvertraut ist und der zugleich im Strafverfahren von ihm abhängig ist. Die h.M. nimmt in diesen Fällen Idealkonkurrenz zwischen den §§ 174 a, 174 b an.
69
Vgl. RGSt 73 S. 347.
70
Vgl. dazu BGHSt 33 S. 344 f. - Zum Obhutsverhältnis: LAUBENTHAL Gössel-FS, S. 362 ff.
71
BGHSt 28 S. 367; BGH NStZ 1982 S. 329; BGH NStZ 1991 S. 81 f; OLG Zweibrücken NJW 1996 S. 330.
376
Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
V. Delikte gegen die sexuelle Entwicklung der Person Geschützt wird die ungestörte sexuelle Entwicklung Jugendlicher.
45
Die Einwilligung des Jugendlichen in die Tathandlung ist in der Regel irrelevant, da der Gesetzgeber davon ausgeht, dass er die Reife noch nicht hat, die Tragweite derartiger Entscheidungen abzuschätzen. - Ausnahmsweise, z.B. in Fällen echter Liebesbeziehungen, kann die Einwilligung jedoch einen Missbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses o.Ä. ausschließen.
1. Sexueller Missbrauch von Kindern, §176 a) Tathandlung gemäß Abs. 1 ist die Vornahme sexueller Handlungen an einem Kind - 45 geschützt ist auch das schlafende Kind 72 - oder die Veranlassung derartiger Handlungen durch das Kind an dem Täter. Täter kann nur der Inhaber der Autoritätsstellung sein. Die Tat ist ein eigenhändiges Delikt. 73 Gemäß Abs. 2 ist dem gleichgestellt die Bestimmung des Kindes, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen. Zur sexuellen Handlung vgl. oben Rdn. 5 f. - Bestimmen ist eine beeinflussende Einwirkung auf den Willen des Kindes. 74 b) Gemäß Abs. 4 wird die - gemilderte - Strafandrohung auf sexuelle Handlungen ohne 47 unmittelbaren Körperkontakt (Nr. 1 und Nr. 2), auf Einwirkungen durch Schriften (Nr. 3) und auf pornographisches Verhalten (Nr. 4) erstreckt, das nicht in § 184 f erfasst ist. - In diesem Bereich der Nr. 4 kommt der Erheblichkeit des Verhaltens besondere Bedeutung zu. Unter Einwirkung im Sinne der Nr. 3 ist nach der Gesetzesbegründung auch ein Handeln ohne sexuelle Bedeutung zu verstehen. 7 ' - Eingewirkt werden i.S. der Nr. 3, 4 kann auch von einem Täter, der ortsabwesend ist, z.B. durch telefonische Reden. Nach Abs. 5 wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Abs. 1 -4 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet. - Nach den Gesetzesmaterialien sollen auch „Scheinerklärungen" erfasst sein, wenn der Täter es für möglich hält, dass das Angebot als ernsthaft angesehen wird. 7 ^
c) Der Versuch der Taten nach Abs. 1, 2, 4 Nr. 1,2 ist strafbar, Abs. 6.
48
2. Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, § 176 a § 176 a erfasst einen qualifizierten sexuellen Missbrauch von Kindern. 49 a) Abs. 1 und Abs. 2 Abs. 1 erfasst die wiederholte Tat als Qualifikationsmerkmal. - Die Qualifikationsmerk- 50 male des Abs. 2 Nr. 1, 2 (Beischlaf und ähnliche Handlungen, gemeinschaftliche Tatausfuhrung) sind den § 177 Abs. 2 Nr. 1, 2 nachgebildet; vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen unter Rdn. 17 f - Nr. 3 erfasst die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen und seelischen Entwicklung als Qualifikationsmerkmale. - Zur Fristberechnung der Tat nach Abs. 1 und zur ausländischen Verurteilung vgl. Abs. 6. 72
Vgl. BGHSt 38 S. 6.
7 3
V g l . B G H S t 4 1 S. 2 4 2 mit A n m . SCHROEDER J R 1996 S. 2 1 1 .
7 4
V g l . z u r entspr. P r o b l e m a t i k bei d e r A n s t i f t u n g GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 2 2 R d n . 3 2 ff. - D i e
Rechtsprechung begnügt sich auch hier mit einem bloßen Verursachen des vom Gesetz umschriebenen Verhaltens; vgl. BGHSt 41 S. 245 f; BGH NJW 1985 S. 924. 7 5
V g l . B T - D r u c k s . 1 5 / 3 5 0 , S. 17 f; krit. d a z u DUTTGE/HORNLE/RENZIKOWSKI N J W 2 0 0 4 S. 1 0 6 7 f.
7 6
B T - D r u c k s . 15/350, S. 18; krit. d a z u DUTTGE/HORNLE/RENZIKOWSKI N J W 2 0 0 4 S. 1068.
377
§66
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
b) Abs. 3 51 Abs. 3 enthält als weiteren Qualifikationstatbestand den Fall, dass der Täter oder ein anderer Tatbeteiligter an dem sexuellen Missbrauch gemäß § 176 Abs. 1-3, 4 Nr. 1 oder Nr. 2 oder Abs. 6 von vornherein in der Absicht handelt, eine kinderpornographische Schrift herzustellen, die nach § 184 b Abs. 1-3 verbreitet werden soll. - Beteiligte sind Mittäter und Teilnehmer. c) Abs. 4 52 Abs. 4 sieht eine Strafmilderung in minder schweren Fällen der Abs. 1, 2 vor. d) Abs. 5 53 Zusätzlich qualifiziert ist die Tat, wenn das Kind in den Fällen des Abs. 1-3 bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat in die Gefahr des Todes gebracht wird; dazu vgl. § 10 Rdn. 2. 3. Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge, § 176 b 54 Verursacht der Täter wenigstens leichtfertig den Tod des Kindes durch den sexuellen Missbrauch, so wird die Tat als erfolgsqualifiziertes Delikt erfasst; vgl. dazu die entsprechenden Ausfuhrungen unter § 46 Rdn. 40. 4. Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen,
§174
55 a) Der Tatbestand unterscheidet drei Gruppen von Schutzbefohlenen: aa) Abs. 1 Nr. 1: Personen unter 16 Jahren, die dem Täter zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind. 77 bb) Abs. 1 Nr. 2: Personen unter 18 Jahren, die dem Täter entweder i.S. der Nr. 1 anvertraut oder ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet sind, soweit der Täter das Abhängigkeitsverhältnis missbraucht·78 cc) Abs. 1 Nr. 3: Das noch nicht 18 Jahre alte leibliche, d.h. blutmäßig vom Täter abstammende Kind19, oder Adoptivkind des Täters. 56 b) Tathandlungen sind: aa) Nach Abs. 1: Sexuelle Handlungen des Täters an dem Schutzbefohlenen oder von diesem am Täter vorgenommene sexuelle Handlungen; vgl. dazu Rdn. 5 ff. - Subjektiv ist Vorsatz, bedingter genügt, erforderlich, der sich auf die Tatumstände und auf das Alter erstrecken muss. bb) Nach Abs. 2: Vornahme sexueller Handlungen vor dem Schutzbefohlenen (Abs. 2 Nr. 1) oder Bestimmen des Schutzbefohlenen dazu, sexuelle Handlungen vor dem Täter vorzunehmen (Abs. 2 Nr. 2). Zur sexuellen Handlung vgl. oben Rdn. 5 ff; zum Bestimmen vgl. oben 46.
In dieser Tatalternative erfordert der Tatbestand neben dem Vorsatz die Absicht des Täter (dolus directus 1. Grades), sich oder den Schutzbefohlenen durch die Tathandlung sexuell zu erregen. 77
Zum Inhalt der Begriffe Erziehung, Ausbildung, Betreuung in der Lebensführung vgl. oben Rdn. 39 s o w i e B G H S t 4 1 S. 139; 3 3 S. 3 4 0 , 3 4 4 m i t A n m . J A K O B S N S t Z 1 9 8 6 S . 2 1 6 f, GÖSSEL J R 1 9 8 6 S. 5 1 6
f; BGH NStZ 1989 S. 21; BGH NStZ 2003 S. 661; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 408 ff. - Nach Ende des Obhutsverhältnisses ist die Tat nicht mehr tatbestandsmäßig; vgl. BGH NStZ 1999 S. 360. 78
Dazu vgl. Rdn. 31.
79
Dazu BGHSt 29 S. 38; BGH bei Miebach, NStZ 1995 S. 222.
378
Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
c) Absehen von Strafe, Abs. 4 Gemäß Abs. 4 kann bei Taten gegen die in Abs. 1 Nr. 1 genannten Schutzbefohlenen in 57 besonderen Konfliktsfällen - echte Liebesbeziehung, Verfuhrung durch sexuell erfahrenen Schutzbefohlenen - von Strafe abgesehen werden. d) Die Tat ist ein eigenhändiges Delikt. 80 Zur Täterschaft und Teilnahme vgl. Rdn. 32. 58 e) Konkurrenzen Die Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 1 wird von Nr. 3 und die nach Abs. 1 Nr. 2 von Nr. 1 und 59 Nr. 3 konsumiert (gestufte Verschärfung der Voraussetzungen für den Schutz desselben Rechtsguts). 81 Idealkonkurrenz ist möglich mit §§ 173, 174 a, 174 b, 176, 177 und 240. 5. Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, §180 a) Die verpönten Handlungen nach Abs. 1 - 3 beziehen sich auf sexuelle Handlungen der go geschützten Personen an oder vor einem Dritten oder eines Dritten an der geschützten Person; dazu Rdn. 8. b) Drei verschiedene Förderungshandlungen unterscheidet das Gesetz, je nach der ver- 61 schiedenen Schutzaltersgrenze des Opfers. aa) Abs. 1: Schutzaltersgrenze 16 Jahre; Vorschubleisten, das ist die Förderung der sexu- 62 eilen Handlung, ohne dass es zu dieser kommen muss; d.h. erfolgreiche oder erfolglose Beihilfe zu der sexuellen Handlung. - Das Vorschubleisten muss entweder durch Vermittlungen (Nr. 1) oder Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit geschehen (Nr. 2). Vermittlung ist die Herstellung einer persönlichen Beziehung zwischen dem Dritten und der geschützten Person, welche die sexuellen Handlungen zum Inhalt hat. - Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit liegt z.B. im Bereitstellen von Räumlichkeiten, in der Organisation von Zusammenkünften und sexuellen Kontakten. Nach Abs. 1 S. 2 schließt das Erzieherprivileg die Anwendung des Abs. 1 Nr. 2 aus, wenn der Personensorgeberechtigte die Tat begeht und dadurch nicht seine Erziehungspflicht gröblich vernachlässigt. - Das Erzieherprivileg begründet für den Personensorgeberechtigten einen Tatbestandsausschluss, und zwar auch dann, wenn er lediglich als Teilnehmer tätig wird („handelt")· Dritten kommt das Privileg auch dann nicht zugute, wenn sie mit Einwilligung des Sorgeberechtieten tätig werden. - Teilnahme an der Tat des Sorgeberechtigten ist mangels einer Haupttat nicht möglich. 8 ^
bb) Abs. 2: Schutzaltersgrenze 18 Jahre; Bestimmen ist hier im Sinne von Anstiftung zu 63 verstehen; vgl. Rdn. 46. Das Entgelt braucht nicht in Geld zu bestehen, es genügen auch Sachwerte. 83 Unerheblich ist, ob das Entgelt dem Opfer oder Dritten zufließen soll. 84 Vorschubleisten genügt hier nur in der Form der Vermittlung, doch muss es zu den sexuellen Handlungen auch gekommen sein. 85
80
Vgl. BGHSt 41 S. 242 mit abl. Anm. SCHROEDER JR 1996 S. 211.
81
Dazu eingehend: LACKNER/KÜHL § 174 Rdn. 18. - A.A. BGHSt 30 S. 358 f; TRÖNDLE/FISCHER § 174 Rdn. 21: Abs. 1 Nr. 2 lex specialis gegenüber Abs. 1 Nr. 1. Näher zu dem auch vom Bestimmtheitsgrundsatz her umstrittenen Erzieherprivileg: BECKER/RUTHE FamRZ 1974 S. 508 ff; LACKNER/KÜHL § 180 Rdn. 9; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 465 ff;
8
2
SCHROEDER Lange-FS, S. 391 ff. 83
BGH NJW 1997 S. 335.
84
BGH NStZ 1995 S. 540.
85
BGH NJW 1997 S. 335.
379
§66
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
64 cc) Abs. 3: Schutzaltersgrenze 18 Jahre; Missbrauch bestimmter Abhängigkeitsverhältnisse; dazu im einzelnen Rdn. 31. 65 c) Eine Teilnahme der geschützten Person bleibt als notwendige Teilnahme straflos. Aber auch der an der Tat beteiligte Dritte bleibt nach § 180 straflos, denn die Tat ist als tatbestandlich verselbständigte Teilnahme an den nicht oder nur nach anderen Tatbeständen strafbaren sexuellen Handlungen des Schutzbefohlenen und des Dritten anzusehen. 86 6. Sexueller Missbrauch Jugendlicher,
§182
66 a) Abs. 1 schützt Personen unter sechzehn Jahren vor sexuellem Missbrauch durch Personen über achtzehn Jahre. 67 Das verpönte Verhalten bezieht sich auf sexuelle Handlungen, die Nr. 1: an der geschützten Person vorgenommen werden oder die diese an sich vornehmen lässt oder Nr. 2: von der geschützten Person an Dritten oder von einem Dritten an ihr vorgenommen werden sollen. 68 Problematisch ist, ob dieser Schutz gegen sexuelle Handlungen schlechthin angemessen ist und ob das Merkmal der Erheblichkeit - dazu oben Rdn. 7 - hinreicht, nicht strafwürdige Verhaltensweisen hier auszuschließen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist es jedoch nicht möglich, sexuelle Handlungen im Sinne des § 182 auf den Vaginal-, Oral- oder Analverkehr zu beschränken. 87 69 Zwei Missbrauchshandlungen nennt das Gesetz: die Ausnutzung einer Zwangslage, d.h. die Ausnutzung einer ernsten wirtschaftlichen oder persönlichen Bedrängnis des Opfers, 88 und das Handeln gegen Entgelt, dazu § 11 Abs. 1 Nr. 9. Während es im Falle der Nr. 1 zu den dort genannten sexuellen Handlungen gekommen sein muss, genügt es im Falle der Nr. 2, dass der Täter die geschützte Person bestimmt hat, die Handlungen vorzunehmen oder an sich vornehmen zu lassen, d.h. dass der Entschluss, die Handlungen vorzunehmen oder vornehmen zu lassen auf die Einflussnahme des Täters zurückzuführen ist. 89 70 Die Ausnutzung der Zwangslage ist missbräuchlich, wenn der Täter die Zwangssituation der geschützten Person erkannt hat und sich der Tatsache bewusst ist, dass die Bereitschaft zu den sexuellen Handlungen auf der Zwangssituation beruht. - Beim Handeln gegen Entgelt liegt der Missbrauch in der Kommerzialisierung der sexuellen Handlungen. Insoweit kommt dem Missbrauchsmerkmal daher keine eigenständige Bedeutung zu. 90 71 b) Abs. 2 schützt Personen unter 16 Jahren vor sexuellem Missbrauch durch Personen über einundzwanzig Jahre.
8 6
87
S o a u c h BINDOKAT N J W 1961 S. 1731; HERZBERG G A 1971 S. 10; ARMIN KAUFMANN M D R 1 9 5 8 S. 177; LACKNER/KÜHL § 1 8 0 R d n . 14; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 0 R d n . 3 6 ; RENZIKOWSKI M K , § 180 R d n . 7 0 ; WOLTERS S K II, § 180 R d n . 2 4 . - A . A . B G H S t 15 S. 3 7 7 , 3 8 2 ; LAUFHOTTE L K , § 180 R d n . 19 f.
Vgl. auch LACKNER/KÜHL § 182 Rdn. 3; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 501. - A.A. K U S C H / M Ö S S L E N J W 1 9 9 4 S. 1506.
88
Dazu BGHSt 42 S. 399.
8 9
A . A . RENZIKOWSKI M K , § 182 R d n . 6 4 .
90
Vgl. auch KUSCH/MÖSSLE NJW 1994 S. 1507; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 511. - Enger: SCHROEDER N J W 1 9 9 4 S. 1504.
380
Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
Die relevanten sexuellen Handlungen entsprechen denen des Abs. 1. Tatbestandsmäßig gemäß Abs. 2 ist jedoch die Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung. Das Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit ist missbräuchlich, wenn der Täter die psychische Situation des Opfers kennt und sich der Tatsache bewusst ist, dass die Bereitschaft zu den sexuellen Handlungen auf dem Fehlen der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung beruht. c) Die geschützte Person bleibt auch als Teilnehmer straffrei, da die Vorschrift ihrem 72 Schutze dient und ihr eigener Wille rechtlich nicht als voll wirksam angesehen wird, vgl. Rdn. 32. d) Abs. 3 enthält in Bezug auf den Strafantrag eine dem § 230 Abs. 1 S. 1 entsprechende 73 Regelung; dazu oben § 15 Rdn. 26 ff. e) Abs. 4 eröffnet die Möglichkeit, von Strafe abzusehen, wenn bei Berücksichtigung des 74 Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist. 91 7. Jugendgefährdende Prostitution, § 184 e § 184 e stellt die Prostitution unter Strafe, wenn diese in der Nähe einer Schule oder an- 75 deren Örtlichkeit, die zum Besuch von Personen unter 18 Jahren bestimmt ist (Nr. 1) oder in einem Haus, in dem Personen unter 18 Jahren wohnen, ausgeübt wird (Nr. 2). - Dem Merkmal der sittlichen Gefährdung kommt nur insoweit Bedeutung zu, als es klarstellt, dass die geschützten Personen die Ausübung der Prostitution konkret wahrgenommen haben müssen. Prostitution ist die auf gewisse Dauer angelegte Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt an oder vor wechselnden Partnern oder Zuschauem oder die Duldung derartiger Handlungen an sich durch Dritte. 9 2
VI. Sexuelle Belästigung Unbeteiligter Geschützt wird die Person vor Konfrontationen mit sexuellen Handlungen gegen ihren 76 Willen. Damit wird hier der Schutz bestimmter sozialethischer Grundordnungen besonders deutlich. 93 1. Exhibitionistische Handlungen, § 183 a) Eine exhibitionistische Handlung ist das Entblößen des Geschlechtsteils vor einem an- 77 deren ohne dessen Einverständnis, um sich durch die Wahrnehmung durch den anderen oder durch dessen Reaktion geschlechtlich zu befriedigen, zu erregen oder eine geschlechtliche Erregung zu steigern 9 4 Täter kann nur ein Mann sein. - Durch die exhibitionistische Handlung muss der andere 78 belästigt werden, d.h. er muss schockiert, erschreckt oder mit Abscheu erfüllt werden. Der Eintritt des Deliktserfolgs ist Tatbestandsvoraussetzung. Bloßer Unmut genügt nicht.
91
Vgl. auch KUSCH/MÖSSLE NJW 1994 S. 1507.
92
So auch LACKNER/KÜHL § 180 a Rdn. 1 a; TRÖNDLE/FISCHER § 180 a Rdn. 3. - Enger: Auf partnerschaftliche Sexualhandlungen beschränkt: SCH/SCH/PERRON § 180 a Rdn. 5; WOLTERS SK II, § 180 a Rdn. 4.
93
Krit. dazu SANDER Zur Beurteilung exhibitionistischer Handlungen, 1995; DERS. ZRP 1997 S. 447 ff.
94
Dazu LG Koblenz NStZ-RR 1997 S. 104; Bay ObLG NJW 1999 S. 72; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 529; SCHROEDER Sexualstrafrecht, S. 61.
381
§66
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Die exhibitionistische Handlung muss wegen ihrer sexuellen Tendenz absichtlich begangen werden. Bezüglich des Belästigungserfolges genügt hingegen bedingter Vorsatz. 95 79 b) § 183 Abs. 2 enthält in bezug auf den Strafantrag eine dem § 230 Abs. 1 S. 1 entsprechende Regelung; dazu oben § 15 Rdn. 26 ff. 80 c) § 183 Abs. 3 bietet die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung, auch wenn erst durch eine längere Heilbehandlung eine günstige Prognose ermöglicht wird. 96 Gemäß Abs. 4 ist Abs. 3 anwendbar, wenn ein Mann oder eine Frau wegen einer exhibitionistischen Handlung nach einer anderen Vorschrift, die im Höchstmaß Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht, oder nach § 174 Abs. 2 Nr. 1 oder § 176 Abs. 4 Nr. 1 bestraft wird. - In diesem Rahmen werden auch exhibitionistische Handlungen von Frauen relevant. 81 d) Konkurrenzen: Tateinheit ist möglich mit §§ 174 Abs. 2 Nr. 1, 176 Abs. 4 Nr. 1, da das jeweils geschützte Rechtsgut verschieden akzentuiert ist. 97 2. Erregung öffentlichen Ärgernisses, § 183 a 82 Öffentlich vorgenommen ist eine sexuelle Handlung, wenn eine unbestimmte Vielzahl oder eine bestimmte, nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbundene Mehrzahl von Personen sie wahrgenommen hat oder hätte wahrnehmen können. 98 Im Falle einer durch persönliche Beziehungen verbundenen Gruppe muss auch der Täter in die persönlichen Beziehungen eingeschlossen sein. 9 9
83 Ein Ärgernis ist erregt, wenn eine Person erheblich in ihrem Empfinden, nicht mit sexuellen Handlungen gegen ihren Willen konfrontiert zu werden, verletzt ist (Erfolgsdelikt). Zum subjektiven Tatbestand vgl. Rdn. 78. 3. Ausübung der verbotenen Prostitution, § 184 d 84 a) § 184 d enthält einen gegenüber § 120 Abs. 1 Nr. 1 OWiG qualifizierten Tatbestand. Zur Ausfüllung des Blanketts bedarf es einer Rechtsverordnung, zu deren Erlass Art. 297 EGStGB ermächtigt. - Ein beharrliches Zuwiderhandeln setzt eine wiederholte Tatbegehung voraus, mit der der Täter erkennen lässt, dass er nicht bereit ist, sich an das Verbot zu halten, und das deshalb eine weitere Wiederholung indiziert. 100 - Der Prostitution Nachgehen ist bereits das Aufsuchen von Gelegenheiten zur Ausübung der Prostitution, nicht erst die Vornahme oder das Geschehenlassen der sexuellen Handlungen. 101 - Zum Begriff der Prostitution vgl. Rdn. 75.
95
Dazu OLG Düsseldorf NJW 1977 S. 262.
96
Dazu BGHSt 34 S. 150 mit Anm. SCHALL JR 1987 S. 397 ff.
9 7
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 183 R d n . 11; SCH/SCH/PERRON § 183 R d n . 15; TRÖNDLE/FISCHER § 183 R d n . 16. - A . A . LAUFHÜTTE L K , § 183 R d n . 14; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 2 2 R d n . 7:
Spezialität. 98
BGHSt 11 S. 282.
99
So auch LACKNER/KÜHL § 183 a Rdn. 2; SCHRÖDER JR 1970 S. 429 f. - A.A. OLG Köln NJW 1970 S. 6 7 0 ; LAUFHÜTTE L K , § 183 a R d n . 4 .
100
Dazu OLG Köln GA 1984 S. 333.
101
Dazu BayObLG JZ 1989 S. 52 mit Anm. BEHM S. 301 f.
382
Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
b) Die Tat ist ein eigenhändiges Delikt. - Teilnahme ist nach allgemeinen Regeln möglich. 85 Die Beharrlichkeit ist kein Sonderpflichtmerkmal und damit nicht besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28. 1 0 2 Der Partner des oder der Prostituierten, dessen Rolle sich auf die des zahlenden Freiers 86 beschränkt, ist als notwendiger Teilnehmer straflos. 103 Die Überlassung von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt zur Förderung der Prostitution ist in § 180 a abschließend geregelt, so dass sie nicht auf dem Umweg über die Teilnahme an Taten nach § 184 d kriminalisiert werden darf. 104
VII. Förderung und Ausnutzung der Prostitution Geschützt wird die Unabhängigkeit von Menschen im Prostitutionsmilieu.
87
1. Förderung der Prostitution, § 180 a Geschützt wird die Person davor, zur Prostitution gebracht, darin festgehalten und aus- 88 gebeutet zu werden. - Zum Begriff der Prostitution vgl. Rdn. 75; zur Gewerbsmäßigkeit vgl. oben § 41 Rdn. 21. Zum Begriff Prostitution Nachgehen vgl. Rdn. 84. a) Abs. 1 enthält das Verbot von Bordellen oder bordellartigen Betrieben, d.h. Ein- 89 richtungen, die durch organisatorische und räumliche Einbindung von mindestens 2 Prostituierten dem Zwecke dienen, aus den entgeltlichen Sexualkontakten Gewinne zu erzielen. 105 Erforderlich ist, dass zumindest eine Prostituierte 106 in dem Betrieb in persönlicher oder 90 wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten wird.107 Persönliche Abhängigkeit liegt vor, wenn der Betroffene in seiner Lebensführung, einschließlich der AusÜbung seines Gewerbes, weitgehend der Disposition durch andere unterworfen ist, d.h. wenn das Ob, Wo und Wie der Prostitution durch andere bestimmt wird. Wirtschaftlich abhängig ist, wer hinsichtlich seiner Einkünfte und der Sicherung seines Lebensunterhalts im wesentlichen einer Fremdbestimmung unterliegt. - Halten setzt eine gezielte Einwirkung auf die persönliche oder wirtschaftliche Unabhängigkeit voraus. - Es ist nicht erforderlich, dass der Täter die Abhängigkeit selbst begründet hat.
91
b) Abs. 2 erfasst die Wohnungs- und gewerbsmäßige Unterkunfits- und Aufenthaltsgewäh- 92 rung an noch nicht 18jährige zur Prostitution, Nr. 1, und das Gewähren von Wohnung zur Prostitution, wenn damit, Nr. 2, ein Ausbeuten, d.h. ein planmäßiges und eigensüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle verbunden ist, durch das die Prostituierte in eine schlechtere wirtschaftliche Lage gebracht wird. 108 c) Konkurrenzen: § 180 a Abs. 1 Nr. 2 wird von Nr. 1 konsumiert. 109 93 102
A.A. BayObLG NJW 1985 S. 1566; LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 569; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 1, § 2 0 R d n . 6 1 .
1 0 3
S o LACKNER/KÜHL § 1 8 4 d R d n . 7 ; LAUFHÜTTE L K , § 184 a R d n . 6 ; TRÖNDLE/FISCHER § 184 d R d n .
7. - A.A. GRAALMANN-SCHEERER GA 1995 S. 352 f.- Krit. LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 570. 104
So auch LACKNER/KÜHL § 184 d Rdn. 7; WOLTERS SK II § 184 d Rdn. 5. - A.A. BayObLG NJW 1981 S . 2 7 6 6 ; GEERDS J R 1 9 8 5 S. 4 7 3 f; SCH/SCH/PERRON § 184 a R d n . 7.
105
Vgl. BayObLG NStZ 1994 S. 396. - Dazu auch RENZIKOWSKI MK, § 180 a Rdn. 23. 106 vgl d a z u B G H N J W 1 9 9 5 s 1 6 8 6 107
Dazu BGH StV 2003 S. 617; BayObLG StV 2004 S. 210.
108
BGH GA 1987 S. 261; BGH NStZ 1998 S. 349.
109
BGH NStZ 1990S. 80. 383
§66
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
2. Zuhälterei, § 181 a 94 Alle Formen der Zuhälterei setzen voraus, dass der Täter zu der oder dem Prostituierten im Hinblick auf die Tathandlung Beziehungen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. 95 a) Abs. 1 Nr. 1 erfasst das Ausbeuten einer der Prostitution nachgehenden Person. Ausbeuten erfordert, dass der Täter auf der Grundlage eines Abhängigkeitsverhältnisses durch planmäßiges und eigennütziges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle eine spürbare Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Prostituierten herbeifuhrt. Eine zwangsweise Unterwerfung der Prostituierten ist nicht erforderlich. Es genügt aber die Ausnutzung nach gefühlsmäßiger Bindung durch Täuschung. - Das bloße Ausgehaltenwerden reicht selbst bei erheblichen Leistungen dazu nicht aus. 96 b) Abs. 1 Nr. 2 beschreibt die sog. „dirigierende Zuhälterei". Der Täter muss den Einsatz der Prostituierten durch besondere Organisationsmaßnahmen regeln und durchsetzen und damit Herrschaft ausüben, d.h. bestimmend auf den Willen der Prostituierten einwirken. 110 Bloßes Beschützen der Dirne, Vertreiben der Konkurrenten, Vermittlung von Partnern u.ä. genügt nicht. - Maßnahmen gegen das Aufgeben der Prostitution sind Vorkehrungen, die das Lösen aus dem Prostitutionsmilieu erschweren oder unmöglich machen, z.B. Entzug von Geldmitteln, Drohungen, Täuschungen u.ä. - Der Täter muss seines Vermögensvorteils wegen handeln, d.h. dieser Vorteil muss sein Motiv sein. 97 c) § 181 a Abs. 2 stellt die gewerbsmäßige Förderung der Prostitution durch Vermittlung sexuellen Verkehrs - Unterhalt eines Call-Girl-Ringes, Schleppertätigkeit - unter Strafe. Der Tatbestand setzt voraus, dass es zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs gekommen ist.'Ι 98 d) Abs. 3 bedroht zuhälterische Handlungen in bezug auf den Ehegatten ohne Rücksicht darauf mit Strafe, ob hier Beziehungen im Hinblick gerade auf die zuhälterische Handlung unterhalten werden.
VIII. Verbreitung pornographischer Schriften, §§ 184, 184 a-c. 99
Der Schutzzweck der Norm ist uneinheitlich; vgl. dazu unter Rdn. 111.
1. Pornographische Schriften 100 Pornographisch sind Schriften (auch Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen, § 11 Abs. 3), wenn sie nach ihrem objektiven Gehalt zum Ausdruck bringen, dass sie ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes bei den Betrachtern abzielen und eindeutig die Grenzen allgemein anerkannten sexuellen Anstandes überschreiten." 2
110
Dazu BGHSt48S. 317 fr.
n l
BGH StV 2000 S. 309.
112
Vgl. dazu BT-Drucks. VI/3521, S. 60; BVerwG JZ 2002 S. 1057 mit Anm. HÖRNLE S. 1062 ff; LACKNER/KÜHL § 184 Rdn. 2; LAUFHOTTE JZ 1974 S. 47. - Zu abweichenden Konzeptionen vgl.
LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 721 ff; SCHROEDER Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit, 1992, S. 28 f, 54.
384
Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
§66
Nach dem wesentlich durch formale Kriterien bestimmten Kunstbegriff des BVerfG schließen Kunst und Pornographie einander nicht begrifflich aus. Im Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz ist der jeweilige Vorrang durch eine einzelfallbezogene Abwägung zu finden. 11 3
2. Die einzelnen Tathandlungen gemäß § 184 Abs. 1 a) Die Tatbestände des Abs. 1 Nr. 1-5, 7, 8 dienen vorwiegend dem Jugendschutz, doch ist 101 in ihnen auch das Interesse, nicht gegen den eigenen Willen mit Pornographie konfrontiert zu werden, geschützt. Anbieten ist die Erklärung der Bereitschaft zur Überlassung von Pornographie. Das Angebot muss nach seinem Aussagegehalt für den durchschnittlich interessierten und informierten Betrachter den pornographischen Bezug deutlich machen; BGHSt 34 S. 94. - Überlassen ist die Übertragung des Gewahrsams. - Zugänglichmachen heißt Eröffnung von Wahrnehmungsmöglichkeiten. Ausstellen, Anschlagen und Vorführen sind Beispiele dafür. - Der Versandhandel braucht nicht auf Verkauf angelegt zu sein, es genUgt Vermietung; BVerfG NJW 1982 S. 1512. - Ein gewerblicher Filmverleih ist nach der Intention des Gesetzes, das gemäß § 11 Abs. 3 Schriften und Filme gleichstellt, als Leihbücherei i.S. des § 184 Abs. 1 Nr. 3 anzusehen; a.A. BGHSt 29 S. 69. - Ankündigen und Anpreisen müssen den pornographischen Charakter der Objekte erkennen lassen; BGH NJW 1977 S. 1695; OLG Stuttgart MDR 1977 S. 246. - Das Entgelt wird Uberwiegend für die Vorführung verlangt, wenn deren wirtschaftlicher Wert den der anderen Leistungen, z.B. Getränke, Rauchwaren u.ä., übersteigt. 114
b) Abs. 1 Nr. 6 schützt ausschließlich das Interesse, nicht gegen den eigenen Willen mit Pornographie konfrontiert zu werden. c) Abs. 1 Nr. 9 gehört überhaupt nicht in den in § 184 geregelten Zusammenhang, denn hier wird die sexuelle Selbstbestimmung in keiner Weise tangiert, vielmehr geht es um staatliche Interessen, die bei einer Ausfuhr von Pornographie verletzt werden können. d) Das Erzieherprivileg gemäß Abs. 2 S. 1 schließt die Anwendung des Abs. 1 Nr. 1 aus, soweit die Erziehungspflicht nicht gröblich durch die Tathandlung verletzt wurde. e) Nach Abs. 2 S. 2 gilt Abs. 1 Nr. 3 a nicht, wenn die Handlung im Geschäftsverkehr mit gewerblichen Entleihern erfolgte.
102 103
104 105
3. Verbreitung gewalt- oder tierpornographischer Schriften, § 184 a § 184 a richtet sich gegen die sog. harte Pornographie. Er soll der kriminogenen und sozi- 106 al desintegrierenden Wirkung sadistischer und sodomistischer Pornographie durch ein Herstellungs- und Verbreitungsverbot begegnen. Zum Begriff der Gewalttätigkeiten vgl. oben § 63 Rdn. 54 f. - Sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren erfordern körperlichen Kontakt.
4. Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften, § 184 b § 184 b stellt in Abs. 1 die Verbreitung usw. von pornographischen Schriften unter Strafe, 107 die den sexuellen Missbrauch von Kindern (§§ 176-176 b) zum Gegenstand haben (kinderpornographische Schriften). - Abs. 2 erfasst das Unternehmen der Besitzverschaffung derartiger Schriften, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben, an andere und Abs. 4 das eigene Besitzverschaffen. - Das gewerbsmäßige Handeln oder 113
Dazu BVerfG NStZ 1991 S. 188; BGHSt 37 S. 55 mit Anm. MAIWALD JZ 1990 S. 1141 ff; vgl. auch LAUBENTHAL Sexualstraftaten, Rdn. 727 ff; SCHROEDER Pornographie, S. 4 7 ff.
114
Dazu BVerfGE 47 S. 109; BGHSt 29 S. 68; KG JR 1978 S. 167; OLG Stuttgart NStZ 1981 S. 262; R O G A L L J Z 1 9 7 9 S. 7 1 5 f f .
385
§67
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
das Handeln als Mitglied einer Bande ist als Qualifikation in Abs. 3 erfasst. - Gemäß Abs. 5 gelten Abs. 2 und 4 nicht für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen. 5. Verbreitung pornografischer Darbietungen durch Rundfunk, Medien oder Teledienste, § 184 c 108 § 184 c stellt die Verbreitung pornographischer Darbietungen durch Rundfunk, Medien oder Teledienste der Verbreitung durch Schriften gleich. - Ausgenommen ist der Fall des § 184 Abs. 1 S. 1, wenn sichergestellt ist, dass die pornographische Darbietung Personen unter achtzehn Jahren nicht zugänglich ist.
§ 67 Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität 1
Eine allgemeine Pflicht, anderen zu helfen, kann wegen ihrer Weite nicht Gegenstand einer Rechtsordnung sein. Wohl aber kann eine Rechtsordnung eine Pflicht zur Hilfeleistung in Situationen, in denen die Allgemeinheit oder der Einzelne besonderen, existenzbedrohenden Gefahren ausgesetzt ist, statuieren. Sie greift damit auf jene Grundlagen der Gesellschaft zurück, die ein soziales Miteinander erst ermöglichen, nämlich auf das Minimum der Solidarität zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft. Geschütztes Rechtsgut ist in diesem Bereich daher die mitmenschliche Solidarität, auf die der Einzelne oder die Allgemeinheit in bestimmten Situationen vertraut.115
I. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c 1. Die Tatsituation 2 Voraussetzung der Hilfspflicht i.S. des § 323 c ist ein Unglücksfall, gemeine Gefahr oder gemeine Not. 3 a) Ursprünglich ging die Rechtsprechung davon aus, dass Unglücksfall ein plötzliches äußeres Ereignis sei, das erhebliche Schäden an Personen oder Sachen verursacht und weiteren Schaden zu verursachen droht. - Der BGH hat diese Definition dahin konkretisiert, dass eine Situation, in der Schaden erst drohe, genüge und dass es gleichgültig sei, ob die Gefahrdung dem Betroffenen von außen zustößt oder von ihm selbst herbeigeführt ist. 4 aa) Mit der Anerkennung der bloßen Sachgefahr gerät die Definition jedoch zu weit. Das Vorliegen einer bloßen Sachgefahr begründet selbst dann keinen Unglücksfall, wenn bedeutende Sachwerte gefährdet sind. Dies folgt aus der Gleichstellung des Unglücksfalles
115
Vgl. auch KÜPPER B.T.l, II § 5 Rdn. 58; NEUMANN JA 1987 S. 255. - Zumindest auch fllr Schute der bedrohten Individualrechtsgüter: BGH NStZ 2002 S. 385; GEILEN Jura 1983 S. 78; GEPPERT Jura 2005 S. 4 0 ; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 5 6 R d n . 1; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 c R d n . 1; RUDOLPHI S K II, § 3 2 3 c R d n . 1; SEELMANN N K , § 3 2 3 c R d n . 8; SPENDEL L K , § 3 2 3 c R d n . 2 9 ; KAHLO D i e H a n d l u n g s f o r m d e r
Unterlassung als Kriminaldelikt, 2001, S. 325 f. - In der sozialen Stabilisierung sieht PAWLIK GA 1995 S. 365, das Rechtsgut.
386
Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität
§67
mit der gemeinen Gefahr und gemeinen Not, die dann überflüssig wäre, wenn schon eine Sachgefahr als Unglücksfall anzusehen wäre. 116 bb) Zu folgen ist dem BGH hingegen in der Erstreckung des Unglücksfalles auf NotSituationen, die der Betroffene selbst herbeigeführt hat. Ein Unglücksfall liegt danach auch in der Suizidsituation, und zwar bereits dann, wenn der Täter den Suizidplan ernsthaft ins Werk setzt, nicht erst dann, wenn der Täter das Opfer seiner selbst geworden ist oder sich von seinem Plan distanziert hat; dazu eingehend oben § 6 Rdn. 58 f. cc) Im Gegensatz zur Suizidsituation liegt kein Unglücksfall vor, wenn ein lebensgefahrlich Erkrankter in voller Kenntnis der Situation aufgrund freier Entscheidung eine Behandlung ablehnt; dazu eingehend oben § 6 Rdn. 60. b) Daraus folgt für die Definition des Unglücksfalls: Unglücksfall ist eine Situation, in der der Einzelne auf die Solidarität der anderen angewiesen ist, weil ihm erheblicher Schaden an Leib, Leben, Freiheit oder einem anderen höchstpersönlichen Rechtsgut droht. Das Vorliegen des Unglücksfalles ist ex post festzustellen. 117 c) Gemeine Gefahr ist eine Situation, in der die Möglichkeit des Schadens an Leib oder Leben oder an bedeutenden Sachwerten für unbestimmt viele Personen begründet ist; z.B. Überschwemmung, Brand. d) Gemeine Not ist eine Notlage der Allgemeinheit.
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2. Das Tatverhalten Die Tat ist echtes Unterlassungsdelikt, mit dem das Unterlassen der erforderlichen und 10 zumutbaren Hilfeleistung unter Strafe gestellt wird. a) Erforderlich ist die Hilfe, wenn aus der Sicht eines Beobachters der Situation - ex-ante- 11 Beurteilung - die Chance besteht, den drohenden Schaden abzuwenden. Ob dies wirklich gelingt, ist hingegen irrelevant.' 18 b) Die Hilfeleistung muss dem Täter zumutbar sein. Die Zumutbarkeit der Hilfe ist Tat- 12 bestandsmerkmal. 119 Die Zumutbarkeit ist zum einen nach dem Grad der eigenen Gefahrdung, der Beziehung des Hilfsfahigen zum Geschehen, insbesondere auch nach seinen persönlichen Fähigkeiten, Hilfsmitteln, Erfahrungen und der Möglichkeit, z.B. am schnellsten Hilfe leisten zu können, zu bestimmen. Zum anderen aber ist die Situation des Hilfsbedürftigen zu berück116
So auch ARZT/WEBER B.T., § 39 Rdn. 3; FRELLESEN Die Zumutbarkeit der Hilfeleistung, 1980, S. 150 f f ; KAHLO H a n d l u n g s f o r m . S . 3 3 2 f f ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 6 / 5 ; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 3 2 3 c
Rdn. 5; SEELMANN JUS 1995 S. 284; VERMANDER Unfallsituation und Hilfspflicht im Rahmen des § 330 c StGB, 1969, S. 24 ff, 50. - Eine Gefahr fllr bedeutende Sachwerte lassen genügen: GEILEN Jura 1 9 8 3 S. 8 6 ff; KÜPER B . T . , S. 2 8 8 f; PAWLIK G A 1 9 9 5 S . 3 6 7 ; RUDOLPHI S K II, § 3 2 3 c R d n . 5 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 c R d n . 3 7 . - S a c h g e f a h r g e n ü g t : LACKNER/KÜHL § 3 2 3 c R d n . 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 2 3 c R d n . 2 a . 117
Vgl. BGHSt 14 S. 216; 32 S. 381; AG Tiergarten NStZ 1991 S. 236 mit Anm. OTTO JK 91, StGB § 323 c / 3 ; GEPPERT J u r a 2 0 0 5 S . 4 2 ; SEELMANN J u S 1 9 9 5 S . 2 8 4 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 c R d n . 8 1 . - A . A .
RUDOLPHI NStZ 1991 S. 237 f. 118
Dazu BGHSt 17 S. 170 f; BGH NStZ 1985 S. 409; GEILEN Jura 1983 S. 142 ff; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 56 Rdn. 6.
1 1 9
V g l . d a z u GEPPERT J u r a 2 0 0 5 S. 4 5 ; HRUSCHKA JUS 1 9 7 9 S. 3 9 1 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 c R d n . 7 ; NAUCKE W e l z e l - F S , S. 7 6 7 ff; PAWLIK G A 1 9 9 5 S. 3 7 2 . - A . A ( S c h u l d e l e m e n t ) : MAURACH/ SCHROEDER/MAIWALDB.T.2, § 5 5 R d n . 2 3 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 c R d n . 159.
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§67
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
sichtigen und zu beachten, welche Hilfsmaßnahmen ihm - unter Beachtung seines Persönlichkeitsrechts - zumutbar sind; dazu vgl. oben § 6 Rdn. 62. Die erhebliche Gefährdung eigener Rechtsgüter und die Pflichtenkollision sind Beispiele für den Ausschluss der Zumutbarkeit. Dies gilt auch dann, wenn die Pflichtenkollision nicht rechtfertigt, sondern nur entschuldigt oder eine Kollision rechtlicher und religiöser Pflichten vorliegt.'20 . Die Gefahr einer Strafverfolgung schließt die Zumutbarkeit hingegen grundsätzlich nicht a u s , ' 2 ' wohl aber die Gefahr eigener schwerer Körperverletzungen. ' 2 2
13 c) Der zumindest bedingte Vorsatz muss die Notsituation, die Möglichkeit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der Hilfe umfassen. 14 d) Die Tat ist vollendet, wenn der Täter die Hilfspflicht erkannt hat und keine Hilfeleistung erbringt. Keineswegs muss die Chance erfolgreicher Hilfe zur Vollendung des Delikts bereits versäumt sein. Ein Rücktritt vom vollendeten Delikt ist in analoger Anwendung der Grundsätze tätiger Reue möglich, so lange keine Verschlechterung der Situation eingetreten i s t . ' 2 3
3. Konkurrenzen 15 § 323 c begründet keine Garantenstellung zur Abwendung von Gefahren die dem Hilfsbedürftigen drohen. Der aus anderem Grunde verpflichtete Garant, der die Hilfe, zu der er verpflichtet ist, unterlässt, haftet aus dem entsprechenden Erfolgsdelikt. Das unechte Unterlassungsdelikt, auch der Versuch, konsumieren die unterlassene Hilfeleistung. - Idealkonkurrenz zwischen einem fahrlässigen Unterlassungsdelikt, z.B. § 222, und unterlassener Hilfeleistung ist möglich. - Bleibt zweifelhaft, ob jemand sich als Täter oder Teilnehmer an der einen Unglücksfall bildenden Straftat beteiligt hat, so kann er nach § 323 c bestraft werden. 124
II. Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungsund Nothilfemitteln, § 145 1. Das Wesen des §145 16 Das in § 145 umschriebene abstrakte Gefahrdungsdelikt soll gleichsam im Vorfeld des § 323 c die Voraussetzungen einer wirksamen Hilfeleistung erhalten helfen, und zwar dadurch, dass verhindert wird, dass nicht erforderliche Hilfe zur Gefahrenabwehr angefordert wird (Abs. 1) oder Präventivmaßnahmen, die zur Verhütung oder Bewältigung von Unglücksfallen oder gemeiner Gefahr getroffen wurden, beeinträchtigt werden (Abs. 2).
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Dazu BVerfGE 32 S. 98. - Krit. zum Erfordernis der Zumutbarkeit: SEEBODE Kohlmann-FS, S. 290 ff.
121
Vgl. BGHSt 11 S. 353; ULSENHEIMER GA 1972 S. 16 f.
122
Vgl. LG Mannheim NJW 1990 S. 2212; im Einzelnen dazu SPENDEL LK, § 323 c Rdn. 122 ff.
1 2 3
S o a u c h GEPPERT J u r a 2 0 0 5 S. 4 6 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 c R d n . 11; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN
§ 323 c Rdn. 30. - A.A. BGHSt 14 S. 217; SCHAFFSTEIN Dreher-FS, S. 154. - Zum gleichen Ergebnis wie diejenigen, die die Anwendung der Grundsätze tätiger Reue befürworten, kommen diejenigen, die die Vollendung erst mit Verlust der Hilfschance annehmen; vgl. RUDOLPHI SK II, § 323 c Rdn. 17; SEELMANN N K , § 3 2 3 c R d n . 5 0 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 c R d n . 9 7 f f . 124
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Vgl. BGHSt 39 S. 164 mit zust. Anm. GEPPERT JK 93, StGB § 323 c/4, und abl. Anm. TAG JR 1995 S. 133 ff; BGH NStZ 1997 S. 127.
§67
Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität 2. Die Regelung im Einzelnen
a) § 145 Abs. 1 Nr. 1: Notrufe oder Notzeichen sind akustisch oder optisch wahrnehmbare 17 Kurzäußerungen, die auf das Vorhandensein einer Not- oder Gefahrenlage und die Notwendigkeit fremder Hilfe aufmerksam machen. Beispiele: Betätigung des Notrufmelders einer mit münzfreier Notrufeinrichtung versehenen öffentlichen Fernsprechzelle (OLG Oldenburg NJW 1983 S. 1573); missbräuchliches Wählen der Notrufiiummer 110 (BGHSt 34 S. 4, Str.); Betätigung von Polizeinotrufanlagen, Feuermeldern; das Abgeben von SOS-Funk-, Blink- und Winksignalen auf Gewässern und im Gebirge; das Abschießen notanzeigender Leuchtkugeln u.ä. Missbrauch ist jeder Gebrauch des Rufs oder Zeichens, obwohl keine Not oder Gefahr besteht.
18
b) § 145 Abs. 1 Nr. 2 erfasst den Fall, dass anders als durch Notruf oder Notzeichen eine 19 Notlage vorgetäuscht wird. Zum Unglücksfall, zu gemeiner Gefahr oder Not vgl. Rdn. 3 ff. - Zur Vortäuschung einer Gefahrenlage durch Versendung von Pseudo-Milzbrandbriefen: OLG Frankfurt NStZ-RR 2002 S. 210; HOFFMANN GA 2002 S. 3 9 1 ff.
c) § 145 Abs. 2 schützt Einrichtungen, deren konkrete Zweckbestimmung in der genannten 20 Schutzfunktion liegt. Beseitigen erfordert räumliche Entfernung. - In seinem Sinn entstellt oder unbrauchbar ist der Gegenstand, wenn er den konkreten Schutzzweck nicht mehr erfüllt. Beispiele für Nr. 1: Verkehrszeichen, die Warn- und Verbotsfunktionen hängen, Gewässern, Hochspannungsleitungen o.Ä.
haben;'25
Warntafeln an Berg-
Beispiele für Nr. 2: Brückengeländer; Schwimmwesten; Rettungsringe.
d) Der Tatbestand erfordert absichtliches oder wissentliches Handeln, bedingter Vorsatz 21 genügt nicht. 3. Konkurrenzen a) Fallen Tathandlungen nach Nr. 1 und 2 zusammen, so liegt die Verwirklichung mehrerer 22 Alternativen desselben Delikts vor. b) Abs. 2 ist subsidiär gegenüber §§ 303, 304, auch wenn der Strafantrag, § 303 Abs. 3, 23 nicht gestellt wird: „mit Strafe bedroht ist", § 145 Abs. 2. 1 2 6 III. Nichtanzeige geplanter Straftaten, §§ 138, 139 1. Das geschützte Rechtsgut und die Deliktsnatur a) Abweichend von der hier vertretenen Auffassung - mitmenschliche Solidarität - werden 24 zum geschützten Rechtsgut unterschiedliche Meinungen vertreten: Straftat gegen das
125 1 2 6
Dazu HÄNDEL DAR 1975 S. 59. S o a u c h : LACKNER/KÜHL § 1 4 5 R d n . 9 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 5 7 R d n . 3 9 . - A . A . v . BUBNOFF L K , § 1 4 5 R d n . 3 1 ; S C H / S C H / S T E R N B E R G - L I E B E N § 1 4 5 R d n . 2 2 .
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§67
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Strafrecht, 127 Delikt gegen die durch die anzeigepflichtigen Straftaten bedrohten Rechtsgüter, 128 Delikt gegen die Rechtspflege und die durch die anzeigepflichtigen Straftaten bedrohten Rechtsgüter. 129 25 b) Die Tat ist echtes Unterlassungsdelikt. 2. Die Regelung des §138 im Einzelnen 26 a) Abs. 1: Nur die hier genannten Straftaten - mit Ausnahme der §§ 129 a Abs. 3, 310 Abs. 1 Nr. 2 handelt es sich um Verbrechen - sind anzeigepflichtig. - Die Tat kann auch die Tat eines Schuldunfähigen sein. - Glaubhaft erfahren hat der Täter von der Tat, wenn diese ernstlich geplant oder schon ausgeführt wird und er selbst mit ihrer VerÜbung rechnet. Rechtzeitig ist die Anzeige an die Behörde oder den Bedrohten, wenn die Ausführung der Tat bzw. (bei Kenntniserlangung erst nach Beginn der Tat) der Erfolg der Tat noch abgewendet werden kann. 130 - Abs. 1 setzt für das Unterlassen der Anzeige Vorsatz voraus. 27 b) Gemäß Abs. 2 wird die Strafbarkeit auf „das Vorhaben oder die Ausführung einer Straftat nach § 129 a" ausgedehnt. - Hier ist die Benachrichtigung der Behörde erforderlich. - Die Tat erfordert Vorsatz. 28 c) Gemäß § 138 Abs. 3 wird auch das leichtfertige Unterlassen der Anzeige bestraft. 3. Entfallen der Anzeigepflicht 29 a) Nicht anzeigepflichtig ist der untaugliche Versuch einer der genannten Straftaten, da dieser keine Notsituation begründen kann. 30 b) Der von der Tat Bedrohte ist nur anzeigepflichtig, wenn sich die Tat auch noch gegen andere Personen richtet. Ist er allein Tatopfer, so verletzt er nicht das Vertrauen in die mitmenschliche Solidarität, wenn er keine Hilfe in Anspruch nimmt. 31 c) Nicht anzeigepflichtig sind die an der geplanten Tat als Täter oder Teilnehmer Beteiligten. Ihre Strafbarkeit ergibt sich aus dem Grade ihrer Tatbeteiligung. Diese jedoch begründet keine Pflicht zur Verhinderung der geplanten Tat. 131 32 d) Nach Auffassung der Rechtsprechung war nicht nur der Tatbeteiligte, sondern auch der nur Tatverdächtige von der Anzeigepflicht befreit, wenn der Verdacht auch nach Abschluss der Beweisaufnahme nicht ausgeräumt war. 132
127
SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 9 ff, 32.
128
GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 5 8 R d n . 1; HANACK L K , § 138 R d n . 2 ; HOHMANN M K , § 138 R d n . 1; LACKNER/KÜHL § 138 R d n . 1; RUDOLPHI S K II, § 138 R d n . 2 ; SCHMID-HÄUSER B o c k e l m a n n - F S , S.
688 ff. 129 130
KREY B.T.l, Rdn. 635; REGNIERB.T.II, § 52 Rdn. 1. Dazu BGHSt 42 S. 86 mit Anm. LAGODNY JZ 1997 S. 48 f, LOOS/WESTENDORF Jura 1998 S. 403 ff, OSTENDORF J Z 1 9 9 7 S. 1107, OTTO J K 9 7 , S t G B § 138/2, PUPPE N S t Z 1 9 9 6 S. 5 9 7 f; HANACK L K , §
138 Rdn. 23; LACKNER/KÜHL § 138 Rdn. 5; RUDOLPHI Roxin-FS, S. 837 ff. 131
Vgl. BGHSt 36 S. 169; 39 S. 167; 42 S. 88; HANACK LK, § 138 Rdn. 42. - A.A. RUDOLPHI Roxin-FS, S. 835 f; SCHMIDTHÄUSER Bockelmann-FS, S. 683 ff. - Bzgl. des Teilnehmers auch JOERDEN Jura 1990 S. 636.
132
Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1986 S. 794; BGHSt 36 S. 170; TAG JR 1995 S. 133 ff.
390
Delikte gegen die mitmenschliche Solidarität
§67
Diese Auffassung wurde dem Sachproblem nicht gerecht. Der BGH hat seine Auffas- 33 sung daher in neuester Zeit aufgegeben. 133 Auszugehen ist - nunmehr mit dem BGH - davon, dass die Anzeigepflicht grundsätzlich 34 unabhängig von einem etwaigen Verdacht der Tatbeteiligung besteht. Sodann ist zu differenzieren: Erweist sich der Verdacht der Tatbeteiligung im Laufe des Verfahrens als berechtigt, so haftet der Betroffene wegen seiner Beteiligung an der Tat. Wird der Verdacht der Tatbeteiligung ausgeräumt, so bleibt es bei der Verletzung der Anzeigepflicht nach § 138. Die Verletzung der Anzeigepflicht und die Tatbeteiligung stehen nämlich - vergleichbar der Teilnahme und Täterschaft - in einem normativen Stufenverhältnis. 134 Sie erfassen einen Angriff auf die geschützten Rechtsgüter in unterschiedlicher Intensität. Das ist offensichtlich, wenn § 138 als Delikt gegen die durch die anzeigepflichtige Straftat bedrohten Rechtsgüter interpretiert wird. Gleiches gilt für die hier vertretene Auffassung, dass § 138 als Delikt gegen die mitmenschliche Solidarität angesehen wird. Grundlage dieser Solidarität ist nämlich das Vertrauen des einzelnen auf die Solidarität der anderen in existenzbedrohenden Situationen. Diesen Situationen wollen auch die Katalogtaten in § 138 wehren. Wird § 138 hingegen als Straftat gegen das Strafrecht oder als Delikt gegen die Rechtspflege und die durch die anzeigepflichtigen Straftaten geschützten Rechtsgüter angesehen, so ist die Annahme eines normativen Stufenverhältnisses ausgeschlossen. Auch eine Wahlfeststellung kommt nicht in Betracht, da der Unrechtskern nicht identisch ist. Von diesen Prämissen her erfordert der Grundsatz in dubio pro reo einen Freispruch. 4. Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten, § 139 a) Ist die anzeigepflichtige Tat weder begangen noch versucht worden, so hat das Gericht 35 die Möglichkeit, von Strafe bei dem Anzeigepflichtigen abzusehen, § 139 Abs. 1. Ist die Tat versucht worden, aber wegen Rücktritts des Täters für diesen straffrei, so findet § 139 Abs. 1 auf den Anzeigepflichtigen keine Anwendung. b) Die Pflicht zur Anzeige entfällt nach § 139 Abs. 2 fur Geistliche bei Mitteilungen, die 36 ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden sind. § 139 Abs. 2 enthält den vom Gesetzgeber geregelten Fall einer rechtfertigenden Pflichtenkollision und ist daher als Rechtfertigungsgrund anzusehen. 135 c) Straffrei bleiben nach § 139 Abs. 3 S. 1 Angehörige des oder der Täter, wenn sie sich 37 ernsthaft bemüht haben, den oder die Täter von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden, es sei denn, die geplante Tat ist: 1. ein Mord oder Totschlag, 2. ein Völkermord in den Fällen des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 oder 3. ein erpresserischer Menschenraub, § 239 a Abs. 1, eine Geiselnahme, § 239 b Abs. 1, oder ein Angriff auf den Luft- oder Seeverkehr,
133
Vgl. BGH NStZ 2004 S. 499 mit Anm. OTTO JK 05, StGB § 138/3.
134
V g l . d a z u HANACK L K , § 138 R d n . 7 4 f; JOERDEN J u r a 1 9 9 0 S. 6 4 0 ; LACKNER/KCIHL § 138 R d n . 6;
OTTO JK 87, StGB § 138/1; RUDOLPHI Roxin-FS, S. 836 f. - A.A. GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 58 Rdn. 5; RENGIER B . T . I I , § 5 2 R d n . 10. 135
S o a u c h GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 5 8 R d n . 8; HANACK LK., § 139 R d n . 13; LACKNER/KÜHL § 1 3 9 R d n . 2 ; RUDOLPHI S K II, § 139 R d n . 3; TRÖNDLE/FLSCHER § 1 3 9 R d n . 4 . - F ü r T a t b e s t a n d s a u s s c h l u s s :
BLOY Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 1976, S. 135 Fn. 1; KIEL WEIN G A 1 9 5 5 S. 2 3 1 ; KREY B . T . l , R d n . 6 4 1 ; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 1 3 9 R d n . 2.-
Zum Begriff des Geistlichen: LING GA 2001 S. 325 ff.
391
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§68
§ 316 c Abs. 1, durch eine terroristische Vereinigung, § 129 a. - § 139 Abs. 3 S. 1 enthält einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. 136 38 d) Unter den gleichen Voraussetzungen entfallt nach § 139 Abs. 3 S. 2 die Anzeigepflicht für Rechtsanwälte, Verteidiger Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten sowie Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten soweit ihnen die Kenntnis von dem Verbrechen in ihrer Berufseigenschaft anvertraut worden ist. Gemäß § 139 Abs. 3 S. 3 sind die berufsmäßigen Gehilfen der in S. 2 genannten Personen und die Personen, die bei diesen zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind, nicht verpflichtet mitzuteilen, was ihnen in ihrer beruflichen Eigenschaft bekannt geworden ist. § 139 Abs. 3 S. 2, 3 enthält einen Rechtfertigungsgrund; vgl. dazu Rdn. 36. 39 e) Pflichtwidrig handelt gemäß § 139 Abs. 4 S. 1 deijenige nicht, der die Ausfuhrung oder den Erfolg der Tat anders als durch Anzeige abwendet. Auch wenn das Gesetz nur die Straffreiheit des Täters feststellt, liegt hier ein Ausschluss des Tatbestandes vor, da der Täter seiner mitmenschlichen Pflicht nachgekommen ist. 137 40 f) Straffrei bleibt schließlich gemäß § 139 Abs. 4 S. 2 der Anzeigepflichtige, der sich ernsthaft bemüht hat, den Erfolg abzuwenden, wenn die Ausführung der Tat oder der Erfolg ohne sein Zutun unterbleiben. § 139 Abs. 4 S. 2 enthält einen persönlichen Strafaufhebungsgrund.
§ 68 Zur Wiederholung 1
1.
Durch welche Delikte wird der äußere Frieden als überstaatliches Rechtsgut geschützt? - Dazu § 62.
2.
Kann sogen, passive Gewalt, z.B. ein Sitzstreik, als „Gewalttätigkeit" i.S. des § 125 angesehen werden? - Dazu § 63 Rdn. 5.
3.
Wann ist die öffentliche Sicherheit i.S. des § 125 gefährdet? - Dazu § 63 Rdn. 7.
4.
Setzt § 140 voraus, dass der Täter der belohnten oder gebilligten Tat schuldhaft gehandelt hat? - Dazu § 63 Rdn. 40,43.
5.
Was ist das „Berichterstatterprivileg"? - Dazu § 63 Rdn. 58 f.
6.
Wie sind die sog. Delikte gegen das Pietätsempfinden genauer zu bezeichnen? - Dazu § 64 Rdn. 1.
7.
Wie wird Wegnahme i.S. des § 168 definiert? - Dazu § 64 Rdn. 13.
8.
Welches Rechtsgut schützt § 173? - Dazu § 65 Rdn. 13.
9.
In a) b) c)
1 3 6
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 1 3 9 R d n . 3 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 9 8 R d n . 2 6 ; TRÖNDLE/FISCHER § 139 R d n . 5. - F ü r E n t s c h u l d i g u n g s g r u n d z . B . : GEILEN JUS 1 9 6 5 S. 4 3 1 f ; HANACK. L K , § 139 R d n . 2 3 ; KREY Β . Τ . 1 , R d n . 6 4 2 ; RUDOLPHI S K II, § 1 3 9 R d n . 6 ; SCH/SCH/STERNBERGLIEBEN § 139 R d n . 4 .
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So auch im Ergebnis: BLOY Die dogmatische Bedeutung, S. 135 ff; RUDOLPHI SK II, § 139 Rdn. 16; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 139 Rdn. 6. - A.A. Persönlicher Strafaufhebungsgrund: HANACK LK,
welchen Fällen ist § 173 anwendbar? Α verkehrt mit der nichtehelichen Tochter seiner Frau geschlechtlich. Α verkehrt mit seiner Stiefschwester geschlechtlich. Α verkehrt mit der in der Ehe geborenen Tochter seiner Ehefrau, deren Ehelichkeit er nicht angefochten hat, geschlechtlich. - Dazu § 65 Rdn. 13.
§ 1 3 9 R d n . 3 7 ; LACKNER/KÜHL § 139 R d n . 4 .
392
Zur Wiederholung
§68
10. Macht sich ein im Inland lebender Ausländer oder Deutscher, der sich seiner auf ausländischem Recht beruhenden Unterhaltspflicht gegenüber einem Unterhaltsberechtigten im Ausland entzieht, nach § 170 strafbar? - Welches ist der entscheidende Gesichtspunkt. - Dazu § 65 Rdn. 20. 11. Welche Angriffsrichtungen sind innerhalb der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu unterscheiden? - Dazu § 66 Rdn. 3. 12. Was ist eine „sexuelle Handlung"? - Dazu § 66 Rdn. 5 f. 13. Kann ein Schutzbefohlener i.S. des § 174 strafbar zum sexuellen Missbrauch anstiften? - Dazu § 66 Rdn. 32. 14. Welche Restriktion des Begriffs der sexuellen Handlung i.S. des § 182 StGB wird diskutiert? - Dazu § 66 Rdn. 68. 15. Wann ist ein öffentliches Ärgernis i.S. des § 183 erregt? - Dazu § 66 Rdn. 82 f. 16. Was sind Delikte gegen die „mitmenschliche Solidarität"? - Dazu § 67 Rdn. 1. 17. Ist die Suizidsituation ein Unglücksfall i.S. des § 323 c? - Dazu § 67 Rdn. 5. 18. Begründet § 323 c eine Garantenstellung? - Dazu § 67 Rdn. 15.
393
§70
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Vierter Abschnitt Delikte gegen die Sicherheit des Rechts- und Geldverkehrs § 69 Rechtsgut und Schutzrichtung der Urkundendelikte 1
1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Urkundendelikte ist die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs, insbesondere des Beweisverkehrs mit Urkunden und beweiserheblichen Daten. Für den Schutz der individuellen Dispositionsfreiheit vor manipulierten Beweismitteln: HOYER SK II, Vor § 2 6 7 Rdn. 12; PUPPE B G H - F G , S. 5 6 9 ff; DIES. N K , § 2 6 7 Rdn. 6 ff.
2
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2. Die Schutzrichtung Der Gesetzgeber hat vier verschiedene Arten des Angriffs auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs in den Urkundendelikten verpönt: a) Den Angriff gegen die Echtheit der Urkunde, §§ 267, 275, 276, 276 a, 277, 2. und 3. Alt., 279 in Verbindung mit § 277, und beweiserheblicher Daten, § 269. - Relevant ist hier, ob der angegebene Aussteller auch der wirkliche ist. b) Den Angriff gegen die inhaltliche Wahrheit der Urkunde, §§ 271, 276, 276 a, 277, 1. Alt., 279 in Verbindung mit §§ 277, 278, 348 Abs. 1, und der in öffentlichen Dateien gespeicherten Daten, §§ 271, 348 Abs. 1. - Relevant ist hier, ob der Inhalt der Urkunde oder der Daten sachlich richtig ist. c) Den Angriff gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels: §§ 273, 274. - Relevant ist hier der körperliche Fortbestand des Objekts als Beweismittel. d) Den Angriff gegen die bestimmungsgemäße Verwendung des Beweismittels: § 281. Diese starke Differenzierung der strafbaren Angriffsweisen, die zugleich eine scharfe Begrenzung der jeweiligen Schutzbereiche zur Folge hat, begründet die grundsätzliche Problematik der Urkundendelikte, die letztlich auch im Streit um den „richtigen" Urkundenbegriff zum Vorschein kommt: Überall dort, wo der gewährte Schutz als unzureichend empfunden wird, liegt der Versuch nahe, durch Umdeutung der Schutzrichtung den Schutzbereich auszudehnen.
§ 70 Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde I. Urkundenfälschung, § 267 1. Der Begriff der Urkunde 1
a) Strukturelemente des Urkundenbegriffs Der Urkundenbegriff muss drei Funktionen gerecht werden: aa) In der Urkunde ist eine menschliche Gedankenerklärung verkörpert (Perpetuierungsfunktion). bb) Der Gedankenerklärung kommt Rechtserheblichkeit zu (Beweisfunktion), cc) Die Urkunde muss erkennen lassen, wer für die Erklärung einzustehen hat (Garantiefunktion). 394
Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
§70
b) Die verschiedenen Urkundenbegriffe Trotz einheitlicher Anerkennung der drei Funktionen werden fur den Urkundenbegriff un- 2 terschiedliche Konsequenzen gezogen. aa) Die h.M. vertritt den weitesten Urkundenbegriff: Urkunden sind sinnlich wahr- 3 nehmbare Gegenstände der Außenwelt, die nach Gesetz, Herkommen oder Vereinbarung der Beteiligten dazu bestimmt und geeignet sind, über ihr körperliches Dasein hinaus eine Gedankenäußerung des Urhebers darzustellen und für bestimmte rechtliche Beziehungen Beweis zu erbringen, und ihren Aussteller erkennen lassen.1 bb) Die Mindermeinung in der Lehre beschränkt den Urkundenbegriff auf Schriftstücke: 4 Urkunde ist ein Schriftstück, das eine rechtserhebliche und zum Beweis geeignete und bestimmte Erklärung eines bestimmten Ausstellers verkörpert,2 cc) Einen gegenüber der h.M. engeren, gegenüber der Mindermeinung aber weiteren Ur- 5 kundenbegriff vertritt KIENAPFEL: Urkunden sind schriftlich verkörperte Erklärungen, die ihren Aussteller erkennbar machen. 3 c) Stellungnahme aa) Die verkörperte Gedankenerklärung In der Urkunde muss die Kundgabe eines Gedankeninhalts mit einer körperlichen Sache fest verbunden sein. Die Beweiskraft der Urkunde beruht nämlich auf ihrem Inhalt, nicht auf einem bestimmten So-Sein des Objektes im Gegensatz zum So-Sein anderer Objekte. Die Urkunde ist selbst nur Mittel zu einer Beweisführung durch eine verkörperte Gedankenerklärung. Ein rechtsverbindlicher Erklärungswille ist nicht erforderlich, es genügt, dass sich der Erklärende bewusst ist, dass er einen Gedanken äußert und ihn zur Kenntnisnahme anderer körperlich fixiert.4 (1.) Die Erklärung selbst muss optisch-visuell erkennbar sein. Aufzeichnungen auf Tonträgem sind daher keine Urkunden. 5 (2.) Bloße Augenscheinsobjekte - Blutflecke, Einschüsse, Fingerabdrücke - und technische Aufzeichnungen - Fahrtenschreiberdiagramme -, die durch ihr So-Sein Beweis erbringen, sind keine Urkunden, da sie keine Gedankenerklärung verkörpern. Das gleiche gilt von Blanketten oder Formularen, die erst durch Ausfullen eine bestimmte Gedankenerklärung erhalten. 6 1
D a z u R G S t 6 S. 2 9 0 ; 6 4 S. 4 9 ; B G H S t 18 S. 7 0 ; ARZT/WEBER, B . T . , § 31 R d n . 1; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 5 2 R d n . 4 ; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 4 ; KLNDHÄUSER S t G B , § 2 6 7 R d n . 2 ; KREY B . T . l , R d n . 6 7 9 ff; KÜPER B . T . S. 2 9 1 ; KÜPPER B . T . , II § 1 R d n . 3; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 2; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 7 R d n . 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 2 6 7 R d n . 2 ; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , R d n . 790.
2
D a z u BINDING B . T . I I 1, S. 170; SAMSON U r k u n d e n u n d B e w e i s z e i c h e n , 1 9 6 8 , S. 9 4 ff; DERS. JUS 1970 S. 3 7 2 ; SCHILLING D e r s t r a f r e c h t l i c h e S c h u t z d e s A u g e n s c h e i n s b e w e i s e s , 1 9 6 5 , S. 8 6 ; DERS. R e f o r m d e r U r k u n d e n v e r b r e c h e n , 1971, S. 70 ff; SCHMIDHÄUSER B . T . , 14/10; WELZELLb., § 5 9 II 1.
3
D a z u KIENAPFEL Z S t W 8 2 ( 1 9 7 0 ) S. 3 6 7 ff; DERS. G A 1970 S. 193 ff; DERS. M a u r a c h - F S , S. 4 4 0 ; DERS. J Z 1972 S. 3 9 6 f; vgl. a u c h PUPPE J u r a 1 9 7 9 S. 6 3 6 ; DIES. N K , § 2 6 7 R d n . 16.
4
D a z u GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 18, 2 2 ; PUPPE J u r a 1 9 7 9 S. 6 3 6 f; SAMSON J A 1 9 7 9 S. 5 2 9 .
5
S o a u c h GERSTENBERG N J W 1 9 5 6 S. 5 4 0 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 7 R d n . 6; SIEBER C o m p u t e r k r i m i n a l i t ä t u n d S t r a f r e c h t , 2 . A u f l . 1 9 8 0 , S. 2 8 4 u n d N a c h t r a g 2 / 2 2 ; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , R d n . 7 9 4 . - A . A . z . B . : ARMIN KAUFMANN Z S t W 71 ( 1 9 5 9 ) S. 4 1 6 .
6
V g l . B G H b e i H o l t z , M D R 1 9 7 8 S. 6 2 5 ; L G B e r l i n w i s t r a 1985 S. 2 4 2 f.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
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(3.) Keine Urkunden sind sog. Kennzeichen, d.h. Zeichen, die lediglich der Unterscheidbarkeit, der Kennzeichnung, der Herkunfts- oder Eigentumsbezeichnung dienen. Hingegen sollen sog. Beweiszeichen nach h.M. Urkundenqualität haben. Als bloße Kennzeichen sollen anzusehen sein: Spielchips in einem Spielcasino (RGSt 55 S. 98); der Dienststempelabdruck in der Diensthose als Eigentümerzeichen (RG GA 77 (1933) S. 202); der Waldhammerschlag als Eigentumszeichen (RGSt 25 S. 244); Fabriknummer auf Industrieerzeugnissen (RG GA 59 (1912) S. 352); Autogramm (RGSt 23 S. 214), Verkehrszeichen (OLG Köln NJW 1999 S. 1042 mit Anm. GEPPERT JK 99, StGB § 267/27, WRAGE NStZ 2000 S. 32 f). Hingegen hat die Rechtsprechung als Beweiszeichen angesehen: Färb-, Grenz-, Kerb-, Pfahl-, Pfand-, Prägeund Sperrzeichen, z.B. Merkzeichen auf Bierfilzen (RG DStR 1919 S. 77), Eichstempel an der Waage (RGSt 56 S. 355); Waldhammerschlag, der Eigentumsübergang kennzeichnen sollte (RGSt 14 S. 180); Korkbrand (BGHSt 9 S. 238); Fahrgestell-, Motornummer und amtliches Kennzeichen an Kraftfahrzeugen'. TÜVPlakette (OLG Celle VRS 82 (1992) S. 29); Künstlerzeichen auf einem Bild (OLG Frankfiirt NJW 1970 S. 673; LÖFFLER NJW 1993 S. 1423 f); Preisetiketten an einer Ware (OLG Köln NJW 1979 S. 729; OLG D ü s s e l d o r f N J W 1982 S. 2268).
8
Trotz jahrelanger Bemühungen ist der Rechtsprechung eine überzeugende Abgrenzung zwischen Kennzeichen und Beweiszeichen nicht gelungen: „Für das Pygmäenvolk der Beweiszeichen, der Kennzeichen, der Identitäts- und Unterscheidungszeichen wurden Abscheidungskriterien, die im einzelnen Fall überzeugende Ergebnisse liefern, nicht gefunden ..."8. Diese Abgrenzung kann auch nicht gelingen, denn in Wirklichkeit fehlt es den Beweiszeichen genau wie den Kennzeichen an einer in dem Zeichen selbst verkörperten Gedankenerklärung, durch die die Beweisführung ermöglicht wird. Die Beweisführung erfolgt vielmehr aufgrund der Tatsache, dass das Zeichen einem bestimmten Gegenstand eine andere Beschaffenheit verleiht als einem Gegenstand mit einem anderen Zeichen. Damit wird aber offensichtlich, dass die h.M. sich mit der Anerkennung der Beweiszeichen als Urkunde zu ihren eigenen Prämissen in Widerspruch setzt. Prägnant und zutreffend hat das Reichsgericht dies zum Ausdruck gebracht: ..."immer aber muß ein Gegenstand, wenn er als Urkunde angesehen werden soll, durch seinen gedanklichen Inhalt als Erklärung einer Person zum Beweis für rechtserhebliche Tatsachen in Betracht kommen. Sachen, die lediglich ihr Dasein und ihre sichtbaren Eigenschaften beweisen, sind keine Urkunden, sondern lediglich Augenscheinsgegenstände"9.
9
(4.) Für das Erfordernis der verkörperten Gedankenerklärung folgt daraus: Der Erklärende kann sich einer Fremdsprache bedienen, Stenographie oder eine „Geheimschrift" benutzen, wenn und solange der Inhalt der Erklärung noch aus sich heraus oder mit den üblichen Mitteln der Auslegung einer Erklärung verständlich ist: Stets aber muss es sich um eine schriftliche Gedankenerklärung handeln. Bloße, in ihrer Bedeutung willkürlich, ohne jede Änderung ihrer Gestalt austauschbare Zeichen enthalten keine zum Urkundenbeweis fähige Gedankenerklärung. Es sind Zeichen, denen unter Eingeweihten eine bestimmte Bedeutung zukommt, die jederzeit ausgetauscht werden kann, ohne dass das Zeichen verändert wird. Das aber ist mit dem Erfordernis einer im Gegenstand verkörperten Gedankenerklärung nicht vereinbar.10 7
BGHSt 16 S. 94. - Danach ist das Ändern des Kennzeichens ein Verfälschen einer Urkunde, nicht aber das Auftragen reflektierender Mittel; vgl. BGHSt 45 S. 197 mit Anm. KRACK NStZ 2000 S. 423 ff, KUDLICH JZ 2000 S. 426 f.
8
TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 267 Rdn. 69. - Dazu auch JAKOBS Urkundenfälschung, 2000, S. 46 Fn. 81.
9
RGSt 55 S. 98.
10
Dazu eingehender OTTO JuS 1987 S. 762 f.
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Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
§70
bb) Der Aussteller einer Urkunde Die Urkunde muss von einem bestimmten Aussteller, ihrem „Urheber", herrühren. Aussteller ist nach der heute herrschenden sog. Geistigkeitstheorie derjenige, von dem die Erklärung geistig herrührt, nicht aber derjenige, der sie körperlich hergestellt hat, wie es die sog. Körperlichkeitstheorie forderte.11 Wie TRÖNDLE jedoch darlegt, ist auch nach Auffassung der Vertreter der Geistigkeitstheorie als Aussteller nicht der gemeint, „auf den etwa die Erklärung in ihrer sprachlichen Gestalt oder als geistig-schöpferische Idee zurückgeht, sonst wären Aussteller von Urkunden, die mit rechtskundiger Hilfe zustande gekommen sind, die beteiligten Anwälte oder Notare" 12 . - Auch deijenige, der durch Täuschung zur Unterschrift veranlasst wurde, steht keineswegs geistig hinter der Erklärung oder fühlt sich an diese gebunden. Zivilrechtlich wird ihm die Erklärung, wenn die Täuschung nicht so weit ging, dass der Unterzeichnende überhaupt keinen Erklärungswillen hatte, aber noch als eigene zugerechnet. An dieser Zurechnung sollte auch das Strafrecht festhalten. Grundsätzlich ist daher davon auszugehen, dass Aussteller derjenige ist, der sich die Erklärung - nach außerstrafrechtlichen Normen - rechtlich zurechnen lassen muss. Die sog. Geistigkeitstheorie ist ihrem Wesen nach daher eine Zurechnungstheorie.13 Allerdings fuhrt die unbegrenzte Übertragung zivilrechtlicher Zurechnungsgrundsätze zu einer bedenklichen Begrenzung des Strafrechtsschutzes, denn auch deijenige, der sich kraft Rechtsscheins eine Erklärung zurechnen lassen muss, wäre hiernach noch als Aussteller anzusehen. Es ist aber etwas anderes, ob jemand eine Urkunde selbst herstellt oder aber ob er einen Rechtsschein setzt, der es ihm später unmöglich macht, sich einer bestimmten, in einer Urkunde benannten Verpflichtung zu entziehen.14 Zutreffend erreicht die h.M. die hier nötige Begrenzung durch die Aufstellung der weiteren Rechtssicherheitserfordernisse, dass eine Zurechnung nur dann stattfindet, wenn (1) Eigenhändigkeit der Unterschriftsleistung nicht rechtlich vorgeschrieben ist, (2) der Namensträger sich vertreten lassen und (3) der Unterzeichner den Namensträger vertreten will. 15 Daraus folgt, dass - entgegen zivilrechtlicher Zurechnung - eine Urkundenfälschung vorliegt, wenn der „Vertreter" zwar mit Wissen des „Vertretenen" handelt, dieser sich aber nicht zu der Erklärung bekennen, sondern eine Fälschung behaupten will. 16
11
Vgl. RGSt 22 S. 379; 75 S. 47; BGHSt 13 S. 385; BayObLG NJW 1981 S. 773; ARZT/WEBER, B.T., § 3 1 R d n . 15 ff; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 2 9 ; KINDHÄUSER S t G B , § 2 6 7 R d n . 5; LACKNER/KÜHI, § 2 6 7 R d n . 14; RHEINECK F ä l s c h u n g s b e g r i f f u n d G e i s t i g k e i t s t h e o r i e , 1979, S. 3 8 f f , 5 3 ff; SAMSON J u S 1970
S. 375; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 7 Rdn. 16, 55; WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 801. - Kritisch: STEINMETZ Der Echtheitsbegriff im Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 StGB), 1991, S. 50 ff. 12
TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 267 Rdn. 17.
13
V g l . a u c h OTTO J R 1990 S. 2 5 2 f f ; PAEFFGEN J R 1 9 8 6 S. 114 ff; PUPPE J u r a 1 9 7 9 S. 6 3 7 ff; DIES. J R 1981 S. 4 4 1 ff; DIES. N K , § 2 6 7 R d n . 6 1 ; SCHROEDERGA 1974 S. 2 3 0 ; ZIELINSKI w i s t r a 1 9 9 4 S. 4 .
14
Gegen eine Begrenzung PUPPE Jura 1986 S. 25 Fn. 10; DIES. JuS 1989 S. 361. - Grundsätzlich bindet den Urkundenbegriff an die zivilrechtliche Zurechnung: ENNUSCHAT Der Einfluß des Zivilrechts auf die strafrechtliche Begriffsbestimmung am Beispiel der Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB, 1998.
15
Vgl. BGHSt 33 S. 161 f; BayObLG NJW 1989 S.2142; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 52 Rdn. 16; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 33; KINDHÄUSER S t G B , § 2 6 7 R d n . 3 7 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 5 R d n . 5 0 f; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , R d n . 8 2 9 .
16
Vgl. RGSt 76 S. 126; BayObLG NJW 1988 S. 1401 mit abl. Anm. PUPPE JZ 1991 S. 449; GRIBBOHM LK, § 267 Rdn. 36; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 65 Rdn. 51. - A.A. OLG Düsseldorf NJW 1993 S. 1872 mit abl. Anm. OTTO JK 93, StGB, § 267/18; PUPPE NK, § 267 Rdn. 64.
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Irrelevant ist es hingegen, dass die hergestellte Urkunde aufgrund ihres Inhalts zur Täuschung im Rechtsverkehr benutzt werden soll, wenn die als Aussteller ersichtliche Person sich als Aussteller bekennen will und Eigenhändigkeit der Unterschrift nicht vorgeschrieben ist. 17 Vertreten in diesem Sinne aber kann nur heißen: bei der Unterschrift tatsächlich vertreten, nicht aber: rechtswirksame Verpflichtungen oder Berechtigungen für den Vertretenen herbeiführen. Das, was für den unmittelbar Handelnden keine Urkundenfälschung ist, kann auch für denjenigen keine Urkundenfälschung sein, der einen anderen mit dessen Wissen bei der Unterschriftsleistung vertritt, wenn der „Vertretene" sich zu der Unterschrift als seiner bekennen will und nicht Eigenhändigkeit rechtlich vorgeschrieben ist. cc) Die Erkennbarkeit des Ausstellers Der Urkunde muss - sei es auch wiederum im Wege der Auslegung ihres Textes - der Aussteller entnehmbar sein als eine konkrete, zumindest aber konkretisierbare Person, von der die Erklärung herrührt. Aus der Urkunde erkennbar ist der Aussteller stets dann, wenn sie vom Aussteller unterzeichnet oder der Aussteller im Text der Urkunde benannt ist. Anonyme Gedankenerklärungen sind keine Urkunden. Das ist eindeutig im Fall der offenen Anonymität. Hier will der Erklärende gerade den Zusammenhang mit seiner Person verbergen. Er will verheimlichen, dass er hinter der Erklärung steht, gleichgültig ob die Erklärung überhaupt nicht unterschrieben ist, einen Phantasienamen oder Ähnliches enthält, z.B. Christoph Kolumbus. - Gleiches gilt für die versteckte Anonymität, d.h. wenn der Urheber trotz namentlicher Unterzeichnung nicht auf eine bestimmte Person als den Erklärenden hinweisen will, z.B. bei der Unterzeichnung mit einem Allerweltsnamen ohne jeden Zusatz. - Will der Urheber sich hingegen hinter dem Allerweltsnamen verbergen, dem Erklärungsadressaten gegenüber aber vortäuschen, dass eine ganz bestimmte Person diese Erklärung abgegeben habe, so liegt kein Fall einer Anonymität vor. 18 dd) Die Beweiseignung Das von der h.M. geforderte Merkmal der Beweiseignung der Urkunde ist fur die Rechtspraxis bedeutungslos. Das Merkmal selbst ist letztlich konturen- und inhaltslos geblieben. Zutreffend hat bereits das Reichsgericht dargelegt, dass „unter den leblosen Gegenständen auf der Erde kein einziger existiert, der nicht u.U. beweisfahig (beweisgeeignet) für irgendeine Tatsache sein könnte" 19 . ee) Die Beweisbestimmung Überflüssig ist auch das Merkmal der Beweisbestimmung als selbständiges Element des Urkundenbegriffes. Da es nach h. M. nicht darauf ankommen soll, ob der Aussteller der Gedankenerklärung die Beweisbestimmung gibt oder ein Dritter, ist es zur Differenzierung zwischen Urkunden und bloßen Urkundenentwürfen o.Ä. untauglich. Der Entwurf kann von einem Dritten durchaus zum Beweis bestimmt werden. In gleicher Weise untauglich ist dieses Merkmal zur Begründung der Gleichstellung von Absichtsurkunden (Urkunde erhält die Beweisbestimmung bei der Anfertigung durch den Aussteller) und Zufallsurkunden (Beweisbestimmung erfolgt erst später, sei es durch den 17 18
A . A . B a y O b L G J R 1 9 9 0 S. 2 5 1 m i t a b l . A n m . OTTO S. 2 5 2 f f , PUPPE J Z 1 9 9 1 S . 4 5 0 . D a z u B G H S t 5 S . 1 5 1 ; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 5 9 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 14; SEIER J A 1 9 7 9 S. 1 3 5 .
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RGSt 17 S. 105. - Dazu FREUND Urkundenstraftaten, 1996, Rdn. 101; KIENAPFEL Urkunden im Strafrecht, 1967, S. 215 f, 311; PUPPE JZ 1986 S. 93 8; TRÖNDLE LK, 10. Aufl., § 267 Rdn. 66.
Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
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Aussteller oder Dritte). Warum die Beweisbestimmung durch den Aussteller der durch einen Dritten gleichgestellt wird, ist dem Merkmal gerade nicht zu entnehmen. Im Gegenteil, das Merkmal verdeckt, dass aufgrund der Beweisbestimmung ganz verschiedener Personen unterschiedliche Sachverhalte bedenkenlos gleich behandelt werden. 20 Relevanz kommt der Beweisbestimmung nur in einer Beziehung zu, nämlich insoweit, 22 als das Merkmal darauf hinweist, dass die Urkunde für den Rechtsverkehr bestimmt ist. Dieses Element ist jedoch mit dem Erfordernis der Rechtserheblichkeit des Urkundeninhalts hinreichend erfasst, ff) Die Rechtserheblichkeit der Erklärung Neben der Beweisbestimmung hat das Merkmal der Rechtserheblichkeit der Erklärung in 23 der Praxis selten eigenständige Bedeutung erlangt. Überflüssig ist es dennoch nicht. Zum einen weist es auf die Einheitlichkeit des Urkundenbegriffs in § 267 und in § 271 hin, zum anderen ist es geeignet, jene Erklärungen aus dem Urkundenschutz herauszunehmen, denen zumindest jetzt keinerlei Rechtserheblichkeit mehr zukommt, d) Konsequenzen für den Urkundenbegriff Eine Urkunde ist ein Schriftstück, das eine rechtserhebliche Erklärung eines bestimmten 24 Ausstellers verkörpert. 2. Besondere Formen strafrechtlich geschützter Urkunden a) Die Gesamturkunde Eine Gesamturkunde liegt vor, wenn mehrere einzelne Urkunden oder Schriftstücke zu 25 einem einheitlichen Ganzen (Bogen, Buch, Akteneinheit) vereinigt werden derart, dass eine neue rechtserhebliche Erklärung entsteht, deren Inhalt (Aussage) über den der Einzelteile hinausgeht. - In der Regel wird es der Inhalt der Gesamterklärung sein, dass die Einzelerklärungen erschöpfend über bestimmte Rechtsverhältnisse Auskunft geben.21 Beispiele: Handelsbücher (RGSt 69 S. 398); Posteinlieferungsbuch (RG LZ 1931 Sp. 259); Bierlieferungsbuch (RGSt 51 S. 38); Melderegister bei Meldebehörden (BGH LM Nr. 19 zu §267); Personalakte (OLG Düsseldorf NStZ 1981 S. 25 f).
b) Die zusammengesetzte Urkunde Eine zusammengesetzte Urkunde liegt vor, wenn eine Urkunde mit einem Augenscheins- 26 objekt, auf das sich ihre Erklärung inhaltlich bezieht, räumlich fest zu einer „Beweiseinheit" verbunden ist. Beispiele: Lichtbildausweis (BGHSt 17 S. 97); beglaubigte Abschriften und beglaubigte Fotokopien.
c) Durchschriften Mehrere Ausfertigungen derselben Urkunde, Durchschriften und Hektographien sind selb- 27 ständige Urkunden. 22
2 0
Dazu PUPPE Die Fälschung technischer Aufzeichnungen, 1972, S. 125 f; DIES. N K , § 267 Rdn. 12 ff.
21
Dazu KINDHÄUSER StGB, § 267 Rdn. 24; KÜPER B.T., S. 301. - Kritisch gegenüber der Konstruktion der G e s a m t u r k u n d e : HOYER SK II, § 2 6 7 Rdn. 77 ff; LAMPE G A 1964 S. 3 2 3 ff; PUPPE N K , § 2 6 7 Rdn.
40. 2 2
Vgl. GEPPERT Jura 1990 S. 271 ff; KINDHÄUSER StGB, § 2 6 7 Rdn. 25; KÖPER B.T., S. 298; WELP Stree/Wessels-FS, S. 516 ff.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
d) Abschriften und als Reproduktionen erkennbare Wiedergaben 28 Abschriften und Fotokopien, die als solche erkennbar sind, unterfallen nicht dem Urkundenbegriff, weil der Aussteller der Urschrift für die Richtigkeit der Wiedergabe nicht einzustehen hat und auch keine andere Person als Aussteller erscheint.23 Allerdings soll nach der Rechtsprechung die Vorlage der Kopie ein Gebrauchmachen von der falschen Urkunde sein, von der die Kopie gefertigt wurde. Das soll selbst dann gelten, wenn die Vorlage der Kopie durch Aufeinanderkleben von Unterschrift und Text selbst niemals zur Täuschung geeignet war, weil jedermann sofort erkennen konnte, dass hier keine einheitliche Urkunde vorlag, sondern eine Unterschrift auf einen bestimmten Text geklebt worden ist. 24 Beim bloßen Aufeinanderlegen von Text und Unterschrift fehlt es allerdings an einer verkörperten Gedankenerklärung, die den Aussteller erkennen lässt. Es fehlt daher an einem Original der Urkunde, von dem durch Benutzung der Fotokopie Gebrauch gemacht sein könnte. Hier lehnt auch die Rechtsprechung ein Gebrauchmachen beim Benutzen der Kopie ab.2^
e) Fernkopien im Telefaxverfahren 29 Fernkopien im Telefaxverfahren entsprechen in ihrer rechtlichen Einordnung den Fotokopien. Sie sind keine Urkunden.26 f) Als Reproduktion nicht erkennbare Fotokopie u.Ä. 30 Wird eine Reproduktion einer Urkunde angefertigt, die den Anschein einer Originalurkunde erweckt, so enthält das Schriftstück keine Aussage über das, was in einem anderen Schriftstück enthalten ist, sondern es wird der Anschein erweckt, dass hier eine eigene Erklärung des angeblichen Ausstellers vorliegt, für die dieser einstehen wolle. Damit liegt eine unechte Urkunde vor. 27
23
Vgl. BGHSt 24 S. 140 f; BGH StV 1993 S. 524; BayObLG NJW 1990 S. 3221; BayObLG NJW 1992 S. 3311; OLG Dresden wistra 2001 S. 360; ERB G A 1998 S. 577 ff; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 52 Rdn. 13; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 1 0 5 , 1 1 1 ; KÜPER B . T . , S. 2 9 8 f f ; RENGIER B . T . I I , § 3 2 R d n . 2 5 f f ; ZACZYK NJW 1989 S. 2516. - A . A . FREUND Urkundenstraftaten, Rdn. 127; GEPPERT Jura 1990 S. 273 f; MLTSCH NStZ 1994 S. 88 f; PUPPE NK, § 267 Rdn. 20 ff; DIES. BGH-FG, S. 576 ff; SCHRÖDER JR 1971 S . 469.
24
Vgl. BGHSt 5 S. 291; BGH NStZ 1994 S. 88; BGH StV 2001 S. 624; BayObLG NJW 1991 S. 2163; OLG Düsseldorf JR 2001 S. 82 mit Anm. ERB NStZ 2001 S. 317 f, PUPPE NStZ 2001 S. 482 ff, WOHLERS JR 2001 S. 83 f; einschränkend BGHSt 20 S. 17. - Dagegen mit Recht ablehnend: ERB GA 1 9 9 8 S. 5 9 0 f; HOYER S K II, § 2 6 7 R d n . 8 8 ; JESCHECK G A 1 9 5 5 S. 1 0 5 ; KÜPER B . T . , S . 3 0 7 f; D . MEYER MDR 1973 S. 9 ff; OTTO JUS 1987 S. 768; PUPPE BGH-FG, S. 576. - Im Ergebnis auch BayObLG NJW 1992 S. 3311 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 267/16, das der Vorlage fiir eine Kopie,
25
26
die nur zum Kopieren geschaffen wurde, die Urkundenqualität abspricht. BGH StV 2 0 0 3 S. 5 5 8 mit Anm. GEPPERT JK 0 4 , StGB § 2 6 7 / 3 1 ; OLG Düsseldorf NJW 2 0 0 1 S. 1 6 7 mit Anm. GEPPERT JK 0 1 , StGB § 2 6 7 / 2 9 , PUPPE NStZ 2 0 0 1 S. 4 8 2 f. Vgl. auch O L G Zweibrücken N J W 1 9 9 8 S. 2 9 1 8 mit Anm. BECKEMPER JUS 2 0 0 0 S . 123 ff, GEPPERT J K 9 9 , StGB § 2 6 7 / 2 5 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD Β . Τ . 2 , § 6 5 Rdn. 3 9 ; TRÖNDLE/FISCHER § 267 Rdn. 12 b; WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 811. - A.A. FREUND Urkundenstraftaten, Rdn. 127; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 1 2 3 ; HARDTUNG JUS 1 9 9 8 S. 7 2 2 ; HOYER S K II § 2 6 7 R d n . 2 1 f; PUPPE N K , § 2 6 7 Rdn. 2 0 ff.
27
400
Vgl. OLG Zweibrücken NJW 1982 S. 2268; OLG Köln StV 1987 S. 297; BayObLG JZ 1988 S. 727; BayObLG NJW 1992 S. 3311 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 267/16; HEFENDEHL Jura 1992 S. 375; KINDHÄUSER StGB, § 267 Rdn. 29; LACKNER/KÜHL § 267 Rdn. 16; ZACZYK NJW 1989 S. 2515.
Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
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g) Computerausdrucke Computerausdrucke, denen der Aussteller zu entnehmen ist und die vom Aussteller autori- 31 siert wurden, sind Urkunden, wenn sie eine rechtserhebliche Erklärung enthalten. 28 3. Die unechte Urkunde Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie nicht von dem herrührt, der aus ihr als Aussteller 32 hervorgeht. Auf die inhaltliche Wahrheit oder Unwahrheit der Erklärung kommt es hingegen nicht an. Wer „schriftlich lügt", stellt keine unechte, sondern eine echte, aber unwahre Urkunde her. 4. Die einzelnen Tathandlungen Der Tatbestand unterscheidet drei Alternativen: Das Herstellen einer unechten Urkunde (1. Alternative), das Verfälschen einer echten Urkunde (2. Alternative) und das Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde (3. Alternative). Diese Tathandlungen setzen jeweils voraus, dass der Täter zur Täuschung im Rechtsverkehr handelt, a) Herstellen einer unechten Urkunde Eine unechte Urkunde stellt her, wer den Anschein erweckt, dass sie von einer anderen Person als dem wirklichen Aussteller herrührt, aa) Vertretung bei der Unterzeichnung Wie bei der Bestimmung des Ausstellers der Urkunde klargestellt wurde, ist Aussteller der Urkunde nicht deijenige, der sie körperlich herstellt, sondern derjenige, dem sie als Aussteller - unter bestimmten Voraussetzungen; vgl. dazu Rdn. 10 ff - zugerechnet wird. Bei der Abgabe unwahrer Erklärungen durch einen Vertreter im Sinne des Urkundenstrafrechts ist danach entscheidend dafür, ob eine unechte Urkunde hergestellt wird oder nicht, wie weit dem Vertretenen - nach den unter Rdn. 10 ff genannten Kriterien - die Erklärung als eigene zugerechnet wird.
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BayObLG NJW 1981 S. 774: Α hatte vor Antritt der Fahrt mit dem Kraftfahrzeug die Diagrammscheibe des Fahrtenschreibers mit dem erfundenen Namen „S" ausgefüllt, um bei einer eventuellen Kontrolle eine Lenkzeitüberschreitung zu verheimlichen. BayObLG: Α hat eine unechte Urkunde hergestellt, wenn er die Eintragung ohne Einwilligung des Fahrzeughalters vorgenommen hat. „... Dann kann dem Halter die Erklärung im Sinne der Geistigkeitstheorie nicht zugerechnet werden, was zur Unechtheit der Urkunde führt. Bei solcher Fallgestaltung wird der Halter als Aussteller vorgetäuscht, während die Urkunde in Wirklichkeit in dieser Form vom Angeklagten herrührt, so daß eine Täuschung über die Person des Ausstellers als dem geistigen Urheber der Erklärung vorliegt".
Dass es in diesen Fällen darauf ankommt, wie weit der unmittelbar Handelnde zur Abgabe 37 von Erklärungen ermächtigt ist, und insbesondere, ob seine Ermächtigung auch die Abgabe unwahrer Erklärungen umfasst, ist in der Rechtsprechung nicht immer deutlich genug herausgearbeitet worden. In vielen Entscheidungen wird der Eindruck erweckt, als komme es nur darauf an, ob eine Urkundenfälschung vorläge, wenn der Vertretene selbst gehandelt hätte. 29
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D a z u HEINRICH C R 1 9 9 7 S. 6 2 6 ; KÜPER B . T . , S . 3 0 2 ; WELP S t r e e / W e s s e l s - F S , S. 5 1 9 ; ZIELINSKI A r -
min Kaufmann-GedS, S. 605 ff, 627. - Zur Urkundenfälschung mittels Scanner und Bildbearbeitung in einem PC: BGH wistra 1999 S. 423. 29
Vgl. KG VRS 57 S. 121 mit Anm. GEILEN JK, StGB § 267/3; OLG Stuttgart NJW 1981 S. 1223; dazu OTTO JUS 1987 S. 764 f; PUPPE JZ 1986 S. 943; deutlich differenzierend wiederum BayObLG NJW
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§70
38
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
In anderen Entscheidungen stellen die Gerichte nicht die Frage, wer sich als Aussteller zu der Erklärung bekennen will und soll, sondern stellen darauf ab, ob der „Vertreter" eine rechtswirksame Erklärung für den „Vertretenen" abgegeben hat. BayObLG JR 1990 S. 251 mit Anm. OTTO S. 252 ff: Der Α unterschrieb eine Lohnbescheinigung mit Kenntnis und Billigung der Ehefrau mit ihrem Namen, um dem Finanzamt eine Aushilfstätigkeit seiner Ehefrau vorzutäuschen und dadurch den Lohn für von ihm selbst geleistete Arbeit ohne Abzüge ausgezahlt zu bekommen. BayObLG: Da Α den Namen seiner Ehefrau, wenn auch mit deren Erlaubnis, benutzte, um im Rechtsverkehr über den Empfänger des Geldes zu täuschen, liegt eine Urkundenfälschung vor. Dem kann nicht gefolgt werden, denn das BayObLG identifiziert hier die Täuschung Uber die Person des Ausstellers mit einer Täuschung über das Vorliegen eines Vertragsverhältnisses.
39 Grundsätzlicher Ausgangspunkt der Zurechnung einer Erklärung des „Vertreters" als Erklärung des „Vertretenen" ist in den Fällen des Handelns für eine andere natürliche Person jedoch stets der Wille des „Vertreters", befugt für den „Vertretenen" zu handeln, sowie der Wille des „Vertretenen", sich zu der Erklärung zu bekennen. - Diese Theorie der Zurechnung einer Erklärung wird in der Rechtsprechung beim Handeln für Behörden, juristische Personen oder Handelsgesellschaften, d.h. für nicht natürliche Personen, zu einer reinen Theorie der inhaltlichen Zurechnung der relevanten Erklärung ausgedehnt. Die fehlende rechtliche Befugnis, bestimmte Erklärungen abzugeben, wird zur Grundlage der Urkundenfälschung nicht aber die Täuschung über die Person des Ausstellers. Das hat die Konsequenz, dass die Unterzeichnung einer Urkunde mit eigenem Namen, aber mit der Behauptung, fur eine andere natürliche Person zu handeln, als schriftliche Lüge behandelt wird 30 , während die Täuschung über die Vertretungsmacht einer Gesellschaft die Urkunde zur unechten macht. BGHSt 17 S. 11: A, ein Kommanditist, der nicht zur Vertretung der KG berechtigt war, stellte für die KG Wechsel aus und akzeptierte sie für diese, wobei er unter Beisetzung des Firmenstempels mit seinem richtigen Namen unterzeichnete. BGH: Α ist der Urkundenfälschung schuldig. 3 1
40 Damit wird das Delikt der Urkundenfälschung uminterpretiert. Aus dem Delikt gegen die Echtheit der Urkunde ist ein Delikt gegen die inhaltliche Wahrheit der Urkunde geworden. Mittel dieser Umdeutung ist eine unterschiedliche Verwendung des Begriffs des Ausstellers der Urkunde. Wird das Urkundendelikt als Delikt gegen die Echtheit der Urkunde bestimmt, so kann Aussteller nur deijenige sein, der die Urkunde hergestellt hat, d.h. eine natürliche Person. Hat diese Person eine andere Person befugt bei der Herstellung der Urkunde vertreten, so wird der Begriff des Herstellers erweitert, weil der körperliche Akt der Urkundenherstellung dann vernachlässigt werden kann, wenn der aus der Urkunde ersichtliche Hersteller sich lediglich bei der Anfertigung der Urkunde vertreten ließ. Hier will und
1 9 8 8 S. 1 4 0 1 m i t A n m . OTTO J K 8 8 , S t G B § 2 6 7 / 1 1 , PUPPE JUS 1 9 8 9 S. 3 6 1 f ; B a y O b L G N J W
1988
S. 2190; BayObLG wistra 1992 S. 113. 3 0
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V g l . B G H N J W 1 9 9 3 S. 2 7 5 9 m i t A n m . OTTO J K 9 4 , S t G B § 2 6 7 / 1 9 .
Vgl. dazu auch BGHSt 7 S. 149; 9 S. 44; BGH StV 1986 S. 156; BGH StV 1993 S. 307; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 1 7 5 f ; HOYER S K II, § 2 6 7 R d n . 6 1 ; KREY B . T . l , R d n . 7 1 1 ; KÜPPER B . T . , II § 1 R d n . 3 1 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 19; PUPPE N K , § 2 6 7 R d n . 7 3 ; RENGIER B . T . I I , § 3 3 R d n . 10. - A . A . OTTO JUS 1 9 8 7 S. 7 6 6 ; RHEINECK F ä l s c h u n g s b e g r i f f , S . 1 5 4 ; SAMSON J u S 1 9 7 0 S . 3 7 4 f ; STEINMETZ
Echtheitsbegriff, S. 80.
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Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
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soll er derjenige sein, auf den die Urkunde als ihren Urheber zurückverweist. Eine Behörde, Handelsgesellschaft oder juristische Person kann in diesem Sinne niemals Urheber einer Urkunde sein. Wenn sie als Aussteller einer Urkunde benannt wird, dann geht es nicht um die Kennzeichnung des Urhebers der Urkunde, sondern um den Ausweis des aus der Urkunde rechtlich Befugten oder Verpflichteten. Geschützt wird nicht das Vertrauen, dass der aus der Urkunde als Unterzeichner ersichtliche Hersteller der Urkunde diese auch hergestellt hat, geschützt wird nunmehr das Vertrauen, dass der aus einer Urkunde ersichtliche Verpflichtete oder Berechtigte auch rechtswirksam verpflichtet oder berechtigt ist. Relevanter Prüfungsgegenstand ist nun nicht mehr, ob „Brief und Siegel" derart übereinstimmen, dass der aus der Unterschrift ersichtliche Namensträger sich auch zu der Erklärung bekennt, bzw. ob sie ihm zuzurechnen ist. Wesentlich allein ist jetzt die Frage, ob der aus der Urkunde ersichtliche Unterzeichner Vollmacht zur Abgabe der Erklärung für das aus dem Briefkopf u.Ä. ersichtliche Unternehmen hatte. Leider hält die Rechtsprechung in derartigen Fällen ihre Prämisse, dass die Urkunden- 41 falschung in der Täuschung über die Vertretungsbefugnis liege, nicht konsequent durch. BGHSt 33 S. 159: Der A war Inhaber mehrerer Firmen, deren Geschäfte er faktisch führte, während nach außen so getan wurde, als seien dritte Personen (Strohmänner) Inhaber dieser Firmen. Α bezweckte mit diesem Verschleierungsmanöver, fingierte Rechnungen unter dem Namen der Strohmänner an sich selbst auf den Firmenbögen auszustellen, um staatlichen Stellen Aufwendungen vorzuspiegeln, für die er Ersatz verlangen konnte. BGH: Die von Α gefertigten Rechnungen waren unechte Urkunden, denn wirklicher und nach außen hin für den beteiligten Personenkreis nicht erkennbarer Aussteller war der A. Gerade auf die Identität des Ausstellers erstreckte sich aber der Beweiswert der Belege. Dieses Ergebnis kann nicht befriedigen, denn Α als Inhaber und faktischer Geschäftsführer der Firmen war zumindest nach den Grundsätzen der faktischen Geschäftsführung - befugt, Erklärungen für die ihm gehörenden Firmen abzugeben. Wenn der BGH dennoch zu dem Ergebnis kommt, Α habe über den Aussteller der Urkunden getäuscht, setzt er sich damit zu den von ihm bisher vertretenen Prämissen in Widerspruch. 32
Maßgeblich ist die Rechtswirksamkeit der Erklärung hingegen, wo eine höchstpersönliche 42 Unterzeichnung rechtlich vorgeschrieben ist. Eine unechte Urkunde stellt daher auch her, wer unzulässigerweise mit fremdem Namen unterzeichnet, so z.B., wenn ein Testament mit dem Namen des Erblassers von einem Dritten unterzeichnet wird oder jemand unter dem Namen eines anderen eine höchstpersönliche Prüfungsleistung erbringt. Wer hingegen eine schriftliche Gedankenerklärung zu seiner eigenen macht und damit zum Ausdruck bringt, dass er sich zu ihr bekennt und sich an sie gebunden fühlt, stellt keine unechte Urkunde her, selbst wenn die Verwendung der fremden Gedankenerklärung verboten ist. So z.B., wenn jemand eine fremde Prüfungsleistung als eigene ausgibt-'·' oder ein von einem anderen geschriebenes Testament als eigenes unterschreibt.^
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V g l . d a z u OTTO JUS 1 9 8 7 S. 7 6 5 f f ; PAEFFGEN J R 1 9 8 6 S. 114 ff; PUPPE J u r a 1 9 8 6 S. 2 2 ff; DIES. J Z 1 9 8 6 S. 9 4 2 f; WEIDEMANN N J W 1 9 8 6 S. 1 9 7 6 ff.
BayObLG NJW 1981 S. 772 mit Anm. SCHROEDER JuS 1981 S. 417 ff. - Vgl. auch BGH StV 2003 S. 558.
34
Vgl. auch WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 830. - A.A. OLG Düsseldorf NJW 1966 S. 749 mit Anm. MOHRBOTTER S. 1421 f, OHR J u S 1 9 6 7 S. 2 5 5 ff.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
bb) Namenstäuschung und Identitätstäuschung 43 Die Täuschung über die Identität des Ausstellers der Urkunde erfolgt im Regelfall durch Namenstäuschung. Die Namenstäuschung ist aber keineswegs zwingende Tatvoraussetzung. 44 Einerseits kann die Täuschung über die Identität des Ausstellers auch beim Gebrauch des richtigen Namens erfolgen, wenn andere Personaldaten nach der Verkehrssitte zur Identifizierung dienen oder genügen, so z.B. wenn dem Namen die Bezeichnung „sen.", ein unrichtiges Geburtsdatum oder eine unrichtige Anschrift zugefügt wird. 35 Andererseits ist nicht jede Namenstäuschung als Identitätstäuschung zu interpretieren. Maßgeblich ist vielmehr, ob trotz Verwendung eines falschen Namens im Kreise der Beteiligten ein Irrtum über die Person des Ausstellers ausgeschlossen ist, weil seine Identität unzweifelhaft ist oder aber keinerlei Interesse an dieser Identität besteht. 36 45 Keine unechte Urkunde stellt demgemäss her, wer mit einem ihn allgemein oder in den beteiligten Kreisen hinreichend kennzeichnenden Namen, z.B. einem Decknamen, Künstlernamen, Spitznamen oder sonstigen Pseudonym, unterschreibt. Gleiches gilt für denjenigen, der ständig unter falschem Namen lebt und daher ohne weiteres als ausstellende Person identifiziert werden kann. Schließlich kann auch bei einer schlichten Namenstäuschung eine echte Urkunde hergestellt werden, wenn ein Irrtum über die Person des Ausstellers in den beteiligten Kreisen ausgeschlossen ist oder keinerlei Interesse an der Identität besteht. 46 Die bloße Möglichkeit einer Verwechslung der Identität begründet noch keine Täuschung über den Aussteller, wenn dieser sich persönlich zu seiner Erklärung bekennen will. Keine unechte Urkunde wird daher bei der Unterzeichnung im eigenen Namen hergestellt, wenn eine andere Person gleichen Namens für den Aussteller gehalten werden soll. Hier liegt u.U. ein Betrug, nicht aber eine Urkundenfälschung vor. Beispiel: Der vermögenslose X unterzeichnet einen Wechsel in der Hoffnung, dieser Wechsel werde als Wechsel seines vermögenden Namensvetters angesehen. Niemand käme auch nur auf die Idee, die Herstellung einer unechten Urkunde läge vor, wenn der im Beispielsfall genannte X nicht vermögenslos wäre, sondern genauso wohlhabend wie sein Namensvetter. 37 Anders natürlich, wenn der Namenszug des Namensvetters nachgeahmt wird, denn hier kommt in der Urkunde die Identitätstäuschung zum Ausdruck.
b) Verfalschen einer echten Urkunde 47 Verfälscht ist eine Urkunde, wenn sie durch eine unbefugte, nachträgliche Änderung etwas anderes aussagt als der Aussteller erklärt hat. BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 23: Sachlich handelt es sich hier um die Vernichtung einer echten Urkunde und um das Herstellen einer neuen, unechten Urkunde, so dass Verfälschen statt Vernichtung und Herstellung dann vorliegt, wenn nach der Tat eine Urkunde desselben Ausstellers wie zuvor, jedoch mit anderem Inhalt, gegeben ist.
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36
B G H S t 4 0 S. 2 0 3 , 2 0 5 f f m i t z u s t . A n m . MEURER N J W 1 9 9 5 S. 1 6 5 5 , OTTO J K 9 5 , S t G B § 2 6 7 / 2 0 , u n d a b l . A n m . PUPPE J Z 1 9 9 7 S. 4 9 2 , SANDER/FEY J R 1 9 9 5 S . 2 0 9 f; FREUND U r k u n d e n s t r a f t a t e n , R d n . 1 6 0 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 19.
Dazu RGSt 48 S. 241; BGHSt 1 S. 121; 33 S. 160; BGH StV 1997 S. 636; OLG Celle NJW 1986 S. 2 7 7 2 ; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 1 6 6 ; KREY B . T . l , R d n . 7 0 4 f; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 18; OTTO J u S 1 9 8 7 S. 7 6 7 f. - A . A . HOYER S K II, § 2 6 7 R d n . 5 8 ; PUPPE J u r a 1 9 8 6 S. 2 6 .
37
Vgl. BGH StV 1986 S. 156 mit Anm. OTTO JK, StGB § 267/8; PUPPE NK, § 267 Rdn. 70. - A.A. OLG Schleswig SchlHA 1973 S. 184; KREY B.T.l, Rdn. 706; LACKNER/KÜHL §267 Rdn. 19; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 5 R d n . 5 8 .
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Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
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Eine selbständige Bedeutung soll das Verfalschen hingegen haben, wenn der Aussteller 48 selbst der Urkunde nachträglich einen anderen Inhalt gibt, nachdem ein Dritter bereits ein Beweisfuhrungsrecht an der Urkunde erlangt hat. KG wistra 1984 S. 233: Α hatte Steuervorteile für in Berlin produzierte Waren und angefallene Dienstleistungen in Anspruch genommen. Der Beweis dieser Leistungen wurde durch Vorlage von Rechnungsdurchschlägen geführt. Es ergab sich, dass die auf den Originalrechnungen vorhandenen erforderlichen Herkunftsvermerke auf einer Reihe von Rechnungsdurchschriften fehlten. A, der befürchtete, die Steuervorteile zurückerstatten zu müssen, ließ die Vermerke nachträglich auf die Rechnungsdurchschläge setzen. KG: Α hat die Rechnungsdurchschriften verfälscht. „Unter 'Verfälschen' wird nach einhelliger Ansicht jede nachträgliche Veränderung des gedanklichen Inhalts einer Urkunde verstanden, durch die der Anschein erweckt wird, als habe der Aussteller die Erklärung von Anfang an so abgegeben, wie sie nach der Veränderung vorliegt. Entscheidend hierfür ist, dass die Urkunde infolge des Eingriffs eine andere rechtserhebliche Tatsache zu beweisen scheint als vorher, daß sich auch ihre ursprüngliche Beweisrichtung geändert hat".
Dieses Ergebnis entspricht der einst h.M. 38 , ist heute jedoch in Frage gestellt, denn durch 49 die nicht „ausstellerbezogene", sondern zugleich „erklärungsbezogene" Interpretation des Merkmals „echt" in § 267 wird in Wirklichkeit der Schutzbereich des § 267 in diesem Einzelfall um den des § 274 erweitert: Dem Angriff auf die Echtheit der Urkunde wird der Angriff auf den inhaltlichen Fortbestand der Urkunde gleichgestellt. Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Bestandsschutz von Urkunden von weiteren Strafwürdigkeitselementen - § 274 I Nr. 1: Nachteilsabsicht; § 133: dienstliche Verwahrung - abhängig zu machen, wird damit missachtet und umgangen, der vom Gesetzgeber gewährte Strafrechtsschutz über die gesetzlichen Grenzen hinaus ausgedehnt.39 c) Gebrauch einer unechten oder verfälschten Urkunde Gebraucht ist die unechte oder verfälschte Urkunde, wenn sie der Wahrnehmung des zu 50 Täuschenden so zugänglich gemacht ist, dass die Möglichkeit der Kenntnisnahme ohne weiteres besteht. Das bloße MitsichfÜhren der Urkunde (BGH StV 1989 S. 304) oder das Hinterlegen, um die Kenntnisnahme demnächst zu eröffnen (BGHSt 36 S. 64), ist demgemäss noch kein Gebrauchmachen.
Zum Gebrauchmachen von der Urkunde durch Vorlage einer Fotokopie vgl. Rdn. 28.
51
5. Der subjektive Tatbestand a) Der Vorsatz - bedingter genügt - muss neben der Tathandlung (Herstellen, Verfalschen, 52 Gebrauchmachen) die Merkmale umfassen, die die Urkundeneigenschaft begründen. b) Zur Täuschung im Rechtsverkehr handelt, wer einen anderen über die Echtheit der Ur- 53 künde täuschen und dadurch zu einem rechtlich erheblichen Verhalten veranlassen will. 38
Zur h.M. vgl. BGHSt 13 S. 382; BGH wistra 1989 S. 100 mit krit. Anm. PUPPE JZ 1991 S. 550 f; OLG Stuttgart NJW 1978 S. 715 mit zust. Anm. KÜHL JA 1978 S. 527, und krit. Anm. PUPPE JR 1978 S. 206 ff; OLG Koblenz NJW 1995 S. 1624 mit Anm. Otto JK 95, StGB § 267/21, PUPPE JZ 1997 S. 491; AG Pfaffenhofen NStZ-RR 2004 S.170 mit Anm. OTTO JK 04, StGB § 267/32; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 5 2 R d n . 19; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 2 0 4 ; JAKOBS U r k u n d e n f ä l s c h u n g , S. 6 7 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 7
Rdn. 21; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 6 5 Rdn. 64 f; PAEFFGEN Jura 1980 S. 487; RENGIER B.T.II, § 33 Rdn. 24; TRÖNDLE/FISCHER § 267 Rdn. 1 9 a . - Einschränkend: OLG Düsseldorf NJW 1998 S. 692 mit Anm. KRACK JR 1998 S. 479, OTTO JK 98, StGB § 267/24, wenn die nachträgliche Änderung inhaltlich der Wahrheit entspricht. 3 9
S o a u c h FREUND U r k u n d e n s t r a f t a t e n , R d n . 2 9 ff, 3 5 ; HOYER S K II, § 2 6 7 R d n . 8 3 ; ARMIN KAUFMANN
ZStW 71 (1959) S. 411; KIENAPFEL JR 1975 S.515; KÜPPER B.T.l, II § 1 Rdn. 43; LAMPE GA 1964 S. 3 2 7 ff; MAJWALD Z S t W 9 1 ( 1 9 7 9 ) S . 9 5 8 ; OTTO J u S 1 9 8 7 S. 7 6 8 f; PUPPE J R 1 9 7 8 S. 2 0 7 ; DIES. J Z 1 9 8 6 S. 9 4 4 f; DIES. N K , § 2 6 7 R d n . 8 6 ff; SCHILLING S c h u t z , S . 110 ff; SCHMIDHÄUSER B . T . , 14/20; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 7 R d n . 6 8 .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Beispiele: Absicht der Täuschung im Rechtsverkehr ist gegeben, wenn die Urkunde im Prozess als Beweismittel dienen soll, wenn die Polizei irregeführt oder aufgrund der Urkunde ein Kredit erschlichen werden soll. - Auch wenn der Beweis Uber ein wirklich bestehendes Rechtsverhältnis mit einer verfälschten Urkunde erbracht wird, so ändert das nichts daran, dass von einer verfälschten Urkunde Gebrauch gemacht wird. Gleiches gilt, wenn, wie bei einem Führerschein, die Urkunde durch die Verfälschung als ganze ungültig geworden ist. 4 " - Nicht hingegen, wenn jemand nur vor anderen angeben oder aus Eitelkeit über sein Alter täuschen will.
54 Des rechtserheblichen Verhaltens des anderen muss sich der Täter bewusst sein (direkter Vorsatz), es braucht ihm nicht darauf anzukommen.41 55 c) Nach der Klarstellung durch § 270 handelt der Täter auch dann zur Täuschung im Rechtsverkehr, wenn er die fälschliche Beeinflussung einer Datenverarbeitung, die sich im konkreten Fall auf rechtserhebliche Daten bezieht, bewirken will. 6. Schwere Fälle der Urkundenfälschung a) Besonders schwere Fälle, Abs. 3 56 Mit dem 6. StrRG hat der Gesetzgeber Regelbeispiele für besonders schwere Fälle der Urkundenfälschung in das Gesetz aufgenommen. Gewerbs- und bandenmäßiges Handeln (Nr. 1), Vermögensverlust großen Ausmaßes (Nr. 2), erhebliche Gefahrdung des Rechtsverkehrs (Nr. 3) und den Missbrauch der Stellung als Amtsträger (Nr. 4). - Bei der erheblichen Gefahrdung des Rechtsverkehrs muss der Rechtsverkehr konkret gefährdet sein, im übrigen vgl. zu den anderen Beispielen § 51 Rdn. 107 f, 110, 113. b) Qualifizierte Urkundenfälschung, Abs. 4 57 Qualifiziert ist die Urkundenfälschung bei banden- und gewerbsmäßigem Handeln, Abs. 4; im einzelnen dazu die entsprechenden Ausfuhrungen unter § 51 Rdn. 107,113. 7. Das Verhältnis der einzelnen Alternativen zueinander 58 Hat der Täter von Anfang an die Absicht, die gefälschte oder verfälschte Urkunde in bestimmter Weise zu gebrauchen, so bilden Fälschung oder Verfälschung und Gebrauch eine natürliche Handlungseinheit. Mit dem Gebrauchmachen wird das Delikt materiell beendet. Es liegt nur eine Tat vor. Das gilt auch, wenn der Täter von Anfang an die Urkunde mehrfach gebrauchen will. - Entspricht der spätere Gebrauch hingegen nicht dem früheren Plan oder fasst der Täter nach einem Gebrauch einen erneuten Entschluss, weiter von der Urkunde Gebrauch zu machen, so liegen zwei selbständige Handlungen vor. 42
II. Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 1. Das Angriffsobjekt a) Beweiserhebliche Daten 59 Der Begriff der Daten umfasst - wie beim Computerbetrug; vgl. § 52 Rdn. 31 - alle Informationen, die sich kodieren lassen. Ausdrücklich begrenzt ist der relevante Bereich der Daten jedoch auf beweiserhebliche Daten. Wie sich allerdings aus dem gesetzlich zwin40 41
BGHSt 33 S. 105; dazu OTTO JuS 1987 S. 770 m.w.N. Fn. 91 ff. So auch: BayObLG NJW 1998 S. 2917 mit Anm. GEPPERT JK 99, StGB § 267/25; CRAMER JZ 1968 S . 3 0 ; GRIBBOHM L K , § 2 6 7 R d n . 2 7 0 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 7 R d n . 2 5 ; LENCKNER N J W 1 9 6 7 S. 1 8 9 0 f f . - A . A . HOYER S K II, § 2 6 7 R d n . 9 1 .
42
Vgl. BGHSt 5 S. 293; 17 S. 97; BGH NStZ-RR 1998 S. 269 mit Anm. GEPPERT JK 99, StGB § 267/26; MIEHE G A 1 9 6 7 S. 2 7 5 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 6 7 R d n . 7 9 b .
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Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
gend geforderten hypothetischen Vergleich mit der Urkunde ergibt, kommt dem Merkmal der Beweiserheblichkeit nur deklaratorische Bedeutung zu, denn wenn die relevanten Daten im Falle ihrer visuellen Wahrnehmung einer (unechten oder verfälschten) Urkunde entsprechen sollen, so müssen sie - abgesehen von ihrer visuellen Wahrnehmbarkeit - den Urkundsvoraussetzungen - vgl. dazu Rdn. 1 - genügen: Sie müssen - wenn auch nicht visuell erkennbar - stofflich fixiert, d.h. verkörpert sein (Perpetuierungsfunktion), sie müssen eine Gedankenerklärung enthalten, die im Rechtsverkehr Bedeutung erlangen kann (Beweisfunktion), und sie müssen ihren Aussteller, d.h. denjenigen, der fur die Erklärung einzustehen hat, erkennen lassen (Garantiefunktion). 43 b) Mehrheit von Daten Ob der rechtserhebliche Aussagegehalt sich aus einem einzigen Datum, aus einer Mehrheit von Daten oder erst aus einem Datum im Kontext mit anderen bereits gespeicherten Daten ergibt, ist irrelevant. Möglich sind auch Konstellationen, die der Gesamturkunde - mehrere Datenbestände enthalten rechtserhebliche Aussagen, deren Zusammenfassung eine selbständige, über den bisherigen Aussagegehalt hinausgehende Aussage enthält - oder der zusammengesetzten Urkunde - beweiserhebliche Daten sind in körperlichen Gegenständen gespeichert, die mit anderen Objekten, auf die sich die Daten beziehen, fest zu einer „Beweiseinheit" verbunden sind; vgl. dazu die Ausfuhrungen unter Rdn. 25 f - entsprechen. c) Erkennbarkeit des Ausstellers Aus der Garantiefunktion der Daten folgt, dass ihr Aussteller erkennbar sein muss. Diese Erkennbarkeit braucht sich nicht aus der Datenspeicherung als solcher zu ergeben. Aus dem Gesamtsystem der gespeicherten Daten und den Möglichkeiten, sie u.U. visuell wahrnehmbar zu machen, muss sich aber der Aussteller identifizieren lassen. Daher genügt es, wenn der Aussteller z.B. durch den Ausdruck der Daten, durch Programmanweisungen oder durch Zugangsbeschränkungen für die Teilnehmer am Datenverkehr ersichtlich wird. 44 Keineswegs aber ist es notwendig, dass überhaupt die Möglichkeit besteht, dass die gespeicherten Daten als solche der menschlichen Wahrnehmung zugänglich gemacht werden können. 44a Ist jedoch auch nach Nutzung eventuell vorhandener „Auslegungsbehelfe" kein bestimmter Aussteller erkennbar, so entfallt der Tatbestand. Da Inhaber und Betreiber einer Datenverarbeitungsanlage sowie für das Programm Verantwortliche und Verfügungsberechtigte in der Regel verschiedene Personen sind, ist der Aussteller, wie bei der Urkundenfälschung - dazu Rdn. 10 -, nach den Regeln der normativ modifizierten sog. Geistigkeitstheorie zu bestimmen: Aussteller ist, wer sich die Daten nach außerstrafrechtlichen Regeln - rechtlich zurechnen lassen muss.45
4 3
Vgl.
dazu
auch
KINDHÄUSER
NER/WINKELBAUER CR
StGB,
§
269
Rdn.
5
ff;
LACKNER/KÜHL
§269
Rdn.
4;
LENCK-
1986 S. 825. - Eine DV-spezifische Begriffsbestimmung schlagen
vor:
DORNSEIF/SCHUMANN J R 2 0 0 2 S. 5 7 . 4 4
V g l . d a z u G R A N D E R A T H D B 1 9 8 6 , B e i l a g e 18, S . 5 ; L A C K N E R / K Ü H L § 2 6 9 R d n . 6 ; M Ö H R E N S C H L A G E R
wistra 1986 S. 134 f; RADTKE ZStW 115 (2003) S. 56 ff. 44a
4 5
Vgl. dazu einerseits HOYER SK II, § 269 Rdn. 2, andererseits SCH/SCH/CRAMER, § 269 Rdn. 8. - Offengelassen in B G H StV 2004 S. 21 mit Anm. OTTO JK 04, StGB § 269/1. V g l . d a z u LACKNER/KÜHL § 2 6 9 R d n . 6 ; LENCKNER/WINKELBAUER C R 1 9 8 6 S. 8 2 5 ; MÖHRENSCHLA-
GER wistra 1986 S. 135; PUPPE N K , § 269 Rdn. 9; ZLELINSKI Armin Kaufmann-GedS, S. 620 ff, 627.
407
60
61
62 63
§70
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
2. Die Tathandlung 64 Tathandlungen sind das dem Herstellen einer unechten Urkunde entsprechende Speichern unechter Daten, das der Verfälschung einer echten Urkunde entsprechende Verändern von Daten sowie das dem Gebrauchmachen unechter oder verfälschter Urkunden entsprechende Gebrauchen unechter oder veränderter Daten. 65 Unecht gespeichert sind Daten, wenn bei ihrer Wahrnehmung eine unechte Urkunde vorläge, d.h. wenn der Speichernde den Anschein erweckt, fur die Datenspeicherung sei nicht er verantwortlich, sondern derjenige, dem die Daten zugerechnet werden. - Verändert sind Daten, wenn bei ihrer Wahrnehmung eine verfälschte Urkunde vorläge, d.h. wenn der Täter den Anschein erweckt, die Daten hätten den durch die Veränderung erlangten Inhalt von Anfang an besessen bzw. die Veränderung hätte der Berechtigte vorgenommen. - Gebraucht sind die unechten oder verfälschten Daten, wenn sie dem zu Täuschenden - z.B. durch Sichtbarmachen auf dem Bildschirm - zur Kenntnis gebracht oder verfügbar gemacht worden sind. Erfolgt das Gebrauchmachen allerdings durch Vorlage eines Ausdrucks der Daten, der den Aussteller erkennen lässt, so erfüllt dieses Verhalten bereits den Tatbestand des § 267. 46 3. Der subjektive Tatbestand 66 Subjektiv muss der Täter vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und zur Täuschung im Rechtsverkehr - dazu vgl. Rdn. 53 ff - handeln. 4. Schwere Fälle der Fälschung beweiserheblicher Daten, Abs. 3 67 Gemäß Abs. 3 gelten für schwere Fälle der Fälschung beweiserhebliche Daten § 263 Abs. 3,4 entsprechend, vgl. dazu unter Rdn. 56. 5. Konkurrenzen 68 a) Für die verschiedenen Begehungsweisen des § 269 untereinander gelten die für § 267 entwickelten Grundsätze; vgl. Rdn. 58. 69 b) Bei einem Zusammentreffen von §§ 268, 269 besteht aufgrund der verschiedenen geschützten Rechtsgüter Idealkonkurrenz. 70 c) Wird der unechte Datenbestand zu einer unechten Urkunde ausgedruckt und diese zur Täuschung in Rechtsverkehr gebraucht, so wird § 269 von § 267 konsumiert. Zwar sind §§ 267, 269 nach Unrechtsart und -qualität gleichwertig. Nach der Intention des Gesetzgebers kommt dann § 269 aber gegenüber § 267 die Funktion zu, Strafbarkeitslücken zu schließen. Das rechtfertigt es, § 267 beim Zusammentreffen mit § 269 Vorrang einzuräumen. 47 - Kommt es nur zum Versuch des § 267, so konsumiert § 269 diesen als mitbestrafte Nachtat.
46
Vgl. im Einzelnen dazu LENCKNER/WINKELBAUER CR 1986 S. 825 f; MÖHRENSCHLAGER wistra 1986
4 7
Vgl.
S . 1 3 5 ; PUPPE N K , § 2 6 9 R d n . 3 6 . auch
LACKNER/KÜHL
§269
Rdn.
12;
LENCKNER/WINKELBAUER
CR
1986
GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 5 2 Rdn. 7 8 ; PUPPE N K , § 2 6 5 Rdn. 3 9 ; TRÖNDLE/FISCHER
408
S. 8 2 6 .
-
A.A.
§ 2 6 9 Rdn. 9.
Angriffe gegen die Echtheit der Urkunde
§70
III. Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahrzeugpapieren, §§ 275, 276 a 1. Als strafbare Vorbereitungshandlungen zur Urkundenfälschung nach § 267 stellt § 275 71 bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Fälschung amtlicher Ausweise selbständig unter Strafe. - Ausweise in diesem Sinne sind nur von Behörden oder anderen Stellen der öffentlichen Verwaltung ausgestellte Urkunden, die die Identität einer Person oder ihre persönlichen Verhältnisse nachweisen. Die Erleichterung des Identitätsnachweises aufgrund einer Bescheinigung durch eine mit hoheitlicher Prüfungsgewalt ausgestattete Stelle kennzeichnet den Ausweis. Als amtliche Ausweise kommen Pässe, Personal-, Dienst- und Studentenausweise, Führerscheine o.Ä. in Betracht. Keine Ausweise in diesem Sinne sind Kraftfahrzeugschein und -brief (OLG Koblenz VRS 55 (1978) S. 428), Scheck- und Kreditkarten.
2. Tätige Reue fuhrt zur Straffreiheit gemäß § 275 Abs. 3 i. V. m. § 149 Abs. 2, 3. 3. Das vollendete Urkundendelikt gemäß § 267 konsumiert die Vorbereitungshandlung nach § 275, daher sind Täter und Teilnehmer der entsprechenden Urkundenfälschung nach § 267 nicht strafbar nach § 275. 48 4. Gemäß § 276 a werden den Ausweisen aufenthaltsrechtliche Papiere und bestimmte Fahrzeugpapiere gleichgestellt. 5. Gewerbs- oder bandenmäßiges Handeln qualifizieren die Tat, §§ 275 Abs. 2.
72 73
74 75
IV. Vorbereitung des Gebrauchs von falschen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen Papieren und Fahrzeugpapieren, §§ 276, 276 a Als Vorbereitungshandlungen zum Gebrauch falscher Urkunden stellen §§ 276, 276 a das 75 Unternehmen des Ein- oder Ausführens, das Verschaffen, Verwahren oder Überlassen unechter oder verfälschter amtlicher (auch ausländischer) Ausweise, aufenthaltsrechtlicher Papiere und Fahrzeugpapiere in der Absicht, deren Gebrauch zur Täuschung im Rechtsverkehr zu ermöglichen, unter Strafe. - Gewerbs- oder bandenmäßiges Handeln qualifiziert die Tat, § 276 Abs. 2.
V. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 2. und 3. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 1. Die Verfälschung von Gesundheitszeugnissen § 277 unterscheidet drei Alternativen: Der Täter stellt ein Gesundheitszeugnis aus, wobei 77 er sich unbefugt als Medizinalperson ausgibt (1. Alt.; dazu § 71 Rdn. 28). - Der Täter stellt ein Gesundheitszeugnis aus und handelt unter fremdem Namen als Medizinalperson (2. Alt.). - Der Täter verfälscht das echte Gesundheitszeugnis einer Medizinalperson (3. Alt.). Die 2. und 3. Alt. des § 277 sind Spezialfälle der 1. und 2. Alt. des § 267. Sie gehen diesen jeweils als leges speciales vor. - Da es sich um Fälle des Angriffs gegen die Echtheit, nicht die Wahrheit der Urkunde handelt, kommt es nicht darauf an, ob das Zeugnis inhaltlich wahr ist oder nicht.
48
Vgl. OLG Köln NStZ 1994 S. 289; LACKNER/KÜHL § 275 Rdn. 4. - A.A. PUPPE NK, § 267 Rdn. 13.
409
§71
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
78 a) Gesundheitszeugnisse sind Erklärungen über den (jetzigen, früheren oder künftigen) Gesundheitszustand einer Person. 79 b) Approbierte Medizinalpersonen sind Personen, die mit staatlicher Erlaubnis einen akademischen Heilberuf ausüben. Beispiele: Arzt, Apotheker, Zahnarzt.
80 c) Die Tat ist zweiaktiges Delikt. Sie ist erst mit dem Gebrauch der Urkunde zur Täuschung einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft vollendet. Behörden in diesem Sinne sind nur Stellen, die den Gesundheitszustand bestimmter Personen beurteilen (BGHSt 43 S. 346,352 f mit Anm. RIGIZAHN JR 1998 S. 523 ff, 525 f).
2. Der Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, §279 in Verb, mit §277 81 Die Tat setzt ein im Sinne des § 277 objektiv falsches Gesundheitszeugnis voraus, bei dem überdies die Diagnose falsch sein muss, denn nur dann kann über den Gesundheitszustand getäuscht werden. 82 a) Es ist nicht vorausgesetzt, dass der Täter, der das Zeugnis ausgestellt hat, zur Täuschung i.S. des § 277 gehandelt hat. 83 b) § 277 konsumiert § 279.
§ 71 Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde I. Falschbeurkundung im Amt, § 348 1. Schutzbereich und Täterkreis 1
a) Die Vorschrift stellt die Herstellung bestimmter echter, aber inhaltlich unrichtiger Urkunden und in öffentlichen Dateien gespeicherter Daten unter Strafe. 2 b) Die Tat ist echtes Amtsdelikt. - Täter können nur Amtsträger - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 2 sein, die nach Bundes- und Landesrecht zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt sind. Maßgeblich ist hier die sachliche, nicht auch die örtliche Zuständigkeit, da der öffentliche Glaube an die sachliche Zuständigkeit anknüpft, während die örtliche Zuständigkeit für denjenigen, der die Urkunde zur Kenntnis nimmt, kaum durchschaubar ist. 49 3 Soweit zuständige Amtsträger bei der Erstellung der Urkunde zusammenwirken, können sie Mittäter sein, während eine Haftung Außenstehender nur als Anstifter oder Gehilfe in Betracht kommt; zu beachten ist hier aber § 28 Abs. 1. Mittelbare Täterschaft bei § 348 ist möglich, wenn der beurkundende Amtsträger gutgläubig und der Täter selbst Amtsträger ist, der die Beurkundung selbst vornehmen könnte. 50 4
2. Der Begriff der öffentlichen Urkunde Öffentliche Urkunden sind Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichen Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen (§415 Abs. 1 ZPO) und die bestimmt und geeignet sind, Beweis für und gegen 4 9
S o a u c h ARZT/WEBER, B . T . , § 3 3 R d n . 8; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 6 R d n . 7. - A . A . B G H S t 12 S. 86; PUPPE N K , § 3 4 8 R d n . 3 ; SCH/SCH/CRAMER § 3 4 8 R d n . 5; TRÖNDLE/FLSCHER § 3 4 8
Rdn. 2. 5 0
410
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 2 7 1 R d n . 7; GRIBBOHM L K , § 3 4 8 R d n . 3 5 .
Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde
§71
jedermann zu erbringen. - Öffentliche Bücher oder Register sind dementsprechend Bücher oder Register, die öffentlichen Glauben haben, d.h. Beweis für und gegen jedermann begründen. Gleiches gilt fur öffentliche Dateien, die beweiserhebliche Daten enthalten. Die Redeweise, die Urkunde müsse Beweiskraft „für und gegen jedermann" haben, ist missverständlich. Entscheidend ist vielmehr der Ausweis der Richtigkeitsprüfung durch eine hierzu berufene amtliche Person, d.h. die besondere amtliche Richtigkeitsbestätigung, die der Urkunde Eignung gibt, nicht nur fur und gegen den Aussteller, sondern auch gegen Dritte Beweis zu erbringen.51 Der Bezugsgegenstand der erhöhten Beweiskraft erschließt sich daher in der Frage: Was hat die Behörde oder die mit öffentlichem Glauben versehene Person als von ihr geprüft (gesehen, erkannt) beurkundet? Die Reichweite der Beweiskraft ist durch Auslegung zu ermitteln, die beurkundete Tatsache muss sich jedoch aus der Urkunde ergeben und nicht erst aus gedanklichen Schlussfolgerungen. Gegenstand erhöhter Beweiskraft können nach Auffassung der Rechtsprechung nur Angaben sein, die gesetzlich zwingend vorgeschrieben sind. - Bei öffentlichen Urkunden, die eine Verfugung, Anordnung oder Entscheidung enthalten, ist besonders darauf zu achten, ob die Voraussetzungen des Verwaltungsaktes beurkundet sind oder nur der Akt selbst. So erbringt der Tauglichkeitsstempel des Fleischbeschauers Beweis für die Untersuchung des Viehs und ihr Ergebnis, die Aufenthaltserlaubnis eines Ausländers nur Beweis über die Erteilung der Erlaubnis, nicht aber für das Vorliegen ihrer Voraussetzungen.52 Weitere Beispiele für öffentliche Urkunden und ihre Beweiskraft: Eintragung der nächsten Hauptuntersuchung eines Kraftfahrzeugs im Kraftfahrzeugschein: Beweis für Zeitpunkt dieser Untersuchung (BGHSt 26 S. 11). - Kraftfahrzeugschein: Beweis fur die Zulassung eines bestimmten Kraftfahrzeugs mit dem entsprechenden Kennzeichen (OLG Hamburg NJW 1966 S. 1827). - Eintragungen im Sparbuch einer öffentlichrechtlichen Sparkasse: Beweis für Ein- und Auszahlungen (BGHSt 19 S. 19). - Erbschein: Beweis der Erbfolge (BGHSt 19 S. 87). - Gefangenenbuch: Beweis der Identität (BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 283). - Ausfuhrbescheinigung: Beweis für best. Steuerrückerstattungsansprüche (BayObLG NJW 1990 S. 655). - Führerschein: Beweis für Personalangaben (BGHSt 34 S. 299) und Fahrzeugklasse (BGHSt 37 S. 207). - Zustellungsurkunden der Dt. Post AG (dazu CANTZLER Strafrechtliche Auswirkungen der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, 2002, S. 165). Beispiele für öffentliche Bücher oder Register: Annahmebücher der Post über Wertsendungen (RGSt 67 S. 271). - Grundbuch (OLG Stuttgart NStZ 1985 S. 365). - Amtliche Wiegebücher (BGH bei Daliinger, MDR 1958 S. 140). - Tagebuch des amtlich bestellten Fleischbeschauers (RGSt 40 S. 341). Keine öffentlichen Urkunden sind die für den inneren dienstlichen Verkehr angefertigte Vermerke (dazu BGHSt 7 S. 94) und schriftliche Erklärungen eines Amtsträgers, die in einem Prozess als Beweismittel dienen sollen (OLG Celle NStZ 1987 S. 282). Gleiches gilt für Polizeiprotokolle (OLG Düsseldorf NJW 1988 S. 217). Nicht von öffentlichem Glauben erfasst: Falsche Ortsangabe im notariellen Kaufvertrag (BGHSt 44 S. 186 mit Anm. OTTO JK 99, StGB § 348/6). - Unrichtige Angabe über den Beurkundungszeitpunkt (OLG Karlsruhe NJW 1999 S. 1044), die vollständige Verlesung der Urkunde (OLG Zweibrücken NStZ 2004 S. 334) oder die Art der Feststellung der Identität des Erschienenen (BGH NJW 2004 S. 3195). - Angaben über Sprachkenntnisse eines Erschienenen in notariellem Protokoll (BGHSt 47 S. 39 mit Anm. OTTO JK 02, StGB § 348/7, PUPPE JR 2001 S. 519 ff). - Personalangaben eines Asylbewerbers in Meldebescheinigung (OLG Brandenburg StV 2002 S. 311).
51
Vgl. OLG Rostock NStZ-RR 2004 S. 174 mit Anm. OTTO JK 04, StGB § 348/8; FREUND Urkundenstraftaten, Rdn. 306 f.
52
Dazu OLG Karlsruhe Die Justiz 1967 S. 152; OLG Köln JR 1979 S. 255 mit Anm. PUPPE S. 256 ff; vgl. auch BayObLG NStZ-RR 1999 S. 79 mit Anm. PUPPE NStZ 1999 S. 576 f (Prüfplakette).
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§71
Als hier relevante Dateien kommen insbesondere solche in Betracht, in denen der Inhalt öffentlicher Urkunden, Bücher oder Register gespeichert wird. 5 -'
7
3. Die Tathandlung Falsch beurkundet, eingetragen oder eingegeben ist eine Tatsache, wenn das Beurkundete usw. mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt.
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4. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz - bedingter genügt - muss die Unrichtigkeit der Erklärung und die Merkmale umfassen, die die Eigenschaft der öffentlichen Urkunde begründen.
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5. Die Vollendung des Delikts Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist das Delikt vollendet, wenn der Amtsträger die Beurkundung oder Eintragung bewirkt hat. Da aber nicht der Urkundenbestand als solcher geschützt ist, sondern der Beweisverkehr mit öffentlichen Urkunden, muss der Tatbestand restriktiv dahin interpretiert werden, dass die Vollendung des Delikts nur dann eintritt, wenn der Täter im Bewusstsein handelt, dass die Urkunde in den Beweisverkehr gelangt oder gelangen soll. Dieses „Entäußerungselement" kommt in § 267 im Merkmal „zur Täuschung" und in § 278 im Merkmal „zum Gebrauch bei einer Behörde ..." zum Ausdruck. Auch wenn § 348 eine derartige Einschränkung im objektiven bzw. subjektiven Tatbestand nicht enthält, so erscheint es aufgrund der Gleichartigkeit der Problemlage sachgerecht, auch hier den Tatbestand noch nicht als erfüllt anzusehen, wenn der Täter ein Werk anfertigt, das nach seiner Vorstellung den Beweisverkehr niemals gefährden soll. 54
II. Mittelbare Falschbeurkundung, § 271 1. Die Bedeutung des §271 10 § 271 ist als Ergänzung des § 348 zu verstehen. Da der Täter des § 348 ein Amtsträger sein muss, ist eine mittelbare Täterschaft durch einen Nicht-Amtsträger bei der Verwirklichung des § 348 nicht möglich. Diese Lücke schließt der § 271. 2. Der Schutzbereich des §271 11 Bewirken i.S. des § 271 ist jedes Verursachen einer unwahren Beurkundung oder Speicherung, das nicht als Anstiftung oder mittelbare Täterschaft zur Falschbeurkundung im Amt, § 348, erfassbar ist. 12 Damit werden folgende Fälle von § 271 erfasst: 13 a) Der Täter bewirkt, dass ein zuständiger gutgläubiger Amtsträger etwas Unwahres zu öffentlichem Glauben beurkundet oder speichert. BGHSt 8 S. 293: Α erreicht durch Täuschung, dass der Notar Ν eine inhaltlich unrichtige Beurkundung vornimmt. Ergebnis: A: § 271.
53 54
BT-Drucks. 10/318, S. 34. So auch ESERIV, Nr. 20 A 52. - Noch weiter: BGH NJW 1952 S. 1064; GRIBBOHM LK, § 348 Rdn. 34; LACKNER/KÜHL § 3 4 8 R d n . 9 ; PUPPE N K , § 3 4 8 R d n . 2 3 ; RÖHMEL J A 1 9 7 8 S . 1 9 9 .
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Angriffe gegen die Wahrheit der Urkunde
§71
b) Der Täter hält den Amtsträger irrig für gutgläubig. - Eine Anstiftung zur Falsch- 14 beurkundung im Amt, §§ 348, 26, entfallt hier, weil der Täter den Amtsträger nicht zu einer vorsätzlichen Tat bestimmen will. Beispiel: A will durch Täuschung erreichen, dass der Notar Ν gutgläubig etwas Unrichtiges beurkundet. Ν durchschaut den Α jedoch. Gleichwohl fertigt er die Urkunde, weil er dadurch dem X schaden will. Ergebnis: N: § 348; A : § 2 7 1 .
Α hat den in § 271 pönalisierten Erfolg erreicht. Dass er über die Art des Bewirkens irrte, 15 ist eine unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs, da der Gesetzgeber die verschiedenen Weisen des Bewirkens gleich bewertet. 55 c) Der Täter hält den Amtsträger irrig für bösgläubig. - Hier läge ohne die Regelung des 16 § 271 nur eine straflose erfolglose Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt vor, weil es entgegen der Vorstellung des Täters nicht zur Haupttat kommt. Beispiel: Α bittet den Notar N, eine inhaltlich unrichtige Urkunde herzustellen. Er geht jedoch davon aus, dass Ν gemerkt hat, dass die Urkunde inhaltlich unwahr sein wird. - Ν hat dies jedoch nicht erfasst. Er geht davon aus, dass die Urkunde inhaltlich wahr ist. Ergebnis: A: § 271. 5 6
3. Der Bezug der Beweiskraft Es genügt nicht, dass irgendwelche Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen unrichtig 17 beurkundet werden, es muss sich vielmehr um Angaben handeln, auf die sich die erhöhte Beweiskraft erstreckt. Beispiele: Vgl. Rdn. 6.
4. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz - bedingter genügt - muss insbesondere die inhaltliche Unrichtigkeit und die 18 Rechtserheblichkeit der Erklärung umfassen. 5. Der Gebrauch falscher Beurkundungen oder Datenspeicherungen, Abs. 2 1. Gemäß Abs. 2 wird der Gebrauch einer unwahren öffentlichen Urkunde oder ge- 19 speicherter Daten in Täuschungsabsicht unter Strafe gestellt. a) Der Gesetzeswortlaut - „Beurkundung oder Datenspeicherung der in Abs. 1 be- 20 zeichneten Art" - ist zu eng geraten. Der Gesetzgeber meinte nicht den Entstehungsakt, sondern das Ergebnis. Ob der Herstellungsakt nach Abs. 1 bestraft worden ist oder werden kann, ist demgegenüber irrelevant. Die Beurkundung kann daher schuldlos durch den Gebrauchenden bewirkt worden, aber auch ohne Zutun eines anderen durch Irrtum des Amtsträgers entstanden sein. Schließlich genügt es, dass die Urkunde durch den Amtsträger unter Verletzung des § 348 hergestellt worden ist. 57 b) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt. 21 5 5
S o a u c h GÖSSEL/DÖLLING B . T . 1, § 5 2 R d n . 5 8 ; GRIBBOHM L K , § 2 7 1 R d n . 8 7 ; KREY B . T . 1, R d n . 7 3 7 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 7 1 R d n . 3 0 . - A . A . BOCKELMANN B . T . / 3 , § 14 II 4 ; KRETSCHMER J u r a 2 0 0 3 S. 5 3 9 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 6 R d n . 2 1 : n u r V e r s u c h .
5 6
D a z u ESER I V , N r . 2 0 A 4 1 ; GRIBBOHM L K , § 2 7 1 R d n . 8 8 ; HRUSCHKA J Z 1 9 6 7 S . 2 1 2 ; KREY B . T . I , R d n . 7 3 7 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 6 R d n . 2 1 . - A . A . : SCH/SCH/CRAMER § 2 7 1
Rdn. 30: Straflosigkeit. 57
Dazu LACKNER/KÜHL § 271 Rdn. 10.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
22 2. Der Gebrauch der Urkunde durch den nach § 271 oder § 348 strafbaren Täter steht zu der vorangegangenen Falschbeurkundung im selben Konkurrenzverhältnis wie das Fälschen und Gebrauchmachen bei der Urkundenfälschung; vgl. oben § 70 Rdn. 58. 6. Schwere mittelbare Falschbeurkundung, Abs. 3 23 Abs. 3 ist ein Qualifikationstatbestand gegenüber Abs. 1, und zwar tritt eine Strafschärfung ein, wenn der Täter die Tat des Abs. 1 gegen Entgelt - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 9 - in der Absicht begeht, sich oder einem Dritten zu bereichern oder eine andere Person zu schädigen. 24 a) Absicht ist hier der auf den Erfolg zielgerichtete Wille. Es genügt aber, dass es dem Täter auf den Erfolg ankommt, weil dieser ein Mittel zur Erzielung eines weiteren Erfolges ist. 25 b) Die Bereicherung muss - entgegen dem Gesetzeswortlaut - eine rechtswidrige i.S. der Vermögensdelikte - dazu oben § 40 Rdn. 77 ff - sein, denn nur die auf eine weitere rechtswidrige Tat gerichtete Absicht erklärt die schärfere Strafe sinnvoll.58 26 c) Schaden ist nach h.M. jeder Nachteil, nicht nur ein Vermögensnachteil. Es soll genügen, dass jemand Spott, eine Ehrkränkung oder Nachteile durch die Einleitung eines Strafverfahrens erfahrt. - Diese weite Ausdehnung des Tatbestandes erscheint kriminalpolitisch keineswegs angebracht. Es muss sich zumindest um einen erheblichen Nachteil i.S. einer bedeutsamen Rechtsgutsbeeinträchtigung handeln, so dass bloßer Spott nicht genügt. 59 Auch hier wird z. T. auf die Rechtswidrigkeit des Schadens verzichtet; dazu vgl. die entsprechenden Ausfuhrungen unter Rdn. 25.
III. Vorbereitung des Gebrauchs falscher Beurkundungen, §§ 276, 276 a 27 Als Straßare Vorbereitungshandlung zum Gebrauch von Falschbeurkundungen stellen §§ 276, 276 a das Unternehmen des Ein- oder Ausfuhrens, das Verschaffen, Verwahren oder Überlassen amtlicher (auch ausländischer) Ausweise, aufenthaltsrechtlicher Papiere und Fahrzeugpapiere, die eine Falschbeurkundung nach §§271, 348 enthalten, in der Absicht, deren Gebrauch zur Täuschung im Rechtsverkehr zu ermöglichen, unter Strafe.
IV. Fälschung und Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 277, 1. Alt., § 279 in Verb, mit § 277 28 1. Die 1. Alternative des § 277: „Wer unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder als eine andere approbierte Medizinalperson ein Zeugnis über seinen oder eines anderen Gesundheitszustand ausstellt und davon zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht", enthält einen Fall der schriftlichen Lüge über den Beruf des Täters. - Zu den Einzelheiten des Tatbestandes vgl. oben § 70 Rdn. 77 ff. 29 2. Zum Gebrauch des unrichtigen Gesundheitszeugnisses vgl. die entsprechenden Ausfuhrungen unter § 70 Rdn. 81 f. 5 8
S o a u c h BINDING B . T . I I 1, S . 2 6 4 ; HOYER S K II, § 2 7 1 R d n . 3 4 ; LACKNER/KÜHL § 2 7 1 R d n . 1 1 ; PUPPE
NK, § 271 Rdn. 61; SCH/SCH/CRAMER § 271 Rdn. 43. - A.A. RGSt 52 S. 93; OLG Hamm NJW 1956 S. 6 0 2 ;
GRIBBOHM
LK,
§ 271
Rdn.
96;
TRÖNDLE/FISCHER § 2 7 1 R d n . 18. 59
414
Dazu auch BINDING B.T.II 1, S. 267 Fn. 1.
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
B.T.2,
§66
Rdn.
22;
Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels
§72
V. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, § 2 7 8 1. Einzelheiten des Tatbestandes a) § 278 erfasst die schriftliche Lüge eines Arztes oder einer anderen approbierten Medi- 30 zinalperson - dazu § 70 Rdn. 79 - über den Gesundheitszustand eines anderen. Einem Gesundheitszeugnis kommt besonderer Beweiswert zu, weil die angegebene Diagnose in einer pflichtgemäßen sachverständigen Unterrichtung, im Zweifel einer dem Fall angemessenen Untersuchung, begründet ist. - Ein unrichtiges Zeugnis ist demgemäß ein Zeugnis, das einen unrichtigen Befund enthält. Unrichtig ist der Befund, der nicht das zutreffende Ergebnis einer pflichtgemäßen Untersuchung (Unterrichtung) wiedergibt.60 b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der bezüglich der inhaltlichen Un- 31 richtigkeit des Zeugnisses direkter Vorsatz sein muss, im übrigen genügt dolus eventualis. c) Vollendet ist das Delikt mit dem Ausstellen des Zeugnisses.61 32 2. Verhältnis des §278 zu § 348 Stellt ein beamteter Arzt in seinem Amtsbezirk in einer öffentlichen Urkunde ein un- 33 richtiges Gesundheitszeugnis aus, so verdrängt § 348 den § 278 als lex specialis.
§ 72 Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels I. Urkundenunterdrückung, § 2 7 4 Abs. 1 Nr. 1 , 1 . Alt. 1. Der objektive Tatbestand § 274 Abs. 1 Nr. 1,1. Alt. sichert die Brauchbarkeit von Urkunden und technischen AufZeichnungen als Beweismittel.
1
a) Zum Begriff der Urkunde vgl. § 70 Rdn. 1. b) Zum Begriff der technischen Aufzeichnungen vgl. § 74 Rdn. 4 ff. Die Urkunde bzw. technische Aufzeichnung gehört dem Täter dann nicht, wenn ein ande- 2 rer berechtigt ist, die Urkunde als Beweismittel zu gebrauchen. Dies ist dann der Fall, wenn der andere bereits Verfugungsbefugnis erlangt, ein Recht auf Herausgabe der oder auf Einsichtnahme in die Urkunde hat. - Ein solches Recht zur Einsichtnahme haben z.B. Behörden in Personalausweise und Reisepässe, daher gehören diese dem Täter nicht im Sinne des § 274, vgl. dazu weiter Rdn. 14. Im Falle öffentlich-rechtlicher Aufbewahrungs- und Vorlegungspflichten (z.B. von Schaublättem in Fahrtenschreibern) wird zum Teil bestritten, dass diese Pflicht bereits eine Vorlagepflicht i.S.d. § 274 Abs. 1 Nr. 1 begründet. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden, denn das Recht auf Vorlage und Einsichtnahme ist hier gesetzlich ausdrücklich vorgesehen. - Wenn aber die Verletzung der Vorlage- und Aufbewahrungspflicht selbständig als Ordnungswidrigkeit unter Strafe gestellt sind, so ist diese Entscheidung des Gesetzgebers, dass insoweit noch kein strafwürdiges Unrecht vorliegt, zu beachten. Diese Urkunden sind kraft gesetzlicher Entscheidung dem Anwendungsbereich des § 274 Abs. 1 Nr. 1 entzogen. 62 60
Dazu RGSt 74 S. 231; BGHSt 6 S. 90; OLG Düsseldorf MDR 1957 S. 372. - Einschränkend: OLG Z w e i b r ü c k e n J R 1 9 8 2 S. 2 9 4 m i t a b l . A n m . OTTO S. 2 9 6 f. - A . A . HÖVER S K II, § 2 7 8 R d n . 2 ; PUPPE NK, § 2 7 8 Rdn. 2 .
6 1
S o a u c h GRIBBOHM L K , § 2 7 8 R d n . 13; TRöNDLE/FlSCHER § 2 7 8 R d n . 3. - A . A . HOYER S K II, § 2 7 8 R d n . 4 ; PUPPE N K , § 2 7 8 R d n . 2 .
62
Vgl. zur Problematik: BGHSt 29 S. 195; OLG Düsseldorf NJW 1985 S. 1231 mit Anm. OTTO JK, StGB § 274/3; OLG Düsseldorf MDR 1990 S. 73 mit Anm. ΒΟΤΓΚΕ JR 1991 S. 252 ff; BayObLG NJW 1989
415
§72 3 4
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
c) Zum Vernichten und Beschädigen vgl. oben § 47 Rdn. 5,10. d) Unterdrücken ist jede Verhinderung der Benutzung der Urkunde als Beweismittel durch den Berechtigten, und sei sie auch nur vorübergehend. OLG Celle NJW 1966 S. 557; BayObLG NJW 1968 S. 1896: Α hat den Wagen des Β angefahren und an dem Wagen des Β eine Visitenkarte mit dem Hinweis darauf, dass er den Schaden verursacht hat, angebracht. Später entfernt er die Karte wieder. OLG: Die Karte „gehörte" nicht mehr dem A, da sie bereits in den Macht- und damit VerfUgungsbereich des Β gelangt war.
2. Der subjektive Tatbestand Der Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt, sowie die Absicht des Täters, einem anderen Nachteile zuzufügen. Für die Absicht, einem anderen Nachteile zuzufügen, soll nach h.M. direkter Vorsatz genügen. 63 Dem kann nicht gefolgt werden. § 274 Abs. 1 Nr. 1 stellt nicht die Entziehung oder Vernichtung von Beweismitteln schlechterdings unter Strafe, sondern die Entziehung einer Urkundenbeweisposition. 6 Daraus folgt: Es muss dem Täter darum gehen, dem Opfer einen Nachteil durch Entzug der Urkundenbeweisposition zuzufügen. - Absicht ist daher als zielgerichtetes Wollen (dolus directus 1. Grades) zu verstehen, auch wenn der Erfolg Mittel zu einem anderen Zweck sein kann. Nachteil i.S. des § 274 ist die Beeinträchtigung der Urkundenbeweisposition. - Falls die Absicht nicht vorliegt, bietet § 303 hinreichenden Schutz. 64 5
Zur Verdeutlichung: 7
Beispiel 1: A, der gesetzliche Erbe des X, vernichtet ein Testament, in dem Β von X als Erbe eingesetzt war, um in den Besitz der Erbschaft zu gelangen. Ergebnis: § 274 Abs. 1 Nr. 1. Beispiel 2: Α hat die Brieftasche des Β gestohlen, in der sich auch ein notarieller Kaufvertrag befand. - Da A mit dem Kaufvertrag nichts anfangen kann, vernichtet er ihn. Ergebnis: § 274 findet keine Anwendung. Beispiel 3: Der Pyromane Α steckt das Gerichtsgebäude in Brand. Er weiß, dass in dem Gebäude viele Urkunden liegen. Dies ist ihm egal, denn ihm geht es nur darum, das Feuer zu sehen. Ergebnis: § 274 findet keine Anwendung. Die h.M. müsste auch hier § 274 anwenden.
8
3. Rechtswidrigkeit Die Einwilligung des Berechtigten schließt die Rechtswidrigkeit aus, denn die Einwilligung hebt die Beweisführungsbefugnis nicht auf, sondern stellt eine Ausübung dieser Befugnis dar.65 Die Einwilligung muss den auch sonst nötigen Erfordernissen genügen. 66
S . 6 7 6 m i t A n m . GEPPERT J K 8 9 , S t G B § 2 7 4 / 4 ; GRIBBOHM L K , § 2 7 4 R d n . 7 f f . - A . A . A G E l m s h o r n N J W 1 9 8 9 S . 3 2 9 5 ; PUPPE N K , § 2 7 4 R d n . 4 ; SCHNEIDER N S t Z 1 9 9 3 S . 16 f f . 63
Dazu BGH bei Dallinger, MDR 1958 S. 140; BAUMANN NJW 1964 S. 705 ff; GRIBBOHM LK, § 274 R d n . 5 7 ; LACKNER/KÜHL § 2 7 4
R d n . 7 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 5
Rdn.
104;
SIEBER Computerkriminalität, S. 327. 64
Dazu auch FRANK StGB, § 274 Anm. I 3; HOYER SK II, § 274 Rdn. 17; KOHLRAUSCH/LANGE § 274 Anm. III.
6 5
V g l . d a z u LACKNER/KÜHL § 2 7 4 R d n . 4 ; PUPPE N K , § 2 7 4 R d n . 1 5 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 7 4 R d n . A . A . GRIBBOHM L K , § 2 7 4 R d n . 5 3 ; KIENAPFEL J u r a 1 9 8 3 S. 1 8 8 f.
416
U.-
Angriffe gegen die äußere Unversehrtheit des Beweismittels
§72
Der für die Körperverletzung geltende Ausschluss der Rechtfertigung, wenn die Tat trotz der Einwilligung sittenwidrig ist, beruht auf der besonderen Bedeutung des Rechtsguts der Körperintegrität und kann auf andere Anwendungsbereiche nicht ausgedehnt werden. 67
II. Unterdrückung beweiserheblicher Daten, § 274 Abs. 1 Nr. 2 1. Der objektive Tatbestand § 274 Abs. 1 Nr. 2 schützt das Recht mit bestimmten Daten Beweis zu erbringen, jedoch 9 ist der Zusammenhang der Nr. 2 mit der Nr. 1 zu sehen. Die Unterdrückung von Daten kann sinnvollerweise als „Urkundendelikt" nicht in weiterem Maße strafbar sein, als die Fälschung von Daten i.S.d. § 269. Daraus folgt: Beweiserhebliche Daten i.S.d. § 274 Abs. 1 Nr. 2 sind nur Daten mit Urkundscharakter.68 Die Verweisung auf § 202 a Abs. 2 begrenzt den Anwendungsbereich des Tatbestandes 10 auf Daten, die nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden. Das Merkmal Verfügen dürfen entspricht inhaltlich dem Gehören nach Abs. 1 Nr. 1. 2. Der subjektive Tatbestand Zur Problematik des subjektiven Tatbestandes vgl. Rdn. 5 f.
11
III. Veränderung einer Grenzbezeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 3 § 274 Abs. 1 Nr. 3 schützt keinen Urkunden-, sondern einen bestimmten Augenscheinsbe- 12 weis. Die Veränderung von Grenzmerkmalen wird ohne Rücksicht auf das Eigentum oder ein sonstiges Recht an dem Merkmal unter Strafe gestellt, selbst wenn diese Merkmale tatsächlich an falscher Stelle stehen. - Auch hier muss es dem Täter darum gehen, dem Berechtigten einen Nachteil durch Änderung des Augenscheinsbeweises zuzufügen; dazu vgl. Rdn. 6. Diese Nachteilszufügung durch Änderung des Augenscheinsbeweises setzt keine Ent- 13 fernung dieses Beweises aus dem Herrschaftsbereich des Berechtigten voraus. Wegnahme ist hier daher die Entfernung des Augenscheinsobjekts von der Stelle, für welche es von dem hierzu Berechtigten als Beweiszeichen bestimmt wurde. 69
IV. Verändern von amtlichen Ausweisen, § 273 Da höchstrichterliche Rechtsprechung und h.L. davon ausgingen, dass Reisepässe und 14 Führerscheine und die darin enthaltenen weiteren Eintragungen urkundenstrafrechtlich ausschließlich dem Inhaber des Ausweises „gehören", konnten sie auf die Veränderung dieser Ausweise § 274 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. nicht anwenden. 70 Die damit begründete Straf6 6
V g l . d a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 R d n . 106 ff.
67
Vgl. dazu GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 8 Rdn. 118 ff. - A.A. BGHSt 6 S. 251.
6 8
S o a u c h PUPPE N K , § 2 7 4 R d n . 8; LACKNER/KÜHL § 2 7 4 R d n . 5. - A . A . LENCKNER/WINKELBAUER C R 1986 S. 8 2 7 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 7 4 R d n . 2 2 c.
6 9
V g l . LACKNER/KÜHL § 2 7 4 R d n . 6 ; LAUBENTHAL J A 1 9 9 0 S. 4 3 ; OTTO J u r a 1992 S. 6 6 8 .
70
Vgl. BayObLG NJW 1990 S. 264; BayObLG NJW 1997 S. 1597 mit Anm. GEPPERT JK 97, StGB § 2 7 4 / 5 ; MÄTZLE M D R 1996 S. 19 f; PUPPE N K , § 2 7 4 R d n . 3; SCH/SCH/CRAMER § 2 7 4 R d n . 5; TRöNDLE/FlSCHER § 2 7 4 R d n . 2 ; WESSELS/HETTINGER B.T./L, R d n . 8 8 9 .
417
§73
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
barkeitslücke soll § 273 schließen, doch hat der Gesetzgeber durch Aufnahme der Subsidiaritätsklausel klargestellt, dass § 273 einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entgegenstehen würde.71 - Zum Begriff des amtlichen Ausweises vgl. § 70 Rdn. 71. Gebraucht ist der Ausweis, wenn er der Wahrnehmung des zu Täuschenden zugänglich gemacht ist.
§ 73 Angriffe gegen die bestimmungsgemäße Verwendung eines Beweismittels 1
1. Das Wesen des § 281 § 281 enthält weniger ein Urkundendelikt, als vielmehr ein Delikt gegen die Autorität der Staatsverwaltung-, dazu unten § 89. - Dieses Delikt steht den Urkundendelikten aber insoweit nahe, als es den Beweiswert einer echten Urkunde fur die Persönlichkeitsfeststellung schützt. 2. Einzelheiten der Regelung
2 a) Ausweispapiere, § 281 Abs. 1, sind die von einer hoheitlichen Stelle ausgestellten Papiere, die dem Nachweis der Identität oder der persönlichen Verhältnisse einer Person dienen; vgl. § 70 Rdn. 71. Beispiele: Reisepass; Personalausweis; Führerschein; Schülerausweis.
3
b) Den Ausweispapieren stehen Zeugnisse und Urkunden gleich, die im Verkehr als Ausweis verwendet werden, § 281 Abs. 2. - Nach der Schutzfunktion des Tatbestandes und aufgrund der Gleichwertigkeit mit den Ausweispapieren ist auch hier zu fordern, dass die Papiere von einer hoheitlichen Stelle ausgestellt sind und ihnen Ausweisfunktion zukommt. Beispiele: Geburtsurkunde (RGSt 12 S. 385); Taufschein; Zeugnis über Staatsprüfungen. Nicht hingegen: Scheckkarten; private Werksausweise.
4 Die h.M. erstreckt demgegenüber den Schutz des § 281 Abs. 2 auf jede Bescheinigung, die im Rechtsverkehr zum Identitätsnachweis genutzt wird.72 5 c) Bestraft wird der Gebrauch oder das Überlassen der Urkunde an einen anderen zur Täuschung im Rechtsverkehr. 6 aa) Gebraucht ist das Papier, wenn es der Wahrnehmung des zu Täuschenden zugänglich gemacht ist. Die Vorlage einer Fotokopie wird hier vom BGH nicht als Gebrauch des Ausweises interpretiert.73 7 bb) Bei der Täuschung im Rechtsverkehr muss es sich um eine Identitätstäuschung handeln. Die Täuschung über die Berechtigung zur Verwendung des Papiers genügt nicht.74
71
Vgl. dazu BT-Drucks. 13/9064, S. 20.
7 2
V g l . GRIBBOHM L K , § 2 8 1 R d n . 5 ; SCH/SCH/CRAMER § 2 8 1 R d n . 4 . - W i e h i e r : HECKER G A 1 9 9 7 S. 5 3 1 ; PUPPE N K , § 2 8 1 R d n . 12 f; RENGIER B . T . I I , § 3 8 R d n . 5.
73
Vgl. BGHSt20S. 17.
74
BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 280.
418
Fälschung technischer Aufzeichnungen
§74
3. Das Verhältnis der beiden Alternativen des § 281 zueinander Wer ein Ausweispapier i.S. des § 281 gebraucht, ist Täter der 1. Alternative. Eine eventuelle Teilnahme am Überlassen des Ausweispapieres wird durch die Täterschaft konsumiert. Umgekehrt zehrt die Verwirklichung des Tatbestandes in der Form des Überlassens des Ausweispapieres alle Möglichkeiten der Teilnahme am Gebrauchmachen auf. 75
8
§ 74 Fälschung technischer Aufzeichnungen I. Rechtsgut und Schutzbereich 1. Das geschützte Rechts gut § 268 schützt die Sicherheit der Informationsgewinnung durch technische Geräte,76
1
2. Die unechte Aufzeichnung Dem geschützten Rechtsgut entsprechend ist die Echtheit der Aufzeichnung nicht auf den Aussteller zu beziehen, sondern auf die Herkunft aus einem unbeeinflussten Herstellungsvorgang eines ordnungsgemäß arbeitenden technischen Geräts. - Unecht ist die Aufzeichnung, wenn sie überhaupt nicht oder nicht in ihrer konkreten Gestalt aus einem in seinem automatischen Ablauf unberührten Herstellungsvorgang stammt, obwohl sie diesen Eindruck macht. 3. Die Bedeutung der Vorschrift Die gesetzgeberisch wenig geglückte Vorschrift hat in der Praxis bisher überhaupt nur bei Manipulationen am Fahrtenschreiber, § 57 a StVZO, und der Zeituhr des EG-Kontrollgeräts bei Lastwagen Bedeutung erlangt. 77
2
3
II. Der Begriff der technischen Aufzeichnung, § 268 Abs. 2 Den Begriff der technischen Aufzeichnung hat der Gesetzgeber in § 268 Abs. 2 definiert, doch ist ihm hier keine überzeugende Leistung gelungen, wie die bisherigen Kontroversen zeigen. - Treffender kommt das Gemeinte in der Definition von P U P P E zum Ausdruck: technische Aufzeichnung ist die dauerhafte automatische Registrierung eines Zustandes oder Geschehensablaufs,78 1. Die technische Aufzeichnung als Darstellung Als Darstellung ist dementsprechend eine Aufzeichnung anzusehen, bei der die Information in einem selbständig und dauerhaft verkörperten, vom Gerät abtrennbaren Stück
75
Im Einzelnen dazu R. SCHMITT NJW 1977 S. 1811 f.
7 6
D a z u im E i n z e l n e n : B G H S t 4 0 S. 2 6 , 3 0 ; GRIBBOHM L K , § 2 6 8 R d n . 2 f; KUNZ J u S 1 9 7 7 S. 6 0 4 ; SIEBER C o m p u t e r k r i m i n a l i t ä t , S. 2 9 7 f f ; PUPPE N K , § 2 6 8 R d n . 10.
77
Dazu im Einzelnen: GRIBBOHM LK, § 268 Rdn. 4; BayObLG JZ 1986 S. 604.
78
PUPPE, Die Fälschung technischer Aufzeichnungen, 1972, S. 114.
419
4
5
§74
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgttter der Gesamtheit
enthalten ist.79 Die laufende (veränderliche) Anzeige an einem Mess- oder Zählgerät - z.B. Gas-, Strom-, Kilometerzähler - ist nicht Darstellung in diesem Sinne, weil ihr die Dauerhaftigkeit der Aufzeichnung fehlt.80 2. Die ganz oder teilweise selbständige Wirkungsweise des Geräts 6 a) Selbständig bewirkt das Gerät die Aufzeichnung, wenn seine Leistung darin besteht, durch einen in Konstruktion oder Programmierung festgelegten automatischen Vorgang einen Aufzeichnungsinhalt mit neuem Informationsgehalt hervorzubringen.81 Fotokopien, Fotografien, Film- und Femsehaufhahmen sind keine technischen Aufzeichnungen in diesem Sinne, soweit sie lediglich einen von einem Menschen unmittelbar erfassten Vorgang festhalten.82 7 b) Da auch die teilweise selbständige Herstellung genügt, ist menschliche Mitwirkung z.B. durch ständiges Auslösen des Aufzeichnungsvorganges, nicht ausgeschlossen, soweit das Gerät einen Aufzeichnungsinhalt unbeeinflusst von menschlichen Interessen und Einwirkungen herstellt. 3. Der Gegenstand der Aufzeichnung 8 Die technische Aufzeichnung muss den Gegenstand der Aufzeichnung allgemein oder für Eingeweihte erkennen lassen. Das bedeutet, dass der konkrete Sachverhalt, welcher der Aufzeichnung zugrunde gelegen hat und auf den sich die aufgezeichneten Informationen beziehen, erkennbar sein muss.83 4. Die Beweisbestimmung 9 Die Aufzeichnung muss zum Beweis einer rechtlich erheblichen Tatsache bestimmt sein. Da es hier nicht darauf ankommen soll, ob ihr die Bestimmung schon bei der Herstellung oder später vom Halter des technischen Gerätes oder Dritten gegeben wird, verbirgt sich hinter der Beweisbestimmung nichts anderes als die Feststellung, dass der Aufzeichnung Rechtserheblichkeit zukommen muss; vgl. die entsprechenden Ausführungen § 70 Rdn. 23.
79
BGHSt 2 9 S. 205. - Dazu auch: GRIBBOHM LK, § 268 Rdn. 6; KIENAPFEL JR 1980 S. 429; LACKNER/KÜHL § 268 Rdn. 3; PUPPE Fälschung, S. 79 ff, 232; DIES. JR 1978 S. 125; WESSELS/HETTINGER
B.TV1, Rdn. 862. 80
S o auch BGHSt 2 9 S. 204 mit Anm. KIENAPFEL JR 1980 S. 429; ESERIV, Nr. 19 A 78; GRIBBOHM LK, § 2 6 8 Rdn. 6; HIRSCH ZStW 85 (1973) S. 716; KREY B . T . l , Rdn. 724; PUPPE NK, § 2 6 8 Rdn. 24. WESSELS/HETTINGER B.TVl, Rdn. 864. - A.A. FREUND Urkundenstraftaten, Rdn. 250; HOYER SK Π, §
268 Rdn. 10; SCHILLING Fälschung technischer Aufzeichnungen (§ 268 StGB), 1970, S. 10 f. 81
Dazu im Einzelnen: SIEBER Computerkriminalität, S. 310 ff, vgl. auch PUPPE N K , § 268 Rdn. 18 ff.
82
S o auch BGHSt 24 S. 142; ESER IV Nr. 19 A 79; GRIBBOHM LK, § 2 6 8 Rdn. 17; KIENAPFEL JZ 1971 S. 165 F; KREY B . T . l , Rdn. 720; KÜPER B.T., S. 26; PUPPE Fälschung, S. 76; SCHMIDHAUSER B.T., 14/29; SIEBER Computerkriminalität, S. 304, 311. - A.A. HOYER SK II, § 268 Rdn. 19 f; SCHILLING Fäl-
schung, S. 17, 76; SCH/SCH/CRAMER § 268 Rdn. 17. - Zur Fotographie einer Radarüberwachung mit Geschwindigkeitsangabe: BayObLG VRS 103 (2002) S. 126. 83
420
Dazu GRIBBOHM LK, § 268 Rdn. 21 f; LACKNER/KÜHL § 268 Rdn. 5; PUPPE J R 1978 S. 125.
Fälschung technischer Aufzeichnungen
§74
III. Die Tathandlung 1. Herstellen, Verfälschen, Gebrauchen, Abs. 1 Gemäß § 268 Abs. 1 wird das Herstellen einer unechten technischen Aufzeichnung das 10 Verfälschen einer technischen Aufzeichnung und der Gebrauch einer unechten oder verfälschten technischen Aufzeichnung bestraft. Herstellen ist das Anfertigen der unechten - dazu oben Rdn. 2 - technischen Aufzeichnung. - Verfälschen ist die inhaltliche Veränderung einer bisher echten technischen Aufzeichnung. - Gebraucht ist die Aufzeichnung, wenn sie dem zu Täuschenden zugänglich gemacht worden ist. 2. Die störende Einwirkung, Abs. 3 Wird eine Aufzeichnung dann als unecht angesehen, wenn sie nicht aus einem in seinem 11 Ablauf unberührten Herstellungsvorgang stammt, obwohl sie diesen Eindruck erweckt vgl. Rdn. 2 -, so enthält § 268 Abs. 3 einen Unterfall der Herstellung einer unechten Aufzeichnung. - Störend in diesem Sinne ist eine auf eine unechte technische Aufzeichnung zielende Einwirkung, die den Aufzeichnungsvorgang derart beeinflusst, dass das Gerät die ihm eingegebenen Sachverhalte zu einer von der Programmierung abweichenden Aufzeichnimg verarbeitet. 84 Beispiele: Zeitweiliges Unterbrechen des Aufzeichnungsvorgangs;^ Einlegen eines für das Gerät nicht bestimmten Schaublattes (BGHSt 40 S. 26); Verstellen einer mit dem Gerät verbundenen Zeituhr; 86 Verbiegen des Schreibstiftes des Geräts (BayObLG wistra 1995 S. 316). - Nicht hingegen: Verwendung einer „Gegenblitzanlage" bei Radarkontrolle (LG Flensburg NJW 2000 S. 1664); Auswechseln von Schaublättern im EGKontrollgerät (OLG Karlsruhe NStZ 2002 S. 652).
3. Die Ausnutzung eines defekten Gerätes Wird fur die Definition der echten Aufzeichnung allein auf den ungestörten automatischen 12 Herstellungsvorgang abgestellt, so ist es für die Frage, ob eine Aufzeichnung echt ist, unwesentlich, ob der Herstellungsvorgang vorsätzlich, versehentlich oder zufallig beeinflusst worden ist. Gleichwohl ist zu differenzieren: a) Die bloße Ausnutzung eines Defekts ist nicht tatbestandsmäßig i.S. des Abs. 1 Nr. 1 13 oder Abs. 3, wenn der Defekt selbst nicht auf einem störenden menschlichen Eingriff beruht. Der menschliche Eingriff in den programmierten funktionalen Ablauf des Geräts ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Tatgeschehens. 87 b) Beruht der Defekt hingegen auf einem menschlichen Eingriff - sei es des Täters oder 14 eines Dritten - und weiß der Täter dieses, so erfüllt das bewusste Ausnutzen des Defekts 84
Vgl. BGHSt 40 S. 26 mit Anm. GEPPERT JK 94, StGB § 268/4; PUPPE JZ 1997 S. 495; OLG Stuttgart VRS 85 (1994) S. 196; OLG Stuttgart NStZ 1993 S. 344 mit Anm. PUPPE JR 1993 S. 330 ff; GRIBBOHM L K , § 2 6 8 Rdn. 3 1 ; HIRSCH Z S t W 8 5 ( 1 9 7 3 ) S. 7 1 9 ; KREY B . T . l , Rdn. 7 3 0 ; LACKNER/KÜHL § 2 6 8 Rdn. 8; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALÖ B . T . 2 , § 6 5 Rdn. 8 6 ; SIEBER Computerkri-
minalität, S. 324. 8 5
D a z u LAMPE G A 1 9 7 5 S. 17; PUPPE N J W 1 9 7 4 S. 1 1 7 4 .
86
BayObLG JZ 1986 S. 604; dazu PUPPE JZ 1991 S. 553.
87
Dazu BGHSt 28 S. 300, 307 mit Anm. KIENAPFEL JR 1980 S. 347 f; LACKNER/KÜHL § 268 Rdn. 7; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 5 Rdn. 8 6 ; PUPPE Fälschung, S. 2 6 2 .
421
§75
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
zur Herstellung eines unrichtigen Aufzeichnungsergebnisses den Tatbestand des Abs. 1 Nr. 1 in Verb, mit Abs. 3 durch aktives Tun. - Ein Unterlassen kommt nur in Betracht, wenn der Garant störende Einwirkungen Dritter nicht hindert oder seine eigene vorausgegangene unvorsätzliche Einwirkung nicht rückgängig macht.88 4. Subjektiver Tatbestand und Konkurrenzen 15 Zum Vorsatz, zur Täuschung im Rechtsverkehr und zur Konkurrenz von Fälschen und Gebrauchmachen der technischen Aufzeichnung vgl. die entsprechenden Ausführungen § 70 Rdn. 52 ff, 56 f. 5. Schwere Fälle der Fälschung technischer Aufzeichnungen, Abs. 5 16 Gemäß Abs. 5 gelten fur schwere Fälle der Fälschimg technischer Aufzeichnungen § 263 Abs. 3,4 entsprechend; vgl. dazu unter § 70 Rdn. 56 f.
IV. Zur Unterdrückung einer technischen Aufzeichnung, § 274 Abs. 1 Nr. 1,2. Alt. 17 Zum Begriff der technischen Aufzeichnung vgl. § 74 Rdn. 4 ff; im Übrigen vgl. die entsprechenden Ausführungen § 72 Rdn. 1 ff. § 75 Geldfalschung
I. Rechtsgut und Angriffsobjekt der §§ 146,147,149,152 1. Das geschützte Rechtsgut 1 Die Geldfälschungstatbestände sind Spezialfälle der Urkundenfälschung. Sie schützen das allgemeine Interesse an der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs. 2 Da das Bargeld volkswirtschaftlich gesehen als Zahlungsmittel jedoch keineswegs die bedeutendste Rolle spielt, wird gelegentlich geltend gemacht, Umfang und Beginn des Straftechtsschutzes seien in diesem Bereich zu weit ausgedehnt. Diese Betrachtungsweise stellt die Vermögensschädigung des einzelnen Opfers, die im Übrigen von § 263 erfasst wird, zu stark in den Vordergrund. Der durch die §§ 146 ff gewährte Schutz des Funktionierens des Geldverkehrs geht nämlich in eine andere Richtung: Der Verlust des Vertrauens, die dem Wert des Geldes entsprechenden Leistungen für das staatliche Geld zu erhalten, begründet ein tiefes und allgemeines Misstrauen in die Fähigkeit des Staates, seine Garantien erfüllen zu können. Der Betroffene sieht sich hier nicht nur - wie sonst beim Betrüge - als Opfer der List eines Dritten, sondern zugleich als Opfer der Unfähigkeit des Staates, seinen Verpflichtungen nachzukommen.
3
2. Geschützt sind Papier- und Metallgeld Geld ist jedes vom Staat - zu ausländischen Staaten vgl. § 152 - oder von einer durch ihn ermächtigten Stelle als Wertträger beglaubigtes, zum Umlauf im öffentlichen Verkehr bestimmtes Zahlungsmittel ohne Rücksicht auf einen allgemeinen Annahmezwang.89 Diese 88
89
422
Vgl. dazu auch BGHSt 28 S. 300, 307; LACKNER/KÜHL § 268 Rdn. 9; WESSELS/HETNNGER B.T71,
Rdn. 881. BGHSt 12 S. 345.
§75
Geldfälschung
Objekte behalten ihre Geldeigenschaft bis zu dem Zeitpunkt, in dem sie durch einen staatlichen Willensakt außer Kurs gesetzt werden, d.h. aus dem Zahlungsmittelumlauf herausgenommen werden und zwar unabhängig davon, ob noch eine Umtauschverpflichtung für das außer Kurs gesetzte Geld besteht oder nicht. 90 - Falsch ist Geld, wenn es unecht ist, d.h. nicht oder nicht in der vorliegenden Form von demjenigen stammt, der aus ihm als Aussteller hervorgeht.
II. Geldfälschung, § 146 1. Nachmachen und Verfälschen von Geld, Abs. 1 Nr. 1 a) Nachmachen, Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt., ist das Herstellen unechten Geldes, das geeignet ist, 4 einen Arglosen im gewöhnlichen Zahlungsverkehr zu täuschen. 91 aa) Dass der Fälschung ein echtes Vorbild zugrunde liegt, ist nicht erforderlich. 92 - Auch 5 der 30-€-Schein ist daher unechtes Geld i.S. der §§ 146 ff, denn er ist geeignet, das Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs sowie die Autorität des Staates, der als Garant hinter dem Geld steht, zu verletzen. - Dieses Rechtsgut ist aber nicht beeinträchtigt, wenn ein Phantasieprodukt eines nicht existierenden Staates (500Krachmen-Schein der Inselrepublik Krota) in den Verkehr gebracht wird. Die Verletzung des Vertrauens in eine real nicht existierende Staatsautorität ist nicht geeignet, realer Staatsautorität zu schaden 9 3 bb) Auch die von einer staatlichen Münzanstalt ohne staatlichen Auftrag hergestellten 6 Münzen sind unecht, denn Aussteller ist auch hier nicht derjenige, der die Münzen körperlich herstellt, sondern deqenige, dem sie rechtlich zugerechnet werden. 94 cc) Manipulationen echten Geldes (Änderungen der Jahreszahl, Serie o.Ä.), die dieses 7 Geld nicht ungültig machen, berühren die Echtheit nicht, auch wenn dadurch Sammler getäuscht werden können. 95 b) Verfälschen, Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt., ist ein Verändern echten Geldes in einer Weise, dass 8 für einen Arglosen der Anschein eines höheren Nominalwertes hervorgerufen wird.
9 0
S o a u c h GEISLER G A LACKNER/KÜHL §
1 9 8 1 S . 5 1 5 f; PUPPE N K ,
146 Rdn. 2; Ruß LK,
§
§ 1 4 6 Rdn. 8. - A . A . ERB M K ,
146 Rdn.
5 ; SCH/SCH/STREE
§
§ 146 Rdn.
146 Rdn.
3;
8;
TRÖND-
LE/FISCHER § 1 4 6 R d n . 4 . 91
Vgl. BGH NJW 1994 S. 1423; BGH NStZ 1995 S. 440; BGH NStZ 2003 S. 368. - Enger: OLG Düsseldorf NJW 1995 S. 1846; dazu HEFENDEHL JR 1996 S. 353 ff; Puppe JZ 1997 S. 497 f.
92
B G H S t 3 0 S . 71.
93
Vgl. auch BARTHOLME JA 1993 S. 199. - A.A. h.M. vgl. BGHSt 30 S. 71 mit zust. Anm. STREE JR 1 9 8 1 S. 4 2 7 f f , u n d a b l . A n m . OTTO N S t Z 1 9 8 1 S . 4 7 8 f; R U ß L K , § 1 4 6 R d n . 6 ; TRÖNDLE/FISCHER § 146
9 4
Rdn.
3.
V g l . B G H S t 2 7 S . 2 5 5 m i t A n m . DREHER J R 1 9 7 8 S . 4 5 f f , GEISLER N J W
1 9 7 8 S . 7 0 8 f , STREE JUS
1978 S. 236 ff; Ruß LK, § 146 Rdn. 10 m.N. - A.A. LG Karlsruhe NJW 1977 S. 1301; SONNEN JA 1 9 7 7 S. 4 8 1 . 95
Vgl. LG Karlsruhe NJW 1977 S. 1301; RUß LK, § 146 Rdn. 8; TRÖNDLE/FLSCHER § 146 Rdn. 3. - A.A. HAFKE M D R 1 9 7 6 S . 2 7 8 f f .
423
§75
9
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
2. Sich Verschaffen und Feilhalten von Falschgeld, § 146 Abs. 1 Nr. 2 a) Grundsätzlich verschafft sich Falschgeld, wer allein oder gemeinsam mit einem Mittäter Verfügungsgewalt an dem Geld begründet. 96 - Str. ist jedoch, ob dieses mit dem Willen geschehen muss, eigenständige Verfugungen über das Geld zu treffen. Wird dieser Wille gefordert, so entfallt ein Sicherverschaffen bei Personen, die den Gewahrsam nur für einen Dritten ausüben wollen, z. B. bei sog. Verteilungsgehilfen, Empfangsboten und Verwahrern. 97 Das überzeugt durchaus bei Personen, die überhaupt nicht eigenständig über das Geld verfügen wollen, sondern nur als Bote, Transportgehilfe oder Verwahrer tätig werden wollen, nicht aber für den Verteilungsgehilfen, der auf Weisung oder für Rechnung eines anderen handelt. Sein Ausschluss aus dem Täterkreis ist nur auf der Grundlage einer unangemessenen, extrem subjektiven Täterlehre möglich. 98 b) Feilhalten ist das erkennbare Bereithalten von falschem Geld zum Zweck des Verkaufs an das Publikum. 99 3. Das Inverkehrbringen, Abs. 1 Nr. 3
10 a) In den Verkehr gebracht ist das Falschgeld, wenn ein anderer tatsächlich in die Lage versetzt wird, sich seiner zu bemächtigen und nach Belieben damit umzugehen. - Als Inverkehrbringen als echt interpretiert die h.M. nicht nur die Weitergabe an einen gutgläubigen, sondern auch an den eingeweihten Abnehmer, sofern sie den ersten Schritt des Inverkehrbringens als Zahlungsmittel bedeutet. 100 11 Diese Interpretation des Inverkehrbringens ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht in Einklang zu bringen, denn in Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 unterscheidet der Gesetzgeber ausdrücklich zwischen der Absicht des Inverkehrbringens als echt und der Absicht des Ermöglichens solchen Inverkehrbringens. Diese Differenzierung ist allein sinnvoll, wenn als Inverkehrbringen als echt die Weitergabe an einen Gutgläubigen angesehen wird, denn dann ist das Ermöglichen des Inverkehrbringens das Weitergeben an einen Bösgläubigen, der es seinerseits wiederum an einen Gutgläubigen weitergeben will. Wird hingegen die Weitergabe an einen Gutgläubigen und an einen Bösgläubigen als Inverkehrbringen als echt interpretiert, so bleibt der Begriff „Ermöglichen solchen Inverkehrbringens" inhaltsleer. 1°1 96
9 7
BGH StV 1984 S. 330; BGH wistra 2003 S. 229. Enger (quasi-rechtsgeschäftlicher Erwerb erforderlich): FRISTER GA 1994 S. 559. V g l . B G H S t 3 S. 154; 4 4 S. 6 2 m i t A n m . MARTIN JUS 1 9 9 8 S. 9 5 9 , OTTO J K 9 9 , S t G B , § 1 4 6 / 2 , PUPPE
NStZ 1998, S. 460 f; BGH NStZ 2000 S. 530; BGH wistra 2002 S. 339; LG Gera StV 1996 S. 155 mit A n m . ST. CRAMER N S t Z 1 9 9 7 S. 8 4 f; LACKNER/KÜHL § 146 R d n . 6 ; RUDOLPHI S K II, § 1 4 6 R d n . 9; RUß L K , § 146 R d n . 2 0 ; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , R d n . 9 2 9 . 9 8
V g l . PUPPE N K , § 1 4 6 R d n . 2 1 f. - A . A . ERB M K , § 1 4 6 R d n . 3 3 .
9 9
V g l . B G H S t 2 3 S. 2 8 8 ; PUPPE N K , § 148 R d n . 2 8 ; RUDOLPH· S K II, § 148 R d n . 5. - W e i t e r : HERDEGEN L K , § 148 Rdn. 11.
100
BGHSt 29 S. 311 mit abl. Anm. OTTO JR 1981 S. 82 ff; 35 S. 21, 23; 42 S. 162, 168; BGH NStZ 2002 S . 5 9 3 ; O L G D ü s s e l d o r f N J W 1 9 9 8 S. 2 0 6 7 ; ARZT/WEBER B . T . § 3 4 R d n . 13; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 5 3 R d n . 6 ; LACKNER/KÜHL § 1 4 7 R d n . 2 ; RUß L K , § 146 R d n . 2 4 ; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 1 4 6 R d n . 5; STREE JUS 1 9 7 8 S. 2 3 9 f; TRÖNDLE/FISCHER § 147 R d n . 2 ; WESSELS B o c k e l m a n n - F S , S. 6 7 7 f.
101
So auch OLG Stuttgart NJW 1980 S. 2089 mit Anm. OTTO JR 1981 S. 83; LG Kempten NJW 1979 S. 2 2 5 m i t A n m . OTTO N J W 1 9 7 9 S. 2 2 6 ; BARTHOLME J A 1 9 9 3 S. 199 f; BOCKELMANN B . T . / 3 , § 16 II 2 d; ERB M K , § 146 R d n . 3 9 f f ; JAKOBS J R 1 9 8 8 S. 122; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 7
424
Geldfalschung
§75
b) Nur deijenige kann Täter des Abs. 1 Nr. 3 sein, der das Falschgeld durch eine Tat nach 12 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 erlangt hat. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Bedingter Vorsatz genügt. Die in Abs. 1 Nr. 13 1,2 vorausgesetzte Absicht ist zielgerichtetes Wollen (dolus directus 1. Grades). 102 5. Konkurrenzen a) Zur Konkurrenz des Nachmachens, Verfalschens und Verschaffens mit dem In- 14 verkehrbringen gemäß § 146 Abs. 1 Nr. 3 vgl. die entsprechenden Ausführungen § 70 Rdn. 56 f. - Das Inverkehrbringen ist auch hier die materielle Beendigung der zuvor vollendeten Tat. 103 Eigenständige Bedeutung kommt dem § 146 Abs. 1 Nr. 3 nur zu, wenn der einheitliche 15 Vorgang des Nachmachens, Verfalschens oder Verschaffens des Geldes und des Inverkehrbringens dieses Geldes unterbrochen wird. Beispiel 1: Nach rechtskräftiger Verurteilung wegen einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 bringt der Täter erneut Falschgeld aus der alten Quelle in Verkehr.' 0 4 Beispiel 2: Nach endgültiger Aufgabe des Planes, das Geld in den Verkehr zu bringen, fasst der Täter eines Tages einen neuen Entschluss und bringt nun das Geld in den Verkehr.
b) Mit § 263 besteht Idealkonkurrenz, denn die Tat richtet sich gegen unterschiedliche 16 Rechtsgüter. 105 6. Qualifizierte Geldfälschung, Abs. 2 Qualifiziert ist die Geldfalschung bei gewerbsmäßigem oder bandenmäßigem Handeln, 17 Abs. 2; im Einzelnen dazu die entsprechenden Ausführungen unter § 51 Rdn. 107,113.
III. Vorbereitung der Fälschung von Geld, § 149 Abs. 1,1. Alt. Bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Geldfalschung stellt § 149 Abs. 1, 1. Alt. als 18 selbständiges Delikt unter Strafe. 1. § 149 ist subsidiär gegenüber § 146. Er tritt zurück, sobald der Versuch der Fälschungstat begonnen hat. 2. Zur Möglichkeit der Tätigen Reue vgl. § 149 Abs. 2, 3.
R d n . 2 7 ; PRITTWITZ N S t Z 1 9 8 9 S. 10; PUPPE J Z 1 9 8 6 S. 9 9 4 ; DIES. J Z 1 9 9 1 S. 6 1 2 ; RUDOLPHI S K II, § 1 4 6 R d n . 12 f, § 1 4 7 R d n . 6 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 4 / 5 0 ; STEIN/ONUSSEIT JUS 1 9 8 0 S. 104 ff; WESSELS/HETTINGER B . T . / L , R d n . 9 3 3 a. 102
So auch BGHSt 27 S. 259; 35 S. 22; LACKNER/KÜHL § 146 Rdn. 11; Ruß LK, § 146 Rdn. 15. - A.A. (einfacher Vorsatz): PUPPE NK, § 146 Rdn. 13.
103
Vgl. auch BGHSt 34 S. 108; BGH StV 1995 S. 470; 2000 S. 306.
1 0 4
V g l . LACKNER/KÜHL § 146 R d n . 9 ; RUß L K , § 146 R d n . 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 146 R d n . 2 3 . - A . A . PUPPE N K , § 1 4 6 R d n . 3 2 .
105
So auch h.M., vgl. BGHSt 3 S. 156; 31 S. 380 mit Anm. KIENAPFEL JR 1984 S. 162 f. - A.A. RUDOLPHI SK II, § 146 Rdn. 19: Konsumtion des § 263.
425
§75
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
IV. Inverkehrbringen von Falschgeld, § 147 19 Nach § 147 werden die Fälle des Inverkehrbringens von Falschgeld als echt erfasst, die nicht unter § 146 Abs. 1 Nr. 3 fallen. - Das ist etwa dann der Fall, wenn Falschgeld in Verkehr gebracht wird, das zunächst ohne Verbreitungsabsicht nachgemacht worden ist, oder wenn als echt empfangenes Falschgeld an Gutgläubige abgegeben wird. 20 Durch die Interpretation des Inverkehrbringens des Falschgeldes als echt auch bei Weitergabe an einen eingeweihten Dritten, sofern dies der erste Schritt des Inverkehrbringens als Zahlungsmittel ist, wird z.T. versucht, das Ermöglichen des Inverkehrbringens als echt als Inverkehrbringen als echt zu erfassen; vgl. dazu Rdn. 10 f. Damit fallt auch die Weitergabe als echt empfangenen Falschgeldes an einen Eingeweihten unter § 147. - Dem kann aus den unter Rdn. 10 f dargelegten Gründen nicht gefolgt werden. Aber auch die Gegenmeinung, die in diesem Falle eine Beihilfe an der Tat des eingeweihten Dritten annimmt, wenn dieser sich das Geld geben lässt, um es als echt in den Verkehr zu bringen, §§ 146 Abs. 1 Nr. 3, 27, wird dem Sachproblem nicht gerecht. Der gutgläubige Empfanger von Falschgeld, der dieses selbst an einen Gutgläubigen weitergibt, macht sich lediglich eines Vergehens nach § 147 Abs. 1 schuldig. Schaltet er hingegen einen Dritten ein, so soll er wegen Beihilfe zu einem Verbrechen, §§ 146 Abs. 1 Nr. 3, 27, d.h. wegen eines Verbrechens strafbar sein. 106 21 Dieser Widerspruch ist nicht akzeptabel. - Sachlich angemessen wäre eine Privilegierung desjenigen, der gutgläubig Falschgeld erhalten hat und dieses jetzt weitergibt, sowie jener Personen, die ihm altruistisch dabei helfen. Diese Personen sollten gemäß § 147 bestraft werden, der Erstempfanger sodann gemäß §§ 147, 27. 107 22 Diese Differenzierung ist jedoch mit dem Gesetzeswortlaut der §§ 146 Abs. 1 Nr. 2, 147 nicht in Einklang zu bringen. Möglich aber ist es, aufgrund der Gleichheit im Unrechtsgehalt auf das Verhalten des gutgläubigen Empfangers von Falschgeld, der dieses weitergibt, und jener Personen, die ihm altruistisch dabei helfen, das Strafmaß des § 147 analog anzuwenden, unabhängig von der dogmatischen Erfassung des strafbaren Verhaltens.
V. Wertpapierfalschung, § 151 23 Gemäß § 151 werden bestimmte Wertpapiere - Aufzählung erschöpfend - dem Gelde gleichgestellt. Auswahlkriterien fur den Gesetzgeber waren das massenhafte Vorkommen dieser Papiere im Wirtschaftsverkehr und die dem Papiergeld ähnliche tatsächliche Ausstattung. Die Papiere müssen gegen Nachahmung besonders gesichert sein, und zwar durch Gestaltung des Druckes und durch die Auswahl der Papierart. 108 - Die an den Börsen der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Papiere genügen diesen Anforderungen ausnahmslos. 24 Die Fälschung braucht - ebenso wenig wie das Geld - kein echtes Vorbild zu haben, doch ist auch hier zu fordern, dass als Aussteller eine wirklich existierende Person angegeben wird, denn nur die Verletzung des Vertrauens in das konkrete Unternehmen des
1 0 6 1 0 7
S o O L G S t u t t g a r t N J W 1 9 8 0 S. 2 0 8 9 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 6 7 R d n . 2 7 . D a z u ERB M K ,
§
1 4 7 R d n . 7 ; PUPPE N K ,
STEIN/ONUSSEIT JUS 1 9 8 0 S. 1 0 7 f. 108
426
Vgl. BGH NStZ 1987 S. 504.
§ 147 Rdn.
15; RUDOLPHI S K II, §
147 R d n .
6;
Geldfälschung
§75
Ausstellers des relevanten Papiers rechtfertigt den erhöhten Strafrechtsschutz; vgl. zum Streitstand Rdn. 5 f.
VI. Fälschung von Zahlungskarten, Schecks und Wechseln, § 152 a 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zah- 25 lungsverkehrs. Dem damit verbundenen Vermögensschutz kommt keine Eigenständigkeit zu."» 2. Das Tatobjekt Tatobjekt sind falsche oder echte inländische oder ausländische Zahlungskarten ohne Ga- 26 rantiefunktion, die von einem Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut herausgegeben worden sind - zum Begriff der Zahlungskarte vgl. Abs. 4 - sowie Schecks und Wechsel.' 10 Falsch sind die Karten, Schecks oder Wechsel, wenn sie nicht von dem berechtigten, aus der Karte oder dem Scheck bzw. Wechsel ersichtlichen Aussteller herrühren. - Aussteller ist auch hier nicht derjenige, der die Vordrucke körperlich herstellt, sondern deijenige, dem sie rechtlich zugerechnet werden. 3. Die Tat nach Abs. 1 Nr. 1 a) Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 1 sind das Nachmachen, d.h. das Herstellen - im einzel- 27 nen dazu vgl. § 75 Rdn. 4 f - und das Verfälschen, das eine Veränderung an einer echten Karte oder einem echten Scheck bzw. Wechsel voraussetzt - dazu im einzelnen § 75 Rdn. 8 -. Es genügt, wenn eine Karte nachgemacht oder verfälscht wird. Der im Gesetzeswortlaut gewählte Plural hat sprachliche, nicht sachliche Gründe. 111 b) Subjektiv ist neben dem auf die Tathandlung bezogenen Vorsatz, bedingter genügt, er- 28 forderlich, dass der Täter zur Täuschung im Rechtsverkehr oder um eine solche Täuschung zu ermöglichen, handelt. - Zur Täuschung im Rechtsverkehr vgl. § 70 Rdn. 53. 4. Die Tat nach Abs. 1 Nr. 2 Tathandlungen nach Abs. 1 Nr. 2 sind das sich oder einem anderen Verschaffen, d.h. das 29 Erlangen der alleinigen oder gemeinsamen Verfugungsmacht über die Karten, Wechsel oder Schecks für sich oder einen Dritten, das Feilhalten, d.h. das erkennbare Bereithalten
1 0 9
V g l . B T - D r u c k s . 1 0 / 5 0 5 8 , S . 2 6 ; LACKNER/KÜHL § 1 5 2 a R d n . 1; O T T O w i s t r a 1 9 8 6 S . 1 5 3 ; RUDOLPHI S K II, § 1 5 2 a R d n . l ; R u ß L K § 1 5 2 a R d n . 2 ; TRÖNDLE/FLSCHER § 1 5 2 a R d n . 2 . - A . A . PUPPE N K , § 1 5 2 a Rdn. 3 ff.
§ 152 a wurde geändert, § 152 b neu eingefügt durch das 35. StrafrechtsÄndG zur Umsetzung des Rahmenabschlusses des Rats der Europäischen Union vom 28.5.2001; dazu HUSEMANN NJW 2004 S. 104 ff. 111
Vgl. auch BGHSt 46 S. 146, 150 ff mit Anm. OTTO JK 01, StGB § 152 a/2, PUPPE JZ 2001 S. 471 f; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 1 5 2 a R d n . 5 ; TRÖNDLE/FlSCHER § 1 5 2 a R d n . 1 1 . - A . A . PUPPE N K , § 1 5 2 a R d n . 14; RUDOLPHI S K II, § 1 5 2 a R d n . 6 ; R U ß L K , § 1 5 2 a R d n . 4 .
427
§76
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
der Tatobjekte zum Verkauf an andere, das Überlassen des Gewahrsams an den Tatobjekten an einen anderen und das Gebrauchen - dazu vgl. § 70 Rdn. 50 -, das bereits beim Gebrauch einer einzigen Karte vorliegt. 112 Der subjektive Tatbestand entspricht dem der Nr. 1, vgl. Rdn. 28. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. 5. Qualifizierte Fälschung, Abs. 3 30 Qualifiziert ist das Delikt nach Abs. 1 bei gewerbsmäßigem oder bandenmäßigem Handeln, Abs. 2; im Einzelnen dazu die entsprechenden Ausfuhrungen § 51 Rdn. 107, 113. 6. Vorbereitungshandlungen 31 Durch Verweis auf § 149 werden Vorbereitungshandlungen zur Fälschung von nicht garantierten Zahlungskarten, Schecks und Wechseln erfasst. VII. Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken für Euroschecks, § 152 b 1. Das Tatobjekt 32 § 152 b erfasst Karten, die - auch - als garantierte Zahlungskarten eingesetzt werden können - zum Begriff der garantierten Zahlungskarte vgl. Abs. 4 - sowie Vordrucke für Euroschecks. 33 Auf die konkrete Verwendung der Karte kommt es für die Abgrenzung nicht an; dazu BGHSt 46 S. 146. 2. Die Tathandlungen 34 Die Tathandlungen entsprechen denen des § 152 a; vgl. dazu Rdn. 27 ff. - Gleiches gilt fur die Qualifizierungen gem. Abs. 2; vgl. dazu Rdn. 30. 3. Vorbereitungshandlungen 35 Durch den Verweis auf § 149 werden Vorbereitungshandlungen zur Fälschung von Zahlungskarten und Euroscheckvordrucken erfasst.
§ 76 Wertzeichenfälschung I. Wertzeichenfalschung, § 148 1
1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt Rechtsgut des § 148 ist die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs mit Wertzeichen. - Die Objekte selbst sind nach h.M. nicht Urkunden, sondern Augenscheinsobjekte, denn sie verkörpern keine Gedankenerklärung.113
112
Vgl. BT-Drucks. 13/8557, S. 29 f; BGH wistra 2001 S. 17. - A.A. PUPPE NK, § 152 a Rdn. 24; RUDOLPHI S K II, § 1 5 2 a R d n . 6 ; RUß L K , § 1 5 2 a R d n . 4 .
113
Dagegen mit überzeugenden Gründen PUPPE NK, § 148 Rdn. 3; G. SCHMIDT ZStW 111 (1999) S. 420 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 1 4 8 R d n . 2 a .
428
§76
Wertzeichenfal schung
2. Das amtliche Wertzeichen Amtliche Wertzeichen sind vom Staat, einer Gebietskörperschaft oder einer sonstigen Kör- 2 perschafit oder einer Anstalt des öffentlichen Rechts ausgegebene Marken oder ähnliche Zeichen, die Zahlung gleicher Art (wie von Gebühren, Steuern, Abgaben, Beiträgen und dergleichen) vereinfachen, sicherstellen oder nachweisen sollen. 114 Auch ausländische Zeichen sind geschützt, soweit sie den Anforderungen genügen. Beispiele: Stempelpapiere; Stempelmarken; Beitragsmarken zur Sozialversicherung; Gerichtskostenmarken o.k.
Keine amtlichen Wertzeichen sind die Briefmarken der Dt. Post AG. 1 im Rahmen des § 2 6 7 . ' 1 6
- Ihr strafrechtlicher Schutz erfolgt
3. Die Tathandlungen a) Die Tathandlungen gemäß Abs. 1 entsprechen denen der Geldfalschung, vgl. dazu oben § 75 Rdn. 4 ff. b) Gemäß Abs. 2 wird die Wiederverwendung und das in den Verkehr bringen bereits entwerteter amtlicher Wertzeichen bestraft, an denen das Entwertungszeichen beseitigt worden ist. Der Versuch der Tat beginnt, wenn der Täter sich - nach seinem Vorstellungsbild vom Sachverhalt - anschickt, von den Wertzeichen erneut Gebrauch zu machen.
3 4
Das ist z.B. bei der Wiederverwendung entwerteter Briefmarken der Fall, wenn der Täter sich anschickt, den mit entwerteten Zeichen versehenen Brief in den Machtbereich der Post gelangen zu lassen.1
4. Konkurrenzen a) Mit § 263 kann § 148 Abs. 1 Nr. 3 in Tateinheit stehen. 118 - Vgl. dazu § 75 Rdn. 14 f.
5
b) Abs. 2 ist gegenüber § 263 lex specialis, da sonst der mildere Strafrahmen nicht zum Zuge käme.1 19
6
II. Vorbereitung der Fälschung von Wertzeichen, § 149 Abs. 1, 2. Alt. Bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Wertzeichenfalschung stellt § 149 Abs. 1, 2. Alt. als selbständiges Delikt unter Strafe; vgl. dazu § 75 Rdn. 18.
114
BGHSt32S. 75.
1 1 5
V g l . ERB M K , § 1 4 8 R d n . 2 ; G . SCHMIDT Z S t W 111 ( 1 9 9 9 ) S. 4 0 3 ; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN §
148 Rdn. 2; TRÖNDLE/FISCHER § 148 Rdn. 2. - A.A. CANTZLER Strafrechtliche Auswirkungen der Pri-
vatisierung von Verwaltungsaufgaben, 2002 S. 120 ff, 124; PUPPE NK, § 148 Rdn. 9. 1 1 6
V g l . a u c h RUDOLPHI S K II, § 1 4 8 R d n . 2 ; R u ß L K , § 1 4 8 R d n . 4 ; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 1 4 8 R d n . 1; TRÖNDLE/FISCHER § 1 4 8 R d n . 2 .
1 1 7
A . A . O L G K o b l e n z N J W 1 9 8 3 S . 1 6 2 5 m i t a b l . A n m . KÜPER N J W 1 9 8 4 S. 7 7 7 f, u n d LAMPE J R 1 9 8 4
S. 164 f, wo letztlich bereits die erste Verwendung der Briefmarke als Versuch der Wiederverwendung interpretiert wird. 118
BGHSt 31 S. 380 mit Anm. KIENAPFEL JR 1984 S. 162 f.
1 1 9
V g l . KIENAPFEL J R 1 9 8 4 s . 1 6 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 1 4 8 R d n . 10. - A . A . G . SCHMIDT Z S t W ( 1 9 9 9 ) S. 4 2 1 .
ILL
429
7
§77
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§ 77 Zur Wiederholung 1
1.
Welches Rechtsgut schützen die Urkundendelikte? - Dazu § 69 Rdn. 1.
2.
Welche vier verschiedenen Arten des Angriffs auf dieses Rechtsgut sind im StGB unter Strafe gestellt? Dazu § 69 Rdn. 2.
3.
Wie wird der Begriff „Urkunde" nach den verschiedenen Meinungen jeweils definiert? - Zeigen Sie den entscheidenden Unterschied auf! - Dazu § 70 Rdn. 2 ff, 6 ff.
4.
Welche der folgenden Gegenstände lassen sich nach dem engeren, welche nach dem weiten Urkundenbegriff der h.M. als Urkunde einordnen: Fahrgestell- und Motomummer sowie amtliches Kennzeichen an Kraftfahrzeugen, Autogramm, Merkstrich auf Bierfilzen, Fahrtenschreiberdiagramm, Tonbandaufzeichnung, Fabriknummer auf einem Industrieerzeugnis, unausgefüllter Scheckvordruck, stenographisches Schuldanerkenntnis, Quittung, Dienststempel in einer Diensthose zur Eigentümerkennzeichnung? - Dazu § 70 Rdn. 6 ff.
5.
Welche Bedeutung hat die sog. Geistigkeitstheorie für die Ermittlung des Ausstellers einer Urkunde? Dazu § 70 Rdn. 10 ff.
6.
In welchem der folgenden Fälle ist der Aussteller erkennbar, so dass von einer Urkunde gesprochen werden kann? a) Der Α unterschreibt einen Erpresserbrief mit „King Kong". b) Die Β zeichnet ein dem unbekannten Unfallgegner C übergebenes Schuldanerkenntnis fälschlich mit „Müller". c) Udo Jürgens bestellt schriftlich unter diesem Künstlernamen ein neues Klavier. d) Der C trägt sich im Anmeldeformular eines Hotels unzutreffend mit „Klaus Schultz" ein, um anonym zu bleiben. - Dazu § 70 Rdn. 16 f, 43 f.
7.
Was ist eine „Gesamturkunde"? Was ist eine „zusammengesetzte Urkunde"? - Dazu § 70 Rdn. 25 f.
8.
Was versteht man unter dem Herstellen einer unechten, was unter dem Verfälschen einer echten Urkunde? - Dazu § 70 Rdn. 34 ff, 47 ff.
9.
Macht derjenige von einer „unechten oder verfälschten Urkunde" Gebrauch, der eine Fotokopie vorlegt, die er geschickt durch bloßes Aufeinanderlegen von Einzelbestandteilen erstellt hat? - Dazu § 70 Rdn. 28 f.
10. Der Α fügt dem zu seinen Gunsten von Β ausgestellten Scheck über € 100,- gekonnt eine weitere Null hinzu und legt diesen 1000,- €-Scheck - seinem Plan gemäß - seiner Bank zur Gutschrift vor. Welche Urkundenfälschungen hat Α begangen und wie verhalten sich die Taten zueinander? - Dazu § 70 Rdn. 58. 11. Was versteht man unter einer „öffentlichen Urkunde"? - Dazu § 71 Rdn. 4 f. 12. Ist das Delikt der Falschbeurkundung im Amt, § 348, schon mit der bloßen Beurkundung oder Eintragung durch den Amtsträger vollendet? - Dazu § 71 Rdn. 9. 13. Wie ist die Strafbarkeit der Personen in folgenden Fällen zu beurteilen, wenn man davon ausgeht, dass § 271 als lückenschließende Ergänzung zu § 348 zu verstehen ist? a) A will den vermeintlich gutgläubigen Amtsträger Ν durch Täuschung zu einer unrichtigen Beurkundung bewegen. Ν fertigt diese Urkunde an, obwohl er Α durchschaut hat. b) Α gibt dem Amtsträger Ν Falsches zur Beurkundung, wobei er annimmt, dem Ν werde dies bei der Urkundenerstellung bewusst sein. Ν bemerkt hiervon jedoch nichts. - Dazu § 71 Rdn. 14 f, 16. 14. Welche unterschiedlichen Auffassungen werden zur Benachteiligungsabsicht in § 274 Abs. 1 Nr. 1 vertreten? - Dazu § 72 Rdn. 5 f. 15. Ist die laufende (veränderliche) Anzeige an einem Mess- oder Zählgerät, z.B. einem Kfz-Kilometerzähler, eine „technische Aufzeichnung" i.S. des § 268? Begründen Sie die Antwort aus der Begriffsdefinition! - Dazu § 74 Rdn. 5. 16. Fällt das Ergebnis eines bloß reproduzierenden Vorgangs, z.B. Fotografien, Film- und Fernsehaufnahmen, unter den Begriff der „technischen Aufzeichnung"? Zeigen Sie den entscheidenden Gesichtspunkt auf! - Dazu § 74 Rdn. 6. 17. In welchen der folgenden Fälle ist § 268 verwirklicht?
430
Zur Wiederholung
§77
a) Α bewirkt, dass sein Fahrtenschreiber bei hoher Geschwindigkeit aussetzt. Die fehlenden Diagrammteile zeichnet er später mit der Hand ein. b) Der Kraftfahrer Α gibt seinem Chef ein altes Diagramm anstelle des am selben Tage angefertigten ab. c) Β heftet in seine Krankenakte ein Elektrokardiogramm, das in Wirklichkeit für X angefertigt wurde. - Dazu § 74 Rdn. 2 , 4 ff, 10 ff. 18. Ist § 146 Abs. 1 Nr. 1 erfüllt, wenn der Täter erfundene Geldscheine eines nicht existierenden Staates herstellt? - Dazu § 75 Rdn. 5. 19. Kann die Weitergabe von Falschgeld an einen Eingeweihten als ein Inverkehrbringen „als echt" i.S. der §§ 146, 147 interpretiert werden? - Skizzieren Sie die hierzu vertretenen Meinungen und ihre jeweilige Begründung! - Dazu § 75 Rdn. 10 f, 19 ff. 20. Worin liegt der in der geltenden Gesetzesfassung begründete Wertungswiderspruch, wenn man die Weitergabe von Falschgeld an einen Eingeweihten, das dieser an Gutgläubige weitergibt, als Beihilfe zur Tat des Eingeweihten gem. §§ 146 Abs. 1 Nr. 3,27 beurteilt? - Dazu § 75 Rdn. 20 f.
431
§78
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Fünfter Abschnitt Gemeingefährliche Delikte § 78 Systematischer Überblick I. Der Begriff des gemeingefährlichen Delikts 1
1. Vom gemeingefährlichen Delikt zum Gefährdungsdelikt Die im 28. Abschnitt des StGB zusammengefassten Delikte sind nicht durch den Angriff auf ein gemeinsames Rechtsgut gekennzeichnet, sondern durch die Begehungsweise. Sachlich handelt es sich daher bei den hier erfassten Delikte um konkrete oder abstrakte Gefährdungsdelikte. Die konkreten Gefährdungsdelikte setzen den Nachweis einer tatsächlich eingetretenen Gefahrensituation voraus, in der es aus der Sicht eines Beobachters der Situation allein zufallsbedingt ist, wenn es nicht zu einer Rechtsgutsverletzung kommt. Abstrakte Gefährdungsdelikte sind Delikte, die ein typischerweise gefährliches Verhalten verpönen, unabhängig davon, ob es zum Eintritt einer konkreten Gefahr kommt oder nicht.
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3
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Als gemeingefährlich, d.h. gefahrlich fur individuell nicht bestimmte Personen oder Sachwerte, können die hier relevanten Delikte daher nicht wegen eines bestimmten GefahrAungserfolges, sondern allein wegen ihrer Handlungstendenz angesehen werden. 2. Der Ausschluss der Realisierung der Gefahr Eine grundsätzliche Frage stellt sich bei allen abstrakten Gefahrdungsdelikten: Wird der Tatbestand auch dann erfüllt, wenn sichergestellt ist, dass die abstrakte Gefahr sich nicht realisieren kann? a) Folgende Vorschläge zur Lösung der Problematik werden erörtert: aa) Es soll der Gegenbeweis der Ungefahrlichkeit des Verhaltens im Einzelfall zugelassen werden. 1 bb) Die Tatbestände sind durch das - ungeschriebene - Merkmal der generellen Eignung der Tat zur Rechtsgutsbeeinträchtigung zu ergänzen. 2 cc) Die Tathandlung soll nur dann tatbestandsmäßig sein, wenn sie in bezug auf das geschützte Rechtsgut sorgfaltspflichtwidrig war. 3 dd) Die abstrakten Gefahrdungsdelikte sind in verschiedene Kategorien einzuteilen, mit der Konsequenz entsprechend differenzierter Lösungen der Problematik. 4 ee) Ein „Ausschluss der Strafbarkeit" ist gegeben bei absoluter Unmöglichkeit des Schadenseintritts im Einzelfall. 5 1
2
Vgl. RABL Der Gefährdungsvorsatz, 1983, S. 21; SCHRÖDER ZStW 81 (1969) S. 15 f; TIEDEMANN in: Belke/Oehmichen (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität, S. 28. Vgl. CRAMER Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 67 f.
3
Vgl. BERZ Formelle Tatbestandsverwirklichung und materialer Rechtsgüterschutz, 1986, S. 113 f; BREHM Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdeliktes, 1973, S. 126 f; HORN Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 11, 28, 94; RUDOLPHI Maurach-FS, S. 56 f; WOLTER Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981, S. 284 ff.
4
V g l . SCHÜNEMANN J A 1 9 7 5 S. 7 9 8 .
5
V g l . MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 5 0 R d n . 3 9 .
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Systematischer Überblick
§78
ff) Zum Teil wird eine vom Schutzzweck abgeleitete einschränkende Auslegung der abstrakten Gefährdungsdelikte grundsätzlich abgelehnt.6 b) Stellungnahme: Die Problematik, dass der Tatbestand eines abstrakten Gefahrdungsde- 5 likts ein Verhalten erfasst, das im konkreten Fall das geschützte Rechtsgut überhaupt nicht beeinträchtigen kann, hat nicht nur strafrechtliche, sondern verfassungsrechtliche Dimensionen, denn ein Verhalten, das sich in einem formalen Verstoß gegen das gesetzliche Verbot erschöpft, ist nicht strafwürdig. Hier fragt es sich, ob nicht das Gesetz bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen Reaktionsmöglichkeiten vorsehen muss, die eine Bestrafung des Betroffenen in diesen Fällen verhindern.7 Solange diese gesetzliche Grundlage fehlt, ist jedoch durch Auslegung der ent- 6 sprechenden Tatbestände sicherzustellen, dass eine Bestrafung nicht strafwürdigen Verhaltens unterbleibt. Zur Realisierung dieses Ziels sind die verschiedenen Vorschläge jedoch unterschiedlich geeignet: Die Zulassung des Gegenbeweises der Ungefahrlichkeit ist mit dem Schuldgrundsatz 7 nicht in Einklang zu bringen. Darüber hinaus erscheint diese Lösung, wie auch die Forderung nach einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der generellen Eignung der Tat zur Rechtsgutsbeeinträchtigung oder nach einer Sorgfaltspflichtverletzung in Bezug auf das geschützte Rechtsgut, zu weitgehend. Durch die Eröffnung tatbestandsausschließender Irrtümer wird der vom Gesetzgeber gewollte Schutzbereich eingeengt. Eine Differenzierung zwischen den abstrakten Gefahrdungsdelikten kann die Problematik sicher weiter erhellen, erscheint aber nicht unabweisbar notwendig. - Ist die Realisierung der abstrakten Gefahr im Einzelfall jedoch absolut ausgeschlossen und hat der Täter dies durch geeignete Maßnahmen sichergestellt oder sich vom Gefahrenausschluss zumindest überzeugt, so kann dieser Sachverhalt als persönlicher Strafausschließungsgrund akzeptiert werden. Diese Konstruktion ermöglicht auch problemlos eine Strafmilderung, wenn zwar die Realisierung der Gefahr nicht sicher ausgeschlossen war, der Täter sich dieses jedoch vorstellte.8
II. Die gemeingefährlichen Delikte (Überblick) 8
1. Die Brandstiftungsdelikte, §§ 306-306f: dazu unten § 79 2. Die Explosionsdelikte, §§ 307 - 312 a) Das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion erfasst § 308. Die Tat ist ein konkretes Gefahrdungsdelikt.
6
V g l . BOHNERT J u s 1 9 8 4 S. 182 ff; GEPPERT W e b e r - F S , S. 4 3 4 ff(zu § 3 0 6 a ) ; GÖSSELZDÖLLING B . T . l , § 4 1 R d n . 2 2 ; KINDHÄUSER G e f ä h r d u n g a l s Straftat, 1 9 8 9 , S. 2 9 6 ; KORIATH G A 2 0 0 1 S. 6 5 ff, 7 4 ;
KRATZSCH Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985, S. 111 ff, 274 ff; KREY B.T.l, R d n . 7 6 5 ; RENGIER J u S 1 9 9 8 S. 3 9 9 ; SCHNEIDER J u r a 1 9 8 8 S. 4 6 0 f. 7 8
Dazu GRAßHOF BVerfGE 90 S. 202, 207. In gleicher Richtung der Argumentation: BGHSt 26 S. 121 mit Anm. BREHM JuS 1976 S. 22 ff; BGH N J W 1982 S. 2 3 2 9 m i t A n m . BOHNERT J u S 1 9 8 4 S. 182 ff, HILGER N S t Z 1982 S. 4 2 1 f, SEIER J A 1983 S. 4 5 f; B G H S t 3 4 S. 115, 119; KÜPER B . T . , S. 2 0 8 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 5 0 R d n . 3 7 ff; WESSELS/HETTINGERB.T./l, R d n . 9 6 8 ; WOLTERS J R 1 9 9 9 S. 2 0 9 .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Tathandlung ist das Herbeiführen einer Explosion, d.h. eines chemischen oder physikalischen Vorgangs, bei dem durch eine plötzliche Volumenvergrößerung Kräfte frei werden, die eine zerstörende Wirkung ausüben können. 9 Eine Gefahrdung durch Implosion oder Schallwellen fallt nicht unter den Begriff der Explosion. 10 10 Die Strafe ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Das vorsätzliche Herbeifuhren einer Explosion, Abs. 1. bb) Das vorsätzliche Herbeiführen einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung, Abs. 5. cc) Das fahrlässige Herbeiführen einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung, Abs. 6. dd) Die erfolgsqualifizierte Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion - schwere Gesundheitsbeschädigung eines anderen Menschen, dazu vgl. § 10 Rdn. 2, oder Gesundheitsbeschädigung einer großen Zahl von Menschen - erfasst Abs. 2. ee) Eine weitere Erfolgsqualifikation - wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines anderen Menschen - ist geregelt in Abs. 3. 11 b) Eine Sonderregelung gegenüber § 308 (lex specialis) stellt § 307, Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie, dar. aa) Die Tat ist konkretes Gefahrdungsdelikt und im Falle des Abs. 1 (vorsätzliche Gefährdung durch vorsätzliche Tathandlung) Unternehmensdelikt, bb) Abs. 2 erfasst die vorsätzliche Herbeiführung einer Explosion mit fahrlässiger Gefährdung. cc) Abs. 3 sieht eine Erfolgsqualifikation für die wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen durch die Tat vor. dd) Abs. 4 erfasst die fahrlässige Herbeiführung der Explosion mit fahrlässiger Gefährdung. 12 c) Missbrauch ionisierender Strahlen, § 309 Gemäß § 309 wird die konkrete Gefährdung von Menschen (Abs. 1) und bestimmten Sachen (Abs. 6) durch ionisierende Strahlen bestraft. aa) Die Tat erfordert Vorsatz, bedingter genügt, sowie die Absicht (dolus directus 1. Grades), die Gesundheit eines anderen zu schädigen (Abs. 1) oder die Brauchbarkeit der betroffenen Sache zu beeinträchtigen (Abs. 6). bb) Abs. 2 enthält einen Qualifikationstatbestand zu Abs. 1. Unübersehbar ist eine Zahl, wenn so viele Menschen betroffen sind, dass ein objektiver Beobachter sie nicht ohne nähere Prüfung bestimmen kann.
cc) Abs. 3 und Abs. 4 erfassen die erfolgsqualifizierte Deliktsbegehung entsprechend dem § 308 Abs. 2, 3; vgl. dazu Rdn. 11. 13 d) Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens, § 310 Die Vorschrift schützt über § 30 hinaus gegen Handlungen, die zur Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens nach §§ 307 Abs. 1, 309 Abs. 2 oder § 308 Abs. 1 begangen werden. Die Tat muss in der Vorstellung des Täters bereits in den Grundzügen bestimmt sein. 9
KGNStZ 1989 S. 369.
10
S o a u c h HERZOG N K , § 3 0 8 Rdn. 4; HORN S K II, § 3 0 8 Rdn. 4 ; SCH/SCH/HEINE § 3 0 8 Rdn. 3. - A . A . LACKNER/KÜHL § 3 0 8 Rdn. 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 0 8 Rdn. 3; WOLFF L K , § 3 1 1 Rdn. 4 .
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§78
Systematischer Überblick
e) Tätige Reue, § 314 a 14 Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 1, 2) oder zum Strafausschluss (Abs. 3, 4) fuhren kann, ist für die Explosionsdelikte in § 314 a besonders geregelt. 3. Freisetzen ionisierender Strahlen § 311; dazu vgl. § 82 Rdn. 90
ff.
15
4. Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage, § 312; vgl. § 82 Rdn. 88.
16
5. Herbeiführen einer Überschwemmung, § 313 a) Der Grundtatbestand, Abs. 1, erfasst die konkrete Gefahrdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert durch die Herbeiführung einer Überschwemmung. b) Die vorsätzliche Herbeiführung der Überschwemmung und fahrlässige Begründung der Gefahr sowie die fahrlässige Herbeiführung der Überschwemmung und die fahrlässige Herbeiführung der Gefahr werden entsprechend § 308 Abs. 5, 6, erfasst, Abs. 2. c) Qualifizierte und erfolgsqualifizierte Fälle der Herbeiführung einer Überschwemmung werden entsprechend § 308 Abs. 2, 3 erfasst, Abs. 2; vgl. dazu Rdn. 12. d) Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluss (Abs. 3, 4) führen kann, ist in § 314 a besonders geregelt. 6. Die Gefährdung des Verkehrswesens, §§ 315-316, 316 c; dazu § 80.
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7. Die Beschädigung wichtiger Anlagen, § 318 a) Das konkrete Gefahrdungsdelikt des Abs. 1 stellt die vorsätzliche Beschädigung oder Zerstörung bestimmter wichtiger Bauten (Wasserleitungen, Schleusen, Wehre, usw.) unabhängig vom Eigentum an diesen Objekten unter Strafe, wenn die Tat eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen begründet. b) Die vorsätzliche Beschädigung wichtiger Anlagen mit fahrlässiger Gefahrdung erfasst Abs. 6 Nr. 1. c) Die fahrlässige Beschädigung wichtiger Anlagen mit fahrlässiger Gefahrdung erfasst Abs. 6 Nr. 2. d) Erfolgsqualifizierte Fälle oder Beschädigung wichtiger Anlagen sind in Abs. 3 (schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen - dazu § 10 Rdn. 2 - Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen) und Abs. 4 (Verursachung des Todes eines anderen Menschen) geregelt. e) Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluss (Abs. 3, 4) führen kann, ist in § 320 besonders geregelt. 8. Die gemeingefährliche Vergiftung, § 314; dazu § 82 Rdn. 101 f.
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9. Die Baugefährdung, §319 Erfasst wird die konkrete Gefährdung von Leib und Leben anderer durch die Verletzung 28 der in der Praxis allgemein anerkannten Regeln der Baukunst bei Planung, Leitung oder
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Ausfuhrung eines Baues oder Einbaues oder bei Änderung technischer Einrichtungen in einem Bauwerk, und zwar: a) Vorsätzliche Verletzung der Regeln und vorsätzliche Gefährdung, Abs. 1, 2. b) Vorsätzliche Verletzung der Regeln und fahrlässige Gefährdung, Abs. 3. c) Fahrlässige Verletzung der Regeln und fahrlässige Gefährdung, Abs. 4. d) Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluss (Abs. 3, 4) fuhren kann, ist in § 320 besonders geregelt. 10. Vollrausch, § 323 a 29 § 323 a kann formell in die Gruppe der gemeingefährlichen Delikte eingefügt werden, wenn man die Unbeherrschbarkeit der ausgelösten Kräfte stärker betont und weniger ihre Art (Naturgewalt, technische Kraft); dazu § 81. 11. Führungsaufsicht und Einziehung, §§321, 322 30 Zur Möglichkeit der Führungsaufsicht und Einziehung vgl. §§ 321, 322. III. Nicht gemeingefährliche Delikte im 28. Abschnitt des StGB 31 1. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316 a; dazu § 46 Rdn. 69 ff. 2. Störung öffentlicher Betriebe, § 316 b 32 Die Vorschrift schützt lebenswichtige Betriebe gegen gewaltsame Eingriffe. 11 3. Störung von Telekommunikationsanlagen, §317 33 § 317 dient dem Schutz von besonders wichtigen öffentlichen Einrichtungen. - Zum Begriff der Telekommunikationsanlagen vgl. § 34 Rdn. 46. Verhindern des Betriebs bedeutet die Schaffung eines Zustandes, in dem die Anlage nicht mehr für ihren Zweck benutzt werden kann. Der Betrieb ist gefährdet, wenn der Eintritt von Funktionsstörungen wahrscheinlich ist. 12 Auch der einzelne private Fernsprechanschluss ist Teil einer öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsanlage.13 4. Gefährdung einer Entziehungskur, § 323 b 34 Die Vorschrift schützt behördlich angeordnete oder sonst ohne Einwilligung des Betroffenen veranlasste Entziehungskuren gegen Störung durch Dritte. Es handelt sich daher um ein den Rechtspflegedelikten verwandtes Delikt. 35 5. Unterlassene Hilfeleistung, § 323 c; dazu § 67 Rdn. 2 ff.
'1
Zum Begriff der der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dienenden Einrichtung: BGHSt 31 S. 1; 31 S. 185 mit ANM. STREE JUS 1983 S. 839 f; OLG Stuttgart NStZ 1997 S. 342 f.
12
Vgl. auch WOLFF LK, § 317 Rdn. 6.
13
B G H S t 3 9 S. 2 8 8 m i t a b l . A n m . HELGERTH S. 122 f, HAHN N S t Z 1 9 9 4 S. 1 9 0 f; LACKNER/KÜHL § 3 1 7
Rdn. 2; WOLFF LK § 317 Rdn. 3. - A.A. BayObLG NJW 1971 S. 528; BayObLG NJW 1993 S. 1215; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 3 1 7 R d n . 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 1 7 R d n . 2 a.
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Brandstiftungsdelikte
§79
§ 79 Brandstiftungsdelikte I. Inbrandsetzen und Zerstören durch Brandlegung Die ursprünglich im Gesetz allein vorgesehene Tathandlung des „Inbrandsetzens" ist durch das 6. StrRG durch die Merkmale der ganz oder teilweisen Zerstörung durch eine Brandlegung ergänzt worden. Dadurch sollen auch solche Schädigungen erfasst werden, die nicht auf ein „Brennen mit heller Flamme" zurückgehen; sondern z.B. auf Ruß-, Rauch- und Hitzeentwicklung oder auf eine Explosion des Zündstoffs u.Ä. Brandlegung ist danach jede Handlung, die auf das Verursachen eines Brandes zielt. 14 - Ganz zerstört ist das Objekt, wenn es vernichtet wird oder seine bestimmungsgemäße Brauchbarkeit völlig verliert, teilweise zerstört, wenn Teile des Objekts unbrauchbar geworden sind, die für den bestimmungsgemäßen Gebrauch wesentlich sind. 15 1. Inbrandgesetzt ist ein Objekt, wenn es vom Feuer in einer Weise erfasst ist, die ein Fortbrennen aus eigener Kraft ermöglicht, so dass sich der Brand auf Teile des Gebäudes ausbreiten kann, die fur dessen bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher Bedeutung sind; BGHSt 48 S. 18.
1
2
Das bloße Brennen des Zündstoffes oder z.B. von Inventar eines Gebäudes reicht nicht aus, wohl aber der Brand von Teilen des Gebäudes, die für dessen bestimmungsmäßigen Gebrauch wesentlich sind (z.B. Tür, Fußboden, Treppe, nicht aber Regale, Schrank, Tapeten, Fußbodensockelleisten).
2. Das Inbrandsetzen eines schon brennenden Objekts an anderer Stelle genügt. - Das bloße Verstärken des Brandes ist auch Inbrandsetzen. Die Brandstiftungsdelikte sind, soweit es um das Inbrandsetzen geht, abstrakte Gefährdungsdelikte. In der gefahrlichen Verhaltensweise hat der Gesetzgeber das strafwürdige Verhalten erblickt. Unter dem Aspekt dieser Gefahrdung ist es aber bedeutungslos, ob eine Gefahr begründet oder eine vorhandene Gefahr intensiviert wird. Die besondere Gefahrdung ist auch zu besorgen, wenn ein schon bestehender Brandherd durch Intensivieren vergrößert wird, gleichgültig ob durch aktives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen der Erfolgsabwendung. 17 3. Versucht ist die Brandstiftung in der Regel, wenn der Täter sich anschickt, den ZündStoff in Brand zu setzen. Sollen Ausschütten (Benzin) oder Anbringen eines Zündstoffs und Entzünden nach dem Tatbild des Täters eine Einheit bilden, so beginnt der Versuch bereits mit dem Ausschütten bzw. Anbringen des Zündstoffs. 18
14
Vgl. dazu BT-Drucks. 13/8587, S. 69; 13/9064, S. 22; GEPPERT Jura 1998 S. 599, HÖRNLE Jura 1998 S. 1 8 1 ; KÜPER B . T . , S . 2 0 6 ; LACKNER/KÜHL § 3 0 6 R d n . 4 ; LLESCHING D i e B r a n d s t i f t u n g s d e l i k t e d e r § §
306 bis 306 e StGB nach dem Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts, 2002, S. 88; RADTKE Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, 1998, S. 207 ff; DERS., ZStW 110 (1998) S. 871; RENGIER JuS 1998 S. 398. - Enger (Ausschluß von Explosionen): STEIN in: Dencker/Struensee/Nelles/Stein (Hrsg.), Einführung in das 6. Strafrechtsreformgesetz, 1998, S. 85; WRAGE JR 2000 S. 363. 15
BGHSt 48 S. 14, 20 f mit Anm. OTTO JK 03, StGB § 306 a/3, RADTKE NStZ 2003 S. 432 ff, WOLFF JR 2003 S. 391 ff.
16
Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 26; BGHSt 18 S. 364 ff; 34 S. 117; 48 S. 18.
17
S o a u c h HECKER J u r a 1 9 9 9 S . 1 9 8 ; HERZOG N K ,
§ 3 0 6 R d n . 2 5 ; LACKNER/KÜHL § 3 0 6 R d n .
3;
RUDOLPHI J e s c h e c k - F S , S . 5 6 1 . - A . A . GEPPERT Jura 1 9 9 8 S : 6 0 1 ; JOECKS S t G B , § 3 0 6 R d n . 2 0 ; SINN Jura 2 0 0 1 S . 8 0 8 ; WRAGE J u S 2 0 0 3 S . 9 8 5 . 18
Dazu auch MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 51 Rdn. 6.
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§79
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
II. Brandstiftung, § 306 5
1. Geschützt sind: Nr. 1: Gebäude - auch Rohbauten 19 und instandsetzungsfahige Ruinen 20 - oder Hütten. Nr. 2: Betriebsstätten oder technische Einrichtungen, insbes. Maschinen. Nr. 3: Warenlager oder Warenvorräte. Nr. 4: Kraftfahrzeuge, Schienen-, Luft- oder Wasserfahrzeuge. Nr. 5: Wälder, Heiden oder Moore. Nr. 6: Land-, ernährungs- oder forstwirtschaftliche Anlagen oder Erzeugnisse. 6 2. Da der Schutz fremden Eigentums im Vordergrund steht, nicht aber die Abwehr einer Gemeingefahr, handelt es sich hier um ein qualifiziertes Sachbeschädigungsdelikt; vgl. auch § 47 Rdn. 19 f. Eine rechtfertigende Einwilligung ist hier möglich. 21 3. Zum Ausschluss der Realisierung der abstrakten Gefahr, vgl. § 78 Rdn. 2. 4. Konkurrenzen: § 306 verdrängt § 305 bei der Zerstörung eines Gebäudes durch Brandstiftung. - § 306 Abs. 1 Nr. 1 wird konsumiert von § 306 a Abs. 1 Nr. 1 und § 306 b Abs. 2 Nr. 1 in Verb, mit § 306 a Abs. 1 Nr. I. 2 2
III. Schwere Brandstiftung, § 306 a 1. Schwere Brandstiftung, Abs. 1 Abs. 1 schützt bestimmte menschliche Wohn- und Aufenthaltsstätten ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall eine konkrete Gefahr für Menschen entstanden ist. - Es handelt sich soweit es um ein Inbrandsetzen geht - um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. 8 a) Gebäude, Schiffe und Hütten und andere Räumlichkeiten sind geschützt, soweit sie tatsächlich Menschen zum Wohnen dienen, d. h. tatsächlich von einem Menschen bewohnt werden, Nr. 1. Ob die Gebäude usw. zum Wohnen bestimmt oder geeignet sind, ist genauso unerheblich wie eine vorübergehende Abwesenheit der Bewohner. Dient das Gebäude tatsächlich noch nicht zum Wohnen (Neubau) oder aber hat der Berechtigte die Wohnungseigenschaft aufgegeben, so greift Nr. 1 nicht ein. - Die Aufgabe der Wohnungseigenschaft kann auch konkludent durch Inbrandsetzen des Gebäudes durch den berechtigten Bewohner erfolgen. 23 Dient das Gebäude zum Teil zum Wohnen und zum anderen Teil anderen, z.B. gewerblichen Zwecken, so ist der Tatbestand bereits erfüllt, wenn es sich um ein einheitliches Gebäude handelt und der andere Teil in Brand gesetzt wird. Dem Gesetz 7
19
BGHSt 6 S. 107.
20
BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 810.
21
Vgl. auch BGH NJW 2003 S. 1824 mit Anm. OTTO JK 03, StGB § 306/6; GEPPERT Jura 1998 S. 599; KREB J R 2 0 0 1 S. 3 1 7 m i t F n . 2 5 ; LACKNER/KÜHL § 3 0 6 R d n . 1; RENGIER JUS 1998 S. 3 9 8 ; WES-
SELS/HETTINGER B.T./1, Rdn. 956. - Missverständlich insoweit BGH StV 2001 S. 231, der sich ausdrücklich dagegen wendet, § 306 nur als qualifiziertes Sachbeschädigungsdelikt zu interpretieren und sein „Element der Gemeingefährlichkeit" betont. 2 2
B G H S t V 2 0 0 1 S. 2 3 1 m i t A n m . KREß J R 2 0 0 1 S. 3 1 5 f f , WOLFF J R 2 0 0 2 S. 9 4 ff; B G H S t V 2 0 0 1 S. 2 3 2 ; WRAGE J u S 2 0 0 3 S. 9 8 6 f. - A . A . LIESCHING B r a n d s t i f t u n g s d e l i k t e , S. 6 1 f.
23
Dazu BGH NStZ 1994 S. 130 mit Anm. GEPPERT JK 95, StGB § 306 Nr. 2/4; BGH StV 2001 S. 577.
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Brandstiftungsdelikte
§79
ist nicht zu entnehmen, dass ein für den Gebrauch als Wohnung wesentlicher Teil des Gebäudes in Brand gesetzt werden muss, es genügt vielmehr, dass irgendein wesentlicher Bestandteil des Gebäudes vom Feuer erfasst wird. 24 b) Umfassend geschützt sind Kirchen und andere der Religionsausübung dienende Gebäu- 9 de, Nr. 2. c) Andere Räumlichkeiten (z.B. Büro, Wohnwagen, Scheunen, Stallungen) sind geschützt, 10 wenn sie - sei es auch nur zeitweise - dem Aufenthalt von Menschen dienen, und zwar zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen, Nr. 3. Eine Begrenzung des Anwendungsbereiches versucht der BGH durch das Erfordernis einer gewissen Bewegungsfreiheit in der Räumlichkeit zu erreichen, die z.B. bei Telefonzellen und einem Pkw nicht gegeben ist.·" Diese Begrenzung ist nicht nötig, wenn der Ausschluss der Gefahr als persönlicher Strafausschließungsgrund - wie oben § 78 Rdn. 2 darlegt - anerkannt wird, da dann in den nicht strafwürdigen Fällen die Strafbarkeit entfällt.
Nach Auffassung des BGH setzt der Tatbestand voraus, dass die geschützte Räumlichkeit 11 zu dem Zeitpunkt brennt, in dem Personen anwesend sind. Es genügt nicht, dass der zum Brand führende Ursachenverlauf zu dieser Zeit in Gang gesetzt wird. - Das wird dem Delikt als abstraktem Gefahrdungsdelikt nicht gerecht. Die abstrakte Gefahr entsteht bereits mit der Begründung der Brandquelle. 26 2. Gesundheitsgefährdung anderer, Abs. 2 Abs. 2 erfasst den Fall der Inbrandsetzung bzw. der ganz oder teilweisen Zerstörung durch 12 Brandlegung der Tatobjekte nach § 306 Abs. 1, wenn die Tat einen anderen Menschen in die konkrete Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt. - Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Bezugnahme nur die Objekte betreffen, nicht aber die Eigentumslage. Das ist durchaus sachgerecht, hätte aber klargestellt werden können 2 7
IV. Besonders schwere Brandstiftung, § 306 b 1. Abs. 1 enthält einen erfolgsqualifizierten Fall der Brandstiftung: Verursachung einer 13 schweren Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 - oder einer Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen; 28 beachte § 18. 2. Abs. 2 erfasst qualifizierte Fälle des § 306 a: Der Täter bringt einen anderen Menschen 14 durch die Tat in die konkrete Gefahr des Todes (Nr. 1), er handelt in der Absicht, eine andere Straftat (auch die eines anderen) zu ermöglichen oder zu verdecken - dazu vgl. § 4 24
So auch BGHSt 34 S. 115, 118 ff; 35 S. 283, 285 f mit Anm. KINDHÄUSER StV 1990 S. 161 ff; BGH NStZ 1991 S. 433; BGH StV 2001 S. 576 mit Anm. GEPPERT JK 02, StGB § 306 a/2; SCHNEIDER Jura 1 9 8 8 S. 4 6 5 ff; WOLFF L K , § 3 0 6 R d n . 9 . - A . A . HERZOG N K , § 3 0 6 a R d n . 12; KINDHÄUSER S t V 1 9 9 0 S. 1 6 1 ; SCH/SCH/HEINE § 3 0 6 a R d n . 11.
25
BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 638. - A.A. OLG Düsseldorf MDR 1979 S. 1042.
26
A.A. BGHSt 36 S. 221 mit abl. Anm. GEPPERT JK 90, StGB § 306 Nr. 3/1; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 4 1 R d n . 19; HERZOG N K , § 3 0 6 a R d n . 16.
27
Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 87 f; BGH NStZ 1999 S. 32 mit Anm. GEPPERT JK 99, StGB § 306 a F./l a, b , WOLTERS J R 1 9 9 9 S. 2 0 8 f f ; B G H N S t Z 2 0 0 0 S. 2 0 9 ; GEPPERT J u r a 1 9 9 8 S. 6 0 2 ; HÖRNLE J u r a 1 9 9 8 S. 1 8 1 ; LACKNER/KOHL § 3 0 6 a R d n . 7 ; RENGIER JUS 1 9 9 8 S. 3 9 9 ; SCHROEDER G A 1 9 9 8 S. 5 7 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 0 6 a R d n . 10 b ; WOLTERS J R 1 9 9 9 S. 2 7 2 f.
28
Das sind mindestens 10 Menschen; vgl. auch BGHSt 44, 175, 178; NAGEL Jura 2001 S. 589 f m.N..
439
§79
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Rdn. 45 -, wobei im Gegensatz zur früheren Rechtslage nicht eine die Notsituation des Opfers ausnützende Straftat verlangt wird, 2 9 (Nr. 2) oder er verhindert bzw. erschwert das Löschen des Brandes (Nr. 3). 15 Nr. 1 greift nicht ein, wenn ein Tatbeteiligter zu Tode kommt. Der Tatbestand dient nicht dem Schutz von Personen, die bewusst, sei es unmittelbar oder mittelbar, die Brandgefahr begründet haben, die sich nun in der Todesgefahr realisiert. Hier handelt es sich vielmehr um Tatbeteiligte, vor deren Tun § 306 b Schutz gewähren soll. 30
V. Brandstiftung mit Todesfolge, § 306 c Als erfolgsqualifizierte Brandstiftung erfasst § 306 c den Fall, dass der Täter durch eine Brandstiftung nach §§ 306 - 306 b wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen verursacht hat. Das Opfer braucht sich nicht zur Zeit der Tat in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten befunden zu haben. Wird § 306 c vollendet, so wird das zugrunde liegende Brandstiftungsdelikt konsumiert. Im Falle des Versuchs konkurrieren §§ 23, 306 c und das Brandstiftungsdelikt idealiter?'
VI. Fahrlässige Brandstiftung, § 306 d 17 1. Abs. 1,1. Alt. knüpft an die Tatbestände der §§ 306 Abs. 1 und 306 a Abs. 1 an. Gegenstand der Handlung können daher nur die in diesen Tatbeständen genannten Objekte sein. Abs. 1, 2. Alt. stellt die vorsätzliche Brandstiftung gemäß § 306 a Abs. 2, die fahrlässig einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt, unter Strafe. 18 2. Abs. 2 erfasst die fahrlässige Brandstiftung und fahrlässige Gefahrbegründung gemäß § 306 a Abs. 2. 3. Der Strafrahmen in den Fällen des § 306 d Abs. 1 , 1 . und 3. Alt. sowie Abs. 2 ist im Verhältnis zu § 306 Abs. 1 unhaltbar widersprüchlich. 32
VII. Herbeifuhren einer Brandgefahr, § 306 f 19 1. Abs. 1 erfasst die vorsätzliche, Abs. 3, 1. Alt. die fahrlässige Herbeiführung einer konkreten Brandgefahr fur bestimmte Objekte mit bestimmten Tatmitteln. 20 2. Abs. 2 erfasst die vorsätzliche, Abs. 3, 2. Alt. die fahrlässige Herbeiführung einer konkreten Brandgefahr für die in Abs. 1 Nr. 1 - 4 bezeichneten Sachen, wenn dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret
2 9
V g l . B G H S t 4 5 S. 2 1 1 m i t A n m . RADTKE J R 2 0 0 0 S. 4 2 8 ff, RÖNNAU JUS 2 0 0 1 S. 3 2 8 ff; B G H S t V 2 0 0 0 S. 136 m i t A n m . OTTO JK. 0 0 , S t G B § 3 0 6 b / 1 , SCHLOTHAUER S t V 2 0 0 0 S. 138 ff; B G H N S t Z R R 2 0 0 4 S. 3 6 6 ; ELLBOGEN J u r a 1 9 9 8 S. 4 8 8 ; GÖSSEL/DÖLLING B.T.L, § 4 1 R d n . 3 0 ; KREY B.T.L, R d n . 7 6 5 a; RADTKE D o g m a t i k , S. 3 3 2 ff; STEIN E i n f ü h r u n g , R d n . 6 7 ; WRAGE J u S 2 0 0 3 S. 9 9 1 . - A . A . L G K i e l S t V 2 0 0 3 S. 6 7 5 ; GEPPERT J u r a 1 9 9 8 S. 6 0 4 ; HECKER G A 1 9 9 9 S. 3 3 2 ; LACKNER/KÜHL § 3 0 6 b R d n . 4 ; MLTSCH Z S t W 111 ( 1 9 9 9 ) S. 114.
3 0
WOLF L K , § 3 0 7 R d n . 3; WRAGE JUS 2 0 0 3 S. 9 8 9 ( z u § 3 0 6 ) . - A . A . GEPPERT J u r a 1 9 8 9 S. 4 7 5 ; SCH/SCH/HEINE § 3 0 6 a R d n . 2 1 .
31
Vgl. dazu BGH StV 2005 S. 88.
32
Dazu vgl. FISCHER NStZ 1999 S. 13; IMMEL StV 2001 S. 478 f.
440
Gefahrdungen des Verkehrswesens
§80
gefährdet werden. - Entsprechend der Bezugnahme in § 306 c Abs. 2 soll der Bezug auf Abs. 1 nur die dort genannten Objekte nicht aber die Eigentumslage betreffen.
VIII. Tätige Reue, § 306 e 1. In den Fällen der §§ 306, 306 a und 306 b kann das Gericht die Strafe mildern oder von Strafe absehen, wenn der Täter den Brand freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht, Abs. 1. - Freiwillig handelt der Täter, der sich aufgrund autonomer Motive zur Löschung des Brandes entschließt. 2. In den Fällen des § 306 d erlangt der Täter Straffreiheit, wenn er den Brand freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht, Abs. 2. 3. Wird der Brand ohne Zutun des Täters gelöscht, bevor ein erheblicher Schaden entstanden ist, so genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen dieses Ziel zu erreichen, Abs. 3. 4. Konnte eine Brandstiftung aufgrund des § 310 a.F., dem § 306 e in der Sache entspricht, nicht bestraft werden, so sollte eine Bestrafung nach § 310 a a.F., dem nunmehr § 306 f entspricht, gleichwohl möglich sein. Diese Auffassung war nach der alten Gesetzeslage sachwidrig und ist es auch jetzt. § 306 f erfasst weitgehend die Gefährdung der gleichen Rechtsgüter, die durch die Brandstiftungsdelikte geschützt werden. Der Rücktritt vom Verletzungsdelikt muss dann aber auf das Gefährdungsdelikt erstreckt werden, da auch dessen Strafgrund in der Person des Täters mit der Beseitigung der Gefahr hinfallig wird. Das spricht für eine analoge Anwendung des § 306 e. 33
21
22 23
24
§ 80 Gefahrdungen des Verkehrswesens I. Delikte gegen die Sicherheit des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs, §§315,315a 1. Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr, § 315 a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur §315 erfasst die Transportgefährdung als konkretes Gefährdungsdelikt. - Angriffsobjekte sind Schienenbahnen auf besonderen Gleiskörpern - beachte § 315 d -, Seilbahnen sowie Einrichtungen der Schiff- und Luftfahrt. Geschützt ist die Sicherheit dieser Verkehrsarten. - Der konkreten Gefährdung von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Einzelnen sowie fremden Eigentums von bedeutendem Wert - z. Zt. etwa 1000.- € - kommt nur Bedeutung für das Maß der Gefahr zu. Die Gefährdung ist nur unwiderlegbarer Maßstab für die Höhe der Gefahr, nicht aber Beeinträchtigung eines eigenständig geschützten Rechtsguts; dazu auch unter Rdn. 27 ff. Keine fremde Sache i.S. des § 315 Abs. 1 ist das vom Täter geführte Tatfahrzeug, unabhängig davon, ob er Eigentümer ist oder nicht. Dieses ist Mittel, nicht aber Objekt der Gefährdung.3'*
33
Vgl. auch GEPPERT Jura 1998 S. 606. - A.A. LACKNER/KÜHL § 306 f Rdn. 3; RADTKE ZStW 110 ( 1 9 9 8 ) S . 8 8 1 ; RENGIER J u S 1 9 9 8 S . 4 0 1 .
34
Vgl. BayObLG NJW 1983 S. 2827; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 315 Rdn. 14. - A.A. BGHSt 27 S. 44; HERZOG NK, § 315 Rdn. 12; LACKNER/KÜHL § 315 Rdn. 7. - Eingehend zu dem Widerspruch dieser Interpretation im Verhältnis zu der der §§ 315 b, c: KÖNIG LK, § 315 Rdn. 77 ff.
441
1
§80
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
b) Einzelheiten zu den Tathandlungen aa) Die Sicherheit des Verkehrs ist beeinträchtigt, wenn durch den Eingriff gegenüber Menschen oder Einrichtungen, die in Beziehung zu einem bestimmten Verkehrsvorgang stehen, eine Steigerung der normalen Betriebsgefahr eingetreten ist. 3 Für die Beeinträchtigung genügt nicht jedes Mittel, sondern nur ein Eingriff der in Abs. 1 Nr. 1-3 beispielhaft aufgeführten Art oder ein ähnlicher und ebenso gefährlicher Eingriff. Ähnlich und ebenso gefahrlich ist ein Eingriff, der unmittelbar auf einen Verkehrsvorgang einwirkt und nach Art und Gefahr den genannten Eingriffen gleichwertig ist. 2
Beispiele: Steinwurf auf den Zugführer; Verdecken von Signalen; Stören des die Flug- und Wasserwege sichernden Funk- und Signalverkehrs.
4
bb) Ein Hindernis bereitet, wer körperliche Gegenstände, die ihrer Beschaffenheit nach zur Hemmung oder Verzögerung des ordnungsgemäßen Betriebs geeignet sind, in den Fahrbereich der Bahn bringt oder als Garant dort belässt, z.B. Steine auf Schienen oder Metallbügel auf Oberleitungen legt. 35
c) Die subjektiven Voraussetzungen Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) § 315 Abs. 1 erfasst die vorsätzliche Begehung, bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muss das Bewusstsein der Beeinträchtigung der Betriebssicherheit und das der Herbeiführung der konkreten Gefahr haben. 7 bb) Handelt der Täter in der Absicht - zielgerichtetes Wollen -, einen Unglücksfall - dazu § 67 Rdn. 3 - herbeizuführen oder eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken dazu § 4 Rdn. 45 - so liegt ein qualifizierter Fall vor, Abs. 3 Nr. 1. - Eine Ordnungswidrigkeit ist keine Straftat i.S. des § 315 Abs. 3 Nr. 1 b. 8 cc) Einen erfolgsqualifizierten Fall - schwere Gesundheitsschädigung oder Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen - erfasst Abs. 3 Nr. 2. 9 dd) Bei vorsätzlichem Eingriff, aber nur fahrlässiger Gefährdung greift Abs. 5 ein, bei fahrlässigem Eingriff und fahrlässiger Gefährdung Abs. 6. 5 6
d) Tätige Reue 10 Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluss (Abs. 3, 4) führen kann, ist in § 320 besonders geregelt. 2. Gefährdung des Bahn-, Schiff- oder Luftverkehrs, § 315 a a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur 11 § 315 a ergänzt den § 315 dadurch, dass er auch bestimmte betriebsinterne Gefahrdungen unter Strafe stellt. Auch hier müssen Leib oder Leben eines anderen oder bedeutende fremde Sachwerte konkret gefährdet worden sein. b) Einzelheiten zu den Tathandlungen 12 aa) Abs. 1 Nr. 1 erfasst das Fahren in einem fahruntüchtigen, rauschbedingten Zustand; dazu vgl. Rdn. 23 f. 13 bb) Abs. 1 Nr. 2 enthält ein Sonderdelikt. - Fahrzeugführer und sonst für die Sicherheit des Verkehrs verantwortliche Personen werden für grob pflichtwidrige Verletzungen von Si-
35
442
Vgl. BGH NStZ 1988 S. 178.
Gefahrdungen des Verkehrswesens
§80
cherheitsvorschriften bestraft. Die das Blankett ausfüllenden Vorschriften müssen förmliche Gesetze oder Rechtsverordnungen sein. c) Subjektive Voraussetzungen Die Strafdrohung des § 315 a ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: 14 aa) Abs. 1 setzt die vorsätzliche Tathandlung und eine vorsätzliche konkrete Gefährdung voraus. bb) Gemäß Abs. 3 Nr. 1 wird bestraft, wer die Tathandlung vorsätzlich vornimmt, jedoch nur fahrlässig gefährdet, nach Abs. 3 Nr. 2, wer die Tathandlung fahrlässig begeht und die Gefahr fahrlässig verursacht. d) Tätige Reue Eine Möglichkeit tätiger Reue sieht § 320 für § 315 a nicht vor.
15
II. Delikte gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs, §§ 315 b, 315 c, 316 l. Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, § 315 b a) Der Tatbestand des § 315 b Abs. 1 In Aufbau und Schutzrichtung entspricht § 315 b dem § 315 - vgl. oben Rdn. 1 - mit der 16 Maßgabe, dass es hier um den Schutz des Straßenverkehrs geht, d.h. um die Sicherheit des Verkehrs auf Wegen, Plätzen usw., die jedermann oder allgemein bestimmten Gruppen von Verkehrsteilnehmern dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offen stehen. 36 - Im Gegensatz zu § 315 Abs. 1 Nr. 2 fehlt bei der Aufzählung der Tathandlungen das Geben falscher Signale und Zeichen, doch kann in einem derartigen Verhalten ein „ähnlicher, ebenso gefahrlicher Eingriff liegen. Das Merkmal des Hindernisbereitens und das des ähnlichen, ebenso gefährlichen Ein- 17 griffs sind hier jedoch enger zu fassen: § 315 b erfasst zunächst verkehrsfremde, von aussen kommende Eingriffe in die Sicherheit des Straßenverkehrs. Vorgänge des fließenden oder ruhenden Verkehrs werden von § 315 b nur dann erfasst, wenn sie bewusst zweckentfremdet werden, d.h. wenn der Verkehrsvorgang in erster Linie dem Zweck eines gefahrlichen Eingriffs dient und der Täter mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz handelt, indem er das Fahrzeug z. B. als Waffe oder Schadenswerkzeug missbraucht. 37 Dies ergibt sich aus dem Verhältnis des §315 b zu §315 c. 3 8 Sodann soll der Tatbestand nicht jede behindernde Verkehrsteilnahme erfassen, sondern nur Einwirkungen von besonderem Gewicht. 39 Bloße Fehlleistungen des Fahrzeugführers in der Bewältigung von Vorgängen des flie- 18 ßenden und ruhenden Verkehrs fallen unter § 315 c, nicht aber unter § 315 b. - Ob dies auch für Mitfahrer gilt, ist Str., doch erscheint es angemessen, Eingriffe des Mitfahrers, die der Bewältigung der Verkehrssituation dienen oder dienen sollen, gleich zu behandeln. 40 36
Dazu vgl. auch BGH NJW 2004 S. 1965 mit Anm. GEPPERT JK 04, StGB § 315 b/10; BGH NStZ 2004 S. 625.
3 7
B G H S t 4 8 S. 2 3 3 m i t A n m . DREHER JUS 2 0 0 3 S. 1 1 5 9 ff, KÖNIG N S t Z 2 0 0 4 S. 175 ff.
38
Vgl. OLG Hamm NJW 1969 S. 1976; OLG Düsseldorf NJW 1993 S. 3212; BGH StV 2000 S. 22 mit A n m . FREUND JUS 2 0 0 0 S. 7 5 4 f f , KUDLICH S t V 2 0 0 0 S. 2 3 ff; GEPPERT J u r a 1996 S. 6 4 1 .
39
Vgl. BGHSt 22 S. 366 f; 26 S. 178; 28 S. 89, 41 S. 231, 237 mit Anm. GEPPERT JK, StGB § 315 h/5; RANFT J R 1 9 9 7 S. 2 1 0 ff.
40
Vgl. BGH NJW 2000 S. 2686; OLG Hamm NJW 1969 S. 1975; OLG Köln NJW 1971 S. 670. - A.A. OLG Karlsruhe NJW 1978 S. 1391; GEPPERT Jura 1996 S. 644 f.
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§80
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Verkehrsfremder Eingriff: Spannen eines Drahtes über die Fahrbahn. - Hinterlassen einer Ölspur. - Liegenlassen eines Balkens auf der Fahrbahn. - Absichtliches Abschneiden des Weges eines anderen Verkehrsteilnehmers mit einem Fahrzeug (BGHSt 21 S. 301). - Zufahren auf einen anderen mit Tötungs- (BGHSt 26 S. 176) oder Körperverletzungsvorsatz, wenn das Opfer nicht ohne Schwierigkeiten und Gefahr ausweichen k a n n . - Abgabe eines Schusses auf einen Fahrzeugfllhrer (BGHSt 25 S. 306). - Bewusstes Befahren der Autobahn in falscher Richtung. - Geisterfahrer 4 2 - Willkürliches, scharfes Abbremsen bei hoher Geschwindigkeit^. Aufspringen auf Motorhaube eines fahrenden Fahrzeugs (OLG Zweibrücken VRS 93 S. 101). Vorsätzliches Verursachen eines Unfalls. - Steinwürfe auf fahrende Fahrzeuge. Kein verkehrsfremder Eingriff: Unvorsichtiges Überholen. - Überholen Uber mehrere Kilometer. - Griff des Beifahrers in das Steuer, um das Fahrzeug in eine Straßeneinmündung zu lenken (BGH NZV 1990 S. 35). - Flucht vor einer Polizeikontrolle 44 . - Einvemehmlich herbeigeführter Unfall, bei dem Dritte nicht gefährdet werden (BGH StV 1999 S. 317). - Hinausstoßen des Mitfahrers aus fahrendem Fahrzeug, ohne dass Dritte gefährdet werden (BGH StV 1999 S. 317). - Sog. Auto-Surfen (OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997 S. 325 mit Anm. HAMMER JUS 1998 S. 785 f, SAAL NZV 1998 S. 49 ff). - Drohen mit Schreckschusspistole vom Fahrbahnrand aus, um Kraftfahrzeugfahrer zum Anhalten zu bringen. (BGH StV 2002 S. 361).
Zur relevanten Gefährdung vgl. Rdn. 27 ff. - Beim Eingriff in den fließenden Verkehr z.B. durch Bereiten von Hindernissen auf der Fahrbahn oder durch Steinwürfe auf Fahrzeuge - genügt es, wenn die Tathandlung unmittelbar zu den bedeutenden Fremdschäden fuhrt, weil dieser Erfolg sich als Steigerung der durch die Tathandlung bewirkten abstrakten Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellt. 45 Zur Gefährdung des vom Täter selbst geführten Fahrzeugs vgl. die entsprechenden Ausführungen unter Rdn. 36.
b) Subjektive Voraussetzungen 19 Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Gemäß § 315 b Abs. 1 wird bestraft wer die Tathandlung vorsätzlich begeht und die bestimmte konkrete Gefahr vorsätzlich verwirklicht. bb) Handelt der Täter in der Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen oder eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, so liegt ein qualifizierter Fall vor, Abs. 3 in Verb, mit § 315 Abs. 3 Nr. 1. - Einen erfolgsqualifizierten Fall erfasst Abs. 3 in Verb, mit §315 Abs. 3 Nr. 2. cc) Bei vorsätzlicher Tathandlung und fahrlässiger Gefährdung greift Abs. 4, bei fahrlässiger Tathandlung und fahrlässiger Gefährdung Abs. 5 ein. 20 c) Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 2) oder zum Strafausschluss (Abs. 3, 4) führen kann, ist in § 320 besonders geregelt. 2. Gefährdung des Straßenverkehrs, § 315 c a) Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur 21 Das konkrete Gefährdungsdelikt schützt die Sicherheit des Straßenverkehrs; Rdn. 16.
dazu vgl.
41
BGH NJW 1983 S. 1624 mit Anm. CRAMER JZ 1983 S. 812 ff; OLG Hamm StV 2002 S. 371.
42
OLG Stuttgart NJW 1976 S. 2223 mit Anm. RÜTH JR 1977 S. 255 f. - A.A. OLG Stuttgart JR 1980 S. 4 7 0 m i t A n m . KÜRSCHNER S. 4 7 2 f.
43
OLG Düsseldorf VRS 77 (1989) S. 280; OLG Karlsruhe VRS 93 (1997) S. 102.
44
BGHSt 28 S. 87; BGH NStZ 1985 S. 267; BGH NStZ-RR 1997 S. 261 mit Anm. GEPPERT JK 98, StGB § 315 b/7; OLG Hamm StV 2002 S. 371.
45
BGHSt 48 S. 119 mit Anm. GEPPERT JK 03, StGB § 315 b/9, KÖNIG JR 2003 S. 255 ff.
444
Gefahrdungen des Verkehrswesens
§80
b) Führen eines Fahrzeugs Das Gesetz setzt in Nr. 1 ausdrücklich, in den meisten Tatbeständen der Nr. 2 still- 22 schweigend voraus, dass der Täter ein Fahrzeug führt. - Ein Fahrzeug führt, wer es unmittelbar in Bewegung bringt und die Fortbewegung unter Nutzung der technischen Vorrichtungen ganz oder teilweise leitet. Das Lösen der Handbremse, das Anlassen des Motors oder das Einschalten des Lichtes genügen noch nicht. 46 c) Tathandlungen aa) Gemäß § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a wird bestraft, wer ein Fahrzeug fuhrt, obwohl er infolge 23 des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel (z.B. Opium, Heroin, Kokain usw.) nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu fuhren. Die Tat ist eigenhändiges Delikt. - Nach neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit (Kfz, Motorrad, Mofa) bei 1,1 Promille Blutalkohol. 47 Als absolut fahruntüchtig wird auch deijenige angesehen, der in der Anflutungsphase nach einem Sturztrunk zwar noch weniger als 1,1 Promille hat, diese Grenze jedoch später erreicht. Bei Radfahrern nimmt die Rechtsprechung absolute Fahruntüchtigkeit bisher bei 1,6 Promille Blutalkohol an.4** - Eine absolute Fahruntüchtigkeitsgrenze nach Genuss von Rauschgift ist zur Zeit noch nicht festgestellt. Hier ist diese drogenbedingte (relative) Fahruntüchtigkeit aus den Gesamtumständen des Fahrverhaltens zu ermitteln. 4 '
Im Bereich von 0,3 bis zur Grenze von 1,1 Promille - relative Fahruntüchtigkeit - bedarf 24 die Feststellung der Fahruntüchtigkeit besonderer Beweisanzeichen. Als solche Beweisanzeichen werden z.B. angesehen: Fahren in Schlangenlinien (OLG Hamm VRS 49 S. 270); mit überhöhter Geschwindigkeit (OLG Köln VRS 37 S. 200); Geradeausfahren in Kurven oder grundloses Abkommen von der Fahrbahn (BGH VRS 47 S. 19); bewusst verkehrswidriges Verhalten auf Flucht vor Polizei (OLG Düsseldorf VRS 93 (1997) S. 167.)
bb) Abs. 1 Nr. 1 b erfasst den Täter, der im Straßenverkehr ein Fahrzeug fuhrt, obwohl er infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu fuhren. cc) Abs. 1 Nr. 2 erfasst grob verkehrswidrige und rücksichtslose Verstöße gegen bestimmte näher aufgeführte Verkehrsregeln. 50 d) Gefahrdung durch die Tathandlung Durch die Tathandlung muss eine konkrete - nicht bloß abstrakt mögliche - Gefahr für Leib und Leben eines anderen oder fur fremde Sachen von bedeutendem Wert begründet werden. - Das Gefahrenurteil wird aufgrund einer objektiven nachträglichen Prognose gefällt. 51 Die konkrete Gefahr setzt eine Situation voraus, in der es aus der Sicht des Beobachters allein zufallsbedingt ist, dass es nicht zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommt; vgl. 46
Vgl. BGHSt 35 S. 390; OLG Celle NStZ 1988 S. 411; OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) S. 454.
47
BGHSt 37 S. 89 mit Anm. JANISZEWSKI NStZ 1990 S. 493 f. - Zur Entwicklung der Rechtsprechung: OTTO BGH-FG, S. 111 ff.
48
Vgl. BayObLG NJW 1992 S. 1906; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 S. 356.
49
Vgl. BGHSt 44 S. 219 mit Anm. BERZ NStZ 1999 S. 407 f, GEPPERT JK 99, StGB § 316/6; OLG Düsseldorf JR 1999 S. 474 mit Anm. HENTSCHEL S. 476 ff; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2004 S. 149 mit Anm. GEPPERT JK 04, StGB § 316/7.
50
Im Einzelnen dazu GÖSSEL/DÖLLING B.T. 1, § 42 Rdn. 33 ff; RANFT Jura 1987 S. 612 f.
51
Dazu LACKNER Das konkrete Gefährdungsdelikt im Straßenverkehr, 1967, S. 15; MEYER-GERHARDS JuS 1 9 7 6 S. 228.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§ 78 Rdn. 1. Damit muss über ein typischerweise gefährliches Verhalten (abstrakte Gefahr) hinaus eine Situation eingetreten sein, in der sich ohne das Hinzutreten weiterer Umstände bereits die Gefahr zu realisieren droht. Eine konkrete Gefahr liegt daher z.B. im Heranfahren an eine Person auf 2 bis 6 Meter bei rund 160 km/h (BayObLG bei Janiszewski NStZ 1987 S. 114), beim Einscheren in eine Fahrbahn mit 160 km/h im Abstand von 2 Metern vor dem überholten Fahrzeug. - Keine konkrete Gefahr für mitfahrende Personen begründet die absolute Fahruntüchtigkeit des Fahrzeugfilhrers als solche. Erst wenn er sich der konkreten Fahrsituation nicht gewachsen zeigt, beginnt die konkrete Gefährdung. 5 ^ Gleiches gilt für das Durchtrennen eines Bremsschlauchs. 54
29 Die Gefahrdung muss durch die Tathandlung erfolgen. Eine nur gelegentlich der Handlung entstehende Gefahr genügt nicht. 30 aa) Streitig ist, ob sich der Gefahrdungserfolg in einer Person objektivieren kann, die sich bewusst und eigenverantwortlich in den „abstrakten Gefahrenbereich" begeben hat. 31 Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre bejahen dieses unter Hinweis darauf, dass die gefährdete Person nicht der alleinige Träger des durch §§315 b, 315 c StGB geschützten Rechtsguts sei und deshalb deren Einwilligung in die Gefahrdung die Rechtswidrigkeit der herbeigeführten Gefahr nicht beseitigen könne. Der Eintritt der konkreten Gefahr ist nach dieser Auffassung auch hier nur ein Indiz für die Gefährlichkeit des Täters, so dass die Tatsache der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung irrelevant ist. 55 32 Die Gegenmeinung will der Einwilligung auch in eine Lebensgefahr eine die Rechtswidrigkeit ausschließende Wirkung beimessen, weil der Tatbestand der §§315 b, 315 c erst erfüllt sei, wenn - auch - eine konkrete Individualgefahr eingetreten ist, weil der Tatbestand auch dem Individualschutz dient, und dieses Gefahrdungsunrecht durch eine wirksame Einwilligung ausgeschlossen werden kann. 56 33 Gleichwohl ist dieser Meinung im Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung, die weit überzeugender in der Ausgangsüberlegung der Rechtsprechung angelegt ist, zuzustimmen. Zutreffend geht die Rechtsprechung nämlich davon aus, dass §§315 b, 315 c eine Gefährdung erfordern, „die dem besonderen verkehrsrechtlichen Schutz Dritter entspricht, den der Gesetzgeber für den Bereich des Straßenverkehrs geschaffen hat. Dieser geht dahin, dass durch eine Teilnahme am Straßenverkehr nicht in den durch Verkehrsvorschriften geschützten Rechtskreis eines anderen eingegriffen werden darf'. 5 7 Damit ist der entscheidende Gesichtspunkt der - sachwidrig - als Einwilligungsproblematik er-
52
BayObLG NJW 1988 S. 273; vgl. auch Brandenburgisches OLG VRS 93 (1997) S. 103. Diese in der Rechtsprechung zeitweilig str. Frage - dazu OTTO BGH-FG, S. 118 f - ist nunmehr dahin entschieden, dass die konkrete Gefahr für den Beifahrer nach den allgemein anerkannten Kriterien zur Begründung der konkreten Gefahr zu bestimmen ist; vgl. dazu BGH NJW 1995 S. 3131, 3132 mit Anm. B E R Z N S t Z 1 9 9 6 S. 8 5 , H A U F N Z V 1 9 9 5 S. 4 6 9 ; B G H N J W 1 9 9 6 S. 3 3 0 .
5 4
B G H N J W 1 9 9 6 S . 3 2 9 , 3 3 0 m i t A n m . RENZIKOWSKI J R 1 9 9 7 S. 1 1 5 f f ; GEPPERT J u r a 1 9 9 6 S. 5 0 f. -
Anders noch BGH NStZ 1985 S. 263. 55
Vgl. BGHSt 23 S. 261; OLG Karlsruhe NJW 1967 S. 2321; OLG Stuttgart NJW 1976 S. 1904; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 4 2 R d n . 4 7 ; KÖNIG L K , § 3 1 5 c R d n . 1 6 1 ; LACKNER G e f ä h r d u n g s d e l i k t , S. 12; LACKNER/KÜHL § 3 1 5 C R d n . 3 2 ; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , R d n . 9 9 3 .
56
Dazu BREHM Zur Dogmatik der abstrakten Gefährdungsdelikte, 1973, S. 34 ff; GRAUL JUS 1992 S. 325; PAUL Zusammengesetztes Delikt und Einwilligung, 1998, S. 107 ff; SCHROEDER JUS 1994 S. 846 ff. Differenzierend zwischen Leibes- und Lebensgefahr: BICKELHAUPT NJW 1967 S. 713 f; HILLENKAMP JuS 1977 S. 170.
57
BGHSt 27 S. 43.
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örterten Problemkonstellation erfasst: Wer sich eigenverantwortlich in einen Gefahrenbereich begibt und damit zum Ausdruck bringt, dass er mit der Gefahrdung einverstanden ist, wird nicht das Opfer der Gefährdung durch einen anderen, der in seinen geschützten Rechtskreis eingreift. Er selbst begründet vielmehr die Gefahr für seine Rechtsgüter, da er die Gefahr bewusst auf sich nimmt. §§315 b, 315 c erfassen hingegen die Fälle der Gefahrdung durch einen anderen. In der Sache liegt eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs zwischen dem gefahrlichen Zustand des Kraftfahrzeugfuhrens und der Gefahrdung des Dritten vor, so dass das Unrecht der §§ 315 b, 315 c durch dieses Verhalten nicht verwirklicht wird. 58 Dieser Argumentation steht die Rechtsprechung sachlich allerdings weit näher als es die 34 Erörterung der „Einwilligungsproblematik" vermuten lässt. Sie geht nämlich davon aus, dass „Tatbeteiligte" nicht in den Schutzbereich der §§ 315 b, 315 c fallen. 59 bb) Für die Frage, ob die bedrohte Sache einen bedeutenden Wert hat, kommt es auf den 35 Verkehrswert an, nicht auf den Wert der Sache für den Berechtigten. Nicht nur der Wert der Sache als solcher ist entscheidend, sondern auch der ihr drohende Schaden muss bedeutend sein. Ein bedeutender Wert ist gefährdet bei einer zu befürchtenden Schadenssumme, die über 1.000.- € liegt. 60 cc) Das vom Täter geführte Fahrzeug ist Mittel, nicht aber Objekt der Gefahrdung, auch wenn es nicht Eigentum des Täters ist. 61 e) Die subjektiven Voraussetzungen Die Strafdrohung ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Abs. 1 erfordert in bezug auf die Tathandlung und die Gefahrdung Vorsatz - bedingter genügt - des Täters. bb) Wird die Tathandlung vorsätzlich begangen, die Gefahr hingegen fahrlässig verursacht, so greift Abs. 3 Nr. 1 ein. cc) Abs. 3 Nr. 2 findet Anwendung, wenn Tathandlung und Gefährdung fahrlässig erfolgt sind. f) Der Versuch, § 315 c Abs. 2 Der Versuch erfordert Vorsatz auch in bezug auf die Gefahrdung, denn der Versuch ist nur in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1, nicht aber in denen des Abs. 3, mit Strafe bedroht. g) Gefahrdung mehrerer Personen Werden durch eine Handlung i.S. des § 315 c Abs. 1 mehrere Personen gefährdet, so ist der Tatbestand der Gefahrdung im Straßenverkehr dennoch nur einmal verwirklicht.
5 8
V g l . GEPPERT J u r a 1 9 9 6 S. 4 9 ; KÜHL A . T . , § 4 R d n . 8 3 ff; OTTO J u r a 1991 S. 4 4 4 f; RANFT J u r a 1 9 8 7
S. 614 f. - In der Sache übereinstimmend: ROXIN Gallas-FS, S. 252 f. 59
Vgl. BGHSt 27 S. 43; BGH NJW 1991 S. 1120 mit Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 315 b/4; BGH VRS 8 3 ( 1 9 9 3 ) S. 185; GEILEN J u r a 1 9 7 9 S. 2 0 6 ; LACKNER/KÜHL § 3 1 5 C R d n . 2 5 ; RANFT J u r a 1 9 8 7 S. 6 1 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 1 5 C R d n . 17. - A . A . O L G Stuttgart N J W 1976 S. 1904; GRAUL J u S 1992 S. 3 2 3 f; HILLENKAMP J u S 1 9 7 7 S. 167 ff; KÖNIG L K , § 3 1 5 c R d n . 160 in V e r b , m i t § 3 1 5 b R d n . 71 ff; RENGIER B . T . I I , § 4 4 R d n . 8; SCHROEDER J u S 1994 S. 8 4 7 .
6 0
V g l . TRÖNDLE/FISCHER § 3 1 5 R d n . 16.
61
D a z u B G H S t 2 7 S. 4 0 mit abl. A n m . ROTH J R 1 9 7 7 S. 4 3 2 f; B G H N S t Z - R R 1998 S. 150; LACKNER/KÜHL § 3 1 5 c R d n . 2 5 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 5 0 R d n . 2 5 ; RANFT J u r a 1 9 8 7 S. 6 1 5 ; RENGIER B . T . I I , § 4 4 R d n . 10; TRÖNDLE/FISCHER § 3 1 5 C R d n . 17. - A . A . HÄRTUNG N J W 1 9 6 7 S. 9 0 9 ; KÖNIG L K , § 3 1 5 c R d n . 168.
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h) Verhältnis der einzelnen Alternativen des § 315 c zueinander 40 Verletzt der Täter bei einer Fahrt mehrere Alternativen des § 315 c, so liegt dennoch nur eine einheitliche Tat vor. 62 3. Trunkenheit im Verkehr, §316 41 a) Das Führen eines Fahrzeuges im Verkehr in rauschbedingtem fahruntüchtigem Zustand, ohne dass es zur Gefahrdung anderer kommt, stellt § 316 als abstraktes Gefährdungsdelikt unter Strafe. 42 b) Täter kann nur der Führer der genannten Fahrzeuge sein. 43 c) Das Delikt ist vorsätzlich (§316 Abs. 1) und fahrlässig (§316 Abs. 2) begehbar. - Der Vorsatz erfordert zumindest das Bewusstsein des Täters von der konkreten Gefahr, fahruntüchtig zu sein. Der schlichte Schluss von der genossenen Alkoholmenge auf den Vorsatz ist unzulässig. 63 4. Schienenbahnen im Straßenverkehr, § 315 d 44 Soweit Schienenbahnen am Straßenverkehr teilnehmen, d.h. wenn ihr Verkehrsraum zugleich dem Straßenverkehr dient oder die Trennung von der Straße nicht scharf durchgeführt ist, so dass der Fahrzeugfuhrer sein Verhalten nach dem allgemeinen Strassenverkehr zu richten hat, gelten fur den Betrieb dieser Bahnen nur §§315 b, 315 c. §§ 315, 315 a finden keine Anwendung.
III. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 1. Das geschützte Rechtsgut 45 § 142 erfasst kein gemeingefährliches oder auch nur gemeinschädliches Delikt, sondern eine gegen Vermögensinteressen des Einzelnen gerichtete Straftat. Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse Unfallbeteiligter oder Geschädigter an möglichst umfassender Aufklärung des Unfallhergangs zu dem Zwecke, Schadensersatzansprüche zu sichern oder abzuwehren. - Die Darstellung hier erfolgt aus Gründen des Sachzusammenhanges. 2. Der Täter des Delikts 46 a) Täter kann nur ein Unfallbeteiligter sein, d.h. jemand, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann, Abs. 5. - Als Unfallbeteiligter kommt daher nicht nur der Fahrer eines Kfz in Betracht, sondern alle Personen, die beim aktuellen Unfallgeschehen am Unfallort zugegen waren und deren Verhalten den Unfall nach dem äußeren Schein zumindest mitverursacht haben kann. - Es handelt sich um einen sog. Verdachtsbegriff, der keinen wirklichen Kausalbeitrag zum Unfall voraussetzt, sondern nur eine ex ante gegebene Verdachtslage. 64 Dies kann z.B. der Beifahrer sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er den Fahrer behindert oder in seinem verkehrswidrigen Verhalten bestärkt hat, der beim Unfallgeschehen am Unfallort anwesende Fahrzeughalter, der das Fahrzeug einem fahruntüchtigen oder ungeeigneten Fahrer überlassen hat oder einer Ga62
BayObLG JZ 1987 S. 788.
63
Vgl. dazu OLG Düsseldorf VRS 86 (1994) S. 110; OLG Celle VRS 91 (1996) S. 177; OLG Frankfurt NJW 1996 S. 1358; OLG Hamm VRS 96 (1999) S. 103; OLG Karlsruhe NJW 1993 S. 1282.
64
Vgl. BGHSt 15 S. 4; BayObLG NZV 2000 S. 133; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003 S. 278 mit Anm. GEPPERT JK 04, StGB § 142/22; GEPPERT LK, § 142 Rdn. 35; KINDHÄUSER StGB, § 142 Rdn. 8; LACKNER/KÜHL § 1 4 2 R d n . 3 . - K r i t . SCHILD N K , § 142 R d n . 6 2 .
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rantenpflicht zuwider die Weiterfahrt nicht verhindert hat. - Der nicht mitfahrende oder erst später am Unfallort erscheinende Fahrzeughalter ist hingegen nicht wartepflichtig, da sein Verhalten nicht zu den Verhaltensweisen gehört, die unmittelbar am Unfallort feststellbar sind.
b) Da Täter nur ein Unfallbeteiligter sein kann, handelt es sich beim unerlaubten Entfernen 47 vom Unfallort um ein Sonderdelikt. Die Unfallbeteiligung begründet jedoch keine Sonderpflichtenposition i.S. des § 28, sondern charakterisiert nur die Positionsnähe zum Rechtsgut. 65 3. Der Unfall im Straßenverkehr Unfall im Straßenverkehr ist ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Verkehr auf Wegen 48 und Plätzen, das mit dessen Gefahren im ursächlichen Zusammenhang steht und zu einem Personen- oder Sachschaden eines anderen geführt hat. a) Zum Begriff des Straßenverkehrs vgl. § 80 Rdn. 16. Es genügen Vorkommnisse im ruhenden Verkehr und mit ausschließlicher Beteiligung von Fußgängern.66 b) Ein Personenschaden bedeutet Tötung oder nicht ganz unerhebliche Körperverletzung eines anderen. c) Ein Sachschaden ist völlig belanglos i.S. des § 142, wenn der Schadensersatz nicht über € 30,- hinausgeht 67 d) Str. ist, ob auch eine vorsätzliche Schädigung eines anderen mit dem Kfz - Α überfahrt Β in Tötungsabsicht - als Verkehrsunfall anzusehen ist. Dies ist zu bejahen, wenn die Schädigung - etwa bedingt vorsätzlich - noch Folge eines allgemeinen Verkehrsrisikos ist, nicht aber Folge deliktischer Planung. Wird das Kfz daher als Tatmittel bei der Verwirklichung eines Delikts - Körperverletzung, Sachbeschädigung oder Tötung - eingesetzt oder wird das Kfz vorsätzlich durch nicht den typischen Verkehrsgefahren zugehörige Verhaltensweisen beschädigt, so liegt kein Unfall vor. Das Verhalten wird von den die betroffenen Rechtsgüter unmittelbar schützenden Vorschriften hinreichend erfasst. 68 4. Die Systematik des
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a) Abs. 1 regelt die Pflichten des Täters am Unfallort. Das Gesetz unterscheidet zwei Al- 53 ternativen: sind feststellungsbereite Personen anwesend, so muss der Unfallbeteiligte gemäß Abs. 1 Nr. 1 warten und darüber hinaus die Angabe machen, dass er am Unfall beteiligt ist (Warte- und Vorstellungspflicht). - Sind feststellungsbereite Personen nicht anwesend, so muss er nur eine angemessene Zeit warten (Wartepflicht), Abs. 1 Nr. 2. b) Abs. 2 regelt den Fall, dass der Unfallbeteiligte sich durch Verlassen des Unfallortes 54 nicht strafbar gemacht hat, sei es, dass er nach angemessener Wartefrist den Unfallort verlassen durfte, Abs. 2 Nr. 1, oder aber dass er sich berechtigt oder entschuldigt vom Unfal-
6 5
HERZBERG Z S t W 8 8 ( 1 9 7 6 ) S. 8 3 ; ROXIN L K , § 2 8 R d n . 6 8 ; SCHILD N K , § 1 4 2 R d n . 124.
66
Vgl. OLG Stuttgart VRS 18 (1960) S. 117; OLG Koblenz MDR 1993 S. 366; LACKNER/KÜHL § 142 R d n . 6 ; RUDOLPHI S K II, § 142 R d n . 14; TRÖNDLE/FLSCHER § 142 R d n . 8. - A . A . BERZ J u S 1 9 7 3 S. 5 5 8 ; GEPPERT L K , § 142 R d n . 2 5 ; SCHILD N K , § 142 R d n . 4 8 ; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 142
Rdn. 17. 6 7
V g l . a u c h GEPPERT L K , § 142 R d n . 3 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 142 R d n . 11.
6 8
V g l . B G H S t 4 7 S. 1 5 8 m i t A n m . GEPPERT J K 0 2 , S t G B § 1 4 2 / 2 0 , STERNBERG-LIEBEN J R 2 0 0 2 S. 3 8 6 f f ; GEPPERT L K § 142 R d n . 2 6 ; LACKNER/KÜHL § 1 4 2 R d n . 8 ; MAGDOWSKI D i e V e r k e h r s u n f a l l f l u c h t in d e r S t r a f r e c h t s r e f o r m , 1 9 8 0 , S. 8 9 ; SCHILD N K , § 142 R d n . 4 9 ; TRÖNDLE/FISCHER § 142 R d n . 13.
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lort entfernt hat, Abs. 2 Nr. 2. In diesen Fällen muss er die Feststellungen unverzüglich nachträglich ermöglichen. 5. Die einzelnen Tathandlungen a) § 142 Abs. 1 55 Tathandlung des § 142 Abs. 1 ist das Sich-Entfernen vom Unfallort. Er setzt voraus, dass der Verpflichtete deshalb nicht mehr zu den erforderlichen Feststellungen an Ort und Stelle zur Verfugung steht, weil er den Bereich verlassen hat, in dem der Zusammenhang mit dem Unfall ohne weiteres erkennbar ist. 69 In Betracht kommt nur ein willentliches Verlassen des Unfallortes, u.U. auch als garantenpflichtiger Unterlassender, der die Weiterfahrt nicht verhindert, obwohl er dazu in der Lage wäre. Zu unterscheiden ist sodann: 56 aa) Sind Personen, die bereit sind, Feststellungen zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten zu treffen, anwesend oder erscheinen sie während der Anwesenheit des Unfallbeteiligten, so trifft diesen eine Warte- und Vorstellungspflicht, Abs. 1 Nr. 1. 57 Die Wartepflicht dauert solange, bis die nötigen Feststellungen getroffen sind. Sind keine Feststellungen nötig, weil alle Beteiligten auf weitere Feststellungen verzichten oder die erforderlichen Feststellungen bereits getroffen sind, so entfallt die Wartepflicht. 58 Die Vorstellungspflicht enthält die Pflicht zu Angabe, dass sich ein Unfall ereignet hat und eigene (Mit-)Verursachung in Betracht kommt. Sie beginnt unmittelbar nach dem Unfall und dauert solange an, wie ihre Befolgung möglich ist. - Problematisch allerdings ist die Weite der Vorstellungspflicht. Die h.M. begrenzt diese auf die Angabe des Unfallbeteiligten, dass sich ein Unfall ereignet hat und dass eine eigene (Mit-)Verursachung in Frage kommt. Die Gegenmeinung fordert hingegen die Angabe des Namens und der Anschrift. 70 Sie erscheint mehr sachgerecht, denn die Vorstellung soll dem Beteiligten gerade auch die Möglichkeit eröffnen, von einer weiteren Anwesenheit des Unfallbeteiligten abzusehen. Das aber erfordert die über die Beteiligung hinausgehenden Angaben. Die unterschiedliche Bestimmung der Vorstellungspflicht führt zu wesentlichen Konsequenzen: Führt der Unfallbeteiligte das Einverständnis Feststellungsberechtigter durch Täuschung über die relevanten Angaben herbei und entfernt sich dann, so hat er die ihm aus Abs. 1 Nr. 1 obliegende Pflicht nicht erfüllt und damit die Vorstellungspflicht verletzt.'' Der Versuch, in diesen Fällen eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 zu begründen 7 ^, schlägt fehl, da der Täter sich weder berechtigt noch entschuldigt vom Unfallort entfernt hat. 7 ·'
69
Dazu OLG Stuttgart NJW 1981 S. 878 mit Anm. HENTSCHEL JR 1981 S. 211 f; GEPPERT Jura 1990 S. 8 2 ; RUDOLPHI S K II, § 142 R d n . 3 5 . - W e i t e r KÜPER J Z 1 9 8 1 S. 2 1 5 ; SCHILD N K , § 1 4 2 R d n . 9 2 .
7 0
V g l . B G H S t 16 S . 1 3 9 f ; JAGUSCH N J W 1 9 7 6 S. 5 0 4 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 4 9
Rdn. 36. - Zur h.M. BGHSt 30 S. 164; BayObLG NZV 1999 S. 35; BayObLG JR 1985 S. 163; GEPPERT L K , § 142 R d n . 9 8 ; KÜPER G A 1 9 9 4 S. 6 0 ; LACKNER/KÜHL § 142 R d n . 18. - D i f f e r e n z i e r e n d : SCHILD N K , § 142 R d n . 6 8 . 71
So auch OLG Stuttgart NJW 1982 S. 2266; OLG Karlsruhe MDR 1980 S. 160; JANISZEWSKI NStZ 1 9 9 0 S. 2 7 2 ; LACKNER/KÜHL § 142 R d n . 17; TRÖNDLE/FlSCHER § 1 4 2 R d n . 2 8 . - A . A . B a y O b L G N J W 1 9 8 4 S. 6 6 , 1 3 6 5 ; O L G F r a n k f u r t N J W 1 9 9 0 S. 1 1 8 9 ; GEPPERT L K , § 142 R d n . 9 0 ; KÜPER J Z 1 9 9 0 S. 5 1 0 f f ; RUDOLPHI S K II, § 142 R d n . 3 1 ; SCHILD N K , § 1 4 2 R d n . 105.
72
Vgl. BayObLG NJW 1984 S. 1365; OLG Frankfurt NJW 1990 S. 1198.
73
Vgl. auch GEPPERT JK 90, StGB § 142/16; JANISZEWSKI NStZ 1983 S. 403.
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Verzichtet der Unfallgegner auf die weitere Anwesenheit des Unfallbeteiligten am Un- 59 fallort, so liegt darin eine rechtfertigende Einwilligung in das Entfernen vom Unfallort. 74 bb) Sind keine feststellungsbereiten Personen am Unfallort erschienen, so trifft den Un- 60 fallbeteiligten eine Wartepflicht, Abs. 1 Nr. 2. - Die Länge der Wartepflicht bestimmt sich nach dem Grad des Feststellungsinteresses und der Zumutbarkeit. Maßgeblich sind dafür Ort und Schwere des Unfalls, Verkehrsdichte, Witterung und Tageszeit. Positive Maßnahmen zur Aufklärung verkürzen die Wartezeit. - Die Pflicht entfallt, wenn in absehbarer Zeit überhaupt nicht mit dem Eintreffen feststellungsbereiter Personen zu rechnen ist. Im Einzelnen: OLG Stuttgart NJW 1981 S. 1107: 10 Minuten genügen ausnahmsweise bei einem geschätzten Schaden von DM 400,-, wenn kein Anhaltspunkt für baldiges Eintreffen feststellungsbereiter Personen vorliegt. - OLG Hamm VRS 59 S. 258: 30 Minuten genügen bei Schaden bis DM 600,-. - OLG Koblenz VRS 49 S. 180: 15 Minuten in der Nacht genügen nicht bei Schaden in Höhe von DM 1500,-. - OLG Stuttgart DAR 1977 S. 22: 20 Minuten bei Schaden von DM 600,- gegen Abend genügen nicht. - Bei Tötung und schwerer Verletzung von Personen ist mindestens 1 Stunde Wartezeit erforderlich.
cc) Der Vorsatz, bedingter genügt, muss das Bewusstsein umfassen, möglicherweise einen Unfall verursacht und nach den Umständen erforderliche Feststellungen nicht ermöglicht zu haben, b) § 142 Abs. 2 Abs. 2 begründet die Pflicht zur unverzüglichen nachträglichen Ermöglichung der FestStellungen i.S. des Abs. 1, wenn: aa) der Unfallbeteiligte sich nach Ablauf der Wartefrist, Abs. 1 Nr. 1, oder bb) berechtigt oder entschuldigt, Abs. 2 Nr. 2, vom Unfallort entfernt hat. Berechtigt hat sich der Unfallbeteiligte entfernt, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorlag, wobei besonders Einwilligung und nach der Rechtsprechung auch mutmaßliche Einwilligung in Betracht kommen in Fällen, in denen der Berechtigte nach den Umständen - Bestehen freundschaftlicher oder verwandtschaftlicher Beziehungen, Bagatellschaden - mutmaßlich an Feststellungen uninteressiert ist. 75 Entschuldigt erfolgt die Entfernung bei Vorliegen von Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründen, auch bei vorübergehender Schuldunfahigkeit oder unvermeidbarem Verbotsirrtum. - Ist der Schuldausschluss allerdings rauschbedingt, so kommt wegen des Entfernens vom Unfallort eine Strafbarkeit nach § 323 a in Betracht. In diesem Fall entfallt die Möglichkeit einer Bestrafung nach § 142 Abs. 2 Nr. 2, denn der Täter hat sich nicht entschuldigtermaßen vom Unfallort entfernt, sondern schuldhaft im Sinne der Schuldanforderung des § 323 a gehandelt. 76 Nicht tatbestandsmäßig i.S. des § 142 Abs. 2 handelt der Täter, der sich unvorsätzlich vom Unfallort entfernt, weil er keine Kenntnis vom Unfall hat. Die Interpretation des BGH, es genüge, dass der Täter im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem
74 75
Vgl. dazu OLG DüsseldorfNZV 1991 S. 77 mit Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 142/17. Vgl. BayObLG StV 1985 S. 109; OLG Düsseldorf NJW 1985 S. 2725; OLG Frankfurt NJW 1960 S . 2 0 6 7 ; O L G K ö l n N J W 2 0 0 2 S. 2 3 3 4 m i t A n m . GEPPERT J K 0 2 , S t G B § 1 4 2 / 2 1 .
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Vgl. auch BayObLG NJW 1989 S. 1685 mit Anm. GEPPERT JK 90, StGB § 142/15, KELLER JR 1989 S. 3 4 3 f, KÜPER N J W 1 9 9 0 S. 2 0 9 ; BEULKE N J W 1 9 7 9 S. 4 0 4 ; GEPPERT L K , § 142 R d n . 1 3 2 ; RENGIER B . T . I I , § 4 6 R d n . 3 2 ; RUDOLPHI S K II, § 142 R d n . 3 9 ; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 142 R d n . 5 4 . A . A . BERZ J u r a 1 9 7 9 S. 1 2 9 ; DORNSEIFER J Z 1 9 8 0 S. 3 0 3 ; KÜPER N J W 1 9 9 0 S . 2 1 0 ; MISERE J u r a 1 9 9 1 S. 2 9 9 f; TRÖNDLE/FISCHER § 142 R d n . 4 8 .
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Unfall von diesem Kenntnis erlangt habe 77 , geht über die durch den Wortlaut gesetzten Grenzen des § 142 hinaus. 78 66 In gleicher Weise nicht mit dem Gesetz vereinbar ist die Annahme, die unvorsätzliche, von Dritten veranlasste oder erzwungene Entfernung des Täters vom Unfallort stehe einer berechtigten oder entschuldigten Entfernung gleich. Dies mag vom Gesetzessinn her zutreffen, ist jedoch angesichts des engen Wortlauts des Abs. 2 eine Analogie zu Ungunsten des Täters. 79 67 cc) Die Mindestvoraussetzungen der nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen, die der Unfallbeteiligte erfüllen muss, um straffrei zu bleiben, beschreibt Abs. 3. Da der Verpflichtete gemäß Abs. 2 unverzüglich handeln muss, hat er die Wahl der Benachrichtigung, soweit das Unverzüglichkeitsgebot nicht verletzt wird. - Unverzüglich erfordert Handeln ohne vorwerfbares Zögern. Das bedeutet, dass dann, wenn eine der zur Wahl stehenden Möglichkeiten zu einer zeitlichen Verzögerung führt, die andere Möglichkeit zu realisieren ist. 80 68 dd) Der Vorsatz, bedingter genügt, umfasst Kenntnis des Verkehrsunfalls und der möglichen Beteiligung sowie das Bewusstsein, dass nachträgliche Feststellungen erschwert oder vereitelt werden. c) Tätige Reue 69 aa) Nach einem Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs, d. h. wenn das Unfallereignis selbst dem fließenden Verkehr nicht zuzuordnen ist, 81 und wenn der Unfall nicht bedeutenden Sachschaden - nicht über 1000,- € - zur Folge hat, kann das Gericht die Strafe mildern oder von Strafe absehen, wenn der Unfallbeteiligte innerhalb von vierundzwanzig Stunden freiwillig die Feststellungen nachträglich ermöglicht, Abs. 4. - Freiwillig handelt der Unfallbeteiligte, wenn er aufgrund autonomer Motive handelt. 70 bb) Aber auch dann, wenn der Unfallbeteiligte nach Vollendung des Delikts, aber bevor ein Feststellungsverlust eingetreten ist, freiwillig die Feststellungen ermöglicht, ist kein Strafbedürfnis gegeben. Eine analoge Anwendung des § 306 e sollte hier erwogen werden, auch wenn dem die Tatsache entgegensteht, dass der Gesetzgeber dem Rücktritt einen erheblich geringeren Raum gibt.
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BGHSt28 S. 129.
7 8
S o a u c h BERZ J u r a 1 9 7 9 S. 128; BEULKE N J W 1 9 7 9 S. 4 0 0 ff; BOTTKE J A 1 9 8 0 S. 5 1 6 ; DORNSEIFER J Z 1 9 8 0 S. 3 0 1 f; GEPPERT J u r a 1 9 9 0 S. 8 5 ; KREY/HELLMANN B . T . 2 , R d n . 6 4 6 ; LACKNER/KÜHL § 142 R d n . 2 5 ; MAGDOWSKI V e r k e h r s u n f a l l f l u c h t , S. 1 6 0 if; RUDOLPHI J R 1 9 7 9 S. 2 1 0 ff; WES-
SELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 1014. - A.A. OLG Düsseldorf JZ 1985 S. 544; KÜPER Heidelberg-FS, S. 4 5 1 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . l , § 4 9 R d n . 5 4 ; RENGIER B . T . I I , § 4 6 R d n . 2 7 ; SCHILD N K , § 142 R d n . 138; VOLK D A R 1982 S. 8 5 . 7 9
V g l . GEPPERT L K , § 142 R d n . 125; LACKNER/KÜHL § 142 R d n . 2 5 ; RUDOLPHI S K II, § 142 R d n . 3 5 a;
SCHILD NK, § 142 Rdn. 94. - A.A. BGHSt 30 S. 160 mit Anm. BÄR JR 1982 S. 379; BayObLG NJW 1982 S. 1 0 5 9 m i t abl. A n m . KLINKENBERG/LIPPOLD/BLUMENTHAL N J W 1982 S. 2 3 5 9 f, JAKOB M D R 1 9 8 3 S. 4 6 1 f, SCHWAB M D R 1 9 8 3 S. 4 5 4 f. 80
Vgl. BGHSt 29 S. 138.
81
V g l . d a z u O L G K ö l n V R S 9 8 ( 2 0 0 0 ) S. 122; SCHILD N K , § 142 R d n . 122; TRÖNDLE/FISCHER § 142
Rdn. 63.
452
Vollrausch
§81
d) Konkurrenzen In der Regel besteht zwischen § 142 und der durch den Unfall verursachten Tat Realkon- 71 kurrenz. Das gilt auch, wenn der Täter vor und nach dem Unfall eine Dauerstrafitat, § 316, begeht. Mit dem Entschluss, sich vom Unfallort zu entfernen, beginnt eine neue Tat. 82
IV. Angriff auf den Luft- und Seeverkehr, § 316 c 1. Die Vorschrift schützt die Sicherheit des zivilen Flug- und Seeverkehrs. - Die Tat ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. 2. § 316 c Abs. 1 Nr. 1 erfasst die eigentliche Luft- und Seepiraterie. Ziel des Täters muss die Herrschaft über das Luftfahrzeug bzw. Schiff oder die Einwirkung auf dessen Führung sein, und zwar durch Gewaltanwendung, durch Angriff auf die Entschlussfähigkeit einer Person oder durch Vornahme sonstiger Machenschaften, die in der Wirkung einem Ausschluss der Entschlussfreiheit der Flugzeug- oder Schiffsfuhrung gleichkommen. 83 3. § 316 c Abs. 1 Nr. 2 erfasst Handlungen, die in der Absicht der Zerstörung oder BeSchädigung des Luftfahrzeugs, des Schiffs oder seiner Ladung unternommen werden. 4. § 316 c Abs. 3 enthält eine Erfolgsqualifikation (wenigstens leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen). - § 316 c Abs. 4 dehnt die Strafbarkeit bereits auf bestimmte Vorbereitungshandlungen aus. 5. Tätige Reue, die zur Strafmilderung (Abs. 1) oder zum Strafausschluss (Abs. 3 Nr. 2) fuhren kann, ist in § 320 besonders geregelt. 6. Konkurrenzen: Da sich das Delikt gegen die Sicherheit des zivilen Luft- und SeeVerkehrs richtet, ist Idealkonkurrenz mit den durch die u.U. erfolgte Verletzung persönlicher Rechtsgüter begangenen Delikten (z.B. §§ 240,223,212,239 b) möglich.
72 73
74 75
76 77
§ 81 Vollrausch I. Rechtsgut und Deliktsnatur des § 323 a § 323 a stellt die Herbeiführung eines gemeingefährlichen Zustandes i.S. eines unberechenbaren, unbeherrschbaren und damit für die Rechtsgüter anderer gefahrlichen Zustandes unter Strafe. Geschützte Rechtsgüter sind die in den übrigen Delikten strafrechtlich geschützten Rechtsgüter anderer. Diese Weite des Rechtsgutsschutzes macht deutlich, dass es sich sachlich um eine Ausdehnung der strafrechtlichen Haftung über den Vorsatzund Fahrlässigkeitsbereich hinaus in einen subjektiven Verantwortungsbereich hinein handelt, der nicht mehr die Vorhersehbarkeit der konkreten Rechtsgutsbeeinträchtigung zur Voraussetzung hat, sondern das allgemeine Wissen von der Gefährlichkeit und Nichtsteuerbarkeit einer bestimmten Situation. In der Sache ist § 323 a daher als Ergänzung der §§ 20, 21 und Erweiterung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen über die Fahrlässigkeit hinaus anzusehen. 84
82
Dazu BayObLG JR 1982 S. 249 mit Anm. HENTSCHEL S. 250 f; OLG Celle GA 1982 S. 41.
83
Dazu gehören nicht Bestechung und Überredung; vgl. SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 316 C Rdn. 16. A . A . K.UNATH J Z 1972 S. 2 0 1 .
84
Dazu auch HARDWIG Eb. Schmidt-FS, S. 473 ff; DERS. GA 1964 S. 144 f; HRUSCHKA Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1988, S. 298; MAURACH/ZIPF Strafrecht, A.T.L, 8. Aufl. 1992, § 36 Rdn. 65; NEUMANN ZU453
1
§81
2
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Formell handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, da der Gesetzgeber davon abgesehen hat, diese allgemeine Haftungsausdehnung im Allgemeinen Teil zu regeln, wo sie sachlich hingehört hätte. 85 Sachlich enthält § 323 a eine Schuldzurechnungsregelung, und zwar eine Ergänzung der §§ 20, 21, die durchaus mit dem Schuldgrundsatz in Einklang steht, wenn als subjektives Tatbestandsmerkmal des § 323 a die Kenntnis der Gefährlichkeit des Rauschzustands fur die Begehung von Delikten vorausgesetzt wird. 86 Auch die Rechtsprechung, die z.T. ausdrücklich betont, dass sie § 323 a als abstraktes Gefahrdungsdelikt interpretiert 87 , kommt sachlich zum gleichen Ergebnis, indem sie Strafrahmenverschiebungen bei der Rauschtat nach §§ 27 Abs. 2 S. 2, 23 Abs. 2, 21 Abs. 2 gemäß § 323 a Abs. 2 sowie die Zahl der Rauschtaten und einen Rücktritt von der versuchten Rauschtat innerhalb der Schuld des Vollrausches berücksichtigt. 88
II. Die Voraussetzungen des Tatbestandes 3
1. Die Tathandlung Tathandlung ist das Sichversetzen in einen Rausch durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel, z.B. Rauschgift. - Rausch ist das für das jeweilige Rauschmittel typische, die psychischen Fähigkeiten durch Intoxikation beeinträchtigende Zustandsbild. Einen bestimmten Schweregrad setzt das Gesetz nicht voraus. Gleichwohl geht die h.M. davon aus, dass ein Rausch i.S. des § 323 a nur vorliegt, wenn die Intoxikation durch Rauschmittel einen Grad erreicht hat, in dem die Schuldfahigkeit des Täters mit Sicherheit zumindest erheblich vermindert ist i.S. des § 21, und zwar soll die verminderte Schuldfahigkeit in Bezug auf die Rauschtat bestimmt werden. 89
rechnung und „Vorverschulden", 1985, S. 125 ff; OTTO Jura 1986 S. 478 ff; DERS. BGH-FG, S. 131 f; STRENG JZ 1984 S. 118 ff; DERS. ZStW 101 (1989) s. 318 ff. 85
Die h.M. ordnet den § 323 a schlicht als abstraktes Gefährdungsdelikt ein, vgl. CRAMER Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Geßhrdungsdelikt, 1962, S. 17 ff m.w.N.; DENCKER NJW 1980 S. 2159; GOSSEL/DÖLLING B . T . l , § 59 Rdn. 1; KREY B . T . l , Rdn. 797; LACKNER/KÜHL § 323 a R d n . 1; PUPPE G A 1974 S. 115; DIES. Jura 1982 S. 281; SCHMIDHÄUSER B.T., 15/19; TRÖNDLE/FISCHER § 323 a Rdn.
2; WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 1028. - Als konkretes Gefährdungsdelikt
interpretieren den Tatbe-
s t a n d : ARZT/WEBER B . T . , § 4 0 R d n . 12; HEINITZ J R 1 9 5 7 S. 3 4 7 ff; LANGE J R 1 9 5 7 S. 2 4 2 ff; RANFT
MDR 1972 S. 741; DERS. JA 1983 S. 194; WELZEL Lb., § 68 II. - Für eine Aufspaltung in einen engeren und einen weiteren Vollrauschtatbestand: PAEFFGEN NK, § 323 a Rdn. 14 ff; WOLTER NStZ 1982 S.58 ff. 86
So im Ergebnis auch BEMMANN GA 1961 S. 73; CRAMER Vollrauschtatbestand, 1962, S. 106; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 9 6 Rdn. 3; MONTENBRUCK G A 1978 S. 2 4 0 f; OTTO Jura
1986 S. 481; SPENDEL LK, § 323 a Rdn. 70; STRENG JR 1993 S. 37 f. - Einen Verstoß gegen das Schuldprinzip sieht in § 3 2 3 a ARTHUR KAUFMANN JZ 1963 S. 425 ff; dazu auch NEUMANN Zurechnung, S. 128; STRENG JZ 1984 S. 119. - Differenzierend: PAEFFGEN ZStW 97 (1985) S. 538; WOLTER NStZ 1982 S. 54 ff. 87
Vgl. BGHSt 16 S. 124; 20 S. 284.
88
Vgl. dazu BGH JR 1993 S. 33 mit Anm. STRENG S. 35 ff, PAEFFGEN NStZ 1993 S. 66 ff; BGH NStZ
89
O L G Karlsruhe N J W 2 0 0 4 S. 3 3 5 7 ; FORSTER/RENGIER N J W 1986 S. 2 8 7 2 ; HORN J R 1980 S. 1 ff; KREY B . T . l , Rdn. 805; KÜPER B.T., S. 236 f; LACKNER/KÜHL § 323 a Rdn. 4; PAEFFGEN N S t Z 1985
1994 S. 131 mit A n m . KUSCH S. 132, OTTO J K 94, S t G B § 323 a/5; B G H StV 1994 S. 304.
S. 8; RANFT Jura 1988 S. 138; RENGIER B.T.II, § 41 Rdn. 22. 454
Vollrausch
§81
Die Abhängigkeit des Rauschbegriffs von der Schuldunfähigkeit bzw. der verminderten Schuldfahigkeit wird vom BGH inzwischen in Frage gestellt 90 , und auch in der Literatur wird zunehmend eine eigenständige Definition des Rauschbegriffs vorgeschlagen. Zum Teil wird der Rausch interpretiert als „Zustand, in dem der Täter infolge Rauschmittelkonsums hinsichtlich irgendeines (Straf-) Normverstoßes in irgendeiner Situation bereits nur noch vermindert schuldfahig wäre" 91 , oder kurz als Zustand der Sozialunfähigkeit 92 , während andere auf die absolute Fahruntüchtigkeit 93 bzw. auf die biologische Komponente der §§ 20,21 9 4 abstellen wollen. Die Lösung des Rauschbegriffs von der Definition der Schuldunfähigkeit bzw. der verminderten Schuldfahigkeit ist ein Postulat vernünftiger Gesetzesauslegung, denn würde bereits der Rausch den sicheren Nachweis zumindest verminderter Schuldfahigkeit voraussetzen, so wäre das gesetzliche Erfordernis, dass der Täter in Folge des Rausches schuldunfahig war oder dies nicht auszuschließen ist, sinnlos. Es verwiese auf eine schlichte Tautologie. Jedoch auch der Bezug auf die Fahruntüchtigkeit oder einzelne Aspekte der Schuldunfahigkeit bleibt willkürlich. 95 Das Erfordernis des Rausches im Tatbestand des § 323 a stellt lediglich klar, dass die Gefahrensituation auf einem Rausch und nicht auf anderen Sachverhalten beruhen muss. Ein bestimmter Mindestschweregrad des Rausches ist daher nicht als Voraussetzung des Rauschbegriffs zu akzeptieren. 96
4
5
6
2. Die Rauschtat Objektive Bedingung der Straßarkeit ist die Rauschtat, d.h. eine rechtswidrige Tat i.S. des 7 § 11 Abs. 1 Nr. 5, für die der Täter nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder dies zumindest nicht auszuschließen ist. Auch im Falle mehrerer Rauschtaten während des Rausches liegt nur ein Delikt des Vollrausches vor, bei dem mehrere objektive Bedingungen der Strafbarkeit erfüllt wurden. 97 Die Rauschtat muss den vollen objektiven und subjektiven Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen. 98 a) Die Rauschtat kann ein Begehungs- oder Unterlassungsdelikt sein. Ist der Täter infolge 8 seines Rausches jedoch nicht mehr handlungsfähig, so kommt eine Haftung nicht in Betracht. § 323 a soll der Gefahr begegnen, die ein handlungsfähiger aber berauschter und daher in seiner Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit beeinträchtigter Täter verwirklicht,
90
BGHSt 32 S. 48, 53 f.
9 1
DENCKER N J W 1 9 8 0 S. 2 1 6 2 ; PAEFFGEN N K , § 3 2 3 a R d n . 5 6 ff.
92
PUPPE Jura 1982 S. 285.
9 3
MONTENBRUCK G A 1 9 7 8 S. 2 2 5 f f .
9 4
HORN J R 1 9 8 0 S. 7.
95
Im Einzelnen zur Auseinandersetzung mit diesen Definitionen LACKNER Jescheck-FS, S. 659 ff.
96
Vgl. dazu DÖLLING Heidelberger Jahrbücher XLIII (1999) S. 149 ff; JAKOBS Strafrecht, A.T., 2. Aufl. 1 9 9 1 , 1 7 / 6 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAJWALD B . T . 2 , § 9 6 R d n . 18; OTTO J u r a 1 9 8 6 S . 4 8 2 f; DERS. B G H - F G , S . 129 f; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 5 / 3 1 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 1 5 4 ; TRÖNDLE J e s c h e c k F S , S. 6 8 2 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 3 2 3 a R d n . 4 .
97
BGH StV 1990 S. 404; BGH StV 1994 S. 128.
98
A.A. SPENDEL LK, § 323 a Rdn. 201: Mindestvoraussetzung eine objektiv-straftatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat.
455
§81
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
nicht aber den Haftungsrahmen über die Handlungsmöglichkeiten im konkreten Fall hinaus ausdehnen. Auch unterlassene Hilfeleistung, § 323 c, kann Rauschtat sein, wenn der Täter in der Lage ist zu erkennen, dass der in Not Geratene auf seine Hilfe angewiesen und ihm die Hilfeleistung möglich i s t . "
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13
14
b) Ist die Rauschtat nur als vorsätzliche Tat mit Strafe bedroht, so muss der Täter die Kenntnis der Tatumstände und ihres Bedeutungsgehaltes sowie den Verwirklichungswillen (finales Element des Vorsatzes = natürlicher Vorsatz) gehabt haben. c) Soweit die Rauschtat eine besondere Absicht voraussetzt, muss der zielgerichtete Wille des Täters vorhanden gewesen sein. Ist diese Absicht im Gesetz als spezifisch rechtswidrige Absicht gekennzeichnet, wie z.B. die Absicht rechtswidriger Zueignung in § 242 oder die Absicht rechtswidriger Bereicherung in §§ 253, 263, so lässt die h.M. dieses Erfordernis in Wirklichkeit entfallen, indem sie lediglich die „natürliche zielgerichtete Absicht" voraussetzt. 100 - Dies ist nicht sachgerecht, denn gerade die Absicht rechtswidriger Zueignung bzw. Bereicherung gibt diesen Delikten ihre spezifische Angriffsrichtung, vgl. dazu § 38 Rdn. 12. Da der Täter jedoch im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit nicht mehr fähig ist, das Unerlaubte seines Verhaltens einzusehen oder sich danach zu richten, kann er die geforderte rechtsfeindliche Einstellung seiner Zueignungs- bzw. Bereicherungsabsicht gerade nicht erkennen, bzw. sich danach richten. Damit aber kann er das geforderte Spezifikum der Absicht nicht verwirklichen. Im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit kann daher eine Rauschtat, die die Realisierung einer rechtswidrigen Absicht fordert, nicht verwirklicht werden. Dies ist jedoch kein Mangel, denn da bei den entsprechenden Delikten eine unabänderbare Sachlage durch die Tat im Rausch nicht eintritt, ist das Verhalten des Täters im zurechnungsfähigen Zustand für die strafrechtliche Beurteilung relevant. Eignet er sich in diesem Zustand z.B. eine fremde Sache rechtswidrig zu, so haftet er nach § 246. 101 d) Ein Irrtum des Täters, der nicht auf seinem Rausch beruht, ist nach allgemeiner Ansicht genauso zu behandeln wie ein Irrtum eines nüchternen Täters. Beim rauschbedingtem Irrtum will die Rechtsprechung den Täter hingegen nicht entlasten. Dem ist nicht zu folgen. Das Erfordernis der Rauschtat hat eine strafbarkeitsbegrenzende Funktion. - Pflichtwidrig handelt der Täter, weil er sich vorsätzlich oder fahrlässig in den gemeingefährlichen Rauschzustand versetzt hat. Bestraft wird er jedoch nur, wenn er in diesem Zustand eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat begeht. - Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Unrechtstatbestandes dieser Tat müssen gegeben sein. Da der Täter die Tat aber in einem Zustand begangen hat, in dem zumindest nicht auszuschließen ist, dass er unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, ist das
99
So auch BayObLG NJW 1974 S. 1520; DENCKER NJW 1980 S. 2165; DERS. JUS 1980 S. 214; PAEFFGEN N K , § 3 2 3 a R d n . 7 0 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 1 7 5 ; STRENG J Z 1 9 8 4 S. 114 f f . - A . A . BACKMANN J u S 1 9 7 5 S . 7 0 2 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 6 ; L E N C K N E R J R 1 9 7 5 S. 3 1 f f .
100 VGL
BayObLG NJW 1992 S. 2040 mit Anm. OTTO JK 92, StGB § 323 a/3.
1°1 Für Erfassung des Unrechts des Gesamtverhaltens durch das Eigentumsdelikt im nüchternen Zustand: WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 1040: mitbestrafte Vortat; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN §323 a Rdn. 32: Subsidiarität. Das Eigentumsdelikt sieht als mitbestrafte Nachtat an: OLG Celle NJW 1962 S. 1 8 3 3 .
456
Vollrausch
§81
Unrechtsbewusstsein, und zwar im umfassenden Sinne - materielles und formelles Unrechtsbewusstsein 102 -, nicht Voraussetzung der Rauschtat. Das hat die Konsequenz, dass ein sog. Tatbestandsirrtum, wenn er auf den Rausch zu- 15 rückzuführen ist, nicht anders zu behandeln ist als ein nicht rauschbedingter Irrtum. Hingegen kann ein sog. Verbotsirrtum, der darauf beruht, dass der Täter aufgrund seines Rauschzustandes nicht mehr in der Lage ist einzusehen, was erlaubt ist, ihn nicht entlasten. 103 e) Der Rücktritt vom Versuch der Rauschtat entlastet den Täter. - Der Gesetzeswortlaut 16 des § 323 a Abs. 1: „... rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfahig war ...", ist dahin zu interpretieren: „... rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfahig war." - Ob der Rücktritt im berauschten Zustand oder schon nüchtern erfolgte, ist irrelevant. Da der natürliche Vorsatz zur Begründung des Versuchs genügt, muss er fur den Rücktritt hinreichen. 104 3. Die subjektiven Voraussetzungen des Vollrausches Der Täter muss sich vorsätzlich oder fahrlässig in den Rauschzustand versetzt haben. Be- 17 ruht der Rauschzustand auf dem Zusammenwirken von Rauschmitteln und anderen Gründen - Erregung, Medikamenten -, so muss die Vorhersehbarkeit des Täters sich darauf erstrecken, dass im Zusammenwirken dieser Gegebenheiten ein Rauschzustand entsteht. 105 Weiter muss der Täter die allgemeine Kenntnis haben, dass ein Rauschzustand gefahrlich ist, weil es in einem derartigen Zustand zu Rechtsgutsbeeinträchtigungen Dritter kommen kann, und zwar unabhängig, ob das Delikt als abstraktes Gefahrdungsdelikt oder als Erweiterung des Haftungsrahmens über §§20, 21 hinaus interpretiert wird. Die allgemeine Kenntnis der Gefährlichkeit des Rauschzustandes ist Mindesterfordernis des Schuldgrundsatzes. 106 a) Hat der Täter sich vorsätzlich in einen Rausch versetzt, um eine Straftat im Rausch- 18 zustand zu begehen, so haftet er nicht aus § 323 a, sondern aus dem Tatbestand der verwirklichten Tat wegen einer actio libera in causa. 107 b) Hat der Täter Vorkehrungen gegen die Realisierung von Gefahren im Rausch getroffen, 19 die mit Sicherheit eine Realisierung der Gefahren ausgeschlossen hätten, so haftet er nicht, 1 0 2
D a z u GRUNDKURS STRAPRECHT, A . T . , § § 7 R d n . 6 2 f f , 13 R d n . 3 9 f f .
1 0 3
S o a u c h DENCKER N J W
1 9 8 0 S . 2 1 6 4 f; KREY B . T . l , R d n . 8 0 1 ;
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD
B . T . 2 , § 9 6 R d n . 13; PAEFFGEN N K , 3 2 3 a R d n . 7 3 f f ; RANFT J A 1 9 8 3 S . 2 4 1 f; SCHÜLER-SPRINGORUM
MschrKrim 1973 S. 363 ff; TRöNDLE/FlSCHER § 323 a Rdn. 8. - A.A. B G H N J W 1953 S. 1442; OLG Celle N J W 1969 S. 1775; BOCKELMANN B.T./3, § 2 5 IV 2; KUSCH Der Vollrausch, 1984, S. 88 ff m.w.N. 104
Vgl. B G H NStZ 1994 S. 131 mit zust. Anm. OTTO JK 94, StGB § 323 a/5, und abl. Anm. KUSCH NStZ 1994 S. 132; B G H S t V
1 9 9 4 S. 3 0 4 ; B G H S t V 2 0 0 0 S . 5 9 6 ; B G H N S t Z - R R 2 0 0 1 S . 1 5 ; LACK-
NER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 10; PAEFFGEN N K , § 3 2 3 a R d n . 8 0 ; TRONDLE/FISCHER § 3 2 3 a R d n . 8. - A . A .
BARTHEL Bestrafung wegen Vollrausches trotz Rücktritts von der versuchten Rauschtat?, 2001, S. 309 f; RANFT M D R 1 9 7 2 S . 7 4 3 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 2 2 1 . 105
Dazu BGH N J W 1979 S. 1370; BGH NStZ 1982 S. 116; BGH StV 1987 S. 246 mit Anm. NEUMANN S. 247 ff. - Zum erstmaligen Auftreten eines pathologischen Rausches vgl. BGHSt 40 S. 198.
106
Dazu auch BGHSt 10 S. 251.
107
Dazu sowie zur fahrlässigen Haftung trotz Rausches GRUNDKURS STRAFRECHT, A.T., § 13 Rdn. 15 ff.
457
§81
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
wenn durch bewusstes Eingreifen Dritter diese Vorkehrungen beseitigt werden. Ihm fehlt in dieser Situation die allgemeine Kenntnis von der Gefährlichkeit seines konkreten Zustandest 0 8 4. Teilnahme am Vollrausch 20 Teilnahme am Vollrausch, § 323 a, ist ausgeschlossen. Dies folgt daraus, dass es sich hier sachlich um kein eigenständiges Delikt handelt, sondern um eine Erweiterung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen in einer bestimmten Situation für bestimmte Personen. 109 Die Beteiligung an der Rauschtat richtet sich nach den allgemeinen Regeln. 5. Wahlfeststellung 21 Eine Wahlfeststellung zwischen der Rauschtat und dem Vollrausch kommt nicht in Betracht, da zwischen der im Rausch begangenen Rechtsgutsbeeinträchtigung und der voll verantwortlich verwirklichten Rechtsgutsbeeinträchtigung ein normatives Stufenverhältnis besteht. 22 Ist nicht nachweisbar, ob der Täter die Rauschtat im Zustand der Schuldunfahigkeit, der verminderten Schuldfahigkeit oder - trotz Rausches - in einem Zustand voller Zurechnungsfahigkeit begangen hat, so ist er, wenn der Rausch erwiesen ist, aus § 323 a zu bestrafen. Der Rauschtäter, der - wenn er schuldfahig gewesen wäre - aus der fur die im Rausch begangene Tat geltenden Norm verurteilt werden müsste, ist durch die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo" nicht schlechter gestellt, wenn gegen ihn wegen nicht ausgeschlossener Schuldunfahigkeit die weniger gravierende Norm des § 323 a zur Anwendung kommt. 110 23 Eine Strafbarkeitslücke ist allerdings auch innerhalb dieser Konzeption begründet: Ist nicht nachweisbar, ob der Täter einen Rausch hatte oder nicht, so kann er weder aus dem Vollrausch noch aus der Rauschtat bestraft werden. 111
108
Vgl. auch BGHSt 10 S. 247; BGH JR 1958 S. 28; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 96 Rdn. 5; OTTO Jura 1986 S. 486; SPENDEL LK, § 323 a Rdn. 64. - A.A. OLG Hamburg JR 1982 S. 345 mit A n m . HORN S. 3 4 7 ff; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 14; PAEFFGEN N K , § 3 2 3 a R d n . 6 4 ; PUPPE G A 1 9 7 4 S. 8 4 .
Str., die Stellungnahmen sind wesentlich durch die jeweilige Auffassung über die Rechtsnatur des § 323 a geprägt, doch überwiegt die Auffassung, dass eine Teilnahme am Vollrausch nicht möglich ist. Vgl. d a z u HAFT B . T . , § 3 7 11 5; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 17; RANFT J A 1 9 8 3 S. 2 4 4 ; WELZEL L b . , § 6 8 II 4 a. - A . A . B G H S t
10 S. 2 4 8 ; BRUNS J Z
1 9 5 8 S. 105 ff; LANGE J Z
1 9 5 3 S. 4 0 8
ff;
MAU-
RACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 96 Rdn. 23 f; PAEFFGEN NK, § 323 a Rdn. 66; RoxiN Täterschaft und Tatherrschaft, 6. Aufl. 1994, S. 431 f; SCHMIDHÄUSER B.T., 15/33; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 3 2 3 c R d n . 2 5 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 2 6 9 ff. 110
Vgl. BGHSt 32 S. 48, 56 f mit Anm. GEPPERT JK, StGB § 323 a/2; GRIBBOHM Jescheck-FS S. 665; HEISS N S t Z 1 9 8 3 S. 6 9 ; OTTO P e t e r s - F S , S. 3 8 2 f; DERS. B G H - F G , S. 131 f; SCHMIDHÄUSER B . T . , 1 5 / 3 1 ; SPENDEL L K , § 3 2 3 a R d n . 154 ff; TRÖNDLE J e s c h e c k - F S , S. 6 7 8 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 3 2 3 a
Rdn. 11; WOLTER Wahlfeststellung und in dubio pro reo, 1987, S. 75 ff. - A.A. OLG Karlsruhe NJW 2 0 0 4 S. 3 3 5 7 ; DENCKER J Z 1 9 8 4 S. 4 5 3 ff; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 4 ; PUPPE G A 1 9 7 4 S. 114 f; WESSELS/HETTINGER B T / 1 R d n . 1 0 3 3 . 111
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V g l . B G H S t 3 2 S. 4 8 , 5 4 ; DENCKER N J W 1 9 8 0 S. 2 1 6 0 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 3 a R d n . 5; OTTO B G H F G , S . 1 3 2 f; SCHUPPNER/SLPPEL N S t Z 1 9 8 4 S. 6 7 ff. - A . A . SCHEWE B A 1 9 8 3 S. 5 3 1 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 2 3 a R d n . 12.
Vollrausch
§ 81
6. Die Strafe Die Strafe ist begrenzt durch den Strafrahmen der Rauschtat, § 323 a Abs. 2; zum Straf- 24 antragvgl. Abs. 3.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Sechster Abschnitt Straftaten gegen die Umwelt § 82 Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen I. Die kriminalpolitischen Ziele der Umweltstrafnormen 1
2
3
1. Die Intention des Gesetzgebers Mit dem am 1.7.1980 in Kraft getretenen 18. Strafrechtsänderungsgesetz - Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - hat der Gesetzgeber wichtige Tatbestände zum Schutz der Umwelt, die zuvor in Spezialgesetzen des Nebenstrafrechts - z.B. im WasserhaushaltsG, Bundes-ImmissionsschutzG, AbfallG und AtomG - enthalten waren, erweitert, modifiziert und im Strafgesetzbuch zusammengefasst. Weniger bedeutsame Vorschriften - z.B. § 148 GewerbeO, §§51, 52 LebensmittelG, §§ 63 ff Bundes-SeuchenG, § 74 TierschutzG, § 39 PflanzenschutzG - blieben in den Spezialgesetzen. Mit der Regelung des Umweltstrafrechts im Strafgesetzbuch wollte der Gesetzgeber das Bewusstsein der Öffentlichkeit fur die Sozialschädlichkeit von Umwelteingriffen schärfen, die Anerkennung selbständiger Umweltschutzgüter fördern, die Vereinheitlichung der Materie erleichtern und eine Erhöhung der generalpräventiven Wirkimg dieser Normen erzielen.1 2. Die Verwirklichung der gesetzten Ziele Diese Zielsetzung fand damals in der Literatur breite Zustimmung und wird auch heute weithin positiv beurteilt.2 Kritisiert wurde jedoch, dass die Intentionen des Gesetzgebers sich nicht realisiert haben. Eingehende Untersuchungen, die für die Bundesrepublik Deutschland belegen, dass das Strafrecht in seiner wichtigsten Zielsetzung, schwerwiegende Umweltbeeinträchtigungen zu ahnden und die Effizienz der Umweltschutznormen zu stärken, versagt und zugleich im Bagatellbereich Überreaktion erzeugt, mehrten den Verdacht, dass „das Umweltstrafrecht rechtliche Potenz nur vorgaukele"3 und begründeten die Forderung in der Öffentlichkeit nach einer Verschärfung des Strafrechts.
1
BT-Drucks. 8/2382, S. 1, 9; 8/3633, S. 1 f, 19.
2
Vgl. zum Einen: LAUFHÜTTE/MÖHRENSCHLAGER ZStW 92 (1980) S. 912 ff; RANSIEK N K , Vor § 324 Rdn. 30 ff; TIEDEMANN Die Neuordnung des Umweltstrafrechts, 1980, S. 13; TRIFFTERER Umweltstraf-
recht, 1980, S. 30, jeweils mit w.N.; zum Anderen: Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe „Umwelthaftungs- und Umweltstrafrecht" - Arbeitskreis „Umweltstrafrecht" v. 19.12.1988, S. 26, 38; Beschlüsse Nr. 1, 2 der strafrechtlichen Abteilung des 57. DJT, in: Verhandlungen des 57. DJT Mainz 1988, Bd. II, 1988, L 2 7 9 ff; DÖLLING Kohlmann-FS, S. 112 ff. 3
HEINE N J W 1990 S. 2425. - Vgl. auch BREUER JZ 1994 S. 1080; HEINE/MEINBERG Gutachten z u m 57.
DJT Mainz, 1988, D 72 ff; MEINBERG ZStW 100 (1988) S. 112 ff; SCHALL NJW 1990 S. 1263 ff; DERS. wistra 1992 S. 1 ff.
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Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafhormen § 82 Mit dem Zweiten Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität v. 27.6.1994 (2. UKG) hat der Gesetzgeber die einzelnen Tatbestände des Umweltstrafrechts ergänzt und z.T. modifiziert. 4
4
II. Die grundsätzlichen Problemstellungen des Umweltstrafrechts 1. Die Akzessorietät des Umweltstrafrechts Das Umweltstrafrecht ist wesentlich geprägt durch eine enge Verflechtung präventivverwaltungsrechtlicher und sanktionsrechtlicher Regelungen, die jeweils aufeinander bezogen sind. Das damit verbundene hohe Maß an Begriffs-, Verwaltungs- und Verwaltungsrechtsakzessorietät der strafrechtlichen Regelungen begründet ihre grundsätzliche Problematik. a) Die begriffliche Akzessorietät Die begriffliche Akzessorietät des Umweltstrafrechts besteht in der Übernahme von Begriffen des Umweltverwaltungsrechts - z.B. Abfall, kerntechnische Anlagen - in das Umweltstrafrecht. Diese Akzessorietät ist aufgrund des zwischen den Materien bestehenden Sachzusammenhangs sachgerecht und fördert die Rechtssicherheit. Zu beachten ist aber, dass die unterschiedlichen Schutzfunktionen der Regelungen in den verschiedenen Sachgebieten inhaltliche Abweichungen in der Bestimmung einzelner Begriffe begründen können. Das aber fördert Rechtsunsicherheit. b) Die Verwaltungsrechtsakzessorietät Im Falle der Verwaltungsrechtsakzessorietät ist der strafrechtliche Tatbestand als Blankettnorm ausformuliert, der die Zuwiderhandlung gegen eine verwaltungsrechtliche Norm voraussetzt. Problematisch ist diese Gesetzestechnik vor allem, da einzelne Strafrechtsnormen an die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten und damit an Rechtsvorschriften anderer Gesetzgeber anknüpfen; vgl. z.B. §§ 311, 325 Abs. 1, 2, 326 Abs. 3, 328 Abs. 3 in Verb, mit § 330 d Nr. 4 a. Die hiergegen vorgebrachten Bedenken hat das BVerfG jedoch insoweit zurückgewiesen, als die ausfüllende Norm sich darauf beschränkt, das zu spezifizieren und zu konkretisieren, was im Strafgesetz und in der Ermächtigungsnorm schon im wesentlichen mit hinreichender Bestimmtheit entschieden ist.5 c) Die Verwaltungsakzessorietät Verwaltungsakzessorietät liegt vor, wenn die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens von der Einzelanordnung einer Verwaltungsbehörde, einem Verwaltungsakt, abhängig ist, wie z.B. in §§ 325 Abs. 1, 2 in Verb, mit § 330 d Nr. 4, 327, 328 Abs. 1, oder das Fehlen einer Befugnis - vgl. §§ 324, 326 - voraussetzt. Im Einzelfall können hier Art. 103 Abs. 2 und Art. 92 GG berührt sein. 6 4
Vgl. dazu auch MÖHRENSCHLAGER NStZ 1994 S. 513 ff, 566 ff; OTTO Jura 1995 S. 134 ff; SCHMIDT/SCHÖNE N J W 1 9 9 4 S . 2 5 1 4 ff.
5
Dazu BVerfGE 75 S. 342; 78 S. 382; KÜHL Lackner-FS, S. 824 ff; OTTO Jura 1991 S. 310 f; SCHALL NJW 1990 S. 1266; DERS. wistra 1992 S . 4 f; STEINDORF LK, Vor § 324 Rdn. 28. - Vgl. auch MÖHRENSCHLAGER NStZ 1994 S. 515; OTTO Jura 1995 S. 138 f.
6
D a z u BREUER J Z 1 9 9 4 s . 1 0 8 3 ff, 1 0 8 9 ff; DÖLLING K o h l m a n n - F S , S. 1 1 4 ff; KÜHL L a c k n e r - F S , S . 8 3 4 ff, 8 3 9 ff; OTTO J u r a 1991 S. 3 1 1 ff; RANSIEK N K , V o r § 3 2 4 R d n . 18 ff; SCHALL N J W 1 9 9 0 S. 1 2 6 6 ff; STEINDORF L K , V o r § 3 2 4 R d n . 2 2 ff; TIEDEMANN H a n d w ö r t e r b u c h d e s U m w e l t r e c h t s
(HdUR), Bd. II, 1994, S. 2450 f; WINKELBAUER Zur Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, 1985, S. 34 ff.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
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Soweit sich die Verwaltung im Rahmen der Konkretisierung und Spezifizierung der gesetzlichen Vorgaben hält, ist die Akzessorietät gegenüber einem formell und materiell rechtmäßigen Verwaltungsakt jedoch zu akzeptieren. Die Probleme liegen in der Bindung an rechtswidrige Verwaltungsakte, die zwar anfechtbar, aber bis zur Rücknahme rechtswirksam sind; vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG. Ihre Wirksamkeit ist aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auch im Strafrecht grundsätzlich anzuerkennen. 7 Den durch diese Bindung an u.U. rechtswidriges Verwaltungshandeln begründeten Gefahren ist je nach der unterschiedlichen Sachlage zu begegnen. 10 aa) Der durch die Bindung an einen rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakt begründeten Gefahr, dass im Einzelfall nicht ein sozialschädlicher Eingriff in Umweltrechtsgüter bestraft wird, sondern schlichter Ungehorsam gegenüber der Verwaltung, bzw. ein nur formaler Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot, kann dadurch begegnet werden, dass auch hier ein persönlicher Strafausschließungsgrund für die Fälle anerkannt wird, in denen das Verhalten des Täters das Rechtsgut nicht beeinträchtigte und der Täter dieses auch wusste, bzw. ein persönlicher Strafaufhebungsgrund nach Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts. 8 11 bb) Der Gefahr rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte, z.B. rechtswidriger Genehmigungen, die dem Täter eine Befugnis einzuräumen scheinen, die Umwelt sozialschädlich zu beeinträchtigen, sind Rechtsprechung und h.L. bereits zuvor durch Begrenzung der Wirksamkeit in Fällen des Rechtsmissbrauchs begegnet. Deqenige konnte sich nicht auf einen begünstigenden Verwaltungsakt berufen, der ihn durch Täuschung, Drohung und kollusives Zusammenwirken mit der Umweltbehörde erlangt hatte. 9 12 Mit § 330 d Nr. 5 hat der Gesetzgeber im 2. UKG den Rechtsmissbrauchsgedanken nunmehr positiviert und seine Grenzen gesetzlich fixiert: Der durch Drohung, Bestechimg, falsche Angaben oder Kollusion erlangte Verwaltungsakt begründet keine rechtswirksamen Handlungsbefugnisse. Unter Kollusion versteht der Gesetzgeber den Fall gemeinschaftlichen Rechtsbruchs des Täters mit Personen, die auf Seiten der Genehmigungsbehörde in das Verfahren eingeschaltet sind.
7
Dazu BGHSt 23 S.91; 31 S.314; OLG Köln wistra 1991 S. 74; DÖLLING JZ 1985 S . 4 6 5 f; HEINE/MEINBERG G u t a c h t e n , D 4 9 ; LENCKNER P f e i f f e r - F S , S. 2 8 ; PAPIER N U R 1 9 8 6 S. 3 f; RUDOLPHI
NStZ 1984 S. 197; TLEDEMANN Neuordnung, S. 39. - A.A. Für eine eigenständige Bestimmung der Nichtigkeitsgründe eines Verwaltungsakts im Strafrecht: RENGIER ZStW 101 (1989) S. 897 f; SCHÜNEMANN wistra 1986 S. 239. - Für eine grundsätzliche Bindung nur an materiell rechtmäßige Verwaltungsakte: KÜHL Lackner-FS, S. 842 ffm.w.N.; SCHALL NJW 1990 S. 1266 ff; DERS. NStZ 1992 S. 213 f. 8
Vgl. auch FRISCH Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltstrafrecht, 1993, S. 4 2 f f ; OTTO J u r a 1 9 9 1 S . 3 1 2 ; SCH/SCH/HEINE V o r § § 3 2 4 f f R d n . 2 1 ; WINKELBAUER N S t Z 1 9 8 8 S .
203. - A.A. (Strafbarkeit): DöLLING JZ 1985 S. 466; LAUFHÜTTE/MÖHRENSCHLAGER ZStW 92 (1980) S. 921; ROGALL in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2002; S. 829; TRÖNDLE/FISCHER § 330 d Rdn. 8. - Differenzierend unter unterschiedlichen Aspekten: HEGHMANNS Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht und Verwaltungshandeln, 2000, S. 317 ff; MOHRBOTTER J Z 1 9 7 1 S . 2 1 5 f; STERN L a n g e - F S , S. 8 6 5 ; SCHALL N J W 1 9 9 0 S . 1 2 6 7 f. - Z u r g r u n d -
sätzlichen Problematik des unbefugten, aber nicht rechtsgutsgefährdenden Verhaltens vgl. unter § 78 Rdn. 5 ff. 9
Vgl. BGHSt 39 S. 387; OLG Celle NdsRpfl. 1986 S. 218; LG Hanau NJW 1988 S. 576; StA Mannheim NJW 1976 S. 586.
10
Vgl. BT-Drucks. 12/7300, S. 25. - Im Einzelnen zu der Neuregelung PASCHKE wistra 1996 S. 161 ff; ROGALL G A 1 9 9 5 S . 2 9 9 f f ; STEINDORF L K , § 3 3 0 d R d n . 7.
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§ 82
Dadurch, dass das Handeln aufgrund einer erschlichenen Befugnis dem ohne Befugnis 13 gleichgestellt wird, geht die Regelung ihrem Wortlaut nach über den Gehalt des Rechtsmissbrauchsgedankens hinaus. Nicht nur dem Täter wird die Berufung auf den Verwaltungsakt versagt, dieser wird vielmehr dem nichtigen Verwaltungsakt gleichgestellt. Das kann Probleme fur die Beurteilung des Verhaltens gutgläubiger Dritter begründen. - Im Wege restriktiver Auslegung ist § 330 d Nr. 5 daher auf den Rechtsmissbrauchsgedanken zurückzuführen: Derjenige, der eine Befugnis erschlichen hat oder vom Erschleichen Kenntnis hat, kann sich bei seinem Handeln nicht auf diese berufen. 11 cc) Keine Gefahren fur die Anwendung der Strafrechtsnormen bilden rechtswidrige Dul- 14 düngen der Verwaltungsbehörden. Sie mögen im Einzelfall einen strafrechtlich relevanten Irrtum des Täters begründen, ihnen kommt jedoch keine legalisierende Wirkung zu. 1 2 d) Abhängigkeit von gerichtlichen Entscheidungen Die gleichen Probleme wie bei der Verwaltungsakzessorietät stellen sich dort, wo die 15 Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten an gerichtliche Entscheidungen anknüpft, § 330 d Nr. 4 b. 2. Die Strafbarkeit der Amtsträger Da vielfach die wenig erfreuliche tatsächliche Umweltsituation auf rechtswidriges Ver- 16 halten von Amtsträgern zurückgeführt wird, ist der Ruf nach einem Sondertatbestand fur Amtsträger erhoben worden. Gleichwohl hat der Gesetzgeber auch im 2. UKG davon abgesehen, einen Sondertat- 17 bestand über die Verantwortlichkeit von Amtsträgem in das Gesetz aufzunehmen, und es bei den allgemeinen strafrechtlichen Regeln belassen. Er ging davon aus, dass die Praxis bisher keine gravierenden Strafbarkeitslücken offenbart habe und dass ein derartiger Tatbestand die Zusammenarbeit der StrafVerfolgungs- und Umweltbehörden erschweren könne.« In der Tat bietet das geltende Recht hinreichend Möglichkeiten, kriminelles Fehlverhalten von Amtsträgern im Umweltbereich zu ahnden. - Es ist jedoch zu differenzieren: a) Sonderdelikte Im Falle eines Sonderdelikts, das nur ganz bestimmte Personen als taugliche Täter zulässt, 18 z.B. als Adressat verwaltungsrechtlicher Pflichten, §§ 311, 325, oder als Betreiber einer Anlage, §§ 327, 329, kommt eine Strafbarkeit des Amtsträgers in der Regel nur unter dem Aspekt der Beihilfe in Betracht. Zu nicht mehr akzeptablen Ausdehnungen der Sonderpflicht vgl. unter Rdn. 24.
b) Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft Bei den Allgemeindelikten, z.B. §§ 324, 326 sind Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft 19 des Amtsträgers konstruktiv durchaus möglich, doch dürften die Fälle der Mit- oder Al11
12
S o a u c h OTTO J u r a 1 9 9 5 S. 1 3 9 ; ROGALL G A 1 9 9 5 S. 3 1 8 ; STEINDORF L K , § 3 3 0 d R d n . 6 ; WEBER
Hirsch-FS, S. 802. - A.A. (Rechtsnachfolger kann sich auf erschlichene Genehmigung grundsätzlich berufen): Sch/Sch/Heine § 330 d Rdn. 39; WOHLERS JZ 2001 S. 856. So auch OLG Karlsruhe ZfW 1996 S. 409; BREUER NJW 1988 S.2082; DÖLLING JZ 1985 S. 469; FLUCK N u R
1 9 9 0 S. 1 9 7 ff; HEINE N J W
1 9 9 0 S. 2 4 3 3 f; LAUFHÜTTE/MÖHRENSCHLAGER Z S t W 9 2
(1980) S. 931 f; PFOHL NJW 1994 S. 422; Rogall NJW 1995 S. 922 ff; SCHALL NStZ 1992 S. 214 f. A . A . z . B . DAHS/PAPE N S t Z 1 9 8 8 S. 3 9 5 ; WASSMUTH/KOCH N J W 1 9 9 0 S. 2 4 3 9 ff; WERNICKE N J W
1977 S. 1664. 13
Vgl. BT-Drucks. 12/7300, S. 21, 27; MÖHRENSCHLAGER NStZ 1994 S. 515 f; OTTO Jura 1995 S. 139 f; STEINDORF L K , V o r § 3 2 4 R d n . 4 9 ff.
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leintäterschaft des Amtsträgers Ausnahmecharakter haben. - Das hat die Rechtsprechung jedoch nicht gehindert, weithin Täterschaft des Amtsträgers anzunehmen. Bei der Mittäterschaft hat der BGH Rückgriff auf eine weit interpretierte Interessentheorie genommen und Mittäterschaft bejaht, wenn der rechtswidrig an der Erteilung einer Genehmigung mitwirkende Amtsträger ein eigenes Interesse am Erfolg hat, weil er seinem Ruf als effizienter Abfallmanager gerecht werden will. - Mittelbare Täterschaft des Amtsträgers soll bereits dann vorliegen, wenn der Amtsträger unter Verstoß gegen das Umweltrecht die Tatbestandsverwirklichung durch einen Gutgläubigen „freigibt". 14 Die Täterschaft ist in diesen Fällen jedoch nicht mehr auf Tatherrschaft gründbar, denn die Erteilung einer rechtswidrigen Beilignis begründet keine Tatherrschaft und damit keine Täterschaft des Amtsträgers. Dieser beherrscht die Rechtsgutsbeeinträchtigung durch Erteilung der Genehmigung nicht planend. Der Empfänger der Genehmigung entscheidet darüber, ob und wie er von der Genehmigung Gebrauch macht. Die Genehmigung verpflichtet nicht zum Gebrauch. Damit aber beherrscht der Amtsträger das Geschehen weder objektiv, noch hat er den Willen, das Geschehen steuernd zu lenken. Ihm kommt aufgrund der Beseitigung normativer Schranken auch keine „normative Tatherrschaft" zu, denn Tatherrschaft gründet auf reale Beherrschung des tatsächlichen Geschehens. Mit der Anerkennung einer „normativen Tatherrschaft" werden die Grundlagen der Tatherrschaftslehre verlassen. 15 c) Fahrlässige Täterschaft Eine strafrechtliche Haftung des Amtsträgers wegen fahrlässiger Umweltbeeinträchtigung ist möglich, wenn der Amtsträger pflichtwidrig gehandelt hat und der Begünstigte ohne die rechtswidrig erteilte Befugnis die Umweltbeeinträchtigung nicht vorgenommen hätte. 16 d) Unterlassungstäterschaft aa) Den Umweltbehörden ist in ihrem Aufgabenbereich und innerhalb der ihnen zugewiesenen Befugnisse der Schutz der Umweltgüter anvertraut. Die zuständigen Amtsträger haben in diesem Rahmen diesen Gütern Schutz zu gewähren, sie sind daher Beschützergaranten, die rechtswidrige Eingriffe in die ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Umweltgüter abzuwehren haben. 17 14
Vgl. dazu BGHSt 39 S. 381 mit zust. Anm.HORN JZ 1994 S. 636, RUDOLPHI NStZ 1994 S. 433 ff, und a b l . A n m . MICHALKE N J W 1 9 9 4 S. 1 6 9 6 f f , OTTO J K 9 4 , S t G B V o r § § 3 2 4 f f / 2 .
15
D a z u BREUER N J W
1 9 8 8 S. 2 0 8 4 ; IMMEL Z R P 1 9 8 9 S. 107; LACKNER/KÜHL V o r § 3 2 4 R d n . 10;
MICHALKE Umweltstrafsachen, 2. Aufl. 2000, Rdn. 62; OTTO Jura 1991 S. 314 f; ROGALL Umweltrecht, S. 8 3 1 f; SCHALL N J W 1 9 9 0 S. 1 2 6 9 ; DERS. w i s t r a 1 9 9 2 S. 3 f; TRÖNDLE M e y e r - G e d S , S . 6 1 3 f f . - A . A .
BGHSt 39 S. 381; OLG Frankfurt NJW 1987 S. 2757; DÖLLING Kohlmann-FS, S. 117 f; GösSEL/DÖLLING B . T . l , § 4 5 R d n . 13; HORN N J W 1981 S . 4 ; KELLER J R 1 9 8 8 S. 174; MEINBERG N J W 1 9 8 6 S. 2 2 2 2 ; RENGIER B . T . I I , § 4 7 R d n . 2 5 ; RUDOLPHI D ü n n e b i e r - F S , S. 5 6 6 ; DERS. N S t Z 1 9 8 4 S. 198; STEINDORF L K , V o r § 3 2 4 R d n . 5 3 ; TIEDEMANN/KINDHÄUSER N S t Z 1 9 8 8 S. 3 4 5 ; WIN-
KELBAUER NStZ 1986 S. 151. 16
Vgl. auch OTTO Jura 1991 S. 315; RUDOLPHI Dünnebier-FS, S. 567; TRÖNDLE Meyer-GedS, S. 617. Weiter WINKELBAUER NStZ 1986 S. 152.
17
Vgl. BGHSt 38 S. 325 mit Anm. MICHALKE NJW 1994 S. 1693 fT, NESTLER GA 1994 S. 514 ff, OTTO JK 93, StGB § 13/21, SCHALL JUS 1993 S. 719 ff, SCHWARZ NStZ 1993 S. 285 f; OLG Saarbrücken NJW 1991 S. 3045 mit Anm. KÜHNE S. 3020; LG Bremen NStZ 1982 S. 164; BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 197 f; KUHLEN WiVerw. 1992 S. 299; LACKNER/KÜHL V o r § 3 2 4 R d n . 11; MÖHRENSCHLAGER N U R 1 9 8 3 S. 2 1 2 ; RANFT J Z 1 9 8 7 S. 9 1 6 ; RANSIEK N K , § 3 2 4 R d n . 6 9 ; RENGIER B . T . I I , § 4 7 RDN. 3 1 ; ROGALL U m w e l t r e c h t , S. 8 3 1 ; SCHULTZ
Amtswalterunterlassen, 1984, S. 166 ff; STEINDORF LK, §324 Rdn. 56; WINKELBAUER NStZ 1986
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Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafhormen § 82 bb) Eine Haftung des Amtsträgers als Überwachungsgarant wird nur in Ausnahmefallen in 24 Betracht kommen, in denen ein Amtsträger Garant dafür ist, dass Gefahren, die in einer bestimmten Anlage begründet sind, sich nicht in einer Umweltbeeinträchtigung realisieren. 18 Zu weit geht es, aus der Herrschaft über ein Grundstück bereits eine Garantenpflicht zur Verhinderung von Müllablagerungen Dritter zu begründen, denn der Grundstückseigentümer ist nicht Garant für das rechtmäßige Verhalten Dritter. 19 cc) Hingegen ist eine Haftung wegen Unterlassens nach vorangegangenem gefährlichen 25 Tun möglich, wenn der Amtsträger nach Erteilung einer rechtswidrigen Genehmigung nicht von einer möglichen Rücknahme Gebrauch macht. - Garant ist in diesem Fall aber nur der Amtsträger, der die rechtswidrige Befugnis erteilt hat. Die Haftung aus vorangegangenem gefahrlichen Tun erstreckt sachlich die Begehungshaftung über den Zeitraum der Kongruenz von subjektivem und objektivem Tatbestand hinaus. In diese Position kann kein Täter durch Amtsnachfolge hineinwachsen, er selbst muss die Gefahr begründet habend 3. Grenzen des strafrechtlichen Umweltschutzes Selbst schwerste Umweltbeeinträchtigungen sind strafrechtlich nicht ahndbar, wenn sie auf 26 Summations-, Kumulations- oder synergetischen Effekten beruhen, die ihrerseits durch legale, d.h. Genehmigungen und Auflagen nicht überschreitende Handlungen verursacht werden. 21 Darüber hinaus können Umweltbeeinträchtigungen nach den Zurechnungsregeln des 27 Strafrechts Personen nur als Einzel- oder Mittäter zugerechnet werden. Die Praxis der letzten Jahre hat jedoch gezeigt, dass gerade besonders schwere Umweltbelastungen durch Unternehmen auf Organisations- und Aufsichtsmängeln beruhen, die sich im Laufe von Jahren entwickelt haben, ohne dass sie auf das Fehl verhalten einzelner Personen derart zurückgeführt werden können, dass diese für die eingetretenen Schäden verantwortlich gemacht werden könnten. Damit entfallt nach geltendem Recht auch eine Haftung der Unternehmen, denn diese knüpft an die Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten einzelner leitender Personen an. Die Änderungen der §§ 29, 130 OWiG durch das 2. UKG können daher noch nicht das 28 letzte Wort sein. Sie knüpfen immer noch an die Taten einzelner Verantwortlicher an, nicht aber an fehlerhafte Organisation und mangelnde Kontrolle innerhalb des Unternehmens. In der Sache muss es jedoch darum gehen, die Geldbuße als wirtschaftsaufS. 151. - A . A . GEISLER N J W 1982 S. 12; RUDOLPHI D ü n n e b i e r - F S , S. 5 8 0 ; SCHALL N J W 1990, S. 1 2 7 0 ; SCHÜNEMANN w i s t r a 1986 S. 2 4 3 f; TRÖNDLE M e y e r - G e d S , S. 6 1 8 ff; TRÖNDLE/FISCHER V o r § 3 2 4 Rdn. 18. 18
Dazu auch ROGALL Z f U 1997 S. 64; SCHALL N J W 1990 S. 1270; TRÖNDLE M e y e r - G e d S , S. 620.
19
Vgl. auch RUDOLPHI SK 1, § 13 Rdn. 28. - A.A. OLG Stuttgart NuR 1987 S. 281; LG Koblenz NStZ 1987 S. 281; StA Landau M D R 1994 S. 935 mit abl. Anm. OTTO JK 95, StGB § 327/1; IBURG N J W 1988 S. 2338; RANSIEK NK, § 324 Rdn. 33. - Einschränkend: OLG Braunschweig NStZ-RR 1998 S.
2 0
Vgl. auch OTTO Jura 1991 S. 315; SCHÜNEMANN wistra 1986 S. 244; TRÖNDLE M e y e r - G e d S , S. 621 f; TRÖNDLE/FISCHER V o r § 3 2 4 R d n . 2 0 . - A . A . z.B. RUDOLPHI D i l n n e b i e r - F S , S. 5 7 8 ; SCHALL N J W 1990 S. 1269; STEINDORF L K , V o r § 3 2 4 R d n . 57; WINKELBAUER N S t Z 1986 S. 151.
21
Vgl. LACKNER/KÜHL V o r § 3 2 4 Rdn. 5; OTTO Jura 1995 S. 141; dazu auch HERZOG Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 141 ff.
177; STEINDORF L K , § 3 2 6 R d n . 106.
465
§82
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
sichtsrechtliches Sanktionsinstrument zu nutzen, wenn der „organisierten Unverantwortlichkeit" Einhalt geboten werden soll. 22
III. Das geschützte Rechtsgut 1. Die Definition des Rechtsguts 29 Geschütztes Rechtsgut der Umweltschutztatbestände ist die Umwelt in ihren verschiedenen Medien (Boden, Luft, Wasser) und Erscheinungsformen (Tier- und Pflanzenwelt). Doch dürfen diese nicht isoliert gesehen werden. Schutzwürdig ist die Umwelt in ihrer Funktion, den Menschen der Gegenwart humane, d.h. menschenwürdige Lebensbedingungen zu gewähren und auch künftigen Generationen zu erhalten. Umwelt ist nicht nur wirtschaftlicher Reichtum, sondern vor allem Raum zur menschlichen Entfaltung, die immer mehr als bloß wirtschaftliche Entfaltung ist. 23 2. Die systematische Einordnung des geschützten Rechtsguts 30 Die Umweltschutzgüter sind selbständige Rechtsgüter, auch wenn sie als den existentiellen Rechtsgütern des Menschen (Leben, Gesundheit) nur vorgelagert erscheinen. Ihr Schutzbereich ist nämlich keineswegs auf diese Rechtsgüter beschränkt, sondern beansprucht einen eigenständigen Raum. 31 Aus diesem Grunde ist es auch nicht zutreffend, die Umweltkriminalität als Unterfall der Wirtschaftskriminalität zu erfassen. Der Lebensraum des Menschen ist zweifellos besonders durch Emissionen aus Wirtschaftsbetrieben (Luft-, Gewässer-, Bodenverunreinigung und Verursachung von Lärm) bedroht. Auch hier geht es um den Schutz eines überindividuellen Rechtsguts, das sachgerecht durch abstrakte Gefahrdungsdelikte geschützt werden kann. Gleichwohl darf „die Parallelität in der Rechtsgutsbestimmung, der Tatbestandskonstruktion und der Betroffenheit der Wirtschaft" 24 nicht dazu führen, diese Delikte der Wirtschaftskriminalität zuzurechnen. Andernfalls würden die Grenzen des rechtsdogmatisch brauchbaren Begriffs der Wirtschaftskriminalität gesprengt und der Verlust der Eigenständigkeit des durch die Umweltschutztatbestände geschützten Rechtsguts müsste zwangsläufig zu einer Nivellierung des Schutzes dieses bedeutenden Rechtsguts fuhren, soweit dieses nicht durch Wirtschaftsbetriebe, sondern durch Privatpersonen verletzt wird. 25
22
Eingehend dazu DANNECKER GA 2001 S. 102 ff; OTTO Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänd e n , 1 9 9 3 , S. 6 ff, 2 5 ff; RANSIEK N K , V o r § 3 2 4 R d n . 3 8 .
23
Im Einzelnen dazu BT-Drucks. 8/2382, S. 10; 8/3633, S. 19; BLOY JUS 1997 S. 579 ff; KOHL in: NidaRümelin/v. d. Pforden (Hrsg.), Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 1995, S. 245 ff, 261; KUHLEN ZStW 105 (1993) S. 701; MEURER NJW 1988 S. 2067; RENGIER NJW 1990 S. 2506; ROGALL NStZ 1992 S. 363; DERS. Umweltrecht, S. 820 f; L. SCHULZ in: Nida-Rümelin/v. d. Pforden, S. 276 ff, 277; STEINDORF LK, Vor § 324 Rdn. 9 ff.- Zur Bestimmung des Rechtguts Umwelt als natürliche Lebensgrundlage des Menschen in der Ausgestaltung durch das Verwaltungsrecht: RANSIEK NK, Vor § 324 Rdn. 12.
2 4
TIEDEMANN N e u o r d n u n g , S. 11 f.
25
A.A. KAISER Kriminologie, 3. Aufl. 1996, § 75 Rdn. 7; WEBER ZStW 96 (1984) S. 376 ff.
466
Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen § 82
IV. Die einzelnen Schutzbereiche Eine systematische Gliederung der §§ 324 - 330 d ist kaum möglich, denn den Regelungen 32 liegt kein einheitliches Gliederungsprinzip zugrunde. Der Gesetzgeber hat einmal bestimmte Schutzobjekte (§ 324: Gewässer; § 324 a: Boden; § 325: Luft), ein anderes Mal den Umgang mit gefahrlichen Stoffen (§ 328: radioaktive Stoffe und andere gefahrliche Stoffe und Güter; § 330 a: Gifte) und schließlich bestimmte Tätigkeiten (§ 326: Umgang mit Abfallen; § 327: Betreiben von Anlagen) zum Anknüpfungspunkt seiner Regelungen gemacht. Immerhin ermöglichen diese Anknüpfungspunkte die Beschreibung bestimmter Schutzbereiche. 1. Der Schutz von Gewässern a) Gewässerverunreinigung, § 324 § 324 schützt Gewässer in den ihnen in ihrem Naturzustand innewohnenden Funktionen 33 für die Umwelt und den Menschen vor unbefugter (äußerlich sichtbarer) Verunreinigung oder sonstiger nachteiliger Veränderung ihrer Eigenschaften. 26 aa) Gewässer i.S. des Gesetzes ist ein oberirdisches Gewässer, d.h. ständig oder zeitweilig 34 in Betten fließendes oder stehendes oder aus Quellen wild abfließendes Wasser - dazu § 1 Abs. 1 Nr. 1 WHG -, das Grundwasser und das Meer, § 330 d Nr. 1. - Verunreinigung ist die nachteilige Veränderung der Wassereigenschaft durch Einbringung von Stoffen, die zu einer Verschlechterung der physikalischen, chemischen, biologischen oder thermischen Beschaffenheit des Wassers fuhrt. - Eine sonstige nachteilige Veränderung der Eigenschaften des Gewässers liegt vor, wenn die physikalische, chemische, biologische oder thermische Beschaffenheit des Wassers anders als durch Verunreinigung negativ beeinträchtigt wird. - In beiden Alternativen sind allerdings nur erhebliche - sozialinadäquate - Beeinträchtigungen tatbestandsmäßig. Verunreinigungen z.B.: Überlaufenlassen eines Öltanks (BT-Drucks. 8/2382, S. 13); Einleiten von Schadstoffen in Kanalisation (OLG Hamm NJW 1975 S. 747); weitere Verunreinigung schon verschmutzter Gewässer (OLG Hamburg ZfW 1983 S. 112; OLG Frankfurt NJW 1987 S. 2753). Sonstige nachteilige Veränderungen z.B.: Einleitung von Kühlwasser aus einem Kraftwerk; Verringerung der Fließgeschwindigkeit durch Stauung, so dass die Selbstreinigungskraft des Flusses beeinträchtigt wird (BT-Drucks. 8/2382, S. 14); Absenken des Wasserspiegels (OLG Stuttgart MDR 1995 S. 89).
bb) Strafbar sind die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 1, und die fahrlässige 35 Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 3. cc) Unbefugt bedeutet rechtswidrig i.S. des allgemeinen Verbrechensmerkmals der 36 Rechtswidrigkeit. Verwaltungsrechtlich wirksame Genehmigungen, Bewilligungen und
26
Ökologische Sichtweise, vgl. BGH NStZ 1987 S. 324; OLG Stuttgart wistra 1989 S. 276; OLG Köln Z f W 1 9 8 9 S. 4 7 ; LACKNER/KÜHL § 3 2 4 R d n . 1; RENGIER N J W 1 9 9 0 S . 2 5 0 7 ff; STEINDORF L K , § 3 2 4
Rdn. 3; TIEDEMANN/KINDHÄUSER NStZ 1988 S. 340. - Die demgegenüber vertretene wasserwirtschaftliche - geschützt die optimale Bewirtschaftung durch die Wasserbehörden; dazu PAPIER NUR 1986 S. 1 ff; BRAHMS Definition des Erfolges der Gewässerverunreinigung, 1994, S. 94, 170, - und formell administrative Betrachtungsweise - geschützt das staatliche Bewirtschaftungsmonopol; dazu BICKEL in: Meinberg/Möhrenschlager/Link (Hrsg.), Umweltstrafrecht, 1989, S. 273 ff, bzw. die behördliche Kontrollfunktion; dazu FRANZHEIM GA 1993 S. 339 - können weder für das Meer Geltung beanspruchen, noch den Monopolanspruch begründen.
467
§82
Dritter Teil: D e l i k t e g e g e n R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t
Erlaubnisse schließen die Rechtswidrigkeit aus. 27 Darüber hinaus haben hier Bedeutung für den Ausschluss der Rechtswidrigkeit: Gewohnheitsrechtlich anerkannte Befugnisse, die rechtfertigende Pflichtenkollision und der rechtfertigende Notstand, § 34. - Die Erhaltung von Arbeitsplätzen rechtfertigt allerdings keineswegs eine ständige Gewässerverunreinigung. Eine Rechtfertigung kommt aber z.B. in Betracht, wenn einer einmaligen Verunreinigung der dauernde Verlust von Arbeitsplätzen o.Ä. gegenübersteht. 28 37 dd) Vollendet ist die Tat mit der nachteiligen Veränderung des Gewässers. Der Versuch ist strafbar, § 324 Abs. 2. b) Gefahrdungen im Vorfeld 38 aa) Gefährdungshandlungen erfassen § 324 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 (Gefahr der Gewässerschädigung), § 325 Abs. 2, 3, 4 Nr. 2 (Freisetzen von Schadstoffen), § 326 Abs. 1 Nr. 4 a, Abs. 5 (Lagerung und Beseitigung gewässerverunreinigungsgeeigneter Abfalle) und § 329 Abs. 2, 4 Nr. 1 (Eingriff in Wasser- und Heilquellenschutzgebiete). 39 bb) Im Vorfeld des Schutzes von Gewässern ist in § 327 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 bereits der unbefugte Betrieb einer Rohrleitungsanlage ohne Rücksicht auf die Eignung zur Herbeiführung von Schäden unter Strafe gestellt. 40 c) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330. 2. Der Schutz des Bodens a) BodenVerunreinigung, § 324 a 41 § 324 a schützt den Boden gegen Einträge und Einwirkungen gefahrlicher Stoffe. Das Einbringen und Eindringenlassen von Stoffen in den Boden sowie das Freisetzen, d.h. das Schaffen einer Lage, in der sich der Stoff ganz oder teilweise unkontrolliert im Boden ausbreiten kann, unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften 29 wird unter zwei Voraussetzungen bestraft. Zum einen - § 324 a Abs. 1 Nr. 1 -, wenn die Tathandlung generell geeignet ist, die Gesundheit eines anderen, Tiere, Pflanzen oder andere Sachen von bedeutendem Wert oder ein Gewässer zu schädigen. Zum anderen - § 324 a Abs. 1 Nr. 2 -, wenn der Boden durch die Tathandlung in bedeutendem Umfang verunreinigt oder nachteilig verändert wird. 42 aa) Die Tat nach Abs. 1 Nr. 1 ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. - Als Sachen von bedeutendem Wert kommen Objekte von wirtschaftlichem, ökologischem oder historischem Wert in Betracht, wenn ein gewichtiges Allgemein- oder Individualinteresse an ihrer Erhaltung besteht. 30 - Bei der Schädigung kommt es allerdings - entsprechend der Gefahrdung dieser Objekte in anderen Tatbeständen - vgl. dazu Rdn. 30 f - entgegen den dem Wortlaut des Gesetzes nicht auf den bedeutenden Wert der geschädigten Sache, sondern auf die Bedeutung des Schadens an der geschützten Sache an.
27
Vgl. dazu KUHLEN StV 1986 S. 544 ff; STEINDORF LK, § 324 Rdn. 72; TIEDEMANN/KINDHÄUSER NStZ 1988 S. 340. - Zur vorsätzlich rechtswidrig erlangten Befiignis vgl. § 330 d Nr. 5.
28
Dazu auch BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 723; OLG Stuttgart ZfW 1977 S. 118, 124; OVG Münster ZIP 1984 S. 1224; LG Bremen NStZ 1982 S. 164 mit Anm. MÖHRENSCHLAGER S. 165 f; SCHALL NStZ 1992 S. 215 f.
29
Dazu im Einzelnen SANDEN wistra 1996 S. 285 ff. - Krit. Dazu HOFMANN wistra 1997 S. 90 ff.
30
Dazu RENGIER Spendel-FS, S. 559 ff; 570 ff.
468
Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen § 82 Zur Verunreinigung und zur nachteiligen Veränderung vgl. die entsprechenden Aus- 43 fiihrungen unter Rdn. 34. - Das Erfordernis des bedeutenden Umfangs stellt klar, dass die Beeinträchtigung von einigem Gewicht sein muss.31 bb) Strafbar sind die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 1, und die fahrlässige 44 Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 3. cc) Zur rechtswidrig erlangten Befugnis vgl. § 330 d Nr. 5. 45 dd) Vollendet ist die Tat nach Abs. 1 Nr. 1 mit der Tathandlung, die nach Abs. 1 Nr. 2 mit 46 der nachteiligen Veränderung des Bodens. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 2. b) Gefahrdungen im Vorfeld Gefährdungshandlungen im Vorfeld erfassen § 325 Abs. 2, 3, 4 Nr. 2 (Freisetzen von 47 Schadstoffen), § 326 Abs. 1 Nr. 4 a, Abs. 5 (Lagerung und Beseitigung gefahrlicher Abfälle) und § 329 Abs. 3,4 Nr. 2 (Eingriffe in geschützte Gebiete). c) Strafschärfung in besonders schweren Fälle: § 330 48 3. Der Schutz der Luft a) Luftverunreinigung, § 325 § 325 schützt die Luft gegen bestimmte Veränderungen, Abs. 1, und gegen das Freisetzen 49 von Schadstoffen, Abs. 2. - Die Tat ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. aa) Tathandlung nach Abs. 1 ist die Verursachung der Veränderung der natürlichen Zu- 50 sammensetzung der Luft in einer Weise, die geeignet ist, die Gesundheit eines anderen, Tiere, Pflanzen oder andere Sachen von bedeutendem Wert - vgl. Rdn. 42 - zu schädigen. Tathandlung nach Abs. 2 ist das Freisetzen - vgl. Rdn. 41 - von Schadstoffen, Abs. 4, in bedeutendem Umfang; Rdn. 43. Die Tathandlungen sind unter drei Aspekten begrenzt: Zum einen sind die Tathandlungen auf den Betrieb einer Anlage beschränkt. - Anlagen sind auf gewisse Dauer vorgesehene, als Funktionseinheit organisierte Einrichtungen von nicht ganz unerheblichen Ausmaßen, die der Verwirklichung bestimmter Zwecke dienen.32 - Ausgenommen sind die in Abs. 5 genannten Anlagen. Beispiele: Heizungsanlage, Baumaschine, Landmaschine, Flugplätze u.a.
Zum Anderen ist erforderlich, dass die Tathandlung nach Abs. 1 unter Verletzung ver- 51 waltungsrechtlicher Pflichten - dazu § 330 d Nr. 4 - und dass die Tathandlung nach Abs. 2 unter grober Verletzung dieser Pflichten erfolgt. Die Verletzung der verwaltungsrechtlichen Pflichten ist Tatbestandsvoraussetzung. Verwaltungsrechtlich zulässiges Verhalten ist daher nicht tatbestandsmäßig. - Zur erschlichenen Befugnis vgl. § 330 d Nr. 5.
Schließlich ist nur die Eignung zur Schädigung außerhalb des zur Anlage gehörenden Be- 52 reiches, d.h. der Nachbarschaft oder der Allgemeinheit, relevant. - Für Schädigungen innerhalb der Anlage kommen allein die Körperverletzungs- und Tötungsdelikte in Betracht, bb) Strafbar sind die vorsätzliche, Abs. 1, 2, und die fahrlässige, Abs. 3, Tatbe- 53 Standsverwirklichung. - Bedingter Vorsatz genügt. cc) Da die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten bereits Voraussetzung der Tatbe- 54 standsmäßigkeit des Verhaltens ist, wird eine Rechtfertigung des Verhaltens nur in Ausnahmefallen in Betracht kommen; auch hier ist aber z.B. die Möglichkeit einer Rechtfertigung nach § 34 nicht ausgeschlossen. 31
32
V g l . d a z u B T - D r u c k s . 1 2 / 1 9 2 , S. 17; MÖHRENSCHLAGER N S t Z 1 9 9 4 S. 5 1 7 ; STEIN DORF L K , § 3 2 4 a
Rdn. 57. - Krit. dazu HOFMANN wistra 1997 S. 96; SANDEN wistra 1996 S. 284. Vgl. BayObLG wistra 1994 S. 237; LACKNER/KÜHL § 325 Rdn. 2.
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§82
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
55 dd) Der Versuch der Luftverunreinigung gemäß Abs. 1 ist strafbar, b) Gefahrdungen im Vorfeld 56 aa) Gefährdungshandlungen im Vorfeld erfassen § 326 Abs. 1 Nr. 4 a, Abs. 5 (Lagerung und Beseitigung gefahrlicher Abfalle) und § 329 Abs. 1, 4 Nr. 1 (Gefahrdung schutzbedürftiger Gebiete). 57 bb) Im Vorfeld des Schutzes der Luft ist in § 327 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 bereits der unbefugte Betrieb einer nach dem BImSchG - dort § 4 - genehmigungsbedürftigen Anlage ohne Rücksicht auf die Eignung zur Herbeiführung von Schäden unter Strafe gestellt. 33 58 c) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330
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4. Der Schutz vor Lärm, Erschütterungen und nichtionisierenden Strahlen a) Verursachen von Lärm, Erschütterungen und nichtionisierenden Strahlen, § 325 a § 325 a Abs. 1 dient dem Schutz gegen unangenehmen Lärm, Abs. 2 soll bestimmten konkreten Gefahrdungen durch Erschütterungen und nichtionisierende Strahlen wehren. - Die Tat nach Abs. 1 ist abstraktes, die nach Abs. 2 konkretes Gefahrdungsdelikt. Tathandlung nach Abs. 1 ist die Verursachung von Lärm, der geeignet ist, die Gesundheit eines anderen zu schädigen. - Die Tathandlung ist entsprechend der Tathandlung des § 325 Abs. 1 begrenzt, vgl. dazu Rdn. 50 - Tathandlung nach Abs. 2 ist die Gefahrdung der Gesundheit eines anderen, von Tieren, die dem Täter nicht gehören, oder von fremden Sachen von bedeutendem Wert Dabei kommt es aber für die Tathandlung nicht auf den bedeutenden Wert der gefahrlichen Sache, sondern auf die Bedeutung des drohenden Schadens an der gefährdeten Sache an. 34 Begrenzt ist die Tathandlung auf den Betrieb einer Anlage sowie auf die Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften, die dem Schutz vor Lärm, Erschütterungen oder nichtionisierenden Strahlen dienen. Die Verletzung der verwaltungsrechtlichen Pflichten ist Tatbestandsvoraussetzung; vgl. dazu Rdn. 51. Strafbar ist die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 1, 2, sowie die fahrlässige, Abs. 3, Tatbestandsverwirklichung. b) Gefahrdungshandlungen im Vorfeld erfasst § 329 Abs. 1, 4 Nr. 1 (Gefahrdung schutzbedürftiger Gebiete). - Im Vorfeld des Lärmschutzes ist in § 327 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 bereits der unbefugte Betrieb einer nach dem BImSchG - dort § 4 - genehmigungsbedürftigen Anlage ohne Rücksicht auf die Eignung zur Herbeiführung von Schäden unter Strafe gestellt. c) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330. d) Tätige Reue Zur Möglichkeit der Strafmilderung und -aufhebung im Rahmen des § 325 a Abs. 2, 3 Nr. 2 vgl. Rdn. 106. 5. Unerlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen
a) Umweltgefährdende Abfallbeseitigung, § 326 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 64 § 326 schützt neben allen Umweltmedien auch die menschliche Gesundheit sowie die Tierund Pflanzenwelt gegen unzulässige Abfallbeseitigung. - Die Tat ist abstraktes Gefahrdungsdelikt.
33
Vgl. dazu BayObLG MDR 1991 S. 77; JR 1992 S. 516 mit Anm. SACK S. 518.
34
Vgl. BGH JR 1990 S. 512, 513 mit Anm. LAUBENTHAL S. 513 ff; dazu auch SCHALL NStZ 1997 S. 422 m.N.
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Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen § 82 Der Begriff des Abfalls ist in Anlehnung an § 1 Abs. 1 AbfallG, aber ohne die Beschränkung des § 1 Abs. 3 AbfallG zu bestimmen. Zu unterscheiden sind: Sog. gewillkürter Abfall, das sind bewegliche Sachen, derer sich der Benutzer als für ihn 65 wertlos entledigen und die er nicht unmittelbar einer Weiterverwendung oder Weiterverarbeitung zuführen will. Dass eine wirtschaftliche Wiederverwertung nach der Entsorgung noch möglich ist, ändert die Abfalleigenschaft nicht (obj. Abfallbegriff). Sog. Zwangsabfall, das sind bewegliche Sachen, die für den Besitzer gegenwärtig keinen 66 Gebrauchswert haben und deren geordnete Entsorgung zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere des Schutzes der Umwelt, geboten ist (subj. Abfallbegriff). Beide Arten des Abfalls werden von § 326 erfasst. 3 5 · 3 6 Es kann sich um feste, flüssige oder in festen Behältern erfasste gasförmige Stoffe handeln, aa) Tatobjekte sind nur gefährliche Abfalle, die Gifte - dazu oben § 16 Rdn. 5 - und Seuchenerreger enthalten oder hervorbringen können, Abs. 1 Nr. 1, die für den Menschen krebserzeugend, fruchtschädigend oder erbgutverändernd, Abs. 1 Nr. 2, die explosionsgefährlich - dazu §§ 1 ff SprengstoffG - selbstentzündlich - dazu § 1 Abs. 1 Nr. 3 a ArbeitsstoffVO - oder nicht nur geringfügig radioaktiv sind, Abs. 1 Nr. 3, und sog. Sonderabfälle, Abs. 1 Nr. 4. Letztere müssen die Eigenschaft haben, nachhaltig, d.h. in erheblichem Umfang und fur längere Dauer, eines der genannten Medien zu verunreinigen oder sonst nachteilig zu verändern, Nr. 4 a, oder einen Bestand von Tieren oder Pflanzen zu gefährden, Nr. 4 b. 37 bb) Tathandlung ist das Beseitigen, d.h. jedes Verhalten, das dazu dient, sich des gefahrlichen Abfalls zu entledigen. 38 Nur besonders genannte Beispielsfalle des Beseitigens sind das Behandeln, d.h. hier die Aufbereitung, Zerkleinerung, Verbrennung usw., die der Beseitigung und nicht der wirtschaftlichen Nutzung dienen, das Lagern, d.h. die vorübergehende Zwischenlagerung, die - endgültige - Ablagerung und das Ablassen, d.h. Abfließenlassen. cc) Der Tatbestand entfallt bei Beseitigung im Rahmen dafür zugelassener Anlagen und außerhalb solcher Anlagen 39 , aber im Rahmen zulässiger Verfahren. dd) Strafbar ist die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 1, 5 Nr. 1.
35
Vgl. dazu BGHSt 37 S. 333, 334 ff mit Anm. HORN JZ 1991 S. 886 f, SACK JR 1991 S. 338 ff; B G H N S t Z 1 9 9 7 S. 5 4 4 ; HEINE N J W 1 9 9 8 S . 3 6 6 6 f; KÜPER B . T . , S. 1; LACKNER/KÜHL § 3 2 6 R d n . 2 a ; RANSIEK N K , § 3 2 6 R d n . 8; SCHALL N S t Z - R R 1 9 9 8 S. 3 5 4 ; DERS. N S t Z - R R 2 0 0 1 S. 1 f; TRÖNDLE/FLSCHER § 3 2 6 R d n . 2 b. - A . A . MLCHALKE U m w e l t s t r a f s a c h e n , R d n . 2 5 3 ; STEINDORF L K , § 3 2 6
Rdn. 16. 36
Zur Einordnung von Autowracks als Abfall oder Wirtschaftsgut vgl. SCHALL NStZ-RR 1998 S. 355 f; DERS. NStZ-RR 2001 S. 2 f jeweils mit Rechtsprechungsübersicht.
37
Vgl. dazu OLG Zweibrücken N J W 1992 S. 2841 mit Anm. WEBER/WEBER NStZ 1994 S. 36, WLNKELBAUER JUS 1994 S. 112 ff; dazu auch SCHALL N S t Z 1997 S. 465.
38
Vgl. OLG Köln N J W 1986 S. 1118 f; O L G Düsseldorf wistra 1994 S. 73. - A.A. STEINDORF LK, § 326 Rdn. 98, der auf die Nichterfüllung der Überlassungspflicht an den Entsorgungspflichtigen abstellt. Unterlassen in Garantenstellung ist möglich.
39
Dazu vgl. BGHSt 39 S. 385.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
71 ee) Unbefugt ist auch hier rechtswidrig i.S. der Rechtswidrigkeit als allgemeines Verbrechensmerkmal. Ein ordnungsgemäßes Verhalten (zugelassene Anlagen; zulässiges Verfahren) schließt die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens aus. 72 ff) Der Versuch ist strafbar, Abs. 4. b) Grenzüberschreitende Verbringung von Abfallen, Abs. 2, 5 Nr. 1 73 Die Regelung soll den Auswüchsen des sog. Abfalltourismus wehren. 74 aa) Erforderliche Genehmigungen sind insbes. die nach § 13 AbfG und § 11 StrlSchV. 75 bb) Strafbar ist die vorsätzliche - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes, Abs. 2, 5 Nr. 1. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 4. c) Verletzung der Pflicht zur Ablieferung radioaktiver Stoffe, Abs. 3, 5 Nr. 2 76 aa) Wegen der besonderen Gefährlichkeit radioaktiver Abfalle ist die Nichtablieferung unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten - dazu § 330 d Nr. 4 - unter Strafe gestellt. 77 bb) Die Tat ist vollendet, wenn der Täter über die Stoffe Besitz erlangt hat und ihm die Ablieferung möglich und zumutbar ist, d.h. unverzügliches Handeln ist erforderlich. 40 78 cc) Der Tatbestand kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 3, 5 Nr. 2. 79 d) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330 e) Tätige Reue 80 Zur Möglichkeit der Strafmilderung und -aufhebung vgl. Rdn. 106. f) Minima-Klausel, Abs. 6 81 Abs. 6 enthält einen objektiven Strafausschließungsgrund, der jedoch sachwidrig begrenzt ist durch den Bezug auf die Abfallmenge anstatt auf die Gefahrenlage. 41 Schädliche Einflüsse sind offensichtlich ausgeschlossen, wenn keine vernünftigen Zweifel an der Unschädlichkeit aufkommen können. g) Ungenehmigter Betrieb einer Abfallbeseitigungsanlage, § 327 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 82 § 327 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 stellt den vorsätzlichen oder fahrlässigen Betrieb einer Abfallbeseitigungsanlage ohne Planfeststellung oder Genehmigung unter Strafe. 42 - Der Verstoß gegen Auflagen macht das Betreiben der Anlage noch nicht zu einem Betreiben ohne Genehmigung. 43 83 h) Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330 6. Strahlenschutz 84 a) Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage, § 312
4 0
S o a u c h LACKNER/KÜHL,
§326
R d n . 9 ; TRIFFTERER U m w e l t s t r a f r e c h t ,
S. 2 1 3 . - A . A .
BT-Drucks.
8/2382, S. 19 (rechtzeitig, wenn Eintritt von Gefahren vermieden wird). 4 1
D a z u R O G A L L J Z - G D 1 9 8 0 S . 1 1 5 ; SCHITTENHELM G A 1 9 8 3 S . 3 1 8 f f , TIEDEMANN N e u o r d n u n g , S . 3 7 ;
TRIFFTERER Umweltstrafrecht, S. 214. - Zum Grenzfall des Nichtbeseitigens von Hundekot: OLG DtlsseldorfNStZ 1991 S. 335. 42
Dazu ROGALL NStZ 1992 S. 564 ff. - Zum Betreiben einer Abfallentsorgungsanlage durch Unterlassen StA Landau/Pfalz MDR 1994 S. 935 mit Anm. OTTO JK 95, StGB § 327/1.
43
Vgl. dazu OLG Köln NStZ-RR 1999 S. 270; dazu SCHALL NStZ-RR 2001 S. 4 f.
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Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen § 82 § 312 stellt die fehlerhafte Herstellung und Lieferung von kerntechnischen Anlagen - dazu 85 § 330 d Nr. 2 - oder zu ihrem Betrieb bestimmter Gegenstände unter Strafe, wenn durch Kernspaltungsvorgänge oder Strahlung eine Gefahr fur Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert entstanden ist. - Die Tat ist konkretes Gefahrdungsdelikt, aa) Herstellen bedeutet Bearbeiten oder Verarbeiten von Werkstoffen zur Gestaltung eines 86 Gegenstandes. Liefern bedeutet Überlassen zum bestimmungsgemäßen Gebrauch. Fehlerhaft ist die Leistung, wenn die Tauglichkeit des Objekts zum bestimmungsgemäßen Gebrauch aufgehoben oder wesentlich gemindert ist. bb) Gemäß Abs. 1 ist für die Tathandlung und für die Gefährdung Vorsatz - bedingter genügt - erforderlich. Die fahrlässige Gefahrherbeiführung bei vorsätzlicher Tathandlung erfasst Abs. 6 Nr. 1. - Abs. 6 Nr. 2 stellt die fahrlässige Gefahrherbeiführung durch leichtfertiges Handeln im Sinne des Abs. 1 unter Strafe. cc) Erfolgsqualifizierte Fälle erfassen entsprechend § 308 Abs. 2, 3 die Abs. 3,4. b) Unerlaubtes Betreiben kerntechnischer Anlagen, § 327 Abs. 1, 3 Nr. 1 § 327 Abs. 1 Nr. 1 stellt den ungenehmigten Betrieb, die Innehabung, die wesentliche Änderung und den Abbau kerntechnischer Anlagen - dazu vgl. § 330 d Nr. 2 Abs. 1 Nr. 2 die Veränderung von Betriebsstätten, in denen Kernbrennstoffe verwendet werden, sowie deren Lageveränderung unter Strafe. - Die Tat ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. Die Tathandlung setzt ein verwaltungsrechtlich unzulässiges Verhalten voraus. - Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1. - Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330. c) Freisetzen ionisierender Strahlen, § 311 aa) § 311 Abs. 1 stellt zum Schutz von Leib, Leben und Eigentum das verbotene Freisetzen von ionisierenden Strahlen und das Bewirken von Kernspaltungsvorgängen unter Strafe. Da eine konkrete Schädigung oder Gefahrdung nicht vorausgesetzt wird, handelt es sich um ein abstraktes Gefahrdungsdelikt. Der Tatbestand setzt die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten voraus; dazu § 330 d Nr. 4.
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bb) Die Tat nach Abs. 1 erfordert Vorsatz, bedingter Vorsatz genügt. - Der Versuch ist 91 strafbar, Abs. 2. cc) Im Fahrlässigkeitsbereich, Abs. 3, ist die Tathandlung begrenzt, und zwar gemäß 92 Abs. 3 Nr. 1 auf Handlungen beim Betrieb einer Anlage - dazu Rdn. 50 -, die geeignet sind, eine Schädigung außerhalb des zur Anlage gehörenden Bereichs herbeizufuhren, sowie nach Abs. 3 Nr. 2 auf Handlungen unter grober Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften. d) Unerlaubter Umgang mit radioaktiven Stoffen und anderen gefahrlichen Stoffen und Gütern, § 328 aa) § 328 Abs. 1 Nr. 1 erfasst die ungenehmigte Verwendung, Aufbewahrung, Beför- 93 derung, Be- und Verarbeitung sowie Ein- und Ausfuhr von Kernbrennstoffen - dazu § 2 Abs. 1 AtomG. Abs. 1 Nr. 2 stellt die entsprechenden grob pflichtwidrig verwirklichten Tathandlungen in Bezug auf sonstige radioaktive Stoffe, die nach Art, Beschaffenheit oder Menge geeignet sind, durch ionisierende Strahlen den Tod oder eine schwere Gesundheitsbeschädigung eines anderen, d.h. einen langwierigen, qualvollen oder die Lei-
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
stungsfähigkeit schwer beeinträchtigenden psychischen oder physischen Krankheitszustand herbeizuführen, unter Strafe. 44 - Die Tat ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. bb) § 328 Abs. 2 stellt die Verletzung von Pflichten nach dem Atomgesetz zur Ablieferung von Kernbrennstoffen in Nr. 1 unter Strafe sowie in Nr. 2 die Abgabe und Vermittlung der Abgabe von Kernbrennstoffen und gefahrlichen Stoffen in Sinne des Abs. 1 Nr. 2 an Unberechtigte. - Die Tat ist abstraktes Gefahrdungsdelikt. cc) § 328 Abs. 3 erfasst den illegalen Umgang mit gefahrlichen Stoffen, der die Gesundheit eines anderen, dem Täter nicht gehörende Tiere oder fremde Sachen von bedeutendem Wert - dazu unter Rdn. 42 - gefährdet. Abs. 3 Nr. 1 stellt die Lagerung, Bearbeitung, Verarbeitung oder sonstiger Verwendung von radioaktiven Stoffen oder Gefahrstoffen im Sinne des Chemikaliengesetzes 45 unter Strafe. - Begrenzt ist die Tathandlung dadurch, dass sie unter grober Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften - dazu § 330 d Nr. 4 - und beim Betrieb einer Anlage - dazu Rdn. 50 - erfolgen muss. - Abs. 3 Nr. 2 erfasst die Beförderung, den Versand, die Verpakkung, das Auspacken, das Verladen, das Entladen, die Entgegennahme und das Überlassen an andere von gefahrlichen Gütern schlechthin. Die Tathandlung ist durch die grobe Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten - dazu § 330 d Nr. 4 - begrenzt. - Das Delikt ist ein konkretes Gefahrdungsdelikt. dd) Die einzelnen Tathandlungen können vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt - und fahrlässig verwirklicht werden, Abs. 5. - Der Versuch ist strafbar, Abs. 4. ee) Zur Möglichkeit der Strafmilderung und -aufhebung vgl. Rdn. 106. e) Zur Beseitigung radioaktiver Abfälle, § 326 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 5 vgl. Rdn. 64 ff.
7. Schutz wertvoller Bestandteile der Natur 100 Schwerwiegende Beeinträchtigungen von Naturschutzgebieten - vgl. § 13 BNatSchG -, einstweilig dafür sichergestellten Flächen - dazu § 12 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG - sowie Nationalparks - dazu § 14 BNatSchG - werden in § 329 Abs. 3, 4 unter Strafe gestellt. - Da die Tathandlungen - vgl. dazu Abs. 3 Nr. 1-8 - zwar eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des Schutzzwecks der zum Schutz der Gebiete erlassenen Rechtsvorschrift oder vollziehbaren Untersagung voraussetzen, nicht aber eine Umweltgefahrdung oder -Schädigung, handelt es sich um ein abstraktes Gefahrdungsdelikt. Die Tat kann vorsätzlich - bedingter Vorsatz genügt -, Abs. 3, und fahrlässig, Abs. 4 Nr. 2, verwirklicht werden. - Zur Strafschärfung in besonders schweren Fällen: § 330. 8. Schutz vor der Verbreitung von Giften a) Gemeingefährliche Vergiftung, § 314 101 aa) Bestraft wird gemäß § 314 die vorsätzliche Vergiftung von Wasser in gefassten Quellen, in Brunnen, in Leitungen oder Trinkwasserspeicher, Abs. 1 Nr. 1, sowie von Gegenständen, die zum öffentlichen Verkauf oder Verbrauch bestimmt sind, Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt. - Dem Vergiften steht das Beimischen von gesundheitsschädlichen Stoffen, gleich, Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. Strafbar ist ferner das Inverkehrbringen (z.B. Verkaufen, Feilhalten) derart vergifteter Stoffe Abs. 1 Nr. 2, 3. Alt. - Die Tat ist abstraktes Gefährdungsdelikt.
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Vgl. dazu auch BT-Drucks. VI/3434, S. 13.
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Dazu vgl. BayObLG JR 1996 S. 299, 300 mit Anm. HEINE S. 300 ff.
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Kriminalpolitische Ziele, Rechtsgut und Schutzbereich der Umweltstrafnormen § 82 bb) Erfolgsqualifizierte Fälle entsprechend § 308 Abs. 2, 3 sind durch Abs. 2 erfasst. cc) Zur Strafmilderung oder zum Absehen von Strafe aufgrund Tätiger Reue vgl. § 314 a Abs. 2 Nr. 1. b) Schwere Gefahrdung durch Freisetzen von Giften, § 330 a aa) Abs. 1 erfasst die Verbreitung oder Freisetzung, d.h. die Ermöglichung unkontrollierter Ausbreitung von Stoffen, die Gift enthalten oder Hervorbringen, erfordert jedoch, dass dadurch die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 - eines anderen oder die Gefahr einer Gesundheitsbeschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht wird. Die Tat ist damit konkretes Gefährdungsdelikt. bb) Gemäß Abs. 1 ist Vorsatz - bedingter genügt - für Tathandlung und Gefahrdung erforderlich. Die fahrlässige Herbeiführung der Gefahr durch eine vorsätzliche Tathandlung erfasst Abs. 4 und Abs. 5 die fahrlässige Gefahrherbeiführung durch eine leichtfertige Tathandlung. Abs. 2 erfasst einen erfolgsqualifizierten Fall - Verursachung des Todes eines anderen Menschen -. cc) Zur Möglichkeit der Strafmilderung und -aufhebung vgl. Rdn. 106.
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9. Tätige Reue, § 330 b a) § 330 b Abs. 1 Wendet der Täter freiwillig die Gefahr ab oder beseitigt er freiwillig den von ihm verur- 106 sachten Zustand, bevor ein erheblicher Schaden entstanden ist, so gewährt ihm § 330 b Abs. 1 S. 1 einen fakultativen Strafinilderungs- oder Strafaufhebungsgrund in den Fällen des § 325 a Abs. 2 (konkrete Gefahrdung durch Lärm usw.), § 326 Abs. 1 - 3 (Umweltgefährdende Abfallbeseitigung), § 328 Abs. 1 - 3 (Unerlaubter Umgang mit radioaktiven Stoffen und anderen gefahrlichen Stoffen und Gütern) und § 330 a Abs. 1 - 4(Schwere Gefahrdung durch Freisetzen von Giften). Unter den gleichen Voraussetzungen ist die Strafaufhebung nach § 330 b Abs. 1 S. 2 zwingend angeordnet in den Fällen des § 325 a Abs. 3 Nr. 2 (Fahrlässige konkrete Gefahrdung durch Lärm usw.), § 326 Abs. 5 (Fahrlässige umweltgefährdende Abfallbeseitigung), § 328 Abs. 5 (Fahrlässiger unerlaubter Umgang mit radioaktiven Stoffen und anderen gefährlichen Stoffen und Gütern) und § 330 a Abs. 5 (Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften bei leichtfertigem Handeln und fahrlässiger Gefahrverursachung). 46 b) § 330 b Abs. 2 Nach Abs. 2 genügt - in den in Abs. 1 genannten Fällen - das freiwillige und ernsthafte 107 Bemühen des Täters die Gefahr abzuwenden oder den rechtswidrig verursachten Zustand zu beseitigen, wenn dieser Erfolg ohne sein Zutun verwirklicht worden ist.
Das Gesetz nennt hier § 330 a Abs. 4. - Offenbar hat der Gesetzgeber die Änderung der Abs. 3, 4 in Abs. 4, 5 nicht gesehen, so dass es sich hier um ein Redaktionsversehen zu Ungunsten des Täters handelt. 475
§83
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Zweites Kapitel Delikte gegen staatliche Rechtsgüter Erster Abschnitt Delikte gegen den Bestand des Staates § 83 Hochverrat I. Rechtsgut und Aufbau des Gesetzes 1. Das geschützte Rechtsgut 1 Geschütztes Rechtsgut der §§ 81-83 a ist die territoriale und verfassungsmäßige Integrität des Bundes und der Bundesländer. 2. Aufbau des Gesetzes 2
a) Nach § 81 wird der Hochverrat gegen die Bundesrepublik, nach § 82 der gegen ein Bundesland bestraft. 3 b) § 83 erfasst die Vorbereitung des Hochverrats als selbständiges Delikt. 4 c) § 83 a regelt Rücktritt und Tätige Reue in den Fällen der §§81 bis 83.
II. Die einzelnen Tatbestände 1. Hochverrat gegen den Bund, §81 Zu unterscheiden sind der Bestandshochverrat und der Verfassungshochverrat. a) Abs. 1 Nr. 1: Angriffsobjekt des Bestandshochverrats ist der Bestand der Bundesrepublik Deutschland; dazu § 92 Abs. 1. - Tathandlung ist das Unternehmen, diesen Bestand mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu beeinträchtigen. - Der Gewaltbegriff entspricht grundsätzlich dem der Nötigung, doch ist hier eine gewisse Erheblichkeit in Anbetracht des betroffenen Rechtsguts zu fordern. 7 b) Abs. 1 Nr. 2: Angriffsobjekt des Verfassungshochverrats ist die verfassungsmäßige Ordnung in der konkreten Ausgestaltung, die die Grundsätze einer freiheitlichen Demokratie auf dem Boden des Grundgesetzes gefunden haben. - Tathandlung ist das Unternehmen, die verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, d.h. ein Verfassungsorgan zu beseitigen o.Ä. Die bloße Störung der Tätigkeit eines Verfassungsorgans genügt nicht.1
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2. Hochverrat gegen ein Land, § 82 § 82 ist dem § 81 nachgebildet, erfasst jedoch im Rahmen des Bestandshochverrats nur den Gebietsverrat. - In der Regel wird zwischen den §§ 81, 82 Idealkonkurrenz bestehen.
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BGHSt 6 S. 352; SCHROEDER Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, 1970, S. 417 ff.
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3. Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, § 83 § 83 erhebt die Vorbereitung eines bestimmten hochverräterischen Unternehmens nach §§ 81, 82 zum selbständigen Delikt. Es muss sich um ein Unternehmen handeln, d.h. eine Tat nach §§ 81, 82, deren Angriffsgegenstand und -ziel feststeht und die nach Ort, Zeit und Art der Durchfuhrung bereits in ihren Grundzügen konkretisiert ist. - Die Realisierung des Unternehmens muss aus der Sicht der Täter zwar nicht unmittelbar, doch in absehbarer Zeit bevorstehen.2 Vorbereitung ist jede ihrer Art nach gefahrliche Handlung, die das geplante Unternehmen fördern soll, ohne selbst bereits Teil des Unternehmens zu sein.3
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4. Rücktritt und Tätige Reue, § 83 a Die Voraussetzungen der Tätigen Reue, § 83 a, sind von der vorgesehenen Tat her diffe- 10 renziert: § 83 a Abs. 1 enthält die Voraussetzungen in bezug auf §§ 81, 82; § 83 a Abs. 2 die in Bezug auf § 83.
§ 84 Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats Da die verfassungsmäßige Ordnung nicht nur mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt gefährdet und beeinträchtigt werden kann, erfassen §§ 84 bis 90 b andere gefährliche Angriffe auf die verfassungsmäßige Ordnung.
1
I. Gesetzessystematik der § § 8 4 - 9 1 1. Die einzelnen Tatbestände lassen sich in 3 Gruppen aufgliedern: a) Die eigentlichen Organisationsdelikte, §§ 84-86 a, erfassen die Unterstützung ver- 2 botener Vereinigungen. b) Staatsgefahrdende Eingriffe (Sabotage, Zersetzung) in das Funktionieren des staatlichen 3 Lebens werden gemäß §§ 87-89 bestraft. c) Die §§ 90-90 b schützen den Staat, seine höchsten Repräsentanten und Organe vor ver- 4 fassungsverräterischer Beschimpfung. - Die hier erfassten Verunglimpfungen stellen einen Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat dar, da sie geeignet sind, sein Ansehen zu untergraben. 2. Geltungsbereich In § 91 ist der Geltungsbereich der §§ 84, 85 und 87 abweichend von § 9 besonders geregelt. - Nebenfolgen und Einziehung: §§ 92 a, b.
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II. Die einzelnen Tatbestände 1. Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei, § 84 § 84 stellt Tätigkeiten unter Strafe, die dazu bestimmt sind, den Organisationszusammenhalt verbotener Parteien aufrechtzuerhalten. 1
Dazu auch BGHSt 7 S. 11; LAUFHÜTTE LK, § 83 Rdn. 3 f; kritisch: SCHROEDER NJW 1980 S. 920 ff; WAGNER N J W 1 9 8 0 S. 9 1 3 ff.
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Dazu BGHSt 6 S. 336.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
a) Abs. 1 und 2 setzen voraus, dass das BVerfG die Partei nach Art. 21 Abs. 2 GG in Verb, mit § 46 BVerfGG für verfassungswidrig erklärt oder gemäß § 33 Abs. 1 ParteienG festgestellt hat, dass es sich bei der Partei um eine Ersatzorganisation einer verbotenen Partei handelt. - Zum Begriff der Partei vgl. § 2 ParteienG. Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist eine Partei, wenn sie die verfassungswidrigen Bestrebungen der verbotenen Partei weiterverfolgt, § 33 Abs. 1 ParteienG. aa) Tathandlung nach Abs. 1 ist jede aktive, auf das Aufrechterhalten des organisierten Zusammenhaltes der Partei gerichtete Tätigkeit. - Rädelsführer ist, wer in der Organisation eine fuhrende Rolle spielt, Hintermann, wer als Außenstehender geistig oder wirtschaftlich maßgeblichen Einfluss auf die Führung der Organisation hat. bb) Nach Abs. 2 wird die fördernde Tätigkeit als Mitglied und die Unterstützung der Organisation durch Nichtmitglieder bestraft. b) Abs. 3 ergänzt Abs. 1, 2 und erfasst das Zuwiderhandeln gegen bestimmte Sachentscheidungen, die das BVerfG in den in Abs. 3 genannten Verfahren getroffen hat. c) Tätige Reue eröffnet Abs. 5, die Möglichkeiten der Strafmilderung Abs. 4, 5. 2. Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot, § 85 Nach § 85 wird bestraft, wer als Rädelsführer oder Hintermann den organisatorischen Zusammenhalt einer Vereinigung aufrechterhält, die sich gegen die verfassungsgemäße Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung, Art. 9 Abs. 2 GG, richtet. a) Abs. 1 setzt voraus, dass im Verfahren nach § 33 Abs. 3 ParteienG unanfechtbar durch die Verwaltungsbehörden festgestellt ist, dass die Partei oder Vereinigung Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist. b) Abs. 2 setzt voraus, dass die Vereinigung im Verfahren nach §§ 3 ff VereinsG unanfechtbar verboten oder dass im Verfahren nach § 8 Abs. 2 VereinsG unanfechtbar festgestellt ist, dass sie Ersatzorganisation einer solchen Vereinigung ist. c) Zum Begriff des Hintermannes und Rädelsführer vgl. oben Rdn. 8. - Vereinigung in diesem Sinne ist der in § 2 Abs. 1 VereinsG definierte Verein.4 d) Zur Tätigen Reue und zur Strafmilderung vgl. § 84 Abs. 4, 5, die gemäß § 85 Abs. 3 entsprechend gelten.
3. Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, § 86 17 § 86 richtet sich gegen das Verbreiten staatsfeindlicher Propagandamittel bestimmter verbotener Parteien oder Vereinigungen als mittelbares Organisations- und abstraktes Gefahrdungsdelikt. 18 a) Bestraft wird das Verbreiten, Herstellen, Vorrätighalten, Ein-, Ausfuhren oder in Datenspeichern öffentlich Zugänglichmachen von Schriften (§ 11 Abs. 3), deren Inhalt gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist (Propagandamittel, § 86 Abs. 2). Verbreiten bedeutet, die Schrift einem größeren, nicht notwendig unbestimmten Personenkreis zugänglich machen, und zwar der Substanz nach, während ein öffentliches Zugänglichmachen von Datenspeichern bereits vorliegt, wenn die Schrift inhaltlich zur Kenntnis genommen werden kann. - Herstellen, Vorrätighalten, Ein- und Ausführen sind
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Dazu BGHSt 16 S. 298.
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Vorbereitungshandlungen zum Verbreiten und öffentlich in Datenspeichern Zugänglichmachen. Hergestellt ist ein Werk, wenn der Inhalt endgültig feststeht.5 b) Es muss sich um Propagandamittel einer für verfassungswidrig erklärten Partei, verbotenen Vereinigung (Abs. 1 Nr. 1, 2) oder bestimmter ausländischer Stellen handeln (Abs. 1 Nr. 3) bzw. um nationalsozialistische Propagandamittel (Abs. 1 Nr. 4). Ob auch vorkonstitutionelle Schriften (z.B. Hitlers „Mein K a m p f ) oder nur neonazistisches Propagandamaterial, das sich ausdrücklich gegen die Bundesrepublik Deutschland als demokratischen Rechtsstaat richtet, unter Abs. 1 Nr. 4 fallt, ist str. - Angemessen ist es, hier nicht zu unterscheiden, wenn der Inhalt der Schrift sich grundsätzlich gegen die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats wendet.6 c) Gemäß Abs. 3 entfällt der Tatbestand des Abs. 1, wenn das Propagandamittel oder die Tathandlung der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen,7 der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient (Gedanke der Sozialadäquanz). d) Gleichfalls ist Abs. 1 nicht anwendbar auf Zeitungen oder Zeitschriften, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB in ständiger, regelmäßiger Folge erscheinen und dort allgemein und öffentlich vertrieben werden, Art. 296 EGStGB. e) Konkurrenz: Dient die Verbreitung der Propagandamittel zugleich dem Zweck, die verbotene Vereinigung zusammenzuhalten, so können §§ 84, 85 und § 86 idealiter konkurrieren.
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4. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, § 86 a § 86 a bezweckt als abstraktes Gefahrdungsdelikt den Schutz des demokratischen Rechts- 23 staats und des öffentlichen Friedens. Er stellt das Verwenden oder Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Parteien und verbotener Vereinigungen oder diesen zum Verwechseln ähnlicher Kennzeichen unter Strafe, wobei diese nicht auf ein Original mit gewissem Bekanntheitsgrad verweisen müssen.8 a) Das Kennzeichen wird durch seinen Symbolgehalt geprägt. 24 Außer den in Abs. 2 genannten Kennzeichen kommen in Betracht: der „Deutsche Gruß", das Horst-WesselLied, akustische oder optische Erkennungszeichen, wie zum Beispiel das Hakenkreuz. - Als zum Verwechseln ähnliche Kennzeichen wurden angesehen: „Unsere Ehre heißt Treue" (OLG Hamm NStZ-RR 2002 S. 231), „Ruhm und Ehre der Waffen-SS" (OLG Karlsruhe NStZ 2003 S. 487; dazu STEINMETZ NStZ 2002 S. 118 ff), SS-Runen u.Ä. Nicht erfasst werden z.B. das Keltenkreuz (BGH NStZ 1996 S. 81), ein Armdreieck (Bay ObLG NStZ 1999 5. 190), die Lebensrune (Bay ObLG NStZ 1999 S. 191), ein Rudolf Heß Bild (OLG Rostock NStZ 2002 S. 320), das Kennzeichen CONSDAPLE (OLG Hamm NStZ-RR 2004 S. 12 mit Anm. STEINMETZ NStZ 2004 S . 4 4 4 F).
Verwenden ist jeder Gebrauch, der das Kennzeichen optisch oder akustisch wahrnehmbar 25 macht.9 Das kann auch durch Einsatz einer Mailbox oder im Wege grenzüberschreitender 5
Dazu BGHSt 32 S. 1.
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So Popp JR 1998 S. 81; RUDOLPHI SK II, § 86 Rdn. 11. - A.A. OLG Celle NStZ 1997 S. 495 f; STEINMETZ M K , § 8 6 R d n . 1 5 .
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Dazu RAUTENBERG GA 2003 S. 623 ff.
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BGHSt 47 S. 354; KG JR 2002 S. 84; dazu HÖRNLE NStZ 2002 S. 113 ff.
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BGHSt 23 S. 267.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Fernsehübertragung erfolgen. 10 - Verbreiten bedeutet, die Kennzeichen einem größeren Personenkreis zugänglich machen. 26 b) Gemäß § 86 a Abs. 3 gilt die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 entsprechend. Danach erfasst der Tatbestand Handlungen, die ihn formell erfüllen, dann nicht, wenn sie sachlich seinem Schutzzweck nicht zuwiderlaufen. Als Schutzzweck in diesem Sinne - vgl. Rdn. 23 - ist nicht nur die Abwehr der Wiederbelebung der verbotenen Organisation und der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu verstehen, sondern auch die Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck vermieden werden, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet werden.11 Tatbestandsmäßig ist daher Verbreitung von Hakenkreuzen auf originalgetreuen Flugzeugnachbildungen (BGHSt 28 S. 394); Darstellung des Buchstaben „ß" durch SS-Runen (OLG Frankfurt NStZ 1982 S. 333; BGH NStZ 1983 S. 261); Tragen eines Hitlerbildes auf einem T-Shirt (LG Frankfurt NStZ 1986 S. 167); Singen des Horst-Wessel-Liedes, auch mit verfremdetem Text (OLG Oldenburg NJW 1988 S. 351); Singen des Liedes: „Es zittern die morschen Knochen" (OLG Celle NJW 1991 S. 1497). Nicht tatbestandsmäßig ist hingegen antiquarischer Handel mit Kennzeichen, wenn sich das Angebot im wesentlichen an Museen und wissenschaftlich Interessierte wendet (BGHSt 31 S. 383); Verknüpfung von Hakenkreuz und Davidstem, um zur Versöhnung aufzurufen (BayObLG NJW 1988 S. 2901); Hitlergruß, um Protest gegen für nazistisch gehaltene Methoden auszudrücken (OLG Oldenburg NStZ 1986 S. 166).
5. Agententätigkeit zu Sabotagezwecken, §87 27 a) § 87 stellt die Vorbereitung rechtsstaatsgefährdender Sabotagehandlungen unter Strafe. 28 b) Der Begriff der Sabotagehandlung ist in Abs. 2 abschließend umschrieben. - Voraussetzungen aller Tathandlungen ist die Steuerung des Sabotageagenten von außen, d.h. das Vorliegen eines dem Täter erteilten Auftrags einer in Abs. 1 genannten, außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB befindlichen Stelle. - Der Auftrag muss auf die Vorbereitung von Sabotageakten, die im Geltungsbereich des StGB begangen werden sollen, gerichtet sein, doch brauchen die Akte selbst noch nicht konkret bestimmt zu sein. 29 c) Zur Tätigen Reue vgl. Abs. 3. 6. Verfassungsfeindliche Sabotage, § 88 30 Gemäß § 88 wird bestraft, wer als Rädelsführer oder Hintermann - dazu vgl. Rdn. 8 - einer Gruppe oder als Einzelner ohne Rücksicht auf eine Gruppe rechtsstaatsgefahrdende Sabotage betreibt. - Angriffsgegenstand sind bestimmte Verkehrs- oder Fernmelde- sowie bestimmte Versorgungseinrichtungen. 31 a) Absichtlich handelt der Täter, wenn es ihm auf die Stillegung oder Zweckentfremdung ankommt. 32 b) Gerechtfertigt sind die Störungen dann, wenn sie im Rahmen eines arbeitsrechtlich zulässigen Streiks erfolgen.
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Vgl. dazu OLG Frankfurt wistra 1999 S. 30 mit Anm. RÜCKERT S. 31 f; KG NJW 1999 S. 3500 mit Anm. HEINRICH NStZ 2000 S. 533 f.
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BGHSt 25 S. 33; 31 S. 387. - Zur satirischen Verwendung von NS-Kennzeichen: BVerfG NStZ 1990 S. 333.
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7. Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane, §89 Bestraft wird die planmäßige, gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete, auf Zersetzung der pflichtgemäßen Einsatzbereitschaft abzielende Einwirkung auf Bundeswehrangehörige oder Angehörige eines öffentlichen Sicherheitsorgans. a) Öffentliche Sicherheitsorgane sind z.B. die kasernierte Bereitschaftspolizei, der Bundesgrenzschutz, die Verfassungsschutzämter und die Nachrichtendienste. Die Adressaten müssen bereits Angehörige der Sicherheitsorgane sein. 12 - Einwirken ist jede Tätigkeit zur Beeinflussung auch nur eines Angehörigen des betroffenen Personenkreises. b) Auf das Ziel der Zersetzung muss es dem Täter ankommen (Absicht). c) Das Parteienprivileg, Art. 21 Abs. 2 GG, steht der Bestrafung nicht entgegen. 13 d) Erfolgt die Tat durch Verbreitung einer Druckschrift, so greifen nicht die kurzen Verjährungsfristen nach den Pressegesetzen ein, weil nicht der Inhalt der Druckschrift strafbar ist, sondern nur das Verbreiten der Druckschrift in einem bestimmten Personenkreis. 14 8. Verunglimpfung des Bundespräsidenten, des Staates und seiner Symbole sowie verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen, §§ 90, § 90 a, § 90 b Die Vorschriften schützen Amt und Person des Bundespräsidenten, die Bundesrepublik Deutschland, ihre Länder und Symbole sowie bestimmte Verfassungsorgane gegen öffentliche Herabsetzung. 15 a) Verunglimpfen ist eine nach Form, Inhalt, Begleitumständen oder den Beweggründen erheblichere Ehrenkränkung i.S. der §§ 185-187. 16 - Beschimpfen ist eine nach Form und Inhalt besonders verletzende Missachtungskundgebung. - Böswillig Verächtlichmachen bedeutet, trotz Kenntnis des Unrechts, den Angriffsgegenstand als der Achtung der Bürger unwert und unwürdig hinzustellen. b) Bei Äußerungen von Meinungen und Werturteilen ist Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten. 17 Im Konflikt mit der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, sind die betroffenen Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen. Die Freiheit der Kunst findet ihre Grenzen in den Grundrechten Dritter und anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern. 18 c) Das Parteienprivileg, Art. 21 Abs. 2 GG, steht einer Bestrafung nicht entgegen. 19 d) § 90 a Abs. 3 enthält einen Qualifikationstatbestand.
12
BGH NJW 1989 S. 1363.
13
BVerfGE 47 S. 130; BGHSt 27 S. 59.
14
BGHSt 27 S. 353.
15
Dazu ROGGEMANN JZ 1992 S. 934 ff.
16
BGHSt 12 S. 364.
17
Dazu BGH NStZ 2002 S. 593; BGH NStZ 2003 S. 145 ff.
18
Vgl. BVerfGE 81 S. 278 und S. 298 mit Anm. GUSY JZ 1990 S. 640 f, HUFEN JUS 1991 S. 687 ff; BVerfG NJW 2001 S. 596; BGH NStZ 1998 S. 408; STEINMETZ MK, § 90 a Rdn. 21 ff; VOLK JR 1984 S. 4 4 1 f f ; WÜRTENBERGER N J W 1 9 8 3 S . 1 1 4 7 f f .
19
Dazu BVerfGE 47 S. 231 (zu § 90 a); BGHSt 29 S. 50 (zu § 90 b). 481
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§85
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
§ 85 Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit I. Angriffsgegenstand und Gesetzessystematik 1
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1. Im Gegensatz zu den in den §§ 83, 84 des GRUNDKURSES behandelten Straftaten richtet sich der Landesverrat gegen die äußere Sicherheit, d.h. die Machtstellung der Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zu fremden Staaten. 2. Die Tatbestände lassen sich unterteilen in die Gruppe der landesverräterischen Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen und ähnlich geschützter Sachverhalte: §§ 94 - 97 b, 100 a, und in die Gruppe der im Vorfeld des Verrats liegenden landesverräterischen Konspiration: §§ 98-100.
II. Das Staatsgeheimnis 3
1. § 93 Abs. 1 Gemäß § 93 Abs. 1, der den sog. materiellen Geheimnisbegriff positiviert, sind Staatsgeheimnisse Sachverhalte, die als Angelegenheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen, d.h. ihrem Schutzbereich zuzurechnen sind, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. 2. § 93 Abs. 2
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a) Kein Staatsgeheimnis i.S. des Gesetzes ist das sog. illegale Staatsgeheimnis i.S. des § 93 Abs. 2. Da der Verrat derartiger Geheimnisse daher keinen Verrat von Staatsgeheimnissen darstellt, ist Abs. 2 als Tatbestandseinschränkung jener Tatbestände zu verstehen, die den Verrat von Staatsgeheimnissen unter Strafe stellen. 20 Die Offenbarung derartiger Geheimnisse ist jedoch nicht ohne Ausnahme straflos; dazu weiter unter Rdn. 17 f. b) Abs. 2 erfasst nicht alle geheimhaltungsbedürftigen rechtswidrigen Sachverhalte. Eine Offenbarung dieser Sachverhalte kann jedoch gemäß § 34 im Einzelfall gerechtfertigt sein. 3. Mosaiktheorie Da als Staatsgeheimnis allein Sachverhalte in Betracht kommen, die nur einem bestimmten Personenkreis zugänglich sind, werden Erkenntnisse, die durch systematische Auswertung allgemein zugänglicher Tatsachen erarbeitet werden, nicht mehr geschützt, auch wenn das Ergebnis der Auswertung selbst ein Staatsgeheimnis ist.
III. Die landesverräterische Weitergabe, Offenbarung und Ausspähung von Staatsgeheimnissen 7
1. Landesverrat, § 94 § 94 schützt die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gegen den Verrat von Staatsgeheimnissen. 20
482
So auch BT-Drucks. V/2860, S. 16; RUDOLPHI SK II, § 93 Rdn. 35. - A.A. (Rechtfertigungsgrund): JESCHECK Engisch-FS, S. 592; PAEFFGEN Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses (§ 97 b StGB) und die allgemeine Irrtumslehre, 1979, S. 190 ff.
Landesverrat und Gefahrdung der äußeren Sicherheit
§85
a) Strafbar ist, wer ein Staatsgeheimnis einer fremden Macht oder einem ihrer Mit- 8 telsmänner mitteilt (Abs. 1 Nr. 1) oder sonst an einen Unbefugten gelangen lässt bzw. öffentlich bekannt macht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen (Abs. 1 Nr. 2), und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. 21 Unbefugter ist jeder, der nicht rechtmäßig zur Kenntnisnahme befugt ist. Gelangen las- 9 sen bedeutet bei körperlichen Gegenständen Überführung in den Gewahrsam des Empfangers, sonst Kenntnisnahme durch den Empfanger. - Die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland muss konkret nachweisbar sein. b) Abs. 2 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit Regelbeispielen für be- 10 sonders schwere Fälle (Missbrauch einer verantwortlichen Stellung, Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland). c) Eine zum selbständigen Delikt erhobene Vorbereitungshandlung zur Tat nach § 94 stellt 11 § 96 Abs. 1 unter Strafe. 2. Offenbaren von Staatsgeheimnissen, § 95 § 95 konkretisiert die Grenzen der Pressefreiheit, indem er die Preisgabe von Staatsge- 12 heimnissen in Publikationsorganen unter Berücksichtigung des Widerstreits zwischen Pressefreiheit und Geheimnisschutz regelt. a) Der Tatbestand unterscheidet sich von dem des Landesverrats dadurch, dass 13 aa) das Staatsgeheimnis zur Zeit der Tat von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird und bb) die Offenbarung nicht in Schädigungs- oder Begünstigungsabsicht begangen sein darf. b) Eine Vorbereitungshandlung zur Begehung des § 95 stellt § 96 Abs. 2 als selbständiges 14 Delikt unter Strafe. 3. Preisgabe von Staatsgeheimnisse, §97 a) Gemäß § 97 Abs. 1, dessen objektiver Tatbestand dem des § 95 entspricht, wird bestraft, 15 wer die Tathandlung vorsätzlich begeht, bzgl. des Gefährdungserfolgs jedoch nur fahrlässig handelt. b) Personen, denen ein Staatsgeheimnis kraft Amtes, Dienststellung oder eines von amt- 16 licher Stelle erteilten Auftrags zugänglich ist, werden gemäß § 97 Abs. 2 bestraft, wenn sie das Staatsgeheimnis leichtfertig an einen Unbefugten gelangen lassen und damit fahrlässig eine Staatsgefährdung begründen. 4. Verrat illegaler Geheimnisse, § 97 a a) Die Vorschrift löst in Verbindung mit § 93 Abs. 2 die Kollision zwischen dem Recht zur 17 Rüge von Missständen im öffentlichen Leben und der Pflicht, Staatsgeheimnisse zu wahren. Gemäß § 93 Abs. 2 geht das Interesse an der Mitteilung und Entdeckung rechtswidriger Geheimnisse der Wahrung äußerer Sicherheit vor. Ausgenommen sind nur solche Ver-
Zur Strafbarkeit früherer Geheimdienstmitarbeiter der DDR vgl. BVerfCE 92 S. 277 mit Anm. ARNDT N J W 1 9 9 5 S. 1 8 0 3 f, CLASSEN N S t Z 1 9 9 5 S. 3 7 1 ff, DOEHRJNG Z R P 1 9 9 5 S. 2 9 3 ff, HUBER J u r a 1 9 9 6
S. 301 ff, SCHROEDER J R 1995, S. 441 ff, VOLK N S t Z 1995 S. 3 6 7 ff; B G H S t 41 S. 2 9 2 mit A n m . SCHLÜCHTER/DUTTGE N S t Z 1996 S. 4 5 7 ; B a y O b L G J R 1996 S. 4 2 7 mit A n m . W . SCHMIDT S. 4 3 0 ff.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
ratshandlungen, die trotz des Rechtsverstoßes im Hinblick auf einen effektiven Staatsschutz nicht mehr erträglich erscheinen, weil sie nicht auf öffentliche Diskussion des Missstandes zielen, sondern zumindest objektiv eine andere Macht begünstigen: die Mitteilung des Geheimnisses unmittelbar an eine fremde Macht oder ihre Mittelsmänner, bzw. die Ausspähung des Geheimnisses, § 96 Abs. 1, in dieser Mitteilungsabsicht. 18 b) Praktisch erfolgt die Anwendung des § 97 a dadurch, dass in § 94 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 sowie in § 96 Abs. 1 in Verb, mit § 94 Abs. 1 Nr. 1 an die Stelle des Staatsgeheimnisses das Geheimnis i.S.d. § 93 Abs. 2 tritt. J. Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses, § 97 b 19 § 97 b enthält keinen selbständigen Tatbestand, sondern eine besondere Irrtumsvorschrift (Rechtsfolgenverweisung) für den Fall des Verrats eines Staatsgeheimnisses, das der Täter irrig für ein Geheimnis i.S. des § 93 Abs. 2 hält. - Nötig wurde diese Vorschrift, weil der Gesetzgeber - unter der Prämisse, § 93 Abs. 2 enthält einen Tatbestandsausschluss - das bei der Anwendung der allgemeinen Irrtumsregeln zwingende Ergebnis: Straffreiheit des Irrenden, ausschließen wollte. 22 20 Mit dem Schuldgrundsatz ist die Gleichstellung des irrenden Täters mit dem Täter, der bewusst ein Staatsgeheimnis verrät, nicht in Einklang zu bringen. Die verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift erfordert daher eine Milderung des Strafrahmens. 23
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6. Landesverräterische Fälschung, § 100 a § 100 a schützt nicht nur die äußere Sicherheit, sondern die äußere Machtstellung der Bundesrepublik Deutschland im Ganzen gegen landesverräterische Fälschung. a) Gemäß § 100 a Abs. 1 wird bestraft, wer bestimmte gefälschte oder unwahre Sachverhalte an einen anderen gelangen lässt und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere staatliche Sicherheit oder die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht herbeifuhrt. - Gefälscht oder verfälscht ist ein Sachverhalt, wenn er zum Zwecke der Täuschung derart angefertigt oder verändert wurde, dass er den Anschein eines wahren Sachverhalts erweckt. - Der Sachverhalt braucht kein Staatsgeheimnis zu sein. b) Subjektiv erfordert der Tatbestand Vorsatz in Bezug auf die Tathandlung und die Gefahrdung sowie die Absicht des Täters, einer fremden Macht die Echtheit oder Wahrheit der verratenen Sachverhalte vorzutäuschen. Der Täter muss die Unechtheit oder Unwahrheit der verratenen Sachverhalte positiv kennen („wider besseres Wissen"). c) Nach § 100 a Abs. 2 sind Vorbereitungshandlungen zu Abs. 1 als selbständiges Delikt strafbar.
IV. Die landesverräterische Konspiration 1. Geheimdienstliche Agententätigkeit, § 99 25 § 99 schützt als umfassender Spionagetatbestand gegen geheimdienstliche
Tätigkeit.
22
So im Ergebnis auch: PAEFFGEN Verrat, S. 229. - Für selbständigen Tatbestand: SCH/SCH/STREE § 97 b Rdn. 1; für negativ formulierten Rechtfertigungsgrund: JESCHECK Engisch-FS, S. 596.
23
Dazu auch PAEFFGEN Verrat, S. 170.
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Landesverrat und Gefahrdung der äußeren Sicherheit
§85
a) Gemäß Abs. 1 Nr. 1 wird die Ausübung einer geheimdienstlichen Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland, die auf Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, bestraft. 24 Gemäß Art. 7 Abs. 1 Nr. 4 des 4. StrÄG ist der Schutz auf diejenigen Nato-Vertragsstaaten, die Truppen im Bundesgebiet haben, ausgedehnt. Geheimdienst ist in der Regel eine im staatlichen Bereich organisierte Einrichtung, die der Beschaffung und Auswertung von Nachrichten aus fremden Machtbereichen dient, ihre Tätigkeit in diesen Bereichen vor den fremden Behörden geheimhält und daher konspirative Methoden anwendet. - Ausüben wird vom BGH als tätig sein interpretiert, ohne dass es auf eine Konspiration ankommt, 25 während in der Literatur z.T. eine auf gewisse Dauer angelegte Tätigkeit gefordert wird. 26 Die Begrenzung des Tatbestandes auf länger angelegte Tätigkeit fuhrt jedoch zu nicht berechtigten Strafbarkeitslücken. - Bloßes Ausgeforschtwerden oder Sich-ausfragen-lassen ist allerdings noch keine Ausübung der Tätigkeit i.S. des Gesetzes. 27 - Gegen die Bundesrepublik Deutschland heißt gegen deren Interessen, nicht nur gegen die einzelner Personen oder Gruppen, doch werden nicht nur staatliche Interessen, sondern auch wirtschaftliche, wissenschaftliche und andere Interessen erfasst. 28 b) Nach Abs. 1 Nr. 2 ist der Tätigkeit das ernstliche Bereiterklären zu dieser Tätigkeit gegenüber einer fremden Macht oder ihren Mittelsmännern gleichgestellt. - Die Erklärung mit der sich der Täter bereit erklärt, muss dem Empfanger zugegangen sein. 29 c) Besonders schwere Fälle sind als Regelfalle in Abs. 2 genannt; die Möglichkeit Tätiger Reue eröffnet Abs. 3 in Verb, mit § 98 Abs. 2.
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2. Landesverräterische Agententätigkeiten, § 98 § 98 erfasst als abstraktes Gefahrdungsdelikt nicht nur Vorbereitungshandlungen zum 30 Landesverrat (§ 94) oder zur Ausspähung (§ 96 Abs. 1), sondern deckt deren Vorfeld ab, auch wenn noch gar kein konkreter Tatplan i.S. dieser Vorschrift besteht. Im Gegensatz zu § 99 ist eine geheimdienstliche Tätigkeit aber nicht erforderlich, jedoch muss die Agententätigkeit auf ein Staatsgeheimnis gerichtet sein. Zur Strafbarkeit des Bereiterklärens vgl. Abs. 1 Nr. 2, zur Strafbarkeit besonders schwerer Fälle: Abs. 1 S. 2. - Tätige Reue ist unter den Voraussetzungen des Abs. 2 möglich.
3. Friedensgefährdende Beziehungen, §100 §100 schützt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gegen friedensgefährdende 31 Agententätigkeit. a) Die Vorschrift erfasst nicht eine bestimmte Tätigkeit wie §§ 98, 99, sondern die staats- 32 gefährdende Aufnahme und Unterhaltung von Beziehungen zu einer bestimmten Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB oder zu einem ihrer Mittelsmänner in staatsgefahrdender Absicht. - Die Tat muss in der
24
Zur Strafbarkeit früherer Geheimdienstmitarbeiter der DDR vgl. Fn. 20.
25
BGH NJW 1989 S. 1371.
2 6
V g l . SCHROEDERJZ 1 9 8 3 S. 6 7 1
27
BVerfGE 57 S. 265 f; BGHSt 30 S. 294.
ff.
28
Dazu
29
Vgl. OLG Celle NJW 1991 S. 579.
JEROUSCHECK/KÖLBEL
NJW
2001
S.
1602.
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§86
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Absicht erfolgen, einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen, z.B. „Einmarsch zwecks friedlicher Besetzung" 30 gegen die Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. 33 b) Täter kann nur ein Deutscher sein, der seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich des StGB hat. 4. Nebenfolgen und Einziehung 34 Zu den Nebenfolgen und zur Einziehung bei Verurteilung wegen einer Straftat nach dem 2. Abschnitt des StGB vgl. §§ 101, 101 a.
§ 86 Delikte gegen ausländische Staaten I. Rechtsgut 1
Die Überschrift des 3. Abschnitts des StGB: „Straftaten gegen ausländische Staaten", bringt die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, mit diesen Vorschriften nicht nur die guten Beziehungen zu den ausländischen Staaten, sondern diese selbst und ihre Organe sowie Organträger zu schützen. Gleichwohl steht im Vordergrund der Regelung der Schutz normaler Auslandsbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland und damit der Schutz des eigenen Staates, wie insbes. die Regelung des § 104 a zeigt.
II. Die einzelnen Tatbestände 2
3 4 5
6
1. Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten, § 102 Bestraft wird der Angriff auf Leib oder Leben ausländischer Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder oder beglaubigter Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung, während sich der Angegriffene in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält. 2. Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten, §103 Die Vorschrift enthält einen gegenüber den §§ 185 ff speziellen Beleidigungstatbestand zum Schutz bestimmter ausländischer Staatsmänner. a) Die §§ 190, 192, 193 finden auf § 103 Anwendung, da sie allgemeine Grundsätze des Beleidigungsrechts enthalten. 31 b) Kann aus § 103 aus einem Grunde nicht bestraft werden, so greifen die allgemeinen Vorschriften, §§ 185 ff, durch. 3. Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten, §104 Geschützt sind alle ausländischen Flaggen und Hoheitszeichen in Anlehnung an § 90 a Abs. 2.
III. Voraussetzung der Strafverfolgung, § 104 a 7
1. Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist in allen unter II dargestellten Tatbeständen: a) das Bestehen normaler diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik zu dem betreffenden Staat, 3 0
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 8 5 R d n . 68.
31
BVerwG NJW 1982 S. 1008.
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Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§87
b) die tatsächliche Verbürgung der Gegenseitigkeit. 2. Prozessvoraussetzung ist: a) das Vorliegen eines Strafverlangens durch die ausländische Regierung und b) die Ermächtigung der Bundesregierung zur Verfolgung der Täter.
g
§ 87 Delikte gegen die demokratische Willensbildung und die Willensbildung der Verfassungsorgane I. Rechtsgut und Gesetzessystematik der §§ 105-108 d 1. Geschütztes Rechtsgut der Tatbestände dieses Abschnittes ist die in staatlichen An- 1 gelegenheiten gewährleistete Willensbildung und die verfassungsrechtlich gesicherte Willensbetätigung der Verfassungsorgane. Diese sollen vor Terror und Verfälschung bewahrt werden. - Der nötigende Druck muss so erheblich sein, dass er geeignet erscheint, den Willen des Verfassungsorgans zu beugen. 32 2. Angriffe gegen die Verfassungsorgane und deren Mitglieder sind in den §§ 105-106 b 2 erfasst, die §§ 107-108 d schützen die Wahlen.
II. Die einzelnen Tatbestände 1. Nötigung von Verfassungsorganen, §105 Die Vorschrift schützt bestimmte Verfassungsorgane (Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder, Bundesversammlung, Bundesregierung und Landesregierungen sowie das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichte der Länder) und ihre Untergliederungen (Ausschüsse) als Ganzes gegen Nötigung. Bei der Rechtswidrigkeitsprüfung ist § 240 Abs. 2 entsprechend anzuwenden; dazu § 27 Rdn. 28 ff. 2. Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans, §106 Während § 105 das Verfassungsorgan als Ganzes schützt, ist § 106 auf den Schutz des Bundespräsidenten und einzelner Mitglieder der in § 105 genannten Verfassungsorgane gegen Nötigung in ihrem Aufgabenbereich gerichtet. Soweit zu diesem Aufgabenbereich auch bloßes Verwaltungshandeln gehört, z.B. beim Minister als Leiter oberster Bundesoder Landesbehörden, werden auch derartige Tätigkeiten erfasst. 33 3. Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans, § 106 b § 106 b schützt die Polizeigewalt in Gebäuden und den dazu gehörenden Grundstücken der Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder.
32
BGHSt 32 S. 165 mit Anm. WILLMS JR 1984 S. 120 f.
3 3
TRöNDLE/FlSCHER § 106 R d n . 1; WOHLERS N K , § 106 R d n . 4. - A . A . O L G D ü s s e l d o r f N J W
1978
S. 2562 mit abl. Anm. SCHOREITMDR 1979 S. 633 f.
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§87
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
6
a) Abs. 1 erfasst den Verstoß gegen Hausordnungsvorschriften, durch den die Tätigkeit des Organs gestört oder gehindert wird. Derartige Vorschriften können insbesondere in Geschäftsordnungen der Gesetzgebungsorgane enthalten sein. 34
7
Gebäude meint das jeweilige Gebäude, in dem das Gesetzgebungsorgan gerade tagt und für das die Anordnung erlassen ist. - Hindern heißt die Tätigkeit - sei es auch nur filr kurze Zeit - unmöglich machen. Stören bedeutet erschweren der Tätigkeit.
8
b) Gemäß Abs. 2 können Parlaments- oder Regierungsmitglieder nicht Täter sein. 4. Als Delikte gegen Wahlen - Legaldefinition in § 108 d - sind erfasst:
9 10 11 12
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a) Wahlbehinderung, § 107 Geschützt ist der Wahlvorgang in seinem Gesamtablauf. b) Wahlfälschung, § 107 a aa) Abs. 1 erfasst die Herbeiführung eines falschen Ergebnisses vor Beendigung der Wahl und die Verfälschung des Ergebnisses nach diesem Zeitpunkt. 35 Es genügt jede Handlung, die ein unrichtiges Ergebnis bewirkt. 36 - Unbefugt wählt auch, wer unter anderem Namen den Kandidaten wählt, den auch der Vertretene gewählt hätte. 37 bb) Abs. 2 betrifft die falsche Verkündung eines Wahlergebnisses. - Täter kann nur sein, wer die amtliche Aufgabe hat, das Ergebnis öffentlich zu verkünden oder verkünden zu lassen oder wer sich diese Befugnis anmaßt. c) Fälschung von Wahlunterlagen, § 107 b Die Vorschrift stellt bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Wahlfälschung selbständig unter Strafe. d) Verletzung des Wahlgeheimnisses, § 107 c Bestraft wird die Verletzung von Vorschriften, die dem Schutz des Wahlgeheimnisses dienen, in der Absicht, sich oder einem anderen Kenntnis darüber zu verschaffen, wie jemand gewählt hat. - Als das Blankett ausfüllende Normen kommen z.B. § 34 BWahlG, §§ 50, 51 BWahlO in Betracht. e) Wählernötigung, § 108 aa) Geschützt ist der einzelne Bürger gegen Nötigung bei der Ausübung seines Wahlrechts, bb) Bei der Rechtswidrigkeitsprüfung ist § 240 Abs. 2 anwendbar. f) Wählertäuschung, § 108 a Geschützt ist der Wähler gegen Täuschung beim Wahlakt, nicht gegen Täuschung bei der Willensbildung in bezug auf die Entscheidung für eine bestimmte Partei, z.B. durch falsche Wahlversprechen o.Ä. g) Wählerbestechung, § 108 b Die Vorschrift stellt Bestechung und Bestechlichkeit des Wählers unter Strafe. - Maßgeblich ist hier eine personale Beziehung zwischen dem Bestechenden und dem zu beste34
OLG Celle NStZ 1986 S. 410.
35
Zur Wahlfälschung bei Kommunalwahlen in der DDR: BVerfG (2. K„ 2. S.) NJW 1993 S. 2524; BGHSt 39 S. 54 NJW 1993 S. 1019 mit Anm. KÖNIG JR 1993 S. 207 ff; BGHSt 40 S. 307 mit Anm. WEBER JR 1995 S. 403 ff; BezG Dresden NStZ 1992 S.438 mit Anm. HÖCHST JR 1992 S.433 ff, LORENZ N S t Z 1992 S. 4 2 2 , DERS. M D R 1993 S. 705 ff, SCHROEDER N S t Z 1993 S. 2 1 6 ff.
36
Dazu OLG Zweibrücken NStZ 1986 S. 554.
37
Dazu BGHSt 29 S. 380 mit Anm. OEHLERJR 1981 S.519f.
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Delikte gegen die Landesverteidigung
§88
chenden Wähler, die zumindest zu einer gefühlsmäßigen Verpflichtung des Wählers, in der vom Bestechenden beabsichtigten Weise abzustimmen, fuhren kann. 38 Ob und wie der Wähler wählt, ist unerheblich, sein geheimer Vorbehalt, sich durch die Bestechung nicht beeinflussen zu lassen, ist irrelevant. h) Nebenfolgen Zu den Nebenfolgen vgl. § 108 c. 19 i) Abgeordnetenbestechung, § 108 e Bestraft wird das Unternehmen des Kaufs und Verkaufs der Stimme für eine Wahl oder 20 Abstimmung im Europäischen Parlament oder in einer Volksvertretung des Bundes, der Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände. Auch wenn Kauf und Verkauf nicht im zivilrechtlichen Sinne, sondern „im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs bildlich zu verstehen" sind 3 9 , so ist doch eine konkrete Unrechtsvereinbarung zwischen dem Abgeordneten und dem Dritten erforderlich, die Stimme bei einer konkreten Abstimmung in bestimmter Art und Weise abzugeben. Damit soll gewährleistet werden, dass nicht jede Ausrichtung des Abstimmungsverhaltens an eigennützigen Interessen des Abgeordneten strafbar ist, sondern nur eine solche, die verwerflich ist und nicht „politisch übliches und sozialadäquates Verhalten" betrifft 4 ". - Praktisch ist der Tatbestand damit bedeutungslos.'* '
§ 88 Delikte gegen die Landesverteidigung I. Der Schutzbereich Die Delikte des 5. Abschnitts des StGB dienen dem Schutz der Landesverteidigung, und zwar ihrem Wortlaut nach gegenüber Angriffen auf das Kräftepotential der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland. Gemäß Art. 7 des 4. StrÄG ist der strafrechtliche Schutz der §§ 109 d-109 g, 109 i aber auf die militärische Sicherheit der Vertragsstaaten der NATO und ihrer in Deutschland stationierten Truppen ausgedehnt worden.
1
II. Die einzelnen Tatbestände 1. Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung, §109 Die Vorschrift will die Tauglichkeit zur Erfüllung der Wehrpflicht und damit das Wehr- 2 potential der Bundesrepublik Deutschland sichern. a) Nach Abs. 1 wird der Täter bestraft, der sich oder einen anderen mit dessen Ein- 3 willigung in bestimmter Weise zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht oder machen lässt. - Führt allerdings ein Soldat die Untauglichkeit an sich oder einem anderen Soldaten herbei, so greift § 17 WStG als Spezialvorschrift ein. Zur Wehrpflicht vgl. §§ 1-3 WehrpflG. - Untauglich, der Wehrpflicht zu genügen, ist der Wehrpflichtige, wenn er wegen körperlicher oder geistiger Mängel nicht mehr in der Art oder dem Umfang wehrtauglich ist wie vorher. - Verstümmelung ist unmittelbare mechanische Einwirkung auf den Körper, Untauglichmachen in anderer Weise kann z.B. durch Einnahme gesundheitsschädlicher Medikamente o.ä. erfolgen. 38
Vgl. dazu BGHSt 33 S. 336 mit Anm. DÖLLING NStZ 1987 S. 69 f, GEERDS JR 1986 S. 253 ff.
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Vgl. BT-Drucks. 12/5927, S. 5.
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BT-Drucks. 12/5927, S. 4 f.
41
Vgl. bereits BARTON NJW 1994 S. 1098 ff, 1100 f. - Im Einzelnen: EPP Die Abgeordnetenbestechung § 108 e StGB, 1997. - Zur Geschichte des Tatbestandes und zur internationalen Entwicklung: MÖHRENSCHLAGER Weber-FS, S. 217 ff.
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§88 4 5 6
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
b) Milder bestraft wird das Delikt gemäß Abs. 2, wenn die Untauglichkeit nur für eine gewisse Zeit oder eine einzelne Art der Verwendung herbeigeführt wird. c) Fehlt die Einwilligung bei der Fremdverstümmelung, so greifen nur die §§ 223 ff ein. Die Einwilligung gehört bei § 109 Abs. 1,2. Alt. zum gesetzlichen Tatbestand. d) Konkurrenzen: Zwischen dem Versuch nach Abs. 1 und der Vollendung nach Abs. 2 ist Idealkonkurrenz möglich. 42 - Die Einwilligung ist Tatbestandsvoraussetzung. Fehlt sie, so sind nur die §§ 223 ff anwendbar. 43 - Die Einwilligung, § 228, rechtfertigt nach h.M. die Körperverletzung nicht. Mit den §§ 223, 224 besteht Tateinheit 44 Wird die Sittenwidrigkeit hingegen von der Schwere der Verletzung abhängig gemacht 45 , so greift in den Fällen der §§ 223, 224 die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund durch. Mit §§ 226, 227 ist hingegen Idealkonkurrenz möglich. 46
2. Wehrpflichtentziehung durch Täuschung, § 109 a Die Vorschrift will die Erfüllung der Wehrpflicht sichern. a) Bestraft wird, wer sich oder einen anderen durch arglistige, auf Täuschimg beruhende Machenschaften der Erfüllung der Wehrpflicht in bestimmter Weise entzieht. 9 Machenschaften bezeichnen ein methodisches, über die bloße Lüge hinausgehendes, berechnendes Vorgehen, das auf Täuschung gerichtet sein muss. Die Kennzeichnung der Machenschaft als arglistig ist tautologisch, da die Machenschaft bereits ein gewisses Raffinement voraussetzt. 7 8
Beispiele: Scheinverlegung des Wohnsitzes in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des Wehrpflichtgesetzes (OLG Celle NJW 1965 S. 1675; OLG Celle NStZ 1986 S. 168); systematisches Vortäuschen körperlicher Mängel (RGSt 29 S. 218).
10 Für Soldaten ist die Wehrpflichtentziehung durch Täuschung in § 18 WStG speziell geregelt. 3. Störpropaganda gegen die Bundeswehr, § 109 d 11 Die Vorschrift soll der geistigen Sabotage gegen die Bundeswehr entgegenwirken. Bestraft wird das Aufstellen und Verbreiten verleumderischer Tatsachenbehauptungen gegen die Bundeswehr in der Absicht der Wehrkraftzerstörung oder der Behinderung in der Erfüllung ihrer Aufgabe zur Landesverteidigung. 47 - Aufgrund der in der Regel kaum nachweisbaren subjektiven Voraussetzungen hat der Tatbestand nur geringe Bedeutung. 4. Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln, § 109 e 12 § 109 e bezweckt den Schutz der Funktionstüchtigkeit von Wehrmitteln sowie bestimmter Einrichtungen und Anlagen. 13 a) Bestraft wird nach Abs. 1 die Sabotage an Gegenständen der Landesverteidigung. Wehrmittel sind Gegenstände, die für den bewaffneten Einsatz der Trappe geeignet und bestimmt sind. Einrichtungen und Anlagen dienen der Landesverteidigung oder dem Schutz der Zivilbevölkerung gegen
4 2
V g l . LACKNER/KÜHL § 1 0 9 R d n . 7 ; SCHROEDER L K , § 1 0 9 R d n . 2 3 .
4 3
V g l . LACKNER/KÜHL § 1 0 9 R d n . 5 ; MAURACH/SCHROEDER/MAJWALD B . T . 2 , § 8 7 R d n . 8.
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V g l . LACKNER/KÜHL § 1 0 9 R d n . 7 .
4 5
D a z u GRUNDKURS STRAFRECHT, A . T . , § 8 R d n . 1 1 8 f f .
46
Vgl. auch WOHLERS NK, § 109 Rdn. 14.
47
Zum Begriff der Landesverteidigung: E. MÜLLER NStZ 2002 S. 633 ff.
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Delikte gegen die Landesverteidigung
§88
Kriegsgefahren, wenn ihr Zweck, sei es auch nur mittelbar, auf die Landesverteidigung oder den Schutz der Zivilbevölkerung abzielt. Beispiele: Munitionslager; Flugsicherungsanlagen; Rastungsbetriebe.
Die Tat muss eine konkrete Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die Schlagkraft der Truppe oder ein bzw. mehrere Menschenleben begründet haben. b) Unbefugt handelt, wer zu seinem Verhalten nicht zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich befugt ist. - Die geschützten Güter (Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Schlagkraft der Truppe, ein oder mehrere Menschenleben) müssen konkret gefährdet sein. c) Der aktiven Sabotage (Abs. 1) wird gemäß Abs. 2 die fehlerhafte Herstellung oder Lieferung eines Gegenstandes der Landesverteidigung oder des dafür bestimmten Werkstoffs gleichgesetzt, wenn der Täter dadurch die in Abs. 1 genannten Gefahren herbeifuhrt. d) Die Strafe ist nach den subjektiven Voraussetzungen gestuft: aa) Die Tat nach Abs. 1 erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der sich auch auf die Gefahrdung beziehen muss. - Abs. 2 setzt für die Tathandlung und Gefahrdung Wissentlichkeit voraus. bb) Erfolgt die Tathandlung i.S. des Abs. 1 vorsätzlich, doch trifft den Täter Fahrlässigkeit bezüglich der Herbeiführung der Gefahr, so haftet er gemäß Abs. 5. - Gleiches gilt für den Täter, der die Tathandlung i.S. des Abs. 2 wissentlich begeht, die Gefährdung jedoch zumindest bedingt vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt. e) § 109 e ist lex specialis gegenüber §§ 303-305. 48
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5. Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst, § 109 f Bestraft wird der militärische Nachrichtendienst für eine Stelle außerhalb der Bundesre- 19 publik Deutschland oder für eine verbotene Vereinigung i.S. der §§ 84, 85. - Das Delikt erfasst Verhaltensweisen im Vorfeld des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit. Liegt daher bereits eine geheimdienstliche Tätigkeit i.S. der §§ 93 ff, insbes. des § 99 vor, so wird § 109 f konsumiert. 6. Sicherheitsgefährdendes Abbilden, § 109 g Die Vorschrift erfasst Verhaltensweisen im Vorfeld des Landesverrats. 20 a) Bestraft wird gemäß Abs. 1 das Abbilden oder Beschreiben militärischer Objekte sowie das Gelangenlassen solcher Abbildungen und Beschreibungen an andere, wenn dadurch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die Schlagkraft der Truppe gefährdet wird. b) Nach Abs. 2 wird bestraft, wer vorsätzlich von einem Luftfahrzeug aus eine Lichtbildaufnahme eines Gebiets oder Gegenstandes im räumlichen Geltungsbereich des § 109 g anfertigt oder eine solche Aufnahme an einen anderen gelangen lässt und dadurch wissentlich den Gefahrdungserfolg herbeiführt. 7. Nebenfolgen und Einziehung Zu den möglichen Nebenfolgen bei einer Verurteilung nach den §§ 109 e und 109 f sowie 21 zur Einziehung bei einer Straftat nach den §§ 109 d-109 g vgl. §§ 109 i, 109 k.
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Vgl. WOHLERS N K , § 109 e R d n . 10. - A . A . I d e a l k o n k u r r e n z z . B . SCHROEDER L K , § 109 e R d n . 17.
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§89
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Zweiter Abschnitt Delikte gegen die Staatsgewalt § 89 Gefahrdung der staatlichen Autorität I. Verletzung amtlicher Bekanntmachungen, § 134 1
1. Das geschützte Rechtsgut § 134 soll der Diskreditierung der Staatsgewalt wehren. Geschützt ist die Autorität der Staatsgewalt. Bekanntmachungen öffentlicher Dienststellen sollen so, wie sie bekanntgemacht worden sind, der Bevölkerung zur Kenntnis kommen. 2. Die Tathandlung
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a) Bestraft wird das Zerstören, Beseitigen, Verunstalten, Unkenntlichmachen und die Entstellung des Sinnes von öffentlich angeschlagenen oder ausgelegten dienstlichen Schriftstücken, auch wenn deren Inhalt nur eine bestimmte Person betrifft, wie z.B. im Falle der öffentlichen Zustellung. Dienstlich ist jedes von Behörden oder anderen Dienststellen öffentlich-rechtlicher Körperschaften gefertigte Schriftstück, das amtlichen Inhalt hat. - Zur Bekanntmachung öffentlich angeschlagen oder ausgelegt ist das Schriftstück, wenn die Allgemeinheit Kenntnis nehmen kann und soll. - Zum Zerstören vgl. § 47 Rdn. 10. Beseitigen bedeutet Entziehung durch Ortsveränderung gegen den Willen des Berechtigten. - Verunstalten, Unkenntlichmachung und Entstellen des Sinnes sind Einwirkungen auf die inhaltliche Aussage.
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b) Aus dem Schutz herausnehmen will die h.M. Schriftstücke offensichtlich verfassungsoder gesetzwidrigen Inhalts. - Dies ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen, vielmehr handelt es sich hier um eine Frage der Rechtfertigung im Einzelfall.1
II. Missbrauch von Ausweispapieren, § 281 4 Dazu vgl. oben § 73.
III. Amtsanmaßung, § 132 5
1. Das geschützte Rechtsgut Geschützt wird die Autorität des Staates und seiner Organe, und zwar durch Schutz des allgemeinen Vertrauens in die Echtheit und Zuverlässigkeit von Hoheitsakten.2
2. Der Tatbestand 6 Der Tatbestand enthält zwei Alternativen: 7 a) Die 1. Alternative erfasst die Fälle, in denen sich der Täter als Inhaber eines inländischen öffentlichen Amtes, d.h. als Organ der Staatsgewalt, ausgibt und eine diesem Amt zurechenbare Tätigkeit ausübt. - Auf die förmliche Bezeichnung oder eine ausdrückliche Hervorhebung von Namen und Art des öffentlichen Amts kommt es nicht an. S o a u c h MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 7 2 R d n . 2 2 ; SCHMIDHÄUSER B . T . , 2 2 / 3 . - Z u r h . M . vgl. O L G H a m b u r g M D R 1 9 5 3 S. 2 4 7 ; LACKNER/KÜHL § 134 R d n . 3. V g l . GEPPERT J u r a 1 9 8 6 S. 5 9 1 ; RUDOLPHI S K II, § 132 R d n . 1 m . w . N . - A . A . MAURACH/SCHROEDER/
MAIWALD B.T.2, § 79 Rdn. 1: Staatliche Organisationsgewalt.
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Gefahrdung der staatlichen Autorität
§89
Beispiele: Täter gibt sich als Funktionsträger der Polizei aus und befragt Zeugen; 3 Täter führt als Polizeibeamter verkleidet Verkehrskontrollen durch; Täter pfändet eine Sache als angeblicher Gerichtsvollzieher. Keine Amtsanmaßung: Täter bezeichnet sich einem privaten Bekannten gegenüber als Polizeidirektor; Täter fordert in der Bahn einen Sitzplatz mit dem Hinweis, er sei der Bundesbahnpräsident; Täter gibt sich beim fiskalischen Einkauf als Hoheitsträger aus (OLG Oldenburg MDR 1987 S. 604); Täter verfälscht amtliches Schriftstück (BGH bei Holtz, MDR 1993 S. 719).
Grundsätzlich kann auch ein Amtsträger den Tatbestand erfüllen. Erforderlich ist dann aber, dass er die Grenzen seiner Amtsbefugnisse bewusst derart überschreitet, dass die Überschreitung den Charakter einer in den Kreis eines anderen Amts umschlagenden Amtshandlung annimmt. 4 b) Die 2. Alternative erfasst jene Fälle, in denen der Täter zwar nicht vortäuscht, Inhaber eines Amtes zu sein, jedoch den Eindruck hoheitlichen Handelns hervorruft.
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Beispiele: Privatperson stellt am öffentlichen Weg ein amtliches Verkehrszeichen auf, durch das der Verkehr beeinflusst wird; Täter klebt eine Pfandmarke auf einen bestimmten Gegenstand, der dadurch als der gepfändete erscheint; Anbringen eines vom eigenen Kfz entfernten Verwarnungszettels an fremdem Kfz. - Wird hingegen ein Verwarnungszettel am eigenen Kraftfahrzeug angebracht, um die Polizei zu täuschen, so ist der Tatbestand nicht erfüllt, da hier nicht dem Bürger ein hoheitliches Handeln vorgetäuscht wird.
Bei Durchsuchungen, Verhaftungen usw. kommt es darauf an, ob der Täter - ohne ein bestimmtes Amt vorzugeben - anderen gegenüber, sei es ausdrücklich, sei es konkludent, den Anschein einer Amtshandlung hervorruft
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Beispiel 1: Α erscheint bei B, erklärt, er vermute in der Wohnung des Β ein ihm gestohlenes Bild und besteht auf einer Durchsuchung. Ergebnis: § 132 nicht erfüllt. Beispiel 2: Α erscheint bei Β und erklärt, die letzte Verhaftung in der Diebstahlssache X habe hinreichenden Verdacht begründet, dass das gestohlene Gut in der Wohnung des Β sei. Α müsse die Wohnung durchsuchen und Β verhaften, falls dieser sich widersetze. Ergebnis: § 132,2. Alt. ist geben, obwohl Α nicht vorgespiegelt hat, ein bestimmter Amtsträger zu sein.^
c) Unbefugt handelt, wer nicht durch seine Amtsstellung oder besonderen öffentlich- 10 rechtlichen Ermächtigungsakt zur Vornahme der Handlung berechtigt ist. Unbefugt ist Tatbestandsmerkmal. 3. Täter a) Täter der Amtsanmaßung kann jeder sein, auch ein Amtsträger, soweit er sich Be- 11 fugnisse anmaßt, die mit seinem Amte nicht verbunden sind. Ist die Amtshandlung jedoch nach außen wirksam, verstößt sie aber gegen Weisungen oder Zuständigkeitsverteilungen innerhalb der Behörde oder ist sie von jemandem erlassen worden, der die Amtsstellung erschlichen hat, so liegt eine Amtsanmaßung nicht vor. Dieses Verhalten tangiert das geschützte Rechtsgut nicht. b) Die Tat kann auch in mittelbarer Täterschaft begangen werden. Jedoch fallt die Veran- 12 lassung einer Amtshandlung durch einen getäuschten Amtsträger nicht unter § 132, da der Tatbestand nur die Durchbrechung der Amtsgewalt, nicht aber ihre Überlistung erfasst. 3
Dazu OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002 S. 301.
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Vgl. BGH St 3 S. 244; 12 S. 85; BayObLG NStZ-RR 2003 S. 109 mit Anm. OTTO JK 04, StGB § 132/3, STERNBERG-LIEBEN JR 2004 S. 74 ff.
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Dazu RGSt 59 S. 295; BGHSt 40 S. 8 mit Anm. GEPPERT JK 94, StGB § 132/2.
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§89
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
4. Das Verhältnis der beiden Alternativen des Tatbestandes zueinander 13 Da die 1. Alternative im Gegensatz zur 2. Alternative das Vortäuschen einer Amtseigenschaft voraussetzt, besteht zwischen beiden Alternativen Exklusivität.6
IV. Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, § 132 a 1. Das geschützte Rechtsgut 14 Die Vorschrift dient weniger dem Schutz staatlicher Autorität oder der Autorität einzelner Titel usw., als vielmehr dem Schutz der Allgemeinheit vor Hochstaplern, die sich durch falsche Titel und Bezeichnungen den Schein besonderer Funktionen, Fähigkeiten und Vertrauenswürdigkeit geben.7 2. Die Tathandlung 15 a) Das Führen eines Titels usw. (Abs. 1 Nr. 1-3) setzt eine aktive Tätigkeit des Täters voraus, mit der er Dritten gegenüber in einer die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise und Intensität den Titel usw. in Anspruch nimmt. - Bloßes Dulden der Anrede genügt nicht, desgleichen ist ein einmaliger Gebrauch des Titels, insbes. im privaten Verkehr, noch nicht tatbestandsmäßig.8 - Der Täter muss die formliche Dienst-, Amts- oder Berufsbezeichnung fuhren. Es genügt das Weiterfuhren einer Dienstbezeichnung nach der Entlassung.9 - Wer sich z.B. schlechthin als „Polizeibeamter" ausgibt, fuhrt damit noch keine Amtsbezeichnung.10 16 b) Das Tragen einer Uniform usw. (Abs. 1 Nr. 4) setzt voraus, dass der Täter den Eindruck erweckt, er übe ein hoheitliches Amt aus. Nicht tatbestandsmäßig daher der Besuch eines Maskenballs in einer Uniform, das Tragen eines Kapuzenpullis mit der Aufschrift „ P o l i z e i " . ' '
17 c) Unbefugt - dazu Rdn. 10 - ist Tatbestandsmerkmal. Die Genehmigung zum Führen eines ausländischen Titels ersetzt nicht dessen Verleihung, daher ist das Führen trotz der Genehmigung unbefugt. ^ 2
18 d) Die Führung von Bezeichnungen usw., die denen in Abs. 1 genannten zum Verwechseln ähnlich sind, ist gemäß Abs. 2 entsprechend Abs. 1 zu bestrafen. 6
S o a u c h KÜPER J R 1 9 6 7 S . 4 5 1 f f . - A . A . V. BUBNOFF L K , § 1 3 2 R d n . 2 4 ; MAURACH/SCHROEDER/ MAIWALD B . T . 2 , § 7 9 R d n . 12: S p e z i a l i t ä t . - HERZBERG J u S 1 9 7 3 S . 2 3 6 ; LACKNER/KÜHL § 1 3 2 R d n .
10: Konsumtion. - RGSt 59 S. 295: Idealkonkurrenz. 7
Dazu BGH GA 1966 S. 279; BayObLG N J W 1979 S. 2359; OLG Oldenburg JR 1984 S. 468; GEPPERT J u r a 1 9 8 6 S . 5 9 4 ; M E U R E R J R 1 9 8 4 S . 4 7 3 .
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BGHSt 31 S. 61. - Zur Unterzeichnung einer Satire mit Dr.-Grad: LG Saarbrücken NJW 1996 S. 2665.
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BGH N J W 1990 S. 918. - Zum Führen einer Stellenbezeichnung, die einer Amtsbezeichnung zum Verwechseln ähnlich sein kann, unter ZufUgung des Zusatzes „a. D." vgl. OLG Dresden N J W 2000 S. 2515 mit Anm. OTTO J K 0 1 , StGB § 132 a/1.
10
Dazu BGHSt 26 S. 267; KAHLE Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen Rechtsgut, Schutzzweck und Anwendungsbereich des § 132 StGB, 1995, S. 165.
11
Vgl. BayObLG NStZ-RR 1997 S. 135; OLG Zweibrücken N J W 2003 S. 982.
12
Vgl. BGH NStZ 1994 S. 236 mit abl. Anm. ZIMMERLING S. 238 f. - Im Einzelnen dazu OLG Düsseldorf N J W 2000 S. 1052. - Zur Führung einer ausländischen Übersetzung des deutschen Doktortitels: RIEMER D M W 2 0 0 4 S. 2 7 9 1 f.
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Gefahrdung der Staatsgewalt
§90
Zum Verwechseln ähnlich ist die Bezeichnung usw., wenn nach dem Gesamteindruck eines durchschnittlichen Beobachters eine Verwechslung möglich ist.
e) Zum Schutz der Amtsbezeichnungen usw. der Kirchen und anderer Religions- 19 gesellschaften des öffentlichen Rechts vgl. Abs. 3. 20 3. Die Tat ist eigenhändiges Delikt.
§ 90 Gefährdung der Staatsgewalt 1. Bildung bewaffneter Gruppen, §127 In erster Linie dient die Vorschrift der Sicherung der internen Staatsgewalt, daneben wird 1 auch die Sicherung der Neutralität nach außen miterfasst. 13 2 Drei Tatbestände sind zu unterscheiden: a) Unbefugtes Bilden oder Befehligen einer Gruppe, die über Waffen oder andere gefährli- 3 che Werkzeuge verfugt, § 127 S. 1, 1. Alt. - Zu einer Gruppe gehören mindestens 3 Personen, zwischen denen aber nicht notwendig ein räumlicher Zusammenhang bestehen muss. 14 - Andere gefährliche Werkzeuge sind Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Art ihrer Benutzung im Einzelfall geeignet sind, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. 15 Das setzt voraus, dass über einen eventuellen Einsatz zumindest bestimmte Vorstellungen bestehen. b) Der Anschluss an eine derartige Gruppe, § 127 S. 1,2. Alt. c) Versorgung der Gruppe mit Waffen oder Geld oder sonstige Unterstützung, § 127 S. 1, 3. Alt. - Hier handelt es sich um einen Fall der zur Täterschaft verselbständigten Beihilfe. 2. Bildung krimineller Vereinigungen, § 129 Geschützt ist die staatliche Zwangsgewalt, die durch einen auf strafbare Handlungen gerichteten Zusammenschluss mehrerer Personen gefährdet ist 16 a) Die Tathandlung Bestraft wird gemäß Abs. 1 die Gründung oder die Beteiligung als Mitglied an einer auf strafbare Handlungen gerichteten Vereinigung sowie die Werbung um Mitglieder oder Unterstützer für derartige Vereinigungen und ihre Unterstützung. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist eine Vereinigung ein im räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes bestehender auf Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame (kriminelle) Zwecke verfolgen oder gemeinsame (kriminelle) Tätigkeiten entfalten und unter sich derart in Beziehung stehen,
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A . A . V. BUBNOFF L K , § 127 R d n . 2 ; LACKNER/KÜHL § 127 R d n . 1; SCH/SCH/LENCKNER § 127 R d n . 1:
Schutz des öffentlichen Friedens. 14
Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 28; 13/9064, S. 9.
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Vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 9.
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A . A . B G H S t 4 1 S. 4 7 m i t A n m . GEPPERT J K 9 6 , § 129/5, K.REHL J R 1 9 9 6 S. 2 0 8 ff, OSTENDORF J Z
1996 S. 55 f, SCHITTENHELM NStZ 1995 S. 343 f; BayObLG StV 1998 S. 266 (Voraussetzung erheblicher Gefahr); LACKNER/KÜHL § 129 Rdn. 1: Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. RUDOLPH! Bruns-FS, S. 317; SCHROEDER Die Straftaten gegen das Strafrecht, 1985, S. 9, 28: Vorverlegung des Strafrechtsschutzes in das Vorbereitungsstadium.
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§90
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen. 1 7 - Zur Erfassung Organisierter Kriminalität ist dieser Begriff untauglich, da die dort agierenden Gruppen in der Regel hierarchisch aufgebaut sind. 18 Kriminell ist die Vereinigung, wenn sie nach dem Willen der fuhrenden Funktionäre die Begehung einer Mehrheit von Straftaten anstrebt oder verwirklicht. Das ist der Fall, wenn die Begehung von Straftaten verbindlich festgelegtes Ziel der Vereinigung ist. 19 - Es genügt die öffentliche Aufforderung zu Straftaten, §111, wenn durch die Aufforderung nach den konkreten Umständen des Einzelfalles eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit heraufbeschworen wird. 2 0 Damit unterscheidet sich die kriminelle Vereinigung von der bloßen Mittäterschaft i.S. des § 25 Abs. 2 darin, dass diese nur die gemeinschaftliche Tatbegehung, d.h. ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken der Tatgenossen mit Täterwillen voraussetzt. Der Unterschied zur Bande liegt darin, dass bei dieser eine lose Zusammenfügung ohne besondere Organisationsform ausreicht. Von der Gruppe unterscheidet sich die Vereinigung durch die Zielsetzung und durch den Grad der Organisation.
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Gründen erfordert führende Mitwirkung bei der Schaffung des Zusammenschlusses oder der Umwandlung einer legalen Vereinigung in eine kriminelle. - Beteiligung als Mitglied setzt nicht formelle Mitgliedschaft, wohl aber auf Fortdauer gerichtete Teilnahme am Verbandsleben voraus. 21 - Unterstützen ist die zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe eines Nichtmitglieds, die auf Fortbestand oder Verwirklichung der Ziele der Vereinigung gerichtet i s t 2 2 - Werben ist die mit Mitteln der Propaganda betriebene Tätigkeit, die auf Wekkung oder Stärkung der Bereitschaft Dritter zur Förderung einer bestimmten Vereinigung gerichtet ist. 23 b) Der Vorsatz Der Vorsatz, bedingter genügt, muss die Strafbarkeit der Zwecke bzw. der Tätigkeit der Vereinigung umfassen. c) Tatbestandsausschluss gemäß Abs. 2
10 Gemäß Abs. 2 ist Abs. 1 nicht anwendbar auf politische Parteien, die nicht vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt sind und andere bestimmte, im Regelfall politische Vereinigungen, bei denen strafbare Handlungen, z.B. Abreißen von Plakaten, Beschmieren von Wänden u.ä., nur Nebenzweck der im übrigen verfolgten Tätigkeit sind. 24
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BGHSt 31 S. 204 f; 31 S. 239; BGH MDR 1991 S. 1182. Vgl. dazu SLEBER/BöGEL Logistik der Organisierten Kriminalität, 1993, S. 358. - Einen weiteren Spielraum entnimmt den Kriterien des BGH: SCHEIFF Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen (§ 129 StGB)?, 1997, S. 36 ff. Vgl. BGH NJW 2005 S. 80. Vgl. B G H NStZ 2 0 0 0 S. 2 7 ; TRÖNDLE/FISCHER § 129 Rdn. 14. Dazu BGHSt 29 S. 114; BGH NStZ 1993 S. 37; BGH NJW 2001 S. 1734, 1735. Dazu BGHSt 46 S. 321. Dazu BGHSt 28 S. 26 mit abl. Anm. RUDOLPHI J R 1979 S. 33 ff, REBMANN NStZ 1981 S. 457 ff; BGHSt 33 S. 16; BayObLG NStZ-RR 1996 S. 7. Vgl. aber BGHSt 41 S. 47.
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d) Rechtfertigung Handlungen von Beschuldigten und Verteidigern, die sachlich die Voraussetzungen der Tathandlungen erfüllen, sind dann gerechtfertigt, wenn sie sich in den Grenzen prozessual zulässiger Verteidigung halten. 25 e) Versuch Der Versuch, eine kriminelle Vereinigung zu gründen, ist strafbar, Abs. 3. - Der Versuch beginnt mit jenen Handlungen, die unmittelbar darauf gerichtet sind, einen Zusammenschluss von Personen zur Vereinigung herbeizufuhren, d.h. die unmittelbare Gefahr begründen, die abstrakt gefahrliche Situation entstehen zu lassen. 26 f) Besonders schwere Fälle, Abs. 4 Abs. 4 nennt besonders schwere Fälle mit Regelbeispielen: Rädelsführer und Hintermann; dazu § 84 Rdn. 8. g) Fakultatives Absehen von Strafe Zum Absehen von Strafe und zur Tätige Reue vgl. Abs. 5, 6. h) Konkurrenzen Mehrere tatbestandsmäßige Handlungen als Mitglied einer Vereinigung bilden eine natürliche Handlungseinheit. Die einzelnen von der Vereinigung begangenen Taten und die Mitgliedschaft in der Vereinigung werden nach der Rechtsprechung durch § 129 zu einer Handlungseinheit verklammert, soweit nicht wegen des größeren Unwerts eines Aktes die Klammerwirkung entfallt; jedoch unterbricht eine nur passive Mitgliedschaft über längere Zeit die Tat. 27
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3. Bildung terroristischer Vereinigungen, § 129 a a) Abs. 1, 2 enthalten Qualifikationstatbestände gegenüber § 129 Abs. 1. Sie sind Verbrechen. § 30 ist deshalb anwendbar. 273 b) Abs. 3 nimmt die Androhung terroristischer Straftaten als Vergehen in die Katalogtaten auf. c) Abs. 4 qualifiziert die Tatbestände der Abs. 1-3 für Rädelsführer und Hintermänner dazu § 84 Rdn. 8. d) Die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach Abs. 1-3 und die Werbung um Mitglieder oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung gemäß Abs. 1, 2 ist in Abs. 5 zur selbständigen Deliktsform erhoben worden; dazu Rdn. 8. - Vorausgesetzt wird eine bereits existierende Vereinigung.
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Dazu BGHSt 29 S. 99; BGHSt 31 S. 16, 19 mit Anm. GÖSSEL JR 1983 S. 118 ff; OLG Hamburg JZ 1 9 7 9 S. 2 7 5 m i t A n m . OSTENDORF S. 2 5 2 ff. - A . A . BOTTKE J A 1 9 8 0 S. 4 4 8 ; GLEMULLA J A
1980
S. 253 f; I. MÜLLER StV 1981 S. 97; MÜLLER-DIETZ JR 1981 S. 76 ff: Tatbestandsausschluss. Soweit Äußerungen allerdings der Verteidigung dienen, wird ihnen der werbende Charakter fehlen. In diesem Falle sind sie nicht tatbestandsmäßig; vgl. BGH StV 1990 S. 200. Im Einzelnen dazu SCHEIFF Strafrechtsschutz, S. 171 ff, der zwar das Gefährdungsstadium als Kriterium ablehnt, die gefährliche Situation aber recht anschaulich in Beispielen erfasst. 27
Dazu BGHSt 29 S. 288 mit Anm. RIESS NStZ 1981 S. 74 f; BGHSt 46 S. 349 mit Anm. PAEFFGEN NStZ 2002 S. 281 ff.
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S o a u c h LACKNER/KÜHL § 129 a R d n . 2 ; RADTKE J R 1 9 9 9 S. 8 4 ; TRÖNDLE/FISCHER § 129 a R d n . 2 0 . E i n s c h r . OSTENDORF N K , § 129 a R d n . 7 ; a . A . v . BUBNOFF L K , § 1 2 9 a R d n . 3 8 .
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20 e) Zum Absehen von Strafe und zur Tätigen Reue vgl. Abs. 6, 7. - Zur Nebenstrafe vgl. Abs. 8. 4. Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, § 129 b 21 § 129 b dehnt den Anwendungsbereich der §§ 129, 129 a auf kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland aus, Abs. 1 S. 1, doch werden Beteiligungshandlungen in Bezug auf Vereinigungen, die außerhalb der Mitgliedstaaten der EU bestehen, nur dann erfasst, wenn sie einen spezifischen Inlandsbezug aufweisen, Abs. 1 S. 2. In diesen Fällen ist die Strafverfolgung von einer Einwilligung des Bundesministeriums der Justiz abhängig, Abs. 1 S. 3 2 8
§ 91 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte I. Rechtsgut und geschützter Personenkreis der §§ 113, 114 1
1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die rechtmäßig betätigte Vollstreckungsgewalt des Staates durch den Schutz der zu ihrer Ausführung berufenen Organe. 29 2. Der geschützte Personenkreis
2
a) Geschützt sind gemäß § 113 Abs. 1 inländische Amtsträger (§11 Abs. 1 Nr. 2) sowie Soldaten der Bundeswehr, denen die Verwirklichung des auf den Einzelfall konkretisierten Staatswillens, notfalls durch unmittelbaren Zwang, übertragen ist. Das sind z.B. Polizeibeamte (RGSt 54 S. 323); Gerichtsvollzieher (RGSt 41 S. 85); Vollstreckungsbeamte der Finanzämter (OLG Frankfurt NJW 1972 S. 268); Bahnpolizeibeamte (BGHSt 21 S. 334); Richter in Ausübung der Sitzungspolizei (RGSt 15 S. 227).
3
b) Gemäß § 114 Abs. 1 ist der geschützte Personenkreis darüber hinaus erweitert auf Personen, die - ohne Amtsträger zu sein - die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind. Das sind z.B. die bestätigten Jagdaufseher nach § 25 Abs. 2 BJagdG und können nach § 152 Abs. 2 GVG ernannte Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sein. Wird der Gedanke der Privilegierung des Widerstandes gegen hoheitliche Vollstreckungshandlungen konsequent realisiert, dann ist es angemessen, §§ 113, 114 auf Jagd- und Fischereiausübungsberechtigte nach Landesrecht, die das Recht zu hoheitlichen Vollstreckungshandlungen (z.B. Wegnahme von Wildereigerät) haben, ohne in der bezeichneten Pflichtenposition zu stehen, analog anzuwenden.·^
4
c) Erfasst sind schließlich die von den Vollstreckungsbeamten zur Unterstützung bei der Amts- oder Diensthandlung zugezogenen Hilfskräfte, § 114 Abs. 2. Beispiel: Schlosser, der für den Gerichtsvollzieher eine Tür öffnet, damit die Vollstreckung durchgeführt werden kann. - Zeugen bei einer Hausdurchsuchung gemäß § 105 Abs. 2 StPO.
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Im Einzelnen dazu ALTVATER NStZ 2003 S. 179 ff.
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V g l . V. BÜBNOFF L K , § 113 R d n . 2 ; LACKNER/KÜHL § 113 R d n . 1; PAEFFGEN N K , § 113 R d n . 6 ; SCH/SCH/ESER § 113 R d n . 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 1 1 3 R d n . 2 ; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , R d n . 6 2 0 .
- Den Schutz der Person stellen in den Vordergrund: HORN SK II, § 113 Rdn. 2; ZIELINSKI AK, § 113 Rdn. 4. - Allein im Vollstreckungshandeln erkennt das Rechtsgut DEITERS GA 2002 S. 268 fT, 275. 30
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Dazu SCH/SCH/ESER § 114 Rdn. 3.
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
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II. Der Unrechtstatbestand des § 113 Abs. 1 1. Die Diensthandlung Diensthandlung i.S. des § 113 ist eine Vollstreckungshandlung. Die Vollstreckungshandlung ist auf Verwirklichung des konkretisierten Willens des Staates zur Regelung eines bestimmten Falles gegenüber bestimmten Personen oder Sachen notfalls mit Gewalt gerichtet.31 Bloße Überwachungs- und Ermittlungstätigkeiten, bei denen nicht einem bestimmten Verdacht nachgegangen wird, genügen nicht.
5
Vollstreckungshandlungen: Durchsuchung; vorläufige Festnahme; Pfändung durch Gerichtsvollzieher; Durchführung allgemeiner Verkehrskontrollen; Ausweiskontrolle als Identifizierungsmaßnahme. Keine Vollstreckungshandlungen: Streifenfahrten von Polizeibeamten (OLG Zweibrücken NJW 1966 S. 1086); Streifengang von Soldaten im Kasernengelände (BGH GA 1983 S. 411); Begleitung eines Demonstrationszugs (KG StV 1988 S. 437); Beobachtung einer Personengruppe (KG NStZ 1989 S. 121 mit Anm. GEPPERT JK 89, StGB § 113/1).
2. Die Tathandlung Tathandlung ist die gegen die Vollstreckungshandlung gerichtete Widerstandsleistung des Täters mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt sowie durch einen tätlichen Angriff. a) Die Vollstreckungshandlung muss bereits begonnen haben oder unmittelbar bevorstehen. Sie darf noch nicht beendet sein. Die Vollstreckungshandlung beginnt mit der Vornahme der gegen die Person oder Sache gerichteten Handlung. - Unmittelbar bevor steht die Vollstreckungshandlung, wenn der Vollstreckungsbeamte in den „Kontaktbereich" des Betroffenen kommt. - Beendet ist die Vollstreckungshandlung, wenn zwischen dem Vollstreckungsbeamten und der Person oder Sache, gegen die sich die Vollstreckung richtet, eine räumliche Trennung eingetreten ist derart, dass auch fur einen objektiven Beobachter erkennbar ist, dass der unmittelbare Kontakt zu der Person oder Sache nicht mehr besteht, weil der durch die Vollstrekkungshandlung begründete Interaktionsprozess zum Abschluss gekommen ist. 32 b) Widerstand ist nur das aktiv gegen das Vollstreckungsorgan gerichtete Vorgehen, nicht bloße Verweigerung der Mitwirkung an einer gegen die eigene Person gerichteten Vollstreckungshandlung. Diese Tendenz ist bei der Definition des Begriffs der Gewalt i.S. des § 113 zu berücksichtigen: Es ist die unmittelbar oder mittelbar gegen den Beamten gerichtete Kraftentfaltung, die sich derart auswirkt, dass dieser seine Amtshandlung nicht ausführen kann, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen. 33 Die Widerstandsleistung muss sich im Zeitpunkt der Amtshandlung auswirken, sie kann schon vorher ins Werk gesetzt worden sein, wie z.B. beim Versperren des Zugangs durch Hindernisse o.Ä. - Tätlicher Angriff ist jede in feindseliger Absicht unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung ohne Rücksicht auf den Erfolg. 34 Widerstandsleistung durch Gewalt, z.B.: Zufahren auf einen Beamten mit Kfz; Losfahren mit Kfz, auf dessen Trittbrett der Beamte steht, damit dieser herunterfällt; Strampeln und Festhalten, um Abtransport zu
31
BGHSt25S. 314.
32
Dazu eingehender BayObLG MDR 1988 S. 517; OTTO JR 1983 S. 73 f.
33
BGHSt 18 S. 135; OLG Hamm NStZ 1995 S. 547 mit Anm. GEPPERT JK 96, StGB § 113/2; OLG Düss e l d o r f V R S 9 2 ( 1 9 9 7 ) S. 9 m i t A n m . GEPPERT J K 9 7 , S t G B § 1 1 3 / 4 .
34
RGSt 59 S. 265.
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6 1
8
§91
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
verhindern; Hinlegen vor Polizeifahrzeug, damit dieses nicht weiterfahren kann; Einschließen des Gerichtsvollziehers; Aussperren des Gerichtsvollziehers durch Verrammeln der Tür. Keine Widerstandsleistung: Der auf der Fahrbahn sitzende Demonstrant muss weggetragen werden; KfzFahrer beachtet das Haltezeichen eines Polizeibeamten nicht, ohne den Beamten zu gefährden.
9 10
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13
14
3. Die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung Die Vollstreckungshandlung, gegen die sich der Widerstand richtet, muss rechtmäßig sein. a) Dogmatische Einordnung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung Innerhalb des Verbrechensaufbaus ist die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung ein pflichtbegrenzendes Merkmal. Die Pflicht, die Vollstreckungshandlung hinzunehmen, besteht nur gegenüber rechtmäßigen Vollstreckungshandlungen. Formell handelt es sich also um ein objektives pflichtbegrenzendes Merkmal außerhalb des Gesetzestatbestandes, das sachlich gleiche Funktionen hat wie ein Rechtfertigungsgrund, nämlich die Grenzen einer Rechtspflicht anzugeben. Insoweit ist es Merkmal des Unrechts-, nicht aber des Gesetzestatbestandes im engeren Sinne. 35 b) Die inhaltliche Bestimmung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung aa) Die h.M. vertritt den sog. strafrechtlichen Rechtsmäßigkeitsbegriff. - Danach ist zu differenzieren: (1.) Vollzieht der Vollstreckungsbeamte unmittelbar ein materielles Gesetz, so ist allein entscheidend, ob er im Rahmen seiner örtlichen und sachlichen Zuständigkeit gehandelt, die wesentlichen Förmlichkeiten für den betreffenden Vollstreckungsakt beachtet und bei Ermessenshandlungen sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. (2.) Vollzieht der Vollstreckungsbeamte einen Staatsakt (Urteil, Beschluss oder Verfügung) eines Gerichts oder den Verwaltungsakt einer Verwaltungsbehörde, so ist nur dessen rechtliche Wirksamkeit, nicht dessen materielle Rechtmäßigkeit zu fordern. Die Diensthandlung ist daher in der Regel nur dann rechtswidrig, wenn der Staatsakt nichtig oder nicht vollstreckbar ist. Ein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen der Diensthandlung, der nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht, schließt die Rechtmäßigkeit nicht aus, wohl aber ein Irrtum über die Grenzen der Amtsbefugnis. (3.) Handelt der Vollstreckungsbeamte auf Anordnung, so handelt er rechtmäßig, wenn er einen von einem örtlich oder sachlich zuständigen Vorgesetzten erteilten dienstlichen, nicht offensichtlich rechtswidrigen Befehl im Vertrauen auf seine Rechtmäßigkeit in gesetzlicher Form vollzieht. Der Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist dann i.S. des § 113 rechtmäßig, wenn der Vollstreckungsbeamte nicht oder nicht weiter zur Prüfung
Sachlich wie hier: BOSCH MK, § 113 Rdn. 30; v. BUBNOFF LK, § 113 Rdn. 23; DREHER Heinitz-FS, S. 2 2 1 ; DERS. J R 1984 S . 4 0 1 ff; HERDEGEN B G H - F S , S. 2 0 2 ; HIRSCH K l u g - F S , B d . 2, S. 2 4 6 ff; PAEFFGEN J Z 1 9 7 9 S. 5 2 1 ; SCHOLZ D r e h e r - F S , S. 4 8 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 113 R d n . 10. - A l s „ m o d i -
fizierte objektive Bedingung der Strafbarkeit" interpretieren die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung: K G N J W 1972 S. 781; BOCKELMANN B.T./3, § 18 VI 2; HAFT B.T., S. 4; WESSELS/HETTINGER B . T . / l ,
Rdn. 633. Diese Interpretation ist mit Abs. 4 nicht in Einklang zu bringen. - Als Tatbestandsmerkmal sehen die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung an: NAUCKE Dreher-FS, S. 472; SAX JZ 1976 S. 15 f, 430; SCH/SCH/ESER § 113 R d n . 2 0 . - F ü r S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d : BOTTKE J A 1 9 8 0 S. 9 8 ; SCHMIDHÄUSER
B.T., 22/24,31.
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Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§91
der Rechtmäßigkeit berechtigt oder verpflichtet ist; vgl. dazu § 56 BBG, § 11 SoldatenG, § 5 I WStrafG. 36 bb) Die Gegenansicht geht zutreffend davon aus, dass die Bestimmung der Rechtswid- 15 rigkeit in § 113 sich am öffentlichen Recht orientieren muss. Danach sind bei der Bestimmung der Rechtswidrigkeit eines Vollstreckungsakts zwei Wertungsstufen zu unterscheiden: Die Beurteilung der Ermächtigungsgrundlage und die Beurteilung der sonstigen Vollstreckungsvoraussetzungen. Handelt es sich bei der Ermächtigungsgrundlage um eine zwar rechtswidrige aber vollstreckbare, so bietet sie der Vollstreckungshandlung eine hinreichende rechtliche Grundlage. Nur die nichtige Ermächtigungsgrundlage schlägt auf den Vollstreckungsakt durch mit der Folge seiner Rechtswidrigkeit. - Ist die Ermächtigungsgrundlage in diesem Sinne hinreichend, so kann sich aus der Verletzung von Vollstrekkungsvorschriften jedoch die Rechtswidrigkeit des Vollstreckungsakts ergeben. Maßgeblich ist hier, ob der Akt nach Verwaltungsrecht rechtswidrig ist (Vollstreckbarkeitstheorie). 37
III. Der Irrtum des Widerstandleistenden 1. Irrtum bei rechtswidriger Vollstreckungshandlung Ist die Vollstreckungshandlung nicht rechtmäßig, der Täter hält sie aber für rechtmäßig, so 16 läge nach allgemeinen Grundsätzen - je nach Art des Irrtums - ein Wahndelikt oder ein Versuch vor. Dieser Versuch ist jedoch nicht strafbar, weil der Versuch der Widerstandsleistung gemäß § 113 nicht strafbar ist. Dies stellt Abs. 3 S. 2 noch einmal klar. KG GA 1975 S. 213: Α schlug den rechtswidrig handelnden Gerichtsvollzieher nieder, ohne die Rechtswidrigkeit der gegen ihn gerichteten Handlung zu erkennen. KG: § 113 entfällt, § 113 Abs. 3 S. 2.
2. Irrtum bei rechtmäßiger Vollstreckungshandlung Ist die Diensthandlung rechtmäßig, doch hält der Täter sie für rechtswidrig, so gilt ab- 17 weichend von den allgemeinen Irrtumsgrundsätzen: a) War der Irrtum vermeidbar, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mil- 18 dem oder bei geringer Schuld von Strafe absehen, Abs. 4 S. 1. b) War der Irrtum nicht vermeidbar und war es dem Täter nach den ihm bekannten Um- 19 ständen nicht zumutbar, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nach § 113 nicht strafbar, Abs. 4 S. 2, 1. Teil. 36
Zur h.M. vgl. BGHSt 21 S. 334; 24 S. 130; BayObLG JR 1981 S. 28 mit abl. Anm. THIELE S. 30 f; KG S t V 2 0 0 1 S. 2 6 0 m i t A n m . GEPPERT J K 0 1 , S t G B § 1 1 3 / 5 ; K G N J W 2 0 0 2 S. 3 7 9 0 ; O L G Z w e i b r ü c k e n S t V 2 0 0 2 S. 3 0 9 ; v . BUBNOFF L K , § 113 R d n . 2 5 ff; GEPPERT J u r a 1 9 8 9 S. 2 7 6 ; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 6 3 R d n . 11; GÜNTHER N J W 1 9 7 3 S . 3 0 9 ff; H A F T B . T . , S. 4 f; KÜPPER B . T . l , II § 3 R d n . 4 5 ff;
LACKNER/KÜHL § 113 Rdn. 8 ff; NEUHEUSER Die Duldungspflicht gegenüber rechtswidrigem hoheitlichen Handeln im Strafrecht, 1996, S. 196 ff, 207; TRÖNDLE/FISCHER § 113 Rdn. 11; VITT ZStW 106 ( 1 9 9 4 ) S. 5 8 1 ff; WESSELS/HETTINGER B . T . / I , § 14 R d n . 6 3 5 f. 3 7
G r u n d s ä t z l i c h ü b e r e i n s t i m m e n d : AMELUNG J u S 1 9 8 6 S. 3 3 6 f; DERS. Z R P 1991 S. 143 f; BOSCH M K , § 113 R d n . 3 4 f; BACKES/ RANSIEK JUS 1 9 8 9 S . 6 2 7 ff; BENFER N S t Z 1 9 8 5 S . 2 5 5 f; OSTENDORF J Z 1 9 8 9 S . 5 7 3 f; PAEFFGEN N K , § 113 R d n . 4 1 ; REINHART N J W 1 9 9 7 S. 9 1 1 ; ROXIN P f e i f f e r - F S , S. 4 8 ff;
SCHÜNEMANN JA 1972 S. 709 f, 775; THIELE JR 1975 S. 353 ff. - Zum Teil wird in der Literatur nur der nichtige Vollstreckungsakt als rechtswidrig i.S.d. § 113 angesehen (Wirksamkeitstheorie); vgl. z.B. KREY B . T . l , R d n . 5 1 1 ; W . MEYER N J W 1 9 7 2 S. 1 8 4 5 ff; DERS. N J W 1 9 7 3 S. 1 0 7 4 f; WAGNER J u S
1975 S. 224 ff.
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§91
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
20 c) War der Irrtum nicht vermeidbar, dem Täter aber zuzumuten, Rechtsbehelfe statt des Widerstandes zu ergreifen, so ist die Strafe nur zu mildern, Abs. 4 S. 2, 2. Teil. Zumutbar ist der Rechtsweg in der Regel dann, wenn die Diensthandlung nicht zu einem später nicht wiedergutzumachenden Schaden führt.
IV. Besonders schwere Fälle, § 113 Abs. 2 21 Abs. 2 enthält eine Strafschärfungsvorschrift mit zwei Regelbeispielen: 1. Mitfuhren einer Waffe, die bei der Tat Verwendung finden soll: dazu § 63 Rdn. 20. 2. Mit der konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung - dazu § 10 Rdn. 2 - verbundene Gewalttätigkeit.
V. Das Verhältnis des § 113 zu § 240 22 Gegenüber § 240 ist § 113 ein privilegierter Tatbestand. Dies begründet eigenartige Konsequenzen: 23 1. Der Schutz des Vollstreckungsbeamten ist geringer als der, den der Bürger allgemein gegen Nötigung genießt. Der Hinweis auf den „affektähnlichen Zustand" des Betroffenen in der Vollstreckungssituation kann zwar als nachträgliche Rationalisierung einer im Ergebnis weitgehend als sachgerecht empfundenen Lösung akzeptiert werden, trifft den Grund der Regelung jedoch nicht, denn diese Regelung geht auf ein Versehen des Gesetzgebers des Jahres 1943 zurück.·'®
24 2. Wird der Vollstreckungsbeamte nicht durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt genötigt, sondern durch Drohung mit einem anderen empfindlichen Übel, z.B. der Androhung einer Anzeige wegen einer dem Täter aus anderem Zusammenhang bekannten Straftat, so findet § 113 jedenfalls keine Anwendung. 25 Geht man nun davon aus, § 113 sei eine abschließende Regelung des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, so wäre dieses Verhalten straffrei. 39 Ein derart weitgehender Ausschluss der Strafbarkeit von Nötigungen ist aber weder den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, noch als vernünftige Lösung der Nötigungsproblematik anzuerkennen. Da der in § 113 geregelte Fall nicht vorliegt, greift § 240 durch, doch gebietet es die Sachlage, § 113 Abs. 3, 4 und den Strafrahmen des § 113 analog anzuwenden. 40
38
Dazu HIRSCH Klug-FS, Bd. 2, S. 236 ff. - Konsequent daher ZOPFS GA 2000 S. 542 f, der § 113 als eigenständiges Delikt interpretiert. Aufgrund unterschiedlicher Rechtsgüter kommt DEITERS GA 2002 S. 275 zur Idealkonkurrenz von §§ 240, 223 zu § 113.
3 9
S o in d e r T a t ARZT/WEBER B . T . , § 4 5 R d n . 2 5 ; BACKES/RANSIEK J u S 1 9 8 9 S . 6 2 9 ; HORN S K II, § 113 R d n . 2 3 ; KÜPPER B . T . l , II § 3 R d n . 5 3 ; DERS. M e u r e r - G e d S , S. 125 f; PAEFFGEN N K , § 113 R d n . 9 0 ; SCH/SCH/ESER § 113 R d n . 3 , 4 3 , 4 5 , 6 8 ; ZOPFS G A 2 0 0 0 S. 5 3 9 .
4 0
S o a u c h v . BUBNOFF L K , § 113 R d n . 6 5 ; EHLEN/MEURER N J W 1974 S. 1 7 7 7 ; HIRSCH K l u g - F S , B d . 2 , S. 2 4 2 f; LACKNER/KÜHL § 113 R d n . 2 6 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 7 0 R d n . 3 .
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Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§92
§ 92 Gefangenenbefreiung und Gefangenenmeuterei I. Gefangenenbefreiung, § 120 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis a) Geschütztes Rechtsgut ist die amtliche Verwahrungsgewalt des Staates. b) Täter kann jeder sein mit Ausnahme des Gefangenen selbst.
1
Der Gesetzgeber hat aus kriminalpolitischen Gründen - Wirkungslosigkeit der Norm in der psychischen Situation des Gefangenen - von einer Strafbarkeit des Gefangenen als Täter des Delikts abgesehen.
2. Gefangene und gleichgestellte Personen Gefangener ist, wem in Ausübung von Polizei- oder Strafgewalt die Freiheit rechtswirksam entzogen worden ist, so dass er sich in der Gewalt der zuständigen Behörden befindet. - Die Gefangenschaft beginnt mit der Begründung des Gewahrsams und endet mit dessen faktischer Aufhebung. Maßgeblich ist die formell ordnungsgemäße Ingewahrsamsnahme. Ob diese sich später als sachlich ungerechtfertigt erweist, ist unbeachtlich. 41
2
Beispiele: Straf- und Untersuchungsgefangene; der von einem Strafverfolgungsorgan gemäß § 127 StPO Festgenommene; der in Zwangs- oder Ordnungshaft Befindliche; der Jugendarrestant. Nicht dagegen: Der gem. § 81 a StPO zur Blutprobe Gebrachte (BayObLG NJW 1984 S. 1192); der gem. § 127 Abs. 1 StPO von einer Privatperson Festgenommene.
Vollzugslockerungen, wie z. B. offener Vollzug, § 10 Abs. 1 StVollzG, Freigang, § 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG, Ausgang, § 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG oder Urlaub, § 13 Abs. 1 StVollzG, heben den Gefangenenstatus nicht auf. 42 Gemäß § 120 Abs. 4 steht dem Gefangenen gleich, wer sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird.
3
Beispiele: Sicherungsverwahrte; nach §§ 63, 64 Untergebrachte; nach § 126 a StPO einstweilig Untergebrachte; Fürsorgezöglinge.
3. Die Tathandlung Der Tatbestand enthält drei Begehungsweisen: a) Die Befreiung eines Gefangenen. - Befreiung bedeutet Aufhebung der amtlichen Gewalt über den Gefangenen trotz bestehenden Haftrechts. Wird der Haftbefehl durch Täuschung beseitigt, so liegt keine Befreiung i.S. des Gesetzes vor. 43 b) Das Verleiten zum Entweichen und das Fördern des Entweichens. Hier hat der Gesetzgeber zwei Begehungsformen zu einem selbständigen Delikt erhoben, die - gäbe es einen Tatbestand der strafbaren Selbstbefreiung - als Anstiftung und Beihilfe zu diesem Tatbestand strafbar wären. c) Vollendet ist die Tat in allen drei Alternativen erst, wenn der Verwahrungsgewahrsam über den Gefangenen gebrochen ist und der Gefangene die Freiheit erlangt hat. 4 1
K G JR 1 9 8 0 S . 513.
4 2
V g l . B G H M D R 1 9 9 1 S. 9 8 1 ; BOSCH M K , § 1 2 0 R d n . 14; GEPPERT J K 9 2 , S t G B § 1 2 0 / 2 ; LACKNER/KÜHL § 1 2 0 R d n . 3 ; LAUBENTHAL J u S 1 9 8 9 S . 8 3 0 ; RÖSSNER J Z 1 9 8 4 S. 1 0 6 7 ; TRÖNDLE/FISCHER § 1 2 0 R d n . 4 . - A . A . v . BUBNOFF L K , § 1 2 0 R d n . 2 3 f f ; KUSCH N S t Z 1 9 8 5 S . 3 8 7 ; SCH/SCH/ESER § 1 2 0 R d n . 6 ; ZLELINSKI S t V 1 9 9 2 S. 2 2 8 .
43
Dazu auch KREY Jura 1979 S. 322.
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4
5
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§92
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
4. Teilnahme 7 8
a) Teilnahme Dritter Teilnahme an den verschiedenen Begehungsformen des Delikts ist nach den allgemeinen Regeln möglich, doch stellt sich hier ein Abgrenzungsproblem: Da die Anstiftung eines Dritten zur Befreiung eines Gefangenen zugleich ein Fördern des Entweichens darstellt und z.B. auch die Hilfe eines Dritten beim Fördern der Gefangenenbefreiung durch einen anderen selbst wiederum Förderung dieser Gefangenenbefreiung ist, scheint hier die Anstiftung zur 1. Alternative (Befreiung) und auch die Hilfe oder Anstiftung zur 3. Alternative (Fördern) zugleich Täterschaft i.S. der 3. Alternative zu sein. - Diesen Effekt wollte der Gesetzgeber jedoch nicht erzielen. Leider ist aber eine inhaltliche Differenzierung der verschiedenen „Förderungshandlungen" kaum möglich. Es bleibt nur die formelle Abgrenzungsmöglichkeit: Die unmittelbaren Teilnahmehandlungen an der Befreiung des Gefangenen sind Täterhandlungen i.S. des § 120, nur mittelbare Teilnahmehandlungen gelten auch hier bloß als Teilnahme. 44 Zur Verdeutlichung: Α gibt dem Gefangenen G während der Sprechstunde einen Nachschlüssel, mit dem dieser aus dem Gefängnis entweicht. Den Schlüssel hat Β nachgemacht, der wusste, wozu Α ihn verwenden wollte. A war zur Tat durch C angestiftet worden. Ergebnis: G: straffrei. - A: § 120, 3. Alternative; Α hat das Entweichen des G gefördert. - B: §§ 120, 3. Alternative, 27. - C: §§ 120, 3. Alternative, 26.
b) Teilnahme durch den Gefangenen selbst aa) Nach der Rechtsprechung ist eine strafbare Teilnahme des Gefangenen (Beihilfe oder Anstiftung) an seiner eigenen Befreiung möglich, es sei denn, die Teilnahme dient der gegenseitigen Selbstbefreiung. 45 10 bb) Konstruktiv ist gegen dieses Ergebnis nichts einzuwenden. - Sachlich befriedigt es jedoch nicht, da die täterschaftliche Selbstbefreiung mit Rücksicht auf die psychische Situation des Gefangenen straflos gelassen worden ist. Die psychische Situation des Gefangenen ist jedoch insoweit bei der Teilnahme identisch mit der bei der Täterschaft. Daher ist es angemessen, die Teilnahme auch hier straffrei zu lassen. 46 9
5. Strafschärfung nach Abs. 2 11 Abs. 2 sieht eine Strafschärfung fur Amtsträger und fur den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete vor, die gehalten sind, das Entweichen des Gefangenen zu verhindern (unechtes Amtsdelikt).
II. Gefangenenmeuterei, § 121 1. Das geschützte Rechtsgut 12 Geschütztes Rechtsgut der Vorschrift ist die amtliche Gewalt. Diese wird gegen den Bruch eines Verwahrungsgewahrsams (Rechtsgut des § 120) und gegen die Beeinträchtigung ihrer rechtmäßigen Betätigung (Rechtsgut des § 113) geschützt. 4 4
V g l . a u c h v . BUBNOFF L K , § 1 2 0 R d n . 3 1 ; SCH/SCH/ESER § 1 2 0 R d n . 1 1 / 1 2 ; TENCKHOFF/ARLOTH J u S 1 9 8 5 S. 134. - A . A . LACKNER/KÜHL § 1 2 0 R d n . 8.
45
Dazu BGHSt 4 S. 400; 17 S. 369, 373.
46
So auch DEUBNER NJW 1962 S. 2260 ff; HERZBERG Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 136; KREY B.T.l, Rdn. 533; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 72 Rdn. 13.
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Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§93
2. Täter und Tathandlung a) Täter können nur Gefangene - dazu Rdn. 2 - und Sicherungsverwahrte sein (Abs. 4).
13
Außenstehende kommen als Teilnehmer in Betracht. Da die Eigenschaft als Gefangener oder Sicherungsverwahrter aber keine besondere Pflichtenposition kennzeichnet, sondern nur die besondere Nähe und damit Gefährlichkeit der Betroffenen fllr das geschützte Rechtsgut erfasst, ist § 28 Abs. 1 nicht anwendbar
b) Tathandlung ist das Zusammenrotten, d.h. die räumliche Vereinigung von mindestens 14 zwei Gefangenen - auch bei Schuldunfahigkeit des einen - 4 8 , um mit vereinten Kräften, d.h. mit gegenseitiger - sei es auch nur psychischer - Unterstützung, die in Abs. 1 Nr. 1-3 beschriebenen Handlungen zu verwirklichen: Nr. 1: Nötigung oder tätlicher Angriff gegen bestimmte Personen. Nr. 2: Gewaltsamer Ausbruch, wobei Gewalt gegen Sachen (Aufbrechen von Zellentüren; Aufbrechen von Schränken, um Werkzeuge zum Ausbruch oder Zivilkleidung zu erlangen) genügt. Nr. 3: Gewaltsames Verhelfen zum Ausbruch. Hierbei handelt es sich um einen qualifizierten Fall des § 120 (Fördern des Entweichens). c) Vollendet ist das Delikt im Falle der Nr. 1 mit Eintritt des Nötigungserfolgs, in den Fäl- 15 len der Nr. 2 und Nr. 3, wenn der Ausbruch gelungen ist. 4 ' 3. Das Verhältnis der verschiedenen Begehungsweisen zueinander Die drei Alternativen sind verschiedene Tatmodalitäten eines Delikts. 50
16
4. Strafschärfung, Abs. 3 Abs. 3 enthält einen unbenannten Strafschärfungsgrund mit drei Regelbeispielen fur be- 17 sonders schwere Fälle: a) Nr. 1: Mitfuhren einer Schusswaffe; dazu § 41 Rdn. 50. b) Nr. 2: Mitfuhren einer Waffe, die bei der Tat verwendet werden soll; dazu vgl. oben § 63 Rdn. 20. c) Nr. 3: Mit der konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung verbundene Gewalttätigkeit; vgl. dazu § 46 Rdn. 35 f.
§ 93 Verwahrungs-, Verstrickungs- und Siegelbruch I. Verwahrungsbruch, § 133 1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt a) Geschützt wird die staatliche Herrschaftsgewalt über Sachen in dienstlichem (Abs. 1) 1 oder kirchenamtlichem (Abs. 2) Verwahrungs- oder Aufbewahrungsbesitz in ihrem tatsächlichen Bestand und das Vertrauen in die staatliche Herrschaftsgewalt, nämlich das 47
So auch BLAUTH „Handeln für einen anderen" nach geltendem und kommendem Strafrecht, 1968, S. 77,
48
Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1999 S. 804.
1 0 7 ; v . BUBNOFF L K , § 1 2 1 R d n . 1 0 ; LACKNER/KÜHL § 1 2 1 R d n . 2 . 49
BGH bei Dallinger, MDR 1975 S. 542.
5 0
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 121 R d n . 9 ; SCH/SCH/ESER § 121 R d n . 2 3 . - A . A . TRÖNDLE/FISCHER § 121
Rdn. 16: Tateinheit.
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§93
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Vertrauen, dass Gegenstände, die sich kraft staatlicher Hoheitsrechte im Besitz des Staates befinden und denen der Staat seine Fürsorge in erkennbarer Weise zugewendet hat, auch ordnungsgemäß aufbewahrt werden. 51 2 b) Angriffsobjekt kann jede bewegliche Sache sein, insbes. neben den im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Schriftstücken auch vertretbare und verbrauchbare Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden oder dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind. 3 Dienstlicher Verwahrungsbesitz, ist gegeben, wenn der Zweck der dienstlichen Verwahrung darin liegt, die Sache vor unbefugtem Zugriff zu bewahren und in ihrem Bestand in der Verfügungsgewalt des Hoheitsträgers zu erhalten, um einen über das bloße Funktionsinteresse der Behörde hinausgehenden Zweck sicherzustellen. Beispiele: Laufende oder in Staatsarchiven untergebrachte Behördenakten (BGHSt 3 S. 291); behördlich geführte Register (RGSt 67 S. 229); in Büchern zusammengeheftete Belege, die von der Behörde best. Zeit aufzubewahren sind (AG Koblenz wistra 1999 S. 397); beschlagnahmte Gegenstände; nach § 81 a StPO entnommene Blutprobe (BayObLG JZ 1988 S. 726); vom StA im Rahmen der dienstlichen Aufgaben entgegengenommene Schriftstücke, Beweismittel, Zahlungen, Schecks. 52 Nicht in Verwahrungsbesitz sondern in bloßem Amtsbesitz befinden sich Sachen, die zum Ge- oder Verbrauch durch den Hoheitsträger bestimmt sind, z.B. sog. Überstücke von Anklageschriften, die zu Ausbildungszwecken genutzt werden sollen 5 ·', Führerscheinformulare oder andere Blankourkunden, die von der Behörde zur Anfertigung einer Urkunde benutzt werden sollen (BGHSt 33 S. 190). - Gleiches gilt von Sachen, deren Rückgabe nur gattungsmäßig geschuldet wird, sowie Sachen, deren Aufbewahrung unmittelbar Interessen der Öffentlichkeit dient, wie z.B. Gemälde und Bücher in Museen und Bibliotheken.
4
c) Dienstlich ist ein Gegenstand dann in Verwahrung genommen, wenn dem Empfänger dienstliche Herrschaftsgewalt übertragen wurde. 2. Die Tathandlung
a) Abs. 1 Zum Zerstören und Beschädigen vgl. § 47 Rdn. 5, 10. - Unbrauchbarmachen meint eine Beeinträchtigung der Sache für ihre Funktion ohne Substanzverletzung. - Der dienstlichen Verfügung entzogen ist die Sache, wenn dem dienstlich Berechtigten der Zugriff auf die Sache unmöglich ist. Die Entziehung setzt ein Handeln gegen den Willen des Verwahrers voraus. 54 Eine Ortsveränderung ist dazu nicht unbedingt erforderlich. 55 b) Abs. 2 6 Abs. 2 stellt klar, dass auch die kirchenamtliche Verwahrung vom Tatbestand erfasst wird. 5
3. Qualifizierung, Abs. 3 7 Qualifiziert ist die Tat nach Abs. 3 für Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2) und Personen i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 4, sofern ihnen die Sache aufgrund dieser besonderen Eigenschaft anvertraut oder zugänglich gemacht worden ist (unechtes Amtsdelikt). - Anvertraut als Amtsträger usw. ist dem Täter die Sache, wenn er aufgrund dienstlicher Anordnung Verfügungsmacht über sie hat und kraft seines Amtsverhältnisses verpflichtet ist, für ihre Erhaltung und Gebrauchsfahigkeit zu sorgen. 51 52
BGHSt 5 S. 159 f; 38 S. 385. BGHSt 38 S. 381, 386 mit Anm. BRAMMSEN NStZ 1993 S. 543 ff.
5 3
O L G K ö l n J R 1 9 8 0 S. 3 8 2 m i t A n m . RUDOLPHI S. 3 8 3 f, u n d OTTO J u S 1 9 8 0 S. 4 9 0 ff.
54
BGH bei Holtz, MDR 1993 S. 719. Zu einem Grenzfall des Verbergens eines Objekts im Schreibtisch vgl. BGHSt 35 S. 340 mit Anm.
55
BRAMMSEN J u r a 1 9 8 9 S. 8 1 ff.
506
Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§93
II. Verstrickungs- und Siegelbruch, § 136 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis a) Geschützt ist die durch formell wirksame Beschlagnahme oder Siegelung begründete staatliche Herrschaftsgewalt über Sachen (bewegliche und unbewegliche).
8
Forderungen fallen nicht unter den Schutz der Vorschrift.
Ob eine wirksame Verstrickung vorliegt, d.h. eine wirksame Pfändung, Beschlagnahme oder Siegelung, richtet sich nach den Vorschriften, aufgrund derer der Akt erfolgt. 56 b) Täter kann jeder sein, auch der Amtsträger, der die staatliche Herrschaftsgewalt begründet hat, es sei denn, er kann noch über die Freigabe rechtswirksam entscheiden.
9
2. Die Tathandlung nach Abs. 1 (Verstrickungsbruch) Zerstören und Beschädigen: vgl. §47 Rdn. 5. - Unbrauchbarmachen: Rdn. 5, 10. - Der 10 Verstrickung entziehen heißt die Verfügungsgewalt der Behörde dauernd oder vorübergehend beseitigen. Ein obligatorischer Vertrag über die Sache entzieht die Sache selbst der Verstrickung noch nicht. - Eine nur unerhebliche Erschwerung der Pfändung ist nicht als tatbestandsmäßiger Verstrickungsbruch anzusehen. 57
3. Die Tathandlung nach Abs. 2 (Siegelbruch) a) Angelegt ist das Siegel, wenn es mit einer Sache verbunden ist, sei es auch nur mit einer 11 Stecknadel.58 - Siegel ist eine von einer Behörde oder einem Amtsträger herrührende Kennzeichnung mit Beglaubigungscharakter. - Siegel ausländischer Behörden sind dann relevant, wenn ihnen aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarung innerstaatliche Wirkung beigelegt ist. 59 b) Beschädigen: vgl. § 47 Rdn. 5; Ablösen bedeutet Beseitigung der Siegels. - Ein Unwirk- 12 sammachen des Verschlusses liegt in der Missachtung der mit der Siegelung gebildeten dienstlichen Sperrung, z.B. im Betreten eines Raumes, dessen Tür versiegelt ist, nach Ausheben des Fensters. 4. Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, Abs. 3 Gemäß Abs. 3 ist die Tat nicht strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig war. 13 a) Zur dogmatischen Einordnung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung: § 91 Rdn. 10. b) Bei der inhaltlichen Bestimmung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung stellt die h.M. 14 entsprechend den Überlegungen zu § 113 Abs. 3 auf den „strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff' ab; dazu § 91 Rdn. 11. 5. Der subjektive Tatbestand Der Vorsatz, bedingter genügt, muss die Tatumstände nach Abs. 1 bzw. Abs. 2 umfassen.
56
Dazu GEPPERT/WEAVER Jura 2000 S. 46 ff.
57
Dazu OLG Hamm NJW 1980 S. 2537; OSTENDORF GA 1982 S. 333 ff.
58
BGH bei Dallinger, MDR 1952 S. 658.
59
Vgl. BGH NStZ 1996 S. 229 (Portugiesische Zollplombe); KREHL NJW 1992 S. 604 ff.
507
15
§93
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
6. Der Irrtum des Täters 16 a) Geht der Täter davon aus, dass die Verstrickung überhaupt nicht erfolgt oder erloschen ist, so irrt er über das Vorliegen der staatlichen Herrschaftsgewalt und handelt in einem Tatbestandsirrtum i.S. des § 16. 60 17 b) Der Irrtum des Täters über die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung ist nach Abs. 4 in Verb, mit § 113 Abs. 4 zu bewerten; vgl. dazu § 91 Rdn. 17 ff. 7. Konkurrenzen 18 Zwischen § 136 Abs. 1 und Abs. 2 ist Idealkonkurrenz möglich.61 - Dient die Entfernung des Siegels aber nur der Verdeckung eines Verstrickungsbruchs, so konsumiert Abs. 1 den Abs. 2. 62
III. Zur Einübung 19 Fall: Durch Vorlage eines gefälschten Schuldscheins über eine Schuld von € 1000,- hat Β ein vollstreckbares Urteil gegen den Rechtsreferendar Α erwirkt. Β betreibt die Vollstreckung aus diesem Urteil. Beim Nahen des Gerichtsvollziehers vergräbt Α seine Schmucksachen im Keller. Als der Gerichtsvollzieher nunmehr weiter nichts findet, pfändet er die juristische Bibliothek des A. Sobald der Gerichtsvollzieher gegangen ist, entfernt Α die Pfandmarken und verkauft die Bücher, damit Β sie nicht versteigern lassen kann. Hat Α sich strafbar gemacht? Lösungsskizze: 1. Vergraben des Schmuckes: a) Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288: liegt nicht vor. - Dem Α droht die Zwangsvollstreckung, doch Β ist nicht Gläubiger i.S. des § 288, da er keinen materiell-rechtlich wirksamen Anspruch gegen Α hat. b) Betrug, § 263: entfällt, da es auf jeden Fall an einem Schaden des Β fehlt. 2. Entfernen der Marken a) § 136 Abs. 2: liegt vor. Pfändungsmarke war dienstliches Siegel, das angelegt war, um die Bücher in Beschlag zu nehmen (Pfändung). Das Siegel hat Α abgelöst. Er handelte bewusst und gewollt. § 136 Abs. 3 schließt die Rechtswidrigkeit nicht aus: Zwar waren die Bücher unpfändbar (§ 811 Nr. 10 ZPO), damit war die Pfändung anfechtbar, aber nicht nichtig. b) Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1: entfällt, da dem Α die Absicht fehlte, den Β zu schädigen. c) Sachbeschädigung, § 303: Tatbestand liegt vor, doch § 136 lex specialis. d) Verwahrungsbruch, § 133: entfällt, da Gerichtsvollzieher die Bücher nicht in Besitz genommen hat. e) Pfandkehr, § 289: entfällt; nach h.M. fällt das Pfändungspfandrecht nicht unter § 289, doch kann dies dahinstehen, da § 289 das Bestehen eines wirksamen materiellen Anspruchs, auf dem das Pfandrecht beruht, voraussetzt.
6 0
6 1
S o a u c h GEPPERT J u r a 1 9 8 7 S . 4 1 ; HOHMANN M K , § 1 3 6 R d n . 3 2 ; LACKNER/KÜHL § 1 3 6 R d n . 8 ; NIEMEYER J Z 1 9 7 6 S. 3 1 6 . - A . A . D . MEYER J u S 1 9 7 1 S . 6 4 3 f: V e r b o t s i r r t u m . D a z u KREY B . T . l ,
Rdn.
5 5 1 ; HOHMANN M K ,
§
136 Rdn.
3 5 ; LACKNER/KÜHL § 1 3 6 R d n .
9;
TRÖNDLE/FISCHER § 136 Rdn. 15. - A.A. BERGHAUS Der strafrechtliche Schutz der Zwangsvollstreckung, 1967, S. 129; RUDOLPHI SK II, § 136 Rdn. 31; SCHMIDHÄUSER B.T., 22/16: Subsidiarität. 62
508
Dazu D. MEYER JuS 1971 S. 646.
Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§93
3. Verkauf der Bücher: a) Betrug, §263: entfällt. Durch Vertragsschluss noch kein Schaden, im übrigen würde der gutgläubige Käufer lastenfrei erwerben. b) § 136 Abs. 1: entfällt, da der Verkauf allein die Sache der Verstrickung noch nicht entzieht. 4. Ergebnis: Α ist strafbar gemäß § 1S6 Abs. 2.
509
§94
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Dritter Abschnitt Delikte gegen wichtige öffentliche Interessen § 94 Gefahrdung öffentlicher Interessen 1. Verletzung des Dienstgeheimnisses, § 353 b 1 Geschützt werden wichtige öffentliche Interessen vor Gefahrdungen durch Verletzung der Amtsverschwiegenheit oder besonders auferlegter Geheimhaltungspflichten. Damit kommen nur solche Geheimnisse in Betracht, die sich nach Inhalt und Gegenstand auf wichtige öffentliche Interessen beziehen. Dass durch Verletzung der Verschwiegenheitspflicht das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung erschüttert wird, genügt nicht.1 a) Abs. 1 2 aa) Täter können nur Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete (§ 11 Abs. 1 Nr. 4), Personen mit Aufgaben im Personalvertretungsrecht und gemäß § 48 Abs. 1,2 WStG Soldaten sein. - Die Tat ist ein echtes Amtsdelikt. 3 bb) Dienstgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und zugänglich sind und ihrer Natur nach oder aufgrund einer Rechtsvorschrift oder besonderen Anordnung der Geheimhaltung bedürfen. Beispiele: Prüfungsaufgaben (RGSt 74 S. 110; BGHSt 11 S. 401); dienstliche Beurteilungen (BGHSt 10 S. 108); Ermittlungsverfahren (BGHSt 10 S. 276); polizeiliche Erkenntnisse 2 ; Codewort für Halterabfragen beim Kraftfahrtbundesamt 3 ; Auskunft, dass keine Eintragung im polizeilichen Register vorhanden ist (BGHSt 46 S. 339 mit Anm. OTTO JK 02, StGB § 353 h/2, PERRON JZ 2002 S. 50 ff).
4
cc) Tathandlung ist das Offenbaren eines Geheimnisses, das dem Täter im inneren Zusammenhang mit der Ausübung seines Dienstes bekannt geworden ist. - Zum Offenbaren vgl. § 34 Rdn. 33. Die Offenbarung muss eine konkrete Gefahr für öffentliche Interessen begründet haben.4 5 dd) Subjektive Voraussetzungen: Bestraft wird die vorsätzliche Offenbarung und vorsätzliche Gefährdung gemäß Abs. 1 S. 1 und die vorsätzliche Offenbarung, die mit einer fahrlässigen Gefährdung verbunden ist, gemäß Abs. 1 S. 2. 6 ee) Das Merkmal unbefugt ist allgemeines Verbrechensmerkmal i.S. von rechtswidrig. Unbefugt ist die Offenbarung, die nicht gerechtfertigt ist. Eine Rechtfertigung kann sich z.B. aus § 61 BBG, § 54 StPO, § 376 StPO, § 28 Abs. 2 BVerfGG ergeben. Die Einwilligung des Betroffenen in die Offenbarung eines Privatgeheimnisses rechtfertigt die Tat, selbst wenn öffentliche Interessen verletzt werden, da der Tatbestand nur die öffentlichen Interessen gegen Verle-
1
V g l . ARZT/WEBER B . T . , § 4 9 R d n . 1 0 1 ; HOYER S K II, § 3 5 3 b R d n . 8 ; KUHLEN N K , § 3 5 3 b R d n . 2 5 ; SCH/SCH/PERRON § 3 5 3 b R d n . 6 ; SCHUMANN N S t Z 1 9 8 5 S. 170. - A . A . B G H N S t Z 2 0 0 0 S. 5 9 6 ; B a y O b L G N S t Z 1 9 9 9 S. 5 6 8 m i t A n m . BEHM A f P 2 0 0 0 S. 4 1 f f , OTTO J K 0 0 , S t G B § 3 5 3 h / 1 ; TRÄGER L K , § 3 5 3 b R d n . 2 6 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 5 3 b R d n . 13 a. - D i f f e r e n z i e r e n d B G H S t V 2 0 0 2 S. 2 6 m i t A n m . BEHM S. 2 9 ; B G H S t 4 8 S. 1 2 6 , 1 3 2 f m i t A n m . HOYER J R 2 0 0 3 S. 5 1 3 f f .
2
OLG Köln NJW 1988 S. 2489; OLG Düsseldorf NStZ 1989 S. 324.
3
OLG Zweibrücken JR 1991 S. 292 mit Anm. KELLER S. 293 f.
4
Dazu OLG Zweibrücken JR 1991 S. 293 m.w.N.
510
Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§94
zung durch unbefugte Offenbarung eines Geheimnisses schützt, jedoch die Verfügung über das Geheimnis nicht beschränkt.^
ff) Die Strafverfolgung setzt die Ermächtigung der zuständigen Behörde voraus, Abs. 4. b) Abs. 2 aa) Täter können nur besonders verpflichtete Personen nach Nr. 1 und 2 sein. Die Verpflichtung bedarf einer außerstrafrechtlichen Rechtsgundlage oder der Vereinbarung zwischen den Beteiligten. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt. Die Tathandlung nach Abs. 2 setzt Gegenstände und Nachrichten voraus, das sind alle tatsächlichen Vorgänge und Zustände, alle körperlichen Gegenstände und alle gedanklichen Sachverhalte sowie Nachrichten darüber, zu deren Geheimhaltung der Täter verpflichtet ist. bb) Zum Begriff: an einen anderen gelangen lassen vgl. § 85 Rdn. 9. - Zur öffentlichen Bekanntmachung vgl. § 89 Rdn. 2. Auch hier muss die Tathandlung zu einer konkreten Gefahr für wichtige öffentliche Interessen gefuhrt haben. cc) Strafbar ist nur die vorsätzliche Tatbegehung. dd) Zum Merkmal unbefugt vgl. Rdn. 6. ee) Strafverfolgungsvoraussetzung ist die Ermächtigung durch die zuständige Behörde, Abs. 4.
7 8
9
10 11 12
2. Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst, § 353 a Die Vorschrift, die diplomatischen Ungehorsam und diplomatische Falschberichte straf- 13 rechtlich erfasst,6 ist systematisch nur schwer anderen Bestimmungen zuzuordnen. Die Weite des Begriffs „wichtige öffentliche Interessen" ermöglicht ihre Einordnung an dieser Stelle, denn durch die Tathandlung können durchaus wichtige öffentliche Interessen der Bundesrepublik im diplomatischen Verkehr gefährdet werden. a) Täter kann nur ein diplomatischer Vertreter der Bundesrepublik Deutschland sein. b) Der Falschbericht muss Tatsachen betreffen. c) Die Tat erfordert Vorsatz. Dieser muss beim Falschbericht mit der Absicht (zielgerichtetes Wollen) der Irreleitung verbunden sein.
V g l . a u c h HOYER S K II, § 3 5 3 b R d n . 15. - A . A . h . M . v g l . z . B . LACKNER/KÜHL § 3 5 3 b R d n . 13; SCH/SCH/PERRON § 3 5 3 b R d n . 2 1 .
Im Einzelnen dazu HEINRICH ZStW 110 (1998) S. 327 ff. 511
§95
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Vierter Abschnitt Delikte gegen die Rechtspflege § 95 Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat I. Falsche Verdächtigung, § 164 1
1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Funktionsfähigkeit der inländischen staatlichen Rechtspflege; dass daneben auch Interessen des unmittelbar Betroffenen geschützt werden, ändert die Schutzrichtung des Delikts nicht.1 2. Einzelheiten des Tatbestandes
2 3
4
a) Abs. 1 Der Tatbestand des Abs. 1 setzt voraus, dass jemand einen bestimmten anderen bei einer Behörde (dazu § 11 Abs. 1 Nr. 7), einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger (Polizeibeamter, Staatsanwalt), einem militärischen Vorgesetzten oder öffentlich (dazu oben § 62 Rdn. 4) einer rechtswidrigen Tat oder einer Dienstpflichtverletzung verdächtigt. Die Person, die verdächtigt wird, muss so weit bestimmt sein, dass ihre Identifizierung möglich ist. Anzeige gegen Unbekannt, Hinweis auf den „großen Unbekannten" usw. genügen nicht. Verdächtigen heißt, einen Verdacht gegen eine bestimmte Person begründen, auf diese umlenken oder einen bestehenden Verdacht verstärken, sei es durch Behauptung von Tatsachen oder Schaffung bestimmter Indizien, insbes. durch die Manipulation von Beweismaterial.2 Bloßes Leugnen der Täterschaft, durch das automatisch der Tatverdacht auf einen anderen fällt, ist kein Verdächtigen im Sinne des Gesetzes, da der Leugnende keine Verdacht gegen einen Dritten begründende Tatsache behauptet.·' - Im Gegensatz zum bloßen Leugnen eigener Tatbeteiligung beeinflusst das ausdrückliche Bezichtigen eines Dritten das Verdachtsurteil gegen diesen und erweitert die Tatsachengrundlage für die Herbeiführung eines behördlichen Verfahrens/* 1
Vgl. GEERDS Jura 1985 S. 617 f; LANGER Die falsche Verdächtigung, 1973, S. 64 f; DERS. SchlüchterGedS, S. 364 fT; ROGALL SK II, § 164 Rdn. 1; ZOPFS MK, § 164 Rdn. 4. - Für den Schutz der staatlichen Rechtspflege sowie des Einzelnen gegen unbegründete Zwangsmaßnahmen: BGHSt 9 S. 240; GEILEN J u r a 1 9 8 4 S. 2 5 1 ; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 6 7 R d n . 1; KREY B . T . 1, R d n . 5 8 9 f; KINDHÄUSER S t G B § 1 6 4 R d n . 1; LACKNER/KÜHL § 1 6 4 R d n . 1; RUß L K , § 164 R d n . 2 ; WESSELS/HETTINGER
B.T./l, Rdn. 686 ff. - Allein für den Schutz des individuellen Interesses: HIRSCH Schröder-GedS, S. 307 ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 6/6; VORMBAUM Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils, 1987, S. 449 f. Krit. zu einem schutzwürdigen Rechtsgut: STÜBINGER GA 2004 S. 343 ff. 2
V g l . GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 6 7 R d n . 2 ; KREY B . T . l , R d n . 5 9 2 ; ROGALL S K II, § 164 R d n . 11 f; RUß L K , § 1 6 4 R d n . 5; SCH/SCH/LENCKNER § 1 6 4 R d n . 8; WELP JUS 1 9 6 7 S. 5 1 0 ; ZOPFS M K , § 1 6 4 R d n . 2 1 . - A . A . LANGER L a c k n e r - F S , S. 5 4 2 ; DERS. S c h l ü c h t e r - G e d S , S. 3 6 6 f; VORMBAUM N K , § 164 R d n .
21. 3
V g l . LANGER L a c k n e r - F S , S. 5 4 1 ff, 5 6 0 ; ROGALL S K II, § 1 6 4 R d n . 14; RUß L K , § 164 R d n . 6.
4
Eingehend dazu LANGER Lackner-FS, S. 564 ff; DERS. Schlüchter-GedS, S. 367 f; H. SCHNEIDER NZV 1 9 9 2 S . 4 7 3 . - A . A . B a y O b L G J Z 1 9 8 5 S . 7 5 3 m i t A n m . FAHRENHORST J K , S t G B § 164/1, KELLER J R 1 9 8 6 S. 3 0 f, LANGER J Z 1 9 8 7 S. 8 0 4 ff; S. 1 1 1 9 m i t A n m . GEPPERT J K 9 2 , S t G B § 164/3, MITSCH J Z 1 9 9 2 S. 9 7 9 S. 2 2 5 m i t A n m . GEPPERT J K 9 9 , S t G B § 1 6 4 / 4 ; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l ,
512
JUS 1 9 8 7 S. 7 0 7 f, GEPPERT O L G Düsseldorf N J W 1992 f; O L G F r a n k f u r t D A R 1 9 9 9 § 6 7 R d n . 3; ROGALL S K II,
Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§95
Rechtswidrige Tat in diesem Sinne ist nur eine strafbare, verfolgbare Tat. Dies folgt aus dem Sinn des Tatbestandes, die Rechtspflege vor unnützer Inanspruchnahme zu schützen. Die Schilderung eines Sachverhalts, der nicht zur Einleitung eines behördlichen Verfahrens geeignet ist - mit der Straftat wird z.B. zugleich ein entschuldigender Sachverhalt geschildert -, wird vom Tatbestand nicht erfasst, 5 wohl aber die Schilderung eines tatbestandsmäßigen Sachverhalts unter Verschweigen der rechtfertigenden Umstände. 6 Gleichermaßen muss die Verletzung der Dienstpflicht disziplinarisch ahndbar sein. Die Verdächtigung muss unwahr sein. Entscheidend ist, ob die vom Täter behaupteten Tatsachen oder Verdachtsgründe der Realität entsprechen. Dabei kommt es auf den Kern der Verdächtigung an. Bloßes Ausschmücken des wahren Kerns ist noch nicht tatbestandsmäßig, wohl aber das unwahre Vorbringen qualifizierender Merkmale o.Ä.
5
6
Der Kern der Verdächtigung ist auch dann unwahr, wenn die behaupteten Tatsachen wahr sind, der Täter jedoch weiß, dass der Verdacht, auf den sie hinweisen, unbegründet ist, so z.B. wenn A, der das Haus der Β angesteckt hat, bei der Polizei wahrheitsgemäß erzählt, der X habe vor einigen Tagen geäußert, dem Β gehöre der rote Hahn aufs Dach gesetzt.
Ob sich der Verdacht später als richtig erweist, ist irrelevant, wenn der Täter falsche Behauptungen aufgestellt oder falsche Indizien begründet hat. Die Tat kann sich daher gegen einen Unschuldigen oder auch gegen einen Schuldigen, der mit falschen Angaben verdächtigt wird, richten. 7 Subjektiv ist erforderlich, dass der Täter die Unwahrheit der Verdächtigung positiv kennt (wider besseres Wissen) und die Absicht hat, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen den Verdächtigten herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. b) Abs. 2 Abs. 2 erweitert den Tatbestand auf das Aufstellen von Behauptungen tatsächlicher Art, die geeignet sind, ein behördliches Verfahren oder eine andere behördliche Maßnahme gegen den Verdächtigten herbeizuführen.
7
8
9
Beispiele: Sicherungsverfahren; Bußgeldverfahren; Verfahren zur Entziehung der Fahr- oder Gewerbeerlaubnis oder des Sorgerechts.
c) Tatvollendung und Rücktritt Vollendet ist die Tat, wenn die Verdächtigung der Behörde oder Stelle zugegangen oder 10 wenn die Vernehmung, in der die Verdächtigung geäußert wurde, abgeschlossen ist.
§ 164 R d n . 15; RUß L K , § 164 R d n . 6 m . N ; ZOPFS M K , § 164 R d n . 2 6 . - D i f f e r e n z i e r e n d VORMBAUM N K , § 164 Rdn. 2 8 .
Dazu OLG Hamm NStZ-RR 2002 S. 168; GEILEN Jura 1984 S. 257; LANGER Verdächtigung, S. 16. Dazu OLG Brandenburg NJW 1997 S. 141; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 S. 37. V g l . DEUTSCHER J u S 1 9 8 8 S. 5 2 6 ff; GEERDS J u r a 1985 S. 6 2 0 ; KÜPER B . T . , S. 3 2 4 ; LACKNER/KÜHL
§ 164 Rdn. 7; LANGER Tröndle-FS, S. 278 flf; DERS. Schlüchter-GedS, S. 369 ff; OTTO Jura 2000 S. 217 f;
ROGAJLL
SK
II,
§
164
Rdn.
26;
Ruß
LK,
§
164
Rdn.
10;
SCHMIDHÄUSER
B.T.,
6/8;
SCH/SCH/LENCKNER § 164 R d n . 16, 3 0 ; ZOPFS M K , § 164 R d n . 34. - A . A . B G H S t 3 5 S. 5 0 m i t abl. A n m . DEUTSCHER J u S 1 9 8 8 S. 5 2 6 ff, F E Z E R N S t Z 1 9 8 8 S. 177 f; GÖSSEITDÖLLING B . T . l , § 6 7 R d n . 7;
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 99 Rdn. 14; SCHILLING Armin Kaufmann-GedS, S. 595 flf; TRÖNDLE/FISCHER § 164 R d n . 6.
513
§95
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Eine spätere Berichtigung ist kein Rücktritt i.S. des § 24, da das Delikt vollendet ist. Ist aber die behördliche Maßnahme noch nicht eingeleitet worden, so kommt eine analoge Anwendung des § 158 in Betracht.8 11 d) Abs. 1 ist gegenüber Abs. 2 lex specialis.
II. Vortäuschen einer Straftat, § 145 d 1. Das geschützte Rechts gut 12 Die Vorschrift schützt die Rechtspflege (Abs. 1 Nr. 1, 2 Nr. 1) und die präventiv polizeilich tätigen Organe des Staates (Abs. 1 Nr. 2, 2 Nr. 2) gegen unberechtigte Inanspruchnahme des inländischen staatlichen Verfolgungsapparates.9 2. Die Tathandlung 13 a) Gemäß Abs. 1 wird bestraft, wer einer Behörde oder einer zu Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle vortäuscht, dass eine rechtswidrige Tat begangen wurde (Nr. 1) oder die Verwirklichung einer der in § 126 Abs. 1 genannten Taten bevorstehe (Nr. 2). Als zuständige Stellen ohne Behördencharakter sind - soweit man hier nicht schon eine Behörde annimmt die einzelnen nach § 158 StPO zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten anzusehen, im Übrigen kommen parlamentarische Untersuchungsausschüsse als derartige Stellen in Betracht. Nach dem Gesetzeswortlaut - „rechtswidrige Tat" - genügt eine tatbestandsmäßig rechtswidrige Tat (auch Versuch und Teilnahme). Der Tatbestand ist aber restriktiv auszulegen. Daher entfällt die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens, wenn der Täter einen Sachverhalt vortäuscht, der keine Tätigkeit des Rechtspflegeorgans auslöst, z.B. Vortäuschung einer Tat im entschuldigenden Notstand. - Auch erfasst der Tatbestand nicht die Schilderung einer rechtswidrigen Tat, wobei ein entschuldigender oder ein ein Verfahrenshindernis begründender Sachverhalt verschwiegen wird, es sei denn, dass allein aufgrund der rechtswidrigen Tat Maßnahmen der Sicherung oder Besserung in Betracht kommen.' ®
14 aa) Vortäuschen ist das Erregen oder Verstärken eines Verdachts, sei es durch Behauptung von Tatsachen oder Schaffen einer verdachtserregenden Beweislage. Der Verdacht muss falsch sein. Erweist er sich hinterher als richtig, so ist - im Gegensatz zu § 164 - der Tatbestand auch dann nicht erfüllt, wenn der Täter zum Beweis der Tat unrichtige Behauptungen aufgestellt hat, weil die Inanspruchnahme der Behörde nicht überflüssig war. Die Vortäuschung muss geeignet sein, das behördliche Einschreiten auszulösen. Ob sie Erfolg hat, ist unerheblich, daher ist auch die verfahrensfehlerhafte Äußerung grundsätzlich geeignet.' 1 Maßgeblich ist, dass eine rechtswidrige Tat begangen worden ist. Problematisch ist, ob „Täuschungen mit Wahrheitskern", z.B. Übertreibungen, den Tatbestand erfüllen. Die Rechtsprechung versucht diese Problematik wertend danach zu entscheiden, ob die Täu-
8
S o a u c h LACKNER/KÜHL § 164 R d n 10; SCH/SCH/LENCKNER § 164 R d n . 3 5 ; VORMBAUM N K , § 164 R d n . 7 3 . - A . A . ROGALL S K II, § 164 R d n . 4 5 .
9
Vgl. BGH NStZ 1984 S. 360; OLG Düsseldorf JR 1983 S. 75 mit Anm. ΒΟΓΓΚΕ S. 76; ROGALL SK II, § 145 d Rdn. 2 f; RUß LK, § 145 d Rdn. 1, SCHILD NK, § 145 d Rdn. 4; SAAL Die Vortäuschung einer Straftat (§ 145 d StGB) als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1997, 97 ff.
10
V g l . LACKNER/KÜHL § 145 d R d n . 4 ; ROGALL S K II, § 145 d R d n . 16; RUß L K , § 145 d R d n . 9 ; SCHILD N K , § 145 d R d n . 10; ZOPFS M K , § 145 d R d n . 18. - A . A . SAAL V o r t ä u s c h u n g S. 137 ff, 146.
11
Vgl. GEPPERT JK 96, StGB § 145 d/7. - A.A. OLG Hamburg StV 1995 S. 588.
514
Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§95
schungen mit erheblicher Mehrarbeit für die Behörden verbunden sind oder nicht. 12 - In der Literatur werden z.T. formale Kriterien genannt, z.B. der Übergang vom Vergehen zum Verbrechen 13 oder vom Privatklage- bzw. Antragsdelikt zum Offizialdelikt 14 , z.T. wird darauf abgestellt, ob das geschilderte Geschehen tatsächlich eine rechtswidrige Tat enthalte. Treffe dieses zu, so entfalle der Tatbestand, da die Behörden insoweit zur umfassenden Aufklärung verpflichtet seien. 15 - Diese Ansicht verdient den Vorzug, da sie präzis auf die strafrechtlich relevante Mehrarbeit abstellt. Dass der Täter sich selbst als Täter der rechtswidrigen Tat bezichtigt, steht seiner Strafbarkeit nicht entgegen. Geht die Täuschung des Täters aber dahin, eine wirklich begangene Tat zu vertuschen, d.h. darüber zu täuschen, dass gar keine Tat begangen worden ist, so liegt nach Sinn und Zweck des § 145 d der Tatbestand nicht vor. Dieser Täter will der Rechtspflege Arbeit ersparen, sie aber nicht unnötig belasten! Daher handelt nicht tatbestandsmäßig, wer über den Täter täuscht, wenn die Tat in der Person des angeblichen Täters keine Straftat wäre. 16 bb) Der subjektive Tatbestand verlangt ein Handeln wider besseres Wissen, d.h. mit dolus directus bzgl. des täuschenden Verhaltens. b) Abs. 2 dehnt die Strafbarkeit aus auf Täter, die die in Abs. 1 bezeichneten Stellen über die Beteiligten an einer rechtswidrigen Tat oder an einer bevorstehenden Tat gemäß § 126 Abs. 1 zu täuschen suchen. Eine Täuschung liegt vor, wenn der Tatverdacht auf Unbeteiligte gelenkt werden soll. Eine Strafanzeige gegen Unbekannt genügt daher. 17 - Bloßes Leugnen, die Tat selbst nicht begangen zu haben, genügt aber nicht, selbst dann nicht, wenn dadurch der Verdacht auf einen anderen fallt, der aber nicht vom Täter benannt worden ist, sonst würde der Täter mit einer dem deutschen Strafprozess fremden Wahrheitspflicht belastet werden; im einzelnen dazu Rdn. 4. aa) Auch die bloße Entlastung des wirklichen Täters oder die Ablenkung des Tatverdachts von einem Tatbeteiligten, z.B. durch ein falsches Alibi, erfüllt den Tatbestand, denn im Gegensatz zu Abs. 1, wo beim Fehlen einer rechtswidrigen Tat keine weiteren Ermittlungen nötig werden, macht ein derartiges Verhalten dann, wenn feststeht, dass die Tat begangen worden ist, den Strafverfolgungsbehörden erhebliche, unnütze Arbeit. 18
12
Vgl. OLG Hamm NStZ 1987 S. 578 (Vollendung, statt Versuch); BayObLG NJW 1988 S. 83 (Schadensumfang); OLG Karlsruhe MDR 1992 S. 1166 (vollendete Körperverletzung bei einem Mordversuch).
13
KRÜMPELMANN ZStW 96 (1984) S. 1071 ff.
14
STREE NStZ 1987 S. 559 f.
15
Vgl. GEPPERT Jura 2000 S. 385; ROGALL SK II, § 145 d Rdn. 20.
16
BGHSt 19 S. 305; OLG Celle JR 1981 S. 34 mit Anm. GEERDS S. 35 ff; LG Dresden NJW 1998 S. 2544.
17
B G H S t 6 S. 2 5 5 ; LACKNER/KÜHL § 145 d R d n . 7 . - A . A . FEZER S t r e e / W e s s e l s - F S , S. 6 7 4 ; ZOPFS M K , § 145 d Rdn. 3 4 .
18
Vgl. ARZT/WEBER B.T., § 48 Rdn. 27; GEPPERT Jura 2000 S. 387; SAAL Vortäuschung, S. 189 flf; TRÖNDLE/FISCHER § 145 d R d n . 12. - A . A . B a y O b L G J R 1 9 8 5 S. 2 9 4 m i t A n m . KÜHL S . 2 9 6 f f , u n d
abl. OTTO JK, StGB § 145 d/3; KG JR 1989 S. 26; KINDHÄUSER StGB, § 145 d Rdn. 12; ROGALL SK II, § 145 d R d n . 2 6 ; STREE L a c k n e r - F S , S. 5 2 7 f f ; ZOPFS M K , § 145 d R d n . 3 5 .
515
15
16 17
18
19
§96
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
20 bb) Streitig ist, ob in Fällen der Nr. 2 die Tat wirklich begangen worden sein muss oder ob es genügt, dass der Täter aufgrund eines Irrtums davon ausgeht, dass eine Tat begangen worden ist. Die h.M. lässt es unter Berufung auf den Zweck der Vorschrift - Ersparnis unnützer Aufklärungsarbeit - genügen, dass der Täter beim Vorliegen konkreter Verdachtsgründe die Tatbegehung irrig annimmt. - Das erscheint nicht überzeugend, denn solange noch zu klären ist, ob überhaupt eine Tat vorliegt, erscheint dieses Verhalten nur strafwürdig, soweit Abs. 1 erfüllt ist. Weiß die Behörde überdies im Gegensatz zum Täter, dass keine rechtswidrige Tat begangen worden ist oder eine Tat i.S. des § 126 Abs. 1 nicht geplant ist, so bewirkt die Anzeige keine Mehrarbeit.19 21 cc) Der subjektive Tatbestand fordert Handeln wider besseres Wissen, d.h. mit dolus directus bzgl. des vortäuschenden Verhaltens; im übrigen genügt dolus eventualis. 3. Selbst- oder Angehörigenbegünstigungsabsicht 22 Im Rahmen des § 258, der im Regelfall durch unwahre Angaben gegenüber der Polizei begangen wird, hat der Gesetzgeber der persönlichen Situation des Täters durch die Strafausschließungsgründe der Selbst- und Angehörigenbegünstigung, § 258 Abs. 5, 6, Rechnung getragen. Eine vergleichbare Situation ist bei der Vortäuschung einer Straftat nicht gegeben. Die Absicht, sich oder einen Angehörigen der Strafe zu entziehen, steht einer Bestrafung nach § 145 d nicht entgegen. Die Subsidiaritätsklausel wird nur wirksam, wenn der Täter wirklich aus dem schwereren Delikt bestraft wird. Scheitert eine Bestrafung nach § 258 z.B. an § 258 Abs. 6, so greift die Subsidiaritätsklausel nicht durch. 20 4. Tatvollendung 23 Vollendet ist die Tat, wenn die Behörde oder zuständige Stelle von der Tat Kenntnis erlangt hat.
§ 96 Strafvereitelung und Geldwäsche I. Strafvereitelung, § 258 1
1. Geschütztes Rechtsgut und Angriffsobjekt Geschützt ist die staatliche Rechtspflege, und zwar in ihrem Anspruch auf Durchsetzung der gesetzmäßigen Strafen und Maßregeln.21
19
So auch OLG Hamburg MDR 1949 S. 309 mit Aran. HÜNEMÖRDER S. 309 f; OLG Frankfurt NJW 1975 S. 1896; KG JR 1989 S. 26; BayObLG NStZ 2004 S. 97; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 67 Rdn. 19; KREY B.T.l, Rdn. 607; KRÜMPELMANN ZStW 96 (1984) S. 999 ff; SCHMIDHÄUSER B.T., 23/5; RENGIER B.T.II, § 51 Rdn. 8; TRöNDLE/FLSCHER § 145 d Rdn. 7. - A.A. OLG Hamm NJW 1963 S. 2138 mit Anm. MORNER NJW 1964 S. 310; LACKNER/KÜHL § 145 d Rdn. 7 (Ausnahme: rechtl. Irrtum); MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 9 9 R d n . 2 9 ; ROGALL S K II, § 145 d R d n . 3 9 ; SAAL V o r t ä u -
schen, S. 173 ff, 179; SCH/SCH/STERNBERG-LIEBEN § 145 d Rdn. 13. - Differenzierend: KÜPER B.T., S. 276 f; RUß LK, § 145 d Rdn. 14. 20
21
Vgl. dazu BayObLG NJW 1978 S. 2563 mit zust. Anm. STREE JR 1979 S. 253 ff, RUDOLPHI JuS 1979 S. 859, 862; BayObLG JR 1985 S. 294; OLG Celle JR 1981 S. 34 mit Anm. GEERDS S. 35 ff. Vgl. BGHSt 43 S. 82, 84; U. GÜNTHER Das Unrecht der Strafvereitelung (§ 258 StGB), 1998, S. 25 ff; LACKNER/KÜHL § 2 5 8 R d n . 1. - D i f f e r e n z i e r e n d : AMELUNG J R 1978 S. 2 3 1 ; LENCKNER S c h r ö d e r -
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Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§96
2. Gesetzessystematik Das Gesetz unterscheidet zwischen der Verfolgungsvereitelung (Abs. 1) und der Vollstreckungsvereitelung (Abs. 2) sowie der Strafvereitelung im Amt als qualifiziertem Tatbestand (§ 258 a). 3. Die Verfolgungsvereitelung, § 258 Abs. 1 Den objektiven Tatbestand erfüllt, wer ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat (§11 Abs. 1 Nr. 5) bestraft oder einer Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) unterworfen wird. a) Voraussetzung der Tat ist demnach eine Vortat, aus der ein staatlicher Straf- oder Maßnahmeanspruch erwachsen ist. Das bedeutet: Bei der Vereitelung einer Bestrafung ist eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, schuldhafte Tat Voraussetzung, deren Verfolgung kein persönlicher Strafaufhebungs-, Strafausschließungsgrund oder ein Verfolgungshindernis entgegenstehen darf. Das Vorliegen der Vortat ist von dem erkennenden Gericht in eigener Verantwortung zu prüfen. b) Vereitelt ist die Strafe oder Maßnahme, wenn der staatliche Zugriff rechtswidrig infolge der Handlung für geraume Zeit nicht verwirklicht worden ist.
2
3
4
5
Beispiele: Verstecken des Täters; Vernichten von Beweismitteln; Beiseiteschaffen von Ermittlungsakten; Fluchthilfe; falsche Aussagen, die das Verfahren beeinflussen.
aa) Das erfordert den Nachweis, dass der Strafanspruch ohne das Täterverhalten zumindest 6 früher verwirklicht worden wäre. - Die Zeitspanne selbst ist streitig, doch geht es zu weit, jede zeitliche Verzögerung schon als kriminelle Deliktsvollendung einzuordnen. Als Richtwert erscheint eine Frist von zehn Tagen angemessen. 22 bb) Durch die Tathandlung selbst muss die Möglichkeit der Verwirklichung des Strafan- 7 spruchs verschlechtert worden sein. Zwar ist es nicht erforderlich, dass die Vereitelungshandlung in einem strukturell täterschaftlichen Handeln des Vereitelnden besteht, so dass bloße Unterstützungen des Vortäters bei dessen Selbstvereitelung nicht genügen, 23 jedoch muss sie eigenständigen Gehalt haben, indem sie einen sachlichen Zustand darstellt. Handlungen, die nur darin bestehen, den Selbstschutzwillen des Vortäters hervorzurufen oder zu bestärken genügen dem nicht. 24 cc) Sozialadäquate Verhaltensweisen, d.h. Verhaltensweisen in denen sich der auch sonst 8 übliche soziale Umgang mit einem anderen realisiert, sind nicht tatbestandsmäßig, da sie nicht auf rechtswidrige Beeinträchtigung des staatlichen Strafanspruchs abzielen.
22
GedS, S. 344; RUDOLPHI Kleinknecht-FS, S. 384; A. SCHRÖDER Vortat und Tatobjekt der Strafvereitelung, § 258, 1999, S. 37. Dazu einerseits: BGH NJW 1959 S. 495 (sechs Tage genügen nicht); OLG Stuttgart NJW 1976 S. 2084 (zehn Tage sind ausreichend); BGH wistra 1995 S. 143 (Verzögerung der Ermittlungshandlungen um 14 Tage genügt nicht). - Enger: LENCKNER Schröder-GedS, S. 342 ff; RUDOLPHI JUS 1979 S. 860 ff (jede zeitliche Verzögerung). - Weiter: ALTENHAIN NK, § 258 Rdn. 51; HOYER SK II, § 258 Rdn. 14 ff; SAMSON JA 1982 S. 181 ff; SCHMITZ Unrecht und Zeit, 2001, S. 81 ff, 87; WAPPLER Der Erfolg der
Strafvereitelung (§ 258 Abs. 1 StGB), 1998, S. 172 ff (bei zeitlicher Verzögerung nur Versuch). 2 3
2 4
S o a b e r ALTENHAIN N K , § 2 5 8 R d n . 2 4 ; EBERT Z R G 1993 S. 5 6 ff; LENCKNER S c h r ö d e r - G e d S , S. 3 5 2 ff; RUDOLPHI K l e i n k n e c h t - F S , S. 3 8 9 f f ; RANSIEK wistra 1999 S. 4 0 8 f; SCHOLDERER S t V 1993 S. 2 2 9 f; STUMPF wistra 2001 S. 126 ff. V g l . FRISCH J U S 1 9 8 3 S . 9 1 9 f ; KINDHÄUSER S t G B , § 2 5 8 R d n . 6 ; K Ü P E R G A 1 9 9 7 S . 3 1 5 ff; LACKNER
Heidelberg-FS, S. 42 ff; Ruß LK, § 258 Rdn. 35.
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§96
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Zusammenwohnen mit einem flüchtigen Straftäter (BGH NJW 1984 S. 135), Gewährung von Arbeit und Wohnung sind daher nur dann Vereitelungshandlungen, wenn ihnen durch die Ausgestaltung im Einzelnen der Charakter der Versteckgewährung zukommt. 2 ^
9
dd) Macht der Täter von einem eigenen Recht Gebrauch, oder wendet sein Verteidiger prozessrechtlich zulässige Mittel an, um den Täter der Strafe zu entziehen, so liegt gleichfalls keine Vereitelungshandlung i.S. des Tatbestandes vor. Nicht prozessrechtsgemäßes Verteidigerhandeln, insbes. täuschende Maßnahmen, können hingegen den Tatbestand erfüllen. 26 TatbestandsmSBig z.B.: Erwirken falscher Zeugenaussage 27 ; Erschleichung von Informationen durch Täuschen 2 ^; Veranlassung des Angeklagten, nicht zur Hauptverhandlung zu kommen (OLG Koblenz NStZ 1992 S. 146); Ermöglichen von Lügen des Angekl. (BGH NStZ 1999 S. 188). Nicht tatbestandsmäBig: Rat des Verteidigers, vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen (BGHSt 10 S. 393) oder keine Angaben zu machen (BGH bei Holtz, MDR 1982 S. 970); prozessual zulässige Information des Mandanten aus Akten 2 9 ; Information anderer Verteidiger 3 "; Stellung eines Beweisantrags zu spätem Zeitpunkt (OLG Düsseldorf JZ 1986 S. 408); zulässige Informationen oder Ratschläge 3 1 .
10 Soweit der Verteidiger nicht wider besseres Wissen handelt, darf und muss er auch Zeugen benennen und Beweise vorlegen, an deren Glaubwürdigkeit oder Richtigkeit er Zweifel hat. 32 Vereiteln kann auch durch Unterlassen erfolgen, soweit der Unterlassende der Rechtspflege gegenüber eine Garantenpflicht zum Handeln hat. 33 11 c) Teilweise vereitelt ist die Strafe oder Maßnahme, wenn der Vortäter besser gestellt wird, als es der materiellen Rechtslage entspricht, z.B. wenn die Strafschärfung aus einem Erschwerungsgrund verhindert wird, wenn nur wegen Beihilfe statt Täterschaft bestraft oder wenn der erlangte Gewinn nur teilweise eingezogen werden kann.
25
Dazu OLG Stuttgart NJW 1981 S. 1569 mit Anm. FRISCH JuS 1983 S. 915 ff; OLG Koblenz NJW 1982 S. 2 7 8 5 m i t A n m . FRISCH N J W 1 9 8 3 S. 2 4 7 1 ff; HOYER S K II, § 2 5 8 R d n . 2 4 f; KÜPPER G A S. 3 9 9 ff; RUß LK, § 2 5 8 Rdn. 10 b.
26
1987
Im Einzelnen: BGHSt 46 S. 53, 56 mit Anm. ST. CRAMER/PAPADO-POULOS NStZ 2001 S. 148 f, GEPPERT J K O l , S t G B § 2 5 8 / 1 4 , SCHEFFLER J R 2 0 0 1 S. 2 9 4 ff; O L G D ü s s e l d o r f S t V 1 9 9 8 S. 6 6 m i t A n m . OTTO J K 9 8 , S t G B § 2 5 8 / 1 1 ; BEULKE D i e S t r a f b a r k e i t d e s V e r t e i d i g e r s , 1 9 8 9 ; HILGENDORF
Schlüchter-GedS, S. 497 ff; KREKELER NStZ 1989 S. 146 ff; MÜLLER-DIETZ Jura 1979 S. 242 ff; OSTENDORF J Z 1 9 8 9 S. 5 7 8 f; OTTO J u r a 1 9 8 7 S. 3 2 9 f f ; PFEIFFER D R i Z 1 9 8 4 S. 3 4 1 ff; SCHNARR
NJW-Sonderheft f. Schäfer, 2002, S. 64 ff; WOHLERS StV 2001 S. 422. - Als straffrei will PAULUS NStZ 1992 S. 305 ff - alle Prozesshandlungen des Verteidigers ansehen; dagegen HAAS NStZ 1993 S. 173. - Z u r s o g . K o n f l i k t v e r t e i d i g u n g : JAHN Z R P 1 9 9 8 S. 103 ff. 27
Dazu BGH NJW 1983 S. 2712 mit Anm. BEULKE NStZ 1983 S. 504 f, BOTTKE JR 1984 S. 300 ff.
2 8
B G H N S t Z 1 9 8 3 S. 5 5 6 m i t A n m . MEHLE S. 5 5 7 ff.
2 9
B G H N J W 1980 S. 6 4 mit A n m . GlEMULLA J A 1980 S. 2 5 3 f. - D a z u a u c h DESSECKER G A 2 0 0 5 S. 151 ff.
30
OLG Frankfurt NStZ 1981 S. 144 mit Anm. SEIER JuS 1981 S. 806 ff.
31
OLG Düsseldorf StV 1992 S. 57; OLG Karlsruhe StV 1991 S. 519.
3 2
V g l . B G H S t 4 3 S. 5 6 ; BEULKE S t r a f b a r k e i t , S. 3 3 ; OTTO J Z 2 0 0 1 S. 4 3 7 ff; TRÖNDLE/FISCHER § 2 5 8 Rdn. 9.
3 3
D a z u B G H N J W 1 9 9 7 S. 2 0 5 9 m i t A n m . GEPPERT J K 9 8 , S t G B § 2 5 8 / 1 0 , KLESCZEWSKI J Z 1 9 9 8 S.
313 ff, MARTIN JuS 1997 S. 1047 f, RUDOLPHlNStZ 1997 S. 599 ff; OLG Hamburg NStZ 1996 S. 102 m i t A n m . GEPPERT J K 9 6 , S t G B § 2 5 8 / 9 , KLESCZEWSKI N S t Z 1996 S. 103 f; O L G K o b l e n z S t V 1 9 9 9 S. 5 4 1 m i t A n m . GEPPERT J K 9 9 , S t G B § 2 5 8 / 1 3 .
518
Delikte g e g e n die demokratische Willensbildung
§96
d) Subjektiv m u s s der Täter d i e B e s s e r s t e l l u n g erstrebt o d e r d o c h als sichere F o l g e s e i n e s V e r h a l t e n s erkannt h a b e n . H i n s i c h t l i c h der Vortat g e n ü g t bedingter V o r s a t z . 3 4
12
e) Versuch und Vollendung aa) V e r s u c h t ist d i e Straftat, w e n n der Täter n a c h s e i n e m V o r s t e l l u n g s b i l d v o m S a c h verhalt unmittelbar z u r V e r e i t e l u n g , z . B . zur T ä u s c h u n g d e s R e c h t s p f l e g e o r g a n s ansetzt.
13
Dies ist noch nicht der Fall, wenn eine falsche Aussage versprochen oder verabredet 3 ^ wird, wenn der Zeuge zu einer falschen Aussage aufgefordert wird 3 ^ oder wenn ein Zeuge dem Angekl. eine falsche Erklärung vor der Hauptverhandlung aushändigt (BGH StV 1992 S. 146), sondern erst dann, wenn der Zeuge mit der Aussage beginnt (OLG Köln StV 2003 S. 15; OLG Frankfurt NStZ-RR 2003 S. 238). Leider hält der BGH diese Abgrenzung nicht durch, wenn es nicht um eine Bestrafung wegen Strafvereitelung geht, sondern um prozessuale Konsequenzen aus rechtswidrigem Verteidigerhandeln. In diesem Zusammenhang wird bereits der Versuch der Strafvereitelung im Einwirken auf den Zeugen 3 7 und in der Benennung eines präparierten Zeugen (BGH StV 1987 S. 195) gesehen. Auffallend ist, dass der BGH in diesen Entscheidungen nicht von der konkreten Gefährdung des Rechtsguts vom Vorstellungsbild des Täters her argumentiert, sondern sich mit dem Hinweis begnügt, der Täter habe seinerseits alles Erforderliche getan, um den Erfolg herbeizuführen. bb) Hält der Täter e i n nicht strafbares V e r h a l t e n für e i n e r e c h t s w i d r i g e Vortat, s o liegt nur ein Wahnverbrechen vor.38
14
c c ) V o l l e n d e t ist d i e Tat m i t Eintritt d e s V e r e i t e l u n g s e r f o l g e s .
15
4. Vollstreckungsvereitelung,
§ 258 Abs.
2
a) Bestraft wird d a s V e r e i t e l n der V o l l s t r e c k u n g einer rechtskräftig g e g e n e i n e n anderen v e r h ä n g t e n u n d m i n d e s t e n s z u m T e i l n o c h nicht v o l l s t r e c k t e n Strafe o d e r M a ß n a h m e . - O b d i e rechtskräftige Verurteilung materiell z u R e c h t e r f o l g t ist, hat das Gericht nicht z u prüfen. Beispiele: Gefangenenbefreiung; Beiseiteschaffen von Vollstreckungsakten; Verbüßung der Freiheitsstrafe für einen anderen. Bei der Zahlung einer Geldstrafe durch einen anderen wird die Auffassung vertreten, es liege eine Vereitelung vor, gleichgültig, ob die Zahlung unmittelbar durch den Dritten erfolgt 3 9 oder der Dritte dem Verurteilten das Geld zur Zahlung schenkt. Dem kann nicht gefolgt werden. Voraussetzung der Beitreibung, d.h. der Vollstreckung einer Geldstrafe, ist, dass der Verurteilte die Strafe nicht zahlt oder nicht zahlen kann. Zahlt der Verurteilte fristgerecht, so fehlt es an der nötigen Voraussetzung einer zulässigen Vollstreckung. Erst wenn die Voraussetzungen für eine Beitreibung gegeben sind, liegt daher überhaupt eine Vollstreckungssituation vor. Vollstreckungsvereitelung hinsichtlich einer Geldstrafe ist demgemäss die Ver- oder Behinde-
34
Vgl. auch HOYER SK II, § 258 Rdn. 34; SCH/SCH/LENCKNER § 258 Rdn. 22. - Differenzierend SCHROEDER R u d o l p h i - F S , S. 2 9 1 f.
35
BGHSt 31 S. 10 mit Anm. BEULKE NStZ 1982 S. 330 f; OLG Bremen JR 1981 S.474 mit Anm. MÜLLER-DIETZ S. 475 ff; LENCKNER NStZ 1982 S. 401 ff; OLG Düsseldorf NJW 1988 S. 84.
36
KG JR 1984 S. 250; OLG Frankfurt StV 1992 S. 360 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 258/8.
37
BGH NJW 1983 S. 2712 mit Anm. BEULKE NStZ 1983 S. 504 f.
38
Vgl. BayObLG NJW 1981 S. 772 mit Anm. STREE JR 1981 S. 297 ff.
3 9
S o z . B . O L G F r a n k f u r t S t V 1 9 9 0 S . 112 m i t a b l . A n m . NOACK S. 113 f, OTTO J K 9 0 , S t G B § 2 5 8 / 6 ; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 6 8 R d n . 2 0 ; HILLENKAMP L a c k n e r - F S , S. 4 6 6 ; KÜPPER B . T . , II § 2 R d n . 14;
MÜLLER-DIETZ Jura 1979 S. 246; Ruß LK, § 258 Rdn. 24 a; SCHOLL NStZ 1999 S. 603 ff. 519
16
§96
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
rung des Beitreibens der Geldstrafe. Keineswegs ist es gerechtfertigt, Vollstreckung hier umfassender als Realisierung des gerichtlich verhängten Straftlbels zu verstehen.4*^
17 b) Zum subjektiven Tatbestand vgl. Rdn. 12. 5. Strafvereitelung zu eigenen Gunsten, Abs. 5 18 a) Wer als Täter einen gegen ihn selbst gerichteten Strafanspruch vereitelt, erfüllt nicht den Tatbestand der Abs. 1, 2: „... daß ein anderer...". b) Dass aber auch derjenige, der Dritte zur Vereitelung eines gegen ihn gerichteten Strafanspruchs anstiftet oder ihnen bei der Tat Beihilfe leistet, straffrei bleibt, stellt Abs. 5 klar. - Allerdings lehnt der BGH die Anwendung des Abs. 5 ab, wenn Vortat und Vereitelungshandlung im Verhältnis von vorheriger Zusage eines falschen Alibis und der späteren Einlösung der Zusage stehen.41 Das ist nur zutreffend, wenn die Zusage des falschen Alibis nicht als Beihilfe bestraft werden kann, denn sonst stehen Zusage und Einlösung der Zusage sachlich im Verhältnis der vor- und mitbestraften Nachtat. c) Straffrei bleibt nur die Strafvereitelung als solche, nicht aber eine damit zusammenfallende Straftat, wie z.B. ein Betrug, eine Anstiftung zum Meineid o.Ä. 6. Strqfvereitelung zugunsten eines Angehörigen, Abs. 6 19 Straffrei bleibt auch die Strafvereitelung, die der Täter ausschließlich oder doch zugleich zugunsten eines Angehörigen begeht, Abs. 6. Kenntnis der Angehörigeneigenschaft ist nicht erforderlich, es kommt allein auf die objektive Lage an. 42
II. Strafvereitelung im Amt, § 258 a 20 1. Die Vorschrift ist gegenüber §258 ein durch die besondere Tätereigenschaft qualifizierter Tatbestand. - Die Tat ist unechtes Amtsdelikt. Die besondere Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2. 21 2. Täter kann nur ein Amtsträger sein, der zur Mitwirkung bei dem Straf- oder Anordnungsverfahren oder zur Mitwirkung bei der Vollstreckung der Strafe oder Maßnahme berufen ist. Täter können z.B. sein: Richter; Staatsanwälte; Polizeibeamte; Geschäftsstellenbeamte der Gerichte; Bahnpolizeibeamte usw. Die Tathandlung wird oft in einem Unterlassen, z.B. Nichtweiterleiten einer Anzeige, Nichtbearbeitung einer Akte o.Ä. liegen. Bei privaten Kenntnissen des Amtsträgers von der Vortat besteht nur bei schweren, die Öffentlichkeit besonders berührenden Straftaten eine Pflicht zur weiteren Verfolgung der Angelegenheit. 43
40
Vgl. auch BGHSt 37 S. 226 mit zust. Anm. GEPPERT JK 91, StGB § 258/7, KREY JZ 1991 S. 889 f, MÜLLER-CHRISTMANN J u S 1 9 9 2 S. 3 7 9 f f , u n d a b l . A n m . HILLENKAMP J R 1 9 9 2 S. 7 4 f f , WODICKA
NStZ 1991 S. 487 f; ARZT/WEBER B.T., § 26 Rdn. 12; ENGELS Jura 1981 S. 581; A. SCHRÖDER Vortat, S. 159. 41
BGHSt 43 S. 356 mit Anm. Geerds NStZ 1999 S. 31 f; GUBITZ/WOLTERS NJW 1999 S. 764 f; JOERDEN J u S 1 9 9 9 S . 1 0 6 3 f f ; OTTO J K 9 8 , S t G B § 2 5 8 / 1 2 ; SEEBODE J Z 1 9 9 8 S. 7 8 1 f f .
42
So auch BAUMANN/WEBER/MITSCH Strafrecht, A.T., 10. Aufl. 1995, § 24 Rdn. 6; Ruß LK, § 258 Rdn. 37. - A.A. LACKNER/KÜHL § 258 Rdn. 17; STREE JuS 1976 S. 141; WARDA Jura 1979 S. 292.
43
So z.B. BGHSt 5 S. 225; 12 S. 277; OLG Karlsruhe NStZ 1988 S. 503 mit Anm. GEERDS JR 1989 S. 212; BRAMMSEN Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 194 f; Gös-
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§96
3. Das Angehörigenprivileg, § 258 Abs. 6, gilt im Rahmen des § 258 a nicht, wohl aber das 22 Selbstbegünstigungsprivileg des § 258 Abs. 5. - Gleichfalls gilt das „Richterprivileg" im Sinne des § 339, wonach eine Verurteilung wegen eines Verhaltens bei Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache nach anderen Vorschriften nur möglich ist, wenn die Voraussetzungen des § 339 vorliegen.44
III. Sabotage gerichtlicher u. a. Entscheidungen Sachlich in die Nähe der Strafvereitelung gehören die Fälle der Sabotage gerichtlicher u. a. 23 Entscheidungen, die die Wirksamkeit gerichtlich angeordneter Maßnahmen gefährden. 1. Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht, § 145 a Bestraft wird als echtes Sonderdelikt der Verstoß gegen Weisungen gemäß § 68 b Abs. 1, 24 wenn sich aus dem Verstoß gegen die Weisung in Verbindung mit dem Gesamtverhalten des Verurteilten die Wahrscheinlichkeit ergibt, dass er sich nicht mehr zu einer die Strafgesetze respektierenden Lebensführung motivieren lässt. - Die Tätereigenschaft kennzeichnet die Rechtsgutsbezogenheit der Tatsituation, nicht jedoch eine besondere Pflichtenposition. Sie ist daher kein persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1. 2. Verstoß gegen das Berufsverbot, § 145 c Bestraft wird jede Handlung, die sich als die untersagte Berufs- oder Gewerbeausübung 25 darstellt. - § 145 c betrifft nur die Berufsverbote nach § 70 StGB und § 132 a StPO, die überdies hinreichend bestimmt sein müssen 45 - Für Verbote der Verwaltungsbehörden greifen die Vorschriften der GewO (§ 146 Abs. 1 Nr. 6 i. Verb, mit § 35 Abs. 1) ein. Der Irrtum über die Wirksamkeit des Berufsverbots ist Tatbestandsirrtum.46 3. Unerlaubter Umgang mit gefährlichen Hunden, §143 Bestraft wird der Verstoß gegen landesrechtliche Verbote im Umgang mit gefahrlichen 26 Hunden, Abs. 1, sowie die Hundehaltung ohne Genehmigung, Abs. 2. 47
SEL/DÖLLING B.T.l, § 68 Rdn. 30; OTTO JuS 1987 S. 761. - Einschränkend: BVerfG JZ 2004 S. 305 mit Anm. SEEBODE S. 305 ff; BGHSt 38 S. 388,391 f mit Anm. BERGMANN StV 1993 S. 518 ff, LAUBENTHAL J u S 1 9 9 3 S . 9 0 7 f f , MLTSCH N S t Z 1 9 9 3 S . 3 8 4 f f , RUDOLPH! J R 1 9 9 5 S . 1 6 7 flf; B G H N S t Z
2000 S. 147 mit Anm. Otto JK 00, StGB § 13/29: Schwerwiegende Delikte, die während der Dienstausübung fortwirken. - A.A. KRAUSE JZ 1984 S. 548 ff; LAUBENTHAL Weber-FS, S. 119 ff; WAGNER Amtsverbrechen, 1975, S. 294: Keine Verfolgungspflicht. - ARTKÄMPFER Krim. 2001 S. 433 f: Nur bei Verbrechen. - Z. T. wird nur auf Verbrechen, im Sinne des § 138 abgestellt, vgl. dazu GEPPERT JK 99, StGB § 258/13. 44
Vgl. BGHSt 10 S. 294; 32 S. 364 f, 41 S. 255; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005 S. 13; KUHLEN NK, § 3 3 9 R d n . 9 1 ff; SCHROEDER G A 1 9 9 3 S . 3 8 9 .
45
Vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1995 S. 446 mit Anm. ST. CRAMER NStZ 1996 S. 136, STREE NStZ 1995 S. 447 f.
46
BGH NJW 1989 S. 1939.
47
§ 143 Abs. 1 wurde vom BVerfG filr verfassungswidrig erklärt, weil die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht vorliegen: BVerfG NVwZ 2004 S. 603; vgl. auch COELLN NJW 2001 S. 2836. - Die gleiche Rechtslage erkennt das OLG Hamburg für § 143 Abs. 2: OLG Hamburg NStZ-RR 2004 S. 231 f (Vorlagebeschluss). - Zu den Einzelheiten des Tatbestands: KRÜGER JR 2002 S. 1 ff.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
IV. Geldwäsche, Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte §261 1. Geldwäsche und Organisierte Kriminalität 26 Unter Geldwäsche ist die Einschleusung von Vermögensgegenständen aus Organisierter Kriminalität in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf zum Zweck der Tarnung zu verstehen. Der Wert soll erhalten, zugleich aber dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzogen werden. Da das StGB nur unzulängliche Möglichkeiten hatte, die Geldwäsche zu bekämpfen 48 , und in Umsetzung internationalen und europäischen Rechts 49 hat der Gesetzgeber den Tatbestand der Geldwäsche in das OrgKG v. 15. 7. 1992, BGBl I, S. 1302, aufgenommen und in das StGB eingefugt. Mit diesem Tatbestand und dem GeldwäscheG v. 25. 10. 1993, BGBl I, S. 1770, meinte der Gesetzgeber hinreichende rechtliche Grundlagen zur effektiven Bekämpfung der Geldwäsche geschaffen zu haben. - Der bisherige Erfolg ist allerdings eher dürftig. 50 2. Das geschützte Rechtsgut 27 § 261 schützt die inländische Rechtspflege in ihrer Aufgabe, die Wirkung von Straftaten zu beseitigen. Diesem ftlr Abs. 1 anerkannten Schutzzweck wird für Abs. 2 der Schutz der durch die Vortat verletzten Interessen hinzugefügt. 5 ' - Diese Ausweitung des Rechtsgüterschutzes gegenüber dem Abs. 1 ist weder notwendig noch sachgerecht. Sie macht den Abs. 2 vielmehr zu einem in Angriffs- und Schutzrichtung farblosen Delikt, dessen „Rechtsschutzverdoppelung" kriminalpolitisch Uberflüssig ist; vgl. zur identischen Problematik des § 257 unter § 57 Rdn. 1.
3. Der Verschleierungstatbestand, Abs. 1 a) Der Täter 28 Nach der ursprünglichen Fassung des Gesetzes war klargestellt, dass der Vortäter nicht Täter der Geldwäsche sein konnte. Im Wege der sog. Postpendenzfeststellung hatte der BGH allerdings bei Zweifeln an einer mittäterschaftlichen Beteiligung an der Vortat die Verurteilung wegen Geldwäsche ermöglicht. Damit wurde der Gesetzeswortlaut missachtet, denn auch der Mittäter der Vortat ist Täter der Vortat. 52 Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4.5.1998 (BGBl. I, S. 845) hat der Gesetzgeber die Strafbarkeit wegen Geldwäsche auch auf den Vortäter erstreckt. 48
Zu den unzulänglichen Möglichkeiten des früheren Rechts, Geldwäsche zu bekämpfen: ARZT NStZ 1990 S. 2; FORTHAUSER Geldwäscherei de lege lata et ferenda, 1992, S. 18 ff; LÖWE-KRAHL wistra
49
Zur Umsetzung internationalen und europäischen Rechts: CARL/KLOS Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und ihre Anwendung in der Praxis, 1994, S. 49 ff. - Eingehend zu Erscheinungsformen, Bekämpfungsansätzen und Fehlschlägen der Bekämpfung der Geldwäsche: SUENDORF Geldwäsche, 2001.
50
Überblick über die bisherigen Stellungnahmen zu § 261 bei MEYER/HETZER NJW 1998 S. 1018, Fn. 6. - Hofinungsfroh beurteilt die Situation KILCHLING wistra 2000 S. 245 ff.
1 9 9 3 S. 123, OTTO J u r a 1 9 9 3 S. 3 2 9 f.
51
Vgl. BT-Drucks. 12/989, S. 27; BURR Geldwäsche, 1995, S. 26 f; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 68 Rdn. 2; LACKNER/KÜHL § 2 6 1 R d n . 1; MITSCH B . T . I I / 2 , § 5 R d n . 3; RENGIER B . T . l , § 2 3 R d n . 4 .
52
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Vgl. BGH NStZ 1995 S. 500 mit Anm. KÖRNER wistra 1995 S. 311 f, OTTO JK 96, StGB § 261/1; BGH wistra 1998 S. 25. - BR-Drucks. 554/96, S. 1, 12 f.
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Da die Tathandlungen des Abs. 1 im Hinblick auf den Vortäter typische Selbstbegünstigungshandlungen sind, die Interpretation des § 261 als straflose Nachtat nach einem Individualdelikt jedoch nicht sachgerecht sein kann, hat der Gesetzgeber in Anlehnung an die Konstruktion der straflosen Nachtat in Abs. 9 einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Beteiligte an der Vortat geschaffen.
b) Das Tatobjekt Tatobjekt sind Gegenstände, die aus bestimmten Straftaten herrühren. Der Begriff umfasst alle Rechtsobjekte, d. h. „Sachen und Rechte, also zum Beispiel bewegliche und unbewegliche Sachen, Edelmetalle und -steine, Grundstücke und Rechte an solchen, Geld (Bargeld, Buchgeld in inländischen und ausländischen Währungen), Wertpapiere und Forderungen" 53 , aber auch know how und Computerprogramme lassen sich mühelos unter dem Begriff erfassen. 54 Diese Gegenstände müssen aus einer in Abs. 1 S. 2 genannten rechtswidrigen Tat herrühren. - Ergänzt wird der Katalog der Vortaten durch Abs. 8. Danach reichen im Ausland begangene Taten der in Abs. 1 bezeichneten Art als Anknüpfiingstaten aus, wenn sie am Tatort mit Strafe bedroht sind. Mit dem Begriff des Herrührens wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass auch eine Kette von Verwertungshandlungen erfasst wird, bei welcher der ursprüngliche Gegenstand unter Beibehaltung seines Wertes durch einen anderen ersetzt wird. Er war sich der relativen Unbestimmtheit des Begriffs bewusst, denn er betont, dass bei der Auslegung des Begriffs zu beachten sei, dass einerseits ein Interesse besteht, den Zugriff nicht schon nach einem Waschvorgang zu verlieren, andererseits der Rückgriff aber dort seine Grenze finden müsse, wo der Wert des in Betracht kommenden Gegenstandes durch Weiterverarbeitung im Wesentlichen auf eine selbständige spätere Leistung Dritter zurückzuführen ist. 55 Danach rührt ein Gegenstand aus einer Katalogtat her, wenn - entsprechend der Bestimmung des Vorteils im Sinne des § 257; dazu vgl. § 57 Rdn. 10 f - zwischen ihm und der Vortat ein wirtschaftlicher Zusammenhang besteht. 56 - Dieser Zusammenhang ist auch vorhanden, wenn in einen Umwandlungsvorgang nur z.T. inkriminierte Vermögenswerte Eingang gefunden haben. 568 c) Die Tathandlungen Die Tathandlungen umschreiben Verhaltensweisen, die den Zugriff der Strafverfolgungsorgane auf Gegenstände aus den genannten Vortaten verhindern oder erschweren. Tathandlungen sind das Verbergen der Gegenstände, d.h. das Verheimlichen vor dem Zugriff, das Verschleiern der Herkunft, d.h. das irreführende Verhalten, mit dem die wirklichen wirtschaftlichen Verhaltensweisen verdeckt werden sollen, sowie das Vereiteln oder Gefährden der Ermittlung der Herkunft, der Auffindung, des Verfalls, der Einziehung 53
BT-Drucks. 12/989, S. 27.
54
Vgl. CEBULLA wistra 1999 S. 286.
5 5
B T - D r u c k s . 1 2 / 9 8 9 , S. 2 7 ; i m E i n z e l n e n v g l . ALTENHAIN N K , § 2 6 1 R d n . 5 4 f f ; ARZT J Z 1 9 9 3 S. 9 1 3 f f ; BARTON N S t Z 1 9 9 3 S. 1 6 3 ; BOTTKE w i s t r a 1 9 9 5 S. 9 0 f; LAMPE J Z 1 9 9 4 S. 1 2 7 ;
LANG/SCHWARZ/KIPP Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche, 1999 S. 176; LEIP Der Straftatbestand der Geldwäsche, 2. Aufl. 1999, S. 66 ff, 92 ff; OTTO Jura 1993 S. 331. 56
Vgl. dazu auch OLG Karlsruhe NJW 2005 S. 768 ff; BURR Geldwäsche, S. 66 ff; FLATTEN Zur Strafbarkeit von Bankangestellten bei der Geldwäsche, 1996, S. 76 f; LEIP Straftatbesland, S. 101; LEIP/HARDTKE wistra 1997 S. 282 ff; Otto Jura 1993 S. 331. - Der geschäftsübliche Erwerb schließt das Herrühren nicht aus - anders aber SPISKE Pecunia olet?, 1998, S. 123 ff, 157 -, doch ist hier Abs. 6 von besonderer Bedeutung; vgl. auch Rdn. 37. 56a VGL d a z u BT-Drucks. 12/3533, S. 12; BT-Drucks. 11/7663, S. 26; OLG Karlsruhe NJW 2005 S. 769.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
(§§ 73 ff StGB) oder der Sicherstellung (§§ 111 b ff StPO) der Gegenstände. - Das Vereiteln ist Erfolgsdelikt, das Gefährden konkretes Gefährdungsdelikt. 4. Der Erwerbs-, Besitz- und Verwendungstatbestand, Abs. 2 a) Täter und Tatobjekt 33 Durch die Verweisung auf „einen in Abs. 1 bezeichneten Gegenstand" ist klargestellt, dass das Tatobjekt aus einer der dort genannten rechtswidrigen Taten eines anderen herrühren muss. Der Vortäter ist daher auch in Abs. 2 als Täter nicht ausgeschlossen, im Übrigen gelten die entsprechenden Ausfuhrungen tinter Rdn. 29 ff. b) Die Tathandlungen 34 Tathandlung der Nr. 1 ist, dass der Täter den bezeichneten Gegenstand sich oder einem anderen verschafft. Das Gesetz knüpft damit bewusst an die entsprechende Formulierung des § 259, doch nicht an den Strafgrund des § 259 an. Während es dort um die Perpetuierung einer rechtswidrigen Besitzlage im Einverständnis mit dem Vortäter geht, kommt es hier allein auf die Perpetuierung einer bestimmten Vermögenslage an. Ein Handeln im Einverständnis mit dem Vortäter oder in dessen Interesse ist daher nicht erforderlich. Es ist sogar begrifflich ausgeschlossen, wenn der Vortäter als Täter den inkriminierten Gegenstand einem Dritten verschafft. Demgemäß verschafft der Täter sich oder einem Dritten die Sache, indem er für sich oder den Dritten die tatsächliche, selbständige Verfügungsgewalt begründet. 57 35 Durch Nr. 2 sollen neben dem Verwahren des Gegenstandes vor allem die vielfaltigen Geldgeschäfte erfasst werden. Verwenden ist daher jede wirtschaftliche Nutzung des Gegenstandes, insbesondere Verfugungen über den Gegenstand als eigenen oder zu eigenen Zwecken. 36 Objektiv eingeschränkt wird der Bereich der Strafbarkeit des Abs. 2 durch Abs. 6: Die Tat ist nicht strafbar, wenn zuvor ein Dritter den Gegenstand erlangt hat, ohne hierdurch eine Straftat zu begehen. Damit wird die Kette der strafbaren Handlungen bereits durch geschäftsübliche Tätigkeiten, insbes. die Einzahlung des Betrages auf ein Bankkonto unterbrochen, wenn dem Geschäftspartner, z. B. dem Bankangestellten, hinsichtlich der Herkunft des Geldes nicht einmal Leichtfertigkeit vorzuwerfen ist; vgl. dazu MAIWALD Hirsch-FS, S. 637 ff. - Das begrenzt den Anwendungsbereich des § 261 Abs. 2 erheblich. Gleichwohl sieht der BGH darin keine beunruhigende Strafbarkeitslücke begründet, weil oft § 261 Abs. 1 und Abs. 2 durch die gleiche Tathandlung erfüllt werden, und der BGH dem Abs. 2 bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 6 keine Sperrwirkung im Hinblick auf Abs. 1 zuerkennt.5®*
Subjektiv eingeschränkt wird der Tatbestand durch die Klausel der Nr. 2: Der Tatbestand setzt voraus, dass der Täter die illegale Herkunft des Gegenstandes zu dem Zeitpunkt gekannt hat, zu dem er ihn erlangt hat; spätere Kenntnis ist unschädlich. 5. Der subjektive Tatbestand 37 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter Vorsatz genügt. - Der Täter muss die Vortat nicht in ihren konkreten Einzelheiten kennen, es genügt, dass er weiß, dass der Gegenstand aus einer der in Abs. 1, 8 genannten Taten herrührt. 57
Vgl. auch ALTENHAIN NK, § 261 Rdn. 116; FAHL Jura 2004 S. 162; LACKNER/KÜHL § 261 Rdn. 8; MITSCH B.T.II/2, § 5 Rdn. 33; OTTO Jura 1993 S. 331; SPISKE Pecunia, S. 133. - A.A. BT-Drucks. 12/989, S. 27; BVerfG NJW 2004 S. 1306; BURR Geldwäsche, S. 82; FLATTEN Strafbarkeit, S. 80; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 68 Rdn. 36; WESSELS/HILLENKAMP B.T./2, Rdn. 898.
58
Vgl. BGH StV 2001 S. 506, 509; dazu auch OLG Karslruhe NJW 2005 S. 769.
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6. Der Versuch Der Versuch ist strafbar, Abs. 3.
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7. Strafschärfung in besonders schweren Fällen, Abs. 4 Als Regelbeispiele besonders schwerer Fälle nennt das Gesetz gewerbsmäßiges - dazu § 41 39 Rdn. 21 - Handeln und das Handeln als Mitglied einer Bande - dazu § 41 Rdn. 63. 8. Ausdehnung der Strafbarkeit auf leichtfertiges Handeln, Abs. 5 Abs. 5 dehnt die Strafbarkeit aus auf den Fall, dass der Täter die Herkunft des Tatge- 40 genstandes aus den in Abs. 1 genannten rechtswidrigen Taten leichtfertig verkennt, im übrigen aber vorsätzlich handelt. - Leichtfertiges Verhalten ist eine gravierende Form bewusster oder unbewusster Fahrlässigkeit, die der „groben Fahrlässigkeit" des Zivilrechts entspricht. Die Herkunft des Gegenstandes aus einer Katalogtat muss sich dem Täter geradezu aufdrängen und er dennoch handeln, weil er dies aus grober Unachtsamkeit oder Gleichgültigkeit außer Acht lässt. 59 9. Begrenzung des Tatbestands gegen seinen Wortlaut In einer viel beachteten Entscheidung lehnte das HansOLG Hamburg die Anwendung des 42 § 261 Abs. 2 Nr. 1 auf die Annahme eines Honorars durch einen Verteidiger selbst für den Fall ab, dass der Verteidiger die Herkunft der Mittel gekannt habe. Die streng am Wortlaut des Gesetzes orientierte Auslegung der Vorschrift würde nach Auffassung des Gerichts einen nicht erforderlichen, unverhältnismäßigen Eingriff sowohl in das Recht des Strafverteidigers auf freie Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 GG als auch in das nach § 137 StPO in Verb, mit Art. 6 III c EMRK sowie Art. 2 Abs. 1, 2 und Art. 20 Abs. 3 GG bestehende und verfassungsrechtlich verbürgte Recht des Beschuldigten, sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers zu bedienen, bedeuten. - Diese Auffassung ist teils auf Ablehnung, teils auf Zustimmung gestoßen. Der BGH folgte ihr nicht, denn nach seiner Ansicht wurde hier das Recht auf Verteidigung mit dem auf Wahlverteidigung gleichgesetzt und der Gesetzeswortlaut überschritten. 60 - Das BVerfG fand dann zu einer einschränkenden Auslegung des § 261 Abs. 2 Nr. 1 dahin, dass die Annahme eines Honorars oder eines Honorarvorschusses durch einen Strafverteidiger nur dann tatbestandsmä59
Vgl. BGHSt 43 S. 158, 168 mit ANM. ARZT JR 1999 S. 80 f; OTTO JK 98, StGB § 261/2.
60
Vgl. dazu BGHSt 47 S. 68, 72 ff; ALTENHAIN NK, § 261 Rdn. 126 ff; ARZT/WEBER B.T., § 29 Rdn. 49; BURGER/PEGLAU wistra 2000 S. 161 ff; HEFENDEHL Roxin-FS, S. 149 ff; HETZER wistra 2000 S. 281 ff; KATHOLNIGG NJW 2001 S. 2044; DERS. JR 2002 S. 30 ff; KEPPELER DRiZ 2003 S. 97 ff; OTTO JZ 2001 S. 439 ff; NEUHEUSER NStZ 2001 S. 647 ff; PEGLAU wistra 2001 S. 461 ff; Reichert NStZ 2000 S. 3 1 6 ff; SCHAEFER/WiTTiG N J W 2 0 0 0 S. 1 3 8 8 ff; SCHERP N J W 2 0 0 1 S. 3 2 4 2 f f ; TRÖNDLE/FISCHER §
261 Rdn. 32 ff. Z u r G e g e n a n s i c h t : H a n s O L G N J W 2 0 0 0 S. 6 7 3 ; AMBOS J Z 2 0 0 2 S. 7 0 f f ; BERNSMANN S t V 2 0 0 0 S. 4 0
ff; DERS. Liiderssen-FS, S. 638 ff; BEULKE Rudolphi-FS, S. 401 ff; DIONYSSOPOULOU Der Tatbestand der Geldwäsche, 1999, S. 136 ff; FELSCH NJW-Sonderheft fur G. Schäfer 2002, S. 24 ff; V. GALEN StV 2000 S. 575 ff; GEPPERT JK 00, StGB § 261/3; GÖTZENS/SCHNEIDER wistra 2002 S. 121 ff; GRÜNER/WASSERBURG GA 2000 S. 430 ff; HAMM NJW 2000 S. 636 ff; HORBRECHER Geldwäsche (§ 261 StGB) durch Strafverteidiger?, 2001, S. 147 ff; LÜDERSSEN StV 2000 S. 205 ff; MATT GA 2002 S. 137 f f ; DERS. R i e ß - F S , S. 7 3 9 ff; MÜTHER J u r a 2 0 0 1 S. 3 1 8 ff; NESTLER S t V 2 0 0 1 S. 6 4 1 ff; SCHMIDT J R
2001 S. 448 f; ZUCK NJW 2002 S. 1397 f. - Zu dem von BARTON StV 1993 S. 161 ff, 163, gemachten Vorschlag, Geschäfte des täglichen Lebens aus dem Tatbestand herausnehmen vgl. DIONYSSOPOULOU, Tatbestand, S. 130 ff.
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§97
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
ßig ist, wenn der Strafverteidiger zum Zeitpunkt der Annahme des Geldes sicher weiß, dass das Geld aus einer Katalogtat stammt. 603 10. Strafaufhebung und Strafmilderung, Abs. 9, 10 43 a) Die Vergünstigung der persönlichen Strafaufhebung, Abs. 9, und der persönlichen Strafmilderung, Abs. 10, entsprechend § 31 Nr. 1 BtMG, sollen Anreize zur Aufklärung strafbarer Geldwäsche, der Vortat und zur Sicherstellung des gewaschenen Gegenstandes geben. Die Vergünstigung des Abs. 9 kommt nicht nur dem Anzeigenerstatter (z.B. dem Geschäftsleiter eines Kreditinstituts), sondern auch dem Veranlasser (z.B. einem Angestellten der Bank, der den Geschäftsleiter zur Anzeige veranlasst) zugute. Voraussetzung ist aber, dass die Anzeige freiwillig erstattet wird und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem die Tat weder ganz oder z.T. entdeckt ist oder aber, wenn die Entdeckung erfolgt ist, der Täter dieses nicht wusste und bei verständiger Würdigung der Sachlage nicht damit rechnen musste. Ein Vorsatztäter nach Abs. 1 oder Abs. 2 erlangt die Vergünstigung nach Abs. 9 nur, wenn er die Anzeige im Sinne des Abs. 9 erstattet oder veranlasst hat und durch die freiwillig erstattete oder veranlasste Anzeige die Sicherstellung des „bemakelten" Gegenstandes herbeigeführt hat. Bei leichtfertigem Verhalten nach Abs. 5 genügt zur Erlangung der Vergünstigung die freiwillig erstattete oder veranlasste Anzeige im Sinne des Abs. 9 Nr. 1; vgl. dazu Abs. 9 Nr. 2, der sich nur auf Abs. 1, 2, nicht aber auf Abs. 5 bezieht. 44 b) Für Personen, die wegen Beteiligung an der Vortat strafbar sind, enthält Abs. 9 einen persönlichen Strafausschließungsgrund, der konstruktiv der straflosen Nachtat nachgebildet wurde.
§ 97 Aussagedelikte I. Rechtsgut, Deliktsnatur und systematischer Überblick 1
1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut der Aussagedelikte ist die staatliche Rechtspflege, und zwar im Sinne des Schutzes des Vertrauens in die Funktion der Rechtspflegeorgane, Tatsachen zu ermitteln. Ein wenig geht der Schutz durch die Aussagedelikte über diesen Rahmen hinaus, da §§ 153, 154, insbes. aber § 156, auch falsche uneidliche und eidliche Aussagen bzw. falsche eidesstattliche Versicherungen vor bestimmten Verwaltungsbehörden und anderen staatlichen Stellen, z.B. Prüfungsstellen des Patentamts gemäß § 46 PatG, und falsche Aussagen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, § 153 Abs. 2, erfassen. Die staatliche Rechtspflege ist jedoch der wesentliche Anwendungsbereich der §§ 153 ff, und die darüber hinaus geschützte staatliche Tätigkeit steht der Rechtspflege sachlich nahe. Das rechtfertigt es, das geschützte Rechtsgut kurz als die staatliche Rechtspflege zu kennzeichnen. 6 '
6 0 a
B V e r f G N J W 2 0 0 4 S. 1 3 0 5 , 1311 ff m i t A n m . BARTON JUS 2 0 0 4 S. 1 0 3 3 ff, BUSSENIUS G e l d w ä s c h e u n d S t r a f V e r t e i d i g e r h o n o r a r , 2 0 0 4 , S 1 8 8 ff; DAHS/KRAUSE/WIDMAIER N S t Z 2 0 0 4 S. 2 6 1 ; FISCHER N S t Z 2 0 0 4 S. 4 7 3 ff; VON GAHLEN N J W 2 0 0 4 S. 3 3 0 4 ; MATT J R 2 0 0 4 S. 3 2 1 ff; RANFT J u r a 2 0 0 4 S. 7 5 9 ff; WOHLERS J Z 2 0 0 4 S. 6 7 8 ff.
61
A.A. VORMBAUM Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils, 1987, S. 139 ff, 178 ff; DERS. NK, Vor § 153 Rdn. 11 ff: Verfahrensziel des jeweiligen Verfahrens.
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Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§97
2. Die Deliktsnatur Die Rechtspflege als Institution und das Vertrauen in die Funktionsweise der Rechtspflege werden nicht erst dann beeinträchtigt, wenn aufgrund falscher Aussagen oder eidesstattlicher Versicherungen gegen einen Verfahrensbeteiligten eine sachlich unrichtige Entscheidung ergangen oder die konkrete Gefahr einer derartigen Entscheidung begründet worden ist. Schon die Tatsache, dass falsche Aussagen Grundlagen des gerichtlichen Entscheidungsprozesses werden können, untergräbt das Vertrauen in die sachgemäße richterliche Tatsachenfeststellung. Die Aussagedelikte sind demgemäss abstrakte Gefährdungsdelikte.
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3. Die Gesetzessystematik a) Aussagedelikte sind die falsche uneidliche Aussage, § 153, der Meineid und der fahrlässige Falscheid, §§ 154, 155, 163, sowie die vorsätzliche und fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt, §§ 156, 163. b) Die Teilnahme- und Täterschaftsregelungen des Allgemeinen Teils ergänzende Bestimmungen enthalten §§ 159, 160. c) Möglichkeiten der Strafmilderung und des Absehens von Strafe bieten die Vorschriften der §§ 157, 158.
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II. Das relevante Angriffsverhalten 1. Die falsche Aussage oder Versicherung an Eides Statt Geschützt wird durch die §§153 ff die staatliche Rechtspflege in ihrer Funktionsweise nicht schlechthin, sondern nur gegen falsche Aussagen oder falsche eidesstattliche Versicherungen.
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a) Die inhaltliche Bestimmung des Merkmals falsch aa) Nach der herrschenden objektiven Theorie ist eine Aussage falsch, wenn sie inhaltlich nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Gegenstand der Aussage können äußere und innere Tatsachen sein. 62
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Fall 1: Α sagt als Zeuge vor Gericht aus, Β sei am Abend des 1.3. in der Gastwirtschaft des G gewesen. Α hat eine Aussage über eine äußere Tatsache, d.h. über einen außerhalb seiner selbst liegenden Sachverhalt gemacht. Diese Aussage ist richtig, wenn Β in der Gastwirtschaft gewesen ist, und zwar selbst dann, wenn Α glaubt, Β sei in Wirklichkeit nicht dort anwesend gewesen. Die Aussage ist falsch, wenn Β am Abend des 1.3. nicht in der Gastwirtschaft gewesen ist, und zwar selbst dann, wenn Α glaubt, Β sei dort anwesend gewesen.
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V g l . B G H S t 7 S. 148; ARZT/WEBER B . T . , § 4 7 R d n . 4 0 ; GEPPERT J u r a 2 0 0 2 S. 175; GÖSSEIVDOLLING B.T.L, § 6 9 R d n . 5; HRUSCHKA/KASSER JUS 1972 S. 7 1 0 ; KREY B.T./L, R d n . 5 5 2 ; KÖPER B . T . , S. 3 3 ; KÜPPER B . T . , II § 2 R d n . 4 ff; LACKNER/KOHL V o r § 153 R d n . 3; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 7 5 R d n . 14 ff; RENGIER B . T . I I , § 4 9 R d n . 8; RUß L K , V o r § 153 R d n . 13; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . §§ 153 ff R d n . 6 ; TRÖNDLE/FISCHER § 153 R d n . 4 ; WOLF J u S 1991 S. 179 ff. - M o d i f i z i e r e n d
PAULUS Küchenhoff-GedS, 1987, S. 435 ff. - Vom Begriff der Aussage her differenzierend: STEIN Rudolphi-FS, S. 573 ff.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Fall 2: Α sagt als Zeuge vor Gericht aus, er erinnere sich, den Β am Abend des 1.3. in der Gastwirtschaft des G gesehen zu haben. In diesem Fall hat Α eine Aussage über eine innere Tatsache (das sind Wahrnehmungen, Empfindungen, Wissen, Überzeugungen o.Ä.) gemacht. Diese Aussage ist richtig, wenn Α sein gegenwärtiges Erinnerungsbild zutreffend wiedergegeben hat, gleichgültig, ob Β am 1.3. wirklich in der Gastwirtschaft war. Die Aussage ist falsch, wenn Α sein gegenwärtiges Erinnerungsbild nicht zutreffend wiedergegeben hat, und zwar unabhängig davon, ob Β am 1.3. wirklich in der Gaststätte war. 6
bb) N a c h der subjektiven Theorie ist e i n e A u s s a g e falsch, w e n n sie inhaltlich nicht d e m aktuellen V o r s t e l l u n g s b i l d und W i s s e n d e s A u s s a g e n d e n entspricht. 6 3 Konsequenzen im Fall 1: Die Aussage des Α ist richtig, wenn Α der Überzeugung ist, Β sei am Abend des 1.3. in der Gastwirtschaft gewesen, unabhängig davon, ob Β wirklich anwesend war. Die Aussage ist falsch, wenn Α in Wirklichkeit der Überzeugung ist, Β sei nicht in der Gastwirtschaft gewesen, unabhängig davon, ob Β anwesend war oder nicht. Bei der Bekundung äußerer Tatsachen kommen objektive und subjektive Theorie im Falle der Diskrepanz zwischen wirklichem Geschehen und der Vorstellung des Aussagenden von diesem Geschehen zu genau entgegengesetzten Ergebnissen. - Bei der Bekundung innerer Tatsachen hingegen besteht dieser Gegensatz nicht. Werden Wahrnehmungen, Empfindung o.Ä. unrichtig wiedergegeben, d.h. entgegen der wirklichen Wahrnehmung, Empfindung usw., so ist die Aussage nach beiden Theorien falsch, denn die Aussage bezieht sich nicht auf das Objekt der Wahrnehmung, Empfindungen o.Ä., sondern auf diese selbst. Konsequenzen im Fall 2: Genau wie nach der Beurteilung durch die objektive Theorie ist die Aussage richtig, wenn Α sein gegenwärtiges Erinnerungsbild zutreffend wiedergegeben hat; die Aussage ist falsch, wenn dies nicht der Fall ist. - Unerheblich ist es, ob Β am 1.3. wirklich in der Gaststätte war oder nicht.
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c c ) N a c h der Pflichttheorie ist die A u s s a g e falsch, m i t der der A u s s a g e n d e s e i n e p r o z e s s rechtliche Wahrheitspflicht verletzt. D a n n und nur dann sagt der A u s s a g e n d e f a l s c h aus, w e n n s e i n e A u s s a g e nicht das W i s s e n wiedergibt, das der A u s s a g e n d e bei prozessordn u n g s g e m ä ß e m Verhalten, d.h. bei kritischer Prüfung s e i n e s Erinnerungs- b z w . Wahrnehm u n g s v e r m ö g e n s , reproduzieren k ö n n t e . 6 4 Konsequenzen für Fall 1 und Fall 2: Falsch ist die Aussage, wenn Α bei situationsangemessenem Einsatz seiner Verstandeskräfte eine inhaltlich andere Aussage gemacht hätte, weil sein reproduzierbares Erinnerungsbild nicht seiner Aussage entsprach. Richtig ist die Aussage, wenn die Aussage des Α nach kritischer Überprüfung und Wahrnehmung der ihm eigenen Verstandeskräfte das ihm erreichbare Wissen, d.h. das Erinnerungsbild wiedergegeben hat, dessen Wiedergabe ihm möglich war. - Ob Β am Abend des 1.3. wirklich in der Gastwirtschaft war, ist für die Beurteilung der Aussage nur mittelbar von Bedeutung.
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b) S t e l l u n g n a h m e A u f d e n ersten B l i c k erscheint die Richtigkeit der o b j e k t i v e n Theorie evident: e i n e die Wirklichkeit z u t r e f f e n d w i e d e r g e b e n d e A u s s a g e ist offenbar u n g e e i g n e t , die R e c h t s p f l e g e
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D a z u BINDING B . T . I I 1, S. 134; GALLAS G A 1 9 5 7 S. 3 1 5 ff; NIETHAMMER D S t r R 1940 S. 161 ff; SCHAFFSTEIN J W 1938 S. 145 ff.
Eingehender entwickelt wurde die Theorie von SCHMIDHÄUSER OLG Celle-FS, S. 207 ff; im Übrigen vgl. OTTO J u S 1984 S. 162; SCHMIDHÄUSER B.T., 2 3 / 1 0 ; TRÖNDLE/FISCHER § 153 R d n . 5. - In d e r Sa-
che nahe, lediglich im Maßstab differenzierend: die modifizierte objektive Theorie („Wahrnehmungstheorie") von MÜLLER Falsche Zeugenaussage und Beteiligungslehre, 2000, S. 82 f; DERS. MK, § 153 R d n . 5 0 ff; RUDOLPHI S K II, V o r § 153 R d n . 4 0 ff; VORMBAUM N K , § 153 R d n . 80 ff: F a l s c h ist d i e
Aussage, wenn sie nicht die „Wahrnehmung im Zeitpunkt des relevanten Vorgangs" wiedergibt (MÜLLER). - De lege ferenda plädiert KARGL GA 2003 S. 791 ff für die Ersetzung der falschen durch die unwahrhaftige Aussage. 528
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zu gefährden. Der wirksame Schutz des Rechtsguts scheint daher für die objektive Theorie zu sprechen und dieser kriminalpolitischen Vorrang zu gewähren. Darüber hinaus wird als systematisches Argument geltend gemacht, allein die objektive Theorie ermögliche eine sachgerechte Anwendung der §§ 160, 163. Eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Argumenten zeigt jedoch, dass die objektive Theorie sowohl von ihren logischen Voraussetzungen als auch unter rechtsdogmatischen, kriminalpolitischen und gesetzessystematischen Aspekten durchgreifenden Einwänden ausgesetzt ist: aa) Jede Aussage - dieses Argument hat bereits B I N D I N G geltend gemacht - kann stets nur 9 eine „Tatsache des Innenlebens", ein von menschlicher Unvollkommenheit im räumlichen Erfassen und Bewahren beeinflusstes Vorstellungsbild wiedergeben, weil derjenige, der aussagt und schwört, immer nur das Bild des äußeren Vorgangs offenbaren kann, das er in seinem Inneren vorfindet. 65 Die Differenzierung zwischen Aussagen über äußere und über innere Tatsachen beruht 10 demnach auf einer sachwidrigen Fiktion. Die Vorstellung, dass eine Aussage über eine äußere Tatsache zur Aussage über eine innere Tatsache wird, nur weil der Aussagende erklärt, wie er zu der konkreten Aussage kommt, ist offensichtlich falsch, denn die Aussage selbst kann durch eine derartige Erklärung in ihrem Wesen nicht verändert werden. Gleichgültig, ob eine entsprechende Erklärung abgegeben wird oder nicht: der Aussagende kann ausnahmslos nur wiedergeben, was zu leisten ihm seine Sinnes- und Geisteskräfte gestatten. Dies aber kann stets nur die Wiedergabe dessen sein, was er wahrgenommen hat, für richtig hält, zu wissen glaubt usw., d.h. eine innere Tatsache, mag diese selbst wiederum auf eine äußere oder innere Tatsache bezogen sein. Stets gibt der Zeuge ein subjektives Bild wieder, er kann gar keine objektiv gültigen, von ihm als Subjekt unabhängigen Feststellungen treffen, mag er dies nun ausdrücklich erwähnen oder nicht. bb) Nun ließe sich die tatsächliche Unmöglichkeit einer über die menschliche Lei- 11 stungsfähigkeit hinausgehenden Bekundung im rechtlichen Bereich mit einer Fiktion überbrücken, wenn so der angestrebte Rechtsgüterschutz besser realisiert werden könnte. Die insoweit möglich Fiktion erweist sich jedoch rechtsdogmatisch als sachwidrig, denn 12 sie missachtet die prozessuale Rollenverteilung in den hier relevanten Beweiserhebungsund Beweisverwertungsverfahren: Der Richter (oder die sonstigen Vernehmungspersonen), nicht aber der Zeuge hat die Aufgabe, den wirklich geschehenen Sachverhalt aufzudecken und darzulegen. Der Zeuge ist insofern nur ein Mittel der Aufklärung unter anderen, denn der Richter bildet seine Überzeugung aufgrund einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Beweise. Die Grundlage dieser Wertung wird aber verfälscht, wenn der Aussagende sich gar nicht nach Kräften bemüht, sein eigenes Vorstellungsbild wiederzugeben oder sogar bewusst einen Sachverhalt schildert, von dem er zwar meint, dass er dem wirklichen Geschehen entspreche, der aber seine eigenen Wahrnehmungen nicht enthält. Der richterlichen Überzeugungsbildung, auf der die Funktionsweise der Rechtspflege 13 wesentlich beruht, ist daher nur dann wirklich gedient, wenn der Aussagende nach kritischer Prüfung seines Erinnerungsvermögens sein Vorstellungsbild oder Wissen zu dem Beweisthema mit allen Zweifeln und ihm ernst erscheinenden Vorbehalten wiedergibt. Unwesentlich ist es demgegenüber, ob die Aussage damit dem wirklichen Geschehen entspricht (obj. Theorie) oder ob der Aussagende der Meinung ist, so wie er den Sachverhalt schildere, habe sich dieser wirklich zugetragen (subj. Theorie). Er genügt seiner prozes65
Vgl. BINDING B.T.II 1, S. 134; NIETHAMMER DStrR 1940 S. 171. 529
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
sualen Wahrheitspflicht allein, wenn er das beste ihm erreichbare Erinnerungs- oder Wissensbild wiedergibt. Die Würdigung dieser Aussage ist dann nicht mehr seine Aufgabe, sondern die des Gerichts. 66 14 cc) Auch kriminalpolitisch fuhren objektive und subjektive Theorie zu nicht akzeptablen Konsequenzen, denn nach diesen Theorien ist es durchaus straflos möglich, beliebige Aussagen über angebliche äußere Tatsachen zu machen sowie andere zu solchen Aussagen aufzufordern und anzuwerben, soweit man nur von der inhaltlichen Richtigkeit der Aussage überzeugt ist. Eine sich in der Bekundung einer äußeren Tatsache erschöpfende Aussage ist aber wertlos. Daher wird ein Richter, der seine Aufgabe ernst nimmt, stets aufklären, wie der Aussagende zu seinem Wissen gelangt ist. Nimmt der Richter seine Funktion in der Rechtspflege ordnungsgemäß wahr, so darf er sich niemals mit einer schlicht eine äußere Tatsache bekundenden Aussage abfinden. Daher ist der Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Theorie nur solange relevant, als sich Lehre und Rechtsprechung mit sachwidrig herbeigeführten Prozessergebnissen begnügen. Aber auch allein die subjektive Überzeugung von der Richtigkeit eines Sachverhalts rechtfertigt nicht eine entsprechende Aussage. Die Feststellung, wie das Geschehen sich wirklich ereignete, ist Aufgabe richterlicher Würdigung der Beweise. Der Aussagende hingegen soll nicht mitteilen, was er für richtig hält, sondern das ihm mögliche beste subjektive Erinnerungs- bzw. Wissensbild wiedergeben.
15 dd) Systematisch schließlich ist - unabhängig von Einzelheiten zu den §§ 163, 160; dazu Rdn. 67 f, 85 f - anzumerken, dass überhaupt nur die subjektive Theorie, wenn auch in sehr eng gestecktem Rahmen, und die Pflichttheorie die fahrlässige Falschaussage begründen können. Die Frage nach der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens kann nämlich stets nur dahin gehen, ob es dem Täter bei entsprechender Anstrengung seiner Geistesgaben möglich gewesen wäre, eine inhaltlich andere Aussage als die abgegebene zu machen. Der mögliche Bezugspunkt kann daher stets nur die erreichbare Aussage sein, nicht aber unmittelbar das wirkliche Geschehen. 2. Die Wahrheitspflicht des Aussagenden a) Der Vernehmungsgegenstand 16 Der strafrechtlich relevante Inhalt einer Aussage wird stets durch die prozessuale Wahrheitspflicht des Aussagenden begrenzt. Dieser Wahrheitspflicht unterliegen alle Angaben, die Gegenstand der Vernehmung sind: 17 aa) Im Zivilprozess wird der Gegenstand der Vernehmung zunächst durch den Beweisbeschluss förmlich bezeichnet (§§ 358, 359 ZPO). Die dort gestellten Beweisfragen bestimmen den Umfang der Zeugnispflicht. 18 bb) Im Strafprozess ist Gegenstand der Vernehmung allgemein der „Gegenstand der Untersuchung", der dem Zeugen vor seiner Vernehmung mitzuteilen ist, § 69 Abs. 1 StPO. Die Aussagepflicht - und damit die Wahrheitspflicht - umfasst hier alle Tatsachen, die mit der Tat i.S. des § 264 StPO zusammenhängen oder zusammenhängen können. 19 cc) Im Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ist Aussagegegenstand der Gegenstand des Untersuchungsauftrags.67 6 6
D a z u vgl. OTTO JUS 1984 S. 162 f; SCHMIDHÄUSER O L G C e l l e - F S , S. 2 0 7 f f ; VORMBAUM N K , § 153
Rdn. 74; WLLLMS LK, 10. Aufl., Vor § 153 Rdn. 9 FLF. 67
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Vgl. OLG Koblenz StV 1988 S. 531. - Die Rechtsstellung der Aussageperson vor dem Untersuchungsausschuss richtet sich danach, ob es sich um eine parlamentarische Untersuchung mit personellbestimmtem (Ermittlungen strafbarer Handlungen best. Personen) oder mit generell-bestimmtem Er-
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dd) Im Zivil- und Strafprozess kann der Vernehmungsgegenstand und damit die Aussage- 20 und Wahrheitspflicht durch Fragen des Gerichts und anderer Verfahrensbeteiligter erweitert werden. Auf die Erheblichkeit der Aussage für das betreffende Verfahren kommt es nicht an, doch gehören völlig belanglose Nebensächlichkeiten, die mit dem Verfahren offensichtlich nichts zu tun haben - Antwort auf die Frage des Vorsitzenden an den Zeugen, ob ihm die Wartezeit lang geworden sei - nicht zum Gegenstand der Vernehmung.68
Auch durch unzulässige Fragen können Beweisthema und Wahrheitspflicht eines Zeugen 21 erweitert werden, wenn die Fragen nicht vom Gericht zurückgewiesen werden.69 Allerdings will der BGH die Wahrheitspflicht auf die enge, wörtliche Beantwortung der Frage begrenzen und vervollständigende Angaben von der Wahrheitspflicht ausschließen.70 Spontane Äußerungen des Aussagenden, die den Vernehmungsgegenstand überschreiten, fallen nach h.M. nur dann unter die Wahrheitspflicht, wenn sie auf nachträgliche Erweiterung des Beweisthemas durch den vernehmenden Richter hin bestätigt werden.71 ee) Die oben unter Rdn. 17 und Rdn. 20 beschriebene Begrenzung des Vernehmungs- 22 gegenständes im Zivilprozess erscheint jedoch nicht sachgerecht. Es ist nicht einzusehen, warum im Zivilprozess neben den Aussagen zu dem durch den Beweisbeschluss und etwaige Fragen der Verfahrensbeteiligten bezeichneten Beweisthema nicht auch jene Äußerungen den Gegenstand der Aussage bilden sollten, die mit dem Beweisthema in so engem Zusammenhang stehen, dass sie fur das Verfahren erheblich sein könnten. Damit wird nicht an versteckter Stelle der überwundene Gegensatz zwischen erheblichen und unerheblichen Aussagen wieder für die Aussagedelikte aktualisiert. Da es nämlich auf die bloße Möglichkeit der Erheblichkeit für das Verfahren ankommt, wird lediglich eine schon oben getroffene Feststellung bestätigt: Völlig belanglose Nebensächlichkeiten, die offensichtlich mit der Sache, um die es geht, mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen o.Ä. nichts zu tun haben, die gleichsam nur Äußerungen bei Gelegenheit der Vernehmung sind, gehören nicht zum Gegenstand der Vernehmung. Sie begründen keine Falschaussage i.S. der Aussagedelikte. Der Glaube des Täters, sich durch derartige Äußerungen strafbar zu machen, ersetzt die Strafbarkeit des Verhaltens nicht, sondern stellt lediglich ein strafloses Wahndelikt dar. - In diesem Rahmen ist die Straflosigkeit sachlich auch angemessen, da eine Gefährdung der Rechtspflege ausgeschlossen ist.
b) Das Verschweigen prozesserheblichen Wissens Unbefragt muss der Aussagende bei der Mitteilung seines Wissens alle Tatsachen an- 23 geben, die unmittelbar das Beweisthema betreffen oder in so engem Zusammenhang mit ihm stehen, dass sie fur das Verfahren erheblich sein könnten. Schweigt der Aussagende insoweit pflichtwidrig, so wird seine Aussage falsch. - Nicht erfasst wird jedoch das mittlungszweck (Aufklärung eines best. Ereignisses) handelt. Im ersten Fall haben die Betroffenen eine dem Beschuldigten, im zweiten Fall eine dem Zeugen vergleichbare Position; vgl. dazu BGHSt 17, 128, 129 f; OLG Köln NJW 1998 S. 2487; DEICHMANN Grenzfälle der Sonderstraftat, 1994, S. 84; RIXEN JZ 2002 S. 435 ff; WAGNER GA 1976 S. 266. 68
Im Einzelnen dazu MULLER Zeugenaussage, S. 100 ff, 105; Ruß LK, Vor § 153 Rdn. 25.
69
Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1991 S. 1021 mit Anm. OTTO JK 92, StGB Vor §§ 153 ff/2; RUß LK, Vor § 153 Rdn. 2 9 f; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . § § 153 f f Rdn. 15. - A . A . LACKNER/KÜHL § 154 Rdn. 6; RUDOLPHI S K II, V o r § 153 Rdn. 2 3 .
70
Vgl. BGHSt 2 S. 90; BGH bei Holtz, MDR 1991 S. 1021; BRUNS GA 1960 S. 172 f, 179 f.
71
Vgl. dazu BGHSt 25 S. 244; BGH NStZ 1982 S. 464; KG JR 1978 S. 78 mit Anm. WILLMS S. 78 ff; DEMUTH N J W 1 9 7 4 S. 7 5 8 ; R u ß LK, V o r § 153 Rdn. 2 8 ; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . § § 153 f f Rdn.
15. - A.A., wenn entscheidungserhebliche Tatsachen betroffen sind: LACKNER/KÜHL § 154 Rdn. 6; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 7 5 Rdn. 2 7 ; MÜLLER Z e u g e n a u s s a g e , S. 1 0 2 f; OTTO JuS 1 9 8 4 S. 164; RUDOLPHI JR 1 9 7 4 S. 2 9 3 ff.
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Schweigen zu nichtgenannten, wenn auch prozesserheblichen Themen. Der Zeuge, der die Beweisfrage wörtlich und auch dem Sinne nach wahrheitsgemäß beantwortet, jedoch verfahrenserhebliches Wissen zu einem nicht geiragten Thema verschweigt, macht keine falsche Aussage. BGHSt 3 S. 221: Die Α wurde im Unterhaltsprozess ihres nichtehelichen Kindes darüber vernommen, ob sie in der gesetzlichen Empfängniszeit mit Β und/oder C geschlechtlich verkehrt habe. Dies verneinte sie, verschwieg aber, dass sie in dieser Zeit mit D verkehrt hatte. Ergebnis: Keine falsche Aussage. - Zwar war die Tatsache des Geschlechtsverkehrs mit D auch für den Prozess erheblich, die Beweisfrage betraf aber nur den Verkehr mit Β und C. Diese Frage hatte Α jedoch zutreffend beantwortet.
24 Zur ungefragten Äußerung von Vermutungen ist der Aussagende nicht verpflichtet.72 3. Die prozessrechtswidrige falsche Aussage a) Der anerkannte Bereich 25 Einhellig anerkannt und nach dem Gesetz zwingend ist, dass eine falsche Aussage oder eine falsche Versicherung an Eides Statt nur vor einer zur eidlichen Vernehmung bzw. zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen zuständigen Stelle erfolgen kann und dass ein Meineid die Beachtung der wesentlichen Formerfordernisse der Eidesleistung voraussetzt. Verfahrensmängel in diesem Bereich schließen ein vollendetes Aussagedelikt aus. b) Die in ihren Auswirkungen umstrittenen Verfahrensfehler 26 aa) Andere Verfahrensmängel sollen hingegen nach h.M. auf die Tatbestandsmäßigkeit falscher Aussagen keinen Einfluss haben. Gleichgültig soll es demgemäss sein, ob die Aussage unter Verletzung der Belehrungspflicht über ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht oder unter Verletzung der §§ 69, 241 Abs. 2 StPO, 396 ZPO (keine Bezugnahme auf frühere Aussagen, Erforderlichkeit der Belehrung über den Gegenstand des Verfahrens, Zurückweisung sachfremder Fragen) zustande gekommen ist. Auch die Verletzung von Vereidigungsverboten soll nur im Hinblick auf eine Strafmilderung beachtlich sein, obwohl auch § 157 Abs. 2 offensichtlich davon ausgeht, dass der Meineid eines Eidesunmündigen nicht tatbestandsmäßig ist. Verfahrensfehler sollen lediglich strafmildernd Berücksichtigung finden können.73 27 bb) Die insbesondere von RUDOLPHI begründete Gegenmeinung hingegen sieht eine falsche Aussage oder falsche eidesstattliche Versicherung nur dann als tatbestandsmäßig i.S. der §§ 153 ff an, wenn sie prozessual verwertbar ist. 74
72
BGH StV 1990S. 110.
73
Vgl. BGHSt 8 S. 187 ff; 17 S. 136; 23 S. 31 f; 27 S. 75; BGH StV 1988 S. 427; BGH wistra 1993 S. 258; BGH wistra 1999 S. 261 mit Anm. H.E. MÜLLER NStZ 2002 S. 356 f; BGH NStZ 2005 S. 34 f; OLG Karlsruhe StV 2003 S. 550 mit Anm. H.E. MÜLLER S. 506 f; OLG Frankfurt NStZ-RR 2001 S. 2 9 9 ; ARZT/WEBER B . T . , § 4 7 R d n . 1 0 5 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 7 5 R d n . 2 3 ; RENGIER B . T . I I , § 4 9 R d n . 3 6 ; TRÖNDLE/FISCHER § 153 R d n . 13. - E i n s c h r ä n k e n d : RUß L K , V o r § 153
Rdn. 29 f; SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 23,24; WILLMS JR 1978 S. 79. 74
Dazu RUDOLPHI GA 1969 S. 140 ff; DERS. SK II, Vor § 153 Rdn. 34 f; im Übrigen vgl. DEDES Schröd e r - G e d S , S. 3 3 5 ; GEPPERT J u r a 2 0 0 2 S. 1 7 5 f; HRUSCHKA/KÄSSER JUS 1 9 7 2 S. 7 1 1 ; SCHNEIDER G A 1 9 5 6 S. 3 4 1 ; VORMBAUM S c h u t z , S. 2 6 7 ff; DERS. N K , § 153 R d n . 3 2 ff. - D i f f e r e n z i e r e n d : MEINECKE
Die Auswirkungen von Verfahrensfehlern auf die Strafbarkeit nach den Aussagedelikten, 1996, S. 171 ff; MÜLLER Z e u g e n a u s s a g e , S. 114 f; DERS. Μ Κ , § 153 R d n . 3 0 .
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c) Stellungnahme Zuzugeben ist der h.M., dass auch eine prozessual unverwertbare Aussage tatsächlich das 28 Vertrauen in die Rechtspflege beeinträchtigen kann, wenn sie nämlich trotz des Verwertungsverbots verwertet wird. Jedoch liegt die hier relevante Problematik nicht in der Beeinträchtigung der Rechtspflege als solcher, sondern in der Zuweisung der Verantwortung fur diese Beeinträchtigung: Wenn durch die Verwertung einer unverwertbaren Aussage im Prozess das Vertrauen in die Rechtspflege beeinträchtigt wird, so ist dafür nicht der Aussagende verantwortlich, sondern derjenige, der der Garant des prozessordnungsmäßigen Verfahrens ist, nämlich der Richter, der solche Aussagen gegen das Gesetz Eingang in das Verfahren finden lässt. Daraus folgt: Eine prozessual unverwertbare Aussage ist grundsätzlich nicht tatbestandsmäßig i.S. der §§ 153 ff. Allerdings - und hier lässt der Gedanke der Verantwortungszuweisung eine Einschränkung zu - muss das Gericht die Möglichkeit gehabt haben, die Unverwertbarkeit der Aussage zu erkennen. Diese Modifizierung der Mindermeinung beseitigt zwei grundlegende Einwände dieser 29 Ansicht gegenüber: Zum einen - daraufhaben die Vertreter dieser Meinung stets hingewiesen - ist nicht jeder Verstoß gegen die Verfahrensregeln schon geeignet, die unter Verletzung dieser Regeln zustande gekommene Aussage aus dem Bereich der Wahrheitspflicht auszugrenzen. Zum anderen aber ist sichergestellt, dass dem Gericht nicht erkennbare oder sogar durch Täuschung aufgedrängte Mängel keine materiellrechtliche Wirksamkeit erlangen derart, dass sie die Grenzen der Wahrheitspflicht bestimmen. 75 Beispiel: V, die Verlobte des Angeklagten A, wird im Prozess gegen Α als Zeugin vernommen. Sie verschweigt, dass sie mit Α verlobt ist. - Auch den Akten ist kein Hinweis auf die Verlobung zu entnehmen, weil Α und V übereingekommen sind, erst einmal abzuwarten, welche Konsequenzen die falsche Aussage der V für den weiteren Prozessverlauf hat. Hier fällt die Tatsache, dass die V nicht über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden ist, nicht in den Verantwortungsbereich des Gerichts, denn das Gericht hat keinen Hinweis auf das Zeugnisverweigerungsrecht schuldhaft übergangen. Mag die Aussage daher prozessual auch unverwertbar sein, so ist es dennoch sachgerecht, sie nicht von vornherein aus dem tatbestandsmäßigen Bereich der §§153 ff auszuklammern.
4. Konsequenzen aus der Wahrheitspflicht Den Aussagenden trifft, wie dargelegt, eine persönlich zu erfüllende prozessuale Wahr- 30 heitspflicht, die er durch seine falsche Aussage oder eidesstattliche Versicherung verletzt. Die Aussagedelikte sind daher eigenhändige Delikte. Ihre Begehung im Wege der mittelbaren Täterschaft ist ausgeschlossen. Die Wahrheitspflicht ist kein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1, da 31 sie nur die Grenzen der Angriffsmöglichkeiten auf die Rechtspflege umschreibt, nicht aber eine pflichtbegründende Sonderposition des Aussagenden gegenüber Dritten. 76
III. Die einzelnen Aussagedelikte 1. Falsche uneidliche Aussage, § 153 a) Die objektive Tatbestand setzt voraus, dass der Täter vor Gericht oder einer anderen zur 32 75
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Vgl. auch VORMBAUM NK, § 153 Rdn. 34; Ruß LK, Vor § 153 Rdn. 29 f. - Für eine grundsätzliche Differenzierung auch BRUNS G A 1960 S. 178, und SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. § § 1 5 3 f f R d n . 2 3 . S o a u c h MOLLER Z e u g e n a u s s a g e , S. 3 5 9 ; DERS. M K , V o r § § 153 f f R d n . 19; SCH/SCH/LENCKNER V o r -
bem. §§ 153 ff Rdn. 42. - A.A. HERZBERG ZStW 88 (1976) S. 103 f; LANGER Ernst Wolf-FS, S. 343 ff; RUDOLPHISK II, V o r § 153 R d n . 9 ; VORMBAUM N K , § 153 R d n . 111.
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eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle als Zeuge oder Sachverständiger falsch aussagt. 33 aa) Gerichte sind die inländischen staatlichen Gerichte in allen ihren Funktionen, z.B. der Rechtspfleger, soweit dieser nach §§ 3, 4 RPflG richterliche Aufgaben wahrnimmt und insoweit das Gericht repräsentiert, 77 nicht dagegen die privaten Schiedsgerichte, §§ 1025 ff ZPO. Andere zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständige Stellen sind Behörden, denen der Gesetzgeber das Recht der eidlichen Vernehmung gegeben hat, z.B. das Bundespatentamt (§ 46 PatG), nicht hingegen Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzämter und andere Verwaltungsbehörden. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes sind den in § 153 Abs. 1 genannten Stellen gleichgestellt, § 153 Abs. 2. - Die den Eid abnehmende Amtsperson muss staats- und gerichtsverfassungsgemäß in ihr Amt berufen worden sein. 34 bb) Die Aussäge - die auch die Angaben zur Person und zum Beruf umfasst - muss unmittelbar vor dem Vernehmenden erfolgen. Das bedeutet, dass Aussage hier als mündliche Erklärung zu verstehen ist. Eine Ausnahme macht nur § 186 GVG, der eine schriftliche Verständigung zwischen dem Vernehmenden und einer tauben oder stummen Person zulässt. 78 35 cc) Der Täter muss als Zeuge oder Sachverständiger ausgesagt haben. - Die Angeklagten im Strafprozess, die Parteien im Zivilprozess oder die Beteiligten im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind nicht taugliche Täter. Gleiches gilt für den Betroffenen im Verfahren vor einem personell-bestimmten parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Die Tatbeteiligung selbst schließt hingegen die Zeugenrolle nicht aus, vgl. §§ 55, 60 Nr. 2 StPO. Wird jedoch ein Tatbeteiligter willkürlich in die Zeugenrolle gedrängt, um ihn u.U. sogar dem Eideszwang auszusetzen, ist er nicht Zeuge und § 153 bleibt unanwendbar. 7 '
36 b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Vorsatz muss sich darauf erstrecken, dass die Aussage falsch ist, d.h. mit dem wirklichen oder erreichbaren Erinnerungsbild nicht übereinstimmt, dass die Aussage unter die Wahrheitspflicht fallt und vor einer zuständigen Stelle stattfindet. - Ist sich der Täter dieser Tatumstände und ihres Bedeutungsgehaltes bewusst, so handelt er vorsätzlich. 37 c) Vollendet ist die falsche Aussage mit dem Abschluss der Vernehmung. Dies ist der Fall, wenn der Vernehmende zu erkennen gibt, dass er von dem Zeugen oder Sachverständigen keine weitere Auskunft über den Vernehmungsgegenstand erwartet, und der Aussagende, dass er seinerseits nichts mehr zu bekunden hat das bisher Bekundete als seine verantwortliche Aussage gelten lassen will. - Berichtigt der Aussagende bis zu diesem Zeitpunkt eine falsche Aussage, so bleibt er straffrei, da der Versuch der uneidlichen Aussage straflos ist. Wird der Aussagende in mehreren Terminen desselben Rechtszuges zu demselben Beweisthema gehört, ohne dass es bereits zu einem Abschluss der Vernehmung gekommen ist, und sagt falsch aus, so liegt nur eine einheitliche falsche Aussage vor. 77
OLG Hamburg NJW 1984 S. 935; Lackner/Kühl § 153 Rdn. 3; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 7 4 R d n . 3 2 . - A . A . RUDOLPHI S K II, § 153 R d n . 4 ; R u ß L K , § 1 5 3 R d n . 5 ; VORMBAUM N K , §
153 Rdn. 46. 78
So auch OLG München MDR 1968 S. 939; RUDOLPHI SK II, § 153 Rdn. 2; Ruß LK, § 153 Rdn. 4; TRÖNDLE/FISCHER § 153 Rdn. 3; VORMBAUM NK, § 153 Rdn. 7. - Eine schriftliche „Beweisaussage" lassen dort, wo die Prozessgesetze diese gestatten, genügen: MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2,
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Dazu BGHSt 10 S. 10; Ruß LK, § 153 Rdn. 10; VORMBAUM NK, § 153 Rdn. 25.
§ 7 5 R d n . 3 5 ; SCH/SCH/LENCKNER V o r b e m . § § 153 f f R d n . 2 2 ; WAGNER G A 1 9 7 6 S. 2 7 2 .
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2. Meineid, § 154 a) § 154 stellt - soweit es um den Meineid eines Zeugen oder Sachverständigen geht - ei- 38 nen gegenüber § 153 qualifizierten Tatbestand dar, im Übrigen - Parteieid - ein selbständiges Delikt. b) Die Tathandlung besteht in falschem Schwören, d.h. in der Bekräftigung einer falschen 39 Aussage mit dem Eide vor Gericht oder einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle. Der Eid kann als „Voreid" vor der Vernehmung oder als „Nacheid", nach der Vernehmung abgenommen werden. Er ist nur tatbestandsmäßig, wenn die wesentlichsten Formerfordernisse gewahrt wurden. Unerlässlich ist die vom Schwörenden zu sprechende Formel: „Ich schwöre".
aa) Täter können alle Personen sein, die nach dem Verfahrensrecht eidespflichtig gemacht 40 werden können. Das sind nicht nur Zeugen oder Sachverständige, sondern z.B. auch die Parteien im Zivilprozess. Wird ein Eidesunmündiger, d.h. eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, vereidigt, so liegt kein tatbestandsmäßiger Eid vor, da eine solche Person das Wesen des Eids nach der unwiderlegbaren Vermutung des Gesetzes nicht versteht; davon geht offenbar auch § 157 Abs. 2 aus.""
bb) Das Gericht oder die zuständige Stelle muss zur Abnahme von Eiden gesetzlich er- 41 mächtigt sein. Diese Zuständigkeit fehlt den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, da das Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Dt. Bundestags v. 19.6.2001 die Entsprechung des § 153 Abs. 2 nicht auf § 154 erstreckt hat. 81 Gleichfalls fehlt die Zuständigkeit nach h.M. beim Parteieid im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit.82 Ferner muss die den Eid abnehmende Person nach den verbindlichen Gesetzen zu diesem Akt berechtigt sein, was z.B. bei einem Referendar gemäß § 10 S. 2 GVG nicht der Fall ist. c) Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz, bedingter genügt. 42 aa) Der Vorsatz muss sich darauf erstrecken, dass die Aussage falsch ist, dass sie unter den 43 Eid fallt und dass der Eid vor einer zuständigen Stelle erfolgt. bb) Ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum liegt daher vor, wenn der Täter sich nicht der Tatsache bewusst ist, dass seine Aussage nicht seinem wirklichen oder dem erreichbaren Erinnerungsbild entspricht, wenn er nicht weiß, dass seine Aussage noch Gegenstand der Vernehmung ist und damit der Wahrheitspflicht unterfallt oder dass seine Aussage vor Gericht oder einer entsprechenden Behörde erfolgt.
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V g l . KREY B . T . l , R d n . 5 6 3 ; KÜPPER B . T . , II § 2 R d n . 18; MAURACH/SCHROEDER/MAJWALD B . T . 2 , § 7 5 R d n . 2 3 ; MÜLLER M K , § 154 R d n . 13; OTTO J u S 1984 S. 166; QUEDENFELD J Z 1 9 7 3 S. 2 3 8 ff;
SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 25; WESSELS/HETTINGER B.T./l, Rdn. 754. - Für tatbestandlichen Ausschluss bereits aus grundsätzlichen Erwägungen (prozessuale Unverwertbarkeit): HRUSCHKA/KÄSSER JUS 1972 S. 7 1 1 ; RUDOLPH] G A
1 9 6 9 S. 140 ff; DERS. S K II, § 154 R d n . 8;
VORMBAUM NK, § 154 Rdn. 38. - A.A. (Tatbestand erfüllt): BGHSt 10 S. 144; LACKNER/KÜHL § 154 Rdn. 2; RUß LK, § 154 Rdn. 10; TRONDLE/FISCHER § 153 Rdn. 10. - Zur verfahrenswidrigen Beeidigung im Übrigen vgl. die entsprechenden Ausführungen unter Rdn. 41. 81
V g l . d a z u B T - D r u c k s . 1 4 / 5 7 9 0 , S. 2 1 ; VORMBAUM J Z 2 0 0 2 S. 169 f; im Ü b r i g e n vgl. HAMM Z R P 2 0 0 2 S. 11 f f ; SCHAEFER N J W 2 0 0 2 S. 4 9 0 f; WIEFELSPÜTZ Z R P 2 0 0 2 S. 14 ff.
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Vgl. dazu BGHSt 10 S. 272; Ruß LK, § 154 Rdn. 7 , 9 .
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Es genügt jedoch, dass der Täter sich der tatsächlichen Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehaltes bewusst ist. Hat er dieses Bewusstsein, glaubt sich aber dennoch zu einer Falschaussage berechtigt, so kann dieser Irrtum nur im Rahmen des § 17 berücksichtigt w e r d e n . ^
44 d) Vollendet ist der Meineid beim Voreid mit Abschluss der Aussage, beim Nacheid mit der Beendigung des Schwurs. 45 aa) Ein strafbarer Versuch des Meineids liegt demgemäß beim Voreid vor, wenn der Täter zu der falschen Aussage, und beim Nacheid, wenn er zur Leistung des Eides unmittelbar ansetzt, d.h. mit dem Sprechen der Eidesworte. - Ein strafbarer untauglicher Versuch ist nach allgemeinen Grundsätzen anzunehmen, wenn der Täter irrig einen Sachverhalt annimmt, der, läge er vor, die Voraussetzungen des Meineids vor einer zuständigen Behörde erfüllen würde. - Ein Wahndelikt hingegen ist gegeben, wenn der Täter den Sachverhalt kennt, die den Eid abnehmende Stelle aber aufgrund falscher rechtlicher Erwägungen für zuständig hält, obwohl diese es nicht ist. 84 Beispiel: Α wird in einer Verkehrssache als Zeuge von der Polizei gehört. Der Polizist vereidigt den A, der der Ansicht ist, auch die Polizei dürfe Zeugen vereidigen. Ergebnis: Wahndelikt des A.
46 bb) Nach dem Gesetzesaufbau zwingend ist der Nacheid selbst nicht mehr Teil der falschen Aussage, sondern schließt an diese an. Das hat die Konsequenz, dass der Täter, der vom Versuch des Meineids straffrei gemäß § 24 Abs. 1,1. Alt. zurücktritt, wegen der bereits vollendeten falschen Aussage strafbar bleibt, wenn auch mit der Möglichkeit der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe gemäß § 158. Kriminalpolitisch sinnvoll ist diese Konstruktion nicht, denn damit wird dem Eid die Fähigkeit als gesteigertes Druckmittel zur Bewirkung wahrer Aussagen weitgehend genommen: Der Täter steht nicht vor der Entscheidung, durch den Rücktritt insgesamt Straffreiheit zu erlangen, denn ihm ist jetzt bereits die Bestrafung nach § 153 sicher. Dieser Gewissheit steht dann lediglich noch das Risiko einer geringfügig höheren Strafe nach § 154 gegenüber, wenn er seine falsche Aussage zusätzlich beschwört.
3. Eidesgleiche Bekräftigung, § 155 47 § 155 stellt dem Eid als Tatbestandsmerkmal des § 154 gleich: 48 a) Gemäß § 155 Nr. 1: die den Eid ersetzende Bekräftigung der Wahrheit, die vorgesehen ist für Personen, die sich aus Glaubens- oder Gewissensgründen weigern, einen Eid zu leisten; vgl. §§ 66 d StPO, 484 ZPO. 49 b) Gemäß § 155 Nr. 2: die Berufung des Aussagenden - bloßer Hinweis des Richters genügt nicht - auf einen früheren Eid oder eine früheren Bekräftigung. Diese kommt in Betracht: 1. Alt.: Bei der Berufung auf einen in derselben Sache früher geleisteten Partei-, Zeugenoder Sachverständigeneid, bzw. die entsprechende Bekräftigung; vgl. §§ 67, 72 StPO, 398 Abs. 3,402, 451 ZPO. 2. Alt.: Zur Berufung eines allgemein vereidigten Sachverständigen auf den von ihm geleisteten Eid oder eine entsprechende Bekräftigung; vgl. §§ 79 Abs. 3 StPO, 410 Abs. 2 ZPO.
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Vgl. dazuBGHSt5S. 118; 10 S. 15.
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Wie hier: OLG Bamberg NJW 1949 S. 876; KREY B.T.l, Rdn. 559; Ruß LK, § 154 Rdn. 21; SCH/SCH/LENCKNER § 154 Rdn. 15; VORMBAUM § 154 Rdn. 49. - A.A. RGSt 72 S. 80; BGHSt 3 S. 253 f; HERZBERG Jus 1980 S. 472 ff; JESCHECK/WEIGEND Strafrecht, A.T., 5. Aufl. 1996, § 50 II 2. Diff.: SCHLÜCHTER Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, 1983, S. 155 ff.
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Delikte gegen die demokratische Willensbildung Zu beachten ist hier, dass ein früher geleisteter Sachverständigeneid Zeugenaussage erfasst. 8 ^
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bei Berufung auf ihn nicht eine spätere
c) Zur Berufung eines Beamten auf den von ihm geleisteten Diensteid: § 386 Abs. 2 ZPO. 4. Falsche Versicherung an Eides Statt, § 156 Eidesstattliche Versicherungen sind ein wichtiges Mittel zur Glaubhaftmachung tatsächlieher Behauptungen, vgl. §§ 294 Abs. 1, 807, 920 Abs. 2, 936 ZPO; 56, 74 Abs. 3 StPO. a) Der objektive Tatbestand verlangt die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung vor einer zuständigen Behörde oder eine falsche Aussage vor einer solchen Behörde unter Berufung auf eine frühere eidesstattliche Versicherung. aa) Falsch ist die Versicherung entsprechend der falschen Aussage, wenn sie nicht das wirkliche oder erreichbare Wissens- oder Erinnerungsbild des Versichernden wiedergibt, bb) Zuständig ist die Behörde nicht schon dann, wenn sie allgemein zuständig zur Abnähme eidesstattlicher Versicherungen ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die Behörde die konkrete Versicherung über den Gegenstand, auf den sie sich bezieht, und in dem Verfahren, in dem sie eingereicht wird, abnehmen darf und dass die Versicherung selbst nicht rechtlich völlig bedeutungslos ist. Das bedeutet auch, dass der Versichernde in seiner verfahrensrechtlichen Stellung eine derartige Versicherung zu dem angestrebten Zweck überhaupt abgeben darf. 86 cc) Die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung und die Aussage unter Bernfung auf eine frühere eidesstattliche Versicherung können sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen.
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Mündlich erfolgt die Erklärung durch die Äußerung unmittelbar vor der Behörde mit deren Einverständnis. Eine schriftliche Erklärung ist abgegeben, wenn die Erklärung in den Machtbereich der Behörde gelangt, bei der sie zu Beweiszwecken dienen soll. Kenntnisnahme durch den zuständigen Sachbearbeiter ist nicht erforderlich.
dd) Bezüglich der Wahrheitspflicht ergeben sich bei der eidesstattlichen Versicherung in- 56 sofern Besonderheiten, als es bei spontanen Versicherungen an einer Festlegung des Beweisthemas durch eine Behörde fehlt. In diesen Fällen ist zur Bestimmung des „Versicherungsgegenstandes" die Versicherung selbst auszulegen. Das Beweisthema, wie es nach dem Gegenstand und Stand des Verfahrens zu formulieren gewesen wäre, kann nicht maßgeblich sein, da dieses dem Erklärenden oftmals überhaupt nicht bekannt ist oder auch nur bekannt sein kann. 87
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Dazu OLG Köln MDR 1955 S. 183.
86
Vgl. dazu BGHSt 17 S. 303 (Wiederaufnahmeverfahren); BGHSt 25 S. 92 (Wiedereinsetzungsverfahren); BGH StV 1990 S. 111 (Konkursverfahren); BayObLG wistra 1990 S. 70 (Vollstreckungsverfahren); BayObLG wistra 1990 S. 199, BayObLG StV 1991 S. 467 (Wiedereinsetzungsverfahren); BayObLG NJW 1998 S. 1577 (Ermittlungsverfahren); BayObLG StV 1999 S. 319 (Haftprüfungsverfahren);
LACKNER/KÜHL § 156 Rdn. 2; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 7 5 Rdn. 59 ff;
RUDOLPHI S K II, § 1 5 6 R d n . 5 ; R U ß L K , § 1 5 6 R d n . 7 . 8 7
S o a u c h RUDOLPHI S K II, § 1 5 6 R d n . 10; R u ß L K , § 1 5 6 R d n . 17; VORMBAUM/ZWIEHOFF N K , § 1 5 6 R d n . 4 6 . - A . A . SCH/SCH/LENCKNER § 1 5 6 R d n . 5 .
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Gegenstand der falschen Versicherung ist aber nicht jede in der Versicherung enthaltene unrichtige Bekundung. Die Wahrheitspflicht erfasst auch hier nur die Äußerungen, die für das konkrete Verfahren möglicherweise von Bedeutung sein könnend 57 Danach entscheidet sich auch die Frage, wieweit ein Verschweigen die Versicherung zu einer falschen macht: Verschweigen von Tatsachen macht eine Versicherung zu einer falschen, wenn Tatsachen verschwiegen werden, die mit dem gewählten Beweisthema so eng zusammenhängen, dass ihre Offenbarung die Erklärung inhaltlich ändern würde, weil ihr Sinngehalt ein anderer würde. Beispiel I: (nach BGH NJW 1959 S. 1235): Der Großhändler Α versichert in einem Arrestverfahren an Eides Statt, dass ihm die Namen und Orte der Gastwirtschaften, in denen bestimmte Münzautomaten aufgestellt worden waren, unbekannt seien. - Er verschwieg, dass er jederzeit durch Rückfrage bei einem engen Mitarbeiter und Provisionsvertreter die Standorte der Geräte hätte erfahren können. BGH: Trotz wörtlicher Richtigkeit der Erklärung gab Α eine falsche Versicherung an Eides Statt ab. Beispiel 2: OLG Frankfurt NStZ-RR 1998 S. 72: Α versicherte an Eides Statt gemäß § 5 StVG, dass er seinen Führerschein verloren habe. Das stimmte auch. Er verschwieg aber, dass ihm die Fahrerlaubnis entzogen war. OLG Frankfurt: Die Versicherung bezog sich nur auf den Verlust des Führerscheins, nicht auf dessen Gültigkeit.
58 b) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. Der Täter muss wissen, dass seine Versicherung falsch ist und vor einer zuständigen Behörde erfolgt. Auch hier genügt aber die Kenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten und ihres Bedeutungsgehalts. Eine gleichwohl bestehende Vorstellung des Täters, zur falschen Versicherung berechtigt zu sein, kann im Rahmen des § 17 Berücksichtigung finden.
59 c) Von besonderer Bedeutung in der Praxis ist die Versicherung des Schuldners nach § 807 ZPO. Hat eine Pfandimg des Gläubigers nicht zu einer vollständigen Befriedigung geführt oder macht der Gläubiger glaubhaft, dass er durch Pfändung seine Befriedigung nicht vollständig erlangen könne, so ist der Schuldner auf Antrag verpflichtet, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und an Eides Statt zu versichern, „daß er die von ihm verlangten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht habe". - Die Offenbarungs- und damit Wahrheitspflicht wird durch den Zweck der Norm, dem Gläubiger eine Vollstreckung in das vorhandene Schuldnervermögen zu ermöglichen, konkretisiert: Nur solche wahrheitswidrigen Angaben machen die Versicherung zu einer falschen, die unter die Offenbarungspflicht fallen und geeignet sind, den Gläubigerzugriff zu vereiteln oder zu erschweren.89 Die Entscheidung, ob im Zweifel ein Objekt unter die Offenbarungspflicht fallt, ist nicht dem Schuldner überlassen. Daraus folgt: 60 aa) Offenbarungspflichtig ist das gesamte gegenwärtige Vermögen sowie früheres Vermögen, soweit ein Rückübertragungsanspruch besteht oder nach dem AnfechtungsG - vgl. § 807 Abs. 1 Nr. 1-3 ZPO, § 3 AnfechtungsG - zur Entstehung gebracht werden kann, auch wenn eine eventuelle Gegenforderung der Forderung wertgleich ist. Streitige und unpfändbare Forderungen gehören hierher, denn über den Erfolg einer Zwangsvollstreckung entscheidet nicht das Ermessen des Schuldners, sondern das Urteil der entsprechenden Ge88
Vgl. dazu OLG Düsseldorf NJW 1985 S. 1848; OLG Karlsruhe NStZ 1985 S. 412; BLOMEYER JR 1976 S. 441 ff; ST. CRAMER Jura 1998 S. 337; RUBLK, § 156 Rdn. 17.
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Dazu BGHSt 8 S. 400; 19 S. 126 ff; BGH bei Holtz, MDR 1980 S. 813; BayObLG NJW 2003 S. 2181 mit Anm. VORMBAUM JR 2004 S. 168 ff; OLG Celle MDR 1995 S. 1056; OLG Köln StV 1999 S. 319.
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richtsorgane, wenn der Gläubiger deren Entscheidung herbeigeführt haben will. 90 Künftige Forderungen, die bereits jetzt Gegenstand der Zwangsvollstreckung sein können, und Anwartschaftsrechte mit Vermögenswert 91 sowie Einnahmen aus angebahnten, aber noch nicht abgewickelten Maklergeschäften 92 sind anzugeben, nicht aber ist ein umfassender Überblick über die Tätigkeit zu gewähren, wenn aus dieser Tätigkeit erst später Vermögenserwerbsmöglichkeiten erwachsen. 93 bb) Anzugeben sind neben den Vermögensobjekten auch die Umstände, die für die Zugriffsmöglichkeit des Gläubigers von Bedeutung sind, z.B. der Name eines Drittschuldners, der Stand einer Erbauseinandersetzung u.Ä. cc) Offensichtlich völlig wertlose Gegenstände oder eindeutig im Wege der ZwangsVollstreckung nicht verwertbare Objekte z.B. die Firma, Firmenmantel des Kaufmanns sowie die Mittel des täglichen Lebensbedarfs brauchen nicht angegeben zu werden. 94 dd) Die Angabe fingierter Vermögensstücke macht die Versicherung hingegen falsch, denn dadurch kann der Gläubiger zu zwecklosen Vollstreckungshandlungen veranlasst werden. 95 ee) Dass der Versichernde sich durch eine wahrheitsgemäße Angabe einer Straftat bezichtigen würde, berührt die Offenbarungspflicht nicht, doch unterliegen diese Angaben in bezug auf ein Strafverfahren einem Verwertungsverbot. 96 ff) Der Irrtum über die Offenbarungspflicht hinsichtlich bestimmter Vermögensgegenstände ist Tatbestandsirrtum. 97
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J. Fahrlässiger Falscheid undfahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt, § 163 a) Die objektiven Voraussetzungen des § 163 entsprechen denen der §§ 154, 155, 156. - 66 Falsch ist auch hier eine Aussage oder Versicherung, die nicht das wirkliche oder reproduzierbare Erinnerungs- bzw. Wissensbild des Äußernden wiedergibt. b) Die Fahrlässigkeit des Täters kann im wesentlichen auf drei verschiedenen Gründen 67 beruhen: aa) Der Täter erkennt nicht, dass seine Angaben falsch sind, obwohl er bei entsprechender 68 Anspannung seiner Geistesgaben die Diskrepanz zwischen den Angaben und seinem Erinnerungsbild hätte erkennen können. Bei einem Zeugen ist dies der Fall, wenn er aus Nachlässigkeit sein noch im Gedächtnis bestehendes Erinnerungsbild nicht dementsprechend wiedergibt, wenn er etwas Unzutreffendes als sicheres Erinnerungsbild hinstellt, obwohl er es wegen fehlender Überlegung nicht als sicheres Wissen ausgeben darf, oder wenn er es vorwerfbar unterlässt, tatsächliche Anhaltspunkte oder äußere Hilfsmittel zu benutzen, die sich ihm während der Vernehmung darbieten und die geeignet sind, mindestens Zweifel an der Richtigkeit seines Erinnerungsbildes zu wecken. 9 "
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B G H N J W 1 9 5 3 S . 3 9 0 m i t A n m . SCHMIDT-LEICHNER; B G H N J W 1 9 5 6 S. 7 5 6 .
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BGHSt 15 S. 130; BGH GA 1966 S. 243; OLG Hamm GA 1975 S. 180; BayObLG wistra 1993 S. 73. BGHSt 37 S. 340. BGH StV 1990S. I I I . BGHSt 13 S. 348 f; 14 S. 349; BayObLG MDR 1991 S. 1079. BGHSt 7 S. 375. Dazu BVerfG NJW 1981 S. 1431 ff; BGHSt 37 S. 340. KG JR 1985 S. 161. Dazu OLG Köln MDR 1980 S. 421; OLG Koblenz JR 1984 S. 422 mit Anm. BOHNERT S. 425 ff.
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Beispiel: Der Vertreter Α sagt vor Gericht als Zeuge aus, er sei am 1.3. bei G in dessen Gastwirtschaft gewesen. In Wirklichkeit war er erst am 2.3. bei G. Dem Α ist bekannt, dass andere Zeugen ihn dort nur am 2.3. gesehen haben wollen. Da Α jedoch sicher glaubt, am 1.3. in der Gaststätte gewesen zu sein, ist er Uber die Aussagen der anderen Zeugen sehr verblüfft. Er hält es gleichwohl nicht ftlr nötig, in seinem Auftragsbuch, in dem der Besuch bei G verzeichnet ist, noch einmal nachzuschauen. Ergebnis: Nach den ihm gegebenen Möglichkeiten hätte er erkennen können, dass sein Erinnerungsbild falsch war. Wenn er es dennoch wiedergab, ohne von den ihm zur Verfügung stehenden Prüfüngsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, handelte er sorgfaltspflichtwidrig und damit fahrlässig. Im Gegensatz zum Zeugen, der keine Vorbereitungspflicht, sondern nur eine Konzentrations- und Prüfungspflicht hat, haben der Sachverständige, die Prozesspartei und der zur Offenbarung seines Vermögens verpflichtete Schuldner aufgrund ihrer Verfahrensstellung eine Informationspflicht vor der Aussage, d.h. eine Vorbereitungspflicht. 99
69 bb) Der Täter ist sich bewusst, dass er falsche Angaben macht, erkennt aber nicht, dass diese Angaben noch zum wahrheitspflichtigen Inhalt seiner Aussage gehören, d.h. unter die Wahrheitspflicht fallen. 70 cc) Der Täter hält die den Eid bzw. die die Versicherung abnehmende Behörde irrig für unzuständig.
IV. Teilnahme und mittelbare Täterschaft bei den Aussagedelikten 1. Teilnahme 71 Die Interpretation der Aussagedelikte als eigenhändige Straftaten schließt zwar die Täterschaft von Außenstehenden, nicht aber deren Teilnahme aus. Anstiftung und Beihilfe bestimmen sich nach den allgemeinen Regeln. - Als Teilnehmer haftet jedoch nicht, wer durch sein Prozessverhalten ausschließlich die Möglichkeit eröffnet, dass ein anderer ohne vorheriges Einvernehmen - ein Aussagedelikt begeht. a) Teilnahme durch positives Tun 72 aa) Eine Teilnahme durch positives Tun aufgrund prozessordnungsgemäßer Äußerungen und Prozesshandlungen eines Prozessbeteiligten scheidet von vornherein aus, denn nach materiellem Recht können nicht Verhaltensweisen mit Strafe bedroht werden, die die entsprechende Prozessordnung ausdrücklich erlaubt. Schweigen oder Leugnen des Angeklagten, das eine falsche Aussage verursacht, kann als solches keine Strafbarkeit des Angeklagten begründen.
73 bb) Aber auch für ein prozessordnungswidriges Verhalten gilt gleiches: Wer wider besseres Wissen einen Anspruch bestreitet oder behauptet und dadurch die Benennung eines Zeugen veranlasst oder sogar selbst den Zeugen benennt, haftet fur dieses Verhalten allein noch nicht als Teilnehmer. Die zivilprozessuale Wahrheitspflicht, § 138 ZPO, ändert daran nichts, denn sie bürdet demjenigen, der sich prozessordnungswidrig verhält, noch nicht die Verantwortung für das strafbare Verhalten eines anderen auf, der eine falsche Aussage macht, ohne hierbei im Einverständnis mit dem Benennenden tätig zu werden. Die bloße Eröffnung der Möglichkeit, ein Delikt zu begehen, zu dem sich ein anderer sodann im Rechtssinne frei verantwortlich entschließt, begründet noch keine strafrechtliche Haftung als Teilnehmer. 100 99
Dazu Ruß LK, § 163 Rdn. 8, 16, 17.
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So auch BGHSt 17 S. 323; OLG Hamm NJW 1992 S. 1977 mit Anm. OTTO JK 93, StGB § 153/2, SCHEFFLER G A 1 9 9 3 S. 3 4 1 f f , SEEBODE N S t Z 1 9 9 3 S . 8 3 f; L G M ü n s t e r S t V 1 9 9 4 S. 1 3 4 ; HEINRICH
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b) Teilnahme durch Unterlassen Auch eine Haftung als Teilnehmer durch Unterlassen kann ein prozessordnungswidriges 74 Verhalten als solches nicht begründen, soll nicht letztlich aus § 138 ZPO wiederum eine Verantwortung für fremdes deliktisches Verhalten hergeleitet werden. aa) Unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung stellte der BGH in 75 BGHSt 17 S. 321 fest, dass das wahrheitswidrige Bestreiten allein noch keine Garantenpflicht zur Verhinderung des Meineids eines Zeugen auslöse, dass Vorverhalten müsse vielmehr eine prozessinadäquate, besondere Gefahr einer Falschaussage begründen. Als solche Gefahren sollen die Beschränkung der Entschlussfreiheit des Zeugen, z.B. durch die Fortsetzung des ehewidrigen Verhaltens während des Scheidungsprozesses, und die Ausnutzung der Tatsache, dass der Zeuge unterwürfig ist und sich bereits durch Lügen im Vorfeld des Prozesses „festgefahren hat", angesehen werden. Es sollen verwandtschaftliche, eheliche oder sonstige persönliche Bindungen eine Rolle spielen. 101 bb) Doch auch diese Begrenzung der Garantenpflicht ist noch zu weit. Eheliche oder son- 76 stige persönliche Bindungen begründen keine Garantenpflicht gegenüber der Rechtspflege. 102 Das Vorverhalten muss vielmehr als solches bereits eine inadäquate Gefährdung der Rechtspflege darstellen derart, dass die Möglichkeiten sachgemäßer Tatsachenermittlung bereits durch dieses Verhalten beeinträchtigt werden. Dies ist erörterungswürdig in dem Fall, dass z.B. jemand einen anderen zu einer uneidlichen falschen Aussage vor Gericht angestiftet hat und es nun zu einer Vereidigung kommen lässt, ohne aufklärend einzugreifen. 103 2. Versuch der Anstiftung zur Falschaussage, § 159 Eine Bestrafung wegen versuchter Anstiftung zu einem Aussagedelikt unter Anwendung 77 des § 30 ist allein beim Meineid, §§ 154, 155, möglich (Verbrechen). In § 159 hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 30 Abs. 1 (Versuch der Anstiftung zu einem Verbrechen) auf die Taten nach §§ 153, 156 erweitert, weil er die versuchte Anstiftung auch hier als besonders gefahrlich einstufte. Diese Regelung ist kriminalpolitisch gleichwohl wenig überzeugend, denn da der Ver- 78 such der Falschaussage bzw. der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung nicht unter Strafe gestellt ist, ergeben sich eigenartige Konsequenzen für den Fall, dass die Tat des Haupttäters nur zum Versuch gediehen ist: Der Haupttäter bleibt straflos, obwohl seine kriminelle Energie im Regelfall größer ist als die des erfolglos anstiftenden Hintermannes. - Die hier begründeten Diskrepanzen will der BGH dadurch mildern, dass er § 159 dann
JuS
1995
S.
1118
f; PRITTWITZ S t V
1995
S.
272
ff; RUDOLPHI S K
II, V o r
§153
Rdn.
51;
SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 37; SERING Beihilfe durch Unterlassen, 2001, S. 148 ff; VORMBAUM S c h u t z , S . 2 9 3 f; DERS. N K , § 1 5 3 R d n . 1 1 2 a. - A . A . BRAMMSEN S t V 1 9 9 4 S . 1 3 7 ff;
MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 75 Rdn. 80. - Differenzierend MÜLLER Zeugenaussage, S. 2 0 9 ff; DERS. M K , § 1 5 3 R d n . 9 0 f f . 101
Dazu BGH 4 StR 306/55 S. 4; BGHSt 6 S. 322; BGHSt 17 S. 321; BGH 1 StR 504/60 S. 5; KG JR 1 9 6 9 S . 2 7 m i t abl. A n m . LACKNER S . 2 9 ff; O L G D ü s s e l d o r f N J W 1 9 9 4 S . 2 7 2 m i t abl. A n m . OTTO J K
94, StGB § 154/3; OLG Köln NStZ 1990 S. 594. 102
VGL
AUCH
HEINRICH J u S 1 9 9 5 S . 1 1 1 9 f; KREY B . T . l , R d n . 5 7 8 ; MÜLLER Z e u g e n a u s s a g e , S . 3 0 5 ; DERS.
M K , § 1 5 3 R d n . 1 0 2 ; SERING B e i h i l f e , S . 1 5 2 f f , VORMBAUM N K , § 1 5 3 R d n . 1 1 9 . 103
Vgl. dazu auch BGH NStZ 1993 S. 489; OLG Köln NStZ 1990 S. 594; RUDOLPH! SK II, Vor § 153 Rdn. 52 f; SCH/SCH/LENCKNER Vorbem. §§ 153 ff Rdn. 40.
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§97
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
nicht anwenden will, wenn die Tätigkeit des Angestifteten aufgrund des Tatplans nur zu einem untauglichen Versuch führen kann. BGHSt 24 S. 38: Α fordert die V auf, eine falsche eidesstattliche Versicherung zur Vorlage beim Strafrichter abzugeben, in der sie versichert, sie wisse, Α sei unschuldig. BGH: Α ist nicht strafbar, da die Tat der V nur zu einem untauglichen Versuch geführt hätte.
79 Unabhängig von der Frage, ob im konkreten Fall nicht in der Person der V ein Wahnverbrechen vorgelegen hätte 104 , so dass Α aus diesem Grund straffrei bleiben musste, lässt sich eine Differenzierung zwischen tauglichem und untauglichem Versuch sowie völligem Fehlschlag der Anstiftung aus § 159 nicht entnehmen. Es kommt allein auf die Vorstellung des Anstiftenden an, dass der Angestiftete das entsprechende Deilikt begehen wird. So kriminalpolitisch begrüßenswert die Einschränkung des § 159 hier auch sein mag, mit dem Gesetz ist sie nicht in Einklang zu bringen. 105 80 a) Objektiv setzt § 159 einen Versuch des Bestimmens voraus, d.h. Handlungen, mit denen der Täter unmittelbar zur Willensbeeinflussung des Anzustiftenden ansetzt. Verabredungen zu einem Gespräch, Erkundigungen über das Wissen eines anderen oder über seine Stellung zu anderen Verfahrensbeteiligten genügen dazu noch nicht.
81 b) Die Anstiftung darf nicht zum Erfolg (falsche uneidliche Aussage, falsche Versicherung an Eides Statt) geführt haben. Der Grund des Misslingens - Anstiftungsbrief wird vom Adressaten ungelesen vernichtet, es kommt nicht zur Vernehmung, der Anzustiftende ist schon zuvor zur falschen Aussage entschlossen, der Zeuge erkennt den Anstiftungsversuch nicht und sagt gutgläubig falsch aus - ist gleichgültig.
82 c) Der Vorsatz des Anstifters, bedingter genügt, muss sich darauf beziehen, einen anderen zu einer falschen uneidlichen Aussage oder Versicherung an Eides Statt zu bestimmen. Der Vorsatz braucht sich nicht auf alle Einzelheiten der Tat zu erstrecken, muss sie aber in ihren groben Umrissen erfassen.
83 d) § 159 verweist uneingeschränkt auf § 30 Abs. 1. Strafbar gemäß §§ 159, 30 Abs. 1 ist daher auch die versuchte Anstiftung zur Anstiftung zur falschen uneidlichen Aussage und Versicherung an Eides Statt (Kettenanstiftung). 106 Straflos ist hingegen die versuchte Anstiftung zur Beihilfe und die Beihilfe zum Anstiftungsversuch. 84 e) Die Rücktrittsvorschriften des § 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 gelten gemäß § 159 entsprechend. 3. Verleitung zur Falschaussage, §160 85 Da die Aussagedelikte eigenhändige Delikte sind, kommt bei ihnen nach den allgemeinen Regeln eine mittelbare Täterschaft nicht in Betracht. Die hier befürchtete Strafbarkeitslücke soll § 160 schließen: Bestraft wird, wer bewirkt, dass ein anderer un-
104
Dazu KREYB.T.l,Rdn. 585.
105
S o a u c h ARZT/WEBER B . T . , § 4 7 R d n . 137; DREHER M D R 1971 S. 4 1 0 f; LACKNER/KÜHL § 159 R d n . 3; RUDOLPHI S K II, § 159 R d n . 3; R u ß L K , § 1 5 9 R d n . 1 a; SCHRÖDER J Z 1 9 7 1 S. 5 6 3 f; T R Ö N D L E G A 1973 S. 3 3 7 ; WESSELS/HETTINGER B . T . / l , R d n . 7 8 1 . - A . A . KREY B . T . l , R d n . 5 8 7 f; MÜLLER Z e u g e n -
aussage, S. 374 ff; DERS. M K , § 159 Rdn. 30; VORMBAUM G A 1986 S. 367. 106
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V g l . HEINRICH J u S 1995 S. 1117; O r r o J u S 1984 S. 170. - A . A . RUDOLPHI S K II, § 159 R d n . 8; SCH/SCH/LENCKNER § 159 R d n . 7; VORMBAUM N K , § 159 R d n . 13.
Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§97
vorsätzlich gutgläubig einen falschen Eid leistet, eine falsche Versicherung an Eides Statt abgibt oder eine falsche uneidliche Aussage macht. Während § 159 voraussetzt, dass der Aussagende bösgläubig handelt, verlangt das Verleiten in § 160 Gutgläubigkeit des Aussagenden. Er ist Werkzeug in der Hand des Hintermannes. a) Nach der Pflichttheorie ist die Aussage auch hier falsch, wenn der Erklärende aufgrund 86 der Einflussnahme des Hintermannes eine Aussage macht oder Erklärung abgibt, die nicht seinem möglichen Erinnerungsbild bzw. Wissensbild entspricht, was ihm selbst allerdings nicht bewusst ist. Ist es dem Verleiteten aufgrund des Einflusses jedoch nicht möglich, zu erkennen, dass seine Aussage von seinem ursprünglichen Erinnerungs- oder Wissensbild abweicht, so dass er nicht einmal fahrlässig bei der Abgabe der Aussage bzw. Erklärung handelt, kann von einer pflichtwidrigen Aussage in seiner Person keine Rede sein. Konsequent muss die Pflichttheorie hier eine falsche Aussage verneinen, will sie nicht im Rahmen des § 160 zur objektiven Theorie Zuflucht nehmen oder als falsch bereits die Aussage ansehen, die nicht mit dem Wissens- oder Erinnerungsbild des Verleiteten vor der Einflussnahme durch den Hintermann übereinstimmt. - Nennenswerte Strafbarkeitslücken dürften allerdings durch die konsequente Anwendung der Pflichttheorie auch im Rahmen des § 160 nicht eröffnet werden, denn der Fall, dass der Hintermann so sorgfältig und erfolgreich arbeitet, dass der Verleitete überhaupt nicht mehr erkennen kann, dass sein Wissensoder Erinnerungsbild verfälscht wurde, dürfte äußerst selten sein.'®^
87
b) Das Verleiten kann durch beliebige Mittel erfolgen, nicht genügt aber auch hier die bloße Eröffnung der Möglichkeit zur Aussage durch Benennung als Zeuge o.Ä., da das Verleiten - wie die mittelbare Täterschaft - eine über die bloße Eröffnung der Möglichkeit, eine Aussage zu machen oder eine Erklärung abzugeben, hinausgehende Einwirkung auf das „Werkzeug" voraussetzt. c) Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, bedingter genügt. - Der Vorsatz muss sich insbesondere darauf erstrecken, dass die Aussageperson gutgläubig eine falsche Aussage macht. d) Der Irrtum des Hintermanns über die Gutgläubigkeit der Aussageperson. aa) Hält der Hintermann den Aussagenden irrig für gutgläubig, so ist er objektiv Anstifter, hält sich aber fur einen Verleitenden i.S. des § 160.
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Beispiel: Α versucht dem B, der als Zeuge vor Gericht über die Anwesenheit des Α an einem bestimmten Ort am 20.10. aussagen soll, einzureden, dass sie sich dort getroffen haben. In Wirklichkeit fand das Treffen am 19.10. statt. - Β merkt, dass Α ihm etwas Falsches einreden will, lässt sich aber nichts anmerken und sagt im Sinne des Α aus. Der BGH und ein Teil der Lehre wollen Vollendung des § 160 bejahen und geben diesem damit die Funktion eines Auffangtatbestandes für alle Fälle, in denen keine Bestrafung wegen Anstiftung möglich ist.'®"
Für diese Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 160 besteht jedoch kein Anlass, da 92 der Versuch der Verleitung zur Falschaussage strafbar ist, § 160 Abs. 2, und in der hier relevanten Fallkonstellation ein Versuch vorliegt. Die vom Hintermann beabsichtigte Gefahrdung der Rechtspflege durch ein gutgläubiges Werkzeug, zu der der Hintermann durch
107 Dazu vgl. auch SCHMIDHÄUSER OLG Celle-FS, S. 227. 108
Vgl. dazu BGHSt 21 S. 116; ARZT/WEBER B.T., § 47 Rdn. 132; GÖSSEL/DÖLLING B.T.l, § 69 Rdn. 36; HRUSCHKA/KASSER J u S 1972 S. 7 1 3 ; KÖPER B . T . , S. 130 f; KÜPPER B . T . , II § 2 R d n . 3 2 f; LACKNER/KÜHL § 160 R d n . 4 ; REGNIER B . T . I I , § 4 9 R d n . 5 6 ff; RUDOLPHI S K II, § 160 R d n . 4 ; SCH/SCH/LENCKNER § 160 R d n . 9 ; VORMBAUM N K , § 160 R d n . 12, 2 2 .
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Einflussnahme auf den Aussagenden unmittelbar ansetzte, ist nicht gelungen. Der Hintermann ist wegen eines Versuchs der Verleitung zur Falschaussage strafbar. 109 93 bb) Hält der Hintermann den Aussagenden irrig fur bösgläubig, so will er selbst Anstifter sein, während er objektiv den Aussagenden verleitet. OLG Karlsruhe Die Justiz 1982 S. 141: A will Β dazu bestimmen, eine falsche eidesstattliche Versicherung abzugeben. Β merkt dies nicht und glaubt sich an das Geschehen so zu erinnern, wie Α es ihr darstellt. Sie gibt die falsche Versicherung an Eides Statt gutgläubig ab. OLG: Wenn die Beweisperson entgegen der Vorstellung des Hintermanns allenfalls fahrlässig die falsche Versicherung an Eides Statt abgibt, liegt ein Versuch der Anstiftung zur falschen Versicherung an Eides Statt nach §§ 159, 30 Abs. 1 v o r . 1 1 < r
94 e) Da der Versuch des § 160 strafbar ist, reicht die Strafbarkeit des Verleitenden hier weiter als die des Täters der §§ 153, 156, weil dort der Versuch nicht strafbar ist. - Über die kriminalpolitische Angemessenheit dieses Ergebnisses lässt sich streiten, nach dem Wortlaut des Gesetzes ist es jedoch zwingend. 111
V. Strafmilderung und Absehen von Strafe 1. Aussagenotstand, § 157 Abs. 1 95 a) Über die allgemeinen Notstandsvorschriften, §§ 34, 35, hinausgehend, eröffnet § 157 Abs. 1 die Möglichkeit einer Strafmilderung fur jene Zwangslage, die dadurch entstehen kann, dass die Beweisperson einerseits durch wahre Angaben sich selbst oder einen Angehörigen - dazu § 11 Abs. 1 Nr. 1 - der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzt, andererseits jedoch einer zwangsweise durchsetzbaren prozessualen Aussagepflicht unterworfen ist. Daraus folgt: 96 aa) Nur Zeugen und Sachverständigen ist die Berufung auf die Zwangslage eröffnet, nicht dagegen Parteien, da diese nicht unter Aussage- und Eideszwang stehen. Auch eine analoge Anwendung des § 157 kommt hier nicht in Betracht. bb) Die Anwendung des § 157 Abs. 1 wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Zeuge die Aussage verweigern könnte, denn die Angabe der Gründe der Auskunftsverweigerung kann ihn in die gleich Zwangslage bringen. 112 - Unschädlich ist es auch, dass der Zeuge sich selbst zur Aussage anbot, denn es ist ohne Belang, ob der Täter die Konfliktslage verschuldet hat oder nicht. 113
1 0 9
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V g l . ESCHENBACH J u r a 1 9 9 3 S . 4 0 8 f f ; GALLAS E n g i s c h - F S , S. 6 0 0 ; KRETSCHMER J u r a 2 0 0 3 S . 5 3 8 ; KREY B . T . L , R d n . 5 7 2 ; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 7 5 R d n . 1 0 2 ; MÜLLER Z e u g e n a u s s a g e , S. 3 8 9 ; WESSELS/HETTINGER B . T . / L , R d n . 7 8 3 ; TRÖNDLE/FISCHER § 1 6 0 R d n . 7 ; WELZEL L b . , § 7 7 V 2 e.
So auch GALLAS Engisch-FS, S. 619 f; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 75 Rdn. 102; MÜLLER Z e u g e n a u s s a g e , S . 3 9 1 . - F ü r § § 2 6 , 1 5 4 b z w . § § 2 6 , 153, 156: TRÖNDLE/FISCHER § 1 6 0 R d n . 7 .
111
V g l . a u c h RUß L K , § 1 6 0 R d n . 7; SCH/SCH/LENCKNER § 1 6 0 R d n . 10. - A . A . HIRSCH J Z 1 9 5 5 S. 2 3 4 f; VORMBAUM N K , § 1 6 0 R d n . 2 6 .
112
Dazu BGH bei Holtz, MDR 1977 S. 460; OLG Stuttgart NJW 1978 S. 711; OLG Düsseldorf MDR 1993 S. 561.
113
Vgl. BGHSt 7 S. 332; BGH StV 1995 S. 250; BGH NStZ 2005 S. 34; Ruß LK, § 157 Rdn. 5. - Einschränkend bei verschuldeter Zwangslage: OLG Düsseldorf StV 1991 S. 68; RUDOLPHI SK II, § 157 R d n . 14; SCH/SCH/LENCKNER § 157 R d n . 11.
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Delikte gegen die demokratische Willensbildung
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cc) Anstifter und Gehilfen sowie dem Verleitenden nach § 160 kommt § 157 Abs. 1 nicht zugute, da sie nicht unmittelbar in der Zwangssituation stehen. 114 dd) Eine Erstreckung des § 157 auf Mitglieder einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft fuhrt über den Gesetzeswortlaut hinaus. 115 b) Der Täter muss die Unwahrheit gesagt haben, um die Gefahr abzuwenden, bestraft oder 97 einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung unterworfen zu werden. Die Gefahrabwendung muss nicht der einzige, wohl aber ein entscheidender Beweggrund sein. - Maßgeblich ist die Absicht des Täters. Ob eine solche Gefahr bestand, ist daher nach den Vorstellungen des Täters festzustellen." 6 aa) Strafe ist Bestrafung durch die ordentlichen Strafgerichte. Die Ahndung einer Ord- 98 nungswidrigkeit genügt nicht. - Die freiheitsentziehenden Maßregeln ergeben sich aus §§ 63-66. bb) Auch dann, wenn der Täter die Strafe nicht abwenden, sondern nur mildern will, ist 99 § 157 Abs. 1 anwendbar. BGH NJW 1980 S. 2264: Die Α sagte im Strafverfahren gegen ihren Ehemann wegen Totschlags, § 212, falsch aus, um eine Anwendung des § 213 zu ermöglichen. BGH: § 157 Abs. 1 ist anwendbar.
cc) Wer unbewusst von der Wahrheit abweicht, kann damit nicht die geforderte Absicht verbinden. Beim fahrlässigen Aussagedelikt, § 163, kommt § 157 Abs. 1 daher nicht zur Anwendung. c) Die Bestrafung muss wegen einer Straftat drohen, die zeitlich vor der falschen uneidlichen Aussage oder dem Meineid liegt. - In Betracht kommt jedes Delikt. aa) Unanwendbar ist § 157 Abs. 1 danach aber, wenn der Zeuge in gleicher Instanz eine oder mehrere falsche Aussagen in einem späteren Termin beschwört. Aussage und Meineid bilden eine Tateinheit, es fehlt an der Vortat, auch wenn andere Delikte mit den falschen Aussagen in Idealkonkurrenz begangen wurde. Es liegt nur eine Tat vor. 117 bb) Wird der zur Deckung einer Falschaussage geleistete Meineid erst in einer späteren Instanz geleistet oder eine falsche Aussage in einer späteren Instanz wiederholt, so bleibt § 157 Abs. 1 anwendbar. 118
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cc) § 157 bleibt anwendbar, wenn der Eid im Wiederaufnahmeverfahren erfolgt, um fal- 104 sehe Aussagen im ersten Verfahren zu decken, auch wenn wegen dieser Aussagen schon
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V g l . B G H S t 1 S. 2 8 ; 2 S. 3 7 9 ; 7 S. 5 ; K.REY B . T . l , R d n . 5 7 3 ; LACKNER/KÜHL § 1 5 7 R d n . 1; MÜLLER
Zeugenaussage, S. 365; OTTO JuS 1984 S. 171; TRONDLE/FISCHER § 157 Rdn. 2. - A.A. BEMMANN H. Mayer-FS, S. 491; HEUSEL JR 1989 S. 429. 115
Vgl. BayObLG NJW 1986 S. 202 mit zust. Anm. OTTO JK, StGB § U/2, und abl. Anm. KRÜMPELMANN/HENSEL JR 1987 S. 41 f; OLG Braunschweig NStZ 1994 S. 344 mit zust. Anm. GEPPERT JK 95, StGB § 157/13, und abl. Anm. HÄUF NStZ 1995 S. 35; OLG Celle NJW 1997 S. 1084.
116
Vgl. dazu BGHSt 8 S. 317; OLG Düsseldorf NJW 1986 S. 1822. - Weiter BGH NJW 1988 S. 2391; BGH bei Holtz, MDR 1993 S. 1039; BayObLG NJW 1996 S. 2244: Es genügt ftlr die Anwendung des § 157, dass der genannte Beweggrund nicht auszuschließen ist.
117
Vgl. dazu BGHSt 8 S. 319; 9 S. 121 mit Anm. ARMIN KAUFMANN JZ 1956 S. 605 f.
118
Vgl. BGH StV 1995 S. 249 mit Anm. GEPPERT JK 96, StGB § 157/4; BUSCH GA 1955 S. 264. - A.A. SCH/SCH/LENCKNER § 157 Rdn. 8, 11.
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§97
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
ein rechtskräftiger Freispruch erfolgte, da die Wiederaufnahme des Verfahrens in Betracht kommen könnte, § 362 Nr. 4 StPO. 119 2. Aussagen Eidesunmündiger, § 157 Abs. 2 105 § 157 Abs. 2 eröffnet die Möglichkeit der Milderung oder des Absehens von Strafe für uneidliche Aussagen eines Eidesunmündigen, auch wenn keine Zwangslage i.S. des § 157 Abs. 1 bestand. 3. Berichtigung einer falschen Angabe, §§ 158, 163 Abs. 2 a) Der Anwendungsbereich des § 158 106 aa) Personell ist § 158 nicht nur auf Zeugen und Sachverständige anwendbar, sondern auch auf Parteien und Teilnehmer. Eine analoge Anwendung kommt für den Verleitenden i.S. des § 160 in Betracht, denn maßgeblich ist die Zielsetzung des § 158, möglichst umfassend eine Abwendung der Rechtsgutsbeeinträchtigung zu ermöglichen. 107 bb) Sachlich setzt § 158 eine vollendete falsche Aussage voraus. Daran kann es z.B. bei konkludentem Widerruf vorheriger falscher Angaben und anschließender berechtigter Aussageverweigerung fehlen. 120 108 Im Falle des versuchten Meineids ist § 158 neben § 24 anwendbar. Das ist bedeutsam, da § 158 keine freiwillige, sondern nur eine rechtzeitige Berichtigung verlangt. Beispiel (nach BGHSt 4 S. 175): Beim Aussprechen der Eidesformel besinnt sich A, der eine falsche Aussage beschwören wollte, eines Besseren. Er bricht die Eidesleistung ab, gesteht, dass seine Aussage falsch war, und bekundet nunmehr die Wahrheit. 1. Alternative: Dies geschah, weil Α sich nicht eines Meineids schuldig machen wollte. 2. Alternative: Dies geschah, weil Α bewusst wurde, dass seine Aussage bereits als falsch erkannt worden war, so dass er den gewünschten Einfluss auf den Prozess nicht mehr nehmen konnte. Ergebnis in der 1. Alternative: Straffreiheit bzgl. des versuchten Meineids, § 2 4 Abs. 1 S. 1, 1. Alt.; Anwendung des § 158 bzgl. der falschen Aussage. Ergebnis in der 2. Alternative: § 24 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. nicht anwendbar, da Α nicht freiwillig handelte; Anwendung des § 158 aber auf falsche Aussage und versuchten Meineid.
b) Die Berichtigung 109 Berichtigung ist die Ersetzung der falschen Angabe in allen wesentlichen Punkten durch Mitteilung der Wahrheit. - Jedoch ist zu beachten: aa) Für die Berichtigung genügt es, dass der Aussagende mit der Erklärung, so etwas nie gesagt zu haben oder es nicht so gesagt zu haben, von seiner früheren falschen Darstellung eindeutig abweicht und sie durch eine wahrheitsgemäße Aussage ersetzt.121 bb) Ist nicht aufklärbar, ob die zweite oder die erste Aussage richtig war, so soll § 158 nach h.M. in Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo" Anwendung finden. 122
119
Dazu BGH bei Holtz, MDR 1983 S. 280.
120
BGH StV
121
O L G Hamburg JR 1981 S. 383 mit Anm. RUDOLPHI S. 384 ff.
1 2 2
V g l . B a y O b L G N J W 1 9 7 6 S. 8 6 0 m i t A n m . KÖPER N J W 1 9 7 6 S. 1 8 2 8 f f , STREE J R 1 9 7 6 S . 4 7 0 f f ;
1 9 8 2 S. 4 2 0 .
DERS. In d u b i o p r o r e o , 1 9 6 2 , S. 2 9 f f . - A . A . U I B E L N J W 1 9 6 0 S. 1 8 9 3 f.
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Delikte gegen die demokratische Willensbildung
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c) Die Berichtigungsstelle Gemäß § 158 Abs. 3 kann die Berichtigung bei der Behörde erfolgen, bei der die Falsch- 110 aussage erstattet wurde oder die sie im Verfahren zu prüfen hat, sowie bei einem beliebigen Gericht, einem Staatsanwalt oder einer Polizeibehörde. d) Der Zeitpunkt der Berichtigung Die Berichtigung muss rechtzeitig erfolgen. - Verspätet ist die Berichtigung gemäß § 158 111 Abs. 2: aa) Wenn sie bei der Entscheidung - das sind nur Sachentscheidungen, die den Fall ganz oder teilweise erledigen - nicht mehr berücksichtigt werden kann; bb) wenn aus der Tat schon ein - über die bloße Verschlechterung der Prozesslage hinausgehender - Nachteil für einen anderen entstanden ist; cc) wenn bereits gegen den Täter eine Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist. Maßgeblich für den Zeitpunkt ist der Eingang der Berichtigung bei einer der zuständigen Behörden, nicht der der Kenntnisnahme durch den zuständigen Beamten. e) Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen gemäß § 158 Abs. 1 und § 163 Abs. 2 sind unterschiedlich: Bei den Fal- 112 schaussagen i.S. der §§ 153, 154, 156 kann der Richter die Strafe gemäß § 49 Abs. 2 mildern oder ganz von Strafe absehen. - Bei den fahrlässigen Falschaussagen ist die Straflosigkeit obligatorisch.
§ 98 Strafbare Beeinträchtigung rechtlicher Verfahren I. Rechtsbeugung, § 339 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege in ihrer speziellen Aufgabe, richtiges Recht zu sprechen. Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. 1.
1
2. Rechtssache und Partei Rechtssache ist eine Rechtsangelegenheit, bei der mehrere Beteiligte mit widerstreitenden 2 rechtlichen Belangen einander gegenüberstehen können, wenn über sie nicht durch Verwaltungsmaßnahmen zu befinden ist, sondern in einem rechtlich geregelten Verfahren eine richterliche oder eine dieser gleichkommende - unparteiische - Entscheidung zu treffen ist. 123 - Partei ist jeder Beteiligte an der Rechtssache. Rechtssachen sind danach alle Rechtsstreitigkeiten vor den ordentlichen Gerichten sowie Verfahren vor den Arbeits-, Sozial-, Verwaltungs-, Finanz- und Verfassungsgerichten, Disziplinarverfahren und das Verwaltungsvorverfahren, das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, soweit alleinverantwortliche Entscheidungen der StA in Betracht kommen. ' 2 4 Keine Rechtssachen sind das Steuerfestsetzungs- und Steuerveranlagungsverfahren (BGHSt 24 S. 326; OLG Celle NStZ 1986 S. 513); Kostenfestsetzungsverfahren durch Rechtspfleger (OLG Düsseldorf MDR 1987 S. 604); Sozialhilfeverfahren (OLG Koblenz GA 1987 S. 553); Abnahme der Meisterprüfung (OLG Koblenz MDR 1993 S. 1104); Tätigkeit des Gerichtsvollziehers (OLG Düsseldorf NJW 1997 S. 2124).
123
BGHSt 24 S. 327; 34 S. 146; OLG Hamm NJW 1999 S. 2291.
124
Vgl. dazu BGHSt 32 S. 357; OLG Bremen NStZ 1986 S. 120.
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3. Die Tathandlung Das Recht beugt, wer Gesetz und Recht dadurch verletzt, dass er die ihn treffenden Pflichten als Richter (nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 auch Schöffen!), Amtsträger oder Schiedsrichter bei der Ermittlung des Sachverhalts oder der Anwendung des Rechts verletzt. 125 - Auf der Basis einer grundsätzlich objektiven Bestimmung des Begriffs der Rechtsbeugung schränkt der BGH den Tatbestand in seiner neueren Rechtsprechung dadurch wesentlich ein, dass er als Rechtsbeugung nur den „schwerwiegenden Rechtsbruch", den elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege, ansieht. 126 Diese Begrenzung des Tatbestandes findet im Gesetzesentwurf keine Grundlage. 127 Die Tathandlung muss zu einem schädlichen Erfolg, der Verbesserung oder der Verschlechterung der Lage einer Partei gefuhrt haben. 4. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz, der sich auf die Verletzung der Rechtspflichten und deren begünstigende oder benachteiligende Wirkung für eine Partei beziehen muss. 128 5. Schutzfunktion zugunsten des Entscheidenden § 339 hat für den Entscheidenden in einer Rechtssache eine nicht unerhebliche Schutzfunktion: Wer wegen seiner Tätigkeit bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zur Verantwortung gezogen wird, kann auch nach anderen Vorschriften als § 339 (insbes. nach §§211, 212, 239) nur dann verurteilt werden, wenn ihm eine Rechtsbeugung i.S. des § 339 nachgewiesen wird. 129
125
S o a u c h BEHRENDT J u S 1 9 8 9 S. 9 4 6 ff; GEPPERTJura 1981 S. 8 0 ; R u D O L P H i Z S t W 8 2 ( 1 9 7 0 ) S. 6 2 8 ff;
SCHMIDHÄUSER B.T., 23/44; WAGNER A m t s v e r g e h e n , 1975, S. 199 ff (Pflichttheorie). - Auf die objektive Rechtsverletzung stellen ab: BEMMANN GA 1969 S. 65 ff; MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B.T.2, § 77 Rdn. 10; SEEBODE JuS 1969 S. 204; SPENDEL LK, § 339 Rdn. 41 (objektive Theorie). - Das Handeln des Täters gegen seine Rechtsüberzeugung halten filr maßgeblich: SARSTEDT Heinitz-FS, S. 427 ff; V. WEBER NJW 1950 S. 272 ff (subjektive Theorie). 126
Vgl. BGHSt 32 S. 363 f; 34 S. 149; 38 S. 383; 40 S. 40; 40 S. 178; 40 S. 283; 41 S. 251; 42 S. 345; 47 S. 105, 108 f m i t ANM. BÖTTCHER N S t Z 2 0 0 2 S. 146 f f , FOTH J R 2 0 0 2 S. 2 5 7 ff, KÜHL/HEGER J Z 2 0 0 2 S. 2 0 1 ff, I. MÜLLER S t V 2 0 0 2 S. 3 0 6 ff, WOHLERS/GAEDE G A 2 0 0 2 S. 4 8 3 FF.
127
Z u r Kritik vgl. BEMMANN J Z 1995 S. 127; BRAMMSEN N S t Z 1 9 9 3 S. 5 4 2 ; DALLMEYER G A 2 0 0 4 S. 5 4 4 ff; HOHMANN D t Z 1996 S. 2 3 7 ; RUDOLPHI S K II, § 3 3 9 N r . 11 a; SCHOLDERER R e c h t s b e u g u n g im
demokratischen Rechtsstaat, 1993, S. 644; SCHROEDER DRiZ 1996 S. 222; SCHULZ StV 1995 S. 208 f; SEEBODE J R 1994 S. 1 ff; DERS. J u r a 1 9 9 7 S. 4 2 0 f; DERS. J R 1 9 9 7 S. 4 7 4 ff; SOWADA G A 1 9 9 8 S. 178 ff; SPENDEL J R 1994 S. 2 2 2 ; DERS. J R 1 9 9 6 S. 177 ff; DERS. J Z 1 9 9 8 S. 8 6 f; STANGLOW J U S 1 9 9 5 S. 9 7 5 ; VOLK N S t Z 1 9 9 7 S. 4 1 2 f; WAGNER J Z 1 9 8 7 S. 6 6 1 . 128
V g l
B G H N S t Z - R R 2 0 0 1 S. 2 4 4 . - A . A . H . G . KRAUSE N J W 1 9 7 7 S. 2 8 5 f; I. MÜLLER N J W
1980
S. 2390 ff. 129
Vgl. BGHSt 10 S. 294; 32 S. 364; 41 S. 255; OLG Düsseldorf JZ 1990 S. 396 mit Anm. OTTO JK 90, S t G B § 3 3 6 / 3 ; O L G K a r l s r u h e N J W 2 0 0 4 S. 1 4 6 9 m i t A n m . GEPPERT J K 0 4 , S t G B § 3 3 9 / 2 ; KÜPPER M e u r e r - G e d S , S. 130 f; LACKNER/KÜHL § 3 3 9 R d n . 11; RUDOLPHI S K II, § 3 3 9 R d n . 2 2 ; SCHROEDER G A 1 9 9 3 S. 3 9 4 f; SPENDEL L K , § 3 3 9 R d n . 129. - A . A . BEGEMANN N S t Z 1996 S. 3 8 9 ; SCH/SCH/CRAMER § 3 3 9 R d n . 7.
548
Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§98
6. Rechtsbeugung in der ehemaligen DDR Bei der Beurteilung von Handlungen in einem anderen Rechtssystem sind die Be- 6 Sonderheiten dieses Rechtssystems zu berücksichtigen. Das gilt auch für die jeweils geltenden Maßstäbe der Gesetzesauslegung. - Für die Bestrafung von Richtern der DDR wegen Rechtsbeugung folgt daraus, dass diese nur in Betracht kommt, wenn die Rechtswidrigkeit der Entscheidung offensichtlich war, insbes. weil die Entscheidung wegen Verletzung von Menschenrechten als willkürlich anzusehen war. 130
II. Aussageerpressung, § 343 Geschützt ist die Rechtspflege. - Die Tat ist unechtes Amtsdelikt. Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 2. 131
7
1. Der objektive Tatbestand Vorausgesetzt wird, dass ein Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), der zur Mitwirkung an be- 8 stimmten Verfahren berufen ist, einen anderen körperlich misshandelt - dazu § 15 Rdn. 2, gegen ihn sonst Gewalt anwendet - dazu § 27 Rdn. 14 -, ihm Gewalt androht - dazu § 27 Rdn. 15 - oder ihn seelisch quält - dazu § 20 Rdn. 17. Die Verfahren - Strafverfahren, Verfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwah- 9 rung (Abs. 1 Nr. 1), Bußgeld- (Abs. 1 Nr. 2), Disziplinarverfahren, ehrengerichtliche oder berufsgerichtliche Verfahren (Abs. 1 Nr. 3) - sind abschließend aufgezählt. Zum Strafverfahren gehören auch das Jugendgerichtsverfahren sowie das Verfahren zur Anordnung einer Maßnahme gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 8. Der Anordnung einer behördlichen Verwahrung dienen z.B. die Verfahren zur Anordnung der Fürsorgeerziehung und zur Unterbringung Geistes- und Suchtkranker. - Zum Bußgeldverfahren vgl. §§ 35 ff OWiG; zu den Disziplinarverfahren z.B. die BDO; zu den ehren- und berufsgerichtlichen Verfahren z.B. §§ 116 ff BRAO, §§46 ff SteuerberatG.
2. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestands und die Ab- 10 sieht (zielgerichtetes Wollen), das Opfer zu einer verfahrensrelevanten Aussage oder Erklärung oder zu deren Unterlassung zu nötigen.
III. Verfolgung Unschuldiger, § 344 Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, § 28 Abs. 1. Bestraft wird die Verfolgung Unschuldiger in bestimmten Verfahren.
130
Vgl. dazu BVerfG NJW 1998 S. 2585; BGHSt 40 S. 30 mit Anm. BÄNDEL NStZ 1994 S.439 f, GEPPERT JK 1994, StGB § 336/4, SPENDEL JR 1994 S. 221, ROGGEMANN JZ 1994 S. 769 ff; BVerfGE 4 0 S. 1 7 8 ; 4 1 S . 2 5 1 ; 4 4 S . 2 7 5 m i t A n m . SPENDEL J R 1 9 9 9 S. 2 2 1 ff, SCHROEDER N S t Z 1 9 9 9 S. 6 2 0 f;
BURIAN ZStW 112 (2000) S. 125 ff; GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 71 Rdn. 8; MAIWALD N J W 1993 S . 1 8 8 1 ff; SCHROEDER G A 1 9 9 3 S. 4 0 1 ff; SEEBODE L e n c k n e r - F S , S . 6 0 2 ff; WASSERMANN N J W 1 9 9 2
S. 878 f. - Überblick über die Rechtsprechung: ROGALL BGH-FG, S. 430 ff; SPENDEL Recht und Politik 2000 S. 226 ff. 131
D a z u MAIWALD J u S 1 9 7 7 S. 3 5 8 ; ROGALL R u d o l p h i - F S , S. 5 4 2 ; SCH/SCH/CRAMER § 3 4 3 R d n . 1. A . A . GEPPERT J u r a 1 9 8 1 S . 8 1 ; KUHLEN N K , § 3 4 3 R d n . 18; LACKNER/KÜHL, § 3 4 3 R d n . 1;
TRÖNDLE/FLSCHER § 343 Rdn. 1: echtes Amtsdelikt.
549
11
§98
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
1. Der objektive Tatbestand 12 a) § 344 Abs. 1 S. 1 setzt voraus, dass ein Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren - abgesehen von dem Verfahren zur Anordnung einer nicht freiheitsentziehenden Maßregel (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) - berufen ist, einen Unschuldigen, d.h. jemanden, der wegen der dem Verfahren zugrunde liegenden Tat nicht strafbar ist, oder jemanden, der nach dem Gesetz nicht verfolgt werden darf, strafrechtlich verfolgt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt, d.h. eine prozessual unzulässige Verfolgung betreibt. 132 Straßare Verfolgung ist jedes dienstliche Tätigwerden im Rahmen eines Strafverfahrens. Das Hinwirken auf eine solche Verfolgung erfasst die Tätigkeit von Hilfsorganen, die nicht selbst die Verantwortung für die Verfolgung tragen. Da es darauf ankommt, dass der Betroffene nicht verfolgt werden darf, entfällt der Tatbestand, wenn nach den einschlägigen Prozessgesetzen eine Untersuchung trotz Kenntnis der Unschuld einer Person zu führen oder weiterzuführen ist, z.B. nach Eröffnung des Hauptverfahrens. 133
13 b) In Abs. 1 S. 2 wird die entsprechende Tätigkeit eines Amtsträgers, der zur Mitwirkung an einem Verfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwahrung berufen ist, erfasst. 14 c) Abs. 2 S. 1 erfasst die entsprechende Tätigkeit des Amtsträgers im Verfahren zur Anordnung einer nicht freiheitsentziehenden Maßnahme, § 11 Abs. 1 Nr. 8. 15 d) Gemäß Abs. 2 S. 2 tritt an die Stelle der Verfolgung wegen einer Straftat oder rechtswidrigen Tat die wegen einer Ordnungswidrigkeit, eines disziplinarischen Vergehens oder solcher Vergehen, die im ehrengerichtlichen oder berufsgerichtlichen Verfahren geahndet werden. 2. Der subjektive Tatbestand 16 Der subjektive Tatbestand erfordert Absicht oder Wissentlichkeit; bedingter Vorsatz genügt nicht. Dem Täter muss es daher entweder darauf ankommen, dass die Verfolgung jemanden trifft, der nicht verfolgt werden darf, oder er muss das der Verfolgung entgegenstehende Hindernis positiv kennen. 134 3. Konkurrenzen 17 Gegenüber § 339 ist § 344 lex specialis. 135
IV. Vollstreckung gegen Unschuldige, § 345 18 Geschütztes Rechtsgut ist die Rechtspflege. - Die Tat ist echtes Amtsdelikt, § 28 Abs. 1. Bestraft wird die Vollstreckung von Strafen oder Maßregeln, die nach dem Gesetz nicht oder nicht so vollstreckt werden dürfen.
132
Vgl. GEERDS Spendel-FS, S. 511; LANGER JR 1989 S. 96, 98 f. - A.A.: Unschuldig ist, wer wegen der ihm zur Last gelegten Tat aus materiell-rechtlichen Gründen nicht strafbar ist; vgl. dazu KUHLEN NK, § 344 Rdn. 9, 12 f m. w. N.
133
Vgl. auch JESCHECK LK, § 344 Rdn. 5.
1 3 4
V g l . d a z u JESCHECK L K , § 3 4 4 R d n . 10; KUHLEN N K , § 3 4 4 R d n . 1 6 ; LACKNER/KÜHL § 3 4 4 R d n . 6 .
135
Vgl. GEERDS Spendel-FS, S. 516; JESCHECK LK, § 344 Rdn. 13. - A.A. (Tateinheit): GEPPERT Jura 1 9 8 1 S . 8 3 ; KUHLEN N K , § 3 4 4 R d n . 2 5 ; SPENDEL L K , § 3 3 9 R d n . 1 2 3 .
550
Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§98
1. § 345 Abs. 1, 2 a) Abs. 1, 2 erfassen die mit Freiheitsentzug verbundene rechtswidrige Vollstreckung einer 19 Freiheitsstrafe, einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung (§ 61 Nr. 1-4) oder einer freiheitsentziehenden behördlichen Verwahrung. - Vollstreckung ist jede dienstliche Tätigkeit und jedes pflichtwidrige Unterlassen, das den Erfolg der vollständigen oder teilweisen Vollziehung einer Rechtsfolge herbeifuhrt. b) Die Tat muss zumindest bedingt vorsätzlich (Abs. 1) oder leichtfertig (Abs. 2) begangen 20 werden. - Leichtfertig bedeutet grob fahrlässig. 136 2. §345 Abs. 3 a) Abs. 3 erfasst in Satz 1 die rechtswidrige Vollstreckung von nicht freiheitsentziehenden 21 Strafen (z.B. Geldstrafe) und Maßnahmen (§ 61 Nr. 5-7) sowie in Satz 2 die Vollstreckung weiterer, erschöpfend aufgezählter Maßregeln (Jugendarrest, Geldbuße oder Nebenfolge nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht, Ordnungsgeld, Ordnungshaft, disziplinarische, ehrengerichtliche und berufsgerichtliche Maßnahmen). b) Die Tat gemäß Abs. 3 erfordert zumindest bedingten Vorsatz. - Der Versuch ist strafbar. 22 3. Konkurrenzen Tateinheit ist möglich mit § 339. - Gegenüber § 239 ist § 345 lex specialis.
23
V. Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, § 353 d Die Vorschrift schränkt das Recht, aus Gerichtsverhandlungen oder Gerichtsakten Mit- 24 teilungen zu machen, fur bestimmte Fälle ein, in denen dies zum Schutz der durch das Strafverfahren Betroffenen nötig erscheint. - Mittelbar geschützt wird damit auch die Rechtspflege. 137 1. Der objektive Tatbestand der einzelnen Alternativen a) Nr. 1: Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot der öffentlichen Mitteilung über den sach- 25 liehen Inhalt einer Gerichtsverhandlung, bei der die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder über den Inhalt eines die Sache betreffenden amtlichen Schriftstücks. Ein gesetzliches Verbot der Mitteilung findet sich z.B. in § 174 Abs. 2 GVG. - Die Öffentlichkeit muss durch gerichtliche Anordnung ausgeschlossen worden sein, vgl. z.B. § 172 GVG. b) Nr. 2: Verstoß gegen die Schweigepflicht; dazu § 174 Abs. 3 GVG. 26 Unbefugt heißt hier rechtswidrig und ist allgemeines Verbrechensmerkmal. Als Befugnis, d.h. Rechtfertigungsgrund, kommt insbes. eine gesetzliche Aussagepflicht in Betracht. c) Nr. 3: Verstoß gegen das Verbot, Anklageschrift und bestimmte andere amtliche 27 Schriftstücke im Wortlaut öffentlich mitzuteilen, bevor sie in öffentlicher Verhandlung 136
OLG Hamm NStZ 1983 S. 459 mit Anm. MÜLLER-DIETZ S. 460.
137
V g l . WALDNER M D R 1983 S. 4 2 4 ; WILHELM N J W 1994 S. 1521. - F ü r d e n S c h u t z d e r U n b e f a n g e n h e i t d e r V e r f a h r e n s b e t e i l i g t e n : MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD B . T . 2 , § 7 6 R d n . 6 ; SCHMIDHÄUSER B . T . ,
23/56; SCH/SCH/PERRON § 353 d Rdn. 40. - Für einen gleichberechtigten Schutz beider Rechtsgüter: BVerfGE 71 S. 216 ff; BON-ICE NStZ 1987 S. 316 f; LACKNER/KÜHL § 353 d Rdn. 1; RENNING MeurerG e d S , S. 3 0 1 ; TRÄGER L K , § 3 5 3 d R d n . 2 ; TRÖNDLE/FISCHER § 3 5 3 d R d n . 1.
551
§98
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist. 138 Im Wortlaut öffentlich mitteilen setzt wortgetreue öffentliche Wiedergabe voraus, und zwar wesentlicher Teile des Schriftstücks. 139 Amtlich sind Schriftstücke, die von einer Behörde verfasst und von den Trägern des Strafverfahrens diesem zugeordnet worden sind. 140 Mitteilungen durch den Betroffenen selbst, z.B. den Angeklagten, sind nicht tatbestandsmäßig, da sie das geschützte Rechtsgut nicht verletzen. 141 2. Der subjektive Tatbestand 28 Der subjektive Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz.
VI. Parteiverrat, § 356 1. Geschütztes Rechtsgut und Täterkreis 29 a) Die Vorschrift schützt die Rechtspflege, d.h. das Vertrauen in die Integrität der Rechtspflege. Die Schutz der persönlichen Treueverpflichtung gegenüber dem Auftraggeber ist nur Reflex dieses Schutzes. 30 b) Rechtssachen sind alle Angelegenheiten des Zivil-, Straf-, Verwaltungsrechts und der freiwilligen Gerichtsbarkeit, bei denen mehrere Beteiligte in entgegengesetztem Interesse einander gegenüberstehen können und die nach Rechtsgrundsätzen zu entscheiden sind. 142 31 c) Täter kann jeder Rechtsbeistand im weiteren Sinne sein, der zur geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten amtlich zugelassen ist. - Es ist nicht erforderlich, dass der Täter den Beruf eines Rechtsbeistandes auf Dauer ausübt. Beispiele: Rechtsanwälte, jedoch nicht als Konkursverwalter (BGHSt 13 S. 231); Vormund (BGHSt 24 S. 191) oder Syndikus, wenn dieser weisungspflichtig tätig wird (dazu § 46 BRAO). - Patentanwälte; Hochschullehrer nach δ 138 StPO; Referendare nach §§ 138 Abs. 2 und 142 Abs. 2 StPO; Prozessagenten nach § 157 ZPO (str. 1 4 3 ).
32 Die Tätereigenschaft ist besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 28 Abs. 1.
138
Zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift: BVerfGE 71 S. 206 mit Anm. BOTTKE NStZ 1987 S. 314 ff, u n d HOFFMANN-RIEM J Z 1 9 8 6 S . 4 9 4 f.
139
Im Einzelnen dazu OLG Köln JR 1980 S. 473 mit Anm. BOTTKE S. 474 ff; SCHOMBURG ZRP 1982 S. 1 4 2 ff; T Ö B B E N S G A 1 9 8 3 S. 9 7 ff.
140
Vgl. AG Hamburg NStZ 1988 S. 411 f mit Anm. STRATE S. 412; HÖVER SK II, § 353 d Rdn. 21; KUHLEN NK, § 353 d Rdn. 9 f; LACKNER/KÜHL § 353 d Rdn. 4. - Enger (nur Schriftstücke, die für das konkrete Verfahren von einer Behörde erstellt werden): SENFFT StV 1990 S. 411. - Weiter (alle Schriftstücke, denen die mit dem Verfahren befasste Behörde Bedeutung beimisst): OLG Hamburg NStZ 1990 S . 2 8 3 ; RENNING M e u r e r - G e d S , S . 2 9 6 f f ; SCH/SCH/PERRON § 3 5 3 d R d n . 4 3 ; TRÄGER L K , § 3 5 3 d
Rdn. 141
48.
Vgl. auch LG Mannheim NStZ-RR 1996 S. 361; AG Weinheim NJW 1994 S. 1543 mit Anm. WILHELM S. 1520 ff. - Anders wenn die Rechtspflege als geschütztes Rechtsgut angesehen wird; vgl. AG Nürnb e r g M D R 1 9 8 3 S . 4 2 4 m i t A n m . WALDNER S . 4 2 4 f; LACKNER/KÜHL § 3 5 3 d R d n . 4 .
142
BGHSt 18 S. 192; OLG DüsseldorfNStZ-RR 1996 S. 298.
143
Im Einzelnen dazu KUHLEN NK, § 356 Rdn. 11.
552
Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§98
2. Der Grundtatbestand, Abs. 1 a) Abs. 1 erfasst das Verhalten des Rechtsanwalts oder Rechtsbeistandes, der bei den ihm 3 3 in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien dient. Anvertrauen ist bereits die Übertragung der Interessenwahrnehmung. - Parteien sind die 34 an einer Rechtssache rechtlich beteiligten Personen. - Dienen ist jede berufliche Tätigkeit in der Eigenschaft als Anwalt oder Rechtsbeistand, rechtlicher oder tatsächlicher Art, durch die das Interesse einer Partei gefordert werden soll 1 4 4 . - Der Täter muss beiden Parteien dienen; die Verfolgung eigener Interessen gegen den früheren Auftraggeber ist daher nicht tatbestandsmäßig. - Ob dieselbe Rechtssache vorliegt, ist nach dem Interessenkreis zu beurteilen, den der Auftraggeber dem Täter anvertraut hat. Dabei kommt es nicht auf die Identität der einzelnen Ansprüche oder des Verfahrens an, sondern darauf, ob die sich aus dem Gesamtsachverhalt ergebenden Interessen möglicherweise identisch sind. Beispiele: Zwei aufeinanderfolgende Scheidungsprozesse, bei denen jeweils die andere Partei vertreten wird (BGHSt 17 S. 305; 18 S. 192); Strafverfahren und damit zusammenhängende Schadensersatzklage (BGH GA 1961 S. 203); Verteidigung des Ehemannes im Verfahren wegen eines Sexualdelikts und Vertretung der Ehefrau im Scheidungsverfahren (OLG Düsseldorf NJW 1959 S. 1050); Beratung von Miterben (BayObLG J R 1991 S. 163 mit Anm. RANFT S. 164 ff); Beratung des Angekl. und eines als Alternativtäter in Betracht kommmenden Zeugen; 1 4 5 Verteidigung des Angekl. und Schadensersatzprozess gegen den Angekl.' 4 ®
Pflichtwidrig dient der Anwalt, wenn er der anwaltlichen Berufspflicht (§ 45 Nr. 2 3 5 B R A O ) zuwiderhandelt, d.h. wenn er einer Partei Beistand und Rat leistet, nachdem er einer anderen Partei in derselben Rechtssache aber in entgegengesetztem Interesse Rat und Beistand geleistet hat. Entscheidend ist der Interessengegensatz, der auf der Grundlage der konkreten Ziele der Parteien und des erteilten Auftrags zu ermitteln ist. 1 4 7 Dass er in beiden Verfahren denselben Rechtsstandpunkt vertritt, ist unerheblich. 148 - Eine Einwilligung des Auftraggebers ist irrelevant, da nicht seine Interessen, sondern die der Rechtspflege geschützt werden. 1 4 9 - Eine Vertretung zweier Parteien durch Anwälte derselben Sozietät ist nicht pflichtwidrig. 150 b) Die Tat erfordert zumindest bedingten Vorsatz. Der Täter muss sich insbes. „der Iden- 3 6 tität des materiellen Rechtsverhältnisses" 151 und des Interessengegensatzes bewusst sein. 1 5 2
144
Vgl. BGHSt 20 S. 41.
145
Vgl. OLG Zweibrücken NStZ 1995 S. 35 mit Anm. DAHS S. 16 ff, GEPPERT JK 95, StGB § 356/4, NIBBELFNG J R 1995 S.479 ff.
146
Vgl. BayObLG NJW 1995 S. 606 mit Anm. RANFT J R 1996 S. 256 f.
147
Vgl. BVerfG NJW 2001 S. 3140; BGHSt 5 S. 307 f; 7 S. 20; 9 S. 347; 18 S. 198; 34 S. 192; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 S. 237 mit Anm. O r r o JK 98, StGB § 356/5; OLG Karlsruhe StV 2003 S. 340 mit Anm. ERB NJW 2003 S. 730 ff, GEPPERT JK 03, StGB § 356/6; OLG Düsseldorf VRS 104 (2003) S. 133; im Einzelnen dazu MENNICKE ZStW 112 (2000) S. 859 ff.
148
BGHSt 34 S. 190.
149
BGH NStZ 1985 S. 74.
150
BGH NJW 1994 S. 2 3 0 2 . - Z u r Sozietät auch BGHSt 40 S. 188.
151
BGHSt 15 S. 338.
152
Dazu RANFT J R 1991 S. 164 ff.
553
§98
Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
3. Die Qualifikation, Abs. 2 37 Abs. 2 qualifiziert den Abs. 1 zum Verbrechen, wenn der Täter im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei handelt. Der Nachteil (Schaden) aufgrund der Tätigkeit des Täters braucht nicht eingetreten zu sein. Es genügt, dass sich der Täter der Verschlechterung der Rechtslage der anderen Partei bewusst ist.'
153
554
OLG Düsseldorf wistra 1989 S. 316.
Delikte gegen die demokratische Willensbildung
§99
Fünfter Abschnitt Delikte gegen den öffentlichen Dienst § 99 Bestechungsdelikte I. Rechtsgut, Gesetzessystematik und Tatbeteiligte 1. Das geschützte Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist die öffentliche Verwaltung, und zwar das Vertrauen in die Un- 1 käuflichkeit von Trägern staatlicher Funktionen und in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen als Voraussetzung für ein sachgerechtes Funktionieren der Verwaltung.1 2. Die Systematik des Gesetzes Das Gesetz unterscheidet zwischen passiver und aktiver Bestechung. a) Grundtatbestand der passiven Bestechung ist § 331 Abs. 1 (Vorteilsannahme). QuaIifiziert ist der Tatbestand in § 331 Abs. 2 für Richter und Schiedsrichter hinsichtlich ihrer richterlichen Tätigkeit. Eine weitere Qualifizierung des § 331 Abs. 1, 2 findet sich sodann in § 332 Abs. 1, 2 (Bestechlichkeit). Das qualifizierende Element besteht in der pflichtwidrigen Diensthandlung. Der Zusammenhang zwischen pflichtwidriger Diensthandlung und Käuflichkeit begründet eine stärkere Erschütterung des Vertrauens in die Sachlichkeit der Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern als der Zusammenhang zwischen pflichtgemäßer Diensttätigkeit und Käuflichkeit. b) Grunddelikt der aktiven Bestechung ist § 333 (Vorteilsgewährung). Einen qualifizierten Tatbestand enthält § 334 (Bestechung). c) Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und der Bestechung erfasst § 335. d) § 336: Unterlassen der Diensthandlung, stellt klar, dass der Vornahme einer Diensthandlung oder einer richterlichen Handlung i.S. der §§ 331 - 335 auch das (vergangene oder künftige) Unterlassen der Handlung gleichsteht. e) § 337: Schiedsrichtervergütung, stellt klar, dass der sich gegen beide Parteien richtende Vergütungsanspruch des Schiedsrichters nicht als Vorteil i.S. der §§ 331 - 334 anzusehen ist. f) § 338 regelt die Voraussetzung der Vermögensstrafe und des Erweiterten Verfalls in den Fällen der §§ 332, 334.
2 3
4 5 6
7
8
3. Tatbeteiligte a) Täter des Delikts nach § 331 Abs. 1 können nur Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2) oder fur 9 den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete (§ 11 Abs. 1 Nr. 4) sein. Diesen sind als Täter des § 331 Abs. 1, 332 Abs. 1, 336 gemäß § 48 Abs. 1 WStG Offiziere und Unteroffiziere und gemäß § 48 Abs. 2 WStG auch Mannschaften als Täter nach §§ 332 Abs. 1, 336 1
V g l . B G H 15 S. 9 6 f; B G H S t V 1 9 9 7 S. 1 2 9 ; GEPPERT J u r a 1 9 8 1 S. 4 6 ; JESCHECK L K , V o r § 3 3 1 R d n . 17; KARGL Z S t W 1 1 4 ( 2 0 0 2 ) S . 7 8 2 ff; KREY B . T . l , R d n . 6 6 0 ; KÜPPER B . T . l , II § 4 R d n . 5 ; LACKNER/KÜHL § 3 3 1 Rdn. 1; Loos Welzel-FS, S. 8 9 0 ; STEIN SK II, § 3 3 1 Rdn. 4 ; SCHLÜCHTER Ge-
erds-FS, S. 715. - Für Sachlichkeit der Amtsführung als Rechtsgut: DÖLLING ZStW 112 (2000) S. 335; RANSIEK StV 1996 S. 450. - Für Funktionsfähigkeit der staatlichen Verwaltung: HEINRICH Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht, 2001, S. 275 ff, 288.
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§99
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Dritter Teil: Delikte gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
gleichgestellt. Täter des Delikts nach § 331 Abs. 2 und 332 Abs. 2 kann nur ein Richter (§ 11 Abs. 1 Nr. 3) oder ein Schiedsrichter (dazu z.B. §§ 1025, 1048 ZPO) sein. - Die Täterposition ist strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1. Sie muss im Tatzeitpunkt gegeben sein. Diese Personen haften wegen ihrer Tatbeteiligung allein gemäß §§ 331, 332 und nicht als Teilnehmer an der Tat des Vorteilsgebers (§§ 333, 334), auch wenn sie diesen zur Tat angestiftet oder über das notwendige Maß hinaus Beihilfe geleistet haben. Die §§ 331, 332 enthalten für den dort genannten Täterkreis eine Exklusivregelung. b) Umgekehrt ist das Verhalten des Vorteilsgebers abschließend in §§ 333, 334 erfasst. Er kann wegen seines Verhaltens nicht als Teilnehmer einer Tat nach §§ 331, 332 bestraft werden. c) Die Teilnahme Dritter ist in den §§331 ff nicht ausdrücklich geregelt. Damit erscheinen die allgemeinen Regeln anwendbar mit der Konsequenz, dass der Teilnehmer auf Seiten des Vorteilsnehmers nach §§ 26, 27 i.V.m. §§ 331, 332 haftet, der Teilnehmer auf Seiten des Vorteilsgebers nach §§ 26, 27 i.V.m. §§ 333, 334. Diese Differenzierung geht jedoch an der Tatsache vorbei, dass die Tat des Vorteilsgebers im Regelfall einen schwereren Unrechtsgehalt verwirklicht als die eines Außenstehenden, gleichgültig, ob er auf den Vorteilsnehmer oder -geber einwirkt, bzw. einen oder beide unterstützt. Daher erscheint es angemessen, allein den Vorteilsnehmer gemäß §§ 331, 332 zu erfassen, das Verhalten des Vorteilsgebers und an der Tat teilnehmender Dritter aber nach §§ 333, 334, bzw. unter Anwendung des Strafrahmens der §§ 333, 334 zu bestrafen.2
II. Vorteilsannahme, § 331 1. Der Tatbestand des Abs. 1 14 Tathandlungen nach Abs. 1 sind das Fordern, Sichversprechenlassen oder Annehmen eines Vorteils fur sich oder einen Dritten fur die Dienstausübung, die als solche nicht nachweisbar dienstpflichtwidrig ist. Das Verhalten muss daher auf eine „ Unrechtsvereinbarung" zielen, die aber im Gegensatz zum früheren Recht nicht mehr auf eine konkrete Diensthandlung „als Gegenleistung" gerichtet sein muss. Bezugspunkt ist nunmehr die dienstliche Tätigkeit, so dass es genügt, dass die Zuwendung in dem Bewusstsein erfolgt, dass der Amtsträger hierfür eine dienstliche Tätigkeit vorzunehmen hat oder künftig vornehmen werde. 3 Die Unrechtsvereinbarung braucht in der Alternative des Forderns nicht zum Abschluss gekommen zu sein, während sie in den Alternativen des Sichversprechenlassens oder des Annehmens zustande gekommen sein muss. Problematisch wird die Unrechtsvereinbarung, wenn rechtliche Vorschriften die Einwerbung von „Vorteilen" erlauben oder sogar dazu verpflichten, wie z.B. im Falle der Drittmittelwerbung. Der BGH hat hier postuliert, dass die Einwerbung von Drittmitteln dann nicht den Tatbestand der Vorteilsannahme erfüllt, wenn die fur die Einwerbung von Drittmitteln im Hochschulrecht vorgeschriebenen Verfahrensvorschriften eingehalten
V g l . a u c h JESCHECK L K , § 3 3 4 R d n . 8; KREY B . T . l , R d n . 6 7 5 ; STEIN S K II, § 3 3 4 R d n . 8 .
Der Gesetzgeber folgte hier dem Vorschlag von DÖLLING Gutachten für den 61. Dt. Juristentag, 1996, C 64 ff; vgl. auch OLG Hamm NStZ 2002 S. 38 mit Anm. OTTO JK 02, StGB § 331/6; DÖLLING ZStW 1 1 2 ( 2 0 0 0 ) S . 3 4 4 ; GEERDS
JR 1 9 9 6 S . 3 1 0 ; KARGL Z S t W 1 1 4 ( 2 0 0 2 ) S . 7 7 4 ff; KÖNIG J R 1 9 9 7 S .
399. - Krit. dazu LÜDERSSEN StV 1997 S. 321 ff.
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werden.'' Diese „Legalisierung durch Verfahren" ist zweifellos hilfreich, doch wird damit die Gefahr begründet, einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften als matarielles Bestechungsunrecht zu ahnden. Angemessener wäre es gewesen, hier auf die grundsätzliche Genehmigungsfähigkeit - unabhängig von § 331 Abs. 3 abzustellen.^
a) Vorteil ist jede Leistung, auf die der Amtsträger oder der begünstigte Dritte keinen An- 15 spruch hat und die die wirtschaftliche, rechtliche oder persönliche Lage des Begünstigten objektiv verbessert.6 Sozialadäquate Zuwendungen, d.h. kleine Aufmerksamkeiten, deren Angebot den Regeln 16 der Höflichkeit oder der Verkehrssitte entspricht - Angebote einer Zigarette, einer Tasse Kaffee, eines Kalenders oder ähnlichen Werbegeschenkes, Neujahrsgeschenke an Briefträger, die Angestellten der Müllabfuhr u.Ä. - sind keine Vorteile i.S. des Gesetzes. 7 Eine Begrenzung auf eine bestimmte Summe 8 ist demgegenüber sachwidrig. Damit wird die Käuflichkeit von Diensthandlungen nämlich grundsätzlich akzeptiert. Entgegen der früheren gesetzlichen Regelung werden jetzt nicht nur Vorteile erfasst, die 17 die Amtsperson selbst besser stellen, sondern auch Zuwendungen an Dritte, denn auch in Fällen der Bevorteilung Dritter wird das geschützte Rechtsgut „Verkauf der dienstlichen Tätigkeit" beeinträchtigt, doch ist auch dann zu fordern, dass der Vorteil mittelbar oder unmittelbar, materiell oder immateriell dem Täter zu Gute kommt, so dass z.B. Zahlungen an karitative Einrichtungen, zu denen der Täter in keiner Beziehung steht, dem Begriff nicht genügen. 9 b) Fordern ist das einseitige Verlangen des Vorteils. Sichversprechenlassen ist die An- 18 nähme eines auch nur bedingten Angebotes der späteren Zuwendung. - Annehmen ist das tatsächliche Empfangen des angebotenen Vorteils. Keine Diensthandlungen sind erkennbare Privathandlungen, auch wenn diese bei Gelegenheit des Dienstes oder mit Kenntnissen aus dem Dienst wahrgenommen werden, wie z.B. Privat-Unterricht eines Lehrers (BGH GA 1966 S. 377); Detektivtätigkeit eines Polizeibeamten in seiner Freizeit (OLG Zweibrücken JR 1982 S. 381 mit Anm. GEERDS S. 384 ff); Zeugenaussage eines Polizeibeamten über private Wahrnehmung (OLG
4
BGHSt 47 S. 295, 303 mit Anm. KÖRTE NStZ 2003 S. 156 ff, KUHLEN JR 2003 S. 231 ff, MICHALKE NJW 2002 S. 3381 f, OTTO JK 03, StGB § 331/7, RÖNNAU JUS 2003 S. 232 ff, THOLL wistra 2003 S. 181 f; BGHSt 48 S. 44; BGH wistra 2003 S. 303; dazu vgl. auch AMBOS JZ 2003 S. 345 ff; CRAMER Roxin-FS, S. 945 ff; KLNDHÄUSER/GOY NStZ 2003 S. 291 ff; SATZGER ZStW 115 (2003) S. 469 ff; SCHMIDT/GÜNTNER NJW 2004 S. 471 ff; TAG JR 2004 S. 52 ff; WENTZELL Zur Tatbestandsproblematik der §§ 331, 332 StGB, 2004, S. 43 ff. - Die Übertragung der Grundsätze der Drittmittelwerbung auf Parteispenden - dazu LG Wuppertal NJW 2003 S. 1405 mit Anm. OTTO JK 03, StGB § 331/8 - lehnt der BGH ab. Er stellt darauf ab, ob die Förderung allein dazu dienen soll, die allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Vorstellungen des Vorteilsgebers zu fördern (dann straflos) oder konkrete Entscheidungen zu Gunsten des Vorteilsgebers beeinflussen soll (dann strafbar); vgl. BGH NJW 2004 S. 3569, 3575.
5
Vgl. dazu auch MAIWALD JuS 1977 S. 357; MICHALKE Rieß-FS, S. 774 f; OTTO JK 03, StGB § 331/7.
6
Im Einzelnen dazu BGH NJW 2001 S. 2558; OLG Hamburg StV 2001 S. 277; OLG Hamburg StV 2001 S. 284; OLG Karlsruhe StV 2001 S. 289 mit zusammenfassender Anm. ZLESCHANG S. 290 ff.
7
Dazu auch BGH wistra 1991 S. 221; BGH wistra 2002 S. 426; CREIFELDS GA 1962 S. 33 ff; DÖLLING Z S t W 112 (2000) S. 344; ESER Roxin-FS, S. 203 ff, 210; FUHRMANN G A 1959 S. 97 ff; GEERDS Beste-
chungsdelikte, S. 76 ff; KARGL ZStW 114 (2002) S. 778 ff. 8
Dazu GRIBL Der Vorteilsbegriff bei den Bestechungsdelikten, 1993, S. 96 ff, 146.
9
Vgl. dazu BT-Drucks. 13/5584, S. 9; DANNECKER in: Dannecker/Leitner (Hrsg.), Schmiergelder, 2001, S. 121 ff; KÖNIG D R i Z 1996 S. 357, 361; KÖRTE N S t Z 1997 S. 515.
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Köln NJW 2000 S. 3727); Fertigung von Bauantragsunterlagen flir einen Dritten (BGH wistra 2001 S. 288 m i t A n m . OTTO J K 0 2 , S t G B § 3 3 2 / 7 ) .
19 c) Zwischen der Dienstausübung und dem Vorteil muss eine Beziehung bestehen. Ob eine bestimmte dienstliche Tätigkeit wirklich vorgenommen worden ist oder vorgenommen wird, ist unbeachtlich. - Auch wenn der Täter nur vortäuscht, dass er eine Diensthandlung vorgenommen habe oder vornehmen werde, hat er eine Unrechtsvereinbarung erstrebt und damit das Vertrauen in seine Amtsführung erschüttert, und zwar gleichgültig, ob eine künftige oder eine in der Vergangenheit liegende Diensthandlung betroffen ist, da die Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts insoweit identisch ist. 10 20 d) Der Tatbestand erfordert zumindest bedingten Vorsatz. 2. Der Tatbestand des Abs. 2 21 Die Tathandlungen gemäß Abs. 2 unterscheiden sich von denen des Abs. 1 nur dadurch, dass sie sich auf eine konkrete richterliche Handlung beziehen, d.h. auf Handlungen, die nach den geltenden Rechtsvorschriften in den Zuständigkeitsbereich eines Richters oder Schiedsrichters fallen. 3. Die behördliche Genehmigung, Abs. 3 22 a) Nach Abs. 3 ist ein „Sichversprechenlassen" und „Annehmen" i.S. des Abs. 1 nicht strafbar, wenn die zuständige Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse die Annahme des Vorteils entweder vorher oder nach unverzüglicher Anzeige durch den Amtsträger genehmigt hat. - Eine Genehmigung der Annahme vom Täter geforderter Vorteile kommt nicht in Betracht. 23 Maßgeblich ist nicht die formelle Genehmigung, sondern die tatsächliche Genehmigungsfahigkeit der Vorteilsannahme. Dann aber ist es angemessen, die Genehmigung als Rechtfertigungsgrund zu interpretieren und die Rechtfertigung auch dann durchgreifen zu lassen, wenn die Genehmigung zuvor nicht erteilt und eine Annahme unter Vorbehalt (Einladung zum Essen) nicht möglich war 11 oder die Genehmigung pflichtwidrig verweigert wird. 24 b) Wird die Genehmigung erteilt, obwohl die Vorteilsannahme nicht genehmigungsfahig war, so hat die Genehmigungsbehörde sich nicht im Rahmen ihrer Befugnisse gehalten. Die Genehmigung kann keine rechtfertigenden Befugnisse entfalten, doch kommt für den Amtsträger ein Verbotsirrtum in Betracht. 12
10
V g l . GEERDS J R 1 9 8 1 S. 3 0 1 f f ; JESCHECK L K , § 3 3 1 R d n . 14; LACKNER/KÜHL § 3 3 1 R d n . 11; SCH/SCH/CRAMER § 3 3 1 R d n . 3 0 . - A . A . B G H S t 2 9 S . 3 0 0 ; DÖLLING JUS 1 9 8 1 S. 5 7 2 ff; GÜLZOW M D R 1 9 8 2 S. 8 0 2 ff; MAIWALD N J W 1 9 8 1 S. 2 7 7 7 ff; STEIN S K II, § 3 3 1 R d n . 17 b.
11
So im Ergebnis auch MAIWALD JuS 1977 S. 357. - Die h.M. fordert demgegenüber die Genehmigungsfähigkeit und die Absicht des Täters, unverzüglich Anzeige zu erstatten; vgl. ESER III, Nr. 18 A 5 0 ; GEPPERT J u r a 1 9 8 1 S. 5 0 ; JESCHECK L K , § 3 3 1 R d n . 16; KREY B . T . l , R d n . 6 7 0 ; LACKNER/KÜHL
§331 Rdn. 16. 12
V g l . HARDTUNG E r l a u b t e V o r t e i l s a n n a h m e , 1 9 9 4 , S. 1 3 5 ff, 1 5 5 ; MAIWALD J u S 1 9 7 7 S. 3 5 6 ; STEIN S K II, § 3 3 1 R d n . 3 7 . - A . A . SCH/SCH/CRAMER § 3 3 1 R d n . 5 1 .
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III. Bestechlichkeit, § 332 1. Der Tatbestand a) § 332 qualifiziert § 331 für den Fall, dass die Unrechtsvereinbarung auf eine pflichtwidrige Dienst- oder richterliche Handlung abzielt. Gegenstand der Unrechtsvereinbarung ist hier - ausdrücklich oder konkludent - die Gewährung eines Vorteils an den Empfanger als Gegenleistung für eine von ihm vorzunehmende oder vorgenommene konkrete pflichtwidrige Dienst- oder richterliche Handlung. Die pflichtwidrige Handlung muss in ihrem sachlichen Gehalt mindestens in groben Umrissen erkennbar und festgelegt sein. 13 b) Eine Verletzung der Dienstpflicht liegt vor, wenn die Diensthandlung selbst - nicht nur die Vorteilsannahme - gegen ein auf Gesetz, Dienstvorschrift oder Einzelanordnung beruhendes Verbot oder Gebot verstößt. Sie ist auch dann gegeben, wenn der Täter eine dienstlich verbotene Handlung vornimmt, die ihm gerade durch seine Dienststellung ermöglicht wird. 14 c) Eine Klarstellung über den Umfang des Tatbestandes enthält Abs. 3. Danach finden Abs. 1, 2 auch Anwendung, wenn der Vorteilsnehmer sich in Bezug auf eine künftige Diensthandlung dem Vorteilsgeber gegenüber bereit zeigt, seine Pflichten zu verletzen, d.h. nach außen seine Bereitschaft bekundet, seine Entscheidung auch an dem Vorteil auszurichten,15 oder, im Falle von Ermessenshandlungen, dem Vorteil Einfluss auf die Entscheidungen einzuräumen. - Der geheime Vorbehalt des Täters, den Vorteil nicht zu beachten oder die pflichtwidrige Handlung nicht zu begehen, entlastet ihn nicht. Diese Entscheidung des Gesetzgebers, mit der eine langjährige Rechtsprechung positiviert wurde, ist konsequent: Auch in den unmittelbar in Abs. 1 und Abs. 2 genannten Fällen kommt es auf die Unrechtsvereinbarung an, nicht darauf, ob die Handlung dann später in der vorgesehenen Weise vorgenommen wird. In den Fällen des Abs. 3 ist der Gehalt der Unrechtsvereinbarung, selbst wenn diese erst bis zur Bereiterklärung gediehen ist, von gleich negativer Wirkung für das geschützte Rechtsgut. - Die Vereinbarung muss aber objektiv auf ein pflichtwidriges Verhalten oder die Berücksichtigung des Vorteils bei einer Ermessensentscheidung gerichtet sein. Gibt der Vorteilsnehmer eine rechtmäßige Entscheidung lediglich als pflichtwidrig aus, oder täuscht er die Ermessenshandlung nur vor, so liegt nur § 331 (u.U. in Idealkonkurrenz mit § 263) vor, weil die Unrechtsvereinbarung objektiv nicht über pflichtwidriges Verhalten, sondern nur über ein scheinbar pflichtwidriges Verhalten zustande gekommen ist. Zur Verdeutlichung: BGH NStZ 1984 S. 24: A, dem die Überprüfung oblag, ob ausreisende Lkw-Fahrer einer Verkehrsgenehmigung bedurften, erweckte bei den Fahrern den Eindruck, er erteile die Verkehrsgenehmigung, obwohl die Voraussetzungen nicht vorlägen, wenn er ein Entgelt erhalte. In Wirklichkeit lagen die Voraussetzungen vor.
13
Vgl. BGHSt 32 S. 291; 39 S. 45, 47 mit Anm. GEERDS JR 1993 S. 211 ff, OTTO JK 93, StGB § 331/4, WAGNER JZ 1993 S. 473 f; BGH StV 1994 S. 243; BGH wistra 1999 S. 271.
14
Dazu BGH NJW 1983 S. 462 mit krit. Anm. AMELUNG/WEIDEMANN JuS 1984 S. 595 ff; BGH NStZ 1 9 8 7 S . 3 2 6 m i t A n m . LETZGUS S. 3 0 9 ff, OTTO J K 8 7 , S t G B § 3 3 2 / 2 ; LACKNER/KÜHL § 3 3 1 R d n . 8. A . A . E B E R T G A 1 9 7 9 S. 3 6 1 ff; WAGNER J Z 1 9 8 7 S. 5 9 8 .
15
Vgl. BGHSt 48 S. 47.
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BGH: Dem Α kann der Anschein der Käuflichkeit für pflichtwidriges Handeln nur dann strafrechtlich zugerechnet werden, wenn die Diensthandlung objektiv pflichtwidrig und ihm die Pflichtwidrigkeit bewusst ist. Dies ist hier nicht der Fall.
29 d) Subjektiv erfordert der Tatbestand zumindest bedingten Vorsatz. 2. Die Tatvollendung 30 Die Tat ist mit dem Zustandekommen der Unrechtsvereinbarung in den Alternativen des Sichversprechenlassens und Annehmens vollendet, beim Fordern mit Geltendmachung der Forderung. 3. Behördliche Genehmigung 31 Eine Rechtfertigung durch behördliche Genehmigung kommt nicht in Betracht, weil die Tat auf eine Pflichtverletzung gerichtet ist. 4. Strafschärfung, Vermögensstrafe und Erweiterter Verfall 32 Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, auch in Verb, mit Abs. 3, erfasst § 335. Als Regelbeispiele nennt § 335 Abs. 2 den Vorteil großen Ausmaßes, die fortgesetzte Annahme von Vorteilen, die als Gegenleistung für Aufträge oder Diensthandlungen gefordert wurden sowie das gewerbsmäßige Handeln und das Handeln als Mitglied einer Bande. § 338 Abs. 1 eröffnet die Möglichkeit der Verhängung einer Vermögensstrafe und des Erweiterten Verfalls.
IV. Vorteilsgewährung, § 333 1. Der Tatbestand des § 333 Abs. 1 33 a) § 333 bildet auf Seiten des Vorteilsgebers das spiegelbildliche Gegenstück zu § 331, jedoch mit einer Modifizierung: Die Tat kann nicht nur gegenüber den in § 331 genannten Amtspersonen, sondern auch gegenüber Soldaten (§ 1 Abs. 1 SoldatenG) begangen werden. - Da der einfache Soldat in § 331 nicht mit Strafe bedroht ist, vgl. § 48 Abs. 1 WStG, bleibt dieser als Nehmer des Vorteils straflos, während der Geber nach § 333 bestraft wird. - Eine wenig überzeugende Regelung. 34 b) Als Tathandlung entspricht dem Fordern das Anbieten, dem Versprechenlassen das Versprechen und dem Annehmen das Gewähren: im einzelnen dazu § 61 Rdn. 165. 35 c) Die Tat erfordert zumindest bedingten Vorsatz. 2. Der Tatbestand des Abs. 2 36 a) Gegenstand der Tathandlung nach Abs. 2 ist eine bereits vorgenommene oder künftig vorzunehmende richterliche oder schiedsrichterliche Handlung. b) Subjektiv ist auch hier zumindest bedingter Vorsatz erforderlich. 37 3. Die behördliche Genehmigung nach Abs. 3 ist das Gegenstück zu § 331 Abs. 3; vgl. dazu Rdn. 22 f .
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V. Bestechung, § 334 1. Der Tatbestand der Abs. 1, 2 § 334 Abs. 1, 2 bilden auf Seiten des Vorteilsgebers das spiegelbildliche Gegenstück zu 38 § 332 Abs. 1,2. 2. Die Regelung des Abs. 3 Abs. 3 stellt klar, dass mit dem Anbieten, Versprechen oder Gewähren des Vorteils als 39 Gegenleistung für eine künftige Diensthandlung oder richterliche Handlung nur der Versuch verbunden sein muss, den anderen zu bestimmen, bei einer gebundenen Diensthandlung seine Pflichten zu verletzen (Nr. 1) oder bei einer Ermessenshandlung dem Vorteil Einfluss auf die Entscheidung einzuräumen (Nr. 2). Ob der Versuch erfolgreich ist oder erfolglos bleibt, ist irrelevant. - Auch bei einem Irrtum des Täters über die Pflichtwidrigkeit der angesonnenen Handlung wird z.T. eine vollendete Bestechung nach § 334 angenommen. Zutreffend setzt demgegenüber die Gegenmeinung eine objektiv pflichtwidrige Handlung voraus. 16 - Bei irrtümlicher Annahme der Pflichtwidrigkeit kommt danach allein eine Bestrafung nach § 333 oder wegen Versuchs der Bestechung eines Richters nach § 334 Abs. 2 S. 2 in Betracht. Auch im Falle des Abs. 3 Nr. 2 genügt bedingter Vorsatz, einer besonderen Beeinflussungsabsicht bedarf es nicht. 3. Strafschärfung Besonders schwere Fälle der Bestechung nach § 334 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, jeweils auch 40 in Verb, mit Abs. 3 erfasst § 335; dazu vgl. Rdn. 32. § 338 Abs. 2 eröffnet die Möglichkeit der Verhängung der Vermögensstrafe und des Erweiterten Verfalls in best. Fällen des § 334.
§100 Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat, § 357 1. Die rechtliche Bedeutung der Vorschrift Die rechtliche Bedeutung der Vorschrift liegt darin, dass der Täter, der nicht schon nach den allgemeinen Regeln Mittäter oder mittelbarer Täter der vom Untergebenen begangenen Tat ist, nicht nur als Anstifter, Gehilfe oder erfolgloser Anstifter, sondern wie ein Täter bestraft wird. Für ihn sind die Strafmilderungsmöglichkeiten der §§ 27, 30 ausgeschlossen.
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2. Geschütztes Rechtsgut und Täter a) Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass der vorgesetzte oder beaufsichtigende Amtsträger die Verantwortung dafür trägt, dass in seinem Dienstbereich mit seinem Wissen keine rechtswidrigen Taten durch nachgeordnete Amtsträger begangen werden. b) Das geschützte Rechtsgut ist das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und in die ordnungsgemäße Kontrolle von Untergebenen durch Vorgesetzte und Aufsichtspflichtige. 17 16
S o a u c h BAUMANN B B 1 9 6 1 S. 1 0 6 6 ; JESCHECK L K , § 3 3 4 R d n . 7 ; STEIN S K II, § 3 3 4 R d n . 7 . - A . A . LACKNER/KÜHL § 3 3 4 R d n . 4 ; SCH/SCH/CRAMER § 3 3 4 R d n . 10.
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D a z u GÖSSEL/DÖLLING B . T . l , § 8 0 R d n . 1; JESCHECK L K , § 3 5 7 R d n . 1; KUHLEN N K , § 3 5 7 R d n . 3.
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§100 4
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c) Täter und Untergebener (Abs. 1) oder Beaufsichtigender (Abs. 2) müssen Amtsträger sein, da nur dann das nötige Maß der Gefahrdung des Rechtsguts erreicht ist. 18 Die Tat ist echtes Amtsdelikt, beachte § 28 Abs. I. 1 9 3. Einzelheiten des Tatbestandes
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a) Rechtswidrige Tat im Amte muss eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, vorsätzliche Tat sein. Demgegenüber wird zum Teil gefordert, unter § 357 auch solche Handlungen der Amtsvorgesetzten zu erfassen, in denen der Untergebene gutgläubig tätig wird oder nur fahrlässig handelt, wenn der Vorgesetzte wegen Fehlens der erforderlichen Täterqualität nicht selbst mittelbarer Täter sein kann. 2 ^ - Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die weite Auslegung möglich. Dennoch erscheint die Erweiterung der Täterstrafe auf Fälle der Urheberschaft, die nicht bereits nach allgemeinen Regeln als Fälle unmittelbarer Täterschaft fassbar sind, kriminalpolitisch nicht notwendig.
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b) Die Tat braucht kein Amtsdelikt im engeren Sinne zu sein, d.h. eine Tat i.S. des 28. Abschnitts des StGB, sondern eine Tat, die der Untergebene usw. in Ausübung seines Dienstes begangen hat oder begehen sollte. - In Abs. 2 muss „begangene Tat" auch als „zu begehende Tat" interpretiert werden, da die erfolglose Anstiftung hier keineswegs ausgeschlossen, sondern die Parallele des Tatbestands mit Abs. 1 voll durchgeführt werden sollte. 7 c) Verleiten ist erfolgreiches Bestimmen, doch bezieht das Unternehmen den Versuch des Verleitens ein. Geschehenlassen setzt die tatsächliche Möglichkeit der Verhinderung der Tat voraus. Erfasst wird aber nicht nur die Beihilfe durch Unterlassen, sondern auch die Beihilfe durch positives Tun. Zur Verdeutlichung:
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BGHSt 3 S. 349: Der Kriminalsekretär Ο führte die Untersuchungsgefangene S angeblich zu einer Gegenüberstellung mit dem Hehler. Auf dem Wege dorthin erschoss er sie. Sein Dienstvorgesetzter G hatte ihm Ratschläge für die Durchführung dieser Tat gegeben. BGH: O: § 211. - G: sachlich §§ 211,27 jedoch Bestrafung als Täter gemäß § 357 i.V.m. § 211.
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JESCHECK L K , § 3 5 7 R d n . 5. - Z u r G e g e n a n s i c h t KUHLEN N K , § 3 5 7 R d n . 5. D a z u JESCHECK L K , § 3 5 7 R d n . 1; KUHLEN N K , § 3 5 7 R d n . 1 3 ; LACKNER/KÜHL § 3 5 7 R d n . 1. - A . A .
ROGALL SK II, § 357 Rdn. 1; TRONDLE/FISCHER § 357 Rdn. 2: Unechtes Amtsdelikt, soweit §§ 26, 27 oder 30 Abs. 1 erfüllt sind. 2 0
562
GÖSSEL/DÖLLING B . T . L , § 8 0 R d n . 3 ; JESCHECK L K , § 3 5 7 R d n . 5 ; KUHLEN N K , § 3 5 7 R d n . 9 ; MAURACH/SCHROEDER/MA1WALD B . T . 2 , § 9 7 R d n . 6 ; ROGALL G A 1 9 7 9 S. 2 4 . - W i e h i e r : ARZT/WEBER B . T . , § 4 9 R d n . 1 0 5 f.
Paragraphenregister Die fetten Zahlen verweisen auf die Paragraphen, die mageren auf deren Randnummern. 62 3 §80 § 108 b 87 18 96 25 § 45 c 62 4 f §80 a § 108 e 87 20 45 d 95 12 ff § §81 83 5 ff §109 75 4 ff 88 2 ff § 46 §82 83 8 f § 109 a 75 19 ff 88 7 ff § 47 §83 a 83 10 § 109 d 76 1 ff 88 11 § 48 §84 84 6 ff § 109 e 75 18 88 12 ff § 49 §85 84 12 ff § 109 f 88 19 75 23 f § 51 84 17 ff §86 88 20 75 3 § 109 g § 52 84 23 ff §86 a § 109 h 37 4 52 a 75 25 ff § §87 84 27 ff §111 63 63 ff 52 b 75 32 § §88 84 30 ff §113 91 1 ff 97 32 ff § 53 84 33 ff §89 §114 97 38 ff 91 1 f § 54 §90 84 38 ff §120 97 47 ff 92 1 ff § 55 §90 a 84 38 ff §121 92 12 ff 97 51 ff § 56 84 38 ff § 90 b §123 97 95 ff 35 1 ff § 57 §93 85 3 ff 35 21 ff 97 106 ff § 124 § 58 §94 85 7 ff 97 77 ff 63 2 ff 59 § 125 § 85 12 ff §95 97 85 ff 63 18 ff 60 § 125 a § §97 85 15 f §126 63 23 ff 97 66 ff 63 § §97 a 85 17 f 90 1 ff 95 1 ff § 127 § 64 85 19 f § 97 b 64 2 ff 90 4 ff § 129 § 66 §98 85 30 § 129 a 90 16 ff 64 8 ff § 67 §99 85 25 ff § 129 b 64 11 90 20 § 67 a 85 31 ff §100 §130 64 12 ff 63 27 ff § 68 85 21 ff § 100 a § 130 a 65 1 ff 63 44 ff § 69 §102 86 2 §131 70 65 19 ff 63 52 ff § 86 3 ff §132 § 103 89 5ff 70II 13 63 § §104 86 6 §132 a 89 14 ff 71 65 31 ff § § 104 a 86 7 f §133 93 1 ff 65 8 ff § 72 87 3 f § 105 §134 89 1 ff 65 13 ff § 73 §106 87 4 93 8 ff 66 55 ff § 136 § 74 § 106 b 87 5 ff §138 67 26 ff 66 36 ff § 74 a I 87 9 § 107 §139 67 35 ff 66 31 f § 74 a II 87 10 ff § 107 a §140 74 b 66 42 ff 63 40 ff § § 107 b 87 13 §142 80 45 ff 74 c 66 33 ff § 87 14 § 107 c 96 26 76 66 46 ff § 143 § 87 15 f §108 §145 67 16 ff 66 49 ff § 76 a 87 17 § 108 a § 145 a 96 24 66 54 ff § 76 b 563
Paragraphenregister §177 §178 §179 §180 § 180 a § 181 a §182 §183 § 183 a §184 § 184 a § 184 b § 184 c § 184 d § 184 e § 184 f §185 § 186 § 187 §188 §189 §193 §194 §201 §201 a §202 §202 a §203 §204 §205 §206 §211 §212 §213 §216 §218 § 218 a § 218 b § 218 c §219 §219 a § 219 b §220 a 564
66 10 ff 66 21 66 22 ff 66 60 ff 66 88 ff 66 104 ff 66 66 ff 66 77 ff 66 82 f 66 99 ff 66 106 66 107 66 108 66 84 ff 66 75 66 4 ff 32 1 ff 32 16 ff 32 26 f 32 28 ff 33 1 ff 32 36 ff 32 57 f 34 1 ff 34 15 äff 34 16 ff 34 66 ff 34 26 ff 34 41 ff 34 15 34 45 ff 4 1 ff 31 ff 5 1 ff 6 1 ff 13 31 ff 13 27 ff 13 55 13 58 f 13 60 13 61 13 61 11 1 ff
§221 §222 §223 §224 §225 §226 §227 §228 §229 §231 §232 §233 § 233 a §234 §234 a §235 §236 §239 §239 a § 239 b §240 § 240IV §241 §241 a §242 §243 §244 §244 a §246 §247 §248 a § 248 b § 248 c §249 §250 §251 §252 §253 §255 §257 §258 §258 a
10 1 ff 9 1 ff 15 1 ff 16 1 ff 20 1 ff 17 1 ff 18 1 ff 15 18 21 1 23 1 ff 28 22 ff 28 27 ff 28 29 ff 28 20 f 37 1 ff 65 34 ff 65 43 ff 28 1 ff 29 2 ff 29 8 ff 27 1 ff 13 64 27 54 36 1 ff 37 1 ff 40 1 ff 41 1 ff 41 49 ff 41 69 ff 42 1 ff 43 1 ff 44 1 ff 48 1 ff 45 1 ff 46 3 ff 46 30 ff 46 40 ff 46 50 ff 53 1 ff 53 23 ff 57 1 ff 96 1 ff 96 20 ff
§259 58 1 ff §260 58 33 §260 a 58 34 §261 96 26 ff §263 51 2 ff §263 a 52 28 ff §264 61 8ff §264 a 61 38 ff §265 61 1 ff §265 a 52 13 ff § 265 b 61 28 ff §266 54 1 ff § 266 a I, II 61 68 ff § 266 a III 54 56 ff § 266 b 54 41 ff §267 70 1 ff §268 74 1 ff §269 70 59 ff §270 70 55 §271 71 10 ff 72 14 §273 §274 72 1 ff, 74 17 70 71 ff §275 §276 70 76, 71 27 §276 a 70 76, 71 27 70 77 ff, §277 71 28 f 71 30 ff §278 §279 70 81 ff §281 73 1 ff §283 61 82 ff §283 a 61 106 61 107 ff § 283 b § 283 c 61 111 ff § 283 (1 61 116 ff §284 55 1 ff §285 55 13 §287 55 14 ff §288 50 12 ff 50 1 ff §289
Paragraphenregister §290 §291 §292 §293 §294 §297 §298 §299 §300 §301 §302 §303 §303 § 303 §304 §305 § 305 §306 § 306 § 306 § 306 § 306 § 306
a b
a a b c d e
§ 306 f §307 §308
48 15 ff 61 124 ff 50 22 ff 50 35 50 36 55 18 61 142 ff 61 153 ff 61 172 61 173 61 174 47 2 ff 47 27 ff 47 34 ff 47 24 f 47 18 47 19 f 79 5 f 79 7 ff 79 13 ff 79 16 79 17 f 79 21 ff, 47 26 79 19 f 78 11 78 9 f
§309 §310 §311 §312 §313 §314 § 314 §315 § 315 § 315 § 315 § 315 §316 § 316 § 316 § 316 §317 §318 §319 §320 § 323 § 323 § 323
a a b c d a b c
a b c
§324 §324 a §325
78 12 78 13 82 90 ff 82 84 ff 78 17 ff 82 101 f 78 14 80 1 ff 80 11 ff 80 16 ff 80 21 ff 80 44 80 41 ff 46 69 ff 78 32 80 72 ff 78 33 78 22 ff 78 28 80 20 81 1 ff 78 34 67 2 ff 6 66 ff 82 33 ff 82 41 ff 82 49 f
§ 325 § 326 § 327 § 328 § 329 § 330 § 330 §331 § 332 § 333 § 334 § 339 § 340 § 343 § 344 § 345 § 348 § 352 § 353 § 353 § 353 § 353 § 355 § 356 § 357
a
a b
a b d
82 59 ff 82 64 ff 82 89 82 93 ff 82 100 82 103 ff 82 106 f 99 14 ff 99 25 ff 99 33 ff 99 38 ff 98 1 ff 19 1 ff 98 7 ff 98 11 ff 98 18 ff 71 1 ff 52 1 ff 52 7 ff 94 13 94 1 ff 98 24 ff 34 59 ff 98 29 ff 100 1 ff
565
Sachregister Die fetten Zahlen verweisen auf die Paragraphen, die mageren auf deren Randnummern. Abbilden, sicherheitsgefährdendes 88 20 Abbruch der Schwangerschaft 13 1 ff - Beratungs- und Feststellungssystem 13 9 ff - gerechtfertigter 13 39 -Indikation 13 46 ff - Konkurrenz zu Tötungs- und Körperverletzungsdelikten 13 65 ff -Strafausschluß 13 50 ff - strafbares Verhalten im Vorbereitungsstadium 13 61 ff Abfallbegriff 82 64 ff Abfallbeseitigung, umweltgefährdende 82 64 ff Abgabenüberhebung 52 7 ff Abhängigkeit, persönliche 66 91 Abhören 34 6 ff Absatzhilfe 58 17 ff Absetzen 58 17 f Abtreibung 13 1 ff Affektionswert 38 2, 41 42 Agententätigkeit 84 27 ff - geheimdienstliche 85 25 ff - landesverräterische 85 30 Aids 15 5; 16 13 ff Akzessorietät - der Teilnahme 8 1 ff - des Umweltstrafrechts 82 5 ff Amtsanmaßung 89 5 ff Androhung - eines Unterlassens 27 21 ff - von Straftaten 63 23 f Aneignung 40 55 ff Angehörigenprivileg 96 19 Angriffskrieg 62 3 Ankaufen 58 14 f Anleiten zu Straftaten 63 44 ff
Anstellungsbetrug 51 130 ff Anvertraut - Geheimnis 34 30 - Sache 42 27 ff - Gefangene und Verwahrte 66 39 - als Amtsträger 93 7 Anwerben für fremden Wehrdienst 37 4 Anzeigepflicht 67 29 ff Arbeitsentgelt - Veruntreuung 54 56 ff - Vorenthalten 61 68 ff Ärgerniserregung 66 82 f Aufstacheln zum Angriffskrieg 62 4 f Aufstachelung zum Rassenhaß 63 27 ff Augenscheinsobjekte 70 7 Ausbeuten 28 23 Ausnutzen 41 28 Aussage, falsche 97 1 ff - inhaltliche Bestimmung des Merkmals falsch 97 5 ff - objektive Theorie 97 5 - subjektive Theorie 97 6 -Pflichttheorie 97 7 Aussagedelikte 97 1 ff Aussageerpressung 98 7 ff Aussagenotstand 97 95 ff Ausschreibungsbetrug 61 142 ff Aussetzung 10 1 ff - versuchte erfolgsqualifizierte 10 9 Ausspähen von Daten 34 66 ff Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse 71 30 ff Aussteller 70 10 ff Ausweispapier 73 2 Automatenmißbrauch 52 14 ff
567
Sachregister Bande 41 61 ff Bandendiebstahl 41 61 ff - schwerer 41 69 ff Bandenhehlerei 58 33 f Bankrott 61 82 ff - besonders schwere Fälle 61 106 - einzelne Tathandlungen 61 91 ff - Täter 61 89 f Baugefährdung 78 28 Bedrohung 36 1 ff Befriedigung des Geschlechtstriebes 4 7 ff Begünstigung 57 1 ff Behältnis 34 21, 41 18 Behandlungsabbruch 6 27 ff Beischlaf zwischen Verwandten 65 13 ff Beiseiteschaffen 50 19 Beleidigung 32 1 ff - eines Kollektivs 31 15 ff - mittels Tätlichkeit 32 22 ff - unter einer Kollektivbezeichnung 31 10 ff Belohnung von Straftaten 63 40 ff Berichterstatterprivileg 63 58 ff Berichtigung falscher Angaben 97 106 ff Beschädigen 47 5 ff - wichtiger Anlagen 78 22 ff Beschimpfung von Bekenntnissen 64 2 ff Besitztum, befriedetes 35 5 f Bestechlichkeit 61 153 ff, 87 18, 99 25 ff Bestechung 61 153 ff, 99 1 ff, 38 ff - Unrechtsvereinbarung 99 14 Bestechungsdelikte 99 1 ff - Systematik 99 2 ff Beteiligung an einer Schlägerei 23 1 ff Betrieb 61 14 Betrug 51 1 ff -Anstellungsbetrug 51 130 ff - bei Optionsgeschäften 51 147 ff - bei Termingeschäften 51 147 ff - Bereicherungsabsicht 51 88 ff 568
- Bettelbetrug 51 127 ff - Computerbetrug 52 28 ff - Eingehungsbetrug 51 116 ff - Erfullungsbetrug 51 116 ff - Irrtum 51 21 ff - Kapitalanlagebetrug 61 38 ff - Kreditbetrug 61 28 ff - Kreditkartenerschleichung 51 142 ff - Lastschriftenbetrug 51 146 -Motivationszusammenhang 5151 - Prostitutionsgesetz 51 50, 81 -Prozeßbetrug 51 137 ff - Rechtsgut 51 2 - Rentenbetrug 51 135 f - Scheckkartenerschleichung 51 142 ff - Sicherungsbetrug 51 151 ff - Spendenbetrug 51 127 ff - Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung 51 89 f - subjektiver Tatbestand 51 87 ff - Subventionsbetrug 61 8 ff - Täuschung (ausdrückliche, konkludente, durch Unterlassen) 51 9 ff - Verfügender und Geschädigter 51 44 ff - Vermögensgefahrdung 51 70 ff - Vermögensschaden 51 53 ff - Vermögensverfugung 51 28 ff Bewegungsfreiheit 28 2 f Beweisbestimmung 70 20 ff Beweisfunktion 70 1 Beweiskraft, erhöhte 71 4 f Beweismittel, Angriff - gegen dessen Unversehrtheit 72 1 ff - gegen bestimmungsgemäße Verwendung 73 1 ff Beweiszeichen 70 7 Bildaufnahmen, unbefugte 34 15 a Bildung - bewaffneter Gruppen 90 1 ff - krimineller Vereinigungen 90 4 ff - terroristischer Vereinigungen 90 16 ff
Sachregister Billigung von Straftaten 63 40 ff Brandlegung 79 1 Brandstiftung 79 1 ff - besonders schwere 79 13 ff - fahrlässige 79 17 f - schwere 79 7 ff - Tätige Reue 79 21 ff - vorsätzliche 79 5 ff - mit Todesfolge 79 16 Brandstiftungsdelikte 79 1 ff Briefgeheimnis, Verletzung 34 16 ff Buchfuhrungspflicht, Verletzung der 61 107 ff Computerbetrug 52 28 ff - Vorbereitungshandlungen 52 49 Daten -Fälschung 70 59 ff - Schutz 34 63 f, 47 27 ff - Unterdrückung 72 9 f - Veränderung 47 27 f - Ausspähen von 34 66 ff Datenverarbeitungsanlagen, mißbräuchliche Nutzung 52 31 ff Dazubringen 28 33 Diebstahl 40 1 ff - Abgrenzung zum Betrug 40 28 zur Erpressung 40 28 zur Unterschlagung 39 7 f - Bandendiebstahl 41 61 ff - Beisichftihren von Waffen oder gefahrlichem Werkzeugen 41 50 ff - Beisichfuhren bestimmter Objekte in Verwendungsabsicht 41 57 ff - bewegliche Sache 40 3 ff -fremd 4 0 9 f f - geringwertiger Sachen 41 41 ff - Geringwertigkeit des Tatobjekts 41 41 ff - Irrtum über Vorliegen eines Regelbeispiels 41 44
- mit Waffen 41 50 ff - Rechtsgut 39 1 ff - schwerer 41 1 ff - subjektiver Tatbestand 40 40 ff - Versuch 41 32 ff -Wegnahme 40 15 ff Diensthandlung 91 5 Doppelehe 65 8 ff Doppelselbstmord, fehlgeschlagener 6 62 ff Drittzueignung 40 71 ff Drohung 27 17 ff Ehre (Begriff) 31 1 ff - normativer 31 2 - normativ-faktischer 31 3 - personaler 31 4 Ehrverletzungsdelikte 31 ff - Einzelheiten 32 1 ff - Konkurrenz der ehrverletzenden Tatbestände 32 55 f - Rechtfertigung 32 35 ff Eidesgleiche Bekräftigung 97 47 ff Eidesunmündiger, Aussagen 97 105 Einbrechen 41 5 ff Eindringen 35 9 ff Eingehungsbetrug 51 116 ff Eingriff, gefahrlicher - in den Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehr 80 11 ff - in den Straßenverkehr 80 16 ff Einheitstheorie 24 5 Einsperren 28 4 Einsteigen 41 10 Einwilligung - gemutmaßte 24 -hypothetische 24 - Körperverletzung 15 15 ff - mutmaßliche 15 23 f - Tötung auf Verlangen 6 5 ff - Voraussetzungen 15 18 Enteignung 40 56 ff Entführen 29 4 569
Sachregister Entziehung - elektrischer Energie 45 1 ff - Mindeq ähriger 65 34 ff Erfullungsbetrug 51 116 ff Ermächtigungs-(Befugnis-) theorie 40 38, 51 44 ff Erpresserischer Menschenraub 29 2 ff Erpressung 53 1 ff - Abgrenzung vom Betrug 53 18 ff Ersatzhehlerei 58 9 ff Erschleichen - der Beförderung durch ein Verkehrsmittel 52 19 ff - der Leistung eines öffentlichen Zwecken dienenden Fernmeldenetzes 52 17 ff - freien Eintritts 52 23 ff - von Leistungen 52 13 ff Erstattung von Anzeigen 32 53 Erzieherprivileg 63 60, 66 62,66 104 Euthanasie 6 1 ff - Früheuthanasie 6 46 f Exhibitionistische Handlungen 66 77 ff Explosionsdelikte 78 9 ff - durch Kernenergie 78 11 - durch Sprengstoff 78 9 f Fahrlässiger Falscheid und fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt 97 66 ff Fahruntüchtigkeit 80 23 ff Falschaussage 97 4 ff - versuchte Anstiftung 97 77 ff - Verleitung zur 97 85 ff Falschbeurkundung im Amt 71 1 ff - mittelbare 71 10 ff - schwere mittelbare 71 23 ff Falsche uneidliche Aussage 97 32 ff Falsche Verdächtigung 95 1 ff Falsche Versicherung an Eides Statt 97 51 ff Falscheid, fahrlässiger 97 66 ff Falscher Schlüssel 4111 570
Fälschung - beweiserheblicher Daten 70 59 ff - technischer Aufzeichnungen 74 1 - von Schecks und Wechseln 75 25 ff - von Wahlunterlagen 87 13 Familiendiebstahl 43 1 ff - Irrtum über das Tatopfer 43 12 ff Fischwilderei 50 35 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger 66 60 ff Fortfuhrung einer für verfassungswidrig erklärten Partei 84 6 ff Fotokopie 70 28 ff Freiheitsberaubung 28 1 ff - mittelbare Täterschaft 28 6 f - Rechtswidrigkeit 28 8 ff - Verhältnis zur Nötigung 28 15 ff Freiheitsdelikte 26 1 ff Friedensgefahrdende Beziehungen 85 31 ff Fristenlösung, Beratungspflicht 13 9 ff Führen eines Fahrzeugs 80 22 Garantiefunktion 70 1 Gattungsschuld 40 81, 51 96 ff Gebäude 41 7 Gebrauch - einer Bildaufnahme 34 15 c - einer Urkunde 70 50 - falscher Beurkundungen 71 19 ff - Vorbereitung des Gebrauchs falscher Beurkundungen 71 27 Gebrauchen, Begriff 70 50 f Gebrauchsanmaßung - Abgrenzung zum Diebstahl 40 44 - strafbare 48 1 ff Gebührenüberhebung 52 1 ff Geburt 2 4 ff Gefahrdung - des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs 80 11 ff - des demokratischen Rechtsstaats 84 1 ff
Sachregister - des Straßenverkehrs 80 16 ff - des Verkehrswesens 80 1 ff Gefährdungsdelikte 78 1 ff Gefährlichkeitsprinzip 2 23 ff Gefangenenbefreiung 92 1 ff - Teilnahme Dritter 92 7 f - Teilnahme durch den Gefangenen selbst 92 9 f Gefangenenmeuterei 92 12 ff Gefangener 92 2 Gegensatztheorie 24 6 Geheimdienstliche Agententätigkeit 85 25 ff Geheimnissphäre 34 16 ff Geiselnahme 29 11 Geistigkeitstheorie 70 10 ff Geldfälschung 75 1 ff -Feilhalten 75 9 - Inverkehrbringen 75 10 ff, 19 ff - Nachmachen 75 4 ff - Sich verschaffen 75 9 - Verfälschen 75 8 Geldschuld 40 83 ff Geldwäsche 96 27 ff - Begrenzung des Tatbestandes 96 42 - Erwerbs-, Besitz- und Verwendungstatbestand 96 34 ff - Leichtfertiges Handeln 96 41 - Organisierte Kriminalität 96 27 - Strafaufhebung 96 42 - Strafmilderung 96 42 - Verschleierungstatbestand 96 29 ff Geldwerte Objekte 38 2 Geltungsanspruch, sozialer 31 3 Gemeine Gefahr 67 8 Gemeine Not 67 9 Gemeingefährliche Delikte 78 1 ff - Begriff 78 1 f - Oberblick 78 8 ff Gemeingefährliche Mittel 4 41 ff Gemeinschädliche Sachbeschädigung 47 24 ff Geringwertig 41 41 ff
Geschäftsräume 35 4, 41 8 Gesundheitsschädigung 15 5 - schwere 46 31 Gesundheitszeugnisse - Ausstellung unrichtiger 71 30 ff - Fälschung und Gebrauch falscher 70 77 ff, 71 28 f Gewahrsam 40 16 ff Gewahrsamsbruch 40 28 ff Gewahrsamshüter 40 26 f Gewalt 27 2 ff Gewässer 82 34 Gewerbsmäßig 41 21, 50 32 Gewohnheitsmäßig 50 32 Gift 16 4 f Gläubigerbegünstigung 61 111 Glücksspiel - Begriff 55 3 - Beteiligung am unerlaubten 55 13 Grausam 4 36 ff Habgier 4 11 ff Haus- und Familiendiebstahl 43 1 ff Hausfriedensbruch 35 1 ff - befriedetes Besitztum 35 5 f - Eindringen 35 9 ff - schwerer 35 21 ff - Verweilen ohne Befugnis 35 17 f Haustyrann 4 35 a Häusliche Gemeinschaft 43 5 f Hehlerei 58 1 ff -Ersatzhehlerei 58 9 ff - fahrlässige 58 35 - gewerbsmäßige 58 33 f - Konkurrenzen und Strafe 58 29 ff - subjektiver Tatbestand 58 23 ff - Verhältnis der Vortat zur Hehlerei 58 7 f Heileingriff, ärztlicher 15 6 ff Heimtücke 4 17 ff Herbeiführen einer Brandgefahr 79 19 f Herrschaftswille 40 17 ff
571
Sachregister Herstellen - Urkunde, unechte 70 34 ff - Bildaufhahmen, unbefugt 34 15 b Hilfeleistung 57 6, 67 2 ff Hilfeleistung, unterlassene 67 2 ff - beim Suizid 6 66 ff Hilflosigkeit 10 2 - auslandsspezifische 28 23 Hindernisbereiten 80 17 Hinterlistiger Überfall 16 9 Hintermann 28 6 f, 10 Hochverrat 83 1 ff - gegen den Bund 83 5 ff - gegen ein Land 83 8 Hunde, gefährliche 96 26 Hungerstreik 6 61 Identitätstäuschung 70 32 Imstichlassen 10 3 Inbrandsetzen 79 1 ff Indikation 13 46 ff - medizinisch-soziale 13 46 ff - kriminologische 13 49 Ingebrauchnahme 48 3 Insolvenzdelikte 61 79 ff Intimsphäre 32 52 Inverkehrbringen von Falschgeld 75 10 ff, 19 ff Irrtum 51 21 ff Jagdwilderei 50 22 ff Kapitalanlagebetrug 61 38 ff Kennzeichen 70 7, 84 23 ff Kettenanstiftung 97 83 Kinderhandel 65 43 ff Kollektivbeleidigung 31 10 ff Körperverletzung - einfache 15 1 ff - dauernde Entstellung 17 9 - fahrlässige 21 1 - gefahrliche 16 1 ff - gefahrliches Werkzeug 16 6 ff 572
-gemeinschaftliche 1610 - Gift oder andere gesundheitsschädliche Stoffe 16 4 f - hinterlistiger Überfall 16 9 - im Amt 19 1 ff - Infizieren mit Aids 16 13 ff - Lähmung 17 10 - lebensgefahrdende Behandlung 16 11 - mit Todesfolge 18 1 ff - schwere 17 1 ff - Siechtum 17 10 -Verfall 17 10 - wichtiges Glied 17 6 f Körperverletzungsdelikte 15 1 ff - Einwilligung 15 15 ff - Konkurrenzen 24 1 ff - Systematik 14 1 ff - Züchtigungsrecht 15 25 Kreditbetrug 61 28 ff Kreditgefahrdung 32 27 Kreditkartenerschieichung 51 142 ff Kreditwucher 61 130 Kriminelle Vereinigung 90 6 ff Krisensituation 61 82 ff - drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit 61 87 f - Überschuldung 61 83 ff Kunstfreiheit 32 45 ff Lagertheorie 40 38 Landesverrat 85 7 ff Landesverräterische - Agententätigkeit 85 30 Landfriedensbruch 63 2 ff Lastschriftenbetrug 51 146 Lebensbereich, höchstpers. 34 15 a ff Lebensgefahrdende Behandlung 16 11 Lebenslange Freiheitsstrafe 2 26 ff Lebensverkürzung - schmerzlindernde 6 41 f Leibeigenschaft 28 27 Leibesfrucht 2 4 ff; 13 6 ff
Sachregister Leiche - fremd 40 14 - Wegnahme 64 12 ff Leichtfertigkeit, Begriff 46 43 Leistungskürzung 52 12 lucrum - e x re 40 48 - ex negotio cum re 40 48 Luftverkehr, Angriff auf 80 11 ff
- Mordlust 4 5 f - niedrige Beweggründe 4 13 ff - Teilnahmeprobleme 8 1 ff - Verdeckungsabsicht 4 45 ff -Verhältnis zu §213 5 15 ff - Vorsatzprobleme 4 53 ff - zur Befriedigung des Geschlechtstriebes 4 7 ff Mosaiktheorie 85 6
Meineid 97 38 ff Meinungsbildung - öffentliche und politische 32 42 ff Menschenhandel 28 22 ff Menschenmenge 35 22, 63 3 Menschenraub 28 20 f - erpresserischer 29 1 ff Menschliches Leben 2 3 ff - Beginn 2 5 ff - Ende 2 10 ff Mietwucher 61 129 Minima-Klausel 82 81 Mißbrauch - von Ausweispapieren 73 1 ff - von Notrufen 67 16 ff - von Scheck- und Kreditkarten 54 41 ff - von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 89 14 ff - von Automaten 52 14 ff Mißbrauchstatbestand 54 12 ff Mißhandlung 5 6; 15 2 - körperliche 15 2 -rohe 20 5 - seelische 15 4 - von Schutzbefohlenen 20 1 ff Mittelbare Falschbeurkundung 71 10 f - schwere 71 23 ff Mord 4 1 ff - gemeingefährliche Mittel 4 41 ff - grausam 4 36 ff - Habgier 4 11 f - Heimtücke 4 17 ff
Nachmachen 75 4 ff Nachrede, üble 32 16 ff Namenstäuschung 70 32 Nichtanzeige geplanter Straftaten 67 24 ff Nichterweislichkeit 32 21 Niedrige Beweggründe 4 13 ff Nötigung 27 1 ff - Androhung eines Unterlassens 27 21 ff - des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans 87 4 - Drohung mit einem empfindlichen Übel 27 17 ff - Gewalt 27 2 ff - Versuch 27 49 ff - Verwerflichkeitsklausel 27 28 ff - Vollendung 29 16 - von Verfassungsorganen 87 3 Offenbarung - von Geheimnissen 34 26 ff Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 63 63 ff Öffentliche Urkunden 71 4 ff Parteiverrat 98 29 ff Perpetuierungsdelikte 56 1 ff - Systematik 56 14 ff Perpetuierungsfunktion 70 1 Personaler Vermögensbegriff 38 1 ff, 51 54 573
Sachregister Personenstandsfalschung 65 1 ff - falsche Angaben 65 4 - Unterschieben eines Kindes 65 3 Persönlichkeitssphäre 34 1 Pfandkehr 50 1 ff Pfandungspfandrecht 50 2 Pflichttheorie 97 7 Politische Verdächtigung 37 1 ff Pornographische Darbietungen 66 108 Pornographische Schriften, Verbreitung 66 99 ff - gewalt-, tierpornographische 66 106 - kinderpornographische 66 107 Post- und Fernmeldegeheimnis, Verletzung 34 45 ff Preisgabe von Staatsgeheimnissen 85 15 f Privatgeheimnis 34 26 Prostitution - Ausübung der verbotenen 66 84 ff - Förderung 66 88 ff -jugendgefährdende 66 75 - Nachgehen 66 84 Provokation - Körperverletzung mit Todesfolge 18 12 - minder schwerer Fall des Totschlags 54 Prozeßbetrug 51 137 ff Quälen 20 5 Rädelsführer 84 8 Raub 46 1 ff - finale Verknüpfung von Nötigung und Wegnahme 46 7 ff - Gewalt und Drohung 46 3 ff - mit Todesfolge 46 40 ff - Motivwechsel 46 13 f - schwerer 46 30 ff - Systematik 46 2 - Versuch 46 27 ff - Zwangslage ausnutzen 46 20 574
Räuberische Erpressung 53 23 ff Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer 46 69 ff Räuberischer Diebstahl 46 50 ff - auf frischer Tat 46 54 - Betreffen 46 55 - Gewalt und Drohung 46 57 - Irrtum bei Vortat 46 62 - Konkurrenzen 46 65 ff - Täterschaft und Teilnahme 46 63 f Raum, umschlossener 41 5 ff Rausch, Begriff 81 3 ff Rauschtat 81 7 ff Rechtsbeugung 98 1 ff Rechtserheblichkeit der Gedankenerklärung 70 23 Rechtssachen 98 2 Regel(fall)beispiele 41 1 ff Rentenbetrug 51 135 f Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln 88 12 ff Sachbeschädigung 47 1 ff - Konkurrenz zu Zueignungsdelikten 47 15 ff - Besondere Fälle 47 18 ff Sachentziehung, straflose 47 11 Sachgefahr 67 4 ff Sachherrschaftsverhältnis 40 15 ff Sachsubstanztheorie 40 45 Sachwerttheorie 40 46 Scheckkartenerschleichung 51 142 ff Scheinwaffe 41 59 Schiedsrichtervergütung 99 7 Schienenbahnen im Straßenverkehr 80 44 Schiffsgefahrdung durch Bannware 55 18 Schlägerei 23 2 ff Schuldknechtschaft 28 27 Schuldnerbegünstigung 61 116 ff Schußwaffe 41 51
Sachregister Schutz von Daten und Datenverarbeitung 34 63 f, 47 27 ff Schutzvorrichtungen 41 17 Schwächesituationen 61 134 ff - Mangel an Urteilsvermögen 61 137 - Unerfahrenheit 61 135 f -Willensschwäche 61 138 -Zwangslage 61 134 Selbstbegünstigung 57 12 ff Sexuelle Belästigung Unbeteiligter 66 76 Sexuelle Handlung 66 5 ff Sexuelle Nötigung 66 10 ff Sexueller Mißbrauch -Jugendlicher 66 66 ff - unter Ausnutzung einer Amtsstellung 66 42 ff - unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses 66 33 ff - von gefangenen und verwahrten Personen 66 66 ff - von Kranken und Hilfsbedürftigen 66 31 f - von Schutzbefohlenen 66 55 ff - widerstandsunfähiger Personen 66 22 ff Sichbemächtigen 29 4 Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst 88 19 Sicherungsbetrug 51 151 ff Sichversprechenlassen 99 14 Sklaverei 28 27 Spendenbetrug 51 127 ff Speziesschuld 40 79 Sportwetten 55 3 Staatsgeheimnis 85 3 ff Sterbehilfe 6 1 ff -aktive 6 4 0 f f - passive 6 22 ff - Früheuthanasie 6 46 f Steuergeheimnis, Verletzung 34 59 ff
Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung 51 89 f Störpropaganda gegen die Bundeswehr 88 11 Störung - der Religionsausübung 64 8 ff - der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans 87 8 ff - der Totenruhe 64 12 ff - des öffentlichen Friedens 63 23 ff - einer Bestattungsfeier 64 11 - öffentlicher Betriebe 78 32 - von Telekommunikationsanlagen 78 33 Strafvereitelung 96 1 ff - Angehörigenprivileg 96 19 - i m Amt 96 20 ff - zu eigenen Gunsten 96 18 Straßenverkehr 80 16 Submissionsbetrug 61 142 ff Subvention, Begriff 61 9 Subventionsbetrug 61 8 ff Suizid 6 48 ff - als Unglücksfall 6 66 ff - einseitig fehlgeschlagener Doppelselbstmord 6 62 ff - Garantenstellung zur Hinderung 6 53 ff - mittelbare Täterschaft 6 49 - und Tötung auf Verlangen 6 48 ff - und Mitwirkung Dritter 6 48 ff Tatsachenbehauptung 32 5 Täuschung 51 9 ff Telekommunikation 34 46 - Anlagen 34 46 - Dienste 34 46 - Dienstleistungen 34 46 Totschlag 3 1 ff - besonders schwere Fälle 3 5 - minder schwere Fälle 5 1 ff Tötung - auf Verlangen 6 1 ff 575